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Full text of "Im dunkelsten Afrika : Aufsuchung, Rettung und Rückzug Emin Paschas"

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Fırst Director or 
Tue New YoRK PußLic LIBRARY 
WHO BY HIS FORESIGHT ENERGY AND 
ADMINISTRATIVE ABILITY 
MADE EFFECTIVE 
ITS FAR-REACHING INFLUENCE 


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Jon Smaw Bırrınos Memorıaı Fonxo 
Fovnnpen By Anna PaLmen DRAPER 








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Y\Abcıca, Comtal—perex. and Iran, 1881- \seqa, 


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‚-UGUST BERNOUT T. 


Im dunkelſten Afrika, 


Im Verlage von F. A. Brodhaus in Leipzig erfdienen : 


Stanley, Henry M. Wie ich Fivingftone fand. Reifen, Mbenteuer und 
Entdedungen in Central» Afrile. Autorifirte deutfche Ausgabe. Zweite 
Auflage, mit einem Lebensabriß Livingftone’s vermehrt. 2 Bände. Mit 
54 Abbildungen und Karte. 8. Geh. O0 M. Geb. 22 M. 50 Pf. 
Stanlen’s erftes Werk, welches feinen Ruhm begründete: die meifterhafte Schilderung 

ber Aufſuchung und Auffindung Zivingftone's. 

Stanley, Henry M. Durd den dunfeln Welttheil oder die Quellen des 
Nils, Reifen um die großen Seen des Wequatorialen Afrifa und den 
Livingftone-Fluß abwärts nad; dem Atlantiichen Ocean. Autorifirte deutſche 
Ausgabe. Aus dem Englifhen von C. Böttger. Zweite Auflage. Neue 
Ausgabe. 2 Bände. Mit Karten und Abbildungen. 8. Geb. 32 M. 50 Pf. 
Geb. IT M. 

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* —— Ar ee Entdedungen auf ber abenteuerlichen Fahrt, 

Stanley, Henry M. Der Kongo umd die Gründung bes SKongoflaates, 
Arbeit und Forſchung. Aus dem Englifhen von 9. von Wobejer. 
Autorifirte deutfche Ausgabe. Zweite Auflage. 2 Bände. Mit über 100 Abbil- 
dungen, 2 großen und mehrern Heinern Karten. 8. Geh. 16 M. Geb. 20 M. 
Darftellung des Verlaufs und der Ergebniffe der 1879—1884 von Stanle p erfolgreich 

ausgeführten Erpebition von der Mündung bes Kongoftroms aufwärts bis tief ins Innere 

bes Zanbes hinein, welche zur Gründung des ei führte. 

Stanley's Briefe über Emin Paſcha's Befreiung. Mit Stanley’s Ge— 
nehmigung veröffentlicht. Herausgegeben von 3. Scott Keltie. Auto— 
rifirte deutfche Meberfebung von 9. von Wobeſer. Mit einer Ueberfichts- 
tarte. Erſte bis zehnte Auflage. 8. Geh. 1.M. 50 Bi. 

Diefe Briefe und Berichte Stanleys gaben zum eriten'male ein überſichtliches Bild des 

Berlaufs der Expedition zur Befreiung Emin Paſcha's. 

Henry M. Stanley's Reife durch den Ba etc. Nach Stanley's 
Berichten für weitere, Kreiſe bearbeitet von Dr. Berthold Bolz. fünfte 
Auflage. Mit 54 Abbildungen und 1 Karte! 8. Geh.5M. Geb. 6M. 50 Pf. 
Eine Bearbeitung ber Pe re Reife Stanlen’s, ald echtes Volfabuh bewährt und 

augleid als vorzüglihe Jugendſchrift geihäßt, 


Wobejer, % von. Henry M. Stanley und Dr. Pechuel-Loeſche. 8. 
Sch. 30 Pf. 


Eine unparteiiihe Würdigung der Bemängelungen, welche Stanley’3 Berichte über Die 

Berhältnifie am Kongo erfuhren. 

Emin-Bajda. Eine Sammlung von Reifebriefen und Berichten Dr. Emin- 
Paſcha's aus den ehemals ägyptifchen Aequatorialprovinzen und deren Grenz. 
ländern. Herausgegeben von Dr. ©. Shweinfurth und Dr. F. Ratz el 
mit Unterftügung von Dr. R. W. Felkin und Dr. ©. Hartlaub. Mit 
Borträt, Lebensſtizze und erflärendem Namenverzeihniß. 8. Geb. 12M. 
Geb. 13 M. 50 Bi. 


Eine Sammlung ber zahlreichen bisher nur theilweiſe befannten werthvollen Arbeiten 
Emin-Bajcha’s, namentlich auch der in jeinen ausführlichen Reifebriefen enthaltenen Berichte: 
das einzige Wert, welches eine Ueberſicht feines Schaffens und Wirkens gibt. 


Buchta, R. Der Sudan unter ägyptiſcher Herrſchaft. Rückblicke auf bie 
letzten jechzig Jahre. Nebft einem Anhange: Briefe Dr. Emin-Paſcha's 
und Lupton-Bey’s an Dr. Wilhelm Junfer, 1883— 1885. Mit 
einem Zitelbild und zwei Karten. 8. Geh. 6M. Geh. TM. 


Auf Grund der Tagebücher von Dr. Wilhelm gi und fonftiger zumeift an Ort und 
Stelle gemanter Poriäungen orientirt ber Verfaſſer über bie Grein ‚ welde zu dem 
Mahdi : Aufitand in den Subanländern und zu der Abſperrung Emin-Paſcha's führten. 


THE ..zW YORK 
PUBLIC LIBRARY 


ASTOR, LENOX AND 
TILDEN FOUNDATIONS 
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Stanley und feine Offiziere. 


Jephſon. 


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Stanley. 


Nelſon. 


Dr. Barte. 


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Im dunkelften Afrika, 


Auffuhung, Rettung und Rückzug 


Emin Paſcha's, 


Gouverneurs der Aequakorialprovinz. 


Von 


Heney MI, — 


Autorifirte deutſche Ausgabe. 
Rus dem Engliſchen von B. von Wobeſer. 


it 150 Abbildungen und 3 Karten. 


Eriter Band. 





Leipzig: 
FR Brokhans. 


1890, 


4, 


THE KEW YORK 
PUBLIC LIBRARY 


8383774 


ASTOR, LENOX AND 
TILDEN FOUNDATIONS 
R 1938 L 





Ich will nicht aufhören, vorwärts zu gehen, bis ih zu der Stelle fomme, wo 
die beiden Seen ſich begegnen, felbit wenn ich neunzig Jahre reife, 


fioran, XVIIL fapitel, Vers 62. 


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Inhalfsverzeichniß des erften Bandes, 


Seite 





Krief an Fir William Aackinnon als Vorrede . na a 1 


Erſtes Kapitel. 





Zweites Kapitel. 





Drittes Kapitel. 





Viertes Kapitel. 





— Achtes Kapitel. 
er Bon den PBanga: Fällen nad der Station Ugarromwa’s . . . » 2 2... 165 
NY Neuntes Kapitel. 
= Bon der Station Ugarrowwa's bis zur Station Kilonga-Longa’s . . . . 198 


+ Behntes Kapitel. 


Bei den Manjema in 





VI Inhaltsverzeichniß des eriten Bandes. 


Elftes Kapitel. 





Bwölftes Kapitel. 


Ankunft am Albert-See und Rückkehr nah Abwiri 2 on nn 2 nn. 294 





Dreizehntes Kapitel, 





Vierzehntes Kapitel. 


dem Ulbert-Njania . 





Sechzehntes Auplrl 


alba zulammen (Fortiegung) 





' Veunzehntes Kapitel. 


Barttelot’3 Tod - - > 2 2 2 436 


Ankunft in Banalja. 





Bwanzigftes Kapitel. 


Die traurige Geichichte der Nacıhut . 





Anlzang. 
Major Barttelot’s leßter Bericht über die Ereignifie-in Jambuja . . . . 494 










Abſchrift des Tagebuches der Nachſuttt. 501 



































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VIII Verzeichniß der Abbildungen. 





Separatbilder. 


Stanley und feine Offiziere. (Titelbild). 


Das Stahlboot „Advance . » ı > 2 v2 rn er ee 37 
In Naht und Regen im Walde . . . . 140 
Fahrt auf dem Arumimi mit bem Stahlboot „Advance“ und 16 Kanoes . 146 
Gefecht mit den Noijibba-Rannibalen . . . . 169 


„Der Paſcha ift angelommen!“ Transport des Bootes durch dei Bad . 18 
Rettung des Kapitäns Nelfon und der Ueberlebenden im rg .. 234 


Gymnaſtiſche Uebungen in einer Waldlihtung. . . . .» u 5, 6 
Ruf zu den Waffen in Jijiugggg. 286 
Austritt aus dem Walde. . . . 272 
Unjere erjte Erfahrung mit Mafamboni’ 5 Lolt. it vom en Kum: Hügel 291 
Erſter Blid auf den Albert-See . . . 2.0.8300 
Bufammentreffen mit Emin und Gajati im Roger am Serufer 8609 
Ein Phalanxtanz von Maſamboni's Kriegernnnn. 4421 418 


Zuſammentreffen mit der Nachhut bei Banalja -. » 2 2 2 2 2 00. 462 





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Brief an F. A. Brockhaus in Leipzig. 


34, De Bere Gardens, 27. Mat 18%. 
Mein lieber Freund! 


Allwöchentlich ſchreiben mir eine Anzahl Deutjche und Defterreicher, 
leider aber in ihrer eigenen Sprache, von der ich, zu meiner Schande 
ſei's gejagt, fein Wort veritehe. Wenn ich erjt mit einer gewifien 
ſchönen Dame verheirathet bin, werde ich, da fie eine faft ebenjo große 
Lingutftin ijt wie Emin, beifer im Stande fein, die Gefinnungen der 
Briefichreiber zu würdigen; bis dahin muß ich mich damit begnügen, 
die deutſchen Ergüffe in den Bapierforb zu werfen, ohne zu wifjen, 
ob diejelben Segnungen oder Verwünſchungen find. Denn ich erliege 
thatſächlich der Laſt der täglich eintreffenden Briefe und den Scharen 
von Beluchern. Das Buch ijt, Gott jei Danf, aus meinen Hän— 
den und id) würde gern eine nette Summe für ein Privilegium 
langen Schlafes bezahlen, den ich zu verdienen glaube. Ich brauche 
abjolute Ruhe, denn von dem Tage, an welchem ich Emin’s wegen 
nad Afrika aufbrach, habe ich mich diejes ſüßen Balfams für den er- 
müdeten Körper, den ich jo jehnlich zu erlangen wünschte, nicht erfreut. 
Hoffentlich ijt meine geliebte Braut von kräftiger Dispofition und trägt 
mich mit fi) hinweg in die Gefilde träumeriichen Glückes, wo die 
Berheiratheten Ruhe finden jollen. 

Garlyle pflegte zu jagen, die Deutichen ſeien ein philojophiiches 
Bolf, doc Habe ich das nicht gefunden. Sie find ebenjo leicht er- 
regbar und leidenjchaftlid) wie die ‚Franzojen. Was waren die Deutichen 
beijpielsweije in der Sache Emin’s diefem oder er ihnen, ehe er von ums 
aus dem Negerlande gebracht wurde? Emin war jeiner Geſinnung nad) 
Engländer, wenn auch jeine Natur im wejentlichen deutich war. Er 
jtrebte danad), was er jegt auch jein mag, in den Dienjt Englands 
zu fommen, das beweijen feine Briefe an das Britifche Auswärtige 
Aınt. Allein was fümmerte das mid) nad) der einen oder andern 
Richtung Hin? Ich habe mich nicht aufgemacht, um einem Deutjchen oder 
einem Engländer, jondern um einem idealen Gouverneur zu helfen, der 
fih in meiner Phantafie feitgeießt hatte als ein des Beiltands ganz 
bejonders wirdiger Manı. Er war ein Statthalter von Gordon, 
war tief mac) Aequatoria hineingeſchickt worden und, wie ich glaubte, 


X Brief an F. A. Brockhaus in Leipzig. 


von den Mahdiſten belagert. Mit etwas Munition hoffte ich ihn in den 
Stand zu ſetzen, auszuhalten, bis weitere Aufklärung über ſeine Lage 
einen noch allgemeinern Wunſch, ihm zu helfen, zur Folge gehabt hätte. 

Sie erinnern ſich wohl, welche albernen Anſichten über Living— 
ſtone herrſchten. Zu meiner Freude konnte ich bei meiner Rückkehr 
von ihm der Lejewelt ein anderes Bild von ihm geben, wie er 
fih ald Mann, als Chrift, als guter Kamerad und als Gentleman 
zeigte. Weshalb follte ich nicht daffelbe für Emin thun, da ich doch 
mit einer vorgefaßten Borliebe und einem günftigen Worurtbeil 
für ihn aufgebrohen war? Einfach, weil Emin's Berhalten mir 
dies nicht geitattete. ES gelang ihm in der erjtaunlichjten Weiſe, 
meine Zuneigung zu ihm zu zerftören. Nachitehend Einiges von 
ihn, was mir heute noch ebenjo räthjelhaft an ihm iſt wie je. Nad)- 
dem ich ihn von unferm Kommen in Kenntniß gelegt Hatte, begreife 
ich nicht, weshalb er nicht auf dem See neun Stunden weiter nad) 
Süden hätte dampfen jollen, um den Eingeborenen mitzutheilen, daR 
er ums erwarte. An demjelben Tage, dem 25. März 1888, an 
welchem er jo zuverfichtlicdy an mid) jchrieb, jchreibt er an Peter: 
mann: „Kommt Stanley nicht bald, jo find wir verloren.“ Als ich 
ſechs Wochen jpäter mit ihm zujammentreffe, jagt er mir nichts von 
allem dieſen, 'und als ich mich von ihm trenne, um die Nachhut auf- 
zufuchen,, befinde ich mich in vollftändiger Unfenntniß über feine wirf- 
liche Lage, während ein wenig Offenheit viel hätte helfen können. 
Als ic) neun Monate jpäter zu ihm zurüdfehre, iſt er ein Gefangener. 
Wenn ich eine Seite an mir entdeden könnte, die in irgendeiner Weife, 
Geftalt oder Form in ihm Aergerniß erregen durfte, würde ich mit mir 
jtreng ins Gericht gehen, allein bis jemand mir diejelbe nachweiſt, muß 
ich mich damit begnügen, dies Räthſel ungelöft zu laffen. Ich war bei 
meinem erften Beſuche 26 Tage mit ihm zuſammen und mein Tage: 
buch ift voll von angenehmen Dingen, fröhlichen Plaudereien am 
Ufer des Sces und wohlthuender Ruhe. Es findet ein ziemlich 
reger Briefwechjel zwiichen uns jtatt und jedes Echreiben kenn— 
zeichnet das gegenfeitige Bergnügen aneinander. Je entgegenge- 
jegter unjere Anſchauungen über Menjchen und Denkweife find, um 
jo mehr dient dies dazu, das Vergnügen, welches der eine an der 
Sejellichaft des andern empfindet, zu fteigern und ein herzliches Lachen 
beendet den Meinungsaustaufch. Nichtsdeftomweniger erregte Manches 
den Argwohn in mir, daß an Emin Etwas jehr jeltiam fei, doc) ge- 
hörte, was dies jet, zu den unentdedten Dingen, bis ich mit der leßten 
Abtheilung der Entſatz-Expedition zurüdfehrte. Dann ift Emin aber 
Gefangener und es ift zu fpät. Ich finde, daß das Geheimniß darin 
beiteht, daß Emin weder eine wirkliche Regierung ausübte, noch eine 


Brief an F. 9. Brodhaus in Leipzig. XI 


Provinz beſaß und nur von ſeinen rebelliſchen Offizieren geduldet ge— 
lebt hatte. Vermuthlich hatte Stolz ihn ſchweigen laſſen, allein es 
war ein Fehler, daß er nicht offen genug war, während noch etwas 
hätte geſchehen können. Als er Gefangener war, blieb ihm nichts 
weiter übrig, als fortzugehen. Wie er fortgegangen iſt, wird das 
Buch am beſten ſchildern, das über die Ereigniſſe eines jeden Tages 
Aufklärung gibt. Ich muß jedoch der Wahrheit gemäß jagen, daß er 
mir von meinem Gefichtspunfte aus heute jo unbegreiflich bleibt, wie 
damals im Lager von Kavalli. Jeder wird ſich fein eigenes Urtheil 
über ihn bilden, der eine ein freundliches, der andere ein jtrenges. 
Ich will nur das reflectirende Medium jein, und da ich mic) bemüht habe, 
ihn in wohlwollender Weije zu jchildern, werden die meisten Leier zu 
gleichgültig fein, um über die Sache weiter nachzudenfen, und zufrieden, 
in Ruhe gelafjen zu werden. Und fie werden weile daran thun. 

Was nun Emin’s Eintritt in deutſche Dienfte betrifft, jo hat 
meiner Anficht nad) niemand ein Recht ihn zu tadeln. ch Hoffe, er 
wird reichen Erfolg erzielen, jedenfalls kann ihm nicht mehr Erfolg 
beichieden fein, al3 ich ihm wünſche. Allein die Art und Weiſe feines 
Eintritts ift mir ebenfo umbegreiflich wie irgendein Theil jeiner Ge— 
ihichte. Ich vermag nicht zu verftehen, weshalb er fich nicht hätte 
nad) Kairo begeben, dem Khedive danken, fein Entlaffungsgefuh in 
gehöriger Form einreichen und nad) Europa fommen können, um 
ebenjo viele Feſtmahle in London wie in Berlin zu genießen und jo 
viele goldene Medaillen zu erhalten, wie er nur wegzuftauen ver- 
mochte. Wenn er je den Wunſch nad) Feitmahlen oder Medaillen 
ausdrüdt, werde ich mein Möglichites thun, um ihm alles, was er 
wiünjcht, zu verichaffen. Er fann alle die meinigen befommen, jobald 
er fie wünſcht. Wahrjcheinlich find nur feine krankhafte Empfindlich- 
feit und fein Stolz bei diefer wie bei andern Gelegenheiten jein größtes 
Hinderniß gewejen. Jedenfalls hat jein Sturz in Bagamoyo jegliche 
Theorie, die ich mir je über ihn gebildet hatte, über den Haufen ge— 
worfen. Als er ins Hospital fam, trat zwijchen ihn und mich ein 
Schatten jo dichter und handgreiflicher Art, daß die angenehmen Be: 
ziehungen, welche, wie ich glaubte, beftändig zwiſchen uns herrichen 
jollten, volljtändig verdunfelt wurden. Alle unfere Offiziere — und 
jelbit Caſati — find verblüfft, und feiner von uns wagt es, fich eine 
Anficht über die Urjache zu bilden. 

Ueber die Beitrebungen der Deutjchen in Oſt- und Gentralafrifa 
möchte ich nicht viel jagen. Ich Habe fein materielles, aber ein ziem— 
lich ftarfes Gefühlsintereffe an der Angelegenheit. Während ich den 
Wunſch hege, daß die Deutichen das ernftliche Bejtreben zeigen möch- 
ten, im ihrem ungeheuern werthvollen Gebiet zwiichen den drei Seen, 


Xu Brief an F. A. Brodhaus in Leipzig. 


dem Bictoria, Tanganifa und Njaſſa, Gutes zu Schaffen, iſt es nicht 
meines Amtes, eine Beichränfung ihres Ehrgeizes zn verjuchen, wenn 
es ihnen befieben follte, den ganzen Gontinent zu annectiren. Mir iſt 
es feinen Pfifferling werth, wer Afrifa gewinnt, aber da ich zahlreiche 
Freunde bei der Britiich-Oftafrifaniichen Gejellichaft befige, kann ich 
nicht unthätig zujchauen, wenn fie bei den Berjuchen, mit dem Deut- 
ichen Reiche zu rivalifiren, ihre Taujende nublos ausgeben. Ich habe 
ihnen gejagt, daß ſie bis zur FFeititellung der Grenzen ihres Gebiets 
das Geld einfach vergeuden auf Ausjendung von Erpeditionen, ſolange 
fie nicht wifjen, wie bald fie in einem Anfall von Ueberdruß die 
Deutichen auffordern werden, ihnen das Ganze abzunehmen. Die bei 
ihnen anzuwendenden Argumente find auch bei den Deutichen anwend— 
bar. Wenn die Colonialfreunde in Deutjchland der Meinung find, 
mehr Geld verdienen zu fünnen, wenn fie die Engländer erft aus 
Afrika vertreiben, befinden ſie fich in einem großen Srrthum. Die 
geiunde Rivalität zwiichen den beiden Nationen ift es, die Dftafrifa 
Werth verleiht. 

Wenn die Engländer jich im Ueberdruß aus Afrifa zurüdzichen, 
wird das deutiche nterefje an dem Continent untergehen, und wenn 
die Deutichen infolge irgend eines Zufalles aus einem ähnlichen 
Grunde Afrifa verlaffen müßten, wirde das britiiche Intereſſe daran 
abjterben. Ich wirde mich freuen, beide Nationen zu einer gerechten 
und chrenhaften Verjtändigung gelangen zu jehen, dann würden beide 
projperiven und ihre beiderjeitigen Gebiete mußbringend machen. 
Erwägen Sie ſelbſt diefen Gedanken forgfältig und Sie werden zu 
demjelben Schluffe kommen. Ganz Afrifa ift für Großbritannien 
nicht das werth, was ein Streit mit Deutjchland ihm foften würde, 
nod) wiegt der Continent für Deutichland die Kojten eines Bruches 
mit England auf. Um daher ein gejundes, eifriges Intereſſe an 
Afrika anzuregen, jollten beide Nationen fich über ihre Grenzen ver: 
jtändigen; der NReibungsproceh des Einen am Andern würde hervor: 
bringen, was ich, als Verehrer Afrifas, von ganzem Herzen zu jehen 
winjche. England kümmert ſich beifpielsweife nicht im geringſten 
mehr um den Kongojtaat, weil es feinen Theil daran hat und 
haben kann; es wird fich, wenn es aus Dftafrifa vertrieben wird, 
auch darum nicht mehr fümmern, und auch die Deutichen werden dann 
das rege Intereſſe verlieren, welches ihr Stolz, ihre Eigenliebe u. ſ. w. 
jest an Oſtafrika in der Nachbarichaft einer reichen, jtarfen und 
unternehmenden Macht nimmt. 


Ihr ergebener 


Henry M. Stanley. 


Brief an Sir William Mackinnon 
als Vorrede. 


Mein lieber Sir Rilliam! 


Es gereicht mir zu großem Vergnügen, Ihnen diejes Werk zu 
widmen. Daffelbe ſoll für Sie jelbft jowie für dag Comite zum Ent- 
jage Emin's ein officieller Bericht fein über das, was wir während 
unjerer Entjagmiffion, die durch die Verhältniffe in eine Nettungs- 
milfion umgewandelt wurde, erlebt und erduldet haben. Sie wollen 
den Bericht als eine wahrhafte Schilderung der Märjche der Erpedi- 
tion betrachten, deren Führung Sie und das Comité mir anver- 
traut haben. 

Ich bedauere, daß ich nicht im Stande gewejen bin, alles das zu 
erfüllen, was auszuführen ich vor Begier brannte, als ich im Januar 
1887 von England abreifte. Allein der vollftändige Zuſammenbruch 
der Regierung von Nequatoria bürdete uns die Pflicht auf, jo viele 
alte und franfe Leute in Hängematten zu befördern und fo viele hülf- 
loſe und entfräftete Menfchen zu befchügen, daß wir aus einem kleinen 
fampfbereiten Corps erprobter Männer in eine reine Hojpitalcolonne 
umgewandelt wurden, welcher thatkräftige Abenteuer verfagt waren, 
Der Gouverneur jelbit, halb erblindet, bejaß viel Gepäd; Caſati war 
ſchwächlich und mußte getragen werden, und 90 Procent des Gefolges 
waren bald nad) unjerm Aufbruch wegen Alters, Krankheit, Schwäche 
oder großer Jugend faum im Stande zu marjchiren. Ohne unjere, 
den Zwed der Expedition bildende, unverlegliche Aufgabe, Hilfe zu 
leiften, zu opfern, konnten wir weder nad rechts noch links von der 
allerdirecteften Route nad) der See abweichen. 

Sie haben während Ihres langen und abwechjelungsreichen Lebens 
Itandhaft an den Gott der Chriften geglaubt und ie Ihre in- 


Stanley, Im buntelften Afrika. I. 


2 Brief an Sir William Madinnon 


brünftige Dankbarkeit für die Ihnen zutheil gewordenen vielen Gnaden- 
beweije ausgejprochen, und Sie werden daher bejjer als viele andere das 
Gefühl verftehen, welches mich befeelt, num ich mich, ohne Schaden 
an Leben und Gejundheit genommen zu haben, wieder inmitten der 
Eivilifation befinde, nachdem ich jo ſtürmiſche und fummervolle Zeiten 
durchgemacht habe. Als ich in der dunkelſten Stunde gezwungen 
war, demüthig einzugejtehen, daß ich ohne Gottes Hiülfe verloren 
fei, da that ih in der Waldeinjamfeit das Gelübde, daß ich feine 
Hülfe vor den Menjchen befennen wolle. Rund um mich herum 
herrſchte Todesſtille; es war Mitternacht; ich war durch Krankheit 
geihwächt, lag vor Erjchöpfung darnieder und quälte mich mit Sorgen 
um meine weißen umd jchwarzen Gefährten, deren Schidjal für mich 
damals ein Geheimniß war. Im diefer phyfiichen und geiftigen Noth 
flehte ich zu Gott, daß er mir meine Leute zurüdgeben möge. Neun 
Stunden ſpäter frohlodten wir in höchjter Freude. Vor uns allen 
zeigte fich die vothe Flagge mit dem Halbmond und unter ihren 
wehenden Falten die lange vermißte Nachhut. 

Alsdann waren wir, nachdem wir Erfahrungen gemacht hatten, 
derengleichen e8 in den Annalen jänmtlicher afrifanischen Reifen nicht 
gibt, aus dem Walde in das offene Land Hinausgetreten. Wir näher- 
ten und der Gegend, wo der Gouverneur, unjer deal, belagert fein 
follte. Alles, was wir von den durch unjere Batrouillen gefangen 
genommenen Eingeborenen hörten, bereitete uns auf verzweifelte Kämpfe 
mit großen Scharen vor, über deren Stärfe und Eigenſchaften ung 
niemand verläßliche Mittheilungen machen konnte. Als dann die Bevöl— 
ferung von Unduffuma in Myriaden von den Hügeln herabjchwärmte 
und die Thäler von Kriegern lebendig geworden zu fein fchienen, da 
glaubten wir in unferer vollftändigen Unwiſſenheit bezüglich ihres 
Charakters und ihrer Stärke thatlächlich, daß wir diejenigen vor ums 
hätten, welche den Paſcha im Welten umzingelt hatten. Wenn er mit 
feinen 4000 Soldaten um Hülfe bat, was konnten wir dann mit 173 Mann 
ausrichten? Am Abend vorher hatte ich die Ermahnung Mofis an 
Joſua gelefen. War es nun die Nachwirkung diejer fraftvollen Worte, 
oder war es eine Stimme, ich weiß e8 nicht, doch glaubte ich zu hören: 
„Sei ſtark und guten Muthes; fürchte dich nicht und habe feine Furcht 
vor ihnen, denn der Herr dein Gott ijt bei dir; er wird dich nicht 
verlaſſen.“ Als Majamboni am nächiten Tage den Befehl ertheilte, 
und anzugreifen und zu vernichten, gab es feinen einzigen Feigling im 
Lager, während wir am Abend vorher, al$ wir vier unjerer Leute vor 


ald Vorrede. 3 


einem einzigen Eingeborenen fliehen jahen, voller Bitterfeit ausgerufen 
Hatten: „Und das find die Wichte, mit denen wir bis zum Paſcha 
dringen müſſen!“ 

Und ferner. In der Nähe des Zufammenfluffes des Ihuru und 
des Dui Hatten wir im December 1888 150 unjerer beften und 
ftärfften Leute ausgefandt, um Lebensmittel aufzujuchen. BDiefelben 
waren jchon viele Tage länger fort, als fie hätten fein ſollen, 
und inzwijchen befanden fih 130 Männer, außer den Knaben und 
Frauen, dem Berhungern nahe. Um den Tod folange wie möglich 
fernzuhalten, befamen fie täglich eine Taffe warmer, dünner Brühe, 
welche aus Butter, Milch und Waſſer hergeftellt war. Als die Le— 
bensmittel derart auf die Neige gegangen waren, daß nur nod 
jo viel übrig war, um 13 Mann zehn Tage lang mit der dünnen 
Brühe und vier Heinen Stüden Zwiebad täglich zu verfehen, wurde 
e3 für mich zur Nothwendigfeit, die vermißten Leute aufzufuchen. 
Möglicherweife waren diejelben, weil fie feinen Führer hatten, forg- 
108 gewejen und wurden von einer überwältigenden Menge der bös- 
artigen Zwerge belagert. Mein Gefolge bejtand aus 66 Mann, 
einigen Weibern und lindern, welche, thatkräftiger als die übrigen, 
die dünne Flüffigfeit mit den Beeren des Phrynium und des Amo- 
mum, jowie mit an_ feuchten Stellen entdedten Schwämmen ver- 
beſſert Hatten und deshalb noch ein wenig Kraft befaßen, obwol 
die armen Burjchen fürchterlich abgemagert waren, 51 Mann nebft 
Knaben und Weibern waren vor Erjhöpfung und Krankheit der- 
maßen entfräftet, daß feine Hoffnung war, fie am Leben zu er- 
halten, wenn nicht innerhalb weniger Stunden Lebensmittel eintrafen. 
Mein weißer Gefährte und 13 Mann hatten die Gewißheit, genügend 
Nahrung zu befiten, um den Kampf gegen einen peinvollen Tod 
noch zehn Tage in die Länge zu ziehen; wir, die wir zur Auffuchung 
der Vermißten beftimmt waren, bejaßen nichts. Wir konnten ung 
von Beeren ernähren, bis wir vielleicht eine Pflanzung zu erreichen 
vermochten. Auf dem Marjche kamen wir im Laufe des Nachmit- 
tags an mehrern Leichen in verjchiedenen Stadien der Berwefung 
vorüber, und der Anblik der dem Tode Geweihten, der Sterbenden 
und Zodten rief in meinen Nerven ein jolches Gefühl der Schwäche 
hervor, daß ich derjelben faft erlag. Jeder im Lager war durd) 
Muthlofigkeit und Leiden gelähmt, die Verzweiflung hatte alle ſtumm 
gemacht und fein Laut unterbradh das Todesbrüten. Es war eine 
Gnade für mich, daß ich fein vorwurfsvolles Murren hörte, fein 

1* 


4 Brief an Sir William Madinnon 


Zeichen des Tadel bemerkte. Ich fühlte aufs tieffte die Schrednifje 
der Stille von Wald und Naht. Schlaf war unmöglid. Meine Ge- 
danken verweilten bei dem wiederholten Ungehorjam, welcher jo viel 
Elend und Sorge verurſacht hatte. Halsftarrige, aufrührerifche, unver— 
befferliche menschliche Natur, die ſtets ihr thierifches, brutales Wejen 
zeigt — mögen die Elenden für ewige Zeiten verdammt fein! Ihre 
vollftändige Gedankenloſigkeit, ihre Vergeßlichkeit und das fortwährende 
Nichthalten von Verſprechen tödten mehr Menjchen und verurjachen 
mehr Elend, als das Gift der Wurfipieße, die Widerhafen und Spigen 
der Pfeile. Wenn ich fie treffe, werde ih — — Uber ehe ich deu 
Entſchluß gefaßt hatte, tauchten in meiner Erinnerung die Leichen 
am Wege, die dem Tode Geweihten im Lager und die Verhungern- 
den in meiner Nähe auf, und ich dachte an die 150 Mann, die in 
dem unbarmherzigen Walde rettungslos verirrt oder ohne Hoffnung 
auf Rettung von Wilden umzingelt waren. Wundert es Sie, daß die 
natürliche Berbitterung des Herzens fich milderte und daß ich wiederum 
meine Sache Ihm empfahl, der ung allein helfen konnte? — Am näd- 
ften Morgen, faum eine halbe Stunde nad dem Aufbruche, trafen 
wir die Fourragirer wohlbehalten, gefund, Fräftig und mit vier Ton— 
nen Baradiesfeigen beladen. Sie können fich denken, welches Freuden— 
gejchrei diefe wilden Kinder der Natur ausftießen, wie Diejelben fich 
auf die Früchte jtürzten, wie raſch fie die euer anzündeten, um zu 
röften, zu kochen und zu baden, und wie ſchnell wir, nachdem fie 
ſämmtlich gefättigt waren, nach dem Lager zurüdeilten, um auch die 
bei Herrn Bonny zurücdgebliebenen Unglüdlichen zu erfreuen! 

Wenn ich die vielen jchredlichen Epijoden im Geijte vorüberziehen 
faffe und über die wunderbare Rettung vor vollftändiger Vernich— 
tung nachdenfe, welche uns während der verichiedenen Hin- umd Her— 
märjche durch den dunkeln, ungeheuern Urwald bedroht hat, jo bin 
ih außer Stande, umjere Errettung einer andern Urſache zuzu— 
ichreiben, als der guadenreichen Vorjehung, welche ung zu ihren eigenen 
Bweden beihügt hat. Die gefammte Kriegsmacht Europas würde 
in der fchredlichen Noth, in welcher wir in jenem Lager zwiſchen 
dem Dui und Ihuru uns befanden, uns feine Hülfe haben leiften 
fönnen; eine Armee von Forſchungsreiſenden hätte, wenn wir bei dem 
(festen Kampfe umgefommen wären, unſere Spur bis zu dem Schauplat 
deffelben nicht verfolgen können, denn wir würden ficherlich tief, bis zur 
vollften Vergefjenheit tief unter dem Humus der weglojen Wildnif 
begraben geweſen jein. 


als Vorrede. 5 


In dieſem demüthigen und dankbaren Gefühle beginne ich die 
Schilderung des Verlaufs der Expedition von ihrem erſten Entwurf 
durch Sie bis zu dem Tage, als der Indiſche Ocean, ſo klar und blau 
wie der Himmel, ſich zu unſern Füßen ausdehnte und wir mit Recht 
ausrufen konnten: „Es iſt zu Ende!“ 

Sch habe niedergeſchrieben, was das Publikum erfahren ſollte, 
doch gibt es viele Dinge, welche murrende, cyniſche, ungläubige und 
gemeine Menſchen nicht zu wiſſen brauchen. Ich ſchreibe für Sie und 
Ihre Freunde und für diejenigen, welche mehr Licht über das dun— 
feljte Afrika wünſchen, ſowie für diejenigen, welche Intereſſe an allem 
nehmen, was die Menfchheit berührt. 

Mein Glaubensbefenntniß war, ift und wird, wie ich hoffe, auch 
bleiben: für das Befte zu wirken, den richtigen Gedanken zu faffen 
und das richtige Wort zu fprechen, joweit gute Beweggründe dies ge- 
ftatten. Wenn mir eine Miffion anvertraut wird, wenn mein Gewiffen 
diejelbe als edel und recht billigt und ich das Verſprechen gegeben 
babe, fie nach meinen beften Kräften dem Buchftaben und dem Sinne 
nach zur Ausführung zu bringen, dann trage ich ein Geſetz in mir, 
dem zu gehorchen ich gezwungen bin. Und wenn meine Gefährten mir 
dur ihr Benehmen und ihre Thaten den Beweis liefern, daß dieſes 
Geſetz für fie ebenjo zwingend ift, dann erfenne ich fie al3 meine Brüder 
an. E3 macht mir daher ein unbejchreibliches Vergnügen, die unjchäß- 
baren Dienfte meiner Freunde Staird, Jephſon, Nelfon und Parke zu 
bezeugen, vier Männer, die fich ihren verfchiedenen Pflichten in fo 
vollfommener Weiſe gewidmet haben, als die menjchliche Natur über- 
haupt deſſen fähig ift. Da man einem Menjchen einen Nachruf eigentlich 
erjt jchreiben fann, wenn er in feinem Grabe ruht, habe ich es 
während der Reife jelten verfucht ihnen zu jagen, wie hoch ich den ſtets 
bereiten Gehorjam fchäßte, welchen Stairs bewies, den Ernft, welcher 
Sephjon bei der Arbeit auszeichnete, den tapfern, ſoldatiſchen Cha— 
rafter Nelſon's und die zarte, forgfame Liebe, welche unjer Arzt feinen 
leidenden Patienten zutheil werden ließ. Jetzt aber, num die bejchwer- 
lichen Märjche vorüber find und fie ohne Murren die ganze lange Zeit 
hindurch geduldet und gearbeitet haben, fühle ich, daß meine Worte 
zu arm find, um die dauernden Verpflichtungen, die ich gegen einen 
jeden von ihnen habe, vollftändig auszudrüden. 

Daß jeder derjenigen, welche gefallen find oder wegen Krankheit 
oder wegen eines Unfalls zurücdgefandt wurden, jolange er ſich in 
meiner Geſellſchaft befand, vollftändig fähig zu fein fchien, den höch— 


6 Brief an Sir William Madinnon 


ften Erwartungen zu entiprechen, gebe ich mit Vergnügen zu. Ich habe 
niemal3 an irgendeinem von ihnen gezweifelt, bi8 Herr Bonny mir 
die traurige Gefchichte von der Nachhut vortrug. Während ich pofitive 
Beweise dafür befite, daß Major Barttelot und Herr Jameſon während 
des monatelangen Aufenthalts in Jambuja von Pflichteifer und Thaten- 
luſt durchdrungen waren, Habe ich mich vergeblich bemüht, feftzu- 
ftellen, weshalb fie nicht ihrer jchriftlichen Inftruction gemäß vor— 
drangen, oder weshalb die Herren Ward, Troup und Bonny nicht den 
Borfchlag machten, in Heinen Märjchen vorwärts zu marjchiren, an= 
ftatt in Jambuja wie die 100 geftorbenen Leute zu verfommen, wozu 
offenbar Gefahr vorhanden war. Auf diefe einfache Frage gibt es 
feine Antwort. Ihre acht Reifen nach den Stanley: Fällen und Kafongo 
belaufen fich insgefammt auf über 1900 km; ihre Tagebücher, Log— 
bücher und Briefe enthalten zahlreiche Beweife, daß fie die Elemente 
des Erfolgs in fich trugen. Ich vermag nicht zu verftehen, wes— 
halb die fünf Offiziere, welche die Mittel zum Vordringen bejaßen, 
eingeftandenermaßen begierig waren den March anzutreten und vom 
höchſten Muthe bejeelt waren, fich nicht auf unjerer Route fortbewegten, 
wie es ihnen befohlen war; oder weshalb die Offiziere, obwol fie 
immer noch glaubten, daß ich noch am Leben fei, mein Privatgepäd 
den Fluß hinabſchickten und ihren Oberbefehlshaber in einen Zuftand 
der Noth verjegten; oder weshalb fie den europätjchen Proviant in 
Eonjervebüchfen und zwei Dugend Flaſchen Madeirawein flußabwärts 
fandten, während fih 33 Franfe und Hungerige Leute im Lager 
befanden; oder weshalb Herr Bonny gejtattete, daß feine eigenen Ra- 
tionen während feiner Anweſenheit fortgejandt wurden; oder weshalb 
Herr Ward mit einer Depefche flußabwärts gejchidt und ihm auch 
noch ein Befehl nachgeſandt wurde, der jeine Rückkehr zur Expedi— 
tion verhindern jollte. Das find einige der Fragen, welche mir räthjel- 
haft find und für die ich befriedigende Löfungen nicht habe erhalten 
fünnen. Hätte mir irgend fonft jemand mitgetheilt, daß ſolche Dinge 
fi) ereignet hätten, ich würde diefelben bezweifelt haben, aber ich 
ihöpfe meine Kenntniß einzig und allein aus dem officiellen Berichte 
des Major Barttelot (vgl. Anhang). Das Telegramm, welches Herr 
Ward nad) der See hinabbracdhte, verlangte von dem Comite in London 
Inftructionen. Die Herren in London erwiderten jedoch: „Wir verweifen 
Sie auf das Inftructionsichreiben des Herrn Stanley‘. Es wird 
jedem verftändlich jein, daß hier ein Geheimniß vorliegt, fiir welches 
ich feine vernünftige Löſung finden fann; möge jeder Leſer dieſer Er- 


als Vorrede. 7 


zählung ſich deshalb feine eigene Meinung bilden, das Ganze aber in 
milder Weiſe beurtheilen. 

Nach der Auffindung des Herrn Bonny in Banalja Hatte ich 
häufig Gelegenheit, ihm gegenüber zu bemerfen, daß jeine Bereitwillig- 
feit und Ergebenheit nicht Hinter derjenigen der übrigen zurückſtehe, 
und was Tapferkeit anbelangt, jo glaube ich, daß er davon jo viel 
beſaß wie der tapferfte der andern. ch Habe nie Urjache gehabt, 
wegen der Ausführung einer ihm übertragenen Arbeit unzufrieden zu 
jein, und da er von Banalja bis zum Indiſchen Dcean fich bei uns 
ftet3 in vorzüglicher Weife geführt und den vollftändigften und res 
ipectvolliten Gehorſam bewiejen hat, jo verjchleiert fi) das Geheimniß 
des Lebens in Jambuja noch mehr, denn mit 2000 Soldaten wie Bonny, 
unter einem tüchtigen Führer, fünnte man den ganzen Sudan unter: 
werfen, beruhigen und regieren. 

Bei Erwägung der Unglüdsfälle der Nachhut darf man jedod) 
nicht außer Acht laſſen, daß ich der fejten Ueberzeugung bin, daß wenn 
es das Los Barttelot’S oder Jameſon's gewejen wäre, den Pla von 
Stairs oder Jephjon einzunehmen und uns bei der Vorhut zu be= 
gleiten, fie fich im gleicher Weile ausgezeichnet haben wiirden; denn 
eine Gruppe von jungen Leuten, die wie dieſe zu jeder Zeit, bei Nacht 
und bei Tage, erpicht auf Arbeit find und diejelbe jo lieben, wie Bartte- 
(ot, Jamefon, Stairs, Neljon, Jephſon und Parke, iſt jelten zu finden. 
Müßte ich nochmals die Gründung eines Staates in Afrifa unternehmen, 
dann würden ſolch unermüdliche, wadere Charaktere für mich geradezu 
unſchätzbar fein. Die Unglüdsfälle der Nachhut waren die Folge des 
am 17. Auguft gefaßten Befchluffes, zu bleiben und auf mich zu 
warten, und des Zufammentreffens mit den Arabern am nächften Tage. 

Was in diefem Werke von Emin PBafcha berichtet ift, wird, wie ich 
hoffe, dem hohen Begriffe von unferm Ideal nicht im geringsten Abbruch 
thun. Wenn die Wirklichkeit etwas von demjelben abweicht, jo fann ihm 
deshalb feine Schuld beigemeffen werden. Solange jeine Leute ihm treu 
waren, ftand er hinter dem Ideal nicht zurück; als feine Soldaten ſich 
empörten, hörte feine Brauchbarfeit ald Gouverneur auf, gerade wie ein 
Kunſttiſchler, welcher Werkzeug befigt, vorzügliche Holzarbeiten herjtellen, 
ohne Werkzeug aber nichts ausrichten kann. Wenn der Paſcha feine ſolche 
riefenhafte Geftalt befigt, wie wir angenommen hatten, jo kann er 
dafür gewiß nicht verantwortlich gemacht werden, ebenfowenig wie für 
fein unmilitärifches Aeußere. Wenn der Paſcha im Stande gewejen 
war, feine Provinz fünf Jahre lang zu behaupten, jo fann er gerechter: 


8 Brief an Sir William Madinnon 


weife nicht für die Woge des Wahnfinns und die Epidemie des Auf- 
ruhrs verantwortlich gemacht werden, welche jeine bisher getreuen Sol- 
daten in Rebellen verwandelte. Sie werden in diejer Erzählung zwei 
befondere Stellen finden, in denen der Paſcha beide male mit der 
ſtrengſten Unparteilichfeit gejchildert wird; feine Unglüdsfälle vermin- 
dern nicht unfere Hochachtung vor ihm, wenn wir auch mit dem Ueber- 
fluß an dem ihn bejeelenden Gefühl für jo unmwürdige Subjecte wie 
geichworene Rebellen nicht einverjtanden fein mögen. Als Verwaltungs: 
beamter hat er die jchönjten Eigenſchaften bewiejen; er war gerecht, 
taftvoll, treu und mild und liebte die Eingeborenen, welche fich unter 
feinen Schuß geftellt hatten, und man kann feinen fchönern und befjern 
Beweis für die Hochachtung, welche feine Soldaten für ihn hegten, 
wünjchen, als die Thatjache, daß er dem Rufe, den er ſich durch feine 
Gerechtigkeit und Milde erworben hatte, jein Leben verdankt. Kurz, 
jede Stunde, welche er dem Schlafe abdarbte, war vor feiner endgültigen 
Abſetzung irgendeinem nützlichen Zwed gewidmet, der geeignet fein 
fonnte, feine Kenntniß zu vermehren, die Lage der Menjchheit zu 
verbefjern und der Eivilifation neues Feld zu erobern. Sie dürfen 
dies nicht vergeſſen und es jelbft dann nicht außer Betracht laffen, wenn 
Sie leſen, welche Eindrüde wir von ihm erhalten haben. 

Ich muß glauben, daß Herr Mounteney Jephſon den höchſt wohl- 
wollenden Bericht über die Ereignijje während der Gefangennahme und 
Haft des Paſchas und feiner jelbft aus reiner Ergebenheit, Sympathie 
und Mitgefühl für feinen Freund gejchrieben hat. In der That tritt 
das Wohlwollen und die Sympathie, welche er für den Paſcha hegt, 
jo offen zu Tage, daß id) ihn ſcherzweiſe bejchuldige, entweder Mahdiſt, 
Arabift oder Eminift zu jein, während man eigentlich unwillig fein 
fünnte, wenn man in eine Falle gelocdt wird mit der Ausficht, ein 
Sflavenleben in Chartum zu führen! Als dem Paſcha die Briefe des 
Herrn Jephſon vorgelegt wurden, bejtätigte er, wie Sie fehen werden, 
deren Inhalt. Spätere Beobachtungen haben die Wahrheit der von 
Herrn Jephion gemachten Bemerfung auch bewieſen, welcher ſagte: „Das 
Gefühl ift der ſchlimmſte Feind des Paſchas; Emin hält hier nichts 
zurüd, als Emin ſelbſt“. Was ich an Jephſon am meisten bemwundere, 
ift der offenbare Conflict in ihm zwifchen feiner Pflicht mir gegenüber 
als mein Bertreter und feiner Freundſchaft für den Paſcha. 

Während wir natürlich bedauern müfjen, daß Emin Paſcha auf 
jeine Truppen nicht den erforderlichen Einfluß bejaß, der ihren volljtän- 
digen Gehorjan, ihre Zuverläffigkeit und ihre Treue veranlaßt hätte, fie 


als Vorrede. 9 


folgfam gegen die Geſetze und Gebräuche der Eivilijation gemacht, fre ges 
zwungen hätte, die Eingeborenen als Mitgeſchöpfe zu achten und zu 
Wächtern und Beſchützern des Friedens, des Eigenthums zu machen, ohne 
welche e3 feine Givilifation gibt, werben viele der Anficht fein, Daß, 
da der Gouverneur Hierzu nicht im Stande war, es vielleicht ganz 
gut jei, daß die Ereigniffe den jegigen Berlauf genommen Haben. 
Den afritanischen Eingeborenen kann man nicht die Lehre beibringen, 
daß die ivilifation ein Segen ift, wenn man gleichzeitig geftattet, 
daß fie von einer zügellojen Soldatesfa nach Belieben unterdrüdt, 
in menjchenummvürdiger Weiſe behandelt, beraubt und in die Sklaverei 
getrieben werden! Die Gewohnheit, die Eingeborenen für nicht bejfer 
al3 heidniſche „Abid“ oder Sklaven zu halten, datirt von Ibrahim 
Paſcha und muß vollftändig abgefchafft werden, ehe man außerhalb der 
Milttärniederlaffungen irgendetwas wird jehen fünnen, was Aehnlichkeit 
mit der Civilifation hat. Wenn jedes Getreideforn, jedes Stück Geflügel, 
jede Ziege, jedes Schaf und jede Kuh, welche die Truppen brau— 
hen, mit gutem Gelde oder defjen Werth in nothwendigen Waaren 
bezahlt wird, dann wird der Einfluß der Eivilifation unüberwindlich 
fein und dann kann ſogar die chriftliche Lehre eingeführt werden; ohne 
unparteiifche Rechtspflege find aber beide unmöglich, und fie werden 
fiherlich niemals zur Einführung gelangen, wenn die Rechtspflege von 
Raub begleitet wird oder ihn im Gefolge hat, wie e8 nad) meiner Befürch— 
tung im Sudan nur zu allgemein Brauch geweſen ift. 

Diejenigen, welche die wahre Gerechtigkeit hochhalten, mögen 
einigen Troft finden in dem Gedanken, daß, bevor die Civilifation 
in ihrer wahren und wirklichen Form in Aequatoria eingeführt wird, 
die Eingeborenen jet einige Zeit Ruhe und Frieden haben werben, 
und daß, wie auc das Land ausgejehen haben mag, doch alles mit 
Ausnahme einiger Orangen» und Eitronenbäume unter höhern, beffern 
und dauerndern Aufpicien innerhalb eines Monats erjegt werden fan. 


Wenn ich während der Expedition meiner wirklichen Freundichaft 
und Ergebenheit für Sie und meine Freunde vom Emin-Entja-Comite 
nicht genügend Ausdrud gegeben habe, jo fchreiben Sie dies, bitte, 
dem Mangel an Gelegenheit und der Macht der Verhältniffe zu, nicht 
aber einer Lauheit und Unaufrichtigkeit meinerfeits. Wenn Sie und meine 
Freunde aber etwa überzeugt find, da ich, joweit es in meiner Macht 
lag, die mir anvertraute Miffion getreulih und loyal in demfelben 
Sinne und zu demfelben Zwecke erfüllt habe, wie Sie ſelbſt es gethan 


10 Brief an Sir William Madinnon als Vorrede. 


haben wirden, wenn Sie phyfiih und moraliih im Stande gewefen 
wären, uns zu begleiten, dann bin ich in der That zufrieden, und dag 
höchfte Lob würde meiner Anficht nach) nicht der einfachen Anerfennung 
gleichfommen, welche in den Worten liegen würde: „Es ift gut gemacht.‘ 

Mein lieber Sir William, ein nobles, edelmüthiges und treues 
Herz, wie das Ihrige, zu lieben, ift nur natürlich. Nehmen Sie die 
Verficherung meiner Liebe entgegen, die ich Ihnen ſeit langer Zeit voll 
und ganz zu eigen gegeben habe. 


Henry M. Stanley. 


Herrn Baron Sir William Madinnon, 
von Balinatill und Loup, 
Grafſchaft Argyleihire, 
Vorfigendem des Emin-Baicha-Entjag-Eomite ꝛc. 


Erſtes Kapitel. 


Einleitung. 


Der Khedive und der Sudan. — Nrabi Paſcha. — Hids Paſcha's Niederlage. — 
Der Mahdi. — Sir Evelyn Baring und Lord Granville über den Sudan. — 
Valentine Baker Paſcha. — General Gordon, jeine Thätigfeit im obern Sudan. — 
Eduard Schniger (oder Emin Effendi Hakim) und feine Provinz. — General Gor- 
don in Chartum und Bericht über die Expedition im Jahre 1884 unter Lord 
Boljeley. — U. M. Maday, der Miffionar in Uganda. — Briefe von Emin Bey 
an Maday, C. H. Allen und Dr. R. W. Felkin, feine Provinz betreffend. — 
F. Holmmwood’3 und U. M. Mackay's Anfichten über den geplanten Entſatz Emin’s, 
— Borgeihlagene Marfchrouten für die Erpedition zum Entjage Emin's. — Sir 
William Madinnon und J. F. Hutton. — Der Entfag- Fonds und Einzelheiten 
über die Vorbereitungen zur Erpedition. — Oberſt Sir Francis de Winton. — 
Auswahl der Offiziere für die Erpedition. — König Leopold und bie Kongo— 
Route. — Abreife nad) Aegypten. 


Nur ein Carlyle, der im feiner reifften Periode die Schreck— 
niffe der fürchterlichen Franzöfiichen Revolution in düftern Farben be— 
jchrieb, fann der langen Reihe von Unglüdsfällen, welche die Ver: 
bindung zwifchen England und Aegypten im Gefolge gehabt hat, gerecht 
werden. Es ift dies vom Anfang bis zum Ende ein jo jchredliches 
Thema, daß Engländer vermeiden, e8 zu berühren. Diejenigen, welche 
irgendetivag bezüglich dieſer Schreckniſſe gejchrieben haben, beichränfen 
fi auf rein Hiftorifche Darftellung. Niemand fann fie durchlefen, 
ohne über die Gefahren zu jchaudern, welche England und die Eng- 
länder während dieſer Periode jämmerlicher Misverwaltung bedroht 
haben. Nach dem ägyptischen Feldzuge gibt es in monatelanger be= 
ängftigender Dunkelheit nur einen hellen Sonnenjtrahl, und das ift 
derjenige, welcher die Unfterblichen von Abu-Klea und Gubat trifft, 
wo jene fleine Truppe hefdenmüthiger Engländer auf dem todbringen- 
den Wüftenfande Schulter an Schulter fämpfte und einen Ruhm erwarb, 
der demjenigen gleichfommt, welchen fich die Leichte Brigade bei Bala- 
Hawa gewinnen mußte. Das waren in der That Kämpfe, welche eine 


12 Erjtes Kapitel. 


Reihe von Fehlern, wie man in einem Jahrhundert der Gejchichte 
ihresgleichen nicht findet, zum großen Theile wieder gutmachen. Wenn 
diejenigen, welche für die Folge der Ereignifje verantwortlich find, 
nur einen Theil des bei Abu-Klea gezeigten zwedbewußten, ernten 
Willens bewiejen hätten, dann würde der Mahdi bald eine groteöfe 
Figur zur Verzierung eines Bilderbogens oder zur VBerftärfung einer 
fprihwörtlichen Nedensart geworden fein, nicht aber die fürchterliche 
Schredensfigur der neueften Zeit, deren Gegenwart jede Spur von 
Civilifation im Sudan zu Wiche zerftört Hat. 

Um eine paffende, aber furze Einleitung zu dem wwefentlichen 
Gegenjtande dieſes Werkes zu Haben, muß ich nothwendigerweije die 
Ereigniffe flüchtig berühren, welche den lebten am Leben befindlichen 
Statthalter Gordon's veranlaßt haben, aus feiner harten Bedrängniß 
in der Nähe des Aequators um Hülfe zu rufen. 

Dem fühnen Projecte des Khedive Ismail verdanfen wir im 
Grunde all das, was Aegypten und den Sudan betroffen hat. Er 
unternahm mit 5 Millionen Unterthanen und einem fich raſch Teeren- 
den Staatsjchage die Erweiterung des ägyptiſchen Khediviats zu 
einem ungeheuern ägyptiichen Reiche, deſſen Geſammtflächenraum ein 
Areal von über 2%, Millionen Quadratkilometer umfaßt, und von 
dem Leuchtthurme von Wlerandrien bis zum Südende des Albert- 
Sees, und von Maſſaua bis zur Weftgrenze von Darfur reiht. Im 
feiner Hauptjtadt fanden fi Abenteurer aus Europa und Amerika 
ein, welche die wahnfinnigften Pläne machten und fi als Leiter 
der wildeiten Unternehmungen anboten. Die ruhige Zeit, als Die 
ägyptifche Herrichaft bei Gondoforo aufhörte und der Nil die natür- 
lihe Straße für den Verkehr bildete, der durch den fanften Drud 
der langjamen Entwidelung entitand, war zu Ende, als Kapitän 
Spefe, Grant und Sir Samuel Baker ihre enthufiaftiichen Berichte 
mitbrachten von prächtigen Seen und Gegenden, die an Fruchtbarkeit 
und Productivität ihresgleichen nicht hatten. Die Beendigung des 
amerifanischen Bürgerfrieges drängte zahlloje Offiziere aus ihrer 
Thätigfeit, und viele von ihnen ftrömten nad Aegypten, um dem 
modernen Pharao ihr Genie zur Verfügung zu ftellen und feine groß- 
artigen Träume von einem Neiche zu verwirklichen. Ebenjo erjchienen 
auch Engländer, Deutjche und Italiener, um an den Ehren, mit wel- 
chen die Kühnen und Tapfern überfchüttet wurden, theilzunehmen. 

Wenn ich die Annalen diefer Periode forgfältig und leidenſchaftslos 
durchlefe und dabei die weitausfchauenden Ideen des Khedive, feinen 


Einleitung. 13 


Entdufiasmus, die fürjtliche Freigebigfeit in jeinen Belohnungen, feine 
militärifchen Thaten, die plößliche Ausdehnung feiner Macht und bie 
ftetige Erweiterung jeiner Herrſchaft nad) Süden, Weften und Often be- 
wundere, jtößt mir die überraſchende Thatjache auf, daß fein Erfolg als 
Eroberer in Afrifa ſich mit dem Alexander's in Aſien vergleichen 
läßt, nur mit dem Unterjchiede, daß Alerander feine Armeen perſön— 
ih anführte, während der Khedive Ismail den Luxus feiner Paläfte 
in Kairo vorzog und die Führung der Kriege feinen Pajchas und 
Beys überließ. 

Dem Khedive erjcheint die von ihm eingefchlagene Eroberungs— 
laufbahn als eine edle; die europäiiche Preſſe zollt ihm Beifall; es 
verlautet von jo vielen Dingen von großartiger Wichtigkeit für die 
Civilifation, daß fie ihm zu Ehren Lob- und Triumphlieder fingt; 
die beiden Meere find vereinigt und die Handelsflotten anfern in 
ftattlihen Reihen im Sciffahrtsfanal; nah Süden werden die Eifen- 
bahnen ausgedehnt, und man prophezeit, daß eine Linie bis nach 
Berber reichen wird. Allein während dieſer ganzen herrlichen Leit 
icheint man die Bevölkerung des meuen Neiches nicht einmal der 
Beachtung werth gehalten zu haben, außer als Steuerobject und 
Hülfsmittel, den Staatsihag zu füllen. Die Steuern find höher als je; 
die Paſchas werden geldgieriger, die Gelege jchärfer, der Elfenbein- 
handel wird monopolifirt, und jchließlid) wird, um Die bereit3 wad)- 
jende Unzufriedenheit noch weiter zu vermehren, im ganzen Gebiet, 
wo die ägyptiſche Autorität Geltung hat, der Sflavenhandel ver: 
boten. Im Laufe von fünf Jahren hat Sir Samuel Baker die 
Hequatorialprovinz, Munzinger Sennar erobert, Darfur ift annectirt 
und Bahr-el-Ghafal nach fürchterlicher Vergeudung von Menschenleben 
unterworfen. Die bei allen diejen Großmachtsprojecten fich zeigende 
Kühnheit ift geradezu wunderbar, faft jo wunderbar, wie der voll- 
ftändige Mangel an gejundem Menjchenverftand. An einer Gebiets- 
finie von nahezu 1300 km Länge befinden ſich nur drei Militär- 
ftationen in einem Lande, welches, ausgenommen wenn der Nil 
hoch angejchwollen ift, nur Kamele als Beförderungsmittel zur Ver— 
fügung hat. 

Im Jahre 1879 wurde der Khedive Ismail, der zu häufig Wechſel 
auf die europäiſchen Banken gezogen und die ägyptiſche Staatsſchuld 
bis auf 128 Mill. Pfd. St. vermehrt Hatte, fich aber die Beichränfungen 
nicht gefallen laſſen wollte, welche ihm von den Mächten, deren Unter: 
thanen das jo freigebig von ihm vergeudete Geld geliefert Hatten, auf: 


14 Erftes Kapitel. 


erlegt werden jollte, abgejegt und an feiner Stelle der gegenwärtige 
Khedive, fein Sohn Tewfik, zum Herrſcher unter der VBormundichaft 
ber Mächte erhoben. Kurze Zeit nachher entjtand eine Militärrevolte, 
doch wurde diefelbe von einer 13000 Mann ftarfen englifchen Armee 
unter Lord Wolſeley bei Kaſſaſſin, Tell-el-Kebir, Kairo und Kafr-ed- 
Dauar unterdrüdt. 

Während der kurzen Herrichaft Arabi Paſcha's, des Führers der 
Militärrevolte, wurde viel Unheil dadurch verurjaht, daß man 
die verfügbaren Truppen aus dem Sudan zurückzog. Während der 
englische General die Rebellentruppen bei Tell-el-Kebir ſchlug, marfchirte 
der Mahdi Mohammed Ahmet zur Einfchliegung von EI Obeid; am 
23. Auguft wurde er bei Duem mit einem Verluſt von 4500 Mann 
angegriffen. Am 14. wurde er von der Bejaßung von Obeid zurüd- 
geichlagen, wie es heißt mit 10000 Dann Berluft. Dieſe ungeheuern 
Berlufte an Menjchenleben, welche vom 11. Auguft 1881, dem Tage, 
an dem der Mahdi es zuerjt unternahm, die Bevölkerung de Sudan 
über die Schwäche der ägyptiichen Macht zu belehren, fich beftändig 
fortjeßten, wurden zum großen Theile durch Stämme, denen die vom 
Mahdi verkündete Religion gleichgültig war, die aber von den ägyp- 
tischen Beamten ausgeplündert, von der Regierung über alle Gebühr 
beftenert waren und verhindert wurden, Sklaven zu verkaufen, um 
die Mittel zur Bezahlung der Abgaben zu erhalten, jowie durch 
die Hunderte von Sflavenhändlerfaravanen verurjacht, deren Verkehr 
Gordon und jein Statthalter Geſſi Paſcha durch die energische Unter: 
drüdung des Sklavenhandels ein Ende gemacht hatten. Vom 11. Auguſt 
1881 bis zum 4. März 1883, als Hicks Paſcha, ein früherer Offi- 
zier der indichen Armee, als Generalitabschef der Sudanarmee in 
Chartum eintraf, Hatte Misgeſchick aller Art die Regierungstruppen 
in faſt ununterbrochener Reihe verfolgt; und inzwijchen Hatte die 
meuterifche ägyptiſche Armee fich erhoben, war überwältigt und auf- 
gelöft worden, worauf eine neue Armee unter Sir Evelyn Wood 
gebildet ward, die nicht über 6000 Mann zählen jollte Und dennod) 
beichließt Hicks Paſcha, obwol ihm die ungeheuere Macht des Mahpdi, 
der nahezu an Raſerei grenzende Fanatismus in Verbindung mit 
dem feine Legionen bejeelenden Haſſe, ſowie die Unzuverläffigfeit, 
die mangelnde Disciplin und die Feigheit feiner Truppen befannt 
waren, während er die ägyptische Regierung um eine Verftärfung von 
5000 Mann oder von vier Bataillonen von der neuen Armee des 
Generals Wood bittet, Kordofan zu erobern und marfchirt dem fieg- 


Einleitung. 15 


reichen Propheten entgegen, der mit jeinen Horden nod über den 
fürzlich erfochtenen Sieg über Obeid und Bara triumphirt. Sein 
Stab und jogar die ihn begleitenden Civiliften prophezeien Unglüd, 
allein Hicks tritt feinen legten Marjch mit einer Armee von 12000 
Mann, 10 Gebirgsgeihügen, 6 Nordenfelt-Sanonen, 5500 Stamelen 
und 500 Pferden an. Jeder weiß, daß die Elemente der Schwäche 
in den Truppen jelbjt Liegen, daß viele von den Soldaten Bauern 
find, welche man von den ägyptiſchen ‘Feldern weggeichleppt und 
in Stetten geworfen hat, daß andere fih zum Mahdismus befennen, 
daß unter den Offizieren Umeinigfeit befteht und daß nichts in der 
richtigen Verfaſſung ift. Allein trotzdem marſchiren fie auf Obeid los, 
ftoßen mit den Legionen des Mahdi zujammen und werden vernichtet. 

England dirigirt jebt die Gejchäfte Aegyptens mit Zuftimmung 
de3 jungen Khedive, dem es bei der Befteigung auf den beinahe fönig- 
lichen Thron behülflich gewefen ift und den zu ſchützen es ein Intereffe 
bat. Englands Soldaten befinden fich in Aegypten, die neue ägyptiſche 
Armee fteht unter dem Befehle eines englifchen Generals, die Militär: 
polizei unter dem Commando eines frühern engliichen Gavalerieoberften ; 
Englands diplomatifcher Agent leitet die auswärtige Politif und die 
wichtigsten Staatsämter find faft alle in den Händen von Engländern. 

Der Sudan ift der Schauplaß der jchredlichiten und blutigſten 
Kämpfe zwifchen den jchlecht geführten Truppen der ägyptiichen Regie— 
rung und den fiegreihen Stämmen gewejen, welche ſich unter dem 
heiligen Banner des Mahdi gejammelt haben, und wenn dem Vor— 
dringen des Propheten nicht bald Fräftiger Widerftand geleiftet wird, 
dann wird, wie viele Leute in England einjehen, dieſes ungeheuere Ge— 
biet und das fruchtbare Becken des obern Nils Aegypten verloren 
gehen, falls nicht Truppen und Gelder gejchiet werden, um Dies zu 
verhindern. Nach der Anficht des gefunden Menfchenverftandes ift es 
Har, daß England, nachdem es die Leitung der Regierung und Die 
Handhabung der Geichäfte Aegyptens übernommen hat, nicht umhin 
kann, ſich über feine Politik bezüglich des Sudan zu erflären. Auf eine 
im englischen Parlament an den Premierminifter gerichtete Frage, ob der 
Sudan als ein Theil von Aegypten betrachtet werde und, wenn dies 
der Fall, ob die englische Regierung Schritte thun werde, um die Ord— 
nung dafelbft wiederherzuftellen, erwiderte Herr Gladftone, der Sudan 
jei in den Kreis der englischen Operationen nicht mit einbegriffen und 
die Regierung fei auch nicht geneigt, ihn in den Kreis der englischen 
BVerantwortlichfeit einzufchließen. Als politische Erflärung kann gegen 


16 Erſtes Kapitel, 


diefe Antwort fein Vorwurf erhoben werden; fie bezeichnet die Glad— 
ftone’sche Politik, und als folche kann nichts gegen diejelbe gejagt werden; 
fie ift fein Brincip, das Princip feiner Collegen in der Regierung und 
feiner Partei, und als Brincip verdient diefe Erklärung Berüdfichtigung. 

Während das Schickſal des Generals Hids Paſcha und feiner 
Armee noch unbekannt ift, aber jchon der unglüdliche Ausgang be— 
fürchtet wird, ſchickt der politifche Agent in Wegypten, Sir Evelyn 
Baring, der engliichen Regierung wiederholt Warnungen und jchlägt 
Mittel und Wege vor, um die Schlußfataftrophe zu verhüten. „Wenn 
Hicks Paſcha geichlagen wird, ift Chartum in Gefahr; durch den Fall 
von Chartum wird Aegypten bedroht.‘ 

Lord Granville erwidert während der Monate November und 
December 1883 zu verfchiedenen malen, die Regierung rathe zur Räu— 
mung des Sudan innerhalb gewifjer Grenzen; die ägyptijche Regierung 
müffe die alleinige Veranttvortung für alle Operationen außerhalb des 
eigentlichen Aegypten übernehmen; die englische Regierung beabfichtige 
nicht, englifche oder indifche Truppen im Sudan zu verwenden; unwirk— 
fame Anftrengungen feitens der ägyptischen Regierung zur Sicherung 
des Sudan würden die Gefahr nur vergrößern. 

Sir Evelyn Baring theilt darauf Lord Granville mit, daß feine 
Ueberredung und fein Argument die ägyptiſchen Minifter veranlaffen 
könne, die Politif der Räumung des Sudan zu acceptiren. Ferner 
benachrichtigt der Premierminifter Cherif Paſcha Lord Granville, daß 
der Ausſage Valentine Baker Paſcha's zufolge die zur Verfügung ftehen- 
den Mittel durchaus unzureichend feien, um den Aufftand im Sudan 
niederzuiverfen. 

Darauf erflärte Lord Granville durch Sir Evelyn Baring, es fei 
unerläßlich, daß, folange noch englische Soldaten Aegypten provijoriich 
bejegt hielten, dort der Rath der Minifter Ihrer Majeſtät befolgt 
würde, und daß er auf der Annahme defjelben beftehe. Nunmehr wurden 
die ägyptiſchen Meinifter gewechielt und am 10. Januar 1884 wurde 
Nubar Paſcha PBremierminifter. 

Am 17. December 1883 reifte Valentine Bafer von Aegypten nad) 
Suakin ab, um die militärischen Operationen für die Aufrechterhaltung 
der Verbindung zwiſchen Suakin und Berber zu beginnen und die 
Beruhigung der Stämme in jener Gegend vorzunehmen. Während 
man in England abjolut ficher war, daß die Truppen Baker's eine ver- 
nichtende Niederlage erleiden würden, und man dies aud in Aegypten 
befürchtete, jcheint der General feine Gefahr geahnt oder, wenn dies 


Einleitung. 17 


doch der Fall war, mit derjelben geliebäugelt zu haben. In der Be- 
fürdtung, daß ein Kampf für feine Truppen unbeilvoll fein werde, 
ichreibt der Khedive privatim an Baker Paſcha: „Ich verlaſſe mich auf 
Ihre Klugheit und Tüchtigfeit und erwarte, daß Sie den Feind nur 
unter den günftigften Verhältniffen angreifen.“ Baker befaß Klugheit 
und Tüchtigfeit im Ueberfluß; aber die Folge zeigte, daß es ihm in 
diefem Falle ebenjo jehr an Klugheit und Urtheilsfähigfeit fehlte, wie 
dem unglüdlichen Hids. Baker's Truppe beftand aus 3746 Mann. 
Am 6. Februar 1884 verließ er Trinkitat an der Meeresküfte in der 
Richtung auf Tofar; nad) einem Marche von 10 km ftieß man auf die 
Vorhut der Rebellen, und bald nachher waren beide Armeen im Kampfe. 
Es heißt, „daß die Rebellen den Wegyptern die äußerfte Verachtung 
gezeigt hätten, daß fie diejelben beim Genid padten und ihnen den 
Hals abichnitten, daß die Regierungstruppen, vor Furcht gelähmt, fehrt 
machten und fich lieber tödten ließen, als den Verſuch mwagten, ihr 
Leben zu vertheidigen; daß Hunderte ihre Waffen fortiwarfen, nieder- 
fnieten und mit erhobenen Händen um Gnade flehten“. 

Die Gejammtzahl der Getödteten betrug 2373 von 3746. Herr 
Royle, der vorzügliche Gejchichtichreiber des ägyptischen Feldzuges, jagt: 
„Baker fannte die Zufanmenjegung der von ihm befehligten Truppen 
oder hätte fie wenigſtens fernen jollen; jolche Leute in den Kampf zu 
führen, hieß einfach das Unglüd heraufbeſchwören.“ Was foll man 
dann von Hicks jagen? 

Wir fommen jegt zu General Gordon, der von 1874 bis 1876 
im obern Sudan auf den von Sir Samuel Baker begonnenen Linien 
thätig gemwejen war, die Eingeborenen zu verjühnen, die Sflaven- 
faravanen zu vernichten, die Sklavenftationen zu zerftören und die 
ägyptifche Herrichaft vermittelft einer Kette von Forts bis zum Albert: 
Njanſa auszudehnen. Nachdem er vier Monate außer Dienft gemwejen 
war, wurde er zum Generalgouverneur des Sudan, von Darfur und 
der Wequatorialprovinzen ernannt. Unter andern Berjonen, welche 
Gordon als Gouverneure der verjchiedenen unter feiner viceföniglichen 
Herrichaft ftehenden Provinzen anftellte, befand fi auch Eduard 
Schniger, ein am 28. März 1840 in Oppeln in Schlefien ge- 
borener Deutſcher, welcher im Gefolge von Ismail Hakki Bafcha, des 
frühern Generalgouverneurd von Sfutari und Mujchir des Neiches, 
in der Türfei, Armenien, Syrien und Arabien Dienjte gethan Hatte. 
Nach dem Tode feines Gönners begab Schniger ſich nad) Neifje, wo 
feine Mutter, Schweiter und Verwandten lebten, und blieb dort 

Stanley, Im duntelften Afrifa. I. 2 


# 


18 Erjtes Kapitel. 


einige Monate, bis er nad) Megypten reifte. Won dort ging er nad 
Chartum, und da er Medicin ftudirt hatte, wurde er von Gordon 
Paſcha als Arzt angeftellt. Er nahm den Namen Emin Effendi Hafim 
— ber getreue Arzt — an, wurde al3 LZagerverwalter und Arzt nad) 
Ladö gejandt, jpäter in einer politischen Miffion zu König Mteja 
geſchickt, dann nach Chartum zurücdberufen, darauf mit einer ähnlichen 





Tee 


= 


Emin Paſcha. 


Miſſion zu König Kabba-Rega von Unjoro gefandt und jchließlich, 1878, 
zum Bey befördert und zum Gouverneur der Mequatorialprovinz Hatt- 
el-Ejtiva (Aequatoria) mit einem Gehalt von 50 Pfd. St. monatlich er- 
nannt. Ein Steuermann eines Dampfers der Peninjular und Oriental 
Dampfichiffahrts-Gejellichaft, Namens Lupton, wurde zum Gouverneur 
der an Mequatoria ftoßenden Provinz Bahr-el-Ghaſal erhoben. 

Als Gordon im Jahre 1879 von der Abjegung Ismail's hörte, 


Einleitung. 19 
gab er jein Hohes Amt dem neuen Khedive Tewfik zurück und theilte 
ihm mit, daß er nicht beabfichtige, daſſelbe wieder anzunehmen. 

Im Jahre 1880 übernahm er den Voften eines Secretärs des 
Marquis von Ripon, legte ihn aber jchon innerhalb eines Monats 
wieder nieder. 

Im Jahre 1881 befindet er fi in Mauritius als Befehlshaber 
der Föniglichen Genietruppen; jchon nad) zwei Monaten gibt er diejen 
Pojten wieder auf, um den Behörden am Cap der Guten Hoffnung 
in ihren Schwierigkeiten mit den Baſuto zu Hülfe zu eilen, indeſſen 
findet er jchon nach kurzer Zeit, daß feine Anfichten mit denen der 
Gapregierung nicht übereinftimmen, weshalb er den Dienst verläßt. 

Inzwiſchen arbeitete ich am Kongo. Unſere Erfolge in jenem un- 
geheuern Gebiete des weitlichen Afrifa haben jchwere Verantwortlichkeit 
in jo ausgedehntem Maße gebracht, daß fie uncontrolirbar zu werden 
droht. Wenn ich den Unterfongo bejuche, gerathen die Gefchäfte am 
Oberkongo im Unordnung; begebe ich mich an den Oberfongo, dann 
finden am Unterfongo Reibungen ftatt. Bei meinem regen Intereſſe 
an dem raſch fich zu einem Staate entwicelnden Gebiete jchlug ich daher 
ihon im September 1882 und dann nochmals im Frühjahr 1883 
Sr. Majejtät dem König Leopold vor, eine Perjönlichfeit von Ver— 
dienst, Rang und Arbeitsluft, wie General Gordon, zu meinem Aifistenten 
zu ernennen. Derjelbe jollte Die Berwaltung entweder des obern oder des 
untern Kongo übernehmen, während ich in dem andern Theil arbeitete, 
weil ungeheuer viel werthvolle Zeit mit dem Neijen flußauf- und ab- 
wärt3 von einem Gebiete zum andern verloren ging und die jungen 
Befehlshaber der Stationen nur zu geneigt waren, meine Abwejenheit 
auszubeuten. Se. Majeftät verſprach mir, General Gordon um feine 
Mitwirkung zu bitten, doch Tauteten die Antworten lange Beit un- 
günftig. Schlieglich erhielt ich im Frühjahr 1884 einen Brief in der 
mir wohlbefannten Handjchrift des Generald Gordon, der mir mit- 
teilte, ich möge ihn mit dem nächften Poftdampfer erwarten. 

Er jcheint jedoch, gleich nachdem er jein Schreiben an mich zur 
Post gegeben und fich von Sr. Majeität verabjchtedet hatte, von feinen 
Landsleuten mit Aufforderungen, der ägyptischen Regierung bei der 
Rettung der eingeichloffenen Garniſon von Chartum vor dem ihr 
drohenden Schiejal Hülfe zu leisten, bejtürmt worden zu fein. Ber: 
ſönlich weiß ich nicht8 von dem, was vorgefallen tft, als er von Lord 
Wolſeley Lord Granville vorgeftellt wurde, ich habe aber erfahren, 


daß General Gordon die Ueberzeugung hegte, er könne die ihm 
2* 


20 Erites Kapitel. 


anvertraute Milfion durchführen. Bezüglich des Umfangs dieſer 
Miffion bejteht ein ermftlicher Widerjprud. Die ägyptiichen Be— 
hörden wünjchten nur den Entſatz Chartums, und möglicherweije 
brauchte Lord Gramville die Dienſte Gordon's nur für dieje humane 
Aufgabe, während alle übrigen Garnifonen ihrem Schidjal überlaffen 
bleiben jollten, weil man die Befreiung derjelben für unmöglich hielt. 
Die Blaubücher, welche die betreffenden officiellen Noten enthalten, 
icheinen die Ricdhtigfeit diefer Annahme zu beftätigen. Sicher ift jedoch, 
daß Lord Granville General Gordon angewiejen hat, nad) Aegypten 
zu gehen und über die Lage des Sudan, jowie über die zu ergreifen- 
den beiten Mittel zur Sicherung der ägyptischen Garnijonen und zur 
Rettung der europäifchen Bevölkerung in Chartum zu berichten. 
Außerdem jollte er noch weitere Aufgaben übernehmen, welche Die 
ägyptiſche Regierung ihm etwa zu überweijen wünfchte. Er jollte von 
Oberſt Stewart begleitet werben. 

Nach einer längern Unterredung mit Sir Evelyn Baring erhält 
Gordon von dieſem jeine endgültigen Injtructionen namens der briti- 
ichen Regierung. 

Der Hauptinhalt derjelben lautet wie folgt: 

1) Sichern Sie den Rüdzug der europäischen Bevölkerung von 10— 15000 See- 
fen und der Garnilon von Ehartum.* 

2) Sie willen am beiten, wann und wie dies zu bewirken iſt. 

3 Vergeſſen Sie nicht, dab der Hauptzwed (Ihrer Mifjion) die Räumung 
des Sudan ilt. 

4) Bemühen Sie jih, wenn Sie glauben, daß es geichehen kann, unter den Ein- 


geborenenftämmen einen Bund herzuftellen, welder an die Stelle der ägyptijchen 
Autorität tritt. 


5) Beim Finanzdepartement ift Ihnen ein Eredit von 100000 Pfd. St. eröffnet. 


Es ift Gordon gelungen, den ägyptiſchen Miniftern, welche vor— 
her von einer Panik befallen waren und nur um die Räumung 
Chartums gefleht hatten, Vertrauen einzuflößen. Nachdem fie ihn 
gejehen und gehört haben, athmen fie freier und auf fein eigenes 
Berlangen beichnen fie ihn mit der General-Gouverneurichaft. Der 
ihm ertheilte Ferman ermächtigt ihn, Die betreffenden Gebiete (des 
Sudan) zu räumen, Die Truppen, Givilbeamten und fonftigen Ein» 
wohner, welche ſich nad) Aegypten zu begeben wünjchen, zurüdzu= 


* Die Jnftructionen 1 und 3 wideriprehen fih einigermaßen, Chartum und 
der Zudan find feine gleichbedeutenden Bezeichnungen, die Entfernung der Garniſon 
von Chartum ift eine leichte Aufgabe, die Räumung des Sudan für eine einzelne 
Perſon aber eine Unmöglichkeit. 


Einleitung. 21 


ziehen und nach beendigter Räumung (die aber eine abjolute Unmög- 
lichkeit war) wenn thunlich eine organifirte Regierung einzurichten. 
Mit diefen Inftructionen war Lord Granville einverstanden. 

Indeſſen meinte man, wie ich höre, daß er thun follte, was er 
fonnte, daß er alles Nothwendige thun follte, wenn es möglich war; 
konnte er nicht den ganzen Sudan räumen, jo follte Dies ohne Zeit- 
verluft nur mit Chartum gejchehen. Dies ift jedoch bis zum 23. März 
1884 ihm nicht offictell mitgetheilt worden, und man weiß nicht, ob 
er das bezügliche Telegramm je erhalten hat.* 

General Gordon reifte am 26. Januar 1884 nad) Chartum ab 
und traf am 18. des nächſten Monats in der genannten Stadt ein. 
Auf der Reife ſchickte er häufig telegraphiiche Depeſchen ab, welche 
von Bertrauen überflofien, und Herr Conſul Power, der Gorreipon- 
dent der „Times, fandte feinem Blatte folgendes Telegramm: „Die 
Bevölkerung (von Chartum) ift General Gordon ergeben, der Die 
Garnijon retten und den Sudan — wie es nothwendigerweile ge- 
fchehen muß — den Sudanejen für immer überlajjen will.“ 

Die engliiche Preſſe, welche bezüglich der Chancen Balentine 
Baker Paſcha's jo weile geweſen war, befand fich ziemlich in derjelben 
Lage wie die Bevölferung von Chartum, d. h. fie war General Gordon 
ergeben und zuverfichtlich in Bezug auf feinen Erfolg. Er hatte in China 
jolhe Wunder vollführt, hatte die Vernichtung des Sflavenhandels im 
Sudan jo wirkſam betrieben, hatte ſich die Zuneigung der tückiſchen 
Sudanejen erworben, daß die Preſſe es für durchaus nicht umwahr- 
Icheinlich hielt, daß Gordon mit feinem weißen Stabe und jechs 
Dienern die dem Berderben geweihten Garnijonen von Sennar, Bahr: 
el-Ghaſal und Aequatoria, insgefammt 29000 Mann außer den Civil: 
beamten, Frauen und Familien, retten und nach Erledigung diejer bei 
ihrer Unmöglichkeit mehr als herculifchen Aufgabe eine organifirte 
Regierung einrichten könnte. 

Am 29. Februar telegraphirt Gordon: „Es ift nicht viel Aus- 
fiht auf Beſſerung, vielmehr wird jede Chance jchlechter‘‘, und am 
2. März meldet er: „Bezüglich des Berbleibens in Chartum habe ich 
feine Wahl, fie ift meinen Händen entichlüpft.“ Am 16. März pro- 
phezeit er, daß „wir binnen kurzem blofirt jein werden‘, und gegen 
Ende März telegraphirt er: „Wir haben Lebensmittel für fünf Mo— 
nate und find eingejchloffen.‘ 

* Dies ijt die einzige Mar ausgedrüdte Depeiche, welche ich in dem auf dieje 
Periode bezüglichen Blaubuche gefunden habe. 


22 Erſtes Kapitel. 


Offenbar hat ein ernſtliches Misverſtändniß bei dem Entwurf 
der Inſtructionen durch Sir Evelyn Baring und der Auslegung 
derſelben durch General Gordon obgewaltet, denn letzterer ſpricht ſich 
erſterm gegenüber folgendermaßen aus: 

„Sie fordern mich auf, Urſache und Grund meiner Abſicht, in 
Chartum zu bleiben, anzugeben. Ich bleibe in Chartum, weil die 
Araber uns eingeſchloſſen haben und uns nicht hinauslaſſen wollen.“ 

Inzwiſchen befürwortete die öffentliche Meinung bei der engliſchen 
Regierung dringend die Nothwendigkeit, eine Expedition zur Befreiung 
des Generals Gordon aus Chartum auszuſenden. Da indeſſen zwiſchen 
General Gordon und Lord Granville vereinbart worden war, daß die 
Miſſion des erjtern zu dem Zwede unternommen werden jolle, um 
die engliichen Truppen im Sudan entbehrlich zu machen, und da die 
Megierung ferner ihre Bolitit dahin erklärt hatte, daß feine englifchen 
oder indiichen Truppen in jener Gegend verwendet werden jollten, jo 
zögerte fie natürlich, die Forderung des Publikums zu erfüllen. Als 
jedoch das Gejchrei immer mehr zunahm und das Parlament und das 
Publifum gemeinfam behaupteten, es jei die Pflicht des Landes, den 
tapfern Mann zu retten, der fich freiwillig bereit erklärt hatte, feinem 
Lande einen jo wichtigen Dienſt zu leisten, da erhob fich Herr Glad— 
jtone am 5, Auguſt im Haufe der Gemeinen, um einen Credit für die 
Operationen zum Entjage Gordon's zu beantragen. 

E3 wurden zwei Wege vorgeichlagen, auf denen die Entjaß- 
erpedition ſich Chartum nähern könne, der eine fürzere quer durch die 
Wüfte von Suafin nach Berber und der andere auf dem Nil. Da 
Gordon der Nilroute den Vorzug gab, jo wählte der die Entjagerpe- 
dition befehligende General dieje Lebtere. 

Am 18. September erlitt der Dampfer „Abbas“, auf welchem 
Oberſt Stewart, der Begleiter Gordon’s, der „Times“-Correſpondent 
Power, der franzöfiihe Conſul Herbin und eine Anzahl Griechen und 
Hegypter, insgefammt 44 Perſonen, ſich befanden, bei dem Verſuch, 
den Kataraft von Abu-Hammed zu paffiren, in dem Wafferfalle Schiff: 
bruch, worauf die am Lande befindlichen Araber die Schiffbrüchigen 
aufforderten, im Frieden zu landen, aber ohne Waffen. Stewart fam 
diejer Aufforderung nad; er, die beiden Conſuln (Bower und Herbin) 
und Haſſan Effendi begaben ſich ang Land und traten in ein Haus, 
wo fie jofort ermordet wurden, 

Am 17. November meldet Gordon an Lord Wolſeley, der fi 
damals in Wadi Halfa befand, daß er fich noch 40 Tage halten fünne, 


Einfeitung. 23 


die Mahdiften jeien im Süden, Südweſten und Dften, aber nicht im 
Norden von Chartum. ! 

Am Weihnachtstage 1884 war ein großer Theil der Erpeditiong- 
truppen in Korti verjammelt, da der commandirende General die 
Erpedition jo rajch hatte vordringen laſſen, wie jeine Energie und 
Gejchicklichkeit dies möglich) machten. Wahrſcheinlich hat es noch nie 
eine jo zahlreiche Schar gegeben, weldje von jo edlem Eifer und 
Streben bejeelt war, wie diefe unter Lord Woljeley’3 Oberbefehl zum 
Entjage des hochherzigen einfamen Engländer in Chartum ziehende. 

Am 30. December jegt fic) ein Theil der Colonne des Generals 
Herbert Stewart von Korti aus mit 2099 Kamelen in der Richtung der 
Daje von Gakdul in Bewegung; in 46 Stunden 50 Minuten find die 
Brunnen von Gakdul erreicht und 11 Stunden ſpäter tritt Sir Herbert 
Stewart mit jämmtlichen Kamelen den Rückmarſch nad) Korti an, wo 
er am 5. Januar eintrifft. Am 12. war Sir Herbert Stewart wieder 
in der Gakdul-Oaſe und am 13. 2 Uhr nachmittags wurde der Marſch in 
der Richtung auf Abu-Klea von neuem aufgenommen. Am 17. wurde 
die berühmte Schlacht von Abu-Klea gejchlagen, welche zu einem jchwer 
erfämpften Siege der englifchen Truppen führte, die bei 1800 Mann 
einen Berluft von 9 Offizieren und 65 Mann an Todten und 85 Ber: 
wundete hatten, während vom Feinde 1100 Todte vor dem Carre lagen. 
Wären die 3000 Engländer, welche den Nil hinauf gejandt waren, 
bei diejer tapfern Eleinen Truppe gemwejen, jo würde der Feldzug wahr- 
Icheinfich ein einfacher Vormarſch der englischen Armee gewefen fein. 
Nach einer weitern Schladt am 19. in der Nähe von Metämmeh, 
wo von den Engländern 20 getödtet und 60 verwundet wurden und 
der Feind 250 Mann verlor, wurde ein auf einer Kiesterraſſe ftehen- 
des Dorf in der Nähe des Nils bejegt. Am 21. trafen vier dem General 
Gordon gehörende Dampfer ein, deren Befehlöhaber berichtete, daß 
die Schiffe einige Wochen in der Nähe einer Inſel gelegen und auf 
die Ankunft der britiichen Kolonne gewartet hätten, Den 22. und 23. 
verwendete Sir Charles Wilfon dazu, eine Recognoſcirung zu unter: 
nehmen, zwei Forts zu erbauen, die Bemannung der Dampfer auszu— 
wechjeln und Feuerungsmaterial herbeizufchaffen. Am 24. brachen zwei 
von den Dampfern, die nur 20 engliiche Soldaten an Bord Hatten, nad) 
Chartum auf. Am 26. famen zwei Männer an Bord und berichteten, daß 
in Chartum gefämpft worden jet, und am 27. rief ein Dann am Fluß: 
ufer, Chartum jei gefallen und Gordon getödtet worden. Dieſe letzteren 
Nachrichten wurde am nächſten Tage von einem andern Manne beftätigt. 


24 Erites Kapitel. 


Sir Charles Wilſon fuhr dann weiter, bis feine Dampfer zur Biel- 
icheibe der Geſchütze von Omdurman und Chartum, fowie der in einer 
Entfernung von 75—200 m stehenden Büchjenfchügen wurden, und 
fehrte erſt um, als er die Ueberzeugung erlangt hatte, daß die traurige 
Meldung nur zu wahr jei. Er ſetzte dann mit voller Kraft die Fahrt 
ftromabwärts fort, bi8 er Tamanieb erreichte, wo er für die Nacht 
halt machte. Bon dort aus jandte er zwei Boten aus, um Nachrichten 
zu jammeln; der eine behauptete bei der Rückkehr, daß er von einem 
Araber erfahren habe, Chartum jei in der Nacht des 26. Januar durch 
die Verrätherei von Farag Paſcha bejegt und Gordon getödtet worden; 
der Mahdi fei am nächften Tage in die Stadt gefommen, habe fich 
in eine Mofchee begeben, um ein Danfgebet zu verrichten, und dann 
die Stadt wieder verlajjen, nachdem er die Plünderung derjelben für 
drei Tage geftattet habe. 

In dem Berichte des Majors Kitchener findet man die Rejultate 
der Einnahme von Chartum zujammengefaßt. „Das Gemeßel in der 
Stadt dauerte jechd Stunden, wobei mindejtend 4000 Berjonen er- 
mordet wurden. Die Baſchi-Boſuks und meiften Regulären, 3327 an 
der Zahl, und die Schaigia-Frregulären, 2330 Mann, wurden, 
nachdem fie fich ergeben hatten und entwaffnet waren, faft ſämmtlich 
falten Blutes niedergemegelt.‘‘ Die überlebenden Einwohner wurden 
aus der Stadt hinaus beordert, beim Paſſiren des Thores unterfucht 
und dann nad Omdurman geführt, wo die Frauen an die Mahdiften- 
häuptlinge vertheilt und die Männer ausgeplündert und fortgejagt wurden, 
um fo gut wie möglich das Leben zu friften. Ein griechiicher Kauf: 
mann, welcher aus Chartum entfam, behauptet, die Stadt jei von den 
Kaufleuten, welche mit dem Feinde Verbindungen anzufnüpfen wünjchten, 
nicht aber von Farag Paſcha verrathen worden. 

Darfur, Kordofan, Sennar, Bahr el: Ghajal und Chartum waren 
in den Befit des Feindes gelangt; bald folgte auch Kafjala, und im 
Sudan war der ganzen Länge und Breite nad; nur noch die Aequa— 
torialprovinz übrig, deren Gouverneur Emin Bey Hafım — der 
getreue Arzt — war. 

Wenn das engliiche Volk die Pflicht zu haben glaubte, feinen 
wadern Yandsmann und einen jo tapfern, berühmten und Fugen Gene- 
ral wie Gordon zu retten, jo mußte es jelbftverfiändlich auch ein reges 
Intereſſe an dem Schickſal des legten der Gouverneure Gordon’s nehmen, 
der durch feine fluge, dem Beispiel des Fabius Cunctator nachgebildete 
Politik dem Schickſal entgangen war, welches die Armeen und Garni- 


Einleitung. 25 


ſonen des Sudan betroffen hatte. Und wenn die Engländer ferner um 
die Rettung der Garniſon von Chartum beſorgt waren, ſo folgt daraus, 
daß ſie auch um das Schickſal eines tapfern Offiziers und ſeiner kleinen 
Armee fern im Süden ſich ebenfalls kümmern würden, und daß, wenn 
dieſen mit nicht zu gewaltigen Koſten Hülfe geleiſtet werden könnte, keine 
Schwierigkeit vorhanden ſein würde, um einen Fonds zur Erreichung 
des erwünſchten Zweckes zuſammenzubringen. 

Am 16. November 1884 theilt Emin Bey dem in Uganda weilenden 
Miſſionar Herrn Mackay in einem in Ladö geſchriebenen Briefe mit, 
„der Sudan jei der Schauplat eines Aufjtandes geworden; jeit 19 Mo- 
naten jei er ohne Nachrichten aus Chartum, und er ſei deshalb zu der 
Ueberzeugung gefommen, daß die Stadt von den Infurgenten genommen 
worden oder daß der Nil blofirt ſei“. Aber er jagt. 


Was die Wahrheit auch fein möge, teilen Sie gefälligit Ihren Freunden und 
durch fie der Ändptifchen Regierung mit, daß wir bis zum heutigen Tage wohl 
find und daß wir auszuhalten beabfichtigen, bis uns Hülfe erreicht oder bis mir 
untergehen. 


Eine zweite Note Emin Bey’3 an denjelben Miffionar und vom 
gleihen Datum, wie die vorige, enthielt folgenden Paſſus: 


Nachdem die Provinz Bahr-el-Ghajal verloren gegangen und der Gouver- 
neur Lupton Bey nad Kordofan geichleppt worden ijt, find wir nicht mehr im* 
Stande, unferer Regierung mitzutheilen, was hier paſſirt. Geit 19 Monaten 
haben wir feine Verbindung mehr mit Chartum, jodah ich annehme, daß der Fluß 
blolirt ift. 

Ich bitte Sie deshalb, der ägyptiichen Regierung auf irgendeine Weije mit« 
zutheilen, daß wir bis heute wohl find, aber dringend Hülfe brauchen. Wir wer— 
den aushalten, bis wir Diele Hülfe erhalten, oder untergehen. 


An den Secretär der Antifklaverei- Gefellihaft Herrn Charles 
H. Allen jchreibt Emin Bey unterm 31. December 1885 aus Wadelai 
wie folgt: 

Schon feit dem Monat Mai 1883 find wir von jeder Verbindung mit der 
Welt abgeichnitten. Bon der Regierung vergefien und verlaflen, find wir gezwungen 
geweien, aus der Noth eine Tugend zu machen. Seit der Belegung des Bahr-el- 
Ghaſal find wir heftig angegriffen worden, und ich weiß; nicht, wie ich Ihnen die 
bewunderungswerthe Ergebenheit meiner jchwarzen Truppen während eines langen 
Krieges jchildern joll, der ihnen minbejtens feinen Vortheil gebracht hat. Obwol 
es ihnen ſchon jeit langer Zeit an den alfernothiwendigiten Dingen mangelt und 
fie feinen Sold erhalten haben, fochten meine Leute doch tapfer, und menn der 
Hunger fie ſchließlich geihwächt hatte, wenn nach 19tägigen unglaublichen Ent- 
behrungen und Leiden ihre Kraft erichöpft und das letzte Stüd Leder des legten 
Stiefels verzehrt war, dann bahnten fie fich noch einen Weg mitten durch die Feinde, 
und es gelang ihnen, ſich in Sicherheit zu bringen. Sie haben alle dieje Stra- 
pazen ohne den leifeften Sintergedanfen ertragen, ja ſelbſt ohne die Hoffnung auf 


26 Erſtes Kapitel. 


eine nennenswerthe Belohnung, und fih nur von ihrem Pflichtgefühl und dem 
Wunſche leiten lafien, den Feinden männliche Tapferkeit zu zeigen. 


Das ift eine von edelm Muth und militärischer Tugend erfüllte 
Schilderung. Ich erinnere mich noch an den Eindrud, den diefer Brief 
auf mich und meine Freunde machte, als er von der „Times“ veröffent- 
licht wurde. Schon wenige Tage nad) der Veröffentlichung begannen wir, 
über die Mittel und Wege zum Entſatz des Schreibers zu berathen. 

Auch der folgende Brief machte einen großen Eindrudf auf mid); 
derjelbe ift am jelben Tage, 31. December 1885, geichrieben und an 
Dr. R. W. Felfin gerichtet. 


Sie werden aus den Tagesblättern wahricheinlih erfahren haben, daß der 
arme Lupton, nachdem er die Provinz Bahr-el-Ghajal jo mwader behauptet hat, 
durch die Verrätherei feiner eigenen Leute gezwungen worden ift, den Emiffaren des 
frühern Mahdi fich zu ergeben, und von denfelben nad Kordofan geichleppt wurde. 

Meine Provinz und mich jelbft habe ich nur durch eine Kriegslift vor dem 
gleihen Schidjal bewahrt, allein jchließlih wurde ich angegriffen; infolge deifen 
erlitt ich viele Berlufte an Leuten und Munition, bis ich endlich den Rebellen 
bei Rimo, in Mafrafa, einen jo jchweren Schlag zufügte, daß fie gezwungen 
waren, mich in Ruhe zu laffen. Ehe dies aber geichah, theilten fie uns mit, daß 
Ehartum im Januar 1885 gefallen und Gordon getödtet worden jei. 

Selbitverftändlih bin ich auf Grund diefer Ereigniſſe gezwungen gemweien, 
unjere entferntern Stationen zu räumen und die Soldaten nebjt ihren Familien 
zurüdzuziehen, immer nod in der Hoffnung, dab unfere Regierung uns Hülfe 
jenden würde. Es jcheint jedoch, daf ich mich in dieſer Beziehung getäufcht habe, 
denn jeit April 1885 habe ich feinerlei Nachrichten aus dem Norden erhalten. 

Die Regierung in Chartum hat ji uns gegenüber nicht ſchön benommen. 
Ehe fie Faſchoda räumte, hätte fie ſich daran erinnern jollen, daß bier (in den 
Aequatorialprovinzen) Regierungsbeamte leben, welche ihre Pflicht erfüllt, aber 
nicht verdient haben, ohne weiteres ihrem Schickſal überlaffen zu werden. Selbit 
wenn es die Abficht der Regierung war, uns unſerm Schickſal zu überlaffen, wäre 
das Wenigfte, was hätte geichehen können, doc; geweien, uns unjerer Pflicht zu 
entbinden; wir würden dann gewußt haben, daß man uns als werthlos betrachtet. 

Jedenfalls war es für uns nothwendig, irgendein Mittel zum Entlommen 
zu ſuchen, und vor allen Dingen war es dringend erforderlih, Mitteilung von 
unlerer Eriftenz nad Aegypten zu enden. Zu dieſem Zwecke begab ich mid, 
nachdem ich die nöthigen Vorbereitungen im Lande getroffen hatte, nach Süden 
und fam nach Wabdelai. 

Was meine Pläne für die Zukunft betrifft, jo beabfichtige ich dies Land jo 
fange wie möglich zu behaupten. Hoffentlid erhalte ich, wenn unſere Briefe in 
Aegypten eintreffen, in fieben oder adht Monaten über Chartum oder Sanfibar 
Antwort. Wenn die ägpptiiche Regierung im Sudan noch eriftirt, erwarten wir 
jelbitverftändlich, daß fie uns Hülfe ſchickt. Iſt der Sudan aber geräumt worden, 
dann werde ich alle meine Leute nach Süden führen. Ich werde ſämmtliche Be— 


Einleitung. 97 


amten aus Aegypten und Chartum über Uganda oder Karagwe nad Sanfibar 
ihiden, jelbit aber mit meinen jchwarzen Truppen bei Kabba-Rega bleiben, bis 
die Regierung mir ihre Wünjche mittheilt. 


Es iſt aljo ganz Mar, daß Emin Paſcha damals beabfichtigte, 
fi) der ägyptiſchen Beamten zu entledigen, während er jelbjt nur 
bfeiben wollte, bi8 die ägyptische Regierung ihm von ihren Wünſchen 
Mittheilung machte. Diefe „Wünſche“ bejtanden darin, daß er feine 
Provinz, weil die Regierung nit im Stande war, fie zu behaupten, 
räumen und die EScorte benugen möge, um Afrifa zu verlaffen. 

In einem vom 6. Juli 1886 datirten Briefe an Herrn Maday 
ihreibt Emin: 


Vor allen Dingen glauben Sie mir, daß ich Feineswegs Eile habe, von hier 
aufzubrechen oder dieje Länder, im denen ich jegt zehn Jahre gearbeitet habe, zu 
verlafien. 


Alle meine Leute, namentlich aber die Negertruppen, find jehr jtarf gegen 
einen Marih nad Süden und von dort nach Aegypten eingenommen und be- 
abiichtigen hier zu bleiben, bis man fie norbwärts führt. Inzwiſchen werde ich, 
wenn ung leine Gefahr droht und unfere Munition noch einige Zeit aushält, 
Shrem Rathe folgen und hier bleiben, bis ung von irgendeiner Seite Hülfe naht. 
Unter allen Umfjtänden können Sie aber ficher fein, daß wir Ihnen in Uganda 
feine Störungen verurſachen werden. 

Zu dem Marſch nad) der Küfte werde ich mich nur im Falle dringender 
North entichließen. Außerdem ftehen mir auch noch zwei weitere Routen offen, die 
eine von Kabba-Rega direct nad Karagwe, die andere über Ujongora nad den 
Stationen am Tanganifa. Hoffentlich werde ich jedoch weder die eine noch die 
andere einzuichlagen brauchen. 


Meine Leute find infolge der langen Verzögerung ungeduldig geworden und 
warten jehnfüchtig auf endliche Hülfe. Sehr mwünjchenswerth wäre es auch, daß 
ein Commiſſar von Europa hierher füme, entweder direct auf der Maflai-Route, 
oder von Karagwe dur das Land Kabba-Rega’s, damit meine Leute fehen, daß 
man thatſächlich Jntereife an ihnen nimmt. Ich würde alle Unkoften einer ſolchen 
Commiſſion mit Elfenbein bezahlen. 

Wie ih nochmals wiederhole, ich bin bereit zu bleiben und dieje Länder jo 
fange wie ich kann zu behaupten, bis Hülfe fommt, und ich bitte Sie dringend, 
Ahr Mögliches zu thun, um die Ankunft der Hülfe zu beichleunigen. Verſichern 
Sie Muanga, daß er von mir und meinen Freunden nichts zu fürchten habe und 
ic; als alter Freund Mteſa's nicht die Abficht Hätte, ihn zu beunruhigen. 


Die vorjtehenden Briefe enthalten die Anfichten Emin Bey's und 
e3 geht daraus hervor, daß jeine Leute treu find, d. h. daß fie jeinen 
Berehlen gehorhen, daß aber, nach dem Inhalt der Schreiben zu 
urtheifen, außer den Aegyptern feiner von ihnen Neigung zeigt, nad) 
Aegypten zurüdzufehren. Gleichzeitig denkt er darüber nach, auf welchen 
Wegen ihm der Rückzug möglich ift; an einer Stelle Schlägt er die Mon— 


28 Erftes Kapitel. 


buttu-Route nad) der Weſtküſte vor, während er in den legten Briefen 
auf den Weg dur das Mafjai-Land oder durch Unjoro und wejtlich 
von Uganda nad Ujongora und von dort nad) dem Tanganika hin— 
weist! Wenn feine jchwarzen Truppen ihm nicht zu folgen beabfich- 
tigten, war es ihm jelbjtverjtändlich nicht möglich, allein mit den 
ägyptiſchen Beamten und deren Familien diefe Route einzujchlagen. 
Aus den folgenden Briefen des Generalconfuls F. Holmwood vom 
25. und 27. September 1886 an Sir Evelyn Baring lafjen ſich die An- 
fihten des erjtern erjehen, der infolge jeiner Stellung und Localkennt— 
niß zur Ertheilung von Rath in Bezug auf das, was betreffs des 
beabfichtigten Entjabes gejchehen fünnte, durchaus competent ijt. 


In feinen Briefen an mich berichtet Emin nur über jeine Lage bis zum 
27. Februar 1886, an welchem Tage er beabfichtigte, feine Provinz in Abthei- 
lungen zu räumen, und zwar wollte er die erſte derielben bei Schluß der Regen» 
zeit gegen Ende Juni in Bewegung ſetzen; dagegen theilen jowol Dr. Junker wie 
Herr Maday mir mit, daß fie jeitdem von Emin gehört hätten, der größere Theil 
der 4000 loyalen ägyptiſchen Unterthanen, welche während der ganzen Zeit Aegypten 
treu geblieben find und ihn bei den beitändigen Angriffen feitens der Anhänger 
des Mahdi und troß der drohenden Gefahr des Verhungerns unterjtügt haben, 
weigere ji, das Land zu verlafien; er habe fich deshalb entichloffen, wenn es 
ihm möglich fei, auf feinem Bojten auszuharren und die ägyptiſchen Anterefien 
noch weiter zu jchügen, bis Hilfe eintreffe. 

Wäre Uganda von diefem Tyrannen (Muanga) befreit, dann würde die 
Neguatorialprovinz, jelbit wenn das gegenwärtige elementare Commumicationsigitem 
unverbejiert bliebe, innerhalb acht Wodyen mit der Poſt von Sanfibar zu erreichen 
jein und ein ficheres Depot am Albert-Njanja eine Bafis bieten, von der aus man 
alle mweitern Operationen unternehmen fönnte, zu denen man fich etwa ent- 
Ichließen würde. 

Dr. Junker berichtet, daß das Land dftlih von den Ripon-Fällen * ſich als 
unpaliirbar erwieſen und Emin bei den Verfuchen, eine Berbindung durch dafjelbe 
herzuitellen, viele Truppen verloren habe. Wenn dies wirklich der Fall ift, dann 
würde man auf der andern Route, auf welcher Dr. Fiſcher Junker zu entiegen 
verjuchte, und die er, wie ich glaube, noch jet empfiehlt, ebenfalls nicht darauf 
rechnen können, Uganda und die von diefem abhängigen Gegenden im Djten zu 
umgehen, vielmehr würbe der wohlbefannte Weg durch Uganda für eine Erpedition 
von mäßiger Größe die einzige ausführbare Noute fein. 

Someit ih, ohne eine beiondere Berechnung aufzuftellen, zu beurtheilen im 
Stande bin, würden 1200 Träger das Minimum des Ausreichenden fein; außer— 
dem wäre nod eine Begleitmannichaft von mindejtens 500 mwohlbewafineten Eins 
geborenen nöthig. 

General Mathews, mit dem ich über die für die Sicherheit der Erpedition 
erforderliche Truppe geiprochen habe, ift der Anficht, daß meine Schägung eine 
bei weitem zu niedrige ſei, indeſſen muß ich nach reiflicher Erwägung der Aus» 


* Diele Noute würde durd das Mafjai-Land führen. 


Einleitung. 99 


lagen vieler in Uganda befannter Leute an meiner Meinung feithalten, dab 500 
mit modernen Feuerwaffen ausgerüftete Soldaten unter Führung von erfahrenen 
Feriönlichkeiten vollauf genügen würden, wenn fie durch Irreguläre ergänzt würben. 


Ein amerikaniſcher Offizier von der Regierung des Khedive weift 
in einem Briefe an Herrn Portal darauf hin, daß durch die Araber 
aus Sanfibar eine Verbindung mit Emin hergeftellt werden fünne, 
während es unmöglich jei, ihm Vorräthe und Munition zu jenden; 
vielleicht fünnten die Araber für feinen Rüdzug thätig fein, die ficherfte 
Marichlinie führe ihm aber nad) Weiten, zum Kongo. 

Herr Fred Holmmwood jchreibt in feiner vom 23. September 1886 
datirten Note an das Auswärtige Amt: „Die Frage des Entjages 
Emin's würde, wenn die drohende Haltung des Königs von Uganda 
nicht wäre, einzig und allein vom Koftenpunft abhängen, der in Kairo 
erledigt werden fünnte; unter den gegenwärtigen Berhältniifen kommen 
aber andere ernftlihe Erwägungen in Betracht, welche der Regierung 
Ihrer Majeftät vorgelegt werden müjjen. 

„Sch möchte Hier auf den Bericht des Herrn Maday aufmerkjam 
machen, welcher fich in jeinem Schreiben über die zweite Route nad) 
Wadelai ausjpricht, welche Dr. Fiſcher einzufchlagen juchte und, wie 
ih glaube, noch jet empfiehlt. Wenn die Behauptung des Herrn 
Maday richtig iſt, dann würde jeder Verfuch, Uganda und die von 
demjelben abhängigen Länder im DOften auf dieſer noch unerforjchten 
Linie zu umgehen, vermuthlich fehlichlagen.‘ 

Am 14. Mai 1886 jchreibt Herr A. M. Maday aus Uganda: 


Aus dem Schreiben Dr. Junker's werden Sie erfahren haben, daß Emin Bey 
das Glüd gehabt hat, die Yoyalität der von ihm beherrichten Leute fich zu erhalten. 
Emin jcheint das Geheimnis Gordon’s, fich die Zuneigung feiner Unterthanen zu 
erwerben, gelernt zu haben, und hat wader bei ihnen ausgehalten. Darüber fann 
überhaupt fein Zweifel jein, daß wenn er den dringenden Wunjc gehabt hätte, 
fortzufommen, er mit einigen hundert feiner Soldaten leicht einen Vorſtoß nach der 
Küfte hätte machen können, entweder durch das Maffai-Land oder hierher, ohne daß 
er Muanga (den König von Uganda) oder jonft jemand um Erlaubnif zu fragen 
braudte. Er weiß, daß feine Truppenmacht hier im Stande ift, ihn aufzuhalten 
Thatlächlich hat er mir ſchon vor Jahren geichrieben, c8 würde ihm feine Mühe 
machen, dies elende Dorf zu ftürmen und das Vieh fortzutreiben. 

Aber was würde das Scidial der Taujende von Leuten fein, weldhe am 
obern Ril treu geblieben jind? Dr. Junfer jpridt von Taufenden. Sie wollen 
aus ihrem eigenen fruchtbaren Lande nicht fort und nad) den Wüjten Oberägyptens 
gebracht werden. 

Bon allen Seiten wird zugeftanden, daß Dr. Emin ein weiſer und tüchtiger 
Gouverneur ift. Aber er kann nicht immer dort bleiben, wo er fich jet befindet, 
und ebenjo wenig fann er ſich ſelbſt helfen, selbft wenn die Truppen des Mahdi 


30 Erſtes Kapitel. 


ihn in Zukunft unbeläftigt lajjen. Unſer Land, weiches die Befreiung der Garni- 
jonen des Sudan unternommen hat, jollte feine jeltiame Lage berüdiichtigen. 


— — — wor u... — — — — — — — — — — — — 


Das Verhalten Muanga's bezüglich der ihm geſandten Briefe für Dr. Emin 
iſt jo reipectwidrig wie möglich gegen die britiſche Regierung geweſen, welche di: 
Geſandten ſeines Vaters ſo freundlich aufgenommen hat. Wir baten ihn nur, die 
Briefe zunächſt weiter zu befördern, bis er von Emin Mittheilung erhielte, ob er 
hierher zu fommen beabfichtige oder nicht, allein Muanga behielt das Padet voll- 
ftändig zurüd. 

In einem Briefe vom 28. Juni 1886 an Sir John Kirk bemerkt 
Herr Maday: 

Die Schwierigkeiten Dr. Fiſcher's würden in Wirklichkeit auch erjt hinter 
Kawirondo beginnen, da er dann das Land der gefürchteten Bakedi zu durd- 


freuzen hätte, und Dr. Junker erzählt mir, daß ganze Abtheilungen von Dr. Emin’s 
Soldaten wiederholt von ihnen ermordet worden find. 


Wie erinnerlich fein wird, war Dr. Fiſcher von Dr. Junker's 
Bruder beauftragt worden, fic) nach der Nequatorialprovinz zu begeben 
und den genannten Reiſenden aufzujuchen; er hatte die Route an der 
Dftfüjte des Victoria-Sees gewählt und fehrte, nachdem er die Nord- 
jpige des Sees erreicht hatte, nach der Küſte zurüd. 

Herr Maday fährt dann fort: 

Dr. Junker befindet fich hier bei uns. Er überbrachte mir einen Brief von 
Emin Bey vom 27. Jannar (1886). Emin beabfichtigte damals, feine Leute — 
etwa 4000 — fofort in Heinen Abtheilungen hierher zu ichiden. Das würde eine ver- 
hängnißvolle Politik fein. Er bat mich auch, ihm entgegenzulommen, damit er zwei 
Dampfer mitbringen könne, die er fonjt im Stiche laflen müfle. Einen derjelben 
beabjichtigte er dem Könige, den andern der Mijfion zu überlafien. 

Seitdem hat er aber gefunden, daß feine Leute, Offiziere und Mannichaften, 
fih weigern, den Sudan zu verlaflen, und er ift deshalb entichloffen, noch einige 


Jahre bei ihnen zu bleiben, vorausgeiegt, dab er Zufuhren von Zeugen u. j. w. 
erhalten kann. 


Herr Maday jchreibt immer verständig; ich habe aus feinen Briefen 
eine Menge verläßliche Informationen erhalten. 

Selbjtverftändfich jchreibt er in der vollen Ueberzeugung, daß die 
Truppen Emin's treu find. Wir alle theilten diefe Weberzeugung, 
jehen jegt aber, daß wir ung ftarf getäufcht Haben und daß Emin zu 
feiner Zeit mit Leuten aus ſolchem Stoffe, wie feine unwiffenden, 
dummen Sudanejen, durch Uganda oder irgendein anderes Land fich 
einen Weg nad) der Küſte hätte bahnen können. 

Herr Joſeph Thomſon jchlug in einen Briefe an die „Times“ 
eine Route durch das Maſſai-Land vor und wollte fich für das fichere 
Geleit einer Entjag-Erpeditton durch dieſes Land verantwortlich machen. 


Einleitung. 31 


Herr 3. T. Wills vertrat die Ansicht, daß der Mobangi-llälle 
fi) als eine vorzügliche Route zu Emin erweijen werde. 

Herr Harriſon Smith ſprach feine Ueberzeugung dahin aus, daß 
fih ein Weg über Abeſſinien ald ausführbar erweijen werde. 

Ein anderer Herr, welcher an der Afrifaniichen Seen=Gejellichaft 
interejfirt war, jchlug vor, die Erpedition ſolle die Route Sambeſi— 
Schire-Njaſſa einichlagen und fi) von dort nordwärts über den Tan- 
ganika nach dem Muta Nſige und dem Albert-See wenden, was aud) 
von einem Mifftionar vom Tanganifa-See befürwortet wurde, da diejer 
Weg nicht mehr Schwierigkeiten böte als jeder andere, 

Dr. Felkin fam in einer Beiprechung im „Scottish Geographical 
Magazine‘ nad) jorgfältiger Prüfung der verjchiedenen Routen zu 
dem Schluſſe, daß ein Weg wejtlic vom Bictoria-See und Karagwe 
durch Ujongora nad) dem Albert-See einige Vorzüge vor den andern 
Routen befite. 

Zu Anfang October 1886 Hatten Sir William Madinnon und 
der frühere Vorfigende der Handelsfammer zu Manchefter, Herr J. F. 
Hutton, mit mir über die Möglichkeit gefprochen, Emin Entſatz zuzu— 
führen, damit er in den Stand gejeßt werde, jeine Lage zu behaupten. 
Ihrer Meinung nad) jchien er nur Munition nöthig zu haben, und id) 
theifte dieſe Anficht, worauf fie ganz ernſtlich die Abficht ausiprachen, 
die erforderlichen Fonds für die ihm nöthige Hülfe zu ſammeln. Allein 
viele von ihren Freunden befanden fich nicht in der Stadt, und ohne 
mit denjelben zu berathen, konnten fie feinen bejtimmten Entichluß 
faffen. Wir bejprachen dann die Voranichläge und Routen, und Herr 
Hutton äußerte fi dahin, daß die flüchtige Schägung, welche ich ihm 
geliefert hatte, die wirklichen Koften der Expedition um 500 Pfd. St. 
überftiege. 

Was die Routen anlangte, jo deutete ich darauf Hin, daß es 
deren vier gebe, welche faſt gleich gut ausführbar jeien. 

Gegen die erite, durch das Mafjai-Land, waren entſchieden Ein- 
wände zu erheben, wenn ein großer Vorrath von Mumition mitgeführt 
wurde, der Emin unter allen Umftänden erreichen mußte. Herr Thomſon 
hatte diefe Route verjucht und jein Bericht über die DBerlegenheit, in 
welche er bei der Rückkehr vom Bictoria-See durch den Mangel an 
Waſſer und Getreide gebracht worden war, lautete außerordentlich) 
ungünstig. Auf dem Marjche nad) dem See waren feine Leute ent- 
muthigt umd dejertirten in ſolchen Scharen, daß er gezwungen war, 
eine kurze Strede nad dem Kilima-Ndjaro zurücdzufehren, dort fein 


32 Erites Kapitel. 


Lager zu laffen und mit einigen wenigen Leuten nach der Küfte zurüd- 
zumarjchiren, um neue Träger anzumwerben. Falls bei ung eine ähn- 
liche dringende Nothwendigfeit eintreten jollte, würde es nach Antritt 
des Marjches höchſt unflug jein, auch nur einen Kilometer zurüd- 
zugehen. Ein weiterer Nachtheil war die Neigung der Sanfibariten 
zum Davonlaufen, denn die Dejertionen von den von der Dftfüfte 
ausgehenden Expeditionen hatten, da die Leute mit ihren Gewehren und 
Laſten ungejtraft davonlaufen konnten und ſich ihnen hierzu oft genug 
Gelegenheit bot, in neuerer Zeit einen geradezu bejorgnißerregenden 
Umfang angenommen. Biele der Sanfibariten Hatten ein Gejchäft 
daraus gemacht, mit dem Vorſchuß durchzubrennen, und je größer die 
Erpedition war, dejto größer waren auch die Verlufte an Geld, Gewehren 
und Vorräthen. 

Die zweite Route, über den Victoria-Njanfa und Uganda, welche 
von Natur aus die bejte war, wurde einer fleinen Expedition durch 
die Feindſeligkeit Ugandas unmöglich gemadt. Indeſſen konnte dieje 
eindieligfeit vermieden werden, wenn auf dem Bictoria-See genügend 
Fahrzeuge vorhanden waren, um eine Expedition, wie man fie brauchte, 
über den See zu befördern. Die Gefahr der Dejertionen war ebenjo 
drohend wie auf der erften Route. 

Die dritte Route führte über Mialala, Karagwe, Anfori, Unjoro 
und den Albert-See. Jeder Berjuch von der Oftfüfte aus mußte unter 
allen Umständen ungeheuere Verlufte von Menjchenleben und Waaren 
im Gefolge haben; 50 Brocent Verlufte waren unvermeidlich und feine 
Borfihtsmaßregeln würden die Dejertionen verhindern können. Außer- 
dem war Karagwe von den Waganda bejett und es konnte feine Er- 
pedition dieſes Land paffiren, ohne fortwährend von der Feindſelig— 
feit der Waganda beläftigt zu werden. Wären wir jo glüdlich ges 
wejen, unſern Weg durd) Karagwe zu erzwingen, dann würden wir 
mit den Wanjankori zu rechnen gehabt haben, welche 200000 Speerträger 
zählen, aber die Ausfichten würden für ung jehr düſter geweſen fein, 
wenn wir uns mit den Kämpfen gegen die Karagive-Eingeborenen bei 
ihnen eingeführt hätten. Ein Marſch durch ein anderes Land weſtlich 
von Karagwe, um die Waganda zu vermeiden, war unmöglich, aus— 
genommen mit Koften, welche meiner Anficht nach die Unterzeichner 
des Fonds nicht zu zahlen gewillt jein würden. 

„Die ganze Angelegenheit Löft fich in eine Geldfrage auf. Mit 
genügend Geld ift jede Route möglich; allein wie ich die Sadje ver: 
ftehe, beabfichtigen Sie nur einen mäßigen Betrag zu zeichnen, und 


Einleitung. 33 


deshalb gibt es nur eine Noute, welche für das vorhandene Geld 
fiher und offen ift, umd das ift der Kongo. Der Strom hat den 
Nachtheil, daß er auf feinem oberen Theile nicht genügend Transport: 
ſchiffe befißt. Ich würde deshalb vorschlagen, die Flotille des Ober: 
fongo durch 15 Walfiichfängerboote zu ergänzen, welche eine Erpe- 
dition mindeftens bis 320 km vom Albert-Njanja bringen würden. 
Es wird eine ſchwere Arbeit jein, die Boote vom untern nach dem 
obern Kongo zu transportiren, allein wir können fie leicht bewältigen, 
wenn wir fofort Agenten hinſchicken, um Träger zu bejorgen. Eins 
muß jedoch gejchehen, und das ift, die Genehmigung des Königs Leo- 
pold zu erhalten. 

„Bielleicht find wir aber allzu voreilig, daß wir die Angelegenheit 
überhaupt beiprechen. Sie willen, daß über viele Projecte discutirt 
und über jedes derjelben viel «geſchwatzts worden ift. Möglicherweije 
wird fich auch diejes in Rauch auflöjen — deshalb fammeln Sie erſt 
die Gelder und dann rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen. Be— 
dürfen Sie, nachdem ich Ihnen meine Anfichten dargelegt habe, meiner 
nicht, dann laſſen Sie Thomjon die Erpedition durch das Mafjai-Land 
führen und notiren Sie mich in der Subſcriptionsliſte für diejelbe 
mit 500 Pfd. St.“ 

Gegen Mitte November bat mid Sir William Madinnon, ihm 
einen Brief über die Angelegenheit zu jchreiben, damit er denjelben 
feinen Freunden, die demnächit nad) der Stadt zurücdfehren würden, 
vorlegen könne. 

Einige Tage nach der Abjendung dieſes Briefes reijte ich nad) 
Amerifa ab, wo ich nad) der Ankunft in Newyork meine fogenannte 
„Vorleſungs-Tournée“ begann. Allein jchon am 11. December, am 
15. Tage nach meiner Ankunft, erhielt ich folgendes Telegramm: 


London. 
Ihr Plan und Anerbieten angenommen. Regierung billigt fie. Fonds be- 
ſchafft. Geichäft dringend. Kommen Sie jofort. Antwort. Madinnon. 


Aus St.-Johnsbury, Vermont, bis wohin meine Borlefungen mich 
geführt hatten, antwortete ich wie folgt: 


Erhielt foeben Ihr Telegramm vom Montag. Bielen Dank. Alles in Ordnung. 
Werde am Mittwoch 8 Uhr früh mit der „Eider“ abjegeln. Treffe, wenn gutes Wetter 
und feine Unfälle, am 22. December in Southampton ein. Es ift immerhin nur eine 
Verzögerung von einem Monat. Bitten Sie die Regierung, Holmmwood (General- 
conful) in Sanfibar und Seyid Bargaih (Fürſt von Sanfibar) vorzubereiten. 
Befte Grüße an Sie. Stanlen. 

Stanley, Im dunfelften Wirifa. I. 3 


34 Erites Kapitel. 


Mein Agent war in Verzweiflung; die Zuhörerjchaft war fo freund- 
fich, überall wurde ich mit Ovationen empfangen, allein alle Argumente 
und Bitten waren vergeblich). 

Am Tage vor Weihnachten traf ich in England ein, und jchon 
wenige Stunden nach meiner Ankunft ſprach ih mit Sir Willtam 
Madinnon über die Erpedition. 

Ih war jelbjtverftändlih ohne den geringjten Schatten eines 
Zweifels fejt überzeugt, daß die Kongo-Route bei weitem die bejte 
und ficherfte jei, vorausgejegt daß ich meine Flotille von Walfiſch— 
fängerbooten, jowie die Erlaubnif des Königs Leopold, fein Gebiet mit 
einer bewaffneten Macht zu paffiren, erhielt. Ich kannte eine Route 
von der Djtfüfte und war ebenfalls mit derjenigen von der Wejtfüfte 
vertraut. Bon dem weiteften Punkte, den ich im Jahre 1876 auf 
dem Marjche von der Oftfüfte erreicht hatte, betrug die Entfernung nad) 
dem Albert-See nur 160 km, während die Diftanz von den Jambuja= 
Flußſchnellen bis zum See in der Luftlinie 620 km war. Und dennod) 
war die Kongo-Route nach meiner beiten Weberzeugung vorzuziehen. 
Wir würden Ueberfluß an Waffer haben, welches längs des Weges 
von Dften jo jpärlich und jchlecht war; Lebensmittel mußten ebenfalls 
vorhanden fein, da ich nad) meinen Erfahrungen als jelbjtverftändlich 
annehmen fonnte, daß die -umübertroffene Fruchtbarfeit, wie fie die 
Negionen am Oberfongo befigen, von den Eingeborenen längjt entdedt 
jein mußte, während wir aus den von Thomjon, Frischer und Hannington 
gemachten Erfahrungen wußten, daß die Lebensmittel im Mafjai-Lande 
fnapp find, Und endlich wurden die an der Oftfüfte jo häufigen Deier: 
tionen ganzer Trupps an der Wejtfüfte vermieden. 

Und dennoch war das Comité, obwol es zugab, daß ich recht 
haben fünnte, der Anficht, daß es beijer jei, die öſtliche Noute zu 
wählen. 

Sehr gut, das iſt mir vollftändig gleichgültig. Laflen Sie uns die Route 
von der Oſtküſte, via Mialala, Karagwe, Anlori und Unjoro, beichließen. Wenn 
Sie aber mandmal von harten Kämpfen hören, dann erwarte ich von Ihnen, 
daß Sie mid in meiner Abweſenheit vertheidigen. Wenn ich die Munition aus 
einem Luftballon in das Lager Emin's fallen laſſen könnte, fo würde ich das ficherlich 
thun und es vermeiden, mit Dielen Friegeriihen Eingeborenen in Berührung zu 
fommen; allein die öffentlihe Meinung hat beichlofien, dat Emin die Vertheidigungs- 


mittel überbracht werden jollen, und Sie haben mich mit der Aufgabe betraut, 
diefelben zu escortiren. Sei es jo. 


Zu dem gejammelten Entiaßfonds waren folgende Beiträge ein— 
gegangen: 


Einleitung, 35 


Pfd. St 
Eir William Madinnon, Bart. . 2 2 2000 
Beter Madinnuon . » 2 2 2 2 2 re ee. 100 
John Mackinnonnnn.. ie 300 
Baronin Burdett-Couttsss. 100 
W. Burdett⸗Couttsss8. rn 400 
James ©. Jameſonnnnn. 2 2 00 0. 1000 
Gräfin von Roaillee . - >» 2 2 2 2220.20. .1000 
Peter Denny, Dumbarton . . 1000 
Henry Johnſon Younger, von der Schottiihen Geo 
graphiſchen Geſellſchaft . . 500 
Alexander L. Bruce, von der Sgonnſcen Geogranii 
ihen Geiellihaft .. . . . RE 500 
Gray, Dawes u. Eo., London . » » 2» 2 2... ..1000 
Duncan Mac Neil. . . Be Ver et 700 
James F. Hutton, Mancheiter a 250 
Sir Thomas Fowell Burton . » >» 2 2 2 0. 250 
James Hall, Argyleihire., » > 2 2 vr nen 250 
W. MeMichael, Glasgow . . Kr 3 250 
Königl. Geographiiche Gejellichaft zu Sonden » +... 1000 
AHegyptiihe Regierung . . . . . . 10000 


— St. 21500 * 


Um den Fonds nocd zu vermehren und für dringende Nothfälle 
die Mittel zu jchaffen, erklärte ich mich bereit, aus Afrifa Briefe zu 
jchreiben, welche da8 Gomite, wenn es dies fiir pafiend hielt, bei der 
Prefje verwerthen fünnte; die eingehenden Gelder möchte e3 al3 meinen 
Beitrag zu dem Fonds betrachten. 

Die Schäßung der Zeit, welche wir brauchten, um Emin Bajcha 
zu erreichen, war nad forgfältiger Berechnung auf Grundlage der 
Thatjache, daß ich in den Jahren 1874—75 in 103 Tagen eine Ent: 
fernung von 1160 km zurüdgelegt hatte, wie folgt aufgejtellt: 

1. Route. Durch das Maſſai-Land; Marſch nah Wadelai und Rückkehr nad der 
Küfte 14 Monate. Für Verzögerungen 4 Monate, zufammen 18 Monate. 


2. Route, Ueber Mialala, Karagmwe, Ankori und Uſongora nah dem Albert-See; 
Marich über Land hin und zurüd 16 Monate, Verzögerungen 4 Monate, 
zulammen 20 Monate. 


3. Route. Kongo-Linie. 


Bon Sanfibar nad) dem Kong . . 1 Monat= 1. April 1887. 
Mari über Land nad Stanley Pool 1 „= 1 Mai „ 
Dampferfahrt auf dem ar .. 1% » =. Sumi „ 
Nait bis zum . . . — 25. Jun „ 


* Vergleiche die vollitändige Abrechnung über Einnahnen und Musgaben im 
Anbang. 
3* 


36 Erftes Kapitel, 


Bon Jambuja nad dem Albert: Njania 3 Monat = 25. Sept. 1887, 


Raft bis zum . . 9. Jan. 1888, 
Ueber Land vom Albert Rianf nad 
Sanfibr ... 8 „» = 8 © „ 
Verzögerungen - » » 2 2 22. 84 
18 Monate. 


Die wirkliche Zeit, welche die Erpedition gebraucht Hat, ftellt ſich 
dagegen wie folgt: 


Ankunft am-Kongo . » 2 2 2 nee. 18. März 1887. 
„ Stanley Bool . » » » 2 0.0. 21. pri „ 
er in SEN. ein nr RE u 
Raft — bis DE a aan 28., Pr 
Ankunft am Albert Nianfa -. » » » 2... . 13 De. „ 
Nüdkehr nah Fort Bodo . . . j 8. Jan. 1888. 
Naft zum Sammeln der Genejenden bis zum. i 2. April 
Zweite Ankunft am Albert— er NE SA re. 
Naft bis zum . . f ee re ADEAREL, 
Rückkehr nac Fort Bodo — tr 8. Jimi „ 
Banalja, circa 145 km von Jambuja al 17. Aug., 
Abermalige Ankunft in Fort Bodod. » .. 20. De. „ 
Dritte Ankunft am Albert-Njania . . 26. Jar. 1889, 
Naft in der Nähe des Albert-Njanſa bis zum : 8, Mai „ 


Marſch nad) Sanfibar, 2250 km, 6 Monate . . 6. Te 
Wir brauchten alio von Sanjibar bis zum Albert— 


Njanja etwas mehr ad . » 2 2 2 2000. 10% Monate 
vom Njanſa zum Indiſchen Ocean . .... 6 e 
Raft am Albert: Rianfa . » 2 2 2 — 1. 

18 Monate. 


In einem Schreiben vom 31. December 1886 erhielt id) die for- 
melle Mittheilung, daß ich mit meinen Vorbereitungen beginnen könnte, 

Der erite Befehl, den ich bezüglich der Expedition zum Entjage 
von Emin Bey ertheilte, war auf telegraphijchem Wege an meinen 
Agenten in Sanjibar, Herrn Edmund Madenzie, von der Firma Smith, 
Madenzie u. Co., gerichtet und lautete dahin, in Bagamoyo 200 Wa- 
njamweſi⸗Träger zu engagiren, um ebenjoviele Laften Reis (= 6 Tonnen) 
nad) der Miffionsftation in Mpuapıra zu befördern. Lebteres liegt etwa 
300 km weſtlich von Sanfibar; die Koften betrugen 2700 Rupien. 

Der zweite Befehl war, nachdem ich die Zuftimmung Sr. Hoheit 
des Sultans von Sanfibar erhalten hatte, 600 fanfibarische Träger an 
zuwerben und die folgenden Waaren einzufaufen, gegen welche wir von 
den Eingeborenen Lebensmittel, wie Getreide, ſüße Kartoffeln, Reis, 
Mais, Bananen, Paradiesfeigen u. ſ. w., eintauchen wollten. 


"„3Iuvagy “ jooqgujg svc 











Einleitung. 37 


Yards. 

400 Stück zu je 30 Yards* braune Leinwand . . 12000 
865 7 ." 8 Kanilkit... 2 2. 6920 
9 „und m Tofhntüder. . . . 79 
80 ” u 7; 3 ” Tandjiri — 640 
BU wur RER: os NS 
107 ” „nn 8 ”„ Sohari .. 86 
Eee ER: en MR 
21 „ muB mn Barſait 968 
8 u un „ Kunguru. .1392 
48 7 "„ — 8 ” Ismaili Bir er a 384 
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4 [7 m." 24 fh Bindera . .» 2... 96 

58 [2 „on 8 „ Rehani FE a — — 464 
6 „ „u ” Djoho FE Er — 180 

4 „ 4, Seidene Kili. . . . 96 
4 „ „nr 4 » ſeidene Daoe . . . 96 
24 un 4 „ feine Dabuani . . . 96 
13, en „ Sohari ... 52 
3 „30, u Leimwand W 90 


24 lange weiß⸗ Hemden 
24 „ braune, 


— zuſammen 28262 Yards. 
mazıır 

Außerdem wurden 3600 Pfund —E und eine Tonne Meſ— 
ſing-, Kupfer- und Eijendraht angekauft. 

Der dritte Befehl ordnete den Ankauf von 40 Pack- und 
10 Reiteſeln mit ebenjo vielen Sätteln an, wofür die Koften fich 
auf 400 Pfd. St. beliefen. 

Die Herren Forreſt u. Son erhielten die Zeichnung und den Auftrag 
zum Bau eines Stahlbootes von 8, m Länge, 1, m Breite und 
76 cm Tiefe; dafjelbe jollte aus galvanifirtem Siemens-Stahl her- 
gejtellt werden und in 12 Abtheilungen von je circa 75 Pfund Gewicht 
zerlegbar fein. Die vorderjte und Hinterjte Abtheilung wurden mit 
einem. Ded verjehen und wajjerdicht gemacht, um dem Boote im Falle 
eined Unfalls Schwimmkraft zu verleihen. 

Bon Aegypten wurden 510 Remingtongewehre, 2 Tonnen Bul- 
ver, 250000 Zündhütchen und 100000 NRemingtonpatronen nad) 
Sanfibar geſchickt; das engliihe Kriegsminifterium lieferte mir 
30000 Gatlingpatronen und von den Herren Kynock u. Co. in 


*1 Darb = 91,4 cm. 


38 Erites Kapitel. 


Birmingham erhielt ich 35000 bejondere Nemingtonpatronen. Die 
Herren Watſon u. Co. in London, 4 Ball Mall, verpadten 50 Windhefter- 
Repetirgewehre und 50000 Patronen, und Hiram Marim, der Er: 
finder des felbjtthätigen Maxim-Geſchützes, ftiftete als Geſchenk eine 
feiner wundervollen Waffen, die mit dem dazugehörenden Schilde 
auf einer leichten, aber dauerhaften Lafette montirt war. . 

Ferner ſchickten wir 100 Schaufeln, 100 Haden zum Bau von 
Bruftwehren, 100 Aerte zur Herjtellung der Baliffaden um das Lager, 
und 100 Haumeffer zur Errichtung von Seriben nach Sanfibar. 

Die befannte Chemifalienfirma der Herren Burroughs u. Wel- 
come in L2ondon, Snowhill Buildings, lieferte uns umfonjt neun 
ſchöne Kiften mit allen erforderlihen Arzneimitteln zur Bekämpfung 
der Afrika eigenthümlichen endemijchen Krankheiten. Alle Medica- 
mente waren in Pillenform hergeftellt und mit einem rajchwirfenden 
Auflöfungsmittel verjehen, und jede Abtheilung der Kijten mit allem 
Nöthigen für Arzt und Wundarzt reichlid) verjorgt. Nichts war 
vergeffen, und wir jchulden daher dieſen Herren großen Dank, nicht 
nur für den innern Werth der Arzneifäften und Medicamente, ſon— 
dern auch für die perfünlicd) vorgenommene Auswahl des Beften, was 
London zu bieten vermochte, und die Sorgfalt bei der Verpadung, 
welche es uns ermöglichte, die Kiften ohne jegliche Beichädigung nad) 
Jambuja zu transportiren. 

Die Herren John Edgington u. Co. in London, Dufe Street, 
waren mit der Herjtellung unferer Zelte beauftragt und fertigten die— 
jelben aus Segeltuh an, das in eine Kupfervitriollöfung getaucht 
war, welche die Zelte für die Dauer von drei Jahren haltbar machte. 
Dbwol diejelben 300 Tage dem Regen ausgejegt waren, bejaß ich 
zum erften male während meiner in Afrifa gemachten Erfahrungen 
ein Zelt, weldjes nad) der Ankunft in Sanfibar im Jahre 1839 noch 
weitere 200 Negentage jehr gut hätte aushalten fünnen. 

Die Herren Fortnum u. Majon, Piccadilly, padten 40 Träger: 
lajten des feinften PBroviants zufammen. Jeder Gegenftand war aus— 
gezeichnet; der Thee behielt jeinen guten Geſchmack bis zum legten 
Augenblid, der Kaffee war der reinfte Moffa, der Liebig’iche Fleiſch— 
ertract von der allerbejten Sorte und die Verpadung bei jämmtlichen 
Artikeln vorzüglich, 

Ich brauche wol nicht aufzuzählen, was wir ſonſt noch anfauften. 
Vier frühere Erpeditionen nad Afrifa und die mir vorliegenden Liften 
der einzelnen nothwendigen Dinge jegten mid) in den Stand, Die ver- 


Einleitung. 39 


ichiedenften Gegenjtände auszuwählen, und in Sir Francis de Winton 
und Kapitän Grant Elliott. hatte ich werthvolle Aſſiſtenten, welche die 
Bezugsquellen jehr gut fannten und die Lieferungen controliven konnten. 

Dberft Sir Francis de Winton war mein Nachfolger am Kongo; 
er theilte mir freiwillig und aus reiner Freundſchaft das Beſte 
aus jeiner reichen Erfahrung mit und unterjtügte mich mit jeiner 





. * dl, 
j ö r 
i GR de 
. — IE 
T 


Lieutenant W. Grant Stairs, 


meifterhaften Gejchäftsfenntniß bei der Erledigung der mit der Ex— 
pedition verknüpften vielen Gefchäfte, namentlich) auch bei der Beant— 
wortung der Briefe und der Auswahl der wenigen Offiziere für den 
zu bildenden Stab aus den Hunderten, welche ſich zur Mitgliedichaft 
der Erpedition gemeldet hatten. 

Der erfte, welcher erwählt wurde, war Lieutenant W. Grant 
Stairs vom königlichen Ingenieurcorps, der fich brieflich gemeldet hatte. 
Der knappe Stil und die Geradheit feines Gejuchs ſprachen jehr zu 


° 


40 Erjtes Kapitel. 


jeinen Gunjten; wir ließen ihn kommen und engagirten ihn nad) 
kurzer Unterredung unter der Bedingung, daß er Urlaub erhalten 
würde. Lebterer wurde ihm von Lord Woljeley freundlichjt ertheilt. 

Der näcjte war Herr William Bonny, der, nachdem es ihm 
bei frühern Erpeditionen nicht gelungen war, auf fchriftliche Bewer: 
bung hin angenommen zu werden, es diesmal für am beiten gehalten 


— — — — * de — 


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William Bonny. 


hatte, ich zum Dienjt in irgendeiner Eigenjchaft perjönlich vorzu— 
jtellen. Der Herr wollte eine milde Abweifung nicht annehmen. Seine 
Bruft war mit Medaillen gejchmückt, die, wenn auch ftumm, doch in jehr 
beredter Weije für jeine Verdienfte Sprachen. Das Ende war, daß wir 
Herrn Bonny, der foeben feinen Boften in einem Hofpital des ärztlichen 
Departements der Armee aufgegeben hatte, als Aſſiſtenzarzt engagirten. 

Der dritte war Herr John Roſe Troup, der bereit? am Kongo 


Einleitung. 41 


gute Dienfte geleiftet hatte. Er war mit dem Sijuaheli, der Landes— 
ſprache in Sanfibar, vertraut, zierte fich nicht bei der Arbeit und ver- 
fuhr genau und methodiich bei der Aufftellung der Rechnungen. Auch 
er wurde angenommen. 

Als vierter ftellte fih uns Major Edmund Musgrave Barttelot, 
vom 7, Füfilierregiment, vor. Er fam in Begleitung eines meiner 





Kapitän N. H. Nelfon. 


Bekannten, der ihn jehr rühmte. Was bei der Unterredung geſchah, 
wird jpäter noch erwähnt werden. Nach einigen Bemerkungen wurde 
er ebenfalls engagirt. 

Der fünfte war Kapitän R. H. Neljon, von Methuen’s Ga- 
vallerieregiment, der fich bereits in den Zulufriegen befonders aus- 
gezeichnet hatte. Schon feine Züge ließen feine Verdienfte erkennen. 
Kapitän Neljon war gleichfalls zur Unterzeichnung des Engagements: 
vertrags bereit. 


42 Erites Kapitel. 


Der nächſte Freiwillige war Herr WU. I. Mounteney Jephſon, 
der bisher noch vollitändig unerfahren in Bezug auf Reifen im Aus: 
lande und an das rauhe Leben in der Wildniß durchaus nicht gewöhnt 
war. Auf einige Mitglieder des Comite machte Herr Jephjon den 
Eindrud, als fei er für eine Erpedition diejer Art vollftändig un— 
tauglich), weil er ihrer Anficht nach zu „vornehm‘ war. Allein die 





j jih41% — — 4 


u. J. Mounteney Jephſon. 


Gräfin von Noailles hatte zu ſeinen Gunſten 1000 Pfd. St. zu 
dem Entſatzfonds gezeichnet, und dies war ein Argument, welchem das 
Comité nicht zu widerſtehen vermochte. Infolge deſſen unterſchrieb 
Herr Jephſon mit unerſchütterten Nerven den Contract. Der arme 
junge Jephſon! Er iſt nach verſchiedenen ſchweren Prüfungen, über 
die ſpäter berichtet werden wird, aus Afrifa zurückgekehrt. 

Einer der letzten, welche fich meldeten, als die Lifte jchon ge— 


Einleitung. 43 


ſchloſſen werden jollte, war Herr James S. Jameſon. Derfelbe hatte 
Reifen in den Mafchona- und Matebele-Ländern in Südafrifa gemacht, 
um auf der Jagd auf wilde Thiere Trophäen zu ſammeln, die Vogel— 
welt zu ftudiren und Skizzen aufzunehmen. Er ſchien uns nicht be- 
jonders fräftig zu fein, jedoch vertheidigte er, al3 wir ihm dies vor- 
hielten, rajch fein zartes Ausjehen und wies uns nach, daß, da er 
ſchon jo lange Zeit in Afrifa zugebracht habe, feine Erfahrungen unfere 
Befürchtungen widerlegen. Außerdem war er bereit, für das Vorrecht, 
Mitglied der Erpedition zu werden, 1000 Pfd. St. zum Fonds bei- 
zutragen und getreu und loyal Dienfte zu thun, ſodaß es für Die 
Erpedition unerläßlich war, ihn zu engagiren. Herr Jameſon beftand 
auf jeinem Wunſche und unterzeichnete ebenfalls den Contract. 

Als wir bereits in voller Arbeit waren, um alles Nothwendige 
für den Ueberlandmarſch von Sanfibar oſtwärts nach dem Victoria— 
Nianja vorzubereiten, wurde es erforderlich, bezüglich der Route noch- 
malige Erwägungen anzuftellen, wie der Inhalt des nachjtehenden Briefes 
beweift. 


Palaft zu Brüffel, 7. Januar 1887, 
Lieber Herr Stanley! 


Der Kongoftaat kann nichts dabei gewinnen, wenn die Erpedition zum Entjaße 
Emin Paſcha's durch fein Gebiet marſchirt. Der König hat diefen Weg nur vor- 
geihlagen, damit Sie der Erpedition Ihre Dienfte widmen können, was unmöglid) 
fein würde, wenn diejelbe von der Oſtküſte aufbricht. Nach Jhrer eigenen Schägung 
würde eine von der Oſtküſte ausgehende Erpedition etwa 18 Monate dauern. 
Se. Majeftät ift der Anficht, daß er feine Pflicht dem Staate gegenüber verlegen 
würde, wenn er ihn Ihrer Dienjte beraubte, die jicherlidy noch vor Ablauf der 
genannten Zeit gebraucht werben dürften. 

Wenn die Expedition der Weg über den Kongo antritt, veripricht der Staat, 
derjelben in jeber Beziehung feine Unterftüßung zu leihen. Der Staat ftellt 
der Expedition auch jein gefammtes Schiffsmaterial zur Verfügung, foweit die 
Arrangements für den Betrieb der eigenen Verwaltung, die er, wie Sie willen, 
möglichft ficher zu ftellen wünſcht, es geitatten. Der „Stanley“ ijt der größte 
Dampfer auf dem Oberkongo. Wir fchiden einen zweiten mit dem am 15. d. M. 
abgehenden Poſtdampfer hinaus und werden uns ſoviel wie möglich beeilen, um diejen 
Dampfer in Stanley-Bool vom Stapel laufen zu laffen; derjelbe wird ein werth— 
volles und jehr nothwendiges Glied unferer lotilfe bilden. Inzwiſchen würde der 
Miffionsdampfer „Peace“ ohne Zweifel gewilfe Transporte unentgeltlich übernehmen. 

Benn die Erpedition es wünjcht, würden wir ihr die Anmwerbung von Bangala 
erleichtern; wir find mit den legtern ſehr zufrieden, da fie vorzügliche Soldaten 
find und ſich nicht, wie die Sanfibariten, vor ben Arabern fürditen. 

Sie werben bemerkt haben, daß die in dieſer Woche in Berlin veröffentlichten 
Schriftftüde das Territorium Sanfibars auf einen fchmalen Streifen Landes längs 
der Seeküfte beichränfen. Jenſeit dieſes Streifens ift das ganze Gebiet deutſch. 


44 Erſtes Kapitel. 


Wenn die Deutſchen der Expedition geſtatten, durch ihr Gebiet zu ziehen, würden Die 
Sanfibariten, genau wie am Kongo, fi auf fremdem Boden befinden. 
Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich, lieber Herr Stanley, 
Ihr ganz ergebener 
Eomte de Borchgrave. 


Daß dies Fein Teichter Fall war, der fich raſch enticheiden ließ, 
geht aus folgender Note hervor, die Sir William Madinnon mir 
jandte: 


Weftern-Elub, Glasgow, 4. Januar 1887. 
Mein lieber Stanley ! 


Ach erhielt einen angenehmen kurzen Brief vom König, der erfennen läßt, wie 
dringend er wünjcht, dab wir die Kongo-Route wählen, und twie wenig geneigt 
er ift, in ben fortdauernden Beziehungen zwiſchen Ahnen und dem Kongojftaate 
eine Unterbredung eintreten zu lafien, da er Sie als einen Pfeiler des Staates 
betracditet. Er bittet mich, alle abweichenden Meinungen zu zerjtreuen und alle 
Parteien dazu zu bringen, daß fie mit der Kongo-Route einverstanden find. Ich habe 
ihm ausführlich auseinandergejeßt, was gejchehen ift und geichieht, ſowie auch 
die Schwierigfeiten mitgetheilt, welche e8 machen würde, die eingegangenen Ver— 
pflichtungen wieder zu löſen und die Regierungen hier und in Aegypten, jowie den 
Sultan von Sanfibar zu veranlafien, zu einer ſolchen Abänderung ihre Zuftimmung 
zu ertheilen. Ich Habe audy die großen Mehrkoſten erwähnt, welche die Abfendung 
von 600 Mann und die Rüdbeförderung derjelben verurfachen würde, jelbft wenn 
der Sultan jeine Zuftimmung dazu geben follte, daß die Leute von Sanfibar nad) 
dem Kongo gehen. 

Indeſſen habe ich das Berjprechen gegeben, feitzuftellen, ob alle an den jeßigen 
Arrangements Intereſſirten damit einverjtanden fein würden, daß wir die Kongo- 
Route einschlagen. 


— — — — — — = — — — — — — — — — — 


In meinem Tagebuche finde ich unter dem 5. Januar kurz die 
Geſchäfte erwähnt, welche ich an dieſem Tage erledigt habe. 

Nachdem ich, dem Vorſchlage Mackinnon's gemäß, an den König 
Leopold über die Kongoroute geſchrieben hatte, ſuchte ich Sir Percy 
Anderſon auf und kündigte ihm den Wunſch des Königs an, daß 
die Expedition vom Kongo ausgehen möge. Auf ſeine Bitte, ihm mitzu— 
theilen, welche Vortheile die Kongo-Route biete, erwiderte ich: 

1) Die Gewißheit, Emin zu erreichen. 

2) Den Transport mit den Staatsdampfern den Kongo auf— 
wärts bis zu einem 620 km vom Albert-See entfernten Punkte. 

3) Die Zerftrenung des jeitens der Deutfchen gehegten Argwohns, 
daß unferm Vorgehen politische Motive zu Grunde liegen. 

4) Die Berjtreuung der angeblichen Befürchtungen der franzöſi— 


Einleitung. 45 


ichen Regierung, daß unfere Erpedition das Leben der franzöfiichen 
Milfionare gefährden wiirde. 

5) Wenn franzöfiiche Miffionare gefährdet werden, dann würden 
die englischen Miffionare ſicherlich ihr Schickſal theilen. 

6) Selteneres Vorkommen von Dejertionen der Sanfibariten, 
welche in der Nachbarichaft der arabiichen Niederlaffungen wanfel- 
müthiger jeien. 

Lord Fodesleigh fchreibt mir, der franzöſiſche Botjchafter jei an— 
gewieſen tworden, ihm mitzutheilen, daß, wenn die Erpedition zum 
Entjaße Emin Paſcha's eine öftlih vom Victoria-Njanſa gelegene 
Route einschlage, dies ficherlich das Leben der franzöfiichen Miffionare 
in Uganda gefährden werde. Er jchlägt mir vor, die Sache zu überlegen. 

Ich bejuchte die Momiralität und erfundigte mich bei Admiral 
Sullivan über die Möglichkeit, daß man ein Schiff hergäbe, um die 
Erpedition nad) dem Kongo zu befördern. Er erflärte, die würde, 
wenn die Regierung den Befehl dazu ertheilte, leicht, andernfalls aber 
unmöglich jein. 

Ich ſchrieb an den König und bat ihn dringend, mir mitzutheilen, 
wie weit feine Unterftübung beim Transport auf dem Oberfongo gehen 
würde, 

8. Januar. Erhielt Briefe vom König. Er erhebt Anjprüche 
auf meine Dienfte. Er erbietet ji, fein ganzes Bootsmaterial zum 
Transport herzuleihen mit Ausnahme deſſen, was fir den Gebraud) 
der Verwaltung nothiwendig ift. Telegraphirte an Madinnon, daf 
die Elaufel mich unruhig mache und fi faum mit der gewünſchten 
Dringlichkeit vertrüge. Oberſt de Winton jchrieb in demjelben Sinne. 

Die Augrüftungsgegenftände dev Expedition treffen im Gewicht 
von vielen Gentnern ein. 

De Winton arbeitete bis jpät abends mit mir. 

9, Januar. Dberit 3. A. Grant, Oberft Sir Francis de Winton 
und ich beriethen über den Brief des Königs und eriwiderten den— 
jelben schließlich mit der jchriftlichen Bitte, er möge gnädigft mit 
größerer Beftimmtheit bezüglich der Menge der Transportmittel und 
der Zeit, für welche diefelben uns geliehen werden jollten, antworten. 
Da fehr viele Fragen, wie die Anwerbung von Sudanejen, das Zurück— 
halten des Poſtdampfers zur Verladung der Munition u. j. w., von 
der rafchen Antwort abhängen, ſchicken wir einen bejondern Boten mit 
dem Schreiben ab. 

10. Januar. De Winton jtattete dem Auswärtigen Amte einen 


46 Erſtes Kapitel. 


Beſuch ab und erhielt das Veriprechen, daß die Angelegenheit be- 
treffend die Zurüdhaltung des Poftdampfers und bezüglich; des Re— 
gierungsdampferd zum Transport um das Gap der Guten Hoffnung 
jo rajch wie möglich berüdjichtigt werden ſolle. 

Die Herren Gray, Dawes u. Co. jchreiben, der Generalpoft- 
meifter fei bereit, den nach Sanfibar beftimmten Poſtdampfer in Aden 
bis zur Ankunft des „Navarino“ aufzuhalten, der am 20, Januar 
mit der Munition und den Offizieren von London abgeht. Ich hole 
den „Navarino“ in Suez ein, nachdem ich die Gefchäfte der Expedition 
in Aegypten erledigt habe. 


12. Januar. Die Antwort traf geftern Abend ein. Herr Guy 
Dawnay, Oberft Sir Lewis Pelly, Oberft Sir Francis de Winton 
und ich berufen eine Verfammlung ein. Da die Anmwort befriedigend 
ausgefallen ijt, wird die Kongo-Route beichloffen und diefer Beſchluß 
einftimmig angenommen. 

Erhielt um 2 Uhr nachmittags vom Earl of Iddesleigh die Mitthei- 
lung, daß er mich um 6 Uhr zu jprechen wünjche. Allein um 3 Uhr 
13 Min. verftarb der Earl plößlich infolge eines Herzleidens. 


13. Januar. Bekam von Sir I. Pauncefote eine Note des Aus: 
wärtigen Amtes, welche ein Telegramm von Sir E. Baring über- 
mittelt, ſowie Briefe bezüglich eines Transportichiffes der Admiralität. 
Keine Unterjtügung jeitens der Admiralität. 

Die Waaren treffen rajch ein; Ddiejelben füllen faſt mein Haus. 

Fuhr mit der Baronin Burdett-Coutts nad) Guildhall und kam 
um 12 Uhr 45 Min. dort an. ch erhielt das Ehrenbürgerrecht der 
Gity von London und werde der jüngjte Bürger genannt. Später 
Frühſtück im Manfton-Houfe, wo eine vornehme Gejellichaft ver: 
ſammelt war; die Sacje verlief höchjt befriedigend. 

Telegraphirte nach Brüfjel, um zu erfahren, ob dem König mein 
Kommen am Freitag paflen würde. Antwort: Ja, um 9%, Uhr 
vormittags. 


14. Januar. Fuhr geitern Abend über den Canal und via Oſt— 
ende nach Brüfjel, um König Leopold zu ſprechen. Sprad ihn und 
jagte ihm Lebewohl. Er war jehr liebenswirdig. Reiſte abends um 
8 Uhr nach London ab. 

Belam ein Telegramm aus Sandringham (Landſitz des Prinzen 
von Wales), welches um meinen Beſuch bat.- 

15. Januar. Sir Percy Anderion bat um eine Unterredung. 


Einleitung. 47 


Herr Joſeph Thomſon hatte an die Geographiiche Gejellichaft 
geichrieben und jo ſpät noch den Wunſch ausgedrüdt, die Erpedition 
mitzumachen. 

Traf eine Vereinbarung mit Ingham behufs des Sammelns von 
Trägern am Kongo. Er reift in Kürze dahin ab. 

Telegraphirte nad) Sanfibar, daß die Neisträger von Mpuapua 
zurüdberufen werden jollten. Das wird weitere 2500 Rupien foften. 

Scrieb vor einigen Tagen an den Schenker des Milfionsdampfers 
„Peace“ auf dem Kongo, und bat ihn, ung das Schiff für die Er- 
pedition zum Entſatze Emin Paſcha's zu leihen. Erhielt folgende merf- 
würdige Antivort: 


Leeds, 15. Januar 1887. 
Lieber Herr Stanley! 

Sch hege für Sie perfönlih große Hochachtung, wenn ich auch nicht alle Ihre 
Handlungen gutheißen fann und darf. 

Es thut mir jehr leid, daß ich Ihre Bitte nicht erfüllen fan; aber ich glaube 
feft, daß Sie durd den Umstand, daß Sie den Dampfer „Peace“ nicht haben, 
nichts entbehren werden. Gejtern bin ich im Stande gemweien, zu einem Entſchluſſe 
zu fommen. 

Herr Baynes, von der Baptijten-Mifjionsgejellihaft in Holborn, wird, wie 
er hofft, Ihnen jegliche Mittheilung machen, die er für geeignet hält. Wenn Sie 
irgendwelche Ehrerbietung für den „Mann der Sorge‘ hegen, dann möge der 
„Friedenskönig“ Ihre Erpedition gnädig behüten und retten. 

Bezüglih der Sicherheit Emin’3 habe ich feinen Zweifel, bis fein Wert 
beendet ift. Ich glaube, er wird diefe Prüfung in voller Sicherheit beitehen. 
Gott jcheint Ihnen eine edle Seele gegeben zu haben (die augenblicklich durch 
ichlimme Sünden und Irrthümer verdedt wird), und es würde mich freuen, wenn 
Sie im richtigen Sinne „Buhe thun und an Gottes Wort glauben“ und dann in 
Glüdjeligkeit, im Lichte und in Freude für immer leben. Hier ift bei Ihnen die 
Bögerung viel gefährlicher als die Zögerung für Emin. 


Ihr getreuer Freund 
Robert Arthington. 


16. Januar. Oberſt 3. WU. Grant bat ſich erboten, mit Herrn 
3. ©. Keltie, dem Herausgeber der „Nature“, wegen des Anerbietens 
des Herrn Thomfon zu ſprechen. 

Die Briefe jammeln fich zu Dubenden an; wir find alle Mann 
beichäftigt, fie zu beantworten. 

17. Januar. Schrieb an Sir Percy Anderjon, daß ich ihn 
Mittwoch) um 2 Uhr nachmittags bejuchen würde. Die Correipondenz 
nimmt zu. 


48 . Erftes Kapitel. 


Beriethen über das Anerbieten des Herrn Iojeph Thomjon. Herr 
I. S. Keltie ſoll ihm privatim den Beichluß des Comite mittheilen. 

Trafen mit ©. ©. Madenzie Vereinbarungen wegen der Ange— 
fegenheiten in Sanfibar. Er jandte zwei Telegramme ab. General 
Bradenbury jchrieb, daß die Lieferung von Kohlen der Genehmigung 
des Schakamtes bedürfe. 

18. Januar. Erledigte die Morgengejchäfte. 

Reiſte mit Oberft de Winton nad) Sandringham, um Se. Königl. 
Hoheit zu bejuchen. Hielt mit einer Karte von Afrifa vor mir Ihren 
Königl. Hoheiten einen furzen Vortrag über die zur Erreihung Emin 
Paſcha's in Ausficht genommene Route. Hatte eine jehr aufmerkſame 
Zuhörerichaft. 

19. Januar. Sir William Madinnon verfammelte feine Freunde 
im Bırlington=Hotel zu einem Abjchiedsbanfet für mid). 

Habe heute einer großen Zahl von Freunden Lebewohl gejagt. 

20, Januar. Der Dampfer „Navarino“ ſegelte heute Nachmittag 
mit den Waaren und den Offizieren der Erpedition, Lieutenant Stairs, 
Kapitän Nelfon und Herrn Mounteney Jephion, ab. Herr William 
Ronny verließ heute früh um 8 Uhr mit dem Negerfnaben Baruti 
meine Wohnung, um fich nad) der Fenchurch-Station zu begeben. Nach 
der Ankunft daſelbſt verläßt er Baruti nach einer Heinen Weile 
und geht nad) dem Tower! Bei der Rückkehr zur Station um 2 Uhr 
nachmittags fand er nad) feiner Behauptung, daß der Dampfer abge- 
fahren war. Er begab fid) dann zu den Schiffsmaffern Gray, Dawes 
u. Co., und erfuhr zu jeiner Bejtürzung, daß die Sache ſich nicht mehr 
ändern ließ. Baruti wird verlaffen, jehr Hungerig und -frierend von 
Oberſt 3. A. Grant in der Fenchurch-Station aufgefunden und wieder 
zu mir gebracht. 

21. Januar. Schicke Herrn Bonny mit der Bahn nach Plymouth, 
um einen nach Indien beftimmten Dampfer einzuholen; weije ihn aı, 
fi) mit dem Knaben in Suez augzujchiffen und mich zu erwarten. 

Reiſte abends 8 Uhr 5 Min. von London nad Aegypten ab. 
Am Bahnhofe Hatte jich eine große Menge verfammelt, um mir nod)- 
mals die Hand zu drüden und mir freundlichjt eine glückliche Reiſe 
zu wünjchen. 


Bweites Rapitel. 


Aegypten und Sanfibar. 


Dr. T. 9. Parke. — Anfichten Sir Evelyn Baring’s, Nubar Paſcha's, Profeſſor 
Schweinfurth's und Dr. Junker's über die Erpedition zum Entſatze Emin’s. — 
Einzelheiten über Emin Paſcha und jeine Provinz. — General Grenfell und die 
Munition. — Frühftüd beim Khedive Tewfil und Botichaft an Emin Paſcha. — 
Abreife nah Sanfibar. — Beichreibung der Stadt Mombad. — Beſuch beim 
Sultan von Sanfibar. — Abjendung eines Briefes an Emin Paſcha dur Uganda. — 
Uebereinfommen mit Tippu-Tib. — Emin Paſcha's Elfenbein. — Die Unterftügung 
der Entfaß-Erpedition durch die Herren Madenzie, Sir John Pender und Gir 
James Anderſon. 


27. Januar 1887. Traf um 6 Uhr früh in Alerandrien ein. 
Dr. 3. 9. Parfe, vom ärztlichen Departement der Armee, kam zu mir 
ins Hotel und bewarb fich um die Stellung des Arztes der Erpedition. 
Das war der einzige Poſten, welcher noch nicht zu meiner Zufrieden- 
heit bejegt war. Ich betrachtete ihn als einen mir von Gott Ge- 
jandten, wenn ich auch etwas zurüchaltend zu jein jchien, da ich zwei 
höchſt unangenehme Erfahrungen mit Aerzten gemacht hatte, die beide 
in England Hinterliftig und unverträglich gewejen waren.. Ein äußerft 
hübjcher junger Herr, etwas nachläjlig, aber von jehr einnehmen: 
den Wejen. Um zu prüfen, ob er es ernftlich meinte, fagte ich: 
„Wenn Sie mir nach Kairo folgen wollen, werde ich weiter mit Ihnen 
iprechen. Ich habe feine Zeit, um mich hier länger in Erörterungen 
einzulafjen.‘ 

Neifte um 10 Uhr vormittags von Alerandrien nad) Kairo ab. 
Am Bahnhofe traf ich Sir Evelyn Baring, von dem ich in den Tage- 
büchern Gordon's gelejen hatte. Wir fuhren nad der Wohnung Sir 
Evelyn’s, der mir in feiner höchſt aufrichtigen und offenen Weife er- 
flärte, daß irgendwo ein Hinderniß jet. Der Sthedive und der Pre— 
mierminifter Nubar Paſcha zweifelten, ob es Flug jet, die ER 

Stanley, Im dunteliten Afrika. I. 


50 Zweites Kapitel. [Kairo 


zu wählen. Profeſſor Schweinfurtd und Dr. Junker ſeien beide be- 
ftürzt gewejen und hätten durchbliden lajjen, daß fie die Idee für 
abjurd hielten. 

‚Nun, Sir Evelyn‘, ſagte id, „glauben Sie nicht, daß e8 in 
England ebenfo erfahrene Männer gibt wie die Herren Schweinfurth 
und Junker? In dem Entjaß-Comite haben wir Oberjt James Au— 


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Dr. T. 9. Parke. 


guftus Grant, den Gefährten Speke's, Oberjt Sir Francis de Winton, 
den frühern Generaladminijtrator des Kongo, Oberſt Sir Lewis 
Belly, den frühern politischen Vertreter in Sanfibar, Herrn Guy 
Dawnay, vom Sriegsminifterium, Sir John Kirk, den frühern Gene- 
ralconjul in Sanfibar, den Rev. Horace Waller und andere hervor: 
ragende, verjtändige Leute. Wir haben nichts beichlofien ohne Mit: 
wirfung und Zuftimmung des Auswärtigen Amts. Wir haben alles 


28. Jan. 1887.] Aegypten und Sanfibar. 51 


erwogen, und ich bin mit dem fejten Entjchluffe hierher gefommen, das 
Project in der Weije zur Ausführung zu bringen, wie das Comite und 
ic übereingefommen find.‘ 

Und dann gab ih Sir Evelyn die für und gegen die Routen 
iprechenden Gründe an, die ihn befriedigten. Darauf fuhren wir zum 
Premierminifter Nubar Paſcha, bei welchem ich diejelben Erklärungen 


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Nubar Paſcha. 


vorzutragen hatte. Nubar verwies mich mit freundlichem, wohlwollen— 
dem Lächeln an das beſſere Urtheil Sir Evelyn's; er erkannte die Klug— 
heit und die Vorſicht der Abänderung an und lud mich zur Beloh— 
nung zum Frühſtück am nächſten Tage ein. 

28. Januar, Kairo. Ich frühſtückte bei Nubar Paſcha, der mic 
mit Mafon Bey, dem Umjchiffer des Albert-Sees im Jahre 1877, 
Frau Nubar und feinen drei Töchtern, feinem Schwiegerjohne Ti- 
grane Paſcha, jorwie dem frühern Legationsjecretär in Brüffel Herrn 

4* 


52 Zweites Kapitel. [Kairo 


Fane befannt machte. Während des Frühſtücks unterhielt Nubar 
Paſcha fich über verjchiedene Dinge, namentlich aber über Aegypten, 
den Sudan, Afrifa und Gordon. Er ijt offenbar fein Bewunderer 
von Gordon, jondern jchreibt ihm den Verluft des Sudan zu. Seine 
Anfiht von Baker ging dahin, daß derjelbe ein Kämpfer, ein eifriger 
Pionier, ein Mann von großer Kraft jei. 

Nach dem Frühſtück zeigte ich Nubar die Karte. Er prüfte jorg- 
fältig die verjchiedenen Routen und fam zu der Ueberzeugung, daß Die 
Kongo:Route die bejte ſei. Er beabfichtigt, an Emin die jchriftliche 
Inftruction zu jenden, daß er nach Megypten zurückkehren jolle, da 
diejes den Sudan unter den gegenwärtigen Berhältniffen nicht mehr 
zu behaupten vermöge. Er erlaubt uns, die ägyptiiche Flagge als 
Banner der Erpedition zu führen, und jagt, er würde e8 gern jehen, 
wenn Emin mit jo viel Elfenbein wie möglich zurüdfehrte und feine 
Makrakas mitbrächte. Sollten wir Elfenbein mitbringen, jo wird er 
einen Theil des Geldes für die ägyptiiche Regierung beanfpruchen zum 
Erjat der 10000 Pfd. St., welche diejelbe hergegeben hat. Für Emin 
Paſcha und jeine hervorragenditen Offiziere find Uniformen beftellt 
worden, die der Entſatzfonds zu bezahlen haben wird. Der jedem 
Dffizier zufommende Rang und Gehalt find gefichert. 

Ich ſah Schweinfurth und Junker, welche hier als Fachmänner 
betrachtet werden, und ich hatte eine lange und intereſſante Unterhaltung 
mit ihnen, deren Hauptinhalt ich nachſtehend wiedergebe. 

Schweinfurth und Junker haben ſich, wie es ſcheint, die Idee 
gebildet, daß die Expedition, weil ſie mit mehrern hundert Remington— 
gewehren und einer Schnellfeuerkanone neueſter Erfindung bewaffnet 
werden ſollte, eine nach ſtreng militäriſchen Regeln zu führende Offenſiv— 
truppe ſein werde. 

Schon der Name unſerer Expedition wies darauf hin, daß dies 
ein Irrthum war; der Charakter der Leute, welche den größten Theil 
des Fonds gezeichnet haben, mußte überzeugen, daß dieſe Auffaſſung 
von der Expedition weit vom Ziele vorbeiging. Der Entſatz Emin 
Paſcha's bildet den Zweck der Expedition, und zwar beſteht dieſer Ent— 
ſatz in der Zuführung einer genügenden Menge von Munition, um Emin 
in den Stand zu ſetzen, ſich aus ſeiner gefährlichen Lage in Centralafrika 
ſicher zurückzuziehen, oder, wenn er das vorzieht, ſeinen Poſten ſo lange 
zu behaupten, wie er es für thunlich hält. In Anbetracht der Qua— 
lität der in der Hauptſache aus Sanſibariten oder befreiten Sklaven 
beſtehenden Begleitmannſchaft würde es voreilig ſein, zu viel von ihr zu 


28. Jan. 1887.] Aegypten und Sanfibar. 53 


erwarten. Man weiß in Sanfibar bereits, daß Uganda feindlich gefinnt 
ift, daß Muanga einige jechzig von den Anhängern des Biſchofs Han— 
nington niedergemetzelt hat, daß die Mafjai-Route Gefahren bietet, 
daß Karagwe dem Muanga tributpflichtig ift, daß die Wahha zahl- 
reich und angriffsluftig find, daß noch niemand in Auanda einges 
drungen und daß jowol auf der Mafjai- wie auf der Karagwe-Route 
über eine gewiffe Linie hinaus Gefahr vorhanden ift; und mit 
welcher Freudigfeit fie auch in Sanfibar ihre Bereitwilligfeit er- 
flären, jedem Sriegführenden Trotz zu bieten, die Afrifareijenden 
willen doch jehr gut, wie ſchwächlich fie fih im Anblide der 
wirklichen Gefahr erweifen. Aber auch angenommen, daß dieſe 
Truppe von 600 Sanfibariten treu fei, jo bedenfe man doch ihre 
Unerfahrenheit mit diefen neuen Waffen, ihr wildes, ziellojes, harm— 
[ojes Feuern, ihren Mangel an Disciplin und Elaftieität, ihre Neigung, 
beim Anblick der Folgen des Kampfes zu jchaudern; man bedenfe, 
daß fie in Wirklichkeit nur Träger find und gar feine Krieger jein 
wollen — und man wird begreifen, wie jehr wenig jolche Leute ihren 
Pflichten bei der Vertheidigung von Kriegsvorräthen gegen einen Feind 
gewachjen find. Nur durch eine Kriegslift ficherte ich mir ihre Dienfte, 
als ich das verzweifelte Werk der Entdedung der Mündung jenes 
großen Stromes, an dem wir mit Tippu-Tib entlang gezogen waren, 
unternahm, als der jet berühmte Araber mich mitten in Afrifa ver- 
ließ. Nur weil es fein anderes Mittel zum Entfommen gab, war id) 
im Stande, mit ihrer Hülfe einen friedlichen Rüdzug aus dem wilden 
Innern zu bewerkitelligen. In vielen andern Fällen haben fie den 
Beweis geliefert, daß man fie durch Bedrohung mit jofortigem Tode 
brauchbar machen fann, um bei der Erhaltung ihres eigenen Lebens 
zu helfen; aber es wäre zu viel von ihmen erwartet, daß ſie, mit ber 
Verführung von Unjamwefi und Sanfibar im Rüden, getreulich vor: 
wärts marjchiren jollen, um die Gefahren des Kampfes herauszufordern. 
Bei diefer Expedition fünnen wir uns nicht wie bei frühern Gelegen- 
heiten im Anblick offentundiger Feindfeligfeit zur Seite wenden und fried- 
lichere Länder auffuchen, fondern das Endziel muß erreicht, das Wagniß 
unternommen und die Munition zu den Füßen Emin Paſcha's nieder- 
gelegt werben, Es ift deshalb nicht genug, dieſe Leute mit Remington: 
gewehren oder Schnellfeuerfanonen auszurüften, fondern man muß ihnen 
auch alle Mittel zum Rückzuge abjchneiden und ihnen fein Loch zum 
Entfonmen laſſen — dann werden fie wie Männer zufammenhalten 
und wir dürfen hoffen, den Zweck der Erpedition zu erreichen, ſelbſt 


54 Zweites Kapitel. [Kairo 


wenn wir hin und wieder Bogen, Speeren und Schießgewehren ent: 
gegenzutreten haben. 

Was Emin Paſcha anlangt, jo lauteten meine Informationen 
verichieden. 

Bon Dr. Junker erfahre ich, dag Emin Paſcha groß*, mager und 
außerordentlich furzfichtig ift; er ift ein großer Spracdjfenner, da er 
mit dem Türkiſchen, Arabiſchen, Deutjchen, Franzöfiichen, Italieniſchen 
und Englischen vertraut ift, zu welchen Sprachen noch einige afrifanijche 
Dialekte fommen. Er jcheint Junker mit jeinen Friegeriichen Eigen- 
Ichaften nicht imponirt zu haben, ift dagegen als Berwaltungsbeamter 
Iharfjinnig, taftvoll und Hug. Seine lange Iſolirung jcheint ihn ent— 
muthigt zu haben. Er jagt: Aegypten kümmert fich nicht um uns und 
hat uns vergeffen; Europa nimmt fein Interefje an dem, was wir 
thun. Er ift Deutjcher von Geburt und etwa 47 Jahre alt. 

Seine Truppen find über acht Stationen mit je 200—300 Mann 
vertheilt, und zählen insgefammt etwa 1800 Mann. Die Garnifonen 
der vier nördlichjten Stationen waren nach den lebten Berichten un— 
zufrieden und meuteriih. Sie beantworteten den Rat Emin’s, ſich 
zu vereinigen, mit Vorwürfen und erwiderten feine Vorjchläge, fich 
aus der Mequatorialprovinz über Sanfibar zurüczuziehen, mit der 
Anklage, er beabfichtige nur, fie als Sklaven nad) Sanfibar zu ver: 
faufen, 

Junker vermag die genaue Stärke jeiner Truppen oder der bei 
Emin befindlichen Aegypter, Beamten oder Dongolaner nicht anzu= 
geben, theilte mir aber auf weiteres Befragen nach Einzelheiten mit, 
annähernd werde die Zahl derer, die vermuthlicd; mit der Erpedition 
zurücfehren würden, fich folgendermaßen jtellen: 

Weiße ägyptiſche Offiziere 10; jchwarze Unteroffiziere 15; weiße 
Beamte (Kopten) 20; jchwarze aus Dongola, Wadi Halfa u. |. w. 300, 
zujammen 345 Männer; weiße rauen 22; jchwarze Frauen 137; 
zufammen 159; Sinder der Offiziere 40; Kinder der Soldaten 60, 
zulammen 100. Insgeſammt 604 Berjonen. 

Außerdem werden die eingeborenen Truppen, wenn fie den all 
gemeinen Rückzug ſehen, vielleiht den Wunjch äußern, mit ihren 
Freunden und Gefährten nach Aegypten zurüczufehren. Welche Wir: 
fung das Erjcheinen der Entjagerpedition auf fie haben wird, iſt un— 





* Wir ließen deshalb vom Schneider lange Beinkleider anfertigen, die fich 
als volle 14 cm zu lang erwieien. 


28. Jan. 1887.) Aegypten und Sanjibar. 55 


möglich zu jagen. Die Entſcheidung Emin Paſcha's, ob zu bleiben oder 
abzumarjchiren, wird vermuthlich bei den meisten von Einfluß fein. 
Ich erwarte das Eintreffen meiner Leute von Wadi Halfa heute 
Nachmittag. Sie ſollen in der Citadelle bewaffnet, ausgerüftet und 
mit Nationen verjehen werden und am Donnerstag mic) nad) Suez 





Khedive Mehemet Tewfil. 


begleiten. Am nächſten Tage wird vermuthlich der „Navarino‘ in Suez 
eintreffen, worauf wir uns einjchiffen und die Reife antreten werden. 

Erhielt Telegramme aus London. Die Zeitungen veröffentlichen 
Nachrichten von einer in Kairo wohlbefannten Perjönlichkeit, wonach 
Emin Paſcha nad) verzweifelten Kämpfen ſich einen Weg durch Uganda 
gebahnt und die ägyptiſche Regierung der Erpedition Schwierigkeiten 
in den Weg gelegt hätte. Erwiderte, daß davon in Kairo nichts be— 
fannt jei. 


56 Zweites Kapitel. [Kairo 


1. Februar. Bejuchte um 10°, Uhr vormittags Sir Evelyn 
Baring umd begleitete ihn zum Khedive Tewfik. Se. Hoheit ift ſehr 
liebenswürdig und jah gut aus. Das Innere des Palaftes ift Schön und 
befitt Ueberfluß an Raum, an Dienern uw. ſ. w. Wurde vom Khedive 
für morgen Mittag zum Frühſtück eingeladen. 

Später wurde ich von Sir Evelyn zum Bureau des Generals 
Grenfell gebracht, da Balentine Baker Paſcha mid am Abend vorher 
bei General Stephenjon darauf aufmerffam gemacht hatte, ich müſſe 
mid) davon überzeugen, daß die von der ägyptiſchen Regierung ge— 
lieferte Mumition für die Remington-Waffen auch brauchbar fei; er 
jelbjt habe die Erfahrung gemacht, daß 50 PBrocent davon jchlecht fei. 
„Stellen Sie fid) vor‘, jagte er, „in welchen Zuftande die Munition 
infolge der Feuchtigkeit der Tropen jein wird, wenn Sie nad) etiva 
einem Jahre Emin erreichen, jofern fie jeßt ſchon fo fchlecht iſt.“ 

General Grenfell erklärte, er habe die Munition bereits unter- 
jucht, werde fie aber, da Valentine Baker Vacha eine jo jchlechte Mei- 
nung von derjelben habe, nochmals prüfen. 

2. Februar. Frühſtück bei dem Khedive Tewfik. Er verfichert 
feinen Patriotismus; er liebt jein Land. Er ift ſehr offen und na— 
türlich. 

Bevor ich den Khedive verließ, erhielt ich den folgenden Ferman 
oder Hohen Befehl mit der englischen Ueberjegung : 


„Abjchrift eines Hohen arabifchen Befehls an Emin Paſcha, 
Datirt den 8. Gamad Aual 1304 (1. Februar 1887. Nr. 3). 


„Wir haben Ihnen und Ihren Offizieren bereits gedanft für die 
muthige und erfolgreiche Vertheidigung der Ihrer Verwaltung ans 
vertrauten Aequatorialprovinzen und für die Feſtigkeit, welche Sie mit 
den unter Ihren Befehlen ftehenden Offizieren bewiejen haben. 

„Und wir haben Sie deshalb belohnt, indem wir Ihren Rang 
zu dem eines Lewa Paſcha (Brigadegenerals) erhöht haben. Wir 
haben auch die Beförderungen genehmigt, welche Sie für die unter 
Ihren Befehlen ftehenden Offiziere für nothwendig gehalten haben, 
wie ich Ihnen bereit3 am 29. November 1886 gejchrieben habe, wel- 
ches Schreiben (Nr. 31) nebjt andern Schriftitüden, die der Prä— 
fident des Miniſterraths, Se. Ercellenz Nubar Paſcha, Ihnen gefandt 
hat, Sie erreicht haben muß. 

„Und da es unſer aufrichtigiter Wunſch tft, Sie mit Ihren Offi- 
zieren und Soldaten aus der ſchwierigen Lage, in der Sie ſich be- 


2. Febr. 1887.) Aegypten und Sanfibar. 57 


finden, zu befreien, hat unjere Regierung fich über die Art und Weife 
Ihlüffig gemacht, wie Sie mit den Offizieren und Soldaten aus Ihren 
Schwierigfeiten errettet werden können. 

„Und da unter dem Befehle des Herrn Stanley, des berühmten 
und erfahrenen Afrikaforichers, deſſen Auf in der ganzen Welt befannt 
it, eine Entſatz-Expedition gebildet worden ift, und er jeine Miſſion 
mit allen Ihnen nöthigen Vorräthen anzutreten beabfichtigt, um Sie 
mit den Offizieren und Mannſchaften auf dem ihm geeignet erfcheinenden 
Wege nad Kairo zu bringen, jo haben wir diefen Hohen Befehl an 
Sie erlajjen. Derjelbe wird Ihnen durch Die Hand des Herrn Stanley 
übermittelt, damit Sie wiſſen, was gejchehen foll, und ich beauftrage 
Sie, jobald diejer Befehl Sie erreicht, den Offizieren und Mannjchaften 
meine beften Wünſche zu bejtellen. Sie haben vollftändige Freiheit, 
entweder nad) Kairo abzumarichiren oder mit den Offizieren und Mann- 
ſchaften dort zu bleiben. 

„Unjere Regierung hat beichloffen, Ihnen jowie den Offizieren 
und Mannichaften das Gehalt zu bezahlen. 

„Diejenigen von den Offizieren und Mannjchaften, welche zu bleiben 
wünſchen, können dies auf ihre eigene Verantwortung hin thun, dürfen 
aber in Zufunft feine Hiülfe von der Negierung erwarten. 

„Berjuchen Sie den Inhalt diejes Befehls genau zu verjtehen und 
machen Sie ihn allen Offizieren und Mannfchaften gut bekannt, damit 
fie willen, was fie zu thun haben, 

(Ge) Mehemet Tewfik.“ 

Aın Abend brachte mir Tigrane Paſcha das Schreiben des Pre— 
mierminifterg Nubar Paſcha, welches Emin zurüdberuft. Nachdem 
mir dajjelbe vorgelejen war, wurde e3 verfiegelt. 

Die Sache liegt folgendermaßen. Junker glaubt nicht, daß Emin 
die Provinz aufgeben wird. Die Zeichner des Entjabfonds in Eng- 
land hoffen, daß er e3 nicht thun wird, Sprechen aber feine Meinung 
aus und überlafjen Emin die Enticheidung. Die engliiche Negierung 
würde e8 lieber jehen, wenn er ſich zurückzöge, da feine Provinz unter 
den gegenwärtigen Verhältniſſen fast unzugänglich ift und er in jo großer - 
Abgejchiedenheit jedenfalls Ursache zur Beſorgniß gibt. Der Khedive 
ſchickt in vorſtehendem Befehl Emin die Anweifung, unjere Begleitung 
anzunehmen, jagt aber: „Du kannſt thun, was du willft. Wenn du 
die von ums gebotene Hülfe ausichlägft, haft du Feine weitere Unter— 
ftügung von der Negierung zu erwarten.‘ Das Schreiben Nubar 
Paſcha's enthält die Wünjche der ägyptifchen Regierung, welche mit 


58 Zweites Kapitel. Aden 


denen der engliſchen Regierung, wie Sir Evelyn Baring ſie ausgeſprochen 
hat, übereinſtimmen. 

3. Februar. Reiſte von Kairo nach Suez ab. Auf dem Bahn— 
hofe hatten Sir Evelyn und Lady Baring, die Generale Stephenſon, 
Grenfell, Valentine Baker, Abbate Paſcha, Profeſſor Schweinfurth und 
Dr. Junker ſich eingefunden, um mir beiten Erfolg zu wünſchen. 
Dr. Sunfer und 61 judanefiiche Soldaten aus Wadi Halfa begleiteten 
mid. In es-Sakaſik jtieß Dr. T. H. Parke, welcher jegt ebenfalls enga— 
girtes Mitglied der Erpedition war, zu uns, und in Ismailia wurde 
unjere Gejellichaft noch durch Giegler Pascha vergrößert. In Suez 
trafen wir Herrn James S. Jamefon, den Naturforicher der Expe— 
dition. Herr Bonny und“ Baruti werden morgen mit dem Dampfer 
„Garonne“, von der Orient-Linie, eintreffen. 

6. Februar. Frühſtückte bei dem Agenten der Britiſch-Indiſchen 
Dampfichiffahrts- Gejellichaft, Kapitän Beyts. Um 2 Uhr nachmittags 
ichiffte fich derjelbe mit uns auf dem „Rob Roy‘, einem neuen für 
ihn gebauten Dampfer, ein, und wir dampften nach dem Hafen von 
Suez, wo der von London gefommene Dampfer „Navarino‘ vor 
Anker lag. Um 5 Uhr nachmittags trat der „Navarino‘ Die Reiſe 
nad) Aden an, nachdem Kapitän Beyts und mein guter Freund Dr. 
Sunfer, dem ich jeines wirklichen Werthes wegen jehr liebgewonnen 
habe, uns nochmals ihre beiten Wünjche mit auf den Weg gegeben 
hatten. 

8. Februar. Das Wetter wird warn. Das Thermometer in 
der Kapitänsfajüte zeigt um 8 Uhr früh 19° R. Mein europätfcher 
Diener fragt mich, ob es das Rothe Meer jei, durch) welches wir 
fahren. „Ja“, erwidere ich. „Nun, Herr, das fieht mehr wie das 
Schwarze als wie das Nothe Meer aus“, ijt jeine tieffinnige Be— 
merkung. | 

12. Februar. Grreichten Aden um 2 Uhr nachmittags. Wir 
wechſeln hier den Dampfer; der ‚„Navarino‘ geht nad) Bombay, der 
„Oriental“ bringt uns nad Sanfibar. An Bord des letztern Dampfers 
trafen wir Major Barttelot. Ich ſchicke folgendes Telegramm nad) 
Sanfibar: 


Madenzie, Sanjibar. 


Ihr Telegramm ſehr befriedigend. Engagiren Sie gefälligit 20 junge Burichen 
als Dffiziersdiener zu geringerm Lohne, als die Männer erhalten. Wir fahren 
mit 8 Europäern, 61 Sudanejen, 2 Syriern, 13 Somali heute ab. Rüſten Sie 
den Transportdampfer dementiprechend mit Proviant aus. 


22. Febr. 1887.) Aegypten und Sanfibar. 59 


Unter den Paſſagieren der erjten Kajüte befinden fich außer mir 
Barttelot, Stairs, Jephſon, Nelfon, Parke, Bonny und Graf Pfeil 
mit zwei deutjchen Gefährten, welche nach dem Aufidjifluffe reifen. 

19. Februar. Trafen um 3 Uhr nachmittags auf der Höhe von 
Lamu ein. Bald darauf fam der Dampfer „Bagdad“ an, auf wel- 
chem fich der öſterreichiſche Reiſende Dr. Lenz befand, welcher fich zu 
Emin Bey hatte begeben wollen und, als ihm dies nicht gelungen war, 
ftatt dejjen quer herüber nad Sanfibar gefommen war. Er iſt auf 
der Heimreiſe begriffen. 

20. Februar. Kamen in Mombas an, wo ich erfuhr, daß fürz- 
lich zwifchen den Galla und Somali eine große Schlacht geichlagen 
worden jei. Die erjtern find für die Deutjchen, die Teßtern geſchwo— 
rene Feinde derjelben. Wir hören auch, da Portugal Sanfibar den 
Krieg erklärt hat oder etwas Aehnliches. 

Die beſte Stelle für eine kaufmänniſche Niederlaffung befindet 
fih zur rechten Seite der nördlichen Einfahrt an der erjten Spike 
innerhalb des Hafens; letztere ift felfig und fällt teil ab im tiefes 
Wafler, wo Holz am Fuße des Felſens vorbeitried. Mit am Rande 
des Felſens aufgeftellten langarmigen Krahnen künnten Dampfer be- 
quem die Waaren laden und Löfchen. Kofospalmen find im Ueberfluß 
vorhanden. Von der Spike hat man einen hübjchen Blick auf die See 
hinaus. Wenn Mombas ein englischer Hafen werden follte, was 
hoffentlich bald gejchehen wird, würde die bejte Lage für eine neue 
Stadt längs eines der See zugefehrten Felſens auf einer Inſel fein, 
gerade da, wo der alte portugiefiiche Hafen ift. Eine leichte Eijen- 
bahn und einige Maulthiere zum Ziehen würden die Güter auf Wag- 
gons vom Hafen weiter befördern. 

22, Februar. Ankunft in Sanfibar, wo Generalconjul Holm: 
wood uns in herzlicher Weiſe Gajtfreundichaft anbot. 

Beauftragte die Offiziere, fi an Bord unfers Transportdampfers 
„Madura“, von der Britiich-Indischen Dampfichiffahrts-Gejellichaft, zu 
begeben und die Aufjicht über die Somali und Sudanejen zu über: 
nehmen, und wies Madenzie an, 40 Ejel und Sättel von dem „Mas 
dura‘ wieder zu landen, da wir wegen der veränderten Route nicht 
mehr jo viele Thiere gebrauchten. 

Erhielt Grüße von dem Sultan von Sanfibar und Befuche von 
dem berühmten Zippu-Tib, Djaffar, einem Sohne von Tarja Topan, 
jeinem Agenten, und vom Kandji, dem Wekil (Vertreter) von Tarja. 

Sanfibar hat fich während meiner achtjährigen Abwejenheit etivas 


60 Bweites Kapitel. [Sanfibar 


verändert. Man hat jet ein Telegraphenfabel, einen hohen Glocken— 
thurm, einen neuen Balaft des Sultans, ein jehr hohes, weithin fichtbares 
Gebäude mit breiten Veranden. Das Zollgebäude ift vergrößert worden. 
General Lloyd Mathews hat eine neue Kaſerne erhalten; die Pro— 
menade nach „Fiddler's Grave‘ ift zu einer breiten Fahrjtraße erwei— 
tert worden, welche fi bis zum Palaſt des Sultans jenjeit Mbueni 
ausdehnt. Man hat Pferde und Wagen, Dampfwalzen, Zaternenpfähle, 
welche in paljenden Entfernungen voneinander aufgejtellt find und 
Dellampen zur Erleuchtung des Weges tragen, wenn Se. Hoheit von 
einem ländlichen Ausfluge nad) der Stadt zurückehrt. 

Im Hafen Liegen ſechs deutiche Kriegsichiffe unter dem Befehl 
von Admiral Knorr, jowie die englischen Kriegsichiffe „Turquoiſe“ 
und „Neindeer‘, zehn Handelsdampfer und einige Dußend arabijcher 
Dhaus, Baggalas, Kandjehs und Boote, 

23. Februar. Machte Sr. Hoheit eine fogenannte Staatsvifite, 
Als bejondere Ehrenbezeugung waren die Truppen unter dem dicken 
General Lloyd Mathews in zwei Reihen von etwa 300 m Länge 
aufgeftellt. Eine ziemlich gute Militärfapelle begrüßte ung mit frie- 
geriichen Weifen, während mehrere hundert Einwohner fich hinter die 
Soldaten gedrängt hatten. Am häufigjten hörte ich, als ich mit Conſul 
Holmmwood durch die Menge paffirte, die Worte: „Ndio huju“ — 
„sa, das ijt er‘, woraus ich Schloß, daß fi) unter der Menge eine 
große Zahl meiner frühern Begleiter befand, welche mich ihren Freun— 
den zeigten. 

Staatsvifiten find fich faſt immer gleich: das Commando des Ge- 
neral® Mathews „Präſentirt's Gewehr!” die friegeriichen Weiſen, die 
Itarfen Gruppen hervorragender Araber unter den Bogen der Borhalle, 
der Aufftieg auf der hohen, breiten Treppe, an deren oberjter Stufe 
der Sultan steht, die feierliche Berbeugung, der herzliche Händedrud, 
das Begrüßungswort, das höfliche Winfen mit der Hand als Einladung 
zum Eintreten, der langjame Marjch nach dem Throne, die nochmalige 
Berbeugung nach allen Seiten, das Plabnehmen des Fürſten, zum 
Zeichen, daß man dieſem Beifpiel folgen darf, die gereichten Er— 
friichungen, Scherbet nach dem Kaffee, einige Bemerkungen über Europa 
und das gegenjeitige Wohlbefinden. Dann der ceremoniöſe Abjchied, 
nochmals die friegeriichen Weifen, das mit jonorer Stimme gegebene 
Commando des Generals „Präſentirt's Gewehr!” und wir verlafen 
den Schauplab, um unsern Iondoner Gejellichaftsanzug abzulegen und 
ihn mit Kampher zum Schuge gegen die Motten einzupaden, bis wir 


23, Febr. 1887.) Aegypten und Sanfibar. 61 


nad jahrelangen Märjchen „durch den dunfeln Welttheil“ und „aus 
dem dunfeljten Afrika‘ zurückkehren. 

Nachmittags ftattete ich dem Sultan einen gejchäftlichen Beſuch 
ab umd übergab ihm zunächſt das folgende Empfehlungsichreiben: 


An Se. Hoheit Seyid Bargaſch ben Said, 
Sultan von Sanfibar. 


Burlington Hotel, 
Old Burlington Street, London, W. 
28. Januar 1837, 
Eure Hoheit! 


Ih darf feine weitere Pot abgehen laſſen, ohne Ihnen ſchriftlich meine 
innigite Dankbarkeit auszufprechen für Ihre freundliche Anttvort auf mein Telegramm 
bezüglich der Unterjtügung der Erpebition, welche unter der Führung von Herrn 
H. M. Stanley zum Entjage Emin Paſcha's abgeht. Das herzliche Entgegen- 
fomnten, mit dem Sie Jhre Offiziere angewiefen haben, bei der Auswahl der 
tüchtigften Leute behüfflich zu fein, ift in der That ein der Erpedition geleifteter 
fehr wichtiger Dienst, und ich weiß jehr genau, daß derſelbe in England große 
Befriedigung hervorgerufen hat. Herr Stanley wird in ungefähr vier Wochen 
in Sanfibar eintreffen. Er ift als Führer der interejlanten Erpedition voll En- 
thuſiasmus; feine Hauptgründe für die Wahl der Kongo-Route beftehen darin, daf 
er im Stande jein dürfte, die Leute, bei deren Bejorgung Eure Hoheit in jo 
freundlicher Weije mitgewirkt haben, ohne Strapazen und Gefahr über See nad) 
dem Kongo zu bringen, und dab bdiefelben friih und fräftig, anftatt durch die 
Beſchwerden eines langen Landmarjches erichöpft und abgemattet ungefähr 600 km 
von dem Endziele eintreffen werden. Er wird feine Dienjte während des ganzen 
Verlaufes der Erpedition nur Ddiefer widmen und kann von feinem Wege nicht 
abweichen, um Dienjte für den Kongoſtaat zu thun, 

Bermuthlich wird er auf dem Rückwege die Route nad) der Oftfüfte einjchlagen, 
und da ich weiß, daß ihm die Profperität und die Wohlfahrt Eurer Hoheit aufs 
tieffte am Herzen liegt, jo bin ich überzeugt, da wenn er auf dem Rückmarſch 
nad) der Küſte Eurer Hoheit irgendwelche Dienſte leiften kann, er dies mit Freuden 
thun wird. Ich habe ſehr viele Unterredungen mit ihm gehabt und ftets gefunden, 
daß er den ntereffen Eurer Hoheit fehr freundlich gejinnt war. Ich glaube auch, 
daß unſer gegenjeitiger guter Freund Vertrauen verdient, und bitte Sie unter diejen 
Umftänden Herrn Stanley über alle Punkte eingehend Mittheilungen zu machen, 
jo eingehend, als wenn ic) die Ehre hätte, jelbjt dort zu fein und die Mittheilungen 
entgegenzunchmen. 

Mit der wiederholten Verfiherung meiner herzlichiten Sympathie in allen 
die Intereſſen Eurer Hoheit betreffenden Angelegenheiten verbleibe ic) 


Ihr ganz gehoriamer Diener und Freund 
W. Madinnon. 


Wir beſprachen dann eifrig unſere Gejchäfte,; wie abjolut noth— 
wendig es fei, daß er raid) ein Abkommen mit den Engländern inner- 
halb der von dem Engliſch-Deutſchen Vertrage feſtgeſetzten Grenzen 


62 Zweites Kapitel. [Sanfibar 


treffe. Es würde mich zu weit führen, die Einzelheiten der Unter: 
redung zu jchildern, ich erhielt aber von ihm die erwünſchte Antwort: 


So Gott will, werden wir zu einer Vereinbarung fommen. Sobald Sie die 
Papiere fertig haben, werden wir fie lefen und ohne weitern Verzug unterzeichnen ; 
damit ift die Sache zu Ende. 


Abends ſchrieb ich folgenden Brief an Emin Pajcha, um ihn am 
nächften Tage durch Eilboten, welche insgeheim den Marſch iiber Land 
durch Uganda nad) Unjoro machen, befördern zu laffen: 


An Se. Ercellenz Emin Paſcha, 
Gouverneur der Nequatorialprovinzen. 
Britiſches Conſulat in Sanfibar, 23. Februar 1887. 
Geehrter Herr! 

Ich habe die Ehre Ihnen mitzutheilen, daß die Regierung Sr. Hoheit des 
Khedive von Aegypten nach Empfang Ihrer Briefe, in welchen Sie dringend um 
Hülfe und Jnftructionen bitten, e8 für angebracht gehalten Hat, mic, mit der Aus- 
rüftung einer Erpedition zu beauftragen, welde nad Wabdelai gehen, Ahnen die 
Hülfe, welhe Sie nad) Anficht der Regierung brauchen, bringen und Ihnen in 
anderer Weile entiprechend den geichriebenen Jujtructionen, welche mir für Sie 
übergeben worden find, behülflich jein joll, 

Nachdem ich mid) aus der Durchficht Ihrer Briefe an die ägyptiſche Regierung 
ziemlich genau über die Beichaffenheit Ihrer Wünſche informirt hatte, ijt Die 
Erpedition in der Weiſe ausgerüftet worden, daß diejelbe allen ihren Bedürfniſſen 
genügen dürfte Wie Sie aus den an Sie gerichteten Schreiben Sr. Hoheit und 
des ägyptiſchen Premierminifters, die ich mitbringe, erjehen werben, ift alles, was 
zur Befriedigung Ihrer Bedürfniffe geichehen Ffonnte, mit Freuden gethan, Mus der 
Ueberjegung der mir übergebenen Briefe bemerfe ich, daß diejelben Ihnen außer: 
ordentliche Befriedigung gewähren werden. Es find mehr als 60 Soldaten aus 
Wadi Halfa beordert worden, mich zu begleiten, um die unter Ihren Befehlen ftehenden 
Soldaten zu ermuthigen und den Inhalt der Schreiben zu beftätigen. Wir marichiren 
aud unter der ägyptiſchen Flagge. 

Die Erpedition umfaßt 600 Eingeborene aus Sanfibar und wahrjcheinlich 
ebenjo viele arabiiche Begleiter aus Gentralafrifa. 

Morgen jegeln wir von Eanfibar nad) dem Kongo und am 18. Juni hoffen 
wir am oberften Ende der Schiffahrt auf dem Oberfongo zu fein. Die Entfernung 
von dem Punkte, wo wir uns ausichiffen, bis zum jüdlichen Ende des Albert-Sees 
beträgt in gerader Linie 620, auf dem Landiwege etwa 900 km, ſodaß wir ver- 
muthlih zu dem Mariche nach dem ſüdweſtlichen oder füdlihen Ende des Sees 
bis in die Nachbarſchaft von Kavalli 50 Tage brauchen werden, 

Wenn Ihre Dampfer in der Nähe jenes Ortes fein follten, werden Sie mir 
vielleicht in Kavalli oder dejien Umgegend Nachricht von Ihrem Aufenthalte zukommen 
laſſen fünnen. 

Die Gründe, welche mic gezwungen haben, für die Beförderung Ihrer Bor- 
räthe diele Route einzuichlagen, find verichiedener, hauptſächlich aber politiicher Art. 
Id Habe aucd den Eindrud, daß dieje Route mehr Sicherheit und größere Gewiß— 
heit auf den Erfolg unfers Unternehmens, jowie geringere Schwierigfeiten für 
die Erpedition und weniger Beläftigung für die Eingeborenen bietet. Muanga 


24. u. 25. Febr. 1887.) Aegypten und Sanſibar. 63 


it im Süden und Sübdoften ein ftarfer Gegner. Die Waledi und andere kriegeriſche 
Stämme im Djten von Fatiko bilden ein ernitliches Hinderniß, die Eingeborenen 
von Kiichaffa und Ruanda haben Fremden noch niemals den Eintritt in ihr Ge— 
biet gejtattet. Unterwegs erwarte ich nicht viel Schwierigkeiten, da es im Kongo— 
beden feine mächtigen Häuptlinge gibt, welche unſern Marich aufzuhalten fähig find. 

Außer Ueberflug an Munition für Jhren Bedarf, den officiellen Schreiben 
der ägyptiichen Regierung, einer ftarfen Poſt von Ihren zahlreichen Freunden und 
Bewunderern bringe ich Ausrüftungsgegenftände für Sie perjönlid, jowie für Ihre 
Dffiziere, dem Range eines jeden entiprechend, mit. 

In der Hoffnung, dab ich das Vergnügen haben werde, Sie wohl und ficher 
anzutreffen, und daß nichts Sie veranlaft, Ihr Leben und Ihre Freiheit in der 
Nachbarſchaft von Uganda voreilig aufs Spiel zu jegen, ohne die von mir escor— 
tirten ausreichenden Mittel zu haben, um fi und Ihren Leuten Achtung zu ver— 
Ichaffen, bitte ich Sie mich zu betrachten als 

Ihren ganz ergebenen 
Henry M. Stanley. 

24. und 25. Februar. Bei der Ankunft in Sanfibar fand ich, daß unser 
Agent, Herr Edmund Madenzie, alles jo wohl vorbereitet hatte, daß die 
Erpedition beinahe zur Einjchiffung fertig war, Der Dampfer „Madura“ 
lag im Hafen und war für die Reife mit Proviant und Waſſer ausge- 
rüftet; die Taufchwaaren und Laftthiere befanden fich am Bord. Indeſſen 
mußten noch einige Angelegenheiten erledigt werden, namentlich eine 
Bereinbarung mit dem berühmten Tippu-Tib über unjere gegenfeitige 
Stellung zueinander. Tippu-Tib ift heute ein viel größerer Mann 
als im Jahre 1877, wo er meine Karavane vor der Thalfahrt auf 
dem Kongo begleitete. Er hat fein jchwer erworbenes Vermögen in 
Waffen und Pulver angelegt. Abenteuerfüchtige Araber haben ſich 
unter feine Fahne geſchart, bis er jebt der ungefrönte König der 
Region zwiichen den Stanley Fällen und dem Tanganifa-Sce geworden 
iſt und viele Taufende an die Kämpfe und das wilde Leben am 
Hequator gewohnter Männer befehligt. Wenn ich feindjelige Abfichten 
bei ihm entdedte, dann beabfichtigte ich mich weit entfernt von ihm zu 
halten, denn wenn die Munition, welche ih Emin Paſcha zuführen 
jollte, von ihm erobert und benußt wurde, gerieth die Eriftenz des 
noch in jeiner Kindheit befindlichen Kongoftaates in Gefahr und waren 
alle unjere Hoffnungen bedroht. Zwiſchen Tippu-Tib und Muanga, 
dem König von Uganda, bejtand nur eine Wahl wie zwifchen der Brat- 
pfanne und dem ‘Feuer. Tippu-Tib war der „Sibehr‘ des Kongo— 
bedens und als Feind ebenjo gefährlich, wie letterer an der Spike 
feiner Sflaven gewejen wäre. Zwiſchen mir und Gordon mußte in 
Bezug auf das Berhalten unjern eigenen Sibehrs gegemüber ein Unter- 
Ihied gemacht werden; der meinige hatte gegen mich perjönlich feine 


64 Zweites Kapitel. £ [Sanfibar 


Abneigung, meine Hände waren frei, meine Bewegungen ungehindert. 
Ich jondirte deshalb Tippu-Tib am erjten Tage unter gehöriger Vor: 
ficht und fand, daß er für jede Eventualität, entweder mit mir zu 
fämpfen oder von mir angejtellt zu werden, vollftändig vorbereitet 
war. Ic wählte das leßtere und wir gingen ans Geſchäft. Ich brauchte 
feine Hülfe nit, um Emin Paſcha zu erreichen oder mir den Weg 
‚ weifen zu laſſen. Es gibt vier gute Straßen von Wadelai nad) dem 
Kongo; eine derjelben war in der Gewalt Tippu-Tib’3, die drei andern 
waren noch frei von ihm und feinen Myrmidonen. Allein Dr. Junker 
hatte mir mitgetheilt, daß Emin Paſcha im Beige von etwa 75 Tonnen 
Elfenbein jei. Ein ſolches Quantum Elfenbein würde, das Pfund zu 
8 Mark gerechnet, einen Werth von 1,200000 Marf repräjentiren. 
Die Betheiligung Aegyptens am Fonds zum Entjage Emin Paſcha's 
ift in Anbetracht der jchlechten Finanzen des Landes eine bedeutende; in 
diefem Quantum Elfenbein hatten wir möglicherweile das Mittel, um 
den Staatsſchatz wieder aufzufüllen, und behielten noc eine große 
Summe zur Dedung der Unkosten und vielleicht auch zu einem hübjchen 
Geſchenk für die überlebenden Sanfibariten übrig. 

Weshalb jollten wir nicht den Verſuch machen, diejes Elfenbein 
nad) dem Kongo zu befördern? Ich wünjchte deshalb Tippu-Tib und 
jeine Leute zu engagiven, damit fie mir bei dem Transport der Mu— 
nition zu Emin Paſcha und auf dem Rückwege beim Tragen des Elfen— 
beins behülffich jeien. Nach langem Feilichen ſchloß ich mit ihm 
einen Vertrag ab, nach welchem er fich verpflichtete, 600 Träger zu 
6 Pd. St. für jeden belafteten Mann und jede Rundreiſe von den 
Stanley Fällen nach dem Albert-See hin und zurüd zu liefern. Auf 
dieſe Weife würde, da jeder Mann 70 Bund Elfenbein trägt, jede 
Aundreije dem Fonds die Summe von 13200 Pd. St. netto an den 
Stanley- Fällen zuführen. 

Nah Abſchluß diejes Vertrages, der in Gegemvart des englischen 
Generalconjuls vereinbart wurde, brachte ich im Namen Sr. Daj. des 
Königs Leopold bei Tippu-Tib einen andern Gegenitand zur Sprache. 
Ich hatte die Station Stanley: zälle im December 1883 angelegt; ſpäter 
ift diejelbe von verjchtedenen Europäern befeftigt worden, und es war 
Herrn Binnie und dem ſchwediſchen Lieutenant Weſter gelungen, fie zu 
einer geordneten und anjehnlichen Niederlaflung zu machen. Sein Nach— 
folger Kapitän Deane gerieth mit den Arabern in Streit und ftedte 
bei jeiner zwangsweiſen Abreife von dem Schauplage jeiner Thätig— 
feit die Station in Brand. Der Zwed bei Anlegung der Station 


24. u. 25. Febr. 1887.) Aegypten und Sanfibar. 65 


war gewejen, die Araber an der Fortſetzung ihrer verwüftenden 
Thätigfeit unterhalb der Fälle zu verhindern, weniger durch Gewalt, 
als durch Takt, oder eigentlih durch eine glüdliche Vereinigung 
beider. Durch den Rüdzug der Beamten des Kongoftantes von den 
Stanley Fällen wurden die Schleufen geöffnet und die Araber drängten 
flußabwärts. Da ZTippu-Tib jelbjtverftändlich der leitende Geift der 
Araber weitli vom Tanganifa-See war, fo war es rathjam, zu ver- 
juchen, wie weit man ſich feiner Hülfe verfichern könne, um diefen 
Strom der Araber an der Zerftörung des Landes zu hindern. Nach 
Austausch telegraphifcher Depefchen mit Brüffel am zweiten Tage 
meine® Yufenthalt® in Sanfibar unterzeichnete ich mit Tippu-Tib 
einen Vertrag, in welchem diefer zum Gouverneur der Stanley-Fälle 
gegen ein regelmäßiges Gehalt ernannt wurde, das monatlich zu Händen 
des englijchen Generalconjul3 in Sanfibar ausgezahlt werden follte. 
Seine Pflicht wird hauptfähli in der Vertheidigung der Stanley: 
Fälle im Namen des Staates gegen alle Araber und Eingeborenen 
beftehen. Die Station wird die Flagge des Kongoftaates führen. 
Unter allen Umftänden joll er jeden, der auf dem Gebiete Raubzüge 
auf Sflaven unternimmt, angreifen und gefangen nehmen und alle 
größern Trupps, welche im gerechtfertigten Verdacht gemwaltthätiger 
Zwede ftehen, vertreiben. Er muß fich ſelbſt unterhalb der Fälle 
jeglichen Sflavenhandels enthalten und auch alle unter feinen Befehlen 
Stehenden an dieſem Gejchäft verhindern. Zur Sicherftellung der ge- 
treuen Ausführung dieſes Vertrages wird ein europäticher Offizier zum 
Refidenten an den Fällen ernannt. Sobald eine Verlegung irgendeines 
Artifels des Vertrages gemeldet wird, hört die Zahlung des Gehalts auf. 

Während ich mit diefen Berhandlungen bejchäftigt war, Hatte 
Herr Madenzie inzwiichen den für die Entjaherpedition angewor- 
benen 620 Männern und Knaben einen Vorſchuß auf vier Monate, 
insgefammt 12415 Dollars, ausbezahlt, und jobald ein Trupp von 
50 Perſonen feine Zahlung in befriedigender Weife erhalten Hatte, 
wurde ein Leichter herangeholt, der die Leute aufnahm und dann 
von einer Dampfbarkaſſe nad) dem Transportdampfer gejchleppt wurde. 
Um 5 Uhr nadjmittags waren alle Mann an Bord, worauf ber 
Dampfer nach einem entferntern Anterplage hinausfuhr. Gegen Mitter: 
nacht befanden ſich Tippu-Tib und feine Leute, jowie jeder, der jonft 
noch zur Expedition gehörte, am Bord und mit Tagesanbruch wurde 
am folgenden Morgen, dem 25. Februar, der Anker gelichtet und 
wir dampften nad) dem Gap der Guten Hoffnung ab. 


Stanlen, Im dunkelſten Afrika. I. 5 


66 Zweites Kapitel. (Sanfibar 25. Febr. 1887.] 


Bis jo weit hatte jich bei den Arrangement3 noch feinerlei Hin- 
derniß gezeigt; die Schwierigfeiten wurden wie von Zauberkraft geebnet 
und jeder hatte den höchjten Eifer gezeigt und prompt die gewünjchte 
Hülfe geleistet. Die Offiziere der Erpedition waren vom Morgen bis 
zum Abend mit der ſchwierigen Aufgabe, die Munition für die Truppen 
Emin Paſcha's umzupaden, vollauf bejchäftigt. 

Bevor ich diefe Bemerkung ſchließe, möchte ich noch der Libe- 
ralen Unterftügung gedenfen, welde Sir John WBender und Die 
Eajtern Telegraph Company unjerer Entjat-Erpedition haben zutheil 
werden lajjen. Alle meine Telegramme aus Aegypten, Aden und San- 
fibar, die ſich zuſammen auf mehrere hundert Worte beliefen, wurden 
föftenfrei befördert, und da jonjt jedes Wort von Sanfibar nad) Europa 
8 Schilling foftet, jo fann man fic) einen Begriff von dem pecuniären 
Werthe der ung erzeigten Gefälligfeit machen, Bei meiner Rückkehr 
aus Afrifa wurde mir diejes große Privilegium aufs neue zutheil, und 
da ich mehrere Tage täglich Dugende von Telegrammen, auf welche 
man Antwort erwartete, erhielt, jo würde ich für die glüdliche Be- 
freiung Emin Paſcha's bald theuer haben bezahlen und meine auf- 
regende Laufbahn vermuthlich vor dem Banfrottgericht haben enden 
müjjen, wenn Sir John Pender und Sir James Anderfon mich nicht 
raſch beruhigt hätten. Unter den Namen derjenigen, welche zu dem 
Entjaßfonds einen jehr hochherzigen Betrag gezeichnet haben, darf ich 
deshalb mit Necht auch die von Sir John Pender und Sir James 
Anderjon für die Eajtern Telegraph Company aufführen. Ferner muß 
ich noch erwähnen, daß diejelben fich erboten, mir den Kabeldampfer 
in Sanfibar zu leihen, um meine Trägertruppe und Soldaten nad) 
dem Kongo zu befördern, für den Fall, daß wir bei der Charterung 
des Dampfers „Madura‘ mit der Britiich-Indischen Dampfichiffahrts- 
Geſellſchaft Schwierigkeiten gehabt hätten. 


Drittes Rapitel. 


Zur See nad) dem Kongo. 


Der Sultan von Sanfibar. — Tippu-Tib und die Stanley- Fälle. — An Bord 
des Dampfers „Madura”. — Ein „Schindi“ zwiichen Sanfibariten und Sudanefen. 
— Skizzirung meiner Offiziere. — Tippu-Tib und Gapftadt. — Ankunft an ber 
Mündung des Kongo. — Antritt der Fahrt den Kongo aufwärts. — Beſuch von 
zwei Mitgliedern des Erecutivcomite des Kongoftaates. — Unangenehme Gedanten. 


Folgender Privatbrief an einen Freund gibt Aufklärung über 
einige Dinge von allgemeinem Intereſſe: | 
Dampfer „Madura“, 9, März 1887. 
In der Nähe des Cap der Guten Hoffnung. 
-Mein lieber — 

Außer dem Inhalt der Schreiben an die Preſſe, welche zu Gunsten 
des Entjaßfonds veröffentlicht werden follen und alles das enthalten, 
was das Publikum gerade jeßt willen jollte, habe ich Ihnen und an— 
dern Freunden noch einiges zu jagen. 

Der Sultan von Sanfibar empfing mi mit ungewöhnlicher 
s5reundlichkeit, die ich zum großen Theile der Einführung durch Herrn 
William Madinnon und Sir John Kirk verdanfe. Er ſchenkte mir 
einen ſchönen Säbel, meiner Anficht nad) eine Schirafisftlinge, reich 
mit Gold ausgelegt, und einen prachtvollen Diamantring, welcher die 
Augen Tippu-Tib's feucht erglänzen ließ. Bei dem Säbel befindet 
fi) der goldene Gürtel Sr. Hoheit, deſſen Schnalle feinen Namen in 
arabiichen Buchſtaben trägt. Derjelbe wird mir, wenn id) mit Arabern 
zujammenfomme, von Nugen jein als ein Beweis von dem guten 
Einvernehmen zwiſchen dem Fürſten und mir; und wenn ich die ägyp- 
tiichen Offiziere, von denen manche vermuthlich ungebildet find, erreiche, 
müſſen fie den Säbel als Zeichen anerfennen, daß wir feine Händler find. 

Aus den Zeitungen werden Sie erjehen haben, daß ich 61 ſuda— 
nejiiche Soldaten mitgenommen habe. Der Zwed hiervon it, daß fie 


5* 


68 Drittes Kapitel. [Cap d. Guten Hoffnung 


zu den Sudanejen in Aequatoria für mich jprechen jollen. WBielleicht 
werden die Aegypter fich jtellen, als glaubten fie nicht an die Fermans 
und die Schreiben Nubar’s, in welchem Falle diefe Sudaneien als 
lebendige Beweife meines Auftrags vorgeführt werden follen. 

Ic habe in Eanfibar mehrere fleine Aufträge in befriedigender 
Weife erledigt. Der eine bejtand darin, den Sultan zur Unterzeichnung 
der Conceifionen zu veranlafjen, welche Madinnon jchon vor langer 
Beit vergeblich zu erhalten verjucht hat. Da die Deutſchen weſtlich 
von Sanfibar präcjtiges Gebiet bejigen, war es nicht mehr als gerecht, 
daß England für den Schuß, den es feit 1841 Sanfibar hat an— 
gedeihen laſſen, ebenfalls jeinen Theil erhielt. Die Deutichen jcheinen 
dies auch eingejehen zu haben, wie Sie aus der kürzlich abgeſchloſſenen 
englifchedeutjchen Vereinbarung bemerken werden. Frankreich hat bereits 
ein ungeheueres Areal in Weftafrifa erhalten. Die ganze Welt hat 
der Conjtituirung des Dominium des Königs Leopold, für welche er 
eine Million Pfd. St. verausgabt hat, als unabhängigen Kongojtaat 
zugeftimmt. Portugal, das ewig misvergnügt ift und wenig thut 
und das Wenige auch nur in hochfahrender, engherziger Weife, ift 
ebenfall$ von den Mächten gnädigft bedacht worden; nur England, 
welches jeine Foricher, Livingſtone, Burton, Speke, Grant, Baler, 
Keith Johnſton, Thomjon, Elton u, ſ. w., ausfandte, hat nichts be- 
fommen, obwol wahrjcheinlich Fein anderes Land ein folches Intereſſe 
an dem dunfeln Welttheil genommen und folche Opfer für die Ein- 
geborenen gebracht hat wie England, Seine Streuzer haben während 
der legten 20 Jahre an den Küften des Oceans die Seepolizei aus: 
geübt, um den Sflavenhandel zu unterdrüden, die Zahl feiner Miffionen 
zwijchen Oſt- und Wejtafrifa beträgt 22. Die Conceffion, welche wir 
zu erhalten wünfchten, umfaßte einen Theil der ojtafrifanifchen Küfte, 
wovon Mombas und Malindi die wichtigften Städte waren. Soviel 
ic) weiß, hat die Angelegenheit Sr. Hoheit bereit3 acht Jahre vor- 
gelegen, doch war die Unterjchrift des Sultans jchwer zu erlangen. 

Bei der Anfunft in Sanfibar fand ich, daß der Sultan gealtert 
war und nicht lange mehr zu leben hatte.* Die Engländer konnten 
in der vorbehaltenen „Intereſſenſphäre“ feine Kapitalien anlegen, bis 
einige jolcher Conceſſionen unterzeichnet waren. 

„Wenn e8 Gott gefällt, werden wir zu einer Vereinbarung kom— 
men‘, fagte der Zultan, „daran fann weiter fein Zweifel fein.‘ Allein 


* Eenid Bargaſch iſt ſechs Monate ipäter geftorben. 


9. März 1887.) Zur See nad) dem Kongo. 69 


jeine politischen Sorgen reiben ihn rajch auf, und wenn dieſe An— 
gelegenheit nicht bald zu Ende geführt wird, wird es zu jpät fein. 
Die andere Angelegenheit betraf Tippu-Tib. Derjelbe hatte that- 
jächlich drei ungeladene Krupp'ſche Granaten im Beſitz, welche er von 
den Stanley Fällen am Oberfongo nad Sanfibar mitgebracht Hatte, 
um jeinen Freunden die Art der Geſchoſſe zu zeigen, mit denen die 


AUT en Du 


— 
— 





Tippu = Tib. 


Belgier feine Niederlaffungen bombardirten. Er war außerordentlich 
zornig und brütete im Innern über Wiedervergeltungsplänen. Ich 
brauchte längere Zeit, um die Ausbrüche feines Zorns zu bejänftigen. 
Wüthenden Leuten muß man Zeit lafjen, um ihrem Aerger Luft zu 
machen. Als er eine Zeit lang jeinem Unwillen Ausdrud gegeben 
hatte, fragte ich ihn in aller Ruhe, ob er nun fertig jei, und jagte 
ihm in milden Tome, ich wiſſe jehr gut, wie groß und mächtig er 


70 Drittes Kapitel. [Cap d. Guten Hoffnung 


ſei u. ſ. w. Dann bemerkte ich, es jei faum gerecht, allen Europäern 
und dem König Leopold einen Vorwurf zu machen, weil es einem 
Offizier an den Stanley-zällen beliebt habe, jeine Anfiedelungen mit 
Krupp’ichen Granaten zu bewerfen; die Schwierigkeit jei durch den 
Uebereifer eines Mannes bei der Vertheidigung einer Sklavin, welche 
feinen Schuß aufgejucht hatte, verurjacht worden, in derjelben Weife, 
wie jein Neffe Rajchid fich durch jugendliche Leidenſchaft habe hinreigen 
lajjen, jeine Rechte zu vertheidigen. „Der Gouverneur des Kongoftaates 
war mehr al3 2400 km flußabwärts entfernt, und Tippu-Tib, der 
Eigenthümer der Niederlajjungen, befand fich viele hundert Kilometer 
oftwärts auf dem Wege nad) Sanfibar. Nun, ich betrachte die An— 
gelegenheit als die Folge eines Streites zwiſchen einem jungen Weißen 
und einem jungen Araber. Die Grauföpfe, welche den Streit ohne 
Kampf entjchieden haben würden, waren abwejend, aber die Jugend 
will befanntlich immer ihre Kraft mefjen. 

„Willen Sie‘, fuhr ich fort, „daß die Station‘ ung fehr viel 
Schwierigkeiten bereitet Hat? Wie Sie fih erinnern werden, jchidten 
wir Amelot hin. Kaum hatte er die Station ohne Befehl verlaffen, 
al3 er irgendwo in der Nähe von Njangwe ftarb. Der nächite, der 
Schwede Gleerup, folgte jeinem Beiſpiel und marjchirte quer durd) 
Afrika; dann ſchickten wir Deane, der zur Abwechſelung Krieg mit den 
Arabern haben wollte. Dem König Leopold ift wegen alles deſſen fein 
Borwurf zu machen. Es ift jchwer, Leute zu finden, welche jtet3 weije 
handeln und immer vollftändig begreifen, wie ihre Befehle lauten. 
Hätte König Leopold Deane Hingefchikt, um Krieg mit Ihnen zu 
führen, dann würde er ihn, davon fünnen Sie überzeugt fein, nicht 
mit nur 30 Mann gejfandt haben. 

„Run merken Sie auf. Er jchlägt Ihnen den Verſuch vor, jene 
Station mit eigener Hand zu regieren; er wird Ihnen jeden Monat 
dafjelbe bezahlen, was ein europäiſcher Offizier erhalten würde. Jedoch 
gibt es gewilje kleine Bedingungen, welche Sie erfüllen müſſen, ehe 
Sie Gouverneur werden.‘ 

Tippu-Tib ſchlug die Augen auf, bewegte diejelben rajch, wie 
er zu thun pflegt, und fragte: „Ich?“ 

„sa, Sie. Sie lieben das Geld; ich biete Ihnen Geld. Sie 
grollen darüber, daß dort Weiße find; nun, wenn Sie Ihre Pflicht 
richtig erfüllen, dann braucht man dort feine Weißen mehr, außer dem 
Einen, welchen wir unter Ihrem Befehl dorthin ſchicken müſſen, um 
zu jehen, daß nicht gegen die Bedingungen verjtoßen wird.‘ 


4, März 1887.) Zur See nad) dem Kongo. 11 


„Run, worin bejtehen dieſelben?“ 

„Sie müflen die Flagge des Kongoftaates aufhiſſen. Sie müſſen 
einem Aefidenten, der Ihre Berichte an den König fchreiben wird, ge: 
ftatten, bei Ihnen zu bleiben. Sie dürfen weder Sklavenhandel treiben, 
noch irgendjemand erlauben, unterhalb der Stanley: Fälle mit Sklaven 
zu handeln. Ebenjo darf, wie Sie begreifen werden, feine Sflavenjagd 
ftattfinden. Dagegen fünnen Sie mit Elfenbein, Gummi, Guttapercha, 
Vieh und allen andern Dingen fo viel handeln, wie es Ihnen beliebt. 
Es darf aber unterhalb Ihrer Station fein den Eingeborenen gehören- 
des EigenthHum irgendwelcher Art geplündert werden. Ihr Monats: 
gehalt wird an Ihren Agenten in Sanfibar ausgezahlt werden. Geben 
Sie mir nit fofort eine Antwort, fondern gehen Sie hin und be- 
rathen Sie fi) mit Ihren Freunden und denken Sie darüber nad), 
was ich Ahnen biete. Mein Schiff jegelt in drei Tagen. Bringen 
Sie mir morgen Ihre Antwort!‘ 

Da die Antwort günftig lautete, wurde von dem Generalconjul 
ein paſſender Vertrag aufgejegt, den wir beide unterzeichneten. 

Eine weitere Vereinbarung traf ich mit ihm bezüglich der An— 
werbung von Trägern, welche die Munition vom Kongo nad) dem 
Albert-See befördern jollen. Gibt es dort fein Elfenbein, dann werde 
ic Tippu-Tib die Summe von 3600 Pfd. St. ſchulden. Es muß aber 
Elfenbein dort jein, da Emin Paſcha und Dr. Junker beide behaupten, 
es jei ein großer Vorrath davon da. Indeſſen möchte ich des Elfenbeins 
wegen die Erpedition nicht in Gefahr bringen. 

In Anbetracht diefer Dienfte, zu deren Leiftung Tippu-Tib fich 
feierlich verpflichtet hat, habe ich ihm für ſich und 96 feiner Begleiter 
freie Fahrt von Sanfibar nad) dem Kongo, einſchließlich Beköftigung, 
zugeftanden. Auch habe ich die Verantwortung übernommen, die ganze 
Truppe wohlbehalten nad) den Stanley: Fällen zu trangportiren, wo— 
durch ich nicht geringe Koften verurjacht habe, welche jedoch mit den 
in den einzelnen Artifeln des Vertrages erwähnten Dienften, wenn 
diejelben getreulich zur Ausführung gelangen, reichlich bezahlt werden. 
Diefe Verhandlungen mit Tippu-Tib fichern ung aud) einen friedlichen 
Marſch vom Kongo durch jein Gebiet, der ohne ihn feineswegs möglich 
geweſen wäre, da feine verichiedenen Horden von Beutejägern über ein 
weites Gebiet zeritreut fein werden und es faum wahrjcheinlich ift, daß 
fie in ihrem erflärlihen Nachegefühl wegen des jüngften Bruches mit 
Deane uns in Frieden paffiren laſſen würden. Nachdem ich mir Tippu- 
Tib verpflichtet habe, fühle ich mich einigermaßen ficher vor der be- 


12 Drittes Kapitel. (Cap d. Guten Hoffnung 


jtändig zu befürchtenden Defertion der Sanfibariten. Jetzt wird fein 
Araber die Leute überreden, davonzulaufen, wie fie e8 jonjt zu thun 
pflegen, wenn die Erpedition eines Weißen in der Nähe ihrer Nieder- 
lafjungen vorbeifommt. Tippu-Tib darf ein ſolches Verfahren jebt 
nicht billigen. 

Der „Madura“ ijt ein bequemer Dampfer, während der „Orien- 
tal’ und der „Navarino‘ in unangenehmer Weife überfüllt wareı. 
Das Zwiſchendeck quer ab von den Keſſeln ift für die Leute aller: 
dings ein ziemlich Heißer Naum, allein wir haben angenehmes 
Wetter umd fie ziehen es daher vor, anftatt in der Brathige unter 
Ded in den Booten, zwiichen den Ejeln und auf Ded fich fchlafen 
zu legen. 

Zwei Stunden nad) der Abfahrt von Sanfibar fand ein fogenanntes 
„Schindi“ zwifchen den Sanfibariten und Sudanejen jtatt, und furze 
Zeit jchien es, als ob wir mit vielen Todten und Verwundeten würden 
nad) Sanfibar zurücfehren müſſen. Der Kampf entitand aus einen 
Streit um den Raum. Die Sudanejen waren Direct neben ben 
Sanfibariten untergebracht worden, die, weil fie um das Zehnfache 
zahlreicher waren, Pla zum Athmen gebrauchten. Sie waren ſämmt— 
lid) Bekenner des Islam, allein kein einziger dachte an feine Religion, 
als fie Brennholz und Stüde von Planfen ergriffen, um aufeinander 
loszujchlagen und zu prügeln. Die Schlacht hatte bereit3 einige Zeit 
gedauert, ehe ich davon hörte. Als ich in die Luke Hinabjah, bot ſich 
mir ein fürchterlicher Anblid; das Blut floß in Strömen an den Ge— 
fichtern von Dubenden von Leuten herab, und es flogen jehr lebhaft 
gewaltige Brennholzftüde umher. Befehle waren in diefem Aufruhr 
wicht zu hören, jodaß fich einige von uns jelbjt mit mitteln am dem 
Kampfe betheiligten, wobei wir unjere Angriffe auf die lautejten 
Schreier richteten. Es bedurfte unſerer ganzen Ueberredungskunſt in 
Verbindung mit jcharfen Hieben, um die ftreitbaren Parteien zur 
Ordnung zu bringen, namentlich bei der judanefiichen Minorität, welche 
aus großen Burjchen befteht. Die Sudanejen wurden aus ihrem Winkel 
fortgetrieben und hinten untergebracht, während die Sanfibariten Die 
ganze vordere Hälfte des Schiffes für fich behielten. Nachdem wir 
uns von Blut und Schweiß gereinigt hatten, beglüchwünjchte ich die 
Dffiziere, und befonders Jephſon, Neljon und Bonny, wegen des An— 
theils, den fie an dem Streit genommen hatten. Sie hatten ſich höchit 
wader benommen, Das NRefultat des Scharmügels find zehn Arm: 
brüche, funfzehn ernitliche Speerwunden im Gefiht und am Kopf, 


9. März 1887.) Zur See nad) dem Kongo. 13 


einige nicht nennenswerthe Verletzungen an den Schultern und am 
Rüden und verfchiedene Abjchürfungen an den untern Gliedmaßen. 

Dr. Parfe hat mit .dver Impfung der jämmtlichen am Bord be- 
findfichen Leute jehr viel zu thun gehabt. Glücklicherweiſe Hatte ich 
nad den früher gemachten böjen Erfahrungen zu diefem Zwede einen 
großen Vorrath von Lymphe bejorgt. 

Wir theilten unterwegs die Leute in 7 Compagnien von je etwa 
90 Mann ein. 

Ich Habe meinen Agenten beauftragt, 200 Laſten verjchiedener 
Waaren der Expedition nad) Mijalala am Südende des PVictoria-Sees 
entgegenzujchicen ; diefelben werden ungefähr im Detober oder November 
1887 abgehen und im ;Februar oder März 1888 in Mialala eintreffen, 
da wir, wenn alles nach meinen Wünſchen geht, nicht allzulange nach 
dem genannten Tage in der Nähe diejes Ortes eintreffen werden. 


— — — — — — — — — — — — — —— 


Seitdem ich von Aden abgereift bin, habe ich mich in Gejellichaft 
meiner Offiziere befunden und fie in der Stille beobachtet. ch werde 
Ihnen ſtizziren, wie diejelben mir bisjeßt vorgefommen find. 

Major Barttelot ift etwas zu eifrig umd muß gezügelt werden, 
Es ſteckt Ueberfluß von Arbeit in ihm, was eine höchit jchäßenswerthe 
Eigenichaft jein würde, wenn fie ſtets auf die ertheilten Befehle Rückſicht 
nähme. Am werthvofliten würde für mic) ein Mann jein, welcher Bart- 
telot'3 Muth und Trieb in fich hätte, aber mich fernen und fragen 
würde, ob diefe oder jene Arbeit nicht gethan werden müßte. Ein 
ſolches Berhalten erfordert Nachdenken und Bereitwilligkeit nebjt dem 
gehörigen Reſpect. 

In Mounteney Jephſon ſteckt jehr viel, obwol er für weibijch 
gehalten wurde. Er wird thatjächlich wild, wenn er gereizt wird, 
und feine Züge werden gefährlich feſt und bejtimmt. Ich beobachtete 
ihn während des jüngjten Kampfes an Bord und war nahe daran 
ihm „Bravo, Jephſon!“ zuzurufen, obwol ich felbjt meinen Knittel 
ſchwingen mußte, der, wie die Sanfibariten jagen, jo groß wie ein 
Maft if. Sein Verhalten war höchſt wader und muthig. Wenn er 
lange genug bei diejer Expedition bleibt, wird er entweder ganz tüchtig 
jein oder Schaden nehmen. 

Kapitän Nelfon ift ein guter Junge und ohne das Geipenit eines 
Stedenpferdes; er bleibt fich überall und zu jeder Stunde gleich. 

Staird, vom Föniglichen Ingenieurcorps, ift ein prächtiger Menſch; 


‚14 Drittes Kapitel. [Eapftadt 


er gibt fih Mühe, iſt bereitwillig, aufmerfjam und fleißig, ein un— 
ichäßbares Mitglied unſers Stabes. 
Jameſon ift noch immer der nette Burjche, der er früher war. 
In ihm Hat fic feine Spur verändert; er ijt verträglich und gut. 
Bonny ift Soldat. Er ift fein Neuling und fcheint fich unter 
der Fuchtel eines ftrengen Krieggmanns befunden zu haben. 


16. März 1887. 

In Gapjtadt jagte Tippu=Tib, nachdem er die Proiperität und 
das geichäftige Leben in der Stadt bemerkt und die Geichichte der: 
jelben von mir gehört hatte, er hätte früher geglaubt, daß alle Weißen 
Narren jeien. 

„Wirklich“, erwiderte ich, „weshalb denn?“ 

„Das war meine Anficht.‘ 

„sn der That! Und was Halten Sie jet von ihnen?‘ 
fragte id). 

„sch glaube, es ſteckt etwas in ihnen und fie find noch unter: 
nehmender als die Araber.“ 

„Was veranlaßt Sie, dies zu glauben, und namentlich jetzt?“ 

„Nun, ich und meine Freunde haben uns diefe Stadt, die großen 
Schiffe und Hafendämme angejehen und gefunden, um wie viel beijer 
diefe Dinge find im Vergleich zu denen in Sanfibar, das vor der 
Erbauung diejer Stadt von den Portugiefen erobert worden iſt, und 
ih habe mid) gewundert, weshalb wir es nicht ebenjo gut hätten 
machen fünnen, wie die Weißen. Ich fange an zu glauben, daß ſie 
jehr geicheit fein müſſen.“ 

„Wenn Sie das erft entdedt haben, Tippu-Tib, dann find Sie 
auf dem beiten Wege, noch mehr zu entdeden. Die Weißen müfjen 
erſt jehr viel ftudirt werden, ehe man dieſelben vollftändig zu be- 
greifen vermag. Schade, daß Sie niemals zum Beſuch nad England 
gefommen find.‘ 

„Ich Hoffe, vor meinem Tode noch hinzugehen.“ 

„Seien Ste uns auf diejer langen Reiſe treu, dann werde ich 
Sie hinbringen und Sie follen mehr jehen, als Sie fich jest träumen 
laſſen.“ 

„Inſchallah! Wenn es Allahs Wille iſt, werden wir zuſammen 
hingehen.“ 





16. März 1887.) Zur Sce nadı dem Kongo. 75 


Am 18. März lief der Dampfer „Madura” in die Kongomün— 
dung ein und ließ etwa 200 m gegenüber der jandigen Landſpitze, 
Banana genannt, den Anker fallen. 

Wenige Minuten ipäter befand ich mich bei Herrn Lafontaine 
Ferney, dem Hauptagenten der Holländifchen Gejellichaft, an den unſer 
Dampfer confignirt war. Infolge einer Verzögerung hatte Herr La- 
fontaine Ferney noch nicht erfahren, daß wir jchon jo früh einzutreffen 
beabfichtigten. Jeder jchien überrafcht zu fein, da man ung nicht vor 
dem 25. erwartet hatte, allein diejer glücliche Zufall war einzig und 
allein dem Kapitän und unferm guten Dampfer zu verdanken, In— 
dejjen gelang es mir, ein Abfommen zu treffen, nach welchem der der 
Holländiichen Gejellichaft gehörende Dampfer „K. U. Nieman‘, der 
nach einem netten, vor furzem in ©. Baolo de Loanda verftorbenen, 
jungen Manne benannt war, mir zur Beförderung von 230 Mann 
nah Matadi am nächiten Tage zur Verfügung gejtellt wurde. 

Bei der Rückkehr zum Schiffe ſah ich meine Offiziere zwei eng- 
liſche Händler umftehen, welche zur Britischen Kongo = Gejellichaft in 
Banana gehören. Diejelben erzählten unangenehme Dinge über den 
Zuftand der Dampfer des Kongoſtaates. „Dort am Lande liegt jeht 
ein Stüd von dem « Stanley», das Ihnen einen Begriff von dem 
Dampfer geben wird. Der «Stanley» ift, wie wir hören, vollftändig 
wrad. Aber wie wollen Sie vom Pool weiter fommen? Der Staat 
hat feinen einzigen Dampfer in Betrieb. Diejelben find ſämmtlich 
ans Ufer gezogen zur Reparatur, die Monate dauern wird. Wir 
begreifen nicht, wie Sie in weniger als ſechs Wochen von hier fort: 
fommen wollen! Schen Sie dort den großen Dampfer auf der Sand: 
banf! Derielbe ift joeben von Europa gefommen, der Narr von 
einem Kapitän ließ ihn auf den Strand laufen, anftatt auf den 
Lootjen zu warten. Das Schiff hat die einzelnen Theile eines 
Dampfers im Raum. Die beiden Staatsdampfer « Heron» und 
« Belgique» müſſen natürlich jenes Schiff erſt wieder abfchleppen. 
Sie find wirflid in einer netten Zage, das fünnen wir Ihnen ver: 
ſichern.“ 

Selbſtverſtändlich waren dieſe Nachrichten für unſere Offiziere 
höchſt entmuthigend, und zwei von ihnen beeilten ſich, auch mir den 
Troſt dieſer Unglücksbotſchaften zu bringen. Sie waren mit den 
Manieren der „Eingeborenen“ am Unterkongo nicht ſo wohlvertraut 
wie ich, und ich wunderte mich nur, daß ihre neuen Bekanntſchaften 
fie nicht höflich zur Begleitung nach dem Friedhofe aufgefordert 


76 Drittes Kapitel. (Kongomündung 


hatten, um die ausgezeichnete Genugthuung zu haben, ihnen die ge- 
malten hölzernen „Denkſteine“ zu zeigen, welche den Tod fo vieler 
prächtigen jungen Leute melden, die einft ebenſo viel verfprachen 
wie fie. 

Ich wandte mich an den Agenten der Britifchen Kongo-Geſellſchaft 
und bat ihn um die Erlaubniß, jeinen Dampfer „Albuquerque“ char- 
tern zu dürfen. Der Herr gab freundlichjt feine Zuftimmung, ſodaß 
ung Transportgelegenheit für 140 Mann und 60 Tonnen Yadung 
gefichert war. Dann bat ich ihn und jeine Freunde um ihre Ver— 
mittelung betreffs Charterung des großen Raddampfers „Serpa Pinto“, 
und da ihre Bemühungen vollftändig erfolgreich waren, wußte id) 
noch vor Abendwerden, daß wir Banana Point am nächiten Tage 
mit 680 Mann und 160 Tonnen Ladung verlafien würden. Der 
dem Staate gehörende Dampfer „Heron“ wirde, wie man mir jagte, 
nicht vor dem 20. abfahren können. 

Am 19. März verließen die Dampfer „K. A. Nieman“, „Albu— 
querque‘‘ und „Serpa Pinto“ Banana Point, und vor Abend waren 
diejelben bei Ponta da Lenha verankert. Am nächiten Tage fuhren die 
erjtern beiden Dampfer direct hinauf nad) Matadi, während der „Serpa 
Pinto‘ an dem Hafendamm in Boma anlegte, damit ich eine officielle 
Ankündigung der Thatſache, daß der neue Gouverneur der Stanley: 
‚Fälle fi) am Bord befinde, and Land jchiden und einen furzen Be- 
juch von zwei Mitgliedern des mit der Verwaltung des Kongoitaates 
beauftragten Erecutivcomite entgegennehmen konnte. 

Wir hatten nur Zeit zum Austaufch weniger Worte, allein es 
gelang ihnen, mir in diejen furzen Augenblicken mitzutbeilen, daß 
„eine Hungersnot im Lande‘ herriche, „die Dörfer an der Straße 
nach dem Pool verlafjen jeien‘; „der «Stanley» fei ernſtlich beſchä— 
digt“; die Miffionsdampfer befänden fich irgendwo in unbekannten 
Regionen des Oberfongo‘; „der «En Avant» jei gejtrandet und 
ohne Majchinen und Keſſel“; „der «A. I. A.» liege 800 km oberhalb 
des Stanley-Bool‘; „der «Royal» ſei vollftändig verrottet und jeit 
einem Jahre nicht mehr benußt worden‘; kurz, das ganze und ver- 
iprochene Bootsmaterial eriftire überhaupt nur in der Einbildung der 
Herren vom Bureau in Brüſſel. „Uebrigens“, ſagte einer der Herren, 
welcher der Chef des Erecutivcomite zu fein ſchien, mit überlegenen 
Nachdruck, „sollten die Boote Sie nur unterjtüßen, wenn wir fie 
Ihnen ohne Nachtheil für den Staatsbetrieb geben könnten.“ 

Der portugiefiiche Kapitän des „Serpa Pinto‘ beorderte mit 


19. März 1887.) Zur See nah dem Kongo. 17 


rauher Stimme die Herren ans Land, und wir jeßten die Fahrt den 
Kongo aufwärts fort. 

Meine Gedanken waren nicht jehr angenehmer Natur. Mit 
meiner Flotille von 15 Walfiichfängerbooten wäre ich unabhängig ge= 
weſen, allein man hatte Einwände gegen die Kongo-Route erhoben und 
diefes Project deshalb aufgegeben. Kaum hatten wir uns für die Route 
von der Oſtküſte entichieden, als der Herrſcher des Kongoftaates die 
Erpedition einlud, jein Gebiet zu pajfiren; die Deutjchen hatten ge: 
murrt und die franzöfiiche Regierung gegen den Gedanken unjers 
Mariches durch Dftafrifa Proteft erhoben. Als es zu ſpät war, um 
die Bootflotille noc) bei den Herren Forreft u. Sohn zu beftellen, 
hatten wir die Kongo-Route angenommen, um, nachdem wir Vorkeh— 
rungen für den Transport den Unterfongo hinauf, für das Träger: 
weien nad) dem Stanley-Pool und die Anleihe von Dampfern auf dem 
Oberfongo getroffen hatten, zu finden, daß letztere geftrandet, rui- 
nirt, ohne Majchinen und Keſſel oder zerjtreut und unerreichbar jein 
jollten. Bor den Ohren Hang mir der in England erhobene Auf: 
„Beeile dich, oder du fommft vielleicht zu ſpät“, und im Gedächtniß 
tauchten mir die Worte Junker's auf: „Emin wird verloren fein, wenn 
man ihm nicht jofort Hülfe bringt‘, ſowie Emin’s Hiülferuf: „Wenn 
wir feine Hülfe erhalten, werden wir umkommen.“ 

Nun, die Ausfichten für unſer Unternehmen find nicht jehr günftig. 
Es iſt aber nicht meine Schuld, und was wir zu thun haben, ift einfach 
genug. Wir Haben das Verſprechen gegeben, mit unſern bejten Kräften 
das Ziel zu erftreben. Wir haben feine Zeit zum Bedauern, jondern 
müffen kämpfen und geradaus fteuern. Wir müffen, nachdem wir die 
Verpflichtung einmal übernommen haben, jeden Paragraphen unfers 
mündlichen Vertrags erfüllen, und von der Art und Weije, wie dies 
geichehen ift, will ich jebt berichten. 

Ich will die Erzählung nicht mit Schilderungen der Ueberland— 
route nad) dem Pool oder des Oberfongo und jeiner Ufer aufhalten, 
da diejelben in meinen Werfen „Durch den dunfeln Welttheil‘ und 
„Der Kongo und die Gründung des Kongoftaates‘ genügend be— 
handelt worden find, und auch bezüglich der Ereigniffe auf unſerm 
Mariche nad) Jambuja, am obern Ende der Schiffahrt auf dem Aru— 
wimi, gedenfe ich nur jehr furz zu fein. 


Viertes Kapitel. 


Nah dem Staulcy- Pool. 


Einzelheiten der Reife nach dem Stanley-Rool. — Sudanejen und Somali. — Zu 
jammentreffen mit Herbert Ward. — Lager bei Congo la Lemba. — Freundliche 
Aufnahme bei Herrn und Frau Richards. — Briefe vom obern Fluffe. — Schreiben 
an Rev. Bentley und andere um Beiftand. — Ankunft in Muembi. — Noth- 
wendigfeit einer ftrengern Disciplin. — Marih nad Vombo. — Borfall bei der 
Station Lukunga. — Die Sanfibariten. — Zank zwijchen Jephſon und Selim am 
Inkiſſi. — Eine Reihe von Klagen. — Rev. Bentley und der Dampfer „Peace“. 
— Eintreffen im Dorfe Makoko's. — Leopoldville. — Schwierigkeiten bei der Be- 
nugung der Mifjionsdampfer. — Verhandlungen zwiichen den Herren Liebrechts und 
Billington. — Beſuch bei Herrn Swinburne in Kinſchaſſa. — Befehle für die 
Offiziere und Pflichten der letztern. 


Am 21. März jchiffte fich die Erpedition am Landungsplatze des 
portugiejiichen Handelshaufes Joda Ferrier D’Abreu in Matadi, 175 km 
vom Atlantijchen Ocean, aus. Sobald die Dampfer ihre Paffagiere 
und Ladungen gelöjcht hatten, warfen fie die Taue log, um fluß- 
abwärts nad dem Sechafen von Banana oder dem Flußhafen zurüd- 
zukehren. 

Gegen Mittag kam das portugieſiſche Kanonenboot „Kacongo“ 
in Sicht. Daſſelbe brachte Major Barttelot, Herrn Jephſon und eine 
Anzahl Sudaneſen und Sanſibariten mit, und bald darauf traf der 
dem Staate gehörende Dampfer ‚Heron‘ mit dem Reſt der an Bord 
des „Madura“ zurücgebliebenen Ladung ein. 

Wir jchlugen die Zelte auf, lagerten die ungeheuern Mengen von 
Neis, Zwiebad, Hirje, Salz, Heu u. ſ. w., und entwidelten eine jo 
rege Thätigfeit, wie Leute, die eine unabjehbare Arbeit vor fich haben. 
Jeder Offizier zeichnete fich aus und die Sanfibariten bewiejen durch 
ihre Behendigkeit, wie ſehr fie fich freuten, wieder am Lande zu fein. 

Unfere europäiſche Gejellichaft beitand jegt aus den Herren Bart: 
telot, Stairs, Nelfon, Jephſon, Parke, Bonny, welche die Reife von 


21. März 1887.] Nah dem Stanley-PBool. 19 


Aden mit mir gemacht hatten, dem Majchiniften Walker, der fich uns 
am Gap der Guten Hoffnung angejchlojjen hatte, Herrn Ingham, 
einem frühern Gardeoffizier, welcher beim Sammeln von Trägern am 
Kongo als unjer Agent fungirte, Herrn John Roſe Troup, welcher mit 
der Oberaufficht der eingeborenen Träger auf dem Wege von Ma— 
njanga nad) dem Pool beauftragt war, und einem europäiſchen Diener. 

Am nächſten Tage brachen 171 Träger mit 7 Kiften Zwiebad 
— 420 Pfund, 157 Süden Reis = 10205 Pfund, und Berlen von 
Matadi nad) Lufunga auf, wo die Vorräthe bei der Ankunft der 





Marim:-Schnellfeuerfanone. 


Erpedition als Nejerve dienen follten. Außerdem waren 180 Säde 
von je 170 Pfund = 30600 Pfund bereit, jobald fi) Träger an- 
boten, vor oder nach uns abzugeben und unterwegs an verjchiedenen 
Orten und am Pool gelagert zu werden. Auch jandten wir Boten 
nad) dem Pool an den Kommandanten ab mit der Bitte, die Neparatur 
Jämmtlicher Dampfer zu bejchleunigen. 

Am zweiten Tage nac) unferer Ankunft erſchien Herr Ingham mit 
220 Trägern, welche er zu einem Pfund Sterling per Laft für den 
Transport nad) dem Pool engagirt hatte. Lieutenant Stairs ſtellte 
Uebungen mit der Marim-Schnellfenerfanone an, welche 330 Schüſſe 


80 Biertes Kapitel. Palaballa 


in der Minute abgab, was bei Tippu-Tib und feinen Leuten die größte 
Bewunderung hervorrief. 

Am Morgen des 25. März um 5', Uhr ertönten im Lager der 
Sudanejen die Signaltrompeten. Gegen 6 Uhr waren die Zelte zuſam— 
mengefaltet, die Compagnien unter ihren Hauptleuten aufgejtellt, die 
Waaren in der Nähe derfelben aufgehäuft, und um 6'/, Uhr marſchirte 
id; mit der VBorhut ab. Das gejammte Erpeditionscorpg folgte com— 
pagnieweife im Gänſemarſche und führte 466 einzelne Laften oder 
Trägerladungen von Munition, Waffen, Perlen, Draht, Proviant 
in Büchſen, Reis, Salz, Majchinenöl, Mejfingftangen und Eijen- 
draht mit fi. Der Abmarſch war vortrefflih, allein jchon nad 
einftändigem Marjche wurden die Berge fo fteil, jchien die Sonne 
fo heiß, wurden die Laften jo ſchwer, die Leute durch die nach dem 
herrlichen Leben an Bord des „Madura“ ungewohnte Arbeit jo erjchöpft, 
daß die Expedition, da auch wir uns in einem jolchen überfütterten 
Buftande befanden, in einer für Leute, die auf einen derartigen Anblid 
nicht vorbereitet waren, höchſt entmuthigenden Weife ſich zerſtreute. 
Bei der Ankunft am erjten Fluffe, dem Mpoſo, war der „Advance 
bereit zufammengefügt und wir wurden in Trupps von je 50 Mann 
nad) dem andern Ufer befördert, wo wir das Lager aufichlugen. 

Die Sudanefen boten einen jämmerlichen Anblid dar. Die Somali 
waren erträglich, obwol fie jtarf darüber gebrummt hatten, daß feine 
Kamele da waren. Erftere zeigten bemerfenswerth schlechte Laune. 
Eingehüllt in ihre mit Kapuzen verjehenen Mäntel, hatten fie eine 
ichredlihe Atmofphäre auszuhalten gehabt, und die Wirkungen der 
Hige, Ermüdung und anderer feiner Unannehmlichkeiten traten deutlich 
zu Tage. 

Am nächjten Tage lagerten wir auf dem der Livingitone-Inland- 
Miffion gehörenden Gebiet bei Palaballa, wo wir von dem Superin= 
tendenten Herrn Clarke und jeinen Damen jehr gaftfrei aufgenommen 
wurden. Da unjern Leuten die Arbeit noc durchaus ungewohnt war, 
machten wir den nächjten Tag Raft. Aus den Berichten der Offiziere 
erfah ich, daß jeit der Abreife von Sanfibar 9 Mann geftorben 
waren und 17 fich jo ichlecht befanden, daß wir fie zur Wiedergenejung 
in Balaballa zurüdzulajien gezwungen waren. 

Erft am 28. nahmen wir den Marjch wieder auf und erreichten 
Maja Mankengi,. Unterwegs trafen wir Herrn Herbert Ward, der 
jich freiwillig zum Mitgliede der Erpedition anbot; er wurde engagirt 
und nah Matadi geichidt, um Herrn Ingham bei der Organifirung 


29. März 1887.) Nach dem Stanley-Pool. 81 


des Trägerdienſtes zu helfen. Herr Ward hatte während der letzten 
Jahre in den Dienſten des Kongoſtaates geſtanden, früher Reiſen in 
Neuſeeland und Borneo gemacht und war von mir ſtets für einen 
vielverſprechenden jungen Mann gehalten worden. 

Gegen Mittag am 29. März befanden wir uns mit dem Lager in 
Gongo-la-Lemba an einer Stelle, wo früher, wie ich wußte, ein blühendes 
Dorf gejtanden hatte. Der Häuptling deſſelben ftand damals im jei- 
nem Ölanze und war der umbeftrittene Herricher des Dijtricts; das 
Süd verdarb ihn jedoch und er begann, von den Karavanen des 
Staates Abgaben zu erheben. Da die Route durch jeine Frechheit 
biofirt wurde, jchidte der Staat eine Abtheilung Bangala gegen ihn 
aus, welche ihn gefangen nahmen und enthaupteten. Das Dorf wurde 
niedergebrannt und die Bewohner flüchteten nad) andern Gegenden. 
Der Plat, wo das Dorf geitanden hatte, war jetzt mit hohem Graje 
bedeft und die Gujavenbäume, Palmen und Citronenbäume waren 
vom Scilfrohr überwuchert. 

In der Marjchordnung war eine fleine Bellerung eingetreten, 
aber bei einer Erpedition it die Anfangszeit immer aufreibend. Die 
Sanfibariten tragen 65 Pfund Munition, 9 Pfund für jedes Ge- 
wehr, viertägige Nationen Reis und ihre eigene Ausrüftung an Stoffen 
und Schlafmatten, im Gewicht von vielleicht 4— 10 Pfund. Wenn 
fie fich erit acclimatifirt haben, jcheint eine ſolche Laft leicht für fie 
zu fein; aber während des eriten Monats mu man jehr vorfichtig 
jein, feine zu langen Märiche machen und jehr viel Geduld üben. 

In den frühen Morgenstunden des nächiten Tages hielt ein hef— 
tiger Regen uns auf, dod) feßten wir uns bald nach 9 Uhr in Be- 
wegung, bis wir den Lufu-Fluß erreichten. Es war ein jchredlich 
ermüdender Mari. Bis um Mitternacht trafen die Leute ein, müde, 
mit gejchtvollenen Füßen und brummig. Die Offiziere jchliefen in 
meinem Zelte und erhielten zum Abendeifen Hartbrot und Reis. 

In der Nähe des Majamba- Waldes trafen wir den Baron von 
Rothkirch, welcher eine Abtheilung Kabinda beauffichtigte, welche 
die Welle des Dampfers Florida‘ fchleppten. Nach der Geſchwin— 
digfeit ihres Vorwärtsfommens zu urtheilen, würden fie wahrjcheinlich 
im nächiten Auguſt den Pool erreichen. Ferner trafen wir bei der 
Bembefi - Furt einen franzöfiichen Händler, welcher mit einer hübſchen 
Partie Elefantenzähnen flußabwärts marſchirte. 

Am 31. paffirten wir den Mangola= Fluß, wo ich infolge des 
Genufjes von Gujaven in Congo-la-Lemba einen leichten Kranfheits- 

Etanlen, Im duntelſten Arifa. 1. 6 


82 Viertes Kapitel. [Banja Mantefa 


anfall Hatte; am 1. April marfchirten wir nach) Banja Mantefa. Auf 
der Station der Livingitone-Inland-Miffion wurden wir von Herrn 
und Frau Richards jehr freundlich aufgenommen. Einige Jahre 
Miifionsthätigfeit hat an dieſem Orte eine große Veränderung hervor: 
gerufen. Faſt die gefammte eingeborene Bevölkerung befennt fich zum 
Ehriftenthume und bejucht pünktlich mit der Inbrunſt eines Seften- 
bruders den Gottesdienit. Einige Leute, welche id) als berüchtigte 
Schnapstrinfer gekannt hatte, waren niüchterne, anjtändige Menſchen 
geworden und hatten ein höchſt manierliches Wejen angenommen. 

Vom obern Laufe des Fluſſes erhielt ich hier drei Briefe, je einen 
von Troup aus Manjanga, Swinburne aus Kinſchaſſa und Slave aus 
der Nequator - Station, die ſämmtlich betrübende Nachrichten über Die 
Dampfer „Stanley‘, „Peace, „Henry Need“ und „En Avant“ 
meldeten. Der erjte it meinen Gewährsleuten zufolge durch und durd) 
beichädigt, die Miffionsdampfer erfordern eine gründliche Ausbeiferung, 
und der „En Avant‘ ift zu einem Leichter umgewandelt. Herr Troup 
ichlägt vor, einen oder zwei Leichter von Manjanga nad) dem Pool zu 
tragen, ein Ding der Unmöglichkeit, da wir durd den Reis, welchen 
wir zum Unterhalt von fait SOO Mann auf dem Marjch durch ein 
Hungersnoth leidendes Land mitnehmen müſſen, bereits überlastet find. 
Um uns die Arbeit etwas zu erleichtern, jchidte ich die Herren Jephſon 
und Walfer mit unjerm Stahlboot ‚Advance‘ auf dem Kongo nad) 
Manjanga. 

Wir überjchritten den Luntonjo= Fluß am 3. April und lagerten 
am nmächiten Tage an der Stelle des verlafjenen Dorfes Kilolo. Auf 
dem Marſche bemerkte ich, wie ein Sudaneje einen Sanfibariten zu 
erdroffeln verjuchte, weil der ermidete Mann mit jeiner Kiſte den 
andern leicht an der Schulter berührt hatte. Wir find erbittert über die 
üble Laune der Sudanejen, müfjen aber noch eine Weile Geduld üben. 

Ein dreiftündiger Marich mit dem gewöhnlichen Auf und Ab an 
den Hügeln, was die Karavane jo jehr ermüdet, brachte uns nach dem 
Kuilu. An diefem gegen 100 m breiten Fluſſe, der eine ftarfe Strö- 
mung befißt, fanden wir ein Kanode ohne Eigenthümer, das wir in 
Belis nahmen, worauf wir mit dem Ueberſetzen der Vorhut in Ab- 
theilungen von zehn Mann begannen. 

Sch benutzte Die mir durch das Ueberjegen mit der Fähre gebotene 
Gelegenheit, um dem Kommandanten am Stanley-Pool in einem Schrei: 
ben dringend ans Herz zu legen, daß er die Befehle des Herrn Straud), 
des Minifters des Innern, in dem hochherzigen Sinne auslegen möge, wel- 


7. April 1887.) Nah dem Stanley-Bool. 83 


chen König Leopold befundet habe, als er uns aufforderte, Emin Paſcha 
auf der Kongo-Route aufzujuchen. Ein anderes Schreiben richtete ich 
an den Rev. Bentley von der Baptiſten-Miſſion, den ich bat, der Unter: 
ftügung zu gedenfen, welche ich den Baptiften in den Jahren 1880 bis 
1584 hatte angedeihen laſſen, und ſich darauf vorzubereiten, daß er uns 
den Dampfer „Peace“ leihen müſſe, damit ich die Erpedition jchleunigft 
aus der verarmten Gegend um den Stanley-Pool fortbringen künnte, 
Einen weitern Brief ähnlichen Inhalts jandte ich an den Inſpector 
des „Henry Need“, Herrn Billington, den ich darauf aufmerkſam 
machte, daß ich es geweſen jei, der ihnen am Stanley- Pool Grund 
und Boden geichenkt hätte. Ein Schreiben an den Befehlshaber der 
Station Lukungu erjuchte diejen, mir 400 Träger zur Erleichterung 
der Arbeit meiner Leute anzınverben. 

Bei der Ankunft in Muembi am 6. April wurde ich durch die 
zunehmende Demoralijation in der Karavane bejonders überrajcht. Um 
die Leute nicht anzutreiben, hatte ich mich bisher ſehr ruhig ver- 
halten und die Arbeit, die Zerjtreuten zu jammeln, den jüngern Offi- 
zieren überlaffen, damit diejelben eigene Erfahrung jammelten bezüglid) 
der Schwierigkeiten, mit denen Expeditionen in Afrifa zu kämpfen 
haben; allein namentlich auf diefem Marſche zeigte fich mir Die Nothwen: 
digkeit, die Disciplin ftrengitens aufrecht zu erhalten. Kaum hatten die 
Sanfibariten die Zelte ihrer Offiziere aufgeichlagen, als fie wie 
Wilde in die benachbarten Dörfer ftürzten und das Eigenthum der 
Eingeborenen zu plündern begannen, wobei ein gewiſſer Chamis-ben- 
Athman von einem muthigen Eingeborenen erſchoſſen wurde, Dieſer 
fatale Unfall ift einer der deutlichiten Beweile dafür, daß die Dis- 
ciplin der bejtändigen Nachlicht vorzuziehen ift, und wie bald jelbft 
eine ganze Armee von zügellofen, ungehorjamen und widerjeßlichen 
Leuten vernichtet werden würde. 

Die große Maſſe der Leute war vermuthlich zu dem Glauben 
gefommen, daß ich jchon zu alt geworden jei, um den Marſch wie in 
frühern Zeiten zu überwachen; allein auf dem Wege nad) Bombo am 
7. April wurden fie jämmtlich aus ihrem Irrthum geriffen. Der lebte 
Mann der in die Länge gezogenen Staravane war gegen 11 Uhr vor: 
mittags im Lager, und alle Offiziere konnten ſich mittags zum Eſſen 
niederjegen in dem frohen und beruhigenden Gefühle, ihre Pflicht ge- 
than und einen guten Tagemarſch gemacht zu haben. Es gibt fein 
angenehmeres Gefühl als dasjenige, wenn man einen tüchtigen Tage: 
marjch in kurzer Zeit ausgeführt hat. Wir haben uns eine gute Tages: 


6* 


84 Viertes Kapitel. Lakungu 


raſt geſichert; der Reſt des Tages gehört uns, um zu leſen, zu eſſen, 
zu ſchlafen, den Luxus der Unthätigkeit zu genießen und über das 
Morgen nachzudenken; während es kaum etwas Unangenehmeres gibt, 
als zu wiſſen, daß, obwol der Marſch nur ein kurzer iſt, das Nach— 
laſſen der Strenge jenes grauſame Zeitvergeuden in dem erſtickenden 
hohen Graſe und in den ſengenden Strahlen der glühenden Sonne am 
Wege geſtattet. Die lange Linie der Träger hat ſich in ſchwitzende Frag— 
mente aufgelöft; Waller ift, wenn man es am nothwendigften braucht, 
weit entfernt, fein fchattenipendender Baum befindet fich in der Nähe der 
Straße, die Laften werden beraubt und find über mehr als funfzchn 
Kilometer Weges zerftreut, Die Träger verjteden fich zwiichen dem Röhricht 
oder juchen unter entferntern Baumgruppen Kühlung, und die Offiziere, 
hungerig und ärgerlich, find in Verzweiflung darüber, daß das Ende des 
Tages jo nahe und fichere Ausficht auf eine Wiederholung dieſer 
Schwierigkeiten morgen und am folgenden Tage vorhanden ift. Ein in 
der Nähe unſerer Marjchlinie befindlicher, nicht weiter nachdenfender 
Zuschauer fünnte vielleicht glauben, daß wir unnöthigerweije grauſam 
jeien, allein einige Diebe, welche die regelmäßigen Nachzügler erhalten, 
fichern etwa 800 Leuten und ihren Offizieren eine 18ftündige Ruhe 
und retten die Waaren vor der Blünderung, da die Tagediebe oft 
gerade zu dieſem Zwecke zurückbleiben: der Tag endet für alle glücklich 
und der morgende Marich hat jeine Schreden verloren. 

Am 8. April wurde die Erpedition auf der Station Yufungu von 
den Herren Francqui und Defjauer willtommen geheigen, zwei gaſt— 
freien Belgiern, welche aus eigenem Antriebe vier Tagesrationen von 
Kartoffeln, Bananen, Eierpflanzen, Mais und Palmnüſſen für unſere 
800 Mann gejammelt hatten. 

Kaum waren wir alle vereinigt, ald die Sudanejen in Maſſe herbei: 
famen, um mehr Lebensmittel zu verlangen. Sie hatten in 15 Tagen 
je 20 kg pro Mann Zwieback und Reis verzehrt und kündigten ihre 
Abjiht an, nach dem Unterkongo zurüdzufehren, wenn ihnen nicht 
weitere Nationen zugetheilt würden. Die viertägigen Gemüjerationen 
verjchmähten fie anzurühren. Ich hatte den Entichluß gefaßt, jehr ge: 
duldig zu fein, und es war auch noch zu früh, um jelbft den Wunſch 
zu zeigen, anders zu jein. Infolge deifen erhielten fie Ertrarationen 
an Reis und Zwieback. 

Zum Glück für mid) perjönlich hatte ich gute Offiziere bei mir, 
welche mich der Nothwendigfeit entheben konnten, mit jolchen eigen— 
finnigen Burjchen, wie dieje mürrifchen, halsjtarrigen Sudanejen, in 


11. April 1887.) Nah dem Stanley-Bool. 85 


Confliet zu fommen. Ich behielt mir die Rolle des Vermittlers zwiſchen 
den erbitterten Weißen und den eigenfinnigen Schwarzen vor. Voraus— 
gejeßt, daß man durch das den ganzen Tag anhaltende Schelten mit 
dicfföpfigen Leuten nicht ſelbſt erichöpft ift, ift es eine höchit angenehme 
Arbeit, Vergehen zu beichönigen und Aerger zu befchwichtigen. Vielleicht 
wenden ärgerliche Leute ſich ab mit der leiſen Bemerkung, wir feien 
parteiiich, während die Gegenpartei ihrerjeit ebenfalls mehr Sym- 
pathien finden will; allein der Vermittler muß darauf vorbereitet fein, 
daß er jelbjt hin und wieder einen Stich abbefommt. 

Um den Sudanejen weniger Gelegenheit zu geben, unterwegs ihre 
Wuth an den Sanfibariten auszulajfen, erfuchte ich Major Barttelot, 
mit jeinen Sudanejen einen Tagemarſch vor den Sanfibariten zu bleiben. 

Es wird nicht überrajchen, daß wir alle mehr Sympathie für 
die befadenen Sanfibariten hatten. Sie bildeten unjere Kundſchafter 
und ‚Fourragirer, unjere Xebensmittelerwerber, jchlugen unjere Zelte auf, 
jammelten Brennmaterial und trugen die VBorräthe; die Hauptftärfe der 
Erpedition bejtand in ihnen; ohme fie wären die Europäer und Suda— 
nejen, und wenn ihre Zahl noch zehnmal jo groß gewejen wäre, zum 
Entjage Emin’s volljtändig außer Stande. Die Sudanejen trugen nichts 
als ihre Gewehre, Kleidung und Nationen. Wenn fie uns von wirf- 
lichem Nuten wurden, waren wir wieder ein volles Jahr älter; vielleicht 
fehlten fie ung in der Stunde der Noth, wenn wir Dies auch nicht 
hofften, und bis dahin kam es allein darauf an, daß wir fie mit möglichit 
wenig Scwierigfeiten für fie, die Sanfibariten und uns vorwärts 
brachten. Der Major wurde hier ohne Zweifel in jchwere Berfuchung 
geführt; aber wenn er in diejer Zeit gezwungen wurde zu fchlagen, jo 
waren die Sudanejen, wie ich zugeben muß, außerordentlich provo- 
cirend. Sogar Hiob würde ärgerlich geworden jein und gejcholten haben. 

Die Hitze war am 10. April — Dftern — an welchem Tage wir 
Lufungu verließen, jchredlich. Die Leute fielen auf allen Seiten, und 
Anführer wie Mannjchaften erlagen der Hite. Wir holten die Suda- 
nejen wieder ein, und die unglücliche Folge war wieder das übliche 
Raufen und Schelten. 

Am Dftermontag, den 11. April, wurde die Sudanejen-Compagnie 
vom Fieber befallen, das Lamentiren war allgemein, und mit Aus— 
nahme von zwei Somalt lagen alle darnieder. Barttelot war in einer 
fürchterlichen Wuth über jeine unglüdliche Compagnie und wiünjchte, 
daß er dafür Jephſon's Dienft im Boote hätte. Abends erhielt ich 
einen Brief von Jephſon, im welchem diejer jchrieb, er wünfchte, er 


86 Viertes Kapitel. Lutete 


wäre bei uns oder ſonſt irgendwo, nur nicht auf dem verrätheriſchen, 
reißenden Kongo. 

Als wir am nächſten Tage im elendeſten Zuſtand vereinzelt ins 
Lager kamen, ſahen wir die Karavane beinahe Schiffbruch leiden. Die 
Sudaneſen waren meilenweit voneinander entfernt; die Somali waren 
krank, und einer der Leute, welche ſich mit Herrn Jephſon im Boote be— 
fanden, war geſtorben. Es mußten große Mengen von Fleiſchſuppe 
gekocht werden, ſodaß jeder ſchwach gewordene Mann, wenn er ins Lager 
wankte, mit einer Taſſe voll erquickt werden konnte. 

Am nächſten Tage erreichten wir Lutete, nachdem wir auf dem 
Marſche weitere ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Jeden Tag er— 
litten wir Verluſte, und zwar an Leuten durch Deſertion und Krank— 
heit, fowie an Gewehren, Konjerven-Proviant und jchußfertiger Munition. 

In Nielo am Inkiſſi trafen wir Jephſon, der auf der Fahrt über 
die Kongofchnellen nach Manjanga das Leben von einigen neuen Seiten 
fennen gelernt hatte. 

Die Sonne hat begonnen, unjern Zügen eine hochrothe Färbung 
zu geben; ich jehe in dem Gefichte eines jeden Offiziers zwei entzündete 
Kreije, welche in glühendem Roth unter beiden Augen erglänzen, und 
e3 fommt mir vor, als ob die Augen größern Glanz zeigen. Einige 
von den Offizieren haben es für malerifcher und mehr dem idealen 
Typus eines Forſchers entiprechend gehalten, die Arme ebenfalls gefärbt 
zu haben; fie haben ihre milchweißen Glieder entblößt, bis diejelben 
in Flammen gebadet zu fein jcheinen. 

Den 16. April verwendeten wir, um die Expedition über den 
Inkiſſi zu befördern, und um 5%, Uhr nachmittags waren alle Daun, 
ſowie unſere 20 Ejel und unjere Heerde Gapziegen am andern Ufer. 

Während der Ueberfahrt wechjelten Selim, der Sohn Maſſud's 
und Schwager Tippu-Tib's, und Herr Mounteney Jephſon, welcher 
als Kapitän des Bootes fungirte, hitige Worte. Selim will, jeitdem 
er die Schweiter Tippu-Tib's geheirathet hat, über jeden Vorwurf er: 
haben jein, jeine Einbildung macht ihn abjcheulich fredh. In Ma— 
tadi beliebte e3 ihm, dem Lieutenant Stairs gegenüber jeine Meinung 
in höchſt arroganter Weile geltend zu machen; hier geichah daſſelbe 
gegen Herrn Jephion, der ihm furz erwiderte, wenn er fich nicht um 
jeine eigenen Angelegenheiten befümmere, würde er gezwungen jein, ıhn 
in den Fluß zu werfen. Selim trug ihm dies wüthend nad), bis 
Tippu-Tib feinen Zorn gemäßigt zu haben jchien, 

Im nächſten Lager erhielt ich weitere Briefe vom Stanley-Bool. 


18. Aprit 1887.) Nach dem Stanley Root. 87 


Lieutenant Liebrecht3, der Befehlshaber des Stanley: Bool-Diftricts, 
schrieb, der Damıpfer „Stanley würde mir zur Verfügung ftehen und 
ebenfalls ein Leichter! Der „En Avant‘ künne vor jechs Wochen nicht 
fertig fein. Ein zweiter Brief war von Herrn Billington, der es 
pofitiv ablehnte, uns den „Henry Need“ zu leihen. 

Eine meiner ernjtlichjten Pflichten nad) dem Marſche bejtand 
darin, daß ich aller Art Bejchwerden anzuhören hatte. Auch an diejem 
Tage wurde eine Reihe von Klagen erhoben. Ein Eingeborener, welcher 
von einem hungerigen Sanfibariten eines GafjavebrotS beraubt war, 
mußte Erjaß haben; der Ziegenhirte Binfa glaubte ſich zurückgeſetzt, 
weil man ihm nicht erlaubt hatte, von den ledern Eingeweiden einer 
Ziege mit zu jchmaufen, und bat mich um meine Verwendung, damit 
er dies Vorrecht erhielte; ein jchiwächlicher Sanfibarite, welcher in— 
mitten eines gut verproviantirten Lagers und unter mit Reis ernährten 
Leuten verhungerte, bat mich, jeinen fnurrenden Magen zu berüdjid)- 
tigen und ihm Gerechtigkeit zu verichaffen, damit er von jeinem ge= 
fräßigen Chef feine richtigen Nationen erhalte. Selim, der Knappe 
Tippu-Tib’3, beffagte jich darüber, daß meine Offiziere ihn nicht ge— 
nügend bewunderten. Er jagte, fie jollten nicht vergeſſen, daß er 
fein Mann der Königin, ſondern jebt der Schwager Tippu-Tib's 
ſei. (Selim war früher Dolmeticher auf einem britiichen Kreuzer 
gewefen.) Ferner wurden mir Klagen gegen gewiſſe unverbefferliche 
Spigbuben über den Diebtahl eines Webjteins, eines Mefjers und eines 
Rafirmefjers vorgetragen. 

In unferm nächiten Lager am Nkalama-Fluſſe, den wir am 
18. April erreichten, erhielt ich Durch einen Eilboten ein Schreiben 
von Rev, Bentley, welcher mir mittheilte, e8 jei ihm von England aus 
nicht verboten worden, mir den Dampfer „Beace der Baptiften-Miffton 
zu leihen; es werde ihm, falls ich ihm die Verficherung gäbe, daß 
die Sanfibariten nichts gegen den Charakter der Mijfion thäten, den 
er als Miffionar zu bewahren wünjchte, großes Vergnügen machen, 
mir den „Peace‘ für den Dienjt der Expedition zum Entſatze Emin 
Paſcha's auszuhändigen. Obwol ich Herrn Bentley jehr dankbar bin 
und feinen Edelmuth vollftändig anerfenne, hat er mit jeinem Hinweis 
auf die Sanfibariten, ſowie durch die verftedte Andeutung, daß wir 
für alle ihre Exceſſe verantwortlich ſeien, doch den Beweis geliefert, 
daß es ihm einen Kampf gefoftet hat, uns den „Peace“ leihweiſe zu 
überlaffen. Er hätte nicht vergeſſen jollen, daß er das Vorrecht, feine 
Stationen in Leopoldville, Kinſchaſſa und Lufolela zu erbauen, durch 


88 Viertes Kapitel. Leopoldville 


die Arbeit der gutmüthigen Sanſibariten erhalten hat, die ſich zu— 
weilen allerdings verſucht fühlten, ſich Freiheiten herauszunehmen, im 
allgemeinen aber ſich ſo gut betrugen, daß die Eingeborenen ſie den 
Hauſſa, Kabinda, Krunegern und Bangala vorzogen. 

Am 19. April waren wir nur im Stande, einen kurzen Marſch 
zu machen, da ſich jeden Tag heftige Regengüſſe einſtellten und der 
Luila, in deſſen Nähe wir das Lager aufgeſchlagen hatten, gefährlich 
reißend geworden var. 

Am 20. April erreichten wir das Dorf Makoko's. Wir bemerften, 
daß die Sanfibariten vajch ſchwächer wurden. Sie hatten in der leßten 
Zeit von verkürzten Nationen leben müſſen, und ihre Gewohnheit, den 
Maniof roh zu verzehren, erwies ſich ald von jehr verderblichen Folgen. 
Ein Pfund Reis täglich ift für Leute, welche arbeiten müfjen, feine 
große Nation, allein wenn fie mit dieſer fnappen, aber gejunden Nab- 
rung eine Zeit lang zufrieden geweien wären, würden fie allerdings 
nicht in einem Fräftigen Zuftande geblieben fein, ficherlich aber weniger 
unter Krankheit zu leiden gehabt haben. Während des Mariches vom 
Unterfongo hatten wir bis zu dieſem Tage 12500 kg — nahezu 
13 Tonnen — Reis verzehrt, ſodaß die Hülfsquellen der ganzen Gegend 
ſtark in Anfpruch genommen waren, um für diefen Ertravorrath Träger 
zu erhalten. Die Flucht der Eingeborenen aus der Nähe der üffent- 
fihen Straßen und unjere Befürchtungen, daß die Sanfibariten Räube- 
reien begehen möchten, wenn wir fie in größerer Entfernung von dem 
Lager fourragiren ließen, waren der Hauptgrund davon, daß fie die 
giftigen Mantoffnollen herausrifjen und fich Krankheit und Elend zu: 
zogen, An diefem Tage waren etwa 100 Mann nicht als Soldaten 
oder Träger zu verwenden. 

Bei unjerer am 21. April zur größten Freude aller erfolgten 
Ankunft in Leopoldville war eine meiner erjten Entdeckungen, daß der 
„Stanley“, ein fleiner Leichter, unjer Stahlboot ‚Advance‘ und der 
Miifionsdampfer „Peace“ die einzigen Fahrzeuge waren, welche für 
den Transport der Erpedition zur Verfügung jtanden. 

Sch füge hier einige Aufzeichnungen aus meinem QTagebuche ein: 


Leopoldville, 22. April. Wir befinden uns jegt 555 km vom 
Meere angefichts des Stanley-Pool, und vor ums liegt der Fluß, der 
1800 km, bis hinauf nad Jambuja, von wo ich den Landmarſch 
nach dem Albert-See wieder aufzunehmen beabjichtige, frei von Strom: 
jchnellen iſt. 


22. April 1887.] Nach dem Stanley-Poof. 89 


Heute erhielt ich den Beſuch der Herren Bentley und Whitley. 
Wir jprachen über den „Peace, und fie behaupteten, daß das Schiff 
vieler Reparaturen bedürfe. Ich beitand darauf, daß die Sache dringend 
jei, und nach langer Berathung famen fie endlich zu der Ueberzeugung, 
dat die Reparaturen bis zum 30. April beendet werden könnten. 

Nachmittags zog ich Major Barttelot und Herrn Mounteney 
Jephſon ins Vertrauen, erzählte ihnen, in welchen Schwierigkeiten wir 
uns befänden, erflärte ihnen meine Anſprüche auf die Rückſicht der 
Miſſionare, ſowie die Nothwendigfeit einer baldigen Abfahrt aus dieſem 
nahrungsarmen Diftricet, und jagte ihnen, daß der Proviant jo fnapp 
jei, daß der Staat nur 60 volle Nationen für 146 Mann zu bes 
Ichaffen vermöge; um die übrigen zu verjorgen, müßten die Beamten des 
Staates zur Jagd auf Flußpferde im Pool ihre Zuflucht nehmen, und 
wir wären gezwungen, daſſelbe Verfahren einzuichlagen, um mit dem 
Reis etwas länger auszufommen. Und wenn die Staatsbehörden 
für 146 Mann nur 60 Nationen beichaffen können, wie follen wir 
dann fir T5O Leute forgen? Ich beauftragte fie dann, fich zu Herrn 
Billington und Dr. Sims zu begeben; aber da leßterer fich vergeblich) 
um eine Stellung bei unjerer Expedition bemüht hatte, fich namentlich 
an erjtern zu wenden und ihm die Lage der Dinge offen auseinander: 
zulegen. 

Sie waren etwa anderthalb Stunden fort und fehrten dann 
niedergeichlagen zu mir zurüd — fie hatten feinen Erfolg gehabt. 
Armer Major! Armer Jephſon! 

Herr Liebrecht3, welcher früher in Bolobo ter meinem Befehle 
Dienſte am Kongo gethan hatte, war jebt Gouverneur des Stanley- 
Bool-Diftriets. Er ſpeiſte abends bei mir und hörte den Bericht, den 
Major Barttelot und Herr Mounteney Jephſon mir erftatteten. Wir 
verichwiegen ihm nichts, doch war ihm manches jchon befannt. Er 
war mit umjern Anfichten über die Lage vollitändig einverjtanden 
und gab zu, daß hier eine große Dringlichkeit vorliege, Jephſon 
jagte: „Ich jtimme dafür, daß wir den «Henry Need» wegnehmen.‘ 

„Nein, Freund Jephſon; wir dürfen nicht vorjchnell handeln. 
Mir müſſen Herrn Billington Zeit laſſen zur Ueberlegung; er wird 
jicherlich wiſſen, wieviel jeine Miſſion mir verdankt, und feine Schwierig: 
feiten machen, jondern mir feinen Dampfer für das Doppelte des Preifes, 
den der Kongojtaat ihm bezahlt hat, vermiethen. Diejenigen, welche 
von der Wohlthätigfeit anderer leben, wiſſen natürlich nicht, wie man 
wohlthätig fein muß. Wir wollen morgen nochmals einen Berjud) 


90 Viertes Kapitel. Leopoldville 


machen, und ich werde dann eine noch formellere Anfrage ſtellen und 
liberale Bedingungen anbieten; überläßt man uns dann den Dampfer 
nicht, ſo müſſen wir überlegen, was unter dieſen Umſtänden weiter 
geſchehen kann.“ 

23. April. Heute Morgen war ich mit verſchiedenen wichtigen 
Angelegenheiten beſchäftigt. Aus allen Theilen der Umgegend kamen 
die Eingeborenen herbei, um unſere alte Bekanntſchaft zu erneuern, 
und es wurde 10 Uhr, bis ich frei war. 

Ngaljema hielt mich mit einer ausführlichen Geſchichte über Kummer, 
den er geduldig ertragen, und Beleidigungen, die er ohne zu klagen 
hingenommen habe, ziemlich lange auf. Er beſchrieb mir die Verände— 
rungen, welche mit den Weißen vorgegangen, daß ihr Weſen in letzter 
Zeit immer herriſcher geworden ſei, und daß er und andere Häupt— 
linge in der Beſorgniß, daß dieſe Veränderung nichts Gutes für 
ſie bedeute, ſich furchtſam von den Stationen entfernt hielten; die 
Märkte ſeien verlaſſen und infolge deſſen Nahrungsmittel knapp und 
ſehr theuer geworden. 

Nachdem ich den alten Freunden mein Mitgefühl ausgeſprochen 
hatte, rief ich Barttelot und Jephſon, und las ihnen eine Aufzählung 
der Gefälligkeiten vor, welche wir der Livingſtone-Inland-Miſſion er— 
wieſen hatten. „Wenn Sie geſprochen haben, dann bitten Sie Herrn 
Billington im Namen der Wohlthätigkeit, der Humanität und Hoch— 
herzigkeit, daß er mir geſtatten möge, ihm für die Vermiethung des 
«Henry Need» für die Dauer von 60 Tagen liberale Bedingungen 
anzubieten.‘ 

Barttelot jchwelgte in dem Gedanfen, daß es jeiner Berediamteit 
gelingen werde, den Dampfer zu erhalten, und bat, ihn noch einen 
Verſuch auf jeine Weile machen zu lajien. 

„Sehr gut, Major, gehen Sie hin, und ich wünsche, daß Sie 
Erfolg haben mögen!‘ 

„sch bin überzeugt, das wird mir jehr rajch gelingen‘, erwiderte 
der Major vertrauensvoll. 

Er begab fich nach dem Miffionsgebäude, und Herr Jephſon be- 
gleitete ihn, um Zeuge der Verhandlungen zu jein. Bald darauf 
erhielt ich einen charakteriftifchen Brief von dem Major, der mir jchrieb, 
er habe mit den Miffionaren vergeblich verhandelt, namentlich mit 
Herrn Billington, aber in Anweſenheit des Dr. Sims, der auf einem 
Stuhl ſaß und fich darauf beichränfte, gelegentlich einige Bemerkungen 
dazwiſchenzuwerfen. 


24. April 1887.) Nach dem Stanicy-Rool. 91 


Lieutenant Liebrecht3 wurde von dem Vorfall unterrichtet, worauf 
er ſelbſt zu mir fam und jagte, in dieſer Angelegenheit handle es ſich 
um eine Pflicht des Staates. 

Herr Liebrechts, der ohne Zweifel einer der ausgezeichnetjten Offi— 
ziere des Kongoftaates ift und dem jchon in einem meiner frühern 
Werfe bejchriebenen hohen Charakter fich bewahrt hat, widmete fich 
mit Eifer der Aufgabe, Herren Billington von der Unvernunft feines 
Benehmens zu überzeugen und feine Halsftarrigfeit in der Weigerung, 
uns aus Schwierigfeiten herauszuhelfen, in welche wir durch Die 
Schuld der Verhältnifje gelangt waren, zu bejeitigen. Den ganzen 
Tag ging er hin und ber, ſprach, erklärte und verhandelte, bis es 
ihm nach zwölf Stunden endlich gelang, Herrn Billington zur Zus 
laſſung der Vermiethung des Schiffes zu den angebotenen liberalen 
Bedingungen zu veranlafjen, nämlich 100 Pfd. St. monatlid). 

24. April. Wir mujterten die Erpedition und fanden, daß uns 
57 Mann und 38 Remingtongewehre fehlten. Unfere wirfliche Zahl 
beträgt jebt 737 Mann und 496 Gewehre. An Haumefjern, Aexten, 
Schaufeln, Kochgeichirren, Speeren u. ſ. w. haben wir mehr als 50 
Procent verloren — alles während eines 28tägigen Marſches. 

Einige der Leute werden vielleicht zu ihrer Pflicht zurücfehren, 
aber wenn jchon eine jo große Zahl 5000 km von ihrem Heimat- 
ande Ddavonläuft, was würden wir dann zu erwarten gehabt 
haben, wenn wir die Route von der Oſtküſte eingeichlagen hätten. 
Die Anführer der Sanfibariten erflärten mir mit cynifcher Bitterfeit, 
die Erpedition würde fich aufgelöft haben; fie jagen: „Dieſe Leute 
von den Nelfen- und Zimmtpflanzungen in Sanfibar find nicht 
befjer ala Thiere — fie haben feine Spur von Gefühl. Sie ver- 
abjcheuen die Arbeit, wiſſen nicht, was Silber ift, und haben weder 
Aeltern noch Heimat. Diejenigen Männer, welche eine Heimat be- 
fiten, Dejertiren niemals; thäten fie e8, jo würden fie von den Nach— 
barn jo lange verjpottet werden, bis fie fich nicht mehr ſehen laſſen 
fünnten. In diefen Bemerkungen liegt jehr viel Wahres, doch gibt 
es bei dieſer Expedition Dutzende von Leuten, welche ausgeiprochener- 
maßen mit dem Vorſchuß durchbrennen, jobald die Gelegenheit dazu 
fich bietet. Als ich heute die Leute imfpicirte, gewann ich die An— 
fiht, daß nur etwa 150 freie Männer unter ihnen und alle übrigen 
entweder Sklaven oder Berbrecher waren. 

Herr 3. S. Jameſon hat fich freundlichſt erboten, auf die Fluß— 
pferdjagd zu gehen, um Fleisch zu beichaffen. Wir gaben jedem 


92 Viertes Kapitel. Kinſchaſſa 


Manne täglich ", kg Reis, gerade die halbe Ration. Für die Offi— 
ziere und unjere arabijchen Gäſte haben wir eine Ziegenheerde, etwa 
30 Stüd ftarf. Die Geichenfe an Nahrungsmitteln von den ver: 
jchiedenen Häuptlingen der Umgegend bezifferten fich auf etwa 500 
Nationen und waren jehr annehmbar. 

Kapitän Nelſon iſt mit den Aexteträgern eifrig beichäftigt, Heiz— 
material für die Dampfer vorzubereiten. Der „Stanley“ muß mor- 
gen mit den Compagnien des Major Barttelot und Dr. Parke ab: 
fahren und die Leute oberhalb des Wampofoflufjes ausichiffen, von 
wo jie den Marſch nach Mſuata antreten werden. Sch muß jedes 
Mittel benugen, um vom Stanley-Pool furtzufommen, ehe die Leute 
vom Hunger derart gepeinigt werden, daß fie uncontrolirbar werden. 

25. April. Der Dampfer „Stanley iſt mit 153 Mann unter 
Major Barttelot und Dr. Parke den Fluß aufwärts gefahren. 

sch bejuchte Kinichafla, um meinen alten Secretär Herrn Swin— 
burne aufzufuchen, der jeßt Verwalter einer Elfenbein = Handelsgejell- 
ichaft, der Sanford: Erploring= Company, iſt. Da der Numpf jeines 
Dampfers ‚Florida‘ der Bollendung entgegengeht, jo machte er, 
wenn wir ihm behülflich jein wollten, das Schiff ins Waſſer zu 
bringen, den Borjchlag, daſſelbe der Erpedition zu leihen, da es 
memand von Nuben war, bis Majchine und Welle mit dem Baron 
von Rothkirch einträfen, der vermuthlich nicht vor Ende Juli anfon- 
men wirde. Ich war nur zu froh, und jchidte jofort eine Anzahl 
Leute ab, um die Arbeit der Verlängerung des Helgens bis zum Ufer: 
rande zu beginuen. 

Unſer Maſchiniſt, Kohn Walker, wurde zum Dienft auf Dem 
„Henry Need‘ beordert, um das Schiff zu reinigen und für die Fahrt 
nad) dem Oberfongo vorzubereiten, 

Heute find ein Sudaneje und ein Sanfibarite geitorben. 

27. April. Bon den wegen Krankheit auf verichiedenen Statio- 
nen zurüdgelaflenen Leuten find 13 Sanfıbariten und 1 Sudaneje 
angefommen. Sie berichten, daß fie ihre Gewehre und Sappeurgeräth- 
ichaften verfauft hätten. 

28. April. Wir jchlagen das Lager ab und marjchiren mit der 
Erpedition nach Kinſchaſſa, damit ich den Stapellauf des Dampfers 
„Florida“ perſönlich überwachen kann, der hoffentlich übermorgen ftatt- 
finden wird, da der Rumpf dann vollendet iſt. Wir werden inzwiichen 
von Herrn Antoine Greshoff, von der Holländiichen Gejellichaft, und 
Herrn Swinburne, von der Sanford-Company, freundlich aufgenommen. 


30. April 1887.] Nach dem Stanley-Pool. 93 


29. April. Im Lager bei Kinſchaſſa unter den Affenbrotbäumen. 
Die Dampfer „Stanley“ und „Henry Reed“ ſind mit dem Leichter 
„En Avant“ im Schlepptau angekommen. 

30. April. Der Rumpf der „Florida“ iſt heute Morgen vom 
Stapel gelaſſen worden; 200 Mann zogen denſelben ſtetig auf dem 
bis in den Fluß hinein verlängerten Helgen ins Waſſer, worauf das 
Schiff nach dem Landungsplatze der Holländiſchen Geſellſchaft gebracht 
und an dem Dampfer „Stanley“ befeſtigt wurde. 


— Bra Ga 


TEEN * 





Stapellauf des Dampfers „Florida“. 


Jeder Offizier erhielt den Plan bezüglich der Einſchiffung und 
den Befehl, mit dem Beladen der Dampfer dem Programm gemäß 
zu beginnen. 

Ferner ertheilte ich folgende Ordres: 

„Die Offiziere, welche Compagnien befehligen, ſind: 


Compagnie 
E. M. Barttelot, Major . . . Nr. 1 Sudaneſen 
W. G. Stairs, Hauptmaun...  „ 2 Saniibariten 
R. H. Nelfon ” 0 ws „ 
A. J. Mounteneyn Jephion „ —VVVVVV——— * 
J. S. Jameſon AR —6 
John Roſe Troup » en 6 „ 
T. 9. Parke * und Arzt „ 7 Somali und Sanfibariten. 


„Herr William Bonny übernimmt die NAuffiht über die Transport-, Reit— 
und jonjtigen lebenden Thiere und hilft im Nothialle Dr. Parke. 


94 Viertes Kapitel. Kinſchaſſa. 


„Jeder Offizier iſt für das gute Verhalten ſeiner Compagnie und 
den Zuſtand der Waffen und Ausrüſtung perſönlich verantwortlich. 

„Die Offiziere haben die Patrontaſchen ihrer Leute oft zu inſpi— 
ciren und genau Buch darüber zu führen, um den Verkauf der Mu— 
nition an die Eingeborenen oder Araber zu verhüten. 

„Für geringere Vergehen darf nur eine leichte fürperliche Strafe 
auferlegt werden, und auch nur jo jelten wie möglich. Die Offiziere 
haben in dieſer Beziehung Bejonnenheit zu üben und müſſen ich 
hüten, die Leute durch allzu große Strenge und unnöthiges Antreiben 
aufzuregen. 

„Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, große Nachficht walten 
zu laffen; möge daher in der Regel gegen eine Beitrafung dreimal 
verziehen werden. 

„Die Offiziere werden gefälligit bedenfen, daß die Leute harte 
Arbeit haben, ihre Lajten ſchwer, das Klıma Heiß, die Märjche er- 
midend und die Nationen jchleht und oft fnapp find. Unter folchen 
Umständen iſt die menschliche Natur äußerſt empfänglih, und es 
jolften deshalb die Beftrafungen wohl überlegt und nicht zu Quäle— 
reien werden, um die Geduld nicht zu ftarf anzujpannen. Nichts- 
dejtoweniger muß den Leuten Disciplin gelehrt und zum allgemeinen 
Beiten im Nothfalle mit Gewalt aufrecht erhalten werden. 

„Ernjtliche Vergehen gegen die Erpedition werde ich im allgemei= 
nen jelbit aburtheilen. 

„An Bord wird jeder Offizier angewiejen, die Arbeiten des Tages 
zu übernehmen. Er hat auf die Vertheilung der Nationen, die Reis 
nigung des Schiffes zu achten und Obacht zu geben, daß feine Prü— 
geleien oder Raufereien vorfommen, da, wenn man fie nicht verhin- 
dert, Mejjeraffairen daraus entjtehen, und daß die Thiere regelmäßig 
Futter und Waſſer befommen. Wegen aller umvichtigen Kleinigkeiten 
wende man ſich an den älteften Offizier, Major Barttelot.‘ 


Fünftes Kapitel. 


Vom Stauley-Pool nad Jambnja. 


Scenerie am Oberkongo. — Unfall des „Peace“. — Die Dampfer erreichen Kim— 
pofo. — Einfammlung von Brennmaterial. — Der untaugliche „Beace“. — Der 


Unfall des „Stanley“. — Ankunft in Bolobo. — Theilung der Erpedition in zwei 

Eolonnen. — Major Barttelot und Jamejon werden zu Befchlahabern der Nach— 

hut gewählt. — Ankunft an der Nequator- Station und in Bangala. — Die 
Bajofo-Dörfer. — Deſertion Baruti's. — Ankunft in Jambuja. 


Wie ich bei der Schilderung der Scenen am Unterfongo bereits 
näher auseinandergejeßt habe, beabfichtige ich alle Eindrücke, welche wir 
während unjerer nahezu 1700 km langen Fahrt nach Jambuja je nad) 
der verichiedenen Gemüthsftimmung erhalten haben, mit Stilljchweigen 
zu übergehen. Ich werde mich darauf bejchränfen, die Ereignifje zu 
erzählen. 

Die Tage vergingen uns rajch genug. Die frühen Morgenstunden 
boten uns jeden Tag ein Panorama von Waldland, Miyriaden be- 
waldeter Injeln und breiter Kanäle mit todtenftillem Waſſer, die jo 
von der Sonne bejchienen wurden, daß fie Flüſſen aus Quedjilber 
glichen. Im allgemeinen hätte man wol jagen fünnen, daß alles 
außerordentlich einförmig war, d. h. injofern als man Tag für Tag 
diejelben Scenerien in ſolcher Entfernung pailirte, daß es unmöglich 
war, Einzelheiten zu erfennen. Doch jteuerten wir auch an dem einen 
oder dem andern Ufer entlang oder fuhren, um das tiefe Waſſer zu 
benugen, nahe an eine Inſel hinan, jodaß uns die Langeweile der 
Einförmigfeit eripart blieb. 

Während wir faum 12 m vom Lande in einem Armſeſſel ſaßen, 
ließ jede Umdrehung der Schraube uns neue Eigenjchaften des Blatt: 
werfes, des Ufers, der Bäume, Gefträuche, Bilanzen, Knospen und 
Blüten erbliden. Der Charakter oder die Eigenichaften der verſchie— 
denen Pflanzen und der mannichfaltigen Vegetation, welche wir erblidten, 


6 Fünftes Kapitel. [Oberfongo 


mochten uns gleihgültig oder unbekannt jein, fein Theil des Ufers 
Interejje für uns haben, aber dennoch vergaßen wir das Schwinden 
der Zeit, während wir die äußern Formen betrachteten, und wurden 
oft zu lebhafterm Intereffe angeregt, wenn ein Bewohner der Lüfte oder 
des Wajjers ſich in unſerm Gefichtsfelde zeigte. Dieje wunderjchönen 
Ausblide auf die vollitändig ruhigen Gewäſſer, die lebhaft grünen Wälder, 
in denen jeder Zweig und jedes Blatt jo ftill wie der Tod war, die 
faft ununterbrochene Frontlinie des dichten, mit Schmetterlingen, Motten 
und Inſekten geiprenfelten blattreichen Gebüjches, die glänzenden Ge— 
wäſſer der breiten Flüſſe werden uns doch länger in der Erinnerung 


Stanley-Rool. 





bleiben, als die ftürmifchen Bewegungen, welche die außerordentliche 
Nuhe der Natur faſt jeden Nachmittag ftörten. 

Bon Mitte März bis Mitte Mai war die Negenzeit, und täglich 
fündigte der Himmel furz nah) 2 Uhr nachmittags das Herannahen 
eines drohenden Gewitters an. Die Sonne verbarg fi) hinter den 
dunkeln Vorboten des Sturmes, und bald darauf zerriß der Donner die 
düftere Stille, zudten Blitze und ergoß ſich Regen in tropiicher Fülle, 
worauf allgemeine Niedergeichlagenheit vorherrichte und die Dunkelheit 
der Nacht eintrat. 

Natur und Zeit thaten ihr Beites für uns, Der Fluß war weder 
zu hoch noch zu niedrig. In erfterm Falle hätten wir auf dem über: 
ſchwemmten Terrain Schwierigfeiten gefunden, in leßterm würden wir 


1. Mai 1887.] Rom Stanley-Pool nad) Jambuja. 97 


dur die flachen Stellen in langwieriger Weije aufgehalten worden 
fein. Wir vermocdhten im allgemeinen uns etwa 40 m vom linken 
Ufer zu halten und fonnten uns ununterbrochen mehr al$ 1600 km 
weit an den veränderlichen Färbungen und Formen einer Pflanzen: 
welt erfreuen, welche, was Mannichfaltigfeit, Schönheit des Grüns, 
Reichthum und Wohlgerucd der Blüten anbetrifft, in der ganzen Welt 
ihreögleichen nicht findet. Während des größten Theils des Tages 
traten Gewitterftürme jelten auf, wodurd wir vielen Schreden und 
Gefahren entgingen; diejelben juchten ſich meift den Abend oder die 
Naht aus, wenn wir ficher vertäut am Ufer lagen, und da die 
Mosquitos, Mücken, Vieh: und Tjetjefliegen weniger biffig als früher 
waren, hatten wir jchon mehr als die Hälfte der Neife zurückgelegt, che 
wir durch einige umverbeilerliche Bagabunden von dieſen verichiedenen 
Species an ihre Eriftenz erinnert wurden. Die fampfluftigen Fluß: 
pferde und Srofodile zeigten fich diesmal wohlgefittet, die Einge— 
borenen waren bejcheiden in ihren Forderungen, gaben uns in vielen 
Fällen Ziegen, Geflügel, Eier, Bananen und Paradiesfeigen und be— 
gnügten jich mit Anweiſungen auf Herrn John Roſe Troup, der uns 
jpäter folgen würde. Unjere Gejundheit war ausgezeichnet und in der 
That wunderbar gut im Vergleich zu früher; ob die Engländer fic) 
in phyſiſcher Beziehung beſſer eigneten oder fich nicht befiegen laſſen 
wollten, weiß ich nicht, doch hörte ich auf dieſer Erpedition weniger 
Stlagen als auf allen frühern. 

Am 1. Mai fand der Aufbruch zur Reife den Kongo hinauf mit 
der Abfahrt des „Henry Need‘ und zwei Leichtern mit Tippu-Tib und 
96 Begleitern, jowie 35 von unjern Leuten ftatt. Bald nachher folgte 
der „Stanley und deſſen Gefährte, die „Florida“, mit 336 Leuten, 
ſowie 6 Ejeln und Waarenladungen, und eine halbe Stunde jpäter 
verjuchte der „Peace“ mit 135 Paſſagieren abzugehen; allein die guten 
Miünfche der Leute am Lande waren kaum verflungen, als das Ruder 
plöglich entzweibrad), während wir gegen die rajche Strömung ans 
fänpften. Der Kapitän befahl die Anker fallen zu laſſen, was gerade 
an einer Stelle geihah, wo der Grund außerordentlich zerriffen war 
und die Strömung mit einer Gejchwindigfeit von ſechs Knoten dahin- 
ihoß. Das Boot legte fich platt auf die Seite, die Stetten riſſen das 
Deck auf, und da die Anker an den Klippen auf dem Grunde feſt— 
gerathen waren und nicht wieder gehoben werden fonnten, mußten wir 
fie fappen und nad; dem Landungsplage bei Kinſchaſſa zurückkehren. 
Kapitän Whitley und der Majchiniit David Charters ae jih an 


Stanlen, Im dbunfeliten Afrila. J. 


98 Trünftes Kapitel. [Oberfongo 


die Arbeit, um das Ruder zu repariren, und um 8 Uhr abends war 
ihre Aufgabe vollendet. 

Am nächſten Morgen Hatten wir mehr Glüf, und in gehöriger 
Zeit erreichten wir Kimpofo am obern Ende des Pool, wo die übrigen 
Dampfer auf uns warteten. 

Der „Peace“ fuhr am 3. Mat voran, doch überholte uns der 
„Stanley“ und erreichte den Lagerplat anderthalb Stunden früher als 
wir. Der „Henry Reed‘ war wegen mangelnden Berftändnifjes des 
Kapitäns der lebte. 

Der „Peace“ war mit Krämpfen behaftet; er fuhr eine kurze Zeit 
ganz gut, dann aber verringerte er plößlich feine Geſchwindigkeit. Nachdem 
wir eine halbe Stunde gewartet hatten, nahm er einen neuen Anlauf. 
Sein Keſſel befteht aus einem Syſtem jchlangenförmig übereinander 
liegender Röhren; die Schrauben find in doppelten cylindrifchen Um— 
hüllungen unter dem Hed eingejchlofjen und müſſen mit einer fürdhter: 
lichen Geſchwindigkeit getrieben werden, ehe man rafchere Fahrt mit 
dem Schiffe machen kann. Daſſelbe wird und wahricheinlich noch viel 
Schwierigkeiten bereiten. 

Sobald wir das Lager aufgeichlagen hatten, was gewöhnlich um 
5 Uhr nachmittags geihah, mufterte jeder Offizier feine Leute, Die 
dann mit dem Hauen von Brennmaterial für den Bedarf am folgen: 
den Tage beginnen mußten. Das war manchmal ſehr jchwere Arbeit 
und dauerte ftundenlang bis in die Nacht hinein. Eine Anzahl Leute 
mußte das Holz der abgejtorbenen Bäume jammeln und zu den Holz: 
hauern am Landungsplage hintransportiren. Für einen Dampfer wie 
der „Stanley brauchte man 50 Mann, die zwei Stunden lang Holz 
juchen und weiter befördern mußten, während ein Dubend Leute es 
mit Merten in °, m lange Stüde für den Feuerroſt fpalteten. 
Der „Peace“ und der „Henry Reed“ brauchten halb jo viel Aerte und 
die gleiche Zeit, um ihren Bedarf an SHeizmaterial fertigzuftellen. 
Lebteres mußte dann in den Dampfern verftaut werden, damit am 
nächiten Morgen fein Aufenthalt entjtand; darauf mußten noch einige 
weitere Arbeiten erledigt werden, che das der Nacht geziemende Schweigen 
eintrat. Inzwiſchen beleuchteten die angezündeten Feuer den Schau: 
platz, und luſtig Hang das Geräufch beim Brechen, Spalten und Ber: 
fplittern der Baumſtämme. 

Der zu nichts brauchbare „Peace“ fuhr audh am 4. Mai fort 
uns zu ärgern. Dies tit eimer der langjamften Dampfer, den man 
nur bauen konnte; die beiden andern Dampfer ließen ung meilenweit 


# 


6. Mai 1887.) Vom Stanley: Pool nah Jambuja. 99 


zurüd, Alle Dreiviertelftunden mußten wir halt machen, um Die 
Maſchine zu Ölen; manchmal mußten wir auch anhalten, um die Cy— 
Iinder der Schrauben zu Faren, oder toppen, um wieder mehr Dampf 
zu befommen, oder den Roft von den verbrannten Kohlen zu reinigen. 
Benn fünf Minuten jpäter der Dampfdrud wieder auf 60° gejtiegen 
war, fiel er gleich darauf wieder auf 40°, dann auf 35”, worauf 
unſer armes, elendes Fahrzeug mit der Gejchwindigkeit von einer 
Seemeile in der Stunde wieder ftromabwärts trieb. Wir verloren 
durch den „Peace“ fieben Tage im Stanley-Pool und einen weitern 
Tag, als das Ruder brach; es war einmal unjer Schidjal, überafl 
Berzögerungen zu haben. 

Am folgenden Tage, 5. Mai, langten wir am Landungsplage 
bei Miuata an. Der Major und Dr. Parke waren fchon vier Tage 
vorher angefommen und hatten Mengen von Heizmaterial vorbereitet, 
fowie einen großen Haufen von Lebensmitteln, Brote aus Maniofwur- 
zeln und Mais, angefauft. 

Am 6. Mai ertheilte ich dem Major und jeinen Gefährten den 
Befehl, mit ihren Leuten nad Kwamouth zu marfchiren und den 
Dampfer dort zu erwarten. Der „Stanley‘ erhielt Ordre, nad) Bo— 
{060 zu fahren, jeine Paſſagiere dort auszujchiffen und dann nach 
Kwamouth zu gehen, um Barttelot und feine Leute zu holen, während 
wir die Compagnie in Bolobo reorganifirten. 

Am nächſten Tage erblidten wir den Dampfer Stanley‘ ganz 
auf dem linken Ufer in der Nähe von Tichumbiri, und als wir heran- 
famen, um uns nad) der Urſache des Unfalls zu erkundigen, erfuhren 
wir, daß er auf ein Felſenriff gelaufen und ſchwer bejchädigt war. 
Die zweite Abtheilung war an vier verjchiedenen Stellen durchlöchert, 
mehrere Nieten waren berausgeftoßen und andere hatten ſich gelöft. 
Wir machten uns daher mit den Majchiniften aller Dampfer an die 
Reparatur, wobei ſich namentlich die Herren Charters und Walker, 
beide Schotten, durch ihre Tüchtigkeit auszeichneten. Wir zerichnitten 
einige alte eijerne Delfannen und jtellten daraus Platten her, welche 
an der Außenſeite des Schiffes feitgeichraubt wurden. Es war das 
eine jehr misliche Arbeit, deren Ausführung Geduld und große Sorg- 
falt beanjpruchte, da im Sciffsraum zwei Fuß Waller jtanden und 
man deshalb erjt immer nach den Schrauben fühlen mußte, che man 
die Mutter auflegen fonnte. Daſſelbe gilt von dem Durchichlagen 
der Löcher im Boden des Dampfers, wobei der Maſchiniſt, bis zum 
Leibe im Waſſer jtehend, erſt durch das die Kraft brechende Element 


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100 Fünftes Kapitel. Oberkongo 


auf ſeinen Meißel ſchlagen mußte, ſowie bei der Vorbereitung der 
Platten, die in Bezug auf die Bohrlöcher genau den Löchern im 
Schiffsboden entſprechen mußten, und dem Aufſtreichen der Mennige, 
auf welche eine Lage Segeltuch und nochmals eine Schicht Mennige 
kam. Wenn alles zur Befeſtigung der Platte bereit war, wurde ein 
Taucher hinabgeſchickt, welcher die Eiſenplatte mit dem Segeltuch und 
den Mennigſchichten in die eine, das Ende eines an einem Loch der 
Platte befeſtigten Bindfadens in die andere Hand nahm. Der Taucher 
mußte nun an der Außenſeite des Schiffes das entſprechende Loch am 
Dampfer ſuchen, während der Maſchiniſt im Raum bis zu den Hüften 
im Waſſer ſtand und das Ende des Bindfadens zu ergreifen verſuchte, 
worauf er, wenn dies gelungen war, leßtern langjam anzog und die 
Platte vorfichtig an ihre richtige Yage führte, ſodaß ein Bolzen durch— 
geichoben und er die Mutter anjchrauben konnte. Dieje langwierige 
Arbeit nahm viele Stunden in Anipruch, bis am Abend des 7. Mai 
der eine große Riß reparirt war, doch vergingen noch zwei weitere 
Tage, bis der Dampfer jeine Fahrt fortiegen konnte, 

Bereits am 10. Mai holte der „Stanley“ den afthmatijchen 
„Peace“ ein und paffirte zugleich mit dem „Henry Reed‘ an ung vorüber. 
Einige Stunden jpäter brach der „Peace“ vollftändig zujammen und 
wollte nicht mehr vorwärts. Wir fonnten nur 30 Pfund Dampf halten 
und waren deshalb gezwungen, das Schiff am Lande feitzulegen. Zu 
diefer Zeit hatte das Geficht des Herrn Charters mehr Intereſſe für 
uns als ſonſt etwas in der Welt; wir horchten auf feine Worte, als ob 
fie ein Evangelium gewejen wären. Er war ein janguinischer, fröhlicher 
Heiner Herr, der und außerordentlichen Troſt gab, da er überzeugt 
war, daß wir rechtzeitig in Bolobo eintreffen würden, obwol wir nicht 
gerade jehr raſch vorwärts zu kommen ſchienen, jolange wir am Ufer 
feitlagen. 

Am nächſten Tage machten wir nochmals einen Verſuch; wir 
brachen um 4 Uhr morgens auf und waren entichloffen, uns auszu— 
zeichnen. Eine Stunde machte der „Peace“ fich ſehr gut, endlich zeigte 
er aber wieder Symptome des bevorstehenden Zuſammenbruchs. Der 
Dampf fiel immer tiefer, und da wir jchließlich feine 5 Pfund mehr 
halten fonnten, ließen wir die Anker fallen. Als unjere Lage gegen 
10 Uhr vormittags hoffnungslos zu jein ichien, jandte ich Herrn Ward 
nit dem Walfiichfängerboot nad) dem „Henry Need“, um Beistand zu 
holen, und um 8 Uhr abends traf dieſer ein und ging etwa 60 m 
von uns vor Anfer, nachdem wir den ganzen Tag mitten im Strom, 


12. Mai 1887.] Bom Stanley: Pool nah Jambuja. 101 


ungefähr 500 m von den beiden Ufern und jeder Inſel entfernt ſtill— 
gelegen, müßig den Dunkeln braunen Strom dahinfließen und nur 
Flußpferde, grasartige Maſſen, Tang und Holztrümmer hatten vor- 
beitreiben jehen. 

Am 12. Mai trafen wir ſchmachvoll im Schlepptau des „Henry 
Need‘ in Bolobo ein. 

Hat der Reiſende Ujanfi erreicht, dann ift etwas wie eine Hungers- 
noth faum möglich, denn Bolobo tft, was Mannichfaltigfeit und Ueber— 
fluß an Lebengmitteln anlangt, einer der beiten Häfen am Fluſſe. 
Hier, wo wir uns in einem Diftrict befanden, in welchem die Leute 
fi) wieder erholen und das Elend der verfürzten Nationen fett der 
Abreife von Lufungu vergefien fonnten, war aljo der Platz, wo unsere 
Erpedition in zwei Colonnen getheilt werden mußte. 

Da die Truppe nicht auf einmal nad) dem Oberkongo befördert 
werden fonnte, bejchloß ich, die geſündeſten Leute auszuwählen und 
nah Jambuja zu schien, während die Schwächlichen als eine Ab- 
theilung der Colonne des Majors Barttelot unter dem Befehl der 
Herren Herbert Ward und William Bonny in Bolobo zurücbleiben 
follten, bi8 der Dampfer „Stanley von Nambuja zurückfehren würde. 
Wir Hatten noch den Ruf nad) Eile, welcher uns bei der Abfahrt von 
England ins Ohr geflungen hatte, im Gedächtniß, und es geziemte 
uns daher, die Reife unter dem Gebot der Nothwendigkeit joviel es 
die Verhältniffe geitatteten zu beichleunigen, in der Hoffnung, daß die 
Nachhut in 6 oder 7 Wochen unjerer Route würde folgen fünnen. 

Wir fuchten demgemäß 125 Mann aus, welche die geringite 
Körperkraft zu haben jchienen, und ließen fie in Bolobo zurüd, damit 
fie fi an den Bananen, dem ausgezeichneten Brote der Eingeborenen, 
und an Fiſchen, die dort leicht zu beichaffen waren, mäjteten, während 
der „Stanley im der Zwilchenzeit mit Major Barttelot, Dr. Parke 
und 153 Mann nach Kwamouth hinabgefahren war. 

Hier wurde auch die verwidelte Frage entichieden, wer den Befehl 
über die Nachhut übernehmen follte. Da diejer Poſten der nädhit- 
wichtigite nach dem meinigen war, richteten Sich ſämmtliche Augen 
felbjtverständfich auf den älteften Offizier, Major Barttelot. Er joll 
eine Golonne von 1000 Mann von Koffer am Rothen Meer nad) 
Kenneh am Nil geführt und fi) auch in Afghanistan und im Sudan: 
Feldzuge ausgezeichnet haben. Wenn das auf Wahrheit beruhte, war er 
ohne Zweifel derjenige, welcher fi von den Offizieren am beiten zum 
Befehlshaber der Nachhut eignete. Hätte ich noch eine Perſönlichkeit 


102 Fünftes Kapitel. [Oberfongo 


von gleihem Range bei mir gehabt, jo würde ich dieſe wahricheinlich 
mit dem Pojten betraut haben, nicht weil ich Barttelot für ungeeignet 
hielt, jondern weil diejer dringend wünjchte, die Vorhut zu begleiten. 
Nachdem ich die Fähigkeiten und den Rang der übrigen Herren, deren 
Eifer mir wohlbefannt war, in Betracht gezogen hatte, theilte ich 
dem Major mit, ich fünnte wirklich nicht die Verantwortung auf mid) 
nehmen, jugendliche Lieutenants zu einem Poſten zu ernennen, der ihm 
feines Ranges, jeiner Erfahrungen und feines Rufes wegen zufäme, 

„Noch ein weiterer Dampfer wie der «Stanley» würde voll- 
jtändig genügt haben, lieber Major‘, jagte ich freundlich zu dem 
jungen Offizier, der ernftlich niedergeichlagen war. „Won der Erpe- 
dition bleiben nur 125 Mann und eine Ladung Waaren zurücd, alles 
übrige ijt bequem an Bord untergebradjt. Wenn Sie eine Perfün- 
fichfeit finden fünnen, welche Ihren Plag zwiichen hier und Jambuja 
befjer ausfüllen würde als Sie, möchte ich fie gern fennen lernen, 
Hoffentlich werden Sie fid) die Sache nicht allzu ſehr zu Herzen nehmen, 
Und was fommt auch darauf an? Sie, der Sie die Nachhut herauf: 
bringen, haben ebenſo viel Recht auf Anerkennung, wie wir bei der 
Borhut. Wenn Tippu-Tib mir treu ift, werden Sie faum ſechs Wochen 
hinter ung zurüd ſein; Sie fünnen uns leicht einholen, weil wir bei 
der Aufjuchung der Route und dem Bahnen eines Weges durch allerlei 
Hinderniſſe jelbftverftändlich jehr viel Aufenthalt haben werden. Sie 
folgen ung auf einem Ihnen vorgezeichneten Wege und fünnen oft in 
einem Tage zwei von unjern Märjchen machen. Vereinigt Tippu-Tib 
fich nicht mit Ihnen, dann find Sie Herr Ihrer Kolonne und werden 
nit Ihrer Aufgabe jo beichäftigt jein, daß die Zeit Ihnen ſchnell genug 
verfliegen wird. Und zu Ihrem Troſte will ich Ihnen noch mehr 
jagen, lieber Major; es liegt noch viel Arbeit vor uns, von der Sie 
den wichtigften Theil haben jollen. Nun jagen Sie mir, wen Sie zum 
Nächitceommandirenden haben möchten.‘ 

„Do, das möchte ich Ihnen überlaffen.‘ 

„Nein, ich habe es lieber, wenn Sie fich jelbft einen Freund 
zum Gefährten ausſuchen, damit derjelbe Ihre Hoffnungen und Ge: 
danken theilt. Wir alle haben, wie Sie wiſſen, Vorliebe für diefen 
oder jenen.‘ 

„Nun, dann wähle ich Jamejon.‘ 

„But, Herr Jamejon ſoll zu dem Poſten ernannt werden. ch 
werde jelbit mit ihm Iprechen und dann auch Herrn Roſe Troup, den 
ich für einen prächtigen Burichen zu halten Grund habe, jowie den 


30. Mai 1887.) Bom Stanley Rool nah Jambuja. 103 


jungen Ward und Bonny bei Ihnen zurücklaſſen. Sowol Troup und 
Bonny Sprechen Kifuaheli und fie werden Ihnen gute Dienfte leisten.‘ 

Nachdem die Angelegenheit in dieſer Weiſe erledigt war, jebte 
die Flotille am 15. Mat mit 511 Perſonen von der Erpedition, jo- 
wie Tippu-Tib und 90 feiner Leute die Fahrt flußaufwärts fort. 

Am 16. Mai hatten wir eine gute Reife, da die an dem Dampfer 
„Peace“ vorgenommenen Reparaturen ſeine Fahrgeichwindigkeit ver: 
beifert hatten, und am 19. machten wir in der Nähe der Baptiften- 
Miffionsstation Lufolela das Boot am Lande feft, wo der „Stanley‘ 
fi erit ſpät am Abend einftellte. 

Den nächſten Tag blieben wir bei Zufolela liegen, um Lebens— 
mittel für die Fahrt nad) der Mequator-Station einzufaufen, und wir 
waren den Miffionaren diefer Station jehr danfbar für die uns be= 
wiejene gütige Gaftfreundichaft. 

Am 24. Mat kamen wir an der Mequator-Station an, die jebt 
Eigenthum der Sanford-Company ift, als deren Vertreter Herr E. 3. 
Slave, ein tüchtiger junger Mann aus VYorkſhire, fungirt. Auch 
Kapitän Ban Gele befand fich Hier, nachdem er kürzlich mit fünf 
Hauffajoldaten von einem fruchtlofen Verfuche, den Mobangi nod) höher 
aufwärts zu fahren, als es dem Miſſionar Grenfell einige Monate 
vorher gelungen, zurücdgefehrt war. 

Die Station Bangala erreichten wir am 30. Mai. Der Plab 
war jett eine jehr große, gedeihende Niederlafjung mit einer Garnijon 
von 60 Mann und zwei Krupp’ichen Geſchützen zur Bertheidigung. 
E3 werden hier Ziegelfteine von vorzüglicher Qualität hergeftellt, von 
denen bereit? 40000 Stüd fertig waren. Die Niederlaffung madıt 
Gentralafrifa in jeder Beziehung große Ehre. Der Chef, van Kerck— 
hoven, war nicht anweſend und befand fid) in Zangastanga. Es war 
ihm fürzlich gelungen, 29 Hauffafoldaten aus der Sklaverei zu be= 
freien. Bei der Flucht Deane's von den Stanley-Fällen hatten die 
Haufja fi) voreilig in ein Kanve geworfen und waren bis Upoto 
hinabgetrieben, wo die Eingeborenen fie als Dejerteure gefangen ge= 
nommen hatten. 

Außer jonftigen guten Eigenichaften, die Bangala bejitt, fehlt es 
dort niemals an Lebensmitteln. Die Station hatte 130 Ziegen, ſowie 
ein paar hundert Hühner, welche die Offiziere mit frijchen Eiern ver: 
forgten. Zehn Ader Landes verfprachen mit ihrem Grün eine jchöne Reis: 
ernte. Die Offiziere erquidten fi) an Balmen- und Bananenwein, ſowie 
gegorenem Bier aus Zuderrohr, das, wie ich fand, äußerſt fräftig war. 


104 Fünftes Kapitel, [Oberfongo 


In Bangala befahl ich Major Barttelot, fi mit Tippu-Tib und 
dejien Leuten direct nach den Stanley: Fällen zu begeben, nachdem ich 
zuvor 35 Sanfibariten aus den Booten entfernt und durch 40 Suda— 
nejen erjeßt hatte, damit feinem der Sanfibariten befannt würde, daß 
die Stanley- Fälle nur wenige Tagemärjche von Jambuja entfernt 
waren, 

Abgeſehen von einigen Unregelmäßigfeiten in dem Benehmen des 
Dampfers ‚Stanley‘, der unter dem Vorwande, genügend Heizmaterial 
der richtigen Sorte aufzujuchen, durch geheimnigvolle Manöver in 
ein wirres Neb von Kanälen verſchwand, dampften wir ohne irgend- 
welche Unfälle zum Arwwimifluß hinauf und trafen am 12. Juni bei 
unjerm alten Lager gegenüber den Baſoko-Dörfern ein. 

Die Baſoko waren die Landsleute von Baruti oder „Schieh- 
pulver“, der im Jahre 1883 als Kind von einigen Karema geraubt 
und von Sir Francis de Winton nad) England gebracht worden war, 
um die Vorzüge des civilifirten Lebens kennen zu lernen. Aus der 
Obhut von Sir Francis gelangte Baruti in die meinige. Hier befanden 
wir uns endlich im Angeſichte jeines heimatlichen Dorfes und Stam— 
mes, dem er ſechs Jahre fern geweien war. 

Als ich jah, wie Baruti den Ort feiner Geburt mit außerordent- 
lichem Intereſſe betrachtete, forderte ich ihn auf, die Baſoko anzurufen 
und fie zu einem Beſuch bei ung aufzufordern. Meine frühern Ver— 
juche, das Vertrauen diefer Waldbervohner zu gewinnen, waren ſämmt— 
lich fehlgeſchlagen, obwol ich überzeugt war, daß dies mit der Zeit 
doc; gelingen würde. Für mich war es lange eine intereflante Frage 
gewejen, weshalb die Eingeborenen des Waldes unzugänglicher und 
jcheuer waren, al3 die Bewohner des offenen Landes. Alle Methoden, 
wie das Zeigen eines glänzenden oder buntfarbigen QTaufchartifels, 
von glänzendfarbigen Berlenichnüren, die wir geduldig hin- und her— 
ichwangen, geſchicktes Zureden, überzeugendes Lächeln und beruhigende 
Zeichen wurden jtundenlang angewandt, endeten aber ftets mit Ent- 
täuichung und der Verschiebung des Verkehrs auf eine beſſere Gelegen- 
heit. Der Grund davon befteht aber darin, daß der Wald jtets einen 
bequem zu erreichenden Rückzug bietet, während der Argwohn des 
Fremden und die die Eingeborenen begünjtigende Tiefe der wegloien 
Wälder ftarf gegen jedes unbeftimmte Rifico iprechen. Das geringite 
Vorwärtsgehen hat jofort die eilige Rückwärtsbewegung des Einge: 
borenen zur Folge, bis dieſer die Grenzen des Waldes erreicht, in 
deſſen Dunfelheit er nach einem legten Bli auf den Fremden ſchließlich 


12. Juni 1887.) Vom Stanley-PBool nad Jambuja, 105 


verichwindet, mit einer Miene, als wollte er jagen: „Es hilft euch 
nichts, mich fünnt ihr doch nicht einholen.“ Dagegen hat der Ein- 
geborene auf dem offenen Lande gewöhnlich irgendeinen vortheilhaften 
Winkel, einen hervorragenden Punkt, einen Baum oder Ameijenhügel, 
von dejjen Spige er jeine Beobachtungen macht und über den Cha- 
rafter der ‘Fremden fich vergewiljert oder warnen läßt. Im Walde 
jteht dem Bewohner des Dickichts ganz plößlich der Fremde gegen: 
über, der aus unbefannten Gegenden zu unbegriffenen Zweden ge- 
fommen ij. In den Zügen des einen malt fich Ueberrafhung, in 
denen des andern Schreden. 





Baruti findet feinen Bruder, 


Baruti rief die Eingeborenen an, worauf die Kanoes in ganz 
langiamer Fahrt herbeifamen, bis fie ſich endlich bis auf gute 
Nufweite näherten. Er erkannte einige der Bootsleute wieder und 
theilte ihnen. mit, fie brauchten feine Urjache zur Furcht zu haben. 
Dann fragte er nad) einem Mann, dejien Namen er nannte, worauf 
die Wilden das Wort mit prachtvoller, fräftiger Lunge über den Fluß 
ichrien, bis jemand antwortete, ein Kanoe bejtieg und heranruderte. 
Es war dies ein älterer Bruder Baruti's. Baruti wollte von ihm 
willen, wie es ihm während jeiner eigenen jechsjährigen Abweſenheit 
gegangen jei. Der Bruder ftarrte ihm dumm an, vermochte die Züge 


106 Fünftes Kapitel. Oberlongo. 


Baruti's nicht wiederzuerkennen und äußerte in grunzendem Tone ſeine 
Zweifel. 

Baruti nannte darauf die Namen ſeiner Aeltern, erſt denjenigen 
des Vaters und dann den der Mutter, worauf ſich in den Zügen des 
Bruders größeres Intereſſe zeigte und er geſchickt mit dem Kanoe 
näher heranſteuerte. 

„Wenn du mein Bruder biſt, ſo nenne mir etwas, woran ich 
dich erkenne.“ 

„Du haft eine Narbe am Arm — dort am rechten. Erinnerſt 
du Dich noch des Krokodils?“ 

- Das genügte. Der junge breitbrüftige Eingeborene ließ einen 
Freudenſchrei erichallen und rief feine Entdedung den entferntern Lands— 
feuten am Ufer zu, und Baruti vergoß zum erften mal in feinem Leben 
Thränen. Der junge Eingeborene fam nahe an das Schiff heran, 
vergaß jegliche Furcht vor den Fremden und umarmte Baruti außer 
fi vor Freude, während die übrigen Kanoes heranfteuerten, um an 
dem Glüd der wieder vereinigten Brüder theilzunehmen, 

Abends ftellte ich Baruti die Wahl frei, ob er in dem Dorfe bei 
feinem Stamme bleiben oder unferm abenteuerlichen Marjche folgen 
wolle; gleichzeitig rieth ich ihm aber, ung nicht zu verlafjen, da das 
Leben unter den Bafofo wegen der großen Nähe der Araber an den 
Stanley: Fällen doch ein ſehr unficheres fet. 

Der Junge jchien auch jo zu denken und lehnte es Daher ab, 
zu feinem heimatlichen Lande und Stamme zurüdzufehren; allein einen 
oder zwei Tage nad) der Ankunft in Jambuja änderte er jeine Meinung, 
fam nacht3 heimlich in mein Zelt, bewaffnete ſich mit einem Winchejter- 
gewehr und einem Baar Revolver von Smith u. Weſſon, nebjt einem 
Borrath von Gewehr: und Nevolverpatronen, nahm eine filberne Reife: 
uhr, einen filbernen Schrittmeſſer, einen hübjchen Gürtel nebſt Patronen 
tajhe und eine Heine Summe Geldes, ftahl dann ein Kanoe und 
verichwand nad unbekannten Regionen flußabwärts, höchſt wahr: 
jcheinlich zu feinem Stamme. Jedenfalls haben wir jeitdem nichts 
wieder von ihm gejehen oder gehört. zyriede jei mit ihm! 

Am 15. Juni trafen wir gegenüber den am linken fer des 
Arumimi liegenden Dörfern von Jambuja ein, 154 km oberhalb des 
BZulammenfluffes des Aruwimi mit dem Kongo, 


Sedjstes Kapitel. 


Yu Jambuja. 


Landung bei den Jambuja» Dörfern. — Der „Stanley“ verläßt die Aequator— 

Station. — Belorgnifie wegen des Majors Barttelot und des „Henry Need“. 

— Glüdlihe Ankunft. — Inftructionen für Major Barttelot und Jameſon betreffs 

der Nachhut. — Major Barttelot’3 Zweifel an der Vertrauensmwürbigfeit Tippu- 

Tib's. — Eine lange Unterredung mit Major Barttelot. — Memorandum für 

bie Offiziere der Vorhut. — Krankheit des Lientenants Staird. — Die legte Nacht 
in Jambuja. — Ueberſicht über unjere Mannichaften und Ausrüftung. 


Wir befanden uns jebt über 2000 km von der See. Uns 
gegenüber lagen die Dörfer, welche wir bei dem guten Willen der 
Eingeborenen zeitweilig als Depot für die in Bolobo und Leopofdville 
zurüdgelafjenen Leute und Vorräthe, 125 Mann und 600 Trägerlaften 
Waaren, benugen wollten; waren die Eingeborenen nicht gutwillig 
bereit, uns das Vorrecht zu verkaufen, follte e8 mit Gewalt genommen 
werden. 

Bei einer Forichungstour im Jahre 1883 hatte ıch verfucht, die 
Einwohner zu verjühnen, ohne aber dauernden Erfolg damit zu haben. 
Seht hatten wir einen jehr ernften Zwed vor uns. Vor unjerm geiftigen 
Auge ftanden die fernen Häfen des Nils und des Albert-Njanfa, die von 
Leuten vertheidigt wurden, welche mit ängftlichen Bliden die Haupt- 
richtungen des Kompaſſes mufterten, aus denen fie Hülfe erwarten 
konnten, da fie um dieje Zeit durch unjere Boten von Sanfibar aus bereits 
von unjerm Kommen in Kenntniß gejegt fein mußten; allein zwiſchen 
ung und ihnen lag noch eine breite Region, welche auf den bejten 
vorhandenen Karten immer nur ganz weiß gelaffen war. Als wir auf 
die Schwarze Waldmauer blickten, welche die hohen Bäume dem ganzen 
Ufer entlang von Bolobo bis hierher bilden, nur dort unterbrochen, wo 
fie von majeftätifchen, ihre gewaltigen Wafjermafjen in den Hauptitrom 
ergießenden Flüſſen zertheilt wird, da hatte wol jeder von uns feine 


108 Sechstes Kapitel. Jambuja 


eigenen, im tiefſten Grunde des Herzens verborgenen Gedanken. Die 
meinigen richteten ſich, wie ich jetzt nicht mehr zu verheimlichen brauche, 
auf den mir als Ziel vorſchwebenden Gouverneur, der inmitten ſeiner 
Garniſonen ſeine tapfern Soldaten tröſtet und ermuthigt und mit 
ausgeſtreckter Hand nach der Richtung zeigt, aus welcher der erwartete 
Entſatz ſicher kommen wird, wenn es Gottes Wille iſt; und darüber 
hinaus in der Ferne ſah ich in meiner Phantafie die Mahdiftenhorden 
mit wüthendem Gejchrei und dem frenetijchen, gelfenden Rufe „Jallah, 
Jallah!“ vordringen, bis letzterer von einem Ende der ſchwan— 
fenden Linie bis zur andern fich fortpflanzte und durch die ganze 





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Typiſches Dorf Ära et — — — 
* 
am untern Aruwimi ** a. 727 A | 
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- Horde der hitzigen fanatischen Krieger erflang; und auf der andern 
Seite erblicte ich die Scharen der mit der Zeit dem Untergange ges 
weihten Eingeborenen, und zwiſchen ihnen und uns Das ungeheuere 
unbekannte Gebiet, in dem es weder Weg noch Steg gibt. 

Die Hauptleute der verschiedenen Compagnien teilten die Munition 
aus und erhielten Befehl, auf ihren Schiffen Dampf bereit zu halten, 
damit wir die erjte wichtige Bewegung zur Vorbereitung des Marjches 
nad) dem Albert-Njanja unternehmen fünnten. 

Um 6 Uhr morgens am 16. Juni glitt der „Peace von feinem 
Liegeplag, bis er querab von dem „Stanley war, deſſen Offiziere ich, 
als wir nahe genug waren, um verjtanden zu werden, aufforderte, 
mein Signal zu envarten. Dann dampften wir langjam über den 


16. Juni 1887.] In Jambuja. 109 


Fluß und verjuchten, die Furcht der Eingeborenen zu beruhigen und 
ihre Aufregung dadurch zu bejänftigen, daß wir gegemüber einer 
großen Schar ‚derjelben, welche auf dem fteil abfallenden Ufer 15 m 
über ung ftanden und uns mit VBerwunderung und Neugier betrachteten, 
liegen blieben. Unjer Dolmetjcher vermochte ſich jehr gut verjtändlich 
zu machen, da die Eingeborenen am untern Aruwimi jämmtlich nur 
eine Sprache reden. Nachdem wir eine Stunde lang Complimente und 
freundliche Redensarten gewechjelt hatten, veranlaßten wir fie, einige 
ihrer Kühnſten nach dem Rande des Fluſſes zu jenden, während die 
Strömung den Dampfer infolge einer leichten Bewegung bis nahe ang 





Landung in Nambuja. 


Ufer führte, wo mit Bitten und Ueberredung unjerer- und Abjchlagen 
und Ablehnen andererjeit3 eine weitere Stunde verging; doch gelang 
es uns dann, ihnen ein Meſſer für eine reichliche Menge. Perlen ab- 
zufaufen! Hierdurch ermuthigt, begannen wir Unterhandlungen über die 
Erlaubniß, gegen Zahlung eines in Stoffen, Perlen, Draht oder Eijen 
bejtehenden Preijes einige Wochen in ihrem Dorfe wohnen zu dürfen, 
doc wurde dies nad) nochmals einer Stunde feſt und bejtimmt abgelehnt. 

Es war jegt 9 Uhr. Meine Kehle war troden, die Sonne wurde 
heiß umd ich fignalifirte daher dem Dampfer ‚Stanley‘, er jolle 
herüberfommen und ſich uns anſchließen. Auf ein zweites Signal 
ließen beide Dampfer, al3 der „Stanley nahe genug gefommen war, 


110 Sechstes Kapitel. [Jambuja 


die Dampfpfeifen ertönen und unter dem, durch die hohen Waldmauern 
verjtärften, betäubenden Lärm wurden beide Schiffe ans Ufer gejteuert 
und die Sanfibariten und Sudanejen Eletterten wie Affen an dem fteilen 
Ufergehänge empor, auf welchen, als fie oben anfamen, fein einziger 
Bewohner des Dorfes mehr zu jehen war, 

Wir fanden, daß die Niederlaffung von Jambuja aus einer Reihe 
von Dörfern mit fegelfürmigen Hütten beftand, welche fich auf dem 
obern Uferrand Hinzogen, von wo man einen weiten Blif auf= und 
abwärts auf den Aruwimi hatte. Die Compagnien marjchirten nad) 
den ihnen angewiejenen Quartieren, und es wurden auf allen aus dem 
Dorfe führenden Pfaden Wachen ausgeftellt. Einige der Leute wurden 
beauftragt, Holz für Valiffaden zu hauen, andere mußten Heizmaterial 
jammeln und nod andere Abtheilungen wurden ausgejchidt, um die 
Ausdehnung und Lage der Felder zu unterjuchen. 

Nachmittags stellten zwei Eingeborene aus einem abwärts von 
Jambuja gelegenen Dorfe ſich mit für ung jchmeichelhaften Vertrauen bei 
uns ein, Diejelben waren von den Baburu-Stämmen, denen die ver: 
Ichiedenen Fragmente der Stämme zwijchen den Stanley: zällen und dem 
untern Aruwimi angehören. Sie verkauften uns einige Bananen und 
wurden dafür gut bezahlt und aufgefordert, mehr Lebensmittel zu 
bringen, unter der Berficherung, daß fie nichts zu befürchten brauchten. 

An nächiten Tage wurden Leute ausgejandt, um auf den Fel— 
dern Maniof zu jammeln, während andere mit dem Bau von Paliſſaden 
und der Heritellung eines Grabens beichäftigt wurden; weitere Arbeiter 
mußten einen Schanzgraben zur Aufſtellung des Balijjadenzaung 
herrichten, die Holzhauer wurden ausgeſchickt, um die Vorbereitungen 
für das Beladen der Dampfer mit Brennholz zu treffen, damit Die- 
jelben mit den geichwächten Bemannungen auf der Rüdfahrt nach dem 
Pool nicht in Berlegenheit kämen; überall herrichte Leben und 
Thätigfeit. 

Im Walde wurden mehrere Eingeborene gefangen genommen, denen 
wir alles zeigten und eine Hand voll Glasperlen jchenften, damit 
fie den übrigen die Verficherung überbrädhten, daß fie von uns nichts 
zu befürchten hätten und ihnen nichts zu Leide geichehen würde. 

Am 19. Juni war genügend Brennholz gehauen, ſodaß der „Stanley“ 
für ſechs Tage Fahrt verjehen war und die Reiſe nach der Aequator- 
Station antreten konnte. Ich jtellte für den Kapitän einen Ched über 
50 Pfd. St. aus, jowie einen zweiten für den Majchiniften über einen 
ähnlichen Betrag auf Ranſom, Bouverie u. Co. und gab die Scheine 


22. Juni 1887.] In Jambuja. 111 


in Gegenwart der beiden Herren an Jameſon mit der Weifung, daß 
diefelben, falls jene ungefähr um Mitte Auguft Jambuja ficher er: 
reichten, ihnen bei der Rückkehr vom Stanley-Pool ausgehändigt werden 
fünnten. Ein wertvolles Schmudjtüd jandte ich an Lieutenant Lieb: 
recht als Zeichen meiner großen Hochachtung für ihn. Am nächiten 
Morgen ging der „Stanley mit meinen Briefen an das Entſatz— 
Gomite ab. 

Der „Beace‘ wurde noch zurüdgehalten, um jeinen Gefährten, 
den „Henry Reed‘, zu begleiten, den wir nach den nftructionen, Die 
Major Barttelot erhalten hatte, jest jtündlich erwarteten, da derjelbe 
am 19. bei uns hätte eintreffen müſſen. 

In einem wilden Lande wie dieſes, wo man auf allen Seiten im 
Walde Kannibalen und Tauſende von Sflavenräubern fo nahe an 
den Stanley Fällen hat, ift man natürlich Teicht geneigt, ernſtliche 
Ereignijje zu befürchten, wenn die gehegten Erwartungen fich nicht 
prompt und pünktlich erfüllen. Barttelot hatte die Mündung des 
Aruwimi ala Befehlshaber des „Henry Need“ am 11. paſſirt, um 
Tippu-Tib und feine Leute nach einer Niederlaffung zu befördern, von 
welcher ein englischer Commandant umd die Garnifon über Hals und 
Kopf vertrieben worden waren. Allerdings war der arabijche Häupt- 
ling jehr zuverfichtlich in feinem Benehmen und jehr ernithaft in der 
Berficherung gewejen, daß er fich neun Tage nad) der Ankunft in jeiner 
Niederlafjung entiprechend unjerer Vereinbarung mit 600 Trägern in 
Sambuja einjtellen werde, und ich hatte ungern glauben wollen, daß er 
für diefes Ausbleiben des Majors in irgendeiner Weife verantwortlich fei. 
Allein der Major hätte die Stanley: Fälle am 13. erreichen, am Abend 
des 14. wieder an der Mündung des Aruwimi und am 16. in Jam— 
buja fein müſſen, d. 5. wenn er die Eigenfchaft beſaß, die Befehle 
buchjtäblich auszuführen und fich durch nichts zu einer Verzögerung 
verleiten zu laſſen. Wir hatten jegt den 21. Die Offiziere waren 
überzeugt, daß tweiter nichts eingetreten jei, al3 die durch die Verhält- 
niffe des Lebens in Afrika bedingte natürliche Verzögerung; allein 
ftündlich wanderte ich an den Uferrand, um mit meinem Glaſe den Fluß 
hinab zu bliden. 

Am 22. Juni war meine Unruhe jo groß geworden, daß ich Lieute- 
nant Stairs den jchriftlichen Befehl gab, mit 50 unjerer beiten Leute 
und dem Marimgeichit am Morgen des 23. auf dem Dampfer 
„Peace jtromabwärts zu fahren und den „Henry Need“ aufzufuchen, 
jowie, wenn er michts weiter höre, nad) den Stanley-Fällen zu 


112 Schötes Kapitel. Jambuja 


dampfen. Nach der Ankunft bei dieſer Niederlaſſung ſollte er, ſobald 
das Schiff vom Landungsplatze zu ſehen wäre und ſeine freundſchaftlichen 
Signale nicht beantwortet würden, ſofort alles zum Angriff vorbereiten, 
den Dampfer zurückerobern und, wenn ihm dies nicht gelänge, raſch 
mit der Meldung zu mir kommen. 

Um 5 Uhr nachmittags erhoben die Sanſibariten das mir höchſt 
willkommene Geſchrei: „Schiff in Sicht!“ Barttelot war wohlbehalten 
und es war kein Unfall eingetreten; Tippu-Tib hatte den Dampfer 
nicht erobert, die Sudaneſen hatten ſich nicht gegen den Major em— 
pört, die Eingeborenen nicht das ſchlafende Lager in der Nacht überfallen, 
der Dampfer war nicht auf einen treibenden Baumſtamm gerathen 
und geſunken oder geſtrandet, und das Boot, für welches wir der 
Miſſion moraliſch verantwortlich waren, befand ſich in ebenſo guter 
Ordnung und ebenſolchem Zuſtande, wie bei der Abfahrt vom Stan— 
ley-Pool. Allein das Leben in Afrika iſt zu aufreibend, als daß 
man das Opfer jolcher Sorgen werden möchte. 

Der Major war einfach durch verichiedene Zufälligkeiten — 
Kampf mit den Eingeborenen, Palaver mit Tippu-Tib und feinen 
Leuten u. ſ. w. — aufgehalten worden. 

Zwei Tage ſpäter waren die Dampfer „Peace“ und „Henry 
Need“ mit Heizmaterial beladen und wurden jtromabwärts nad) Haufe 
geichickt, und wir hatten damit das legte Band, welches uns mit der 
Civilifation verfnüpfte, auf viele Monate hinaus zerichnitten. 

An diefem Tage richtete ih an Major PBarttelot folgendes In— 
ftructionsjchreiben, von dem ich Herrn J. ©. Jameſon, dem Nächit- 
commandirenden, eine Abjchrift übergab: 

24. Juni 1887. 
Herrn Major Barttelot. 


Meehrter Herr ! Als Aelteſtem der auf der Erpedition zum Entſatze Emin 
Paſcha's mich begleitenden Dffiziere fällt das Kommando diejes wichtigen Poſtens 
jelbitverftändlih Ihmen zu. Es ift auch im Intereſſe der Erpedition, daß Sie 
diefen Befehl übernehmen, und zwar aus dem Grunde, weil Ihre Sudaneſen— 
Compagnie, welde nur aus Soldaten befteht und ſich mehr für den Garnifondienft 
eignet als die Sanfikariten, bier bef’er verwerthet werden kann als auf dem 
Mariche. 

Der Tampfer „Stanley“ ift am 22, d. M. von Jambuja nach dem Stanley- 
Pool abgefahren. Wenn ihm fein Unfall zuftößt, müßte er am 1. Juli in Leopold— 
ville fein. In zwei weitern Tagen wird er mit etwa 500 Laften unjerer Waaren, 
die wir unter der Aufficht des Herrn I. R. Troup zurüdgelafien haben, beladen 
fein. Dieſer Herr wird fih auf dem Dampfer cinichiften, der, wie id annchme, 
am 4. Juli feine Bergfahrt antreten und am %. in Bolobo eintreffen wird. Wenn 
das Heizmaterial fertig ift, werden die 125 Mann, die fich unter Führung der 


24. Juni 1887.) In Jambuja. 113 


Herren Ward und Bonny jegt in Bolobo befinden, ſich einjchiffen, worauf der 
Dampfer die Reife fortiegt. Er wird am 19. Juli in Bangala fein und am 
31. Juli hier anfommen. Selbſtverſtändlich kann der niedrige Waſſerſtand des 
Trluffes in jenem Monat den Dampfer vielleicht einige Tage aufhalten, indeſſen 
können Sie, da ich großes Vertrauen zu feinem Kapitän habe, ihn mit Sicherheit 
vor dem 10. Auguſt erwarten.* 

Die Nichtantunft diefer Waaren und Leute ift es, melde mich zwingt, Sie 
zum Befehlshaber dieſes Poftens zu ernennen. Da ich aber binnen furzem das 
Eintreffen einer großen Berftärtung von Leuten ** erwarte, welche die Zahl der 
Borhut, die unter allen Umftänden zur Rettung Emin Paſcha's vordringen muß, 
erheblich überjteigt, jo hoffe ich, dab Sie nach der Abfahrt des „Stanley“ auf feiner 
endgültigen Rüdfehr nad) dem Stanley-Pool im Auguſt nicht länger als menige 
Tage aufgehalten werben. 

Inzwiſchen fommt es Ihnen zu, bis zur Ankunft unjerer Leute und Waaren 
in dem Commando über diejes befeftigte Lager jehr aufmerfjam und vorfidtig zu 
fein. Obwol leßteres eine günftige Lage befigt und von Natur feft ift, würde 
ein tapferer Feind doch Feine jchwierige Aufgabe darin finden, es zu erobern, wenn 
der Befehlähaber es an Disciplin, Kraft und Energie mangeln läßt. Ich bin 
deshalb überzeugt, daß ich eine gute Wahl getroffen habe, als ich Sie beauftragte, 
unjere Intereſſen während unferer Abwejenheit hier zu ſchützen. 

Die Ihnen jept anvertrauten Intereffen find von allergrößter Bedeutung für 
dieſe Erpedition. Die Leute, welche Sie unter Ihren Befehlen haben werben, 
machen mehr als ein volles Drittel der Erpedition aus, die Güter, die hierher 
gebracht werden, find das für den Marich durch die Regionen jenſeit der Seen 
nöthige Geld; außerdem wird ein ungeheuerer Borrath von Munition und Proviant 
da fein, die von gleicher Wichtigkeit für ung find. Der Verluſt diefer Mannjchaften 
und Waaren würde ficherer Ruin für uns jein und die Vorhut dann ihrerjeits 
jelbft um Entjaß bitten müffen. Ich hoffe daher, daß Sie in voller Berüdfichtigung 
dieſes Umjtandes feine Mühe jcheuen werden, um die Ordnung und Pisciplin in 
Ihrem Lager aufrecht zu erhalten, Ihre Vertheidigungswerke zu vervollitändigen 
und fie in ſolchem Zuftande zu Halten, daß fein Feind, wie tapfer er auch fein 
mag, Erfolg über diejelben erringen fann. Zu dieſem Zwede würde ih Ihnen 
empfehlen, einen Ffünftlihen Graben von 6 Fuß Breite und 3 Fuß Ziefe herzu- 
ftellen, welcher von dem natürlichen Graben an, in dem fich die Quelle befindet, um 
die Balifiaden herum führt. Die Anlage einer Plattform, ähnlich wie diejenige 
auf der Südjeite, in der Nähe des öftlichen ſowie des weltlichen Thores würde 
für die Stärfe des Lagers von Bortheil fein. Denn vergeffen Sie nit, es find 
nicht nur die Eingeborenen, die Sie vielleicht angreifen wollen, ſondern möglicher: 
weile werden aucd die Araber und ihre Begleiter aus dem einen oder andern 
Grunde Streit mit Ihnen juchen und einen Angriff auf Ihr Lager unternehmen. 

Unfer Eurs wird von hier nahezu aſtronomiſch genau Dit oder nad) dem Kompaß 
Dft zu Süd fein. Bielleicht werden die Pfade zu Zeiten nicht genau in diejer 
Richtung führen, doch ift die ſüdweſtliche Ede des Albert-Sees in der Nähe von 
oder bei Kavalli unjer Beitimmungsort. Bei unjerer Ankunft daſelbſt werden wir 
in der Umgegend ein feites Lager aufichlagen, unfer Boot zu Waſſer bringen und 


* Der Dampfer wurde durch das Auflaufen auf einen treibenden Baumſtamm 
einige Tage aufgehalten und traf am 14. Auguſt ein. 
* Die 600 Träger Tippu-Tib's. 
Stanlen, Im dinteliten Aitifa, 1. 8 


114 Sechstes Kapitel. [Jambuja 


nach Kibiro in Unjoro fteuern, um von Signor Caſati, fall$ derjelbe fich dort 
befindet, Nachrichten über die Lage Emin Paſcha's zu erhalten. it legterer am 
"eben und in der Nachbarſchaft des Sees, dann werden wir uns mit ihm in Ber- 
bindung fegen; unfer fpäteres Verfahren muß fi) nach dem Fichten, was wir über 
die Abfichten Emin Paſcha's erfahren. Wir können annehmen, daß wir nicht länger 
als 14 Tage bei ihm bleiben, bis über unfere Rückkehr nad) dem Lager auf der 
von und bereits zurücgelegten Straße entihieden worden ift. 

Wir werden uns bemühen, durch Zeichnen von Bäumen und Anjchneiden 
von jungen Stämmen am Wege genügende Spuren der Route zu Hinterlafien, 
welche wir eingejchlagen haben. Bei allen Kreuzungspuntten, wo Pfade ſich jchneiden, 
werden wir den Boden auflodern und auf den nicht von uns benugten Pfaden 
einen einige Zoll tiefen Graben heritellen, ſowie auch die Bäume bezeichnen, wenn 
dies möglich üft. 

Vielleicht werden Sie, wenn Tippu-Tib die volle Zahl der veriprochenen 
erwachienen Leute, nämlich 600 Mann, welche Laſten zu tragen vermögen, geichidt 
hat und der „Stanley“ mit den in Bolobo von mir zurüdgelaffenen 125 Leuten 
wohlbehalten eingetroffen ift, fich ftarf genug fühlen, um die Eolonne mit allen 
von dem Dampfer überbracdhten und den von mir in Jambuja zurüdgelafienen 
Waaren längs des von mir eingejchlagenen Weges in Bewegung zu jeßen. In 
diefem höchit wünjchenswerthen Falle werden Sie genau meiner Route folgen und 
werden wir im micht zu langer Zeit ficherlih zufammentreffen. Ohne Zweifel 
werden Sie unfere Bomas unberührt und noch ftehend finden: Sie follten Ihre 
Märiche daher jo einzurichten ſuchen, daß Sie jene unterwegs benugen können. 
Beffere Führer als diefe Bomas würden auf unjerer Route nicht zu erlangen fein. 
Wenn Sie während eines zweitägigen Marjches feine ſolche finden, können Sie 
überzeugt fein, daß Sie ſich nicht auf unjerer Route befinden. 

Vielleicht hat Tippu-Tib auch nur einige Leute geichidt, aber nicht genug, 
fodah Sie die Waaren mit Jhrer eigenen Truppe tragen müffen. In diejem 
Falle muß es natürlich Ihnen überlafien bleiben, welche Waaren Sie entbehren 
fönnen, um im Stande zu fein, den Marſch anzutreten. Zu diefem Zwecke würden 
Sie Ihre Lifte aufmerfiam durchzuſehen haben. 

1. Munition, namentlich jchußfertige, höchſt wichtig. 

. Perlen, Meifingdraht, Rauris und Stoffe fommen in zweiter Linie. 
. Privatgepäd. 

. Rulver und Zindhütchen. 

. Europäiiher Proviant. 

;. Meffingitangen, wie fie am Kongo gebraudjt werden. 

,„ Rebensmittel (Reis, Bohnen, Erbien, Hirje, Zwiebad). 

Sie müſſen daher, nachdem Sie für Taue, Säde, Werkzeuge, wie Schaufeln 
(vergeſſen Sie auch nie eine Art oder ein Haumefjer) gejorgt haben, überlegen, wie 
viele Laften mit Proviant Sie unter Ihre Leute vertheilen können, ſodaß fie zu 
marichiren im Stande find, und ob nicht die Hälfte der Meifingftangen in Kiſten eben- 
falls entbehrt werden und zurüdbleiben kann. Sollten Sie dennod nicht marjhiren 
fönnen, dann würde es beſſer fein, zweimal täglich zwei Märiche von etwa 
10 km zu machen, als allzuviel Gegenſtände fortzumerfen, falld Sie es vorziehen 
follten zu marjchiren, anftatt auf unfere Ankunft zu warten. 

Bei der endgültigen Abfahrt des „Stanley“ von Jambuja wollen Sie es 
nicht unterlaflen, an Herrn William Madinnon unter der Adreſſe von Gray, Dawes 
u. Co., 13, Auſtin Friars, London, einen Bericht zu ſenden über das, was während 


— 2RX *58 


24. Juni 1887.) In Jambuja. 115 


meiner Abwefenheit und nachdem ih den Marih nah Dften angetreten Habe, 
vorgefallen ift; ob Sie von mir überhaupt gehört haben, ob Sie Nachrichten von 
mir zu erhalten hoffen und was Sie zu thun beabfichtigen. Sie wollen ihm auch 
eine genaue Abjchrift diejes Befehls jenden, damit das Entjag-Comite jelbft be- 
uriheilen kann, ob Sie angemefien gehandelt haben oder zu handeln beabjichtigen. 

Gegenwärtig wird Ihre Garnifon aus 80 Gewehrträgern und 40—50 Ueber- 
zähligen bejtehen. Der „Stanley“ wird Ahnen binnen wenigen Wochen weitere 
50 Gemehrträger und 75 Weberzählige unter den Befchlen der Herren Troup, 
Ward und Bonny überbringen. 

Ich bejtimme Herrn 3. ©. Jameſon für jegt zu Ihrem Kameraden; außerdem 
werden die Herren Troup, Ward und Bonny unter Ihren Befehlen ftehen. Bei 
den gewöhnlichen ertheidigungsarbeiten und der Führung der Leute im Lager 
und auf dem Marjche gibt es nur einen Chef, und das find Sie; follte aber ein 
ſehr wichtiger Schritt in Ausficht genommen werden, dann bitte ich Sie, auch den 
Rath des Herrn Jamejon zu hören; und wenn die Herren Troup und Ward hier 
find, dann bitte ich, auch fie ind Vertrauen zu ziehen und fie frei ihre Meinungen 
ausiprechen zu laffen. 

Ih glaube ganz Mar über alles gefchrieben zu haben, was mir noth- 
wendig dünft. Ihre Behandlung der Eingeborenen follte, wie ich meine, gänzlich 
von deren Benehmen gegen Sie abhängen. Laflen Sie fie in Frieden nad den 
benachbarten Dörfern zurüdfehren, und wenn Sie durch Mäßigung, gelegentliche 
Heine Geſchenke von Meffingftangen u. ſ. w. auf irgendeine Weife einen freund- 
ichaftlihen Verkehr beichleunigen können, dann würde ich Ihnen empfehlen, dies 
zu thun. Werlieren Sie feine Gelegenheit, jegliche Art von Information über die 
Eingeborenen, die Lage der verjchiedenen Dörfer in Ihrer Nachbarſchaft u. ſ. mw. 
einzuziehen. 

Sch habe die Ehre zu jein Ihr ergebener 

Henry M. Stanley, 
Befehlähaber der Erpebdition. 


Der Major zog fich zurüd, um das Schreiben durchzulejen, und 
bat dann Herrn Jamejon, einige Abjchriften davon anzufertigen. 

Gegen 2 Uhr fam der Major zurück und erfuchte mich um 
eine Unterredung. Er ſagte, er wünjche über Tippu-Tib mit mir 
zu fprechen. 

„Ich möchte gern noch etwas mehr über diejen Araber wiljen. 
Als ich vor einigen Tagen bei den Fällen aufgehalten wurde, be: 
liebte e3 Ihnen, Lieutenant Stairs ziemlich energiiche Befehle zu er- 
theilen. Es fällt mir auf, daß Sie bezüglich jenes Arabers außer— 
ordentlich) argwöhniſch find, und deshalb begreife ich nicht recht, 
weshalb wir mit einem jolchen Manne überhaupt etwas zu thun haben 
wollen.“ 

„Gut, ich will gern darüber oder über irgendeinen andern Gegen- 
ftand offen mit Ihnen reden‘, erwiderte ich. 


„ch muß bekennen, daß ich drei Tage, bevor Ihr Dampfer den 
8* 


116 Sechstes Kapitel. Jambuja 


Fluß herauffahrend in Sicht kam, ſehr beſorgt um Sie geweſen bin. 
Sie befehligten einen Dampfer, der andern Leuten gehörte, denen 
gegenüber wir uns verpflichtet hatten, das Schiff innerhalb einer ge— 
wiſſen Zeit zurückzuliefern. Als Begleitung hatten Sie eine Truppe 
von 40 Sudaneſen. Das Schiff war gut ausgerüſtet und vollſtändig 
in Ordnung. Wir kannten die Zeit, welche Sie hätten gebrauchen 
müſſen, vorausgeſetzt daß kein Unfall eintrat, und wußten, daß Sie den 
beſtimmten Befehl hatten, abzufahren, ſobald die von unſerm Freunde 
Ngaljema verſprochene Kuh am Bord war, oder flußabwärts zu 
dampfen, wenn dieſelbe nicht innerhalb einer Stunde käme. Falls 
ſich kein Unfall ereignet hatte und Sie den Befehlen nachgekommen 
waren, hätten Sie am Abend des 16. oder ſpäteſtens am 17. 
hier ſein müſſen. Sie trafen aber erſt am 22. um 5 Uhr nach— 
mittags ein. 

„Bir haben hier feine Telegraphen oder Pojten. Da wir feine 
Nachrichten von Ihnen erhalten konnten, und als ein Tag nad) dem 
andern verftrich, entjtanden aus meiner Sorge um Sie Zweifel, ob nicht 
irgendetwas Umerflärliches paffirt je. Waren Sie auf einen treiben- 
den Baumftamm gejtoßen, auf Grund gerathen, wie es dem «Stan— 
(ey » und dem «Royal» ergangen war und e8 faft allen Dampfern 
paffirt? Waren Sie nachts von Eingeborenen angegriffen worden, 
wie Deane auf dem „A. I. A.” in Bunga? Hatten Ihre Sudanejen 
ſich empört, wie fie es jchon in Lukungu gedroht hatten? Waren Sie 
erichoffen worden, wie einft fämmtliche weißen Offiziere eines ſudane— 
fiichen Regiments im Sudan? Wurden Sie mit Gewalt zurücdge- 
halten, weil Tippu-Tib fi) von dem jungen arabifchen Feuerfreſſern 
an den Fällen Hatte überreden laffen? Hatten Sie mit den jungen 
Leuten, den beiden Selim, Streit befommen, wie Stairs und Jeph— 
jon unterhalb der Stanley Fälle? Wenn alles das nicht, was war 
dann geichehen? Konnte ich, konnte jonft jemand etwas anderes an— 
nehmen ?‘ 

„Sch mußte aber — 

„Einerlei, mein lieber Major, fprechen wir nicht mehr davon, 
Suchen Sie fich nicht zu vertheidigen. Ich erwähne diefe Dinge nicht, 
um ‚Ihnen Vorwürfe zu machen, jondern um Ihnen auf Ihre Frage 
Antwort zu geben. Ende gut, Alles gut. 

„Nun was Tippu=-Tib betrifft. Ich würde mit Tippu-Tib 
nichts zu thun Haben, wäre nicht die Nothwendigfeit in Ihrem In— 
tereffe wie in dem meinigen vorhanden. Er beaniprucht diejes Terri— 


24. Juni 1887.] In Zambuja, 117 


torium als fein Gebiet. Wir befinden uns hier als feine Freunde. 
Angenommen, wir hätten fein Abkommen mit ihm getroffen, wie 
lange würde es uns gejtattet fein, unjere Vorbereitungen für den 
Marſch nad) dem Albert:See zu treffen, oder wie lange würde man uns 
erlauben hier zu bleiben, bis wir die Frage zu beantworten hätten, 
was wir auf feinem Gebiet wollten? Durfte ich Sie allein hier 
laſſen, während ich weiß, weſſen die Leute fähig find? Mit 80 Büchjen 
gegen wahrjcheinlich 3000 und vielleicht 5000 Gewehre? Ja, Herr 
Major, es überrajcht mich, daß Sie, der Sie die Stanley Fälle und 
einige hundert Araber gejehen haben, dieje Frage stellen. 

„Sie haben Tippu-Tib und faft hundert feiner Leute von San— 
fibar her begleitet! Sie haben gejehen, welche Findliche Freude ihnen 
ihre Waffen, die Winchejtergewehre und wertvollen Doppelflinten 
machten! Sie kennen die Gefchichte von dem Kampfe Deane's bei 
den Stanley- Fällen! Sie wiffen, daß Tippu-Tib rachſüchtig ift und 
daß feine heißblütigen Neffen den Kampf dem Frieden vorziehen 
würden. Sie willen, daß er den Krieg gegen den Kongojtaat be- 
abfichtigte und daß ich mit meiner Erpedition einen Theil feines 
Gebiet3 paffiren muß. Wie fünnen Sie nun, der Sie zum Range 
eined Major emporgeftiegen find, ſolche Fragen ftellen und das 
Warum und Weshalb bezweifeln von Dingen, die jo flar wie der 
Tag find? 

„Unfer Transportdampfer « Madura» lag im Hafen von Sans 
fibar. Der Eigenthümer diefes Diftricts, wie er ſich nennt, brütete, 
fid) beleidigt fühlend und auf Rache finnend, über Plänen gegen alle 
Weißen am Kongo. Würde es flug von mir gewejen jein, Diejen 
Mann in ſolchem Zuftande zu laſſen? Daß er fi) zum Kriege 
gegen den Staat vorbereitete, erregte mich nicht ſehr, aber daß er 
ihn beabfichtigte, während ich in einer humanen Miſſion durch fein 
Gebiet und deſſen Nachbarjchaft paifiren mußte, war von Bedeutung. 
Deshalb war ich an diefem BZufammenfliden eines Friedens zwiſchen 
dem SKongoftaate und König Leopold mit dem Araber ebenjo jehr 
interejfirt wie Se. Majeftät jelbjt und noch mehr. 

„Ich glaube, Sie werden mich zunächft fragen, was das mit Ihren 
perjönlichen Interejfen zu thun hat. Haben Sie mir nicht immer 
wieder gejagt, daß es Ihr ſehnlichſter Wunsch ift, uns zu begleiten, und 
daß Sie e3 weit vorziehen würden, zu marjchiren, anftatt hier zu 
warten? Und iſt es — nad Ihrem Inftructionsichreiben — nicht aus: 
gemacht, daß Sie, wenn Tippu-Tib nicht mit 600 Trägern erjcheint, 


118 Sechstes Kapitel. Jambuja 


lieber doppelte oder dreifache Märſche machen, als in Jambuja 
bleiben ſollen? 

„Sehen Sie dieſe Bleiſtiftnotizen an — nein, Sie können 
dieſelben behalten, wenn Sie wollen. Die Notizen zeigen, was Sie 
mit Ihren eigenen Leuten leiſten und was Sie thun können, wenn Tippu— 
Tib wirklich ſeinem Contracte buchſtäblich nachkommt. 

„Nun, ich habe meine Inſtructionen namentlich wegen der un— 
geſtümen Antwort begründet, die Sie mir in Bolobo gegeben haben: 
«Bei Gott! ich werde keinen Tag in Jambuja bleiben, wenn ich meine 
Colonne beiſammen Habe!» 

„Sehen Sie hier! Das Schreiben beſagt: «Vielleicht hat Tippu— 
Tib auch nur einige Leute geſandt, aber nicht genug; alsdann haben 
Sie nach Ihrem eigenen Ermeſſen zu handeln; entäußern Sie ſich des 
Proviants Nr. 7, wie Reis, Bohnen, Erbſen, Hirſe, Zwiebad.» Sehen 
Sie zu, wie viele Säde mit Proviant Sie Ihren Leuten aufbürden 
können; fie werden denjelben raſch genug verzehren, das garantire id) 
Ihnen. 

„Das Schreiben fährt fort: «Sollten Sie dennoch nicht marjchiren 
fünnen, dann würde es beifer fein, zweimal täglich zwei Märjche von 
etwa 10 km zu machen», d. 5. einen Marſch von 10 km zu machen, dann 
zurüczufehren und ein zweite® Quantum zu holen und darauf wieder 
vorwärts zu gehen, Das that ic) auch am Kongo, als ich mit 63 Mann 
33 doppelte Märjche machte, um 2000 Laften und 5 ungeheuere Wagen 
eine Strede von 85 km Weges zu befördern, eine Wagenftraße an- 
zulegen, Brüden zu bauen u. ſ. w. Iene Bleiftiftnotizen in Ihrer 
Hand theilen Ihnen mit, wie viele Kilometer Sie auf diefe Weile in 
ſechs Monaten zurüclegen fünnen. 

„Darin geht aber mein Pact mit Tippu-Tib Sie perſönlich an. 
Hält Tippu-Tib feinen Contract getreulich, dann fünnen Sie einen 
oder zwei Tage nach der Anfunft des «Stanley» mit dem Herren 
Ward, Troup und Bonny nebjt Ihren Leuten von Jambuja aufbrechen 
und uns vielleicht einholen, andernfall3 würden wir auf der Rückkehr 
vom Albert-See nach wenig Tagen zujammentreffen. 

„Bas zu thun würden Sie num perfönlich vorziehen? Hin umd 
her von Lager zu Lager zwei oder vielleicht dreimal zu marjchiren 
oder Tippu-Tib mit 600 Trägern, welche Ihren 200 Leuten helfen, 
bei fich zu haben und rajchen Schritte auf unferer Spur direct nad) 
dem Albert-Njanja vorzudringen ? 

„OH, darüber fann fein Zweifel fein. Ich würde vorziehen, 


24. Juni 1887.) In Jambuja. 119 


direct durchzumarjchiren und zu verjuchen, Sie wieder einzuholen. 
Natürlich.‘ 

„Gut, fangen Sie nun an zu begreifen, weshalb ich milde, gut und 
freigebig gegen Tippu-Tib gewejen bin? Weshalb ich ihm und feinen 
Leuten freie Fahrt und Beköftigung von Sanfibar nad) den Stanley: 
Fällen bewilligt habe? Weshalb ich Zide und Lamm mit ihm ge— 
theilt habe?’ 

„Bollftändig.‘ 

„Noch nicht ganz, fürchte ich, Major, denn ſonſt würden Gie 
nicht Zweifel in mich geſetzt haben. Es ift noch ein weiterer ernfthafter 
Grund vorhanden. 

„Angenommen z. B. ich hätte Tippu-Tib nicht hierher gebracht, und 
die Araber an den Stanley Fällen feien wegen der Deane’schen Affaire 
nicht erboft gegen die Weißen oder hätten Furcht, Sie anzugreifen. 
Cie brauchten nur Freundichaft mit Ihnen zu heucheln, Ihnen Biegen 
und Lebensmittel zu verfaufen und dann Ihren Sanfibariten zu jagen, 
jene Niederlaffung, wo fie Reis und Fiſche im Ueberfluß Hätten, jei 
nur 6 oder 7 Tagemärfche entfernt, um innerhalb weniger Tage drei 
Viertel Ihrer Leute zur Dejertion zu veranlafjen, während Sie ganz 
ruhig auf das Eintreffen des Contingents von Bolobo warten; und 
die übrigen Burfchen würden, faum hier eingetroffen, von der Dejer- 
tion ihrer Kameraden nach den Stanley-Fällen hören und entweder alle 
auf einmal oder zu Zweien, Dreien, Sechjen und Zehnen dem Beijpiel 
folgen, bis Sie vollftändig Schiffbruch gelitten haben. Iſt nicht die 
Belorgniß vor Defertionen einer der Gründe, weshalb ich die Kongo- 
Route wählte? Jetzt, wo ich Tippu-Tib zum Freunde und mir ver: 
pflichtet habe, ift der Möglichkeit einer Defertion im großen ein Ende 
gemacht. 

„Halten Sie fich diefe Gründe gut vor Augen, mein lieber Major. 
Und troß alledem kann Ihre Eolonne vernichtet werden, wenn Sie nicht 
ſehr vorfichtig find. Seien Sie mild und geduldig gegen Ihre Leute, 
denn fie find ftörriich wie junge Fohlen. Und doch bin ich mit dieſen 
oder ähnlichen Leuten quer durch ganz Afrika gezogen, habe den Lauf 
des Kongo bis zum Meere verfolgt und den Kongoftaat gegründet.‘ 

„Nun jagen Sie mir, glauben Sie, daß Tippu-Tib feinen Con— 
tract halten und feine 600 Leute mitbringen wird?" fragte der Major. 

„Das müßten Sie fo gut wiffen wie ich felbjt. Was Hat er 
Ihnen gejagt, ehe Sie ihn verließen? 

„Er jagte, er würde in 9 Tagen hier fein, wie er Ihnen jchon 


120 Sechstes Kapitel. Jambuja 


in Bangala erklärt habe. Inſchallah!“ entgegnete der Major, den 
Araber nachahmend. 

„Wenn Tippu-Tib in 9 Tagen hier iſt, wird es das größte 
Wunder ſein, das ich kenne.“ 

„Weshalb?“ fragte der Major, etwas erſtaunt aufblickend. 

„Weil 600 Träger eine große Zahl ausmachen. Er wird in 15 
und ſelbſt in 20 Tagen nicht hier ſein. Bei dieſem Manne müſſen wir 
vernünftig ſein. Er iſt kein Europäer, der gelernt hat, dem Verſprechen 
aufs ſtrengſte treu zu bleiben. Inſchallah! ſagte er? Alſo morgen 
— Inſchallah bedeutet den Tag darauf — oder in 5 oder 10 Tagen. 
Was macht es für Sie aber aus, wenn er innerhalb 20 Tagen nicht 
fommt? Der «Stanley» wird nicht vor dem 10. oder vielleicht erit 
Mitte Auguft hier fein, das find etwa 7 Wochen — 42 Tage — von 
heute. Er hat aljo reichlich Zeit. Weshalb wollen Sie, während Sie 
auf den Dampfer warten, auf 600 Mann, die nichts thun in Ihrem 
Lager, aufpalien? Müßige Leute finnen auf Unheil. Warten Sie ge: 
duldig auf ihn, bis der «Stanley» eintrifft, und wenn er dann noch 
nicht da ijt, fommt er überhaupt nicht.“ 

„Es wird aber, wenn er überhaupt nicht ericheint, für uns ein 
ſchweres Stüd Arbeit fein, mit 200 Mann 5—600 Laſten Tag für 
Tag hin und her, vorwärts und rückwärts zu ſchleppen!“ 

„Unzweifelhaft ift das eine feineswegs leichte Aufgabe, mein lieber 
Major. Allein was würden Sie vorziehen: hier zu bleiben und auf 
unjere Rückkehr vom Albert-See zu warten, oder, in Anfpruch genommen 
von der Arbeit, nach und nad) weiter vorwärts zu dringen und jeden 
Tag etwas zu gewinnen ?‘ 

„O mein Gott! ch glaube, monatelang hier zu bleiben wäre 
vertenfelt viel ſchlimmer.“ 

„Genau dafjelbe, was ich glaube, und deshalb habe ich dieje Be- 
rechnungen für Sie aufgeftellt. Ich verfichere Ihnen, lieber Major, 
wenn ich überzeugt wäre, daß Sie den Weg zum Albert-See finden 
könnten, würde ich lieber dieſe Ihre Arbeit jelbit thun und Sie zum 
Befehlshaber der Vorhut ernennen, als in Sorge um Sie ſein.“ 

„ber jagen Sie mir, Herr Stanley, wie lange glauben Sie, 
daß e8 dauern wird, bis wir zufammentreffen ? 

„Das weiß nur Gott. Niemand kann mir jagen, was vor 
uns liegt und wie weit ind Land hinein der Wald ſich ausdehnt, ob 
es Straßen gibt und welcher Art die Eingeborenen find, Kannibalen, 
unverbeſſerliche Wilde, Zwerge oder Gorillas. Ach habe nicht die ge- 


24. Juni 1887.) In Jambuja. 121 


ringfte Idee davon. ch wollte, ich Hätte fie, und würde eine hübjche 
Summe nur für diefe Kenntniß zahlen. Aber die Berechnungen auf 
dem Stüd Papier, welches Ste in der Hand halten und das Ihnen 
jagt, wie lange ic) zu dem Marjche nach dem Albert:Njanja gebrauche, 
find auf folgender Thatjache bafirt. In den Jahren 1874 und 1875 
marjchirte ich 1150 km in 103 Tagen. Die Entfernung von hier 
nach dem Albert-Njanfa beträgt etwa 610 km, in gerader Linie; nun, 
in 1874/75 marjchirte ih) 610 km von Bagamoyo nad) Winjata 
in Ituru in 64, und 610 km vom Uhimba-See nad Udjidji in 
54 Tagen. Dies waren allerdings alles offene Länder mit erträglich 
guten Straßen, während dieje Gegend abſolut unbekannt ift. Iſt hier 
alles Wald? Dann wird e3 eine fürchterliche Arbeit werden. Wie 
weit reicht der Wald ins Land hinein? Zweihundert, dreihundert, 
vierhundert Kilometer? Darauf fehlt uns die Amwort. Nehmen wir 
an, daß wir die Reife nach dem Albert-See in drei Monaten machen 
fönnen, daß ich 14 Tage Aufenthalt habe und in drei Monaten von 
da ab zurück jein werde. Ich denfe, Sie werden mir, wenn Tippu-Tib 
nicht bei Ihnen ift, in der letzten Hälfte des October oder im No- 
vember entgegenfommen. Aber das fteht alles auf jenem Papier. 

„Das iſt jedoch alles Nebenjache; jedenfall muß alles durchgeführt 
werden. Wir werden vordringen, die Bäume zeichnen und unfere Route 
durch den Wald für Sie marfiren. Wir werden alle Vortheile be- 
nußen; jeder Pfad, der oftwärts führt, wird mir recht fein, und ich 
werde mich hindurchbohren und auf den Ebenen oder Weideländereien 
herausfommen. Und wo wir zu gehen im Stande find, können Sie 
auch gehen; können Sie es nicht, dann werden Sie auf irgendeine 
Weile von uns hören. Sind Sie jeht befriedigt? 

„Bolljtändig‘, erwiderte er. „Ich habe alles hier“ (feine Stirn 
berührend) „und dies Papier und das Schreiben werden mich immer 
an alles erinnern. Es ift nur noch eins, worüber ich jprechen möchte; 
es bezieht fich auf etwas, was Sie in London zu mir jagten.’‘ 

„So? Was habe ich denn Merkwürdiges gejagt?” fragte id). 

„Nun (hier zögerte er ein wenig), „erinnern Sie fid) daran, als 
Herr — vom Indischen Amte mich Ihnen vorftellte? Die von Ihnen 
gebrauchten Worte Fangen jeltfam, als ob jemand Sie vor mir ges 
warnt hätte.‘ 

„Mein Lieber Barttelot, ich gebe Ihnen mein Wort, daß id) mic) 
nicht erinnere, jemals den Namen Barttelot gehört zu haben, ehe 
Sie famen. Aber das intereffirt mid. Was könnte ich viel- 


122 Sechstes Kapitel. Jambuja 


leicht Seltſames gejagt haben, daß es jo feſt in Ihrem Gedächt— 
niß haftet?‘ 

„sch erinnere mich des Umftandes fehr genau, Es war jo“, 
fuhr er fort, „Site jagten etwas von «Langmuth», und das erinnerte 
mich daran, daß ich das Wort jchon früher gehört hatte, als General 
— mir Vorwürfe machte, al3 ich während des judanefiichen Feldzuges 
in der Wüſte einen aufrührerifchen Somali züchtigte. Als die Somali 
ſich gegen mich wandten, war ic) allein; jchließlich, als es fein anderes 
Mittel mehr gab, um fie wieder ganz in meine Gewalt zu befommen, 
iprang ich auf den Rädelsführer los und ſchoß ihn mit der Piftole 
nieder, worauf die Somali jofort ruhig wie die Lämmer wurden. ch 
dachte, General —, der mir nicht befonders wohl will, hätte Ihnen die 
Geſchichte erzählt.‘ 

„In der That, ich habe die Geichichte noch nie gehört und be= 
greife nicht, wie General — mic) hätte warnen fünnen, da er nicht 
willen fonnte, daß Sie ſich zu unjerer Mitgliedfchaft zu melden beab- 
fichtigten. Ihre eigenen Züge waren es, die mir das Wort «Lang: 
muth» eingaben. Ihr Freund ftellte Sie mir als einen ausgezeichneten 
Offizier voll Muth und Tapferkeit vor, worauf ich jagte, dieſe Eigen: 
ichaften ſeien charakteriftifch bei englischen Offizieren, doch möchte ic) 
lieber von einer andern hören, die für einen befondern Dienft in Afrika 
von gleichem Werthe fei, und das jet Langmuth. Sie werden mic) 
hoffentlich jet entjchuldigen, daß ich große Entichloffenheit und etwas 
wie Kampfluft in Ihren Zügen las. Nun, ein fampfluftiger Mann 
mag, wie Sie wiſſen, zu Zeiten jehr brauchbar fein; bei einer Erpedi- 
tion, welche wie diefe innerhalb einer Atmoſphäre von Neizbarfeit arbei- 
ten muß, ift er aber nicht ganz jo nüßlich, wie ein Mann, der nicht 
nur weiß, wie und wann er kämpfen muß, jondern auch wie er Yang: 
muth zu üben hat. Denn e8 gibt hier tauſend Urjachen, welche Reiz: 
barkeit und Neibungen zwifchen ihm und feinen Kameraden, feinen 
Leuten und den Eingeborenen und oft zwifchen fich und feinem eigenen 
Innern hervorrufen fünnen. Oft ift die Nahrung jchleht, manchmal 
ift gar feine vorhanden, die Lebensweiſe ift eine höchſt elende, man 
hat feine Reizmittel, nur unaufhörliche Arbeit und Ermüdung, unge: 
heuere Unbequemlichkeit, erichlaffte Muskeln, an Ohnmacht grenzende Er- 
Ihöpfung und, das Schlimmfte von allen, fürchterlich ſchmerzhafte ‚Fieber, 
weiche einen veranlaſſen, den Tag zu verfluchen, an dem man zuerjt an 
Afrika gedacht hat. Ein ftreitfüchtiger Mann ift von Natur aus misge- 
ftimmt, und wenn er feine Inftincte nicht zügeln und feine Impulſe nicht 


24. Juni 1887.] In Jambuja. 123 


beherrichen fann, befindet er fich jede Minute jeines Lebens in heißem 
Waſſer und jtößt bei jedem Pulsſchlage feines Herzens auf Schwierig: 
feiten. Um im Stande zu fein, Langmuth zu üben und alle bittern 
Gefühle aufs ftrengite zu unterdrüden, muß der Gedanfe an Pflicht 
und Stellung ihn daran hindern, fich feinen Leidenjchaften hinzugeben. 
D, das iſt eine Eigenjchaft, welche den Muth nicht verringert, aber 
das VBergeuden der natürlichen Kraft verhütet. Aber ich will Ihnen 
feine Predigt halten, Sie verftehen, wie ich es meine. 

„Und num zum Schluß noch ein Wort über Tippu-Tib. ‚Sehen 
Sie dort das Marimgeihüb mit feiner drohenden Mündung; ich be= 
trachte Tippu-Tib ungefähr wie jenes. Es tft eine vorzügliche Ber: 
theidigungswaffe; e3 kann einen Hagel von Geſchoſſen entjenden, aber 
auch unbrauchbar werden, wenn der Mechanismus durch Roſt oder 
Mangel an gutem Del in Unordnung geräth. In diefem Falle ver: 
laſſen wir uns auf unjere Remington= und Winchefter-Repetirgewehre. 
Wenn Tippu-Tib gewillt ift, uns zu helfen, wird er ein Höchjt werth- 
voller Bundesgenofje fein, denn ein FFehlichlag wird dann unmöglich und 
wir werden unfere Aufgabe bewunderungswürdig löſen. Iſt er aber 
nicht zur Hülfe geneigt, dann müſſen wir thun, was wir mit unjern 
eigenen Leuten ausrichten künnen, und der gute Wille entſchuldigt eine 
Menge Jrrthümer. 

„Erinnern Sie fi, daß Tippu-Tib im Jahre 1876 feinen Con— 
tract mit mir brad), nach Njangwe zurückkehrte und mich allein ließ? 
Nun, troß feines Hohnes feßte ich mit etwa 130 meiner eigenen Leute 
den Weg am Kongo hinab fort. Sie jagten, Sie hätten in Lamu 
den Öfterreichifchen Reiſenden Dr. Lenz getroffen, dem es nicht gelungen 
war, Emin Paſcha zu erreichen. Weshalb Hat er feinen Erfolg gehabt? 
Weil er fich allein auf Tippu-Tib verließ und feine eigene Nejervetruppe 
hatte, auf die er zurücgreifen konnte. Sie haben mehr als 200 Träger 
und 50 Soldaten, außer den Dienern und Ihren tüchtigen Kameraden. 
Bei der Arbeit am Kongo hatte er ein Contingent von Eingeborenen 
zu meiner Unterftügung veriprochen; nur wenige famen und Dieje 
dejertirten wieder; allein ich hatte eine Rejerve von 68 treuen Leuten, 
und das find diejenigen, welche den Kongoftaat gegründet haben. Sie 
erinnern fich wol an mein Schreiben an die «Times», in welchen ic) fagte: 
«Mir verlangen von Tippu-Tib nicht, daß er uns bei der Auffindung 
Emin Paſcha's unterftüst; wir wollen, daß er Munition trägt und 
auf dem Rückwege Elfenbein mitbringt, das mit zur Dedung der 
Koften der Miſſion dienen fann.» Alsdann, um Ihnen noch einen 


124 Sechstes Kapitel. Jambuja 


Beweis davon zu geben, wie ich über Tippu-Tib denke, vergeſſen Sie 
nicht, daß ich Lieutenant Stairs vor einigen Tagen die ſchriftliche 
Ordre gegeben habe, bei dem erſten Anzeichen von Verrätherei ſeine 
Niederlaſſung mit der Schnellfeuerkanone zu bombardiren. Sie haben 
das Schreiben geleſen und ſollten wiſſen, daß man einem zuverläſſigen 
Freund nicht den Fehdehandſchuh ins Geſicht wirft. 

„Nun, mein lieber Major, ſeien Sie nicht thöricht. Ich weiß, Sie 
ſind verſtimmt darüber, daß Sie uns nicht mit der Vorhut begleiten 
ſollen. Sie glauben, Sie werden einige Kudo verlieren. Aber keines— 
wegs. Schon ſeit König David's Zeiten erhalten diejenigen, welche 
beim Gepäck bleiben, dieſelben Ehren wie die, welche in den Krieg 
ziehen. Außerdem liebe ich das Wort «Kudo» nicht. Der «Kudo»- 
Impuls ift wie der Buff einer Flaſche Braufelimonade; er ift gut für 
eine Siegesmedaille, verfließt aber in Afrika jchon nad) einem Monat. 
Er ift wie eine feucht gewordene Rakete. Denfen Sie lieber an den 
Ausſpruch Tennyjon’s: 

Wie oft war nicht in Großbritanniens Geſchichte 
Der Pfad der Pflicht zugleich der Weg zum Ruhme. 

„Da, geben Sie mir die Hand darauf, lieber Major. Für uns 
gilt das Wort «Gerade aus vorwärts», für Sie «Geduld und Lang: 
mutho. Jetzt muß ich aber meinen Thee trinken, ich bin vom Sprechen 
ganz trocen geworden.‘ 

Am 25. Juni war der Paliſſadenzaun um das ganze Lager fertig 
und der Graben ging feiner Vollendung entgegen. Barttelot beaufſich— 
tigte die Arbeiter auf der einen, Jephſon, in Hemdärmeln, auf der andern 
Seite. Neljon vertheilte den europäiſchen Proviant zu gleichen Theilen, 
der Arzt baute fröhlich lachend und fo eifrig, als ob er mit einer 
chirurgischen Operation bejchäftigt wäre, ein Thor und führte Die 
Bimmermannsarbeit jo vorzüglic) aus, daß id) abends in mein Tage— 
buch jchrieb: „Er ift ficherlich einer der Beſten, die es gibt.“ Jameſon 
war eifrig mit der Abjchrift des Inftructionsjchreibeng beichäftigt; Stairs 
lag an einem heftigen Gallenfieber erkrankt im Bette. 

Ein fudanefiicher Soldat hatte fich, jo unfchuldig wie ein Lamm, 
welches vor der Höhle des Fuchſes graft, gegen den Befehl aus dem 
Lager entfernt, um in einem benachbarten Dorfe zu plündern, und dabei 
einen Speerjtich in den Unterleib erhalten. Das ift der zweite Todesfall, 
welcher durch das Plündern herbeigeführt wird; es wird nicht der letzte 
jein. Wir ftellen einen Sudanejen als Wache aus; ein Freund kommt 
daher, wechjelt ein paar Worte mit ihm und geht ohne alle Ahnung 


26, Juni 1887.) In Jambuja. 125 


irgendeiner Gefahr weiter. Wenn er nicht erjchlagen wird, fehrt er 
mit einer jchiweren Wunde am Körper und den Vorzeichen des Todes 
im Geficht zurüd. Der Sanfibarite wird beim Hauen von Holz oder 
Sammeln von Maniof befchäftigt; er ftellt einen Augenblid die Arbeit 
ein, entjchuldigt fich, daß er fich einen Augenblid entfernen müſſe — 
ein Gedanke bligt durch fein leeres Gehirn, und unter dem Impuls 
dejielben eilt er fort, um demnächſt al3 vermißt gemeldet zu werden. 


Am 26. Juni ſetzte ich die folgende Inftruction für die Offiziere 
der Vorhut auf: 


Ich beabfichtige, übermorgen, am 28. Juni 1887, den Marich anzutreten, 

Die zurüdzulegende Entfernung beträgt etwa 610 km in der Luftlinie ober 
ungefähr 880 km für den Fall, daß wir nicht einen Pfad finden, welcher mehr 
al3 gewöhnliche Windungen befikt. 

Wenn wir täglich etwa 16 km zurüdlegen, müßten wir im Stande fein, ben 
Albert:See innerhalb zwei Monaten zu erreichen. 

Am Jahre 1871 legte meine Erpedition zur Auffuhung Livingſtone's 580 km 
in 54 Tagen = etwa 10", km täglich zurüd. 

Im Jahre 1874 machte meine Erpebition quer durch Afrifa 580 km, von 
Bagamoyo nad Winjata, in 64 Tagen — etwa 9 km täglid. 

In 1874/75 erreichte diejelbe Erpedition von Bagamoyo den PVictoria-See, 
eine Entfernung von 1150 km, in 103 Tagen = 11 km täglid). 

Im Jahre 1876 marjchirte diefelbe Erpedition vom Uhimba-Sce nach Udjidji, 
575 km, in 59 Tagen = 10 km täglid). 

Wenn wir aljo die Entfernung bis Kavalli, etwa 880 km, mit einer Durch— 
Ichnittögeihwindigfeit von täglih ungefähr 10 km zurüdlegen, müßten wir den 
Albert-:See gegen den legten September erreichen. 

Einen Begriff von dem Charakter von mehr als der Hälfte des zu durchziehenden 
Gebietes bekommen Sie durch einen Blid auf unjere Umgebung. Es wird mit Bujch 
und Wald bebdedtes Land fein, in welchem ein mehr oder weniger gewundener 
Eingeborenenpfad bie verichiedenen Anfiedelungen der dort Icbenden Stämme mit: 
einander verbindet. 

Hin und wieder wird unſer Pfad von andern gefreuzt werden, welde die 
Stämme nörblid von unjerer Route mit denen im Süden verbinden. 

Die Eingeborenen werden mit Schild, Speeren und Meffer oder mit Bogen 
und Pfeil bewaffnet jein. 

Da ich einen rafchen Marſch durch das Land zu machen beabjidhtige, werden 
wir die Eingeborenen ſehr überrafhen. Sie können ſich nicht verbinden oder uns 
mit einer größern Macht entgegentreten, weil fie feine Zeit dazu haben. Die 
Feindjeligfeiten, weiche wir zu beftehen haben mögen, werden das Ergebniß eines 
plöglihen Dranges und zwar desjenigen des Aergers fein. Die Offiziere müſſen 
daher derartige Angriffe prompt zurüdweifen und zu jeder Zeit darauf achten, daß 
die Kammern ihrer Wincheftergewehre geladen und die Träger derjelben in ihrer 
Nähe find. Seitengewehre jollten unter feinen Umständen abgelegt werden. 

Die Marihordnung wird folgende fein: 

Bei Tagesanbruch ertönt wie gewöhnlich die Reveille, 

zuerft durch den der eriten Compagnie zugetheilten fudanefiichen Trompeter; 


126 Sechstes Kapitel. Jambuja 


zweitens durch den Horniſten der zweiten Compagnie des Hauptmanns Stairs; 

drittens durch den Trompeter der dritten Compagnie des Hauptmanns Nelſon; 

viertens durch den Trompeter der vierten Compagnie des Hauptmanns Jephſon. 

Die Offiziere werden in der Frühe Kaffee und Zwieback zu ſich nehmen und 
darauf achten, daß ihre Leute ſich ebenfalls für den Marſch ſtärken. 

Der Marſch beginnt um 6 Uhr morgens und wird bon einer Truppe bon 
Pionieren geführt, welche mit Büchſen, Haumeſſern und Merten ausgerüftet find 
und die unter meinem Befehl ftehende Vorhut bilden. 

Nach einer Viertelftunde folgt die Haupttruppe, die von demjenigen Offizier 
geführt wird, welcher an der Reihe iſt. Seine Pflicht befteht bejonders darin, daß 
er darauf adıtet, daß die durd; Zeichnen der Bäume oder auf andere Weile marfirte 
Route verfolgt wird, 

Diefe Colonne bejteht aus Tämmtlichen Trägern, den Kranken und allen 
Gefunden, die nicht zur Nachhut commandirt find. Der größere Theil der drei 
Compagnien gehört zu diefer Colonne. Dicht Hinter derjelben und fich ihr an- 
ſchließend befindet fich der Offizier, an dem die Reihe ift, die Ordnung hinter ber 
Hauptcolonne aufrecht zu erhalten. 

Die Nachhut bejteht aus 30 Mann unter einem Dffizier, welcher für den 
Tag zum Schuß der Colonne vor Angriffen im Rüden beftimmt ift. Dieſe Leute 
find mit nichts weiter als ihrer Privatausrüftung belajtet. Die Nachhut darf feinen 
Mann von der Erpedition vorüberlafleen. Alle Nachzügler müſſen unter allen 
Umftänden weiter getrieben werden, da jeder Zurüdbleibende umviederbringlich 
verloren ift. 

An der Spike der Hauptcolonne befinden fich die Zelte des Hauptquartiers 
und das Privatgepäd unmittelbar hinter dem befehligenden Offizier. Lebterer hat 
auch auf Trompetenfignale zu achten, um jie an die Hinter ihm marjchirenden 
Truppen weiter zu befördern und Signale von der Front entgegenzunehmen, um 
fie weiter zu fchiden. 

Die Vorhut wird den von ihr verfolgten Pfad bezeichnen, die hinderlichen 
Schlinggewächſe wegfappen und bei der Ankunft am Lagerplage fofort mit dem 
Bau der Boma oder Seriba beginnen. 
Sobald die einzelnen Compagnien ein- 
treffen, haben biejelben bei dieſem wich— 
tigen Bertheidigungswerte Hülfe zu 
leiiten. Kein Lager ijt als fertig zu 
betrachten, jolange es nicht mit Buſch— 
wert oder Bäumen eingezäunt iſt. Die- 
jenigen, welche bei diejer Arbeit nicht 
beichäftigt werden, haben die Zelte auf- 
zurichten. 

Die Boma muß rund und mit 
zwei durch mindeftens 5 m Buſchwerk 
gut marfirten Thoren verjehen jein. 

Der Durcdmefier des Lagers 

Plan unferer Layer im Walde. muß etwa 80 m betragen. Zelte und 

Gepäd werden in der Mitte unter- 

gebracht und von den Hütten umgeben, welche in einem innern Kreiſe von etwa 
65 m Durchmeſſer aufgebaut werden. 

Obiges bezieht ji nur auf das Verfahren beim Durchmariche durch ein 





27. Juni 1887.) In Jambuja. 127 


gefährliches Land, wo feine weitern als die durch etwaige plöpliche Angriffe der 
Eingeborenen bedingten natürlichen Schwierigkeiten vorhanden find. 

Selbftverftändlich wird die Vorhut die Neigungen des zu durchwandernden 
Landes ausfindig zu machen juchen. Sind die bevorftehenden Hindernifie bedeutend 
und drohen fie mehr als ein plößlicher oder vorübergehender Angriff zu werden, 
fo erhält die Hauptcolonne Nachricht über die Sachlage. 

Wo es thunlich ift, werden wir das Lager in Dörfern aufichlagen, welche die 
Eingeborenen verlaffen haben, um Lebensmittel zu beforgen, doch müfjen die Dörfer 
fofort in Bertheidigungszuftand gefegt werden. Die Offiziere dürfen nicht vergejien, 
daß es in der Natur ihrer jchwarzen Soldaten, der Sudaneſen, Somali und 
Sanfibariten, liegt, gedankenlos und gleichgültig zu fein und fich in der unvor- 
ſichtigſten Weije im Lande zu zerftreuen. Sie fönnen meiner Verſicherung glauben, daß 
auf dieſe Weile mehr Leben verloren gehen als im offenen Kriege. Nach meiner 
Anficht liegt daher das Leben der Leute in den Händen der Offiziere, und jeder 
von ihnen, der in feiner Energie und der ftrengiten Beobachtung der Befehle nicht 
nachläßt, bis alles für die Nacht ſicher gemacht und in Ordnung gebracht ift, wird 
für mich die werthvollſte Hülfe bei diejer Erpedition fein. Bei der Ankunft an dem 
in Ausficht genommenen Halteplatze für die Nadıt joll der Offizier, wenn es ein 
Torf ift, jein Augenmerk zunächſt auf die Unterbringung der Leute richten und dabei 
folde Quartiere belegen, welche den von der vorher angelommenen Compagnie be— 
legten und von der nad ihm eintreffenden zu bejegenden entiprechen, dann fich an die 
Arbeit machen und alle außerhalb des beitimmten Kreijes liegenden Hütten zeritören 
und alle Theile derfelben, jowie das in der Nachbarſchaft befindliche Material benußen, 
um jeine Quartiere gegen einen nächtlihen Angriff mit Feuer oder Speer zu 
jihern. Die Offiziere erhalten durd; das Verfahren der Borhut einen Winf, wann 
und wie die Sache gemacht werden muß, fie dürfen aber nicht unterlaffen, diejen 
Wink aud zu benutzen, und müfjen fich nicht jede einzelne Kleinigkeit jagen laſſen. 
Der Dffizier muß fih als Bater feiner Compagnie betrachten und ftets handeln, 
wie es einem mweilen Führer ziemt. 

An allen joldhen Dorflagern hat Lieutenant Staird darauf zu achten, daß 
die nächtlichen Wachen, die von den einzelnen Compagnien je nah Bedürfniß ge- 
ftellt werden, an die leichter zugänglichen Stellen pojtirt werden. 

Während der erften Woche werden wir feine jehr langen Märfche zu machen 
verjuchen, damit die Leute und wir ſelbſt uns allmählich einüben; nachdem wir 
den vierten Theil des Weges zurüdgelegt haben, follen die Tagemärjche weſentlich 
verlängert werden, und ich erwarte, daß wir, nachdem mir die Hälfte der Reiſe 
hinter uns haben, im Stande fein werden, großartige Fortichritte zu machen. 

Weitere Mittheilungen werden je nach Bedürfniß folgen. 

Jambuja, 26. Juni 1887. Henry M. Stanley, 

Befehlähaber der Erpedition. 


Ich ſchließe dieſes Kapitel mit einigen Bemerfungen aus meinem 
Tagebuche, die ich am letzten Abend vor dem Abmarjche niederichrieb: 

Sambuja, 27. Juni. Unſere Leute verlangten heute einen Raittag, 
weil derjelbe verjchoben worden war, bis die Dampfer erpedirt und 
das Lager zum Schub der Garnifon befeftigt worden fei. Außerdem 
waren noc eine Menge Dinge zu erledigen, Da mehrere Leute nad) 
der Abfahrt von Bolobo erfranft waren, mußten die Schwachen aus: 


128 Schötes Kapitel. [Jambuja 


gefucht werden, und da die vier für den Marſch auserwählten Com: 
pagnien in möglicht vorzüglichem Zuftande fein jollten, jo mußten die 
jelben reorganifirt werden. Die Werkzeuge unjerer Pioniere mußten ge— 
zählt werden. Bon 100 Haumeljern waren nur nod) 26, von 100 Aexten 
22, von 100 Haden 61 und von 100 Schaufeln 67 vorhanden; alle 
übrigen waren geftohlen und an die Eingeborenen verfauft oder fort- 
geworfen worden. Es ift eine unangenehme Arbeit, auf ſolch rüd- 
ſichtsloſes Volt Acht geben zu ſollen. 

Morgen früh werden, mit Gottes Hülfe, 389 Perſonen den Marſch 
ins abjolut Ungewijje hinein antreten. Bon einem Eingeborenen habe 
ich die Namen der Stämme oder deren einzelnen Abtheilungen gehört; 
von ihrer Stärke und ihren Eigenjchaften weiß ich aber nichts. 

Geſtern jchloffen wir Blutsbrüderjchaft mit einem der Häuptlinge 
von Jambuja. Da der Major Befehlshaber dieſes Poftens ift, unter- 
warf er fich tapfer dieſer Ceremonie, die hier bejonders efelhaft war. 
Auf das fließende Blut wurde eine Priſe ſchmutziges Salz geftreut, 
das aufgeledt werden mußte. Der Häuptling führte feine Rolle durch, 
ald ob es ihm Vergnügen mache, der Major jchauderte aber, als er 
aufblidend die cyniſchen Gefichter feiner Freunde jah. 

„Um den Frieden zu fichern.‘ 

„Allerdings‘, erwiderte der Major und brachte feinen Geſchmack 
zum Opfer. 

Diefe Waldberwohner haben es noch nicht vermocht, mir große 
Achtung abzugewinnen. Sie find feige und zugleich hinterliftig; fie 
fügen häufiger al8 die Bervohner des offenen Landes. Ach glaube 
ihren Behauptungen und Bethenerungen nicht. Indeß hoffe id, daß 
fi) dies nad; beſſerer Befanntfchaft ändern wird. Der Häuptling 
erhielt ein reiches Gejchent von dem Major, der als Gegengabe ein 
14 Tage altes Hühnchen und einen mit Federn bejeßten Hut aus 
Rohrgeflecht befam. Die mehrfach veriprochene Ziege und zehn Hühner 
find noch immer nicht eingetroffen, obwol das Blut eines judanefischen 
Soldaten vergofjen worden ift und wir feine Rache dafür genommen 
haben. Entweder fehlt e8 uns zu ſehr an Muth, oder der Verluſt 
eines Mannes ift uns gleichgültig, daß ein Fräftiger Soldat, der jo 
viel werth ift wie zwanzig von diefen Eingeborenen, ungerächt erichlagen 
werden fann. Und nicht nur das, wir bitten die Eingeborenen jogar, 
oft zu uns zu kommen und ung zu befuchen, da fie Fiſche und Ziegen, 
Geflügel, Eier und ſonſtige Dinge haben, die wir gern faufen würden. 
Das wird vielleicht noch einige Wochen dauern. 


27. Juni 1887.) In FJambuja. 129 


Heute Abend regnet es, der morgige Marjch wird ein unbequemer 
fein. Stairs ift jo frank, daß er ſich nicht bewegen kann, und doch 
wünjcht er dringend, ung zu begleiten. Es iſt ziemlich übereilt, einen 
Mann in feinem Zuftande tragen zu wollen; allein wenn der Tod 
eintreten joll, kommt er im Didicht fo leicht wie im Lager. Dr. Parke 
hat mir große Unruhe bereitet, weil er jagt, die Krankheit ſei Darm— 
entzündung, während ich fie mehr für Gallenfieber halte. Wir werden ihn 
in eine Hängematte paden und wollen auf einen günftigen Verlauf hoffen. 

Die Vorhut wird fich folgendermaßen zuſammenſetzen: 


Erfte Compagnie . - . . . 113 Männer unb Knaben 99 Gewehre 
Zweite „ Dr a aan A ö „ 85 
Dritte „ ee re A 
Vierte — ... 90 * 86 — 
Offiziere: ich J a — —1 * — 
Staird . ——— 1 * Bar 
Nelion . 1 Pr — 
Jephſon 1. — 
Barfe ; Der ir RR 1 r — 
Europäiſcher Diener na te 1 © — 

389 Mann 357 Gewehre 
Die Garniſon in se zählt: 
Sudaneſen . . . 4 Mann 44 Gewehre 
Sanſibariten. 71 38 a 
Barttelot’3 Diener . . . . .- 8 „ — 
Jameſon's Pe ae TR ae Ba _ 
BR ne Bi. — 
Fanlee Zu: ee E. % — 
Barttelt I u 3 Br 
Jameſonnn. rn 1 2 


129 Mann 87 Gewehre 
Das Contingent in Bolobo, welches zu der Garnifon von Jam 
buja zu ftoßen hat, zählt: 


Sanfibariten . -» » » 2... 128 Männer und Knaben 52 Gewehre 
Kohn Roie Troup . . .» . . 1 Pr — 
Herbert Ward 1 er — 
William Bonm . .» .» 2... 1 _ _ 

131 Mann 52 Gewehre 
Borhut . . . -» 389 Mann 357 Gemehre 
Garniſon von Jambuja .. 129 , 87 
In Bolobo, Kinſchaſſa u. ſ. w.. 131 „ 52 * 

649 Mann 496 Gewehre 
Verluſt von Sanſibar bis Jambuja 57 „ 28 ri i 


705 Mann 524 Gewehre - 


Stanlen, Im dunfelften Afrika. I. 9 


Siebentes Kapitel. 


Nach den Panga-Fällen. 


Eine afrikaniſche Straße. — Unſere Marſchweiſe durch den Wald. — Abſchied 
von Jameſon und dem Major. — 160 Tage im Walde. — Die Stromſchnellen von 
Fambuja. — Angriff der Eingeborenen von Janfonde. — Raft im Dorfe Bahunga. 
— Beichreibung unſers Mariches. — Vergiftete Holziplitter. — Gefangennahme 
von ſechs Babali. — Dr. Barfe und die Bienen. — Gewitter im Walde. — Jeph— 
ion febt das Stahlboot zufammen. — Tas Dorf Bulanda. — Kehrichthaufen der 
Dörfer. — Landihait am Aruwimi. — Dörfer der Bakuti und Bakola. — Die 
Stromjchnellen von Gwengwere. — Der Knabe Bakula. — „Schnitte und 
Kaffee. — Die Inſeln bei Bandangi. — Die Baburu» Zwerge. — Der un- 
befannte Lauf des Fluſſes. — Die Somali. — Taufchhandel in Mariri und 
Mupe, — Der Arumwimi bei Mupe. — Eitten, Gebräuche und Kleidung der Babe. 
— Jephſon's zwei Abenteuer. — Die Weipen- Schnellen. — Der Häuptling der 
Buamburi. — Lager in Mijui. — Unfall eines Kanoe. — Ein verlafienes Dorf. 
— Ankunft bei den Panga-Fällen. — Beichreibung der Fälle. 


Eine afrifanifche Straße ift meijt ein Fußpfad, welcher durch das 
Beichreiten im der trodenen Jahreszeit eine außerordentliche Glätte 
und die Härte des Asphalts befommt. Da die Eingeborenen im Gänie- 
marjch, einer Hinter dem andern, zu marjchiren pflegen, it der Weg 
nur 30 em breit. Dit der Pfad alt, jo gleicht er einer gewundenen 
ſchmalen Gofje, die in der Mitte mehr als an den Seiten ausgetreten 
ift, da das Regenwaſſer hindurchgeitrömt ift und fie etwas ausgejpült 
hat, während die Seiten durch Humus und Staub fich erhöhen und 
die ‚Füße zahlreicher Ballanten Zweige und Steine weagefehrt und 
den Staub niedergetreten haben. Ein gerader Weg würde im Durd)- 
Ichnitt um etwa ein Drittel fürzer fein, als der Pfad, auf welchem 
die Eingeborenen zu marjchiren pflegen. Das ungefähr hofften wir zu 
finden, als wir aus dem Thore des verichanzten Yagers bei Jambuja 
marfchirten, weil e8 uns auf vier frühern Erpeditionen ins Innere 
von Afrika ftet3 gelungen war, einen jolchen Pfad Hunderte von Meilen 
zu verfolgen. Jambuja beitand aus einer Reihe von Dörfern. Ihre 


28. Juni 1887.) Nach den Banga- Fällen. 131 


Bewohner mußten im Oſten, jowie im Süden und Weften Nachbarn 
haben; weshalb follten fie nicht? 

Wir marſchirten, eine Compagnie nad) der andern, im Gänſe— 
marſch aus dem Thor. Jede Compagnie hatte ihre Fahne, ihren 
Trompeter oder Trommler, jowie eine beſtimmte Zahl von Ueber: 
zähligen, während 50 ausgejuchte Leute als Vorhut voraufmarjcirten, 
um Haumeljer und Art zu handhaben, die jungen Bäume zu fällen, 
von den Stämmen einen handbreiten Streifen Rinde abzufchälen, die 
Blätter und Sprofjen des Rotangs zu durchhauen, alle den freien Durch— 
zug der Hunderte von beladenen Trägern hindernden Zweige zu entfernen, 





Mari durch den Wald. 


Bäume für den Uebergang über Flüffe zu fällen und nach Beendigung 
des Tagemarjches aus Buſchwerk und Zweigen Seribas oder Bomas 
um das Hüttenlager zu bauen. Die Vorhut muß den Pfad aufjuchen, 
oder wenn feiner zu finden ift, Die jchmaljte Stelle des Dickichts wählen 
und fic) jofort durchbohren, da es außerordentlich ermüdend ift, mit einer 
jchweren Laſt auf dem Kopfe in der erhigten Atmojphäre jtillzuftehen. 
Findet fich fein dünneres Dieficht, dann geht es irgendivo hindurch, jo un- 
durchdringlich die Stelle auch erjcheinen mag; die Leute müſſen tüchtig 
darauf loshaden, ſonſt entiteht unter den ungeduldigen Trägern hinter 
ihnen ein unheilverheigendes Murren. Sie müſſen bei jolcher Waldarbeit 
auch geſchickt und intelligent fein; ein Neuling oder „Goi-&oi hat das 


9* 


132 Siebentes Kapitel. Jambuja 


Haumeſſer wieder abzugeben und die Kiſte oder den Ballen aufzunehmen. 
Dreihundert ermüdete Burſchen laſſen nicht mit ſich ſpielen. Die Leute von 
der Vorhut ſollen auch tapfer ſein, raſch einen Angriff zurückſchlagen und, 
da die Pfeile vergiftet, die Speerſtiche tödlich ſind, gute Augen haben, 
um die Dunkelheit und den Schatten zu durchdringen, jowie Beobachtungs— 
gabe befigen und jeden Augenblid bereit zum Handeln fein. Zeitvergeu— 
dende Leute find nicht zu brauchen ; die Burjchen müjjen jung, gejchmeidig 
und gelenfig fein — die 300 Mann hinter mir haben feine Achtung 
vor alten und corpulenten Leuten — weil fie jonft mit Scheltworten 
überhäuft und mit Schimpfereien erjtidt werden würden. Dubende 
von Stimmen würden rufen: „Wo ift das Verdienjt des Burjchen? 
Iſt es allein im Magen? Nein, in feinem hölzernen Rüden — fort, 
jein Kopf ift zu die für einen Kundſchafter. Er ift offenbar mit Auf- 
baden des Landes beichäftigt gewejen. Was will der ?Feldarbeiter auf 
dem Gontinent? Ihr jeht, er iſt nur ein Banianenjklave! Nein, er 
ift ein vom Conſul in Freiheit gejeßter! Unfinn, er iſt ein Miſſions— 
junge.“ Ihre jpigen Zungen durchdringen den Panzer der Dummheit 
wie Schwerter, daher werden die Haumeſſer mit der fcharfen Schneide 
mannhaft geihwungen, die blanfen Werte bliten und kappen junge 
Stämme oder trennen einen breiten Streifen Rinde vom Baume 
herumter, das Gebüjch wird durchbrochen, das Didicht öffnet ſich und, 
der Borhut beitändig dicht auf den Ferſen, dringt die meilenlange 
Staravane nad). 

Das wird die auf dem Mearjche zu befolgende Ordnung und 
Methode jein. Ich bin ftehen geblieben und beobachte die paffirenden 
Leute, bis der legte der Nachhut das Lager verlafjen hat, worauf der 
Major, Jameſon umd die Garnijon herausfommen, um nocd ein Lebe— 
wohl mit uns auszutaujchen. 

„Nun, mein lieber Major, jebt geht es los. Alles oder Nichts! 
Vergeſſen Sie Ihr Veriprechen nicht, und wir werden in etlichen 
Monaten wieder beijammen fein.‘ 

„Ich ſchwöre es zu Gott, ich werde jcharf Hinter Ihnen ber fein. 
Laſſen Sie mic nur erft die Burjchen von Bolobo haben, dann ſoll 
nichts mich aufhalten!“ 

„Run gut. Gott jegne Sie! Halten Sie den Muth hoch. Und 
Jameſon, alter Freund, denjelben Wunſch auch für Sie!“ 

Kapitän Nelfon, der zugehört hatte, trat nun ebenfalls heran, 
um jenen zum Abjchied die Hand zu drüden; alsdann eilte ich nad) 
der Front, während Nelſon ſich an die Spite der Nachhut begab. 


28. Juni 1887.) Nach den Panga » Fällen. 133 


Die Colonne hatte am Ende der Dörfer oder eigentlich der Straße, 
die Nelſon in legter Zeit herzuftellen begonnen hatte, halt gemacht. 

„Welches ift der Weg, Führer?“ fragte ich den wahrjcheinlich 
ftolzeften Mann der ganzen Colonne — denn es ift ein höchſt er- 
hebendes Gefühl, die Spige des Zuges zu bilden. Der Mann trug 
ein griechiiches Coſtüm und einen griechiichen Helm a la Achilles. 

„Diejer hier, der nad) Sonnenaufgang führt‘, erwiderte er. 

„Wie viele Stunden find es bis zum nächſten Dorfe?‘ 

„Das weiß nur Gott‘, antwortete er. 





Der Klirangofi oder vorderfte Mann der Colonne. 


„Kennſt du fein Dorf oder Land in jener Richtung?‘ 

„Nicht ein einziges; wie follte ich auch?“ war die Entgegnung. 

Das war alles, was der Stlügfte von uns wußte, 

„Nun denn, vorwärts in Gottes Namen! Möge Gott ftet3 mit 
uns jein! Halte dich an jeden Pfad, der am Fluſſe entlang führt, 
bis wir eine Straße finden.‘ 

„Bismillah!“ ericholl das Echo der Pioniere, die Trompeten der 
Nubier bliefen das Signal „Vorwärts! und kurz darauf verſchwand 
die Spite der Colonne in dem dichten Gebüſch an den äußerjten 
Grenzen der Lichtung von Jambuja. 

Das war am 28. Juni, und bis zum 5. December, aljo 160 Tage, 


134 Siebentes Kapitel. Jambuja 


ſind wir durch Wald, Buſch und Dickicht marſchirt, ohne je ein Stück 
Grasland von der Größe nur einer kleinen Zimmerdiele geſehen zu 
haben. Nichts als meilenweiter endloſer Wald in mannichfachen Stadien 
des Wachsthums und je nach dem Alter der Bäume verjchiedener Höhe, 
mit mehr oder weniger dichtem Unterholz je nad) dem Charakter der 
Waldriefen, welche dichtern oder geringern Schatten jpenden. Der Be- 
jchreibung des Marjches durch diefen Wald und der Ereigniffe während 
defjelben werde ich mich in den nächſten Kapiteln widmen, da hier zum 
eriten male, jeitdem die Sündflut verjchwand, die Meere fich fammelten 
und die Erde trodenes Land wurde, den Blicden und der Kenntniß 
des civilifirten Menjchen fich eine abjolut unbefannte Region eröffnete. 
Indem ich den Lejer um Geduld bitte, veripreche ich, jo wenig lang» 
weilig wie möglid zu fein, obwol es in diefem Frühling des Jahres 
des Herrn 1890 außer meinem vorliegenden Buche fein anderes Manu— 
jeript und feine Aufzeichnung und feine gedrudte Schrift gibt, in welcher 
eine Schilderung diefer Region der Schrednijje enthalten wäre. 

Bei einer Temperatur von 24° R. im Schatten marjchirten wir 
auf einem Pfade, der nur jehr wenig benugt worden war und ic 
unter dunfelm, dichtem Gebüjch dahinwand. Wir famen nur langjam 
vorwärts, da die Bewegung alle paar Minuten durch das Didicht 
unterbrochen wurde. Die von 50 Mann gehandhabten Haumejjer und 
Aexte waren in beftändiger Thätigfeit, die Schlinggewächle wurden 
unbarmberzig zerhauen und Hin und wieder waren etwa 100 Meter 
lange Streden des Weges ebenfo gut palfirbar, wie andere ungefähr 
gleichlange Streden allerlei Schwierigkeiten boten. 

Um Mittag blicten wir um das Knie des Arınvimi herum, welches 
von Jambuja aus zu jehen ift, und bemerften etwa 6 km aufivärts 
eine weitere Stromfchnelle, deren brandende Gewäſſer im Sonnenschein 
erglänzten. Die Stromfchnellen von Jambuja lagen etwas abwärts 
von uns. Unterhalb der obern Stromjchnellen war eine ganze Flotille 
von Kanodes verfammelt, unter denen große Bewegung und reges Leben 
herrichte, felbftverftändlich infolge der Warnung, welche die Jambuja 
ihren Nachbarn hatten zufommen lafien. Um 4 Uhr nachmittags be- 
merften wir, daß die Spite, welche wir den Stromjchnellen gegenüber- 
liegend gejehen hatten, aus Inſeln beftand. Diejelben waren jett Dicht 
bejegt mit rauen und Kindern der Jankonde, die wir bis dahin noch 
nicht zu Geficht befommen hatten, Auf dem Strome waren etwa 
100 Kanoes aufgefahren, mit eingeborenen Kriegern bemannt, weldje 
die Bewegungen der Kolonne, als fie im Licht und Schatten des Waldes 


29. Juni 1887.) Nah den Panga- Fällen. 135 


auftauchte und wieder verichwand, mit höhnendem, fpottendem und 
herausforderndem Gejchrei verfolgten, 

Die Spitze der Colonne erreichte bald darauf das Ende einer 
breiten, freien Straße von etwa 6 m Breite und 280 m Länge, an 
deren oberm Ende ungefähr 300 Eingeborene aus der Stadt Jan 
fonde, den gejpannten Bogen in der Hand, jtanden, gejtieulirten und 
jchrien. Auf allen meinen Reifen in Afrika hatte ich noch nichts Der- 
artiges gejehen. Die Pioniere machten halt, überlegten und taufchten 
ihre Bemerkungen darüber aus: „Was bedeutet das? Die Heiden haben 
für uns eine breite Straße aus dem Busch zu ihnen ausgehauen und 
jtehen trogdem fampfbereit am andern Ende! Das ift irgendeine Falle, 
Jungens, paßt deshalb genau auf!‘ 

Mit dem Buſchwerk, welches die Eingeborenen abgefappt hatten, 
war zu beiden Seiten der Straße jeder Ausweg nad) dem Walde 
auf eine längere Strede abgedämmt und verjperrt. Allein unjere 50 Baar 
guten Augen, die ſcharf nach allen Seiten, nach oben und unten umher— 
ſpähten, fanden bald, daß dieſe jcheinbare Hochitraße durch das Gebüſch 
von 15 cm langen, ausgetrodneten Palmenſtengeln und an beiden 
Enden zugeſpitzten Holzitüden ftarrte, die bis zur halben Länge in den 
Erdboden getrieben und leicht mit grünen Büjcheln bededt waren, welche 
die Eingeborenen jo geſchickt hingeworfen hatten, daß wir im erjten 
Augenblide glaubten, die verftreuten Blätter rührten von dem Lichten 
des Dickichts her. 

Sch ließ zwei Linien von je 12 Mann quer über die Straße 
bilden und befahl der erjten, die Holzitüde aus der Erde zu ziehen, 
während die andere die Arbeiter mit ihren Waffen deden mußte und 
bei dem erjten Hagel von Pfeilen Feuer geben jollte. Auf beiden 
Seiten der Straße wurden KRundjchafter ausgefandt, welche jich einen 
Weg durch den Wald ins Dorf bahnen mußten. Kaum waren wir 
20 m auf der offenen Straße vorgerüdt, als Rauchwolken aus der 
Stadt aufftiegen und eine fleine Wolfe von Pfeilen beranflog, die 
jedody zu furz fielen. Wir erwiderten mit einer Salve, zogen raſch 
die Holziplitter Heraus und drangen jtetig vor, bis wir das Dorf 
erreichten, zur jelben Zeit, als die Kundſchafter aus dem Unterholz 
hervorftürzten, und da die jämmtlichen Pioniere jet vorrüdten, jo 
fand ein ziemlich lebhaftes Feuern jtatt, unter dejjen Schuße die Kara— 
vane rasch durch die brennende Stadt nad) einem noch nicht in Brand 
gerathenen Dorfe an dem äußerjten öftlichen Ende derjelben marſchirte. 

Dem Fluſſe entlang hatte das Schieken eine viel größere Wirkung. 


136 Siebentes Kapitel. Jankonde 


Schon das Knallen genügte, um einen Feind, welcher wie die Wilden 
leicht an die Schreckniſſe des Schalls glaubt, in Furcht zu verſetzen; 
allein leider richtete daſſelbe ebenſo viel Schaden wie Schrecken an. 
Ich fürchte, daß ſehr viele die thörichte Herausforderung mit dem 
Tode haben bezahlen müſſen. Die Schuld daran tragen ohne Zweifel 
die Jambuja, welche die überraſchendſten Fabeln erfunden haben 
müſſen, um ihre Nachbarn zu dem Verſuch zu veranlaſſen, eine mit 
faſt 400 Gewehren bewaffnete Truppe aufzuhalten. 

Es war beinahe 9 Uhr abends, ehe die Nachhut das Lager er— 
reichte. Die ganze Nacht hindurch wendeten die Wilden ihre gewöhn— 
liche Taktik an, um Lärm und Störungen hervorzurufen, indem ſie 
ſenkrecht Aſſegais und ſtark vergiftete Pfeile ins Lager fallen ließen und 
dabei plötzlich ein Geſchrei, Heulen nnd Drohungen ausſtießen und an 
verſchiedenen Stellen gleichzeitig Hörner blieſen, als ſolle gleich darauf 
ein allgemeiner Angriff unternommen werden. Fremde, welche die Schlau— 
heit dieſer Waldteufel nicht kennen, würden zu entſchuldigen ſein, wenn 
ſie meinten, es bedürfe nur des Tageslichtes, um uns vollſtändig zu 
vernichten. Einige dieſer Taktiken hatte ich ſchon in frühern Jahren 
kennen gelernt, allein es war von der Schlauheit dieſer echten Heiden 
doch noch etwas zu lernen. Das Lager wurde mit Schildwachen um— 
geben, die nur den Befehl erhielten, das ſtrengſte Schweigen zu be— 
obachten und die Augen ſcharf offen zu halten. 

Am Morgen wurde mir gemeldet, daß ein Mann mit genauer 
Noth dem Tode entgangen war. Als er aufwachte, fand er, daß ein 
Speer neben ihm in die Erde gedrungen war und ſeine Schlafdecke 
und Matte durchbohrt hatte. Zwei Mann hatten leichte Pfeilwunden 
erhalten. 

Wir wanderten am nächſten Morgen etwa zehn Minuten umher, 
um einen Pfad zu ſuchen, und entdeckten ſchließlich einen ſolchen, 
welcher durch ein meilengroßes, ungeheueres Viereck von Maniokfeldern 
führte. Bei dem kleinen Dorfe Bahunga, ungefähr 6 km ſüdöſtlich 
von Jankonde, machten wir gern halt, da wir nicht beabjichtigten, nach 
der langen Fahrt auf dem Fluſſe gleich nach dem Aufbruche raſch vor: 
zudringen, jondern die Leute nad) und nach an den vor ihnen liegen- 
den weiten Marjch gewöhnen wollten. 

Am 30. Juni trafen wir einen Pfad, welcher eine Reihe von 
14 Dörfern miteinander verband, die jedes für fich getrennt waren, 
in gerader Linie lagen und von üppigen Feldern umgeben waren, auf 
denen Maniof oder, wie die Pflanze auch genannt wird, Caſſave gebaut 


1. Juli 1887.) Nach den Panga-Fällen. 137 


wurde. Wir bemerkten aber doch, daß nach den vorhandenen Spuren 
zu urtheilen, ſich hier vor vielen Monaten ein Unglück ereignet haben 
mußte. Die Dörfer, welche wir paſſirten, waren meiſt neu aufgebaut 
und beſtanden aus Hütten von der Form eines ſpitzen Kegels (Löſch— 
horns) oder eigentlich einer vierjeitigen Pyramide; angebrannte Pfähle 
und Trümmer der alten Dörfer bezeichneten die Stellen der frühern 
Wohnftätten. Hier und dort fanden wir auc) gezeichnete Bäume, 
woraus ich erfannte, daß Araber oder Manjema, vielleicht auch der 
Bruder Tippu-Tib’3, diefer Gegend einen Beſuch abgeftattet haben 
mußten. 

Am nächſten Tage führte der Marſch ung durch eine ähnliche Reihe 
von Dörfern, 12 an der Zahl, die durch einen gut ausgetretenen, von 
einem Dorf zum andern führenden Pfad verbunden waren. Hier wurden 
die einzelnen Weiler durch den Urwald getrennt; längs des Pfades 
bemerften wir Fanggruben für großes Wild des Waldes, jowie Fallen 
für Kleinere TIhiere, wie Kaninchen, Eichhörnchen, Ratten und Kleine 
Affen. In der Nachbarschaft jedes Dorfes jahen wir zahlreiche Holz: 
jtüde im Boden, doc) hatten wir bisjeßt noch feine Verletzungen durch 
diejelben erlitten. 

An diefem Tage erfuhren wir eine weitere ernftliche Unbequemlichkeit 
des Marjches im Walde. Ungefähr alle 50 Meter lag ein gejtürzter 
Baum von einem Durchmeſſer gleich der Brufthöhe quer über den Weg, 
und zwar in einer Häufigkeit, die entjchieden läftig wurde; die Ejel mußten 
vorfichtig darüber himweggeführt werden. Zwanzig bis fünfundzwanzig 
diefer Bäume mußten von Hunderten von Leuten überflommen werden, die 
in dieſer neuen Reiſeart nicht alle gleich gejchict waren und bereits 
über dieje ernftlichen Hindernifje und den durch dieſelben verurjachten 
Aufenthalt zu Klagen begannen. Die Hauptzugänge zu den vielen Dörfern 
waren reich bejäet mit den vergifteten Holziplittern, welche jedermann, 
mit Ausnahme der Stiefel tragenden Weißen, mit größter Vorficht auf- 
zutreten veranlaßten. Uebrigens konnten aud) die Europäer der Gefahr 
gegenüber nicht ganz gleichgültig bleiben, denn die leichtefte Verlegung — 
und das Holzitücd vermochte das didjte Stiefelleder zu durchdringen und 
die jpigen Splitter tief in den Fuß zu bohren — verurſachte jo fürchter- 
liche Schmerzen, daß man es wol der Mühe werth hielt, ſich in Acht 
zu nehmen. 

Um 3 Uhr nachmittags machten wir in der Nähe einiger mit 
Seerojen überwachlenen Tümpel Rat, ziemlich entfernt von einem 
Dorfe, bei deſſen Paſſiren wir drei Verwundete befommen hatten. 


138 Siebentes Kapitel. Jankonde 


An dieſem Morgen wurde das Lager ungefähr drei Stunden vor 
Tagesanbruch durch Geheul und Tautes anhaltendes Hörnerblajen er- 
weckt. Als die Hörnerflänge bald darauf wieder verftummten, hörte 
man klar und deutlich die Stimmen zweier Leute, obwol ich wie viele 
andere mich vergeblich bemühte, die intenfive Dunkelheit zu durch: 
dringen, um dieſe mitternächtlichen Redner zu erbliden. 

Der erjte Sprecher ſagte: He, ihr Fremden, wohin wollt ihr? 


Der Barafit wiederholte: Wohin wollt ihr? 
Sprecher: Diejes Land bietet euch fein Willfonmen. 
Barafit: Bietet euch fein Willkommen. 
Sprecher: Alle Leute find gegen euch. 

Barajit: Sind gegen eud). 

Sprecher: Ihr werdet ficherlich erjchlagen werden. 
Barafit: Sicherlich erichlagen werden. 
Spredder: Ah — ad — ab — ah — ah — aah. 
Barafit: Ah — ah — aah. 
Spreder: Uh — uh — uh — uh — uuh. 
Barafit: Uh — uh — uud. 


Diejer Barafit war ein jo offenbarer Parafit, mit jo viel Humor 
begabt, daß ſich plößlich ein allgemeines Fräftiges und überrajchendes 
Gelächter erhob, durch welches der Sprecher mit jeinem Echo in jchleus 
nigſter Flucht dDavongejcheucht wurde. 

Da mir die Thatjache, daß der Pfad, welcher ung zu dieſen Tüm— 
peln gebracht hatte, nicht von Menjchen, ſondern von Elefanten her: 
rührte, einige Unruhe verurjachte und ich überzeugt war, daß Die 
Leute über diefen Tag hinaus nicht mehr mit Lebensmitteln verjorgt 
waren, jo jchidte ich am 2, Juli bei Tagesanbruch 200 Mann nad) 
den Dörfern zurüd, um je eine Laft Maniof zu holen. Aus der Art 
und Weije, wie fie diefen Befehl ausführten, konnte man jchließen, daß 
fie doch wenig oder gar feine Vernunft befaßen und daß nicht die Hälfte 
der zur Zeit im Lager befindlichen 339 Mann aus Afrifa zurückkehren 
würde. Jetzt fprudelten fie von Leben und Beweglichkeit über, ihre 
Gewehre waren in vorzüglicem Zuftande, ihre Ausrüftung war neu 
und jeder von ihnen hatte zehn Patronen. Bei ein wenig Sorgfalt 
für ihr eigenes Selbft und mur einem kleinen bischen Klugheit war 
fein Grund vorhanden, weshalb nicht faſt alle wohlbehalten und ge 
jund zurückkehren jollten; allein fie waren fo roh, jo dumm und unver— 
nünftig, daß Befehle und Anweiſungen unbeachtet blieben, außer wenn 
die Leute ftrengitens beauffichtigt wurden; um fie aber wirfiam zu 


2. Juli 1887.) Nah den PBanga » Fällen. 139 


beauffichtigen, wirde ich 100 engliſche Offiziere von ähnlicher Intelli- 
genz und Hingabe gebraucht haben, wie diejenigen vier, welche ich da— 
mals bei mir hatte. So verlieren fie das Leben um Kleinigkeiten 
willen, die fich bei ein wenig Vernunft vermeiden laſſen, und bevor 
nicht ein ſchreckliches Unglück fie betrifft, werde ich nicht im Stande 
fein, ihrem Verſtande begreiflich zu machen, daß es ein Verbrechen 
ift, das Leben auf thörichte Weife zu verlieren. 

Um die allgemeine Richtung des Pfades zu erforjchen, jandte 
ich eine Anzahl Kundjchafter vorauf, die etwa zur felben Seit wie 
die Fourragirer zurückehrten und ſechs Eingeborene im Walde ge: 
fangen genommen hatten. Lebtere gehörten einem Stamme mit Namen 
Babali an, hatten eine hellschocofadenfarbige Haut und waren I bei der 
Herjtellung von Wildfallen betroffen worden. 

Als wir uns bemühten, einige Auskünfte über das Land, durch 
welches der Pfad führte, von ihnen zu erhalten, jagten fie: „Wir 
haben nur ein Herz; ihr folltet nicht zwei haben’, was fo viel be: 
deuten jollte wie: „Sprecht nicht jo gut zu ung, wenn ihr uns ein 
Leid anthun wollt.“ Wie alle Eingeborenen behaupteten fie bejtimmt, 
daß fie fein Menſchenfleiſch äßen, daß dies aber bei den Babandaz, 
Babali- und Babufwa-Stämmen, welche die Ufer des Arınvimi ober- 
halb Jankonde bewohnen, Sitte fei. 

Kurz nach der Unterredung mit den Eingeborenen hatte Dr. Parke, 
nachdem er die umherfummenden Bienen beobachtet hatte, zu einem 
der andern Offiziere bemerkt, er glaube nicht, daß die Thiere über: 
haupt ftächen ; ® aber faft in demjelben Augenblick ſetzte fich eine jolche 
lafterhafte Biene ihm in den Naden und trieb ihren Stachel tief ins 
Fleiſch, um ihm für feine beleidigende Geringihägung zu betrafen. 
Er fam darauf zu mir, um mir die Sache als einen guten Wit zu 
erzählen, als er von einer zweiten Biene angegriffen und fat auf der- 
jelben Stelle verwundet wurde, jodaß er vor Schmerz aufichrie: 
„Wahrhaftig, fie Stechen doc fürchterlich genug.” „Allerdings“, er 
widerte ich; „es geht nichts über die Erfahrung, um den Berjtand zu 
ſchärfen.“ 

Nachdem wir den Maniok vertheilt hatten mit der Anweiſung, 
die Wurzeln in dreimal erneuertem Waſſer zu kochen, nahmen wir um 
1 Uhr nachmittags den Marſch wieder auf, bis wir um 4 Uhr das 
Lager aufichlugen. 

Am nächſten Tage verließen wir den Pfad und arbeiteten ung 
nad dem Kompaß durch den ungeheuern hohen Wald und das dſchun— 


140 Siebentes Kapitel. [Ianfonde 


gelartige Unterholz. In der Colonne Hatte ich den Platz als Dritter 
nad) dem Führer, jodaß ich den Eurs bejtimmen konnte. Um eine 
jtetige, wenn auch langjame Bewegung im Gange zu halten, gab ic) 
den Pionieren die Anweifung, daß jeder im Weitergehen eine hin— 
dernde Liane oder einen in den Weg hereinhängenden Zweig des Ge— 
büſches wählen, einen jcharfen Hieb danad) führen und dann weiter mar— 
jchiren jollte, während die beiden Männer an der Spike ſich darauf 
zu bejchränfen hatten, etwa alle zehn Meter ein großes wirkſames 
Wegzeichen an den Bäumen anzubringen. Da die Nachhut uns erft in 
etwa zwei Monaten folgen würde, jo fam jehr viel darauf an, 
daß dieſe Bezeichnung durch Ablöfen eines qut handbreiten Streifeng 
Rinde erfolgte, 

Selbftverftändlich war der Marſch, da er durch eine nie betre- 
tene pfadlofe Wildniß führte, an einigen Stellen jo langjam wie 
bei einem Leichenbegängniß, jodaß wir manchmal nur etwa 350 — 
400 m in der Stunde vorwärts famen, während wir an andern 
offenern. Orten mit weniger Unterholz einen halben, einen ganzen 
oder gar anderthalb Kilometer in der Stunde zurüdlegten. Infolge 
deſſen fonnten wir von 61,,—11 Uhr vormittags, wenn wir halt machten, 
um zu frühftücen und zu raften, und von 121,—3 oder 4 Uhr nachınit- 
tags, aljo in 6—7 Stunden täglich, etwa 8 km marfchiren. Auf den 
gewöhnlichen afrikanischen Wegen, wie man fie in andern Gegenden 
findet, hätten wir im derjelben Zeit 22—29 km zurüdlegen können. 
Wir mußten uns deshalb in der Nähe der Niederlaffungen halten, 
nicht nur der Lebensmittel wegen, jondern auch in der Hoffnung, die 
Pfade der Eingeborenen benugen zu fünnen. Man wird fpäter jehen, 
wie es ums dabei erging. 

An diefem Tage waren wir um 4 Uhr nachmittags noch auf dem 
Mariche, nachdem wir eine Wildniß von Rinnſalen und tiefen, mit 
Schaum und grünen Waflerlinjen bededten Kothlachen pajfirt hatten, in 
denen wir bis an die Knie einfanfen und wo ein höchſt efelhafter Geſtank 
herrichte, den der mit verwejenden Stoffen gefüllte Sumpf aushaudıte, 
Wir waren eben aus diefem verderblichen Moorlande, das von träge 
fließenden Bächen und flachen, langen, flußartigen Tümpeln durch— 
Ichnitten wurde, herausgefommen, als der Wald fic, plöglich derart ver: 
dunfelte, daß ich Faum den Kompaß ablejen fonnte, und eim entferntes 
Geräuſch, welches raſch zum lauten Pfeifen ſich verftärfte, ſowie das 
Bewegen und Knirſchen der Aeſte und das Aechzen der mächtigen Bäume 
uns vor dem herannahenden Gewitterfturm warnte. Da das Terrain 





In Nacht und Regen im Walde. 


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4. Juli 1887.) Nach den Panga » Fällen, 141 


rundherum ſehr wenig einladend war, mußten wir durch die zu— 
nehmende Dunkelheit raſcher vorwärts dringen. Als der Regen zu 
fallen begann, fingen wir mit dem Bau des Lagers an. 

Die Zelte wurden ſchleunigſt über dem niedrigen Buſchwerk auf— 
geſchlagen, die Haumeſſer krachten und die Aexte klangen, um einen Raum 
für das Lager zu lichten. Der Regen war kalt und fiel in ſchweren 
Tropfen, die ſo groß wie Thalerſtücke auf die in Baumwollenſtoffe ge— 
gekleideten Männer fiel und ſie erſchauern ließen. Ueber uns rollte 
der Donner und der Blitz warf grellen Feuerſchein durch die Dunkel— 
heit, in der bis um 9 Uhr die müde, hungerige Karavane ins Lager 
wankte. Der Regen war ſo heftig, daß wir die Feuer nicht anzünden 
konnten, und noch um 3 Uhr morgens ſaßen wir zuſammengekauert 
und uns aneinander drückend inmitten der kalten, feuchten, dampfenden 
Ausdünſtungen und des feinen Sprühregens. Dann erſt wurden die 
Feuer angezündet, worauf die Leute um die Dutzende von Flammen— 
pyramiden ſaßen, um ſich in eine fröhlichere Stimmung hinein zu 
wärmen, bittere Maniokwurzeln zu röſten und die nagenden Schmerzen 
des Magens zu ſtillen. 2 

Am 4. Juli hielten wir uns in der Richtung Nord zu 
Oſt, und nad) einer Stunde hörten wir in der Ferne Eingeborene 
im Chor fingen. Wir jandten ſofortKundſchäftetk aus, um zu er: 
fahren, was das zu bedeuten habe, und vernahmen gleich darauf 
Schießen, welches näher zu kommen fchien. Ich mufterte die nächite 
Compagnie, ließ die Waaren aufftapeln und jandte die Leute als 
Plänfler aus. Dann trafen Boten ein mit der Meldung, Die 
Kundſchafter hätten den Fluß erreicht, auf welchem ein Kanoe heran- 
gekommen jei, deſſen Inſaſſen die Bogen geipannt gehabt und 
die bereits aufgelegten Pfeile jofort auf die Kumdfchafter abgejchoffen 
hätten, jodaß fie gezwungen gewejen jeien, Feuer zu geben. Darauf 
jegten wir den Marjch fort und befanden uns um 8 Uhr morgens 
wieder am Fluffe, gerade noch früh genug, um eine Anzahl von 
Eingeborenenfanves um eine Biegung am jenfeitigen Ufer verſchwinden 
zu jehen. Ein verlaffenes Kanve, welches am Lande fejtgebunden war, 
enthielt eine Ziege, 

Da ich bemerkte, daß der Fluß ruhig und frei von Strom— 
ſchnellen war, umd den Leuten jo viel Arbeit zu eriparen wünjchte, als 
die Verhältnifje geitatteten, ließ ich die Abtheilungen des Stahl- 
bootes ans Ufer bringen, wo Herr Iephion, dejien Compagnie mit 
der jpeciellen Aufficht über den „Advance“ betraut war, mit dem 


142 Siebentes Kapitel. [Bulanda 


Bufammenjegen des Bootes begann. Nach einer Stunde waren die 
44 Laften, welche das Boot bildete, zujammengefügt, an den be- 
treffenden Stellen befeftigt und ins Wafjer gelaffen. Da das Boot, 
wie erwähnt, 44 Laften ausmachte und 50 Laften und mindeitens 
10 Kranfe zu tragen vermochte, fonnten wir 89 Leute von der ermüdenden 
Arbeit, Laften zu jchleppen und den noch immer jehr franfen Lieutenant 
Stairs zu tragen, befreien. Ich jchidte Herrn Jephſon mit einer Mann 
ſchaft nad) dem andern Ufer hinüber, um ſich der Ziege zu verfichern: 

Als der „Advance“ auf dem Fluſſe ſchwamm, war es noth— 
wendig, daß die Colonne ſich dicht am Ufer hielt, theils zum Schuge 
für das Boot, theils auch um im Stande zu fein, den Strom behufs 
Verringerung der Arbeit nußbar zu machen. Der Mangel an regel- 
mäßiger Nahrung, das Fehlen an Abwechjelung und Die geringe 
Nährfraft der Lebensmittel im Verein mit der Dringlichkeit, welche 
ung vorwärts trieb und lange Märjche und infolge deifen Erjchöpfung 
bedingte, würden bald die Kraft des ſtärkſten Mannes verzehrt haben. 
Es mußte daher gehörige Rüdficht auf die Leute genommen und jedes 
vorhandene Mittel zu ihrer Unterftügung angewendet werden. Des- 
halb marjchirten wir, während das Boot gleichen Schritt mit der 
Colonne hielt, nur bis 3 Uhr nachmittags jtromaufwärts und lagerten 
ung dann, 

Am 5. Juli jeßten das Boot und die Colonne wie am Tage 
vorher die Reiſe flußaufwärts fort und Tegten 10%, km zurüd. 
Der Fluß war fortwährend 450—730 m breit. Am Ufer war das 
Land ein wenig offener als im Innern, obwol es oft nicht möglic) 
war, ich zu bewegen, weil erjt ein Tunnel durch diejes undurch— 
dringliche Didicht hergeftellt werden mußte, ehe wir in dem über 
uns befindlichen Gewölbe von dichtem Netzwerk aus Zweigen, Schling- 
pflanzen und Nöhricht weiter fommen fonnten, Um 21, Uhr er: 
reichten wir das Dorf Bulanda. Wir hatten feinen Pfad gefunden, 
jondern waren einfach aus dem Dickicht auf einen jüngern Wald mit 
einer Lichtung gejtoßen, In der Mitte der lebtern am Ufer des 
Fluſſes lag das Dorf, Dieje Thatjache gab mir zu denfen, denn fie 
machte mich darauf aufmerkſam, daß der Verkehr zu Wafler unter: 
halten werde, da Pfade am Lande nicht zu entdecen waren und die 
Leute offenbar die Geheimniſſe der Luftichiffahrt nicht fannten. 

Wir hatten allen Grund, ung über die Entdedung des Dorfes zu 
freuen, denn jeit dem 2, Juli hatte Die Karavane nur von den Maniof- 
knollen gelebt, die jeder an dem genannten Tage mitgenommen hatte, 


6. Juli 1887.) Nach den Panga- Fällen, 143 


Wäre noch ein weiterer Tag vorübergegangen, ohne daß wir eine 
Lichtung getroffen hätten, jo würden wir Hunger gelitten haben. 

Erjt am Abend erichien das Boot, das durch die Fahrt über 
die Stromjchnellen, jorwie durch ein Abenteuer mit einer Flotille von 
elf Kanoes aufgehalten worden war. Die Kanoes waren infolge des 
letern verlafjfen und von dem Führer des Bootes an einer Inſel 
fejtgelegt worden. Eins derjelben jollte ein geräumiger hohler Baumes 
ſtamm fein und faft ebenfo viel wie das Boot tragen fünnen. Da 
der Fluß die Hauptverfehrsftraße der Eingeborenen war, jchien es 
mir gerathen zu jein, ihn zu benugen, um unſere Leute zu jchonen 
und die Kranken jowie einen Reſervevorrath von Lebensmitteln zu 
befördern, zumal da wir, am Tage vorher bis an den Rand gänzlichen 
Mangels gebracht, in dem volljtändig unbekannten Lande fremd waren 
und unjern Weg durch die Dunkelheit tappen mußten. Ich ſchickte 
das Boot daher mit einer Ertramannichaft hinab, um das Kanoe zu 
holen und nad) dem Lager hinaufzurudern, 

Selbftverjtändlih war Bufanda lange vor unferer Ankunft ver 
faffen worden. Die fegelfürmigen Hütten des Dorfes und die Maniof- 
felder ftanden zu unſerer Verfügung. Das hatte ich jonft in Afrika 
nicht erlebt, Früher hatten ſich wol die Weiber der Eingeborenen zurück— 
gezogen, allein die männliche Bevölkerung war mit Speer und Schild 
zur Wahrung des Eigenthums geblieben. Hier hatten jogar die Hühner 
die Flucht ergriffen. Die Gegend war offenbar höchſt ungeeignet zu 
ethnologiſchen Studien. 

Am Mittag des 6. Juli verließen wir Bufanda, aufs neue mit 
° Lebensmitteln ausgerüftet, und zwei Stunden jpäter befanden wir 
uns im Lager an einer unbewohnten Stelle. Den Morgen hatten 
wir dazu veriwendet, die Gewehre zu reinigen und zu vepariren, da an 
vielen derjelben die Federn gebrochen waren. 

Einige Thatjachen hatten wir bereits beobachtet, Wir bemerften, 
daß die Morgen naß und nebelig waren; daß wir froren und ung 
infolge defjen niedergeichlagen fühlten; daß einiger moralifcher Muth 
dazu gehörte, das Lager zu verlalfen, der Kälte, Näſſe und Feuchtig— 
feit, dem Schlamm und Sumpf Trog zu bieten und, bis an den Leib 
im Wafjer, Bäche zu durchwaten; daß die Stimmung in dem unan= 
genehmen Zwielicht wegen der fehlenden Helligkeit und wärmenden Son- 
nenstrahlen fürchterlich gedrücdt war; daß die Niedergeichlagenheit durch 
die Beobachtung der düftern Wolfen und des langweilig grauen Fluſſes, 
der das traurige Tageslicht wiederfpiegelte, ſich noch fteigerte. Die 


144 Siebentes Kapitel. Bakuti 


Temperatur an dieſen kalten Morgen war in Wirklichkeit immerhin 
17°— 18° R.; hätten wir fie nach unſerer Muthloſigkeit beurtheilen 
jolfen, fie wäre wol um 10 Grad niedriger geweien. 

Die Kehrichthaufen der Hleinen Dörfer waren groß und am Ufer: 
rande aufgeworfen; fie bejtanden aus einer Mijchung von Staub, 
Unrath von den Straßen und aus den Hütten, Abfällen von Maniof 
und oft auch von Paradiesfeigen, jowie einer großen Menge von 
Auſternſchalen. Hätte ich micht ſonſt noch viel mitzutheilen, ich könnte 
auf Grund diefer Düngermafjen eine interejlante Abhandlung über die 
Moral, die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen fchreiben. Gerade 
wie Owen aus einigen Knochen auf die ganze Gejtalt eines ausgejtor- 
benen Mammuththieres aus längftvergangenen Zeiten ſchließen konnte, 
wäre es auch mir möglich, aus diejen Ktehrichthaufen die Gejchichte eines 
Stammes zu entwideln. Die jtinfenden Schmutzhaufen waren der 
Lieblingsaufenthalt von Vertretern vieler Injektenarten. Ganze Co— 
lonnen von Ameiſen marjchirten in genauerer Schlachtlinie ein und 
aus, als die Eingeborenen jelbjt aufzuitellen vermöchten; Fliegen 
jummten in Myriaden vergnügt über dem Unrath; die fröhlich umher: 
Ichwirrenden Schmetterlinge mit ihren glänzenden Farben würden das 
Herz Jameſon's erfreut haben, und alles umſchwebte eine vollitändige 
Wolfe von Motten. 

Am 7. Juli erreichten wir nad) fiebenftündigem langſamen Marjche 
und unaufhörlicher Arbeit mit den Haumeſſern die Dörfer der Bafuti. 
Sch hatte an diejem Tage einen Sit im Boote eingenommen und be- 
merkt, daß die Ufer fich auf beiden Seiten 2—3 m erhoben; aud) 
hatte ich zahlreiche Spuren früherer Bewohner entdedt, troß der Ueppig- " 
feit des jungen Waldes, der an der Stelle der einftigen Dörfer und 
‚Felder aufgewachſen war. Entweder Kriege oder Epidemien haben 
die Bewohner vor zwanzig Jahren vertrieben, und die Thatjache, daß 
wir bisjeßt am Aruwimi erjt ein Krokodil und ein Flußpferd gejehen 
hatten, jchien mir eim ficheres Zeichen zu fein, daß es in diefer Gegend 
nicht viel Weide gab. 

Als id) die Nuderer das Boot langſam Hinaufrudern ſah und 
Aexte und Haumeſſer im Didicht, wildem Geſtrüpp und Wald arbeiten 
hörte, wobei die Leute fauım einen Meter vorwärts kamen, bedauerte 
ich mehr als je, daß ich nicht darauf beftanden hatte, meinen ur- 
jprünglichen Plan auszuführen und 15 Walfiichfängerboote mitzu— 
nehmen. Welch jchwere Arbeit und große Sorge würde mir erfpart 
geblieben jein! 


9. Juli 1887.) Nach den PBanga - Fällen. 145 


Am 9. Juli erreichten wir nad) weiterm fiebenftündigen bejchwerlichen 
Mariche die Dörfer der Bakoka. Unjere Leute begannen bereit3 matt 
und erichöpft auszufehen. Mehrern waren Holzftüde in die Füße ge— 
drungen, bei andern fingen die Gejchwiüre wegen ihres wachjenden 
Umfanges an Bejorgniß zu erregen, und viele Elagten über jeltjame 
Schmerzen in den Gliedern. Stairs befand fi) in langjamer 
Geneſung. 

Wir haben ſo viele verlaſſene Lichtungen paſſirt, daß die Expe— 
dition ſich wochenlang von dem Maniok hätte nähren können, den 
niemand als ſein Eigenthum beanſpruchte. Offenbar haben mörderiſche 
Kriege die Auswanderung der Stämme verurſacht. Die Bakoka— 
Dörfer waren alle mit Paliſſadenzäunen verſehen, die Eingangsthore 
außerordentlich niedrig. 

Am nächſten Tage kamen wir bei vier Dörfern vorüber, die 
ſämmtlich von einem ſtarken Paliſſadenzaun umgeben waren, und am 
10. gelangten wir zu den Stromſchnellen von Gwengwere. Hier lagen 
ſieben große Dörfer, die bis dicht an die Schnellen hinanreichten und 
von unterhalb bis oberhalb des unruhigen Waſſers ſich ausdehnten. 
Die geſammte Bevölkerung war vermuthlich entweder nach dem gegen— 
überliegenden Feſtlande oder nach den mitten im Fluſſe befindlichen 
Inſeln geflohen; ſie hatten jeden beweglichen Gegenſtand mit fortge— 
führt und nur die üblichen Trümmer von grobem thönernen Kochgeſchirr, 
Stühlen, Bänken und ſonſtigen Ueberbleibſeln zurückgelaſſen. Die Zäune 
befanden ſich in gutem Zuſtande und die Hütten waren vollſtändig un— 
verſehrt. In einem großen Dorfe zählten wir 210 kegelförmige Hütten 
und zwei viereckige Schuppen, welche als öffentlicher Verſammlungs— 
raum und Schmiede benutzt waren. Dieſes Dorf ſtand auf einer hohen 
Klippe etwa 18 m über dem Fluſſe und bot einen prachtvollen Blick 
auf das dunkel filbergraue Waffer, das auf beiden Seiten von undurd- 
dringlichen hohen Wänden einer ungemein dichten, lebhaft grünen Ve— 
getation eingefaßt wurde. 

Lieutenant Stairs erholte ſich jet rajcd wieder von dem lange 
anhaltenden Anfalle von Gallenfieber; meine andern Gefährten erfreuten 
fi) der beſten Gejumdheit, obwol unfere Koft nur aus Gemüſen be= 
jtand, den Blättern der Maniofpflanze und jonftiger Kräuter, Die zer— 
queticht und in Form einer Paſtete angerichtet wurden, An diejem 
Tage hatte der Doctor ung aber ein Gericht Webervögel geliefert, da 
er einige von den Taufenden erlegt hatte, welche auf den Bäumen des 
Dorfes ihre Nefter bauten. 


Stanley, Im bunkeliten Afrifa. I. 10 


146 Siebentes Kapitel, Gwengwere 


Am 11. Juli marſchirten wir etwa anderthalb Kilometer, um den 
Kanoeleuten Gelegenheit zu geben, ihre Fahrzeuge durch die Strom— 
ſchnellen zu ſchieben, und der Colonne Raſt zu gönnen. Den nächſten Tag 
kamen wir 11 km weiter; der Fluß wendete ſich nach Oſten, wohin auch 
unſer Curs führte. Mehrere Kleine Stromjchnellen wurden ohne Unfall 
paffirt. Als wir Gwengwere aus Sicht verloren, jahen wir, wie 
die Bevölkerung von dem rechten Ufer und den Injeln in ihre Heimat 
zurücfeilte, die fie zu unferer Bequemlichkeit zeitweilig verlaſſen hatte. 
Es jchien mir das eim ganz vortreffliches Verfahren zu ſein, da es 
uns die Mühe des Nedens und möglicherweife nutzloſe Verſuche, den 
Frieden herzuftellen, ſowie langweiliges Geichwäß eriparte. Sie haben 
die Unbequemlichkeit nur eine Nacht zu ertragen; würden viele Kara— 
vanen jo friedlich heranrüden wie wir, dann wiirde ihre natürliche 
Neugier fie aber vermuthlich mit der Zeit veranlaffen, herbeizufommen 
und ſich mit den Fremden befannt zu machen. 

Unfere Leute fanden auf den Feldern und um die Dörfer herum 
reichlich zu ejlen. Das angebaute Areal war ein jehr ausgedehntes; 
um die Zäune herum gediehen PBaradiesfeigen, in der Nähe der 
Dörfer fanden fid) Feine Beete von Suppenfräutern, ſowie genügend 
Tabad zum Rauchen, Kürbiffe zum Nachtisch und etwas Mais. Leider 
aber litten wir alle unter dem Mangel an Fleisch. 

Bon Wafjervögeln war nur wenig zu jehen. Es gab dort einige 
Eremplare von Tauchern, Fiichadlern und Königsfiichern; irgendivo in 
der Ferne freifchten ein paar Ibiſſe; Scharen von Papagaien pfiffen 
und jchwaßten in vergeblichem Bemühen, die Einfamfeit des ungeheuern 
weglojen Waldes ihrer Stille zu berauben; Ziegenmelfer, Sonnen= 
und Webervögel unterftügten fie mit ihren mannichfaltigen Tönen; 
die Zahl der Infekten, Fliegen und Motten war eine unendliche, 

Am 12, Juli jegten wir den Marſch wie gewöhnlich fort; wir 
brachen um 61 Uhr morgens auf, die Karavane war dem Boot und 
jeinem Gefährten vorauf. Obwol wir nur mit einer Gejchwindigfeit von 
höchſtens 21/, km in der Stunde vorwärts famen, holten wir die mühlanı 
vordringende Karavane doch bald ein und paffirten die vorderften der 
Pioniere. Um 10 Uhr vormittags begegneten wir einem ungefähr 
15 Jahre alten Eingeborenenfnaben Namens Bakula, der auf einem 
Stüd eines Kanoes den Fluß hinabtrieb; er jprang behend an Bord 
unſers Bootes und arbeitete geſchick am Ruder. Eine Stunde jpäter 
fuhren wir um das untere Ende einer längern Curve des Fluſſes herunt, 
an welcher zahlreiche große Dörfer lagen. Der Knabe, welcher jo 


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12. Juli 1887.) Nah den Panga » Fällen. 147 


plöglic” aus der unbefannten Gegend bei und aufgetaucht war und 
freiwillig bei ung blieb, nannte das unterste Dorf Bandangi, das 
nächte Ndumba und die lange Reihe von Weilern weiter hinauf die 
Hütten des Banalja- Stammes. Sie waren aber ſämmtlich verlajien. 
Bei Bandangi machten wir halt, um zu frühftüden, und um 2 Uhr 
nachmittags ſetzten wir die Fahrt fort. 

Einftündiges Rudern brachte uns nad) dem oberften Dorfe, wo 
wir lagerten, Der auf dem Fluſſe befindliche THell der Expedition zählte 
heute 40 Mann, die ſich aber bei der Landung in dem großen, ftillen 
Dorfe verloren. Ich Hatte 13 Dörfer gezählt, von denen eins 180 
Hütten enthielt. Angenommen, daß längs diejer Curve nur 1300 Hütten 
jtehen und jede Hütte nur 4 Bewohner befigt, würde hier eine Be- 
völferung von 5200 Perſonen leben. 

Um 5", Uhr nachmittags erjchien die Vorhut der Kolonne, und 
glei darauf wurden wir von einem withenden Gewitter heimgefucht. 
Das fürchterliche Donnern und Bligen mochte wol nöthig fein, um die 
Atmoſphäre zu reinigen, welche. mit den augejammelten Dünften der 
feuchten Gegend jo geſchwängert war, daß die Sonne täglich nur wie 
durch einen dichten Schleier jchien. Die Erplofionskraft des elektriſchen 
Fluidums war daher eine furchtbare. Rund um uns herum und an 
jedem Punkte wurden die dichten, trägen, dunftbeladenen Wolken von 
blendenden, zuckenden Blitzen erhellt iind’ zerriien; betäubender Donner 
begleitete die Blitze. Nichts Geringeres als die außergewöhnliche Straft 
der hochgeſpannten Eflektricität würde die jchwere Atmojphäre haben 
reinigen und bewirfen fünnen, daß die Bewohner diejes Landes Die 
Farbe des Himmels zu jehen und den wohlthätigen Einfluß der Sonne 
zu fühlen befamen. Vier Stunden lang mußten wir die fürchterlichen 
Ausbrüche aushalten, während ein ftetiger Regenguß die überfüllten 
Regenwolfen erleichterte, welche Tage lang drohend über uns gehangen 
hatten. Während die Bootsmannichaft und die Vorhut in dem obern 
Dorfe untergebracht waren, bejegten die Nachhut und die vierte Com— 
pagnie Bandangi am untern Ende der halbmondfürmigen Curve; wir 
hörten von dort aus jede Minute Schüffe, welche uns ihre Anefenbeit 
mittheilen jollten, während wir vergeblich verfuchten, der Erſparniß halber 
die Signale durch Blaſen auf langen Elfenbeinhörnern zu erwidern. 

Eine jolch zahlreiche Bevölkerung hatte jelbitverjtändlich ausge- 
dehnte Mantoffelder, Bananen-, Baradiesfeigene und Zuderrohr- 
pflanzungen, Gemüjegärten und Maisfelder, und da der heftige Regen 


den Grund durchweicht hatte, ordnete ich einen Halt au. 
10* 


148 Siebentes Kapitel. [Bandangi 


Gegen 9 Uhr wußten wir, daß die Nachhut angekommen war, und 
zwar hörte ich e8 an der Stimme Neljon’s, der nad) „Schnitten und 
Kaffee‘ rief. Dies bejtand bei ung aus Manioffuchen, einer geröfteten 
Paradiesfeige und einem Gericht Gemüfe nebft Thee oder Kaffee. 
Ziegenfleifh oder Geflügel war einfach nicht aufzutreiben, da wir 
weder Vögel noch Thiere irgendwelcher Art erlangen konnten. Bisjegt 
hatten wir erft zwei Krofodile und ein Flußpferd entdeckt, aber Ele- 
fanten, Büffel, Antilopen oder Wildichweine noch nicht gejehen, ob— 
wol zahlreiche Fährten von ihnen vorhanden waren. Wie war «8 
auch anders möglich bei dem Rufen und Schreien der Pioniere, dem 
Lärm beim Kappen, Brechen und Abjchälen der Bäume, dem Geräuſch 
der großen Karavane? Bei dem anhaltenden Geihwäß, Erzählen von 
Geſchichten, Zanken, Lachen und Neden, welches auf dem Marſche herrichte, 
war e8 geradezu undenkbar. Das VBordringen durch das Unterholz; war 
ohne das jchwere Mefjer, die Art und Haue zum Sertrennen der ver= 
worrenen Schlinggewächje nicht möglih, und wenn auch ein Thier 
wenige Fuß entfernt an der andern Seite de3 Dickichts gewejen fein 
mag, jo war e3 doc) unmöglich, es durch die undurdjdringlichen Maſſen 
der Vegetation in Sicht zu befommen. 

Ic benußte den Aufenthalt, um die Injeln in der Nähe von 
Bandangi mit dem Boote zu unterjuchen. Auf einer derfelben ent- 
deckten wir längliche Haufen von Aufternichalen, deren einer 18 m lang, 
3 m breit und 1,2 m body war; man faun ich vorjtellen, wie die 
Eingeborenen fich bei ihren Feten an den Schalthieren ergögt haben 
mögen und wie lange Zeit vergangen fein muß, jeitdem das erfte der— 
jelben verzehrt worden ift. Bei der Nüdfehr bemerkte ich an einem 
Erdrutſch am Ufer in der Mitte der Curve eine Schicht Aufternfchalen, 
welche einen Meter tief unter dem Alluvium begraben lag. 

Bon unjerm Eingeborenenfnaben Bakula erfuhr ich, daß landein- 
wärts nach Norden die Baburu leben, welche fich von den am Fluſſe 
wohnenden Stämmen wejentlich unterjcheiden; daß einen Monat Reije 
flußaufwärts Zwerge von 60 cm Höhe mit langen Bärten wohnen; 
daß er einmal bis hinauf nad) Panga gereift fei, wo der Fluß ſich 
jo tief herabjtürze, wie der größte Stamm hoch ift; daß der Aruwimi 
von den Leuten am linfen Ufer jebt Lui genannt werde, den Baburu 
auf der rechten Seite aber als Luhali befannt ſei. Bakula war ein 
außergewöhnlich verichlagener Burjche, ein wirklicher Kannibale, der ich 
an einem Gericht Menjchenfleiich ergügt haben würde. Er war ein 
voflendeter Schauspieler und hatte mit der ihm angeborenen Schlauheit 


15. Juli 1887.] Nach den Panga » Fällen. 149 


fi gefichert, indem er fich bereitwillig dem anbequemte, was nad) 
feiner Meinung den Fremden, von denen er umgeben war, angenehm 
war. Hätten alle Eingeborenen die Bolitif diejes Jungen angenommen, 
dann würde unjere Reife durch dieje neuen Gebiete eine jo angenehme 
geweſen jein, wie wir fie nur hätten wiünfchen fünnen. ch bezweifle 
nicht, daß auch die übrigen Eingeborenen in der Verfchlagenheit Meifter 
waren, die wir an Bafula bewunderten; aber fie hatten einfach nicht 
den Muth, das zu thun, wozu ihn ein Unfall veranlaft hatte, 

Bon der Stadt des Banalja-Häuptlings Bambi jeßten wir am 
15. Juli die Reife zu Waffer und zu Land nad) den Bungangeta-Dörfern 
fort. Es war ein dunkler, unfreundlicher Morgen, der Himmel mit 
düjtern, drohenden, ſchweren Wolfen bedeckt. Als ich an dieſem lang- 
weiligen, unangenehmen Morgen die jtill dahinfließenden, dunkeln 
Gewäſſer und die lange, ununterbrochene Waldfront des Fluſſes be- 
trachtete, gewann ich den Eindrud, daß die Natur in diefer Gegend 
noch auf den lange erjehnten Weckruf der Eivilifation warte, auf die 
ihr beitimmte Zeit, wo fie, wie andere Theile der Erde, zur Erfüllung 
ihrer Pflichten erwacht. Ich verglich dieje abwartende Haltung mit der 
dem Tagesgrauen voraufgehenden Stille, ehe das Inſekten- und das 
übrige Thierleben erwacht, um die Luft mit jeinem Geräusch zu erfüllen, 
ehe der beginnende Tag die Millionen Heiner Leidenschaften der Wildniß 
erwedt, in jener Stunde, in der jelbjt die Zeit zu jchlummern und 
Schläfrig zu fein, die Gedanken laut und die Pulsjchläge des Herzens 
hörbar zu werden jcheinen, Wenn der junge Tag weiß und grau im 
Oſten auftaucht, ſchlägt auch die Welt die Augenlider auf. Dann tritt 
in dem unfichtbaren Leben Bewegung und Gejchäftigkeit ein und die 
ganze Erde jcheint aus ihrem Brüten zu erwachen. Aber bei alledem 
verharrt die Welt des Waldes in ihrer Nuhe, die Natur wartet den 
Tag ab, der Fluß zeigt fein Leben; ungleih Rip van Winfle läßt die 
Natur troß ihres unermeßliche Zeitalter langen Schlafes fein Altwerden 
erkennen, und ungeachtet ihres unglaublichen Alters bleibt jie jung- 
fräulih vom Schlafe der Unſchuld umfangen. 

Welche ausgedehnte Streden reichen, fruchtbaren Landes liegen 
in diefer Gegend, vom Menjchen unbeachtet! So volfreich die Ufer 
des Fluſſes auch fein mögen, find fie doch nur wenig durch Arbeit 
gejtört worden; hier und Dort am Flußrande einige aufgegrabene 
Stellen, ein bejchränftes Feld mit Maniok innerhalb einer fraterartigen 
Lichtung im Innern des dunfeln Waldes, eine jchmale Linie Fleiner 
Hütten, in deren engem Innern die Wilden fich einpferchen — das iſt alles. 


150 Siebentes Kapitel. [Unter-Mariri 


Eine meiner Unterhaltungen im Boote war, den unbekannten Lauf 
des Fluſſes zu ffizziren, denn da die Eingeborenen bei unjerer An— 
näherung wie die Ratten in ihre Löcher verfchwanden, war es nicht 
möglich, andere Informationen darüber zu erhalten. Wie weit durfte ich 
von meiner Wegrichtung abweichen? Auf dem Fluſſe vermochte ich Die 
Kranken zu unterjtügen und die Starfen zu erleichtern, fonnten die 
Waaren transportirt und die Schwachen befördert werden. Reſerven 
an Baradiesfeigen und Maniok fonnten mitgeführt werben. Würde 
aber die Thatfache, daß eine einigermaßen lange Curve uns vielleicht 
75—100 km nördlid; von unſerm Curſe brachte, durch dieſe Vortheile, 
die Erleichterung der Träger und den Ueberfluß an Lebensmitteln, 
welche wir an den Ufern bejtimmt finden würden, aufgetwogen werden ? 
Als id an die Zahl der Kranken dachte und den matten Zustand der 
Leute jah, fühlte ich, daß es, wenn der Fluß etwa bis 2° nördl. Br. 
hinaufführte, bei weiten: vorzuziehen jet, ihm zu verfolgen, als uns 
wieder ins Innere des Waldes zu ftürzen. 

Die Temperatur der Luft an diefem bewölften Morgen betrug 
19°, die des FFluffes an der Oberflähe 20° R. Welche Erleich— 
terung, nad) dem Einathmen der jchwülen, unreinen Luft im Walde 
während der Nacht die Luft auf dem Fluſſe zu athmen! 

Am 16. Juli befaßen wir ein Boot und 5 Kanoes, die zujammen 
74 Mann und 120 Lajten befürderten, jodaß die Hälfte unferer Leute, 
da ja die Mbtheilungen des Bootes nicht mehr zu jchleppen waren, 
frei von den Laften war und einen Tag um den andern nicht? trug. 
Wir paffirten die Mündung eines aus Südoften fommenden bedeutendern 
Nebenfluffes und jchlugen 1”, km oberhalb deilelben das Lager auf. 
Nachmittags ftieg Die Temperatur auf 28° R. und infolge deſſen fiel 
der Negen in Strömen, nachdem wir vorher das übliche Donnern 
und Bliten gehabt hatten, Bis um 1 Uhr nachmittags am 17. Juli 
regnete es unaufhörlich fort. Es wäre intereffant geweien, die Negen- 
mengen, die während dieſes 19ftündigen Guſſes gefallen find, nad 
Gentimetern zu meſſen. Nur wenige unferer Leute konnten fich der Ruhe 
erfreuen, und als der Regen aufhörte, mußten allgemein die Deden 
und Kleidungsjtüde ausgerungen werben, und es dauerte mehrere 
Stunden, ehe die Leute ihre gewöhnliche Lebhaftigfeit wiedergewannen. 
Auch die Eingeborenen müflen fi, und zwar wegen unſerer Nähe, 
gedrückt gefühlt Haben, obwol fie vielleicht gern ihre Ziegen und Hühner 
gegen unſere Waaren ausgetauscht hätten, wenn ihnen befannt gemejen 
wäre, welchen Reichtum wir beſaßen. 


19. Juli 1887.) Nach den Panga » Fällen. 151 


Um 5 Uhr nachmittags lagerte die Colonne gegenüber der An— 
fiedelung von Unter-Mariri. Außer ihren ungeheuern hölzernen Trom— 
meln, welche den Alarm bis auf 16 km ertünen ließen, jchrien die 
Eingeborenen auch mit jold) ungewöhnlicher Lungenkraft, daß ihre Rufe 
1’, km weit zu hören waren. Das Fehlen jeglichen jonjtigen Ge— 
räujches verlieh ihren Stimmen noch eine bejondere Kraft. 

Die Somali, welche in den Maffai- und ähnlichen Ländern, oder 
in trodenen Gegenden wie im Sudan, jo vorzügliche und tüchtige Diener 
abgeben, find in feuchten Regionen vollftändig unbrauchbar. Fünf von 
ihnen hatten fich geweigert, in Jambuja zu bleiben, und darauf bejtanden, 
mic zu begleiten. Seitdem wir uns des Fluſſes bedienten, hatte ich 
fie als Bootsleute verwendet, d. h. nur jolange fie im Stande waren, 
das Ruder oder die Stange zu handhaben, denn ihre phyfiiche Kraft 
brach bald zufammen, jodaß fie bloße Baflagiere wurden. Nach 
einer zweiftindigen Fahrt auf dem Fluſſe waren fie, ohne die geringfte 
Anftrengung gehabt zu haben, am Lande jo erichöpft, daß fie nicht 
im Stande waren, ſich gegen Regen und Feuchtigkeit ein Schutzdach 
aufzurichten, und da fie außerdem diebifch waren, wollten die Sanfi- 
bariten ihnen nicht geftatten, ihren Hütten nahe zu fommen. Die Folge 
davon war, daß wir jeden Tag die Mühe hatten, ihnen eine Ration 
Lebensmittel auszutheilen, weil fie lieber freiwillig verhungert wären, 
als die über ihren Köpfen hängenden Baradiesfeigen abzujchneiden. 

Bon Unter-Mariri fuhren wir am 18. Juli nach einem Orte 
16 km unterhalb Ober-Mariri. Die Boote hatten nur 4'/, Stunden 
zu der Fahrt gebraucht, die Landeolonne traf an dieſem Tage über: 
haupt nicht ein. 

Am 19. Juli verwendete ich die Mannfchaften des Bootes und der 
Kanves, um längs eines Theiles der Stromfchnellen bei Ober-Mariri durch 
den Wald einen Weg auszubauen. Die Arbeit wurde in 2", Stunden 
beendet, worauf wir in dreiviertel Stunde nad dem Lager zurüd- 
fehrten. Unſere Geichwindigfeit flußaufwärts war ungefähr derjenigen 
der Karavane gleich, ſodaß alſo Ießtere auf einem gewöhnlichen Marſche 
durch den Wald täglich 9", km zurüdlegte. Bei der Rückkehr ind Lager 
formirten wir unjere Colonne und marſchirten bis ans Ende des von ung 
hergeftellten Pfades; das Boot und die Kanves wurden ohne Unfall 
über die Stromfchnellen geichoben, und nachmittags fourragirten Die 
Leute mit glüdlihem Erfolge in einem etwa 2", km oberhalb des 
Lagers gelegenen Dorfe. Am 20. marſchirte die Vorhut heran und 
bejegte das Dorf. 


152 Siebentes Kapitel. [Ober-Mariri 


Etwa zwei Stunden nad unjerer Ankunft kamen einige Ein- 
geborene aus Mariri in einem Kanoe und riefen uns an. Wir ant- 
worteten durch den Eingeborenenfnaben Bafııla und waren bald darauf 
in der Lage, ein paar Hühner zu kaufen. Im Laufe des Nachmittags 
erwarben wir noch drei weitere Hühner. Es war dies der erjte Taufch- 
handel, den wir am Arumimi abzujchliegen im Stande gewejen waren. 
Mariri ift eine große Niederlafjung mit einem Weberfluß an Para— 
biesfeigenbäumen, deren e8 in unjerm Dorfe nicht gab. An diejem 
Tage vermiften wir zwei Leute, Charlie I und Muja ben Djuma, 
nachdem wir in 23 Tagen feinen einzigen Mann verloren hatten, 

Bisjegt hatte fich noch fein Unfall ereignet, allein von dieſem 
Tage an begann das Glück, welches uns bisher begünstigt hatte, uns 
zu verlaffen. Wir befanden uns unter dem Eindrude, daß die beiden 
Leute von Eingeborenen gefangen genommen worden jeien, und id) 
nahm daher ihr unvorfichtiges Benehmen zum Tert einer Rede an die 
Leute, al3 fie am nächſten Morgen für den Marſch gemuftert wurden. 
Erft 13 Monate jpäter erfuhren wir, daß fie dejertirt waren, und daß 
es ihnen gelungen war, Jambuja zu erreichen, wo fie die wunderbarſten 
Geſchichten über Kriege und Unglücdsfälle erfanden, welche viel Sorge 
verurjacht haben, weil die Offiziere in Jambuja die Fabeln in ihrem 
Schreiben an das Comite wiederholt hatten, Hätte ich es für möglich 
halten fünnen, daß zwei Mann diejen Dauermarfch ausführen würden, 
ich hätte jicherlich die Gelegenheit benußt, um Major Barttelot, der, 
wie wir glaubten, in etwa einem Monat fein Lager verlafien würde, 
authentijche Mittheilungen und eine Karte von unjerer Route zufommen 
zu lafjen. Bon dem Ober-Mariri gegenüberliegenden Dorfe marjchirten 
wir nad; Süd-Mupe, einer aus mehrern Weilern bejtehenden und von 
Pflanzungen umgebenen großen Niederlaffung. Die Häuptlinge von 
Mupe heißen Mbadu, Alimba und Mangrubi. 

Am 22. Juli war Dr. Barfe Offizier du jour und hatte das 
Unglüd, den Fluß zu verfehlen und fich in falicher Nichtung durd) 
den Wald zu arbeiten. Schließlich traf er einen Pfad an, auf welchem 
die Kundſchafter eine Frau und ein Kind von brauner Hautfarbe und 
mit großen Augen fanden. Das Weib zeigte ihnen den Weg nad) dem 
Fluſſe und wurde dann wieder freigelafjen; durch ihren Einfluß lichen 
die Eingeborenen von Nord-Mupe auf dem rechten Ufer fich veranlafien, 
mit ung Handel zu treiben, ſodaß wir ein Dubend Hühner und zwei 
Eier kaufen konnten. 

Das Flußbett beiteht hier aus feinförnigem, hartem, ziegelfarbigem 


22. Juli 1837.) Nach den Panga » Fällen. 153 


Sandſtein von ungejtörter Schihtung. Das ift der Grund, weshalb 
die Heinen Stromjchnellen, obwol fie häufig genug find, der Sciff- 
fahrt nur geringe Hindernijje bieten. Die Ufer ftiegen an mehrern 
Stellen etwa 12 m über dem Fluſſe empor. Der horizontal ge- 
ſchichtete Felſen Fällt Flippig ab und gleicht an manchen Stellen zer- 
brödelnden Ruinen aus behauenen Steinen. 

Das Friedenszeichen jcheint bei diefen Flußbewohnern darin zu 
beftehen, daß fie fich mit der Hand Waffer über den Kopf gießen. 
Als neue Ankömmlinge fi dem Lager näherten, fchrien fie: „Wir 
feiden Hungersnoth und haben feine Lebensmittel, aber weiter fluß— 
aufwärt3 werdet ihr eine Menge finden. O, Monomopote (Sohn 
des Meeres). „Uber wir leiden Mangel an Lebensmitteln und be- 
fiten nicht die Kraft, weiter zu gehen, wenn ihr ung feine gebt’, ant- 
worteten wir, worauf fie ung dide Maisfolben, Paradiesfeigen und 
Zuderrohr zuwarfen. Das war das Vorjpiel zu weitern Gejchäften, 
wobei dieſe anjcheinend unverfälichten Eingeborenen ſich aber ebenjo 
ihlau und unverichämt bewiejen wie irgendeiner der Wijanfi am 
Kongo. Die Bewohner von Mupe heißen Babe. 

Unbedeutende Dinge, wie leere Sardinendofen, Büchſen von Con— 
jerven und condenfirter Milch, Patronenfiftchen, wurden gern gegen 
Zuderrohr, Mais und Tabak eingetaufcht. Ein baummwollenes Tajchen- 
tuch gaben wir für ein Huhn. Ziegen wurden uns ebenfall3 gezeigt, aber 
nicht verfauft; diejelben jollen ein Monopol der Häuptlinge fein. Die 
Eingeborenen zeigten fein bejtimmtes Verlangen nach bejondern Gegen- 
ftänden, außer Stoffen, grellvothen Tafchentüchern. Wir ſahen aud) 
einige Kauris bei ihnen und fanden auf dem Boden eines Kanve 
ein 23 cm langes Stüd von einem Infanterieoffiziersdegen. Gern 
hätten wir die Gejchichte Diefes Degens vernommen und die Lifte jeiner 
Eigenthümer jeit feiner Anfertigung in Birmingham gekannt; allein 
wir fonnten uns nicht in eine längere Unterhaltung mit ihnen ein- 
laffen, da unſere Unfenntniß ihrer Sprache und ihre leichte Erregbar- 
feit ung hinderten, mehr zu thun als zu beobachten und einige Worte 
über Frieden und Lebensmittel mit ihnen auszutauschen. Wir fünnen 
das Stückchen Degen al3 Beweis annehmen, daß ihre Nachbarn im 
Innern in einige Berührung mit den Sudanejen gekommen find. 

Zwiſchen diejen Eingeborenen und denjenigen in den obern Theilen 
des Dberfongo bejteht, was Sitten, Gebräuche und Kleidung betrifft, 
fein jehr großer Unterjchied. Ihr Kopfpug war aus Korbgeflecht 
hergeftellt, mit vothen Bapagaifedern verziert, oder bejtand aus Kap— 


154 Siebentes Kapitel. [Mupe 


pen von grauen oder Dunkeln Affenfellen, von denen Hinten die Schwänze 
herabhingen. Hals, Arm» und Beinſchmuck waren aus polirtem Eifen, 
vereinzelt aus Kupfer, aber nie aus Meifing gearbeitet. 

Sie fertigen wunderhübjche Auder an, welde die Form eines 
langgeipigten Blattes haben und mit jchöner Schnigerei verziert find. 
Der Friedensruf war „Senneneh“, wie in 
Manjema, Uregga und Uſongora oberhalb 
der Stanley» Fälle. Die Haut diefer Ein- 
geborenen ift mehr oderfarbig als ſchwarz; 
fieht man einen Trupp von ihnen am andern 
Ufer, jo kann man faum einen Unterjchied 
in der Farbe zwijchen ihnen und dem röth- 
lihen Thongrund am Landungsplake ent- 
deden. Der Hauptgrund hiervon ift das 
Rothholzpulver, mit welchem fie fich bei der 
Toilette einfchmieren, jedoch trägt die That- 
jache, daß fie den Sonnenftrahlen nicht aus- 
geſetzt find, ebenfalls erheblich zu ihrer hellen 
Farbe bei. Der Knabe Bakula wurde bei- 
ſpielsweiſe, als er das aus Rothholz her- 
geftellte allgemeine Verichönerungsmittel nicht 
mehr befommen fonnte, jehr viel heller als 
die meiften unjerer Sanfibariten. 

Am 24. Juli befehligte Herr Jephſon die Vorhut der Eolonne, 
und umter feiner Führung machten wir den erjtaunlichen Marjch von 
14 km, obwol die Eolonne gezwungen war, 17 Flüſſe und Bäche zu 
durchwaten. Jephſon entwidelte während diejer Tage eine wunderbare 





ATOBERALINgEE Aa aus 
oriten, 


Ruder vom obern Arumwimi oder Juri. 


Energie. Er war in vielen Beziehungen das genaue Ebenbild von mir 
in meinen jüngern Jahren, bevor die Zeit und Hunderte von Fieber— 
anfällen mein heißes Blut abgefühlt hatten. Er ift genau von meiner 
Größe und Statur, meinem Gewicht und Temperament. Er it heiß- 
blütig, zuverfichtlich und liebt jchwere Arbeit, bei der er geradezu uner— 
müdlich ift; mag er einen ſumpfigen Moraſt oder einen jchlammigen 


24. Juli 1887.) Nah den Panga-Fällen. 155 


Bach vor ſich haben, er geht ohne Zögern hinein, gleichviel ob es ihm 
ans Knie, an den Leib, an den Hals oder über den Kopf reicht. Im 
Bereich der Eivilifation fchwelgend, prunffiebend und ftolz, muß er um 
jeiner jelbjt willen gezügelt und berathen werden. Die übrigen jungen 
Leute, Stair, Neljon und Barfe, haben ſehr viel von denjelben Eigen- 
ichaften. Stairs ift der wachjame, intelligente Offizier, der einen Wink, 
eine leiſe Andeutung verfteht, den Gedanken fejt erfaßt und vorzüglich 
zur Ausführung bringt. Nelſon ift ein Genturio der alten römischen 
Zeit; er gehorcht, weil e3 ſich um den Befehl feines Vorgeſetzten han— 
delt; er fragt nicht erjt nach den Gründen, weshalb, jondern begreift, 
daß eine Nothwendigfeit vorliegt, und feine große Kraft, Stärfe, Ent- 
jchloffenheit, jein offener, Harer Verftand ftehen mir zur Verfügung, 
mag es darauf anfommen zu handeln, zu leiden oder zu fterben. Parke 
iſt eine jo edle, vortreffliche Seele, jo zart und liebevoll, jo geduldig, 
jo guter Laune und jo furchtlofen Sinns, daß er ftet3 Troft jchafft 
und verbreitet, wenn er fich durch unjern Leidens- und Schmerzens- 
freis bewegt. Nocd nie find vier Männer von ſolchen Eigenjchaften 
wie diefe in Afrika eingedrungen; fein Führer hat je jo viel Urjache 
gehabt, jeinem Schickſal in diejer Beziehung danfbar zu fein, wie ich. 

Jephſon erlebte an diefem Tage zwei Abenteuer. In feiner gewöhn— 
lichen ungezwungenen Weije, allein einem innern Antrieb folgend, befeh- 
ligte er mit jeinem jchwanfenden Gange, ohne Rüdficht auf jeine Klei— 
dung, die Pioniere beim Durchbrechen des Didichts, als er plößlich in 
einer Elefantengrube den Bliden entihwand! Wir hätten glauben fünnen, 
ein vorwitziger, muthwilliger junger Elefant jei durch das Gebüfch 
gebrochen, hätte die Baumſtämme zur Seite gejchleudert und umgerifjen 
und jei plöglich vor den Blicken feiner gejehtern Mama verſchwunden. 
Sephjon indeß mußte fich zu helfen, Beiftand war zur Hand, und 
jo wurde er denn, ohne Schaden genommen zu haben, wieder heraus- 
gezogen. E83 war ein amufanter Zwilchenfall ohne jchlimme Folgen, 
der im Lager eingehend beiprochen wurde und uns viel Anlaß zum 
Lachen gab. 

Dann eilte Jephſon vorauf, um den Pionteren den einzujchlagen- 
den Curs zu marfiren, als er fich plößlich einem hochgewachjenen 
Eingeborenen mit dem Speer in der Hand von Angeficht zu Angeficht 
gegenüber jah. Beide waren jo überraicht, daß fie wie verjteinert 
waren, aber Iephion faßte plöglich eine Berjerferwuth. Unbewaffnet 
wie er war, warf er fich auf den Eingeborenen, der, dem Stoß 
ausweichend, wie vor einem Löwen die Flucht ergriff und, verfolgt 


156 Siebentes Kapitel. Weſpen⸗Schnellen 


von Jephſon, Hals über Kopf an dem ſteilen Ufer eines Baches 
hinabſtürzte. Allein der aus Thon beſtehende Boden war feucht 
und ſchlüpfrig, Jephſon glitt mit den Füßen aus und im nächſten 
Augenblicke maß der tapfere Kapitän des „Advance“ mit ſeiner 
ganzen Länge den Erdboden, derart, daß ſeine Füße oben und 
das Geſicht unten am Abhange war, und mit ſolchem Ungeſtüm, daß 
er bis an den Rand des Baches hinabglitt. Als er ſich wieder auf— 
gerafft hatte, bemerkte er nur noch, wie der Bewohner des Waldes 
am jenſeitigen Ufer hinaufeilte und noch einen letzten wilden Blick nach 
dem ihm ſo plötzlich erſchienenen Bleichgeſicht warf, das ihn im Nach— 
denken über die muthmaßliche Beute an Wild in den von ihm auf— 
gejtellten Fallen geſtört hatte. 

Unjer Lager befand fih an diefem Tage an einer Stelle, 
die ſeit undenklichen Zeiten der Lieblingswechjel der Elefanten ge: 
wejen war, in der Nähe einer Landſpitze, um welche der Fluß in 
ftarfen Wirbeln herumjagte. Nach oben hin ruht der Blick weithin 
auf dem breiten, jtillen Fluffe, der abwärts von einer Reihe von 
Injeln getheilt wird, 

Am 25. Juli führte Hauptmann Neljon die Colonne, während 
ich Jephſon erjucht hatte, mich bei den mit werthvollen Waaren be— 
fadenen langen jchmalen Kanves zu unterftügen und einige von den 
die Beſatzung bildenden ungeſchickten „Landratten“ anzutreiben. Das 
Boot fuhr voran, ankerte oberhalb der gefährlichen Wirbel und 
warf darauf den Kanvemannfchaften eine Manilahanfleine zu, mit 
deren Hülfe die Fahrzeuge in das ruhige Waſſer hinaufgezogen wurden. 

Nachdem wir dann fräftig gegen die ftarfe Strömung angerudert 
hatten, erreichten wir um 11 Uhr vormittags die Spite der Karavane, 
welche fi am Ufer eines breiten Baches, des Rendi, gefammelt hatte, 
deſſen dunfle, ſchmutzige Gewäſſer träge. aus den jchwarzen Tiefen des 
Waldes herausftrömten. Gegen 1 Uhr war das leberjegen beendet 
und nahm die Colonne den Marjch wieder auf, während wir weitere 
Kämpfe mit den gefährlichen Wellen und Niffen der, nach dem nach— 
ftehend gejchilderten Vorfalle jetzt Weipen-Schnellen genannten, Fluß: 
ftrede zu beftehen hatten. 

Die Stromjchnellen hatten eine Ausdehnung von etwa 3 km; 
oberhalb Dderjelben Tagen Dörfer, welche, wie ich in einem jpätern 
Kapitel erzählen werde, der Schauplat eines tragtichen Kampfes wurden 
und das jehnfüchtig herbeigewünjchte Ziel unferer Anjtrengungen waren, 
weil wir dort Schu umd Lebensmittel zu erhalten hofften. 


25. Juli 1887.) Nach den Panga » Fällen. 157 


Unfere erften Bemühungen gegen die Stromjchnellen waren erfolg- 
reih. Die Strömung ift raſch und bringt Hin und wieder gefährliche 
Wellen hervor, doch famen wir während der erjten halben Stunde gut 
vorwärts. Dann begann der Kampf, indem wir auf der einen Seite 
ruderten, während die Mannjchaft an der andern, der Steuerborbjeite, 
die überhängenden Büjche ergriff und zog, zwei Mann mit Stangen 
ichoben und zwei andere auf dem gededten Bug ftanden, um mit den 
Bootshafen die jungen Baumftänme am Ufer mit feſtem Griff zu 
erfaffen. Ich fteuerte. Anfänglich kamen wir in einem jchmalen rau— 
jchenden Arın des Fluſſes zwiſchen felfigen Infeln langſam, aber ftetig 
vorwärts. Vor ung lag die Bank, wo der Strom mit Gewalt über 
das Riff jagte, das in quadratmetergroßen Felſen aus den Wogen 
hervorragte. Wir Hatten diefe Paſſage gewählt, weil hier für den Fall, 
daß wir fentern jollten, weniger Gefahr zu ertrinfen war. Mit edlem 
Muthe und angeregt durch das bevorftehende Abenteuer ftürzten wir 
uns hinein. Eifrige Hände ftredten fid) aus, um die Zweige zu erfaſſen, 
allein bei dem erjten Griffe tauchte eine ganze Armee von wüthenden, 
rachfüchtigen Weſpen auf, ſetzte fich in dieſem Fritifchen Augenblide 
auf unſere Gefichter, Hände und Körper, kurz auf jeden verwundbaren 
Theil, und brachte uns die teufliichen, giftigen Stiche bei. Wüthend 
und halb wahnjinnig gemacht durch die brennenden Schmerzen, im 
Kampfe mit diefem jchredlichen Feinde, umgeben von Riffen und Felſen, 
gefährlichen Wellen und rauſchenden Wirbeln, zogen wir mit Zähnen 
und Fingernägeln und waren in wenigen Minuten 100 m oberhalb 
der fürchterlichen Stelle. An den Bäumen uns feftflammernd, machten 
wir dann halt, um Athen zu jchöpfen, uns gegenjeitig zu bedauern, 
unjere Anfichten und Meinungen über den Stich der verichiedenen 
Inſekten, Bienen, Hornifjfen und Weſpen auszutauschen. 

Einer von uns fragte mit jauerfüßem Lächeln meinen Diener: 
„Sagten Sie nicht neulich, Sie glaubten, es ſei viel Honig in 
jenen braunen Bapierneftern der Weipen? Wie denken Sie jet über den 
Honig? Halten Sie diefen nicht für recht bitter?“ Das rief allgemeines 
Lachen hervor, wir erlangten unfere gute Laune wieder, machten ung 
aufs neue an die Arbeit und erreichten nach einer Stunde das Dorf, 
welches von der Landabtheilung bereits bejegt war. Als die Mann 
ichaften der uns folgenden Kanoes unjern Kampf mit den Weſpen 
jahen, flohen fie quer über den Fluß und fuhren am rechten Ufer 
hinauf. Nur die Somali und Sudanejen, die mehr Zutrauen zu Allah 
hatten, folgten unſerer Spur, wurden aber auch fürchterlich zerjtochen, 


158 Siebentes Kapitel. Bandeja 


tröſteten ſich jedoch mit dem Triumph über die Sanſibariten, deren 
Führer der aus meinem Werke „Durch den dunkeln Welttheil“ bekannte 
Uledi war. 

„O“, bemerkte ich zu ihm, „das war heute feine tapfere That 
von dir, daß du vor Weſpen floheſt.“ 

„Oo, Herr“, erwiderte er, „der nadte Menſch kann im einer 
folchen jchlimmen Lage nichts machen. Die Weipen find viel gefähr- 
licher als die wildeiten Eingeborenen.‘ 





Weipennefter. 


Die Niederlaffung der Eingeborenen am linken Ufer heit Bandeja, 
die gegenüber an der andern Seite liegende befteht aus den Dörfern 
der Buamburi. Einen Tagemarſch nördlich von Buamburi beginnen 
die Stämme der A-Babua und Mabode, deren Hütten fich von den 
jteil fegelfürmigen Wohnungen, wie fie unter den Bervohnern am 
Fluſſe vorherrichen, durch ihre Bauart unterfcheiden. Die Mabote 
jollen vieredige Häufer mit Siebeldächern haben; die Wände find jauber 
verpußt und an den Vorderſeiten befinden jich aus Thon gebaute 
Beranden. 

Am 26, Juli machten wir halt, um uns zu erholen. Diejenigen 
von uns, welde von den Weipen gejtochen worden waren, hatten 





29. Zuli 1887.) Nach den Panga » Fällen. 159 


Fieber, der Bootsjtenermann mußte jchwer leiden, Am nächiten Tage 
fam der Häuptling der Buamburt herüber, um ung einen Bejuch ab- 
zuftatten, und brachte uns als Geſchenk ein vier Wochen altes Hühnchen 
mit, das wir jedoch ablehnten, weil wir Räuberei zu begehen meinten, 
wenn wir von einem offenbar armen Marne eine Gabe annähmen. 
Sein Schmud beftand aus zwei kleinen Elfenbeinzähnen, die abgeplattet 
und polirt waren und die er an einem aus Gras geflochtenen und um 
den Hals gejchlungenen Bande trug. Sein Kopfichmud war ein lang- 
haariges Affenfell. Wir taufchten Berficherungen der Freundichaft und 
Brüderjchaft mit ihm aus umd jehten dann am 28. Juli den March 
fort, bis wir gegenüber von Mufupi, einer aus acht Dörfern beftehenden 
Niederlaffung, das Lager aufichlugen. 

Zwei fede Gefangene machten uns ſeltſame Meittheilungen von 
einem großen See Namens „No-⸗uma“, der irgendwo in der Umgegend 
eines Ortes Panga liegen und viele Tagereifen im Umfange haben 
jollte. In der Mitte liege eine große Inſel, die jo voll von Schlangen 
fei, daß die Eingeborenen fich fürdhteten, ihr nahe zu kommen; aus 
dem See jtröme der Nepofo in den Nowelle, wie der Aruwimi 
hier heißt. Nach mehrern QTagemärjchen entdedten wir aber, daß die 
Geichichte von dem See eine Fabel war und daf der Nepoko nicht 
vom linken Ufer des Aruwimi kommt. 

Am 29, Juli befand fich unjer Lager gegenüber von Mijui, einer 
Reihe von in Bananenhainen gelegenen Dörfern am rechten Ufer. 
Nicht lange darauf machten wir die Bekanntſchaft diefes Stammes 
und erkannten bald, daß dieſe Eingeborenen Neigung zur Gefelligfeit 
hatten. Da uns günjtige Nachrichten über unjer Thun voraufgeeilt 
waren, begann bald ein jehr angenehmes Gejchäft. Unſere Leute be- 
jaßen Kauris, Glasperlen und Meſſingſtangen, ſowie jeltene Kleinig— 
feiten zum Austauſch gegen Lebensmittel, Als die Landeolonne eintraf, 
gingen die Preife wegen der größern Nachfrage etwas in die Höhe. 
Wie man uns jagte, gab es zwifchen unſerm Lager gegenüber von 
Mijui und Panga feine Niederlafjungen mehr, vielmehr würden wir 
einen neuntägigen Marjch durch den Wald zu machen haben. 

Am nächſten Morgen wurde das Taufchgeichäft fortgejegt, und da 
wir Lebensmittel für mehrere Tage zu eriverben wünjchten, wurde an alle 
Leute eine weitere Nation an landesüblichem Geld vertheilt. Zu unjerer 
Ueberrafchung fanden wir aber, daß wir für eine Meifingjtange von 
40 cm Länge und der Dide eines Telegraphendrahtes jet nur drei 
Maisfolben erhielten, In Bangala würde man zu meiner Zeit für 


160 Siebentes Kapitel. Miju i 


eine ſolche Meſſingſtange Proviant auf fünf Tage für einen Mann 
gekauft haben, und hier im dieſer in der Wildniß gelegenen Niederlaſ— 
jung erhielt man nur drei Maiskolben. Für ein Huhn verlangte man 
vier Meifingftangen. Kauris wurden nicht angenommen und ebenjo 
wiejen die Eingeborenen Glasperlen zurück. Die Leute hatten wüthenden 
Hunger, vor ung lagen neun Tage Wildniß. Die Weipen-Stromjchnellen 
waren der nädjfte Ort ftromabwärt3 von ung, Wir jegten den Ein- 
geborenen unſere Lage auseinander, aber fie bfieben feft. Nunmehr 
begannen die Leute ihre Patronentafchen für je zwei Paradiesfeigen 
zu verkaufen; auch entdedten wir, dab fie die Munition zum Breife 
von einer Patrone für einen, ein blechernes Eßgeſchirr für zwei Mais- 
folben verfchacherten. Alsdann gingen Haumeſſer und Werte den- 
jelben Weg, und das Verderben ftarrte uns ins Gefiht. Wir trieben 
daher die Eingeborenen fort; einer der Hauptjflaven des Häuptlings 
Mugwje wurde von einem riefenhaften Sanfibariten aus feinem Kanoe 
gehoben, worauf ich den Eingeborenen jagen ließ, wir würden, wenn 
fie ung nicht wie am erften Tage Lebensmittel zu vernünftigen Preiſen 
verfauften, den Gefangenen mitnehmen, über den Fluß kommen und 
ung jelbjt verjorgen. 

Nachdem wir den ganzen Nachmittag auf das Wiedererjcheinen 
der Eingeborenen mit Lebensmitteln gewartet hatten, jchifften wir ung 
bei Tagesanbruh am 31. Juli mit zwei Compagnien ein, bejeßten 
Mijui und jandten Fourragirer aus. Um 3 Uhr nachmittags war 
Nahrung genug für zehn Tage im Lager. 

Am Nachmittag des 1. Auguſt lagerte die Vorhut gegenüber 
von Mambanga. Der Flußabtheilung war ein Unfall zugeftoßen, 
indem unvorfichtige Sudanejen gefentert waren und einer der fanfi- 
barer Steuerleute gegen den Befehl jein Kanoe unter die 15 m weit 
in den Fluß hineinhängenden Zweige eines Baumes am Ufer gejchoben 
hatte. Durch die raſche Strömung wurde das Fahrzeug auf einen unter 
Waſſer befindlichen Aft getrieben und jchlug um, wodurd wir einen 
Berluft an werthvollen Gegenständen erlitten, Darunter ſchöne Glasperlen, 
von denen ein Halsband 4 Mark foftete. Auch jechs Gewehre gingen 
dabei verloren. 

Der erjte Todesfall bei der Borhut trat am 2. Auguft, dem 36. Tage 
nad unjerm Abmarſch von Jambuja, ein, was in Anbetracht der vielen 
Strapazen und Entbehrungen, welche wir zu ertragen gehabt hatten, 
als außerordentlich günftig anzujehen iſt. Hätten wir am andern 
Ufer eine Niederlaffung mit Bananenpflanzungen entdeden fünnen, 


3, Aug. 1887.] Nach den Panga : Fällen. 161 


wir würden jedenfalls viele Tage Raſt gemacht Haben, um uns zu 
erholen. Ein Aufenthalt von vier bis fünf Tagen in einer wohlhabenden 
Niederlafjung wiirde damals für ung alle von größtem Vortheil geweſen 
fein, allein eine jolche Anfiedelung war nicht zu finden, und wir mußten 
nothwendigerweife weiter marjchiren und möglichit raſch vordringen, bis 
wir eine jolche entdedten. 

Wir marjchirten durch ein großes Dorf, welches vermuthlich jchon 
ſechs Monate vor unjerer Ankunft verlaffen worden war, und da es gerade 
unjere Zeit zum Lagern war, bereiteten wir alles vor, um es uns für die 
Nacht jo bequem wie möglich zu machen. ALS jedoch die Belte auf: 
geichlagen waren, wurde ich durch das Schreien mehrerer aufgeregter 
Gruppen aufınerffam, und als ich nad) denjelben hineilte, erfuhr ich, es jei 
in einer Hütte ein Leichnam entdeckt worden, der faft ganz mit Schimmel 
überzogen jei. Gleich darauf wurde noch eine zweite und dritte Leiche 
gefunden. Das genügte uns zu veranlafjen, jo raid) wie möglich 
wieder einzupaden und aus dem Todtendorfe abzumarfchiren, um uns 
nicht ebenfalls die Krankheit zuzuziehen, wegen welcher der Ort jeden- 
fall3 verlajjen worden war. 

Einer unjerer armen Eſel, der im Walde und Didicht nicht ge- 
nügend Nahrung finden konnte, legte ſich Hin und ftarb; ein anderer 
war abgemattet und jchien fich nach Gras zu jehnen, das der endloje 
Wald nicht enthielt. 

Unjerm Lager gegenüber befand fid) die Mündung des Nqula, 
eines Nebenfluffes des Aruwimi am nördlichen Ufer. Weiter aufwärts 
Ichien der Fluß eine Breite von etwa 45 m zu haben. 

Am 3. Auguſt famen bei unferer Fahrt flußaufwärts zwei Hügel in 
Sicht, von denen der eine unter 112° 30’, der andere unter 118° 
gepeilt wurde. Wir machten am einer Stelle der Flußenrve halt, in 
deren Mitte zwei Injeln lagen. Als wir einer derjelben einen Beſuch 
abjtatteten, fanden wir zwei Ziegen, was uns ſolche Freude bereitete, 
daß eine bereit lange vor Abend für die Offiziere geichlachtet war, 
während die andere zur Suppe für die Kranken gekocht wurde. Eine 
Heerde von 100 Stück wirde manches Leben gerettet haben, das jeßt 
raſch dahinfiechte. 

Am nächſten Tage trafen wir bei den Panga: oder Nepanga- 
Fällen ein, über die wir von dem Knaben Bakula ſchon jo viel 
gehört hatten, 

Die Fälle find volle 9 m hoch, obwol fie auf den erjten Blick 
wegen des großen Abhanges oberhalb des eigentlichen Natarafts die 

Stanley, Im dunteliten Afrifa. 1. 11 


162 Siebentes Kapitel. [Nepanga 


doppelte Höhe zu haben jcheinen; von ihrem Fuße bis zum obern Ende 
dehnen fie fich über mehr als 1'/, km aus. Sie bildeten das erite 
ernftliche Hinderniß für die Schiffahrt, welches wir gefunden hatten. 
Das Wafjer ftürzt in vier nebeneinander gelegenen Fällen herab, deren 
breitejter ungefähr 180 m mißt, und fließt zwifchen kleinen Injeln aus 
Gneis vorbei, welche den Eingeborenen von Panga Schuß gewähren, 
Werden legtere nicht geftört, dann leben fie auf einer großen nel, 
welche den Namen Nepanga führt, etwa 1, km lang, 275 m breit ift 





Die Fort» Infel bei den Banga » fällen. 


und 550 m unterhalb der ‚Fälle liegt. Die Inſel befist drei Dörfer mit 
etwa 250 fegelfürmigen Hütten. Weiter ins Land hinein liegen auf 
beiden Seiten mehrere Niederlaffungen. Die Hauptnahrung der Ein» 
geborenen bejteht aus PBaradiesfeigen, obwol auch Maniotfelder vor- 
handen find. 

Ein unglüdlicher Sanfibarite, der fich verjchtworen zu haben 
Ihien, joviel wie möglich zu unferm Nuin beizutragen, jchlug, als 
er ſich Nepanga näherte, mit dem Kanoe um, wodurch wir 2 Kiſten 
Munition für das Marimgeihüg, 5 Kiften Kauris, 3 Kiften weiße, 


5. Aug. 1887.] Nach den Panga - Fällen. 163 


1 Kifte bunte Perlen, 1 Kifte feinen Kupferdraht, Patronentajchen und 
7 Gewehre verloren, 

In dieſer Gegend war alles wild. Kaum hatte ein einſames 
Flußpferd ung entdedt, als es ung zu verfolgen begann; beinahe hätte 
es uns auch erreicht, doc) erhielt das Thier jeine ftrenge Strafe, da 
es wahrjcheinlid; tödlich verwundet wurde. Die Hühner auf Nepanga 
wollten fich nicht fangen laſſen, jondern ergriffen vor den Fourra— 
girern die Flucht ins Didicht; die Ziegen waren ftörriich, angriffs— 
fuftig und jehr wild. Insgeſammt fingen wir zwölf, was in ung 
die Hoffnung wieder anfachte, doc noch im Stande zu fein, einige 
unjerer Kranken retten zu fünnen. uch gelang es uns, in den Reuſen 
und Korbnegen einige Fiiche zu fangen. 


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Die Panga - Fälle. 


Das Ergebniß eines dreitägigen Fourragirens auf den Inſeln, 
jowie am rechten und linfen Ufer waren 115 kg Mais, 18 Biegen 
und ebenjo viele Hühner, jorwie einige Büſchel Baradiesfeigen — für 
383 Mann. Eine ganze Anzahl von Dörfern und Niederlaffungen 
wurde durchjucht, allein die Eingeborenen jcheinen jelbft nicht genügend 
Lebensmittel zu haben. Sie jollen mit einem Stamm Namens En- 
gwedde im Kriege jein und, anjtatt den Boden zu bebauen, von Ba— 
nanenftielen, Schwämmen, Wurzeln, Kräutern, Fiſchen, Schneden und 
Naupen fich nähren und in dieſe jeltfame Nahrung durch ein Gericht 
erichlagener Feinde etwas Mannichfaltigkeit bringen. In einer jolchen 
Gegend reizte uns nichts zum Bleiben, und wir begannen deshalb mit 


dem Transport der Boote um die Fälle herum. Stairs’ Compagnie 
11* 


164 Siebentes Kapitel, [Banga-Fälle. 


erhielt den Auftrag, den Weg für die Kanoes zu lichten und quer 
über den Pfad Zweige zu werfen. Unter den Klängen einer wilden 
Mufif und mit lautem Gejang zogen die 3. und 4. Compagnie Die 
Sanoes, die 1. Compagnie trug das unzerlegte Walfiichfängerboot über 
Land um die Katarafte, und am Abend des 6. Auguft befanden wir 
uns nad) einem jehr arbeitsreichen Tage im Lager oberhalb der großen 
MWafjerfälle von Panga. 


Achtes Kapitel. 


Bon den PBanga: Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 


Ein weiterer Unfall in den Stromichnelfen. — Das Dorf Utiri. — Die Anfiedelung 
von Avifibba. — Unterfuhung eines Mordfalles in Aviſibba. — Bon den Einge- 
borenen überraſcht. — Lieutenant Stairs verwundet. — Auffuchen des Feindes. 
— Bergiftete Pfeile. — Gleichgültigfeit der Sanfibariten. — Die Kolonne Jeph— 
ſon's vermißt. — Unſere Berwundeten. — Unaufhörliher Regen. — Tod Ehalfan’s, 
Saadi’3 und anderer. — Ankunft der Karavane. — Die Mabengu-Schnellen. — 
Mufterung der Leute. — Der Nepokos- Fluß. — Bemerkungen Binja’s, — Unjere 
Lebensmittelvorräthe. — Leichtjinniger Gebrauch der Munition. — Der halbe 
Weg nad dem Albert-See. — Zujammentreffen mit Leuten Ugarrowwa's. — 
Dejerteure. — Lager an der Flußpferdbweitung und den Avakubi-Schnellen. — Die 
zerftörte Anfiedelung von Navabi. — Elefanten in Memberri. — Weitere Defer- 
tion. — Ugarromwa, der arabiiche Anführer, — Er ertheilt uns Auffchlüffe. — 
Beſuch in der arabijchen Niederlaffung. — Die erjten Vertreter der Zwergſtämme. — 
Uebereinfommen mit Ugarrowwa. 


Bon dem leßtgenannten Lager aus gewahrte man ganz deutlich 
etwa 3 km entfernt mitten im Fluſſe eine Inſel und auf derjelben 
etwas, das Aehnlichkeit mit einer auf dem Waller befindlichen Batterie 
und einem niedrig, mit dem Wafferipiegel gleichliegenden Dorfe Hatte. 
Beim Unterfuchen der Injel am 7. Auguft — was eine feineswegs 
leichte Arbeit war, weil das Waſſer bei der gleichmäßigen gefährlichen 
Neigung des Strombetts in ftarfer Strömung nah) Panga hinab- 
jtürzte — fanden wir, daß die Inſel urjprünglich eine bei hohem 
Wafjerftande nur wenige Centimeter aus dem Fluſſe ragende flache 
Felsmaſſe geweſen zu fein jchien, deren Unebenheiten durd; Erde aus- 
gefüllt waren, welche man vom Iinfen Ufer geholt hatte. Sie war 
etwa 60 m lang und 27 m breit und bildete den Zufluchtsort einer 
Fiſcherei treibenden Abtheilung eine® Stammes, die dort 60 kegel— 
fürmige Hütten gebaut und mit Planfen umgeben hatte, welche aus 
einem leichten Holze des Waldes und geftrandeten Kanoes hergeftellt 


166 Achtes Kapitel. Medjambi 


waren. Zur Zeit war der Waſſerſtand des Fluſſes nur 15 cm nie- 
driger als die tiefjte Stelle der Inſel. 

An diefem Tage paifirte uns auf der ‚Fahrt von den Panga- 
Fällen nad) den Nedjambi- Stromjcnellen ein weiterer ernftlicher 
Unfall. Der dumme, gedanfenloje Steuerer eines Kanoe führte fein 
Fahrzeug in unruhiges Wafjer zwijchen die Zweige eines Baumes, 
verwicelte fich in denjelben und kenterte. Neun von elf Geweh- 
ren wurden wieder aufgefiicht; zwei stiften Pulver gingen ver- 
loren. Die Sanfibariten waren zwijchen den Stromjchnellen jo ge— 





Das Dorf Utiri. 


danfenlos und unbrauchbar, daß ich bei der Beobachtung derjelben 
vor höchjter Sorge mich rajch alt werden fühlte. Wie halsjtarrig 
die menschliche Natur zu jein geneigt ift, davon erhielt ich täglich 
reichliche Beweije. Meine Berlufte, Schwierigkeiten und Sorgen ent: 
jtanden einzig und allein aus der rückſichtsloſen Gleichgültigkeit, welche 
meine Leute gegen die Inftructionen zeigten. Am Lande wanderten 
fie in den Wald hinein und verjchwanden einfad) oder wurden von 
Speeren oder Pfeilen durchbohrt. Bisjeßt Hatte ih 3 Mann umd 
17 Gewehre verloren. 

Am 8. Auguſt hatte die Karavane die Kanoes bei den Ne- 
djambi= Stromjchnellen vorbeigejchleppt und einige Stilometer unter: 


11. Aug. 1887.) Bon den Banga- Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 167 


halb Utiri das Lager aufgeschlagen. Am nächſten Tage erreichten 
wir die Dörfer, in denen wir wieder eine veränderte Bauart fanden. Die 
Häufer waren bier alle niedrig, hatten ein jchräges Dach und waren 
je mit ftarfen, 180 cm hohen, 20cm breiten und 10cm dicken Baliffaden 
aus gejpaltenen Stämmen eines Rubiaceen-Baumes umgeben. Sie jtanden 
in zwei Neihen, zwijchen denen eine 6 m breite Straße dahinführte. 
Als ich die Häufer unterſuchte, fand ich, daß ste fich äußerſt leicht, 
jelbjt gegen Büchjenjchügen, vertheidigen ließen. Ein Dubend ent: 
ſchloſſener Männer in jedem dieſer Höfe würden, wenn jie mit ver- 
gifteten Pfeilen bewaffnet waren, dem Feinde beirachtiche Verluſte und 
Schwierigkeiten bereitet haben. 

Am 10. Auguſt machten wir halt und ſchickten nach drei ver— 
ſchiedenen Richtungen Fourragirer aus, was jedoch nur traurige Ergeb— 
niſſe hatte, da ſie blos für zwei Tage Lebensmittel erhalten hatten. Ein 
Mann, Namens Chalfan, war durch einen hölzernen Pfeil in der 
Luftröhre verwundet worden; die Art und Weiſe, wie er dieſe Wunde 
erhielt, beweiſt die vollſtändige Gleichgültigkeit, mit der die Leute In— 
ſtructionen aufnehmen. Während Chalfan die Paradiesfeigen über 
ſich betrachtete, ſtand ein Eingeborener feine 6 m von ihm entfernt 
und ſchoß ihm einen vergifteten Pfeil in den Hals. Die Wunde war 
nur jo groß wie ein Stednadelfopf und wurde von Dr. Parke aufs 
jorgfältigite behandelt, hatte aber deijenungeachtet jchon nach wenigen 
Tagen einen tödlichen Ausgang. 

Der 11. Auguſt verging bei der Flußabtheilung mit Kämpfen gegen 
eine 8 km lange Strede wilder Stromjchnellen, die durch zahl: 
reiche Riffe und Heine Felſeninſeln entjtanden, während die Land— 
colonne fih dem Flußufer entlang wand auf einem ziemlich guten 
Pfade, der fie nad) Engwedde führte, wo wir am nächſten Tage wie: 
der zu ihr ſtießen. Da die von uns täglich zurückzulegende Strede wegen 
der Stromjchnellen nicht innegehalten war, jchieften wir wieder Four— 
ragirer aus, um Lebensmittel zu ſammeln, und es gelang ihnen, drei— 
tägige Nationen von Paradiesfeigen zu befommen. Am 13. Auguft 
marſchirten wir bis Avifibba oder Aveſchiba, einer Anfiedelung, welche 
aus fünf Dörfern beftand, von denen zwei an der oberu Seite des 
Nufu:Baches lagen. 

Die Flußabtheilung war die erjte, welche die Dörfer oberhalb 
des Ruku bejegte. Zwiſchen den beiden Reihen niedriger, ſämmtlich 
von hohen Baliffaden umgebener Hütten führte eine jchöne, offene 
Straße Hin; die rundherum jtehenden Paradiesfeigenbäume zeigten 


168 Achtes Kapitel, Aviſibba 


vielverſprechenden Ueberfluß, der hinter dem Dorfe liegende Ur— 
wald ſchien hoch, dicht und alt zu ſein. Zwiſchen der Mün— 
dung des Baches und dem äußerſten Ende der Dörfer war ein 
gegen 100 m breiter Streifen Urwald, durch den ein Eingeborenen— 
pfad führte. Ebenjo war zwiichen dem Dorf und dem Aruwimi ein 
etwa 50 m breiter Waldgürtel. Während die Expedition über den 
Fluß ſetzte, fuchte die Bootsmannjchaft in den Dutzenden von Höfen 
eifrig und jorgfältig nach verborgenen Wilden, ehe fie fi) mit bereit 
gehaltenen Gewehren in die Haine von Paradiesfeigenbäumen und 
außerhalb der Dörfer wagte. 





Blattförmige Ruder aus Avifibba. 


Als die Colonne am andern Ufer war, hatte ich einen Mord» 
fall zu unterfuchen. Am 12. Auguſt war nämlich einer unferer Sans 
fibariten außerhalb des Lagers in Engwedde getödtet worden, und 
zwar durch eine Büchſenkugel, jodaß id; annehmen mußte, daß irgend- 
ein rachjüchtiger Patron von der Colonne ihn erjchofjen hätte. In— 
zwifchen hatte ich zwei der Anführer beauftragt, mit 40 Kund— 
ichaftern wieder über den Bach zu jegen und auszuforichen, ob fich 
jüdlid) von legterm feine Gelegenheit zum Fourragiren am nächiten 
Tage böte. Kaum hatte fich mein Heiner Gerichtshof zur Unter- 
juchung verjammelt und ein Zeuge gerade jeine Ausjagen begonnen, 
als wir ein ungewöhnlich) heftiges Gewehrfeuer vernahmen. Lieute— 
nant Stairs jammelte fofort einige 50 Mann und marjchirte im Lauf: 
ichritt nach dem Fluſſe, während wir, in der Annahme, daß 50 Hinter: 
lader volljtändig ausreichen würden, die Unterfuchung wieder auf: 
nahmen. Allein als eine Salve nad) der andern abgegeben wurde 


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13. Aug. 1887.) Von den Panga- Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 169 


und Ddazwiichen das anhaltende jcharfe Gewehrfener der Kund— 
ichafter ertönte, eilten auch der Doctor, Neljon und ich mit einigen 
weitern Leuten nach dem Schauplab des Kampfes. Die erfte Perjon, 
welche ic) jah, war Lieutenant Stairs, dejjen Hemd zerriffen war und 
welchem Blut aus einer Pfeilwunde in der linken Brujt, in der 
Herzgegend, ſtrömte; zugleich hörte ich ein Klatjchen auf den Blät- 
tern der Bäume und bemerkte, wie Pfeile vorüberflogen. Nach— 
dem ich unjern armen Freund der Sorge Dr. Parke's übergeben 
hatte, fuchte ich mic) zunächjt zu informiren. Um mich herum hatten 
fich zahlreiche unjerer Leute verfrochen und feuerten im der finnloje- 
jten Weife auf ein verdächtiges Gebüſch auf der andern Seite des 
Baches. ES waren ficherlic hartnäckige Wilde in demſelben verjtect, 
allein mir wollte es nicht gelingen, irgendetwas von ihnen zu Ge— 
ficht zu befommen. Ich fand bald, daß der Bach zwiſchen ung lag. 
Wie man mir erzählte, war, als das Boot über den Bad) fuhr, auf 
der andern Seite plöglid) eine Schar von Eingeborenen erjchienen 
und hatte ihre Pfeile auf unjere Leute abgeichoffen, die, durch den 
Angriff überrafcht, fich auf den Boden des Bootes gedudt und dieſes 
mit den Händen nad) dem Landungsplage zurüdgerudert Hatteır. 
Dort hatten fie ihre Büchſen ergriffen „und. luftig darauf losgefnallt. 
In dieſem Augenblid war Lieutenant Statrs unter fie geftürzt und 
. hatte ebenfalls Feuer auf den Feind gegeben, der hier fühner Stand 
hielt, als wir es bisher fennen gelernt hatten. Bald nachher hatte 
Stairs einen Pfeil in die Bruft befommen, den er auf dem Rück— 
zuge herausgerijien hatte; fünf Mann waren ebenfalls getroffen worden. 
Kaum hatte ich dieſe Einzelheiten zu Ende gehört, als ich zum erjten 
male einen dunkeln Schatten auf dem Boden zwiſchen beiden Ge— 
büjchen friechen jah; ich zielte mitten hinein, was mit einem jelt- 
jamen, geifterhaften Weheruf beantwortet wurde, Zwei Minuten 
ipäter hatte das Klatſchen der Pfeile auf den Blättern aufgehört. 
Nachdem ich die beften Schügen dem Fluſſe entlang als Wachen auf: 
gejtellt hatte, um jede Bewegung auf dem jenjeitigen Ufer des Baches 
zu beobachten, zog ich die übrigen Leute zurüd. 

Abends kehrten einige Batrouillen, welche den Wald landeimvärts 
unterjucht hatten, mit einer Heerde von 7 Ziegen zurüd. Sie hatten 
die Ueberfahrtsftelle entdedt und plötzlich Feuer auf eine feine Colonne 
gegeben, welche entweder dem Feinde zu Hülfe oder aus der Gegend 
dejielben fam. 

Am 14. August jegten wir bei Tagesanbrud zwei Compagnien 


170 Achtes Kapitel. Abiſibba 


über den Bach, um den Feind aufzuſuchen, der uns ſo viel Schaden 
zugefügt hatte; eine dritte unter Hauptmann Nelſon wurde landein— 
wärts in den Wald geſchickt. Nach wenigen Minuten vernahmen wir 
eine Salve, dann noch eine und darauf unaufhörliches Gewehrfeuer, 
ein Beweis, daß der Feind entſchloſſenen Charakters war. Bei der 
erſten Compagnie befanden ſich einige vorzügliche Schützen, doch war 
es denſelben kaum möglich, in dem dichten Gebüſch und gegen einen 
ſchlauen Feind, welcher wußte, daß er die gefährlichſten Waffen 
hatte, aber die tödliche Kraft der das Dickicht durchſchlagenden Kugeln 
nicht kannte, viel Schaden anzurichten. Nachdem etwa 300 Schüſſe 
abgegeben waren, trat Stille ein. Nur vier Schüſſe waren tödlich ge— 
weſen, während vier der Unſerigen Wun— 
den von Pfeilen erhielten, die friſch mit 
einer copalfarbigen Subſtanz beſchmiert 
worden waren. Eine Leiche wurde mir 
zur Unterſuchung gebracht. Der Ge— 
tödtete hatte langes Kopfhaar, das durch 
eine Art eiſerner Krone zuſammen— 
gehalten wurde, und um den Hals eine 
Reihe von kleinen eiſernen Kügelchen, 
zwiſchen denen ſich einige Affenzähne 
befanden. Die Zähne des Mannes waren 
ſpitz gefeilt. Das Stammeszeichen am 
Körper ſchien eine doppelte Reihe von 

ganz kleinen Narben um die Bruſt und 
Ktopfihmud der Auifibba-strieger. Den Unterleib zu ſein. Der Mann war 
nicht beſchnitten. Cine andere Leiche, 
welche nad) dem Landungsplage gejchafft wurde, hatte ein Halsband 
von Menjchenzähnen, auf dem vordern Theil des Kopfes eine Krone 
von polirtem dünnem Eifen, ſowie mehrere blanfe Armjpangen aus 
dem gleichen Metall. Zum Schuge des linfen Armes gegen die Bogen- 
jehne befand ſich an demjelben ein mit Ziegenfell bededtes dies Kiſſen 
aus der Wolle des Baummwollenbaums. 

Nachdem wir die Eingeborenen auf allen Seiten aus der Nad)- 
barſchaft verjagt hatten, begannen die Leute mit dem FFourragiren, und 
es gelang ihnen, im Laufe des Tages jo viel PBaradiesfeigen nad) 
Avifibba zu bringen, daß 80 Mann viertägige Nationen erhalten 
fonnten, 

Die Wunde des Lientenants Stairs hatte einen Durchmeffer von 





14. Aug. 1887.) Bon den Banga-Frällen nad) der Station Ugarrowwa's. 171 


", cm und befand ſich 3 cm unter dem Herzen; die vergiftete Pfeil- 
jpige war ungefähr 4 cm tief eingedrungen. Die übrigen Leute waren 
an den Handgelenken und den Armen, einer auch im fleischigen Theile 
des Rückens verwundet. Damals wußten wir noch nicht, woraus 
diefe merhwürdige copalfarbige Subjtanz bejtand, mit welcher die 
Pfeilſpitzen bejchmiert waren, und ebenjo wenig, welche Wirkung fie 
im trodenen oder naſſen Zuftande hatte; alles, was der Doctor damals 
thun konnte, war Wajjer in die Wunden zu jprigen und fie zu reinigen. 
Die „Alten“ unter den Sanfibariten behaupteten, das Gift werde durch 
Kochen aus der Kautjchufliane (Landolphia) gewonnen; nad) ge- 





Aviſibba⸗Krieger mit fronenartigem Kopfihmud. 


nügendem Kochen gäbe der Schaum das Gift. Ein Eingeborener 
erklärte, e3 werde aus einer Arum-Art gemacht, welche Pflanze zerqueticht 
und gekocht werde; die Brühe würde dann in ein anderes Gefäß gethan 
und nochmals gefocht, bis ein ftarfer Brei übrigbleibe, der mit Fett 
vermiſcht die fragliche Subjtanz ergäbe. Der Geruch war fcharf und 
erinnerte etwas an Asa foetida. Die Leute bewiefen die tödliche Kraft 
des Giftes mit der Bemerkung, e8 würden Elefanten und alle übrigen 
großen Jagdthiere damit erlegt. Alle dieje Geſchichten verurjachten 
uns jehr viel Sorge, aber unſere Umwifjenheit war, wie ich zugeben 
muß, noc größer. Wir fonnten die Fleinen Nadeljtiche auf den 
Armen nur verwundert anjchauen und unjerer Meinung dahin Aus— 


172 Achtes Kapitel. Aviſibba 


druck geben, daß ſolche kleine Wunden unmöglich tödlich ſein könnten, 
wobei wir im Intereſſe unſers Freundes Stairs und der neun Ver— 
wundeten hofften, daß die Behauptungen auf Uebertreibung beruhten. 

Die Pfeile waren ſehr dünn, aus dunkelm Holz hergeſtellt und 
60 em lang, die Spitzen durch langſames Trocknen in der warmen 
Luft über den Feuern in den Hütten gehärtet. Am untern Ende 
befand ſich ein Schlitz, in welchen ein Blatt zur Leitung des Fluges 
hineingeftedt war. Die Spitzen waren jo ſcharf wie Nadeln; 1 cm 
oberhalb derjelben befanden ſich 5 cm lange jpiralfürmige Einferbungen. 
Nachdem die Spiten in die vorbereitete, zähe Maſſe geitect und damit 
beichmiert find, werden fie in Bündeln in große Blätter eingewickelt, 
che man fie in den Köcher tet. Eine ähnliche Subjtanz hatte eine 
pechjchwarze Farbe und jah im frischen Zujtande faft wie Theer aus, 
roch aber jehr unangenehm. In dem Köcher haben beinahe 100 Pfeile 
Platz. Als wir beobachteten, mit welcher Sorgfalt man die in grüne 
Blätter eingewidelten Pfeile behandelte, nahm unjere Sorge für die 
Verwundeten nicht gerade ab. 

Der Bogen ift aus zähem, hartem, braunem Holz und etwa 90 cm 
lang, die Schne bejteht aus einem breiten Streifen forgfältig geglätteten 
Notangrohrs. Um ihre Kraft zu erproben, trieb ich einen der Holzpfeile 
aus der Entfernung von 2 m durch beide Seiten einer leeren Zinndofe. 
Ungefähr 200 m entfernt ftand ein hoher Baum und ich ſchoß mit 
voller Kraft einen Pfeil noch über den höchſten Ziveig und weit über 
den Baum hinaus. Darauf dämmerte uns allen der Gedante, daß 
dieje hölzernen Pfeile doch wol nicht jo verächtliche Waffen ſeien, wie 
wir geglaubt hatten. Nach dem zu urtheilen, was wir gejehen hatten, 
mußte die Schnellfraft des fleinen Bogens ausreichend fein, um einen 
der ſchlanken Pfeile aus kurzer Entfernung ganz durd) den menjch- 
lichen Körper hindurchzutreiben. Auf 120 Schritt ſchoß ich auf einen 
Vogel und fehlte ihn nur um einen Zoll. 

Um Mittag des 15. Auguft verließ die Landcolonne unter Füh— 
rung des Heren Jephſon, an dem die Reihe war, die Paliſſaden— 
Dörfer von Aviſibba. Da ein Eingeborener uns mitgetheilt hatte, 
daß in nicht allzu großer Entfernung von uns drei Katarakte jeien, 
befahl ich Herrn Jephſon, dem Fluſſe zu folgen und gegen 2", Uhr 
an der eriten pafjenden Stelle halt zu machen; id) wirde mit Der 
Flußecolonne, die jebt aus dem Boot und 14 Kanoes bejtand, jo 
lange liegen bleiben, bis die ganze Nachhut unter Hauptmann Neljon 
die Niederlaffung verlafjen hätte. Da aber die Kanoes raſcher vor- 





174 Achtes Kapitel. Aviſibba 


wärts kämen als die Landeolonne, würde ich ihn wahrſcheinlich ein— 
holen und dann nach einſtündigem Rudern an dem erſten paſſenden 
Platze, den ich fände, Raſt machen, in welchem Falle er weiter mar— 
ſchiren ſollte, bis wir uns wieder vereinigt hätten. Dieſe Inſtruction 
wiederholte ich auch den Anführern bei den Pionieren. 

Ich hätte noch bemerken müſſen, daß unſer Aufbruch bis zum 
Mittag verzögert worden war durch die bei der Morgenmuſterung ge— 
machte Entdeckung, daß fünf Mann fehlten. Sie tauchten ſchließlich um 
10 Uhr vormittags wieder auf; allein dieſes beſtändige Umherſtreifen 
ohne Urlaub brachte mich aufs höchſte auf und veranlaßte mich zu einer 
Standrede, die in dieſen erjten Tagen der Schulung unferer dummen 
Begleiter allerdings nichts Ungewöhnliches war. 

Die Sanfibariten blieben dabei, eine geradezu überraschende Gleich- 
gültigfeit gegen Gefahren zu zeigen, nicht aus Tapferfeit oder weil fie 
feine Furcht kennen, jondern infolge der volljtändigen Unfähigkeit, daran 
zu denfen, daß Gefahr vorhanden ift, und aus ftupidem Unverſtändniß, 
wie fie davon betroffen werden können. Die Thiere haben den In— 
ftinet, der fie unaufhörlich an die Gefahr erinnert, aber dieje Leute 
icheinen weder Inſtinet noch Vernunft, weder Verſtändniß nod) Ges 
dächtniß zu haben. Ihre Köpfe find ungewöhnlid) leer. Die drin- 
gendten Bitten, jid) vor verborgenen Feinden zu hüten, und die Ans 
Drohungen der fürchterlichjten Strafe vermochten nicht, ihren Köpfen 
begreiflich zu machen, wie nothwendig es jei, flug, wachſam und vor— 
fihtig zu jein, um die gefährlichen Holziplitter auf den Pfaden, Die 
hinter den Stämmen der Paradiesfeigenbäume lauernden Kannibalen, 
die unter einem Baumſtamm oder hinter einer Bruftwehr verborgenen 
ichlauen Feinde und die verftecten Gruben mit den am Boden ein- 
geichlagenen Holzipigen zu vermeiden. Wenn die Gefahr unerwartet 
an fie herantritt, find fie fämmtlich unvorbereitet. Gin plößlicher 
Schauer von Pfeilen jagte fie mit häßlichem Geheul aus deren Bereich 
oder unter Schuß, und wenn den Wfeilen ein entichloifener An— 
griff folgte, wirde Widerjtand ihres übertriebenen Schreckens wegen 
unmöglich fein. Ein Eingeborener, der unerwartet ihnen feine Un— 
erichrodenheit zeigte, zwang fie, feinen Muth bereitwillig anzuerkennen. 
Auf dem Marche jchlichen fie fich ins Dickicht, um der Nachhut zu 
entgehen, flohen aber vor Schred freiichend, ſobald ein beherzter 
Wilder plöglih mit erhobenem Speer vor ihnen auftauchte. Sie 
jtreiften einzeln oder zu zweien weit umher in den Dörfern, weil das. 
Plündern Herzensjache für fie war; traten ihnen aber die wilden Bes 


15.Aug.1887.] Bon den Banga- Fällen nad} der Station Ugarrowwa's. 175 


wohner entgegen, dann warfen fie womöglich lieber das todbringende 
Gewehr von fih, als daß fie es benutzten. Sie ftrofchten mit 
wunderbarem Gleichmuth durch die Paradiesfeigenhaine, hatten aber 
jeden Muth verloren und ergaben ſich in ihr Scidjal, ſobald fie 
nur das Schwirren eines Pfeils hörten. Mit überrafchender Zuver- 
fichtlichfeit zerftreuten fie fi) längs der Route und dehnten die Marjch- 
finie bis auf 5 km aus, aber beim Anblid der Eingeborenen ver: 
loren fie vor feiger Furcht vollftändig den Kopf. Bon den 370 Mann, 
die wir damals im Lager hatten, waren offenbar 250 Leute von diejer 
Sorte, für die das Gewehr weiter feinen Werth hatte, als den eines 
plumpen, jchweren Knittels, deſſen fie fic für ein paar Maistolben 
bereitwillig entäußern und den fie gegen einen leichten Spazierſtock 
gern vertaufchen würden, wenn fie e3 wagten. 

Am Tage vorher waren die Anführer der Sanfibariten auf 
Drängen ihrer Freunde insgeſammt zu mir gefommen und hatten ver— 
langt, ohne Offiziere zum Fourragiren ausgeſchickt zu werden, da letz— 
tere fie, wie fie jagten, mit dem beftändigen Befehle „In Reihen for: 
mirt“ ärgerten. „Wie fünnen wir aber‘, jagten fie, „Bananen ſam— 
meln, wenn wir bejtändig bewacht werden und man uns fortwährend 
befichlt: In Reihen formirt!‘ 

„Allerdings, erwiderte ich, „das ift unmöglich. Wir wollen 
einmal jehen, was ihr allein thun könnt. Die Bananenpflanzungen 
find nur eine Viertelftunde von hier entfernt; id) erwarte euch inner= 
halb einer Stunde hier wieder zurück.“ 

Nach der vorstehenden Schilderung des Charakters der Leute 
wird es nicht überrafchen, daß jeder, nachdem er mich verlajjen hatte, 
alle Verſprechungen vollftändig vergefien Hatte und nach Herzensluft 
umberjtreifte. Eine Heerde Schafe oder Schweine hätte ſich nicht 
weiter zerjtreuen fünnen. Nach einer Abwejenheit von 14 Stunden 
waren die 200 Fourragirer mit Ausnahme von 5 zurüdgefehrt. 
Diefe 5 Mann hatten ſich bis heute 10 Uhr vormittags Gott weiß 
wohin entfernt. 

Oh, diefe erften Tage der Expedition! Es jollte noch ſchlimmer 
fommen, aber dann waren fie, durch Leiden geläutert und durch 
ihredliche Erfahrungen befehrt, Römer geworden! 

Kehren wir nun zu Jephſon zurüd. Nachdem wir gewartet, bis 
alfe die Niederlaffung von Avifibba verlajfen hatten, ruderten wir mit 
der Geichwindigkeit von anderthalb Knoten ſtromaufwärts, bis wir 
um 2°, Uhr, nacddem wir einen geeigneten Lagerplag gefunden 


176 Achtes Kapitel. Itiri 


hatten, für die Nacht Raſt machten. Vergeblich warteten wir aber 
auf Herrn Jephſon. Ich ließ von der Colonne Signalſchüſſe ab— 
geben, in den Fluß hinausrudern und unterſuchte mit dem Fernrohr das 
Ufer auf und nieder; allein nirgends war eine Spur von Lagerfeuern 
zu entdecken, kein Rauch über den Bäumen zu erblicken, der den 
Wald bei windſtillem Wetter wie eine Nebelſchicht zu bedecken pflegt, 
kein Büchſenknall, kein Trompetenſignal, keine menſchliche Stimme zu 
vernehmen. Die Karavane mußte alſo, wie wir annahmen, einen 
ſchönen Pfad gefunden und den Marſch nach den vor uns liegenden 
Waſſerfällen fortgeſetzt haben. 

Am 16. Auguſt ruderte die Flußabtheilung mit aller Macht ſtrom— 
aufwärts, paffirte die Mabengu-Dörfer, fam bei einem jchmalen, aber 
tiefen Bach vorbei, der fi) von Süden her in den Nevva, wie der 
Aruwimi hier heißt, ergießt, und traf eine Stunde jpäter, während 
welcher wir bejorgt den Fluß hinauf geblict hatten, am Fuße der Ma- 
bengu-Schnellen ein. Am rechten Ufer, gegemüber der Stelle, welche 
wir zum Lagerplat gewählt hatten, lag die große Niederlaffung Itiri. 
Als wir dann immer noch feine Spuren von der vermißten Colonne 
fanden, jchidte ich die Bootsmannschaft den Bad) hinauf, um nach An— 
zeigen zu forichen, ob die Golonne denjelben bei einer Furt überichritten 
hätte. Nachdem diejelbe mehrere Kilometer weſtaufwärts marjchirt 
war, fehrte fie erfolglos zurüd, worauf ich jie bis eine halbe Stunde 
Marſch von Avifibba zurüdichicte; doc, fam das Boot um Mitternacht 
nur mit der Nachricht wieder, daß es nicht gelungen fei, eine Spur 
der Vermißten aufzufinden. 

Am 17. August ſchickte ich eine Bootsmannjchaft mit „Three D’clod“ 
(dem Näger Saat Tato) und ſechs Kundſchafter nad) unfern Lagerplat 
vom Tage vorher mit dem Befehl an diejelben, dem dort bemerften 
Pfade ins Innere zu folgen, bis fie die Spur der Kolonne erreichten, 
derjelben nachzugehen, fie einzuholen und nad) dem Fluſſe zurüczu- 
bringen. Bei der Rückkehr des Bootes berichtete mir der Steuermann, 
fie hätten die Spur etwa 11 km weit (drei Stunden Marjch) geiehen. 
Ich ſchloß daraus, daß Herr Jephſon die Colonne anftatt nach D. 3. N. 
und OND., entiprechend dem Laufe des Fluſſes, nach Süden geführt 
hatte, hoffte aber, daß Saat Tato fie einholen und am nächjten 
Tage zurüdbringen würde, 

In diefem Lager am Fluſſe war unjere Lage folgende. Wir 
hatten 39 Kanoe- und WBootsleute, 28 Stranfe, 3 Europäer und 
3 Jungen; einer von den Europäern (Lieutenant Stairs) litt an einer 


18. Aug. 1887.) Bon den Banga- Fällen nad) der Station Ugarrowma's, 177 


gefährlichen Wunde und bedurfte der bejtändigen Pflege des Arztes, 
Ein Mann war in Aviſibba an Dysenterie gejtorben. Ferner hatten 
wir einen im Sterben begriffenen Idioten im Lager, der jich jeit einigen 
Tagen in Ddiefem Zuftande befand. 29 von unfern Leuten litten an 
Seitenjtechen, Dysenterie, unheilbarer Schwäche, 8 waren verwundet. 
Einer, Namens Chalfan, war infolge der Wunde in der Luftröhre halb 
erjtidt, ein anderer, Saadi, am Arm verwundet und anfcheinend ge- 
fährlich franf, der Arm war geſchwollen und machte ihm viel Schmerzen. 
Bon den 39 Mann Hatte ich drei getrennte Trupps nach verjchiedenen 
Richtungen ausgeſchickt, um Nachrichten von der vermißten Colonne 
auszufundichaften, damit dieje, falls fie etwa eine große Flußbiegung 
träfe, den Fluß nicht erjt eine Strede weiter aufwärts erreichte, 
während wir an der andern Seite der Curve uns nicht rühren 
fonnten. Jenſeit des Fluſſes jchienen die Eingeborenen von Itiri, die 
uns jo ruhig auf diejer Seite bleiben jahen, einen Angriff zu beab— 
fichtigen, und nur 3 km unterhalb von ung lag die große Niederlaſſung 
von Mabengu, von deren Bewohnern wir jeden Augenblid hören 
fonnten, während unjere Kleine Schar von 39 Mann nad) verjchiedenen 
Richtungen zerjtreut war, um nad) den vermißten 300 zu juchen. 
Allein der Dichter jagt: 
Kein Menſch joll ſtumm verzweifeln, 
Nein, auch im Angeficht des jchlimmiten Gegners 
Dem Kriegeriichiten folgen bis zum Tode. 

Ich citire Hier aus meinen Tagebuche. 

18. August. Der Idiot ſchlief gejtern Nacht ein, Seine Leiden 
find zu Ende, wir haben ihn beerdigt. 

Sch möchte willen, was Tennyſon, der jo edle Verſe gejchrieben 
hat, von unferer Lage denfen wirde, wenn er hier wäre. Bor einigen 
Tagen war ich der Befehlshaber von 370 Mann, reih an Waaren, 
Kriegsmunition, Arzneien, und zufrieden mit den geringen Bequem: 
lichkeiten, die wir bejaßen, und heute Habe ich thatjächlich nur noch 
18 Mann übrig, die zu einem Tagemarſch tauglich find; der Reſt iſt 
verichtwunden. ch wirde mich freuen, wenn ich wüßte, wohin, 

Wenn 339 ausgefuchte Leute, wie wir es beim Abmarjch von 
Sambuja waren, nicht im Stande find, den Albert-See zu erreichen, 
wie fann Major Barttelot dann mit 200 Mann den Weg durd) den 
endlofen Wald machen. Wir find, jeit wir Jambuja verließen, im 
Durchſchnitt der 44 Tage 8 Stunden täglich marjchirt. Mit der - 
Geihwindigkeit von 3 km in der Stunde müßten wir heute am 

Stanley, Im dunkelſten Afrita. 1. 12 


178 Achtes Kapitel. Itiri 


Ufer des Sees angelangt ſein; aber anſtatt daß wir dort ſind, haben 
wir erſt ein Drittel der Entfernung zurückgelegt. Der Dichter ſagt, 
wir ſollen „nicht ſtumm verzweifeln“, denn das hieße, uns hinlegen und 
jterben, feine Anftrengung mehr machen und die Hoffnung aufgeben. 

Unjere Berwundeten brauchen beträchtliche Zeit zur Heilung. Die 
Geſchwulſt nimmt zu, die Wunden find höchſt jchmerzhaft, Feine der— 
jelben hat fich bisjetzt als tödlich eriwiejen, doch find alle Verwundeten 
volljtändig unfähig zum Dienft. 

Der fünfte Negenguß in diefem Monat begann um 8 Uhr vor: 
mittags. Hatten wir nicht Schon genügend Trübjal ohne diefen ewigen 
Negen? Man ift fajt verjucht zu glauben, daß das Ende herannaht. 
Sogar die „Flutſchleuſen des Himmels‘ jcheinen ſich geöffnet zu haben, 
und die Natur will fich auflöjen. Es fällt eine jolche Menge Regen, daß 
jeder Bli nach oben durch die erftaunlich großen Tropfen verdunfelt wird, 
Man denke an die unzähligen Blätter im Walde und daß jedes Blatt 
zehn = bis zwanzigmal in der Minute fällt, daß aus dem aufgeweichten 
Boden eine graue Wolfe von feinem Regen in Dunſtform auffteigt 
und daß die Luft mit jchtwimmenden Waflerfügelchen und umber: 
fliegenden Fetzen von Blättern angefüllt ift. Und zu alledem füge man 
den ungeheuern Negenfall, wenn der Windjtoß von oben kommt 
und ertränfende Schauer auf uns herniederpeiticht, wenn er Die un— 
zähligen Zweige jchüttelt und flagend durch die Wipfel fährt mit einer 
Gewalt, als wollte er die Ächzenden Bäume aus der Erde reißen. Das 
Hechzen und Krachen der Bäume ift nichts weniger als tröftend und 
das Brechen und Fallen der mächtigen Stämme keineswegs vertrauen- 
erweckend; aber wirklichen Schreden verurjacht e8, wenn der Donner 
über uns rollt und fein Schall durch die Bogengänge des Waldes, durch 
die Windungen des Dickichts widerhallt, wenn der leuchtende Blitz 
jeine gezadten Strahlen und zudenden Flammen wüthend Hin= und her— 
jagt und mit übermwältigenden, betäubenden Schlägen über unjerm 
stopfe erplodirt. Es wäre eine ungeheuere Erleichterung für unfere 
Kranken und Verwundeten, wenn jie von diefem Lärm befreit wären. 
Eine europätiche Schlacht hat feine ſolche Mannichfaltigfeit. Und das hat 
den ganzen Tag hindurch unaufhörlich gedauert. Es ift jebt ungefähr 
Die zehnte Stunde des Tages. Es iſt faum möglich, daß das Tages- 
licht je wieder erjcheinen wird, wenigitens jchließe ich dies aus den 
Zügen der Menjchen, die in tiefen Jammer verfunfen find. Alle 
ſcheinen durch Schreden, Elend, Krankheit, Verluft der Freunde, 
Hunger, Negen, Donner und allgemeinen Sammer betäubt zu fein. 


21. Aug. 1887.) Von den Banga-fzällen nad) der Station Ugarromma’s. 179 


Man kann fie zufammengedudt jehen unter Schugdächern von Bananen- 
blättern, einheimischen Schilden, baumwollenen Schirmdächern, Stroh— 
matten, irdenen und fupfernen Töpfen, jelbft unter Sätteln, den Ueber: 
zügen der Zeltleinwand, wollenen Deden, jeder eingehüllt in blauen 
Waſſerdunſt, und vollftändig von feinem ſprachloſen Sammer in 
Anspruch genommen. Die armen Ejel, mit den zurüdgeichlagenen 
Ohren, geichlofjenen Augen und gefrümmten Rücken, die eingefperrten 
Hühner mit den welfen Kämmen ſpiegeln die traurigite Melancholie 
wider. Ach, die Glorie diefer Erde iſt vollftändig vernichtet. Wann 
fie endlich ihre Schönheit wiedererlangte, ihre Kinder die ftolze Haltung 
wieder angenommen haben, die bewegten Seen und angejchwollenen 
Flüſſe wieder austrodneten und die Sonne aus dem Chaos aufgeftiegen 
ift, um die Welt aufs neue zu tröften, weiß ich nicht. Mic) hatte 
das Gefühl des Elends jo erichöpft, daß ein langer Schlaf mid) in 
irtiges Bergeijen verjenfte. 

19. Auguft. Immer noch ohne Nachrichten von der Landcolonne. 
Die Patrouilfen find zurückgekehrt, ohme Spuren von den Bermißten 
gefunden zu haben. Zwei von den Verwundeten befinden fich jehr 
ichlecht. Ihre Leiden jcheinen jchredlich zu fein. 

20. August. Immer noch ohne Nachrichten von der Karavane. 
Der junge Saadi, welcher am Morgen des 14. von einem vergifteten 
Pfeile verwundet worden war, hat Starrframpf befommen und liegt in 
jehr gefährlichem Zuftande. Ich halte die Subjtanz jet für ein vegeta- 
bifiiches Gift. Chalfan's Naden und Halswirbet find fteif geworden. 
Ich habe bei beiden Morphiumeiniprigungen vorgenommen, doch fcheinen 
diefelben, obwol ich die Dofen verdoppelt, d. h. 3 cgr gegeben habe, 
den Leidenden wenig Erleichterung gebracht zu haben. Stairs ijt un— 
verändert, weder jchlechter noch beiier. Die Wunde ift jchmerzhaft, 
doch hat er Appetit und kann Schlafen. Ich fürchte die Wirkung, wenn 
er erfährt, wie es den andern Patienten geht. 

Es iſt merfwürdig, daß von 300 Leuten und 3 Offizieren nicht 
ein einziger vernünftig genug ift, um zu wiſſen, daß er den Weg ver: 
foren hat, und daß es, um ihn wiederzufinden, am beſten ift, nad) 
Aviſibba zurüdzufchren und einen neuen Verſuch zu machen. 

21. Auguft. Der arme Chalfan, welcher am 10. d. M. an der 
Luftröhre verwundet wurde, und der am Morgen des 14. getroffene 
junge Saadi find heute Nacht beide nach unerträglichem Todesfampfe 
gejtorben; der erjtere um 4 Uhr morgens, Saadi um Mitternacht. 
Chalfan’s Wunde ift durch einen vergifteten Pfeil verurfacht worden, doch 


12 * 


180 Achtes Kapitel. Itiri 


muß das Gift ſchon einige Tage vor dem Gebrauch auf die Spitze ge— 
ſchmiert worden ſein. Er wurde von Tag zu Tag ſchwächer, weil er infolge 
der Schmerzen keine Nahrung zu ſich nahm. Die Wunde ſchien nicht 
gefährlich zu ſein; ſie hatte ſich von außen geſchloſſen und zeigte keine 
Zeichen von Entzündung, doch klagte der arme Burſche, daß er nicht 
ſchlucken könne. Er wurde mit einer leichtflüſſigen Suppe aus Paradies- 
feigenmehl am Leben erhalten. Am achten Tage wurde der Naden 
fteif und zog fich zufammen; der Leidende konnte feinen artikulirten 
Ton mehr von fich geben, fondern mir murmeln, der Kopf war vorn= 
übergebeugt, der Leib eingejunfen und auf dem Geficht trat Schmerz 
und Angjt hervor. Geſtern hatte er leichte Krämpfe; ich machte ihm 
zwei Hauteinjprigungen von ca. 3 cgr, was ihm auf etwa eine Stunde 
Erleichterung verichaffte; allein da ich nicht gewohnt bin, Patienten mit 
Morphium zu behandeln, wagte ich e8 nicht, ihm größere Dojen zu 
geben. Saadi war am rechten Borderarın, in der Mitte zwiichen Hand- 
gelenkt und Ellbogen getroffen, eine Wunde, wie fie jede große Stopf- 
nadel hervorgebracht haben würde. Die Wunde wurde von einem 
Kameraden ausgejogen, dann mit warmen Waſſer ausgejprigt und 
verbunden, aber jchon am Morgen des vierten Tages wurde der Ver: 
wundete von einem jo heftigen Starrframpf befallen, daß fein Zuftand 
hoffnungslos war, weil wir vollftändig unfähig waren, ihn von den 
fürchterlichen Krämpfen zu befreien. Morphium-Einjprigungen machten 
ihn etwas jchläfrig, allein die Krämpfe hielten an, und 111 Stunden 
nad) der Verwundung ftarb Saadi. Ic möchte glauben, daß der Pfeil 
für den Kampf am 14. Auguft am Abend vorher vergiftet worden it. 
Ein dritter Mann ſtarb am Vormittag an Dysenterie; das iſt 
der vierte Todesfall in diefem Lager. | 
Um 5 Uhr nadmittags traf die Karavane ein. Diejelbe hat durch 
moraliiches Elend ſchwer gelitten. Auch die Landcolonne hat drei Todes: 
fälle gehabt. Maruf, der in die Schulter verwundet worden war, ftarb 
am Abend des 19., 24 Stunden vor Saadi, an Starrframpf; vielleicht 
it in dieſem Falle die Wirkung des Giftes durch die Beſchwerden des 
Marjches beichleunigt worden. Ein Mann Namens Ali wurde von 
einem eienbejchlagenen Pfeil getroffen und ftarb an innerer Ber: 
biutung, da das Geſchoß die Leber durchbohrt hatte. Ein Dritter 
erlag unmittelbar nad) dem ſchweren Regenguffe, welcher uns am 18. 
betroffen hatte, der Dysenterie. Wir hatten aljo jeit dem 14. Auguſt 
fieben Todesfälle, außerdem haben wir noc) mehrere Zeute, deren Lebens: 
licht nur noch fladert. Die Colonne brachte noch zwei weitere Männer 


21. Aug. 1887.) Bon den Panga- Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 181 


mit, welche durch Pfeile - verwundet find. Die Wunden find ſtark 
entzündet umd jcheiden eine brandige Subjtanz aus, 

Lieutenant Stairs jcheint wieder munter zu jein umd ſich auch zu 
erholen, trog des Einflujfes, den diefe vielen Todesfälle vielleicht auf 
jeine Nerven haben. Daß der Arzt wieder da ift, gibt mir eine außer: 
ordentliche Erleichterung. Ich haſſe den Anblid von Schmerzen und 
höre das Aechzen der Kranken nicht gern; die Sorge für ihre Be— 
dürfniffe macht mir nur Freude, wenn ich weiß, daß ich heilen fan. 

Wir haben jegt etwa 373 Mann im Lager, aber 60 von ihnen 
icheinen mehr fürs Hofpital geeignet zu fein, als um unſer Wander: 
leben fortzufegen; in diefer wilden Gegend vermag man für Die abge: 
matteten Seelen nicht einmal Ruhe und Nahrung zu finden. 

Noch einige weitere Tage diefer wirklich entmuthigenden Arbeit, der 
Wartung der Kranken, der Betrachtung der im Starrframpf mit dem 
Tode Ringenden, des Anhörens ihres unterdrücdten Wehgeichreis, des 
Beobachtens der allgemeinen Noth und Niedergeichlagenheit infolge 
des Hungers und der bangen Sorge über die unerflärliche Abweſenheit 
der Brüder und Gefährten, im Verein mit dem drohenden Berluft von 
300 Mann, würden einen ebenſo bösartigen Einfluß auf mich jelbjt 
gehabt haben. ch fühlte, wie die Berzweiflung auch mir tückiich 
immer näher fam. Unſere Nahrung hatte aus gefochten oder geröfteten 
Bananen oder Paradiesfeigen beftanden, da wir den andern PBroviant 
für den äußerjten Nothfall, der vielleicht in naher Zukunft eintreten 
konnte, zurüdbehalten hatten. Die höchfte Leidenjchaft meines Lebens 
ift, glaube ich, die gewejen, meine Unternehmungen glüdlich zu Ende 
zu führen; die lebten wenigen Tage hatten aber Zweifel in mir ent- 
jtehen lafjen, ob ich in diefem Falle Erfolg haben würde, 

Wie die Stimmung der übrigen Offiziere. ift, habe ich noch nicht 
gehört, die Leute erklären aber offen, fie jeien aus einer Hölle befreit. 

Soeben wird mir folgendes Schreiben übergeben: 


— Auguſt, 1887. 
eehrter Herr! 


Saat Tato erreichte uns geſtern Nachmittag um 3 Uhr mit Ihrem Befehl, 
ihm zu folgen. Wir kehrten ſofort über den Fluß (den Bach, welchen die Boots— 
mannſchaft unterſucht hatte) zurück, und hoffen heute Abend bei Ihnen einzutreffen. 
Ich begreife, welche Sorge Sie um uns gehabt haben, und bedauere aufs höchite, 
fie verurjacht zu haben. 


Ic habe die Ehre zu fein ac. ac, 
AM. Jephſon. 


182 Achtes Kapitel. Itiri 


Am 22. Auguſt verlegten wir das Lager an das untere Ende 
der oberſten Mabengu-Schnellen, und am nächſten Tage marſchirten 
wir bis oberhalb der letztern. 

Dort benutzte ich die Gelegenheit, die Leute zu muſtern; folgende 
Zuſammenſtellung ſpricht für ſich jelbit: 


Geſunde Kranke Todte Laſten 





Erſte Compagnie . » 2 2 2 2 en 80 6 4 43 
Bmweite „ (Hauptmann Staird) . 69 14 5 50 
Dritte ” (Dauptmann Neljon) . 67 16 4 12 
Vierte = (Hauptmann Jephion) . 63 21 3 12 
ee ARE BE TER a Wr 6 
Jüungge a ec 5 12 
Sudaneſſſen. 10 
BON - u neue 6 
BEE u 0 ee ee 2 
Eſeltreibee ee 1 
BIORE- er 57 

373 
WEDER: u: N an ee ee we 16 

389 


Die von der Colonne auf ihren Wanderungen gemachten Erfah- 
rungen jcheinen meine Anficht zu beftätigen, daß der Aruwimi in Diejer 
Gegend der Stromfchnellen von den Eingeborenen nicht jo viel benußt 
wird wie unterhalb derjelben. Weiter Tandeimvärts hatten wir 
große Niederlafjungen entdedt und die Kumdichafter den Wald auf 
verjchiedenen wohlbetretenen Pfaden durchiwandert, welche vom Fluſſe 
ins Innere führten. Die Ufer waren weniger jtarf bevölfert, vielmehr 
lagen die Anfiedelungen meiſt eine kleine Strede ins Land hinein, 
während längs des Fluſſes ein deutlicher Pfad führte, der ung wejent- 
lich unterftügte. Schon feitdem wir von Utiri abmarjchirt waren, 
hatten wir diefe TIhatjacdhe bemerkt. Am 24. Auguſt marjchirten wir 
wenige Kilometer und lagerten dann in der Nähe eines anjehnlichen 
Hains von Bananenbäumen unterhalb der Avugadu-Stromſchnellen; am 
folgenden Tage paffirten wir die Schnellen und jchlugen ein behag— 
liches Lager in einem ziemlich offenen, von Fiſchern bewohnten Theil 
des Waldes auf. Am 26. Auguft marjchirte die Landeolonne im 
gutem Tempo weiter, während wir eine weite Strede unruhigen Waſſers 
zu paſſiren hatten und fräftig rudern mußten, um gleichen Schritt zu 
halten, bis beide Golonnen in einem der größten Dörfer des Avedjelis 
Stammes vor der Mündung des Nepofo wieder zufammentrafen. 


26. Aug. 1887.) Bon den Panga-Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 183 


Diejer Fluß, von dem wir zuerjt von Dr. Junker gehört hatten, 
der ihn weit oben überjchritten hat, ſtürzt fich in einer Neihe von 
Cascaden über Riffe jchieferartigen Gejteindg aus der Höhe von 
12 m in den Ituri, wie der Arumwimi hier heißt. Die Mündung 
war etwa 275 m breit, verengerte fich aber oberhalb des Falles bis 
auf ungefähr 230 m. Die Eingeborenen hatten. eine beträchtliche 
Strede des Niffes mit Pfählen verjcehen, an denen jie ihre großen 
röhrenförmigen Körbe zum Fange der über die Stromjchnellen ge— 
fpülten Fische befeftigen. Die Farbe des Nepoko ift chocoladenbraun, 
während das Waſſer des Jturi wie mit Milch vermifchter Thee ausjieht. 





Gascaden des Nepoto =: Fluffes, 


Hätte ich gewußt, daß wir eine Woche jpäter Araber und deren 
böje Manjema=Horden treffen würden, jo hätte ih mich ohne 
Zweifel bemüht, einen Breitengrad zwifchen den Mittelpunkt ihres 
Einfluffes und uns zu bringen. Ohnehin überlegte ich jchon im Geifte 
eine Veränderung der Route, umd zwar auf Grund der Neuerungen 
Binja’s, des Monbuttusfinaben Dr. Junker's, der gemeint hatte, es 
jei viel bejjer, durch von „anjtändigen Menſchen“ bewohnte Länder 
zu marjchiren, als durch eine ſolch jchredliche Gegend, wo Leute lebten, 
welche nicht den Namen Menjchen verdienten; die Momfi-Stämme 
würden ficherlich Leute willtommen heißen, welche den Beweis zu Tiefern 
vermöchten, daß fie Gajtfreundichaft zu jchägen willen. Binja gab 
ung eine jehr verführerische Beichreibung von dem Momfü-Volke. In— 
deſſen waren Lebensmittel bei den Avedjeli mannichfaltig und im 


184 Achtes Kapitel. Nepoko⸗Fluß 


Ueberfluß vorhanden, und außerdem hofften wir auch, daß der Cha— 
rakter des Landes ſich jetzt geändert hätte. Denn ſeitdem wir den 
Unterſchied in der Bauart der Eingeborenenhütten bemerkt hatten, war 
auch in der Nahrung unſerer Leute eine Beſſerung eingetreten. Unter— 
halb der Panga-Fälle lebten die Eingeborenen hauptſächlich von 
den aus den Maniokknollen hergeſtellten verſchiedenen Broten, Pud— 
dings, Kuchen und Breien. (Tapioka wird bekanntlich ebenfalls aus 
Maniok oder Caſſave Hergeftellt.) Oberhalb der Panga-Fälle werden 
die Manioffelder allmählich dur Haine von Paradiesfeigenbäumen 
verdrängt, und dieſe Frucht ift für eine Expedition entichieden ein 
viel bejjeres Nahrungsmittel als Maniof., Da die Haine dieſer 
Bäume von immer größerm Umfange wurden, hofften wir, daß ung 
von jet ab glüdlichere Zeiten beſchieden ſeien. Außerdem gab es 
Felder mit Mais, Maniof, Yams und Eolocafia, jowie Fleinere Beete 
mit Tabad, und zu unferer größten Freude fanden wir auch viele 
Hühner. Infolge deſſen befahl ich Halt zu machen, damit die ſchwer 
mitgenommenen Leute fich erholen könnten. 

In ihrem jehr entjchuldbaren Eifer, Fleiicy zu befommen, waren 
die Sanfibariten und Sudanejen höchſt unvernünftig. Sobald ein 
Huhn in Sicht fan, fand eine allgemeine Jagd auf dafjelbe itatt; 
einige unbedachte Burjchen benußten auch ihre Büchfen, um die Hühner 
zu jchießen, und vergeudeten auf dieſe Weiſe nutzlos viele Patronen, 
wofür fie häufig die gehörige Strafe erhalten mußten. Ich hatte die aller- 
ftrengfte Ordre gegeben, feine Munition zu verichwenden, und machte die 
energischiten Anftrengungen, um jeden Ungehoriam gegen diefen Befehl 
zu entdeden; aber wann Hat je ein Sanfibarite Gehorſam geleitet, 
wenn er ſich nicht direct unter den Augen feines Arbeitgebers weiß? 
Diejes unbejonnene Schießen führte Damals dazu, daß einer von der 
Schar unſerer tapfern hart arbeitenden Pioniere angefchoffen wurde. 
Er wurde durch eine Kugel aus einem Wincheftergewehr im Fuß 
getroffen, wobei die Knochen zerjplittert wurden, ſodaß eine Amputation 
nothwendig wurde, Dr. Parke vollzog die Operation in der geſchickteſten 
und rajcheften Weiſe, und da unjer guter Arzt höchft entichloffen auftrat, 
wenn einer feiner „Fälle“ der Pflege bedurfte, mußte der unglückliche * 


* War er in der That jehr unglüdiih? ch bezahlte für ihn bei Ugarrowimwa 
die Belöftigung für 13 Monate, fchidte ihn nach den Stanley- Fällen, von dort den 
Kongo hinab nad) Madeira und endlich via Cap der Guten Hoffnung nad) San 
fibar, wo er in einem Zujtande ankam, den man am beiten mit „jo fett wie 
Butter‘‘ bezeichnet. 


30. Aug. 1887.] Bon den Panga-Fällen nad der Station Ugarrowwa's. 185 


junge Mann von acht unjerer Leute mothiwendigerweile ins Boot 
und aus dem Boot gehoben werden, und Damit nichts die empfind- 
liche Wunde verletze, auch den größten Theil eines Kanoe für fich haben, 
jefbftverftändlich den reichlichiten Antheil von den bejten Lebensmitteln 
erhalten, eigene Leute zu jeiner Bedienung — kurz jo viel von allen 
guten Dingen haben, daß ich ihm oft beneidete und meinte, daß ich 
für eine Kleinigfeit mehr gern meinen Pla mit ihm taufchen möchte, 

Selbftverjtändlich hielt ich wiederum eine ernftliche Strafpredigt, 
worauf alle laut betheuerten, fie würden in Zukunft unbedingten Ge— 
horjam leiſten, und ebenjo jelbftverftändlich waren alle VBerjprechungen 
am nächjten Tage Schon wieder vergejjen. Ueber diejes wiederholte Nicht- 
halten der Beriprechungen läßt fi) viel jagen; es befreit das Gemüth 
von ungeheuerer Sorge und jeder Spur von Berantwortlichfeit, man iſt 
mit feiner Beichränfung befaftet, und das Gefühl der Erleichterung und 
Freudigkeit erhellt die Züge. Weshalb joll der Menſch, der doch auch 
ein Thier ift, ſich bejtändig durch Verpflichtungen feſſeln laſſen, als 
ob er ein moraliiches Wejen wäre, das für jedes im Drange des 
Augenblicks geäußerte müßige Wort verantivortlich gemacht werden foll? 

Am 28. August ſetzte die Flußcolonne, die jebt aus dem Stahl: 
boot „Advance“ und 16 Kanoes beſtand, die Reiſe flußaufwärts 
bis zum Lager 8 km oberhalb Avedjeli fort. Die Landabtheilung 
blieb weit zurüd, da fie fich über eine Reihe von Flüffen und Bächen 
arbeiten mußte und im dem Tiefen des erjtidend dichten Gebüſches 
begraben war, ſodaß fie erft um Mittag des nächſten Tages eintraf, 
doch wurde fie angewiefen, noch zwei Stunden weiter aufwärts zu 
marjchiren, wohin wir ihr folgten. 

Am 30. Auguft trafen wir am untern Ende eines großen Waſſer— 
falles ein und ftellten durch Beobachtungen feit, daß wir nunmehr 
die Hälfte des Weges nad dem Albert-See zurücdgelegt hatten, da 
Kavalli auf 30° 30’ öftl. L. und Jambuja auf 25° 3° 30” öſtl. ©. 
liegt. Unfer Lager an diefem Tage befand fich ungefähr auf 27° 47’ 
öſtl. L. 

Der Luftlinie nach hatten wir noch etwa 302 km Weges vor uns, 
die wir aber nicht in 64 Tagen zurücklegen konnten, wie die hinter uns 
liegende wejtlihe Hälfte unjers Weges. Die Leute befanden fich 
in einer jämmerlichen Körperbejchaffenheit und waren moraliich ges 
drüdt; Geſchwüre wütheten epidemiſch unter ihnen, Blutarmuth hatte ihre 
Lebenskraft zerftört. Wir jagten ihnen, wir hätten die Hälfte des 
Weges erreicht, aber fie antworteten ungläubig mit Murren. Sie 


186 Achtes Kapitel. Nẽepoko⸗Fluß 


fragten: „Wie kann der Herr das wiſſen? Zeigt jenes Inſtrument 
ihm den Weg? Sagt es ihm, welches der richtige Pfad iſt? Wes— 
halb ſagt es uns denn das nicht, damit wir ſehen und glauben können? 
Kennen die Eingeborenen ihr Land nicht beſſer? Wer von ihnen hat 
je Gras geſehen? Sagen ſie nicht ſämmtlich, daß die ganze Welt 
mit Bäumen und dichtem Gebüſch bedeckt iſt? — Bah, der Herr ſpricht 
zu uns, als ob wir Kinder wären und ſelbſt keinen Verſtand hätten.“ 

Der Morgen des ſchlimmen 31. Auguſt dämmerte wie an andern 
Tagen; er bahnte ſich durch dunkle Nebelwolken und endlich gegen 
9 Uhr erichien die Sonne, bla, verſchwommen, eine Kugel mit glanz= 
lojem Lichte. Inzwiſchen waren wir aber bereit eifrig mit unjerer 
häufig \wiederfehrenden Aufgabe beihäftigt, durch das Didicht und 
den Wald eine breite Straße herzuftellen, auf welcher das Boot 
unzerlegt von 60 Mann getragen werden fonnte, während die Mann— 
ichaft der FFlotille Direct mit den ungeſtümen Gewäflern kämpfte und 
die übrigen Fahrzeuge im ftarf geneigten Bette des in rajchem Laufe 
dahinfließenden Stromes hinaufichob. 

Nachdem die Straße in etwa einer Stunde vollendet war, legten 
wir am obern Ende derjelben ein proviforisches Lager an, bei welchem 
nad) und nach auch die Kanoes anlangten. Gleich daranf ſtellte 
ji der Doctor, den ich zurüdgelaflen hatte, um die dag Boot tra- 
genden Pioniere zu beaufjichtigen, ein und meldete, die Leute fünnten 
daſſelbe nicht heben. ch Fehrte deshalb wieder um, um die Arbeit 
perjönlich zu leiten. Wir hatten das Boot etwa die Hälfte der Strede 
transportirt, als mein europätjcher Diener mit wilden Sprüngen ber: 
beieilte und mir zufchrie: „Herr, o Herr, Emin Paſcha ift angefommen!“ 

„Emin Paſcha?“ 

„sa, Herr. Ich habe ihn in einem Kanoe jelbjt gejehen. Seine 
rothe Flagge, gerade wie die unferige (die ägyptiſche), iſt am Heck auf: 
gezogen. Es ift ganz gewiß wahr, Herr,“ 

Selbitverftändlich jtürzten wir fort, das Boot wurde fallen ge- 
lafjen, als ob es ein Stüd glühendes Eifen geivejen wäre. Es war 
thatfächlich ein Wettlauf, Herr und Diener wollten der erjte fein. 
Im Lager herrjchte ebenfalls allgemeine Aufregung. Sie hatte, wie 
wir bald erfuhren, ihren Grund in der Ankunft von neun Manjema, 
den Dienern eines gewiljen Uledi Baljus, der den Eingeborenen unter 
dem Namen Ugarrowwa befannt war, fid) etwa 8 Tagemärjche weiter 
flußaufwärts niedergelaifen haben und mehrere hundert Bewaffnete 
befchligen jollte. 





Cransport des Bootes durd) den Wald. 


„Der Pafdya ift angekommen !“ 






— — 


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TILDEN FOUNDATIONS 
R L 


1. Sept. 1887.] Bon den Panga-Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 187 


Die Nraber befanden fich aljo jo weit im Innern des Landes 
am obern Aruwimi, und ich hatte die Freudige Hoffnung gehegt, jchon 
läugſt zum legten mal von dieſen Räubern gehört zu haben! Die Anz 
fümmlinge erzählten auch, daß DO von ihnen etwa 10 km flußaufwärts 
ein Lager bezogen hätten, um auf Befehl von Ugarrowwa den Lauf 
des Fluſſes zu erforschen und feitzuitellen, ob auf diefem unbekannten 
Strom, an dejjen Ufer fie rajteten, eine Verbindung mit den Stanley: 
Fällen herzuſtellen jet. 

Wir gaben ihnen die gewünſchte Information, worauf ſie er— 
klärten, nach ihrem Lager zurückkehren und einen gaſtfreien Empfang 
für morgen vorbereiten zu wollen. Die Sanſibariten waren über 
dieſe Nachricht außer ſich vor Freude; aus welchem Grunde, wird man 
bald ſehen. 

Der erſte Deſerteur war ein gewiſſer Djuma, der in der Nacht 
mit etwa einem halben Centner Zwieback verſchwand. 

Früh am Morgen des 1. September hatten wir die Stromſchnellen 
hinter uns, ruderten in Gejellidinft der Karavane ftromaufiwärts und 
waren bald bei dem Dorfe, wo die Manjema ihr Lager aufgejchlagen 
haben jollten. Am Eingange lag ein todtes Kind männlichen Ge— 
ſchlechts, buchftäblic in Stücke zechagtgz innerhalb der Paliſſaden 
fanden wir die Leiche einer Frau, die durch Speertiche getüdtet war. 
Die Manjema waren verichwunden. Es jchien ung damals, da; einige 
unferer Leute die Freude der Manjema über das Zujammentreffen 
mit ung einigermaßen gedämpft hatten mit der Bemerkung, daß Die 
bei ihnen befindlichen Sklaven möglicherweije einen Umſchwung unjerer 
Stimmung herbeiführen fünnten. Der Argwohn, daß dies richtig fein 
könnte, hatte augenblidlic; eine Sinnesänderung bei ihnen hervorgerufen 
und die Furcht fie veranlaßt, ſich fofort zu entfernen. Ihre Geſell— 
Ichaft hatte aber jo viel Anziehungskraft, daß 5 Sanfibariten mit ebenfo 
vielen Lajten, vier mit Munition und einer mit Salz, verjchwanden. 

Wir nahmen dann unfern March wieder auf und machten am 
Fuße einer weitern Neihe von Stromjchnellen halt. 

Am nächſten Tage ftattete Saat Tato, der die Schnellen unter: 
ſucht hatte, einen ermuthigenden Bericht ab und ſprach die Ueberzeugung 
aus, daß wir die Schwierigkeiten ohne große Mühe bewältigen würden. 
Diefe Meinung regte unjere Bootsleute ſehr an, ſodaß fie einen neuen 
Verſuch unternahmen. Während die Flußabtheilung dann mit ihrer 
eigenthümlichen und gefährlichen Arbeit beſchäftigt war, ſandte ich einen 
Trupp Leute aus, um Nachrichten über die Vermißten einzuziehen. 


188 Achtes Kapitel. [Nepoto- Fluß 


Sie fehrten mit einem Mann, einer Kifte Munition und drei Gewehren 
zurüd, da fie die Deferteure im Walde entdedt hatten, gerade als fie 
eine Mumitiongfifte geöffnet hatten und deren Inhalt unter fich ver: 
theilten. Bet dem Berfuch, die Deferteure zu umzingeln, waren die- 
jelben aufmerfjam geworden und entflohen, wobei fie die Kifte und die 
drei Gewehre zurücließen. 

Um 3. September entwichen weitere 5 Mann, die eine Kifte 
Nemington-, eine Kifte Winchefterpatronen, eine Kifte europätichen 
Proviant und eine Laft jchöner arabijcher Kleidungsftüde im Werthe 
von 1000 Mark mitnahmen, Ein anderer wurde dabei betroffen, als 
er eine Proviantfifte geöffnet und bereits je eine Büchſe mit Sago, 
Liebig'ſchem Fleiſchextract, Butter und Milch entwendet hatte. Auf dieje 
Weiſe waren innerhalb weniger Tage 10 Mann verjchwunden, und 
wenn dies jo fortging, würde es in 60 Tagen mit der Expedition zu Ende 
gewejen fein. ch berathichlagte mit den Anführern, wurde aber nicht 
ermuthigt zu dem Verſuch, was wir mit den ftrengften Maßregeln aus- 
richten würden. Es mußten doch jelbft die Dümmſten begreifen, daß 
wir bald gezwungen fein würden, zum Aeußerſten zu jchreiten, um 
diefem Dejertiren und den Diebftählen im Großen ein Ende zu machen. 
Seit dem Abmarſch von Jambuja Hatten wir 48 Gewehre und 
15 Kiften Maxim-, Winchefter- und Remington-Munition verloren. 

Am nächſten Tage dejertirten 4 Mann, während einer abgefaßt 
wurde, als er im Begriff ftand davonzulaufen. Die Leute wurden 
jeßt gemuftert, und da bei 60 Mann, die wir der Dejertion für fähig 
hielten, feiner der Anführer die Garantie für ihre Treue übernehmen 
wollte, machten wir fie vollftändig hülflos, indem wir die Hauptfeder 
ihrer Gewehre entfernten, an uns nahmen und einjchloffen. Die De— 
moralifation hatte fich rajch entwidelt, jeitdem wir mit den Manjema 
zufammengetroffen waren. In den Händen der Leute war nichts mehr 
ficher; die Kiſten waren geöffnet, die Stoffe geftohlen, die Glasperlen 
geraubt, die Munition herausgenommen und entweder fortgewworfen oder 
als Reſerve am Wege verfteckt worden. 

Am 5. September lagerten wir in der Nähe der Flußpferd-Weitung, 
einer Stelle des Fluſſes, die wir wegen der Breite und Schönheit 
des Aruwimi und einer von uns erblidten Heerde von Flußpferden fo 
genannt hatten. Unſer Halteplat befand ſich auf einer verlaffenen 
Lichtung, welche dieſe amphibifchen Thiere fich jet zum Lieblingsauf- 
enthalt erforen hatten und wo einige mit prächtigem Raſen überzogene 
Streden uns einen Augenblick hoffen ließen, daß das offene Land 


6. Sept.1887.] Bon den Panga- Fällen nach der Station Ugarromma’s. 189 


nicht mehr fern jei. Die Fourragirer kehrten von einem auf beiden 
Ufern ausgeführten Zuge ins Innere mit vier Ziegen und einigen 
Bananen, jowie einer Anzahl von geröfteten Ratten, gefochten Käfern 
und Schneden zurüd. Am 6. September erreichten wir einen Katarakt 
gegenüber der Bafaido-Niederlafjung, wo wir einen anjehnlichen Vor— 
rat von Bananen befamen, und am nächjten Tage jchleppten wir Die 
Kanoes dort über eine Felsplatte. Der Fluß ftürzte fich über eine 
vorjpringende Kante derjelben 3 m tief herab. 





Der Bafaido-Hataralft. 


Bon dem Bafaido- Falle marjchirten wir den Windungen des 
Fluſſes entlang nach den Avakubi-Schnellen, wo wir in der Nähe des 
Landungsplatzes das Lager aufichlugen. Bon hier führte ein Pfad 
ins Innere, dem die hungerigen Leute bald folgten. Beim Durchſtreifen 
des Landes nad) Lebensmitteln fanden fie eine Frau mit einem Kinde, 
die fie mir zuführten, um fie auszufragen. Allein jelbjt der gejchictefte 
Dolmeticher war hier in VBerlegenheit, niemand verjtand auc) nur ein 
Wort von dem ſinnloſen Geſchwätz. 

Am nächſten Tage erreichten wir weitere Stromjchnellen. Hier 
bemerften wir auch, daß die Delpalme in diefer Gegend gedeiht. 

Bei jedem Dorfe jahen wir Haufen von Palmnüſſen und entdedten 


190 Achtes Kapitel. [Navabi 


jogar einige Palmen, die erſt fürzlich gepflanzt waren, ein Beweis, 
dab auch für die Nachkommenſchaft etwas gejorgt wurde. 

Der Somali Achmet, welcher uns von Jambuja begleitet hatte und 
anfänglich marjchirt war, jeitdem wir oberhalb Janfonde den Fluß 
erreicht hatten, aber Paſſagier geweſen war, wurde mir hier als im 
Sterben liegend gemeldet. Er follte an Melanofe leiden. Mag fein 
oder nicht, jedenfall® war er merkwürdig abgemagert und buchftäblich 
zum Sfelett geworden, das nur mit dünner Haut überzogen war. 

Denjeit dieſes Lagers umfuhren wir eine Spige, pajfirten eine 
furze gewundene Flußjtrede und näherten uns eine Stunde jpäter 
einer Stelle, wo das Waſſer mit fürchterlicher Gewalt dahinjagte und 
durch ein ſchmales Schieferbett eingeengt wurde, Jenſeit dieſer un— 
mittelbar vor ung liegenden Schwierigfeit ſahen wir eine Neihe rollender, 
tojender, zu Staub aufwirbefnder Wellen, die in aufeinander folgenden 
Linien herabfamen, darüber einen Im hohen Fall und oberhalb davon, 
eingehüllt in nebelartigen Duft, ein jchroffes Gehänge voll wilder 
Stromjchnellen, deren Wogen ungejtün der fochenden, raufchenden Tiefe 
zujagten. Der Anblit war in Berüdfichtigung des Zuftandes unferer 
Colonne jchredlih. In den Kanoes befanden fich etwa 120 Laſten und 
50--60 Kranfe und Schwache. Diefe im Walde ihrem Schiefal zu 
überlaffen war unmöglich, die Laften und den „Advance“ zu tragen 
ſchien ebenjo unausführbar zu fein, und das Schleppen der Kanoes und 
Tragen de3 Bootes längs der weiten Strede von Katarakten und 
Stromfchnellen war offenbar eine Aufgabe, welche unjere äuferjte 
Kraft überftieg. 

Ic ließ die Fahrzeuge daher unterhalb der Fälle und Schnellen 
und führte die Erpedition über Land nach der zerftörten Niederlaflung 
von Navabi, die in der Nähe einer Biegung des Ituri oder Aruwimi 
oberhalb der unruhigen Strede liegt. Dort jchlugen wir das Lager 
auf. Die Kranken jchleppten fich Hinter der Karavane her; diejenigen, 
welche allzu ſchwach und hülflos waren, um den Marich zurüdzulegen, 
wurden ins Lager getragen, wo die Gompagnien von den Offizieren ges 
mustert wurden für das Durchbrechen einer breiten Straße durch das 
Dickicht, um die Kanoes nacdjichleppen zu können. Dieje Aufgabe 
nahm ums zwei volle Tage in Anſpruch, während die erite Compagnie 
nah und fern umberjtreifte, um Lebensmittel zu beichaffen, leider nur 
mit theilweiſem Erfolg. 

Navabi muß früher ein bemerfenswerthes Beijpiel von dem Ge— 
deihen der Niederlaffungen der Eingeborenen geweſen jein. Es beſaß 


12. Sept.1887.] Bon den Banga- Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 191 


Haine von Delpalmen und Bananenbäumen, große mit Tabak und 
Mais bebaute Streden; die Hütten hatten ein fast idyllifches Aeußere, 
wie wir wenigjtens aus zweien derjelben ſchloſſen, die ftehen geblieben 
waren und uns einen fleinen Begriff des jchönen, heitern Glückes 
der Tropen gab. Im übrigen war alles öde. Streifpartien, welche 
nad) unjerer Anficht von Ugarrowwa gejchikt waren, hatten die 
Anfiedelung niedergebrannt, viele von den Palmen umgehauen, die 
Bananenpflanzungen dem Erdboden gleichgemadt und den Boden mit 
den Gebeinen der Vertheidiger bejäet. Innerhalb unjers Lagers bei 
Navabi fanden wir die Schädel von fünf Kleinen Kindern, 





Angriff auf einen Elefanten vom Jturi aus, 


Am 12. September jeßten wir die Reiſe fort, doch waren wir 
gezwungen, fünf Mann zurüczulaffen, die ſich bereits in bewußtlojem 
Buftande befanden und im Sterben lagen. Unter ihnen war auch 
der Somali Achmet, den wir fat den ganzen Weg von Jambuja ges 
tragen hatten. 

Bon Navabi wandten wir uns nad) dem Landımgsplabe bei 
Memberri, der offenbar häufig von Elefanten aufgejucht wurde. Als 
wir eins diejer Thiere nicht weit entfernt von uns am rechten Ufer 
ein üppiges Bad im Fluſſe nehmen jahen, drängten mich die übrigen 
Offiziere, fich nad Fleiſch ſehnend, mein Glück zu verjuchen. Auf 
diefer Expedition hatte ich mich mit den Erprefbüchien vom Kaliber 





192 Achtes Kapitel. Amiri⸗Fälle 


577 bewaffnet, welche von den indiſchen Jägern ſehr gerühmt werden, 
während die ſchweren Büchſen von Kaliber 8 ſich bei Major Barttelot 
und Herrn Jameſon befanden. Es gelang mir, dem Thiere aus der 
Entfernung von wenigen Metern ſechs Kugeln in den Leib zu jagen, 
aber zu keinem weitern Zwecke, als daſſelbe unnöthigerweiſe zu verwunden. 
In Memberri hielt ich eine Muſterung der Leute ab, die beim 

Vergleich mit den frühern Liſten folgendes Reſultat ergab: 

23. Auguft - - -» » 313 Mann. 

12. September . . art , 


14 Mann waren BRIESUKS 16 geſtorben. Zahl der Träger 235, der Laſten 227, 
der Kranken 58. 


Zu dieſen beredten Zahlen fommt noch hinzu, daß jedes Mitglied 
der Erpedition Hunger litt und daß die Mittel zur Abhülfe des immer- 
während fic geltend machenden Mangels an Nahrung defto mehr abzu— 
nehmen jchtenen, je höher wir hinauffamen, da die Bakuſu- und Ba- 
fongora-Sflaven unter der Führung der Manjema Ugarrowwa’s Die 
Pflanzungen zerjtört und die Bevölkerung entweder in unbefannte 
Schlupfwinfel des Waldes getrieben oder vernichtet hatten. 

Am nächiten Tage erreichten wir die Amiris Fälle. Tags zuvor 
hatte der Anführer Saadi einen Tadel erhalten, weil er es einem ge— 
wiſſen Mafupete geftattet hatte, auf unjerm Wege zurüdzufehren und . 
nad) einer vermißten Munitionskiſte zu fuchen, worauf Saadi den 
unflugen Entichluß gefaßt hatte, Mafupete nachzuforichen. Dann 
dejertirte ein anderer Maun, Uledi Manga, dem die ſchwere Arbeit 
und die melancholifchen Ausfichten vor ung nicht mehr behagten, und 
nahm ebenfalls eine Kifte Munition mit. 

Bon den Ejeln aus Sanfibar waren nur noch drei übrig, wäh 
rend wir beim Abmarjch von Jambuja ſechs gehabt hatten. Won den 
andern drei hatte einer, der vermuthlic) das Borgefühl von dem 
Untergang der Karavane gehabt hatte, es fich in den Kopf gelebt, 
daß es beifer jei umzufehren, ehe e8 zu ſpät jei, und war ebenfalls 
davongelaufen, niemand weiß wohin. Im Walde nach verlorenen 
Leuten, Ejeln oder Gegenftänden zu juchen, iſt nußlos; wie die vom 
Buge des Schiffes zertheilten Wellen ſich Hinter dem Heck wieder ver- 
einigen, jo umhüllt auch der Wald alles, was hineinfommt, mit feinem 
tiefen Schatten jo dicht, daß es nicht wiederzufinden it, und gibt 
nichts wieder her. 

Am 15. September lagerten wir in der Nähe einer vereinzelten 
alten Fiicherhütte, Der Fluß wandte ſich hier nach einer ungeheuern 


16, Sept. 1887.] Bon den Banga-Fällen nad der Station Ugarrowwa's. 193 


über Norden nad Often laufenden Curve nad Südoften. Won 1° 58° 
waren wir bereits bis nach 1° 24° nördl. Br. gekommen, 

Nachdem wir während der lebten Tage gewöhnlich eine Kiſte 
Munition täglich verloren und fait alle Mittel zur Unterdrüdung der 
Näubereien vergeblich angewandt hatten, griffen wir jet dazu, die 
Kijten in Partien von acht Stüd zufammenzubinden, jede der Aufficht 
eines Anführers zu überweiien und dieſen verantwortlid; zu machen. 
Auf diefe Weife hofften wir endlich die Entjchuldigung zu bejeitigen, 
daß der betreffende Mann unter allerlei Gründen in den Wald ver: 
ſchwunden jet. 

Während wir am 16. September halt gemacht hatten, um zu 
raften und zu frühjtücden, hörten wir flußaufwärts mehrere Gewehr: 
ſchüſſe. Ich ſchickte Saat Tato hin, um Erfundigungen einzuziehen, 
worauf wir eine halbe Stunde jpäter drei Schüffe vernahmen, ein 
Zeihen, daß er Erfolg gehabt Hatte. Bald darauf jtellten fich drei 
mit rothen Flaggen geihmücdte Kanoes mit Männern in weißen Ge— 
wändern bei unjern Fahrzeugen ein. Sie feien, wie fie erzählten, 
gekommen, um uns im Namen Ugarrowwa's, ihres Häuptlings, zu 
bewillfommmen, der mich in dem abends aufgejchlagenen Lager be- 
fuchen wolle. Nach gegenfeitigem Austaufch von Complimenten fuhren 
fie unter dem Abjchießen ihrer Gewehre und fröhlichem Gejange wieder 
flußaufwärts. 

Nachmittags nahmen wir zur üblichen Stunde den Marſch wie— 
der auf und um 4 Uhr trafen wir im Lager gleich unterhalb der 
Station Ugarrowwa's ein. Zur ſelben Zeit kündigte das Wirbeln 
der Trommeln, das Knallen zahlreicher Gewehre und eine ganze Flo— 
tille von Kanoes das Herannahen des arabiichen Häuptlings an, der 
von etwa 50 kräftigen, ftarfen Burjchen, jowie Sängern und Wei- 
bern begleitet war, die ſich ſämmtlich in bejter körperlicher Verfaſſung 
befanden. 

Der Häuptling nannte ung feinen Namen als Ugarrowwa, den 
fanfibarifchen Ausdrud für „Lualaba“, und feinen Namen bei den 
Eingeborenen als „Ruarawwa“; früher war er befannt als Uledi 
Baljus (oder der Conſul-Uledi). In den Jahren 1860-63 hatte er 
die Rapitäne Spefe und Grant als Zeltdiener begleitet und war in Un- 
joro zurücgeblieben oder dejertirt. Als Geſchenk bot er uns zwei fette 
Ziegen und etiva 20 kg gereinigten Neis, jowie einige reife Bananen 
und mehrere Hühner an. 

Auf meine Frage, ob Ausficht vorhanden jei, daß meine Trup— 

Stanlen, Im dunteliten Afrita. I. 13 


194 Achtes Kapitel, (Amiri- Fälle 


pen in der Nachbarichaft feiner Station Lebensmittel finden wirden, 
gab er zu unſerm Leidweien zu, Daß jeine Leute in ihrer rückſichts— 
lojen Weije alles vernichtet hätten und es unmöglich ſei, ihnen Ein- 
halt zu thun, weil diejelben wiüthend auf die „Heiden“ jeien wegen 
der bfutigen Rachethaten und Ercejje, welche die Eingeborenen gegen 
unendlich viele ihrer Landsleute bei deren Suchen nad) Elfenbein be- 
gangen hätten, 

Auf die weitere Frage, in welchem Lande wir uns befänden, er: 
widerte er, wir jeien in Bunda, deren Bewohner Babunda hießen; 
die Bevölferung auf dem nördlichen Ufer in der Nachbarichaft jeiner 
Station werde Bapai oder Bavatja genannt. Er erzählte auch, daß 
jeine Beutejäger einen Marſch von einem Monat nach Oſten unter: 
nommen hätten, und daß er von einem hohen Hügel (Kaſſololo?) ein 
nad Dften weit ausgedehntes Grasland gejehen habe. 

Weitere Mittheilungen Tauteten dahin, daß er mit jeiner Kara- 
vane in der Stärke von 600 Mann den Luafaba bei Kibonge (ober: 
halb des Leopoldfluffes) verlaffen und in neun Monaten 686 km in 
nordöftlicher Richtung durch einen endlojen Wald zurüdgelegt habe, 
ohne aud) nur jo viel Gras zu ſehen, wie die Fläche der Hand 
bededen würde; er habe nur einen Fluß, den Lindi, gefreuzt, bis er an 
den Ituri, wie der Aruwimi hier heißt, gefommen jei; von arabischen 
Händlern habe er gehört, daß der Lulu (Lorwwa) in einem kleinen See, 
Oſo genannt, entipringe, in deſſen Nachbarjchaft jehr viel Elfenbein sei. 

Bier Tagemärjche weiter aufwärts habe Ugarrowwa noch eine 
zweite, mit 100 Gewehrträgern bejette Station in der Nähe des 
Lenda-Fluſſes, der auf dem ſüdlichen Ufer in den Aruwimi mündet, 
Seine Leute hätten Reis, von dem er uns etwas mitgebracht habe, 
und Zwiebeln gejäet; in der Umgegend der Niederlafjungen fei aber 
Wüſte, da es nicht weiſe jet, ſolchen „‚blutgierigen Heiden‘ zu ge— 
Statten, in ihrer Nähe zu leben, weil fein und feiner Yandsleute Leben 
ſonſt nicht ficher jei. Er habe etwa 200 Leute von den Bakuſu— und 
Bajongora- Stämmen, fowie viele tüchtige Manjema-Führer verloren. 
Einmal habe er 40 Mann verloren, von denen micht ein einziger 
zurüdgefehrt jei. Er habe auf jeiner Station einen arabiichen Gaſt, 
der ſämmtliche Leute jeiner Karavane verloren habe. 

Ich bemerkte, daß er geneigt war, einige jeiner Leute mit mir 
nad) dem See zu ſchicken, auch ſchien es mir feine Schwierigkeiten zu 
machen, meine Kranken gegen eine ſpäter zu vereinbarende Entichädi- 
gung bei ihm unterzubringen. 


17. Sept. 1887.] Bon den Banga-Fällen nad der Station Ugarrowwa's. 195 


Am 17. September jeßten wir unſere Karavane wieder in 
Marich, um fie eine Heine Strede weiter, jeiner Station gegenüber, 
zu bringen. 

Nachmittags ruderte ich mit unferm Boot über den Fluß nad) 
der arabijchen Niederlafjung, wo ich gajtfrei aufgenommen wurde. 
Ich fand, daß die Station eine große Anftedelung war, die rund- 
herum vorfichtig mit hohen Paliffaden umgeben war, an denen man 
furze Planken querüber feitgebunden hatte, um einen Schirm gegen 
etwaige feindliche Pfeile herzuitellen. In der Mitte, mit der Front 
dem Fluſſe zugefehrt, lag das Haus des Häuptlings, ein bequemes, 
geräumiges, hohes Gebäude, deſſen Wände mit Löchern als Schieß— 
fcharten verjehen waren; es hatte mit feinen hohen, drohenden, aus 
Lehm hergejtellten Mauern Aehnlichkeit mit einem Fort. Beim Paſ— 
firen eine® Durchgang zwiſchen Ugarrowwa’s Brivatgemächern und 
den öffentlichen Räumen erblidte ich einen großen Hof von etwa 
18 m Länge und Breite, umgeben von Gebäuden umd gefüllt mit 
Dienern. Das Ganze hatte etwas von einem Edelſitz an fid) mit 
dem Ueberfluß an Begleitern, den verjchiedenen Dienern, den großen 
Räumen und dem überall herrichenden Reichthum. Der Ort war fidjer- 
lich bei einem Angriff unbezwingbar, und e8 würde, wenn er nur über: 
haupt tapfer vertheidigt wurde, eines ganzen Bataillons bedurft haben, 
um dieſen Vorpoften der Sflavenhändler zu erobern. 

Wie Ugarromwwa mir mittheilte, Scheine der Fluß viele Tagemärſche 
weit von Oſten herzufommen; der Ihuru jtröme eine erhebliche Strede 
weiter aufwärts von Norden her in den Ituri, und außer dem Lenda 
gebe es noch einen weitern Nebenfluß, den Ibina, der von Süden 
komme. 

Irgendwo weiter aufwärts, nach einer unbeſtimmten Angabe 10, 
nach einer andern 20 Tagemärſche entfernt, habe ſich noch ein an— 
derer Araber niedergelaſſen, der Kilonga-Longa genannt werde, deſſen 
richtiger Name aber ebenfalls Uledi ſei. 

In dieſer Anſiedelung ſah ich zum erſten mal einen Vertreter des 
Stammes der Zwerge, die nördlich vom Ituri, vom Noatju oſt— 
wärts, ſtark verbreitet jein jollten. Es war ein durchaus wohl: 
gebildetes Mädchen von etwa 17 Jahren, 84 cm groß; der Körper 
war glatt und glänzend, die Statur die einer farbigen Miniatur- 
Dame, der es nicht an einer gewiſſen Anmuth mangelte, mit ſehr 
anjprechenden Zügen. Die Hautfarbe war die der Quadronen oder 
wie gelbgewordenes Elfenbein. Die Augen waren prachtvoll, aber 

13* 


196 Achtes Kapitel, Ugarrowwa's Station 


übermäßig groß für ein jo fleines Gejchöpf, faft jo groß wie die- 
jenigen einer jungen Gazelle, voll, vorjtehend und glänzend. Voll— 
ftändig nadt, war die kleine Dame doch von fich eingenommen, als 
ob fie es gewohnt wäre, bewundert zu werden, und die Befichtigung 
machte ihr wirklich Vergnügen. Sie war in der Nähe der Quellen 
des Ngaiju entdeckt worden. 

Nachdem Ugarrowwa mir alle jeine Schäße gezeigt hatte, darunter 
auch den prachtvollen Vorrath von Elfenbein, den es ihm gelungen 
war zu jammeln, begleitete er mich zum Boote, wo er mich noch mit 
großen Schüffeln voll vorzüglich gefochtem Reis und einer ungeheuern 
Schale mit in Curry gefochten Hühnern befchenkte, einem Gericht, das 
mir nicht jchmect, in meinem Lager aber mit Dank aufgenommen wurde, 

Unfer Landungsplaß zeigte eine lebendige Scene. Die Verkäufer 
von Bananen, Kartoffeln, Zuderrohr, Reis, Maniokmehl und Geflügel 
riefen laut die Kunden an und raſch wurden Taufchgejchäfte mit Stoffen 
und Berlen gemacht. Ein jolches Leben gefällt den Sanfibariten, wie den 
meisten übrigen Eingeborenen am beften, und fie gaben daher ihrer glüd- 
lichen Stimmung in Tönen Ausdrud, die uns ſchon lange fremd waren, 

Am jelben Morgen Hatte ich in der Frühe ein Kanoe ausgejandt, 
um etwaige Nachzügler, welche dag Lager vielleicht nicht erreichen 
fonnten, aufzunehmen, und nachmittags um 3 Uhr wurden 5 Kranke 
ins Lager gebracht, Die fich bereits in ihr Schidjal ergeben gehabt 
hatten. Kurz nachher hielt ich eine Mufterung ab, bei welcher es ſich 
herausjtellte, daß die Erpedition die folgenden marichfähigen Leute hatte: 

Mann Anführer 


Erfte Compagnie . . > 2 2 22020. 69 4 
Zweite „ Et ae ie air SL Sata nie 4 
Dritte R 6 4 
Bierte — ad ar ee er re 4 
BORD: 4. =: far 83 — 
Jungen9 — 
Europürre..6 — 
Sudaneſeenn. 6 —— 
371 16 
BIONER: : 5. 05 Ce a 56 
Abmarichirt von Jambuja mit . . ...8389 
Verluft durch Dejertion und Todesfälle . 62° 


Alsdann ließ ich die Boote und Kanoes bemannen und die Kranken 
nach der arabischen Niederlaffung bringen, da ich ein Abkommen getroffen 
hatte, wonad) diefelben für 5 Dollars pro Kopf und Monat beköftigt 


17. Sept. 1887.) Bon den Panga-Fällen nad) der Station Ugarrowwa's. 197 


werden follten, bi8 Major Barttelot oder jonjt jemand mit einer Ordre 
von mir käme. 

Wie man fich erinnern wird, hatten wir die Leute Ugarrowwa's 
am 31. Auguft einen Tagemarſch von Avedjeli, der Mündung des 
Nepofo gegenüber getroffen. Sie waren, anjtatt den Weg flußabwärts 
fortzujeßen, zu Ugarrowwa zurücgefehrt, um ihm die von ung erhaltenen 
Nachrichten zu überbringen, in der Meinung, ihre Miſſion erfüllt zu 
haben. Ugarrowwa wünſchte Pulver zu erhalten, da jein Vorrath faft 
erichöpft war. Major Barttelot bejaß 27, Tonnen von diefem Spreng- 
jtoff und rücte, wie wir jenem erzählt hatten, flußaufwärts vor, würde 
aber, weil er jo viel Gepäck Hatte, erjt nach mehrern Monaten hier 
eintreffen. Ich wollte mich gern mit Major Barttelot in Verbindung 
jeten und vereinbarte daher mit Ugarrowwa, daß ich ihm eine An- 
weilung auf 150 kg Pulver geben würde, wenn feine Leute den Weg 
‘am jüdlichen oder Linken Ufer des Fluſſes jo weit fortjegten, daß fie 
Barttelot ein Schreiben übergeben könnten. Ugarrowwa war mir für 
Diejes Anerbieten jehr dankbar und verſprach, 40 Kundſchafter innerhalb 
eines Monats abzujenden. (Er hat diejelben jeinem Verſprechen gemäß 
auch wirklich zwiſchen dem 20. und 25. October abgejchidt. Es gelang 
denjelben, bis zu den Weipen-Schnellen, etwa 266 km von Jambuja, 
zu fommen, wo fie jedoch wegen ihrer Verlufte und infolge der ent- 
jchiedenen Feindjeligfeit der Eingeborenen umfehren mußten.) 

Unjere dejertirten Sanfibariten waren wie wir jelbjt zu dem 
falſchen Glauben verleitet worden, daß die Leute Ugarrowwa’s die 
Reiſe nach Weiten auf einem ins Innere führenden Pfade fortjeken 
würden, und ihnen in Der genannten Richtung nachgeeilt, um ſich ihnen 
anzuschließen, während wir hier erfuhren, daß jene Leute oftwärts zu 
ihrem Herrn zurücgefehrt waren. Ich war jet überzeugt, daß Die 
Bereinbarungen mit Ugarrowwa und deijen öffentliche Erflärung vor 
allen Leuten dem weitern Dejertionen ein Ende machen würden. 

Wir hatten die Arbeit auf dem Fluſſe mit feinen zahlreichen 
Stromjchnellen ziemlich jatt, und ich äußerte deshalb Ugarrowiva gegen- 
über, ich würde den Marſch zu Lande fortjegen, indeſſen rieth der 
Araber mir ernitlid davon ab, weil den Leuten die Nothwendigfeit 
erjpart würde, viele Laſten zu tragen, und alle Kranken zurücbleiben 
müßten; wie er mir ferner mittheilte, lauteten jeine Informationen 
dahin, daß der Fluß jtromaufwärts viele Tagemärjche weit beſſer ſchiffbar 
jet als weiter abwärts. 


Venntes Kapitel, 


Bon der Station Ugarrowwa's bis zur Station Kilonga-Longa's. 


Ugarrowwa fchidt uns drei dejertirte Sanfibariten. — Ein Erempel wird jtatuirt. — 
Die Erpreßbüchien. — Unterredung mit Raſchid. — Der Lenda-Fluß. — Beſchwer— 
liche Stromjchnellen. — Mangel an Lebensmitteln. — Einige Begleiter Kilonga- 
Longa’s. — Bereinigung der Flüffe Ihuru und Juri. — Zuftand und Stärke der 
Erpedition. — Krankheit Kapitän Nelion’s. — Borauffendung von Boten an Kilonga— 
Longa. — Das Lager der Kranken. — Randy und das Perlhuhn. — Mangel 
an Lebensmitteln. — Krankheit infolge der Waldpfirfide. — Phantaftiiche Tiſch— 
farten. — Weitere Defertionen. — Asmani ertrinft. — Kurze Schilderung unjerer 
Lage. — Uledi's Vorſchlag. — Umari's Klettern. — Mein Ejel wird erichoffen, 
um Fleiſch zu erhalten. — Auffindung des Weges der Manjema und Ankunft in 
ihrem Dorfe. 


Noch einmal beftand die Erpedition jebt wieder aus ausgejuchten 
Leuten, und mein Gemiüth war von der Sorge um die Nachhut und 
das Schidjal, weldjes die Kranken bedrohte, befreit. Wir verließen 
die Station Ugarrowwa’s mit 180 Laften in den Kanodes und dem 
Boot und 47 Laſien, welche alle vier Tage abwechjelnd von den ver- 
ichiedenen Compagnien getragen werden mußten. Als wir am 19. 
September aufbrachen, begleiteten uns die Araber einige Stunden, um 
uns auf den Weg zu bringen und uns Erfolg zu unſerm Abenteuer 
zu wünschen. 

Als wir alle kaum im Lager verfanmelt waren und die abend- 
liche Dunkelheit bereits raſch zunahm, erſchien plößlich ein von Ugarrowiva 
gefandtes Kande mit drei gefangenen und gebundenen Sanfibariten, 
die, wie ich auf meine Frage nach dem Grunde diefer Mafregel zu 
meiner Ueberraſchung erfuhr, deiertirt und kurz nach der Rückkehr 
Ugarrowwa's nad) jeiner Station von ihm gefunden worden waren. 

Sie waren mit ihren Gewehren davongelaufen und hatten es, wie 
die Patronentaſchen zeigten, unterrvegs möglich gemacht, Patronen zu 
stehlen. Zum Dank jchenfte id) Ugarrowwa einen Revolver mit 


19. Sept.1887.] Von der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga=-Longa’s. 199 


200 Patronen. Die Gefangenen wurden für Die Nacht ficher unter: 
gebracht, und che ich mich zur Ruhe begab, ging ich forgfältig mit 
mir zu Rathe darüber, was am beften mit den Leuten zu machen fei. 
Ergriffen wir nicht die ftrengiten Maßregeln gegen ſolche Miſſethäter, 
jo würden wir binnen furzer Zeit gezwungen jein, den Rückweg an- 
zutreten, und alle Menfchenopfer und alle die fürchterlichen Kämpfe 
des Marjches wären umſonſt gewejen. 

Am nächſten Morgen ließ ich alle Mann zur Mufterung antreten 
und hielt ihnen in pajlenden Worten eine Rede, der fie jämmtlich 
zuitimmten. Sie waren einverjtanden, als ich bemerfte, daß wir 
uns aufs äußerte bemüht hätten, unſere Pflicht zu thun; alle 
hätten viel ertragen, fie aber hätten ſämmtlich bei dieſer Gelegen- 
heit bewiejen, daß fie Sklaven jeien und feine Spur von morali- 
ſchem Gefühl bejäßen, Sie gaben bereitwillig zu, daß wir, wenn Die 
Eingeborenen den Verſuch machten, unjere Gewehre, „welche unjere 
Seelen ſeien“, zu ftehlen, berechtigt jein würden, fie niederzu- 
ſchießen, und daß Leute, welche für ihre Arbeit bezahlt, beſchützt und 
freundlich behandelt werden, ebenfalls erichoffen werden fünnten, wenn 
fie verjuchten, uns in der Nacht den Hals abzufchneiden. 

„Run denn‘, jagte ich, „was thun dieje anders, wenn fie unfere 
Waffen nehmen und mit unjern Vertheidigungsmitteln davonlaufen. 
Ihr behauptet, ihr wirdet Eingeborene niederjchießen, welche euch im 
Wege find und euch hindern, vorzudringen oder den Rückweg anzu— 
treten. Was thun diefe Leute aber? Könnt ihr denn vorwärts oder 
rüchwärts marjchiren, wenn ihr feine Waffen oder Munition mehr habt? 

„Nein, ſtimmten fie mir zu. 

„Nun gut denn, ihr habt fie zum Tode verurtheilt. Einer ſoll 
heute, der andere morgen, der dritte am nächſten Tage fterben, und 
von heute ab wird jeder Dieb und Dejerteur, der jeinen Poſten ver: 
läßt und das Leben feiner Kameraden gefährdet, mit dem Tode be- 
ftraft werden.” 

Die Verurtheilten wurden dann gefragt, wer fie feien. Der eine 
erwiderte, er jei der Sklave des Fardjalla ben Ali, eines Anführers von 
der erjten Compagnie; der zweite war der Sklave eines Banianen in 
Sanfibar, und der dritte der Sflave eines in Unjanjembe arbeitenden 
Handwerkers. 

Hierauf wurde geloſt; wer den kürzeſten von drei Papierſtreifen 
zog, ſollte zuerſt ſterbben. Das Los fiel auf den Sklaven Fardjalla's, 
der jetzt ebenfalls anweſend war. Dann wurde ein Tau über einen 


200 Neuntes Kapitel. Ugarrowwa's Station 


jtarten Baumaft geworfen, und auf Befehl ergriffen 4O Mann das 
eine Ende des Taues, während die Schlinge dem Gefangenen um den 
Hals gelegt wurde. 

„Halt du noc etwas zu jagen, che ich den Befehl zu deinem 
Tode gebe?‘ 

Er antwortete durch ein Kopfichütteln. Dann erjcholl das Signal, 
der Mann wurde in die Höhe gezogen, und ehe noch jein letztes Zucken 
aufgehört hatte, war die Erpedition bereits aus dem Lager marjchirt, 
während die Nachhut und die Flußcolonne zurücdblieben. Darauf 
wurde das Tau durch ein Stück Rotang erjegt und der Leichnam am 
Baum befeftigt; eine VBiertelftunde jpäter war das Lager verlaffen. 

An diefem Tage machten wir gute Fortichritte, da dem Fluß 
entlang ein Pfad hinlief, welcher der Karavane jehr zu ftatten kam. 
Während des Marjches juchten wir nach Nahrungsmitteln, fanden aber 
nur 10 Büfchel jehr Heiner Bananen. Etwa eine Stunde von der 
Mündung des Lenda in den Ituri jchlugen wir das Lager auf. 

Am andern Ufer fahen wir wieder einen Elefanten mit pradht: 
vollen Zähnen im Fluſſe baden, worauf Kapitän Nelion, der eine ähn— 
liche Doppelbüchie wie die meinige bejaß, ich und der Näger Saat Tato 
hinüberfuhren und uns bis auf etwa 5 m Entfernung von dem Thiere 
treiben ließen. Wir gaben gleichzeitig drei Schüffe auf den Elefanten 
ab und jagten ihm in der nächiten Secunde noch zwei weitere Kugeln 
in den Leib; allein troß des vielen Bleis in den wichtigsten Theifen 
jeines Körpers gelang es dem -Thiere zu enttommen. Bon dieſem 
Augenblide an Hatten wir jegliches Zutrauen zu diefen Büchſen ver: 
loren. Während der ganzen Expedition haben wir mit diefen Expreß— 
büchien nicht ein einziges Stück Wild erlegt. Kapitän Nelfon ver- 
faufte jeine Waffe furz darauf bei Kilonga-Longa für ein Fleines 
Quantum Lebensmittel, und ich trennte mich von der meinigen, als id) 
fie beinahe zwei Jahre jpäter Antari, dem König von Anfori, zum Ge- 
ſchenk machte. Dagegen habe ich mit der Reilly-Büchfe Nr. 8 oder 10 
ftets Erfolg gehabt, was ich denen, die fich dafür intereffiren, mit- 
theile, damit fie fich meine Erfahrungen zu Nute machen können. 

Als am nächſten Morgen der Tag anbrach und das graue Licht 
dejjelben durch die über dem Lager hängenden Baumäfte drang, lieh 
ich durch einen Jungen den Oberanführer Rafchid holen. 

„Nun, Raſchid, alter Burſche, wir werden gleich den zweiten 
Mann hinzurichten haben. Es wird bald Zeit, die Vorbereitungen 
dazu zu treffen. Was meinst du?‘ 


21. Sept.1887.] Bon der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa’s. 201 


„Nun, was fünnen wir anders thun, als diejenigen zu tödten, Die 
uns zu tödten verjuchen. Wenn wir den Leuten eine am Boden mit 
zugeipisten Pfählen und vergifteten Holziplittern geſpickte Grube zeigen 
und ihnen jagen, fie jollen ſich davor hüten, dann kann man uns ge— 
wiß nicht die Schuld geben, wenn die Leute gegen unjere Warnungen 
taub find und hineinfpringen. Mögen fie ſich jelbjt die Schuld bei- 
meſſen.“ 

„Aber es iſt trotzdem ſehr hart. Raſchid ben Omar, dieſer Wald 
macht das Herz des Menſchen zu Blei und der Hunger bringt den 
Kopf um ſeinen Verſtand; man denkt an nichts, als an die leeren 
Eingeweide und den fuurrenden Magen, Ich habe gehört, daß Mütter, 
vom Hunger getrieben, jchon manchmal ihre Kinder gegelien haben. 
Wie jollen wir uns da wundern, daß der Diener jeinem Herrn davon- 
läuft, wenn diefer ihn nicht zu ernähren vermag?‘ 

„Das iſt Wahrheit jo Far wie der Sonnenjchein. Aber wenn 
wir fterben müſſen, dann laßt uns alle zuſammen jterben. Es gibt 
viele gute Männer bier, die ihr Blut für Euch hergeben, wenn Ihr 
es verlangt. Da find andere — Sklaven von Sklaven — weldye nichts 
willen und fich um nichts befümmern; fie würden mit dem, was wir 
ſelbſt zur Sicherheit unſers Lebens brauchen, die Flucht ergreifen, laß 
fie umfommen und vermodern. Sie wiſſen ſämmtlich, daß Ahr, ein 
Ehrift, alles dies nur unternehmt, um die Söhne des Islam zu retten, 
die fern von hier in der Nähe eines großen Sees in Schwierigkeiten 
find; fie befennen fid) zum Islam und dennoch wollten fie den Ehriften 
im Buſch verlaſſen. Laht fie jterben!‘ J 

„Aber angenommen, Najchid, wir fünnten diejes Fortlaufen und 
das und jonft drohende Verderben auf irgendeine andere Weiſe ver- 
hindern, die nicht ganz fo ftrenge it als fie aufzuhängen, bis fie 
todt find; was meinſt du dazu?“ 

„sc möchte jagen, dat alle Meittel qut find, das beite aber das 
ift, welches fie am Leben läßt, damit fie bereuen.‘ 

„Gut denn, wenn ich Kaffee getrunfen habe, ſoll das Signal zur 
Mufterung gegeben werden. Bereite inzwijchen ein langes Tau aus 
Rotang vor und wirf es über jenen ſtarken Aft. Mache auch eine gute 
Schlinge in ein Stüd von diefer neuen Lothleine. Halte den Ge- 
fangenen bereit, laß ihn von den Poſten bewachen, und wenn du das 
Trompetenjfignal hörjt, dann flüftere den übrigen Anführern folgende 
Worte ind Ohr: «Kommt zu mir und bittet um Pardon für ihn; 
ich will ihn begnadigen.» Sch werde dich anbliden und fragen, ob du 


20: 


to 


Neuntes Kapitel, [Ugarromwa’s Station 


etwas zu jagen Haft. Das wird dir das Zeichen fein. Wie gefällt 
dir das?‘ 

„Möge gejchehen, wie Ihr jagt. Die Leute werden Euch Ant- 
wort geben.‘ 

Nach einer halben Stunde ertönte das Signal zur Mufterung, 
und die Compagnien bildeten ein Garre um den Gefangenen. An 
dem Aſte hing das lange Rohrtau mit der todbringenden Schlinge an 
dem einen Ende und jchleifte auf dem Boden wie eine ungeheuere 
Schlange. Nachdem ich eine furze Anfprache gehalten hatte, trat ein 
Mann vor und legte dem Berurtheilten die Schlinge um den Hals; eine 
Compagnie ftand bereit, um den Berurtheilten in die Höhe zu ziehen. 

„Nun, Mann, haft du noch etwas zu jagen, ehe du deinem gejtern 
geftorbenen Bruder folgjt?‘ 

Der Mann blieb ftumm und jchien meine Worte faum zu ver: 
jtehen. Ich wandte mich darauf zu dem Oberanführer. „Habt ihr 
etwas zu jagen, ehe ich das Commando gebe?’ 

Raſchid gab den übrigen Anführern ein Zeichen, worauf diejelben 
Jämmtlich hervorftürzten, jich mir zu Füßen warfen, um Berzeihung 
flehten, mit jtrengen Worten die Diebe und Mörder fchalten, und 
Dabei aufs heiligjte verficherten, daß fie fich im ihrem Verhalten in 
Zukunft befjern würden, wenn ich diesmal noch Gnade walten ließe. 

Es lohnte fich der Mühe, die Züge der Sanfibariten während 
dieſer Scene zu beobachten, wie ihre Bupillen jich erweiterten, die 
Lippen jich zufammenpreßten, die Wangen blaß wurden, als mit der 
Geſchwindigkeit des elektrischen Funfens die gleiche Bewegung alle 
erfaßte, 

„Genug, SKinder! Nehmt den Mann, fein Leben gehört euch. 
Aber hütet euch! Für den, der uns ein Gewehr jtiehlt, gibt es in 
Zukunft nur ein Gejeb, und das ift der Tod durch den Strang.‘ 

Dann trat ein jo allgemeiner Gefühlsausbrucd) ein, daß ic) ftarr 
war — manchen liefen wirkliche große Thränen an den Wangen herab, 
die Augen hatten fich erweitert und zeigten die leidenfchaftliche Er- 
regung; fie warfen Mützen und Qurbane in die Luft, hielten die 
Gewehre Hoch, hoben den rechten Arm in die Höhe und riefen: „Nies 
mand wird Die «weiße Mützes verlaſſen, bis fie beerdigt ift! Tod 
dem, der Bula Matari verläßt! Zeige uns den Weg nad) dem Njanja! 
‚Führe uns, wir werden jeßt folgen.“ 

Noch nirgends habe ich einen folchen ergreifenden Gefühlsausbruch 
gejehen, ausgenommen vielleicht in Spanien, als die Republikaner ihren 


22. Sept.1887.]) Von der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa's. 203 


Gefühlen in ftürmifcher Weije Luft machten, nachdem fie längere Zeit 
großiprecheriichen Ermahnungen, fejt zum neuen Glauben an Freiheit, 
Steichheit und Brüderlichkeit zu Halten, zugehört hatten. 

Auch der Gefangene weinte. Nachdem die Schlinge entfernt war, 
firtete er nieder und jchwor, zu meinen Füßen fterben zu wollen. Ich 
ichüttelte ihm die Hand und jagte: „Es tft Gottes Werk, danfe Ihm 
dafür!‘ 

Wiederum erflangen die Trompeten, und alle riefen mit lauter 
Stimme: „Mit Gottes Hülfe! Mit Gottes Hülfe!“ Die für den 
Tag zum Tragen commandirten Truppen eilten an ihre Poſten, em: 
pfingen ihre jchwere Laften und marjchirten voll Freude ab, als ob 
08 zu einem Feſte ginge. Sogar die Offiziere lächelten ihnen Beifall. 
Noc niemals hat es im Kongowalde eine jo große Zahl Froher Herzen 
gegeben wie an dieſem Tage. 

Nach einer Stunde hatten die Landeolonne und die Flußabtheilung 
etwa zur gleichen Zeit den Lenda erreicht, einen amjcheinend tiefen 
Fluß von ungefähr 90 m Breite. An der Weftjeite jeiner Mündung 
lag ein kleines Dorf, doch waren die Bananenbäume längjt ihrer 
‚srüchte beraubt. Nachdem wir bald darauf die Karavane über den 
Fluß gejegt Hatten, befamen die Leute die Erlaubnig, das Land zu 
durchitreifen und Lebensmittel zu ſuchen, einige am nördlichen, Die 
übrigen am jüdlichen Ufer, doch fehrten fie vor Eintritt der Dunkelheit 
jämmtlich zurück, ohne auch nur einen Biſſen Eßbares gefunden zu 
haben. 

Als wir am 22. in gewöhnlicher Weiſe den Weg zu Wafler und 
zu Lande fortiegten, Dachte ich daran, daß ich erit am 18. 56 Inva— 
(iden in dem Lager eines Arabers zurüdgelaffen und doch bei der 
Mufterung am Morgen dieſes Tages bemerkt Hatte, daß wieder 
50 Mann infolge Schwäche volljtändig untanglich waren. Selbit 
die ftärkiten und klügſten Männer jchwanden unter der anhaltend 
jämmerlichen Nahrung dahin. Durch die von den Elfenbeinjägern 
entoölferten Wüſten weiter vorzudringen, jchien einfach unmöglich zu 
jein, doch hatten wir bei der Ankunft in Ument das Glüd, genügend 
Kationen fir einen ganzen Tag zu finden, jodaß wir aufs neue Hoff: 
nung jchöpften. 

Am nächſten Tage defertirte ein gewiſſer Abdallah, der Budelige, 
Auf dem Fluſſe Hatten wir Schwierigfeiten mit mehrern Stromjchnellen 
und mußten bei verichiedenen Streden unruhigen Wafjers die Ladung 
löſchen, die Kanoes fchleppen, bis wir ſchließlich einen Wajlerfall 


204 Neuntes Kapitel. Ituri 


von etwa 12m Höhe mit Stromſchnellen ober- und unterhalb der— 
jelben in Sicht befamen. 

Man hätte glauben jollen, daß der Ituri inzwiichen zu einem 
unbedeutenden Strome geworden fein müßte; als wir aber Die 
ungeheuern Wafjermajjen jahen, welche fich über dieſen großen 
Fall jtürzten, mußten wir zugeben, daß er noch ein jehr mächtiger 
Fluß war. 

Den 24. September verbrachten wir mit Fourragiren und dem 
Hauen eines Weges durch den Wald bis oberhalb der Schnelle und 
mit Auseinandernehmen des Bootes für den Transport. Den Pio- 
nieren war es gelungen, eine ziemlid) große Menge Bananen zu finden; 
die übrigen Gompagnien Hatten allerdings nichts. Die hindernden 
Felſen in dieſem Wafferfalle beitanden aus röthlichem, jchieferigem 
Geſtein. 

Am nächſten Tage hatten wir den dritten Katarakt hinter uns 
und machten bei einem alten arabiichen Yager halt. Im Laufe diejes 
Tages hatten wir feinerlei Lebensmittelvorräthe erhalten können. 

Am nächiten Tag erreichten wir eine weitere Reihe von Strom: 
jchnellen, und nachdem wir infolge mehrfachen Auf- und Abladens der 
Fahrzeuge und der Erjchöpfung und Sorge bei der Hinauffahrt durd) 
dieje gefährlichen Hindernifje eine fürchterliche Tagesarbeit gehabt hatten, 
trafen wir in einem Lager gegenüber von Avatifo ein. 

Wie nüblic) das Boot umd die Kanoes uns waren, geht aus der 
Thatjache hervor, daß wir drei Hin- und Herfahrten machen mußten, 
um 227 Laſten zu befördern, und jelbjt auf dieſe Weiſe hielt die Ar— 
beit ſämmtliche Gefunden bis zum Abend befchäftigt. Die Leute waren 
durch das Hungern jo geichwächt, daß der dritte Theil von ihnen nur 
noch kriechen konnte. Ich ſelbſt hatte an dieſem Tage von früh bis 
abends nichts weiter zu eſſen als zwei Bananen, während einige un— 
jerer Sanfibariten in den legten beiden Tagen überhaupt nichts mehr 
zu leben gefunden hatten, was die Kraft jelbjt der beften Leute verzehrt. 
Eine Fourragirabtheilung der erſten Compagnie, welche über den 
Fluß nach der Niederlaffung Avatiko gefeßt war, fand eine fleine 
Menge junger Früchte; dabei ward eine ‚Frau gefangen genommen, 
welche behauptete, sie wilfe Bananen jo did wie ihr Arm und könne 
uns binführen. 

Der 27. September war ein Naittag. Ach ſandte Lieutenant 
Stairs aus, um den Fluß vor uns zu erforichen, während 180 Dann 
unter Führung der gefangenen Frau über den Fluß gingen, um Lebens: 


30.Sept.1887.]) Bon der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa's. 205 


mittel zu juchen, Erſterer meldete bei der Rückkehr, daß er fein Dorf 
gejehen, Dagegen ein jehr aufregendes Abenteuer mit Elefanten erlebt 
habe, denen er mit großer Mühe entgangen jei. Die Sanjibariten 
fehrten mit jo viel Bananen zurüd, daß an jeden Mann 60 — 
80 Stück vertheilt werden fonnten. Hätten die Leute unjern Rath, 
ſparſam zu fein, befolgt, wir wiirden weniger Leiden zu melden ges 
habt haben, allein ihr Appetit war nicht zu bändigen. Die hier ‚gleich- 
mäßig vertheilte Menge wäre für ſechs bis acht Tage genügend 
gewejen, doch blieben mehrere die ganze Nacht auf, um immerfort zu 
effen, in der Erwartung, daß Gott auf dringendes Flehen ihnen auch 
noch; mehr geben würde. 

Am 30. September trafen beide Abtheilungen der Eolonne ungefähr 
zur Frühftücdszeit zufammen. Die Offiziere und ich hatten an dieſem 
Tage ein Feitmahl, da Stairs eine lebende Antilope in einer Grube 
gefunden und ich in der Reuſe eines Fiihers an der Mündung 
eines fleinen Baches eine Portion friſcher Fiſche entdedt hatte. Nach— 
mittags lagerten wir an einer Stelle des Ufers, wo früher der Lan— 
dungsplaß einer ‘Fähre gewejen war. Bald nachdem wir Raſt ge— 
macht Hatten, wurden wir durch drei Schüffe erjchredt; Diejelben 
fündigten uns die Anmwejenheit von Manjema an, und im nächiten 
Augenblick jchritten etwa ein Dutzend hübjcher Männer ing Lager. 
Sie gehörten zum Gefolge KilongasZonga’s, des Rivalen Ugarrowwa's 
in der Verwültungsthätigfeit, welcher die beiden Häuptlinge fich ge: 
widmet hatten. 

Die Manjema theilten uns mit, Kilonga-Longa's Niederlafjung 
jei nur fünf Tagemärjche entfernt; da das Land unbewohnt jei, werde 
e3 jedoch nothwendig fein, uns mit Bananen zu verjehen, welche wir 
jenjeit des Fluſſes erhalten könnten. Zwiſchen ung umd dem Gras— 
land liege noch ein Monatsmarſch. Site riethen uns, zwei Tage hier 
zu bleiben, um erſt Lebensmittel herbeizuichaffen, womit wir jehr 
gern einverjtanden waren, da es dringend nothwendig war, Nahrungs- 
mittel irgendwelcher Art zu finden. 

Während des erjten Nafttages war die Suche nach Lebensmitteln 
erfolglos; wir jchieten deshalb beim erjten Morgengrauen des nächiten 
Tages eine ſtarke Abtheilung unter dem Befehl von Lieutenant 
Staird? und Dr. Parke nad) dem nördlichen Ufer, Nachmittags 
fehrten die FFourragirer mit jo viel Bananen zurüd, daß wir jedem 
Manne 30 Stück zutheilen fonnten. Einige der unternehmendften Leute 
hatten fich nod) einen größern Antheil gefichert, da fie ſich infolge der 


206 Neuntes Kapitel. [Bturi 


bittern Noth über jeglichen Scrupel hinweggeſetzt und es möglich zu 
machen gewußt hatten, aud) noch einen feinen Nejervevorrath auf die 
Seite zu bringen. 

Am 3. October erreichten wir bald nach dem Verlajjen des La— 
gers eine jeeartige Erweiterung des Fluffes, welche von einer 75—180 m 
über das Wafjer ſich erhebenden Hügelveihe umgeben war. Bei der 
Ankunft am obern Ende dieſer Strede fanden wir, daß der Fluß 
hier jehr viele Krümmungen aufwies, jchluchtartig eingeengt war und 
einen fehr ungejtümen Lauf hatte. Infolge der den Fluß einfaſſenden 
hohen Higelfetten erinnerte die Landichaft an einen Kongo-Cañon im 
Kleinen. Das Vorgefühl jagte uns, daß wir hier auf größere Schwierig: 
feiten ftoßen wirden als je zuvor. Wir drangen zwar noch 5 km 
vor, dann wurden die Schwierigkeiten für die Weiterfahrt aber derartig, 
daß wir das Lager unſerer Karavane nicht zu erreichen vermochten. 

Am 4. October jeßten wir die Fahrt noch etwa 2", km fort 
und brachten die Erpedition dann nach dem nördlichen Ufer, da wir 
von den Manjema gehört hatten, daß ihre Niederlafjung bei Ipoto 
an der andern Seite des Fluffes liege. Die Manjema waren ver: 
ſchwunden und drei von unſern Dejerteuren hatten fie begleitet. Zwei 
von unjern Leuten waren an Dysenterie geitorben, Mit genauer Noth 
entgingen wir noch einigen ernftlichen Unfällen ;, zweimal lief ein Kanoe 
voll Waller, das Stahlboot ging beinahe verloren, und durch das 
jchwere Aufitoßen deijelben wurde der Gang unjerer Chronometer, der 
bis dahin regelmäßig gewejen war, geftört. ch würde den Fluß an 
dieſem Tage verlallen haben, allein die Schredliche, einfame, unbewohnte 
Wildniß und die Schwäche und Erjichöpfung der Leute verboten dies, 
Wir Hofften immer wieder, einen Platz zu erreichen, wo wir Lebens— 
mittel erhalten und raten fünnten, obwol dies umwahrjcheinlich war, 
außer in der Niederlaflung Kilonga-Longa’s. 

Nachdem wir uns durch fürchterlich wildes Waller gearbeitet 
hatten, trafen wir am nächiten Morgen um 10 Uhr vormittags an 
einer jcharf von Djt nach Nordojt gefrümmten Curve ein, welche in 
ihren Umriſſen in verfleinertem Maßſtabe Aehnlichkeit mit Niona Mamba 
am untern Kongo hatte. Als ich ans Land trat und wenige Schritte 
längs der Biegung gemacht ‚hatte, ftand ich auf einem Tavaähnlichen 
Felſen und erkannte auf den eriten Blick, daß hier das Ende der 
Kanveichiffahrt je. Die Hügel erhoben fich zu größerer Höhe, big 
zu vollen 185 m an, der Fluß verengerte fich bis auf etwa 24 m, und 
ungefähr 90 m oberhalb meines Standpumktes famen die wilden, rajenden 


6. Dct. 1887. Bon der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa’s. 207 


Gewäſſer des Ihuru aus einer Schlucht hervor, während der Jturi über 
eine Reihe von hohen Katarakten herabjtürzte und beide Flüſſe ſich an 
der Stelle, wo ich jtand, vereinigten, um mit verjtärkter Gewalt und 
Schnelligkeit weiter zu jtürzen und mit brüflendem Getöje zwischen den 
hohen Ufern und düftern Waldmauern abwärts zu jagen. 

Ich Ichiete daher unter der Führung von Stairs Boten über den 
Fluß, um die Karavane zurüdzurufen, und jchiffte nad) ihrer Rückkehr 
die Leute wieder nad) dem jüdlichen Ufer hinüber. 

Am Morgen des 6. October betrug unfere Stärke, alle Weißen 
und Schwarzen eingejchlofien, 271 Mann, Seitdem waren zwei au 
Dysenterie, einer an Schwäche geftorben, vier waren dejertirt und einer 
war gehängt worden. Wir hatten daher nod) 263 Mann. Hiervon waren 
52 zu Sfeletten abgemagert, weil fie, mit Gejchwüren behaftet, anfäng- 
li nicht im Stande geiwejen waren zu fourragiren; was ihnen an 
Nationen zugetheilt war, hatte nicht genügt, um fie bei ihrem Mangel an 
Sparjamfeit während der Tage vollftändigen Mangels zu erhalten. In— 
folge dieſer Verluſte hatte ich noch 211 marichfähige Leute; da unter 
dieſen fich 40 Nicytträger befanden und ich 227 Laſten beſaß, jo hatte 
ich aljo, gerade wenn ich Träger nothwendig brauchte, viel mehr Lajten, 
als ich befördern konnte. Kapitän Nelfon hatte während der letzten 
14 Tage an etiva einem Dubend Heiner Geſchwüre gelitten, die allmählich 
an Bösartigfeit zunahmen, und er und 52 Mann waren aljo an dieſem 
Tage, an welchen die wilde Strömung des Fluſſes der weitern Be— 
nugung dejjelben ein Ende machte, vollitändig untauglich und unfähig 
zum Marſch gewejen. 

Es war ein ſchwieriges Problem, dem wir hier gegenüberjtanden. 
Kapitän Nelfon war unjer Kamerad und wir waren deshalb ver- 
pflichtet, unfere äußerte Kraft anzuwenden, um ihn zu retten. Cbenjo 
hatten wir den 52 Schwarzen gegenüber die heiligjten Verpffichtungen 
und waren, jo düſter die Ausfichten um uns her auch jein mochten, 
doch noch nicht jo weit herabgefommen, daf wir nicht die lebhafte Hoff- 
nung hegten, fie retten zu fünnen. Da die Manjema uns gejagt hatten, 
ihre Niederlaffung jei mur fünf Tage weit entfernt, und wir bereits 
zwei Tagemärſche gemacht hatten, jo war die Station oder das Dorf 
alfo muthmaßlich nur noch drei Tagemärjche vor uns. Kapitän Nelfon 
meinte, daß, wenn wir intelligente Boten voransichieten, Diejelben tm 
Stande jein würden, die Niederlaffung Kilonga-Longa’s lange vor der 
Colonne zu erreichen; und da ich wider dieſen Vorſchlag nichts ein- 
zuwenden hatte und die Anführer jelbftverftändlich die tüchtigſten und 


208 Neuntes Kapitel. (Waldland 


intelligentejten Leute waren, jchicfte ich den Oberanführer und fünf 
andere jchleunigft ab und befahl ihnen, dem füdlichen Flußufer ent— 
lang zu marjchiren, bis fie einen Landungsplatz entdedten, wo fie 
Mittel finden müßten, um über den Ituri zu jehen; dann jollten fie 
die Niederlaffung auffuchen und fofort neuen Vorrath an Lebens: 
mitteln bejorgen. 

Bor dem Aufbruche verlangten Offiziere und Mannjchaften von 
mir zu willen, ob ich die Gejchichte glaubte, daß Araber vor ung feien. 
Ich erwiderte, ich fei volljtändig von der Wahrheit überzeugt, doc 
hätten die Manjema vielleicht uns zu Liebe, oder um uns zu ermutthigen 
und unſere Sorgen zu zerftreuen, die Entfernung zu gering angegeben. 

Nachdem wir den unglücklichen Krüppeln mitgeteilt hatten, wir 
beabfichtigten, um nicht ſämmtlich umzukommen, vorzudringen, bis wir 
Lebensmittel fänden, und dann jo raſch wie möglich Hülfe zu jenden, 
übergab ich die 52 Dann, 81 Laften und 10 Kanoes dem Befehle 
Kapitän Neljon’s, bat fie, guten Muthes zu jein, jchulterte mit den 
andern Mannschaften das Boot und die Laften und marjchirte ab. 

Man hätte feinen düfterern Ort für ein Lager auswählen fünnen 
als dieje jandige Terrafje. Rundherum von Felſen umfchlojien, war 
fie von den dunfeln, vom Flußrande bis zur Höhe von etwa 185 m 
auffteigenden Waldungen eingeengt und von dem unaufhörlichen 
Toſen umgeben, welches der kochende, wirbelnde Strom und Die 
beiden ſich gegenfeitig an Getöje überbietenden Wajjerfälle verurjachten. 
Die Phantafie jchaudert bei dem Gedanken an die hHülflofe Lage 
der Berfrüppelten, die verdammt waren, unthätig zu jein, jeden 
Augenblid das jchredliche Getöje der erzürnten, in unverjöhnlicher 
Wuth dahinjtürmenden Gewäſſer und den eintönigen, anhaltenden 
Donner der fallenden Waſſermaſſen zu hören, die fpringenden, vollenden 
und im ewigen Kampfe um die Herrichaft fich überjchlagenden Wellen 
zu beobachten, wie fie von der unaufhörlichen Kraft der dahinſchießenden 
Strömmg in weit auseinandergerifjene weiße Schaumfegen zerpeiticht 
wurden, und auf die Dunkeln, unbarmberzigen Wälder hinabzubliden, 
welche fich flußaufwärt3 und rundherum ausdehnen und bejtändig in 
ihrem langweiligen Grün daftehen und über vergangene Zeiten, Jahr: 
hunderte und Generationen trauern. Man denke ſich dann die Nacht 
mit ihrer greifbaren Dunkelheit, den tiefichwarzen Schatten der be- 
waldeten Hügel, dem ewigen wiüthenden Getöfe, dem unaufhörlichen 
Aufruhr der Katarakte, den unbeitimmten Geftalten, welche der Nervo- 
fität und Furcht entipringen, dem Elend, welches die Einſamkeit umd die 


7. Oct. 1887.) Ton der Stat. Ugarrowwa’s bis zur Stat. Kilonga-Longa’s. 209 


heranschleichende Beſorgniß vor dem Berlaffenwerden hervorruft, und 
man wird ſich die wahre Lage diefer armen Leute vergegemwärtigen 
können. 

Und wir, die wir uns an den waldigen Abhängen hinauf— 
arbeiten, um den Kamm des waldbedeckten Hochlandes zu erreichen, um 
weiter und weiter — wohin wiſſen wir nicht, wie lange wagen wir 
nicht auszudenken — zu dringen und nach Lebensmitteln zu ſuchen, 
belaſtet von der doppelten Veranwwortlichkeit für die mit uns mar— 
ſchirenden ſo treuen, braven Burſchen ſowie für diejenigen nicht weniger 
wackern und vertrauenden Leute, welche wir auf dem Grunde * 
ſchrecklichen Schlucht zurückgelaſſen haben! 

Als ich die armen Burſchen betrachtete, wie fie ſich ermattet 
weiter jchleppten, ſchien es mir nur einiger Stunden zu bedürfen, um 
unſer Schickſal zu befiegeln. Noch einen, vielleicht zwei Tage, dann 
wiirde das Leben entichwinden. Wie fie mit den Augen das wilde Dieficht 
nad) den rothen Beeren des Phrynium, den hochrothen, Länglichen 
fäuerlichen Früchten des Aınomum durchiuchten! Wie fie fich auf die faden 
Bohnen des Waldes ftürzten und nad) feinen Schägen von Schwämmen 
jtierten! Kurz, im dieſer jchweren Noth, in welcher wir uns befanden, 
wurde nichts zurückgewieſen, außer Blättern und Holz. Wir palfirten 
mehrere verlaifene Lichtungen; einige ſchnitten Stüde von den Bana— 
nenjtengeln ab, juchten dann wilde Kräuter, um Zuppe zu kochen. 
Feneſſi oder wilde Brot- und ſonſtige größere Früchte waren, während 
wir weiter wanften, werthvolle, wichtige Dinge für uns. 

Rückkehr gibt's feine, nod) 
Yusharren an dem Ort; den Plag verlaflen 
War nur ein Ungfüd mit dem andern taujchen, 


Und jeder Tag, der fam, fam zu vernichten 
Ein Tagewerf in uns, 


Am 7. October traten wir um 6", Uhr morgens im Xeichen= 
trägerjchritt den Marſch durch die pfadlofe Region auf dem Kamme 
des Waldhochlandes an. Wir. juchten im Weitergehen Schwämme und 
wilde Matongasszrüchte und machten nad) fieben Stunden für den 
Abend halt. Wie gewöhnlich hatten wir um 11 Uhr vormittags Raft 
gehalten, um zu frühftüden. Die Offiziere waren mit ihren Bananen: 
rationen jo ſparſam wie möglich geweſen; zwei Stüd war das Höchſte, 
was ich für mich ſelbſt erübrigen fonnte. Meine Gefährten waren 
in Bezug auf ihre Nahrung ebenjo außerordentlich ſtreng und genau; 
eine Taſſe Thee ohne Zucer bildete den Schluß der Mahlzeit. Wir 


Stanlen, Im dunfeliten Afrifa. I, 14 


210 Neuntes Kapitel. (Waldland 


unterhielten uns über unjere Ausfichten, beſprachen die Wahrjcheinlich- 
feit, ob unjere Boten an dieſem oder dem nächjten Tage eine Nieder- 
laffung erreichen und wie viel Zeit fie zur Rückkehr gebrauchen würden, 
und die Offiziere wollten von mir wijjen, ob ich bei meinen frühern 
Erfahrungen in Afrifa ähnliche Leiden durchgemacht hätte. 

‚Nein, nicht ganz jo jchlimm wie hier‘, enwiderte ih. „Wir 
haben gelitten, aber nicht in jo hohem Maße. Jene neun Tage 
auf dem Wege nah Ituru Hinein waren jammervoll. Auf der 
Flucht von Bumbire haben wir ficherlich viel Hunger gelitten, und als 





Randy faht das Perlhubn. 


wir den Kongo hinabfuhren zur Erforichung feines Yaufes, war unſere 
Lage bedauernsiwerth; aber wir hatten wenigjtens etwas und zum wenigften 
große Hoffnung. Die Zeit der Wunder joll vorüber fein, aber weshalb 
denn? Moſes entlodte am Horeb dem Felien Waller für die dürſten— 
den Israeliten. Wafjer haben wir genug und im Ueberfluß. Elias 
wurde am Bache Eheritl von den Raben gefüttert, doch gibt es in 
diefem ganzen Walde feinen Naben. Chriftus wurde von den Engeln 
geſtärkt; ich möchte wifjen, ob auch ung jemand jtärfen wird,‘ 

In demjelben Augenblick erjcholl ein Geräufch, als ob ein großer 
Bogel durch die Lüfte jchwirre, Mein Heiner Dachshund Little Randy 
hob den Fuß und blicte neugierig um fich; wir wandten uns um, 


9.Oct. 1887.]) Bon der Stat. Ugarrowmwa’s bis zur Stat. Kilonga-Longa’s, 211 


um nachzuſehen, und im ſelben Augenblick fiel der Vogel in den Rachen 
Randy's, der nach der Beute geſchnappt hatte und fie wie in einer 
eifernen Falle fejthielt. 

„Da, Leute‘, jagte ich, „Die Götter find uns wahrhaftig gnädig. 
Die Zeit der Wunder ift noch nicht vorüber.“ Meine Gefährten blickten 
mit frohem Erjtaunen auf den Vogel, ein jchönes feiftes Perlhuhn, 
und es dauerte nicht lange, bis daſſelbe getheilt war, wobei auch Randy, 
der es gefangen hatte, jeine Ration abbefam; das Feine Hündchen ſchien 
zu wiflen, daß es in unferer aller Achtung geitiegen war, und jeder 
von ung verzehrte feinen Antheil mit eigenen Gefühlen. 

Am nächſten Tage erjuchte ich Herrn Jephſon, die einzelnen Theile 
des Bootes zujammenzujegen, um den Trägern defielben die harte 
Arbeit abzunehmen. Zwei Stunden nah dem Abmarſch trafen wir 
gegenüber einer bewohnten Inſel ein. Die Kundſchafter in der Vor: 
hut nahmen ein Kanve fort und fuhren direct nach der Inſel hinüber, 
um wie der rajende Roland Fleiſch zu rauben. 

„Was wollt ihr Ungeftümen ?“ 

„Dir wollen ;Fleiich haben. Im Walde wanten 200 Mann und 
fallen vor Erichöpfung fajt um.‘ 

Die Eingeborenen hielten ſich nicht auf, um weitere Fragen zu 
ftellen, jondern verſchwanden freundlichit und überließen uns ihre Schäße 
an Lebensmitteln. Wir erhielten auf unfern Theil 1 kg Mais und 
Y, kg Bohnen. Insgefammt hatten wir ungefähr 12 kg Mais ent- 
deckt, Die unter die Leute vertheilt wurden. 

Nachmittags erhielt ich eine Note von Herrn Jephfon, der mit dem 
Boote zurücdgeblieben war, folgenden Inhalts: „Wenn ihr bei dem 
Dorfe Lebensmittel erhalten fünnt, jchickt uns um Gottes willen etwas.‘ 

Ih antivortete Jephſon, er jolle den verwundeten Elefanten, den 
ich angeichoffen und der auf einer ihm benachbarten Inſel Zuflucht 
gejucht hatte, aufjuchen. Auch ſchickte ih ihm auf feine dringende 
Bitte eine Feine Hand voll Mais mit. 

Am 9. October erboten fih 100 Mann freiwillig, über den Fluß 
zu ſetzen und das Innere am nördlichen Ufer zu unterfuchen, mit der 
feſten Abficht, nicht ohne Lebensmittel wiederzufommen. Ich fuhr mit 
der Bootsmannschaft flußaufwärts, während Stairs ftromabwärts ging, 
um einen jchmalen Pfad aufzufuchen und ins Innere zu verfolgen, in 
der Hoffnung, daß derjelbe nach einem Dorfe führen werde. Diejenigen, 
welche allzu entmuthigt waren, um weit zu gehen, wanderten am ſüd— 
lichen Ufer umber, um wilde Früchte und Waldbohnen zu ſammeln. 

14* 


212 Neuntes Kapitel. (Waldland 


Letztere waren ungefähr viermal jo groß wie gewöhnliche Gartenbohnen 
und ſaßen in einer braunen lederartigen Schote. Anfänglich hatten 
wir uns damit genügt, fie einfach abzujchälen und zu kochen, doch be= 
famen wir Magenbejchwerden davon. Dann jahen wir aber, wie ein 
auf der Infel gefangen genommenes altes Weib ein Gericht aus diefen 
Bohnen zubereitete, indem fie dieſelben abjchälte, die innere Haut 
reinigte und fie jchließlih wie Muskatnüſſe rieb. Aus diefer mehligen 
Subftanz ftellte fie Pafteten für ihren Erbeuter her, der in Elſtaſe 
ausrief, fie ſchmeckten gut, worauf jeder ſich rajch aufmachte, um die 
ziemlich reichlich vorfommenden Bohnen zu jammeln. Ich verjuchte 
ebenfall3 einen aus dieſem Mehl hergeftellten Eleinen Kuchen und fand, 
dab er den Magen genügend füllte und ungefähr ebenjo ſchmackhaft 
war wie ein Gericht Eicheln. Im der That erinnerte der Gefchmad 
mich ſtark an Eicheln. Bon Scwämmen gab es mehrere Arten, 
darunter echte vorzügliche Champignons, jowie auch andere von 
weniger harmlojer Natur; doch haben die Götter gewiß die menjch- 
fihen Jammergeftalten beichüßt, welche von jolchen Dingen leben 
mußten, Ferner wurden Raupen gejucht und an den Bäumen haftende 
Scneden, Käfer und weiße Ameifen gefammelt, um als Fleiſch ver- 
zehrt zu werden. Die Mabengu-Frucht (Nux vomica) nebſt Feneſſi 
oder einer Art wilder Brotfrüchte lieferte uns den Nachtiich. 

Am nächſten Tage famen einige Fourragiver vom andern Ufer 
des Fluſſes zurüd, brachten aber nichts mit, weil fie auf dem nörd- 
lichen Ufer diejelbe Leere gefunden hatten wie wir auf der Südſeite; 
aber „Inſchallah!“, jagten fie, „wir werden entweder morgen oder über- 
morgen Lebensmittel finden‘. 

Morgens hatte ich mein letztes Maisforn und das lebte, was 
von fejten Dingen erhältlich war, verzehrt und mußte daher mittags 
die fürchterlichen Schmerzen des Magens mit irgendetwas anderm 
ſtillen. Ich ließ deshalb einige Kartoffelblätter, welche ein Anführer 
Namens Wadi Chamis mir gebracht hatte, zerquetichen und fochen. 
Sie waren nicht ſchädlich, doch jchmerzte der Magen vor voll 
ftändiger Leere. Dann brachte ein Sanfibarite, von ehrlichem Stolz 
ftrahlend, mir etwa ein Dubend Früchte von der Größe eines Pfir- 
fihs, welche einen jehr angenehmen Fruchtgeruch bejaßen; er be= 
bauptete, fie jeien gut, und erklärte, daß die Leute fie äßen, er aber 
die Schönften für mich und die Offiziere ausgeiucht hätte. Er hatte 
auch eine jener aus dem Waldbohnenmehl hergeitellten Paſteten mit» 
gebracht, die ein gutes etwas fäjeartiges Ausiehen hatten, ſodaß ich 


11.Dct.1887.] Bon der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa's. 213 


dieje neuartige Mahlzeit mit vielem Dank entgegennahm und das an— 
genehme Gefühl des Gefülltjeins hatte. Nach einer Stunde befiel mich 
aber lebelfeit, jodaß ich gezwungen war, mein Bett aufzufuchen. Es 
war mir, als ob die Schläfen von einem eifernen Reifen zuſammen— 
gepreßt würden, die Augen blinzelten jeltfam, und ſelbſt mit einem 
Vergrößerungsglaje vermochte ich Heine Schrift nicht zu lefen. Mein 
deutjcher Diener hatte mit der Boreiligfeit der Jugend an dem, was 
ich ihm von der füßriechenden pfirfichartigen Frucht abgegeben hatte, 
wacker gefrühſtückt und litt infolge deſſen noch jchwerer. Hätte er 
ſich in einer Fleinen Nußichale von Boot auf dem wildbewegten Meere 
befunden, er hätte faum jchlotteriger und jämmerlicher ausjehen können 
al3 nad) dem Genuffe diefer Waldpfirfiche. 

Gerade bei Sonnenuntergang ftellten die Fourragiver der eriten 
Compagnie vom Nordufer nach einer Abwejenheit von 36 Stunden 
fich wieder ein umd brachten genügend Bananen mit, um die Euro— 
päer vor Verzweiflung und dem Verhungern zu bewahren, Dagegen 
erhielten die Leute nur je zwei Stüd von diejen Früchten, etwa 
125 g fefter Subitanz, um ihre Magen zu füllen, wozu es eigentlich 
4 kg bedurft hätte. 

Die Offiziere Stairs, Jephſon und Parke hatten ſich den ganzen 
Nachmittag damit beichäftigt, phantastische Tiſchkarten zu entwerfen; 
einige Hatten fich folgende Gerichte ausgewählt: 

Filet de bauf en Chartreuse. 
Petites bouchees aux huitres de Ostende. 
Becassines röties à la Londres. 

Ein anderer, mehr von angeljächfiicher Natur, 309 jolidere Koft 

vor, wie: 
Eier und Schinken, reichlich, 
Roaftbeef und Kartoffeln, unbejchränft, 
Ein großer Blumpudding. 

Zwar wurden noc zwei von unjern Fourragirern vermißt, doch 
fonnten wir nicht länger auf fie warten. Won dieſem Hungerlager 
marjchirten wir nach einem andern höher gelegenen in einer Entfernung 
von 18 km. 

Ein Mann von der dritten Compagnie ließ jeine Kite mit Muni- 
tion in einen tiefen Nebenfluß fallen und verlor fie; Kadjelt ftahl eine 
Kiſte Wincheftermunition und entwich damit. Selim raubte eine 
Stifte, in welcher fich neue Stiefel für Emin Paſcha und zwei Paar 
der meinigen befanden, und dejertirte damit. Wadi Wdam verichwand 


214 Neuntes Kapitel. Waldland 


mit der ganzen Ausrüſtung des Dr. Parke. Suadi von der erſten 
Compagnie ließ ſeine Kiſte am Wege liegen und entfernte ſich nach 
unbekannten Gegenden, und der ſtiernackige Utjchungu, folgte dieſem 
Beiſpiel mit einer Kiſte Remingtonpatronen. 

Am 12. October marſchirten wir 7,3 km in der Richtung O. z. S., 
während das Boot und deſſen Mannjchaft tief unten in den Stroms 
ichnellen kämpften. Wir wollten den Fluß überjchreiten, um unfer 
Süd einmal am Nordufer zu verfuchen, fuchten nach einem Kanoe 
und jahen auch eins an der andern Seite, doch war der Fluß über 
360 m breit und die Strömung jelbft für unfere beften Schwimmer 
in deren jegigem Schwächezuftand zu ftarf. 

Gleich darauf entdeckten einige Kundichafter ein an einer Inſel 
befeftigtes Kanoe, das nur 36 m vom füdlichen Ufer entfernt und 
etwas oberhalb unſers Halteplates lag, und drei Zeute, darunter Wadi 
Asmani, ein ernfter, treuer Mann von großer Erfahrung in vielen 
afrikanischen Ländern, erflärten fich bereit, es herbeizuholen. Zur 
Belohnung für den Erfolg jollten fie 20 Dollars erhalten. Asmani 
mangelte e8 an der Kühnheit und dem hohen Muthe Uledi's, des 
Steuererd des „Advance“, er war aber ein fluger und jchäßens- 
werther Mann. 

Die drei Leute wählten fid) für ihr Abenteuer eine Heine Strom- 
Schnelle aus, wo fie hier und dort auf den Klippen feften Fuß fallen 
fonnten. Bei Dunfelwerden fehrten zwei von ihnen mit der betrü- 
benden Nachricht zurüd, daß Asmani verfucht habe, mit dem Gewehr 
auf dem Rücken hinüberzuſchwimmen, von der ftarfen Strömung aber 
in einen Wirbel geriffen und ertrunfen jei. 

Wir waren in jeder Beziehung vom Unglüd verfolgt; unfere 
Anführer waren noch nicht zurüdgefehrt und flößten uns Beſorgniß 
wegen ihres Schidjals ein, Fräftige Leute dejertirten, die Zahl der 
Gewehre nahm rajch ab, die Munition wurde geftohlen. Feruſi Ali, 
nächſt Uledi der bejte Mann als Matroje, Soldat und Träger, gut 
und treu, lag an einer Kopfwunde, die ihm ein Wilder mit dem Meffer 
beigebracht hatte, im Sterben. 

Am nächiten Tage hielten wir ebenfalls Naft. Wir jtanden im 
Begriff, den Fluß zu überjchreiten, und warteten mit Sorge auf unfere 
ſechs Anführer, darunter Raſchid ben Omar, der „Vater der Leute‘, 
wie er genannt wurde. Nur mit ihren Gewehren, der Ausrüftung und 
genügender Munition verjehen, hätten dieſe Leute in der Woche feit 
unjerm Abmariche vom Lager Nelfon’s über 160 km zurüdlegen 


13.Dct.1887.] Von der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa's. 215 


müffen. Wenn fie auf diefer ganzen Strede feine Niederlaffung der 
Manjema entdeden konnten, welche Ausfichten hatten wir danı, mit 
Waaren belajtet und mit einer Karavane hungeriger, verzweifelnder 
Leute, welche ſich eine ganze Woche lang von micht® als zwei 
Bananen, Beeren, wilden Früchten und Schwämmen genährt hatten? 
Unjere Leute begannen unter diefem anhaltenden Hungern bereits jehr 
ichwer zu leiden; drei Mann waren am Tage vorher gejtorben. 

Gegen Abend erichien Jephion mit dem Boot und brachte ein 
Quantum Mais mit, jo viel, daß jeder Weiße zwölf Taſſen voll bes 
fommen fonnte. Es war für die Europäer ein Aufſchub des Todes. 

Am nächiten Tage ſetzte die Erpedition, nachdem fie zur Orien- 
tirung der Anführer, falls fie zurückkommen jollten, die Bäume um 
das Lager gezeichnet und mit Holzkohle Pfeile auf diejelben gemalt 
hatte, nach dem Nordufer über und jchlug oberhalb einer Hügelkette 
das Lager auf. Bald nachher erlag Feruſi Ali feiner Wunde. 

Unfere Leute befanden fich in einem jo verzweifelt erichöpften 
Zuftande, daß ich nicht das Herz hatte, das Boot für den Transport 
augeinandernehmen zu laffen, denn wenn auc alle Schäge der Welt 
zu gewinnen gewefen wären, fie hätten nicht mehr Kraft entwideln 
fönnen, als fie e8 beim erjten Wort von mir zu thun gewillt waren. 
Ich feste ihnen die Verhältniffe offen wie folgt auseinander: 

„Ihr seht, Leute, unfere Lage ift furz dieſe. Wir brachen mit 
389 Manı von Jambuja auf und nahmen 237 Laften mit. Wir 
hatten 80 Ertraträger bei uns, um für Diejenigen einzutreten, welche 
unterwegs etwa jchwacd oder franf werden follten. Wir haben 
56 Mann in der Station Ugarrowwa’s und 52 bei Kapitän Neljon 
zurüdgelaffen. Wir müßten jest noch 271 Mann haben, befigen 
anftatt deifen aber nur noch 200, einfchließlich der Führer, welche 
abwejend find. TI find entweder geftorben, getödtet worden oder de— 
jertirt. Unter euch find nur 150, welche im Stande find, etwas zu 
tragen, und wir fünnen das Boot daher nicht weiter mitnehmen ! 
Ic fage, laßt uns das Boot hier am Ufer verjenten und rajch vor: 
wärts dringen, um für und und Die bei Kapitän Neljon Zurück— 
gebliebenen, die nicht wiflen, was aus uns geworden ift, Lebensmittel 
zu erwerben, damit wir nicht jämmerlich in der Wildniß umkommen. 
Ihr feid die Träger des Bootes, nicht wir. Sagt ihr, was mit 
demjelben geichehen ſoll.“ 

E3 wurden von den Offizieren und Mannichaften viele Bor: 
ichläge gemacht, allein nur der ſtets treue Uledi, befannt aus meinem 


216 Neuntes Kapitel. Waldland 


Werke „Durch den dunkeln Welttheil“, ſprach direct zum Zweck. 
„Herr, mein Rath iſt folgender. Ihr zieht mit der Karavane weiter 
und ſucht die Manjema, und ich und meine Leute bleiben bei dieſen 
Stromſchnellen und ſchieben, rudern oder ziehen das Boot ſo raſch 
weiter, wie wir können. Wenn ich zwei Tage aufwärts gegangen 
bin, werde ich Euch Leute nachſenden, um in Fühlung mit Euch zu 
bleiben. Wir können Euch nicht verlieren, denn einer ſolchen Bahn, 
wie die Karavane macht, könnte ſelbſt ein Blinder folgen.“ 

Dieſer Vorſchlag wurde allgemein als der beſte anerkannt, und 
wir beſchloſſen deshalb, das von Uledi ſtizzirte Verfahren einzu— 
ſchlagen. 

Wir trennten uns um 10 Uhr vormittags, und bald darauf hatte 
ic) die erjten Erfahrungen auf dem Marjche zwijchen den höhern 
Hügeln des Aruwimithals gemacht. Ic führte die Karavane nord- 
wärts Durch den umveglamen Wald und wich nur ein wenig nad) 
Dften ab, wenn wir einen Rücken gewinnen und Thierpfade be: 
nugen fonnten, die unfer Weiterfommen begünftigten. Wir famen 
nur jehr langſam vorwärts, da das Unterholz dicht war; Phrynium— 
beeren, Früchte des Amomum, Feneſſi und Brechnuß, große Wald: 
bohnen und Schwänme aller Art waren zahlreich, ſodaß jeder fich 
einen großen Borrat davon jammeln konnte, Seit Jahren an das 
Bergfteigen nicht mehr gewöhnt, Fopfte uns das Herz heftig, als 
wir die bewaldeten fteilen Anhänge erkfetterten und uns durch Schnei- 
den und Forthauen der Hindernden Schlinggewächſe, Büſche und 
Pflanzen einen Weg bahnten. 

D, es war ein trauriger, ein unausiprechlid trauriger AUnblid, 
jo viele Männer blindlings durch den endloſen Wald fich arbeiten zu 
jehen, einem Weißen folgend, deſſen Ziel niemand fannte, und 
von dem Die meiften glaubten, daß er es jelbjt nicht wüßte. Sie 
befanden ſich jchon jetzt in einer wirklichen Hölle des Hungers! Was 
für namenloje Schreden fie jpäter noch erwartete, fonnte niemand 
vorheriagen. Aber was macht das? Früher oder ipäter fommt der 
Tod doch. Deshalb drängten wir weiter und immer weiter, brachen 
durch den Buſch, traten die Pflanzen nieder, wanden uns längs des 
Grats der zickzackförmig von Nordojt nach Nordweit verlaufenden Aus: 
läufer, ftiegen an einem Klaren Fluſſe in ein fefjelförmiges Thal hinab 
und nährten uns von Mais und Beeren. 

Während unſerer Mittagsraft verfuchte ein gewiſſer Umari, wel: 
cher einige prachtvolle reife Feneſſi an einem ungefähr 9 m hoben 


16. Oct. 1887.] Bon der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa's. 217 


Baum gejehen hatte, diejen zu erflimmen; als er jedoch die Höhe er- 
reicht hatte, gab entweder ein Ajt oder jeine Kraft nach und er ftürzte 
fopfüber von oben gerade auf zwei andere, welche die reifen Früchte 
auffangen wollten. Merkwürdigerweiſe wurde feiner von ihnen ernſt— 
lid) verlegt. Umari war ein wenig hüftenlahm, und einer der beiden, 
auf die er gefallen war, Elagte über Bruftichmerzen. 

Um 3%, Uhr famen wir nad) einem fürchterlichen Kampfe gegen 
die erdrüdende Wildni5 von Arum, Amomum und Buſchwerk in 
ein düſteres, amphithentraliiches Thal, auf deſſen Grunde wir ein 
joeben verlajienes Lager fanden, aus dem die Eingeborenen jo ſchleu— 
nig geflohen waren, daß fie e8 für am beiten gehalten Hatten, ſich 
nicht mit ihren Schäßen zu belajten. Sicherlich jorgte in den Stun— 
den der dringenditen Noth ein Gott für ums. Hier im Lager er: 
warteten uns 2 Scheffel Mais und 1 Scheffel Bohnen. 

Auch mein armer Ejel, den ich aus Sanfibar mitgebracht hatte, 
zeigte Symptome, daß es mit ihm zu Ende gehe. Seit dem 26. Juni 
jeden Tag Arum und Amomum waren feine paſſende Nahrung für 
einen zierlichen Ejel aus Sanfibar, und ich erſchoß ihn deshalb, um 
jeinem Elend ein Ende zu machen. Das Fleiich wurde jo jorgfältig 
getheilt, al8 wenn es das koſtbarſte Wildpret gewejen wäre, da Die 
wilde, halbverhungerte Menge der Disciplin zu trogen drohte. Als 
das Fleisch in unparteiischer Weiſe vertheilt war, entjtand eine Prü— 
gelei wegen des Fels; die Knochen wurden ergriffen und zerichlagen, 
die Hufe ftundenlang gekocht, und von meinem treuen Thier blieb 
nichts übrig als das vergoljene Blut und die Haare; eine Schar 
Hyänen hätten nicht grümdlicher mit demſelben aufräumen können. 
Jene wejentliche Eigenichaft des Menjchen, welche ihn vor allen an: 
dern Gejchöpfen auszeichnet, war durch den Hunger dermaßen ertüdtet, 
daß unjere Leute zu reinen fleischfrefienden Zweifüßlern geworden wa— 
ren und die Wildheit der Naubthiere angenommen hatten. 

An 16. October freugten wir nacheinander vier tiefe Schlud)- 
ten und paſſirten ein wunderbar schönes Phryniumdickicht. Viele 
Stämme trugen fait reife Feneſſi von 30 cm Länge und 20 cm 
Durchmeſſer. Einige Früchte famen Ananas gleich; jedenfall waren 
fie geſund. Selbjt die verfaulten Früchte wurden nicht verichmäht. 
Wo es feine Feneſſi gab, gedieh der Waldbohnenbaun und bejäcte den 
Erdboden freundlichit mit feinen Früchten. Die Natur ſchien einzu— 
jehen, daß die Wanderer genug Schmerzen und Sorgen ertragen 
hätten; die tieffte Einſamkeit bewies den matten und jchon jo lange 


218 Neuntes Kapitel. Waldland 


leidenden Leuten zunehmende Liebe. Phrynium lieferte uns hellrothe 
Beeren, Amomum die ſchönſten ſcharlachrothen Früchte; die Feneſſi 
waren im Zuſtande der vollkommenen Reife; die Holzbohnen wurden 
größer und dicker, das Waſſer der Flüſſe in den Waldthälern war 
klar und kalt, kein Feind zu ſehen, nichts zu fürchten als der Hun— 
ger, und die Natur gab das Beſte von ihren unbekannten Schätzen 
her, beſchützte uns mit ihrem wohlriechenden, angenehmen Schatten 
und flüſterte uns zart und ſanft unausſprechliche Dinge zu. 

Während der Mittagsraſt beſprachen die Leute unſere Ausſichten. 
„Wißt ihr“, ſagten fie mit ernſtem Kopfſchütteln, „daß der und der 
todt iſt, daß jener verloren iſt und ein Dritter vielleicht heute Nacht 
zu Grunde geht? Die übrigen werden morgen umkommen.“ Und 
nach dem Geſpräch rief die Trompete wieder alle auf ihre Poſten, 
um weiter zu marſchiren, weiter zu kämpfen und bis ans Ziel vor— 
zudringen. 

Eine halbe Stunde ſpäter brachen die Pioniere durch ein Dickicht 
von Amomum und ſtießen auf eine Straße. Und ſiehe da! An jedem 
Baum war das Erkennungszeichen der Manjema, eine Entdeckung, welche 
von der Spitze der Colonne bis zum letzten Mann der Nachhut von 
allen wiederholt und mit frohlockendem Jubel aufgenommen wurde. 

„Welchen Weg, Herr?“ fragten die erfreuten Pioniere. 

„Nach rechts, natürlich“, erwiderte ich, der ich noch viel froher 
war als alle übrigen, und mich noch weit mehr nach der Niederlaſſung 
ſehnte, welche dieſe ſchreckliche Zeit enden und das Elend Nelſon's und 
ſeiner ſchwarzen Begleiter abkürzen ſollte. 

„Wenn es Gott gefällt“, ſagten meine Leute, „werden wir morgen 
oder übermorgen Lebensmittel finden“, was ſoviel bedeuten ſollte, als 
daß nachdem ſie 336 Stunden nicht zu ſtillenden Hunger erlitten hätten, 
ſie noch weitere 36 oder 60 Stunden geduldig warten könnten, wenn 
es Gott gefiele. 

Wir waren ſämmtlich fürchterlich dünn geworden, doch waren die 
Weißen nicht ſo ſtark abgemagert wie die Schwarzen. Wir dachten 
an die Zukunft und hegten große Hoffnungen, obwol nach jeder In— 
ſpicirung der Leute eine tiefe Niedergeſchlagenheit ſich unſerer bemächtigte. 
Wir bedauerten, daß unſere Begleiter kein größeres Vertrauen zu uns 
hatten. Mancher wurde durch die im Gefolge des Hungers ſchreitende 
Verzweiflung getödtet. Viele äußerten freimüthig ihre Gedanken und 
erklärten einander offen, wir wüßten nicht, wohin wir marſchirten. 
Und ſie hatten gar nicht ſo ſehr unrecht, da niemand ſagen konnte, 


16.©ct.1887.] Ron der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat, Kilonga-Longa’s. 219 


was in den unerforichten Tiefen des Waldes der nächſte Tag bringen 
fonnte. Allein e8 war, wie fie jagten, ihr Schickſal, uns zu folgen, 
und deshalb folgten fie dem Schidjal. Es war ihnen jchlecht ergangen 
und jie hatten jchwer gelitten. Es ift am fich jchwer zu gehen, wenn 
infolge der Leere im Magen Schwäche eintritt, aber noch viel jchlimmer, 
mit einer 30 kg jchweren Laſt zu marjchiren. Mehr als 50 Mann 
waren noch in ziemlich gutem Zuftande, aber 150 Mann, mit ajch- 
grauer Haut überzogene Skelete, matt und erjchöpft, trugen alle Stempel 
des Elends in den Augen, auf dem Körper und in ihren Bewegungen. 
Dieje konnten wenig mehr thun, al3 weiter friechen, ächzen, Thränen 
vergießen und jeufzen. Mein guter Hund Randy, ach, wie ſchwach 
war er geworden! Fleiſch Hatte er, außer bei dem Tode des Ejels, 
ichon jeit Wochen nicht mehr erhalten und gefoftet. Gedörrter Mais 
und Bohnen find feine pafjende Nahrung für einen Dachshund, und 
Feneſſi, Mabengu und andere ähnliche herbe Früchte wollte er nicht 
freifen, und jo war er immer mehr abgemagert, bis er jo dürr war, 
wie einer der Verdammten und Ausgejtoßenen bei den Moslems. Stairs 
hatte mich nie im Stich gelaffen. Jephſon hatte Hin und wieder das 
Glück gehabt, Getreideſchätze zu entdeden und ftetS eine unbezähmbare 
Kedheit bewiejen, und Barfe war immer arbeitiam, geduldig, froh und 
mild. Das tiefe Eindringen in die unentdeckten Seiten unſers Lebens 
im Walde haben mich in den Stand geſetzt, die menschliche Natur mit 
all ihrer Beharrlichfeit und all ihren Tugenden zu erkennen. 

Dem Pfade der Manjema entlang war das Marjchiren leicht. 
Manchmal kamen wir an ein ganzes Neb von Pfaden, aber nachdem 
wir erſt einmal die allgemeine Richtung gefunden hatten, machte es 
feine Schwierigkeit mehr, den richtigen Weg zu treffen. Derjelbe ſchien 
ftarf befchritten zu fein, und mit jedem Kilometer trat es mehr zu Tage, 
dat wir ums einer volfreichen Niederlaffung näherten. Als die Zahl 
der neu angelegten Pfade größer wurde, jchien auch das Didicht lichter 
geworden zu fein, da wir viele Haltepläge bemerften und man vft 
vom Wege abgewichen jein mochte. Hier und dort waren die Aeſte 
der Bäume gefappt. Häufig lagen zum Binden gebrauchte Ranken 
auf dem Wege und Polſter der eingeborenen Träger jchienen oft in 
der Eile weggeworfen zu fein. Der größte Theil des Morgens verging 
mit dem Weberjchreiten von etiwa einem Dutend träg und langjam 
fließender Waflerzüge, welche breite ſchlammbedeckte Moräſte hervor: 
gerufen hatten. Bei einem ſolchen Uebergang wurde die Colonne von 
Welpen angegriffen, die einen Mann jo zerftachen, daß er hochgradiges 


—20 Neuntes Kapitel. Waldland 


Fieber bekam, und da er ſich in ſtark abgemagertem Zuſtande befindet, 
iſt wenig Ausſicht auf ſeine Wiederherſtellung. Nach einem Marſch von 
11 km in ſüdöſtlicher Richtung machten wir am 17, October halt. 
Die Nacht führte ſich mit einem von Negenfluten und jehr Falter 
Temperatur begleiteten Sturm ein, welcher den Wald entwurzeln 
und nad dem fernen Weiten forttragen zu wollen jchien. Nichts: 
dejtoweniger trieb die Furcht vor dem Verhungern ung am nächjten 
Morgen jchon zu früher Stunde wieder auf den Marich. Nach etwa 
1'/, Stunden jlanden wir am Rande einer großen Lichtung, doch 





Die Station ſilonga-Longa's. 


war der Nebel jo dicht, daß wir in größerer Entfernung als 60 m 
nichts erkennen konnten. Als wir eine Weile Rajt machten, um 
über den Gurs zu berathen, hörten wir eine jonore Stimme in 
einer feinem von uns befannten Sprache, fröhliches Rufen und einen 
anjcheinend mit Humor geführten Streit, und da wir uns bier in 
feinem Lande befanden, wo die Eingeborenen wagen durften, jo leicht: 
finnig und frivol zu jein, waren wir der Anficht, daß das Singen 
nur von Leuten herrühren fünnte, die wiljen, daß fie nichts zu befürchten 
haben. Ich icho deshalb die Läufe meines Wincheſtergewehrs raſch 
nacheinander ab, worauf die Antwort mit jchtwergeladenen Gewehren 
uns anfündigte, daß wir die jo lange gejuchten Manjema vor uns 


18.0c1.1887.] Ron der Stat. Ugarrowwa's bis zur Stat. Kilonga-Longa's. 221 


hätten. Sobald der Widerhall der verjchtedenen Echos verflungen war, 
machte die Karavane ihrer Freude durch lange anhaltende Hurrahs Luft. 

Während wir an dem Abhang der Lichtung nad) einem Fleinen 
Thal hinabjtiegen, jahen wir auf dem gegenüberliegenden Abhange von 
allen Seiten Scharen von Männern und Frauen berabtommen, die 
uns mit freundlichem Zurufen begrüßten. Zur Rechten und Linfen 
bemerkten wir jchön jtehende Felder mit Mais, Reis, ſüßen Kartoffeln 
und Bohnen. Dann vernahmen wir Die wohlbefannten Laute des 
arabifchen Grußes und die freundlichen Anerbietungen der Gaſi— 
freundichaft, und bald darauf jchüttelten wir den muntern großen 
Burjchen die Hand, die fich des Lebens in der Wildniß ebenjo jehr 
zu erfreuen ſchienen, wie es in der eigenen Heimat hätte gefchehen 
fönnen. Die Begrüßung erfolgte hauptlächlich durch die Manjema, 
obwol ihre nicht weniger fräftigen, mit Pereuffionsgewehren und Kara— 
binern bewaffneten Sklaven herzlich die Gefühlsäußerungen und Freund: 
Iichaftsbezeigungen ihrer Herren wiederholten. 

Scharen von Männern und Kindern führten uns durch üppige Ge- 
treidefelder an dem jenjeitigen Gehänge der Lichtung hinauf. Alle gaben 
ihrer Freude über die neuen Ankömmlinge und den in naher Aussicht 
ftehenden Feittag in ausgelafieniter Weile Ausdrud. Bei der Ankunft im 
Dorfe wurden wir eingeladen, unter den tiefen, jchattigen Veranden 
Plag zu nehmen, und mußten Darauf eine große Menge von Fragen 
beantworten und Glückwünſche entgegennehmen, und als die Karavane 
an und vorüber nach den ihr angewiejenen Quartieren zog, die ihr 
von dazu bejtimmten Leuten gezeigt wurden, ſprachen unfere Saftfreunde 
zahlreiche Dankgebete zu Gott für unjere wunderbare Nettung aus der 
ſchrecklichen Wildniß, die fich von ihrer Anfiedelung bei Ipoto bis zum 
Katarakt von Bajopo, über eine Entfernung von 320 km ausdehnt, 
Danfgebete, in welche ein jedes Mitglied unſerer jo ſchwer geprüften 
Karavane aus tiefitem Herzen einftimmte. 


Behntes Kapitel. 


Bei den Manjema in Xpoto. 


Die Elfenbeinjäger in Ivoto. — Ahr Berfahren. — Die Anführer der Man: 
jema und ihre Beutezüge. — Mittel zur Verhinderung der VBerwüftungen im 
Großen. — Bon Lardinal Lavigerie gepredigter Kreuzzug. — Unjere Sanſibar— 
Anführer. — Belorgniß wegen Kapitän Nelſon's und feiner Begleiter. — Unſere 
Leute verkaufen ihre Waffen für Lebensmittel. — Diebitahl von Gewehren. — Die 
Nüdgabe derjelben verlangt. — Uledi trifft mit Nachrichten von den vermißten 
Anführern ein. — Bereinbarungen mit den Manjema-Anführern betreffend die 
Rettung des Kapitän Nelfon. — Jephſon's Bericht über jeinen Marſch. — Die 
Berichte Kapitän Nelſon's und Dr. Parke's. — Abſchluß don Blutsbrüderichaft 
zwiichen mir und Ismaili. — Abmarſch von Ipoto. 


Dieje in Ipoto anſäſſige Gejellichaft von Elfenbeinjägern war 
fünf Monate vor unferer Ankunft vom Lualaba hergefommen, und 
zwar von einem am rechten Ufer zwijchen den Mündungen des Lowwa 
und des Leopoldfluffes gelegenen Punkte, Die Reife hatte 7", Mo: 
nate in Anfpruch genommen, während welcher Zeit fie auf ihren Wan- 
derungen weder Gras noch waldfreies Land gejehen, ja nicht einmal 
davon gehört hatten. Einen Monat hatten fie in Kinnena am Lindi 
halt gemacht und ein Stationsgebäude für ihren Häuptling Kilonga- 
Longa gebaut, der nad) jeiner Wiedervereinigung mit der Haupttruppe 
etwa 200 mit Gewehren Bewaffnete und 200 Sklaven als Träger in 
nordöjtlicher Richtung weiter geichidt hatte, um irgendeine weit vorn 
gelegene wohlhabende Niederlaffung zu entdeden, von wo fie in Trupps 
ihre Züge unternehmen könnten, um zu zerjtören, niederzubrennen und 
Sflaven gegen Elfenbein auszutauschen. Infolge der anhaltenden 
Kämpfe und der Sorglofigkeit, in welche ungezügelte Gemüther nad) 
einem oder mehrern glüdlichen Erfolgen jo leicht verfallen, hatte ihre 
Zahl innerhalb der Zeit von 7, Monaten fich bis zu einer Truppe von 
etwa 90 Gewehrträgern verringert. Bei der Ankunft am Lenda-Fluſſe 
hatten fie von der Niederlafjung Ugarrowwa's gehört, worauf fie fich 


18, Dct. 1887.) Bei den Manjema in Spoto, 225 


aus dem Umfreije von deſſen Streifzügen entfernten, um für ihre 
eigenen einen Mittelpunkt zu finden. Nach Ueberjchreiten des Lenda 
war e3 ihnen gelungen, das jüdliche Ufer des Ituri zu erreichen, un: 
gefähr jüdlich von ihrer gegenwärtigen Niederlafjung in Ipoto. 

Als die Eingeborenen ihnen beim Weberjegen über den Fluß auf 
das nördliche Ufer nicht helfen wollten, fällten fie einen großen Baum 
und höhlten ihn mit Art und Feuer zu einem ziemlich großen Kanoe 
aus, welches fie nach) Ipoto hinüberbrachte, Mit diefem Tage haben 
fie eine der blutigjten und verheerenditen Laufbahnen begonnen, mit 
der ich jogar Diejenigen Tippu-Tib's und QTagamojo’s nur jchlecht 
vergleichen lalien. In der Gegend der Flüſſe Lenda und Ihuru haben 
fie jede Niederlaffung bis auf den Boden in Aſche gelegt, ja ihre Zer: 
ftörungswuth hat ſich jogar gegen die Bananenhaine gerichtet; jedes 
Kanve auf den Flüffen wurde in Stüde zeriplittert, jede Inſel durd)- 
jucht; fie find in die verborgenften Schlupfivinfel, wohin nur irgend- 
ein Pfad führen mochte, hineingedrungen, nur getrieben von der einen 
in ihnen vorherrichenden Leidenichaft, jo viel Männer zu tödten und 
jo viel Weiber gefangen zu nehmen, wie Grauſamkeit und Lift es 
ihnen möglid; machte. Wie weit nördlich und öftlich diefe Leute vor- 
gedrungen find, ijt nicht befannt geworden, der eine jagte 9, der 
andere 15 Tagemärjche; wo fie aber gewejen jein mögen, überall 
haben fie dafjelbe gethan, was wir zwilchen dem Lenda-Fluß und Ipoto 
wahrgenommen hatten; fie haben das Waldland in eine jchreckliche 
Wildniß verrvandelt und auf dem ganzen ungeheuern Gebiet nicht eine 
einzige Hütte ftehen lafjen. 

Was dieſe Zerjtörer an Hainen und Pflanzungen von Bananen 
und Paradiesfeigen, an Maniok- und Maisfeldern übriggelaſſen haben, 
ift von Elefanten, Schimpanjen und jonftigen Affen zu verweſendem, 
jtinfendem Koth zertreten und zermalmt worden, und an der Stelle der 
frühern Dörfer find mit der Schnelligkeit der Pilze großblätterige, in 
dem Schutt heimische Pflanzen aufgeichoiien, Dornfträucher, Rohr und 
Gejtrüpp, das die Eingeborenen in frühern Zeiten mit Meſſern, Merten 
und Haden ausgerodet hatten. Mit jeder Jahreszeit wurde das Ge— 
jtrüpp kräftiger und höher, und e3 bedurfte nur noch einiger weniger 
Jahre, um alle Spuren der frühern Wohnpläge und Arbeiten zu bededen. 

Die Entfernung von Ipoto nad) dem Lenda beträgt auf dem von 
ung zurüdgelegten Wege 169 km, ſodaß man in der Annahme, daß Dies 
die Entfernung ift, über welche die Araber ihre Naubzüge nad) Dften, nad) 
Norden und Süden ausgedehnt haben, ein Areal von etwa 104000 qkm 


224 Zehntes Kapitel, Ipoto 


erhält. Aus den vorhergehenden Schilderungen wiſſen wir, was 
Ugarrowwa gethan hat und was er noch jetzt mit ſeiner ganzen 
Geiſteskraft thut; und ebenſo wiſſen wir auch, was die an den Stanley: 
Fällen fejtgejegten Araber am Lomami thun und welches Tenfelswert 
Mumi Muhala und Bwana Mohammed rund um den Dfo-See, der 
Duelle des Lulu, ausführen. Weiß man, wo ihre Gentren liegen, dann 
fann man leicht mit einem Zirkel um jedes derjelben einen Kreis 
ichlagen, der je eins der großen Gebiete von 100000 — 130000 qkm 
umfaßt, in welche ein halbes Dutzend entichloffener Männer mit 
Hülfe einiger hundert Banditen ungefähr drei Viertel des großen 
Waldes am Oberkongo getheilt haben, nur um zu morden und um 
Erben etlicher Hundert Elefantenzähne zu werden. 

Zur Zeit unferer Ankunft in Ipoto waren die Manjema-Führer 
Ismaili, Chamifi und Sangarameni, äußerlich hübjche, kräftige Bur— 
chen, ihrem Anführer Kilonga=Longa für die ihnen amvertrauten 
Begleiter und Operationen verantwortlich. Abwechielnd zog ein jeder 
von ihnen von Ipoto nad) feinem Unterdiftrict aus. Sp waren 3: 
maili alle Straßen von Ipoto nad) Ibwiri und öftlich nach dem 
Ituri als beionderes Gebiet überwiejen; dasjenige Chamifi’s führt dem 
Wege nach dem Ihuru entlang und dann öſtlich nad) Ibwiri, während 
Sangarameni das ganze Land nad Diten und Welten zwiichen dem 
Ibina und Ihuru, Nebenfliiien des Iturt, übernommen hat. ns: 
gefammt waren 150 Mann vorhanden, von denen jedoch nur 50 mit 
Gervehren bewaffnet waren. Kilonga-Longa befand ich noch in Kinnena 
und wurde in den nächjten drei Monaten auch nicht erwartet. Die 
Streitfräfte der drei Führer beftanden aus Bakuſu, Balegga und 
PRajongora, jungen Leuten, welche von den Manjema in der Wald- 
region in derſelben Weiſe wie im Jahre 1876 zu Beutejägern heran 
gebildet waren. Die Manjemasstrieger find ihrerteits von den Arabern 
und Wajuaheli an der Oſtküſte geichult worden. Diele auferordent- 
liche Zunahme der Beutejäger im Beden des Oberkongo ift die Frucht 
der Politif der Araber, alle erwachienen männlichen Einwohner zu 
tödten und die Kinder am Leben zu laſſen. Die Mädchen werden in 
die Harems der Araber, Zuaheli und Manjema vertbeilt, während 
die Knaben zum Waffentragen ausgebildet und in dem Gebraud) der: 
jelben geichult werden. Sobald fie erwachlen und ſtark genug find, 
erhalten fie Frauen ans den weiblichen Dienitboten der Harems und 
werden als Theilnehmer zu den bintigen Abenteuern zugelaſſen. Ein 
gewiſſer Antheil am Nuben Fällt den großen Unternehmern, wie Tippu— 


18, Oct. 1887.] Bei den Manjema in Jpoto. 225 


Tib oder Said ben Abed zu; einen geringern Antheil erhalten die 
Führer, und der Reſt wird Eigenthum der Banditen. Manchmal 
befommt der Unternehmer auc) die großen Elfenbeinftüde im Ge— 
wicht von über 15 kg, während Diejenigen von 9—15 kg den 
esührern gehören und die glüdlichen Finder den Abfall, die Heinen 
Stüde und die jungen Zähne behalten dürfen. Es hat daher jedes 
Mitglied der Karavane Interefje daran, jein Möglichites zu thun. Die 
Karavane wird von dem Bejiter wohl bewaffnet und bemannt; er jelbft 
bleibt am Kongo oder Lualaba, genießt feinen Reis und Pilaf und 
die Freuden feines Harems; die Anführer, von Habjucht und Gier 
erregt, werden wild und jtreng, und die Räuber ftürzen ſich ohne 
Gnade auf jede Niederlaffung, um eine möglichit große Beute an 
Kindern, Heerden, Geflügel und Elfenbein zu machen. 

Alles dies würde offenbar nicht möglich jein, wenn ſie fein 
Pulver bejäßen; die Araber und ihre Anhänger würden ſich dann 
feinen Kilometer außerhalb ihrer Niederlafjurgen wagen. Es ift 
mehr al3 wahricheinlich, daß wenn man fein Schiegpulver mehr nad) 
Afrika hineinläßt, rajch eine allgemeine Wanderung der Araber aus 
dem Innern von Afrika nach dem Meere zu ftattfinden würde, da die 
Eingeborenenhäuptlinge unermeßlich viel ftärfer fein würden, als jede 
Verbindung von mit Speeren bewaffneten Arabern. Welche Aussichten 
fünnten Tippu-Tib, Abed ben Selim, Ugarrowwa und Kilonga-Longa 
haben gegen die Bafongora und Bakuſu? Wie fünnten die Araber 
in Udjidji den Wadjidji und Warundi Widerftand leiten, oder Die 
Araber von Unjanjembe unter den Bogenſchützen und Speerträgern von 
Unjamwefi leben ? 

Es gibt nur ein Mittel gegen dieſe Vernichtung der afrikanischen 
Ureinwohner im Großen, und das ift eine fürmliche Vereinbarung 
zwiichen England, Deutichland, Frankreich, Portugal, Sid- und Oſt— 
afrifa und dem Kongoftaate gegen die Einfuhr von Echießpulver in 
irgendeinen Theil des Continents, ausgenommen zum Gebrauch ihrer 
eigenen Agenten, Soldaten und Beamten, oder zur Beſchlagnahme 
jedes Elefantenzahns; denn es gibt heutigentags im Innern' kein 
einziges Stück mehr, das auf geſetzmäßige Weiſe erworben iſt. Jeder 
Elefantenzahn, jedes Stück und aller Abfall, kurz alles, was ſich da= 
von im Befit eines arabiichen Händlers befindet, ift in Blut getaucht 
und damit gefärbt. Jedes Pfund Elfenbein hat das Leben eines 
Mannes, einer Frau oder eines Kindes gefoftet, für jede fünf Pfund 
it eine Hütte niedergebrannt, fir jede zwei Zähne ein ganzes Dorf 

Stanley, Im dunfelften Afrila. I. 15 


226 Zehntes Kapitel. [Ipoto 


zeritört, für jede zwanzig Zähne die Vernichtung eines ganzen Diftriets 
mit feiner Bevölferung, jeinen Dörfern und Pflanzungen als Preis 
bezahlt worden. Es ift geradezu unglaublich), daß das reiche Herz 
Afrifas noch jetzt gegen Ende des ſich durch jo große Fortichritte 
auszeichnenden 19. Jahrhunderts zur Wüſte gemacht, daß Einwohner: 
Ihaften, Stämme und Völker vollfommen vernichtet werden jollen, 
nur weil man Elfenbein zu Schmudjachen oder Billardbällen braucht. 
Und wen bereichert denn eigentlich diefer blutige Raub des Elfenbeins ? 
Nur einige Dutzend Mifchlinge von Arabern und Negern, die, wenn 
man fie gerecht behandeln wollte, für den Reſt ihres Räuberlebens in 
der jtrengiten Knechtichaft ſchwitzen müßten. 

Nah dieſen jchredlichen Entdeckungen in die civilifirte Welt 
zurücgefehrt, wurde mir gejagt, daß Cardinal Lavigerie einen Kreuz— 
zug gepredigt habe und in Europa der Wunſch zunehme, nad) der Weiſe 
der alten Kreuzfahrer mit Waffengewalt die Araber und ihre Anhänger 
in ihren fejten Plätzen in Gentralafrifa anzugreifen. Das ift jo ein 
Plan, wie man ihn von Leuten erwarten kann, welche Gordon Bei: 
fall Hatjchten, als er mit einem weißen Stabe und ſechs Begleitern 
auszog, um alle Garnifonen des Sudan zu befreien, eine Aufgabe, 
welche 14000 feiner Landsleute unter einem der geichicteften englischen 
Generale damal3 unmöglich gefunden haben ‚würden. Wir rühmen 
und, praftiiche und vernünftige Männer zu fein, und dennoch laſſen 
wir hin und wieder einen Enthufiaften — mag er Gladftone, Gordon, 
Lavigerie oder jonftwie heißen — ſprechen, und es verbreitet ſich eine 
Woge von Donquirotismus über viele Länder. Das Neuefte, was id) 
in Sachen diejes wahmwigigen Projects hörte, war, daß eine Schar 
von 100 Schweden, von denen jeder 500 Mark zu dem Unternehmen 
beigeſteuert hat, im Begriffe ftehen, nach irgendeinem Punkte der ojt- 
afrifanischen Kiüfte zu jegeln und fi danı nach dem Tanganika zu 
begeben, um in prahleriicher Weife die Ausrottung der arabijchen 
Sklavenhändler zu beginnen, in Wirklichkeit aber, um Selbjtmord zu 
begehen. 

Diefe Dinge find jedoch nicht der Zwed dieſes Kapitels. Wir 
ſtehen im Begriff, noch eine weit intimere Befanntichaft mit der Moral 
der Manjema zu machen und fie beijer verjtehen zu lernen, als wir 
es je erwartet haben. 

Wir hatten bislang weder bejtimmte Nachrichten, noch Gerüchte 
von unſern Anführern gehört, die wir als Eilboten abgejfandt hatten, 
um für die Truppe Nelfon’s Hülfe herbeizuholen, und da es faum 


18. Dct. 1887.) Bei den Manjema in Jpoto, 227 


möglich war, daß eine hungerleidende Saravane den Marich zwifchen 
Nelfon’3 Lager und Ipoto rajcher zurüclegen würde als jechs that- 
fräftige, intelligente Männer, fingen wir doch an zu fürdhten, daß 
die Sanfibaritenführer ebenfalls zur Schar unjerer Verlorenen würden 
gezählt werden müffen. Ihr Weg war bis zu dem Flußübergangs— 
punfte vom 14. und 15. October leicht zu verfolgen; vermuthlich hatten 
die Männer dann gedanfenlos den Weg flußaufwärts fortgejegt, bis 
fie von den Wilden eines unbefannten Dorfes überwältigt wurden. 
Auch wegen Kapitän Nelfon und feiner Begleiter war unjer Gemüth 
nicht ganz frei von Beſorgniß. Es waren bereit? 13 Tage ver: 
flojjen, jeitdem wir uns getrennt Hatten; während dieſer Zeit war 
ihre Lage nicht jchlimmer als die unſerige gewejen, denn fie waren 
ebenjo vom Walde umgeben wie wir, und nur nicht ebenjo ſchwer wie 
wir belfaftet. Die fräftigjten Leute konnten in der Nachbarichaft nad) 
Lebensmitteln juchen, oder mit den Kanoes nad) dem Schauplag uns 
jers Fourragirens vom 3. December hinüberfahren, der über Land nur 
einen Tagemarſch und zu Waller eine Stunde entfernt war. Auf 
den Hügelfämmen oberhalb des Lagers famen Beeren und Schwänme 
wie in andern Theilen des Waldes im Ueberfluß vor, aber dennoch 
waren wir bejorgt, und ich hielt es deshalb für eine meiner erjten 
Pflichten, den Verſuch zu machen, eine Entjagtruppe mit dem Trans- 
port von Lebensmitteln nach dem Lager Nelſon's zu beauftragen. 
Man verſprach mir, daß die Sache am nächiten Tage unternommen 
werden jollte. 

Für ung jelbjt erhielten wir drei Ziegen und zwölf Körbe mit 
Mais, bei deren Bertheilung auf jeden Mann jechs Stolben trafen. Sie 
dienten uns zu zwei Mahlzeiten, nach denen viele, wie ich, fich neu 
belebt und erfriicht gefühlt haben müſſen. 

In den erjten Tagen unjers Aufenthalts in Ipoto litten wir be— 
trächtlihh an Meattigfeit. Die Natur gibt ums entweder Hunger umd 
nicht3 zu eſſen, oder bereitet ung ein Feſt und beraubt uns jeglichen 
Appetits. An diefen zwei Tagen hatten wir reichlich Reis und Pilaf, 
fowie gejchmortes Ziegenfleiich gegeſſen, und infolge deſſen begannen 
wir an allerlei Beichwerden zu leiden. Die Kauwerkzeuge hatten ihre 
Function vergeifen, die Verdauungsorgane wollten die Lederbifjen 
nicht annehmen und jchienen in Unordnung gerathen zu fein. Im Ernte 
geiprochen, es war die natürliche Folge des Uebereſſens; Maisbret, 
Grütze, gedörrter Mais, Bohnen und Fleisch find feſte Stoffe, welche 
Magenjaft brauchen, der, nachdem wir jo lange Hunger gelitten 


15 * 


228 Zehntes Kapitel. Ipoto 


hatten, nicht in genügender Menge für den großen Bedarf vor— 
handen war. 

Die Manjema hatten etwa 120—160 ha mit Mais, 2 ha mit 
Reis und ebenſo viel mit Bohnen bebaut. Auch Zuderrohr wurde viel 
cultivirt. Sie bejaßen ungefähr 100 Ziegen, die ſämmtlich von den 
Eingeborenen geftohlen waren, und hatten in den Speicherhütten un= 
gehenere Mengen von Mais, den fie aus einem Dorfe in der Nähe 
des Ihuru geitohlen und noch nicht ausgehülit Hatten. Ihre Ba- 
nanenpflanzungen waren reich mit Früchten bededt, furz, die Lage 
aller in der Niederlaffung befindlichen Leute war eine vorzügliche. 

Wir müſſen der Wahrheit gemäß anerkennen, daß wir am erften 
Tage mit prahlerijcher Freundlichkeit empfangen wurden, allein ſchon 
am. dritten Tage begann eine gewiſſe Entfremdung fich zwiſchen uns 
zu entwideln. Vermuthlich hatte ihre Herzlichkeit ihren Grund in dem 
Glauben, daß unſere Laften für fie wiünfchenswerthe Dinge enthielten, 
leider aber waren unſere beiten Perlen, die zum Ankauf ihres ganzen 
Maisvorrath8 genügt haben würden, bei dem Stentern eines Kanoe 
in der Nähe der Panga-Fälle verloren gegangen und die goldgeitickten 
arabijchen Burnuffe unterhalb der Station Ugarrowwa’s von Deſer— 
teuren geitohlen worden, Enttäuſcht, weil fie die erwartete Menge 
Schöner Stoffe oder feiner Perlen nicht erhielten, begannen fie unjere 
Leute ſyſtematiſch zu veranlaflen, alles zu verkaufen, was fie beſaßen. 
Dagegen, daß unſere Leute jid) von ihren Hemden, Turbanen, Ueber— 
Heidern, Weiten, Mejfern und Gürteln trennten, die ihr perfönliches 
Eigenthum waren, konnten wir nichts einwenden; leider waren aber 
die glücklichen Beſitzer ſolcher Gegenftände, die von andern weniger 
Glücklichen beobachtet wurden, wie fie fi) an allerlei nahrhaften Dingen 
ergögten, das Mittel, um die legtern neidiſch zu machen und fchliehlich 
zum Diebjtahl zu verleiten. Die verſchwenderiſchen, unbejonnenen 
Burschen verfauften ihre Mumitionstafchen, Haumeſſer, Ladeſtöcke und 
endlich die Nemingtongewehre. Wir waren aljo, nachdem wir dei 
ichredlichen Leiden des Hungertodes und dem Schaden, den die vielen 
wilden Stämme uns hätten zufügen fünnen, entgangen waren, im 
drohender Gefahr, die Sflaven der arabischen Sflaven zu werden. 

Ungeachtet unjerer dringenden Bitten um Mais fonnten wir nicht 
mehr als zwei Kolben per Mann und Tag befommen. ch veriprad) 
bei der Ankunft unjerer Nachhut den dreifachen Preis für die erhal- 
tenen Gegenstände zu bezahlen, allein dieſen Leuten gilt der augen 
blickliche Befig mehr als der in Ausficht geftellte. Sie thaten, als ob 


21. Dct. 1887.] Bei den Manjema in Ipoto. 229 


fie bezweifelten, daß wir überhaupt Stoffe beſäßen, und stellten fich, 
als ob jie glaubten, daß wir den ganzen weiten Weg nur gemacht 
hätten, um fie zu befriegen. Dem gegenüber jtellten wir ihnen vor, daf 
alles, was wir während unferer neuntägigen Raſt brauchten, 6 Kolben 
Mais täglich fein. Dann verjchwanden drei Gewehre, doch leugneten 
die Anführer jegliche Kenntnig davon ab. Wir waren gezwungen 
in Rückſicht zu ziehen, da wenn fie uns wirklich im Verdacht hatten, 
Schlimmes gegen fie im Schilde zu führen, e8 für fie gewiß Die 
ſicherſte und ſchlaueſte Politit war, insgeheim unfere Waffen anzu= 
faufen und ung vollitändig wehrlos zu machen, weil fie uns dann zu 
allen von ihnen beliebten Bedingungen zwingen konnten. 

Am 21. October wurden weitere ſechs Gewehre verfauft. Wenn 
das in diejer Weile fortging, würde die Erpedition binnen kurzem Schiff- 
bruch gelitten haben, denn eine Truppe von Männern, welche fich ohne 
Waffen mitten im Herzen von Afrika befindet und eine Horde Feinde im 
Oſten gegen fich und eine große Schar von Leuten, die von ihnen ab— 
hängig find, im Weiten ftehen hat, ift ohme Hoffnung auf Rettung 
verloren. Das VBordringen wie der Nüdzug waren in gleicher Weiſe 
abgejchnitten, und es blieb fein anderer Ausweg übrig als abjolute 
Unterwerfung unter den Willen des Häuptlings, der ſich unfern Herrn 
zu nennen beliebte, oder der Tod. ch beichloß daher, gegen ein jolches 
Schickſal meinerjeits mit aller Macht anzufämpfen und es entweder 
ſofort zu provoeiren oder durch raſches Handeln abzuwenden. 

Ich ließ die Truppen zur Muſterung antreten umd verurtheilte 
die fünf Mann, welche ihre Waffen nicht mehr befahen, zu je 25 Beitjchen- 
hieben und zur Feſſelung. Nachdem die Leute jehr viel Lärm und 
Geſchrei gemacht hatten und als gerade die Strafe an einem der Ver— 
urtheilten vollzogen werden jollte, trat ein anderer vor und bat um 
die Erlaubniß, Sprechen zu dürfen. 

„Diefer Mann ift unschuldig, Herr. Ich Habe jein Gewehr in 
meiner Hütte; ich habe es geitern Abend Djima (einer unjerer Köche), 
dem Sohn des Forfali, abgenommen, als er es zu einem Manjema 
brachte, um es zu verkaufen. Bielleicht hat Djuma es diefem Mann 
gejtohlen. ch weiß, daß alle Verurtheilten angegeben haben, die Ge- 
wehre feien ihnen geitohlen worden, während fie jchliefen. Das ift 
vielleicht wahr, wie in diefem Falle.“ Inzwiſchen war Djuma geflohen, 
doch wurde er jpäter in den Maisfeldern verborgen aufgefunden. Er 
geitand, daß er zwei Gewehre geitohlen und zu dem Angeber gebracht 
habe, um fie für Mais oder eine Ziege zu verkaufen; er habe es aber 


230 Zehntes Kapitel. [3poto 


nur auf Anftiften des Angeber3 gethan. Vielleicht war dies wahr, 
da es faum einen unter ihnen gab, der eines ſolchen Benchmens nicht 
vollftändig fähig geweſen wäre; allein die Geſchichte ſchien doch nicht 
ganz ficher und klang in diefem Falle unglaubwürdig, ſodaß ich nicht 
darauf einging. Dann trat aber ein anderer vor und bezeichnete 
Djuma als den Dieb, der jein Gewehr geftohlen habe, und da er jeine 
Behauptung bewies und der Miffethäter es auch eingejtand, jo wurde 
diejer zu jofortiger Hinrichtung verurtheilt, die demgemäß durch Hängen 
vollzogen wurde. 

Weil es nunmehr über jeden Zweifel bewiejen war, daß die 
Manjema unjere Gewehre für den Preis von wenigen Maiskolben 
anfauften, ließ ich ihren Anführer fommen und ftellte in aller Form 
das Verlangen jofortiger Rückgabe, weil ſonſt die Manjema für die 
Folgen verantwortlich fein würden, Letztere wollten anfänglich wüthend 
werden und trieben die Sanfibariten aus dem Dorfe in die Lichtung, 
ſodaß große Ausficht auf einen Kampf vorhanden und es ebenjo wahr- 
fcheinlich war, daß die Erpedition im Begriffe ſtand, Schiffbruch zu 
leiden. Da unjere Leute jo volljtändig demoralifirt und nad) den er- 
tragenen Leiden jo jehr entmuthigt waren, daß wir ung nicht auf fie 
verlajien fonnten, und da fie ferner bereit waren, fich ſelbſt für Mais zu 
verfaufen, war wenig Ausficht vorhanden, daß wir im Falle eines 
Kampfes den Sieg erringen würden. Der Magen muß gefüllt jein, 
wenn man tapfer jein foll. Andererſeits mußte der Tod unter allen 
Umftänden ein Ende mit und machen, denn unter ſolchen Verhältnifjen 
unthätig zu bleiben, diente doch nur dazu, fchließlich die Entſcheidung 
durch Waffengewalt herbeizuführen. Gleichzeitig mit den elf Gewehren 
waren auch 3000 Patronen verkauft worden; es blieb mir daher nichts 
anderes übrig, als fejt auf meiner Zurüdforderung der Waffen zu be- 
jtehen, und ich wiederholte diejelbe mit der Drohung, daß ich jonft 
andere Mittel ergreifen würde. Als Beweis dafür, daß ich es ernftlich 
meinte, brauchten fie nur Die an dem Baum hängende Leiche anzu— 
jehen, denn wenn wir jchon bei unfern eigenen Leuten zu jo extremen 
Maßregeln jchritten, daß wir einen derjelben mit dem Tode beitraften, 
dann mußten fie jicherlich wiljen, daß wir vollftändig bereit jeien, aud) 
an denen Vergeltung zu üben, die in Wirflichfeit an feinem Tode 
ſchuld waren, weil fie ihre Thüren zum Empfang des uns geitohlenen 
Eigenthums offen gehalten hatten. 

Nach etwa einjtündigem Lärmen in ihrem Dorfe brachten fie mir 
fünf Gewehre und zeigten zu meiner Ueberraihung mir auch die Ver— 


23. Oct. 1887.) Bei den Manjema in $poto. 231 


fäufer derjelben an. Wäre es nicht unpolitisch gewejen, bei diejer erſten 
Gelegenheit die Dinge auf die Spitze zu treiben, dann würde ich es 
abgelehnt haben, ein Gewehr zurüdzunehmen, wenn mir nicht alle 
gebracht würden, und wäre ich der Hülfe von nur 50 Mann ficher 
geweien, dann wiirde ich mich für den Kampf entjchieden haben; aber 
gerade in dieſem Mugenblide kam Uledi, der treue Steuermann des 
„Advance“, ins Lager mit der Nachricht, daß das Boot wohlbehalten 
am Landungsplage von Ipoto liege und die ſechs vermißten An- 
führer halbverhungert und verirrt 6 km von der Niederlaffung 
entdectt worden ſeien. Dieje Meldung rief ein verjühnliches Gefühl 
in mir hervor. Die Dankbarkeit für die Entdedfung meiner vermißten 
Leute, der Anblick Uledi's, das Bewußtjein, daß ich troß der Ver— 
derbtheit der menschlichen Natur doc noch einige getreue Burjchen 
hatte, machten mich für den Augenblid jpradjlos. 

Dann erzählte ich Uledi den Vorfall, und er unternahm es, die 
feindfelige Stimmung der Manjema zu befeitigen, und bat mic), Ber: 
gangenes vergangen fein zu laffen, unter dem Hinweis darauf, daß die 
dunfeln Tage jetzt zu Ende feien und, wie er überzeugt jei, glüdliche 
Seiten für uns in Ausficht ftänden, 

„Denn, lieber Herr‘, jagte er, „nach der längjten Nacht bricht 
beftimmt der Tag an, weshalb ſoll alfo bei uns nicht Sonnenschein 
nad) der Dunkelheit fommen? Denkt daran, wie viele lange Nächte 
und dunkle Tage wir in alten Zeiten durchgemacht haben, als wir mit: 
einander durch Afrifa vordrangen, und laßt jebt Frieden in Euerm 
Herzen fein. Mit Gottes Willen werden wir binnen kurzem unfere 
Schwierigkeiten vergeſſen.“ 

Die Schuldigen wurden auf meinen Befehl bis zum Morgen ge- 
feſſelt. Wledi wandte ſich in feiner fühnen, offenen Weije direct an 
die Leidenjchaften der Manjema-Häuptlinge, die mir dann Mais 
brachten und fich entichuldigten, womit ich zufrieden war, Der Mais 
wurde unter unjere Leute vertheilt, und jo endete diefer unruhige Tag, 
der ung alle jo nahe an den Rand des Untergangs gebracht hatte, in 
weit befriedigenderer Weile, als ich es bei feinem unheiltündenden 
Beginn gehofft hatte. 

Unjere Anführer, welche wir als Borboten unjers Herannahens auf 
dem langen Landweg nad) Ipoto geſchickt hatten, trafen am Sonnabend, 
den 23. October ein. Sie hatten natürlich einen fruchtlofen Zug unter: 
nommen, da fie ung als jchon alte Bewohner des Ortes fanden, den 
fie Hatten auffuchen follen. Hager, bleich und jchwac infolge des 


232 Behntes Kapitel. [3poto 


1Ttägigen Lebens von den Gaben der unbewohnten Wildniß, ſchämten 
fie ſich auch wegen ihres Nichterfolges. Sie waren an den aus Süd— 
ojten kommenden Ibina-Fluß gelangt, hatten denjelben zwei Tage— 
märjche oberhalb jeiner Mündung in den Ituri erreicht und waren 
ihm dann bis zu feiner Vereinigung mit dem Hauptſtrom gefolgt. 
Dort hatten fie ein Kanode gefunden und waren ans rechte Ufer ge: 
rudert, wo fie vor Hunger beinahe umgefommen waren. Glücklicher— 
weiſe hatte Uledi fie rechtzeitig entdecdt und ihnen die Richtung nach 
Ipoto angegeben, worauf fie, jo gut fie konnten, nad) dem Lager ge: 
frochen waren. 

Bor Abendwerden kehrte auch Sangarameni, der dritte der Ma- 
njemaszzührer, mit 15 jchönen Elefantenzähnen von einem Raubzuge 
zurüd. Er erzählte, er habe einen 2Otägigen Marjch gemacht und von 
einem hohen Hügel in ein offenes Land Hinabgeblict, das überall mit 
Gras bededt gewejen jei. 

Bon einem Vorrath von Mais, den ich an dieſem Tage erhielt, 
fonnte ich jedem Manne zwei Stolben geben und auch noch einige Körbe 
voll für die Abtheilung Nelſon's zurücdbehalten. Allein die Dinge 
fchritten nicht glatt weiter und ich konnte feine günftige Antwort auf 
meine dringende Bitte um Entjendung eines Entjabcorps befommen. 
Einer unferer Leute war von den Manjema mit einem Speer erftochen 
worden, weil er auf den Feldern Getreide geftohlen hatte; einer war 
gehängt, 20 waren wegen Diebjtahls von Munition gepeiticht worden 
und ein anderer hatte von den Manjema 200 Hiebe befommen, weil 
er zu jtehlen verjucht hatte. Wenn die Leute während Diejer Zeit nur 
vernünftig hätten denken können, wie raſch wären die Dinge in anderer 
Weiſe erledigt worden! 

IH Hatte zu ihmen geiprochen und fie in allem Ernfte gebeten, 
auszuhalten und guten Muthes zu jein; es ſeien zwei Wege zur 
Erledigung der Sache, doch fürdjtete ich nur, daß fie den Auswurf 
der Manjema unfern Löhnen und Arbeiten vorzögen; die Manjema 
bewiejen ihnen, was fie von ihnen zu erwarten hätten; bei uns jeten 
die ſchlimmſten Zeiten vorüber; alles, was wir zu thun hätten, ſei, 
über den äußerften Bereich der Naubzüge der Manjema hinauszumar- 
ſchiren, worauf wir alle ebenjo kräftig werden würden wie fie. Bah! 
ich hätte meine Ermahnungen ebenjo gut an die Bäume des Waldes 
richten können wie an dieje von Verzweiflung erfaßten Wichte. 

Die Manjema hatten mir zu drei verjchiedenen malen veriprochen, 
an diefem Tage SO Mann als Hülfscorps nach dem Lager Neljon’s 


26. Oct. 1887.] Bei den Manjema in Jpoto. 233 


abzujchiden, doch hatten die Ankunft Sangarament’s, ſowie verschiedene 
Misverftändniffe und andere Kleinigkeiten die Vereinbarung wieder 
über den Haufen geworfen. 

Am 24. hörten wir Schiefen auf der andern Seite des Fluſſes, 
und unter dem Borwande, daß es die Ankunft Kilonga-Longa’s an 
fündige, wurde die Hülfsfaravane wiederum am Abmarjc) verhindert. 

Am nächſten Tage trafen die Leute, welche geichoffen hatten, im 
Lager ein und erwieſen fich als die Manjema:Sflaven, welche wir 
am 2. October gejehen hatten, Sie hatten von 15 Mann einen durch 
eine Pfeilwunde verloren und waren 24 Tage umhergewandert, um 
den Weg zu juchen, doch hatten ihre Lebensmittel, da fie feine weitern 
Lajten gehabt hatten, bei einiger Sparjamfeit 15 Tage ausgehalten; 
die legten neun Tage hatten fie fih von Schwämmen und Früchten 
des Waldes genährt. 

An diefem Abend gelang es mir, die drei Häuptlinge zur Unter: 
zeichnung eines Vertrags zu bewegen und zu Folgendem zu ver: 
pflichten:: 

„Kapitän Neljon 30 Mann mit 400 Kolben Mais für feine Leute 
zu Hülfe zu jenden; 

„Kapitän Neljon und Dr. Barfe, jowie alle Kranken, welche zur 
Arbeit auf dem Felde nicht im Stande find, bis zu unjerer Rückkehr 
vom Albert-See mit Lebensmitteln zu verjorgen; 

„Uns einen Führer von Ipoto nad Ibwiri zu geben, wofür 
wir bei der Ankunft der Nachhut anderthalb Ballen Stoffe zahlen 
jollten‘ 

Der Vertrag wurde von Raſchid in arabischer und von mir in 
englischer Sprache aufgejeßt und von drei Leuten als Zeugen unter: 
jchrieben. 

Für einige Lurusgegenftände aus meinem perjönlichen Eigenthum 
gelang es mir fir Herrn Jephſon und Kapitän Nelfon 250 Kolben 
Mais zu kaufen; ferner erwarb ich für 250 Piltolenpatronen eine ent: 
iprechende Menge, für einen Heinen Spiegel mit Elfenbeinrahmen aus 
einem Neifenecejlaire zwei Körbe voll Mais und für drei Fläjchchen 
Nojenejienz drei Hühner, ſodaß ich für die Nettungsmannfchaft umd 
für die geretteten Leute 1000 Kolben Mais beſaß. 

Am 26. October traten Herr Mounteney Jephſon, 40 Sanfibariten 
und 30 Manjema- Sklaven den Marſch nach dem Lager Nelfon’s an; 
ich) vermag denjelben nicht beifer zu jchildern als durch Einfügung 
de3 Berichts des Herrn Jephſon. 


234 Zehntes Kapitel. [Ipoto 


Arabiiche Niederlaffung bei Ipoto, 
4. November 1887. 
Geehrter Herr! 


Am 26. October brad ich mittags auf und traf am jelben Nachmittage 
mit 30 Manjema und 40 Sanfibariten am Fluſſe ein, überjchritt denſelben und 
ichlug nad; der Landung das Lager auf. Am nächſten Morgen machten wir uns 
frühzeitig auf den Weg, worauf wir gegen Mittag das Lager erreichten, two wir den 
Fluß überfchritten haben, als wir in halbverhungertem Zuftande umherwanderten, 
um die Araber aufzufuchen. Die Zeichen und Pfeilfpigen, mit denen wir bie 
Bäume bezeichnet hatten, um den Anführern mitzutheilen, daß wir über den Fluß 
gegangen feien, waren noch friſch. Am ſelben Abend erreichte ih nod einen 
zweiten von unfern Lagerplägen und am nächiten Tage legten wir beinahe drei 
von unfern frühern Märichen zurüd, Das Lager, wo Feruſi Ali feine Todes- 
wunde erhielt und wir drei fol fchredlihe Tage des Hunger und der Sorge 
verfebt haben, fah jehr traurig aus, als wir durchpaffirten. Im Laufe des Tages 
bemerkten wir die Gerippe von drei von unfern Leuten, welche liegen geblieben 
waren und geradezu verhungert find; fie erinnerten in fchredfichfter Weije an das 
Elend, welches wir kürzlich durchgemacht haben. 

Sobald e3 am 29. October Tag wurde, brach ich auf, da ich entichloffen war, 
Nelfon an diefem Tage zu erreichen und die frage zu entſcheiden, ob er nod am 
Leben fei. An Begleitung von nur einem Mann befand ich mid; bald meinen 
übrigen Leuten weit voraus, Als ich mich dem Lager Nelfon’s näherte, überkam 
mich eine fieberhafte Ungeduld, fein Schickſal zu erfahren, und ich drang rajch vor, 
durch Fluß und Bach und Sumpf und über Hügel, über melde fich unjere ver: 
hungernden Leute mit den Abtheilungen des Bootes langjam und mühlam weiter 
gearbeitet hatten. Wir paflirten alle Schwierigfeiten heute jehr jchnell; wieder 
bezeugten uns die Sfelette am Wege die Prüfungen, welche wir durchlebt hatten. 
Als ih von dem Hügel in Nelfon’s Lager herabfam, hörte ich feinen weitern 
Laut, als das Aechzen zweier Sterbenden in einer nahen Hütte; der ganze Plaß 
hatte das Ausſehen des Verlaffenjeins und der Trauer. Ich ging leife um das 
Zelt herum und fand Nelfon dort fißen; wir jchüttelten uns die Hand, dann 
wandte der arme Burjche fih ab und feufzte und murmelte ettwas über feine jehr 
große Schwäche. 

Das Ausſehen Nelſon's hatte fich fehr verändert; er jah matt und hager aus 
und hatte tiefe Falten um Augen und Mund. Er erzählte mir von feiner Sorge, 
als ein Tag nach dem andern verſtrich und feine Hülfe fam; endlich war er zu 
der Heberzeugung getommen, dab uns etwas paſſirt jei und wir gezwungen geweſen 
jeien, ihn zu verlaffen. Er hatte Hauptfählih von Früchten und Schwämmen 
gelebt, die feine beiden Jungen ihm täglich gebracht hatten. Won ben 56 Dann, 
welche Sie bei ihm gelaffen haben, waren nur noch 5 übrig, und von dieſen lagen 
zwei im Sterben. Alle übrigen waren entweder bejertirt oder umgefommten. 

Er jelbit ertheilt Ihnen einen Bericht über jeine Verluste durch Tod und Des 
jertion. Ich übergab ihm die Lebensmittel, welche Sie ihm geſandt und bie ich 
unterwegs jorgfältig bewacht habe; er lich fich fofort eins der Hühner und einen 
Brei fochen, bie erite nahrhafte Speife, die er feit vielen Tagen gehabt Hat. 
Nachdem ich einige Stunden bei ihm geweſen war, famen auch meine Leute an 
und drängten fih um das Zelt, um ihn zu beglüdwünichen. 

Wie Sie fih erinnern werden, hatte Nelion mehrere Tage, bevor wir ihn 
verließen, jehr ſchlimme Fühe, fodaß er während der ganzen Zeit, die er hier war, 


abvſaabuntz m uaquaqaaaqon aag QUN uoſeu suppdug 594 






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ASTOR,LENOX AND 
TILDEN FOUNDATIONS 
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26. Det. 1887.) Bei den Manjema in Ipoto. 235 


das Zelt nicht hatte verlaffen können. Einmal hatte er zehn Geſchwüre an einem 
Fuße, jegt ift er jedoch größtentheils wiederhergeftellt und meint, daf er im Stande 
jein würde, langjam zu marſchiren. Am 30. October traten wir den Rückmarſch 
an. Ich theilte die meiften Laften an die Manjema und Sanfibariten aus, war 
aber gezwungen, 13 Kiften Munition und 7 andere Laften zurückzulaſſen. Ich 
habe diejelben vergraben, ſodaß Parke fie jpäter holen kann. 

Nelfon machte die Märjche beffer, ala ich erwartet hatte, wenn er auch am 
Ende jedes Tages ftark erichöpft war. Auf dem Rüdwege überjchritten wir ben 
Fluß weiter abwärts und wanderten dann am rechten Ufer hinauf, bis wir einen 
Tagemarſch von dem Lager der Nraber Ihre alte Straße trafen. Hier jahen 
wir noch mehr Stelette, an einer Stelle drei faum 200 m voneinander entfernt. 

Am fünften Tage, d. i. am 3, November, erreichten wir das arabiiche Lager und 
hatten jomit den Entſatz Nelſon's durchgeführt. Er hat ſich troß des Marſchirens 
ihon wieder ganz erholt, kann aber nachts nicht ſchlafen und befindet ſich nocd in 
nervöſem und ſtark aufgeregtem Zuftande, doch hoffe ih, daß die Ruhe im ara- 
biichen Lager ihn wieder aufrichten wird. Das ift fiher, daß er bei jeinem Ge— 
jundheitszuftande ung auf unfern Wanderungen beim Auffjuchen von Lebensmitteln 
nicht hätte folgen können; er wäre unterwegs umgefallen. 


Ich bin u. f. mw. 
A. J. Mounteney Jephſon. 


Kapitän Nelſon und Dr. Parke haben folgende Berichte abgeftattet. 


Arabifches Dorf, Ipoto, 6. November 1887. 
Geehrter Herr! m’ 

Herr Jephion ift am 29. October mit ben Beujgn flir die Laften und den mir 
von Ihnen gejandten Lebensmitteln in meinem Lager eingetroffen. Vielen Danf 
für die Nahrung, fie war dringend nothivendig. Er wird Ahnen erzählen, in 
welhem Zuftande er mich und die wenigen Leute fand, die noch am Leben find. 

Sie verließen mich am 6. October. Am Morgen des 9. ließ ich ein Kande 
bereit machen und fchiete Umari und 13 der beiten Leute, welche ich finden fonnte 
(fie waren alle jehr jchlecht), über den Fluß, um Lebensmittel zu ſuchen. Am 8. 
fam Aſſani (von der eriten Compagnie) zu mir und fagte, er fei krank von der 
Eolonne zurüdgelehrt. Am jelben Tage traf der Bruder Uledi's im Lager ein 
und meldete, er habe auf der Suche nad) Bananen in der Nähe des Lagers, wo 
wir die Manjema-Leute trafen, ben Weg verloren. Am 10. fand ich, daß Diuma, 
einer der Anführer des Herrn Stairs, in der Naht mit 10 Mann bejertirt war, 
ein Kanoe geftohlen hatte und damit flußabwärts gefahren war. Am 11. zählte 
ich die Leute und fonnte nur noch 17 auffinden, während ich am eriten Tage 52 
gehabt hatte; die übrigen waren fort, entweder hinter der Eolonne her oder fluß- 
abwärts. Am 14. ftarb ein Mann. Umari fehrte mit einigen wenigen Bananen, 
ungefähr für zwei Tage genügend, zurüd; diejelben waren uns ſehr willlommen, 
da ich bis dahin nichts als Kräuter und Schwämme zu effen gehabt hatte. Am 
15. ftarb wieder ein Mann; ich fand ferner, dab Saadi (Nr. 1) während der Nacht 
mit einigen andern Leuten ins Lager gelommen war, das Kanoe, mit welchem 
Umari über den Fluß zurüdgefehrt war, geftohlen hatte und dann flußabwärts 
gefahren war. Am 17. entfernte jih Umari mit 21 Mann, um Lebensmittel zu 
ſuchen; am 19. ftarb 1 Mann, am 22. 2 Mann, am 23. 1 Mann, am 29., an 
welhem Tage Jephion ankam, 2 Mann, am 30. 1 Mann. Als wir das Lager 


236 Behntes Kapitel. [Ipoto 


auf dem Wege nach hier verließen, war Umari noch nicht zurüdgefehrt; ich bin 
aber überzeugt, daß er, wenn er noch am Leben ift, hierher fommen wird. Wie 
viele Leute er bei fich hat, vermag ich nicht zu jagen, möglicherweile werden 5 oder 
6 Mann mit ihm hier eintreffen. Abgeſehen von einigen wenigen Bananen, welche 
id von Umari erhielt, habe ich mich nur von Kräutern, Schwämmen und twenigen 
Mabengu-zrücten ernährt. Ich hatte am linken Bein und Fuß zehn Geichwüre, 
war deshalb nicht im Stande, ſelbſt nach Lebensmitteln zu fuchen, und wurde einzig 
und allein von meinen zwei Jungen und dem feinen Barnf, einem von meinen 
Leuten, ſowie Abdulla, den Stairs bei mir zurüdgelaffen hatte, am Leben er- 
halten. Bei Jephſon's Ankunft war ich jeher Schwach, jetzt fühle ich mich jedoch 
etwas beifer. Wir trafen am 3, November hier im Dorfe ein, wo der Häuptling 
Ismaili mir am Tage der Ankunft ein Feines Quantum grobes Mehl und zwei 
Heine getrodnete Fiſche brachte, ungefähr gerade genug für eine Mahlzeit. 

Da wir jeit zwei Tagen feine Lebensmittel erhalten hatten, fchidte ich gejtern 
danach, worauf Jamaili, nachdem er eine Menge Schwierigkeiten gemacht hatte, 
uns ein wenig Mehl jandte. Gegenwärtig lebe ich vom Verlauf meiner Kleidungs— 
ftüde, da wir von dem Häuptling faum etwas befommen. Heute gingen wir, 
Dr. Parfe und ich, mit Hamis Bari als Dolmeticher zu dem Häuptling und ſprachen 
mit ihm über die Lebensmittel; er fagte, für meimen Unterhalt jei von Ihnen 
feine Bereinbarung getroffen und er ernähre den Doctor und mich nur 
aus eigener Generojität, lehne es aber ab, unſere Jungen, drei im ganzen (mit 
weniger fünnen wir nicht ausfommen), zu füttern, da Sie ihm feinen Auftrag dazu 
gegeben hätten, 

Ich habe die Ehre zu fein zc. ac. 

N. H. Nelion. 


Nrabiiches Lager Ipoto, 
6. November 1887, 


Mein lieber Herr Stanlen ! 


Kapitän Nelfon und Herr Jephſon find am 3. d. M. hier eingetroffen, nad). 
dem einige der Sanfibariten und Manjema am Tage vorher mit ihren Laften 
angefommen waren. Von allen im Lager Neljon’s zurüdgebliebenen Leuten find 
nur fünf hier angelangt; die übrigen, welche fich noch am Leben befinden, waren 
bei der Ankunft der Hiffsabtheilung mit Umari auf einer Fourragirtour begriffen. 
Höchſt wahrjcheinfich werden einige von ihnen den Weg hierher finden; in dieſem 
Falle werde ich Jsmaili veranlafien, ihnen zu erlauben, daß fie für ihre Verköſtigung 
arbeiten, Nelion ſchwankte, im Ausſehen jehr verändert, ins Lager; er ift durch den 
Marſch ein vollitändiges Wrad geworden, feine Züge find eingefallen und zeigen die 
erlittene Noth, feine Geſtalt ift auf die Hälfte der frühern Größe reducirt. ch habe 
als Arzt mein Beites für ihn gethan, doch bedarf er guter, nahrhafter Speife, um 
ihm jeine frühere Kraft wiederzugeben. Zu meinem Bedauern muf ich indeß jagen, 
daß meine hiefigen Erfahrungen und die Unterredung, welche wir heute mit Ismaili 
gehabt haben, darauf hindeuten, daß wir hier von fjpärlicher Nahrung werden 
leben müſſen. Seitdem Sie fort find, befam ich etwas Mehl und Mais von den 
Häuptlingen, meift aber erft, nachdem ich mehreremal danach geichieft hatte. Durd) 
einen glüdlichen Zufall erhielt ich eine Ziege, welche ich zum größten Theile unter 
die hier befindfihen Kranken vertheilte, da ich durch Hamis Bari von Jsmaili 
erfahren habe, daß nur diejenigen, welche auf den Feldern arbeiten, zu eſſen be— 


26. Oct. 1887.] Bei den Manjema in Ipoto. 237 


fommen. Wir haben aber einige Leute, welche thatſächlich nicht im Stande find zu 
arbeiten, und deshalb auf den Edelmuth der andern vertrauen, die an jedem Tage, 
an welchem sie arbeiten, fünf Maiskolben erhalten. Nelſon und ich haben beide 
viel Schwierigkeiten gehabt, um von Jsmaili Lebensmittel für unjern eigenen 
Bedarf zu befommen, auch hat er fich geweigert, unfere Jungen zu füttern, die 
wir abjolut zum Waflerholen, Kochen u. j. w. gebrauchen, obwol ich für mid) jept 
überhaupt nur noch einen einzigen Habe, 

Heute begaben wir uns, Nelfon und ich, mit dem Dolmeticher Hamis Bari 
zu Ismaili, welcher erflärte, Sie hätten den Häuptlingen gelagt, daß ein großer 
Miungu (Neljon) fommen und jelbjt Vereinbarungen wegen feiner Yebensmittel treffen 
werde, daß ich aber hier von feiner (Ismaili's) Generofität lebe, da Sie wegen 
meiner feine Vereinbarung getroffen hätten. Ich erinnerte ihn an die Unterredung, 
welche Sie mit ihm gehabt haben an dem Abend, als Sie mich rufen liegen und mir 
Ihre goldene Uhr gaben, und erklärte ihm, Sie hätten mir gejagt, daß Sie mit den 
Häuptlingen ein jchriftlihes Abkommen getroffen hätten, wonach Nelſon und ich 
beide mit Lebensmitteln verfehen werden jollten. Wir jagten ihm beide, wir ver— 
langten feine Ziegen und Hühner, jondern nur das, was er uns geben könne. 
Da ich eine jchriftliche Vereinbarung jelbjt nicht gejehen Hatte, fonnte ich mit ihm 
nicht weiter ftreiten, verlangte aber, daß er mir das Pocument zeigen ſollte, 
damit ich ihm überzeugen könne; allein er behauptete, das nicht zu können, weil 
der Häuptling Hamis das Schriftſtück habe, der nicht hier jei und erſt in zwei 
Monaten zurüdtehren werde. Bald nachher ichidte er uns aber doc etwas Mais. 
Es ift eine ſehr unglüdfiche Lage für ung, die wir hier jo lange zu bleiben haben 
werden. Neljon hat viel von jeinen Kleidungsitüden verkauft, und ich habe von 
meinem jpärlichen Vorrathe (denn mein Kleiderſack ift auf dem Marſche verloren 
gegangen) ebenfalls noch weiteres verkaufen müffen, um uns mit genügenden 
Lebensmitteln zu dverjorgen. 

Wir werden hier jo gut wie möglich fertig zu werden juchen und viele Opfer 
bringen, um die freundlichen Beziehungen mit den Araber aufrecht zu erhalten, da 
dies don größter Wichtigkeit ift. Bon ganzem Herzen hoffe ih, daß Sie bei der 
Erreihung des Zieles der Erpedition in jeder Beziehung Erfolg und wir alle bald 
die Gelegenheit haben werden, mit Ihnen wieder zufammenzutreffen und Emin 
Paſcha zu jeiner Befreiung zu beglüdwünichen. 

Mit den beiten Wünſchen ꝛc. ıc. 

Dr. T. 9. Parke. 


Arabiiches Dorf Ipoto, 
10. November 1887. 


Geehrter Herr! 


Leider habe ich Ihnen mitzutheilen, daß mehrere Verjuche gemacht worden 
find, die Hütte zu berauben, und daß es auch geitern Nacht den Dieben leider gelungen 
ift, während wir beim Eifen waren, eine Kifte Munition aus dem Zelte Parle's 
zu ftehlen, ſowie daß einmal verfucht worden ift, die Hütte in Brand zu jteden, 
was ich glüdlicherweife verhindern konnte, weil ich nicht zu ſchlafen vermochte. 
Wir haben mit dem Häuptling Jsmaili über die Piebftähle geiprochen; er jagt, fie 
gingen von den Sanfibariten und nicht von jeinen Leuten ans; wenn aber bie 
Patronen fich nicht verfaufen fliehen, würden fie nicht geitohlen werden. Das it 


238 Zehntes Kapitel, [3poto 


wirklich ein rechtes Unglüd für uns. Geitdem Jephjon fort ift, hat Ismaili uns 
die enorme Menge von 40 Heinen Maiskolben geliefert; das ift ſelbſtverſtändlich 
lächerlich wenig, und da wir davon nicht leben können, juchen wir uns Kräuter, 
mit denen wir unſere jpärliche Koſt ergänzen. 
Uledi kehrte heute Nachmittag zurüd und geht morgen weiter; ich gebe ihm 
diefen Brief mit. 
Mit freundlichiten Grüßen an Sie, geehrter Herr, an Staird und Jephſon 
x. x. 
N. H. Neljon. 


N. S. Gerade als ich diefes Schreiben beendet hatte, fchidte der Häuptling 
uns etwas Mehl, was offenbar nur geichehen ift, damit Uledi, welcher auf den 
Brief wartet, Ihnen erzählen fann, daß wir reichlich (I!) Nahrungsmittel erhalten. 

Herrn 9. M. Stanley, 
Befehlshaber der Erpedition zum Entſatze Emin Rajcha’s. 

Am Abend des 26. October trat Igmaili in meine Hütte umd 
erffärte, er habe mich jo lieb gewonnen, daß er außerordentlich gern 
die Ceremonie der Blutsbrüderjchaft mit mir vornehmen möchte, und 
da: ih im Begriffe ftand, Kapitän Nelfon, Dr. Parke und etwa 
30 Kranfe feiner und der Obhut feiner Mithäuptlinge anzuvertrauen, 
erklärte ich mic) fofort bereit dazu, obwol ich es etwas unter mei- 
ner Würde hielt, Brüderjchaft mit einem Sflaven zu machen; allein 
da er bei jener Horde blutgieriger Banditen große Gewalt beſaß, 
verichmerzte ich meine Würde und unterwarf mich der Geremonie, 
Dann wählte ich eine jeidene Dede im Werthe von über 100 Mearf, 
jeidene Tajchentücher, ein paar Meter farmoifinrothen Stoff und 
einige weitere foftbare Kleinigkeiten für ihn aus, traf jchließlich nod) 
ein chriftliches Abkommen mit ihm wegen der Führer, welche mid) 
eine Entfernung von 15 Lagern, bis wohin, wie er jagte, jein Ge— 
biet reichte, begleiten Sollten, jowie wegen der guten Behandlung 
meiner Offiziere und übergab ihm als Sicherheit für die Vereinbarung 
in Gegenwart des Dr. Parke eine goldene Uhr nebſt Kette, welche in 
London einen Werth von 49 Pfd. St. Hatte, 

Am nächſten Tage ſetzten wir, nachdem ich Dr. Barfe mit der 
Pflege feines Freundes Nelſon und von 39 Kranken beauftragt hatte, 
mit unſerer reducirten Truppe den Marſch von Ipoto fort, um noch— 
mals in der Wildniß den Kampf mit dem Hunger aufzunehmen. 


Elftes Rapitel. 
Durch den Wald bis zu Mafamboni’s Pic, 


Im Lande der Baleſſe. — Ihre Häufer und Lichtungen. — Eingeborene von 
Buliri. — Das erfte Zwergendorf. — Steigerung unferer Marſchgeſchwindigkeit. 
— Die Straße jenjeit Mambungu. — Halt in Dft- und Weſt-Indekaru. — Ein 
Heiner Zank zwiichen „Three D’clod” und Ehamis, — Ankunft in Ibwiri. — 
Ehamis und die „elenden Sanfibariten”. — Die Lichtung von Ibwiri. — Fülle 
bon Lebensmitteln. — Der Zuftand meiner Leute und die von ihnen ertragenen 
Leiden. — Chamis erforfcht mit feiner Truppe die Uingegend. — Er ehrt mit 
einer Ziegenheerde zurüd. — Chamis nimmt Borjo gefangen, der wieder freigelaffen 
wird. — Jephion fehrt von der Rettung des Kapitän Nelſon zurück. — Abmarſch des 
Chamis und feiner Manjema. — Rechnung für die Herren Kilonga-Longa u. Co. 
in Ipoto. — Selbitmord Simba’s. — Sali’3 Betrahtungen über denſelben. — 
Recognofeirung durch Lieutenant Staird. — Mufterung und Neorganifation in 
Ibwiri. — Gebeiferter Zuftand der Leute. — Das Dorf Borjo's. — Sitten der 
Baleſſe. — Dft-Indenduru. — Wir erreichen die Grenze des Waldes. — Der 
Berg Pisgah. — Das Dorf Jjugu. — Endlich wieder im Sonnenfhen; das 
wundervolle Grasland. — Zufammentreffen mit einem alten Weibe. — Indeſura 
und jeine Producte. — Gefangennahme Djuma's. — Wieder am Ituri. — Wir 
gelangen auf eine wellenförmige Ebene und fourragiren in mehrern Dörfern. — 


Die Bauart der Hütten. — Der Diſtriet der Babuſeſſe. — Unſere Mbiri- 
Gefangenen. — Angriff der Eingeborenen auf das Lager. — Der Lauf des 
Ituri. — Die Eingeborenen von Abunguma. — Unſere Koft jeit dem At- 


mariche von Ibwiri. — Maſamboni's Pic. — Der Oſt-Ituri. — Eine Menge 

Pilanzungen. — Sceinangriff der Eingeborenen. — Lager auf dem Gipfel des 

Ujera Rum. — „Sei ſtark und guten Muthes.“ — Freundichaftlicher Verkehr mit 

ben Eingeborenen. — Wir find gezwungen fie zu zerjtreuen, — Der Friede her- 
gejtellt. — Waffen der Banduffuma, 


In 2 Stunden marjchirten wir bis Jumbu und am nächſten 
Tage in 4, Stunden nach Bufindi. 

Wir befanden uns jebt im Lande der Baleſſe. Die Bauart der 
Dörfer iſt hier eine ganz andere. Die Eigenthümlichkeit befteht in einer 
langen Straße, die auf beiden Seiten von einem langen niedrigen 
Holz oder eigentlich Planfengebäude von 60, 80 oder 120 m Länge 
eingefaßt wird. Auf den erften Blick jcheinen diefe Dörfer ein 
langes mit fchrägem Dach verjehenes Gebäude zu fein, welches genau 


240 Elftes Kapitel. Buſindi 


dem Firſt des Daches entlang in der Mitte durchgeſchnitten iſt, worauf 
dann beide Hälften des Hauſes je 6—9 m zurücgejchoben, an den innern 
Seiten mit Bretern befleidet und mit niedrigen Thüren verjehen 
worden find, welche die Eingänge in die unter einander nicht verbun- 
denen Gemächer bilden. Das Material zu diefen Gebäuden bietet 
das leichte Holz von Nubiaceen. Nachdem ein paffender Baum von 
45—60 em Durchmefjer gefällt ift, wird der Stamm in furze 
Stüde von 1Y,—1?”, m Länge zerlegt, die fich vermittelft harter Keile 
feicht ſpalten laſſen und mit Hülfe der fleinen, zierlichen Krummäxte 
der Eingeborenen zu gleichmäßigen, ziemlich glatten und vieredigen 
Planfen verarbeitet werden. Dieſe find gewöhnlid 27,—3 cm 





Schilde der Baleife. 


ſtark, während die Breter für die Dede oder innere Verſcha— 
lung dünner und jchmäler find. Sobald eine genügende Zahl von 
Bretern und PBlanfen fertig ift, wird die innere Bekleidung an den 
jenfrechten Stüben feftgebunden, oft jo hübjch, daß es ein Zimmer: 
mannslehrling mit Säge, Nägeln und Hammer nicht beifer machen 
fünnte; an der äußern Seite der Stützen werden die dickern Planfen 
oder breiten glatten Schalbreter befeftigt, während der Zwiſchen— 
raum zwiſchen der innern und äußern Bekleidung mit Phrynium— 
oder Bananenblättern ausgefüllt wird. Die der Straße zuge: 
fehrte Wand mag vielleicht 2%, m hoch fein; die nad dem 
Wald oder der Lichtung gefehrte Rückwand hat eine Höhe von 1/,— 
1", m, und die Tiefe des Gebäudes ſchwankt zwifchen 2 und 3 m. 
Alles in allem ift dies eine bequeme und fejte Bauart, im alle 








Gymnaſtiſche Uebungen in einer Waldlicdytung. 





27. Dct. 1887.] Durh den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 941 


einer Feuersbrunſt allerdings ziemlich gefährlih, aber mit wenig 
‚Mühe zu vertheidigen. 

Eine weitere Eigenthümlichfeit der Baleſſe ift der Zuftand ihrer 
Lichtungen, Die zum Theil jehr ausgedehnt find, einen Durchmeſſer 
bis zu 2%, km haben und ſämmtlich überall mit den Ueberreſten, 
Trümmern und Stämmen des Urwaldes bededt find. In der That 
läßt fich eine Lichtung der Balefje mit nichts Beſſerm vergleichen, ala 
mit einem Das Hauptdorf umgebenden mächtigen Verhau, über wel: 
chen der Reiſende fich einen Weg zu juchen Hat. Tritt man aus dem 
Schatten des Waldes heraus, jo führt der Pfad anfänglich vielleicht 
30 m dem Stamme eines großen Baumes entlang, wendet fi dann 
im rechten Winfel einen Meter längs eines ftarfen Aftes, und führt 
darauf einige Schritte über den Erdboden, bis man vor einem ge— 
fällten dien Baume von 1 m Durchmeſſer fteht, über den man hin- 
wegflettern muß, um fi; im nächjten Augenblide dem ausgedehnten 
Geäft eines weitern Baumrieſen gegenüber zu finden, durch welches 
man friechen, gleiten und fich, winden muß, um feften Fuß auf einem 
Zweige zu befommen. Aus dem Geäft gelangt man auf den Stamm, 
worauf man eine halbe Wendung nad) rechts macht, dem an Stärfe 
zunehmenden Baum entlang gift, bis man-'einen auf umd über den 
erſten Hinmweggefallenen Stamm zu erffettery" hat, dem man nad) 
einer halben Wendung nad) links aufwärts folgt, bis man die Höhe 
von 6 m über dem Erdboden erreicht hat. Zwiſchen dem Geäfte in 
Diejer jchiwindelnden Höhe muß man vorſichtig und nervenftarf 
fein. Unter misfichem, gefährlichem Balanciren ſetzt man den Fuß 
auf einen Zweig und fteigt dann vorfichtig von der jteilen Höhe 
herab, bi8 man etwa 2 m vom Erdboden iſt, von wo man wieder 
auf einen andern allmählich dünner werdenden Aſt ſpringt, um ihn 
wiederum bis zur Höhe von 6 m zu verfolgen. Darauf geht e8 wieder 
über einen Baumriefen, dann nad) dem Erdboden hinab und auf dieje 
Weije ftundenlang weiter in der heißen, brennenden Sonne und der 
dumpfen, dunftgefüllten Atmojphäre der Lichtung, bis der Schweiß 
in Strömen aus den Poren fließt. Dreimal bin ich bei diefen jchred- 
lichen gumnaftischen Uebungen nur mit genauer Noth dem Tode ent- 
gangen. Ein Mann blieb nad) dem Falle auf der Stelle tobt, 
mehrere andere erhielten fürchterliche Berlegungen. Und dod) ift der 
Uebergang über den Verhau für den fat nadten Fuß nicht jo ge— 
fährlicy wie für den Stiefel, namentlih am frühen Morgen, wenn 
der Thau noch nicht aufgetrodnet it, und nach einem Negenguß oder 

Stanley, Im duntelften Afrika. I. 16 


242 Elftes Kapitel. Mambungu 


wenn die Vorhut die Stämme mit ſchmierigem Thon beſchmutzt hat. 
Ich bin innerhalb einer Stunde ſechsmal gefallen. Das Dorf ſteht 
im Mittelpunkt der Lichtung. Wir haben uns oft, wenn wir zu der 
Zeit, um welche wir das Lager aufzuſchlagen pflegten, an einer Lich— 
tung eintrafen, beglückwünſcht, dann aber oft noch anderthalb Stun— 
den gebraucht, um das Dorf zu erreichen. Es iſt ein ſeltſamer 
Anblick, eine mit ſchweren Laſten beladene Karavane über dieſes 
Wrack eines Waldes, über die mit Stämmen bedeckte Lichtung und die 
Flüſſe, Moräſte, Rinnſale und Gräben ſchreiten zu ſehen, die oft 
6—7 m umter einem zu paſſirenden dünnen, nur 15 em ſtarken 
gleihjam eine Brüde bildenden glatten Baum liegen. Einige Leute 
jtürzen, andere taumeln, einer oder zwei find bereitS gefallen, einige 
befinden fich in der Höhe von 6 m, andere friechen auf dem Erdboden 
unter den Bäumen hindurch; viele dringen durch ein Gewirr von Aeſten, 
dreißig Mann oder mehr jtehen auf einem einzigen geraden, dünnen 
Stamm, etliche find wie Schildwachen auf einem Zweig poftirt und 
willen nicht, wohin fie fich wenden jollen. Alles das wird aber noch 
viel befchwerlicher und viel gefährlicher, wenn aus Hundert Richtungen 
die todbringenden Pfeile der im Hinterhalt verborgenen Eingeborenen 
herumfliegen, Die, Gott ſei Danf, nicht ſehr zahlreich waren. Wir 
waren jo vorfichtig, Daß dies nicht oft vorkam, obwol wir jelten eine 
diefer jchredlichen Lichtungen haben verlajien fünnen, ohne daß dieſem 
oder jenem der Fuß durch ein ſpitzes Holzſtück verlegt oder der eine 
oder andere gelähmt worden war. 

Am 29. October marſchirten wir in 6 Stunden bis Bufiri oder 
Mijulu, eine Entfernung von 14", km. 

Einige wenige Eingeborene, welche durch Folterqualen und Ber: 
folgungen von den Manjema zur Unterwerfung gebradjt waren, bes 
grüßten und mit den Aufen: „Bodo! Bodo! Ulenda! Ulenda!‘“, 
wobei ſie ihre Worte mit einer werfenden Bewegung der Hand bes 
gleiteten, al8 ob fie andeuten wollten: „Fort! fort!‘ 

Der Häuptling hieß Muani. Die Eingeborenen trugen viel po= 
lirten Eifenfchmud, wie Ringe, Gürtel und Beinfpangen, und jcheinen, 
wie die Bewohner von Karagwe und Uhha, zahlreiche Beinfpangen aus 
Notangfafern ſowie Armſpangen aus demjelben Material beionders 
zu lieben. Sie bauen Mais, Bohnen, Paradiesfeigen und Bananen, 
Tabad, ſüße Kartoffeln, Yams, Eierpflanzen, Melonen und Kürbifie. 
Die Biegen find hübſch und ziemlich groß, die Hühner zahlreid), doch 
jind frische Eier jelten, 


1. Nov. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 243 


Zwiſchen einigen dieſer Dörfer fteht gewöhnlich eine mit einer 
Kuppel verjehene Hütte von größerm Umfange, ähnlich wie in Unjoro 
mit doppelten Borhallen verjehen. 

Während wir am nächſten Tage halt machten, forgten die Ma— 
njemas Führer in bejonderer Weije dafür, daß unjere Leute nicht in 
Zweifel Darüber blieben, daß fie von ihnen verachtet wurden. Sie 
wollten unjern Leuten, aus Furcht, daß ihmen jelbft ein wünſchens— 
werther Gegenjtand verloren gehen fünnte, nicht gejtatten, mit den 
Eingeborenen Handel zu treiben, und jchalten fie laut, wenn fie ich 
auf die Lichtung begaben, um Bananen abzujchneiden. Wie ich 
den Leuten jchon vorhergejagt hatte, ftiegen fie in der Gunft der 
Manjema feineswegs dadurch, daß fie die Weißen verließen und 
für unjere Ermahnungen, mannhaft und treu zu fein, nur taube Ohren 
hatten. Ein Wort, ja jogar ein Herausfordernder Blick wurde von 
den Sklavenfnaben unjerer ſechs Manjema-Führer mit einem heftigen 
Sclage mit dem Rohrſtock auf den nadten Körper beſtraft. Welch 
furchtbare Rache wurde geſchworen wegen der unwürdigen Behandlung, 
die unjere Leute zu ertragen hatten! 

Am 31. October trafen wir das erjte Dorf der Zwerge, und im 
Laufe des Tages noch mehrere verlafjene Niederlaffungen derjelben, 
Wir marjchirten in 5", Stunden etwa 14", km, und lagerten dann - 
in einem Zwergendorfe im Walde. 

Das Stehlen wurde fleißig fortgeiegt. Bei der Unterfuchung der 
Batronentafchen fand fi, daß drei derjelben nur noch eine Patrone 
enthielten ; die übrigen Patronen waren fort, jelbftverftändlich! Hailallah, 
ein 16jähriger Knabe, dejertirte mit meiner Batronentajche und den 
darin befindlichen 30 Patronen nad Ipoto zurüd; ein Mann, 
welcher eine meiner Tajchen trug, lief mit 75 Winchefterpatronen 
davon. 

Am nächſten Tage erreichten wir die ausgedehnte Lichtung und 
große Niederlaffung von Mambungu oder Nebaſſe. 

Chamis, der oberfte der Führer, hatte Ipoto am 31. October 
verlaffen und ftieß hier, gemäß dem mit Ismaili, meinem Manjemas 
Bruder, getroffenen Abkommen, mit 7 Mann zu uns. 

Der von uns verfolgte Weg jeßte uns in den Stand, unjere 
durchichnittliche Marichgeichwindigfeit zu vergrößern. Dem Flußufer 
entlang fonnten wir bei umaufhörlicher Arbeit und Aufwendung von 
7, 8, 9 und zuweilen 10 Stunden 5—11 km zurücdlegen, hier waren 
wir in der Lage, 2,4, 2,5 und jelbit 3,2 km in der Stunde zu mar— 

16* 


244 Elftes Kapitel. [Mambungu 


ſchiren, doch wurde das Vorwärtsfommen noch immer durd; Baum: 
wurzeln, Stümpfe, Schlinggewädje, Winden, Holziplitter und eine 
Menge Flüſſe und mit grünem Schlamm bededte Rinnſale verzögert, 
und wir fonnten faum 100 m weit marjchiren, ohne von den Pio- 
nieren den Befehl zum Anhalten zu befommen, 

Jeden Tag thürmten fich gegen Abend Wolfen auf und hallte 
der Donner mit fürchterlichem Rollen in vielfachen Echo durd) den 
Wald; die Blige zudten hierhin und dorthin, und brachen täglich 
die Kronen einiger Bäume ab, jpalteten einen Waldpatriarchen vom 
Wipfel bis zum Fuße, oder zeriplitterten einen ftattlichen, könig— 
lihen Stamm; der Regen fiel in überjchwenmenden Mengen und 
in unjerm bfutarmen Zuftande fingen wir am zu frieren und 
wurden niedergejchlagen. Aber während des Marjches war Die 
Vorſehung gnädig, die Sonne jchien und warf ihr janftes Licht in 
Millionen Strahlen durch das Geäft, hellte unjere Stimmung auf, 
ließ die Hallen und Gänge des Waldes in göttlicher Schönheit er- 
icheinen, verwandelte die anmuthigen dinnen Baumjtämme in graue 
Marmorpfeiler und die Thau- und Negentropfen in funfelnde Bril- 
lanten, munterte die unfichtbaren Vögel dazu auf, ihre Iebhaften 
mannichfaltigen Lieder erjchallen zu laſſen, reizte die Scharen von 
Bapagaien zu fröhlichem Gejchrei und Pfeifen, und erwedte ganze 
Scharen von Affen zu ihren ausgelajjenften Poſſen, während bin und 
wieder ein tiefes, baßartiges Brüllen in der Ferne anfündigte, daß 
eine Sofo- oder Schimpanjenfamilie ſich in ihrem Schlupfiwinfel mit 
irgendeinem wilden Sport vergnügte, 

Die Strafe von Mambungu nach Djten war voll Qualen, Be— 
jorgniffen und Befürchtungen; nirgends ftießen wir auf eine jolche 
Reihe von Lichtungen als um Mambungu und in der benachbarten 
Niederlaffung von Nojalli. Die Bäume waren von der größten 
Art und in jolcher Zahl umgehauen worden, als hätte man eine Kriegs— 
flotte bauen wollen; in der fürchterlichiten Verwirrung, die man fich 
denfen fann, lag ein Baum, ein Stamm auf und über dem andern, 
erhoben jich die Zweige zu einem Hügel über dem andern; zwijchen 
dDiejer wilden Waldruine wuchjen in größter Ueppigfeit Bananen, 
Baradiesfeigen, wilde Weinreben, Schmarogerpflanzen, epheuartige 
Nanfen, Balmen, Rotang, Winden u. j. w., und durd) all diejes mußte 
die arme Colonne fich durchwühlen, kämpfen und jchwigen: ein Striechen, 
Gleiten und Klettern in, durch und über Hindernijie und Wirrjale, 
die der Bejchreibung fpotten. 


5. Nov. 1887.) Durd den Wald bis zu Majamboni’s Pic. 245 


Am 4. November waren wir 22 km von Mambungu entfernt 
in der Niederlafjung von Ndugubiſcha, nachdem wir auf dem Wege 
durch fünf verlajfene Walddörfer der Zwerge gefommen waren. An 
diefem Tage hätte ich beinahe gelächelt, da ich im Geijte das An— 
brechen der ung von Uledi prophezeiten glüdlichern Tage zu bemerken 
glaubte. Jedes Mitglied der Karavane erhielt nämlich) als Nation 
einen Maisfolben und 15 Paradiesfeigen. 

Funfzehn Paradiesfeigen und ein Maisfolben find eine fünigliche 
Nation im Vergleich zu zwei Maisfolben oder einer Hand voll Beeren, 
oder einem Dutzend Schwämmen, wenn fie auch nicht genügten, unjere 
Leute allzu fröhlich zu ftimmen, obwol diejelben von Natur aus leichten 
Sinnes und fröhlich waren. 

„Aber jeid unbejorgt, meine Jungen‘, jagte ich, während ich 
den hungerigen Geichöpfen die fnappe Speije austheilte; „der Morgen 
bricht an, noch eine Woche, dann werdet ihr das Ende eurer Schwierig- 
feiten ſehen.“ 

Ich erhielt Feine Antwort, nur ein leichtes Lächeln erhellte die 
vom Hunger jcharf gezeichneten Züge. Unſere Offiziere hatten die 
Entbehrungen in dem Geifte ertragen, den Cäſar dem Antonius zu— 
jchreibt, und fich von den faden holzigen Bohnen des Waldes, den herben 
wilden Früchten und den jeltiamen Schwämmen genährt, zufrieden 
fächelnd wie bei einem Feſte verjammelte Sybariten. Und doc 
batte einer von ihnen 20000 Mark für diejes armjelige Privilegium 
bezahlt und wäre fajt für zu „vornehm‘ für das rauhe Leben in 
Afrifa gehalten worden. Sie waren ein lebendes Beijpiel für unjere 
dunfeln Begleiter gewejen, von denen viele wahrjcheinlich durch den 
hellen, Hoffnungsvollen Blick, den unfere Offiziere bei allem Unglück 
und aller Trübjal behielten, ermuthigt worden find, für ihre Exiſtenz 
weiter zu kämpfen. | 

Am folgenden Tage überjchritten„ wir die Waſſerſcheide zwijchen 
den Flüſſen Ihuru und Ituri und jtürzten ung jegt in die fühlen 
Ströme, welche nad links zum Ihuru fließen. Zur Rechten und 
Linken ftiegen Hügel in Gejtalt von bewaldeten Kegeln und Berg- 
rüden auf und nad einem Marche von 15", km machten wir 
in Wejt-Indefaru am Fuße eines Berges, deſſen Gipfel ſich etwa 
180 m über das Dorf erhob, für die Nacht halt. Ein weiterer furzer 
Marjch brachte uns bis zu einem Dorfe, welches Oſt-Indekaru genannt 
werden kann und in halber Höhe eines hohen Berges liegt. Nach 
dem Aneroidbarometer befanden wir uns 1249 m über dem Meeres- 


246 Elftes Kapitel. (Oft-Indelaru 


jpiegel. Von diefem Dorfe aus erfreuten wir uns zum erjten mal 
eines Rundblids auf unjere Umgebung. Anjtatt wie große Zweifüßler 
in der Dämmerung 60 m unter dem Niveau des hellen Tageslichts dahin- 
zufriechen und durch den Vergleich mit den zu Millionen um uns 
ftehenden Riejenfäulen und hohen pfeilerartigen Stämmen gezwungen 
zu fein, unjere Kleinheit einzugejtehen, befanden wir uns hier auf 
dem Rüden eines abgeholzten Berges, von dem wir auf die Blätter- 
welt unter uns hinabblidten. Man glaubte beinahe, daß es möglich 
jei, die wogende Laubebene zu bejchreiten, jo ununterbrochen und 
dicht war diefelbe, joweit das Auge fie bis zu den fernften Gren- 
zen der Sehfraft verfolgen konnte, wo fie allmählich in einen lieb- 
lichen blaßblauen Farbenjchimmer überging; weitweg, bis zu einem 
unbefannten Dorfe breiteten die Gipfel des Waldes ſich mit ihrem 
mannichfaltigen jammtartigen Grün aus, zwiſchen dem nicht jelten 
rothe Flecken blühender Bäume und Blattkreiſe von reicher braun— 
rother Farbe vorfamen. Wie beneidete man den glatten, leichten Flug 
der Gabelweihen und weißfragigen Adler, die unaufhaltſam und un— 
gehindert anmuthig durch die ruhige Luft jegelten. D, hätten wir 
doch die Flügel der Gabelwerhen gehabt, damit wir fliegen fünnten 
und Ruhe hätten vor den unverbeſſerlich böjen Manjema! Wer 
hegte nicht Diefen Wunſch? Ich glaube in der That, wir alle hatten 
ihn mehr oder weniger. 

Am 7. November, als wir auf dem Berge halt gemacht hatten, 
die Manjema das Dorf für fich bejegt hielten und unjere Leute, nicht 
würdig, in der Nähe der Edlen zu jein, im Buſch fich befanden, 
entitand zwiichen dem Jäger Saat Tato und Chamis, dem oberften 
der Manjema= Führer, ein Kleines Gewitter, das, nad dem Schall 
der Worte zu urtheilen, einmal einzujchlagen und Schaden anzurichten 
drohte. Chamis hatte dem andern einen Schlag ins Geficht verſetzt. 
Beide waren Männer von hoher Statur, Saat Tato aber zwei Zoll 
größer als jener; er war ein guter Soldat, der in Madagastar und 
unter dein Seyid Bargaſch als Sergeant gedient, aber wegen jeiner 
Gewohnheit, fich jeden Tag zur dritten Stunde zu betrinken, den Spott- 
namen „Drei Uhr“ erhalten hatte und entlafjen worden war. Er war 
ein ausgezeichneter Menſch, treu, gehorjam und ein nie fehlender Schüte. 
Wäre Saat Tato nur gut genährt gewejen, er würde Chamis jeden 
Augenblick lächelnd ergriffen und deſſen Rückgrat mit derjelben Leich- 
tigkeit übers Knie abgebrochen haben, wie den Schaft eines Speers. 
Sch beobachtete Saat Tato genau, da ich, wie man fich erinnern wird, 


9. Nov. 1887.] Durd den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 247 


den Eindrud und die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß meine Leute 
viel zu entmmthigt jeien. Saat Tato jah feinen Gegner eine Weile 
ftrenge an und jagte dann, den Zeigefinger aufhebend, zu Chamis: 
„Es ijt gut, aber ich möchte, daß du diefen Schlag nad) einiger Zeit, 
wenn ich etwas Nahrung in mir und mir den Magen gefüllt habe, 
wiederholen würdeſt. Schlag mid) noch einmal, nur zu; ich kann es 
vertragen.‘ 

Nunmehr jagte ich, vortretend und Chamis an der Schulter be— 
rührend: „Chamis, thue das nicht wieder. Ich erlaube jelbit meinen 
Offizieren nicht, die Leute in diefer Weije zu ſchlagen.“ 

Die Berjtimmung war im Zunehmen begriffen und die Manjema 
unterſtützten mich, jo wenig fie dies aud) ahnten, durch ihre Grau— 
famfeit bei der Wiederaufrichtung des Muthes der Sanfibariten. Es 
waren Anzeichen vorhanden, daß die Chriften dennoch den Sieg davon- 
tragen würden. Die zwijchen den Ländern des Islam gegemjeitig 
bejtehende Liebe, an deren Altar unfere Leute unjer Leben, unſere 
freie Entjchließung und ihre eigene Freiheit zu opfern bereit geweſen 
waren, hatte fich infolge der Graufamteit, Böswilligfeit und Habgier 
der Manjema abgekühlt. Alles was wir zu thun hatten, war, fie zu 
beobachten, geduldig zuzuhören und immer bereit zu fein. 

Zu unferm großen Trojte theilte Chamis uns mit, daß Weit: 
Sndefaru die äußerſte Grenze des Territoriums feines Herrn Ismaili 
ſei. Wir follten uns jedoch nicht von ihm trennen, bis wir nicht 
Ibwiri erreicht hatten. 

Am 8. November marfchirten wir 18 km durch den Wald, der 
hier offener war, ſodaß wir weiter ins Innere hineinjehen fonnten. 
Der Weg war beifer, und zwar um jo viel, daß unſere Marſch— 
geichwindigkeit ſich auf 3,. km in der Stunde fteigerte. Der kieſige, 
Ichmige Boden hatte den Negen aufgejogen und das Gehen war ganz 
angenehm. Die Lianen famen weniger üppig vor und nur hin und 
wieder mußte eine jtarfe Schlingpflanze durchgehauen werden. An 
mehrern Stellen jahen wir Granitblöde von ungeheuerer Größe, welche 
etwas Neues für ung waren, dem Walde eine Art romantisches und 
malerisches Intereffe verliehen und dunkel an Zigeuner, Banditen und 
Zwerge erinnerten. 

Ein Mari von 15 km brachte uns am 9. November zu einem 
Zwergenlager. Bis Mittag hatte Nebel über dem Lande gelagert: 
auf dem legten Theil des Weges waren wir durch mehrere erjt kürz— 
lich verlafiene Dörfer der Zwerge und über acht Flüſſe gefommen, 


248 Elftes Kapitel. Ibwiri 


Chamis, der Führer und ſeine Begleiter, ſowie etwa ein halbes 
Dutzend Gefangene ſetzten den Marſch noch bis nach dem nur noch 
2’, km entfernten Ibwiri fort, wo wir uns am nächſten Tage 
wieder vereinigten. Died war eine der reichjten und jchönjten Lich- 
tungen, welche wir jeit dem Abmarſch von Jambuja gejehen hatten, 
obwol wir Dutende derjelben in ebenjo blühenden Zuftande gefunden 
haben wiürden, wenn die Expedition etwa acht Monate früher aus— 
gejandt worden wäre. Die Lichtung hatte einen Durchmeifer von 
5 km und beſaß einen Ueberfluß an einheimischen PBroducten, da fie 
von den Meanjema bisher noch nicht bejucht worden war. Faſt 
jeder Bananenjtamm trug einen ungeheuern Fruchtbüſchel, an wel: 
em zwijchen 50 und 140 Früchte Hingen; einzelne diejer Früchte 
waren 56 em lang, hatten einen Durdjmeijer von 6 cm und einen 
Umfang von 20 cm und waren groß genug, um dem Jäger Saat 
Tato die jo lange erjehnte vollftändige Mahlzeit zu liefern. Die 
Luft war mit dem Geruche der reifen Früchte erfüllt, und wieder: 
holt wurde ich, al3 wir über die Stämme fletterten und vorjichtig 
unjfern Weg an den gefallenen Bäumen entlang juchten, von den 
erfreuten Leuten aufgefordert, die verführeriich ihnen vor Augen hän— 
genden Büjchel gelber Früchte zu betrachten. 

Ehe wir das Dorf erreichten, flüfterte einer der Führer der San- 
fibariten, Murabo, mir zu, e8 jeien fünf Dörfer in Ibwiri, und jede 
Hütte in demjelben jei mehr als zum vierten Theile mit Mais gefüllt 
gewejen, doc hätten Chamis und jeine Begleiter auf Grund des Red): 
tes des zuerſt Angefommenen das Getreide in ihren eigenen Hütten 
aufgeipeichert. 

Beim Betreten der Dorfitraße trat Chamis mir mit den üblichen 
lagen über die Schlechtigfeit der elenden Sanfibariten entgegen. Als 
ic) dann auf den Boden blidte, jah ich eine Menge zerjtreuter Körner 
liegen, wodurd; die Mittheilungen Murabo’3 beftätigt wurden, und als 
Chamis den Vorſchlag machte, daß die Erpedition die weitliche Hälfte 
des Dorfes, er und feine Leute aber die öftliche Seite beſetzen jollten, 
wagte ich es, mich gegen diefen Plan aufzulehnen mit dem Hinweis 
darauf, daß wir jet Das Gebiet jeines Herrn verlajjen hätten und 
deshalb alles Land nad Often Hin in Anjpruch nähmen; wir fünnten 
in Zufunft jeine Vorſchläge über das, was wir thun jollten, entbehren, 
und e3 dürfte fortan fein Korn Getreide, feine Paradiesfeige oder 
Banane und fein anderes einheimiiches Vroduct das Land ohne meine 
Erlaubniß verlafjen. 


10. Nov. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 249 


Ich ſagte ihm ferner, daß fein Volf der Erde ohne zu klagen ſolche 
Schamlofigkeiten, Beleidigungen und Injulten ertragen haben würde, 
wie die Manjema den Sanfibariten zugefügt hätten; in Zukunft 
wirde es diejen aber freiftehen, für jolche Beleidigungen, jo gut fie 
es vermöchten, Wiedervergeltung zu üben. Chamis erflärte ſich in 
unterwürfigfter Weife mit allem einverftanden. 

Das erjte, was ich nach der Lagerung der Waaren und der Ber: 
theilung der Leute in die Quartiere that, war, daß ich jedem Mann 
50 Meaisfolben gab und mit den Eingeborenen ein Abkommen wegen 
unjerd Verhaltens zueinander traf. 

Im Verlauf einer Stunde war vereinbart worden, daß die weit: 
lihe Hälfte der Lichtung von Ibwiri ung zum Fourragiren überlaffen 
werden, die Eingeborenen dagegen die öftliche Seite von einem ges 
wiffen Fluß ab als ihr Gebiet behalten jollten. Auch der Manjema 
Chamis wurde veranfaßt, diejen Vertrag anzuerkennen. Als Gegen: 
geichenf für ein Padet Meſſingſtangen gab Borjo, der hervorragendite 
Häuptling diejes Balefje-Diftriet?, uns fünf Hühner und eine Ziege. 

Das war ein wichtiger Tag. Seit dem 31. Auguſt Hatte nicht 
ein einzige Mitglied der Expedition fi) einer vollftändigen Mahlzeit 
erfreut, während hier alle Bananen, reife und unreife Baradiesfeigen, 
Kartoffeln, Kräuter, Yams, Bohnen, Zuderrohr, Mais und Melonen 
in jolchen Mengen befamen, daß fie, jelbjt wenn ſie Elefanten ge: 
weien wären, den für fie gejammelten Vorrath in weniger als zehn 
Tagen nicht hätten aufzehren fünnen. Endlich fonnten fie einmal den 
jo lange quälenden und nagenden Hunger volljtändig ftillen. 

Da wir auf Herrn Jephſon und einige jechzig Sanfibariten — 
40 von der Hülfsfaravane, die Bootsmannjchaft und die Genejenden 
von Ipoto — zu warten hatten, mußten die guten Folgen des Ueber- 
Hlufies fich in wenigen Tagen zeigen. Auch hier war eine der Nieder- 
laflungen, die wir jo eifrig gejucht hatten, um fie als Erholungs: 
ftation zu benußen. Aber nod; waren die Leute infolge ihrer 
Dürre und Nadtheit häßlich anzujehen. Sie waren nadt, weil fie 
fich ihrer Kleidungsſtücke entledigt hatten, um von den Sklaven ber 
Manjema in der Station Ugarrowwa's und in Ipoto Lebensmittel zu 
faufen, und hatten fein ‚Fleisch am Leibe, weil fie während der T3tägigen 
Hungersnoth und des 13tägigen abjoluten Mangels zu Gerippen ab» 
gemagert waren. Sie hatten nur wenig Kraft mehr und jahen in jeder 
Beziehung ſchlecht aus; ihre prächtige, geölter Bronze gleichende Haut- 
farbe war zu einer Miſchung von ſchmutzigem Schwarz und Holzajche 


250 Elftes Kapitel. [Ybwiri 


geworden, ihre vollenden Augen verriethen Krankheit, Unreinigfeit des 
Blutes und Verhärtung der Leber; die ſchönen Umriffe des Körpers 
umd die zarten Linien der Musfeln waren — leider, leider — volle 
ftändig verjchwunden. Sie paßten mehr für ein Beinhaus als für 
ein Lager von Männern, die bejtändig gefechtsmäßig auftreten jollen. 

Am nächſten Morgen erbot fich der Manjema = Führer Chamis, 
oſtwärts vorzudringen, um die von Ibwiri auslanfende Straße auf: 
zufuchen, da der Häuptling Borjo ihm, wie er mir fagte, von einem 
Grasland erzählt habe, das nicht viele Tage entfernt jein jollte. Er 
meinte, daß er mit einigen Eingeborenen Borjo’3 und 30 von unjern 
Gewehrträgern etwas Intereffantes entdecken fünnte. Als ich Borjo 
rief, bejtätigte er mir, joweit wir ihn zu verftehen vermochten, daß 
man von einem Plage Namens Mande, der nur zwei gute Tagemärjche — 
d.h. 65 km — entfernt jei, das Grasland jehen fünne, und daß Die 
Rinderheerden in jolcher Zahl an den Ituri kämen, um zu trinfen, 
daß der Fluß „anjchwelle‘. Alles das jtimmte überein mit meinem 
dringenden Wunjche, zu erfahren, wie weit wir uns noch von dem 
offenen Lande befänden, und da Borjo ſich bereit erflärte, ung Führer 
zu verichaffen, rief ich Freiwillige auf. Zu meiner Vermwunderung 
traten 28 Mann vor, die jo erpicht und eifrig auf neue Abenteuer 
waren, als wenn fie während der lebten Monate im Ueberfluſſe ges 
jchwelgt hätten. Kurz darauf brach Chamis mit feiner Truppe auf. 

Trotz des ſtrengen Verbotes, auf dem den Eingeborenen von 
Ibwiri rejervirten Gebiet etwas zu berühren, hatte einer unjerer Beute— 
jäger dafjelbe Doch bejucht und 19 Hühner geraubt, von denen er zwei 
bereit8 verzehrt und die übrigen gefüpft hatte, allein er wurde nebit 
feiner Beute von unſern Geheimpoliziften ergriffen, als er fich gerade 
mit einem Gefährten darüber tritt, was mit den Federn geichehen 
jollte. Das Fleiſch und die Knochen veriprachen ihnen feine Schwierig- 
feiten zu machen. In der Nähe hatten zwei Mann eine Ziege bis 
auf den Kopf verzehrt! Dieſe Thatfachen dienen zur Jlluftrirung der 
unbegrenzten Leiftungsfähigkeit janfibaritiicher Magen. 

Die Eingeborenen von Ibwiri hatten fich uns gegenüber jehr hübſch 
benommen, und ic; fühlte daher jelbit etwas wie Scham über die Un- 
dankbarfeit meiner Begleiter. Der Häuptling und feine Familie lebten 
bei uns und taujchten täglich ein halb Dutzend mal ihren Gruß „Bodo, 
Bodo, ulenda, ulenda‘ mit uns aus. Aber unjere Leute hatten während 
der legten 2%, Monate das höchſte Elend ausgeftanden, ſodaß wir 
wol hätten erwarten fünnen, daß fie bei der erjten Gelegenheit Ex— 


10. Nov. 1887.) Durch den Wald bis zu Majamboni’s Ric. 251 


cefje begehen würden. Steine Truppe Männer, die ich in der ganzen 
weiten Welt fenne, hätte eine jolche Hungerperiode jo geduldig und ſanft— 
müthig ertragen, als weder ein Getreideforn oder jonjt etwas zur menjch- 
lichen Nahrung Geeignete zu entdeden war, als in jedem Lager 
Gefährten ftarben oder todt am Wege niederjtürzten und andere 
weniger Geduldige fi) wahnfinnig vor Hunger in die Tiefen der 
Wildniß ftürzten und es den übrigen überließen, mit den Lajten der 
Munition und des Gepäds jo gut es ging fertig zu werden. Ver— 
anlaßt durd anhaltenden Hunger und rajende Berzweiflung hätten 
fie nach) dem Verluſt des Vertrauens zu ihren Offizieren die Remington- 
gewwehre ergreifen, mit einer Salve ihre weißen Hauptleute tödten, ſich 
von ihnen nähren, und in einem Wugenblide fi) von der Macht 
und aus den Händen der Autorität befreien können, welche ſie, joweit 
fie wußten, nur dem gewiſſen Untergange entgegenjchleppte. 

Während ich die Eingeborenen bedauerte, welche ihr Eigenthum 
verloren, als fie es am wenigsten verdient hatten, konnte ich aus meiner 
Erinnerung doch das anhaltende Faſten in der fi) von den Bajopo- 
Scnellen bis Ibwiri ausdehnenden Waldwüſte nicht los werden, an 
deren Rande wir uns noch jet befanden, und ebenjo fonnte id) — von 
Diebjtählen und Kleinen Vorfällen abgejehen — den geduldigen Gehor- 
jam, die unentwegte Treue meiner Leute, die Liebe, welche fie uns, als 
wir dem Verhungern nahe waren, dadurch bewiejen, daß fie ums Die 
größten und reifften der von ihnen entdedten Früchte brachten, jowie 
das im großen und ganzen muthige Verhalten und die edle Hoffnungs- 
freudigfeit während der jchredlichen Tage des Unglücks nicht vergejien. 
Alle diefe Tugenden mußten ihre Vergehen aufheben, und es war daher 
am bejten, abzuwarten, bis Sättigung und Ueberlegung ung bei der 
Wiederherftellung der Folgjamfeit und guten Ordnung halfen. Faſt 
jede Meile Weges in der hungerigen Waldeinöde zwijchen der Einmün- 
dung des Ihuru in den Jturi und Ipoto war durch die Leichen ihrer 
Gefährten gekennzeichnet; fie lagen dort vermodernd und verwejend im 
Schweigjamen Dunfel, und wenn die Treue der Ueberlebenden nicht 
gewejen wäre, würde feiner von denen, die im Stande find, ein 
wahrhaftes Zeugniß von den im September, October und der erjten 
Hälfte des November erlittenen jchiweren Prüfungen abzulegen, am 
Leben geblieben jein, um die traurigen, düſtern Einzelheiten zu erzählen. 

Se mehr Erfahrung und Einfiht in die menjchliche Natur ich 
erhalte, dejto mehr gewinne ich die Ueberzeugung, daß der größere 
Theil der Menfchen rein thieriich iſt. Nährt ſich der Menſch genügend 


252 Elftes Kapitel. Ibwiri 


und regelmäßig, dann iſt er ein Weſen, das ſich zu Anſtrengungen 
jeder Art überreden oder zwingen läßt, das durch Liebe und Furcht 
leicht bewegt wird und dem keine Arbeit widerſtrebt, wie ſchwer ſie 
auch ſein möge; iſt er aber halb verhungert, dann thut man gut, das 
Motto „Cave Canem“ im Gedächtniß zu behalten, weil fein hungeriger 
Löwe einem Biſſen rohen Fleiſches gegenüber jo wild und jo leicht reizbar 
ift wie der Menſch. Strenge Disciplin, tägliches Lafttragen und endloſe 
Märſche in ihnen vollftändig unbefannten Regionen jchienen unjere Leute 
niemals jehr zu erbittern, wenn ihr Magen gefüllt und reichlich Proviant 
für ihre Verdauungsorgane beichafft waren; dagegen war jelbft der 
Tod durch den Strang nur ein zeitweiliger Dämpfer für ihre Neigung 
zu Unheil, wenn fie vom Hunger geplagt waren. Auch die vom Ueber: 
fluß ummgebenen Eingeborenen von Ibwiri find geradezu infolge ihrer 
MWohlgenährtheit janftmüthig und mild, während die zwerghaften No— 
maden des Waldes, wie ich höre, jo wild wie das Naubthier find und 
fämpfen, bis ihre Köcher leer find, 

Am 12, November erhielt ich die Nachricht, daß der Manjema 
Chamis, der zu meiner Genugthuung, wie ich meinte, ausgezogen war, 
um das vor ung liegende Land zu unterjuchen und mit den Einge— 
borenen Freundſchaft zu jchließen, dieſe Miffion infolge feines Eigenfinng 
nicht hätte ausführen können; er ſei jehr enttäufcht, jei von den 
Eingeborenen von Oſt-Ibwiri angegriffen worden und habe zwei 
Mann verloren. Infolge deſſen befahl ich ihm zurückzukehren. 

Die Flohplage war in Ibwiri jo unerträglid) geworden, daß ich, 
um Ruhe zu erhalten, mein Zelt auf offener Straße aufichlagen mußte, 

As ih am 13. November eine Infpieirung des Dorflagers vor- 
nahın und den Zujtand der Leute unterjuchte, wurde ich von dem ſich 
mir bietenden Eßſchauſpiel überraicht. Fast jeder Mann war damit 
beichäftigt, Mais zu ftampfen, getrodnete Bananen in Mehl zu ver: 
wandeln oder die Speijen mit jeinen jchönen Reihen von Zähnen zu 
“ zermalmen, um fich für das zwangsweiſe Falten im September, October 
und November jchadlos zu halten. 

Chamis fehrte am 14. November mit einer großen Ziegenheerde 
zurüd, die er irgendwo gefunden hatte, und war gnädig genug, ung 
16 Stüd zu überlafjen. Das ließ ung argwühnen, daß der wirkliche 
Zwed jeines Zuges nicht gewejen war, das Land zu erforichen, jondern 
die Eroberungen jeines Herrn Ismaili mit unjerer Hülfe noch weiter 
nad) Oſten auszudehnen und die Eingeborenen von Ibwiri in dieſelbe 
Armuth zu verjegen, wie jolche beiſpielsweiſe in der Nachbarichaft von 


16. Rov. 1887.) Durd den Wald bis zu Majamboni’s Pic. 253 


Spoto herrichte. Allein obwol Chamis genügend Kräfte beiaß, um 
dies auszuführen, hatte feine dumme Gier ihn doch veranlaßt, unter 
Nichtbeachtung der vergifteten Pfeile der Eingeborenen jo unvorfichtig 
vorzugehen, daß er drei jeiner Leute verlor. Chamis jcheint, jobald 
eine Ziegenheerde in Sicht kam, feinen Zwed, das Land zu erforjchen, 
vergejien, die Manjema zur Jagd auf die Thiere ausgeſchickt und 
unſere Leute bei ſich behalten zu haben. Infolge diefer Taktik kehrten 
die Sanfibariten, die an dem jchmachvollen Verfahren nicht betheiligt 
waren, unverjehrt zurüd. Als Chamis dann, den Verluft von drei 
jeiner thatkräftigjten Gefährten betrauernd, wieder in unſerm Dorfe 
anfaın, begegnete er plöglicd) dem Häuptling von Ibwiri, Borjo, und 
machte ihn, ohne ein Wort zu jagen, zum Gefangenen. Ehe er fich 
bei der Rückkehr bei mir meldete, befahl er jeinen Leuten, den Häupt— 
ling zu erdroffeln, um den Tod jeiner Untergebenen zu rächen. Da 
ich zufälligerweile davon hörte, jandte ic) eine Wache hin, welche den 
Häuptling mit Gewalt aus Chamis’ Händen befreien mußte, brachte 
jenen in eine Hütte, wo ihm nichts zu Leide geichehen konnte, und bat 
ihn, ganz unbejorgt zu jein, bis Chamis abmarjchirt jet. 

Wir jchwelgten während der Zeit der Ruhe, da wir einen jolchen 
Ueberfluß an Lebensmitteln entdect hatten, daß wir gern ſechs Monate 
hätten bleiben fünnen, ohne befürchten zu müſſen, daß wir Hunger 
leiden würden. Wir ergögten uns an reifen Bananen, die mit Ziegen: 
milch zu Puddings zubereitet waren, Pfannkuchen, Paſteten und Brot, 
ſüßen Slartoffeln, Maniok, Yams, Gemüſen, Geflügel und Ziegenfleiich 
ohne Beſchränkung. Unjere Speijenfarte an dieſem Abende war: 

Suppe von Biegenfleiid. 

Gebratene Ziegenfeule mit gebadenen fühen Kartoffeln. 
Gekochte jühe Caſſaven. 
Gebratene Bananen. 

Süßer Kuchen aus reifen Bananen. 
Bananen-Pfannkuchen. 

Ziegenmilch. 

In unſerm und dem Ausſehen der Leute bemerkte ich bereits eine 
Veränderung. Jedenfalls ging es lauter her als früher, und einige— 
mal hörte id), wie der Verſuch gemacht wurde zu fingen, doc) 
mußte dies, da es dem Sänger noch an Stimme mangelte, auf jpäter 
verjchoben werden. 

Am 16. November, um 3 Uhr nachmittags, traf Herr Jephion ein, 
der jeine Aufgabe, die Rettung Neljon’s, ganz glänzend durchgeführt 
hatte. Wie aus dem Briefe, in welchem Herr Jephſon feine Miffton 


254 Elftes Kapitel. Ibwiri 


ſchildert, zu erſehen iſt, war es ihm gelungen, Kapitän Nelſon zu 
Hülfe zu kommen und nach einem Marſche von etwa 160 km 
innerhalb jieben Tagen mit ihm nach Ipoto zurüczufehren. Nach dem 
Briefe Kapitän Nelſon's zu urtheilen, jchien er aus feiner jchredlichen 
Noth nur befreit zu jein, um inmitten des Ueberfluſſes von Ipoto in 
eine ähnliche verzweifelte Lage zu gerathen. 

Am nächſten Tage kehrte Chamis, ohne Abjchied zu nehmen, mit 
jenen Manjema heim. Ich schickte einen Brief an meine Offiziere 
in Ipoto, jowie Elfenbein und ein Gejchenf an Stoffen für Chamis nad) 
Indekaru, von wo die Manjema vielleicht Hülfe von ihren Lands— 
leuten bekommen fonnten. Nie war ich mit mir ſelbſt jo une 
zufrieden, als zur Zeit, da ich dieſe Leute jo freundlich behandeln 
und ihnen den Abmarjch geftatten mußte, ohne die Feine Genugthuung, 
ihnen meine Privatmeinung über die Manjema im allgemeinen und 
die Horde in Ipoto im bejondern auszusprechen. Auf allen Bunften war 
ic) geichlagen worden; fie zwangen mich, ihnen eine edelmüthige Behand» 
lung zutheil werden zu lajjen, und rangen mir jchließlich Hinterliftig noch 
die Verpflichtung ab, ihr geitohlenes Elfenbein weiter zu befördern. 

Und doc; war ich ihnen in gewiſſer Wetje danfbar, daß fie meine 
Lage nicht noch mehr ausgebentet hatten. Da Kapitän Nelfon, Dr. Barte 
und etwa 30 Mann in ihrer Gewalt waren, jo hätten fie mich zu 
taujend Conceſſionen zwingen können, was fie glüclicherweije nicht 
thaten. Ich hoffte nur, daß die göttliche Gerechtigkeit e3 nad) einer 
Prüfungszeit für rathjam halten würde, mic, in unabhängigere Ver— 
hältnifje zu verjegen. Erft wenn der Doctor und Nelfon mit ihren 
Kranken wieder genejen und in meinem Lager, ſowie auch die in Ipoto 
zurüdgelaffenen 116 Laſten und das Boot in Sicherheit gebracht waren, 
dann, aber auc) erjt dann würde ich im Stande fein, meine Rechnung 
aufzustellen und eine unbedingte und endgültige Erledigung derjelben zu 
verlangen. Meine Anſprüche waren gerecht und deutlich: 


. Rechnung 
für die Herren Kilonga-Longa u. Co. in Ipoto, 
von 9. M. Stanley, den Dffizieren und Mannichaften der Erpedition 
zum Entfage Emin Paſcha's. 
17, November 1887. 
Debet, 

Berurfahung des Hungertodes von 67 Mann zwiichen dem Lenda-Fluſſe und 
Abwiri: beim Uebergang über den genannten Fluß hatten wir 271 Mann, 7 

jest im Lager, einichließlich der demmächit erwarteten, nur 175 Mann, fomie | 

28 Mann mit Rapitän Nelfon und Dr. Parke, alſo Verluſt 


17, Nov. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic, 255 


27 Mann in Jpoto, die zu jchwad find zum Marichiren und von denen viele 
jih nicht wieder erholen werden. 

Tod des Mufta Mafinga durch einen ; ee 

Todpeitichen eines Mannes . . . . TEE u: | 

Reitihen Ami's, eines Sanfibariten, mit 200 Hieben. 

Verſuch, Kapitän Nelſon und Dr. Parke verhungern zu laſſen. 

Anftiftung zum Raube zweier Kiſten Munition, 

Annahme von 30 geitohlenen Remingtongewehren. 

Berichiedene Bedrüdungen der Sanfibariten. 

Zwang Sarbofo's, als Stlave für jie zu arbeiten. 

Berichiedene Beleidigungen Kapitän Nelion’s und Dr. Parke's. 

Rerwüftung eines Gebiets von ungefähr 110000 qkm. 

Abichlachtung von Taufenden von Eingeborenen. 

Führung vieler hundert Frauen und Kinder in die Sklaverei. 

Raub von 200 Elefantenzähnen vom Mai 1887 bis October 1887. 

Viele Morde, Räubereien, VBerbreden, Berwüjtungen in vergangener, gegen: 
wärtiger und zufünftiger Zeit. 

An Tod von Sanfibariten-. - - © >» > 2 nr nn 2 8 2 6467 

Unheil unberedyenbar! 


— 


Am 17. November erfuhren wir im Laufe des Nachmittags noch— 
mals die übeln Folgen unſerer Verbindung mit den Manjema. Ganz 
Ibwiri und die benachbarten Dijtricte waren in Waffen gegen uns, 
Die Eröffnung der Fyeindjeligfeiten fand ftatt, als ein Mann Namens 
Simba ſich an den nahe dem Lager befindlichen Fluß begab, um 
Waſſer zu holen, wobei er einen Pfeilfhuß in den Unterleib befam, 
As er aus unjern bejorgten Zügen den tödlichen Charakter der Wunde 
erfannte, rief er nach feinen „Burjani-Brüdern‘‘, [ud fpäter, als er 
in jeine Hütte getragen war, fein Remingtongewehr und zerichmetterte 
ſich im entjeglicher Weile die einft jovialen und nicht unjchönen Züge. 

Die Betrachtungen, welche die Sanfibariten über den Selbjitmord 
anstellten, waren ſeltſam; am bejten drückte fich der Zeltdiener Salı aus: 

„Denkt nur, Simba, ein armer Teufel, der nichts in der Welt fein 
eigen nennt, der nichts ihm Theures befitt und auch niemandem theuer 
it, ohne Namen, Heimat, Eigenthum oder Ehre, begeht Selbjtmord! 
Wäre er ein reicher Araber, ein Hindu-Kaufmann, ein Hauptmann 
der Soldaten, Gouverneur eines Dijtricts oder ein Weißer, der Unglüd 
gehabt hat oder das Opfer der Unehre oder der Schande geworden 
ist, ja, dann fönnte ich den Sinn des Selbjtmordes verftehen; aber 
diefer Simba, der nichts anderes als ein Sklave, ein Ausgejtoßener 
aus Unjanjembe war, der auf der ganzen weiten Welt feinen weitern 
Freund befitt, al$ die paar armen Gejchöpfe in feiner Compagnie hier im 
Lager, geht hin und tödtet ſich wie ein reiher Mann! Pah, werft 


256 Elftes Kapitel. Ibwiri 


ihn in die Wildniß und laßt ihn vermodern! Was hat er für ein 
Recht auf die Ehre eines Sarges und eines Begräbniſſes?“ Das 
war das allgemeine Urtheil der Leute, die bisher ſeine Gefährten 
geweſen waren, wenn ſie ſich auch nicht ſo elegant ausdrückten wie 
der kleine Sali in ſeiner großen Empörung über ſolche Ueberhebung. 

Früh an dieſem Morgen hatte ich Lieutenant Stairs nebſt 36 mit 
Gewehren Berwaffneten ausgefchidt, um unter der Führung Borjo's 
und eines jungen Manjema-Freiwilligen eine Recognofeirungstour 
zu unternehmen, da wir noch mehrere Tage auf die Ankunft einiger 
Genejenden warten mußten, welche, der in Ipoto gegen fie ausgeübten 
Graufamfeiten müde, den Tod auf dem Marſche der jchredlichen Knecht— 
Ihaft der Manjema-Sflaven vorgezogen hatten, 

Am 19. November traf Uledt, der Steuermann des „Advance“, 
mit feiner Bootsmannſchaft ein und meldete, daß 15 Genejende auf 
dem Marſche begriffen feien. Abends langten diejelben im Lager an. 

Am 21. November kehrte die Necognofeirungstruppe unter Lieute— 
nant Staird in Begleitung Borjo's zurüd. Sie hatte nichts Neues 
über das Grasland erfahren, meldete aber, daß ein ziemlich guter 
Brad ftetig nad) Oſten führe — eine jo tröftliche Nachricht, wie wir 
fie nicht bejjer erwarten fonnten. 

Am 23. November, dem lebten Tage unſers Aufenthalts in 
Ibwiri, ließ ic) die Truppen muftern und folgendermaßen reorganifiren: 


Erſte Compagnie, Jephion . .» .» . . 80 Mann 
Zweite * Stairs. 2:..:.T u 
Sudaneſen. dd 
PIWE: 10 05 te ne ee SR 9 
TERTRGERR ar 5. Sr a a 
Europäer - » 2» > 2 2 2 2 rd „u 
Manjema-rFührerr. -. » 2 2» 2.2... 1 „ 


"Bufammen 175 Mann. 


In Ipoto waren einschließlich Kapitän Neljon und Dr. Parke 
28 Mann; bei Ugarrowwa hatten wir 56 Mann zur Erholung zurüd- 
gelaſſen. Möglicherweiie kehrten auch einige Leute aus dem Hunger: 
lager Nelfon’s unter der Führung von Umari zurüd, jodaß wir rechnen 
fonnten, daß die Zahl der Borhut noch aus 268 Mann beitand von 389, 
mit denen wir vor 139 Tagen Jambuja verlaffen hatten, während 
unfer Verluft 121 Mann betrug. In diefer Beziehung täufchten wir 
ung aber jehr, da um dieje Zeit bereitS viele von den bei Ugarromma 
zurücgebliebenen Kranken gejtorben waren und die Schwachen in Ipoto 
ſich in beffagenswerthem Zuſtande befanden. 


24. Nov. 1887.) Dur den Wald bis zu Majamboni’3 Pic. 257 


Seit unjerer Ankunft in Ibwiri hatten die meiften unjerer Be- 
gleiter täglid) ein Pfund an Körpergewicht zugenommen. Einige hatten 
einen geradezu ungeheuern Leibesumfang befommen, ihre Augen be- 
gannen zu bfigen und ihre Haut wurde jo glänzend wie gefirnißte 
Bronze. An den lebten drei Abenden hatten fie jogar verjucht zu 
fingen, indem fie beim Stampfen des Korns ihre Melodien jummten 
und nach dem Abendejjen beim Anblid des Mondes ein Lied erklingen 
ließen. Dft hörte man auch herzliches Lachen. Nachmittags hatten 
zwei junge Burjchen einen Fauſtkampf veranftaltet, wobei einige fräftige 
Püffe ausgetheilt wurden; andere erzählten den eifrig Zuhörenden Ge- 
Schichten. Das Leben war mit einem mal zuriücdgefehrt; das Brüten 
über Sfelette und Tod und das Denfen an liebe Freunde auf ihrer 
fernen Heimatinjel war verdrängt worden durch hoffnungsvolles Ge- 
plauder über die Zukunft, das nicht mehr weit entfernte Grasland 
mit jeinen wogenden Savannen ımd den mit fetten Rindern be- 
völferten grünen Weideländereien; man ſprach eingehend über volle 
Euter, hohe Budel und FFettichwänze der Schafe, von den mit Hirje 
und Sejam gefüllten Speichern, den Töpfen mit Sogga, Bombe und 
andern wohlichmedenden Reizmitteln, und der Hafen am See, wo 
die Dampfer des weißen Mannes vor Anker lagen, erichien deutlich in 
ihren Träumen. 

Alle wünschten jetzt den Marſch fortzufegen und hielten die Raſt 
für volljtändig genügend. Zwar hatten wir noch etwa 20 Mann, 
denen eine weitere 14tägige Ruhe nothwendig war; doch jchienen fie 
alle in der Genefung begriffen zu jein, jodaß, wenn wir nur reichlich 
Lebensmittel fanden, der Marſch ohne Traglaften von feinen nad): 
theiligen Folgen für fie fein würde, 

Am 24. November, einem hellen, jonnigen Tage, blies bei 
Tagesanbruch der judanejische Trompeter das Signal zum Aufbruch 
in jo fröhlichen Tönen, daß es bei allen bereitwilligen Widerhall 
fand. Die Leute riefen ihr. „Fertig, ja fertig, Herr!“ in einer Weife, 
welche wich mehr als an irgendeinem andern Tage während diejer 
Erpedition an frühere Reifen erinnerte. Die Offiziere brauchten ſich 
nicht über Saumjeligkeit und Unbereitwilligfeit zu ereifern; es gab 
nicht einen Nacjzügler im Lager. Die Züge aller glänzten voll 
Hoffnungsfreudigfeit; alle waren guten Muthes und durch die Aus- 
fiht auf MUeberfluß angeregt. Auf zwei Tage hinaus war der 
Weg bekannt durch die Leute von der Recognofeirungsabtheilung, 
deren Mitglieder, wie Kaleb und Joſua, ausführlich von den riefi- 

Stanlen, Im dunfeliten Mirita. I. 17 


258 Eiftes Kapitel. (Indenduru 


gen Hainen von Bananenbäumen, deren herabhängende reife Früchte 
die Luft mit angenehmen Düften erfüllten, von großen Kartoffel— 
adern, wogenden Maisfeldern u. j. w. erzählt hatten. Zum erften 
male waren wir Weißen deshalb befreit von der Sorge, wer Ddieje 
Laſt und jene Kiſte tragen jollte; es gab fein Suchen nad) den 
Trägern, fein Schelten und Drohen, die Leute jprangen vielmehr buch— 
jtäblich nach den aufgeitapelten Waaren, ftritten fich um die einzelnen 
Lajten und lachten vor Freuden, während die lächelnden Züge der 
Offiziere Dankbarkeit und vollftändige Zufriedenheit mit den Bor: 
gängen ausdrüdten. 

Dann marjchirten wir aus dem Dorfe, eine Colonne der glüd- 
lichſten Burjchen auf der Welt. Die böjen Manjema waren hinter 
uns, und vor uns malte die lebhafte Phantaſie Bilder von Weide: 
ländereien und einem großen See, an deſſen Ufern wir von einem 
danfbaren Paſcha und einer nicht weniger danktbaren Armee willkommen 
geheißen werden jollten. 

In drei Biertelftunden erreichten wir das Dorf des Häuptlings 
Borjo (dev am Tage vorher wieder freigelaffen worden war), eine 
lange, regelmäßig angelegte, 10 m breite Straße, die von vier 
niedrigen Häuferquadraten von etwa 365 m Länge eingefaßt war. 
Nach den Thüren zu urtheilen, mußten ungefähr 52 Familien die 
eigentliche Gemeinde Borjo's bilden, deijen Wohnung an einer großen 
Holzplanfe von 2 m Länge, 1", m Breite und 5 cm Dide kenntlich) 
war, aus welcher der Eingang in Rautenform herausgeichnitten war. 

Die Höhe der breiten Traufen betrug 3 m über der Erde, die 
Breite der Gebäude ebenfalls 3 m; vorn ragten die Traufen 75, 
hinten 60 cm über die Mauern hinweg. Außerhalb des Dorfes 
dehnten ſich auf ebenem, hohem Terrain die Felder, Gärten und 
Pilanzungen der Bewohner aus, rundherum umgeben von dem jung= 
fräulichen dunfeln, verhängnißvollen, ungastlichen Urwald. Im ganzen 
war das Dorf Borjo's einer der netteiten und comfortabeliten Wohn— 
pläße, welche wir im ganzen Aruwimithal gejehen hatten. Ungefähr 
100 m vom wejtlichen Ende des Dorfes entfernt ſtrömte ein nie ver— 
fiegender klarer Fluß dahin, in welchem viele welsartige Fiſche vor= 
handen waren. 

Nach kurzer Raſt festen wir den Marſch fort und betraten wieder 
den Wald. 6', km jenjeit Borjo's Dorf zogen wir durch einen 
Sumpf, welcher jehr günftigen Boden für die Naphiapalme bot. Bei 
unſerm Weitermarſch nach unſerm Frühftüd unternahm ich es nachmittags 


26. Nov. 1887.) Turd den Wald bis zu Majamboni’s Pic. 259 


verſuchsweiſe, eine Stunde lang meine Schritte zu zählen, maß die Ent- 
fernung von 200 Yards (182,» m) ab, um die Länge eines Schrittes 
feftzuftellen, und fand, daß die Durchichnittsgeichwindigfeit auf einem 
ziemlich guten Pfade im Walde 4800 Schritte von je 26 Boll (66 cm) 
= 3467 Yards (3170 m) in der Stunde betrug. Um 3 Uhr lagerten 
wir in einem ausgedehnten Zwergendorfe, von dem vier Wege nad) 
andern Weilern führten. Ohne Zweifel war der Ort ein Lieblings- 
aufenthalt der Bewohner, da der freie Bla des Dorfes ftark betreten 
war und fic vorzüglich zu allerlei Sport, Zujammenfünften und Plan: 
dern eignete. Das Didicht rund um das Lager herum war nod) voll- 
ſtändig unberührt. 

Am 25. November erreichten wir nad) einem Marſche von 13 km 
Indemmwani. Der Weg führte uns längs der Waſſerſcheide der Flüffe 
Ituri und Ihuru. Das Dorf hatte einen ovalen Grundriß und glich 
in der Bauart dem Dorfe Borjo’s; rundherum war es von reichen 
Bananenpflanzungen umgeben; Mais, Tabak, Bohnen und Tomaten 
waren in Menge vorhanden. Beim Paſſiren des fürdjterlichen Gewirres 
von Baumftämmen in der Lichtung verlor einer unferer Leute das 
Gleichgewicht, ftürzte und brach das Genid. 

Bon Indemwani marjchirten wir am 26. November durch ein jehr 
feuchtes Gebietnach Weſt-Indenduru. Jede Viertelftunde hatten wir einen 
Fluß zu überichreiten, die Baumftänme waren vom Fuße bis zur 
Spitze mit feuchtem, tropfendem Moos befleidet und ſelbſt die Büjche 
und Schlingpflanzen waren damit bededt. 

Eine Merkfwürdigfeit des Weges an dieſem Tage war eine 
breite Hochſtraße, welche 5 km weit durch das Unterholz gerodet 
und gehauen war und zu einem großen Dorfe der Zwerge führte, 
welches jedoch vor kurzem verlajlen worden zu fein jchien. Das Dorf 
beitand aus 92 Hütten, ſodaß aljo die Eimvohnerichaft wol auch ebenſo 
viel Familien gezählt haben dürfte. Die eine Hütte zeichnete fich durch 
etwas beſſere Bauart aus und war vermuthlich die Wohnung des 
Häuptlings. Wir hatten jetzt etwa 20 Dörfer der Waldzwerge ge- 
jehen,, bisher aber erit einmal eine der kleinen Frauen zu Geſicht be— 
fommen, die niedliche Mintaturhebe auf der Station Ugarrowma's. 

Lieutenant Stairs hatte auf feiner von Ibwiri aus unternomme— 
nen Recognofcirungstour auch Wejt-Indenduru erreicht und das Dorf 
jtehen laffen, nach jeiner Entfernung war es jedod von den Bewohnern 
in Brand geſteckt worden, weil es von Fremden bejegt geweien war. 


Wir bemerften ferner, daß die Baleſſe jelten zweimal von den Pro— 
17 * 


260 Elftes Kapitel. Indenduru 


ducten eines Feldes aßen und die Bananenbäume wieder aufgaben, nach— 
dem dieſe einmal Früchte getragen hatten. Wenn ein Kornfeld beackert, 
beſäet und die Ernte eingeheimſt iſt, wird es wieder der Wildniß 
überlaſſen. Die Baleſſe ſcheinen beſtändig mit dem Pflanzen von 
Bananenbäumen und der Cultivirung des Bodens für den Maisbau 
beſchäftigt zu ſein, wodurch ſich die ungeheuern Lichtungen, die wir 
paſſirt haben, und die Tauſende von Bäumen erklären, welche den 
Boden mit einem einzigen großen Trümmerhaufen bedecken. Bei den 
Bananen und Paradiesfeigen hauen ſie einfach das Unterholz fort, pflanzen 
die jungen Knollen in ein flaches Loch und bedecken ſie mit ſo viel Erde, 
daß ſie aufrecht ſtehen; dann werden die benachbarten Bäume gefällt 
und bleiben liegen, wo ſie geſtürzt ſind. Nach ſechs Monaten iſt die 
Muſa-Knolle im Schatten unter Wurzeln und Baumtrümmern ſchon 
wundervoll gewachſen und zu einem 2", m hohen Baum geworden, 
der bereit3 nach einem Jahre Früchte trägt. Indiſches Korn oder Mais 
bedarf des Sonnenſcheins. Die Eingeborenen bauen Gerüjte von 3, 4 
und ſelbſt 6 m Höhe und fällen die Bäume ziemlich hoch über den 
Wurzelpfeilern; die Stämme werden zerjägt und entweder zu Planen 
für die innere und äußere Bekleidung der Hüttenwände verarbeitet 
oder zu Trögen für Die Bereitung des Bananenweins ausgehöhlt. 
Die Zweige werden rund um die ausgerodete Stelle aufgehäuft umd 
bleiben liegen, bis fie vermodern; man verbrennt fie nicht, weil dadurch 
der Erdboden gejchädigt werden und, da die Oberflähe reih an 
Humus ift, bis zur darumterliegenden Thonjchicht ausbrennen würde, 

In Anbetracht der großen Arbeit, welche das Ausroden eines 
Theiles des Urwaldes verurjacht, könnte man die Balejje für jehr 
thöricht halten, daf fie wegen einer jo geringfügigen Urſache, wie die 
Beſetzung ihrer Hütten während einer Nacht durch Fremde, ihre Dörfer 
zerjtören; es ift das aber ein Beifpiel von der hartnädigen Grämlich— 
feit diefer Eingeborenen. Das Dorf Borjv’s konnte ebenfalls höch— 
ſtens vor Jahresfriſt aufgebaut fein. Die Bevölferung des größten 
Dorfes, welches wir jahen, dürfte nicht mehr als 600 Seelen gezählt 
haben, ſodaß, wenn man jich auch über ihre Vorurtheile wundern mag, 
man doch ihren großen Fleiß und die unbegrenzte Geduld anerkennen 
muß, ohne welche fie die von uns beobachteten günftigen Reſultate 
nicht erzielt haben könnten. 

Auch Dit-Indenduru war ein äußerſt gut gebautes und jehr reinliches 
Dorf, obwol die Häufer von Ungeziefer winmelten. Die Straße war 
jedoch gegenüber der Höhe der Häufer zu ſchmal, und wenn eine 


29. Nov. 1887.] Durd den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 261 


Feuersbrunſt entjtanden wäre, hätte leicht die Hälfte der Einwohner 
verbrennen fönnen, Die Hütten waren dort höher als in Borjo's 
Dorfe, und da die Gebäude mehrere hundert Meter lang waren und 
nur einen Hauptausgang am öjtlichen Ende hatten, jo war die Gefahr 
bei einem Feuer jo groß, daß wir das Dorf erſt bejegten, nachdem 
wir allerlei Borfichtsmaßregeln getroffen hatten gegen den Eintritt eines 
etwaigen derartigen Unglücks, während wir ung in einer anjcheinend 
vorzüglichen Falle befanden. 

Wir fammelten hier jcheffelweije Feldbohnen von einer dunkeln 
Art; und unjere Leute jchwelgten im Safte des Zuderrohrs. 

Wir befanden uns jet auf 1° 22’ 30” nördl. Br. und füdlich von 
der Waſſerſcheide, wo jämmtliche Flüffe dem Ituri zuftrömten. 

Am 28. November machten wir in Oft-Indenduru halt und ſchickten 
drei verſchiedene Recognojcirungsabtheilungen aus, um die allgemeine 
Richtung der aus der Niederlaffung ausgehenden Pfade zu erfahren. 
Wir hatten die Arbeit, uns jelbit einen Weg durch den Wald zu 
bahnen, lange genug erprobt, ſodaß wir, nachdem wir einmal einen 
Pfad entdedt hatten, der uns von großem Nußen gewejen war, die 
bejchwerliche Aufgabe, nochmals durch Didicht und Unterholz zu mar: 
ichiren, ung gern eripart hätten. 

Die Abtheilung Jephſon's wandte ſich nach SSO. und jpäter nad) 
Süden und fehrte gegen Mittag zurüd, um Bericht abzuftatten. Dieſer 
Weg eignete fich nicht für uns. Raſchid war mit feiner Abtheilung 
nah OND. und jpäter nad) Norden gegangen, hatte zwei Fleine Dörfer 
paſſirt umd fchließlich eine Stelle erreicht, von wo ein Pfad nad 
Süden zurückkehrt, während ein anderer fich nordöjtlich wendet. Er 
hatte jeine Forſchungen auf dem leßtern fortgefeßt, bis er zu einem 
Eingeborenenlager fam, wo jeine Leute ein Feines Scharmühel hatten. 
Die Eingeborenen waren dann geflohen und er hatte neum fette Ziegen 
erbeutet, von denen er jedoch nur fünf ins Lager mitbrachte. Auch 
diefer Weg war nicht für uns geeignet. 

Die dritte Abtheilung wurde von einem ausgezeichneten Kundſchafter 
geführt, welcher einen Pfad nach Diten entdeckte, dem wir zu folgen 
beichlofien. 

Am 29. November verließen wir Indenduru und erreichten gegen 
Mittag Indepeifu; nachmittags wandten wir ung auf einem nad) Norden 
führenden Pfade nad) der Niederlaffung der Baburu. In fünf Stunden 
hatten wir eine Entfernung von etwa 16 km zurücdgelegt, was ala 
ein außerordentlich guter Marſch zu betrachten war. 


262 Elftes Kapitel. Pisgah 


Am nächſten Morgen gelangten wir nach etwa anderthalbſtündigem 
Marichiren auf einem ziemlich guten Pfade auf eine ausgedehnte Lich: 
tung von einem Umfang von nahezu 100 ha. Die Bäume waren erit 
fürzlich gefällt worden, woraus wir jchloffen, daß entweder ein mäch— 
tiger Stamm angefommen war, oder daß eine größere Zahl alter An: 
fiedler fi von ihrem alten nad) diefem neuen Lagergrunde begeben 
hatte. Eine gefangen genommene Baburu-Frau führte ung mitten durch 
den ausgedehnten Berhau, deifen bloßer Anblid Schon Schreden ver- 
urſachte. Eine Stunde jpäter hatten wir, nicht ohne allerlei Berleßungen 
an den Beinen und nach vielem Zittern, den Verhau paſſirt, worauf der 
Pad allmählich an dem janft anfteigenden langgedehnten Abhange eines 
Hügels hinaufführte. In den Thälern auf beiden Seiten jahen wir 
Haine von reich mit Früchten bededten Baradiesfeigenbäumen und viele 
mit Kräutern und Kürbiſſen bepflanzte Gärten, die aber jchlecht gepflegt 
waren. Als wir nod) eine halbe Stunde vom Gipfel des Hügels ent- 
fernt waren, hatten wir eine jolche Höhe erreicht, daß wir hoffen 
durften, binnen furzem eine ausgedehntere Rundichau halten zu können, 
als wir in der letzten Zeit gewohnt gewejen waren; wir drangen 
fröhlich vorwärts und famen bald zu einer Reihe von Weilern, welche 
ſich am Abhange entlang zogen. Bei allen Dörfern diefer Gegend 
fanden wir eine gut betretene Straße von 12—18 m Breite, ſodaß wir, 
wenn dieje Weiler fi) in gleicher Weiſe noch weiter aneinander reihten, 
im Stande jein würden, raſch 1—2 km zurüdzulegen. Wir waren 
jchon durch mehrere voneinander getrennte lange und niedrige Häufer- 
gevierte gefommen, als der erite Mann der Vorhut umkehrte und raid) 
zu mir herablief. Er forderte mich auf, nad) Sonnenaufgang zu 
jehen. Als ich meine Augen nach jener Richtung wandte, hatte ich den 
angenehmen Anbli einer ziemlich mannichfaltigen Scenerie von Weide: 
land und Wald, flachen Ebenen und mit Gras bededten Abhängen, meh— 
rern Thälern und Hügeln, felfigen Vorjprüngen und janft gerumdeten 
Gipfeln, ein wirkliches „Land von Bergen und Thälern, das der Regen 
des Himmels tränkt“. Daß das offene Land gut bewällert war, ließ 
ſich an den vielen unregelmäßigen Waldlinien, welche den Lauf der 
Flüſſe bezeichneten, jorwie an den Baumgruppen erkennen, deren Wipfel 
nur eben über die Ufergehänge emporragten. 

Der große Wald, in welchem wir jo lange vergraben gewejen 
waren und deſſen Grenzen wir jebt erreicht hatten, ſchien ſich unver: 
ändert und ununterbrochen nad) Nordosten fortzuſetzen, Dagegen zeigte 
fih nad) Oſten ein ganz anderes Gebiet: mit Gras bededte Wieſen, 


30. Nov. 1887.) Durch den Wald bis zu Majamboni's Pic. 3 


Ebenen und Hügel, reich bejtanden mit Hainen, Baumgruppen und 
jchmalen Baumzeilen, welche bis zu gewijjen, die Ausficht abjchliegen- 
den Bergfetten reichten, an deren Fuß, wie ich wußte, das jchon jeit 
Monaten von uns herbeigejehnte Ziel liegen mußte, 

Dies aljo war der jo lange verheißene Anblid und der jo lange 
erwartete Austritt aus der Dunkelheit! Ich nannte daher die hohe Berg- 
fpige, welche den Abjchluß des bewaldeten Rüdens, auf dejjen Aus— 
läufer wir uns befanden, bildet und 3 km öftlic) von uns bis zur 
Höhe von etwa 1400 m über dem Meeresipiegel aufjteigt, Pisgah, 
Berg Pisgah, weil wir nach 156tägiger Dämmerung im Urwalde hier 
zuerjt die erjehnten Weideländereien von Aequatoria gejehen hatten. 





Anblid des Berges Pisgah, von Dften geieben. 


Die Leute drängten eifrig den Abhang hinauf, und ihre Fragenden 
Blicke jchienen, noch ehe fie ihre Gedanken in Worte Eleideten, zu 
fagen: „Dit es wahr? it es feine Lüge? Dit es möglich, daß 
wir dem Ende diejes Waldferfers nahe find?“ Sie überzeugten ſich 
felbjt und jchauten, als fie wenige Augenblide jpäter die Laſten ab— 
geworfen hatten, mit Verwunderung und mit frohem Erjtaunen auf 
das vor ihnen fich aufthuende Bild. 

Sa, Freunde, es ijt wahr. Durch Gottes Gnade find wir dem 
Ende unjerer Gefangenjchaft und Knechtichaft ganz nahe! Sehnſüchtig 
ftredten fie die Arme nad) dem herrlichen Lande aus, alle blidten in 
danfbarer Verehrung zum Haren blauen Himmel auf, und nachdem 


264 Elftes Kapitel. [Bakwuru 


fie lange wie verzaubert in die Betrachtung der Sonne verjunfen gewejen 
waren, jeufzten fie wol auch, wieder zu fich fommend, tief auf; als fie 
fih umwandten, um den dunfeln Wald zu betrachten, der fich weit 
fort ins Unbegrenzte nad) Weſten zog, drohten fie ihm mit troßiger 
und haferfüllter Miene mit der Fauſt. Fieberhaft erregt durch die 
plögliche Freude jchalten fie ihn wegen jeiner Graufamfeit gegen fie 
und ihre Freunde, verglichen ihn mit der Hölle, Elagten ihn des Mordes 
von Hundert ihrer Gefährten an ımd nannten ihn die Wildniß der 





Baltwuru =» Dörfer auf einem Ausläufer des Pisgah : Berges. 


Schwämme und Waldbohnen. Aber der große Wald, der in feiner unge— 
heuern Weite wie ein ganzer Welttheil ſich vor ihnen ausbreitete, jchläfrig 
wie ein großes Thier, dejjen Riejenpelz durd) die wäjjerigen Ausdünftungen 
mit einem dünnen Schleier verhüllt ijt, antwortete nicht, jondern vers 
harrte in jeiner unendlichen Einjamfeit, unbarmberzig und unerbittlich 
wie immer. 

Bon Südoſten nad) Süden dehnte fich eine Gebirgsfette von 
1830— 2130 m Höhe über dem Meeresijpiegel aus. Eine gefangene 
Frau deutete nad) Südoft als unſere zukünftige Richtung nad) dem 
großen Waller, welches „mit donnerndem Geräufch unaufhörlich gegen 


30. Nov. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 265 


das Ufer rollt, den Sand aufwühlt und vor fich hertreibt‘‘; aber da wir 
ung auf. 1° 22’ nördl. Br., auf demjelben Breitengrade mit Kavalli, 
befanden, 309 ich es vor, oftwärts, gerade auf unjer Ziel los, zu 
marjchiren. 

Borjo, der alte Häuptling von Ibwiri, zog mit der Hand einen 
Halbfreis von Südoſt nad) Nordweft als den Lauf des Ituri und jagte, 





der Fluß entipringe auf einer EFF Ebene am Fuße eines 
großen Berges oder einer N} Gebirgskette. Vom Pis— 


gah aus konnten wir im Süd— oſten keine Ebene ent— 
decken, ſondern nur ein bewaldetes tiefes Thal, und wenn die Augen 
uns nicht täuſchten, ſchien der Wald ſich an den Abhängen der Kette 
bis zu den Gipfeln hinauf fortzuſetzen. Ein fünf Monate langer Marſch 
in einem ununterbrochenen Walde war ſicherlich genug der Erfahrungen; 
eine Veränderung mußte uns daher angenehm ſein, ſelbſt wenn unſere 
Beſchwerden ſich nur der Art nach veränderten. Das war ein weiterer 
Grund, weshalb ich jeglichen Rath über den richtigen Weg nach dem 
„großen Waſſer“ abzulehnen beſchloß. 


266 Eiftes Kapitel. [Iiugu 


In dem Bakwuru-Dorfe, wo wir jeßt unjer Lager vorbereiteten, 
fanden wir Weiten aus dicker Büffelhaut, welche unjere Leute an fich 
nahmen, um fie als wirkſame Panzer gegen die Pfeile der Bewohner 
de3 Graslandes zu benußen. 

An 1. December jtiegen wir an dem beim Aufitieg benußten Aus- 
läufer wieder ab und jchlugen dann einen Pfad ein, der ojtwärts führte. 
Binnen kurzem hatten wir einen zweiten Ausläufer erjtiegen, welcher 
zu einer unterhalb des Pisgah = Berges 
liegenden Terraſſe führte, wo wir nad) 
dem Aneroidbarometer die größte bis 
dahin beobachtete Höhe erreicht hatten. 
Darauf verfolgten wir einen Pfad, der 
von der Terraſſe auf einem andern Aus— 
läufer bis zur mittlern Höhe dieſer 
Region hinabführte. Wir freuzten ver: 
ichiedene ſtark begangene Wege, doch 
ſchien unſer Pfad immer mehr an Bedeu— 
tung zu gewinnen, bis wir um 11’, Uhr 
vormittags das große Dorf Jjugu erreich— 
ten, welches jelbjtverjtändlich verlafjen war, 
da die Eingeborenen des Waldes jehr raſch 
von dem Serannahen neuer Anfümmlinge 
erfahren. Die Straße in diefem Dorfe 
war etwa 12 m breit. 

Im Walde zwijchen dem Fuße des 
Pisgah und Jjugu beobachteten wir große 
Trockenheit, eine erhebliche Veränderung 
gegen die außerordentliche Feuchtigkeit, 
welche man zwiichen Indenduru und Ib— 
wirt fieht und fühlt. Die abgefallenen 
Ylätter der Waldbäume jahen etwas dürr 
aus und kniſterten unter den Füßen, und 
obwol der Weg noch im Schatten des Urwaldes dahinführte, hatte 
derjelbe einige Aehnlichkeit mit einer jtaubigen Dorfſtraße. 

Nach der Mittagsrajt machten wir noch einen zweiftündigen Marſch 
bis zu einem Heinen, aus vier fegelfürmigen Hütten bejtehenden Weiler, 
in deſſen Nähe wir das Lager aufichlugen. Obgleich wir mehr als 
16 km zurüdgelegt hatten, hätten wir, nach unjerer Umgebung zu 
jchliegen, von dem offenen Lande noch Hunderte von Kilometern ent- 





Häuptling von Jiugu. 


nÖnlE u ualvm uaq nd ing 


10 * 





THE NEW YORK 
PUBLIC LIBRARY 


1 


ASTOR, LENOX ann 


TILDEN FOUNDATIONS 
R L 





2. Dec. 1887.] Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 267 


fernt jein fünnen, da dieſe noch, wie vorher aus hohem, Dichtem Wald 
von echt tropiihem Charakter, hohen, dunfeln, ſchattenreichen, 
durch Schlinggewächle und Ranken miteinander verbundenen Bäumen, 
und dichtem, im Schatten gedeihendem Unterholz bejtand. In einer 
der Hütten fanden wir jedoch einen ſeltſamen Pfeil, der fich von 
denen, die wir bisher gejehen hatten, wefentlich unterschied. Derjelbe 
war 71 cm lang und hatte eine jpeerfürmige Spite von 7, cm 
Länge; den Schaft bildete ein leichtes Rohr, das zur Verzierung ge- 
ſchmackvoll mit ſtarken Kerben verjehen war, während ein Ddreiedi- 
ges dünnes Stück Ziegenleder, anftatt eines Blattes oder eines Stückes 
ſchwarzen Stoffes wie bisher, den Flug des Pfeils leitete. Ferner fan- 
den wir einen den Waldbewohnern gehörenden Köcher mit Pfeilen, welche 
51 cm lang waren und von denen jeder eine andere Spibe hatte, 
die ſämmtlich aber mörderiſch jcharf und mit Widerhafen verjehen waren. 

Am 2. December verloren wir bald nad) dem Verlaſſen des La— 
gers den Eingeborenenpfad und mußten munmehr zwijchen einer ver: 
wirrenden Menge von Büffel: und. Elefantenipuren den Weg jelbft 
juchen. Ein dummer Burjche, welcher: umhergeſtreift war, hatte mir 
mitgetheilt, er hätte am Abend vorher die Ebene erreicht und 
fünnte uns leicht Hinführen; im. Vertrauen, darauf hatten wir bald 
jegliche Spur eines Pfades verloren undı begannen nunmehr einen ge— 
wundenen, rvegellofen Weg durch den Wald" zu- verfolgen, gerade wie 
in frühern Zeiten, bis wir nad) fajt dreiltündigem Marſch nach N. z. O. 
plöglich auf ein Dorf ftießen, deſſen Fegelförmige Dächer mit Gras be- 
dedt waren. Das war eine großartige Entdedung, die mit lauten 
Freudenrufen begrüßt wurde. Ein Burjche ſtürzte fich buchjtäblich 
auf das Gras und küßte es zärtlih. Wir hatten jetzt zwei charafte- 
rijtiiche Kennzeichen des Graslandes, die Fegelfürmige Hütte und das 
Grasdad. Während wir dort unſere Mittagsraft hielten, benußten 
einige junge Leute die Gelegenheit, um die Nachbarichaft zu unter: 
juchen, umd brachten ung, noch ehe die Zeit unjers Halts verftrichen 
war, ein Bindel grünes Gras, das wir mit ebenfo großer Freude be- 
grüßten, wie Noah und jeine Familie die freundliche Taube mit dem 
Delzweige willfommen geheifen haben mögen. Die Leute meldeten 
jedoch, daß der Pfad, dem fie verfolgt hätten, in einen Moraft führe, 
und da Sümpfe ein Schreden für beladene Karavanen find, machten 
wir nachmittags den Marſch in jüdjüdöftlicher Richtung, der uns in 
anderthalb Stunden nad) Indeſura brachte, einem Dorfe oder eigent- 
lich Diftriet, welcher aus mehrern aus fegelfürmigen Hütten mit Gras» 


268 Eiftes Kapitel. Indeſura 


dächern beſtehenden kleinen Niederlaſſungen gebildet wird. Hier mach— 
ten wir halt. 

Gleich darauf ſahen wir, daß einer unſerer Leute, der gelegentlich 
einer am Dache vorzunehmenden Reparatur auf das Haus geſtiegen 
war, die Augen mit der Hand beſchattete und eifrig nach etwas blickte, 
und im nächſten Augenblick rief er, ſo laut, daß das ganze Dorf es 
hören konnte: „Ich ſehe das Grasland! Wir find ganz nahe daran!“ 

„Nun“, erwiderte einer jpöttiich, „Stehit du nicht aud) den See 
und den Dampfer und den Paſcha, den wir juchen ?‘ 

Die meiften von uns waren indeß bei der Nachricht aufgeſprun— 
gen. Drei Mann klommen mit der Behendigfeit eimer wilden Kate 
auf die Dächer, andere auf die Spitzen der Bäume, ein Fühner junger 
Burjche Fletterte jogar auf einen Baum, den jelbit ein Affe nur mühſam 
erklommen haben würde, und gleich darauf ericholl es im Chor: „Da, 
wahrhaftig, es iſt Gottes Wahrheit. Das offene Land Liegt dicht 
vor uns und wir wußten es nicht. Wahrhaftig, es ift nur einen Pfeil- 
ſchuß weit entfernt. ch, wenn wir erjt dort find, dann Adieu Fin— 
ſterniß und Blindheit!‘ 

Als einer unjerer Leute aus dem in der Nähe befindlichen Fluſſe 
Waſſer Holen wollte, trat ein altes Weib aus dem Didicht hervor, 
worauf er jofort jein Waffergefäß wegwarf und die Frau ergriff. 
Diejelbe war jedoch Fräftig und, wie die meisten ihres Gejchlechts 
nahe vor dem Kindiſchwerden, halsjtarrig und vertheidigte ihre „Freiheit 
in entjchlofjenjter Weije. Der Mann bejaß jedocdy mehr Straft und Ge- 
wandtheit und jchleppte die Frau ins Lager. Durd) freundliches Benehmen 
und Zureden, jowie durch das Stopfen einer langen Pfeife für fie machten 
wir jie willfährig und erfuhren, daß wir uns in Indeſura befänden, 
die Bewohner hießen Wanjajura und Löjchten ihren Durjt mit dem 
Waller des Ituri. „Des Ituri?“ Ja, des Jturi, des in der Nähe 
befindlichen Fluſſes; viele Tage öſtlich von ung ſei ein großer, breiter 
Strom, viel, viel breiter als der Jturi, mit Kanoes, jo breit wie 
ein Haus (3 m), die jechs Perfonen tragen fünnten; einige Tage: 
märiche nad) Norden wohne ein mächtiger Stamm, Banjanja genannt, 
und öſtlich von dieſem noch ein weiteres Volk, die Bafandi; beide 
Stämme bejäßen zahlreiche Viehheerden, feien tapfer, friegeriich und 
reih an Rindern, Kauris und Mejfingdrabt. 

Unjere gefangene Alte, die in Bezug auf perjünlichen Schmud 
einen jonderbaren Geichmad bewies, da fie eine hölzerne Scheibe von 
der Größe eines großen Manteltnopfes in der Mitte der Oberlippe 


2, Dec. 1887.) Dur den Wald bis zu Majamboni’s Pic. 269 


befejtigt hatte, befam nun einen neuen Anfall von Widerhaarigfeit 
und jchalt uns alle in bösartigjter Weile, ausgenommen einen ver- 
ihämten, bartlojen Jüngling, in den fie ſich anjcheinend vernarrt hatte, 
allein der thörichte Burjche jchrieb der Häßlichkeit des Alters Zauber: 
fraft zu und ergriff die Flucht. 

Indeſura und, wie wir jpäter erfuhren, alle am Rande des 
Waldes Tiegenden Dörfer zeichnen ſich durch die Mannichfaltigfeit 
und vorzügliche Beichaffenheit ihrer Producte aus. Faſt ſämmtliche 
Hütten enthielten große, 10—25 kg jchwere Körbe mit bejjerm 
Tabak, und es war thatjächlich eine jolche Menge davon vorhanden, 
daß jeder Naucher im Lager 2—5 kg erhielt. Das alte Weib 
nannte den Tabak „Taba“, während er in Jbwiri „Tabo“ hieß. 





Bieifen. 


Er ift infolge des ungenügenden Trodnens nicht jehr wohlriechend, 
läßt fich aber gut rauchen, und 50 Pfeifen voll davon täglich würden 
nicht jo Schädlichen Einfluß auf die Nerven ausüben wie eine einzige 
Pfeife des befannten „„Cavendish‘ bei uns. Hin und wieder fanden ſich 
aber einige Blätter von dunfelbrauner Farbe dazwiſchen, welche 
leicht mit Salpeter gejprenfelt waren und eine andere Wirfung hatten. 
Zwei unferer Offiziere verjuchten eine Pfeife voll von diejen Blät— 
tern, die fie für bejjer hielten, wurden aber unbejchreiblich elend 
davon. Wenn man dieje Blätter jedoch ausjucht, ift der Tabak mild 
und beißt nicht, wie man jchon aus den diejer Gegend eigenthümlichen 
Pfeifenföpfen von der Größe eines Viertelliters jchliegen fann. Die 
Pflanze wird überall in der Nähe des Graslandes in ausgedehnten 
Maße cultivirt, da von den Hirten der Ebene das Kraut gegen 
Fleiſch eingetaufcht wird. 


270 Eiftes Kapitel. Indeſura 


Auch die Ricinusſtaude wird ſehr viel angebaut. Braucht man 
ein Quantum Ricinusöl als Arznei, ſo werden die Samen geröſtet 
und in einem hölzernen Mörſer zerſtampft; wir ſelbſt preßten uns 
auf dieſe Weiſe eine ziemlich große Menge Oel aus, das ſich von 
guter Wirkung erwies. Außerdem brauchten wir auch ein Quantum 
zum Oelen der Gewehrläufe und Schlöſſer, während unſere Leute 
ſich eine Menge Oel zubereiteten, um ihren Körper einzuſchmieren, 
eine Operation, welche ihnen wieder ein friſches, ſauberes und kräf— 
tiges Ausſehen verſchaffte. 

Da ich entdeckt hatte, daß merkwürdigerweiſe vier unſerer Kundſchaf— 
ter fehlten, ſchickte ich Raſchid ben Omar mit 20 Mann aus, um ſie 
zu ſuchen. Sie wurden auch entdeckt und am nächſten Morgen zu uns 
zurückgebracht, und ich bemerkte zu meinem Erſtaunen, daß die Ver— 
mißten unter Führung des unverbeſſerlichen Diuma Waſiri eine Heerde 
von zwanzig ſchönen Ziegen vor ſich hertrieben, welche der Anführer 
der Patrouille durch eine Liſt gefangen hatte. Ich habe mich oft 
verſucht gefühlt, Diuma zum Beſten anderer zu opfern, allein der 
Schlingel erſchien immer mit einer ſo unſchuldsvollen, ſcheinbar um 
Verzeihung flehenden Miene, daß ich nie den Muth dazu hatte. Er 
hatte einen hübſchen abeſſiniſchen Typus, doch wurde ſeine natürliche 
Schönheit durch die Heuchelei ſeiner Züge entſtellt. Ein Mhuma, 
Maſſai, Mtaturu oder Galla muß Fleiſch haben, ſelbſt noch mehr als der 
Engländer; es iſt für ihn ein Glaubensartikel, daß das Leben keinen 
Werth hat, wenn man nicht gelegentlich Fleisch zu eſſen bekommt. 
Ich verwarnte Djuma deshalb nochmals und tröftete mich mit dem 
Gedanken, daß feine Laufbahn als Kundſchafter vermuthlich nur von 
furzer Dauer jein und er ficherlidy eines Tages Eingeborene treffen 
würde, die ihm an Gemwandtheit und Muth gleich jeien. 

An diefem Tage hatten wir erfolglos den Aufbruch unternommen, 
denn faum waren wir ein paar hundert Meter aus dem Dorfe fort, 
als wir von einem tiefen, 36 m breiten Fluffe aufgehalten wurden, 
deſſen Strömung eine Gejchwindigfeit von beinahe 4 km in der Stunde 
hatte, Das alte Weib nannte den Fluß Ituri. Verwundert darüber, 
daß ein zwiichen Ipoto und Ibwiri 365 m breiter Strom ſich zu 
einem So ſchmalen Fluß verengert hatte, Fehrten wir nad) Indeſura 
zurüc, um dort nocd einen Tag zu bleiben, und ich ſchickte ſofort 
Lieutenant Stairs und Herrn Jephſon mit einer Escorte auf dem 
geftern von uns verfolgten Pfade zurüd, um eine Furt durd den Ituri 
aufzuſuchen. 


4. Dec. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 971 


Beide Offiziere famen um 4 Uhr nachmittags zurücd und meldeten, 
daß e3 ihnen gelungen jei, 2%, km weiter aufwärts eine Furt zu ent- 
deden, und daß fie bereits den Fuß auf das Grasland gejegt hätten; 
zum Beweis hatten fie ein Büjchel jchönes, junges, ſaftiges Gras mit- 
gebracht. Inzwiſchen hatte Uledi mit feiner Abtheilung ebenfalls eine 
noch näher bei Indeſura gelegene Furt aufgefunden, in welcher das 
Waſſer ums bis an den Leib reichte, 

Am Abend diefes Tages gab es auf dem ganzen weiten Erdenrund 
feine Gejellichaft von glüclichern Leuten, als diejenigen, welche fich 
im Lager von Indeſura des Lebens erfreuten. Am nächiten Tage 
jollten fie dem Walde Lebewohl jagen; die grüne Grasregion, von 
welcher wir in den dunfeln Stunden geträumt hatten, wenn wir während 
der Hungerzeit infolge der Erjchöpfung des Körpers und der durd) die 
Entbehrungen herbeigeführten Meattigkeit in jchweren Schlaf verjunfen 
waren, befand fich ganz in der Nähe. Die Töpfe enthielten einen 
reichen Borrath an jaftigem Fleisch, die Mahlzeiten bejtanden aus 
gebratenen und gefochten Hühnern, Maisbrei, Grütze aus Bananenmehl 
und reifen Bananen. Kein Wunder, daß die Leute jept über alle 
maßen glüdlich waren und, mit Ausnahme von 10 oder 12 Manır, 
fi in viel beiferm Zuftande befanden als zu jener Zeit, da fie 
fih im Hafen von Sanfibar hoffnungsfreudig einichifften. 

Am 4. December verliefen wir Indefura und marichirten nach 
der Furt; der Fluß war hier 45 m breit und das Waſſer ging den 
Leuten bis an den Leib. Zwei von den Anervidbarometern zeigten Die 
Höhe von 930 m über dem Meere an, 564 m über dem Flußſpiegel 
an unjerm Landungsplabe bei Jambuja und 610 m über dem Kongo 
am Stanley- Boot. 

Auf dem Iinfen Ufer des Jturi famen wir in einen jchmalen 
Gürtel hoher Bäume, in welchem wir, nachdem die Colonne den Fluß 
überichritten hatte, weiter marjchirten, geführt von Herrn Mounteney 
Sephion, der etwa 550 m weit einer breiten Elefantenfährte folgte, und 
dann traten wir zu unſerer berzlicden Freude auf eine weite Ebene, 
jo grün wie engliicher Raſen, in das hellſte, angenehmite Tageslicht, den 
‘ warmen herrlichen Sonmenjchein hinaus, wo wir mit unwiderſtehlicher 
Luft die reine Luft einathmeten. Wenn ich nad) meinem Gefühl auf 
das der andern jchließen darf, jo fam cs, als wir mit gefräftigten Glied- 
maßen den jungen grünen Raſen betraten, ung vor, als hätten wir 
das Alter und ein Dutzend Nahre von uns geworfen. Mit ganz uns 
gewöhnlichen Schritten eilten wir vorwärts, und jchließlich, als unſere 


272 Elftes Kapitel. Grasland 


Bewegung ſich nicht mehr bemeiſtern ließ, ſetzte die ganze Karavane 
ſich in Laufſchritt. Das Herz eines jeden ſchien ſich zu erweitern und 
vor kindlicher Freude zu ſchwellen. Der blaue Himmel über uns hatte 
uns noch nie jo groß und hoch, jo rein und heiter geſchienen wie in 
diefem Augenblide. Wir blicten jogar in die Sonne, ohne von ihrer 
glühenden Helle geblendet zu werden. Das junge Gras, das nad) der 
Verbrennung des alten erit einen Monat alt war, wurde von der 
ſanften Brife jchmeichelnd geliebkoft, und bewegte fich hin und ber, 
als ob es uns die hübjchen Schattirungen feines zarten Grüns zeigen 
wollte. Vögel, die uns jo lange fremd gewejen waren, jegelten und 
ſchwirrten durch die klare Luft, Hleinere und größere Elenantilopen 
ftanden auf einer grasbewachienen Anhöhe und betrachteten uns ver: 
wundert, um dann aufwärts zu jpringen, wieder jtehen zu bleiben 
und ihrem Erjtaunen, das nicht geringer war als das umferige, durch 
Schnaufen Luft zu machen; Büffel hoben den Kopf, von Verwunderung 
über die Eindringlinge in ihre ftille Domäne erfaßt, warfen Die 
gewichtigen Körper herum und trabten in eine ficherere Entfernung. 
250 qkm herrliches Land lagen offen vor unjerm Blid, anjcheinend ver: 
ödet, denn noch waren wir nicht im Stande gewejen, all die jchünen 
Einzelheiten des Landes herauszujuchen. Meilenweit dehnt fich das hell- 
grüne ebene Weideland in leichten Wellen aus, durchjchnitten von den 
ſchmalen, gewundenen Linien jchattenreicher Bäume, welche die Ber- 
tiefungen ausfüllten; Dugende von Heinen Hügeln, bejäet von dunfeln 
Sebüjchgruppen, aus welchen bier und dort ein jtattlicher Baum her- 
vorragt, beherrichen die weitgedehnten Weideflächen und die janft ab- 
fallenden Gehänge, und fern im Oſten erheben fich drohend einige 
Sebirgsfetten, hinter denen, wie wir überzeugt waren, der blaue Albert- 
See in feinem tiefen Bette jchlief. Bis Athemlofigfeit uns halt gebot, 
eilte die Karavane in dem gleichen Laufichritt weiter, denn dies war 
ebenfalls ein Vergnügen, welches wir lange entbehrt hatteı. 

Dann machten wir auf dem Gipfel eines die Ebene überragenden 
Hügels halt, um die Schönheit einer Landſchaft zu genießen, weldye 
unſers Grachtens ihresgleichen nicht hat und die feit Monaten der 
Gegenjtand unferer Gedanken und Träume geivejen war. Jetzt waren 
wir „froh über die Tage, in denen wir Trübjal erlebt, und die Zeit, 
in der wir Schlimmes erfahren“. Alle Gefichter glühten ob der Schön- 
heit der Landichaft und jpiegelten die geheime Freude des Herzens 
wider. Die Züge aller ftrahlten infolge der Erfüllung des höchſten 
Wunſches. Meistrauen und Grämlichkeit waren vollftändig verbannt. 


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ASTOR, LENOX ann 
TILDEn FOUNDATIONS 
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4. Dec. 1887.] Durch den Wald bis zu Majamboni’s Pic. 273 


Wir fühlten ung wie Männer, die aus der Haft und dem Serfer 
befreit und losgekettet waren, die Schmug umd Feuchtigkeit mit 
Milde und Reinheit, die Dunkelheit und Finfternig mit dem göttlichen 
Licht und der gefunden Luft vertaufcht hatten. Das Auge folgte dem 
verborgenen Pfade, jchweifte über die mit Weideland bededten großen 
und kleinen Hügel, jede von der Sonne befchienene Waldinfel und Rafen- 
fläche, dann über die unregelmäßigen Linien des Waldes, der düfter und 
traurig hinter ung aufjtieg, bald vorjpringend, bald zurücweichend, 
hier gebogen wie ein Kanve, dort in eine Spike vorjpringend gleich 
einem Gap. Der Geiſt erfaßte rundherum die kleinſte Eigenthümlich- 
feit mit der Schnelligkeit des Gedanfens, um fie viele, viele Jahre 
feftzuhalten. Wenn man noch nach zwanzig Jahren, falls wir jo lange 
leben, und an diefe glücdliche Stunde erinnert, als jede Seele vor 
Freude erzitterte und fich das Lob des Höchjten von felbft auf jede 
Lippe drängte, werden wir noch im Stande * das Ganze genau 
und treu zu beſchreiben. 

Nachdem ich die Geſtaltung der. bot un  iegenden neuen Gegend 
in der Abficht geprüft hatte, einen Eurs. am Nmidecken, der frei von 
Flüſſen und Sümpfen wäre, brachte ich die Expedition in nordnord— 
Öjtlicher Richtung nad) einer 6%, kp von;uns entfernten niedrigen 
Kuppe, um den Siüdfuß einer. von: der Mppet weg nad) D. 3. ©. 
ftreichenden Higelfette zu erreichen. Ich war der Meinung, daß wir 
dann ohne große Schwierigkeiten auf dem Hochland nach Often vorwärts 
fommen würden. 

Als wir den Fuß der etwa 90 m über dem rechts vor uns 
gelegenen Thal befindlichen Felsblöcke erreicht hatten, bemerften wir, daß 
die unjcheinbare Wildfährte, der wir gefolgt waren, fich zu einem nad) 
Nordoften führenden Eingeborenenpfade entwidelt hatte, und wandten 
ung daher, um den von ung erreichten Grat nicht als Leitlinie aufzu- 
geben, quer durch das mit Gras bewachlene Hochland, was wir der 
furzen jungen Halme wegen thun konnten ohne zu ermüden, Zwar unter- 
brach das nichtverbrannte hohe Gras der vorhergegangenen Jahreszeit 
mit jeinem Gewirr von Dicht zufammengewachjenen fräftigen Halmen 
gegen Mittag unfer allzu leichtes Vorwärtskommen, Doch jegten wir den 
Marih noch bis 12%, Uhr Fort und machten erft nach einer 
Stunde ernftliher Anjtrengung an einem kryſtallklaren Fluſſe halt, 
um ung zu erfrifchen. 

Nachmittags arbeiteten wir uns an dem gegemüberliegenden gras— 
bededten Abhange weiter und wählten dann nad) anderthalbjtündiger 

Stanley, Im dunfelften Airita. I. 18 


274 Elftes Kapitel. Grasland 


raſcher Wanderung den Lagerplatz an der Vereinigungsſtelle zweier 
Flüſſe, die nach Südoſten floſſen. Von ihren Laſten befreit, machten 
ſich einige unruhige Burſche auf den Weg, um in den Dörfern, welche 
wir tief unter unſerer Marſchlinie im Thale bemerkt hatten, zu fourra— 
giren. Ihr plötzliches Herabſteigen zu den Eingeborenen ſicherte ihnen 
einen reichen Vorrath an Geflügel, Zuckerrohr und Büſcheln reifer 
Bananen. Sie brachten auch einige Exemplare von den Waffen dieſes 
neuen Landes mit: mehrere große Bogen und lange Pfeile, ſchwere 
Schilde von rechteckiger Form, die aus einer doppelten Reihe über 
Kreuz gelegter zäher Gerten hergeſtellt, feſt mit Baſt zuſammengebun— 
den und mit einer gummiartigen Subſtanz beſchmiert waren. Die 
Schilde zeigten ſehr hübſche Arbeit und waren für Pfeile oder Speere 
vollſtändig undurchdringlich. Außer den Schilden trugen die Ein— 
geborenen auch Weſten aus Büffelhaut, die vollſtändig ſicher gegen 
Piſtolenſchüſſe waren. 

Unſer Curs bis zu der bereits erwähnten Felskuppe führte uns faſt 
parallel mit dem Rande des Waldes, von dem unſer Pfad verſchieden 
weit, von »—21 km, entfernt blieb. Wie die Hüfte eines Meeres 
und eines Landjees Einbuchtungen hat, jo schien auch die Waldlinie 
Krümmungen zu machen. 

Die Richtung des von uns überjchrittenen Jturi, den wir ben 
weftlichen Ituri nennen müſſen, war Oſtſüdoſt. Nach meiner Schäßung 
mußte die Quelle dejjelben von unjerm Uebergangspunfte weg etwa 
46 km in nordwejtlicher Richtung liegen. 

Am nächſten Morgen jegten wir den Marſch an einem mit fur- 
zem Graje beftandenen Abhang hinauf fort und machten auf dem 
Kamme halt, um die Ordnung der Colonne wiederherzuftellen für den 
Fall, daß wir von einer Uebermacht angegriffen werden jollten, 
denn bisjeßt waren uns Land und Xeute, jowie die Gewohn- 
heiten des Volks, unter dem wir jo plößlich aufgetaucht waren, 
noch volljtändig unbekannt. Den Marſch fortjebend, wählten wir 
einen jchmalen Pfad, welcher dem D. 3. ©. ziehenden Grate folgte, 
jedoch gingen bald alle Spuren dejjelben verloren. Wir befanden uns 
jedoch auf einem beherrichenden Hoclande, von wo aus wir nad) 
jeder Richtung mehr als 50 km weit Ausjchau halten und ums Die 
pafjende Wegrichtung ſuchen fonnten. Im Nordoften von uns war 
ein Dorf zu sehen, nach welchem wir jebt unjere Schritte Ienften, 
um dort einen Bfad zu benuben, denn der Marjch durch die Streden 
Dicht zufammenstehenden Röhrichts und 5 m hohen Grajes, welche wir 


5. Dec. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 275 


gelegentlich antrafen, war faſt ebenjo bejchwerlich wie durch das Unter- 
holz des Dickichts. Das ungemein hohe und jtarfe Gras hinderte und 
erjchiverte unjer Vormwärtsfommen. Nachdem wir mehrere mit Didicht 
bejegte Schluchten paffirt hatten, auf deren moraftigem Grunde wir 
die Fußipuren von Löwen und Leoparden bemerften, famen wir 
ihließlid an einen Gürtel von Afaziengeftrüpp, welches ſich als 
jehr beläftigend erwies, und aus Ddiefem endlich in die Hirſefelder 
von Mbiri. In wenigen Secunden hatten die Eingeborenen unjer 
Heranfommen bemerkt und inftinctiv die Flucht ergriffen, wobei fie, 
wie die Barther, ihre langen Pfeile abjchoffen. Unſere Kund— 
ichafter ſprangen über jedes Hinderniß hinweg und ergriffen eine junge 
Frau und einen zwölfjährigen Suaben, welche unferer Unwiſſen— 
heit zu Hilfe fommen mußten. Zwar konnten wir feine lange Unterredung 
mit ihnen halten, weil wir vollftändig unbefannt mit allen in Diejer 
Gegend geiprochenen Dialeften waren, allein ein paar Worte brachten 
mit Hülfe der Beicheniprache doch die Thatjache zu Tage, daß wir 
ung in dem Diftriet von Mbiri befänden, daß die Hauptitraße nad) 
Diten uns nach dem Lande der Babuſeſſe bringen würde, daß hinter 
den Tettern die Abunguma wohnten, was wir natürlich alles mit 
höchſter Gleichgültigfeit anhörten. Was hatten folche Namen für 
ichwerfällige Sinne und leere Köpfe für Bedeutung? Sie hatten nie 
von Shafejpeare, Milton und nicht einmal von Ihrer Majeftät der 
Königin gehört! 

„Hat jemand vom Muta oder Luta-Nſige gehört?‘ 

Ein Schütteln mit dem Kopfe. 

„Bon Unjoro?‘ 

„Unjoro? Ja. Unjoro liegt weit weg‘, nad) Oſten zeigend, 

„Don einem großen Waffer in der Nähe von Unjoro?“ 

„Meint Ihr den Ituri?“ 

„Nein, größer, noch viel, viel größer, jo groß wie dieje ganze 
Ebene.‘ 

Anstatt fich auf einfilbige Worte zu beſchränken, welche wir leicht 
verftanden haben würden, machten die unglücliche Frau und der 
Knabe in ihrem Eifer, ung allzu viel mitzutheilen, durch geichwäßiges 
Reden in ihrer Sprache das Verſtändniß vollftändig zur Unmöglid)- 
feit und verwirrten uns jo, daß wir umjere Zuflucht zum Schweigen 
und zur Geduld nehmen mußten. Wenigjtens wollten fie uns den 
Weg zu den Babuſeſſe zeigen. 


Die Bauart der Hütten ift ähnlich, wie man fie in ganz Oſt— 
18* 


276 Eiftes Kapitel. [Babufeffe 


und Gentralafrifa ſieht. Es ijt die verbreitetite. Das fegelfürmige 
Dad) nimmt zwei Drittel der Höhe ein, das legte Drittel entfällt auf 
die Wände. Alle paar Dutzend Meter findet man Hütten diejer 
Art in den Bananenhainen zerjtreut; von einer zur andern führen 
Pfade, die für den Fremden aber jehr verwirrend find, ſodaß er ſich 
ohne einen ortöfundigen Führer nothiwendigerweife verirren muß. Zu 
jeder Gruppe von Hütten gehören Nebengebäude, welche zum Ko— 
chen, Plaudern, zur Aufbewahrung von Brennmaterial und zur 
BVerrichtung Eleiner häuslicher Arbeiten dienen, jowie mit Gras be- 
deckte kleine Getreidejpeicher, die zum Schutze gegen Ungeziefer und 
Feuchtigkeit etwa 30 cm hoch über dem Erdboden ftehen. 

Unjere Leute erhielten bier eine 
große Menge reifer Baradiesfeigen 
und Bananen, aus welchen die Ein- 
geborenen einen beraufchenden Wein, 
Marwa genannt, herjtellen. Auch ver- 
größerten wir unjere Biegenheerde um 
einige Stüf und nahmen etwa ein 
Dubend Hühner mit; alles übrige 
wurde, wie gewöhnlich, unberührt ge- 
lajien. 

Dann ſetzten wir den Marſch 
wieder fort. Der Pfad war gut aus- 
getreten, der ftarfe Verkehr hatte ihn 
hart und glatt gemacht. In der Rich— 
tung Südoft zu Oft führte er mit 
Gras bewachjene Hügel und Thäler auf und ab. Gegen Mittag machten 
wir im Schatten Schöner Bäume halt, um ung zu erfrifchen; ganz in der 
Nähe hörten wir das laute Getöfe eines Waflerfalls, des Ituri, wie 
man uns ſagte. Das war einigermaßen räthjelhaft, da wir nicht 
begriffen, wie der Sturi, den wir am Tage vorher bei der Furt über: 
Ichritten und nachdem wir uns abfichtlih, um ihm zu vermeiden, 
von jeinem Thal entfernt hatten, im diejer großen Höhe über Ab— 
ftürze und Terraſſen braufen fonnte, 

Nachmittags brachte ein anderthalbjtündiger Marjch, anjcheinend 
nicht jehr weit von dem Fluſſe entfernt verlaufend, uns in den 
volfreichen Diftricet der Babufeife, wo jehr ausgedehnte Bananenpflan- 
zungen, die mich an Uganda erinnerten, mit ihrem Schatten eine 
große Menge Hütten beichirmten. Die Aufengründe diejer Nieder: 





Schilde der Babuſeſſe. 


5. Dec. 1887.] Durd den Wald bis zu Majamboni's Pic. 977 


lafjungen wurden von Hirfe- und Sejamfeldern und Nedern mit 
fügen Kartoffeln eingenommen und überall bemerkten wir viele An— 
zeichen, daß das Land dicht bevölfert ijt und fleißig angebaut wird. 

Ehe wir den Schatten der Bananenhaine erreichten, ftellten wir 
unfere Reihen wieder her, um in etwas gejchlofjenerer Orditung weiter 
zu marſchiren. Die Vorhut bejtand aus einer ftarfen Abtheilung von 
mit Wincheitergewehren Bewaffneten, während eine ähnliche Zahl von 
mit Nemingtongewehren ausgerüjteten Leuten unter dem Befehl von 
Staird den Schluß der Nachhut bildete; allein obwol wir unjere 
Burfchen aufs dringendite gewarnt hatten, die Reihen zu verlajjen, 
hatte die Borhut doc) kaum eine gefährliche Stelle wohlbehalten paffirt, 
als auch jedesmal ſich Dutzende von Plünderern von der Haupttruppe 
abföften, um in dem Hütten und Getreidelagern nach Beute zu fuchen, 
Hühner, Bananen, Ziegen, Zuderrohr oder allerlei ſonſtige umvichtige 
Dinge ohne allen Werth. Bon den wohlgezielten Pfeilen drang einer 
einem Manne durch den Arm und in die Seite, ein anderer erinnerte 
den Getroffenen durch einen an einer Nippe abgeglittenen Streifichuß 
an die Thorheit feines Unternehmens. Eine Salve von unſern Ge- 
wehren trieb die Eingeborenen aber bald aus ihrem Verſteck, ohne 
indeſſen einen von ihnen zu verlegen. 

Bei der öftlichen Niederlaffung machten wir halt. Dieſelbe bejtand 
nur aus zwei großen fegelförmigen Hütten und einigen Nebengebäuden, 
um welche wir in der Eile für die Nacht unfere Hütten aufbauten, 
die wir mit Bananenblättern bedecten, um den Regen und Thau ab- 
zubalten. 

Bei Dunkelwerden ließ ich die Gefangenen nochmals zu mir fommen 
und verſuchte eine Halbe Stunde lang, von ihnen eine flare Antwort 
zu befommen auf die Frage, ob öftlich von uns eine große Waſſer— 
fläche oder ein großer Fluß jei. Als einer unferer Führer, der mich 
bei meinen Bemühungen unterftüßte, von ihnen willen wollte, welcjes 
der größte Njanſa ſei, der von Unjoro oder der von Uganda, rief der 
Knabe: 

„Njanſa! Njanſa? Na, der Njanſa (nad) Oſten zeigend) liegt 
dort und dehnt ſich dorthin (nordoſtwärts) ſehr weit aus.“ Auf die 
Frage, wieviel mal „Schlaf“ zwiſchen dort und den Babuſeſſe liege, 
hob er drei Finger der rechten Hand auf und antwortete „Drei“. 

Nachdem es inzwijchen dDunfel geworden war, wurden wir plößlic) 
durch einen Schmerzensschrei erjchredt, dem ein eigenthümliches, geifter- 
haftes Geheul folgte, aus welchem man etwas wie Triumph beraus- 


278 Elftes Kapitel. Babuſeſſe 


hörte; in der dann entſtehenden Stille vernahmen wir das Raſcheln 
der Pfeile durch die Bananenblätter über unſern Köpfen. 

„Löſcht die Feuer aus! Bleibt kaltblütig. Wo find die Schild— 
wachen? Weshalb find fie nicht auf ihren Poſten?“ waren die nächjten 
Aeußerungen. 

Die Eingeborenen hatten ſich an uns gerade zu der Zeit heran— 
geichlihen, wo das Lager am wenigjten bewacht war, während des 
Abendeifens, wo wir den Wachen, ausgenommen bei ungewöhnlichen 
Gelegenheiten, erlaubt hatten, erjt zu ejjen, ehe ſie ihren Nachtdienft 
antraten. Wir ftellten bald feit, daß ein Pfeil einem gewillen Selm 
etwa 10 cm tief in die Hüfte gedrungen war und ein anderer eine 
am Feuer röftende Ziegenfeule durchbohrt hatte; mehrere andere hatten 
Bananenftengel durchlöchert, Mach einigem gütlichen Zureden zog 
Selim den Schaft des Pfeils tapfer aus der Wunde, bis die mit 
Widerhafen verjehene Spibe zu jehen war, worauf ich fie ımter Zu— 
hülfenahme einer Bincette mit einem heftigen Aude entfernte. Dann 
wurde Eucalyptin auf die Wunde gelegt und der Mann in jein Quar— 
tier geſchickt. 

Eine halbe Stunde jpäter, als aber alle Wachen auf dem Pojten 
waren, unternahmen die Eingeborenen einen Angriff auf einen andern 
Theil des Lagers, doch gaben die Gewehre ihnen rafch Antwort, worauf 
wir ein Davonlaufen und Rajcheln hörten. In der Ferne vernahmen 
wir zwei Gewehrſchüſſe und einen Todesichrei, woran wir erfannten, 
daß wieder einige unjerer unverbefjerlichen Freibeuter in Thätigfeit 
waren. 

Unfere Truppe war wahrhaftig ſchwach genug, nicht der Zahl 
nach, jondern in Bezug auf die wirkliche Stärke bei der Vertheidigung 
und die Fähigkeit, die Munition zu tragen; diefe Umbhertreiber waren 
daher jtet3 eine Quelle der größten Sorge für mid. Es war voll 
ftändig nußlos, fie durch Bernunftgründe und Zureden befehren zu 
wollen, nur die größte Strenge hielt fie zurüd; da indeß die Schreden 
des Waldes erit jo kurze Zeit hinter uns lagen, fehlte mir noch der 
moralijche Muth, um die Schraube der Disciplin anzujegen; aber wenn 
ih auch Milde walten ließ, jo zog doc oft ihre eigene rückſichtsloſe 
Unklugheit ihnen eine Beitrafung zu, die weit ſchwerer war, als einer 
von ums fie ihnen auferlegt haben würde. 

Während der Nacht fiel heftiger Negen, der uns am nächjten 
Morgen bis um 8 Uhr am Weitermarjch verhinderte. ch benutzte 
die Zeit, um aus den Gefangenen etwas VBernünftiges über den Cha— 


T. Dec, 1887.) Durch den Wald bis zu Majamboni’s Pic. 279 


rafter der vor uns befindlichen Eingeborenen herauszubringen; doch waren 
wir alle mit ihrer Sprache jo vollftändig unbefannt, daß wir nur 
wenig Fortichritte machen fonnten. Bei ihren Bemühungen, ſich ver- 
ftändlich zu machen, zeichnete die Frau auf der Erde von dem Laufe 
des Ituri eine Skizze, die eine der ſeltſamſten Anfichten über die Geo— 
graphie Afrikas ifluftrirte, die man fich denken fann. Wie die Frau 
den Fluß darftellte, ging derjelbe nach dem Rüden der Wafjerjcheide 
hinauf, floß dann fteil aufwärts parallel mit dem Albert-See und 
ftürzte fich ſchließlich plöglich in den Njanſa hinab! Vollſtändig ver- 
wirrt von dem, was ich erfahren Hatte, behielt ich die Frau, als wir 
weiter ins offene Yand hineinmarfchirten, noch bei mir; von dem Gipfel 
eines Hügels zeigte jie mir dann, etwa °%, km unter uns, den nad 
Often fließenden Ituri. Die in Sicht befindliche Flußſtrecke hatte die 
Richtung D. z. ©. 

Hier jtand ich vor einem jchweren Räthſel. Zwei Tage vorher 
waren wir auf 1° 24’ nördl. Br. von dem rechten nad) dem linken Ufer 
des Juri übergejeßt und befanden uns jebt auf 1° 28’ nördl. Br. 
Und dennoch jahen wir den Ituri hier nah D. 3. ©. und DSD. fliegen, 
während meine Route nach Kavalli mid) offenbar nad) S. z. O. führte. 

Ich wollte mir den Kopf nicht mehr mit dem Problem zerbrechen, 
noch verjuchen eine Löjung dafür zu finden, was die Frau damit 
meinte, daß der Fluß, an dem wir über 950 km weit vom Kongo 
her aufwärts gefommen waren, nach dem Njanſa ftrömen jollte. Die 
einzig mögliche Löſung war, daß es zwei Ituri gäbe, von denen der 
eine nad) dem Kongo, der andere nach dem Nilbeden ftröme; indefjen 
behaupteten fie und ihr Bruder ganz bejtimmt, daß es nur einen 
Sturi gäbe. 

Bei Fortiegung des Marſches verfolgten wir einen Pfad, der 
fi ins Thal hinabſenkte. Bald darauf ftanden wir an dem Ufer 
des Fluffes und hatten nunmehr die Löſung gefunden. Es war ber 
Haupt-Fturi, der W. z. ©. floß. Zuletzt wird man allemal Elug. 

Auf dem Fluſſe befand fich ein plumpes, unfürmiges Kanoe, und 
da Saat Tato jehr geſchickt mit folchen Fahrzeugen umzugehen ver: 
ftand, erhielt er den Auftrag, gegen eine Belohnung von 80 Mark die 
Karavane nad) dem andern Ufer überzujegen. Der Fluß war 115 m 
breit, im Durchichnitt 2 m tief umd hatte eine Strömung von 
zwei Knoten. Es war der Katarakt dieſes Fluſſes geweſen, deſſen 
dumpfes Getöſe wir in der Nähe von Mbiri gehört hatten. 

Die Eingeborenen von Abunguma am linken Flußufer beobach— 


280 Elftes Kapitel. Babuſeſſe 


teten unſere Operationen von dem Gipfel eines etwa anderthalb Kilo— 
meter entfernten Hügels und zeigten eine ſehr zuverſichtliche Miene, 
die zu ſagen ſchien: „Schon gut, Freunde, wenn ihr hindurch ſeid, 
werdet ihr mit uns zu rechnen haben.“ In einem ſolchen offenen 
Lande konnte nichts geſchehen, ohne „daß es die ganze Welt wußte“. 
Die Abunguma drohten uns tapfer mit den Speeren, die Babuſeſſe 
hatten jeden hervorragenden Punkt am rechten Ufer des Fluſſes beſetzt. 
Einigemal ſchien es, als ob unſere Mannhaftigkeit hier einer 
ſehr ſchweren Probe unterzogen werden ſollte. Indeſſen hatten wir 
den Troft, daß wir wußten, daß die Eingeborenen zur Stelle und in 
Bewegung waren, ſodaß wir auf einem Abhange des Weidelandes, wo 
das Gras um das Lager herum nur 10 cm hoch war, nicht über- 
rajcht werden konnten. 

Seitdem wir nad; Ibwiri gefommen waren, Hatten wir — für 
Afrika — fehr üppig gelebt. Wir hatten täglich Fleiſch und Milch 
genoffen und von Hühnern, friichen und getrodneten Bohnen, Zuder- 
rohr, jühen Kartoffeln, Yams, Colocafien, Tomaten, Eierpflanzen, Me— 
lonen, Baradicsfeigen und Bananen gelebt. Die Wirkung davon auf 
die Leute war wundervoll; fie waren Männer in jeder Beziehung des 
Wortes geworden und an Körper und Geift weit bejjer als die magern 
elenden Wichte, welche, ohne faum dagegen zu proteftiren, von Den 
Enafjöhnen von Ipoto gepeiticht und mit Speeren durchbohrt worden 
waren. Auch auf die Weißen hatte die Lebensweije einen jehr wohl- 
thätigen Einfluß geübt, denn wenn auch nicht fett, jo waren wir Doc) 
nicht mehr Dürr umd mager; etwas Wein würde die Heilung voll- 
endet haben. 

Ein janft anfteigender, mit Gras bewachſener Abhang brachte ung 
am nächiten Morgen nad) Verlauf einer Stunde auf den Rüden 
einer Ddiefer Ianggedehnten Wellenzüge, die für dieſe Gegend charak— 
teriftiich find. Bon oben hatten wir wieder einen für uns bejonders 
intereffanten Rundblid. Der von uns in Ausficht genommene Curs 
war Südoft, da wir auf eine hohe kegelförmige Bergſpitze zuftrebten, 
weldje am Ende einer grasbededten Hügelfette ftand und ung jpäter als 
Majamboni- Pic befannt wurde. Wir ftiegen in anmuthige Thäler 
hinab, die durch kühle, are Bäche bewäfjert wurden; in der Nähe 
der lehtern waren fleine Gruppen von Wohnjtätten der Eingeborenen, 
von Feldern mit unreifem Sorghum, ſüßen Kartoffeln, Zuderrohr u. ſ. w. 
umgeben, Allein ſämmtliche Hütten waren verlaffen und ihre Bewohner 
jahen ſich uns von jedem hervorragenden Hügel aus der Vogelſchau 


8. Dec. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 281 


an, Endlich pajfirten wir auch eine leere Vieheinzäunung, bei deren 
Anblick unjere Leute vor Freuden jchrien und riefen: „Ja, der Herr 
hat recht, alles, was er gejagt hat, trifft ein. Erſt wird das Gras— 
land fommen, dann das Vieh mit tapfern Männern, welche es ver: 
theidigen, dann die Hügel, dann der Nijanja und endlich der weiße 
Mann. Das Grasland haben wir jchon gejehen, hier ift der Viehhof, 
dort find die Hügel und die tapfeın Männer, und wenn es Gott 
gefällt, werden wir auch den Njanja und den weißen Mann noch er: 
bliden.‘ 

Wir ſetzten unjern Weg nad einem Thale fort, durch welches 
ein anderer Fluß‘ dahinrafte und tobte. Zu unferer Linken befand 
ſich eine Reihe zerflüfteter Felſen, welche in ungeheuern, freiftehenden 
Maſſen aufftiegen und jo groß waren, daß auf den Spiten ein Dutzend 
Männer bequem fiten fonnten. Die großen Felsmaſſen wurden Durch 
eine niedrigere Felsreihe verbunden, Die eine gleichförmigere Ge— 
ftalt hatte und den fahlen Scheitel eines Hügelrüdens bildete. An 
einigen Stellen paffirten wir jo nahe am Fuße der Felſen, daß wir 
die Gipfel Leicht mit einem Steimvurf hätten erreichen fünnen. Wir 
waren auf einen Angriff wohl vorbereitet, doch verhielten fich die Ein- 
geborenen merhvürdig ruhig. Der von uns verfolgte Pfad endete an 
einer Hängebrüde über einen dritten „Ituri“, den ich, um Misver— 
ftändniffe zu verhüten, als öftlichen Ituri bezeichne. Derjelbe war 
27 m breit, tief und hatte die Strömung einer Stromjchnelle; 
er war mit einer Brüde überjpannt, die aber jo gebrecjlich her: 
geftellt war, daß nur je einer von ung diejelbe überjchreiten konnte. 
Jede Perjon brauchte zwei volle Minuten, um die Spannweite 
von 27 m zu paſſiren, ſodaß es 6 Uhr nachmittags wurde, ehe die 
ganze Karavane am andern Ufer war; da der Uebergang fi) an einer 
für ung jehr unvortheilhaften Stelle befand, jo mußten die Büchſen— 
Ichügen den ganzen Tag auf dem Posten fein. 

Nachmittags jahen wir eine jchöne jchwarze Kuh mit ihrem Kalbe 
aus einem Einjchnitt in dem erwähnten Felsrücken herausfommen, worauf 
unfere Leute ein lautes Freudengeſchrei erhoben. „Rindvieh, ah 
Rindvieh! Rindvieh, was machſt du? Wir Haben dich nicht ge— 
fehen, jeit wir jung waren.” Wahrjcheinlich waren dieje Thiere aus— 
gebrochen, da die Abunguma ihr Vieh hinter den FFelienhügeln ver: 
ſteckt hielten. 

Nachdem wir das malerische Thal des öftlichen Ituri verlaſſen 
hatten, marjchirten wir am 8. December einen janft anfteigenden 


282 Elftes Kapitel. [Undufjume 


Abhang bis zum Gipfel eines Hügels hinauf, von welchem wir einen 
weiten Blick über das gewundene jchmale Bett des Fluſſes hatten, 
der, wie wir bemerften, aus OSO. herfam. Bald darauf eröffnete 
fi) uns ein mehr einer volljtändigen Ebene gleichendes Land, das 
fi) über 30 km weit nad) Süden ausdehnte und im Norden 
von dem feljigen Rüden und dem furz vorher von uns verlaffenen 





Hängebrüde über den öftlichen Jturi. 


Thal begrenzt wurde, während im DOften die Mafamboni- Kette auf- 
ftieg, deren an der jchlanfen Spite fenntliches Nordende für den Augen- 
blick unſer Ziel bildete. 

Um 9'/, Uhr vormittags hatten wir uns der Gebirgsfette um 
mehrere Kilometer genähert und bemerften, ehe wir in das Thal eines 
nach Norden jtrömenden Kleinen Fluſſes hinabftiegen, mit Verwunde— 
rung, daß die ganze weite Ebene bis zu den Bergen eine einzige 
Mafje von Pflanzungen war, ein Beweis, daß dort eine ftarfe Be- 


8. Dec. 1887.] Durch den Wald bis zu Majamboni’s Bir. 283 


völferung lebte. Hier aljo wirde es, wie wir meinten, zum Kriege 
fommen. Die Abunguma hatten ihre Niederlaffungen verlaffen, um 
fich diejem volkreihen Stamme anzuſchließen und uns einen pafjenden 
Empfang zu bereiten. Stärfere Anfiedelungen hatten wir nicht ge- 
jehen, jeit wir Bangala am Kongo verlaſſen hatten, und als wir die 
Entfaltung der ungeheuern Scharen und die Anzeichen der Wohl: 
habenheit und Sicherheit jahen, jchlich fich bei ung der Argwohn ein, 
daß diefe Eingeborenen dem Bündniß der Stämme angehören möchten, 
welche den armen, forgenvollen Gouverneur von Aequatoria einge— 
ſchloſſen hielten. 

In der Abficht, Die Eingeborenen nicht zu reizen und die unver- 
bejjerlichen }yreibeuter der Kolonne an der Begehung von Unthaten zu 
verhindern, verfolgten wir einen nach Südoften führenden Pfad, um 
am Rande des Diſtriets Hin zu marichiren. Wir konnten unjern Curs 
zwifchen den Pflanzungen jo nehmen, daß der Feind feine Dedung 
hatte. Um 11%, Uhr vormittags Hatten wir das djtliche Ende des 
Diſtriets erreicht, wo wir anhielten, um unter dem Schatten eines 
Baumes, dejjen Zweige von der fräftigen, vom Njanja fommenden fühlen 
Brije bewegt wurden, Mittagsraft zu machen und uns zu erfriichen. 

Um 1 Uhr nahmen wir den Marjch wieder auf und traten in 
den Schatten der Bananenpflanzungen hinein, wo wir uns über den 
in denfelben befundeten Fleiß der Eingeborenen und die Sauberfeit 
der bepflanzten Stellen wunderten. Die fegelfürmigen Wohnftätten 
waren groß und, wie wir beim Hineinſchauen durch einige offene Ein— 
gänge bemerfkten, im Innern durch Schirmwände aus rohrartigem Gras 
abgetheilt. Jedes Dorf war reingefehrt, als wäre es bejonders zum 
Empfang von Gäjten bereit. Ieder Bananenftamm war mit Früchten 
belajtet, die Kartoffeläder waren ausgedehnt, die Hirfefelder nahmen 
auf jeder Seite mehrere Heftare ein und die erft in neuejter Zeit er- 
bauten zahlreichen Getreideipeicher Tiefen erkennen, daß man eine reiche 
Ernte erwartete. 

Schließlich kamen wir aus den Kornfeldern heraus, ohne aud) 
nur einmal beläjtigt worden zu ſein. Wir glaubten, daß die Ein- 
geborenen entweder durch übertriebene Gerüchte über unfere Stärfe 
furchtfam geworden, oder durch unjer vorfichtigeg Manöver, zwiichen 
unjerer Marjchlinie und den Baumgruppen einen ziemlich großen Raum 
zu laffen, verwirrt worden waren, denn zu unferer Ueberrafchung ftießen 
wir auf feinen Widerjtand, obwol große Scharen von Eingeborenen 
die an unſerer Route gelegenen hervorragenden Punkte beſetzt hatten. 


284 Eiftes Kapitel. (Undufiuma 


Der breite und wohlbegangene Pfad nad) den Bergen, denen wir 
uns jest raſch näherten, durchichnitt Die etwa 5 km breite, reich 
mit blühendem Futtergras bededte, beinahe horizontale Ebene in der 
Mitte. Nicht fern zu unjerer Linken befand fich der Ituri, an defjen 
anderm Ufer eine weitere volfreiche Anfiedelung zu jehen war. 

Um 3 Uhr nachmittags trafen wir am Fuße des Majamboni- 
Gebirges ein. Viele der höchiten Punkte deffelben waren mit Gruppen 
von Hütten gekrönt, die Viehhöfe der Eingeborenen lagen in den 
Falten des vor uns liegenden Gebirge. Die Leute hatten fich auf 
den nächiten Gipfeln in größern Gruppen gefammelt und riefen 
ung, als wir nahe genug herangefommen waren, mit lauter, heraus: 
fordernder Stimme troßige Worte zu. Wir jchägten die Höhe der 
uns zunächjtliegenden Berge auf etwa 250 m über der Ebene und 
ihre Entfernung von uns, da die Abhänge bejonders fteil waren, auf 
etwa 700—900 m. 

Zu unjerer großen Freude und Erleichterung ftieg der Pfad nicht 
an den fteilen Abhängen empor, jondern führte am Fuße derjelben 
herum, und wandte ſich nach Oft, gerade die von uns gewünjchte 
Richtung, da wir uns jet auf 1° 25’ 30” nördl. Br. befanden. 
Als wir um eine Ede der Bergfettte herumfamen, zeigte fich 
unſerm Blid ein Thal von 1'/, bis 3 km Breite, das von üppigen, 
der Sichel entgegenreifendem Kaffernforn bededt war. Zu umjerer 
Nechten ftieg unmittelbar über uns die Nordjeite der Maſamboni— 
Kette empor, zur Linfen fiel das ganz mit Getreidefeldern bededte 
Gelände allmählich zu einem rajch fließenden Arm des öftlichen Ituri 
ab, um auf der andern Seite in derjelben janften Weije bis zu einem 
breiten Hufeifenförmigen, mit Gras bededten Rüden anzufteigen, der 
dicht mit Wohnjtätten bejeßt, mit grünen Hirje- und Maispflanzungen 
bedecdt und reih an Bananenhainen war, Eine Umjchau in der Um— 
gebung ließ uns den Wohlftand des Stammes erfennen. 

Beim Eintritt in dieſes wohlhabende getreidereiche Thal erjchofl über 
unjern Köpfen drohend im Chor der Kriegsruf der Eingeborenen, was 
uns veranlaßte, aufzubliden. Die Gruppen waren jchon viel zahlreicher 
geworden, und es mochten vielleicht 300 mit Schilden, Speeren und 
Bogen ausgerüftete Krieger verfammelt fein, welche die blanten 
Waffen ſchwangen, mit Schild und Speer gefticulirten und in einer 
uns unbekannten Sprache uns wüthend anfchrien. Immer erregter in 
ihrem Benehmen werdend, jchienen fie herabfommen zu wollen, änderten 
dann aber ihren Plan und jtiegen wieder zum Gipfel hinauf, wo fie 


8. Dec. 1887.] Durh den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 285 


mit uns gleichen Schritt hielten, fie oben längs des Grats der vor- 
liegenden Hügel, wir am Fuße derjelben; fortwährend jchrien und heul- 
ten fie, riefen und drohten, was ung, wie wir annahmen, ihren Haß aus: 
drüden und ihre Gefährten im Thal ermuthigen follte, 

Als wir aus der erften Kornfelderreihe herausfamen, hörten 
wir das Sriegsgejchrei der Eingeborenen im Thal und befürd)- 
teten deshalb, daß diejelben, von den Gefährten auf den Hügeln ge— 
warnt und geführt, an ihnen günftig erjcheinenden Orten Aufjtellung 
nehmen würden. Es war jegt faft 4 Uhr und alfo Zeit, einen Platz 
für das Lager auszuwählen und uns vorzubereiten, um die Nacht ine 
mitten einer der Zahl nad) iübermächtigen Bevölferung zuzubringen. 
Glücklicherweiſe ftieg ganz in der Nähe der fteile Niera Kum— 
Hügel mit einem Ausläufer auf, deſſen platter Gipfel 30 m über der 
mittlern Thalhöhe lag; Dderjelbe bildete gleichjam eine Inſel im 
Thale und war ungefähr 450 m vom Fluffe und 180 m von der 
MaiambonisKette entfernt. Bon dem Gipfel des Niera Kum hatten 
wir nach Dften und Weiten einen Blick auf das nördliche Gehänge 
der hohen Kette und über den Scheitel des hufeiienförmigen Rückens 
hinweg bis über den Jturi-Arm. In einer folchen Stellung hätte man mit 
50 Gewehren ein Lager gegen taujend Eingeborene behaupten können. 
Wir eilten den Hügel hinauf, während die Krieger von den Höhen 
herabfamen und ſich uns näherten, als ob fie unjere Abficht ahnten; 
auch von den Flußufern ftürzte eine Maſſe fchreiender Bewaffneter 
gegen unjere Marjchlinie, doc gelang es ung, nachdem die Hund: 
Ichafter in der Vorhut vereinzelte Schüffe abgegeben hatten, um die 
Front frei zu machen, die Hügelinfel zu erreichen und hinaufzuklimmen, 
Die Laſten wurden abgeworfen, einige vorzügliche Plänkler auf jeder 
Seite der Colonne beauftragt, die Nachhut zu unterſtützen, andere be— 
ordert, rund um die Krone des Hügels eine Seriba herzujtellen, und eine 
Abtheilung von etwa 30 Mann wurde nad) dem Fluffe geichieft, um Wafler 
zu holen. Nach einer halben Stunde war die ganze Colonne auf dem 
Hügel in Sicherheit, die Seriba nahezu vollendet und für die Durftigen 
Waller herbeigeichafft, und wir hatten einige Minuten Zeit, um Athem zu 
jchöpfen und von unſerm dominirenden Standpunkt aus die Umgebung zu 
unterjuchen. Der Blid aus der Vogelichau war feineswegs ermutbigend. 
Im Thal zerjtreut lagen etwa funfzig Dörfer, und nad) allen Ric): 
tungen Hin zeigte fich dem Auge eine Pflanzung hinter der andern, 
ein Feld und ein Dorf neben dem andern. Was auf den Bergen lag, 
wußten wir nicht. Die Zahl der in Schwärmen an den Abhängen 


286 Elftes Kapitel. [Undufjunta 


verjammelten Eingeborenen betrug mehr als 800, ‘deren troßiges 
Schreien und Lärmen die Luft erfüllte. 

‚Die Bergbeiwohner jchienen zu einem Verſuch geneigt zu fein, Die 
Sadje jofort zur Entſcheidung zu bringen. Wir waren von dem 
Marich von 21 km, den wir gemacht hatten, ermiüdet und die 
glühende Sonne und das Gewicht der Laften hatten die Körper— 
fräfte der Leute geichwächt; nichtsdeftoweniger wählten wir einige der 
Beiten aus und jandten fie den Bergbewohnern entgegen, während 
wir beobachtend jtehen blieben, um das Verfahren unfjerer Geg— 
ner fennen zu lernen. Bier Plänkler waren allen voran und eine 
gleiche Zahl von Eingeborenen, feineswegd dem Kampfe abgeneigt, 
Iprang ihnen tapfer entgegen, in dem inftinetiven Gefühl, daß der 
Muth unſerer Leute nicht der allergrößte je. Die Eingeborenen 
näherten fich ihnen bis auf etwa 90 m und machten dann den Gewehren 
gegenüber ihre Bogen fertig. Unſere Leute feuerten einmal, ohne 
Schaden zu thun, und zogen fich dann zurüd, während die Ge- 
birgsbewohner, immer mit dem Finger an der Bogenjehne, vor— 
rücdten. Nun ergriffen unjere vier Mann die Flucht, von Hun— 
derten, die von unjerm Lager aus das Schaufpiel mit anſahen, 
laut verwüniht. Das war auf umjerer Seite ein böler Anz 
fang, den die Eingeborenen als günftiges Vorzeichen fir ſich 
aufnahmen und mit Triumphgeheul begrüßten. Um dieſer Freude 
ein Ende zu machen,  juchten unſere Büchſenſchützen Dedung 
und begannen die Eingeborenen ernftlich zu beläjtigen. Einige, 
welche jich auf der Höhe des Hügels Niera Kum befanden, richteten 
unter den Gebirgsbewwohnern auf dem Abhange der gegenüberliegenden 
360 m entfernten Kette Schaden an, andere frocdhen ind Thal hinab 
und jorgten hier für unjern Triumph, und noch andere jchlichen fich 
um den Fuß des Nſera Kum herum und wirkten dort zu unſern Gunften. 
Unfer Jäger Saat Tato nahm ihren Eigenthümern eine Kuh weg, 
jodaß wir hier nach elf Monaten zum erjten mal wieder Rindfleiich 
fofteten. Als die Dunkelheit einbrach, juchten Eingeborene wie Fremde 
ihre Quartiere auf, beide in der Erwartung, daß morgen ein jehr 
aufregender Tag folgen werde. 

Ehe ich mich abends zur Ruhe legte, las ich, wie gewöhnlich, in 
der Bibel. Ich hatte fie ſchon einmal vom Anfang bis zum Ende 
durchgelejfen und war jetzt wieder beim 5. Buche Moſis, wo id an 
den Vers kam, in welchem Moſes Joſua mit folgenden jchönen Wor— 
ten ermahnt: „Seid getroft und unverzagt, fürchtet euch nicht und 


8. Dec. 1887.) Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 287 


Iaffet euch nicht vor ihnen grauen; denn der Herr, dein Gott wird 
jelber mit dir wandeln und wird die Hand nicht abthun, noch dich 
verlaffen !“ 

Ic las weiter, bis ich das Ende des Kapitels erreicht hatte, 
und jchloß dann das Buch, und von Moſes wanderten meine Ge— 
danken jofort zu Mafamboni. War es die große Ermattung, ein 
im Entjtehen begriffener Schmerz, ein mahnendes Symptom heran- 
nahender Krankheit oder der Schatten einer gehäjfigen Stimmung gegen 
unſere feigen vier Kundichafter und ein unbeftimmtes Gefühl des Mis- 
trauens, daß meine Taugenichtie in einem fritiichen Augenblide die 
Flucht ergreifen fonnten? Sicherlich befanden wir ung einem Volke 
gegenüber, das ich ſehr weientlih von den Waldbewohnern unter: 
ſchied. Auf dem offenen Lande waren meine Leute noch nicht wie 
heute erprobt worden, und was meine Offiziere und ich ſelbſt gejehen 
hatten, war nicht jehr ermuthigend. Jedenfalls war, ſoweit ich mid 
erinnere, mein Geift in dieſem Augenblicke mehr als bei irgendeiner 
frühern Gelegenheit mit der Gefahr beichäftigt, die ung drohte, wenn 
wir ung mit einer jo Kleinen Truppe feiger Träger in den Kampf mit 
den Stämmen des Graslandes wagten. Ich jchien jebt das, was wir 
erwarten könnten, gründlicher erfaßt zu haben. Ob es eine Folge des 
weitern Nundblides auf Land und Leute war, oder ob ich unter dem 
Eindrud des großen Geichreis der menjchlichen Stimmen jtand, deren 
Lärm mir noch in den Ohren zu klingen fchien, weiß ich nicht, doch 
glaubte ich eine Stimme zu vernehmen: „Sei getroft und unverzagt, 
fürchte dich nicht.“ Ich hätte ſchwören mögen, daß ich eine Stimme 
hörte, und begann mit derjelben zu disputiren. Weshalb fordert du 
mid auf, die Miffion aufzugeben; ich kann nicht fliehen, wenn ich auch 
wollte; der Nüdzug wiürde viel jchlimmer fein als das Vordringen ; 
deine Ermahnung ift daher unnöthig. Die Stimme erwiderte nichts: 
dejtoweniger: „Sei getroft und unverzagt; denn du wirft dies Volt 
ing Land bringen, das der Herr ihren Vätern geichtworen hat ihnen 
zu geben, und du wirft es umter fie austheilen. ch werde mit 
dir jein und dich nicht verlaffen. Fürchte dich nicht und erſchrick 
nicht.“ 

Im ſtrengſten Vertrauen ſei gejagt, daß mir, obſchon ich mich 
noch niemals bejjer für den Kampf vorbereitet gefühlt habe, doch der Ge— 
danke kam, daß beide Parteien merkwürdig thöricht feien, da fie im Be— 
griff ſtanden, fich in einen Kampf zu begeben, den ich für unnöthig 
hielt. Wir kannten nicht einmal den Namen des Landes und feiner 


288 Elftes Kapitel. Unduſſuma 


Bewohner, und ſie wußten ebenſo wenig von unſern Namen, unſern 
Zielen und Beweggründen. Ich ſtizzirte mir noch den Plan für den 
folgenden Tag, beſchwor die Poſten, ſtrenge Wache zu halten, und 
hatte dann bald dieſen Maſamboni, den Herrn der Berge und Ebenen, 
vergeſſen. 

Der 9. December war Raſttag. Am Morgen vervollſtändigten wir 
unſern Zaun aus Dorngeſtrüpp, vertheilten Patronen und unterſuchten 
die Gewehre. Gegen 9 Uhr ſchwand die Kühle der frühen Morgen— 
ſtunden vor den Strahlen der wärmenden Sonne, und bald darauf 
ſammelten ſich die Eingeborenen in impoſanten Scharen. Die 
grellen Töne der Kriegshörner, wie ich fie Ihon 1875 in Uſoga und 
Uganda gehört Hatte, riefen zum Sammeln, und von jeder Hügelipibe 
ertönten über zwanzig Trommeln. Das Rufen und Schreien ging 
fortwährend vom Berg zum Thal und umgekehrt, und wir waren jegt 
rundherum umzingelt. Gegen 11 Uhr vormittags ftiegen einige Ein- 
geborene an den Abhängen herunter und famen jo nahe, daß ein ge= 
wilfer Fetteh, ein Mann aus Unjoro, verjtehen konnte, was fie jagten; 
er taujchte Heftige Schimpfiworte mit ihnen aus, bis fich jchließlich ein 
volljtändiger Wortfampf entwidelt Hatte, Als ich erfuhr, daß einer 
unjerer Leute die Sprache verftünde, leitete ich dies wüthende Schimpfen 
in friedlichere Bahnen, worauf dann ein freundichaftlicheres Gefpräch 
ftattfand. 

„Wir unſererſeits“, Hieß es, „kämpfen nur zur Vertheidigung. 
Ihr greift uns an, während wir ruhig das Land durchziehen. Würde 
e3 nicht beifer fein, erſt miteinander zu fprechen und zu verfuchen, ob 
wir uns nicht verftändlich machen fünnen, und erft dann zu kämpfen, 
wenn wir nicht übereinfommen können?“ 

„Das ift wahr, das find weile Worte‘, erwiderte jemand. „Sagt 
uns, wer ihr ſeid. Woher fommt ihr und wohin wollt ihr?‘ 

„Wir fommen von Sanfıibar, vom Meere, und unjer Häuptling 
ift ein weißer Mann. Wir wollen nach dem Njanſa von Unjoro.‘ 

„Wenn ihr einen weißen Mann bei euch habt, jo zeigt ihn uns 
und wir werden euch glauben.‘ 

Sofort trat Lieutenant Stairs aus der Seriba und wurde von 
Fetteh den Eingeborenen vorgeftellt. 

„Nun jagt uns aber auch, wer ihr ſeid“, rief Fetteh. „Was 
ift dies für ein Land? Wie heißt euer Häuptling? Und wie weit 
ift 8 bis zum Njanſa?“ 

„Das Land heist Unduffuma, der Häuptling iſt Mafambont, 


10, Dec. 1887.] Dur den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 289 


Wir find Wajamboni. Den Ruweru (Njanja) erreiht man in zwei 
Tagen. Ihr werdet fünf Tage brauchen. Er liegt nad Oſten. Es 
gibt nur einen Weg dahin, den ihr nicht verfehlen könnt.‘ 

Das war der Anfang zum Austauſch freundlicher Beziehungen; 
die Befanntichaft war gemacht. Wir erfuhren dann, daß es in Unduſ— 
juma zwei Häuptlinge gäbe, von denen der eine dem Frieden nicht ab» 
geneigt fei und FFreundfchaftsgejchenfe austaufchen wolle, wenn wir 
das wünjchten. Wir waren jehr gern damit einverftanden, und es 
verfloffen nunmehr mehrere Stunden, ohne daß feindliches Schreien 
oder Schüſſe gehört wurden, ausgenommen am Fluſſe, deſſen Ufer- 
bewohner Halsftarrig waren und auf nichts als Kriegsvorfchläge hören 
wollten. 

Nachmittags fam eine Botichaft von Mafamboni, welcher Mufter 
und Qualität unjerer das Geld vertretenden Stoffe zu jehen wünschte. 
Wir jandten ihm etwa 2 m jcharlachrothen Uniformftoff und ein Dußend 
Meſſingſtangen, worauf wir das Verſprechen erhielten, daß er morgen 
jelbjt fommen und die Geremonie der Blutsbrüderichaft mit mir vor= 
nehmen wolle, 

Am nächſten Tage fühlten wir und nad) einer ungeftörten Nacht 
jehr erfriicht und gaben uns gern der angenehmen Erwartung hin, 
dab das Lager in wenigen Stunden wahrjcheinlich mit freundlichen 
Eingeborenen gefüllt jein werde. Man hatte uns gebeten, nicht eher auf- 
zubrechen, al3 big ein Gegengeichent von Maſamboni eingetroffen wäre, 
und wir hatten demgemäß bejchloffen, noch einen Tag zu bleiben. Der 
Morgen war, da wir uns 1290 m über dem Meere befanden, falt 
und unfreundlih. Die hohen Bergipigen waren vom Nebel bededt 
und es hatte fich ein leichter Sprühregen eingeftellt, der unjere Freunde 
vom allzu frühen Kommen abhielt; allein um die dritte Stunde Härte 
der Nebel fich auf und die Umriffe der ganzen Kette hoben fich deutlich 
an dem blaßblauen Himmel ab. Ich befand mich mit Lieutenant Stairs 
und Herrn Jephſon an dem äußerften weftlichen Ausläufer der Kette und 
wir erfreuten uns an der herrlichen Ausficht, bewunderten die Scenerie 
und ſprachen unjere Vermuthungen darüber aus, warn ein jo jchönes 
Land wol die Wohnftätte civilifirter Anfiedler werden würde. Stairs 
meinte, dafjelbe gleiche Neujeeland, und bemerkte, er möchte hier eine 
“ Biehzüchterei haben; er ging jogar fo weit, eine Stelle auszufuchen 
und einen gewiſſen Punkt als den geeignetiten Pla zu bezeichnen. 
„Dort auf jenem fleinen Hügel wirde ich mein Haus bauen.’ — 
„Schebang‘ nannte er es. Vielleicht ift das der —— Aus⸗ 


Stanlen, Im dunkelſten Afrika. I. 


290 Elftes Kapitel. [Unduffuma 


drud für eine Villa. — „Dort würde ich meine Rinder hüten; die 
Schafe fünnten an dem dahinterliegenden Abhang grajen und —“ 

Inzwilchen waren die Eingeborenen in langen Reihen auf den 
Ausläufern des Berges erjchienen und wandten fi ſämmtlich einem 
gemeinfamen Mittelpunfte auf dem flachen Gipfel eines Hügels zu, 
in der Quftlinie etwa 900 m von unjerm Standpunkt entfernt. Gleich) 
darauf drang die klare, wohlflingende Stimme eines echten Volks— 
redners an mein Ohr; diejelbe gehörte einem Manne, der mit einigen 
Gefährten bis etwa auf 100 m über dem Thal hinabgejtiegen war. 
Er ſprach ungefähr zehn Minuten lang, und Fetteh, der herbeigeholt 
worden war, um die Worte zu überjegen, hörte ihm zu. Fetteh er- 
zählte, er befehle im Namen des Königs Frieden, allein ſeltſamerweiſe 
erhob fih, als der Mann kaum geendet hatte, ald Antwort auf feine 
Rede im Thale ein jchredliches gellendes Gejchrei und lauter wilder 
Lärm, der von den Bergen erwidert wurde und dann in wilden Aus- 
brüchen auch von den Abhängen widerhallte. 

Nach unjerer Meinung konnte ein jolches gewaltiges Gejchrei Fein 
Zeichen des Friedens jein, jondern nur Krieg bedeuten, und um ganz 
ficher zu jein, jandten wir Fetteh ins Thal hinab, um den Sprecher 
zu befragen. Die Antworten der Eingeborenen ließen feinen Grund 
mehr zu zweifeln. Die beiden Ausdrücke „Kanwana“ (Frieden) und 
„Kurwana‘ (Krieg) klangen fo ähnlich, daß fie bei Fetteh einen Irr— 
thum hervorgerufen hatten. 

„Wir wollen eure Freundſchaft nicht‘, jchrien fie. „Wir werben 
bald über euch fommen und euch mit den Stöden unferer Hirten aus 
dem Lager treiben.“ Ein verrätherifcher Burjche, der vom Gebüſch 
gededt bis nahe zu ung herangefrochen war, hätte uns beinahe einen 
ſchweren Berluft zugefügt; namentlich unfer Dolmeticher entging nur 
mit genauer Noth der Gefahr. Fetteh las die Pfeile auf und brachte 
fie uns mit, als er ung feine Nachrichten mittheilte. 

Es blieb und nunmehr feine andere Wahl, als den Eingeborenen 
eine eremplarijche Lehre zu ertheilen, und wir waren bereit, dies ohne 
einen Moment zu verlieren umd mit der äußerften Gewalt zur Aus— 
führung zu bringen, wenn ung nicht die Freundichaftsanerbietungen 
unferer Gegner etwa noch Einhalt geboten. 

Nachdem die Compagnien gemuftert waren, führte Lieutenant 
Stairs feine 50 Gewehrichügen aus dem Lager gegen die halsſtarrigen, 
wüthenden Burſchen auf der andern Seite des Armes des Ituri, wäh⸗ 
rend ich eine halb ſo ſtarke Abtheilung unter Herrn Jephſon ausſchickte, 


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10. Dec. 1887.) Durh den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 291 


um die Abhänge zur Linken zu erjtürmen, und 20 ausgefuchte 
Leute unter Führung von Uledi einen Ausfall zur Rechten unternehmen 
jollten. Raſchid erhielt Befehl, mit 10 Mann den Gipfel des Niera 
Kum zu bejegen, um uns vor einer Ueberrumpelung von diejer Seite 
zu ſchützen. Jephſon und Uledi fonnten, da die Gipfel der vorliegenden 
Hügel den Einblid vermehrten, unbeobadhtet von den Gebirgsbewohnern 
ihre Pofitionen einnehmen und fich den Feinden ungejehen bis auf 
180 m nähern, während die Compagnie des Lieutenant? Stairs, die 
fich weiter vorwärts im Thal befand, wol die ganze Aufmerffamfeit der 
Eingeborenen in Anfpruch nehmen würde. 

Schon nad) wenigen Minuten war Stairs’ Compagnie in heißem 
Gefecht. Die Eingeborenen empfingen unjere Leute einige Mimuten 
mit faltblütiger Entichloffenheit und ihre Pfeile fielen mafjenhaft, buch— 
ftäblich gleich einem Regenjchauer herab; allein der Lieutenant bemerkte 
jofort, daß ihr Muth nur aus dem Bewußtjein entiprang, daß ein 
anjehnlicher Fluß zwifchen ihnen und feiner Compagnie lag. Er for- 
derte daher feine Leute auf, den Fluß zu überfchreiten; die Leute ge 
horchten, und als fie das jenfeitige Ufer erftiegen, gaben fie ein jo ver- 
heerendes Feuer ab, daß in wenigen Secunden das Neft der aufrühreri- 
ſchen und unbotmäßigen Burjchen, die fo laut nach Krieg geichrien hatten, 
zerftört war. Das Dorf wurde im Sturm genommen und die Bananen- 
pflanzungen von ihnen gejäubert; die Eingeborenen ftürzten über den 
Fluß ins offene Land hinaus und flohen nad; Norden, während 
Lieutenant Staird feine Leute jammelte, das Dorf in Brand ftedte 
und zum Angriff auf die andern Niederlaffungen vorging, wo das 
Knattern der von der Compagnie abgegebenen Salven erfennen ließ, 
welchen Widerjtand jie fand. 

Mittlerweile hatte Uledi mit feiner Abtheilung ausgejuchter Leute 
einen Pfad entdeckt, welcher einem Musläufer entlang an dem Berg 
binaufführte, und nachdem er die Höhe von 150 m erreicht hatte, 
jeine Leute den Scharen, welche ihre Gefährten im Thale beobachteten 
und durch laute Zurufe ermuthigten, gerade in die rechte Flanke gebracht. 
Die Wincheſtergewehre arbeiteten vorzüglich, und da gleichzeitig die 
Abtheilung des Herren Jephſon aus einer Schlucht zur Linken hervor- 
fam, übte das alles eine jo unglüdliche Wirkung auf die Nerven 
der Eingeborenen, daß fie, verfolgt von Uledi und feinen Leuten, 
in wildeiter Flucht die Abhänge hinaufjtürzten, Uledi und feine Leute 
hinter ihnen drein. 

As Jephſon fie in voller Flucht jah, wandte er fich nach 

19* 


292 Eiftes Kapitel. (Undufjuma 


Dften und marjchirte noch etwa 3 km weiter, wobei er im Bor: 
dringen feuernd die ganze Gegend jäubertee Gegen 1 Uhr waren 
alle zurüd im Lager, und nur ein Mann leicht verwundet. Alle 
hatten fich wunderbar gut benommen, und fogar Die vier Feig— 
(inge, die beſonders beobachtet worden waren, hatten fich noch aus- 
gezeichnet. | 

Als die Eingeborenen um 2 Uhr wieder ind Thal zurüdgefehrt 
waren, wurden die einzelnen Abtheilungen nochmals ausgejandt. Stairs 
führte feine Leute über den Arm des Ituri, verfolgte die laufenden 
Flüchtlinge weit nad) Norden und jchwenkte dann jcharf herum, um 
fi Jephſon anzuschließen, der jeinen Weg weit nad) Dften fortgejeßt 
hatte. Uledi wurde mit feinen Leuten bis ganz hinauf auf den Kamm 
der Bergfette gejandt, wo er klugerweiſe halt machen 
ließ, als er jah, mit weld) ungeheuern Mengen von Wohn- 
ftätten die Hügel bededt waren. 
9 Der Kampf dauerte bis zum Nachmittage, da die 

= Eingeborenen beſtändig in Bewegung blieben und bald 

X angriffen und dann wieder flüchteten. Gegen Abend 
% war fein einziger von ihmen mehr zu jehen, und das 
; rund um das Lager herrichende Schweigen war bezeid)- 
nend für das Werk des Tages. Die Eingeborenen be- 
= fanden ſich entweder auf den Bergen oder fern im Oſten 
F und Norden; in dem Thale um uns herum war feine 
Fr Hütte ftehen geblieben, welche ihnen während der Nacht 
hätte Obdach gewähren können. Nach dem natürlichen 
Lauf der Dinge mußten wir, wenn wir viele ſolche 
Stämme wie dieje treffen jollten, zahlreiche Leute ver- 
fieren, und wenn wir ihnen nur den geringften Zweifel ließen an 
unferer Fähigkeit, ung zu jchügen, würden wir das Werf diejes Tages 
wol noch öfter zu wiederholen haben, Es war daher viel barmherziger, 
die Angelegenheit gleich gründlich zu erledigen, als einen wegen jeiner 
Frechheit ungezüchtigt gebliebenen Stamm in unferm Rüden zu laſſen. 
Die Eingeborenen müſſen geglaubt haben, daß wir nicht im Stande 
jeien, außerhalb unjer® Dornzaung zu kämpfen, weil fie jo hochmüthig 
geprahlt, uns mit Stöden herauszutreiben, und daß fie in den Ber— 
gen vollftändig ficher jeien. Wir waren daher gezwungen, diefe 
Anficht bei ihnen augzurotten, damit fie uns in feiner Weiſe weitern 
Schaden thun fonnten. 

Eine von ihrem Eigenthümer verlaffene Kuh verbrannte in einem 





Schild vom Rande 
der Ebene. 


11. Dec. 1887.] Durch den Wald bis zu Maſamboni's Pic. 293 


der nahen Dörfer und lieferte uns eine zweite bejchränfte Ration von 
gebratenem Fleisch. 

Am 11. December fiel am frühen Morgen Regen, der uns bis 
10 Uhr im Innern der Hütten fefthielt. Als dann einige Eingeborene 
famen, um ung von den Bergen herab nochmals Beweife ihrer Feind— 
feligfeit zu geben, führten Stairs, Jephſon und Uledi ihre Leute in 
drei getrennten Fleinen Eolonnen an den Abhängen hinauf zum Angriff 
und machten einen jehr erfolgreihen Zug gegen fie, wobei fie 
eine Ffleine Liegenheerde erbeuteten, die unter die Leute vertheilt 
wurde Die an Ddiefem Tage gemachten Erfahrungen jchienen die 
Eingeborenen überzeugt zu haben, daß fie bei einem Kampfe mit uns 
nicht3 gewinnen fonnten. 

Einmal hatte es den Anjchein, als ob der Tag mit einer Verſöhnung 
enden würde, denn nachdem unjere Leute ſämmtlich ins Lager zurüd- 
gefehrt waren, zeigte ſich auf einem hohen Hügel über unferer Stellung 
ein Eingeborener, welcher erklärte, er jei von Maſamboni geſchickt und 
jolfe ung mittheilen, daß diefer unfere Gejchenfe empfangen habe, aber 
durch das Gejchrei jeiner jungen Leute, Die auf dem Kampf bejtanden 
hätten, an dem uns veriprochenen Bejuche verhindert worden jei. Jetzt 
aber, nachdem viele von ihnen getödtet jeien, ſei er bereit, einen Tribut 
zu zahlen und uns in Zukunft ein treuer Freund zu fein. 

Wir erwiderten, wir wären gern zufrieden und zur Freundſchaft 
mit ihnen geneigt, allein da fie ung zum beten gehabt, unfere Friedens— 
geichenfe behalten und uns Weiber genannt hätten, müßten fie ben 
Frieden jet mit Rindern oder Ziegen erfaufen; wenn fie im den 
Händen Gras Hochhielten, könnten fie fi uns ohme Furcht nähern, 

Ich muß Hier noch erwähnen, daß, ald die Krieger an den Berg- 

abhängen zum Kampfe herniederitiegen, jeder kleine Trupp von ihnen 
von einem großen Hunde begleitet war, der von ziemlich ſchlankem 
Wuchs, aber muthig und angriffsluftig war. 
Die Waffen der Wajamboni bejtanden aus Bogen von 1,7 m 
Länge und 71 cm langen Bfeilen, ſowie langen, jcharfen Speeren. 
Die Schilde waren lang und im allgemeinen jchmal, doch waren [viele 
auch von dem gleichen Mufter wie in Uganda. Die Pfeile waren 
mit fürchterlichen Widerhafen verjehen und die Speere ähnlich wie 
diejenigen in Karagwe, Uhha, Urundi und Ihangiro. 


Bmwölftes Kapitel. 


Ankunft am Albert:See und Rückkehr nad; Ibwiri. 


Weitere Beläftigungen durd die Eingeborenen. — Niederbrennen ihrer Dörfer. — 
Das Dorf Gavira’s. — Wir halten die Eingeborenen in Schach. — Das Plateau 
von Unjoro in Sicht. — Nädtliher Angriff der Eingeborenen. — Das Dorf 
Katonja’s. — Palaver mit den Eingeborenen. — Keine Nachrichten von dem 
Paſcha. — Unſer Patronenvorrath. — Erwägung unjerer Lage. — Lieutenant 
Stairs fpricht mit den Bewohnern der Injel Kajenja. — Der einzige uns übrig- 
bleibende vernünftige Weg. — Wieder von den Eingeborenen angegriffen. — 
Scenerie am Ufer des Sees. — Erflimmen eines Berges. — Entdedung reicher 
Getreidevorräthe. — Das fruchtbare Thal von Undufjuma. — Unfer Rückmarſch 
nach Ibwiri. — Anlage des Forts Bobo. 


Am 12. December verließen wir ungeftört und ohne irgendeine 
Stimme zu hören bei Tagesanbruch das Lager, und bis 9 Uhr vor- 
mittags fchien im ganzen Thale fein Iebendes Weſen zu jein. Unſer 
Weg führte nah D. 3. ©. in Abgründe und jchmale Thäler hinab, 
durch welche die auf der Bergkette und in den vielen Schluchten der- 
jelben entjpringenden Flüſſe zwifchen dichtem Gebüſch, Dichungel und 
Nöhricht dahinfließen. Vielfach ſahen wir von Weberfluß umgebene 
Dörfer, doc ließen wir dieſelben unbeläftigt in der Hoffnung, daß 
die Wilden einjehen möchten, daß wir eine äußerft harmloje Truppe 
von Männern feien, wenn wir nur zufrieden gelafien würden. Allein 
um 9 Uhr, al3 die Morgenfühle verſchwunden war, hörten wir das 
erste Kriegsgejchrei und fanden, daß dafjelbe aus einer großen Gruppe 
von Dörfern fam, welche eine der Unduffumasstette vorgelagerte Hügel: 
reihe krönten, Als die Eingeborenen jahen, daß wir den Marſch fort- 
fegten, ohne ihnen Beachtung zu ſchenken, rüdten fie kühn heran und 
umſchwärmten unfere rechte Flanke und die Nachhut. 

Gegen 11 Uhr waren es zwei getrennte Horden von Eingeborenen, 
welche uns bartnädig verfolgten. Die eine war von Dften gekommen, 
die andere hatte fich aus der Bevölkerung der im Thal gelegenen Dörfer 
gebildet, die wir unberührt und unbeläftigt gelafien hatten. 


12. Dec. 1887.) Antunft am Albert-See und Rückkehr nah Jbwiri. 295 


Um Mittag hatten diefe Banden fich zu zahlreichen, jchreienden 
Maffen vermehrt, aus denen einige Leute uns zuriefen: „Wir wollen 
euch noch vor Abend zeigen, daß wir Männer find; jeder von euch 
joll heute noch ſterben.“ 

Um die genannte Zeit nahmen wir, durch die Raft erfrifcht, den 
Marſch durch eine grasbededte Wildniß wieder auf; auf beiden Seiten 
waren feine Dörfer zu jehen, doch verfolgte die Menge ung noch immer, 
unternahn von Zeit zu Zeit Scheinangriffe und beläftigte uns mit 
frechem Gejchrei und Drohungen. Einer unferer vorzüglichiten Schüben 
trat darauf aus der Marjchlinie und verwundete zwei der Eingeborenen 
auf die Entfernung von 350 m, was fie eine Zeit lang zum Schweigen 
brachte, da fie fi) offenbar wunderten, welches Geſchoß in jolcher Ent- 
fernung noch verwunden könne. Bald erhielten ihre Scharen neuen 
Zuzug und ihre Kühnheit trat wieder mehr hervor, und gleich darauf 
hörten wir die Nachhut ſchießen, vielleicht mit Erfolg. Jedenfalls 
wurden die Eingeborenen dadurd etwas gezügelt. 

Endlih um 3", Uhr famen wir in Sicht der Dörfer der Bavira, 
deren Häuptling Gavira hieß. Diefelben lagen in einer offenen Ebene 
zu beiden Seiten einer tiefen und fteilen Schlucht, welche ein beträcht— 
licher Nebenfluß des öftlichen Jturi aus dem Lehmboden ausgehöhlt hat. 
Wir machten mit der Vorhut am öjtlichen Ufer halt, da die Einge- 
borenen, allerdings zu jpät, um noch Erfolg zu haben, herangejtürzt 
famen, um den weitern Uebergang zu verhindern. Ich ließ jofort die 
Laften ablegen und jchicte von der Vorhut Plänkler über den Fluß 
zurüd der Nachhut zu Hülfe, worauf fich ein lebhaftes Scharmüßel 
entwidelte, bei deſſen Beendigung die Eingeborenen ſich in voller Flucht 
zurüdzogen. Um fie für eine vierftündige Verfolgung zu beftrafen, 
fehrten wir um und ftedten alle Hütten auf beiden Ufern in Brand; 
dann formirten wir uns wieder in Marjchlinie und eilten zu einem 
fteilen higeligen Plateau, 60 m über der Ebene, empor, um den Ein— 
geborenen entgegenzutreten, welche ſich dort oben gejammelt hatten, 
um uns Widerftand zu leiften, Allein lange bevor wir den Gipfel 
zu erreichen vermocdhten, gaben fie ihre Stellung auf und ließen uns 
in Frieden eins der Dörfer bejegen. Da es inzwijchen jpät geworden 
war, jchlugen wir das Lager auf, wobei e8 unjere erjte Sorge war, 
dDaffelbe gegen einen nächtlichen Angriff zu fichern, 

Bemerfenswerth ift, daß die Wuth der Eingeborenen bis zu dem 
Augenblide, als wir die Dörfer in Brand teten, im Zunehmen zu 
jein, von dem Augenblick aber, als ihre Wohnſtätten von den Flammen 


296 Zwölftes Kapitel. [Gavira 


verfchlungen wurden, aufzuhören fchien, woraus wir jchlofjen, daß das 
Feuer einen höchſt bejänftigenden Einfluß auf ihre Nerven haben muß. 

Das Dorf Gavira’3, wo wir in dieſer Nacht jchliefen, Tiegt 1420 m 
über dem Meeresjpiegel. E8 war ein jchöner Tag zum Marjchiren 
geweſen, die jüdöftliche Briſe Hatte die Luft erheblich abgekühlt, ſonſt 
würden wir unter der größten Hite gelitten haben. Bei Sonnen: 
untergang wurde e3 jehr kalt und um Mitternacht betrug die Tempera- 
tur 12,,°R. Wir hatten 15 km zurüdgelegt und faft alle Hagten 
über Ermattung infolge des Marjches umd der bejtändigen Aufregung. 

Am 13. December brachen wir in öftlicher Richtung etwas nad) 
Tagesanbruch auf, um eine Strede Weges zurücgelegt zu haben, ehe 
die Eingeborenen ſich in die falte, rauhe Morgenluft hinaus wagten. 
Das furze Gras des Weidelanded war mit Thauperlen bededt und 
jo naß, als ob e8 geregnet hätte. Nachdem die Nachhut unfere für die 
Nacht hergeftellten Vertheidigungswerfe zerjtört hatte, damit die Einge- 
borenen die Einrichtung derjelben nicht kennen lernten, holte uns die— 
jelbe bald wieder ein, worauf wir den Diftrict in gejchloffener Marſch— 
ordnung und zu neuen Abenteuern bereit verließen. Drei Stunden 
lang? konnten wir von friedlicher Stille umgeben weiter wandern; 
wir erfreuten uns am Anblick der Landichaft und hatten Zeit genug, 
um die Eigenthümlichkeiten der nördlich vom öftlichen Ituri Tiegenden 
großen Ebene zu beobachten, die zahlreichen fegelfürmigen Hügel, 
welche den Horizout im Norden begrenzten, zu bewundern, umd zu 
bemerfen, wie diefe Kegel fich im Dften und Weſten zu einer feften 
ununterbrochenen Linie vereinigten, wie die Oberfläche des Landes 
jüdlih von uns von einer Neihe großer Wellen gebildet wurde, deren 
Thäler jedes einen Fluß hatte, und wie etwa 8 km entfernt die 
Bergfette fi) von Unduſſuma oftwärts nad) dem Balegga-Lande, deſſen 
Gipfel uns jo wohlbefannt find, fortjeßte, fich zu buchtartigen Curven 
geftaltet, in denen zahlreiche Niederlafjungen Waller und Futtergras 
für ihre Rinder und Feuchtigkeit für ihre Hirſeäcker finden, und ſich 
dann nordiwärts wendet, bi8 das äußerfte Ende fic gerade öftlich 
von uns befindet. Wir bemerften ferner, daß die von uns verfolgte 
Richtung und nad) etlichen Stunden zwijchen die nördliche und füdliche 
Kette auf einen Sattel bringen würde, der beide zu vereinigen fcheint. 
Für den Augenblid -war eine am Horizont auf diefem Sattel liegende 
Gruppe von Dörfern unjer Ziel, von wo aus wir dann die weitere 
Richtung beitimmen fonnten. 

Um 9 Uhr vormittags begannen aber die Eingeborenen lebendig 


13. Dec. 1887.] Ankunft am Albert-See und Rüdfehr nach Jbwiri. 297 


zu werden und Umſchau zu halten. Jeder Gegenjtand in der weiten 
Landichaft war wieder frei von Dunft und Nebel. Bald wurde 
unfere lange Schlangenlinie entdedt und mit Kriegsgejchrei begrüßt, 
das mit jo gewaltiger Lungenkraft ausgejtoßen wurde, dab ſich rajch 
Hunderte von vor Wildheit und Hat glühender feindlicher Augen auf 
und richteten. Wir paffirten ein Dorf nach dem andern, ohne es zu 
beläftigen; allein da® wurde und, wie wir es jchon am Tage vorher 
erfahren hatten, nicht zum Ruhm, jondern ungeachtet dev Mittheilungen 
ihrer Nachbarn eher als FFeigheit ausgelegt. Wir fühlten es, daß 
man uns den Vorwurf der Schwäche machte. Etwa 300 m von unſerm 
Pfade ſtand ein Trupp von 50 Eingeborenen und beobachtete unjer 
Thun; fie jahen, wie wir mit freundlicher Rücficht auf ihr Eigenthum 
durch ihre Niederlaffung marjchirten und, nur mit unjern eigenen An— 
gelegenheiten bejchäftigt, die Augen geradeaus jchauen ließen; aber weit 
entfernt, dies als einen Beweis anzuerkennen, daß wir doch einige gute 
Eigenichaften bejäßen, folgten fie der Colonne und forderten laut und 
gebieteriich ihre Landsleute auf, fich zu ſammeln und ung zu umzingeln, 
eine Aufforderung, der Folge zu Leiften die Eingeborenen nur allzu bereit 
zu jein jchienen. Sobald fie fih nur ftarf genug glaubten, um die 
Dffenfive zu ergreifen, ftürmten fie auf die Nachhut ein, worauf jofort 
unjere Gewehre mit gutem Erfolge antiworteten, 

Jede halbe Stunde trafen wir einen Fluß in der Sohle eines 
Thales und auf jeder Seite des Waſſers eine breite Strede Röhricht, 
wo es großer Vorficht bedurfte, um die angriffsluftigen Eingeborenen 
in Schach zu halten. 

Jene Gruppe von Dörfern am Horizont auf dem ſchon erwähnten 
Sattel, welcher die nunmehr zufammenlaufenden Hügellinien im Nor- 
den und Süden von und verband, trat, als wir unverdroffen nad) 
DOften weiter wanderten, immer deutlicher hervor, und ich befam das 
Gefühl, daß wir vor Ablauf einer weitern Stunde den Albert-Njanja 
jehen würden. Aber als ob ein großer Schak vor uns läge oder 
Emin Paſcha und feine Garnifon ſich in derjelben Lage befänden, wie 
Gordon während der legten Stunden vor dem Falle Chartums, und 
fie die belagernden Feinde wären, jo wurden die Eingeborenen immer 
fühner und entichloffener; ihre Zahl nahm immer fchneller zu, das 
Kriegsgeſchrei ertönte unaufhörlich von jedem hervorragenden Punkte, 
die Gruppen vergrößerten fich zu jo großen Mengen, daß wir jchließlich 
die Ueberzeugung gewannen, daß fie im Begriffe jtänden, eine bejonders 
starke Anjtrengung zu machen. Beim Umherſchauen jahen wir, daß 


298 Bwölftes Kapitel. [Gavira 


jeder höher gelegene Punkt jchwarz von Menfchenmafjen war, wäh- 
rend fich auf der breiten, wellenförmigen Ebene Linien von Gejtalten 
zeigten, die wie Armeen von Ameifen die Richtung auf ung zu verfolgten. 

Um 11 Uhr vormittags waren wir dem Grat des lebten Rückens 
nahe, welcher noch zwischen ums und dem unfer Ziel bildenden Sattel 
lag, als wir eine Heine Armee erblidten, welde auf einem Wege 
heranfam, der in jeiner Fortſetzung bald unjern Pfad auf der andern 
Seite de von dem Rüden herabftrömenden Fluffes freuzen mußte. 
Der Angriffspunft würde, wie ich glaubte, ein Hügel oberhalb ver 
Duelle des Fluffes fein. Die Borhut befand ſich noch etwa 90 m 
von diefem Hügel; als diejelbe gerade vor demſelben war, gab ich 
den Befehl, kurz nad) rechts abzujchwenfen, die Waaren auf dem 
Gipfel abzulegen und die Reihen der Colonne zu jchließen. 

Bei der Ankunft der erften Leute auf dem Gipfel hatte die Spike 
der in dichten Scharen heranjtrömenden Armee der Eingeborenen den 
Fuß des Hügels auf der andern Seite erreicht; ohne fich einen Augen 
blik zu befinnen, begannen beide Barteien zu gleicher Zeit den Kampf; 
indeß war das Schnellfeuer aus den Winchefterbüchjen doch zu viel für 
die Eingeborenen; jo groß die Gewalt ihrer vereinigten Stimmen auch 
war, das Knallen der Gewehre machte fie taub und verwirrt, umd 
das wilde Pfeifen des Kugelregens lähmte ſelbſt die Tapferften der 
Shrigen. Die Vorhut ftürzte vom Abhange herab ihnen entgegen, nach 
wenigen Secunden machten fie fehrt und rannten mit der Gejchwindigfeit 
von Antilopen davon. Unſere Leute verfolgten fie etwa 1', km 
weit, kehrten dann aber auf ein gegebenes Signal zurüd; fie ge— 
horchten dieſem Befehl mit derjelben Pünktlichkeit, wie Soldaten 
bei der Parade, was mich faft noch mehr freute als die von 
ihnen bewieſene Tapferkeit. Bei halbdisciplinirten Leuten liegt Die 
größte Gefahr in Wirklichkeit in ihrer Neigung, die Verfolgung fort- 
zufeßen ohne Rüdficht auf die Zwede, die der Feind mit einer plöß- 
lichen Flucht vielleiht im Auge hat. Oft ift der Rüdzug mur eine 
Kriegslift, die namentlich in Uganda häufig zur Anwendung gebracht 
wird. In unjerm Falle verfolgten 40 Dann 500 Eingeborene, wäh- 
rend mindejtens 1500 andere von einem Hügel zur Nechten von 
uns das Schlachtfeld beobachteten und eine ähnliche Zahl ſich Links 
von uns aufgeftellt hatte. 

Nachdem wir unjere Reihen wieder geordnet hatten, marjchirten 
wir wie vorher in gejchlofjener Linie weiter, bi8 wir um 12%, Uhr 
halt machten, um ung zu ftärfen. Um uns herum war ein ziemlich 


13. Dec. 1887.) Ankunft am Albert-See und Rüdtehr nah Ibwiri. 299 


weiter Kreis frei von den lärmenden, heulenden Eingeborenen. Unjere 
Mittagsraft gab ihmen Zeit, ihre Kräfte wieder zu jammeln; obwol 
fie durd) die Vorgänge am Morgen ohne Zweifel etwas ermüchtert 
waren, bedrohten fie uns doch noch mit impofanten Scharen aus den 
Stämmen der Balegga, Bavira und Babiafii. 

Nach einftündiger Raft nahmen wir unſern Marjch wieder auf. 
Wir fanden einen außerordentlich gut ausgetretenen Pfad, der von 
großem Werthe für die Colonne war, wie der rajche und elaftijche 
Schritt derjelben erkennen ließ. Nach einer Viertelftunde erreichten wir 
den höchſten Punkt des Sattelö oder eigentlic) des Plateaus, als welches 
jener fich jebt erwies, wo wir in der Entfernung von etwa 40 km 
die blaue gleichmäßige Linie eines Tafellandes erblidten, das fich bis 
in die Wolfen erhob und von ungeheuerer Höhe zu fein fchien. Beim 
Anblid derjelben gaben die Leute ihrer Ueberraſchung und Unzufrieden- 
heit durch Murren Ausdrud; id) wußte aber, daß es Unjoro war, 
und daß zwilchen uns und jenem großen, blauen Zafellande eine un— 
geheuere, tiefe Schlucht fi) befand, auf deren Grunde der Albert— 
See lag. Vor uns jchien nichts zu fein, weder Hügel noch 
Bergrüden oder eine ſonſtige Erhöhung, nur die ungeheuere dunfel- 
blaue Mafje in der Ferne; die öftlichen Abhänge der nördlichen und 
jfüdlichen Bergfette ftürzten wie in eine Schlucht oder ein jehr tiefes 
Thal fteil hinab. Als unfere Leute das Plateau von Unjoro in 
der Ferne erblidten, riefen fie ärgerlih aus: „Majchallah, diejer 
Nijanja geht aber auch immer weiter von uns weg‘; doch tröftete ich 
fie und jagte: „Haltet die Augen offen, Jungens, ihr könnt den Njanja 
jegt jeden Augenblid zu jehen befommen‘, eine Bemerfung, die, wie 
jo viele andere, welche fie ermuthigen follten, mit ungläubigem Grunzen 
aufgenommen wurde, 

Allein jeder Schritt, den wir weiter machten, bewies uns, daß 
wir uns emem ungewöhnlich tiefen Thal vder dem Njanſa näherten ; 
das Plateau von Unjoro ftieg immer höher vor unjern Bliden empor, 
während die Abhänge zu beiden Eeiten von uns bejtändig niedriger 
wurden, und ſchließlich ruhten aller Augen auf einer grauen Wolfe. 
Was ift das? Nebel? Nein, es ift der im leichten Nebel jchlum- 
mernde Njanja; dort im Nordoften hat er die Farbe des Oceans. 
Die Leute blicdten mehrere Minuten auf den See, che fie zu be= 
greifen vermochten, daß das, was fie jahen, wirklich Waller war, und 
gaben dann ihrem Gefühl mit Jubelgeichrei und enthufiaftiichen Rufen 
Ausdrud, 


300 Zwölftes Kapitel. Albert⸗ Njanſa 


Noch einige Minuten ſetzten wir unſern Marſch fort, gelangten 
bis an den Rand des Plateauabfalls, machten dann in der Nähe eines 
kleinen Dorfes, das in einer ſehr exponirten Lage ſtand, einen kurzen 
Halt, um Peilungen zu nehmen, die Aneroidbarometer abzuleſen und 
eine Weile unſere nächſten Schritte zu überlegen. 

Obwol die Leute jauchzten und tanzten und ſich um mich drängten, 
um mir Glück zu wünſchen, „daß ich die Stelle ſo genau getroffen 
hätte“, überkam mich doch ein fröſtelndes Gefühl, als ich daran dachte, 
wie wenig Ausſicht vorhanden war, in einem Lande wie dieſes ein 





Das Südende des Albert-Njanſa. 


Kanoe zu finden, das zum Befahren der unruhigen Gewäſſer des 
Albert-Sees geeignet war. Aengſtlich unterjuchte ich mit dem Glaſe 
genau die ferne Küſte des Sees, doch vermochte ich weder ein Kanoe 
zu entdeden, noch auf der ganzen Länge der Abhänge und der aus- 
gedehnten Ebene einen einzigen zur Herftellung eines Kanoe geeigneten 
Baum zu erbliden, und zum erjten mal fam mir, während noch 
auf aller Lippen der fromme Ausruf „Gott jei Dank“ jchwebte, der 
Gedanke, daß unjer forcirter Marſch, der bejtändige Kampf und die 
Dpfer an Menjchenleben doch umjonjt jeien. 

Und doch war es ebenjo gut möglich, daß wir für Mefjingjtangen 
und einige rothe Stoffe vielleicht ein Kanoe faufen konnten, Es wäre 


"33r-AagY usq jun vng 20yı9 


=, WERE N 





13. Dec. 1887.) Ankunft am Albert-See und Rückkehr nad) Ibwiri. 301 


zu hart, wenn die langen Märſche hierher vollftändig vergeblich fein 
jollten. 

Die vor meinen Augen liegende Scene war ganz anders, als ich 
erwartet hatte. Ich Hatte den Victoria-Njanſa und den Tanganifa 
umjchifft und den Muta-Nfige von einem ähnlichen Plateau wie diejes 
betrachtet; auf beiden Seen waren Kanes zu befommen und an dem 
einen wie dem andern hielt e& nicht jchwer, nach einigem Suchen einen 
Baum zu finden, der groß genug war, um ein Kanoe aus demjelben 
auszuhöhlen. Hier jah ich aber über 30 km weit nur ganz öde Ab- 
hänge, durchjegt mit großen Felsmaſſen, dDurchfurcht von fteilen, jchlucht- 
artigen Wafjerläufen, deren Ufer einen jchmalen Rand elenden Ge- 
jtrüppes zeigten und zwijchen denen fteil abfallende, fange, jcharfe Grate 
lagen, die mit felfigen oder thonigen Gejteinstrümmern oder hohem 
grünen Gras bededt waren, Zwiſchen dem Fuß diejer langgejtredten 
Neihe von Abhängen und dem See lag eine 8—10 km breite und 
etwa 32 km lange Ebene, die aus der Höhe, in welcher wir uns be- 
fanden, einen fehr angenehmen Anblid gewährte. Diejelbe glich einem 
ſchön bewaldeten Parke, doch breiteten die Zweige fich allzu weit aus, 
als daß die Bäume die gewünjchten Stämme hätten befigen können. 
Sie jchienen mir mehr Alazien ‚oder Dornengeſträuch und Geftrüpp 
zu jein, das für unfern Zwed vollſtändig mitzlos war. 

Unfere Aneroidbarometer zeigten eint Höhe von 1524 m. Die 
auf Maſon's Karte gezeichnete Injel in der Nähe von Kavalli lag 
nah dem Kompaß Oftnordoft und war etwa 9',, km von unjerm 
Standpunkte entfernt. Wir zogen die Karte Mafon’3 hervor und ver- 
glichen fie mit der Landſchaft, die ſich mehr als 750 m unter ung 
großartig und breit vor unjern Bliden ausdehnte, und mußten Die 
große Genauigkeit jeiner Aufnahme anerkennen, Nur hier und dort 
einige unbedeutende Injelchen und zwei oder drei Feine Einbuchtungen 
de3 Sees in die einzigartige tiefeingejenkte Ebene, welche am ſüd— 
lichen Ende das Waller begrenzt, fehlten, wie wir bemerften, auf 
der Karte. 

Ih habe mich oft über die VBeichreibung Sir Samuel Baker's 
von der Ausdehnung des Albert-Njanja nach Südweſten gewundert, 
namentlich nad) der eigenthümlich Furzen Weile des Oberſt Majon 
bei feiner Einjchränfung der „Unbegrenztheit‘ des Sees, fühle jetzt 
aber mit dem Entdeder, ungeachtet der fürchterlichen Beichneidung, 
welche an dem See vollzogen worden ift, die vollfte Sympathie. Denn 
die Wirfung auf uns alle hätte nicht größer fein fünnen, wenn der 


302 Zwölftes Kapitel. [Albert-Njanja 


See fid bis nad) Chartum ausgedehnt hätte. Mag derjelbe begrenzt 
oder unbegrenzt fein, jedenfalls iſt der erfte Blit auf das Waſſer und 
das dahinterliegende Gebirge ein herrlicher und jelbjt erhebender. Der 
See hat jelbjt an jeinem Ende noch eine große Breite, die aber, wenn 
man den Linien feiner gebirgigen Ufer folgt, in großartiger Weije 
zunimmt; die Silberfarbe jeines flachen obern Endes verwandelt ſich 
bald in das tiefe Azurblau des Dceans, der ungeheuere Gürtel des 
Gebirges und des blaßblauen Himmels verliert bei der bejtändig zu= 
nehmenden Breite feine Grenzlinien und geht am nordöftlichen Horizont 
in ein unbejtimmtes Blau über, in welchem man vergeblicd) nach einer 
Grenze jucht. 

Unjer Beobachtungspunft lag auf 1° 23° O0” nördl. Br. Die 
äußerfte Ede des öſtlichen Endes des Sees peilte auf dem Kompaß 
Südoft, das äußerjte wejtliche Ende Südoſt und Südoſt zu Sid. 
Zwiſchen den beiden äußerjten Enden befanden fich fünf Einjchnitte, 
von denen einer 3 km weiter nach Süden reichte, al3 alle übrigen 
Punkte, welche wir beobachtet haben. 

Das Tafelland von Unjoro behielt, jo weit unjer Auge reichte, faſt 
gleichmäßig feine Höhe bei; doch wurde ung jchließlich der Blick durch 
eine große Bergmaſſe abgejchnitten, welche ſich von der weftlichen Kette 
loslöſte. Südlich vom See und zwiichen den gegenüberliegenden Höhen, 
dem ZTafellande von Unjoro im Dften und dem Plateau im Weiten, 
dehnte fich eine niedrige Ebene aus, welche früher, aber nicht in 
neuerer Zeit, von den Waſſern des Sees überſchwemmt gewejen jein 
muß, jest aber feites Land ift, das am umtern nördlichen Ende mit 
dürrem Gras bewachien, allmählich ſüdwärts anjteigt und ſchließlich 
früppelige Bäume, Afazien und Dornen hervorbringt, wie die direct 
unter uns liegende Terraffe. 

Nach einer Rajt von etwa 20 Minuten begannen wir den Ab— 
jtieg an den Abhängen des Plateaus. Ehe noch die Nachhut und 
Lieutenant Stairs den Ort verlaffen hatten, waren die Eingeborenen 
bereit3 in ebenjo großer Zahl wie wir jelbit zujammengeftrömt, und 
bevor noch die Vorhut 150 m tief Hinabgeftiegen war, hatten fie 
jchon die Nachhut derart zu beläjtigen begonnen, daß bald ein jtetiges 
Feuern ftattfand. Wir, die wir unten waren, ſahen, wie die Eins 
geborenen fich plänflermäßig auf beiden Seiten ausbreiteten und in 
langer Linie an dem fürchterlich fteilen, ermüdenden Pfade ſich an 
die Nachhut hefteten. 

Während fie ihre Pfeile abichoffen und an ihre auf? Korn genom— 


13. Dec. 1887.) Ankunft am Albert-See umd Rüdfehr nach Ibwiri. 303 


menen Opfer fich heranschlichen, jchrien fie: „Ku-la-la heh lelo! — 
Wo wollt ihr Heute Nacht jchlafen? Wißt ihr nicht, daß ihr um— 
stellt jeid? Wir haben euch jebt, wo wir euch haben wollten.‘ 

Unjere Leute zögerten aber feinen Augenblid mit der Antwort: 
„Wo wir jchlafen werden, da werdet ihr nicht wagen ung zu nahe zu 
fommen; weshalb kommt ihr nicht jofort heran, wenn ihr uns habt, 
wo ihr uns haben wollt?“ 

Troß des lebhaften FFeuernd war der Schaden nur unbedeutend, 
da das Terrain fich nicht für genaues Zielen eignete; auf unſerer Seite 
war nur ein Mann durch einen Pfeilichuß verwundet worden. Nichts- 
dejtoweniger wurde der Kampf auf beiden Seiten lebhaft und raftlos 
fortgejegt. Wären wir unbeladen und friich gewejen, dann würden 
jehr wenige diefer bösartigen Burjchen am Leben geblieben fein, um 
wieder nach der Höhe hinaufzuklimmen. 

Der Abjtieg dauerte drei Stunden, und viertelftündlich mußten 
wir halt machen, um die Eingeborenen zurüdzujchlagen, die uns in 
der Zahl von ungefähr 40 Mann bis zur Ebene hinab folgten. 

800 m vom Fuße des Gebirges überfchritten wir einen ſchwach 
jalzhaltigen Fluß, welcher fich einen tiefen Kanal ausgegraben hatte 
und auf beiden Seiten von teilen Ufern und an einigen Stellen 
bis zur Höhe von 15 m gerade aufjteigenden Felsmauern eingefaßt 
war. An Rande einer diejer fteilen Mauern jchlugen wir das Lager 
auf, das auf dieſe Weife auf dem einen Halbfreife uneinnehmbar 
wurde; die andere Hälfte ficherten wir raſch mit Gejtrüpp und Mas 
terial aus einem benachbarten verlajjenen Dorf. Da wir bemerkt 
hatten, daß die kühnen Eingeborenen in die Ebene hinabgeftiegen 
waren, und wußten, daß fie einen nächtlichen Angriff beabfichtigten, 
ließ ich im einiger Entfernung vom Lager Schildwachen ausjtellen, 
die im Graſe gut verborgen waren. Eine Stunde nad) Eintritt der 
Dunkelheit unternahmen die Eingeborenen den Angriff und waren, 
als fie an einem Punkte nach dem andern fich vergeblich bemühten 
einzudringen, höchſt überraicht, als fie von einem Ende des Halb» 
freifes bis zum andern mit Gewehrfeuer empfangen wurden. 

Damit endete diejer aufregende Tag und wir juchten die wohl- 
verdiente Ruhe. 

Bei der Ablefung des Aneroidbarometerd nad) der Ankunft am 
Lagerplage fanden wir, daß wir von unjerm Beobachtungspuntte 
am Rande des über uns liegenden Plateaus 685 m herabgejtiegen 
waren. 


304 Zwölftes Kapitel. Albert⸗ Njanſa 


Am 14. December verließen wir den Fuß des Plateaus und 
marſchirten quer über die Ebene, die ſich 8 km weit allmählich nad) 
dem See hinabjenkte. Während wir weiter jchritten, forjchten wir in 
dem lichten Afazienwalde jorgfältig nad), ob dort nicht ein Baum 
zu finden fei, der zu einem Kanoe benußt werden könnte; jedoch fehlte 
e3 der Ebene an allem außer Afazien, Dornfträuchern, Tamarinden 
und Geftrüpp, ein Beweis, daß Der Boden zwar reich genug war, um 
die mehr abgehärteten Bäume hervorzubringen, aber auch jo reichlich 
mit fcharfen Stoffen, wie Salpeter, Alkalien oder Salzen durchdrungen 
war, um das Wachsthum einer tropifchen Vegetation zu verhindern. 
Wir Hofften jedoch, daß es uns gelingen würde, die Eingeborenen 
zum Verkauf eines Kanoe zu veranlafien, oder daß, was uns wahr: 
icheinlicher war, Emin Paſcha, meiner Bitte gemäß, das Südende des 
Sees beſucht und mit den Eingeborenen Vereinbarungen für unfern 
Empfang getroffen habe. War das nicht der Fall, dann hatten wir 
ichließlich eine berechtigte Entjchuldigung, uns ein Kanoe zeitweilig 
zu leihen. 

Etwa 2", km weiter hörten wir, daß die Eingeborenen ziemlich 
nahe an unjerm Wege in dem armjeligen Walde mit Hauen von 
Brennmaterial bejchäftigt waren. Wir machten deshalb halt und be- 
obachteten Schweigen, während der Dolmeticher verjuchte, auf fein 
freundliches Anrufen eine Antwort zu erhalten. Zehn Minuten lang 
verhielten wir uns vollfommen jtill, bis die Perſon, die ſich als ein 
Weib erwies, e8 der Mühe werth hielt zu antworten, und nun hörte 
ich zum erſten mal in Afrika jo rohe unfläthige Schimpfiworte, deren das 
traditionelle londoner Fiichweib vermuthlicy nicht fähig gewejen wäre 
auszuftoßen. Wir waren daher gezwungen, die weitern Bemühungen 
zur Berföhnung dieſes Mannweibes aufzugeben. 

Wir ſchickten dann den Dolmeticher mit einigen Leuten nad) dem 
am Ufer des Sees liegenden Dorfe voraus, welches einem Häuptling 
Namens Katonja, mandmal auch Kaija Nkondo genannt, gehörte. 
Der Dolmeticher hatte den Auftrag, feine äußerfte Gewandtheit auf: 
zubieten, um das Vertrauen der Bewohner zu gewinnen, fich dur 
feinerlei Worte oder Drohungen abweilen zu laſſen und nur thatjäch- 
lichen Feindfeligfeiten zu weichen, während wir inzwijchen langjam 
folgen und dann halt machen wollten, bis er ung nach der Niederlaffung 
rufen würde. 

Wie wir wahrnahmen, befanden fich die Dorfbewohner in völli- 
ger Unfenntniß von unſerm Herannahen und unjerer Nachbarichaft. 


14. Dec. 1887.) Ankunft am Albert-See und Rüdfehr nah Ibwiri. 305 


Ihr erfter Impuls, als fie unjere Leute jahen, war zu fliehen; als fie 
jedocd; bemerften, daß fie nicht verfolgt wurden, nahmen fie, mehr 
aus Neugier als aus FFriedlichkeit, Stellung auf einem etwa einen 
Pfeilichuß entfernten Ameijenhügel. Als fie dann erfannten, daß 
unfere Leute freundlich, höflid) und vollftändig harınlos waren, ge: 
ftatteten fie das Herannahen der Karavane und ließen ſich durch 
die fortwährend wiederholten innigen Freundſchaftsverſicherungen 
beim Anblid eines Weißen ſogar dazu bewegen, näher zu treten. 
Etwa 40 Eingeborene faßten Muth und famen jo nahe heran, daß 
wir bequem miteinander jprechen fonnten, und nun folgten Rede 
und Gegenrede, wobei die eine Partei bei ihrem Leben, bei der Liebe 
zu ihrem Halſe und dem Himmel über uns jchwor, daß fie nichts 
Böſes beabfichtige oder bezwede, jondern nur FFreundichaft und guten 
Willen ſuche, wofür fie die entiprechenden Gejchenfe geben würde, 
während von der andern Seite behauptet wurde, daß wenn aud) ihr 
Zögern falich gedeutet und ihnen vielleicht als Furcht ausgelegt wer- 
den fünne, fie doch ſchon oft Leuten begegnet jeien, die Warafura 
hießen und mit Gewehren wie die unferigen bewaffnet jeien, welche 
die Feinde jofort tödten. Wielleicht jeien wir doc Warafura oder 
deren Freunde, denn wir hätten auch Gewehre, und in dieſem Falle 
jeien fie jeden Augenblid zum Kampf bereit, fobald fie die Ueber: 
zeugung gewännen, daß wir Warafura oder deren Bundesgenoffen 
jeien. 

„Warajura! Warajura! Was find das für Leute? Wir haben 
den Namen noch nie gehört. Woher fommen fie?” Das und ähn- 
liche Fragen jtellten wir drei Stunden lang in der heißen Sonne. 
Unfer Schmeicheln und gewinnendes Lächeln jchien endlich jeine Wir: 
fung zu thun, als fie plößlich wieder ärgerlich wurden und in der 
ichroffen, jchnarrenden Sprache der Wanjoro, welche jchredlich für die 
Ohren Elingt, ihren Argwohn äußerten. Unjere Bemühungen endeten 
mit einem vollitändigen Meiserfolg. Ohne e8 zu willen hatten wir 
ihren Verdacht dadurd) erregt, daß wir zu freundlich von Unjoro und 
jeinem König Kabba-Rega geiprochen, der, wie wir ſpäter erfuhren, 
ihr Todfeind war. Sie wollten unjere Freundichaft nicht annehmen, 
feine Blutsbrüderichaft jchließen und lehnten jogar jedes Geſchenk ab, 
doc wollten fie ung Trinkwaſſer geben und uns auch den Weg am 
See entlang zeigen. 

„Ihr Jucht einen weißen Mann, jagt ihr. Wie wir hören, tft 
einer (Caſati) bei Kabba-Rega. Vor vielen, vielen Jahren fam ein 


Stanley, Im dunkelſten Atifa. I. 20 


306 Zwölftes Kapitel. Albert⸗ Njanſa 


weißer Mann (Maſon Bey) vom Norden her in einem Rauchboote, aber 
er ging wieder fort, das war als wir noch Kinder waren. Seitdem 
iſt fein jeltfames Boot auf unſern Waſſern geweſen. Wir hören, daß 
merkwürdige Leute in Bujwa (Miwa) jein jollen, aber das ift weit 
von hier. Dort nad) Norden dem See entlang geht euer Weg. Alle 
böjen Männer kommen von dort. Wir haben auch nie gehört, daß 
je gute Leute vom Ituri hierher gefommen find. Die Warafırra 
fommen manchmal von dort.‘ 

Sie ließen fich herbei, und den längs des Ufers führenden Pfad 
zu zeigen, und traten dann zur Seite, nachdem fie ung noch, nicht 
gerade. in unfreundlichem Tone, gerathen hatten, uns in Acht zu 
nehmen; dagegen wollten fie nicht einen einzigen Gegenftand zu ihrem 
Gebraude von uns annehmen. Berwundert über ihr außerordentliches 
Benehmen und ohne einen einzigen berechtigten Grund zum Streit 
mit ihnen zu haben, festen wir nachdenklich und in jehr unangench- 
mer Stimmung den Weg fort. 

Als ich darüber nachgrübelte, wie die Hoffnungsfreudigfeit, welche 
uns bisher bejeelte, jo jeltjam ein plößliches Ende gefunden hatte, kam 
mir der Gedanke, daß fich wol niemals einem Neifenden im wilden Afrika 
eine entmutbhigendere Aussicht gezeigt habe, als ſich uns hier jo plöglich 
enthüllt hatte. Won dem Augenblide an, als wir am 21. Januar 1887 
England verlajjen Hatten, bis zu dieſem 14. December war feinem 
von ums die Idee gefommen, daß unjere Pläne jo nahe am Ziel, wie 
wir es waren, noch vollftändig vereitelt werden könnten. Bei alledem 
war jedoch ein Troft: es gab von jebt ab feine Ungewißheit mehr. 
Wir hatten gehofft, Hier Nachrichten vom Paſcha anzutreffen; nad) 
unferer Anficht mußte der Gouverneur einer Provinz, der zwei Dam: 
pfer, Rettungsboote, Kanoes und Taufende von Leuten befaß, an einem 
jo fleinen See wie der Albert-Njanja, den man in zwei Tagen von 
einem Ende bis zum andern umfahren konnte, überall befannt fein. 
Entweder konnte oder wollte er Wadelai nicht verlaffen oder er wußte 
noch nichts von unſerm Kommen. * 

Als wir durch äußerſte Schwäche gezwungen waren, unſer Stahl- 


* Emin Paſcha jchrieb im November 1887 an feinen Freund Dr. Felkin: 
„Es iſt alles in gutem Gang; in den beften Beziehungen mit den Häuptlingen 
und den Leuten; werde mich binnen furzem nad Kibiro am Ditufer des Albert- 
Sees begeben. Habe, um nad Stanley Umſchau zu halten, eine Necognojeirungs- 
abtheilung ausgeſchickt, welche noch nicht zurückgekehrt iſt. Erwarte Stanley un« 
gefähr am 15. December (1857). Wir trafen am 14. December ein. 


14. Dec. 1887.) Ankunft am Albert-See und Rückkehr nah Ibwiri. 307 


boot in Ipoto zurüdzulaffen, hofften wir, daß eins von dreien der 
all jein werde: entweder, daß der Paſcha, der durch mich von unſerm 
Kommen in Kenntniß geiebt war, die Eingeborenen auf unſer Er- 
jcheinen vorbereitet hätte, oder daß wir ein Kanoe kaufen, oder daß 
wir jelbft ein jolches anfertigen fünnten. Allein der Paſcha hatte das 
ſüdliche Ende des Sees nie bejucht und ebenjo wenig war ein Kane 
zu befommen oder ein Baum zu finden, aus dem ein ſolches herzu— 
jtellen war. 

Seitdem wir in dad Grasland gefommen waren, hatten wir 
5 Kiften mit Batronen verbraucht, jodaß wir noch 47 Kiften befaßen, 
außer denen, die unter Aufficht von Kapitän Nelfon und Dr. Parke 
in Ipoto zurücgeblieben waren. Wadelai war zu Lande 25 Tage- 
märjche, zu Wafjer nur vier Tagereifen entfernt. Wenn wir zu 
Lande nordwärt® marſchirten, war es jehr wahrjcheinlich, daß wir, 
falls die Eingeborenen dort ähnlich waren wie im Süden, bei den 
Kämpfen noch weitere 25 Kiften Munition verbrauchen würden, um 
nad Wadelai zu fommen. Bei der Ankunft bei Emin Paſcha würden 
wir dann noch 22 übrig haben, und wenn wir ihm nur 12 Kiſten 
liegen, jelbft nur 10 behalten für unſere Rückkehr auf einer Route, auf 
welcher wir beim Hinmarſch 30 Kiften verfeuert hatten. Für ung würden 
10 Kiſten ein ebenjo ungenügender Vorrath fein, wie für Emin Paſcha 
12 Kiften. So überlegte ich mir im Geifte unjere Lage, als wir am 
Ufer des Albert-Sees nad) Norden wanderten; in der Hoffnung je- 
doch, bei der Inſel Kaſenja, wohin wir unfere Schritte lenkten, vielleicht 
zur Erwerbung eines Kanoe im Stande zu fein, beichloß ich vor- 
läufig weiter nichts zu thun, als ein paar Tage nad) einem Fahrzeug 
irgendwelcher Art zu juchen, und erjt wenn dies feinen Erfolg haben 
jollte, die Frage offen mit meinen Gefährten zu erörtern. 

Bei unjerer Mittagsraft, einige Kilometer nördlich von Katonſa's 
Dorf, erflang zum erften mal das Signal zum Nüdzuge, was die 
Offiziere unangenehm überrajchte und betrübte. 

„Ah, meine Herren‘, jagte ich, „sehen Sie nicht jo trübe aus, 
Ste machen meinen eigenen Kummer nur um jo größer. Laffen Sie 
uns den Thatjachen offen ins Auge Schauen. Wenn die Inſel Kaſenja 
uns fein Kanoe zu liefern vermag, müſſen wir unjere Schritte zurüd- 
lenken; das läßt fich nicht ändern. Wir wollen den heutigen und 
morgenden Tag dem Nachjuchen widmen, jtehen dann aber dem Ber: 
bungern von Angeficht zu Angeficht gegenüber, wenn wir uns noch 
länger in diejer öden Ebene aufhalten. Auf der unfruchtbaren Terraſſe 


20* 


308 Zwölftes Kapitel. [Albert-Njania 


am See gibt es feine Anpflanzungen, die wir nicht eher finden als auf dem 
Plateau. Unjere Haupthoffnung beruhte auf Emin Paſcha. Ich hatte ge— 
glaubt, daß er mit jeinen Dampfern dieſem Ende des Sees einen furzen 
Beſuch abjtatten fünnte und den Eingeborenen jagen würde, daß er 
von Weften fommende Freunde erwarte. Was aus ihm geworden tft 
und weshalb er nicht hierher hat fommen fünnen, willen wir nid!t. 
Die Bewohner von Katonfa haben ung aber gejagt, daß fie, jeitdem 
Maion Bey hier war, nie wieder einen Dampfer oder einen Weißen 
gejehen haben; fie haben auch gehört, daß Caſati ſich in Unjoro be- 
findet. Ohne Boot ift ein Mari von einem Monat nöthig, um 
Emin aufzufinden. 

„Außer dem Rüdmarich gibt e8 nur einen Weg, der mir möglid) 
ericheint, und der ift, daß wir irgendein Dorf am Ufer des Sees er- 
obern, dort ein befeftigtes Lager errichten und das Weitere abwarten, 
damit vielleicht Nachricht von ung nad) Unjoro zu Kabba-Rega oder nad) 
Wadelai gelangt und Gajati, Emin oder der König von Unjoro mög— 
licherweile neugierig werden und Leute jchiden, um zu erfahren, wer 
wir find. Dann fommt aber die Lebensmittelfrage. Dieje Ufer- 
bewohner bebauen fein Land, jondern fangen Fiſche und bereiten Ealz, 
um es an die Leute auf dem Plateau gegen Getreide zu verkaufen. 
Wir würden fourragiren und täglid) an jenem ſchrecklichen Berg— 
abhange hinauf» und Hinabflettern müffen. Eine Woche würden die 
Eingeborenen auf dem Plateau vielleicht den Fourragirabtheilungen 
Wideritand leiften, dann würden fie es aber aufgeben, nad) entferntern 
Gegenden auswandern und ein verödetes Land in unjerm Beſitz laſſen. 
Cie müſſen mir zugeben, daß dies ein höchſt unfluger und thörichter 
Plan für uns jein würde. 

„Wäre unfer Boot hier oder fünnten wir auf irgendeine Weiſe 
ein Kanoe befommen, dann würde umjere Lage folgendermaßen jein: 
Wir könnten das Fahrzeug zu Wafler bringen und mit 20 Berjonen 
bemannen, fie mit Lebensmitteln auf zehn oder zwölf Tage ausrüften 
und dem Offizier und der Beſatzung « Glüdlihe Fahrt» wünichen, 
während wir wieder nad) dem Plateau hinauffteigen, in der Nähe 
des Randes dejjelben eine gute Stellung bejegen, fie raſch uneinnehm— 
bar machen, im Norden, Eüden und Weiten eines Ueberfluß an Ge- 
treide und Vieh bietenden Landes fourragiren und durch Schildwachen 
den See beobachten und nad) Feuer- oder Rauchſignalen ausfchauen 
laffen. Bei der Ankunft des Dampfers fünnten 100 mit Gewehren 
bewaffnete Leute zum See hinabfteigen, wobei fie möglicherweije er= 


15. Dec. 1887.] Ankunft am Aibert:See und Rückkehr nah Ybwiri. 309 


fahren würden, daß Emin Paſcha ſich in Sicherheit befindet oder viel- 
Leicht durch Ufedi und Ujoga ſich nad) Sanfibar begeben hat. Dies 
it jogar wahricheinlih, da die legten Nachrichten, welche ic; vom 
Auswärtigen Amt erhalten habe, meldeten, daß er einen folchen Schritt 
in Erwägung ziehe. Da wir ohne Kanoe und Boot find, habe ich 
aber das Gefühl, daß wir, obwol zu Waller nur vier Tage von Wadelai 
entfernt, mit dem Suchen nad) Auskunftsmitteln nur werthvolle Zeit 
vergeuden, während der gejunde Menjchenverftand uns gebietet, uns 
in den Wald zu begeben, einen geeigneten Ort, wie Ibwiri, aufzu- 
fuchen, um dort unjere überflüſſigen Vorräthe, Kranken und Genejen- 
den von Ugarrowwa und Ipoto zu lajjen, und dann nur mit dem 
Boot und ein paar Dutzend Kiſten Munition hierher zurüdzufehren. 
Bei der umerflärlichen Abwejenheit Emin’3 und dem Fehlen jeglicher 
Nachrichten von ihm wirde es unflug fein, mit dem Tragen von zu viel 
überflüffiger Munition unfere Kräfte zu vergeuden, während der Paſcha 
feine Provinz vielleicht ſchon verlafjen hat.‘ 

Im Laufe des Nachmittags marſchirten wir dem See entlang, 
dis die Inſel Kaſenja von unjerm Lagerplage 127° auf dem Kompaß 
peilte und noch ungefähr 1", km entfernt war. Unſer Beobachtungs- 
punkt auf der Höhe des Blateaus peilte 289°, 

Nachdem wir jchon zu früher Stunde halt gemacht hatten, stellten 
wir aus Bujchwerf einen Zaun her. Auch den Nachmittag verbrachten 
wir mit einer eingehenden Erörterung unferer Lage unter der neuen 
Beleuchtung, welche fie durch die entichiedene Ablehnung unjerer Freund: 
ihaft von jeiten Katonſa's und feiner Begleiter erhalten Hatte, 

Am Morgen des 15. December ſchickte ich Lieutenant Stairs 
und 40 Mann hin, um mit den Bewohnern der Injel Kafenja, welche 
etwa 750 m vom Lande Tiegt, zu Sprechen. Da der See dort jehr flad) 
ift, konnte ein Kanoe mit zwei Fiſchern, welche Lieutenant Stairs an- 
gerufen hatte, fich dem Lande nur bis auf mehrere Hundert Meter 
nähern, und der Schlamm war jo unergründlich tief, daß niemand 
es wagen durfte, ihm zu betreten. Dem Uferrande entlang gedeiht ein 
Ambatihwald, der ſich als jchmaler Kranz um das jüdliche Ende des 
Sees herum fortiegt, ſodaß es aus der Ferne ausfieht, als ftände 
dort eine lange Reihe von Fiicherpfählen oder hohen Paliſſaden. Die 
Fischer zeigten, da man an der Stelle, wo fie ſich befanden, kaum 
den Ton der Stimme hören fonnte, nach einem etwas weiter jee- 
abwärts gelegenen Punkte, wo fie dem Ufer näher fommen fünnten 
und auch ihr Landungsplatz jei. Der Morgen verging uns mit 


310 Zmölftes Kapitel. Albert⸗ Njanſa 


Warten auf Lieutenant Stairs, der in dem Schlamm und Sumpf 
große Schwierigkeiten hatte. Nachmittags ſchickte ich Jephſon nach 
dem uns von den Eingeborenen bezeichneten Landungsplatze, einer 
niedrigen, oben bewaldeten Anhöhe, bei der aber für die Arbeiten der 
Fiſcher genügende Waffertiefe war. Auf das Anrufen famen ein 
sicher und feine Frau bis auf gute Bogenſchußweite ans Ufer heran 
und ließen fich herbei, mit unſern Leuten zu reden. Sie jagten: 
„Ja, wir erinnern uns, daß vor langer Zeit ein Rauchboot hierher 
gefommen ift. Es war ein weißer Mann (Oberft Majon) in dem— 
jelben und er ſprach jehr freundlich. Er ſchoß ein Flußpferd und 
gab e8 uns zum Efjen. Die Knochen davon liegen in der Nähe, wo 
ihr jteht, jodaß ihr euch überzeugen fünnt. Es gibt feine großen 
Kanves auf diefem See oder irgendwo in der Nähe, denn die größten 
fünnen mit Sicherheit nur zwei oder drei Perfonen aufnehmen, mehr 
nicht. Wir faufen unjere Kanoes von den Wanjoro auf der andern 
Seite für Fiiche und Salz. Ob wir für euch einen Brief nad) Un- 
joro bringen wollen? (Lachend) Nein. Daran fünnen wir nicht den- 
fen, das ift eine Aufgabe für einen großen Mann, und wir find arme 
Leute, nicht befjer als Sklaven. Ob wir ein Kanoe verfaufen wollen? 
Ein fleines Kanoe wie diefes kann euch nirgends hintragen, es eignet 
fi nur zum Fiſchen nahe am Ufer in flachem Waſſer wie hier. Auf 
welchen Weg jeid ihr hergefonmen? Vom Ituri her? Ach, das be- 
weiſt, daß ihr böje Männer jeid. Wer hat je gehört, daß gute Leute 
aus jener Richtung famen? Wenn ihr nicht böje Leute wäret, würdet 
ihr ein großes Boot mitgebracht und Flußpferde wie der andere weiße 
Mann geichoffen haben. Geht euern Weg, — dorthin liegt euer Pfad. 
Aber wenn ihr dahin geht, werdet ihr Leute treffen, die ebenſo jchlimm 
find wie ihr und deren Werf es ift, die Menichen zu tödten. In der 
Nähe des Sees und auf diefer ganzen Ebene gibt es feine Lebens— 
mittel. Fiſcher wie wir brauchen feine Haden. Seht euch rundum, 
ihr werdet fein Feld finden. Ihr werdet nad) den Bergen zurückgehen 
müffen, wo Nahrung für euch ift; bier ift nichts. Unſere Arbeit ift, 
dag wir Salz machen und Fiſche fangen, die wir den Leuten oben 
bringen und gegen Getreide und Bohnen austaufchen. Dieſe Inſel iſt 
Kaſenja und gehört Kavalli, und der nächſte Ort iſt Njamſaſſi. Geht 
weiter. Weshalb geht ihr nicht und verſucht euer Glück anderswo? 
Der erſte weiße Mann blieb eine Nacht auf dieſem Waſſer in ſeinem 
Boot und ſetzte am andern Morgen ſeinen Weg fort. Seitdem haben 
wir weder ihn noch einen andern wieder geſehen.“ 


16, Dec. 1887.] Ankunft am Albert:See und Rüdfehr nadı Ybwiri. 311 


Geht! Das Unvermeidliche umgab uns, damit das Geſetz ſich 
erfülle, daß man das Erſtrebenswerthe nur mit Mühe und Geduld 
erreichen kann. Wohin wir blicken mochten, überall war uns das 
Vordringen verſchloſſen, ausgenommen unter Kämpfen, Tödten, Zer— 
ſtören, Vernichten und Vernichtetwerden. Für Unjoro hatten wir kein 
Geld und keine paſſenden Waaren, die Diſtricte Kabba-Rega's kamen 
daher nicht in Frage; der Marſch nach Wadelai war nur eine nutz— 
oje VBergeudung von Munition, deren Mangel uns wahrſcheinlich an 
der Rückkehr verhindert und in dieſelbe Hülflofigfeit verjegt haben 
würde, in welcher Emin Paſcha ſich befinden follte. Nichteten wir 
unſere Blide auf den See, jo wurden wir daran erinnert, daß wir 
Bweifüßler waren, die etwas Schwimmtraft Befigendes brauchen, das 
fie über das Waſſer zu tragen vermag. Alle Wege mit Ausnahme des- 
jenigen, auf dem wir gefonmen, waren ung verjchloffen und unjere 
Lebensmittel inzwiſchen erichöpft. 

Bei der am Abend abgehaltenen Berathung beſchloſſen wir, den 
einzigen uns. gelafjenen vernünftigen Weg einzuichlagen, nämlich nach 
Ibwiri, 18 Tagemärjche von hier, zurüczufehren, dort ein jtarfes be— 
feftigtes Lager zu bauen, dann eine ftarfe Abtheilung nach Ipoto zu 
jenden, um das Boot, die Waaren, Offiziere und Genefenden nad) 
dem befejtigten Lager zu holen, darauf 50 Büchſenſchützen unter dem 
Befehl von drei oder vier Offizieren zurüczulaffen und jchleunig nad) 
der Niederlaffung Ugarrowwa’3 zu gehen, die Genejenden von dort 
nad Ibwiri zu jchiden, jpäter den Marſch zur Aufiuchung des Majors 
und der Nachhut fortzujegen, ehe er und fie jcheiterten oder in Die 
Wildniß hineinmarichirten, aus der wir mit genauer Noth entkommen 
waren, und jchließlic, wenn wir alle vereinigt waren, mit dem Boote 
nach diefem Plate zurüczufehren, um die Miſſion gründlich durchzu— 
führen, wenn wir im Rüden feine ung verwirrenden oder jchwächenden 
Sorgen mehr hatten. 

Am folgenden Tage, 16. December, hielt ein heftiger Regen— 
guß uns bis 9 Uhr vormittags im Lager. Der tiefliegende harte Boden 
faugte das Waſſer nur langjam auf, ſodaß wir während der erjten 
Stunde ftellenweije bi8 zum Knie im Waffer gingen. Dann famen 
wir auf eine leicht gewellte Ebene, wo das Gras nur T—8 cm hod) 
war umd vielfach vereinzelte Gruppen von Gebüjch und niedrigen 
Bäumen ftanden, ſodaß die ganze Scenerie Aehnlichfeit mit einem 
Zierpark hatte. An dem Pfade angelangt, welcher den Landungs— 
platz bei Stajenja mit dem Bergpaß verbindet, auf weldem wir 


312 Zwölftes Kapitel. Albert⸗· Njanſa 


herabgekommen waren, überſchritten wir ihn und hielten uns parallel 
mit dem Ufer des Sees etwa 2—3 km von demſelben entfernt. 
Hier zeigte fih das Wild in Rudeln, und da wir an Lebensmitteln 
außerordentlichen Mangel litten, machten wir uns zur Jagd bereit, 
um unjern Fleiſchvorrath zu ergänzen. Nach einiger Zeit fiel mir 
ein männliches Kudu zur Beute, während der Jäger Saat Tato ein 
Hartebeeit ſchoß. 3 km jenjeit des Landungsplages von Kaſenja 
lagerten wir uns. 

Unjer Zwed bei diefem Halt war, die Unterthanen Katonſa's 
zu täufchen, die, wie wir überzeugt waren, uns jicherlich folgen wür— 
den, um zu jehen, ob wir weiter marjchirt jeien; denn da fie fich jo 
unfreundlich gegen uns benommen hatten, mußten jie natürlich Furcht 
oder wenigſtens Sorge wegen uns haben. Nachts beabfichtigten wir, 
wieder umgufehren und dem Bade big zum Fuße des Bergpaſſes zu 
folgen, um bei Tagesanbruch den jteilen, fteinigen Aufftieg zu beginnen 
und oben auf dem Gipfel zu jein, bevor die Eingeborenen des Tafel- 
landes in Bewegung famen, da ein Kampf zwiichen uns, die wir jo 
ſchwer beladen waren, und jenen entichlofjenen Leuten möglichit ver- 
mieden werden mußte. 

Nachmittags um 3 Uhr, als wir gerade mit der Vertheilung des 
Wildes unter die hungerigen Leute beichäftigt waren, hörten wir das 
Geheul der Eingeborenen und fiel auf unſern Lagerplatz ein halbes 
Dugend Pfeile. Nichts kennzeichnet die blinde Dummheit und außer: 
ordentliche Unbejonnenheit der Wilden jo jehr wie dieſer Fall, wo 
ein halbes Dutend von ihnen in der Wildniß eine wohlorganifirte 
Truppe von 170 Mann angriff, von denen zwei ihnen in jeglichen 
Kampfe überlegen gewejen wären. Selbſtverſtändlich machten fie, 
nachdem fie ihr Geheul ausgeftoßen und ihre Pfeile abgeſchoſſen hatten, 
jofort wieder fehrt und flohen. Bielleiht wußten fie, daß fie fich auf 
ihre Schnelligkeit verlaſſen fonnten, da fie unjere ihnen nachfolgenden Leute 
in unglaublich kurzer Zeit weit hinter ſich zurüdließen. Die zehn 
Wilden, welche uns hier bejuchten, waren anjcheinend diejelben, welche 
es ſich am Tage vorher jo jehr hatten angelegen jein laſſen, feitzu: 
jtellen, ob wir den Weg verloren hätten. 

Auf meinen Jagdzügen, die ich während des Tages vom Halte: 
plaße weit am Ufer des Sees entlang machte, jtieß ich auf ungeheuere 
Haufen von Knochen geichlachteten Wildes, das den verichiedeniten Arten 
angehört zu haben ſchien, vom Clefanten und Flußpferd bis zur 
kleinſten Buſchantilope. Wahricheinlich war das Wild von den Ein: 


16. Dec. 1887.) Ankunft am Albert-See und Rückkehr nah Jbwiri. 313 


geborenen des Diſtriets umftellt und mit Hülfe des Feuers innerhalb 
eines Kreijes von ungefähr 300 m Durchmeffer haufenweiſe abgeichlachtet 
worden. 

Der Jäger Saat Tato, welcher einen Büffel angeſchoſſen hatte, 
wurde an der Verfolgung des Thieres verhindert durch das Erjcheinen 
eines ausgewachjenen Löwen, der feinerjeitS die Jagd fortſetzte. 

Das Ufer des Sees nimmt, in dem Maße als es fich nach Nord- 
ojten wendet, erheblich an Schönheit zu. Nahe am Rande ded Sees 
jah ich mehr als zwanzig prächtige Lagerpläge mit abfallendem feſten 
weißen Sandjtrand, über welchen die Wellen unaufhörlich hinweg— 
rollten. Den Hintergrund bildeten grüne Baumgruppen, Die injel- 
artig auf dem fchönften grünen Raſen ftanden, während in der Nähe 
zahlreiches Wild der verjchiedenften Art fich aufhielt. Nach allen 
Richtungen Hin ruhte das Auge auf einer Landichaft von eigenthüm- 
licher Großartigfeit und Schönheit. 

Um 5'/, Uhr nachmittags jammelten wir ung wieder und jtellten 
uns in aller Stille für den Marſch nach dem Fuß des Berges auf. 
Wir hatten drei Kranfe bei uns, von denen zwei von den Folgen 
der traurigen Zeit in dem großen Walde ſich noch immer nicht wieder 
erholt hatten, und der dritte am einem jchweren Fieber litt, das er 
fich bei dem Regen der legten Nacht zugezogen hatte. 

Gegen 9 Uhr abends ftießen wir unerwartet auf ein Dorf, was 
uns einigermaßen verwirrte, jedoch geftattete der wie eine düſtere 
Wolfe fich über uns erhebende ungeheuere Berg nicht, wieder umzu— 
fehren, obwol wir es, da es außerordentlich dunfel war, jonft wol 
gethan hätten. Mit todesähnlihem Schweigen pajfirten wir durch das 
jchlafende Dorf und folgten dem aus demjelben herausführenden Pfade, 
der jedoch bald in eine unbedeutende Spur auslief und fich endlich 
ganz verlor. Die Augen beftändig auf die über uns bis zum geſtirnten 
Himmel anfteigenden dunfeln Schatten gerichtet, jeßten wir den Marſch 
noch eine Stunde fort, bis jchließlicd die ermüdete Menfchennatur, fich 
durch die Verdrießlichkeit der Vorhut verrathend, Halt und Raſt ver- 
langte. Wo wir ftanden, warfen wir uns ins Gras nieder und 
waren bald, unbefümmert um alle Schwierigkeiten, in festen Schlaf 
verſunken. 

Bei Tagesanbruch erhoben wir uns, vom Thau vollſtändig durch— 
näßt, aber wenig erfriſcht, aus dem tiefen Schlummer und entdeckten, 
als wir an der Mauer des in vier Terraſſen von je etwa 180 m 
Höhe auffteigenden Tafellandes emporblidten, dab wir uns noch un— 


314 Zwölftes Kapitel. Albert⸗ Njanſa 


gefähr 3 km von dem Fuße des Paſſes entfernt befanden. Wir eilten 
daher vorwärts und hatten bald das untere Ende des Aufſtieges er- 
reicht. Nacd) dem Aneroidbarometer waren wir dort 45 m über dem 
Spiegel des Sees, der 732 m über dem Meeresniveau liegt, und 
762 m unter dem höchſten Punkt des Satteld oder des eingejunfenen 
Rückens zwifchen der nördlichen und der füdlichen Kette, deren öſt— 
liches Ende vor ung aufftieg. 

Während die Träger mit den legten Biſſen Fleiſch von der 
geſtern unter fie vertheilten Jagdbeute ihre Fasten unterbrachen, jchidte 
ih 30 ausgefuchte Leute ab, um das obere Ende des Aufftieges zu 
bejegen und diefen Poſten zur behaupten, jolange die beladene Kara— 
vane aufwärts Fletterte. 

Nach halbitündiger Raft begannen wir, mit inbrünftigem „Bis— 
millah‘‘ auf den Xippen, den vom Regen ausgewafchenen feljigen Abhang 
hinaufzufteigen. Nach dem ermüdenden Nachtmarich, der infolge des 
Thaues eingetretenen Erkältung, dem Sprühregen und der Morgenfühle 
befanden wir uns nicht in der allerbeiten Verfaſſung, um eine Höhe 
von 760 m zu erflimmen, zumal, um das Unbehagen noch zu jteigern, 
die im Oſten jtehende Sonne uns gerade auf den Rüden jchten, wäh 
rend die Felſen ung die Hite ins Geficht zurüdwarfen. Einer der 
Kranken verließ und im Delirium, ein anderer, weldjer an heftigem 
Gallenfieber litt, wollte durchaus nicht mehr weiter. Als wir etwa 
die halbe Höhe erreicht hatten, bemerften wir tief unter ung in der 
Ebene zwölf Leute Katonja’s, welche dem Pfade entlang ſtürzten 
und die Erpedition eifrig verfolgten in der Abjicht, etwaige Nach— 
zügler zu erreichen. Vermuthlich trafen fie unjere Sranfen, und 
die Leichtigkeit, mit der im Delirium befindliche und unbewaffnete 
Leute ihren Speeren zum Opfer fielen, dürften in ihnen den Wunſch 
anregen, noch weitere Verſuche zu machen; aber Lieutenant Stairs 
war Befehlshaber der Nachhut, und diejer dürfte wol mit den Einge- 
borenen abzurechnen wifjen, wenn fie ſich bis auf Schußweite nähern 
ſollten. 

Auf der zweiten Terraſſe fanden wir einen kleinen Fluß, der 
uns, da die Quarzfelſen und Gneisblöcke eine geradezu verſengende 
Hitze ausſtrahlten, mit ſeinem kühlen Waſſer ſehr erfriſchte. Daß die 
Colonne fürchterlich litt, war aus der Weiſe zu erkennen, wie ſie bruch— 
ſtückweiſe über die Abhänge und die terraſſirten Flächen wankte, ſowie 
an den Schweißtropfen, die in Strömen an den nackten Körpern der 
Leute herabfloſſen. Eine große Erleichterung war es für uns, daß 


17. Dec. 1887.) Antunft am Albert:See und Rückkehr nah Ibwiri. 315 


unfere Scharfihügen den Kamm des Hügels bejegt hielten, da jonft 
einige wenige Speerwerfer die feuchenden, nach Luft jchnappenden, er: 
matteten Leute hätten decimiren fünnen. 

Auf der dritten Terrafje, wo wir furze Zeit Raft machten, hatten 
wir einen Blick bis tief hinab zur Nachhut, welche noch nicht die Höhe 
der erſten Terraffe erreicht hatte, und bemerften, daß die zwölf Ein- 
geborenen ung in der Entfernung von etwa 500 m noch immer folg- 
ten und einer von ihmen fich über einen Gegenstand beugte. Wie 
ich ipäter von dem Befehlshaber der Nachhut erfuhr, war das unjer 





Kornipeiher der Babuſeſſe. 


zweiter Kranker gewejen; alle Eingeborenen Hatten ihm ihre Speere 
in den Leib gebohrt. 

Da ich ihre Abfichten errieth und bejchloffen hatte, ihre Feind- 
jeligfeiten zu bejtrafen, pojtirte ich den Jäger Saat Tato und vier 
andere geübte Schügen Hinter einige große Felſen, zwiſchen denen fie 
einen Durhblid hatten, jelbjt aber nicht gejehen werden konnten. 

In 2°, Stunden hatten wir die Höhe des Plateaus erreicht 
und ftanden neben der Vorhut, welche uns infofern ausgezeichnete 
Dienfte geleiftet, al3 fie den Feind entfernt gehalten hatte; als dann 
die Nahhut ungefähr auf der Höhe angefommen war, hörten wir den 
icharfen Knall der Gewehre der im Hinterhalt liegenden Männer, 
welche die Ermordung ihrer beiden Kameraden rächten. Einer der Ein- 


316 Zwölftes Kapitel. Plateau 


geborenen war todt, ein zweiter wurde blutend fortgetragen und die 
übrigen wilden Aasgeier hatten die Flucht ergriffen. 

Während einer kurzen Pauſe zum Athemſchöpfen ſchickte ich die 
Vorhut aus, um das näcjitgelegene Dorf augzuforjchen, welches der 
Tauſchmarkt für die Bewohner des Plateaug und die Eingeborenen 
vom See zu fein jchien, und bald darauf verbreitete ſich bei der 
Colonne die Nachricht von einer reihen Entdedung. Unſere Leute 
hatten einen großen Vorrath von Getreide und Bohnen gefunden, ge- 
nügend, daß jeder Mann unbeſchränkte Rationen für fünf Tage erhalten 
fonnte, 

Um 1 Uhr nachmittags festen wir den Marjch fort, nachdem ich 
den bejtimmten Befehl gegeben hatte, geichloffene Marjchordnung zu 
bewahren, um Unfälle und unnöthigen Verluſt an Menjchenleben zu 
vermeiden. Bon der Front der Colonne begaben jich die Eingeborenen, 
die jich während der Zeit des Halts in großen Scharen gejammelt hatten, 
nun nach den Flanken und der Nachhut. Ein großer Trupp verbarg 
fi in dem hohen Graje, das wir nad) ihrer Meinung paſſiren mußten, 
doch ſchwenkten wir vorher auf eine breite Fläche mit furzem Gras- 
wuchs ab. Als fie durch dieſe Bewegung ihren Plan vereitelt jahen, 
tauchten fie aus ihrem Verſteck hervor und juchten andere Mittel, um 
ihrem wahnfinnigen Haß Genüge zu thun. 

Beim Ueberjchreiten einer tiefen Schlucht in der Nähe der Er- 
hebung, welche jchon einmal Zeugin eines erregten Kampfes gewejen war, 
famen das Centrum und die Nachhut in dem rohrartigen Gras in Ver— 
wirrung und jeßten im drei oder vier getrennten Abtheilungen hin- 
über, wobei unfer dritter Kranker entweder abjichtlich zurücdblieb oder 
fih, weil es ihm an Kraft zum Weiterichleppen fehlte, ins Gras 
legte. Gewiß ift, daß er auf dieſer Seite nicht aus der Schlucht 
herausgefommen ift. Gerade als wir mit der Borhut halt gemacht 
hatten, um die Colonne wieder zu ordnen, hörten wir ein furchtbares 
Triumphgeichrei und jahen eine Schar von 400 Frohlodenden Ein- 
geborenen, die bethört von ihrer rajenden Wuth und unbefümmert um 
die Nachhut an dem Abhange herabjtürzten. Ohne Zweifel hatten fie 
das Triumphgeheul ausgejtoßen, als fie das Schickſal des Kranken 
bejiegelt hatten. Wir hatten jebt drei Mann verloren! Den Anfturm 
hatten die Eingeborenen in der Hoffnung unternommen, noch ein weis 
teres Opfer zu erlangen, und in der That jchten ihnen die Nachhut, 
belaftet mit den Waaren und in Anſpruch genommen von ihrem Dienit, 
raſch ein jolches zu veriprechen. Im diefem Augenblid verließ aber 


17. Dec. 1887.) Anfunft am Albert-Sce und Rückkehr nad Jbwiri. 317 


ein geübter Schüge die Vorhut und ftellte fich etwa 300 m von der 
Marichlinie und noch etwas näher an den Eingeborenen auf, die froh: 
lodend und jauchzend gegen die ermiüdete Nachhut heranftürmten. Sein 
erjter Schuß jtredte einen Eingeborenen zu Boden, fein zweiter zer- 
jchmetterte einem andern den Arm und drang ihm in die Seite. Einen 
Augenblid Herrichte Stille, dann verließ die Vorhut ſchleunigſt ihre 
Stellung, um der Nachhut zu helfen, die jofort von ihren Verfolgern 
befreit war. 

Nach einjtündigem Marie von dem Schauplatz dieſes Vorfalls 
ihlugen wir, mit jchmerzenden Füßen und ermatteter als bei allen 
frühern Gelegenheiten, für die Nacht das Lager auf einer tafelförmigen 
Anhöhe auf, von der man einen weiten Blick über die reiche Ebene hatte. 

Im Laufe des Nachmittags dachte ich über die eigenthümliche 
Thatſache nad, dat die Wilden, die eine fo ftarfe Furcht vor dem 
Tode befigen, ihn doch jo häufig juchen. Man jollte meinen, daß 
die Verlufte, von denen ihre Verfuche am 10., 11., 12. und 13. Decem- 
ber begleitet waren, jolche Leute davon abhalten würden, Fremde zu 
reizen, welche ſich als durchaus im Stande erwiefen hatten, ihre Ver— 
theidigung zu übernehmen. Einmal waren wir faft überzeugt gewejen, 
daß Feuer ihnen lehre, vorfichtig zu fein, auch hatten wir geglaubt, 
daß wenn wir uns ruhig in unjerer Marjchlinie hielten, ihr Kriegs: 
geichrei und ihre Manöver nicht beachteten und nur handelnd eingriffen, 
falls fie zum Angriff heranftürmten, Dies genügen würde, um ihnen 
das Verſtändniß für die Regeln unſers Verhaltens beizubringen. Dies 
war nun der fünfte Tag unferer Langmuth. Wir verloren Leute, und 
im Binbli auf unſer noch unvollendetes ungeheueres Werk war e3 für 
uns ſchlimm, aud) nur nod) einen Darm zu verlieren. Wir mußten nod) 
zweimal durch den Wald dringen, mußten uns nach Ipoto begeben, um das 
Boot nad dem Nijanja zu tragen, mußten die Ufer des Sees bis nad) 
Wadelai und im Nothfalle bi8 nach Dufilé abjuchen, um Nachrichten 
von Emin zu erhalten, mußten dann wieder Major Barttelot und feiner 
Nachhut, welche, ermiüdet von ihrer überwältigenden Aufgabe, um dieſe 
Zeit vermuthlich Schon ängſtlich nad) Hülfe ausichauten, Beiftand leiften, 
und dann wieder durch das Gebiet diefer Stämme des Graslandes 
marjchiren, um jedesmal infolge ihrer unvergleichlichen Unverichämtheit 
und Kühnheit ſolch fatale Verlufte zu erleiden. Ich beichloß daher, 
am nächften Tage zu verjuchen, was thatfräftigere Uperationen für 
eine Wirfung ausüben würden, da es möglich war, daß fie nad) einer 
icharfen, ftrengen Lection und dem Verluſt ihres Viehes vielleicht in 


318 Zwölftes Kapitel. Gavira 


Erwägung ziehen würden, ob Krieg ebenſo nutzbringend für ſie ſei 
wie Frieden. 

Demgemäß rief ich am nächſten Morgen vor Tagesanbruch Frei— 
willige auf, worauf ſich raſch 30 Mann meldeten, die folgende kurze 
Inſtruction erhielten: 

„Ihr feht, Jungens, daß dieſe Eingeborenen ftet3 unter Anwen— 
dung derjelben Lift fämpfen; fie haben jcharfe Augen und lange Beine. 
Bei jolcher Arbeit wie heute find wir Weißen von gar feinem Nuten. 
Uns allen jchmerzen die Füße, wir find ermattet und fünnen in diefem 
Lande nicht raſch laufen. Deshalb jollt ihr heute mit euern eigenen 
Anführern Hinausziehen. Geht Hin und verjagt dieſe Burjchen, die 
gejtern eure Kranken getödtet haben. Geht in ihre Dörfer hinein und 
nehmt jede Kuh, jedes Schaf und jede Ziege, die ihr finden fünnt, 
aber haltet euch nicht mit dem Anzünden der Hütten auf. Ihr müßt 
jehr geichwind laufen und fie aus jedem NRohrdidicht und von jedem 
Hügel verjagen. Bringt mir auch Gefangene mit, damit ich einige 
von ihren eigenen Leuten habe, um fie mit meinen Worten zu ihren 
Gefährten zurückzuſchicken.“ 

Inzwiſchen benutzten wir den Halt, um unjere perjönlichen An— 
gelegenheiten zu erledigen. Unſere Schuhe und Kleidungsſtücke bedurften 
der Reparatur, und jtundenlang ſaßen wir und beichäftigten ung 
mit Schuftern und Schneidern. 

Um 5 Uhr nachmittags fehrte die Freiwilligenabtheilung zurück 
und brachte eine anjehnliche ARinderheerde mit mehrern Kälbern mit. 
Sechs Stiere wurden jofort geichlachtet und compagnienweile unter die 
Leute vertheilt, die vor Wonne fat närrifch wurden. 

„Das“, jagte der Jäger „Three O'clock“ (Saat Tato), „iſt das 
richtige Naravanenfeben auf diefem Kontinent. Den einen Tag haben wir 
en Feitmahl und am nächiten knurrt der Magen, Niemals find zwei 
Tage ſich gleih. Die Leute werden jetzt Fleisch eſſen, bis fie blind 
find, und im nächiten Monat Gott danfen, wenn fie nur Waldbohnen 
erhalten. Saat Tato hatte ebenjo wie ich erfannt, daß das Leben in 
Arifa aus einer Reihe von Leiden mancherlei Art mit kurzen vergnügten 
Zwiſchenzeiten bejteht. 

Auf dieſem Hochlande war die Kälte fehr groß. Seitdem wir 
das Grasland betreten hatten, wurden wir jeden Tag durch das rauhe 
Wetter und den Abendnebel ins Innere unferer Hütten getrieben, und 
mit flappernden Zähnen und fröftelnd erwarteten wir in der ftarfen 
Morgenfühle das Anbrechen des jungen Tages, An diefem Morgen 


19. Dec. 1887.) Ankunft am Albert-See und Rückkehr nadı Jbwiri. 319 


betrug die Temperatur 12°R. Die Leute waren infolge der For: 
derungen und Erprefjungen der Manjema faft nadt und hatten gern 
von den ledernen Kleidungsſtücken der Eingeborenen und den Rinden- 
jtoffen der Waldbewohner Gebrauch gemacht. Nachdem wir die außer: 
ordentliche Kälte fennen gelernt hatten, welche auf dieſen offenen 
Weideländern herricht, wunderten wir uns nicht mehr darüber, daß 
die Eingeborenen fi ungern vor 9 Uhr ins Freie wagten; es wäre 
offenbar jehr Hug gewejen, wenn wir ihrem Beijpiele gefolgt wären, 
hätte unjere Aufgabe dies nur erlaubt. 





Dorf der Bapiri; Europäer ihuftern und jchneidern. 


Am 19. December marjchirten wir quer über die wellenförmige 
Ebene in der Nichtung nach den Dörfern Maſamboni's. Als wir in 
die Nähe von Gavira’s Dorf famen, wurden wir von einer Gruppe Ein- 
geborener angerufen, welche uns zujchrieen: „Das Land liegt euch jebt 
zu Füßen, man wird euch nicht mehr beläftigen, aber es würde uns 
jehr angenehm fein, wenn ihr den Häuptling von Unduffuma tödtetet, 
der zu ung geſchickt hat, um euch zurücdzutreiben.‘ 

Als wir mittags uns gegenüber den Balegga-Hügeln befanden, be— 
merften wir zwei Abtheilungen von je 40 Mann, welche uns folgten; 
jchlieglich riefen fie ung an und drüdten den Wunſch aus, „uns ins 


320 Zwölftes Kapitel. [Majamboni 


Geficht zu ſehen“. Als fie unjerer Aufforderung, ohne Waffen zu 
uns heranzufommen, feine Folge leifteten, befahlen wir ihnen ftreng, 
fich zu entfernen, da wir jonft annehmen müßten, daß fie böje Ab- 
jihten im Schilde führten. Ganz gehorfam entfernten fie ſich darauf. 

Nachmittags kamen wir zu den Dörfern der Eingeborenen, welche 
ung am 12. December jo 'hartnädig verfolgt hatten. Die Leute hatten 
fih an den Hügeln vertheilt und jchrien wüthend, worauf wir, 
trog des Hagel3 von Schimpfiworten, welche die Balegga ausftießen, 
die Höhe von unjerer raſch vorgeſchickten Vorhut jäubern ließen. 

Am 20. December führte der Marich durch das reiche Thal von 
Unduffuma, deifen Dörfer wir am 10. und 11. in Brand geftedt 
hatten. Daſſelbe jah bereit$ wieder wie früher ſtark bevölfert und aufs 
befte gedeihend aus, da die Hütten ſämmtlich neu aufgebaut waren; 
allein es herrichte eine Todtenſtille. Die Bervohner ſaßen jämmtlich 
auf den Bergen und blicdten auf uns herab, während wir vorbei- 
marjchirten. Da wir nicht herausgefordert oder beläjtigt wurden, 
paffirten wir in gejchloffener Ordnung mit vollftändig lautlofen Schritten 
hindurch. Wäre e8 nicht möglich, daß die Kinder Majamboni’s, wen 
fie das Verfahren des einen Tages mit dem des andern, das Damals 
mit dem Jetzt vergleichen, das Anerbieten der Freundichaft annehmen, 
das wir ihnen bei der Rückkehr machen werden? Wir hatten das 
Gefühl, daß wir das nächte mal, wenn wir in diejes Land fämen, 
höflich, wenn nicht gar gaftfrei aufgenommen werden würden. Auf 
dieſe Weiſe durchzogen wir, im Angeficht von Hunderten der Strieger, 
unbeläftigt das wieder in jeinem alten Zuftand befindliche That. 
Die Hirfe war jegt reif zur Ernte, und wenn wir die Eingeborenen 
erjt nach Weiten hin verlaffen hatten, ftanden ihnen wieder glückliche 
Zeiten in Aussicht. 

Am nächſten Tage erreichten wir da8 Land der Abunguma und 
lagerten ung am rechten Ufer des öftlichen Jturi, nachdem wir den— 
jelben in einer Furt überjchritten hatten. 

Der 22. December war Rafttag, da fowol Lieutenant Stairs 
wie ich an Fieber und wehen Füßen darniederfagen; am 23. mar: 
hirten wir nad) dem Haupt-Ituri, wo wir fanden, daß die Ba- 
bujefe ihre jämmtlichen Kanoes entfernt hatten. Wir marſchirten 
daher dem Ufer entlang, bis zu einer Stelle, wo der Fluß Inſeln 
hatte. Um 2 Uhr nachmittags am 24. December hatten wir von dem 
linfen Ufer nad) einer in der Mitte des Fluſſes liegenden Inſel eine 
jehr nette und ſtarke Hängebrüde hergeftellt, die allerdings immer 


25. Dec. 1887.) Antunft am Albert:See und Rüdfehr nach Jbwiri. 321 


nur von zwei Mann gleichzeitig bejchritten werden konnte. Uledi, der 
Bootsmann des „Advance“, Schwamm alsdann mit einer Truppe von 
13 ausgejuchten Leuten, die Gewehre über der Schulter, von der Inſel 
nad) dem rechten Ufer hinüber, wo die wadern 14 Burjchen die Ufer 
auf- und abwärts nad) Kanoes durchſuchten, allein vergeblich. In— 
zwifchen war ein jchredlicher Hageljturm eingetreten; die Schloßen 
prafjelten in beträchtlicher Größe auf die Zelte hernieder, die Leute 
eritarrten fat und jeder fühlte fich elend vor Kälte. Die Tem— 
peratur war plößlid” von 19° auf 9° R. gejunfen. Nachdem der 





Großer Felſen bei Jndetongo. 


Hagelichauer eine Vierteljtunde gedauert hatte, jchien die Sonne wieder 
auf unſern mit Schloßen bededten Lagerplat herab. 

Am Weihnachtsmorgen ſchickte ich bei Tagesanbruch Herrn Jephſon 
und den Häuptling Raſchid über den Fluß mit dem Auftrage, aus 
Bananenjtämmen ein Floß berzuftellen. Es wurde Mittag, bevor 
dafjelbe vollendet war, doc marjchirte die Colonne inzwijchen über die 
Hängebrüde nach der Inſel, von wo die Ueberfahrt mit dem Floß 
begann, das auf jeder Fahrt 4 Mann nebſt ihren Laften aufnehmen 
fonnte. Nach einer Stunde waren 40 Mann mit ihren Bürden ver- 
mittelft diefer Bananenftämme hinübergeichafft. Da wir nunmehr größeres 
Vertrauen zu dem Fahrzeug befommen hatten, belasteten wir daſſelbe 

Stanley, Am dunfeliten Afrita. I. 21 


322 Zwölftes Kapitel. Babuſeſſe 


jetzt mit 6 Mann und ihren Laſten, ſodaß um 4 Uhr nachmittags die 
zweite Compagnie am andern Ufer war. Alsdann machte die erjte 
Compagnie ſich daran, das Vieh von der linfen Seite nad) der Inſel 
zu Schaffen, und, nachdem aud) die Nachhut die Hängebrüde paſſirt 
hatte, zerjtörte „Three O’clod‘‘ diejelbe wieder mit wenigen Schlägen 
jeines Haumeſſers. 

Gegen Mittag des 26. December befand ſich die ganze Expedition 
am andern Ufer des Haupt-Ituri, wo wir jechs Kälber jchlachteten, 
um den Leuten eine Weihnachtsfleiichration zu geben. Am nächjten 
Tage jtarb einer unferer Anführer an einer Yıungenentzündung, welche 





= ae 


Anficht von Fort Bodo, 





er infolge einer Erfältung ſich zugezogen hatte, als er nad) dem Auf- 
jtieg von der Ebene am See jchweißtriefend oben auf dem Sattel des 
Plateaus jtillgeftanden hatte. Am 29. December hatten wir Indejura 
erreicht, von wo wir nad) dem aus drei Hütten beftehenden Weiler bei 
Sugu marjchirten; am 1. Januar 1888 lagerten wir bei Indetongo, 
und am folgenden Tage famen wir im Walde an einem riejenhaften 
Sranitblod vorüber, welcher von den Waldbewohnern während ihrer 
mörderiſchen Nämpfe manchmal als Zufluchtsort benußt wird. 

Am 6. Januar paffirten wir Indemwani und famen an die Stelle, 
wo der Sanjibarite Micharajcha von einem Baumſtamm gefallen war und 
das Genid gebrochen hatte. Die rothen Ameiſen, die Gaſſenkehrer des 
Waldes, hatten die Kopfhaut verzehrt und den Schädel rein ausgefrejien, 
jodaß derjelbe einem großen Straufenei gli. Der Oberkörper war 
noch vorhanden, dagegen waren die untern Gliedmaßen ebenfalls rein 


6. Jan. 1888.) Ankunft am Albert-See und Rückkehr nach Ibwiri. 323 


aufgezehrt. Am nächiten Tage erreichten wir Ibwiri und kamen 
nach dem Dorfe Borjo’s, aber unjere angenehmen Hoffnungen, das 
Dorf zu einem behaglichen Aufenthalt für uns zu machen, wurden 
feider zerjtört: die Bewohner hatten jelbjt Feuer an ihre hübjchen 
Wohnſtätten gelegt. Zum Glüd für uns hatten fie die Vorficht ge- 
braucht, die jchönften Breter vorher zu entfernen und eine Menge 
derjelben im Gebüſch aufzuitapeln. Die großen Maisvorräthe waren 
haftig nach proviforischen Hütten in den Schlupfwinkeln des undurch— 
dringlichen Didichts entfernt worden, doch machten wir uns jofort an 
die Arbeit, jorwol das Getreide als auch die Breter wieder zu ſam— 
meln, und noc) ehe es Abend wurde, Hatten wir bereit3 begonnen mit 
dem Bau des zufünftigen Fort Bodo, des „Friedensfort“. 


Dreizehntes Kapitel. 


Leben in Fort Bodo, 


Die uns bevorstehenden Arbeiten. — Die Raliffaden von Fort Bodo. — Ynftructionen 
für Lieutenant Staird. — Sein Abmarid nad Kilonga-Longa. — Bon Ratten, 
Mostitos u. |. m. beläftigt. — Die Nachtruhe durcd den Maki geftört. — Armeen 
von rothen Ameifen. — Schlangen im tropiihen Afrika. — Aufhiſſen der ägyp- 
tischen Flagge. — Ankunft Dr. Parke's und Kapitän Nelfon’s von Ipoto. — Bericht 


über ihren Aufenthalt bei den Manjema. — Lieutenant Stairs trifft mit dem 
Stahlboot ein. — Wir beſchließen, jofort nach dem See aufzubredhen. — Frei— 


willige für die Beförderung von Briefen an Major Barttelot. — Meine und Ka: 
pitän Nelion's Krankheit. — Uledi nimmt eine Zwergenfönigin gefangen. — Uniere 
KKornfelder. — Leben in ort Bodo. — Wir brechen wieder nadı dem Nana auf. 


In Weſt-Ibwiri angelangt und im Begriff, Fort Bodo zu 
erbauen, hatte ich genau dafjelbe Gefühl, wie ein Bewohner der 
Gity von London, der nach jeinen Ferien aus der Schweiz oder 
von der See zurücfehrt und findet, daß ſich während feiner Abweſen— 
heit ganze Berge von Briefen angeſammelt haben, welche dringend 
Aufmerkſamkeit und raſche Erledigung verlangen. Sie müſſen geöffnet, 
gelejen, gefichtet und geordnet werden, und bei Erwägung ihres In— 
halts bemerkt er, daß fie viele wichtige Angelegenheiten enthalten, die 
Verwirrung herbeiführen fünnten, wenn fie nicht methodisch und fleißig 
erledigt werden. Unſere Ferienreiſe war der directe und bejchwerliche 
Marich nach dem Albert: See geweien, um einem Gouverneur zu 
Dienften zu fein, welcher der Welt zugerufen hatte: „Helft ung raſch, 
oder wir fommen um.‘ Zu diefem Zwecke war Major Barttelot zurück— 
geblieben, um die Nachhut heranzubringen, waren die Kranken in den 
Stationen Ugarrowwa’s und Kilonga-Longa’s gelafjen, die Ertrawaaren 
an einer jandigen Stelle im Hungerlager Nelſon's vergraben oder in 
Ipoto gelagert, das Boot „Advance“ auseinandergenommen und im 
Didicht verborgen, Nelfon und Dr. Parke bei den Manjema ein= 
quartiert und alles, was gedroht Hatte, den Marſch zu hindern, zu 


6. Jan. 1888.] Leben in Fort Bodo. 325 


verzögern oder zu jchädigen, im irgendeiner Weije bejeitigt oder um— 
gangen worden. 

Nun war aber der Gouverneur, welcher der Wegweiſer unjerer 
Gedanken und der Gegenstand unjerer täglichen Geſpräche gewejen war, 
entweder nach) Haufe gereijt, oder fonnte oder wollte uns bei jeinem 
eigenen Entſatze nicht helfen, jodaß nunmehr die verjchtedenen Ange: 
legenheiten, die um jeinetwillen beijeitegelegt worden waren, unmittelbare 
Aufmerkſamkeit erheiichten. Ich jtellte daher als unjere dringenden Auf- 
gaben Folgendes auf: 

Neljon und Parke aus den Klauen der Manjema befreien, ſowie 
die Genejenden, das Stahlboot ‚Advance‘, das Marimgeichüg und die 
116 in Ipoto lagernden Laſten holen. 


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Fort Bodo. 


Fort Bodo bauen, damit daſſelbe einer Garniſon einen ſichern 
Aufenthalt bietet; eine Lichtung herſtellen, und Mais, Bohnen und 
Taback pflanzen, damit die Vertheidiger nicht nur ſicher ſind, ſondern 
auch ſich ernähren können und ſich behaglich fühlen. 

Durch Boten eine Verbindung mit Major Barttelot herſtellen oder 
ſelbſt zu ihm gehen und die Geneſenden von Ugarrowwa weiter geleiten. 

Für den Fall, daß das Boot geſtohlen oder zerſtört ſein ſollte, 
ein Kanoe für den Transport nach dem Njanja bauen. 

Wenn die Meldung fommen jollte, dat Barttelot im Vorrücken jeı, 
ihm jchleunigit Vorräthe von Mais und Träger zu Hülfe jchiden. 

Bor allen Dingen war es aber am dringenditen nothwendig, alle An- 
wejenden bei dem Bau eines jtarfen Baliffadenzauns zu verwenden, inner: 
halb dejjen die Baulichkeiten dann mit größerer Muße und ohne daß wir 
das Gewehr bejtändig über der Schulter zu tragen gezwungen waren, 


326 Dreizehntes Napitel. [fort Bodo 


errichtet werden fonnten. Während unjerer Abwejenheit hatten die 
Eingeborenen Weſt-Ibwiri niedergebrannt und ebenjo war bei unjerer 
Ankunft auch Borjo's jchönes Dorf ein rauchender Trümmerhaufen. 
Die beften Breter waren jedoch vorher von den Gebäuden entfernt und 
draußen aufgejtapelt und das Getreide haftig nad) 200 m entfernten 
Hütten im undurchdringlichen Dieicht gebracht worden. Beides war jebt 
von unjchägbarem Werthe für uns. 

Gegen den 18. Januar waren die Balijjaden von ‚Fort Bodo voll- 
endet, Etwa hundert Mann hatten hohe Stämme gefällt und herge- 





Oro Cıeanıma 









wo © Bamanı Plantaron 
— 
Blan von Fort Bodo, Bon Lieutenant Stairs. 





ichafft. Andere, welche den jchmalen, den Umriß des Fort bejtimmen- 
den Graben hergeitellt, hatten die Stämme feſt und in einer Neihe 
Dicht nebeneinander eingepflanzt. An diefen jenkrechten Pfählen waren 
drei Reihen von Querbalken vermittelit ftarfer Ranfen und Ro— 
tangäfte befejtigt worden. An der Außenſeite der Paliffaden waren 
die Planfen jo angebracht, daß fein bösartiger Zwerg oder grim- 
miger Eingeborener, während die Garniſon fich vielleicht beim Scheine 
der Feuer im Innern amufirte, von außen emporflettern, einen ver— 
gifteten Pfeil in die Menge ſchießen und dadurch ‚Freude in Trauer 
verwandeln fonnte, An drei Eden des Fort waren 5 m hohe 


18. Jan. 1888.) Leben in Fort Bodo. 327 


Thürme errichtet, die in ähnlicher Weile mit Paliſſaden und Planken 
befejtigt und für die Wachen bejtimmt waren, jodaß dieſe bei Tag 
und Nacht jede Bewegung auf den zukünftigen Feldern beobachten 
fonnten. Um den Vertheidigern einen befjern Ueberblic zu verichaffen, 
war hinter den Paliſſaden ringsherum ein Wallgang angelegt; denn 
da wir vielleicht Monate brauchten, um die oben angegebenen Aufgaben 
zur Ausführung zu bringen, und die Meanjema fich möglicherweiie 
zu einem Angriff auf das Fort vereinigten, mußte diefes ſowol fugel- 
als pfeilfeit hergeftellt werden. 

Nachdem das Pfahlwerf vollendet war, mußten die majliven 
Ständer und Balken, Hunderte von Dachſparren, Taufende von Ranken 
und Sprofjen von Schlinggewächſen für das Gerüjt der Offiziershäufer, 
die Speicher, Küchen, Getreidelager und Nebengebäude, jowie große 
Haufen von Phryniumblätter zum Deden der Häujer eingefammelt 
werden. Und als dann das Werf im Groben jo weit vorgejchritten 
war, ließ ich Lieutenant Stairs am Abend des 18. December rufen 
und ertheilte ihm jeine befondern Anftructionen, die ungefähr folgender: 
maßen lauteten: 

„Sie werden fi) morgen mit 100 Gewehrträgern nad) Ipoto 
begeben, um nachzuiehen, was aus Nelſon, Barfe und unjern Kranken 
geworden tjt, und falls fie am Leben find, alle hierher zu begleiten. 
Bringen Sie auch das Boot «Advance» und fo viele Laſten wie möglich 
mit. Die lebten Briefe von Nelfon und Parke theilen mir viel uns 
angenehme Dinge mit. Hoffen wir das Beſte. Jedenfalls haben Site 
100 Leute bei fich, jtark und geſund, wie die Manjema; der Marſch 
nach dem Albert:See hat Männer aus ihnen gemacht. Sie find von 
Haß erfüllt gegen die Manjema und jest vollftändig unabhängig von 
ihnen, da fie ihre eigenen Maisrationen befigen. Ste fünnen mit 
ihnen machen, was Sie wollen. Wenn nun Nelfon und Parke über 
weiter nichts zu flagen haben, als den Geiz und die Böswilligkeit der 
Manjema im allgemeinen, dann laffen Sie ſich auf fein Argument, 
feine Anklage und feinen Vorwurf ein, jondern bringen Sie die Leute 
und das Boot, wenn daſſelbe gut und nicht beichädigt it, jofort mit; 
halten Sie ſich nur einen Tag zur Raſt auf und laſſen Sie dann 
das Boot auf die Schultern nehmen und hierher tragen. Wenn die 
Ueberlebenden Ihnen aber beweiien, daß gemwaltiam Blut vergojien 
worden ift, wenn irgendein Weißer oder Schwarzer ald Opfer ge: 
fallen, oder wenn das Boot zerftört worden ift, dann berathen Sie 
fich mit den überlebenden Weißen und Schwarzen und üben Sie nad) 


328 Dreizehntes Kapitel. [Fort Bodo 


reiflicher Ueberlegung Ihrer Pläne, wie es ſich gehört, volle und end- 
gültige Wiedervergeltung. Das ijt alles, doc) vergeffen Sie um Gottes 
willen nicht, daß ein jeder Tag Ihrer Abwejenheit über die unbedingt 
erforderliche Zeit für den Hin- und Nüdmaric hinaus uns Veran: 
laffung zu immer weiterer Sorge geben würde, welche uns auf diejer 
Erpedition überall verfolgt. Es ift genug, daß wir die Sorge um 
Barttelot, den Paſcha, Nelfon und Parke ſowie unfere Kranken haben, 
mehr brauchen wir nicht.‘ 

Drei Kühe wurden zur VBerproviantirung von Stairs' Expedition 
geichlachtet und außerdem erhielt jeder Mann 120 Maisfolben, wäh- 
rend für den Befehlshaber und feine beiden Freunde Ziegen, Hühner 
und Bananen mitgenommen wurden. Am 19, Januar brach die Er- 
pedition nad) der Station Kilonga-Longa’s auf. 


Die Truppe Stairs’ bejtand aus: Die Garnifon zählte: 

88 Mann 60 Mann 

6 Anführern 3 Köche 

1 Offizier 4 Knaben 

1 Knabe 3 Weihe 

1 Rod 

1 Manjema 
98 70 


Nach der Entfernung Stairs' begann ich mit dem Bau eines Ge— 
treideſpeichers, welcher 300 Scheffel Mais aufnehmen konnte, ſowie 
mit dem Uebertünchen des Innern des Hauptquartiers. Jephſon 
beſchäftigte ſich mit dem Ebnen der Fußböden in den Offiziershäuſern, 
einige Leute ſchleppten Lehm herbei, andere ſtampften und miſchten ihn. 
Einige waren auf den Dächern mit dem Auflegen der großen Phry— 
niumblätter beſchäftigt und befeſtigten eins über dem andern auf 
einem gerüſtartigen Rahmen; andere fertigten Leitern an, machten den 
Lehm zurecht für das Beſtreichen der Wände, ſtellten Thüren und 
Fenſter für die Häuſer her, bauten Küchen, gruben Latrinen oder 
hoben den 3 m breiten umd nahezu 2 m tiefen Graben in dem harten 
gelben Thon aus, der unter der 60 cm tiefen Humus- und Lehmſchicht 
der Lichtung lag. AS die Häufer fertig waren, jtellten wir aus Holz- 
aiche eine Art Kalkfarbe her, welche den Gebäuden ein fauberes und 
nettes Ausſehen gab. 

Am 28. Januar war das Hauptquartier zum Beziehen bereit. 
Wir hatten 1,2 ha Yand ausgerodet, das Gebüſch bis 182 m vom 
Fort vollitändig abgehauen, die Bäume gefällt, die leichtern fort- 
getragen und Die jchwerern aufgeftapelt und in Brand gejtedt; am 


6. Febr. 1888.) Leben in Fort Bodo. 329 


nächjten Tage wurden die Zelte zujammengefaltet und nach unſern 
Häufern gebracht, die, wie Jephſon bemerkte, „außerordentlich wohnlich“ 
waren. Anfänglich war es in den Räumen etwas feucht, ein Tag und 
Nacht brennendes Holzkohlenfeuer trodnete aber die Wände bald aus. 

Bis zum 6. Februar vergrößerten wir die Lichtung; als wir dann 
aber entdedten, daß die Eingeborenen in der Nähe des Fort umber- 
jtreiften, auf den Pfaden vergiftete Holziplitter in den Boden ftedten, 
die Bananenbäume fällten und allerlei ſonſtiges Unheil anrichteten, 
theilte ich die Garniſon in zwei Batrouillenabtheilungen, um die Pflan- 
zungen und den benachbarten Wald zu jäubern. Bei den Nachfor- 
ichungen an dieſem Tage fanden wir in der Entfernung von nur 
1'/, km vom Fort mehrere Zwergenlager mit VBorräthen von Bananen. 
Die Zwerge wurden gründlich in die Flucht gejagt und ihre Lager 
zeritört. 

Nachdem wir einige Tage in den Gebäuden gewohnt hatten, fanden 
wir uns durch Scharen von Ratten, Flöhen und mikroſtopiſch Eleinen 
Mücden beläftigt. Die Ratten vernichteten unſer Getreide, biſſen uns 
in die Füße, liefen uns muthwillig über das Geficht und jpielten in 
unjerm Bettzeug Verjtedens; fie jchienen mit ihrer wunderbaren Schlau— 
heit entdedt zu haben, daß die Eingeborenen Weſt-Ibwiri in Brand 
zu jteden beabjichtigt hatten, und waren rechtzeitig dem Verhängniß 
aus dem Wege gegangen und in das Dicicht und die Ktornfelder aus- 
gewandert, wahrjcheinlich in der dunfeln Ahnung, daß ein jo vorzüg- 
licher Ort nicht lange ohne Bewohner bleiben werde. Als die behag- 
lichen Häufer der Europäer mit ihren geräumigen Böden und den mit 
unerjchöpflichen VBorräthen gefüllten Rornipeichern gebaut wurden, war: 
teten fie, bis alles bereit war; inzwijchen hatten die fremden weißen 
Männer aber um das Fort ſenkrecht aus dem Thon einen langen, 
tiefen Graben ausgejchachtet, in welchen mehrere Rattenfamilien in ihrer 
Eile, Hals über Kopf Beſitz von den Gebäuden zu nehmen, gefallen 
waren, und eines Morgens jprang der Dachshund Nandy hinein und 
machte den Unglüdlichen den Garaus. Einige alte Ratten aus dem 
Eingeborenendorfe hatten indeß einen fichern Eingang gefunden und 
ſich dermaßen vervielfältigt, daß fie, bis wir uns an ihren jpaß- 
haften aber rohen Zeitvertreib gewöhnt hatten, eine Quelle unerträg- 
lichen Aergernijjes für uns waren. 

Zugleich begann auch der warme, trodene Lehmfußboden Miyriaden 
von Flöhen auszubrüten. Der arme Randy war ganz elend von diejen 
ärgerlichen Quälgeiſtern. Uns ging es nicht beifer, denn während wir 


330 Dreizehntes Kapitel. (Fort Bodo 


uns anfleideten, waren unjere Gliedmaßen ſchwarz von der großen Zahl 
der Thiere. Um diefe Peſt auszurotten, griffen wir zu dem Mittel, 
die Fußböden beftändig feucht zu halten und fie zweimal täglich aus- 
zufegen. 

Das gewöhnlihe Mostitoneg bot gegen die Mücken der Lich— 
tung feinen Schug. Diejelben jegelten durch die feinen Deffnungen, 
wie die Mäuſe durch Antilopennege jchlüpfen würden, jodaß uns fein 
anderes Mittel übrigblieb, als die Mosfitovorhänge aus baum- 
wollenem Meuffelin herzuftellen, der feinen Zweck glüclicherweije er: 
füllte, unter dem die Schläfer aber halb eriticten. 

Da unjere Seife jchon lange aufgebraucht war, jtellten wir zum 
Erja aus Rieinusöl und Lauge eine weiche Seife her, die allerdings 
feinen angenehmen Geruch beſaß und ein vollitändig unverkäuflicher 
Artikel war, indeſſen gelang es uns nad) einigen Erperimenten, eine 
harte Subjtanz in Kugelform zu erzeugen, die den von und ge 
wünſchten Zweck erfüllte. 

Auf dem ganzen Wege von Jambuja bis nach den Ebenen waren 
wir jede Nacht von dem widrigen Geſchrei des Maki geſtört worden. 
Daſſelbe fing mit einem uns erſchreckenden lauten Grundton an, der 
ſich wiederholte und ganz allmählich lauter, raſcher und höher und zu 
einer ſchnellen Aufeinanderfolge ärgerlicher, klagender, das Ohr belei— 
digender Schreie wurde, die in der Dunkelheit und Stille der Nacht 
ganz geiſterhaft klangen. Bald darauf begann in der Entfernung von 
vielleicht 200 m die Antwort eines weiblichen Gefährten in derſelben 
Tonart, und manchmal machten zwei oder drei Paare diejer Thiere das 
Schlafen vollftändig zur Unmöglichkeit, namentlich wenn infolge einer 
Umpäßlichfeit der gewöhnliche Schlummer zeitweilig unterbrochen war. 

Zuweilen famen ganze Armeen von rothen Ameifen, deren Co: 
lonnen fich durch den Graben nicht aufhalten ließen, von der Lichtung 
in das Fort. In langen, dichten, ununterbrochenen Linien, auf beiden 
Seiten von Poſten bewacht, pflegten die Injekten in unzähligen Scha— 
ren an der einen Seite des Grabens hinab und an der andern wieder 
hinaufzuflettern, über die Bruftwehren, durch die Zwijchenräume der 
Prähle, über den Wallgang nad) dem freien Plage des Fort zu mar— 
ichiren, von wo einige Colonnen die Küchen, andere das Hauptquar— 
tier und das Speiſehaus der Offiziere angriffen; wehe dem unglüd: 
lichen nadten Fuß, der auf die Myriaden trat. Durchpeitichen mit 
Brenneſſeln, Aufſtreuen von Cayennepfeffer auf den abgehäuteten Kör— 
per, ein äbendes Bad auf eine um Sich freſſende judende Stelle iſt 


6. Febr. 1888.) Leben in Fort Bodo. 331 


beifer als die Tauſende beigender giftiger Thiere, welche an Beinen 
und Körper emporflettern, fich im Kopfhaar vergraben und ihre glän- 
zenden hornartigen Freßwerkzeuge ins Fleiſch bohren, wo bei jedem 
Biß Ichmerzhafte Eiterbläschen entitehen. Jedes lebende Wejen jcheint 
bei ihrem Kommen zu erjchreden. Die Menſchen jchreien, heulen vor 
Schmerz, jpringen umher und winden fi. Ueber mir in den trode- 
nen dürren Phryniumblättern iſt ein allgemeines Gerajchel, wie von 
einer großen Mafje wandernder Thiere — die Natten und Mäufe, 
Schlangen, Käfer und Heimchen find in Bewegung. Von meiner Hänge: 
matte aus habe ich beim Licht der Kerze unſere Rächer bemerkt, die 
auf dem Fußboden des Hauſes vordringen, die Wände erflettern, die 
Schlupfwinkel unter jedem Blätterhaufen unterjuchen, in die Eden und 
Nigen, Spalten und Mäufelöcher dringen; ich hörte das Mechzen und 
Sammern der kleinen blinden Mäufe, das Quieken der NRattenmütter 
und väter, und begrüßte die Ameijen als einen Segen, mit dem drin- 
genden Wunjche, daß ſie ihr Vernichtungswerf fortiegen möchten, bis 
im nächſten Augenblide einige bösartige, undisciplinirte Stämme vom 
Dad fid) auf meine Hängematte herabfallen laſſen und den ihnen 
Wohlwollenden in einen rachlüchtigen Feind verwandeln, der in feiner 
Wuth nach glühenden Kohlen jchreit und fie zu Tauſenden lebendig 
bratet, bis die Luft von dem Geſtank der in Kruſten fich kräuſelnden 
Ameiſen gefüllt iſt. Unglüd über fie! 

Als wir bei der Herftellung des Grabens den feiten gelben Thon 
ausgruben, ftießen wir 1", m unter der Humusoberfläche in dem 
harten, dichten Boden auf verbranntes Holz. Und doc) jtanden an 
diejer Stelle 100, 150 und 200 Jahre alte ftattlihe Bäume. Der 
Pla war völlig eben und anjcheinend vorher nicht berührt worden. 

Zu den Ueberrafchungen gehört auch, daß wir im tropischen Afrika 
zu unjerer Freude von Schlangenbiiien frei geblieben find. Der Eon: 
tinent ſchwärmt von Reptilien aller Art, von der filberfarbigen 
Blödaugenichlange bis zur ungehenern Felſenſchlange (Python), dod) 
find während unjerer gegen 39000 km langen Reife zu Lande und 
zu Waller in Afrifa nur zwei Mann verlegt worden, und beide Fälle 
haben jich als nicht tödlich erwiejen. In demſelben Augenblid, als 
wir mit dem Ausroden des Waldes, dem Aufhaden der Felder oder 
dem Heritellen der Wege begannen, befamen wir aber aud) einen Be— 
griff von dem Gefahren, denen wir entgangen find. Während wir die 
gefallenen Stämme fortichafften, das bufchartige Unterholz ausrodeten 
und den Boden zum Anbau vorbereiteten, trafen wir viele und darunter 


332 Dreizehntes Kapitel. (fort Bodo 


bemerfenswerth ſchöne Eremplare von Schlangen. Zujammengerollt im 
Gebüſch, jo grün wie ein junges Weizenhälmchen, lagen die ſchlanken 
Beitichenjchlangen, welche fi) gegen unjere Leute wandten, als dieje 
die Haumefjer gebrauchten, um ihre Nefter zu zerftören. Auch mehrere 
Arten Baumjchlangen (Dendrophis) von glänzenden Farben wurden 
aufgefunden, drei aufgeblafene, in ihrem complicirten Schmud prächtig 
ausjehende Buffottern getödtet; vier Hornvipern krochen aus ihren 
Löchern, um den Angriff auf die Leute mit dem Tode zu büßen; ein 
Eremplar aus der durch ihre langen Zähne ausgezeichneten Familie 
der Sleinäugler (Lycodontidae) wurde durd Feuer aus jeinem 
Schlupfwinfel getrieben, während mehrere fleine blinde, jilberfarbige 
Schlangen mit ftumpfem Kopfe, nicht viel größer als Regenwürmer, 
mit den Haden aus dem Boden geholt wurden. Schildkröten waren 
jehr allgemein; ein Stinfthier (Rhabdogale) hinterließ zahlreiche An— 
zeichen jeiner Anmejenbeit. 

Während Gabelweihen, die verwegenſten ihres Geichlechts, über 
jeder Lichtung des Waldes jchwebten, trafen wir feinen einzigen Geier, 
bis wir das Grasland erreichten. Nur hin und wieder erjchienen einige 
weißhalfige Adler, dagegen waren die Bapagaien unzählig und gaben 
vom erjten Morgengrauen des Tages bis zur Dunkelheit ſtets und 
überall ihre Anwejenheit zu erfennen. Gelegentlich ruhten auch gegen 
Abend einige Reiher, vermuthlich von ihrem Fluge von dem Njanja her 
ermüdet, auf den Bäumen der Lichtung aus. Der jchwarze Fbis und 
die Bachſtelze waren in der Wildniß unſere ftändigen Begleiter umd 
Bäume mit Webervögeln und ihren Nejtern ein Charakteriſtikum, das 
wir in der Nähe jedes Walddorfes fanden. Die Elefanten bejuchten 
in Trupps unjere Nachbarschaft und famen jchließlih auch unjern 
Pflanzungen bis auf ein Dubend Meter vom Fort nahe; Spuren 
von Büffeln und Wildfchweinen trafen wir häufig an. Wir waren 
jedoch feine Naturforscher und hatten alle nicht die Muße und 
wahrjcheinlich auch nicht die Luft zum Sammeln von Injeften, Schmetter- 
lingen und Vögeln. Für uns war ein vierfüßiges Thier oder ein 
Bogel etwas zu eſſen, doch gelang es uns ungeachtet aller unferer 
Bemühungen nur felten eins oder das andere zu erlegen. Wir be- 
merkten nur, was ſich zufällig unſerm Blick zeigte oder unjern Weg 
freuzte. Wir hatten zu viele Sorgen, um ung für etwas zu inter 
ejfiren, was nicht damit in Verbindung jtand. Wenn ein Eingeborener 
oder Sanfibarite einen glänzenden langjchuppigen Käfer, einen Abend- 
falter, jchönen Schmetterling oder eine ungeheuere Fangheujchrede fand, 


8. Febr. 1888.] Leben in Fort Bodo, 333 


mir Vogeleier, eine jeltene Blume, eine Lilie oder Orchidee, eine 
Schlange oder Schildkröte brachte, beichäftigte ji) mein Geift, ſelbſt 
während ich den Fund betrachtete und lobte, doch mit meinen eigenen 
bejondern Angelegenheiten. Meine Familie war allzu groß, um mir 
die Beichäftigung mit Nebenjächlichkeiten zu geftatten; nicht eine Stunde 
verfloß, ohne daß meine Gedanken zu Stairs in Ipoto flogen oder meine 
Phantafie Vifionen von Barttelot und Jameſon jchuf, die, überwältigt 
von ihrer riefenhaften Aufgabe, ich durch den Wald fämpften, oder 
bejchäftigte ji mit dem den Paſcha umſchwebenden Geheimniß, den 
bösartigen Ziwergen, den mörderiichen Baleffe und ihrem Thun, oder 
der Nothwendigfeit, gegenwärtig jowie während der fommenden Monate 
Tag für Tag für Nahrung und Fleiſch zu forgen. 

Am 7. Februar maßen wir mit der Xotleine die Zuführungs- 
wege zu den Thoren des Forts aus, und mehrere Tage war der größte 
Theil der Garniſon beichäftigt, nach Often und Weſten breite gerade 
Straßen behufs raſchern Marſchirens und Teichterer Bertheidigung 
herzuſtellen. Mächtige Baumftämme wurden gefällt und zur Seite 
gerollt und die Wege gereinigt, jodaß man eine über die Straße lau— 
fende Maus auf 200 m Entfernung entdedt haben würde; über den 
wejtlich vom Fort fließenden Fluß wurde eine Brüde gebaut, welche 
es den Batrouillen ermöglichte, bei Nacht und bei Tage rajch jede 
der Pflanzungen zu erreichen. Man kann fich wohl denfen, welche 
Wirkung dieje Flut von Licht auf die verjchlagenen Eingeborenen hatte, 
die es vorzogen, fich in dem tiefen Schatten zu verbergen und hinter 
die riefenhaften Baumftämme zu friechen, um verftohlen eine Gelegenheit 
zum Angriff zu eripähen. Sie merften, daß fie an feiner Stelle über die 
Straße fchreiten fonnten, ohne die Zieljcheibe des Gewehrs einer Schild- 
wache zu bilden, und daß ihre Spuren jie den Patrouillen verrathen 
würden. 

Am nächſten Morgen ftellten wir eine 15 m hohe Flaggenftange 
auf, und als die ägyptische Flagge aufgezogen wurde, gejtattete ich 
den Sudanejen, fie mit 21 Schüſſen zu jalutiren. 

Kaum war die fleine Ceremonie vorbei, als am Ende der weit: 
fihen Straße ein Schuß abgefeuert wurde und der Poſten auf dem 
diefe Richtung beherrichenden Thurme ausrief: „Schiff in Sicht!“ 
Wir wußten jebt, daß die Naravane von Ipoto herankam. 

Dr. Parke war der erjte, welcher eintraf. Er jah wunderbar gut 
aus, dagegen kam Nelfon, dem die Füße Schmerzten, erjt eine Stunde 
jpäter an. Er war vorzeitig gealtert, feine Züge waren gefurcht und 


334 Dreizehntes Kapitel. [Fort Bodo 


hager, der Rücken gefrümmt, und die Beine jo jchwac wie bei einem 
achtzigjährigen Manne. 

Der nachitehende Bericht jpricht für jich jelbjt und beweift, daß 
der Aufenthalt dieſer Offiziere in dem Dorfe der Manjema größere 
Geiftesstärfe und mehr moralischen Muth erforderte, als wir bei un- 
jerm jtürmischen VBordringen durch das Grasland gebraucht Hatten. 
Sie hatten feine zu bejonderer Energie anregende Beweggründe, 
welche jie in der Zeit des Leidens, der phyſiſchen Erichöpfung, der 
Stranfheit und des ermüdenden Lebens unter den jchredlichen Leuten, 
den Manjema, aufrecht erhielten und ermuthigten, während wir von 
den Eindrüden der neuen Scenen, der bejtändig bis aufs höchite an- 
geipannten MHufregung, den Gemüthsbewegungen des Marjches und 
des Kampfes getragen wurden. Sie litten Tag für Tag Mangel an 
Lebensmitteln, während wir im Ueberfluß jchwelgten; die größte 
Schwierigkeit von allen war aber, alle von Ismaili, Chamis und 
Sangarameni, den Sklaven Kilonga-Longa's, de3 Sflaven des Abed 
ben Selim in Sanfibar, ihnen zugefügten Leiden mit Sanftmuth und 
Freundlichkeit zu ertragen. 


Bericht des Dr. T. H. Parke, Arzt der Erpedition. 


Fort Bodo, 8. Februar 1888. 
Geehrter Herr! 


Sch habe die Ehre, Ihnen nachſtehenden Bericht zu Ihrer Information 
zu überienden. Ihrem Befehle vom 24. Dctober 1887 gemäß blieb ich im Lager 
der Manjema, um die Aufficht über die bei Ihrem Abmarich am 28. October dort 
zurüdgelafjenen Invaliden und Laften bis zur Antunft der Entjakabtheilung,, die 
am 25. Januar 1888 erfolgte, zu übernehmen. Bon den von Jhnen im Lager 
zurüdgelafienen Jnvaliden waren 7 am 7. November jo weit wiederhergeftellt, daß 
jie mit Kapitän Jephſon weiter gejandt werden fonnten; die Zahl der übrigen 
wurde noch vergrößert durch das Eintreffen von Kapitän Nelion, feinen beiden 
Dienern und 3 Mann am 3. November, jowie durd den Anführer Umari’ und 
9 Mann, welche in verhungerndem Zuftande im Wald gefunden und am 9. Januar 
ins Lager gebracht wurden, ſodaß dort insgefammt 1 kranker Dffizier und 39 In— 
validen blieben. Hiervon find Kapitän Nelion und 16 Mann mit der Entiab- 
abtheilung abmaricdirt, 12 Mann befanden ſich auf der Suche nad Lebensmitteln 
unterwegs und jind daher in dem Manjema-Lager zurüdgelafien, und 11 Todes: 
fälle find vorgefommen. Dieje auferordentlich große Sterblichkeit wird Sie ohne 
Zweifel in Erjtaunen jegen, zumal da Diejelbe, ausgenommen in zwei Fällen, 
allein dem Berhungern zuzujchreiben it. Bon der Zeit Ihres Aufbruches vom 
Manjema-Lager bis zu unferm Abmariche am 26. Januar gaben die Häuptlinge 
den Offizieren wie den Mannichaften entweder wenig oder gar feine Xebensmittel ; 
diejenigen Leute, welche fräftig genug waren, um ein gutes Tagewerk zu voll: 
bringen, erhielten zu Yeiten bis zu 10 Kolben Mais pro Mann, allein da bie 


8. Febr. 1888.] Leben in ort Bodo. 335 


Arbeitenden nicht beſtändig beſchäftigt wurden, betrug ihre Durchſchnittsration an 
Mais nur 3 Kolben pro Tag. Die Invaliden, welche nicht zu arbeiten im Stande 
waren, und deren gab es ſehr viele, erhielten von den Häuptlingen nichts zu eſſen 
und waren daher gezwungen, ſich von Kräutern zu ernähren, Mit Rüdficht auf den 
jämmerlichen und geichwächten Zuftand aller dieſer Leute infolge von Entbehrungen 
und Krankheit werden Sie leicht begreifen, daß die herzloje Behandlung jeitens 
der Manjema-Häuptlinge ausreichend war, um jogar eine noch größere Sterblichkeit 
herbeizuführen. 

Die Leute waren jchlecht untergebracht und ihre jpärliche Bekleidung bejtand 
aus etwa einem halben Meter des aus Rinden verfertigten Stoffes der Eingeborenen, 
da fie ihre eigenen Kleidungsjtüde für Lebensmittel verfauft hatten; fie haben aber 
nicht nur die Schredniffe des Hungers erfahren, jondern wurden aud aufs grau- 
famfte und brutaljte von den Manjema behandelt, welche fie erit dadurch, daß fic 
ihnen die Nahrung vorenthielten, zur Begehung von Diebjtählen trieben, ihre 
Rüden dann mit Stöden wundpeitichten und in einem alle einen Mann (Asmani 
ben Haflan) wegen Diebjtahls mittels Speerwürfen tödteten. 


Kapitän Nelfon traf in jehr geſchwächtem AZuftande ein und bedurfte quter 
Nahrung und forgiamer Behandlung. Er beiuchte die Häuptlinge und machte 
ihnen hübſche Geſchenke im Werth von etwa 1500 Marf, um ihre Sympathien zu 
erwerben; doch fuhren die Manjema fort, den Offizieren und Mannichaften wenig 
oder gar feine Lebensmittel zu geben; fie behaupteten, es fei wegen der Verpro— 
biantirung Kapitän Nelfon’s feine Vereinbarung getroffen worden, und ebenjo 
wenig wegen meiner; was fie mir an Nahrungsmitteln jchidten, gäben fie nur 
aus eigener Großmuth her. ch verlangte, daß fie mir das mit Ihnen getroffene 
ichriftliche Abfommen zeigen jollten, was fie auch thaten; außerdem wieſen ſie 
mir ein in arabiicher Schrift aufgeießtes Uebereinfommen vor, das ich aber nicht 
lejen fonnte, Aus ihrem Gontract mit Ihnen erſah ich, daß jie veriprochen 
hatten, die Offiziere und Mannichaften, welche Sie zurüdlaffen würden, zu ver: 
probiantiren, und wandte mich deshalb nochmals an fie und machte ihnen Bor- 
ftellungen ; allein nichtsdeftoweniger lieferten fie uns weniger und immer weniger 
Lebensmittel, bis fie fchließlich uns gar nichts mehr geben wollten, angeblich weil 
fie feine hätten. Ihre Großmuth pflegte ihren Höhepunkt erreicht zu haben, wenn 
fie uns zwei oder drei Taſſen voll Maismehl jchidten, die Kapitän Nelfon, mic 
und die Diener ernähren mußten, bis nad 6 oder 7 Tagen die nächſte Gabe 
eintraf. Während der legten 7 Wochen haben wir überhaupt Teine Lebensmittel 
mehr von den Häuptlingen erhalten. Infolge ihrer Weigerung, uns Nahrung zu 
geben, waren wir gezwungen, zunächit unjere eigenen Nleidungsitüde und jchließlich 
8 der Erpedition gehörende Gewehre zu verfaufen, um uns und den Dienern etwas 
zu effen zu verichaffen. ch babe den Häuptling Jsmaili wiederholt an die Unter: 
redung erinnert, welche er am Abend, bevor Sie das Lager verliefen, in Ihrem 
Zelt mit Ihnen gehabt und bei der er verſprochen hat, nach den Dffizieren und 
Mannichaften, welche Sie zurüdliehen, zu fehen und für fie zu forgen. Obwol die 
Häuptlinge feine Lebensmittel hatten, um fie und dem Gontract gemäß zu liefern, 
beſaßen fie doch ftets im Weberfluß, wenn es galt, fie zu verfaufen, wobei fie den 
Zweck verfolgten, uns zur Hergabe der Waffen und Munition für Proviant zu 
zwingen. Ach ichide Ihnen eine vollitändige Liſte der Effecten, welche Kapitän 
Jephſon am 7. November meiner Aufficht übergeben hat und die bei Ankunft der 
Entjapabtheilung vollitändig vorhanden waren, mit Ausnahme der folgenden 
Segenitände: 2 Kilten Remingtonmunition und 1 Gewehr, welche von einem 


336 Dreizehntes Kapitel. [Fort Bodo 


Sanfibariten (Saraboto) geftohlen und, wie ich glaube, an die Manjenta-Häuptlinge 
verfauft worden jind. i 

Mehrmals ift der Verſuch gemadht worden, die Waffen, Kiften u. ſ. w. zu 
ftehlen ; in der Nacht des 7. November wurde die Hütte, in welcher das Gepäd ge: 
lagert war, in Brand geitedt in der Abficht, bei der infolge der Feuersbrunſt herr- 
ſchenden Verwirrung alles zu ftehlen, doch wurde diefer Traum ihnen vereitelt, 
weil Kapitän Nelion, der immer wachte, den hellen Schein jah und uns und unfere 
Diener früh genug alarmiren konnte, um das Teuer zu lölchen, che es das Ge— 
päd erreichte. Ich ließ dann Ihren Anmweijungen gemäß die Zelte aufichlagen, 
wozu ich, weil ich feine Hülfe hatte, früher nicht im Stande geweien war. Sämmt- 
lihe Gewehre, die Munition, Kiften u. f. mw. wurden zujammengepadt und Kapi- 
tän Nelion nahm das eine und ich das andere Zelt ein. Wir gaben uns alle 
Mühe, um das Stehlen der Sachen zu verhindern ; allein deſſenungeachtet wurden 
Kapitän Nelion die wollenen Deden von einem Diebe geitohlen, der fich von 
hinten ins Zelt geichlichen hatte. Bei einer andern Gelegenheit hörte ich Geräuich 
vor dem Helteingange und fand, als ich raih aus dem Bette jprang, 10 m 
entfernt eine Kifte Munition, welche aus meinem Zelte geftohlen war. Der Dieb 
entlam in der Dunfelbeit. 

Am Abend des 9. Januar hörte ich draußen ein Geräuſch und jchlich, da ich 
einen Diebjtahl vermuthete, Teile nadı dem Hintergrund des Zeltes, wo ich Cama— 
roni, einen Sanfibariten, dabei ertappte, als er ein Gewehr durch ein Zoch, welches 
er zu diefem Zwede in die Leinwand gejchnitten hatte, ftehlen wollte. Das Leben 
im Lager der Manjema war beinahe unerträglich. Abgejehen vom Hunger waren 
die Leute, ihr Benehmen und ihre Umgebungen von der niedrigiten Art, und der 
Platz war wegen der Haufen von Fäfaljtoffen und verfaulender Pflanzen, die 
man auf den Wegen und in der Nähe der Wohnftätten fich anfammeln ließ, ein 
Treibhaus für Krankheiten. Kapitän Nelfon war über zwei Monate durch Krant- 
heit ans Bett gefeflelt; ich befam eine Blutvergiftung und darauf die Role, 
welche mich fünf Wochen im Bette hielt. Während unjerer Krankheit jtatteten die 
Häuptlinge uns häufig Beſuche ab, aber jtets in der Abficht, etwas von dem, was 
jte in unferm Zelte fahen, zu verlangen, Ihre Habgier war grenzenlos, und fie 
ichlofien Uebereinfommen nur ab, um fie am nädjiten Tage wieder zu brechen. 
Nah der Ankunft Kilonga-Longa's und jeiner Truppe von 400 Perjonen, darunter 
Weiber, Kinder und Sklaven, wurden die Lebensmittel in Wirklichkeit fnapp, ſodaß 
die Manjema große Karavanen ausichiden mußten, um Proviant zu holen. Zwölf 
Sanfibariten, welche bei unjerm Abmarjch abwejend waren, begleiteten die Kara- 
vanen auf der Suche nach Lebensmitteln und waren, als ich das Lager mit der 
Entiagabtheilung verlieh, noch nicht zurüdgelehrt. Die Hungersuoth war eben vor 
unjerm Abmarſch jo groß, daß die eingeborenen Sklaven einen ihrer Gefährten, 
welcher fich eine Strede vom Lager entfernt hatte, um Waſſer zu holen, in Stüde 
hadten und verehrten. 

Zum Schluffe möchte id) noch erwähnen, daß Kapitän Nelion und ich alles 
Mögliche gethan haben, um ein gutes Einvernehmen mit den Häuptlingen und den 
Yenten der Manjema zu erhalten, und daß wir in freumdichaftlicher Weile von 
ihnen geichieden find. 

Dr. T. 9. Parke. 

Herren 9. M. Stanley, 

Befehlshaber der Erpedition. 


8. Febr. 1888.) Leben in Fort Bodo. 337 


Der Eontraft zwijchen den ſchwer mitgenommenen Leuten, welche 
aus jenem Treibhauſe der Leiden in Ipoto bei uns eingetroffen waren, 
und unjern wunderbar gejchmeidigen, glänzenden Burjchen, die mit nach 
dem Albert-See gezogen, war ein jehr bemerfenswerther. Bei jenen war 
das Fleiſch abgemagert, die Muskeln waren eingejchrumpft, die Sehnen 
erichlafft und die die Einzelnen unterjcheidende Individualität jo voll- 
jtändig verſchwunden, daß es ſchwer war, fie wiederzuerkennen. 

Am 12. Februar trafen Lieutenant Staird und jeine Colonne mit 
allen Theilen des Bootes in guter Ordnung ein; er. war 25 Tage 
fort gewejen und hatte jeine Mifjion, unter genauefter Befolgung feiner 
Inſtructionen und ohne aud) nur einmal von denjelben abzumweichen, 
zur Ausführung gebradit. 

Der Abend diefe8 Tages war von Bedeutung wegen einer Dis- 
cujfion, welche bezüglich unjerer zufünftigen Schritte fich zwiichen den 
Anführern und uns entipann. Ich fand nämlich, daß die An— 
führer einftimmig dafür waren, nad) dem Njanfa zu gehen, das Boot 
zu Waſſer zu bringen und nad) Nachrichten von Emin zu forjchen. Ich 
hegte den ebenjo großen Wunſch, Mittheilungen von dem Paſcha zu 
erhalten; Ddejjenungeachtet glaube ich, daß es nur einer Kleinigkeit 
bedurft hätte, um mich zu veranlafjen, die Nachforichung nad) dem 
Paſcha aufzugeben, um Müttheilungen von Major Barttelot zu er: 
halten; allein Offiziere und Mannjchaften waren vollftändig überein- 
jtimmend in ihrem Verlangen, den Schleier von dem Scidjal Emin 
Paſcha's zu lüften. Schließlich famen wir zu einem Compromiß. Wir 
beichloffen nämlih, an Major Barttelot Boten mit unjern Briefen, 
einer Skizze von unjerer Route, jowie jonjtigen Bemerkungen zu jenden, 
welche ihm von Nuten fein könnten; und ferner, daß Lieutenant Stairs 
nad) zweitägiger Raſt die Boten bis nad der Station Ugarrowwa's 
begleiten und jicher über den Fluß escortiren, bei der Rüdfehr aber die 
Genefenden mitbringen jollte, welche, als zu ſchwach für den Weiter- 
marſch, am 18. September dort untergebracht worden waren. Damit 
Lieutenant Staird ebenfalld „an der Ehre, bei dem Entjage Emin 
Paſcha's zugegen zu fein‘, theilnehmen könnte, wollten wir bis zum 
20. März auf ihn warten und in der Zwiſchenzeit die Arbeit an unjerer 
Mais: und Bohnencultur fortjegen, um jeden Mangel an Lebensmitteln 
während unjers Aufenthalts im Walde zu verhüten. 

Die Entfernung zwifchen Fort Bodo und Ipoto betrug 127 km*, 


* 127 km auf einem und 135 km auf einem andern Wege. 
Stanley, Im dunkelſten Airifa. IL 22 


338 Dreizehntes Kapitel. (Fort Bodo 


die Reife hin und zurüd alfo 254 km. Zu der ganzen Reife hatte 
Lieutenant Stairs 25 Tage gebraucht, was eine Durchichnittsgejchwindige 
feit von 10, km im Tag ergibt. Er hatte jedody Ipoto ſchon in 
7 Tagen erreicht; Jephſon und Uledi hatten diejelbe Entfernung in 
der nämlichen Zeit zurücigelegt, d. 5. mit einer täglichen Gejchwindigfeit 
von etwas über 17°, km. Da nun Ugarrowwa 167 km Hinter Ipoto 
lag, aljo 294 km von ‘Fort Bodo entfernt war, jo rechneten wir, 
daß Stairs die 588 km lange Reife, welche er zu unternehmen im Be— 
griffe ftand, in 34 Tagen mit einer Gejchwindigfeit von ungefähr 
17 km täglich werde machen fünnen. Das wäre ein ganz vorzüglicher 
Marſch gewejen, namentlich im Walde, aber da verjchiedene Umftände 
die Zeit in die Länge ziehen fonnten, jo famen wir überein, daß wir 
nach dem Aufbruch zum Njanja am 25. März, da die Beförderung des 
Bootes ohnehin kurze Tagemärjche erforderlich machte, uns nur langjam vor= 
wärts bewegen wollten, um Stairs Gelegenheit zu geben, ung einzuholen. 

Bei der Mufterung am Morgen des 16. Februar erklärte ich den 
Leuten, daß ich 20 der Allerbejten als Freiwillige brauchte, um unjere 
Briefe an Major Barttelot zu befördern, und zwar follte jeder derjelben, 
wenn e8 ihnen gelänge, den Genannten zu erreichen, 10 Pfd. St. Beloh- 
nung erhalten. ‚Denn‘, jagte ich, „ihr habt euch alle in der Abficht ver- 
einigt, daß wir zuerft den Bajcha aufjuchen jollten. Gut. Aber ich bin in 
ebenjo großer Sorge um den Major wie um den Paſcha. Wir müſſen 
beide finden. Ihr, die ihr noch nicht vergejlen habt, was wir ge= 
fitten haben, müßt begreifen, wie dem Major und feinen Freunden 
in jenem jchredlichen menjchenleeren Walde zu Muthe ift, wo fie feine 
Idee davon haben, wohin fie gehen und was ihrer noch wartet. Ihr 
wißt, wie dankbar wir gewejen wären, wenn wir jemand getroffen 
hätten, der uns vor dem ung bevorjtehenden Hunger und Elend hätte 
warnen können. Deshalb muß jeder der Freiwilligen von allen als 
der geeignetjte für diefe edle Aufgabe anerfannt werden. Herr Stairs, 
den ihr alle als einen Mann fennt, der nie ermüdet und nie «genug» 
jagt, wenn noch etwas geichehen muß, wird euch den Weg bis zu 
Ugarrowwa zeigen und dafür jorgen, daß ihr mit Lebensmitteln und 
genügenden Patronen verjehen über den Fluß gejett werdet. Wenn 
ihr aufbrecht, müßt ihr euch auf unferer alten Straße, die ihr nicht 
verlieren fünnt, halten und eilen, al3 ob ihr um einen hohen Preis 
um die Wette laufen jolltet. Dieje Briefe müſſen den Händen des 
Majors übergeben werden, damit er gerettet werden kann. Wo find die 
Funfzig⸗Dollars⸗Leute?“ 


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340 Dreizehntes Kapitel. [Fort Bodo 


Selbitverftändlich find die Sanfibariten bei jolchen Gelegenheiten 
leicht zu Enthuſiasmus angeregt, und jeder betrachtet ſich al8 Helden. 
E3 traten mehr als 50 Mann vor, welche jeden herausforderten, etivas 
gegen ihre Mannhaftigkeit und ihren Muth zu jagen; doch wurden 
fie von ihren Gefährten und Offizieren einer prüfenden Kritik und 
ſcherzhaften Unterfuchung unterzogen und bezüglich ihres Muthes, ihrer 
Kraft, Ausdauer, Behendigkeit, Neigungen, Stärke, Gejundheit an 
Körper und Geift befragt, bis endlich 20 Mann den Befehlshaber und 
die Leute befriedigten und ihre Nationen erhielten. Sie wurden in 
der Lifte derjenigen, welche bei der Rückkehr nad) Sanfibar für aus- 
gezeichnete Dienfte mit verjchiedenen Geldjummen außer ihrem Gehalt 
belohnt werden jollten, bejonders erwähnt. Um 9 Uhr trat Lieutenant 
Staird mit Hühnern, Ziegen und Proviant an Mais und Bananen- 
mehl die lange Reife nach Ivoto und zu Ugarrowwa an. 

Am 18. Februar entiwidelte fi in meinem linken Arm, der mich 
ihon ſeit vier Tagen jehr gefchmerzt hatte, eine drüſenartige An— 
ichwellung, welche, wie der Arzt jagte, fi) als ein Abſceß erweiſen 
würde. 

Folgendes ift meinem QTagebuche entnommen: 

19. Februar bis 13. März. Am 19., Sonntag abends, wurde ich 
von einer Magenentzündung befallen, die von Dr. Parke al3 fubacute 
Gajtritis bezeichnet wurde und jo heftiger Natur war, daß ich während der 
erſten Woche nur eine verworrene Erinnerung von großen Schmerzen im 
Arm und Magen und allgemeiner Unbrauchbarfeit habe. Dr. Parfe 
war außerordentlich eifrig in der Sorge um meine Bedürfniffe und 
bei jeiner Pflege jo zart wie ein Weib. Zum erjten mal in meinem 
Leben ftand jede Seele um mich herum zu meinen Dienften und 
war ich bei Tag und Nacht Gegenftand allgemeiner Sorge. Meine 
treuen Freunde Parke und Jephſon pflegten mi. Der arme Nelſon 
war jelbft ein Opfer von Krankheit, Fieber, Schwäche, Hautanschwellungen 
und Gejchwüren, den Folgen feiner jchredlichen Leiden im Hungerlager, 
doc) pflegte auch er, jchtwanfend vor Schwäche, zu mir zu kommen, 
um mir feine Sympathie auszudrüden. Nachmittags geftattete Der 
Doctor den Anführern mich zu bejuchen, damit fie den beforgten Sanfi- 
bariten ihre perjönlichen Anfichten und Eindrüde von meinem Falle 
übermitteln fünnten. Während dieſer 23 Tage bin ich meijtens unter 
der Einwirkung von Morphium bewußtlos geweien. Doc bin ich jebt 
in langjamer Wiederherjtellung begriffen. Vor zwei Tagen ift der 
Abſceß, der jehr groß geworden war, gejchnitten und bin ich von dieſem 


19. Febr. 1888.) Leben in Fort Bodo. 341 


Schmerz befreit worden. Im der ganzen Zeit bejtand meine tägliche 
Koft nur aus einem Viertelliter mit Wafjer verdünnter Milch, die wir 
der Balegga-Kuh verdanften. Ich bin daher jo ſchwach, daß ich mich 
faum bewegen fann. 

Während meiner Krankheit habe ich wieder zwei gute Leute ver- 
foren, Sarmini und Kamwaija, welche durch Pfeile getödtet worden 
find, während einer der Anführer jchwer verwundet wurde. Dies ge- 





Die Königin der Zwerge. 


ſchah auf einer Patrouillentour zum Ihuru, etwa 26 km gerade nördlid) 
von hier. Uledi hat mit feiner Truppe entdedt, daß die Lager der 
Zwerge und größerer Eingeborenen, welche unjere Bananenpflanzungen 
plündern, ſich bei Alefje und Nderi, 26 km öftlic von hier, befinden. 

Ih fand, daß Uledi eine Königin der Zwerge, die Frau des 
Häuptlings von Indefaru, gefangen genommen hat. Als man fie 
mir zur Befichtigung vorführte, trug fie drei Ringe aus polirtem 
Eifen um den Hals, deren Enden nad) Art einer Uhrfeder aufgeroflt 


342 Dreizehntes Kapitel, [Fort Bodo 


waren, fowie drei Ringe an jedem Ohr. Sie hat eine Hellbraune 
Hautfarbe, ein breites, rundes Geficht, große Augen und Fleine, aber 
volle Lippen. Ihr Benehmen ift ruhig und bejcheiden, obwol ihre 
Kleidung nur aus einem jchmalen, gejchligten Streifen aus Birken— 
rindenftoff befteht. Sie ift etwa 1,32 m groß und vielleicht 19 oder 
20 Jahre alt; wenn fie die Arme gegen das Licht hält, bemerkt man 
einen weißlich=braunen Flaum auf denſelben. Die Haut fühlt fich 
beim Berühren nicht jo glatt und feidenartig an, wie bei ben 
Sanfibariten. Alles in allem ift die Frau ein fehr nettes, Feines 
Geſchöpf. 

13. März bis 1. April. Gegen den 25. März war ich wieder 
ſo weit hergeſtellt, daß ich einige hundert Meter weit auf einmal gehen 
konnte. Der Arm war mir noch ſteif und ich fühlte mich außer— 
ordentlich ſchwach. Nelſon hat ſich von jeinen anhaltenden Krank— 
heitsanfällen etwas erholt. Während meiner Genejung half man mir 
jeden Nachmittag nach der Mitte einer aus hohen Bäumen gebildeten 
Eolonnade, durch welche unjere Straße nad dem Njanſa führt und 
wo ich in einem Lehnjeffel die Zeit mit Leſen und Träumen ver- 
brachte. 

Während man mir nach meinen Laubarcaden half, war es täglich 
mein Vergnügen, die raſche Veränderung des Wachsthums des Getreides 
auf den Feldern zu beobachten und zu ſehen, welche Eingriffe wir 
auf den Wald machten. Unſer in Cultur genommenes Gebiet behielt, 
nachdem es geſäubert, aufgehackt und bepflanzt war, nicht lange 
ſeine braune, kahle, nackte Oberfläche. Eines Tages grünte es von 
jungen Maisblättern, die wie auf Commando zu Tauſenden aus 
der Erde geſproſſen waren. Geſtern vielleicht blickten wir noch lächelnd 
auf die zarten weißen Stengel, die ſich wie eine Feder unter den 
langſam ſich hebenden Erdſchollen bogen, und jetzt ſind die letztern 
zur Seite geſprengt, die gekrümmten Stengel in die Höhe geſprungen 
und die jungfräulichen Pflanzen haben ihre zarten grünen Köpfe ent— 
faltet. Tag für Tag wundert man ſich, wie das Korn gedeiht und wächſt, 
mit welcher Gewalt die Stengel ſich verdicken, blattreicher und dunkler 
grün werden. Seite an Seite in gehöriger Entfernung und Ordnung 
ſind ſie emporgeſchoſſen, die Blätter haben ſich untereinander in liebender 
Umarmung verſchlungen, bis das Ganze ein ſolides vierſeitiges Korn— 
feld geworden iſt, deſſen Rauſchen wie das ſchwache Getöſe eines 
fernen Meeres klingt, das ſeine Wellen über den mit Kieſeln bedeckten 
Strand rollt. 


13. Mär; 1888.) Leben in Fort Bodo. 343 


Andächtig horche ich auf diefe Mufif, während mein ärztlicher 
Freund nicht weit von mir figt und mich bewacht und an jedem Ende 
der Allee Schildwachen jtill auf ihrem Poſten jtehen. Ueber den 
Wald weht eine janfte Brije, welche das Getreide füchelt und ein 
allgemeines Schütteln und Wogen dejjelben verurjacht, und fißend 
beobachte ich, wie die Halmjpigen mit dem leijen lieblichen Geräusch 
zahlreicher kleiner Wellen fich hübjch und anmuthig hin- und herſchwin— 
gen, niden und fich gegenjeitig grüßen, bis die Schläfrigfeit mich 
überfommt und meine Sinne umfängt und der Schlummer mich ins 
Neich der Phantafie entführt. Wenn die Sonne tief im Weften fteht 
und ihre Strahlen mit milden Schein horizontal auf das Unterholz 
fallen, Hilft mein freundlicher Arzt mir wieder auf die Füße und 
ftügt mich, während das Korn mir mit tanzender Bewegung und 
anmuthigem Wogen Lebewohl jagt, bevor ich nach dem Fort zurück— 
wanfe. 

In dem warmen, fruchtbaren Boden ift das Getreide ruckweiſe 
gewachien, bis es eine erjtaunliche Höhe erreicht hat und jo hoch ge— 
worden ift, wie das Unterholz des Waldes. Noch vor wenigen 
Wochen juchte ich zwijchen den Erdichollen nad) Anzeichen des Sproj- 
jens, etwas jpäter hätte man dort noch eine davonlaufende Maus 
jehen fünnen; vor einigen Tagen war das Getreide bruſthoch und heute 
muß ich Hinaufbliden, vermag faum noch mit einem anderthalb Meter 
langen Stode die Spiten der rappierförmigen Blätter zu berühren, 
und eine ganze Heerde Elefanten Fünnte ungejehen unter demjelben 
ftehen. Das Korn hat ſchon geblüht; die großen, jchwellenden Achren 
liegen behaglich in ihren zahlreichen Scheiden und veriprechen eine 
reiche Ernte, und ich bin außer mir vor Freude bei dem Gedanken, 
dak während meiner Abwejenheit fein Grund zu Beſorgniß für die 
Zukunft ift. 

Ich bin entſchloſſen, morgen mit dem Boote den Marich nad) 
dem Njanja anzutreten. Dies iſt der 46. Tag von Stairs’ Ab— 
wejenheit. Ich habe 20 Boten, von denen einer jpäter zurüdgefehrt 
ist, an Major Barttelot abgejandt. Staird und jeine perjönlichen Be— 
gleiter zählten fieben PBerjonen. Ich werde 49 im Fort zurüdlafien; 
einschließlich Nelfon werden 126 Mann da fein, um das Boot nad) 
dem Njanja zu begleiten. Insgefammt find von den 389 Mann der 
Borhut noch 201 übrig, außer den Genejenden, welche vielleicht bei 
Ugarrowwa mitgenommen werden fünnen. 

Tippu-Tib ist offenbar treulos geweien und der Major macht 


344 j Dreizehntes Kapitel. [Fort Bodo 


deshalb, Hunderte von Kilometern hinter uns, doppelte Märjche. Die 
19 Boten eilen ihm entgegen und befinden fich jebt vermuthlich 
dem Nepofo gegenüber, während Stair® nod jo viele an Geſchwü— 
ren leidende Invaliden gefunden hat, daß er nicht rajch vorwärts 
fommen kann. Mit 126 Mann verjuche ich zum zweiten male den 
Entſatz Emin Paſcha's. Die Garnijon befteht aus allen denen, welche 
infolge von Schwäche, Blutarmuth (bei den Leuten, welche Neljon’s 
Leidensgefährten im Hungerlager waren) und Beinwunden, von denen 
einige vollftändig unheilbar find, leiden. 


——* 


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* — 
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Im Innern von Fort Bodo. 


Die um das Fort ausgeführten Arbeiten find umfangreich). 
Nelfon hat einen uneinnehmbaren Pla; die Korn und Bohnenfelder 
gedeihen. Heute habe ich das erfte Gericht Bohnen gegellen. Die 
Bananenbäume jcheinen unerjchöpflich zu fein. 

Auf beiden Seiten reichen unſere breiten Straßen etwa °/, km 
weit. Die Pflanzungen werden jeden Morgen von 10 Kundjchaftern 
abpatrouillirt, Damit die bösartigen Zwerge die VBorräthe der Garnijon 
nicht zerftören und die Eingeborenen nicht einen plößlichen Angriff 
auf die auf den Feldern bejchäftigten Arbeiter machen fünnen. 

Dr. Parke begleitet uns auf feinen eigenen dringenden Wunjch 
morgen nad) dem Njanſa. Obwol jein Pla unter den Invaliden im 
Fort ift, gibt es dort feine, welche größerer Aufmerkjamfeit be— 


1. April 1888.) Leben in Fort Bodo. 345 


dürfen, als Kapitän Nelfon ihnen durch feine Diener zutheil werden 
faffen fann, denen wir die Kunft gelehrt haben, die Wunden mit 
in Wafjer verbünnter Carbolfäure auszumwajchen. 

Unſere Leute pflegten ſich Sonntags mit militäriichen Evolutio- 
nen nach der Methode des General3 Mathews in Sanfibar zu amu— 
firen; fie find jo vorzügliche Schaufpieler, daß fie jogar jeine Stimme 
und Geberden getreu nachahmen. 

Das Leben in Fort Bodo war im großen und ganzen nicht un— 
angenehm, außer für Kapitän Nelfon und mich. Nichtsdeftorweniger 
haben wir uns gegrämt und find nie frei von Sorge um den Aufent- 
halt und das Schickſal unferer Freunde geweſen; auch hatten wir den 
dringenden Wunjch, zu marjchiren und etwas zur Beendigung unjerer 
Arbeiten zu thun, allein es treten beftändig allerlei unvorhergejehene 
Umftände ein, welche unjere Abfichten durchkreuzen. Wir find daher 
beftrebt gewejen, jede müßige Stunde dazu zu verwenden, unbejchränfte 
Vorräthe von Lebensmitteln zu jchaffen, in der Hoffnung, daß das 
Glück fi) einmal zu unſern Gunjten wenden und Barttelot, jowie 
unfere Freunde Jamefon, Ward, Troup und Bonny mit ihrer Heinen 
Armee von Leuten vor unſerer zweiten Rückkehr vom Nijanja nad) 
Fort Bodo bringen möge. 


Vierzehntes Kapitel. 


Zum zweiten mal nad dem Albert:Njanfa. 


Schwierigkeiten mit dem Stahlboot. — Bericlagenheit der Waldbewohner. — 
Gefangennahme von Zwergen und Bejchreibung derjelben. — Uebergang über 
den Ituri-Fluß. — Dr. Parke's Entzüden beim Berlafien des Waldes. — Lager 
bei Beſſe. — Wiß der Sanfibariten. — Wieder auf dem Niera Kum Hügel. — 
Berfehr mit den Eingeborenen. — „Malleju” oder der „Bärtige‘, die erſten Nach— 
richten von Emin. — Beſuch Maſamboni's und jeiner Begleiter. — Jephſon unter: 
wirft fich der Ceremonie der Blutsbrüderichaft mit Majaınboni. — Die Mebicin- 
männer Neftor und Murabo. — Die Stämme des Kongo. — Beſuch des Häupt- 
lings Gavira. — Ein Wahuma-Häuptling. — Die Bapira- und Wahuma-Rafien. — 
Die verichiedenen Gefichtszüge in Afrika. — Freundichaft mit Mpinga. — Gavira 
und der Spiegel. — Das erponirte Ujanfa. — Anfunft in Kavallii. — Der 
Häuptling übergibt mir Malleju'3 Schreiben. — Emin’s Brief. — Jephſon und 
Parke bringen das Stahlboot nad dem See. — Abjchrift meines durch Jephſon an 
Emin gejandten Schreibens. — Freundichaftliche Beſuche der Eingeborenen. 


Am 2. April 1888 marſchirten wir gegen Mittag, nachdem der 
Sprühregen aufgehört hatte, aus dem Fort, um zum zweiten mal den 
Berfuch zu machen, den Paſcha aufzufinden oder das ihn umgebende 
Schweigen zu durchdringen. Wir hatten das Stahlboot jet in feine 
12 Abtheilungen zerlegt und entdedten, da der Bug und das Hed 
ziemlich breit waren, ſehr bald, daß wir unjere Werte und Haumeſſer 
jehr viel würden gebrauchen müffen, um mit diefen Bootstheilen zwischen 
den Bäumen hindurchzukommen. Die mit Kijten, Ballen und Gepäd 
Beladenen der im Gänſemarſch marjchirenden Karavane würden feine 
Schwierigkeiten finden; die jchmälern, nur 61 cm breiten Theile fonnten 
ohne Mühe durchpaffiren, dagegen klemmten fich der pflugförmig ge 
ftaltete Steven und das Heck bald zwiſchen zwei koloſſalen Bäumen ein, 
jodaß wir gezwungen waren, umzufehren und einen Umweg durch das 
Gebüjch zu machen, was nicht geichehen konnte, ohne zuvor einen Durch— 
gang zu bahnen. Es wurde uns daher far, daß unjer zweiter Marſch 
durh den Wald nad) dem Njanſa einige Tage mehr in Anſpruch 
nehmen würde, 


4. April 1888.) Zum zweiten mal nad dem Albert-Njania. 347 


Die Borhut, welche den Pfad genau prüfte und alle rummen Wege 
und Schliche der Zwerge und Eingeborenen vollftändig kannte, fand 
manche geichieft auf dem Wege verborgene Holzipigen auf. An ein- 
zelnen Stellen waren fie zahlreich) unter einigen Phryniumblättern 
oder am Fuße eines Baumjtammes verborgen, über den der Wanderer 
wie über einen Steg himmwegjchreiten konnte, um fich einen mit Wider: 
hafen verjehenen und mit dunkelm Gift bejchmierten Holziplitter tief 
in den Fuß zu ſtoßen. Allein wir waren jest mit den Künften der 
verichlagenen afrikaniſchen Waldbewohner wohlbefannt, und die Ein— 
geborenen in der Erfindung von Mitteln nicht jo geſchickt, als daß fie 
neue Methoden zu unjerer Beläftigung und Störung gefunden hätten. 

Unfer nächſter Rajtplat war das Zwergendorf an der Flußüber— 
gangsitelle, und am 4. April erreichten wir Indemwant. Am nächften 
Tage marjchirten wir bis zu einem andern Dorfe, wo e8 Saat Tato 
und einigen Gefährten beim Sammeln der Früchte in einem nahen Hain 
von Paradiesfeigenbäumen gelang, ein paar prächtige Eremplare der 
Zwerge gefangen zu nehmen. Wir befamen 4 Frauen und 1 Knaben, 
bei denen ich zwei verjchiedene Typen unterjchied. Die eine gehörte 
offenbar derjelben Raſſe an, welche als Akka bejchrieben werden, und 
hatte kleine, jchlaue, tiefliegende und nahe zufammenftehende Affenaugen. 
Die vier andern bejaßen große, runde, volle, vorjtehende Augen, breite, 
runde Stirn und rundes Geficht, Heine Hände und Füße, etwas vor- 
jtehende Kinnladen, wohlgeformte, wenn auch jehr kleine Figur und 
badjteinartige farbe. „Halbgeröſteter Kaffee‘, „„Chocolade‘‘, „Cacao“ 
und „Milchkaffee find Bezeichnungen, welche die Farbe nicht genau 
wiedergeben, vielmehr wirde der gewöhnliche rothe Ziegelftein in halb— 
gebranntem Zuſtande derjenigen des Körpers diejer Heinen Leute am 
beften entjprechen. Saat Tato meldete, daß etwa 20 von ihnen Die 
PVaradiesfeigen der Eingeborenen von Indepuja geplündert hätten, die 
vermuthlich nur durch das Gerücht von unjerer Amwejenheit im Walde 
an der Vertheidigung ihres Eigenthums verhindert wurden, Das 
affenäugige Weib hatte ein Baar merhvürdige unheilverfündende Mugen, 
über das Kinn hängende Lippen, vorftehenden Unterleib, fchmalen, platten 
Bruftkaften, hängende Schultern, lange Arme, ftark einwärts gebogene 
Füße und jehr kurze Unterichenfel, wie fie dem lange gejuchten Gliede 
zwijchen dem modernen Durchſchnittsmenſchen und feinen darwiniſtiſchen 
Vorfahren charakteriftiich fein dürften. Sie verdiente entjchieden als 
ein außerordentlich niedriger, entarteter und fast thieriicher Typus menjch- 
licher Weſen Eaffifieirt zu werden. Won den übrigen war die eine 


348 Vierzehntes Kapitel. (Mande 


offenbar Mutter, obwol fie das 17. Jahr noch nicht erreicht haben 
fonnte. An den Proportionen ihrer Gliedmaßen war fein Fehler zu 
entdeden, die Hautfarbe war hell und gejund, die Augen. waren glän- 
zend, rund und groß; die Oberlippe zeigte den jeltfamen Schnitt der 
Wambutti, den wir auch an dem Mädchen bei Ugarrowwa und der 
Frau des Häuptlings von Indekaru bemerkt hatten. Der obere Rand 
der Lippe biegt fich fteil nach oben und fällt wieder ſenkrecht ab, ſo— 
daß die Linie einem geſchickten Zidzadichnitt ähnelt, wobei die Haut 
gekräufelt iſt, als hätte fie fich etwas zufammengezogen. Ich glaube 
dies als ein bejonderes Charafteriftifum der Wambutti bezeichnen zu 
fünnen. Die Farbe der Lippen war blaßroth; die Hände waren Hein, 
die Finger zierlich und lang, aber mager und runzelig, die Füße 
maßen 18 cm und die Größe betrug 1,32 m. 

Die Proportionen diejer jugendlichen Mutter waren jo regelmäßig, 
daß fie anfänglich wie eine jehr Heine Frau erjchien, die infolge zu 
frübzeitigen gejchlechtlichen Verkehrs oder eines andern zufälligen Um— 
itandes im Wachsthum zurücgeblieben war; allein als wir einige 
unferer Sanfibaritenfnaben von 15—16 Jahren und eine Frau der 
aderbautreibenden Eingeborenen neben fie ftellten, ſah doch jeder, daß 
diefe fleinen Geſchöpfe eine bejondere Raſſe bilden. 

Drei Stunden Hinter diefem großen Wambutti = Dorfe — 
wir bei Sprühregen Barikunga. 

Am 8. April kamen wir nach Indepeſſu und zwei Tage fpäter 
wanderten wir in öftlicher Richtung dem Fuße des Pisgah entlang 
auf einem neuen Pfade, welcher uns durch die feinen Dörfer von 
Mande nach dem Jturi führte. Die Eingeborenen von Mande und 
den Abhängen des Pisgah waren fämmtlich mit ihrer beweglichen Habe 
geflohen und warteten in der Zuverficht, außer unſerm Bereich zu fein, 
am linfen Ufer des Fluſſes das Weitere ab. Als wir in Sicht des 
rechten Ufers kamen, war ich von der hellbraunen Mafje der Krieger, 
die fich gegen die dunfelgrüne Vegetation im Hintergrunde fcharf abhob, 
ganz überraicht. Wären fie von der Farbe der Sanfibariten geweien, 
jo würden fie eine faſt ſchwarze Maſſe gebildet haben, fie glichen jedoch) 
an Farbe den aus oderigem Thon bejtehenden Ufern des Fluſſes. 
Sie ſchoſſen über den hier etwa 140 m breiten Strom Pfeile auf 
und ab, von denen einige zu kurz fielen und andere mehrere Meter 
vorbeiflogen. Als wir dann unſererſeits erwiderten, entftand eine 
allgemeine wilde Flucht. Anderthalb Stunden jpäter war die Erpedition 
mittel$ des Bootes am jenfeitigen Ufer des Ituri, wo die Vorhut ein 


10. April 1888] Zum zweiten mal nach dem Albert-Njanja. 349 


Päckchen reines einheimisches Salz im Gewicht von 5 kg auffand, 
das die Eingeborenen bei ihrer Flucht verloren Hatten. Salz war 
ein ung ſehr dringend nothwendiges Gewürz, und wir waren Daher 
jehr erfreut über die Beute. Wir befanden uns nun im Gebiet der 
Bakuba in der Nähe von Kandefore, einer der reichjten Lichtungen 
im Walde des Oberfongobedens,. Am Uferrande befanden wir ung 
915 m über dem Mleeresipiegel. 

Nah 3", ftündigem Mariche vom Ituri kamen‘ wir aus dem 
Walde heraus; wiederum überrajchte uns der Uebergang vom be- 
ftändigen Zwielicht zum hellen Sonnenjchein und blauen Himmel, und 
wir alle lächelten, al3 wir die Wirfung derjelben auf die Nerven um- 
ſers fanften Freundes und Gefährten beobachteten, des erjten Sohnes 
Erins, der je die Grasländer diejer Gegend gejehen hat. Es war 
dies der 289. Tag, welchen Dr. Barfe im Walde verlebt hatte, und die 
Wirkung diejes plößlichen Heraustretend aus dem traurigen Schatten 
in den Anblid des von der grünen Erde bis zum hellen glänzenden 
Himmelsgewölbe erweiterten Panoramas machte ihn vor Entzüden 
zittern. Ein Champagnerfeft hätte feine Wangen nicht tiefer färben 
fünnen, als es die fich jetzt bietende aufheiternde Ausficht that. 

Kurz bevor wir den Wald verließen, paffirten wir auf unſerm 
Wege eine Stelle, wo ein Elefantenipeer zu Boden gefallen war und 
ſich fo tief eingebohrt hatte, daß drei Mann nicht im Stande waren, 
ihn wieder herauszuziehen. Eine ſolche Kraft hätte nach unjerer An- 
fit einen Elefanten jofort tödten müſſen. 

Während ich nachmittags von unjerm erften Lager im Weideland 
eine Skizze des Berges Pisgah zeichnete, bemerkte ich, daß von Nord- 
weiten her eine Wolfe heranzog und den ganzen Wald jenjeit des 
Berges mit ihrem tiefen Schatten bededte, während die wellenförmige 
Ebene noch von der glühenden Sonne bejchienen wurde. leid) dar- 
auf fam eine zweite Wolfe von Südojten um das jüdliche Ende der 
Majamboni- Kette herum, welche immer weiter vordrang, ſich über 
den blauen Himmel verbreitete und fich mit der Wolke iiber dem 
Walde vermijchte, worauf es zu regnen beganın. 

In der Höhe von 975 m über dem Meeresipiegel liegt das Dorf 
Beſſe, 7 Stunden Marich vom Ituri entfernt. Obwol es noch früh 
am Vormittage war, jchlugen' wir doch das Lager auf, da der Ueber: 
fluß an völlig reifen Bananen, Mais, Geflügel, Zuderrohr und Ba— 
nanenwein gar zu verführerich und die Entfernung nad) den nächjten 
oftwärt3 gelegenen Dörfern uns nicht befannt war. Während wir 


350 Vierzehntes Kapitel. [Niera Kum 


mit der Herftellung unferer Quartiere beichäftigt waren, fand ein 
ziemlich lebhaftes Scharmügel ftatt, bei welchem Fetteh, der einzige 
Dolmeticher bei den Stämmen der Ebene, oberhalb de3 Magens ver: 
wırndet wurde. Die Babeſſe verjuchten verfchiedene Mittel, um uns 
zu beläftigen, wobei fie durch das lange Gras begünftigt wurden; 
allein da wir an den Enden ihres Dorfes Scharfihügen pojtirt 
hatten, erfannten fie jehr bald, daß wir ihre Taftif durchichaut hatten, 
und verloren dadurch ihren Muth. 

Durch Vermittelung eines Eingeborenen von Uganda hatten wir 
ein Geſpräch mit einem der Dorfbewohner, der unter anderm jagte: 
„Wir find vollftändig überzeugt, daß ihr Schwarzen auch Gejchöpfe 
jeid wie wir, aber was iſt es mit euern weißen Häuptlingen ? 
Woher kommen fie?‘ 

„Do“, ermwiderte unjer Mann mit wunderbarer Bereitwilligteit 
zum Lügen, „ihre Gefichter ändern ſich mit der Geburt eines jeden 
Mondes; wenn der Mond voll ijt, wird ihre Farbe jo dunfel wie 
die unferige. Sie find anders wie wir, da fie urfprünglich von oben 
herabfamen.‘ 

„Ad, wahrhaftig, das muß wol jo jein“, entgegnete der erftaunte 
Schwarze, während er aus Höflichfeit den vor Verwunderung weit 
aufgejperrten . Mund mit der Hand bededte. 

Je mehr wir von der Sprache dieſer Eingeborenen verjtanden, 

defto mehr wurden wir von der Gewißheit einer gemeinfamen Ab— 
ſtammung überzeugt. Wie konnten Leute wie diefe je von etwas wie 
Witz gehört haben. Ein Sanfibarite hatte einen Eingeborenen, der 
gegen ihn getaumelt war, ärgerlich geicholten: 

„Einen ſolchen Narren wie du gibt e8 ficherlich nirgends mehr.“ 

Er fand aber mehr als feinen Mann, denn ich hörte, wie der 
Eingeborene mit wohlwollendem Lächeln erwiderte: 

„Sa, du bift es, der allein die Weisheit beſitzt.“ 

„Ah, aber du bift die Schlechtigfeit ſelbſt.“ 

„Sch kann das nicht leugnen, denn alle Güte ift bei dir.“ 

Bei einer gewiſſen Klafje von Leuten ift es Gebraud, daß, wenn 
jemand der Vorwurf gemacht wird, unartig gewejen zu jein, er dem 
Ankläger jagt, er jei ein Gentleman; man muß aber zugeben, daß diefe 
Antwort des Afrifaners nicht weniger höflich ift. 

Etwas öftli von Belle verloren wir den Eingeborenenpfad 
und waren deshalb gezwungen, uns quer durch das Land zu wenden 
und direct auf den Pic von Unduſſuma Ioszufteuern, der ſich jebt 


14. April 1888.] Zum zweiten mal nad) dem Albert-NRjanja. : 351 


über der weiten Grasebene, welche fich in großen Wellen bis zu feinem 
Fuße ausdehnte, den Blicken zeigte. Die Sonne war furdtbar heiß, 
und da der Marjch meist durch Hohes Gras führte, wurden wir jehr 
müde. Nachmittags erreichten wir eine bewaldete Vertiefung in der 
Nähe eines Klaren fühlen Baches, der feinen Urjprung irgendwo an den 
Abhängen der noch ungefähr 8 km entfernten Unduſſuma-Kette hatte. 

Am 14. April lagerten wir uns nad) einem jechsftündigen Marjche 
auf dem Ausläufer des Nſera Kum-Hügels, wo wir diejelbe Gegend 
vor uns hatten, welche am 10. und 11. December der Schauplatz 
unferer Kämpfe mit Mafamboni und feinen Stämmen gewejen war. 
Bisjegt waren unjere Erfahrungen auf diefem Marjche ganz andere 
als damals. Wir jahen feine umberjpringenden, frohlodenden Krieger 
und hörten feine einzige Drohung und fein Kriegsgejchrei; aber da wir 
hier einen Tag Raft zu machen beabfichtigten, mußten wir wiljen, was 
wir zu erwarten hatten, und jchickten daher unjern Uganda-Dolmetjcher ab, 
um die Eingeborenen anzurufen, die auf den Gipfeln der entfernten Hügel 
joßen und auf uns herabblidten. Nach mehrern geduldigen Verfuchen 
veranlaßten wir fie um 5 Uhr, herab und näher zu fommen, bis fie 
ſchließlich unſer Lager betraten. Das weitere Verfahren zur Her: 
jtellung der Freundſchaft war leicht. Wir konnten ung gegenfeitig ins 
Antlig jehen und wie in einem Buche lejen, was jeder von dem an— 
dern dachte. Wir taufchten dann gegenfeitig unjere Anfichten aus, 
wobei fie erfuhren, daß wir weiter nichts als einen freien, unbeläjtigten 
Durchmarſch nad) dem See wollten und nicht als Feinde, jondern als 
Fremde gekommen jeien, die einen Raftplag für die Nacht juchen und 
am nächiten Morgen ungeftört den Weg fortjegen wollen. Als Ent- 
ihuldigung für ihr früheres Benehmen gaben fie an, man hätte ihnen 
verfichert, wir jeien Warajura, Soldaten des Königs Kabba-Rega, 
welhe manchmal dieſe Gegend heimfuchten, das Land verwiljteten 
und das Vieh forttrieben. 

Als wir uns gegenfeitig davon überzeugt hatten, daß Freundſchaft 
möglich ſei und unjer früheres Misverftändnig die zufünftigen Be— 
ziehungen nicht beeinträchtigen follte, ließen fie fi das Geheimniß 
unferer Anwejenheit erflären und erfuhren, daß wir nur unterwegs 
jeien, um einen weißen Häuptling aufzufuchen, der vor Jahren irgendwo 
in der Nähe des Sees von Unjoro gewejen fein jollte. Ob fie je 
von einem ſolchen Manne gehört hätten? 

Sie erwiderten eifrig: „Ungefähr zwei Monate nachdem ihr auf 
dem Rückwege vom Njanſa wieder bei uns vorbei waret, fam ein 


352 Vierzehntes Kapitel. (Undufjuma 


weißer Mann Namens Malleju oder der Bärtige in einem großen 
Kanve ganz aus Eijen nad) Katonja. 

„Mutter! wie ſchwamm dafjelbe! Und in der Mitte dejfelben ftand 
ein großer jchwarzer Baum, aus welchem Raud und Feuerfunken her- 
vorfamen, und es waren viele fremde Leute an Bord, und es liefen 
Biegen wie auf dem Dorfmarkt einher und waren Hühner in mit 
Stangen verichlofjenen Kiften, und wir hörten auch die Hähne ebenſo 
fröhlich Frähen wie zwifchen unjern Hirſefeldern. Malleju fragte mit 
tiefer, tiefer Stimme nad) dir, feinem Bruder. Was Satonja ge— 
jagt hat, wiljen wir nicht, doch fuhr Malleju wieder fort mit feinem 
großen eijernen Kanoe, das jo viel Rauch in die Luft fteigen ließ, 
als wenn es in Brand ſtünde. Zweifelt nicht, ihr werdet ihn bald 
finden. Majamboni jolf feine Läufer nad) dem See ſchicken, und Ka— 
tonfa wird morgen Abend die Ankunft von Malleju's Bruder erfahren.“ 

Das waren die erften Mittheilungen, welche wir von Emin Paſcha 
hörten. Ich hatte chen im Februar 1887 von Sanjibar Boten ausge- 
ſchickt, um überall die Nachricht von unjerm Kommen zu verbreiten und 
die Eingeborenen auf das plögliche Herannahen von Fremden aus dem 
unbekannten Weſten vorzubereiten. Hätte Emin Paſcha, der uns am 
15. December erwartete, fich nur die Mühe gemacht, feine Dampfer 
auf eine neunjtündige Fahrt von Mſwa auszuſchicken, dann wären wir 
ſchon am 14. December mit feinen Leuten zujammengetroffen, hätten 
fünftägige Kämpfe erſpart, nicht vier Monate Zeit verloren, und ich 
wäre am oder gegen den 15. März innerhalb der Palifjaden von 
Jambuja geweſen, früh genug, um Barttelot vor dem Mörder, Jamejon 
vor dem tödlichen FFieberanfall, Troup vor der Nothwendigfeit, als 
Invalide nach) Haufe gejandt zu werden, Wood vor jeiner volljtändig 
nutzloſen Miffion nah San Paolo de Loanda und Bonny vor der 
Leidenzzeit in Banalja zu bewahren. 

Der nächſte Tag war ein jehr jchwerer für mich, da alles Sprechen 
mir zufiel und ich den ganzen Tag vom Morgengrauen bis zur Dunfel- 
heit in meinem Armſeſſel gefangen gehalten wurde von Scharen von den 
Aderbauern der Bavira und den Wahuma-Schäfern und Hirten mit den 
Häuptlingen und Sklaven, Fürſten und Bauern, Kriegern und Weibern. 
Es wäre unpolitifch geweſen, mich aus dem dichten Kreife zu entfernen, 
welche die vereinigte Oligarchie und Demokratie von Undufjuma um mic) 
gebildet hatte. Was ich an Erfrischungen zu mir nahm, wurde mir 
über die Köpfe der fünf Mann hoch um mich herumpftehenden Edlen 
und Knechte zugereicht. Mein Seffel jtand in der Mitte, drei Schirm- 


15. April 1888.] Zum zweiten mal nach dem Albert-Njanſa. 353 


träger löſten fich einander ab; die Sonne vollendete ihren Lauf von 
Oſt nach Weit; in den Mittagsftunden glühte fie mit der intenfiven 
Hite, welche man nur in den fonnverbrannten Wiüften kennt, von 
3—5 Uhr röjtete fie mir den Rüden, dann wurde es Fühler, und big 
die Kreiſe endlich bei der herannahenden, die Dunkelheit begleitenden 
Kühle Tich Lichteten und auflöften, war ich ein Märtyrer im Antereffe 
der Brüderichaft der Menſchen. 

Zu jehr früher Stunde erichien Maſamboni mit einer impojanten 
Schar von Begleitern vor der Seriba. Er wurde mit allen Beweifen 
der Hochachtung in die Mitte des Lagers geleitet, die Offiziere ver- 
beugten ſich höflich zu feiner Bewillkommnung, und die Sanfibariten 
und Sudanejen, welche im December ihn und jeine Zegionen über die 
Hügel gejagt hatten, ſahen fo unjchuldig aus, als hätten fie nie Fleiſch ge- 
foftet, und lächelten ihm freundlich zu. Unter einem Heinen Baum wurden 
unfere beiten Matten zur Bequemlichkeit des erhabenen Gaftes ausgebreitet, 
und die Elefantenhörner ließen ihre janfteften Töne erjchallen und er- 
innerten mich an den faiferlichen Hof a la Ramſes des Wutofraten 
von Uganda, Ujoga und der Inſelarchipele im Bictoria-See. Nichts 
war unterlaffen, was, wie die Erfahrung bei taufend Häuptlingen im 
dunfeln Afrika mir gezeigt hatte, erforderlich war, um die dunfeln 
Züge mit guter Laune, Vergnügen, Zufriedenheit und vollftändigem 
Vertrauen aufzubellen. Maſamboni nahm jede Aufmerffamfeit als ein 
ihm zuftehendes göttliches Recht entgegen und begrüßte ung weder mit 
einem Worte noch mit einem Lächeln, War der Mann taub und 
ftumm? Nein, denn er ſprach leife und kurz mit feinen Unterhäupt- 
fingen, und jeine Satelliten jchrien e8 mit der Stimme von Ochſen 
weiter, als ob ich ein Hörrohr gebraucht hätte, um fie zu verftehen; 
die Töne betäubten mich, als vb fie mit einem Stabhammer hervor- 
gebracht wären. 

„Meine Freunde‘, fagte ich, „der Kopf wird mir fpringen, wenn 
ihr in dieſer Weiſe fortfahrt. Außerdem ift Weisheit, wie ihr wißt, 
foftbar. Weshalb joll die ganze Heerde die Staatspolitif hören ?* 

„sa, wahrhaftig‘, erwiderte ein Weiſer, mit einem fo weißen 
Barte, wie er dem Nelteften des Raths zukam. Und nun jenfte Neftor 
die Stimme und wiederholte mir geſchwätzig die Geichichte des Landes, 
beichrieb,, welche Wirkung das Herannahen der Colonne im December 
hervorgerufen habe, die haftigen Berathungen, welche fie abgehalten, die 
voreiligen Entichlüffe, die fie gefaßt hätten, und geitand zu, daß, als 
fie erfahren, daß fich weiße Männer unter den Fremden befänden, fie 

Stanlen. Im dunkelſten Airifa. I. 23 


354 Vierzehntes Kapitel. [Undufjuma 


vermuthet hätten, daß fie mit den fortgejegten Feindjeligkeiten unrecht 
thäten, doch ſeien die jugendlichen Krieger zu ungejtüm gewejen und 
hätten die Alten überjtimmt. Als fie uns von dem Njanja hatten 
zurücfehren und friedlich; nach dem Walde weiter marjchiren jehen, 
hätten fie gewußt, daß die Warajura, wofür fie uns gehalten, niemals 
jo raſch von ihrem eigenen See zurüdgefehrt jein, jondern über den 
Semlifi nad) ihrem Lande gegangen jein würden. Und als jie dann ge- 
hört hätten, daß Malleju, der weiße Häuptling in dem eifernen Kane, 
nad) uns gejucht habe, da jeien fie überzeugt geweien, daß fie ſich volljtän- 
dig geirrt gehabt hätten. „Aber das jchadet nichts“, ſagten wir, „Die Frem— 
den werden vom Kivira (Wald) zurückkehren und wir werden ung dann mit 
ihnen auseinanderjegen. Wenn fie unfere Freundichaft juchen, jollen fie 
fie haben und Maſamboni's Blut fich mit dem ihres Häuptlings ver- 
milchen, und wir werden ein Volk jein. Und fiehe da, ihr jeid ge 
fommen und die Träume unjerer weilen Männer haben ſich verwirf- 
licht. Maſamboni figt als Bruder an der Seite des weißen Häuptlings; 
laßt ung jehen, wie das Blut fich vermifcht, und es joll nie wieder eine 
Wolfe zwiſchen uns fommen, jolange ihr im Lande jeid. Was Maſam— 
boni gehört, ift dein, jeine Krieger, Frauen, Kinder, das Land und alles, 
was darauf fteht, gehören dir. Habe ich gut geiprochen, ihr Krieger ?“ 

„Du Haft gut und wahr geiprochen‘, murmelte die Umgebung. 

„Soll Majamboni ein Sohn Bula Matari’s ſein?“ 

„Ja.“ 

„Soll wahrer Frieden zwiſchen uns und den Fremden ſein?“ 

„sa, ertönte der erregte Auf der Menge. 

Dann ergriffen Majamboni und mein Sohn, Herr Jephſon, der 
ſich freiwillig zu dem Opfer bereit erklärt hatte, ſich gegenjeitig Freuz- 
weite über den gefreuzten Knien bei der rechten Hand, und der ein- 
heimische Profeſſor der Medicin that einen leichten Schnitt in Jeph— 
ſon's Arm, bis derjelbe vom Blute roth gefärbt war. Mein Brofejjor 
des geheimen Ritualismus ließ das dunfelrothe Blut Maſamboni's 
aus der Ader fließen, und als der Lebensfaft dann heraustropfte und 
an den Knien herabjtrömte, begann der weiſe Mann mit dem weißen 
Bart jeine Beichwörungen und ftieß, während er drohend die Zauber: 
calabaſſe mit den Kiejeliteinen gegen die Kette des gegenüberliegenden 
Pic, den hufeifenförmigen Nüden unten in der Ebene jowie nad) Oſten 
und Weften des Thals fchüttelte, von dem Gipfel des Nſera Kum feine 
fürdhterlichen Verwünſchungen aus, während feine Leute ihm mit offenem 
Munde zuhörten: 


15. April 1888.) Zum zweiten mal nad dem Albert-Njanſa. 355 


„Berflucht, wer fein bejchworenes Gelübde bricht. 

„Berflucht, wer im geheimen Haß nährt. 

„Berflucht, wer jeinem Freunde den Rücken wendet. 

„DVerflucht, wer am Tage des Strieges feinen Bruder verleugnet. 

„Verflucht, wer jeinem Freunde, deſſen Blut mit feinem eigenen 
eins geworden iſt, Böſes räth!“ 

„Möge die Krätze ihn zum Schreckbild machen und ſein Haupthaar 
durch die Räude verloren gehen; möge die Natter ihn auf ſeinem 
Pfade erwarten und der Löwe ihm auf dem Wege begegnen; möge 
der Xeopard in der Nacht fein Haus belagern und fein Weib ergreifen, 
- wenn es Waffer vom Brunnen holt; möge der Pfeil mit feinen Wider- 
hafen ihm in die Eingeweide dringen und der jcharfe Speer ſich in 
jeinem Leibe färben; möge Krankheit jeine Kräfte verzehren und feine 
Zeit durch Leiden verfürzt werden; mögen feine Beine ihm am Tage 
des Kampfes fehlen und jeine Arme durch Krämpfe fteif werden.“ 
In jolcher Weije ging es weiter, bis er jedes Uebel und die gefürd)- 
tetften Krankheiten angerufen hatte. Nunmehr ergriff unſer janfibari- 
tiſcher Profeffor des geheimen Nitualismus, der anfänglich durch die 
von Nejtor mit folder Redjeligfeit herausgeftoßene Reihe von Flüchen 
einigermaßen verwirrt geweſen war, feine Zaubercalabafje und jchüt- 
telte fie mit fürchterlicher ?Feierlichfeit gegen die Berge und das Thal, 
gegen den Kopf Maſamboni's, gegen den Neftor und das von Chr: 
furcht erfüllte Gefolge ringsum und übertraf in jeinem hartnädigen 
Ehrgeiz jelbit den Nejtor noch an Wuth, Stimme und Gejten; im Ein- 
flang hiermit rollte er wild die Augen und es trat ihm Schaum 
auf die Lippen. Er rief jede Peſtilenz an, daß fie das Land und 
feine Producte befalle, jede feinen Landsleuten befannte Kraft, daß 
fie Maſamboni auf ewig verfolge, jeden dunfeln, mächtigen Geift aus 
der Hölle der böſen Einbildung, daß er ihn im Wachen und Schlafen 
quälen möge. Schließlich wurden jeine Geberden jo phantaftiich, feine 
Flüche jo fürchterlich und feine Blide denen eines vom Teufel Be- 
jeffenen jo ähnlich, daß alle, Eingeborene und Sanfibariten, in ein un- 
widerjtehliches Gelächter ausbrachen, welches Murabo, unfern „Medicin- 
mann‘, veranlaßte, jofort fich zu ermüchtern und mit affectirtem 
Kopfichütteln auf Kifuahelt zu ung zu jagen: „Ja, Meijter, wie ge— 
fällt euch diefe Probe hoher Schaufpielfunft?‘, was mid ganz an 
Hamlet erinnerte, der den Laertes in bombaſtiſchem Geihwäß noch 
überbietet. 

Obwol Majamboni unzweifelhaft der oberjte Häuptling von Unduf- 

23% 


356 Vierzehntes Kapitel. [Unduffuma 


juma ift, jcheint er doch durch eine ungejchriebene Berfafjung ſich 
feiten zu lafjen. Die Minijter find feine hervorragenditen Verwandten, 
die in feiner Gegenwart jogar die Äußere und innere Politik berathen, 
jodaß jeine Stimme bei Regierungsangelegenheiten jelten gehört wird. 
Den größten Theil der Zeit jaß er ſchweigſam und zurüdhaltend, man 
fönnte fast jagen gleichgültig da. Diejer unverfälichte afrifanijche 
Häuptling hat alfo — ob durd) 
Ueberlegung oder traditionelle Ge— 
wohnheit, iſt jchwer zu jagen — 
entdeckt, daß es am beiten iſt, die 
Regierung zu theilen. Rührt das 
Princip aus der Gewohnheit ber, 
jo beweift das, daß die tauſend 
Stämme des Ktongobedens vom Al— 
bert-Njanja bis hinab zum Atlanti- 
chen Dcean von einem Stamme, 
einem Volke, einer Familie herzu- 
leiten find. Die Aehnlichkeit auch 
noch anderer Gebräuche, der Gefichts- 
züge und der Wurzelwörter der 
Sprachen verjtärfen die Kraft der 
Beweiſe für dieſe Thatſache. 

Wir fanden, daß die Häupt— 
linge ſowol wie die geringern Leute 
unverſchämte Bettler und von einer 
zu großen Habgier ſind, um eine 
generöſe That anzuerkennen. Obwol 
alle den Frieden eifrig erſtrebten, 
" ſchien deſſen Annahme für fie doc) 

Ein Krieger Mafamboni’s. weiter nichts zu jein, als das 
Mittel, ſich mit den Gejchenfen 
der Fremden zu bereichern. Selbjt nach der langen Arbeit dieſes 
Tages vermochten wir Majamboni nicht zu veranlafjen, mehr als ein 
Kalb und fünf Ziegen als Gegengeichent für eine Dede im Wertbe 
von 210 Mark, ein Bund Meſſingdraht und Elfenbeinhörner aus dem 
Walde herzugeben. Der Häuptling von Urumangua und Buella, deſſen 
blühende Niederlafjung uns im December in jo großes Erjtaunen ver- 
jest hatte, glaubte ebenfalls höchit freigebig zu jetn, als er uns mit 
einem Ziegenböcdchen und zwei Hühnern beichentte. 





15. April 1888.) Zum zweiten mal nad) dem Albert⸗-Njanſa. 357 


Unter unjern heutigen Bejuchern befanden ſich auch Gavira, der 
Häuptling von Dft-Bavira, der uns von einem Hügel zugerufen hatte, 
das Land würde uns bei der Rüdfehr vom See zu Füßen liegen, 
jowie auch ein Wahuma- Häuptling, welcher ganz unverfroren den 
prächtigen jcharlachrothen Stoff trug, um den wir im December zur 
Erfaufung des Friedens gejtraft worden waren. Er erbot fich nicht 
einmal zu einem uns jo lange vorenthaltenen Gegengejchent. 

Wir fanden ferner, daß im diefer Gegend zwei verjchiedene und 
fich deutlich voneinander unterjcheidende Raſſen in vollitändiger Har- 
monie miteinander leben, von denen die eine offenbar indo=afrifantjcher 
Abjtammung ist, da fie äußerjt feine Züge, Adlernaſe, jchlanfen Naden, 
feinen Kopf und vornehmes, jtolzes Auftreten beſitzt. Es ift dies eine 
uralte Raffe, die glänzende Ueberlieferungen hat und von der unbeug— 
jamen Sitte geleitet wird, von der es fein Abweichen gibt. Obwol 
die meilten von ihnen eine nußbraune und einige jogar eine tief 
dunkelbraune Hautfarbe haben, gleichen die reinjten ihrer Raſſe an 
Farbe doch dem alten Elfenbein und haben eine Haut, welche fich jo 
wundervoll weich anfühlt wie der jchönfte Atlas. Ste beichränfen 
fich einzig und allein auf Nindviehzucht und find voll hochmüthiger 
Verachtung gegen die mit dem Karft arbeitenden Bavira, die ſich nur 
mit Aderbau bejchäftigen. Sein hochmiüthiges Herzöglein in England 
fünnte mit ausgejprochenerer Verachtung auf einen Armen herabfehen, 
als die Wahuma auf die Bavira. Sie leben wol im Lande der 
leßtern, aber nicht in ihren Dörfern, taufchen ihre Molfereierzeugnilfe 
gegen das Getreide und die Gemüfe der Ackerbauer aus, geben aber 
ihre Töchter nur einem geborenen Mhuma zur Frau. Ihre Söhne 
können Kinder von den Bavirafrauen haben, aber das ijt aud) das 
weiteitgehende Zugeftändniß. Darin liegt aud) das wahre Geheimniß 
der verichiedenen Phyfiognomien und die Erklärung für deren Mannich— 
faltigfeit. 

Die echte Negerphyfiognomie finden wir in den fernen Gebieten 
Weſtafrikas, mit denen dieje jtolze zur höchiten Kafte gehörende Raffe 
viele Jahrhunderte hindurch unmöglich in Berührung gekommen fein 
kann; wir haben ferner die unvermilchten Raſſen des Waldes, die 
Akkas, Wambutti, Watua und Buſchmänner, von denen die Wambutti 
bei weitem die hübjcheften find; die Zulus, Mafiti, Watuta, Wahha, 
Warundi, Wanja-Ruanda, welche Halbäthiopier find; wir haben endlich 
die Aethiopier, die, außer in den ariftofratiichen Familien, etwas ent- 
artet find, wie die Wahuma oder, wie fie auch genannt werden, 


358 Bierzehntes Kapitel. Uſanſa 


Waima, Watſchweſi, Wawitu und die Wataturu, welche zwei Menſchen— 
ſtröme repräſentiren, von denen der eine von Aethiopien durch die 
ſüdöſtlichen Gallagebiete nach Unjoro und den hochgelegenen Weide— 
ländern am See gekommen und der andere direct nach Süden ſich 
ergofien hat. Der Bictoria-See liegt zwiichen diefen Abtheilungen der 
hauptjächlichiten Bewohner Afrikas. 

Ein Bapira-Häuptling beklagte ſich mir gegenüber über Die 
hohmüthige Verachtung, mit der die Bavira von den Wahuma 
angejehen werden, in etwa folgender Weile: „Sie nennen uns 
Bauern und veripotten die nüchterne Regelmäßigfeit, in welcher wir, 
den dunfeln Boden bebauend, unjer Leben mit ehrlicher Arbeit ver- 
bringen. Sie jchweifen zum Fourragiren umher und fennen feine Liebe 
zu einer feften Heimat; fie lafjen fich nieder, wo fie durch das Weide— 
land dazu veranlaßt werden, und bauen, jobald dort Mangel entiteht, 
ihr Haus an einem andern Orte, 

Doch zurück zu meiner Gejchichte, da ich diefen Gegenſtand jpäter 
in einem bejondern Kapitel behandeln muß. Am 16. April mar— 
ichirten wir, von Majamboni mit 12 Führern verjehen, escortirt von Ga— 
vira und 50 Kriegern, begleitet von einer langen Reihe unferer neuen 
Freunde, die fich der Nachhut angeichloffen hatten, und unterjtügt von 
mehr als hundert Trägern, nad) dem Gebiete Gavira’s, dem Dorfe 
auf dem nadten Hügel, wo wir am 12. December nad) einem Tage 
fürchterlicher Aufregung uns gelagert hatten. Wir bildeten jegt eine 
friedliche Proceifion, die etwas Triumphmäßiges an ſich hatte, denn 
in jedem Dorfe, welches wir paffirten, famen die Krieger heraus und 
riefen uns freundliche Begrüßungsworte zu, während in Mufukuru, 
dem uns bereits befannten Dorfe, die rauen uns mit [usluslu em— 
pfingen. Don dieſer Niederlafjung in Uſanſa hatten wir einen weiten 
Ausblid, der oſtwärts bis zum obern Rande des auf die Ein- 
jenfung des Albert-Sees herabichauenden Hochlandes und nad) Weiten 
bis zu dem jechs Tagemärjche entfernten Pisgah reichte; nordwärts 
ſah man bis zu den Kegeln von Bemberri, ſüdwärts ftiegen in der 
Entfernung von 1’, km die Hügel der Balegga auf. 

Der Häuptling der Bavira ift unter dem Namen Gavira, einem 
erbfichen Titel, befannt, obgleich er eigentlich Mpinga heit; er war ein 
fröhlicher Kleiner Mann, aber geizig und, wenn er nicht im Staatsrath 
beichäftigt war, geihwägig. Er und jein Stamm bettelten in ähnlicher 
Weife um unſere Freundichaft, wie dies bei Maſamboni geichehen war, 
und wir waren nicht abgeneigt, ihm diejelbe zu gewähren, aber unter 


17. April. 1888.] Zum zweiten mal nad dem Albert-Njanfa. 359 


der Bedingung, daß er fich der Erpedition auf ihren Märjchen durch 
jein Land gaftfrei erweiſen müſſe. Da wir bei Majamboni einen Tag 
halt gemacht hatten, mußten wir nothwendigerweije Gavira die gleiche 
Ehre erzeigen, und da jein Dorf nur zwei furze und einen langen 
Tagemarih vom Nianja entfernt war, jo erfärten wir ung einver- 
ſtanden. 

Abends kamen zwei Boten von Mbiaſſi aus dem Stamme der 
Babiaſſi, dem Häuptling des Diſtriects von Kavalli, der ſich in 
einem breiten Streifen bis zum Njanſa ausdehnt. Sie theilten mir 
mit, ihr Häuptling bejäße ein mit dunkelm Stoff umhülltes fleines 
Badet für mic, welches ihm von Mpigua aus Njamſaſſi gegeben 
worden jei, der es von einem ihnen als Malleju befannten weißen 
Manne erhalten habe. 

Am nächiten Tage waren wir von Hunderten freundlicher Leute 
umgeben, die ung micht genug betrachten zu können jchienen. Sie 
bodten deshalb gemüthlich nieder und beobachteten in aller Ruhe 
unfere Bewegungen; die Jüngern wurden von den Alten ausgejchidt, 
um Brennmaterial und ſüße Kartoffeln für uns zu holen und Hirje 
ins Lager zu bringen. Gegen Kleine Geſchenke leifteten fie den Sans 
fibariten beim Bau der Hütten die unterthänigften Dienfte, ſchleppten 
Waſſer herzu und zerrieben die Hirjeförner zu Mehl, während unfere 
Leute zufrieden daneben ſaßen und fie mit einem freundlichen Niden, 
einem gütigen Lächeln, einem kleinen Gegenſtand aus Eifen, einigen 
Glasperlen, einem oder zwei Kauris oder einer meilingenen Armipange 
zu harter Arbeit ermuthigten. Jeder von ihnen hatte) fich einen 
warmbherzigen und jcharffinnigen Bruder erforen, und die Eingeborenen, 
abgejehen vom Kochen, zu allen Vorrechten enger Freundſchaft zugelafien. 

Nachmittags wurde der Häuptling Gavira, mit einem prächtigen 
icharlachrothen Stoffe befter Qualität beffeidet, im Lager umbergeführt, 
wo unjere Anführer ihm alle Ehren erwieſen und ihn unter lauter Aner- 
fennung feiner guten Geſinnung in die verfchiedenen Hütten einführten. 
Später zeigten wir ihm einen Handſpiegel, über welchen er und jeine 
ältern Begleiter in außerordentliche Werwunderung und Furcht ge— 
riethen. Als fie ihre eigenen Gefichter fich widerfpiegeln ſahen, glaub- 
ten fie, daß ein feindlicher Stamm aus der Erde gegen fie vordringe, 
und liefen davon, um fich im fichere Entfernung zu bringen, blieben 
aber inſtinetiv ftehen, als fie bemerften, daß wir uns nicht rührten. 
Dann kamen fie auf den Fußipigen zurück, als wenn fie fragen 
wollten, was das für eine plößliche Viſion wol geweien fein könnte; 


360 Vierzehntes Kapitel. (Kavalli 


der Spiegel war nämlicdy mit der Kehrjeite nach oben in den Kaſten 
gefallen. Als Antwort auf ihre ftumme Frage öffneten wir Denjelben 
aber wieder, und num blidten fie feit hinein. Dann flüjterte einer dem 
andern zu: „Ab, die Geficher jehen wie unjere aus!“ Nunmehr erklärten 
wir ihnen, daß das, was fie jähen, das Spiegelbild ihrer eigenen 
außerordentlich einnehmenden Züge fei, bei welchem Compliment Mpinga 
vor Stolz dunfel erglühte. Als wir jahen, daß wir ihm den Spiegel 
anvertrauen konnten, ohne jeine Nerven zu erichüttern, gaben wir ihm 
denjelben in die Hand, und es war amufant zu jehen, wie rajch die 
perjönliche Eitelfeit wuchs. Seine ältern Begleiter drängten und grup- 
pirten fi um ihn und bemerften ſämmtlich mit großem Bergnügen, 
wie wahr der Spiegel die Merkmale jedes einzelnen Gefichts wiedergab. 
„Sieh die Narbe, fie iſt ganz genau jo; aber fieh doch und fich doc) 
deine breite Naſe, Mpinga, o, das ift ganz richtig! Ja, und ſieh Die 
große Feder, fie ſchwankt wirklich! Es ift zu wundervoll! Woraus 
fann es gemacht fein? Es ficht aus wie Waffer, iſt aber nicht weid); 
und auf dem Rüden fieht es jchwarz aus, Ah, wir haben aber 
heute ein Ding gejehen, das unjere Väter nie jahen, ah? 

An Uſanſa, das jedem Windftoß aus jeder Himmelsrichtung offen 
ift, werden wir uns noch lange erinnern. Als die Sonne unterging, 
wehte vom See her ein Falter Wind, der uns jcharf mitnahm, da 
wir an die gleichmäßige Temperatur des Waldes gewöhnt und jehr 
jchlecht mit Kleidung verjehen waren. Einer der Offiziere bewaffnete 
ſich mit feinem Regenrock, ein anderer zug den großen Ueberrod an, 
allein nichtsdeftoweniger drang der Wind bis aufs Mark durch, und 
da es fonft nirgends warın war, als in den behaglichen bienentorb- 
artigen Hütten der Bavira, jo zogen wir uns in dieſe zurüd. 

Anstatt unjern erjten Weg nad) dem See zu verfolgen, wandten 
wir uns nordoftwärts nach dem Dorfe Kavalli, wo das geheimnißvollfe 
Packet jein jollte. Das Gras war von den zahlreichen Viehheerden 
furz abgefreilen, bededte aber die ganze Lichtung und jah einem 
Rafen ähnlich, außer in den im Laufe der Jahrhunderte durch den 
Regen ausgehöhlten Kleinen Cañons. 

Beim Marſche durch das lachende Land, überall begrüßt, ange: 
rufen und bewilltommnet von den freundlichen Eingeborenen, konnten 
wir nicht umhin, daran zu denken, wie verichieden dies jegt war gegen 
die Tage, als wir durch die lärmenden Bataillone der Bavira, Babiaffi 
und Balegga drangen, als die Eingeborenen ihre Nachbarn aufreizten, 
Ichimpften und fchrien, die zahlreichen hochgejchwungenen Speere im 


18. April 1888.) Zum zweiten mal nad) dem Albert-Njanja. 361 


Lichte der Sonne blitzten und die meterlangen Pfeile zu unſerm 
Empfange durch die Lüfte jchwirrten, während wir jet thatjächlich 
157 Bavira als Borhut vor uns und ebenjo viel als Nachhut hinter 
uns hatten und unjere 90 Laſten unter freiwillige Träger vertheilt 
waren, welche e3 als eine Ehre anjahen, jebt denjelben Leuten zu 





ſtavalli, Häuptling der Babiaſſi. 


dienen, gegen welche fie einige Monate vorher jo unbarmherzig an- 
gejtürmt waren. 

Bald nad) der Ankunft der jetzt jehr zahlreichen Colonne vor der 
dornigen Seriba von Kavalli erſchien der Häuptling, ein hübjcher junger 
Mhuma mit regelmäßigen Zügen, von hoher, jchlanfer Gejtalt und 
wunderbar gemejjenem Benehmen, um uns die Stelle zu zeigen, wo 
wir das Lager aufichlagen könnten. Denen, welche ſich des Schubes 


362 BVierzehntes Kapitel. [Kavalli 


des Dorfes bedienen wollten, wurde dies gern gejtattet. Als ich ihn 
nach dem von Malleju erhaltenen PBadete fragte, zog er e8 hervor und 
gab es mir, wobei er bemerkte, in dem ganzen Lande hätten nur feine 
beiden jungen Leute gewußt, daß er es beieflen habe; ganz bejorgt 
fragte er, ob er es nicht ausgezeichnet gemacht habe, das Padet jo ge- 
heimzubalten. 

Nachdem ich die aus amerifanischem Deltuch beitehende Umhüllung 
gelüftet hatte, fand ich folgenden Brief: 


Geehrter Herr! 

Da das Gerücht verbreitet ift, daß Weihe irgendwo im Süden biefes Sees 
erichienen jeien, bin ich hierher gelommen, um Nachrichten einzuziehen. Eine Reile 
nach dem entfernteften Ende des Sces, das ich mit dem Dampfer erreichen fonnte, 
ift vergeblich geweien, da die Bevölkerung in großer Furcht vor den Leuten Kabba— 
Rega’s ift und ihre Häuptlinge angewieſen find, alles zu verheimlichen, was fie 
irgendwie willen. 

Heute ift aber von dem Häuptling Mpigua in Niamſaſſi ein Mann ein- 
getroffen, welcher mir berichtet, eine frau des genannten Säuptlings habe Sie in 
ihrem Geburtsorte Unduffuma gejehen, und der Häuptling habe fich freiwillig 
bereit erlärt, Ihnen ein Schreiben von mir zu überjenden. Ich ichide daher einen 
unferer Verbündeten, den Häuptling Mogo, mit dem Boten zu dem Häuptling 
Mpigua und laffe ihn bitten, Mogo und diejen Brief, ſowie ein arabiiches Schreiben 
an Sie zu jenden oder Mogo zurüdzubehalten und den Brief allein abzufchiden. 

Haben Sie die Güte und bleiben Sie wo Sie jind, wenn dieſes 
Schreiben Sie erreicht, und theilen Sie mir brieflich oder durch einen Ihrer Leute 
Ihre Wünſche mit. Ich Lönnte leicht zu dem Häuptling Mpigua fomnten und 
mein Dampfer und meine Boote würden Sie hierher bringen. Bei der Ankunft 
Ihres Briefes oder Ihres Boten werde ich jofort nah Njamſaſſi aufbrechen, 
und von dort fünnten wir unjere weitern Pläne verabreden. 

Hüten Sie fih vor den Leuten Kabba-Rega's! Er hat Kapitän Caſati 
fortgejagt. 


Betrachten Sie mich, geehrter Herr, als Ihren ganz ergebenen 
Dr. Emin, 
Tunguru (Afbert-Ser), 25.3. 88, 8 Uhr abends.* 


* Ms ih nach meiner Nüdlehr das Schreiben las, welches Emin 
Paſcha unter dem 25. März 1888, dem gleichen Datum, an dem der vorftehende 
Brief geichrieben ift, an dem Herausgeber von „Petermann's Mittheilungen “ 
(vgl. 1890, Heft 4, der in Gotha ericheinenden geographiichen Zeitichrift) gerichtet hat 
und das mit den bedeutiamen Worten jchließt: „Kommt Stanley nicht bald, jo 
ind wir verloren‘, ftiegen mir ganz feltiame Gedanken auf, welche der verftän- 
dige Leſer unichwer errathen wird. Gtlüdlicherweile hatte der Paſcha fein Ge- 
heimniß aber bewahrt, bis ich jo weit von Bagamoyo entfernt war, daß ih ihn 
perfönlich nicht mehr befragen fonnte, was feine Beweggründe dafür geweſen jeien, 
daß er am 14. December 1887, dem Tage, an welchem er uns erwartete, nicht 


18. April 1888.) Zum zweiten mal nad) dem Albert-Njanſa. 363 


AS ich den Brief unfern Leuten überjegte, wurden fie ganz 
rajend vor Enthufiasmus, und die Eingeborenen von Kavalli waren, 
wenn fie ihrer Freude auch nicht in jo lärmender Weile Ausdrud 
gaben, nicht weniger erregt, als fie bemerkten, daß das mit jo eifer- 
jüchtiger Sorgfalt behütete Packet die Urjache diejes Glückes war. 

Bon vielen Häuptlingen wurden ung unentgeltlich Lebensmittel 
gebracht, und ich beauftragte Mbiaffi, auc den umliegenden Diftricten 
mitzutheilen, daß wir gern eine Beiftener von jedem Stamm und jeder 
Abtheilung entgegennehmen würden. 

Am 20. April fandte ich Jephſon und Dr. Parke mit 50 Gewehr- 
trägern und zwei eingeborenen Führern aus Kavalli ab, um das Stahl- 
boot „Advance“ nad) dem Albert-See hinabzufchaffen. Bon den Führern 
erfuhr ich, da Mſwa gar nicht weit entfernt jei; mit dem Boote fünne 
man in einer zweitägigen Segelfahrt längs des weftlichen Ufers dort 
jein. Herrn Jephſon übergab ich folgenden Brief an Emin Paſcha: 

18. April 1888, 
Geehrter Herr! 

Ihr Schreiben wurde mir bvorgeftern von dem Häuptling Mbiafji aus Kavalli 
(auf dem Plateau) ausgehändigt und hat uns allen große freude bereitet. 

Von Sanfibar aus hatte ich Ihnen durch nad Uganda gehende Träger ein 
langes Schreiben gejandt, weldyes Ihnen von meiner Miffion und meinen Ab- 
ſichten Mittheilung machte. Für den Fall, daß Sie daflelbe nicht erhalten haben 
jollten, wiederhofe ich hier in Kürze feinen Hauptinhalt. Es benadrichtigte Sie 
zunächſt, daß ich gemäß der vom Entiagcomite in London erhaltenen Inftructionen 
eine Erpedition zu Ihrem Entjage befchlige. Die eine Hälfte der erforderlichen 
Mittel war don der ägyptiſchen Regierung, die andere von einigen Ihrer Freunde 
in England gezeichnet worden. 

Dies Schreiben theilte Ihnen auch mit," daß die Anftructionen der ägyptiſchen 
Regierung dahin lauteten, Sie aus Afrika zu geleiten, wenn Sie daffelbe zu ver— 
laffen wünſchten; wenn nicht, ſollte ich diejenige Munition, welche wir für Sie 
mitgebracht hatten, zurüdlaffen, und Sie und Ihre Leute follten fih als nicht 
mehr in ägyptiichen Dienften befindfich betrachten und Ahr Gehalt nah Ankün- 
digung Ihres Entichluffes aufhören. Waren Sie gemwillt, Afrika zu verlaffen, fo 
jollte Ihr Gehalt, ſowie dasjenige Ihrer Offiziere und Mannichaften fortgezahlt 
werben, bis Sie in Aegypten gelandet feien. 

Es benadrichtigte Sie ferner, dab Sie vom Bey zum PBaicha befördert 
worden jeien. | 

Es theilte Ihnen auch mit, daß ich wegen ber TFeindfeligfeit Uganda’s und 
aus politiichen Gründen mich Ihnen über den Kongo nähern und Kavalli zu 
meinem Bielpunfte machen würde. 


nah Kavalli gelommen, jondern nach diefem Datum noch 2%/, Monate ruhig in 
feinen Stationen geblieben und dann am jelben Tage zwei ſolche Briefe, wie 
der vorjtehende und derjenige an „Retermann’s Mittheilungen‘‘, geichrieben hat. 


364 Vierzehntes Kapitel. [Kavalli 


Aus der vollftändigen Unkenntniß der Eingeborenen von Kavalli über Sie 
und da jie nur von dem Beiuche Majon’s wiſſen, der vor zehn Jahren ftatt- 
gefunden bat, jchließe ich, dah Sie mein Schreiben nicht erhalten haben. 

Ih traf nach einigen verzweifelten Kämpfen zuerit am 14. December hier 
ein. Wir blieben zwei Tage in der Nähe von Kavalli am See und fragten jeden 
Eingeborenen, dem wir nahe fommen konnten, ob er etwas von Ahnen wiffe, erhielten 
aber jtet? eine verneinende Antwort. Da wir unſer Boot einen Monatsmarich 
hinter uns zurüdgelaffen hatten, und weder buch ehrlichen Kauf noch mit Gewalt 
ein Kanoe befommen fonnten, jo beichloffen wir umgufehren, unfer Boot zu holen 
und nad dem Njanfa zu transportiren. Das haben wir gethan und inzwilchen 
auch 15 Tagemäriche von hier ein Heines Fort gebaut, um die Waaren, welche 
wir nicht tragen fonnten, dort zu lagern, und find dann mit dem Boot zum zweiten 
mal hierher marjchirt, um Ihnen zum Entiab zu verhelfen. Diesmal haben die 
gewaltthätigjten Cingeborenen ung mit offenen Armen empfangen und uns zu 
Hunderten auf dem Wege begleitet. Das Land ift jept von Njamſaſſi bis nad) 
unjerm Fort für einen friedlichen Marſch offen. 

Ich warte jegt in Njamſaſſi auf Ihre Entjcheidung. Da es auf der Njanſa— 
Ebene jchwer hält, für unſere Leute Proviant zu erlangen, werden wir hoffentlich 
nicht lange darauf warten müffen. Auf dem Plateau über uns herricht Ueberfluß 
an Lebensmitteln und Vieh, aber auf der an den Njanſa grenzenden untern Ebene 
find die Leute meiſt Filcher. 

Wenn diejes Schreiben Sie erreicht, ehe Sie Ihren Aufenthaltsort verlafien, 
würde ich Ahnen rathen, mit Ihrem Dampfer und den Booten genügend Proviant 
mitzubringen, um uns während der Zeit zu erhalten, die wir auf Ihre Abreije 
warten, etwa 6000-7000 kg Getreide, Hirſe oder Mais u. dgl., was Sie, wenn 
Ihr Dampfer einige Tragfähigkeit befigt, leicht befördern können. 

Sind Sie bereits entichloffen, Afrifa zu verlaffen, jo möchte ich Ihnen vor: 
ichlagen, alle Ihre Rinder und alle Eingeborenen mitzubringen, die Ihnen zu 
folgen gewillt find. Nubar Paſcha hoffte, daß Sie alle Ihre Mafrafa mitbringen 
und, wenn e3 Ihnen möglich ift, feinen einzigen zurädlaffen würden, da er fie 
alle im Dienſt behalten möchte. 

Die Schreiben des Kriegsminifteriums und Nubar Paſcha's, welche ich Ihnen 
überbringe, werden Sie vollftändig über die Abfichten der ägyptiichen Regierung 
unterrichten, und es wäre daher vielleicht befler, den Empfang der Schreiben ab- 
zuwarten, bevor Sie irgendwelche Schritte thun. Ich fee Sie einfah nur kurz 
von den Abfichten der Regierung in Kenntniß, damit Sie fich die Sache überlegen 
fünnen und einen Entichluß zu fallen vermögen. 


Wie ich höre, haben Sie eine große Menge von Rindern bei ſich; drei oder 
vier Milchkühe würden uns jehr angenehm fein, wenn Sie diefelben mit Ihrem 
Dampfer und den Booten befördern können. 

Ich Habe eine Anzahl Briefe, einige Bücher und Karten für Sie, jowie ein 
Padet für Kapitän Cafati, fürchte aber, fie Ihnen mit meinem Boote zu fenden, 
weil Sie vielleicht infolge des durch die Eingeborenen verbreiteten Gerüchts von 
unferer Ankunft jchon von Ihrem Aufenthaltsort aufgebrochen fein und die Briefe 
Sie dann verfehlen könnten; außerdem weiß ich nicht gewiß, ob das Boot Sie 
erreichen wird, und behalte die Sendung daher, bis ich Gewißheit habe, daß fie 
Ihnen ficher ausgehändigt werden fann, 

Während wir auf Ihr Ericheinen in Njamſaſſi warten, werden wir weit 


18. April 1888.) Zum zweiten mal nad dem Albert-Njanja. 365 


und breit umher fourragiren müſſen, doch können Sie fich darauf verlaffen, daß 
wir uns bemühen werden zu bleiben, bis wir Sie jehen werden. 
Alle bei mir Befindlichen jenden Ihnen die beiten Wünjche und danken 
Gott, daß Sie fiher und wohl find. 
Betrachten Sie mich, geehrter Paſcha, als Ahren ergebenften Diener 
Henry M. Stanlen, 


Befehlshaber der Entjaß-Erpedition. 
An Se. Ercellenz Emin Paſcha, 
Gouverneur der Aequatorialprovinzen 2c. x. 


Während unjers Aufenthalts in Kavalli ftatteten mehrere hundert 
Eingeborene aus den umliegenden Diftrieten ung freundjchaftliche Be- 
juche ab, und die Häuptlinge und ältern Stammesgenofjen boten mir 
ihre Unterwerfung an. Sie jagten, das Land gehöre mir und meine 
Befehle, welcher Art fie auch jein möchten, würden jofort ausgeführt 
werden, Nach der Bereitwilligfeit, mit welcher uns Lebensmittel ge- 
bracht wurden, war fein Grund vorhanden, an ihrer Aufrichtigfeit zu 
zweifeln, obwol bisher noch feine Nothwendigfeit vorlag, die Betheue- 
rungen allzu buchjtäblich zu nehmen. Solange wir feinen Hunger 
fitten, konnte nichts gejchehen, um die eingetretenen friedfertigen Be— 
ziehungen zu Maſamboni zu ftören. Meinen Mitteln entjprechend 
erhielt jeder Häuptling ein Gejchent an Stoffen, Glasperlen, Kauris 
und Draht. Mbiaſſi lieferte mir täglich etwa einen Liter Milch in 
einem Gefäß von nachitehender Form. 





Milhgefäß der Wahuma. 


Funfjzehntes Rapitel. 


Zufammentreffen mit Emin Paſcha. 


Unjer Lager in Bundi. — Mbiaffi, Häuptling von Kavalli. — Getreidejpeicher der 
Balegga. — Die Häuptlinge Katonja und Komubi drüden ihre Reue aus. — 
Gabelweihen in Badſua. — Ein Billet von Jephſon. — Emin, Gafati und 
Jephſon kommen zu uns ins Lager bei dem alten Kavalli. — Schilderung Emin 
Paſcha's und Kapitän Caſati's. — Die Sudanefen des Paſchas. — Unfere Sanii- 
bariten. — Der Dampfer „Khedive“. — Baler und die Blauen Berge. — Die 
Schilderungen Dr. Junker's und Dr. Felkin’s von Emin. — Kabba-Rega's Nach“ 
barichaft. — Emin und die Wequatorialprovinzen. — Dr. Junler's Bericht von 
Emin. — Unterredung mit Emin über unjere zulünftigen Schritte. — Kapitän 
Caſati's Pläne. — Nager und Lebensmittel in Niabe. — Behandlung Kapitän 
Eajati’3 und Mohammed Biri's durch Kabba-Rega. — Mabrufi wird von einem 
Büffel durchbohrt. — Emin Paſcha und feine Soldaten. — Meine Vorſchläge und 
Emin’s Antwort. — Emin’s Lage. — Mohammed Achmet. — Der Kongoftaat. — 
Die Depeichen des Auswärtigen Amtes. 


Am 25. April brachen wir von Kavalli auf und lagerten uns 
dann bei Bundi in der Höhe von 1493 m über dem Meere. Das 
eigentliche Dorf lag noch ungefähr 120 m höher auf dem Grat einer 
der Hügelfetten, welche die Wafjericheide zwiichen dem Beden des Kongo 
und dem des Nils bilden. Im ihren Thälern entipringen die erjten 
fleinen Bäche, welche dem öftlichen Ituri zufließen. Auf der andern 
Seite des jchmalen felfigen Grats entjtehen die Flüſſe, welche in den 
Albert-See hinabjtürzen. Unfer Lager befand fich gerade am Rande 
des Plateaus, von wo wir einen ungehinderten Blid über einen großen 
Theil des ſüdlichen Endes des Albert-Sees hatten. 

Mbiaſſi, der hübjche Häuptling von Kavalli, begleitete uns, um 
jeinen Gäſten die Ehren jeines Stammes zu erweijen. Er befahl den 
Bewohnern von Bundi, jchleunigjt eine größere Beiſteuer an Lebens— 
mitteln ins Lager zu Schaffen, und jandte auch Boten an Komubi 
mit der Aufforderung, nicht zu jänmen und einen Mann mit Lebens— 
mitteln zu verjorgen, der vielleicht eines Tages veranlaßt werden 
fünne, bei der Züchtigung Kabba-Rega's Hülfe zu leiften. Komubi, 


27. April 1888.) Zufammentreffen mit Emin Paſcha. 367 


der berühmte Häuptling der öftlichen Balegga, ſcheint von diejen hart: 
nädigen Feinden Kabba-Rega's als ihr „einziger General‘ betrachtet 
zu werden. Mbiafji, von jeinem Volk gewöhnlich nad) jeinem Diftrict 
Kavalli genannt, war ein Diplomat. 

Am 26. April ftiegen wir in 2°, Stunden nochmals an den 
Abhängen des Plateaus hinab und quartierten ung am Fuße des- 
jelben in dem Balegga= Dorfe Badſua ein, 700 m unterhalb des 
Lagers bei Bundi. Die Balegga waren geflohen, doch da das Dorf 
Eigenthum Kavalli’S war, nahm er Befit von demfelben und ver- 
theilte aus den Getreidevorräthen, je nach dem Bedarf unjerer ver: 
einigten Begleiter, für fünf Tage ausreichende Rationen an die Leute, 

Bon Katonja, dem Häuptling, welcher am 14. December unjere 
Freundſchaft abgelehnt, die ihm angebotenen Geſchenke zurückgewieſen 
und am 16. jeine Leute gejchidt Hatte, um unfer Lager mit Pfeilen zu 
beichießen und zwei unferer Sranfen zu ermorden, kamen Boten, um 
mir zu jagen, er „ſterbe“ vor Verlangen mich zu jehen. Er hatte 
jest gehört, daß Majamboni, Gavira, Kavalli und viele andere jehr 
intim mit den Fremden jeien, die feine Leute demüthig um einen 
Trunk Waſſer gebeten hatten, und beeilte fich nun, wie Schimei der 
Benjamite, dies wieder gut zu machen. Ehe ic) nod) eine Antwort geben 
fonnte, war der handfejte Komubi, der „einzige General“, mit einer 
weißen Kuh, mehrern Ziegen und Bündeln ſüßer Kartoffeln, fowie 
vielen Töpfen mit fräftigem Bier von den Balegga-Hügeln herab- 
gejtiegen. Komubi und jeine halsjtarrigen Begleiter waren es ge: 
wejen, welche ſich am 13. December mit folcher Hartnädigkeit an die 
Serien der Nachhut geheftet und den nächtlichen Angriff verjucht 
hatten. Er fam jebt, um freimüthig fein Bedauern und jeine Ber: 
knirſchung auszuiprechen, daß er uns für die Banditen Kabba-Rega's 
gehalten habe, und um fein ganzes Land und, wenn ich es wünschte, 
aud) jein Leben in meine Hände zu legen. Wir machten ziemlich vafch 
Freundſchaft mit diefem fühnen Häuptling und trennten ung erit nad) 
längerer Unterhaltung. Katonſa antworteten wir, daß wir ung feine 
Botichaft überlegen würden. 

Sch brauche jegt die Tagebuchform. 

27T. April. Halt in Badſua. Die Gabelweihen find in Ddiejer 
Gegend jehr freh. Als wir ihre Kühnheit bemerften, amufirten wir 
uns damit, auf das Dad einer Hütte Fleifchitüde auf Armeslänge 
von einem daneben ftehenden Manne zu legen, und jedesmal gelang 
e3 der Gabelweihe, mit dem Fleisch zu entlommen, da der Vogel, 


368 Funfzehntes Kapitel. [Albert-Rjanja 


über der Stelle umberjegelnd und jchwebend, den Augenblick, wo die 
Aufmerkſamkeit des Mannes etwas nachließ, zu willen jchien, in dem— 
jelben Moment fich plöglic auf das Fleiſch jtürzte und es mit feiten 
Griffe davontrug, ehe die ausgeitredte Hand ihn ergreifen fonnte.. 

Unjer Jäger „Three O'clock“ ging auf die Jagd und. kehrte mit 
dem Fleiſch eines von ihm gejchoffenen ſchönen Kudu zurüd, 

28. April. Halt. Heute Morgen zog Uledi Mabrufi, ein an— 
derer Jäger, aus, um „Three D’clod‘“ auf der Jagd Concurrenz 
zu machen, und nachmittags brachte er und jeine Gefährten drei junge 
grauröthliche Antilopen mit. 

29. April. Als wir um 8 Uhr gerade im Begriff jtanden, 
das Lager abzubrechen, um nad) dem See zu marjchiren, erſchien ein 
eingeborener Führer mit einem vom 23. April datirten Schreiben 
von Jephſon, welcher mir mittheilte, daß er Miwa, eine Station Emin 
Baicha’s, wohlbehalten erreicht, und der Commandant Schufri Aga 
Boten abgefandt habe, um Emin Paſcha von unjerm Eintreffen am 
See in Kenntniß zu ſetzen. Außer dem Schreiben folgte ein Korb 
Zwiebeln mit, ein Gejchent von Schufri Aga. 

Um 9 Uhr brachen wir nach dem See auf. Zwei Stunden 
fpäter hatten wir faum km vom Ufer, nicht weit von dem 
am 16. December von uns bejesten Lagerplaße und der Stelle 
des alten Kavalli, die der Häuptling ung zeigte, ung gelagert. Wir 
hatten Getreiderationen auf fünf Tage bei uns und konnten Fleisch 
von der Ebene hinter uns befommen, da größeres Wild verjchiedener 
Art reichlich auf derjelben umberichwärmte. 

Bon meinem Zelteingange ſah ich um 4", Uhr nachmittags am 
nordöftlichen Horizont des Sees einen dunfeln Gegenftand auftauchen, 
den ich für ein Eingeborenenfanoe oder vielleicht für das auf der 
Rückfahrt begriffene Stahlboot „Advance“ hielt, allein ein Blick durch 
den Feldſtecher enthüllte mir die Dimenfionen eines viel größern Fahre 
zeugs, als ein Boot oder Kanoe haben konnte, und im nächjten Augen— 
blit ließ aud) das Aufiteigen einer dunkeln Rauchwolfe erkennen, daß 
es ein Dampfer war. Eine Stunde jpäter fonnten wir unterjcheiden, daß 
derielbe ein paar Boote im Schlepptau hatte, und um 6%, Uhr ließ 
er in der feinen Bai von Njamſaſſi dicht unter Land der Inſel dieſes 
Namens den Anker fallen. Es waren Dubende von unjern Leuten vor 
unjerm Lager am Strande, weldye die Gewehre abfeuerten und durch 
Winfen Zeichen gaben; doch chen, obwol wir nur 3 km von der 
Inſel entfernt waren, niemand uns zu bemerken, 


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ASTOR, LENUX AND 
TILDEN FOUNDATIONS 
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29. April 1888.) Zujammentreffen mit Emin Paſcha. 369 


Ich ſchickte daher tüchtige Boten dem Strande entlang, um der 
Gejellichaft an Bord unſere Anweſenheit mitzutheilen, leider aber be— 
nahmen fich diejelben jo übereifrig, daß, als fie die Gewehre abichoffen, 
um fich bemerfbar zu machen, fie in Erwiderung von den Sudanejen 
beihoffen wurden, die jelbitverjtändlich die wilden Geftalten für Leute 
Kabba-Nega’s gehalten hatten. Es wurde indeß fein Unheil ange 
richtet, die Bootsmannjchaft erfannte das Rufen ihrer Kameraden und 
theilte den übrigen mit, daß die Leute am Lande Freunde feien, wor: 
auf das Boot bereit gemacht wurde, um unfere Beſucher nach dem 
Strande in der Nähe des Lagers zu befördern. Um 8 Uhr ſchritt Emin 
Paſcha unter allgemeinen großen Freudenkundgebungen und nad) wieder: 
holter Begrüßung durch Flintenſchüſſe ins Lager, begleitet von Kapitän 
Cajati, Herren Jephſon und einem der Offiziere des Paſchas. Ich ſchüttelte 
ihnen allen die Hand und fragte, wer Emin Paſcha ſei. Dann erregte 
eine etwas Fleine, zarte Gejtalt, welche eine Brille trug, meine Auf: 
merkſamkeit durch die in vorzüglichem Engliſch geiprochenen Worte: 
„Ich bin Ihnen viel taujend Dank jhuldig,Herr Stanley, und weiß 
wirklich nicht, wie ich Ihnen denfelben ausiprechen ſoll.“ 

„Ah, Sie find Emin Paſcha, Erwähpen Sie des Danfes nicht, 
jondern treten Sie ein und ſetzen Serfihrr&s ift hier draußen jo 
dunfel, daß wir ung gegenfeitig nicht chef fünnen.“ 

Wir jaßen am Eingang des Zeltes, ein Wachslicht erhellte die 
Scene. Ich hatte eine große, hagere Geftalt von militärischem Ausjehen 
in abgetragener ägyptiſcher Uniform zu jehen erwartet, erblidte ftatt 
dejjen aber eine Feine, ſchmächtige Figur mit einem guterhaltenen Fes und 
in einem jaubern, ſchön geplätteten und vorzüglich fitenden, jchnee- 
weißen Anzug aus Baummwollendrilih. Ein dunkler, graumelirter 
Bart umrahmte das Geſicht von ungarischem Typus, obwol eine 
Brille demjelben ein etwas italienisches oder jpanifches Ausfehen gab. 
Das Geficht zeigte feine Spur von Kranfheit oder Sorge, jondern 
deutete eher gute Körperbeichaffenheit und friedliches Gemüth an. Ka— 
pitän Gajati dagegen jah, obwol er jünger an Jahren ift, Hager, von 
Sorgen aufgerieben, befümmert und alt aus. Er war ebenfalls in 
jaubern Baumwollenſtoff gekleidet und trug auch einen ägyptifchen Fes. 

Kurze Schilderungen der Ereigniffe unjerer Reife, die Ereigniffe 
in Europa, die Vorfälle in den Aequatorialprovinzen, ſowie perſön— 
liche Angelegenheiten nahmen den größten Theil von zwei Stunden 
in Anſpruch, worauf wir zum Abſchluß der glücklichen Zufammenkunft 
fünf halbe Flaſchen Champagner, ein Gejchent meines Freundes 


Stanley, Im dunkelſten Afrita. L 24 


370 Funfzehntes Kapitel. [Niabe 


Greshoff in Stanley Pool, entkorkten und auf die dauernde Gejund- 
heit Emin Paſcha's und Kapitän Caſati's tranfen.* 

Alsdann geleiteten wir die Gejelljchaft zum Boote, welches fie 
nad) dem Dampfer zurückbrachte. 

30. April. Marjchirten mit der Expedition nad) Niabe, einem 
ihönen, trodenen, grasbewachjenen Orte, etwa 50 m vom See 
und 5 km von der Inſel Njamſaſſi entfernt. Als wir am Anker: 
plab des Dampferd „Khedive“ vorbeizogen, wurden wir von einem 
Detachement der Sudanejen des Paſchas, das am Ufer des Sees in 
Parade aufgeftellt war, mit Mufif begrüßt. Der Paſcha trug einen 
Uniformrod und jah militärischer aus als am Abend vorher. 

Neben diejen ftrammen Geftalten erjchienen unjere Sanfibariten 
wie eine erbärmliche Truppe und nadter als je. Aber ich ſchämte 
mich ihrer nicht. So gering fie auch ausjahen, hatten wir doch 
nur durch ihre Hiülfe unzählige Schwierigfeiten überwinden fünnen, 
und wenn fie auch nicht zu ererciven verjtanden und feine Eriegeriiche 
Stellung einzunehmen vermochten, jo waren doc) die beiten der juda- 
nejiichen Soldaten im Vergleich zu ihnen nur Kinder für die Erforder: 
nijje einer Erpedition wie die unjerige. Nach Beendigung der fleinen 
Geremonie lieferte ih 30 Kiften Nemingtonpatronen an den Paſcha 
ab und begab mich an Bord des Dampfers, wo ich ein Frühftüd, aus 
in Sirup gebadenem Hirfefuchen und einem Glaje friiher Mild) 
bejtehend, zu mir nahm. 

Der Dampfer war der „Khedive‘‘, der im Jahre 1869 von Sa— 
muda Brothers gebaut, 271, m lang, 51,—5!/, m breit und einen 
Tiefgang von 12 m hat. Obgleich das Schiff fait 20 Jahre alt ift, 
leiftet e8 noch Dienfte, doch fährt es etwas langjam. Die obern 
Theile jehen ganz gut aus, indejjen joll der Dampfer unter Waſſer, 
wie ich höre, ſtark ausgeflict fein. 

Außer dem Paſcha befanden fich an Bord Caſati, Vita Hafian, 
ein tunefischer Apothefer, einige ägyptiihe Beamte, ein ägyptiſcher 
Lieutenant und einige 40 judanefische Soldaten, jowie eine tüchtige 
Mannſchaft. Nach den vertrauten Tönen, die ich während eines 
momentanen Abjchweifens der Gedanken vernahm, war es mir jo als 
jei ich in Alerandrien oder am Unterfongo, wenn ich dann aber aufs 


* Beim Lejen der nachſtehenden Notizen darf nicht außer Acht gelafien werden, 
daß der Paſcha 35 Tage vorher an den Herausgeber von „Petermann’s Mit: 
theilungen “ ein Schreiben gerichtet hatte, welches mit den bedeutfamen Worten 
Ihloß: „Kommt Stanley nicht bald, jo find wir verloren.“ 


30. April 1888.) Zuiammentreffen mit Emin Paſcha. 371 


blickte und einen flüchtigen Blick um mich warf, hatte ich wieder die 
Gewißheit, mich an Bord eines auf dem Albert-See ſchwimmenden 
Dampfers zu befinden. Wenn wir langſam nordwärts bis ungefähr 
24, km vom Ufer gleiten, haben wir die hohe Maſſe des Plateaus 
von Unjoro zu unjerer Rechten, während ſich linfs ein ebenjo ge- 
waltiges Hochland erhebt, dejjen Auf» und Abjtiege uns nur zu be: 
fannt find. Bei einem flüchtigen Blick auf die dunfelblaue Mafje von 
Unjoro fann ich mir erflären, weshalb Bafer unjerer Plateaumauer 
den Namen der Blauen Berge gegeben, denn wären wir der Küſte 
von Unjoro entlang gefahren, würde der warme Dunſt unſer 
Plateau ähnlich gefärbt haben. Nachdem wir die Injel Njamjaifi 
hinter uns zurüdgelaffen, erglänzte eine feuchte Felsfläche, welche 
von dem Fluß beipült wird, den wir geitern beim Abſtieg über- 
jchritten haben, wie ein Spiegel in der Sonne, ſodaß fie wie eine 
herabjtürzende breite Waſſerfläche erjcheint. Baker hat ihr daher den 
Namen einer Cascade gegeben, wie fie ſich ihm von Often her ge- 
zeigt hat. 

Dr. Junker und Dr. Felkin ließen uns, namentlich nad) den 
Beröffentlichungen in den Nummern des „Graphic vom Januar 1887, 
Emin Paſcha als einen nervigen, jehnigen, großen Mann von un- 
gefähr 1,5 m Größe erwarten, in Wirklichkeit ift er aber nicht über 
1,r m groß. ch erinnere mid), daß erjterer ganz bejorgt war, ob 
die für feinen Freund bejtellten Hoſen auch fang genug in den Beinen 
jeien. E3 mußten aber 15 cm abgeichnitten werden, ehe fie Emin 
paßten. Emin erzählte mir, er jei 48 Jahre alt. Sein Ausjehen läßt 
diefes Alter nicht erfennen; jein Bart it dunkel, nahezu jchwarz, 
und feine Beweglichkeit würde einem Manne von 30 oder 35 Jahren 
anftehen. | 

Der Paſcha jagt mir, dat er Monbuttu bejucht, aber wie die 
Reifenden Schweinfurth, Caſati, Piaggia und Junker feine aſtrono— 
mifchen Beobachtungen gemacht, jondern ſich einzig und allein auf 
Bermefjungen mit dem Kompaß bejchränft habe. Dagegen hat er der 
Meteorologie diejes Gebiets mehr Aufmerkſamkeit zugemwendet. 

Gegen Mittag anferten wir unweit Njabe, wo ic} mich ans 
Land begab, um die Leute zur Heritellung eines adjtunggebietenden 
Lagers anzutreiben, das fich für einen längern Aufenthalt in einem 
Lande eignete, welches wir wegen der Nachbarichaft Kabba-Rega’s 
als gefährlich betrachten konnten. Nachdem diejer König Emin Paſcha 
den Fehdehandſchuh hingeworfen Hatte, fonnte er ſich auch mächtig 

24* 


372 Funfzehntes Kapitel. Niabe 


genug glauben, um mit jeinen 1500 Gewehrträgern unjere Stärfe zu 
erproben, oder es konnten die Waganda auf ihren Raubzügen von 
unjerer Nachbarschaft hören und durch die zu erwartende Beute ſich 
verjucht fühlen, uns einen Beſuch abzuftatten. 

Abends fam Emin Paſcha ans Land und wir hatten eine längere 
Unterredung; doch bin ich nichtsdeftorweniger nicht im geringften im 
Stande zu jagen, was jeine Abfichten fein mögen. Ich Habe ihm 
jeine Briefichaften, den „Hohen Befehl des Khedive und das Schreiben 
Nubar Paſcha's ausgehändigt. 

Ih dachte, daß wir vielleicht zwei Wochen zu warten haben und 
dann ſämmtlich nad) dem Plateau marjchiren würden, um in Un 
duffuma einen geeigneten Platz zu bejegen, wo ich ihn, nachdem alle 
Borfehrungen in Bezug auf vollftändige Sicherheit und Behaglichkeit 
getroffen waren, lafjen fonnte, um zum Beiltande der Nachhut zurüd- 
zufehren. Nach unjerer Wiedervereinigung konnten wir in wenigen 
Tagen den Marſch nad) Sanfibar aufnehmen. Aber der Paſcha hatte 
eine ominöfe Weile. Wenn ich ihm die Rückkehr nad) dem Meere 
vorichlage, pflegt er fich aufs Knie zu Hopfen und zu lächeln in einer 
Weile, als wollte er jagen: „Wir werden ja jehen.“ Es wird ihm 
offenbar jchwer, jeine Stellung in einem Lande, wo er vicefönigliche 
Gewalt ausgeübt hat, aufzugeben. 

Nachdem ich ihm die Gründe für die Räumung der Yequatorial- 
provinzen jeitens Aegyptens ziemlich ausführlich auseinandergejett 
hatte, erwiderte er: „Ich begreife vollftändig die Schwierigkeit, in 
welcher Aegypten bezüglich der Behauptung diefer Provinzen ſich be- 
findet, bin aber Hinfichtlih meiner Rückkehr noch nicht jo recht 
im Klaren. Der Khedive hat mir geichrieben, daß die Gehalts» 
zahlung an mich, meine Offiziere und Mannjchaften von dem Ge— 
neralzahlmeifter geregelt werden joll, wenn wir nad) Aegypten zurück— 
fehren, daß wir aber, falls wir hier bleiben, dies auf eigenes Rifico 
und eigene Verantwortung thun und feine weitere Hülfe von Aegypten 
erwarten können. Nubar Paſcha hat mir ein langes Schreiben ge- 
fandt, aber in demjelben Sinne. Das nenne ich aber feine Inſtrue— 
tionen. Sie jagen mir nicht, daß ich das Land verlaffen joll, ſon— 
dern überlafjen es mir, nach meinem eigenen Ermeffen zu handeln.‘ 

„Nun, wenn Sie e3 geftatten, werde ich, da der Khedive und Nubar 
Paſcha nicht Hier find, um Ihnen jelbit zu antworten, diefe Schreiben 
mit dem ergänzen, was ich felbjt pofitiv weiß. Dr. Junfer jagte bei 
jeiner Ankunft in Aegypten der Welt, daß Sie ſich wegen Mangels 


30. April 1888.) Zufaumentreffen mit Emin Paſcha. 373 


an Munition in großer Noth befänden, aber eine genügende Menge 
bejäßen, um Ihre Stellung noch ein oder vielleicht anderthalb Jahre 
zu verteidigen, vorausgejeßt, daß fein entichiedener Angriff auf Sie 
gemacht werde und Sie nicht einen längern Widerftand zu leiſten hätten. 
Sie hätten die Nequatorialprovinzen bis hierher erfolgreich vertheidigt 
und würden dies mit Aufgebot aller Ihrer Kräfte auch in Zukunft 
thun, bis Sie von Ihrer Regierung Befehl erhalten würden, anders 
zu handeln. Sie liebten das Land und die Bevölferung jehr, das 
Land befinde ſich in einem gedeihlichen, ruhigen und zufriedenen Zu— 
ftande und befige faft alles, um es in diefer glücklichen Lage zu erhalten. 
Sie würden es nicht gern jehen, wenn alle Ihre Arbeit umjonft ge— 
wejen jei, jondern es wäre Ihnen viel Tieber, wenn Aegypten dieſe 
Provinzen behielte, oder, wenn es hierzu nicht im Stande ſei, eine 
andere europäische Macht in der Lage und gewillt jei, Ihr Werf fort- 
zujegen. Sat Dr. Junfer correct über Sie berichtet, Paſcha?“ 

„sa, das hat er.‘ 

„Run denn, der erfte Gedanke, welcher den ägyptiichen Beamten 
fam, als fie den Bericht Dr. Junker's vernahmen, war, daß gleichviel 
welche Inftructionen Sie erhielten, Sie nicht geneigt fein würden, Ihre 
Provinzen zu verlaffen. Deshalb jagt der Khedive, daß wenn Sie 
bier bleiben, Sie dies auf eigene Verantwortlichfeit und eigenes Rifico 
thun und feine weitere Hülfe von Aegypten erwarten können. 

„Unfere Inftructionen lauten dahin, Ihnen eine gewiſſe Menge 
Munition zuzuführen, und nachdem Sie diejelbe befommen haben, Ihnen 
zu jagen: «Nun find wir bereit, Sie aus Afrifa zu führen und zu 
geleiten, wenn Sie gefonnen find, uns zu begleiten, und wir werden 
und freuen, wenn wir das Vergnügen Ihrer Gejellichaft haben; 
dagegen ift unjere Miſſion beendet, wenn Sie es ablehnen, mit uns 
zu gehen.» 

„Nehmen wir nun einmal das lehtere an, daß Sie es vorziehen, 
in Afrifa zu bleiben. Nun, Sie find noch jung, erft 48 Jahre alt, 
und Ihre Conftitution ift noch gut. Wir wollen jagen, daß Sie nod) 
5, 10 oder ſelbſt 15 Jahre länger die gleiche Kraft in fich fühlen, dann 
aber wird die Schwäche des Alters heranjchleichen und Ihre Kraft 
dahinſchwinden. Zweifelnd werden Sie die Ausfichten für die Zufunft 
betrachten und vielleicht plößlich den Entichluß faſſen, fich zurüdzuziehen, 
ehe es zu Spät ift. Sie werden eine Route nad) der See wählen — 
beijpielsweije die Monbuttu-Route. Angenommen, Sie erreichen den 
Kongo und nähern ſich der Civiliſation, wie wollen Sie, da Sie 


374 Funfzehntes Kapitel. [Nabe 


Lebensmittel für Geld oder Waaren faufen müffen, Ihre Leute erhalten ? 
Und angenommen, Sie fommen nad) der See, was wollen Sie dann 
thun? Wer wird Ihnen helfen, Ihre Leute in ihre Heimat zu be= 
fürdern? Sie haben Wegyptens Hülfe zurüdgewieien, als fie Ihnen 
angeboten wurde, und fünnen — um die Worte des Khedive zu 
brauchen — feine weitere Hülfe von Aegypten erwarten. 

„Wenn Sie während Ihrer Lebenszeit hier bleiben, was wird dann 
ipäter aus den Provinzen? Ihre Leute werden unter ſich um die 
Oberhoheit kämpfen und alle dem gemeinfamen Ruin entgegenführen. 
Das find ernfte Fragen, die fich nicht in der Eile beantworten laſſen. 
Lägen Ihre Provinzen in nicht gar zu großer Entfernung von der See, 
ſodaß Sie von dort mit den Mitteln zur Behauptung Ihrer Stellung 
verjehen werden fünnten, dann würde ich einer der letzten fein, Die 
Ihnen rathen, das Anerbieten des Khedive anzunehmen, jondern Ihnen 
in thätigfter Weife behilflich fein mit VBorjchlägen über die Mittel, 
fih zu halten; aber hier auf allen Seiten, wie diefer See untgeben 
von mächtigen Königen und Ffriegeriichen Völkern, mit einem ſolch 
ungehenern Walde im Weften und den fanatiischen Anhängern des 
Mahdi im Norden, würde ich, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, feinen 
Angenblid zaubern, was ich zu thun hätte.‘ 

„Was Sie jagen, ift Sehr richtig”, entgegnete der Paſcha; „allein 
wir haben eine jo große Zahl von Frauen und Kindern, insgejammt 
wahricheinlich 10000 Berjonen! Wie fann man fie alle von hier 
fortbringen? Wir werden eine große Menge Träger brauchen.“ 

„Träger, wofür? 

„Für die rauen und Kinder. Sie würden fie ficherlich nicht 
zurücklaſſen wollen, und marjchiren fünnen fie nicht.‘ 

„Die Frauen müſſen gehen, und was die Kinder anbetrifft, die 
das nicht fünnen, jo werden fie von Ejeln getragen werden, von denen 
Sie, wie Sie jagen, viele befigen. Ihre Leute werden im erjten Monat 
nicht weit marjchiren, nach und nach aber werden fie ſich daran ge- 
wöhnen. Auf meiner zweiten Expedition haben unjere Weiber Afrika 
durchquert; Ihre Frauen werden nach kurzer Zeit daſſelbe leiſten.“ 

„Sie brauchen eine ungeheuere Menge Lebensmittel unterwegs.‘ 

„Nun, Sie haben eine große Zahl von Rindern, einige hundert, 
glaube ich. Dieje werden Fleisch liefern. Die Länder, welche wir 
pafliren, müſſen uns mit Getreide und vegetabilischer Nahrung verjehen. 
Und wenn wir nach Ländern kommen, welche Bezahlung für die Lebens— 
mittel annehmen, dann befigen wir die Mittel, um fie zu faufen, und 


1. Mai 1888.) Zufammentreffen mit Emin Paſcha. 375 


in Mialala liegt für uns ein weiterer Vorrath von Waaren für den 
Marich nad) der Küſte bereit.‘ 

„But, gut. Wir wollen die weitere Beiprehung der Sache auf 
morgen verjchieben.“‘ 

1. Mai. Halt in Niabe. 

Um 11 Uhr vormittags fam Emin Paſcha ans Land, und nachdem 
er eine furze Weile Plat genommen hatte, jegten wir die Unterhaltung 
vom Abend vorher wieder fort. 

„Bas Sie mir gejtern Abend gejagt haben‘, begann der Paſcha, 
„läßt mich glauben, daß es am beften ift, wenn wir Afrika verlajjen. 
Die Aegypter find, wie ich weiß, ganz bereit zu gehen. Es find ihrer 
etwa 50, außer den Frauen und Kindern. In Bezug auf diefe Leute 
herricht fein Zweifel, und jelbjt wenn ich bliebe, würde ich mid) freuen 
fie los zu werden, weil fie meine Autorität untergraben und alle meine 
Bemühungen wegen des Rückzuges zu Schanden machen. Als ic) ihnen 
mittheilte, daß Chartum gefallen und Gordon erichlagen worden jet, 
jagten fie den Nubiern immer, ich hätte die Gejchichte ausgejonnen, 
wir würden eines Tages die Dampfer den Fluß herauf zu ihrer Be- 
fretung fommen jehen. Allein bezüglich der Negulären, die zwei 
Bataillone bilden, hege ich ſehr ftarfen Zweifel; fie haben hier ein 
jolch freies und glücdliches Leben geführt, daß fie Anftand nehmen 
werden, ein Land zu verlaflen, wo fie fich eines Lurus erfreuen, 
auf den fie in Megypten nicht hoffen fünnen; fie find verheirathet 
und außerdem hat jeder Soldat jeinen Harem; dagegen würden Die 
meiſten Irregulären ohne Zweifel fortgehen und mir folgen. Ange: 
nommen nun, daß Die Negulären fich weigern, das Land zu verlaffen, 
jo fünnen Sie fich denken, wie jchwierig meine Stellung jein würde. 
Würde ich recht thun, wenn ich fie ihrem Schickſal überließe? Würde 
ic fie damit nicht alle dem Ruin überantworten? Ich würde ihnen 
ihre Waffen und Munition laffen müſſen und nach meiner Entfernung 
würde jegliche anerkannte Autorität und Disciplin zu Ende jein. 
Sie würden jofort in Streit gerathen und es würden fich Bar: 
teten bilden. Die Ehrgeizigen würden danach jtreben, ſich mit Ge: 
walt an die Spite zu stellen, und aus den Eiferfüchteleien Haß 
und gegenfeitiges Gemetzel entjtehen, das für alle ein gemeinfames 
Schickſal bedingt.‘ 

„Das iſt ein ſchreckliches Bild, das Sie da gemalt haben, Paſcha“, 
jagte ih. „Nichtsdeſtoweniger fcheint mir, der ich dazu erzogen bin, 
den Befehlen zu gehorchen ohne Rüdficht darauf, was mit andern ge: 


376 Funfzehntes Kapitel. [Niabe 


Schieht, der Weg der Pflicht für einen getreuen Offizier des Khedive 
in Ihrem Falle Klar zu fein. 

„Alles, was Sie meiner Anficht nach zu thun haben, ift, Ihren 
Truppen das Schreiben des Khedive vorzulejen, diejenigen, welche mit 
Ihnen abzumarjchiren geneigt find, auf die eine, diejenigen, welche zu 
bleiben vorziehen, auf die andere Seite treten zu laſſen und die erjtern 
für den unmittelbaren Abmarſch vorzubereiten, während Sie den an- 
dern zurüclaffen fünnen, was Sie an Munition und Waffen zu ent- 
behren vermögen. Wenn die Bleibenden drei Viertel oder vier Fünftel 
Ihrer Truppen ausmachen, jo braucht es niemand zu kümmern, was 
aus ihnen wird, da fie nad) eigener Wahl handeln, und ebenjo wenig 
entbindet es Sie perfönlich nicht von dem Verhalten, welches die Pflicht 
gegen den Khedive Ihnen vorjchreibt.‘ 

„Das ist jehr wahr“, enwiderte der Bajcha; „aber angenommen, 
die Leute umzingeln mid) und halten mic) mit Gewalt zurüd? 

„Das ijt nad) meiner Anficht bei dem Zustande der Disciplin 
unter Ihren Leuten jehr ummvahrjcheinlih. Aber Sie müſſen Ihre 
Leute natürlich am bejten kennen.“ 

„But, ich werde den Dampfer morgen mit dem Schreiben des 
Khedive hinabichiden, und Sie würden mich jehr verpflichten, wenn 
Sie einem Ihrer Offiziere geftatten würden mitzugehen und fich den 
Truppen in Dufild zu zeigen. Laſſen Sie ihn jelbit zu den Leuten 
ſprechen und ihnen jagen, daß er von dem Bertreter der Regierung 
fomme, der eigens vom Sthedive gejandt jei, um fie fortzubringen; 
vielleicht werden fie, wenn fie ihn gejehen und mit Ihren Sudanejen 
gejprochen haben, bereit jein, mit uns abzumarſchiren. Wenn die Leute 
gehen, gehe ich auch; wenn fie bleiben, bleibe ich ebenfalls.‘ 

„Angenommen nun, Sie bejchließen zu bleiben, was wird dann 
aus den Aegyptern?“ 

„O, dann würde ih Sie bitten müſſen, fich ihrer anzu— 
nehmen.“ 

„Wollen Sie nun jo gut fein und Kapitän Caſati fragen, ob 
wir das Vergnügen feiner Gejellichaft bis zur Küfte haben werden? 
Denn wir find angewiejen, ihm jede in unferer Macht jtehende Hülfe 
zu leiſten.“ 

Kapitän Caſati antivortete durch Emin Paſcha. 

„Wenn der Gouverneur Emin geht, gehe ich auch; wenn er 
bleibt, bleibe ich ebenfalls.‘ 

„Nun ich ſehe, Paſcha, daß Sie im Falle Ihres Bleibens eine 


2. Mai 1888.) Bujammentreffen mit Emin Paſcha. 377 


große Verantwortlichkeit haben, da Sie Kapitän Gafati in Ihr eigenes 
Schickſal verwideln.‘ 

Lächelnd erwiderte der tapfere Kapitän, nachdem ihm meine Worte 
verdolmetjcht waren: 

„Do, ih Iprehe Emin Paſcha von jeder Verantwortlichkeit in 
Bezug auf mich frei, denn ich laſſe mich nur von meiner eigenen 
Wahl leiten.” 

„Darf ich Ihnen dann vorjchlagen, Paſcha, wenn Sie hier zu 
bleiben wiünjchen, Ihr Tejtament zu machen?‘ 

„Zeitament! Wozu?‘ 

„Um über Ihr Gehalt zu verfügen, das bisjeßt ſchon jehr er: 
heblich fein muß. Ich glaube, Sie jagten acht Jahre? Oder denfen 
Sie vielleiht daran, das Geld Nubar Paſcha zu Hinterlajjen?‘ 

„Nubar Paſcha befommt meine Liebe. Pah, es fünnen nur etwa 
2000 und einige Pfund Sterling fällig fein. Was bedeutet eine jolche 
Summe für einen Mann, der eben beijeitegejchoben werden joll? ch 
bin jet 48 Jahre alt und eins von meinen Augen it volljtändig 
verloren. Wenn ich nad) Aegypten komme, werden jie mir einige 
Ichöne Worte jagen und mich hinauscomplimentiren. Und alles, was 
ich zu thun Habe, tft, mir in Kairo oder Stambul einen Winfel als 
endgültigen Ruheplatz zu juchen. Wirklich eine ſchöne Ausficht!‘ 

Nachmittags kam Emin Pascha nochmals in mein Zelt und jagte 
im Laufe der Unterhaltung, er ſei entichloffen, Afrika zu verlafjen, 
„wenn feine Leute dazu bereit ſeien; fonft wolle er bei ihnen bleiben‘. 

Ich erfuhr auch, daß die Aegypter, etwa 65, nur allzu geneigt 
jeien, nad) ihrem Mutterlande zurüczufehren. Das erite Bataillon 
Reguläre zähle etwas über 650, das zweite fat 800 Mann; Emin 
habe ungefähr 750 Nemingtongewehre, alle übrigen jeien mit Per— 
cuſſionsflinten bewaffnet. 

2. Mai. Heute Morgen fuhr der Dampfer „Khedive“ nad 
Norden ab, zunächſt nach der Station Mſwa und von dort nad) dem 
14", Stunden Dampferfahrt entfernten QTunguru; nach zwei Tagen 
wird das Schiff nad) Wadelai und am dritten Tage nach Dufilé ab- 
gehen. Der Dampfer nimmt den fchriftlichen Befehl des Paſchas mit, 
60—70 Soldaten, einen Major und joviel Träger wie erhältlich mit- 
zubringen. Er wird wahrjcheinlich 14 Tage fort jein; inzwiſchen warten 
wir bier die Rückkehr des Schiffes ab. 

Ich habe vorher anzuführen vergeflen, daß der Paſcha auf meine 
briefliche Bitte einige Ochjen und Milchkühe, ungefähr 40 Schafe und 


378 Funfzehntes Kapitel. [Nabe 


Ziegen und ebenfo viele Hühner, jowie mehrere taufend Pfund Getreide 
mitgebracht hatte als PBroviant zum Unterhalt der Expedition während 
der Zeit, die wir am Nijanja bleiben mußten, da es der Umgegend 
von Niabe, ausgenommen was man durd die Jagd erhält, volljtändig 
an Lebensmitteln fehlt. Bei einiger Vorficht haben wir Proviant für 
volle drei Wochen zur Hand. 

Inzwijchen bleibt der Paſcha mit Kapitän Caſati und etwa 20 Sol» 
daten hier und hat fich etwa 300 m Südlich von ung gelagert. Er 
und jeine Leute find behaglich in Hütten untergebracht. Alle Aus: 
jichten deuten auf eine vollftändig jorgenfreie Raft für mehrere Wochen, 
während ich und die Offiziere in dem Pajcha die Gejellichaft eines höchſt 
liebenswürdigen und gebildeten Mannes genießen. Caſati verfteht fein 
Englisch, und fein Franzöſiſch ift noch fchlechter als das meinige, ſodaß 
e3 mir verjagt ift, mich mit ihm zu unterhalten. Won dem Pajcha 
erfahre ich aber, daß Caſati in Unjoro jehr jchwere Zeiten durchgemacht 
hat. Bis zum December v. J. gingen die Dinge noch erträglih. Da 
er als Vertreter Emin Paſcha's in Unjoro [ebte, war er der Vermittler 
für den Transport der Briefe des Paſchas nad) Uganda, jowie für 
die Uebermittelung derjenigen PBadete mit Briefen, Büchern, Arz— 
neien u. j. w., die Herr Maday, der Agent der kirchlichen Miffton, 
entbehren fonnte. 

Dann fam plöglich von Uganda her an Kabba-Rega die Nach- 
richt von unjerer Expedition, deren Stärke das Gerücht auf Taujende 
von wohlausgerüfteten Soldaten vergrößert hatte, welche ſich mit den 
Truppen des Paſchas zu vereinigen, durch Unjoro und Uganda 
zu fegen und beide Länder zu verwüſten beabfichtigten; und bald 
darauf geriet) ein für mich und die Offiziere bejtimmtes Briefpadet 
dem Kabba-Rega in die Hände, wodurd in gewiljer Weiſe die Wahrheit 
des Gerüchts beftätigt wurde. Kabba-Rega jandte einen Offizier nad) 
dem Haufe Caſati's, die Wanjoro raubten ihm alles weg, banden 
ihn und jeine Diener an einen Baum und behandelten ihn perſön— 
fi in Ichmachvolliter Weife. Der Araber Mohammed Biri, welcher 
hauptjächlich den Verkehr zwiſchen Gajati und Maday unterhalten 
hatte, wurde, wie man mir erzählte, noch jchlimmer behandelt und 
wahrſcheinlich als Spion und Verräther hingerichtet. Kapitän Caſati 
und feine perjönlichen Diener wurden nad) einer Weile von Beamten 
Kabba-Rega’s aus Unjoro hinausgeführt und jenjeit der Grenze nadt 
an Bäume gebunden; doch gelang es ihnen auf irgendeine Weile 
ih zu befreien und nad dem Ufer des Tees zu entfommen, wo 


2. Mai 1888.) Bufammentreffen mit Emin Paſcha. 379 


einer der Diener ein Kanoe entdedte, mit welchem er die Fahrt 
quer über den See nad) Tunguru antrat, um von Emin Paſcha Hülfe 
zu holen. Der fühne Burfche wurde von einem der Dampfer des 
Paichas angetroffen und der Kapitän dampfte, nachdem er das Schiff 
mit Heizmaterial verjehen hatte, jofort hin, um dem Pajcha Mitthei- 
fung zu machen. Wenige Stunden jpäter war der Dampfer „Khedive“ 
ſchon unterwegs, befehligt von dem Gouverneur jelbjt, der ein Detache- 
ment Soldaten mitgenommen hatte. Nachdem unter Leitung des 
Dieners eine Zeit lang die öſtlichen Ufer abgejucht worden waren, 
wurde der Dampfer von Cafati jelbft vom Lande aus angerufen, und 
wenige Minuten jpäter lag diejer ficher in den Armen feines Freundes. 
Emin ſchickte darauf einige Soldaten ans Land, welche zur Wiederver: 
geltung für die feinem Agenten zugefügten Unbilden Kibiro nieder: 
brannten. Selbftverftändlich hatte Caſati, al3 er nadt in die Wildniß 
gejagt wurde, jein ganzes perjönliches Eigenthum, feine Tagebücher 
und Aufzeichnungen, und mit dieſen auch unjere Briefe verloren. 

Der Kapitän übergab mir einen Wegezettel, aus welchem ich erjah, 
daß die Poftboten am 27. Juli, gerade einen Monat nachdem wir 
Jambuja verlajjen hatten, von Sanfibar aufgebrochen und unjere Briefe 
rechtzeitig am 11. September in Mijalala und am 1. November bei 
der Station der Hochkirchen-Miſſion in Uganda eingetroffen waren, und 
daß Kapitän Caſati am 1. December, 12 Tage vor unjerer Ankunft 
am wejtlichen Ufer des Njanſa, 6 Packete mit Briefen erhalten hatte. 
Da er nad) jeiner Erzählung am 13. Februar 1888 vertrieben wurde, 
icheinen unſere Poften fich ziemlich lange in feinen Händen befunden 
zu haben, vermuthlich weil ſich feine Gelegenheit bot, fie dem Paſcha 
zuzujenden. 

An diefem Morgen machte der Jäger Saat Tato fih auf, um 
Wild für das Lager zu jchießen, begleitet von einigen jungen Burjchen, 
welche gern an dem Sport theilnehmen wollten. Zwei Büffel waren 
bereit3 dem nie fehlenden Gewehr des Jägers zum Opfer gefallen, 
ein dritter aber, der nur am Bein verwundet wurde, war mit dem 
ichlauen Inſtinet des Thieres davongeftürzt, im Kreiſe umbergerannt 
und hatte jich zwijchen breitäftigen Afazien verborgen, um feine Gegner 
zu erwarten. Inzwiſchen hatte Mabrufi, der Sohn des Kaffim, welcher 
die Kunft der Büffeljagd kennen wollte, fich aufgemacht, um die Spur 
des verwundeten Thieres zu verfolgen. Kaum hatte der auf der Wacht 
jtehende Büffel aber jeinen Feind entdeckt, als er mit heiferm Gebrüfl 
auf denjelben zuftürzte und ihn in die Höhe fchleuderte, wobei eins 


380 Funfzehntes Kapitel. [Niabe 


der Hörner dem unglüdlichen Dann in die Hüfte drang. Als er dann 
am Boden lag, wurde er von dem wüthenden Thiere mit dem Kopfe 
gejtoßen, in der Seite und an den Armen durhbohrt und am Leibe 
aufgeriffen, bi8 Saat Tato das Gejchrei des Verwundeten hörte, raſch 
binzueilte und dem Büffel, allerdings faſt ſchon zu jpät, eine Kugel 
in den Kopf jchoß, ſodaß er todt zulammenftürzte. Während einer 
der jungen Burschen jchleunigit ins Lager lief, um uns den traurigen 
Borfall zu melden, ging Saat Tato weiter und ſchoß noc vier 
ſchöne grauröthliche Antilopenböde. Als Mabruft dann entjeglich ver: 
ftümmelt in einer Hängematte ins Lager getragen wurde, jchleppte ein 
ftarfes Detachement unjerer Leute die Ueberrefte der drei Büffel und 
die vier Antilopen herbei, die als Proviant dienen follten. Obwol 
die Leute mit Getreide umd Fleisch Schon vollgeftopft waren, herricht 
doch eben folch eifriges Gejchret und lauter Begehr nach den ihnen 
zufommenden Antheilen, al3 wenn fie Hunger gelitten hätten. 

An Abend des 30. April jeßte ein jchwerer Sturm ein, der fait 
die ganze Nacht anhielt, jodaß der Paſcha dem „Khedive“ jignalifirte, 
beide Anker fallen zu laffen. Da der Anfergrund aber gut war, hielt 
der Dampfer den Sturm wohlbehalten aus. Seitdem haben wir meh- 
rere heftige Böen gehabt, die Tag und Nacht von Regen begleitet waren. 

3. Mai. Lager bei Niabe. 

Wie es guten Unterthanen ziemt, kamen heute die Leute Kavallı'z, 
um ihren abwejenden Fürften zu befuchen, und brachten zehn Körbe 
mit Kartoffeln mit, die wir freundjchaftlich zwiichen uns und Emin 
Paſcha theilten. 

Im Laufe einer langen Unterredung erklärte Emin Paſcha Heute 
Nachmittag: „Ich bin überzeugt, daß meine Leute niemals nach Aegypten 
gehen werden. Aber Herr Iephjon und die Sudanejen, welche Sie 
bei mir zu laffen jo freundlich waren, werden Gelegenheit haben, ſich 
jelbit dur; Sehen und Hören zu überzeugen. Und ich möchte gern, 
daß Sie eine Proclamation oder Botſchaft aufichrieben, welche den 
Soldaten vorgelefen werden fann und in der Sie ihnen jagen, was 
Ihre Initructionen find, und daß Sie auf ihre Erflärung warten. So— 
weit ich fie fenne, werden fie nie nach Aegypten wollen. Die Aegypter 
werden natürlich gehen, aber ihrer find nur wenige und fie find ficherlich 
weder für mich noch für jonjt jemand von Nutzen.“ 

Das war die bejtimmtejte Antwort, welche ich bisjegt bekommen 
babe. Ich habe eine pofitive Erflärung diefer Art erwartet, che ich 
es wagen fann, ihm weitere VBorichläge zu machen. Um nun meine 


3. Mai 1888.) Zufammentreffen mit Emin Paſcha. 381 


verjchiedenen Parteien gegebenen Verjprechen zu halten, habe ich, obwol 
diejelben etwas in Widerſpruch zu ftehen jcheinen, zwei andere Pro- 
pofitionen zu machen. Die erjte Pflicht habe ich natürlich gegen den 
Khedive, und ich würde mich freuen, wenn ic) den Paſcha folgiam finden 
würde, wie e3 einem gehorjamen Offizier ziemt, der feinen Poſten 
tapfer behauptet hat, bis er den Befehl erhält, fich zurüdzuziehen. Auf 
diefe Weiſe würde er das deal eines Gouverneurs verwirklichen, wie 
e3 feine Briefe mir im Geifte vorgemalt hatten. Nichtsdeftoweniger 
braucht er nur fich bejtimmt zu äußern, um mich zu veranlafjen, ihm 
in jeder Beziehung nach meinen beiten Sträften zu helfen. 

„Nun gut“, jagte ich, „und nun bitte ich Sie, Paſcha, zwei 
andere Vorſchläge anzuhören, welche id) die Ehre habe Ihnen von 
Parteien zu machen, die ſich gern Ihrer Dienfte bedienen würden. Mit 
dem Borjchlage Sr. Hoheit des Khedive macht das drei, und ich 
möchte Ihnen, da Sie Zeit genug vor ſich zu haben jcheinen, anheim— 
geben, jeden derjelben nad) jeinem Werdienfte zu prüfen und dann 
jelbft die Wahl zu treffen. 

„Laſſen Sie mich diejelben wiederholen. Der erjte Vorſchlag geht 
dahin, daß Sie fortfahren, ein gehorjamer Soldat zu fein, und mid) 
nach Yegypten begleiten. Nach Ihrer Ankunft werden Sie, Ihre Offiziere 
und Soldaten den Sold bi zu dem betreffenden Tage erhalten. Ob 
Sie von der Regierung im activen Dienfte weiter bejchäftigt werden, 
weiß ich nicht, doch ſollte ich meinen, daß dies geichehen wird, da 
Offiziere Ihrer Art knapp find und Megypten eine Grenze hat, wo 
folche Dienfte, wie Sie leiften fünnten, von Werth jein würden. In 
Antwort auf diefen VBorichlag jagen Sie aber, Sie jeien überzeugt, daß 
Ihre Leute nicht von hier fort wollen und daß Sie im Falle einer 
Erflärung derjelben in diefem Sinne bei ihnen bleiben werden. 

„Nun, mein zweiter Vorjchlag an Sie fommt von Leopold, dem 
König der Belgier. Er hat mid) erfucht, Ihnen mitzutheilen, daß, um 
das Zurückſinken der YWequatorialprovinzen in die Barbarei zu ver: 
hindern und vorausgejegt, daß diejelben verhältnigmäßige Einkünfte zu 
liefern vermögen, der Kongoſtaat die Regierung derjelben vielleicht über- 
nehmen könnte, wenn dies mit einem Aufivande von 10000— 12000 
Pd. St. im Jahre möglich wäre; und ferner, daß Se. Majeftät König 
Leopold, in der Meinung, daß eine derartige Beichäftigung Ihrer 
eigenen Neigung entiprechen dürfte, gewillt ift, Ihnen ein genügendes 
Gehalt — 1500 Pd. St. — als Gouverneur mit dem Range eines 
Generals zu zahlen. Ihre Pflicht würde darin beftehen, die Verbin: 


382 Funfzehntes Kapitel. [Niabe 


dungen zwiſchen dem Nil und dem Kongo offen zu halten und für 
Geſetz und Ordnung in den Nequatorialprovinzen zu jorgen. 

„Mein dritter Vorſchlag ift: Wenn Sie überzeugt find, daß Ihre 
Leute fich pofitiv weigern werden, das Anerbieten des Khedive zur 
Nückehr nad) Aegypten anzunehmen, jo begleiten Ste mich mit den 
treu gebliebenen Soldaten nad) der Nordojtede des Victoria-Njanja und 
geftatten mir, Sie dort im Namen der Engliſch-Oſtafrikaniſchen Gejell- 
ſchaft einzujegen. Wir werden Ihnen helfen, ein Fort an einer für 
die Zwede einer ſolchen Gejellichaft geeigneten Stelle zu erbauen, Ihnen 
unjer Boot und jonftige Waaren, welche für Sie nothiwendig wären, 
zurücdlaffen, dann durch das Mafjai-Land heimeilen und die Angelegenheit 
der Oſtafrikaniſchen Gejellichaft vorlegen, um deren Genehmigung für 
diejen Schritt und ihren Beijtand zu Ihrer dauernden Inftallirung in Afrika 
zu erlangen. Ich muß Ihnen erklären, daß ich nicht die Befugniß 
habe, Ihnen diefen letzten Vorſchlag zu machen, jondern daß derjelbe 
der Ausflug meines guten Willens gegen Sie und des ernftlichen 
Wunjches ift, Sie und Ihre Leute vor den Folgen Ihres Entjchluffes, 
hier zu bleiben, zu bewahren. Ich bin überzeugt, daß ich die herzliche 
Billigung und die Mitwirkung der Gejellichaft erlangen kann, und daß 
diejelbe den Werth von einem oder zwei geichulten Bataillonen in ihrer 
neuen Erwerbung, jowie die Dienfte eines Adminiftrators wie Sie bereit- 
willig anerfennen wird. 

„Bitte, ſchenken Sie mir geduldig noch ein paar Augenblide Gehör, 
damit ich Ihnen Ihre Hiefige Stellung genau auseinanderjegen fann. 
Das ganze Syſtem der Ausdehnung Aegyptens bis hinauf zum Albert: 
Nijanja war falſch. In der Theorie war es jchön und natürlih. Was 
iſt jelbjtverjtändlicher, als daß die Regierung, welche an der Mündung 
eines Fluſſes herricht, den Wunſch hegt, ihre Autorität auch an den 
Ufern bis zur Quelle hinauf, und bis zu einer Quelle, wie fie der 
Nil hat, auszudehnen. Leider war es aber eine ägyptische Regierung, 
welche, jo ehrlich ihre Abfichten auch waren, ſich nur auf Beamte von 
. den niedrigsten moraliichen Eigenichaften und Charakteranlagen verlaffen 
fonnte. Allerdings find die oberjten Beamten in dieſen Gegenden ein 
Baker, Gordon und Emin geweſen, allein alle Subalternbeamten waren 
Aegypter oder Türken. In dem Maße, als Sie Ihre Stationen verviel- 
fachten und Ihre Boten vermehrten, verringerten Sie Ihren eigenen Ein- 
fluß. Während in dem Mittelpunkt Ihres Kreiies vielleicht etwas einer 
Regierung Aehnliches war, blieben die äußern Kreiſe unter dem Einfluffe 
der türfischen und ägyptiichen Beamten, irgendeines kairiniſchen Paſchas, 


3. Mai 1888.) Bufammentreffen mit Emin Paſcha. 383 


Beys und Effendis von zügellojem, laumenhaften Wejen. Durch mili- 
tärijche Gewalt war das Land erobert und bejeßt und mit Gewalt tft 
die Decupation jeitdem aufrecht erhalten worden. Eine anerkannte 
Regierung hat, und wenn es auch diejenige von Aegypten ift, das 
gejegliche und moraliiche Recht, ihre Autorität auszudehnen und ihr 
Gebiet zu erweitern. Wenn fie ihren Willen wirkſam durchjest, um jo 
bejier; die Eivilifation wird den Nuten davon haben und alle Völker 
befinden ſich unter einer conftitutionellen Regierung beſſer als unter 
gar feiner. War dort aber eine wirfjame Regierung? Bis nad) Ladö 
und Gondoforo war Ddiejelbe, wie ich zugebe, erträglid. Dampfer 
fonnten von Berber bis hinauf nach Ladoͤ fahren, und der Chef ver- 
mochte die Unterregierungen, ſoweit jolche vorhanden waren, zu beauf- 
fichtigen. Allein als die ägyptifche Regierung ihre Genehmigung zur Aus- 
dehnung über das ungeheuere wegloje und unzugänglicdye Gebiet des 
äußerften Sudan billigte, noch bevor Straßen angelegt oder die Mittel 
für den Verfehr vorbereitet oder gefichert waren, forderte fie die Kata— 
jtrophe heraus, die num eingetreten it. Als Mohammed Achmet den 
Brennjtoff, den die Unterbeamten durch ihre Gewaltthätigfeiten gefammelt 
hatten, entzündete, waren die Mittel zur Unterdrüdung der Flammen 
über ein Gebiet von weit mehr als 1 Million Quadratkilometer zerjtreut. 
Der Generalgouverneur war erjchlagen, feine Hauptjtadt genommen ; 
eine Provinz nad) der andern fiel, und ihre Gouverneure und Soldaten, 
die ijolirt und weit voneinander entfernt waren, capitulirten; und Sie, 
der legte von ihnen, vetteten fi und Ihre Leute nur durch den Rückzug 
von Ladö. Dieje frühern ägyptijchen Erwerbungen, ausgedehnt nach 
demjelben Syjtem und nur durd) die Anweſenheit des Militärs regiert, 
würden, wenn man fie wiedereroberte, daljelbe Schidjal herausfordern. 
Wäre die militäriiche Beſatzung eine wirkſame und ftände jede Unter: 
regierung mit der andern in Verbindung, dann brauchte man den Zu- 
ſammenbruch der Regierung nicht zu befürchten; allein fie kann unter 
Aegypten niemals wirkſam fein. Seine Einfünfte und die Bevölferung 
vermögen das auch nicht aufzubringen. In Ermangelung defjen kann 
nur das Selbjtinterejfe der regierten Völker dieje fernen Territorien 
an die Regierung von Aegypten fejjeln, und das ift ein Element, welches 
von denjenigen, die für die plögliche Ausdehnung der fairiner Herr- 
ſchaft verantwortlich find, niemals in Betracht gezogen zu fein jcheint. 
Wann ijt diejes Selbjtinterejfe des Volkes je gepflegt und genährt 
worden? Die Hauptleute marjchirten mit ihrer Soldatesfa nad) einem 
Eingeborenengebiet, jtellten eine Flaggenſtange auf, hiften das rothe 


384 Funfzehntes Kapitel. Nſabe 


Banner mit dem Halbmond und erklärten unter dem Salut der Ge— 
wehre den fraglichen Diſtriet als formell von Aegypten annectirt. 
Dann wurden Proclamationen an alle Betreffenden erlaſſen, daß der 
Elfenbeinhandel hinfort ein Monopol der Regierung ſei, und infolge 
deſſen wurden die etwa im Lande befindlichen Händler ihres Lebensunter— 
halt3 beraubt. Wendeten diejelben, um fich für die durch diefe Maß— 
regeln ihnen verurjachten Verlufte ſchadlos zu halten, ihre Aufmerkſam— 
feit dann den Sklaven zu, jo vernichtete eine weitere Proclamation 
ihr Geichäft in diefem Handel ebenfalls. Eine große Zahl von Ein- 
geborenen hatte feinen Verdienft aus dem Verkauf des Elfenbein an 
die Händler, andere waren an der Gefangennahme und dem Berfauf 
von Sklaven jtarf betheiligt, während die Händler felbit, die ihr 
Kapital in Ddiefen Unternehmungen angelegt hatten, ſich vollitändig 
ruinirt jahen und ſowol Geld als auch Beichäftigung verloren hatten. 
Vergeſſen Sie nicht, daß ich nur die Politik im Auge habe. Auf dieje 
Weiſe waren im Sudan Hunderte von beivaffneten Karavanen geblieben, 
von zwanzig bis zu Hunderten von Gewehren zählend. Als Mohammed 
Ahmet die Fahne der Empörung erhob, konnte er den durd ihre 
Berlufte zur Verzweiflung gebrachten Führern diefer Karavanen einige 
Bortheile bieten; was hatten dagegen die Negierungsbeamten zu bieten? 
Nichts. Infolge deffen wurde jede Spur der Regierung, die jo ftreng, 
willfürlich und unflug gewejen war, wie Spreu vor dem Winde fort- 
gefegt. E3 lag im Intereffe der Händler, der Regierung Widerftand 
zu leiften und fich zu bemühen, daß ein Zuſtand wiederhergeftellt 
werde, der von uns allerdings für höchſt unmoralijch gehalten wird, 
für fie aber Verdienſt und, was noch mehr ift, Befreiung von Unter- 
drüdung bedeutet. 

„Betrachten Sie num den Kongojtaat, der ſich jehr viel raſcher 
ausgedehnt hat, als die ägyptische Regierung im Sudan. Kein Schuß 
iſt abgefeuert, feine Gewaltthat gegen die Eingeborenen oder Händler 
begangen und feine Steuer erhoben worden, außer in dem Seehafen, 
wo der Händler jeine Ausfuhrartifel einjchifft. Die Häuptlinge der Ein- 
geborenen haben freiwillig ihr Gebiet angeboten und fic unter der blauen 
Flagge mit dem goldenen Stern vereinigt. Weshalb? Weil jehr viele 
Vortheile von den unter ihnen lebenden Fremden zu erzielen find. 
Zunächſt werden fie gegen ihre ftärfern Nachbarn geſchützt, und alles 
Ehbare, was fie produciren und verfaufen können, bringt ihnen den 
vollen Werth an Kleidungsſtücken und jonjtigen Gegenjtänden, die fie 
brauchen. Was fie an Handelsartifeln hatten: Elfenbein, Guttapercha, 


3. Mai 1888.) Zufammentreffen mit Emin Pajcha. 385 


Palmöl oder Palmkerne, blieb frei und unbeftenert, und niemand 
miſchte fih in ihre heimischen Gebräuche und häuslichen Angelegen- 
heiten. Der Kongoftaat wurde ohne Gewaltthätigfeit gegründet und 
beiteht ohne ſolche; wenn er aber eine andere Politik beginnt, den 
Handel bejteuert, jeine Hand auf das Elfenbein als Regierungsmonopol 
legt, fi in die häuslichen Einrichtungen der Eingeborenen mischt, in 
tyrannischer Weiſe den ganzen Verdienſt des europäischen Kaufmanns 
an fich nimmt, ehe er fi) auf dem neuen Boden genügend befeftigt 
und um jeine Stationen ausreichend phyfiiche Kraft gejammelt Hat, 
um dies ungejtraft thun zu können — dann wird der Kongoſtaat ebenjo 
unglücklich und plöglich zujammenbrechen, wie es mit der ägyptifchen 
Autorität im Sudan der Fall geweien iſt. Das bei der Station an 
den Stanley zällen eingetretene Unglüd ift ein Beifpiel von dem, was 
alsdann zu erwarten jteht. 

„Run wird jeder, der überhaupt nachdenkt, begreifen, daß diefe 
Ihre Provinzen niemals wieder von Aegypten bejegt werden fünnen, 
jolange lebtere8 von ägyptischen Beamten regiert wird. Negypten 
vermag die Summen nicht aufzubringen, die erforderlich find, um eine 
wirfjame Regierung über ein jo entferntes Gebiet aufrecht zu erhalten. 
Es ijt zu weit entfernt von Wadi Halfa, der gegenwärtigen wirf- 
lichen Grenze ihres Territoriums. Wenn Aegypten Wadi Halfa mit 
Berber oder Chartum oder Suakin mit Berber durch eine Eifenbahn 
verbindet, dann kann Ladö vielleicht als die äußerſte jüdliche Grenze 
jeines Gebiets betrachtet werden; verbindet eine Eijenbahn Ladö mit 
Dufile, dann wird das jüdliche Ende diejes Sees die wirkliche Grenze 
der ägyptiſchen Autorität fein, immer voraugsgejegt, daß ihre Militär- 
macht ausreicht, um dieje Art des Verkehrs ununterbrochen zu halten. 
Bann glauben Sie aber, daß dies der Fall jein wird? Zu Ihren 
Lebzeiten? 

„Wer wird aber ſonſt jo donquirotisch fein, den begehrlichen Blid 
auf dieſe Provinzen zu werfen? Der König der Belgier? Nun, es 
iſt eine Bedingung an jeinen Vorſchlag geknüpft, nämlih «wenn die 
Provinzen verhältnigmäßige Einkünfte zu liefern vermögen». Sie fünnen 
in diefer Sache am beiten beurtheifen, ob eine Subfidie von 10000 
oder 12000 Pd. St. zur Unterhaltung der Regierung diefer Pro— 
binzen ausreichen wird. Die Einkünfte, wie groß fie auch fein mögen, 
müſſen im Verein mit diejer Summe genügen, um zwischen hier und Jam: 
buja, eine Entfernung von mehr als 1000 km, ungefähr 20 Stationen 
zu unterhalten, d.h. etwa 1200 Soldaten, 50 oder 60 a und einen 


Stanlen, Im dunkelſten Afrika. I. 


386 Funfzehntes Kapitel. [Niabe 


an der Spite jtehenden Gouverneur zu bezahlen, Ddenjelben die Aus- 
rüftung, die Vertheidigungsmittel zu liefern und eine ſolche Trans: 
porttruppe zu beichaffen, wie vielleicht nothwendig ift, um die ent: 
ferntejten Theile mit dem Kongo zu verbinden. 

„Wenn nicht der König der Belgier, wer jonjt wird es unter: 
nehmen, Sie entiprechend Ihrer Stellung und der Nothwendigfeit zu 
unterjtügen und zu erhalten? Es gibt genug warmberzige Leute in 
der Welt, welche ausreichend überflüffige Mittel haben, um, vielleicht 
alle drei Jahre einmal, eine Erpedition auszurüften; das iſt indeh 
nur ein zeitwerliges Mittel, nur allein, um Sie am Leben zu erhalten, 
und das entipricht wol faum Ihren Wünſchen. Was nun? Ich er: 
warte Ihre Antwort, Paſcha, und bitte Sie nochmals zu entichuldigen, 
daß ich jo redjelig geweſen bin.‘ 

„Ich danke Ihnen vielmals, Herr Stanley, und zwar von ganzem 
Herzen. Wenn ich Ihnen meine Dankbarkeit nicht auszuiprechen ver: 
mag, jo iſt es, weil die Sprache nicht ausreicht. Aber ich fühle 
Ihre Freundlichkeit aufs tiefite und werde, das verjichere ich Ahnen, 
offen antworten. 

„Nun, auf den eriten Vorjchlag, den Sie mir machten, habe ich 
Ihnen meine Antwort bereits gegeben. 

„Was den zweiten betrifft, jo möchte ich bemerken, daß ich vor 
allen Dingen Pflichten gegen Aegypten habe. Solange ich hier bin, 
gehören die Provinzen Aegypten und fie bleiben jein Eigenthum, bis 
ich fortgehe. Wenn ich weggehe, werden fie «Niemands Land». Sch 
fann meine Flagge nicht in jolcher Weije ftreichen und die rothe mit 
der blauen vertaufchen. Ich habe der eritern mehr als zwanzig Jahre 
lang gedient, die letztere ſah ich nie. Außerdem darf ich Sie wol 
fragen, ob Sie es nach Ihren neuerlichen Erfahrungen für wahr: 
icheinlich halten, daß die Verbindung mit vernünftigen Koſten offen 
gehalten werden fünnte?‘ 

„Ohne Zweifel anfänglicd nicht. Unjere Erfahrungen find zu 
ſchrecklich geweſen, um fie jo raſch zu vergejlen, doc, werden wir wegen 
der Nachhut, wie ich erwarte, unter viel weniger Beſchwerden nad) 
Jambuja zurücfehren. Der Pionier hat am meisten auszuhalten. 
Den Nuten von dem, was wir gelernt haben, werden jtets diejenigen 
haben, die nach ung kommen.‘ 

„Das mag fein, aber es werden wenigjtens zwei Jahre vergehen, 
ehe Nachrichten uns erreichen fünnen. Nein, bei aller ſchuldigen Dank— 
barkeit gegen Se. Majejtät König Leopold, ich glaube nicht, daß ich 


3. Mai 1888.) Zuſammentreffen mit Emin Bajcha. 387 


diefen Vorichlag annehmen kann; laſſen Sie uns daher zu der legten 
Propofition fommen. 

„Sch denfe nicht, daß meine Leute etwas dagegen haben würden, 
mich nach dem Vietoria-Njanſa zu begleiten, da ihr Widerjtand, ſo— 
viel ich weiß, ſich nur gegen den Marjch nad) Megypten richtet. Unter 
der Vorausjeßung, dat die Lente bereit find, bewundere ich das Pro: 
ject jehr, es it die beite und bei weitem die vernünftigite Löſung der 
Schwierigkeit. Denn bedenken Ste, daß drei Viertel von den 8000 Per— 
jonen Frauen, Kinder und junge Sklaven find; was wollte die Re— 
gierung mit einer jolchen Menge Leute thun? Wirde fie diejelben 
ernähren? Und dann bedenken Sie die Schwierigkeit des Marſches 
mit einer jolchen Armee von bülflojen Leuten. Ich kann die Ver— 
antwortlichfeit nicht auf mich nehmen, eine jolche Menge zartfühiger 
Geſchöpfe zu Führen, damit fie unterwegs jterben. Die Reife nad 
dem BictoriaNjanja iſt möglich; ſie ift verhältnigmäßig kurz. Na, 
der lebte Vorjchlag ijt bei weitem der thunlichite.‘ 

„Wir haben feine Eile, da Sie die Ankunft der Nachhut abwarten 
müſſen. Ueberlegen Sie ſich die Sache, während ich den Major her— 
beihole. Sie haben jedenfalls noch mehrere Wochen vor fich, um über 
die Angelegenheit gründlich nachzudenfen.‘ 

Ich zeigte ihm dann die gedrucdten Depejchen des Auswärtigen 
Aıntes, die mir auf Anordnung von Lord Iddesleigh übergeben wor- 
den waren. Darunter befand fich die Abjchrift eines an Sir John 
Kirk gerichteten Briefes, in welchem er im Jahre 1886 feine Provinz 
England angeboten und erklärt hatte, es würde ihn jehr glücklich machen, 
wenn er diejelbe der britischen Regierung oder thatſächlich irgendeiner 
Macht überliefern könne, welde die Erhaltung der Provinz über: 
nehmen würde. 

„Ad“, jagte der Paſcha, „sie hätten den Brief nicht veröffent- 
lichen jollen. Er war privat. Was wird die ägyptiiche Regierung 
von meinem Verfahren denfen, daß ich es wage, über dieſe Angelegen- 
heit zu verhandeln ?‘ 

„sch vermag fein Unheil darin zu entdeden‘, erwiderte ich; „Die 
ägyptische Negierung erflärt ihre Unfähigkeit, die Provinz zu behaup- 
ten, die englijche Regierung will nichts mit derjelben zu thun haben, 
und ic) fenne keine Gejellichaft oder Körperſchaft, welche die Erhaltung 
eines nach meiner Anjicht unter allen Umftänden nublojen Beſitzes 
unternehmen würde. Nach meiner Meinung liegt die Provinz gerade 


750 km zu weit ind Innere hinein, um irgendwelchen Werth zu 
25* 


388 Funfzehntes Kapitel. [Nijabe. 


haben, es fei denn, daß Uganda und Unjoro vorher botmäßig gemacht 
werden, d. 5. wenn Sie dabei beharren, das Anerbieten König Leo— 
pold’3 abzulehnen. Wenn Sie ſich abjolut weigern, dem König der 
Belgier zu dienen, und entichloffen find, in Afrifa zu bleiben, dann 
müfjen Sie meinem Beriprechen vertrauen, daß ich eine engliſche Ge— 
jellichaft veranlafjen werde, Sie und Ihre Truppen zu befchäftigen; 
wahricheinlich ijt eine jolche in diejem Augenblicke bereit gebildet 
worden, um einen engliichen Beſitz in Oftafrifa herzuftellen.‘ 


Sechzehntes Kapitel. 


Mit dem Paſcha zufammen. 
(Fortjegung.) 


Befejtigte Stationen in der Provinz. — Stürme in Nſabe. — Ein Neft von jungen 
Krofodilen. — Der Ibrahim-See. — Bentezug der Sanfibariten in die Valegga- 
Dörfer. — Dr. Parke jucht die beiden Bermißten auf. — Wieder die Sanfibariten. — 
Ein wirklicher Wirbelſturm. — Des Paſchas Geichente für uns. — Zuſammen— 
funft mit den Offizieren Emin’s. — Emin's Viehvorräthe. — Abfahrt des 
„Khedive“ nach der Station Miwa. — Mabrufi und fein verdienter Lohn. — Der 
Paſcha übt fi im Gebrauch bes Sertanten. — Abmarſch der eingeborenen Häupt- 
finge. — Anfunft der Dampfer „Khedive” und „Nyanza“ mit Soldaten. — Bor: 
bereitung für den Rüdmarjch zur Aufſuchung der Nachhut. — Meine Botichaft an 
die Truppen. — Unfere Straße bei Badſua. — Abichiedstanz der Sanfibariten. — 
Verichtwinden der Madi- Träger. — Erſter Anblid des Rumwenzori. — Frühere 
Umſchiffer des Albert Sees. — Hoher Zwillingsfegelberg in der Nähe des öft- 
lihen Ituri-Fluſſes. — Hülfe für Emin gegen Kabba-Rega. — Zwei Briefe von 
Emin Paſcha. — Wir erfahren von einen geplanten Angriffe der Häuptlinge Ka— 
dongo und Mufiri. — Neue Madi-Träger. — Wir greifen Kadongo’s Lager an 
und marichiren mit Hülfstruppen Maſamboni's und Gavira’s gegen das Yager 
Muſiri's, das fich als verlafjen erweilt. — Phalanrtanz der Krieger Maſamboni's. — 
Mufit auf dem afrikanischen Eontinent. — Lager auf dem Niera Kum-Hügel. — 
Geſchenke von verichiedenen Häuptlingen. — Der Häuptling Muſiri bittet um 
Frieden. 


4. Mai. Bon dem Lager bei Niabe beträgt, wie ich höre, die 
Entfernung mit dem Dampfer nach Miwa 9 Stunden, von dort nad) 
Tunguru 5 Stunden und nad) Wadelai 18 Stunden. Die übrigen be— 
feitigten Stationen heißen Fabbo, öftlih vom Nil, Dufild, Ende der 
Schiffahrt, Chor Aju, Labore, Muggi, Kirri, Bedden, Nedjaf und drei 
oder vier Feine Stationen im Innern, wejtlic vom Nil. 


Er jprad heute in hoffnungsvollerm Tone über die Ausfichten 
bezüglich des Abmarjches von den Ufern des Albert-Sees. Die Gegend 


390 Sechzehntes Kapitel, [Niabe 


am VBictoria-See ſchien für ihn jelbit noch mehr Anziehungskraft zu be: 
figen, al3 zuerſt. Es ift aber noch etwas dabei, was ich nicht zu 
begreifen vermag. 

6. Mat. Halt in Niabe. 

Heute brach wieder ein Sturm los, der um 8 Uhr vormittags 
begann und aus Nordoit fam. Bei den frühern Stürmen war der 
Wind Südoft und drehte fi) nad Dit. Als wir nad) den fteilen 
Plateaumauern im Oſten und Weiten von uns blicten, ſahen wir fie 
in Nebel, Dunft und Negenwolfen, den Worboten der Stürme, 
eingehüllt. Die ganze Oberfläche des Njanja war eine Maſſe von 
Schaum, Gifcht und weißen Wogen, welche bei der Annäherung 
an die Küfte, wie wir bemerften, durch große Wellenthäler voneinander 
getrennt waren, die für vom Sturm überfallene Heine Fahrzeuge jehr 
gefährlich find. 

7. Mai. Halt in Niabe. 

Beim Abendeſſen theilte der Paſcha mir heute mit, daß Caſati 
fi) ſehr entichieden gegen die in Ausficht genommene Noute via 
Ujongora nad) Süden ausgejproden und ihm gerathen habe, die 
Monbuttu- Route nach dem Kongo einzujchlagen, woraus ich jchliehe, 
daß der Paſcha mit Caſati über den Heimmarſch geiprochen hat. 
Ob er jeine Anficht bezüglich des Victoria geändert hat? 

8. Mai. Halt in Niabe, 

Jeder Tag bringt Sturm und Regen mit lauten Donnerjchlägen 
und voraufgehendem Spiel zudender Blige, jehr jchön, aber jchredlid). 

Entdedte ein Nejt junger Krofodile, 37 an der Zahl, die jocben 
aus den Eiern gejchlüpft waren. Beiläufig bemerfe ich für diejenigen, 
denen die Thatiache unbekannt ijt, daß das Krokodil fünf Krallen an 
den Vorder- und nur vier an den Hinterfüßen hat. Es ift behauptet 
worden, das Krokodil hebe beim Verichlingen die obere Kinnlade, 
während e3 thatjächlich wie andere Thiere die untere jenkt. 

9., 10. Mai. Halt in Niabe. 

11. Mat. Die Lebensmittel werden knapp. Drei Mann find 
gejtern ausgezogen, um etwas zu juchen, und bisjeßt nicht zurüd- 
gekehrt. Hoffentlich werden wir nicht wieder demoralifirt werden. 

Jephſon leidet an einem Anfall von Gallenfieber. 

Der Ibrahim See oder Gita Nfige ift dem Paſcha zufolge nur 
eine Erweiterung des Bictoria- Nils, ähnlich denjenigen unterhalb 
Wadelai, des Albert-Sees, am Oberkongo, oder wie beim Stanley- 
Pool. Infolge deſſen hat der See zahlreiche Kanäle, die durch Reihen 


12. Mai 1888.) Mit dem Paſcha zufammen. 391 


fleiner Infeln und Sandbarren voneinander getrennt find. Sowol 
Gordon als auch Emin find zu Lande am linken Ufer entlang gereift. 

Um 9 Uhr abends erhielt ich eine unangenehme Nachricht. Bier 
Mann, welche ih um 4 Uhr beim Spielen auf dem jandigen Strande 
des Sees bemerkt hatte, waren plößlich auf den Gedanken gefommen, 
einen Naubzug gegen einige Balegga-Dörfer am Fuße des Plateau 
nordnordweitlich von hier aus zu machen. Sie waren von den Ein- 
geborenen umzingelt worden und zwei von ihnen jchienen getödtet zu 
jein, während die beiden andern, welche entfommen find, ſchwere Wunden 
erhalten haben. 

12. Mat. Halt in Niabe. 

Ich ſchickte heute Morgen Dr. Parke mit 45 Gewehrträgern aus, 
um die beiden Vermißten aufzufuchen. Einer der beiden fam vor= 
mittags um 9 Uhr, nachdem er die Nacht in der Wildniß zuge: 
bracht hatte, ins Lager; er hatte durch einen nad) ihm gejchleuderten 
Speer eine tiefe Wunde im Nüden erhalten, die aber glüdlicherweife 
nicht bis zu edlen Theilen reicht. Wie er mir erzählt, Hätte er bei 
den Eingeborenen Fleiſch gegen Mehl ausgetaufcht, als er vor ſich 
Gewehrjchüffe hörte, wodurch bald alles alarmirt wurde. Die Einge- 
borenen flohen nad) der einen, er nad) der andern Seite, aber jchon im 
nächſten Augenblicke ſah er fich verfolgt und erhielt eine Speerwunde 
in den Rüden. Durch rajcheres Laufen gelang es ihm, den Berfolgern 
zu entfommen, bis er fich in dem hohen Graje des Baches verbergen 
fonnte, während einige Eingeborene nad) ihm juchten. Dort hatte 
er die ganze Nacht gelegen; nachdem die Sonne aufgegangen war, 
hatte er den Kopf herausgeftedt, um Umſchau zu Halten, und als er 
niemand jah, ſich wieder nad) dem Lager aufgemacht. 

Ich bin nie ganz ficher darüber geweſen, in welcher Weile diefe 
Unfälle entjtehen und ob die Eingeborenen oder die Sanfibariten die 
Angreifer find. Lebtere ftellen den Fall in außerordentlih glaubwür— 
diger Weile dar, doch find fie in der Kunſt des Lügens jo geichidt, 
daß ich oft irregeführt werde. Es jcheint mir jo hoffnungslos, in 
diejem Falle die Wahrheit ans Licht zu bringen, daß ich ihnen meine 
Anſicht von der Sache in folgender Weile erkläre: 

„Solange ihr Sanfibariten täglich fünf oder jechs Pfund Mehl 
und ebenjo viel Pfund Fleisch erhaltet, werdet ihr immer jo träge, daß 
ihr nicht einmal nach dem Dampfer gehen würdet, um euch mit Ra— 
tionen für die Zeit zu verforgen, während welcher er vielleicht fort ift. 
Der Dampfer ift jchon jeit mehrern Tagen abgefahren und euere Ra— 


392 Sechzehntes Kapitel. [Nabe 


tionen gehen natürlich ſtark auf die Neige, denn wer vermag euch mit 
jo viel Fleiſch zu verjorgen, wie ihr vergeuden fünnt? Ihr habt des- 
halb das Lager ohne Erlaubnig verlaffen, um bei den Balegga zu 
jtehlen. Wie ich höre, waret ihr ein ganzer Trupp; als ihr gejehen, 
daß das Dorf ziemlich voll von Eingeborenen war, waren die meisten 
von eud) Flüger als die übrigen und taufchten ein wenig Fleisch 
gegen Mehl ein, während euere kühnern Gefährten weiter gingen und 
Hühner zu ftehlen begannen. Die Eingeborenen rächten das und 
ſchoſſen ihre Pfeile auf die Diebe ab, die ihrerjeit3 mit Schüffen er- 
widerten, worauf eine allgemeine Flucht entjtand. Einer von euch ift 
getödtet worden; ich habe ein Gewehr verloren und drei von euch find 
verwundet worden und werden lange Zeit untauglich zur Arbeit fein. 
Das it die Wahrheit in der Sache, und ich werde euch deshalb Feine 
Arzneien geben. Heilt euere Wunden jelbit, wenn ihr das könnt; ihr 
drei Burjchen follt, wenn ihr wieder befjer werdet, mir das Gewehr 
bezahlen.‘ 

13. Mai. Halt in Nabe. 

Der Doctor fehrte von der Suche nad) den Vermißten zurüd, 
ohne weiteres ausgerichtet zu haben, als zwei feine Dörfer in Brand 
zu jteden und einige Schüſſe auf entfernte Trupps von Eingeborenen 
abzugeben. Er war nicht im Stande geweien, die Leiche des Sanfi- 
bariten oder deſſen Wincheftergewehr wiederzuerlangen. Die Stelle, 
wo er gefallen, war an einer ziemlich großen Blutlache zu erkennen; 
wahricheinlich hat er einige feiner Feinde verwundet. 

In letzter Nacht wehte ein wirklicher Wirbeljturm. Pechſchwarze 
Wolfen jammelten fih in Südſüdoſt und Nordoft und bereiteten uns 
auf eine nafje Nacht vor, nicht aber auf eine jo furdjtbare Ge: 
walt des Windes, der mit ſolch fräftiger Wucht auf ung eindrang, 
daß er das Lager in Trümmer legte und die Zelte umriß. Das Ge: 
töje beim Herannahen des Sturmes glich demjenigen, welches bei einem 
Dammbruch oder dem Herabſchießen der Gewäſſer eines eingeftürzten 
Rejervoirs entjtehen dürfte Der mit fchredlicher Gewalt daherge- 
peitſchte Regen durchdrang alles. Keine Vorfichtsmaßregel, welche die frü- 
hern Erfahrungen mit dem Wetter am Nijanja uns gelehrt hatte, ver: 
mochte und vor der durchdringenden, durchichlagenden Kraft des Regens 
und feines feinen Gilchtes zu ſchützen; der Wirbeljturm trieb ihn unter 
den Hütten und Zelten durch, den Zeltitangen entlang, durch die Dicht- 
geichloijenen Fenſter, Luftlöcher und Thüren, bis wir überſchwemmt 
waren. Gegen eine jolche Gewalt des Windes und Waflers in der 


14. Mai 1888.) Mit dem Paſcha zufammen. 393 


ftodfinftern Nacht bei dem betäubenden Getöje anzufämpfen, war eine 
jo hoffnungslofe Arbeit, daß uns weiter nichts übrigblieb, als alles 
fchweigend und mit gejchlofjenen Lippen zu ertragen. Als das Tages: 
licht kam, zeigte fi) uns ein ruhiger See, der von zerrijfenen Wolfen 
bededte Himmel, die von Dunftmaffen umgebenen Spiten des Pla- 
teaus, ein zertrümmertes Lager, am Boden liegende Zelte und durch— 
weichte Einrichtungsgegenftände. Das Getöjfe der Brandung war jo 
jchredlich, daß wir gern die fich überjchlagenden Wogen und die ſturm— 
gepeitichte Oberfläche des Sees bei Tageslicht gejehen hätten. Hoffent- 
fi hat der alte „Khedive“ in einem fichern Hafen gelegen, jonjt muß 
er geicheitert fein. 

14. Mai. Halt in Nijabe. 

Heute Nachmittag Iangte der Dampfer „Khedive“ an und brachte 
einen Vorrath von Hirjeforn und einige Milchkühe mit. Der Paſcha 
jtellte fich lächelnd mit einigen für ung alle höchſt willtommenen Ge: 
fchenfen ein. Für mich brachte er ein Paar ftarfe Wanderſchuhe mit 
zum Austauſch gegen ein fleineres Paar Stiefel, die er bei meiner 
Rückkehr mit der Nachhut haben joll. Herr Jephſon wurde mit einem 
Ober:, einem Unterhemd und ein Paar Unterbeinkleivern glüdlich ge- 
macht, während Dr. Parke, dem ein dejertirter Sanfibarite jeine Haupt- 
ausrüftung geitohlen hat, eine blaue geſtrickte Iade, ein Unterhemd 
und ein Paar Unterbeinfleider erhielt. Außerdem befam jeder von 
ung einen Topf Honig, einige Bananen, Orangen und Wafjermelonen, 
Zwiebeln und Salz. Ic erhielt auch ein Pfund „Honeydew“-Taback 
und ein Glas mit Pidles. 

Solche Geſchenke, wie die Kleidungsitüde, welche unjere Offiziere 
von Emin Paſcha befamen, beweijen, daß er jih nicht in fo außer: 
ordentlicher Noth befand, wie wir geglaubt hatten, und daß es nicht 
nöthig gewejen wäre, mit der Vorhut jo eilig vorzudringen* Wir 
hatten alle unfere Bequemlichkeiten und NRejervefleidungsitüde in Jam— 
buja zurüdgelaffen, um zur Rettung eines Mannes zu eilen, der, wie 
wir meinten, nicht mur wegen mangelnder Mittel zur Vertheidigung 
gegen Feinde, jondern auch wegen Mangels an Kleidungsitüden fich 
in Noth befand. Abgejehen von dem doppelten Marſch nad dem 
Albert-See befürchte ich, daß wir auch zur Rettung des Majors Barttelot 





* nd dennoch jchrieb der Paſcha am 25. März 1888, 50 Tage vorher, an 
den Herausgeber von „Petermann's Mittheilungen‘ einen Brief, den er mit den 
Worten jchloß: „Kommt Stanley nicht bald, jo find wir verloren.” 


394 Sechzehntes Kapitel. [Niabe 


und der Nachhut weit zurüdgehen müſſen. Gott allein weiß, wo er ſich 
befindet. Wielleicht hat er Jambuja noch nicht verlajfen; in dieſem 
Falle werden wir einen Ertramarjch von etwa 2100 km zurüdzulegen 
haben. Es ift ein fürchterlich langer Weg durch ein abjchredendes 
Land, und ich fürchte, ich werde viele, jehr viele gute Seelen auf diejem 
Mariche verlieren. Aber Gottes Wille geichehe! 

Emin ftellte mir heute Selim Bey, Major Auaſch Effendi und 
andere Offiziere vor. ch hatte ihm vor zwei oder drei Tagen an- 
gedeutet, daß er mir wichtigen Beiftand leijten könnte, wenn er auf 
der Inſel Njamſaſſi eine fleine Station bauen würde, wo wir Die 
Gewißheit einer bequemen Verbindung mit jeinen Leuten hätten und 
er einen Nejervevorrath von Getreide für die Ankunft der vereinigten 
Erpedition lagern fünnte. Er hatte mir das bereitwillig veriprochen, 
ich muß aber befennen, daß ich mich heute einigermaßen gewundert 
babe, als er fi) an den Major Auaſch Effendi wandte und, wie mir 
ichien, in etwas bittendem Tone jagte: „VBeriprechen Sie mir num in 
Gegenwart von Herrn Stanley, daß Sie mir 40 Mann zum Bau 
diefer Station geben wollen, die Herr Stanley jo jehr wünjcht.“ Dabei 
iſt etwas, das ich nicht veritehe; jedenfalls fieht es meinem Jdeal von 
einem Gouverneur, Vicefünig und Befehlshaber von Leuten nicht ähn— 
(ich, in diefem Tone zu Untergebenen zu jprechen. 

Heute hatte ich eine weitere Unterredung mit Emin Paſcha, aus 
welcher ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß wir nicht nur noch— 
mals nad) dem Albert:Njanja werden marjchiren, ſondern auch jpäter 
mindejtens noch zwei Monate warten müffen, bevor er feine Leute ver: 
jammeln fann. Anſtatt jich während unjerer Abwejenheit ans Werf 
zu machen und feine Leute zu ſammeln und für den Marjch vorzu: 
bereiten, will er warten, bis ich mit der Nachhut zurückfehre, worauf 
id) dann, wie er hofft, bis nach Dufil€ gehen joll, um jeine Leute zu 
überreden, mir zu folgen. Er iſt noch immer überzeugt, daß jeine 
Truppen nicht nad) Aegypten gehen wollen, aber vielleidht veranlaßt 
werden fünnen, bis zum Bictoria-Njanja zu marjciren. 

IH fragte ihn, ob das Gerücht wahr fei, daß er bei einem Zuge 
nach den weitlichen vinderreichen Gebieten 13000 Stüd Vieh er- 
obert habe. 

„O nein, das ift Uebertreibung. Einem gewiſſen Bachit Bey iſt 
es auf einem Naubzuge, den er während der Generalgouverneur: 
ſchaft Rauf Paſcha's nad) Mafrafa unternommen hat, gelungen, 
000 Stüd wegzunehmen, doch iſt er wegen diejer That jtreng ge 


17. Mai 1888.] Mit dem Paſcha zujammen. 305 


tadelt worden, weil joldye Beutezüge im großen nur zur Entvölferung 
eines Landes führen. Das ift die größte Zahl von Rindern, welche 
man auf einmal befommen hat. ch habe Gelegenheit gehabt, Befehl 
zur Ausführung von Fourragirungserpeditionen zu geben, um Lebens- 
mittel zu erhalten, aber 1600 Stüd find die größte Zahl gewejen, 
welche wir je auf einmal erreicht haben. Andere Fourragirungszüge 
haben uns 500, 800 und 1200 Stück gebradjt.‘ 

Gejtern und heute war das Wetter jehr angenehm; die Tem— 
peratur der Luft war: 


9 Uhr vormittags Südoftbriie -. . - 2.2.2... R. 
10 Uhr 30 Min. vormittags Südojtbriie . . . 20° „ 
1 „ 30 „ nachmittags ⸗ I Me: 
7 [22 7. [23 [23 ’ ” = * 19,6° [23 
Mitternacht — — 
6 Uhr morgens . . 182° „ 
Mittlere Höhe über dem Meeresfpiegel nach ® dem 
compenfirten Aneroidbarometer . . 116 m. 


16. Mai. Lager bei Niabe. 

Der Dampfer „Khedive“ ift heute nach den Stationen Miwa und 
Zunguru, und wahrjcheinlich auch nach Wadelai abgefahren, um rajch 
eine Anzahl Träger zum Erſatz unferer am Hungertod in der Wild- 
niß geftorbenen Leute herbeizuholen. Kapitän Caſati und Vitu Haſſan, 
der tuneſiſche Apotheker, machen die Fahrt mit. 

Um meine Leute im Thätigkeit zu halten, habe ich mit der Her: 
jtellung einer geraden Straße in der Richtung nad) dem Dorfe Badjua 
begonnen. Wenn wir von hier abmarjcdjiren, werden wir den Vor: 
theil einer Wegabkürzung haben, gegenüber dem rund um die Inſel 
Njamſaſſi und über die Stelle des alten Kavalli führenden Pfad. 

Unfer Dolmeticher Fetteh, welcher in dem Scharmütel bei Beſſe 
im Magen verwundet wurde, ift jebt ganz wiederhergeitellt und ge- 
winnt rajch jein früheres Gewicht wieder. 

Auch Mabrufi, der Sohn Kaſſim's, der neulich von dem Büffel 
zerfleifcht wurde, befindet fi) in langjamer Beſſerung. 

Der während des Fourragirens in den Dörfern von Lando durch 
einen Speer im Rüden Verwundete zeigt gleichfalls Zeichen raſcher 
Wiederheritellung. 

Wir wohnen jest in heufchoberfürmigen Hütten und fünnen ung 
(nah Emin Paſcha) als Berwalter der Albert-Njanja-Provinz betrachten. 

17. Mai. Lager bei Niabe. 

Unjere Straße in der Richtung nach dem Dorfe Badiua it jebt 
2360 Schritt lang. 


396 Sechzehntes Kapitel, [Niabe 


18. Mai. Lager bei Niabe. 

Unjere Jäger beitehen beim Empfang von Patronen darauf, daß 
diefelben auf den Erdboden niedergelegt werden; es würde Unglüd ent: 
ftehen, wenn die Patronen ihnen direct aus der Hand gegeben würden. 

Ich habe den Paſcha während der Tebten zwei Tage im Gebraud) 
des Sertanten unterrichtet, bevor ich ihm Lectionen in der Navigation 
gebe. Sein einziges Vermeſſungsinſtrument ift bisher ein prismatischer 
Kompaß gewejen, und da er bislang nicht im Stande war, die Mis— 
weilung zu finden, jo werden jeine Bermeflungen fich vermuthlich nur 
auf magnetische Peilungen jtüßen. 

Heute früh ließ mic) der Sohn Kaffim’s, das Opfer der Wuth 
des bösartigen Büffels, an fein Lager rufen, um feine legten Wünsche 
bezüglich des von ihm verdienten Gehalts aufzuschreiben. Sein Freund 
Maruf und fein Adoptivbruder Sungoro follen die Erben fein. Der 
arme Mabrufi wollte noch einen weitern freund bedenfen, doch baten 
die Erben ihn, „das Bud) des Meifters nicht mit Namen zu füllen‘. 
Er war jo niedergeichlagen, daß ich ihm jagte, der Arzt hege große 
Zuverficht, daß er wieder genejen werde. „Du bift in feiner Gefahr; 
deine Wunden find jehr jchlimm, aber nicht tödlich, und da der Paſcha 
während meiner Abwejenheit für dich jorgen wird, werde id) dich bei 
meiner Rüdfehr als Fräftigen Mann wiederfinden. Weshalb bift du 
heute jo betrübt?“ 

„oh, weil mir etwas jagt, daß ich die Straße nicht wieder fehen 
werde. Seht nur, iſt mein Körper nicht wie eine Ruine?“ Gr bot 
in der That einen bejammernswerthen Anblid; das rechte Auge war 
feit geichloffen, zwei Rippen waren gebrochen, und die rechte Hüfte 
und der Zeigefinger in der furchtbarſten Weije zerrifjen. 

Zwei Tage vorher war der Häuptling Mbiaſſi von Kavalli heim: 
gekehrt, geitern hat Mpigua, der Häuptling von Njamſaſſi, und fein 
Gefolge uns verlaffen. Auch Kijanfondo oder Katonſa — der Häupt- 
ling befigt zwei Namen — bat ſich auf den Weg nad) feiner Heimat 
gemacht, die, beiläufig erwähnt, infolge eines Bejuches der Räuber 
Kabba-Rega's in der Wildnif liegt, während die Leute Maſamboni's, 
nachdem fie den Paſcha und feine Offiziere geitern Abend mit einem 
Abſchiedstanz unterhalten hatten, uns heute morgen Lebewohl gejagt 
haben. 

Geſtern ſchoſſen zwei unjerer Jäger drei Büffel und einen Waſſerbock. 

Die legten vier Tage und Nächte haben uns eine beijere Meinung 
von diefem afrifaniichen Lande und dem Seeufer gegeben, als wir bisher 


22. Mai 1888.) Mit dem Paſcha zujammen. 397 


gehabt hatten. Das Wetter war einigermaßen warm, doch wehte eine 
leichte, janfte Seebrije, die fühlend und angenehm wirkte und gerade 
ftarf genug war, um das herabhängende Blattwerf in jchwingende 
Bewegung zu ſetzen. Die Nächte waren erfrichender. An dem in 
glänzender Klarheit jtrahlenden Himmel ftand der Mond hoch über 
dem Rande des Plateaus und verwandelte den See in eine zitternde 
Silberflähe; die raufchende, ruheloje Brandung des Sees rollt vor 
dem leichten Hauche des öftlichen Windes in langjamem, jchwerfälligem 
Taft auf den grauen Sandftrand, und die Sanfibariten und Ein- 
geborenen, welche im December noch jo withende Feinde waren, wett- 
eifern miteinander, gleichjam zur Feier und zu Ehren diejes friedfer- 
tigen, ruhigen Lebens, jeden Abend bis zu jpäter Stunde im Einzel- 
und Chorgefang und eifrigen Tanzen. 

19. Mai. Lager bei Niabe. 

Unfere Straße nad) Badfua ift jet 5 km lang. Wir brauchen 
nur das Gras in gerader Richtung aufzuhaden, um einen jchönen 
Pfad mit einer fajt unmerflichen Steigung von 1 m auf 200 m zu 
befommen. 

20. Mai. Lager bei Nabe, 

Fingen heute Morgen in meinem Zelte zwei Feine braune Schlangen 
von heller Kupferfarbe. 

21. Mai. Lager bei Nabe. 

Der Paſcha kann den Sertanten jet jehr gut ablejen und hat 
auch bezüglich der Aufiuchung des Inderfehlers Fortichritte gemacht; 
obwol er an Kurzfichtigfeit leidet, it er bei diejer Arbeit jehr ge— 
wandt und von der Abficht durchdrungen, die Kunſt des Beobachten 
mit dem Inftrument zu erlernen, Um Mittag nahmen wir zur Uebung 
eine Meridianhöhe. Er maß auf die Entfernung von 2413 m die 
Höhe mit TO° 54° 44” bei 1,; m Augenhöhe. Indexfehler — 3’ 15". 

22. Mai. Lager bei Nabe. 

Um 9 Uhr vormittags erjchienen die Dampfer „Khedive“ und 
„Nyanza“, lebterer mit einem Leichter im Schlepptau, und brachten 
80 Soldaten nebjt dem Major und Mdjutanten des zweiten Bataillong, 
jowie 130 Träger vom Stamme der Madi mit. Wir erhielten Ge— 
ichente an Raki (eine Korbflafche mit 10 Gallonen einer Art ruſſiſchen 
Wutki aus der Brennerei des Paſchas), Granatäpfeln, Orangen, Waſſer— 
melonen und Zwiebeln, jowie 6 Schafe, 4 Ziegen und ein Paar jtarfe 
Ejel, je einen für mic) und für Dr. Parke. Der Dampfer „Nyanza‘ 
ift etwa 18m lang und 3,7 m breit. Ich beabfichtige übermorgen 


398 Sechzehntes Kapitel. [Niabe 


den Albert-See zu verlaffen, um den Marich zur Aufjuchung der 
Nachhut der Expedition anzutreten. 

Bei dem Paſcha laſſe ich Herrn Mounteney Jephſon, drei ſuda— 
nejiihe Soldaten und Binſa, den Diener Dr. Junker's, jowie den 
unglücklichen Mabrufi zurück; ferner bleiben von dem hierher trans— 
portirten Gepäd außer den bereits abgelieferten 31 Kijten Remington- 
patronen, 2 Kiften Winchefterpatronen, 1 Kiſte Meffingjtangen, eine 
Lampe und eine eijerne Lothitange, jowie mein Stahlboot „Advance“ 
mit der Ausrüſtung zurüd. 





Die Dampfer „„Khedive’ und „Nyanza“ auf dem Albert-See. 


Dem Wunſche Emin Paſcha's entiprechend habe ich eine Botſchaft 
aufgejeßt, die Herr Jephſon den Truppen vorlejen wird. Sie lautet 
folgendermaßen: 


Soldaten! Nach einem ſchweren Marjche von vielen Monaten habe ich endlic) 
den Njanja erreicht. Jch komme auf den ausdrüdlichen Befehl des Khedive Tewfik, 
um euch von hier fortzuführen und euch den Weg zu zeigen. Denn ihr müht 
willen, daß der Fluß el Abiad geichloffen iſt, daß Chartum fich in den Händen 
der Anhänger des Mohammed Achmet befindet, daß der Paſcha Gordon und alle 
jeine Leute getödtet, alle Dampfer und Boote zwijchen Berber und Bahr:el-&hajal 
erobert worden find, und daß die euch am nächſten liegende ägyptiſche Station 
Wadi Halfa, unterhalb Dongola, iſt. Viermal haben der Khedive und ihre Freunde 
den Verſuch gemacht, euch zu retten. Zuerſt wurde Gordon Paſcha nah Ehartum 
geſandt, um eud) alle heimzubringen. Nach zehnmonatlihem harten Kampfe wurde 


24. Mai 1888.) Mit dent Paſcha zujammen. 399 


Chartum erobert und Gordon Baicha mit feinen Leuten getödtet. Dann verjuchten 
die engliichen Soldaten unter Lord Woljeleyg, Gordon Paſcha aus feinen Schwierig: 
feiten zu befreien. Sie famen vier Tage zu jpät und fanden, daß Gordon todt 
und Ehartum verloren war. Darauf wurde Dr. Lenz, ein großer Neijender, vom 
Kongo aus ausgeihidt, um zu ermitteln, wie euch geholfen werden könnte. Aber 
Lenz vermochte nicht Leute genug zu finden, die mit ihm gehen wollten, und mußte 
deshalb nach Haufe zurückkehren. Bon dem Bruder Dr. Junker's wurde aud ein 
Dr. Fiicher ausgeichiet, inde waren zu viele Feinde in feinem Wege und er 
mußte ebenfalls heimfehren. Ich ſage euch alles dies, um euch zu beweiſen, daß 
ihr fein Recht habt, zu denken, man habe euch in Megypten vergeffen. Nein, der 
Khedive und jein Vezier Nubar Paſcha haben während der ganzen Zeit an euch 
gedacht. Sie haben auf dem Wege über Uganda gehört, wie tapfer ihr euern 
Voſten behauptet und wie treu ihr euere Pilichten als Soldaten erfüllt habt. Des: 
halb haben fie mich geichieft, um euch dies zu jagen, um euch mitzutheilen, daß 
man fich euerer jehr wohl erinnert, und daß euere Belohnung auf euch twartet, daß 
ihr mir aber nad Aegypten folgen müßt, um euer Gehalt und euere Belohnung 
zu befommen. Zugleich jagt der Khedive euch durch mich, daß wenn ihr meint, 
daß der Weg zu weit fei, oder wenn ihr euch vor dem Marjche fürchtet, ihr hier 
bleiben könnt, in dieſem Falle aber nicht länger mehr feine Soldaten jeid; daß 
euere Löhnung jofort aufhört und wenn euch in Zufunft irgendeine Schwierigfeit 
zuftoßen jollte, ihr nicht ihm, fondern euch felbit die Schuld davon beimefien müßt. 
Solltet ihr euch entichliegen nach Aegypten zu gehen, jo foll ich euch den Weg nach 
Sanfibar zeigen, euch an Bord eines Dampfers bringen und nad Suez, und von 
dort nach Kairo ichaffen ; ihr werdet euere Löhnung erhalten, bis ihr dort anfommt. 
Alle euch zutheil gewordenen Beförderungen jollen euch geſichert und alle euch ver- 
iprochenen Belohnungen voll ausbezahlt werden. 

Ich ſchicke euch einen meiner Offiziere, Herren Jephſon, und gebe ihm meinen 
Säbel mit, damit er dieje meine Botichaft euch vorlieft. Ich kehre zurüd, um 
meine Leute und Waaren zu ſammeln und nach dem Njanfa zu bringen, und 
werde nach einigen Monaten wieder hier jein, um zu hören, was ihr zu jagen 
habt. Sagt ihr, laßt uns nach Aegypten gehen, dann werde id; euch einen fichern 
Weg zeigen; jagt ihr, wir wollen dies Land nicht verlafien, jo werde ich euch 
Lebewohl jagen und mit meinen eigenen Leuten nad Aegypten zurüdkehren. 

Möge Gott end in feine Obhut nehmen. 


Euer guter Freund 


Stanlen. 


23. Mai. Halt. 

Die Sanfibariten unterhielten den Paſcha und jeine Offiziere heute 
Abend mit einem Abjchiedstanz. Obwol ſie die Gefahren und Strapazen 
des vor ihnen liegenden Marjches, den wir morgen antreten werden, 
jehr gut kennen, find doch bei feinem von ihnen Symptome von Be: 
jorgniß vorhanden; es iſt aber ficher, daß einige von ihnen den Paſcha 
morgen zum lesten male jehen. 

24. Mai. Marſch nach) dem Dorfe Badjua, 16 km, die wir 
in 4 Stunden zurüdlegten. 


4) Sechzehntes Kapitel. Badſua 


Emin Paſcha marſchirte heute Morgen bei Tagesanbruch mit einer 
Compagnie auf unſerer neuen Straße und machte ungefähr 3 km 
vom See halt. Nachdem wir den Madi-Trägern ihren Platz in der 
Colonne angewieſen Hatten, verließ die Vorhut um 6%, Uhr morgens 
das Lager und ſchlug den Weg nach Weſten ein. Eine halbe Stunde 
ſpäter trafen wir die Sudaneſen des Paſchas, die an der einen Seite 
der Straße in Front aufgeſtellt waren und uns ſalutirten, als wir 
vorüberzogen, während der Paſcha uns ſeinen innigſten Dank aus— 
ſprach und uns Lebewohl ſagte. 

Am Ende der neuen Straße brachen 21 von den Madi-Trägern 
aus der Linie aus und verjchwanden raſch nad) Norden, worauf ic) 
14 Mann zum Paſcha zurüdjandte, um ihm Meldung zu machen, 
während wir den Weg in der Richtung auf Badjua fortjegten. Ungefähr 
1', km vor dem Dorfe entjtand nochmals eine allgemeine eilige 
Flucht und es dejertirten auf einmal 39 von den Madi-Leuten, nicht 
ohne der Nachhut einen Schauer von Pfeilen zuzujenden. Der Doctor, 
in der Meinung, daß dies das Vorfpiel zu einem Angriffe auf feine 
fleine Truppe jein jollte, feuerte fein Gewehr ab und ftredte einen 
Madi todt zu Boden, was die Flucht der übrigen Dejerteure noch 
beichleunigte. Die und von den 130 Madi gebliebenen 19 Mann 
wurden dann in Sicherheit gebradit. 

Ich Ichidte darauf noch eine zweite Botichaft an den Paſcha, um 
ihm die Borfälle auf dem Marſche mitzuteilen. 

Als wir etwa 8 km von dem Lager bei Njabe entfernt waren 
und ich, nad) Südojten blidend, über die Ereigniſſe des letzten Monats 
nachdachte, lenkte ein Burſche meinen Bli auf eine jeltfam geformte 
Wolfe, welche von ganz wundervoller filberartiger Farbe war und die 
Berhältnifje und das Ausjehen eines mit Schnee bededten ungeheuern 
Berges hatte. Die Umrifje deffelben abwärts verfolgend, wurde ic) 
von der tiefen blaufchwarzen Farbe des Fußes überrafcht und dachte 
im jtillen, ob die Wolfe wol der Vorbote eines neuen Wirbel: 
jturmes ſei; allein als ich jah, daß fie bis zur Deffnung zwiichen dem 
Öftlichen und dem weitlichen Plateau hinabreichte, gewanı ich die Ueber— 
zeugung, daß ich nicht auf das bloße Bild eines großen Berges, 
ſondern auf einen joliden, wirklichen Gipfel jchaute, deſſen Spitze mit 
Schnee bedeckt war. Ich ließ daher halt machen, um ihn genau mit 
dem Feldſtecher zu unterfuchen, und nahm dann die Kompaßpeilung 
des Mittelpunttes und fand, daß Ddiejelbe 215° (misweiſend) betrug. 
Nunmehr dämmerte mir der Gedanke, daß der Berg der Ruwenzori jein 


24. Mai 1888.) Mit dem Paſcha zujanmen. 401 


müfje, welcher nach der Nusjage zweier Sklaven Kavalli's mit einem 
weißen Metall oder einer Subjtanz bedeckt jein jollte, die fie für Felſen 
hielten. 

Der große Berg blieb zwei Stunden deutlich in Sicht, wurde 
dann aber, als wir näher an Badjua am Fuße des Plateaus heran- 
famen, durch die hohe Felsmauer des letztern dem Blide verdedt. 

Bei meiner zweiten Botſchaft theilte ich dem Paſcha dieſe Entdeckung 
mit. Wenn ich darüber nachdenfe, finde ich es ſeltſam, daß Baker, 
Geſſi, Mafon oder Emin Paſcha den Berg nicht längſt entdedt haben. 

Geſſi Paſcha hat den Albert:See zuerst umſchifft, it dem wejtlichen 
Ufer entlang nad) Süden gedampft und hat die Fahrt um das füdliche 
Ende des Sees herum an der Oſtküſte fortgejebt. 

Der nächſte Bejucher des Sees war Majon Bey, der 1877 der 
Korte Geſſi's folgte, um die Lage einiger Punkte durch aftronomifche 
Beobachtungen feitzuitellen, was jeinem Vorgänger nicht möglich ge: 
wejen war. 

Elf Iahre fpäter dampft Emin Paſcha nad) Süden, um nad) 
Nachrichten von weißen Leuten zu forjchen, die am Südende des Sees 
ſein jollten, 

Wenn man von der Ebene des Njanja einen ziemlich guten Blick 
auf den fchneebededten Berg erhalten fann, jo mußte man vom See 
aus eine noch viel befjere Anficht haben, und es iſt daher wunderbar, 
daß feiner der Herren ihn gejehen hat, während Baker jogar, „an einem 
wundervoll Haren Tage’ jeine Augen nad der Richtung des Berges 
wendend, nur einen unbegrenzten See erblidt hat. 

Die Herren Jephſon und Parfe berichten, daß fie bei der Beför- 
derung des Bootes von Kavalli nad) dem See Schnee auf einem Berge 
gejehen haben, und der lebtere Offizier fragte mic) bei jeiner Rückkehr, 
indem er auf die Heine Kette von Unja-Kavalli zeigte, ob es möglich jei, 
dag man auf jolchen Heinen Bergen Schnee fände, da ihr höchſter Pic 
nicht mehr als 1675 m über dem Meeresipiegel jein Fönne. Ich erwiderte 
verneinend, doc behauptete der Doctor ebenjo bejtimmt, daß er Schnee 
gefehen hätte. ch erklärte ihm dann, daß es in den Regionen des 
Aequators einer gewiſſen Höhe von gegen 4600 m bedürfe, um Negen zu 
dauerndem Schnee gefrieren zu lafjen, daß Hagel oder Schneefall infolge 
eines falten Luftſtromes auch in den Tropen jelbjt in geringen Höhen 
möglich, eine folche Kälte aber nur vorübergehend jei und die Wärme 
der tropischen Gewäſſer und des tropischen Bodens die Hagelfürner 
und den Schnee in wenigen Augenbliden wieder verschwinden ließen. 

Stanlen, Im dunfelften Mfrite, I. 26 


402 Sechzehntes Kapitel. [Babfua 


Als wir im Lager bei Bundi auf dem Rüden des Plateaus ftanden 
und den vollen Anblic des Unja-Kavalli und anderer Berge hatten, war 
nirgends eine Höhe von mehr al® 1830 m über dem Meere zu 
jehen. 

In Berücdfichtigung obiger Thatſachen iſt e8 Far, daß es eines 
befondern Zuftandes der Atmoſphäre bedarf, um jemand in den Stand 
zu jeßen, einen Berg auf die Entfernung von etwa 110 km, worauf 
ich fie jchäße, zu jehen. Bei gewöhnlicher Harer Luft fan man 
nähere Gegenjtände und vielleicht auch jolche in 15, 20 oder 30 km 
Entfernung erfennen, allein in einer jo feuchten Gegend wie bier 
jtrömt an Haren Tagen aus dem erhigten Erdboden eine jolche 
Menge von Dunft aus, daß derjelbe fich bei einer Entfernung von 
50 km zu einem diden Nebel verdichtet, den fein menschliches Auge 
durchdringen kann. Zu gewiffen Zeiten Hären aber die Luftitrömungen 
den Nebel auf und enthüllen dem Blicke Gegenftände, die wir zu unſerer 
Verwunderung vorher noch nicht gejehen hatten, Als ich beijpiels- 
weife im vorhergehenden December auf der Nüdkehr vom Njanja nad) 
ort Bodo von einem tafelfürmigen Hügel in der Nähe des öſtlichen 
Sturi die Kompaßpeilung eines Berges mit einem hohen Doppelpic 
nahm, notirte ich mir bereits, daß wir die Felſenmaſſe des Zwillings- 
gipfels gejehen hätten, und zeigte Heren Jephſon diejelbe; jeitvem habe 
ih den Gipfel jeltjamerweije nie wiedergejehen, obwol ich zweimal 
durd) diejelbe Gegend gefommen bin. 

Nachmittags pafjirte Kavalli unjer Lager mit 400 Mann, um 
Emin Paſcha bei einem von ihm beabfichtigten Zuge gegen Kabba— 
Rega Beiftand zu leiften. Vielleicht werden Katonſa und Mpigua 
von Njamſaſſi Emin mit einer gleichen Anzahl zu Hülfe kommen. 

Heute erhielt ich die beiden folgenden Briefe vom Pajcha. 


Lager bei Niabe, 25. Mai 1888, 5 Uhr früh. 
Geehrter Herr! 


Ich brauche Ihnen wol nicht zu jagen, welches Bedauern ich gefühlt habe, 
als ich von dem Ihnen durch Die Deiertion umjerer Madi-Leute widerfahrenen Mis- 
geichid vernahm. Ich habe jofort veridiedene Trupps zur Aufſuchung derjelben aus- 
gejandt, muß aber leider jagen, daß unjere Bemühungen bis Mittag nicht von 
Erfolg gewejen find, obwol Schukri Aga, der mit feiner Abtheilung fich geftern 
nach Rahanama begeben hat, noch nicht zurückgekehrt ijt. 

Durch einen reinen Zufall geichah es, daß beim Eintreffen Dr. Parke's ge- 
rade ein Boot von der Station Mita eingetroffen war, welches mir die Nachricht 
von der Ankunft von 120 Trägern von Dufile daſelbſt überbradte. Ich ſandte 
jofort den Dampfer „Khedive“ ab, um fie hierher zu holen, und erwarte denjelben 


24. Mai 1888.) Mit dem Paſcha zufammen. 403 


nod) heute Abend zurüd, worauf ich nad der Antunft des Schiffes jofort den 
ganzen Trupp in Begleitung einer Abtheilung meiner Leute abjchiden werde. 

Gejtatten Sie mir, der erjte zu fein, welcher” Ihnen zu Ihrer ganz herr- 
lihen Entdedung eines jchneebededten Berges gratulirt. Wir wollen fie als eine 
glüdverjprechende weitere Anweilung für den Marſch nach dem Pictoria* auf- 
fafien. Ich rathe Ihnen, heute oder morgen einen Abftecher von Ihrem Wege zu 
machen, nur um ſich dieſen Niefen zu betrachten. 

In der Erwartung, heute Morgen ein paar Worte von Ahnen zu erhalten, 
wage id es, Ihnen meine bejten Wünſche für die Zukunft auszufprehen. Ich 
werde mich mit Stolz und Freude der wenigen Tage erinnern, welche es mir ge- 
jtattet war mit Ihnen zu verleben. 


Betrachten Sie mich, geehrter Herr, als Ihren ganz ergebenen 
Dr. M. Emin. 


Lager bei Nabe, 26. Mai 1888, 2, Uhr nachts. 
Geehrter Herr! 


Ihr jehr willfommenes und höchſt intereffantes Schreiben von geftern ift mir 
von Ihren Leuten eingehändigt worden. Der Dampfer ijt gerade in diejem Augen- 
blid angelommen, hat aber nur 82 Träger mitgebracht, da die übrigen auf dem 
Wege von Tunguru nach Mſwa davongelaufen find. Ach ichide Ihnen daher dieſe 
wenigen Leute in Begleitung von 25 Soldaten und einem Offizier, in der Hoff- 
nung, daß fie von einigem Nußen für Sie fein werden. Die Waffen bderjelben 
habe ich gejammelt und dem Offizier übergeben, von dem Sie diefelben gefälligit 
entgegennehmen wollen. Gejtern Abend hörten wir, daß Ihre Dejerteure fich bis 
nad) Magungo durchgearbeitet haben, wo fie den Leuten erzählen, ich hätte fie 
geichidt. 

Die zehn Mann, welche Sie mir freundlichjt gefandt haben, begleiten die 
Träger, jowie Kavalli umd feine Leute. Geftern nahm ich in Katonja’s Lager einen 
von Ravidongo ** gejandten Spion gefangen und jagte demjelben, er thäte befier 
fih zu entfernen, welchen Rath er auch befolgte. Ach habe Kavalli mit den Grün- 
den befannt gemacht, weshalb ich mich gerade jebt mit Ravidongo nicht einlaffen 
möchte, und ihn gebeten, zu Ihnen zurüdzufehren. Er war jofort bereit dazu, 
befam einige Geſchenke und bricht jegt mit dem Boten auf. Er bittet mich ferner 
Sie zu erſuchen, Sie möchten einige Leute abichiden, um feinen Bruder Kadongo 
gefangen zu nehmen, der, wie er jagt, bei den Wawitu irgendwo in der Nähe jeines 
Wohnfiges fi aufhält. 

Ich werde mein Aeußerſtes verjuchen, um einen Blid auf den neuen Schnee: 
berg zu gewinnen, jowol von hier als auch von einigen andern Punkten aus, die 
ich zu bejuchen beabjichtige. Es ift wundervoll zu denken, dab, wohin Sie auch 
fommen mögen, Sie mit Ihren Entdedungen ftets Ihre Vorgänger überholen. 

Und da dies num wahrjcheinlich, wenigftens für einige Zeit, das legte Wort 
ift, welches ich an Sie richten fann, jo lafien Sie mic Ihnen nochmals danfen 
für die hochherzigen Anftrengungen, die Sie für uns gemacht haben und machen 
werden. Laſſen Sie mid Ihnen nochmals für die Freundlichkeit und Nachficht 
danfen, welche Sie mir bei unjern Beziehungen zueinander gezeigt haben. Wenn 


* Er war offenbar von dem Borichlage bezüglich des Victoria-Sees entzüdt. 
* Ravidongo ift einer der bervorragenditen Generale Rabba-Rega’s. 
26* 


404 Sechzehntes Kapitel. Bundi 


ich keine ausreichenden Worte finden kann, um auszudrücken, was mich in dieſem 
Augenblicke bewegt, fo werden Sie das entſchuldigen; ich habe zu lange in Afrika 
gelebt, um nicht etwas von tinem Neger geworden zu ein. 

Gott behüte Sie auf Ihrem Marjche und jegne Ihr Werk! 


Ihr ganz ergebener 
Dr. Emin. 


25. und 26. Mai. Halt in Badfua. 

Der Paicha hat den Gedanken an einen Zug gegen Unjoro auf: 
gegeben und jeine Verbündeten, die viel zu rächen haben, rajch in ihre 
Heimat entlafjen. 

Nachmittags kamen Balegga von dem Dorfe auf dem Bundi-Hügel 
herab und theilten uns heimlich mit, daß Kadongo und Muſiri, legterer 
ein kriegerifcher, mächtiger Häuptling, ihre Truppen vereinigt hätten und 
uns auf der Straße zwiichen den Orten Gavira’s und Maſamboni's anzu— 
greifen beabfichtigten. Wir haben feinem von beiden Urſache zum Streite 
gegeben, es jei denn, daß unſere Freundjchaft mit ihren Rivalen für 
einen genügenden und gerechten Grund angejehen werden jollte. ch 
babe nur 111 Gewehre und für jedes derjelben 10 Patronen, um das 
200 km entfernte Fort Bodo zu erreichen; jollte ein entichlofjener 
Angriff im offenen Lande auf ung gemacht werden, jo würden wir 
alſo jchon nad) einem ‘Feuer von wenigen Augenbliden bülflos fein. 
Ich werde daher meine Zuflucht zu andern Meitteln nehmen müſſen. 
Thomas Carlyle hat behauptet, es jei die höchſte Weisheit, zu wiſſen 
und zu glauben, daß das ernjte durch die Nothiwendigfeit uns an- 
befohlene Vorgehen das Flügite, befte und einzig angemeſſene ſei. ch 
werde Kadongo zuerjt angreifen und dann direct gegen Mufiri mar: 
jchiren, und wir werden unſere verlorenen Schüffe im Nothfalle gut 
anwenden. Vielleicht wird dieje fühne Bewegung das Bündniß über 
den Haufen werfen. 

Der Paſcha hat energisch gehandelt. Um Mittag find 82 frijche 
Träger mit einer ftarfen Wache eingetroffen und drei Soldaten haben 
den bejondern Befehl erhalten, mich zu begleiten. Bei der Uebergabe 
der Träger an uns wurde jedem Sanfibariten ein Madi zur Be- 
wachung zugetheilt. 

Nachmittags um 3", Uhr begannen wir, während die Sonne ung 
glühendheiß ins Geficht jchien, den fteilen Aufitieg an dem ſchrecklichen 
Abhange des Plateaus, und um 6", Uhr, eine halbe Stunde nad) 
Sonnenuntergang, erreichten wir die Höhe am Lager von Bundi. 

Nachdem wir das Lager mit ftarken Wachen umijtellt hatten, 


27. Mai 1888.) Mit dem Paſcha zuſammen. 409 


wählte ich aus unſern beiten Leuten eine Truppe von 40 Büchjen- 
ſchützen aus und bereitete fie vor, unter der Leitung von zwei San: 
fibaritenführern einen nächtlichen Weberfall und Angriff auf Kadongo’s 
Lager zu unternehmen. Einige unferer eingeborenen Freiwilligen er: 
klärten ficy bereit, ihnen das Dorf zu zeigen, welches jener auf dem 
Hügel bewohnt. 

Um 1 Uhr nachts brad) das Detachement auf. 

27. Mat. Die gegen Kadongo ausgelandte Abtheilung kehrte, 
nachdem fie ihre Miffion erfolgreicd) beendet hatte, um 8 Uhr morgens 
zurüd, doc, war Kadongo Jelbjt entfommen mit dem Rufe, er jei 
der Freund „Bula Matari's“. Unjere Leute hatten feine Rinder oder 
Biegen erobert, da der Ort nur zeitweilig von der Truppe Kadongo's 
bejeßt worden war. 

Wir nahmen dann unfere Laften wieder auf und jehten den Marich 
in der Richtung nach dem Dorfe Gavira’s fort. Kaum waren wir 
aufgebrochen, als wir eine große Truppe von Eingeborenen gegen uns 
heranfommen fahen, der ein Mann mit einer farmoifinrothen Fahne 
voraufjchritt, die man aus der Entfernung jehr gut für die Flagge San- 
fibars oder Aegyptens halten fonnte. Da wir nicht wußten, was für 
Leute das feien, machten wir halt, bis wir nad) einigen Augenbliden 
den Bruder Majamboni’s, Katto, erkannten, der von jeinem Häuptling 
abgejaudt worden war, um uns zu begrüßen und Näheres über unſere 
Bewegungen zu erfahren. Wir bewunderten die Gejchidlichkeit, mit 
der dieſe Leute e8 uns nachzumachen gelernt hatten, denn wenn wir 
nicht durch die Flagge ftugig geworden wären, hätten wir unjere 
Freunde möglicherweije für die Vorhut der Krieger Muſiri's halten 
und fie verlegen fünnen. 

Ich behielt einige von ihnen zu unferer Begleitung zurüd und 
befahl Katto, rajch zu feinem Bruder Maſamboni zurüczufehren und 
ihm im geheimen mitzutheilen, daß ich Mufiri, da er ung auf dem 
Wege zu überfallen beabfichtige, übermorgen bei Tagesanbrucd an 
greifen wolle, und daß ich von ihm (Majamboni) als meinem Ver: 
bündeten erwarte, daß er im Laufe des nächſten Tages mir jo viel 
Krieger bringen werde, wie er fünne. Katto erklärte dies für möglich, 
obwol die Zeit wegen der zurüdzulegenden Entfernung nur kurz jei. Wir 
befanden ung zur Zeit 9", km von dem Dorfe Gavira’s entfernt; von 
dort bis zu dem Wohnſitze Maſamboni's waren es 21 km, zurüd 
zu Gavira nochmals 21 km, und außerdem war auch einiger Auf: 
enthalt nöthig, um eine dem Nange Majamboni’s entiprechende Anzahl 


406 | Sechzehntes Kapitel. [Ufiri 


von Kriegern zu ſammeln und Proviant auf einige Tage für diejelben 
vorzubereiten. 

Gegen Mittag trafen wir im Dorfe Gavira’3 ein, wo id) dem 
Häuptling vorfchlug, fich unferm Angriffe anzufchließen, was er bereit- 
willig verjprad). 

28. Mai. Halt. Wir haben reiche Vorräthe an Lebensmitteln 
für unfere Truppe erhalten, die jegt 111 Sanfibariten, 3 Weiße, 
6 Köche und Burfchen, 101 Madi und 3 Soldaten des Paſchas, ins- 
gejammt 224 Köpfe zählt, außer einigen Dutzend Eingeborener, welche 
uns freiwillig folgen. 

Eine Stunde nad) Sonnenuntergang traf Majamboni perjönlic 
mit ungefähr 1000 mit Bogen und Speer bewaffneten Kriegern ein. 
Seine Truppen lagerten ſich auf den SKartoffelfeldern zwiſchen den 
Diftrieten Gavira’s und Muſiri's. 

29. Mai. Um 3 Uhr morgens brachen wir auf einer nad 
Nordweiten führenden, hell vom Monde beichienenen Straße nad) Uſiri 
auf. Etwa 100 der fühnften Leute von Maſamboni's Truppe mar: 
ſchirten unſerer Kolonne voran; die übrigen jchloffen fi uns an, und 
der Stamm Gavira’s, durch etwa 500 Mann vertreten, bildete den 
Schluß. Es herrichte, wie es ſich für unfer Unternehmen geziemte, 
das tiefite Schweigen. 

Um 6 Uhr morgens erreichten wir die äußern Theile von Ufiri, 
und wenige Augenblide fpäter, nachdem jeder Anführer feine In— 
jtructionen erhalten hatte, nad) welchen Dr. Parke als Führer von 
60 Büchſenſchützen das Centrum bilden, Katto mit den Kriegern feines 
Bruders den linken und Mpinga (Gavira) mit ihren Leuten den 
rechten Flügel einnehmen jollten, drang die Angriffscolonne raſch vor. 

Das Reſultat war über alle maßen lächerlich. Mpinga’s Wa- 
huma-Hirten hatten den Wahumasdirten Muſiri's Kenntniß von unfern 
Plänen gegeben, und die Wahuma Maſamboni's waren ebenjo mit- 
theilfam gegen ihre Landsleute bei den Feinden geweſen. Infolge deffen 
hatten die Hirten ihre Heerden auf andern Straßen von Ufiri fort- 
getrieben; die eine Hälfte war in Gavira’s, die andere in Maſam— 
boni's Dorfe gerade an demjelben Morgen eingetroffen, als die Anz 
griffscolonne fi) über das Gebiet von Ufiri ausbreitete, wo der 
Häuptling Mufiri, nachdem er von dem Unglück Kadongo’s und der 
gegen ihn heranrüdenden mächtigen Armee gehört, vorfichtig dafür ge— 
forgt hatte, daß feine der unter feiner Herrichaft ftehenden zarten 
Seelen verlettt werde. Das Land war vollftändig geräumt von Leuten, 


29. Mai 1888.) Mit dem Paſcha zujammen. 407 


Rinder: und Schafheerden und Hühnern, dagegen waren die Lager ge: 
häuft voll von Getreide und Die Felder zeigten veiche Ernten von 
Kartoffeln, Bohnen, jungem Mais, Gemüje und Tabak. Im ge 
heimen freue ich mich über die unblutige Beendigung der Affaire, 
Mein Zweck ift erreicht: wir haben unfern überaus fnappen Vorrath 
von Munition gejpart und die Straße ift von weitern Schwierig: 
feiten frei. Maſamboni und Gavira find, wie ich glaube, ebenfalls 
froh, obwol fie ſich ärgerlich ausgeiprochen haben. 

In einer Hütte fanden wir den Lauf und das Schloß eines 
Berceuffions-Karabiners. Derjelbe trug das Merkzeichen „John Clive 
III. 530. und rührt von einem Bejuche Kabba-Rega's her, deſſen 
Leute vor etwa eimem Jahre durch Mufiri eine ſchwere Niederlage 
erlitten haben. 

Nachmittags vereinigten fi die Krieger Majamboni’s, 1000 an 
der Zahl, um den unblutigen Sieg über Mufiri mit einem Phalanx— 
tanze zu feiern. In Afrika bejteht der Tanz meiſt aus roher Poſſen— 
reißerei, närrischen Geften, Umberjpringen und Körperverdrehungen, 
zu denen eine oder mehrere Trommeln den Takt jchlagen. Der Tanz 
ijt immer von vielem Lärm und lautem Gelächter begleitet und dient 
dazu, die Barbaren zu amufiren, in derſelben Weife, wie das derwiſch— 
artige Umberwirbeln und Birouettiren civilifirte Lente erfreut. Oft 
treten aus den im Halbfreis ftehenden Dorfbewohnern zwei Mann 
vor und fingen beim Schall der Trommel oder eines Hornes und 
unter allgemeinem Händeklatichen ein Duett, oder es trägt einer, in 
phantaftijcher Weife mit Hahnenfedern, Neihen klappernder Calabaſſen, 
kleinen runden Schellen und größern Mengen von Menfchen-, Affen-, 
und Krofodilzähnen, dem afrifanischen Gejchmeide, geihmücdt, einen 
Sologejang vor; allein es gehört immer ein Chor dazu, je jtärker, deſto 
bejler, und ich muß befennen, daß es mir ftetS Vergnügen gemacht hat, 
wenn Männer, Frauen und Kinder mit ihren Stimmen den Schall der 
Trommeln übertönen und die umberjtehende Menge jchwagt und mur- 
melt, namentlich wenn die Nusführenden Wanjammefi waren, die bei weiten 
die beiten Sänger auf dem afrikanischen Kontinent find. Die Sanfi- 
bariten, Zulu, Waiau, Wajagara, Wajeguhha und Wangindo ähneln 
ih) in Bezug auf Methode und Ausführung fehr, haben aber alle 
ihre eigenen unbedeutendern Tänze und Gejänge, die fich erheblich 
unterjcheiden, jedoch entweder entjeglich melancholijch oder albern und 
barbarifch find. Die Wajoga, Waganda, Walerewe und Wajongora um 
den Victoria See find mehr traurige, rohe Barden, die mit ihrem 


408 Sechzehntes Kapitel. Uſiri 


Geſang etwas an das vrientaliſche Gewimmer eines Muſtafa, Huſſein 
oder Haſſan erinnern, der unter dem Gitter einer verſtockten Fatima 
oder einer hartherzigen Rorana jammert. Außer bei den Wanjamweſi 
habe ich feine Muſik gehört oder einen Tanz gejehen, der eine 
englische Zuhörerſchaft amufirt haben würde, die an die Plantagen- 
tänze gewiller londoner Schauhallen gewöhnt it, bis auf den heutigen 
Tag, als die Banduffuma unter der Führung von Maſamboni's Bruder 
Katto die hervorragenditen Krieger zum Phalanztanze führten. Wäh- 
rend faft ein Dubend große und Heine Trommeln von ebenjo vielen 
geichickten Mufifanten in bewunderungswürdigem Takt gejchlagen wurden 
und einen jo ftarfen Schall hervorbracdhten, daß er meilenweit zu hören 
geivejen fein muß, ftellten Katto und fein Vetter Kalenge, mit präch- 
tigen weißen Hahnenfederbüſchen geihmüdt, 33 Linien von je 33 Mann 
auf und zwar jo genau wie möglid) in der Form eines volllommenen, 
jofiden, gejchloffenen Viereds. Die meiften der Krieger hatten nur einen 
Speer, doch beſaßen einige auch zwei außer den Schilden und Köchern, 
welche um den Hals am Rüden berabhingen. 

Die Phalanx ſtand mit auf der Erde ruhenden Speeren jtill, bis 
auf ein mit den Trommeln gegebenes Zeichen Katto mit tiefer Stimme 
einen wilden Triumphgejang oder ein Lied begann und bei einem be- 
jonders hohen Ton den Speer erhob; jofort jtieg ein Wald von Speeren 
über den Köpfen auf, in mächtigem Chor antworteten die Stimmen, die 
Phalanx bewegte ſich vorwärts, und obwol id) mid) etwa 45 m entfernt 
befand, erdröhnte der Erdboden rund um mich her, wie bei einem Erd- 
beben. Die Männer ftampften alle mit Gewalt auf den Boden und 
machten nur ganz kurze, 15 cm lange Schritte. In diefer Weiſe bewegte 
die Phalanx ſich langſam, aber unwiderjtehlic) vorwärts; die Stimmen 
hoben und jenkten ſich in rauſchenden Schallwellen, die Speere ftiegen in 
die Höhe und ſanken wieder herab und die zahllojen blanken eijernen 
Spigen bligten, wenn fie nad) dem Taft des dumpfen, aufregenden Ge— 
räusches der Trommeln empor und wieder abwärts ftiegen. Die Stimmen 
und das Getöje der Trommeln hielten fid) genau im Takt, das Heben 
und Senfen der bejtändig in wirbelnder Bewegung gehaltenen Speerſpitzen 
erfolgte gleichzeitig und unter gleihmäßigen Körperbewegungen, und 
der harte, fejte Boden widerhallte zitternd von dem Getöſe, als das 
enorme Gewicht von 70 Tonnen Menjchenfleiih mit regelmäßigen 
jtampfenden Schritt zugleich die Erde berührte. Entſprechend diefen 
Bewegungen hoben und jenkten ſich die taufend Köpfe, ſich aufrichtend 
bei den fraftvollen, wuchtigen Scallwellen, herabjintend bei dem ge: 


24. Mai 1888.] Mit dem Paſcha zulammen. 409 


dämpften, Hagenden Murmeln der Menge. Als fie, um der zunch- 
menden Wucht der Stimmen die größte Wirfung zu geben, das Geficht 
in die Höhe gerichtet und den Kopf zurücgebeugt, ihr Gejchrei aus: 
jtießen, das unauslöfchlihe Wuth, Haß und vernichtenden Krieg ans 
deuten jollte, jchien jede Seele von der Leidenjchaft der todbringenden 
Schlacht ergriffen zu fein, die Augen der Zujchauer erglängten und 
die Menge erhob drohend die geballten Fäuſte, als ob ihr Inneres 
von den friegeriichen Tönen erbebte. Und als die Krieger die Köpfe 
jenkten und zur Erde beugten, jchien man den Todesftampf, den Sammer 
und das Elend des Krieges zu fühlen, an die Thränen und das Weh— 
lagen der Witwen, das Weinen der vaterlojen Waifen, an zeritörte 
Heimftätten und vernichtete Yändereien zu denfen. Als aber die noch 
immer ftetig näher fommende Maſſe die Köpfe wieder zurücdwarf, Die 
ſtarrenden Spitzen bligten und zufammenjchlugen, und die bunten 
Federn ſchwankten und rauſchten, da ericholl ein lauter trogiger Ruf 
und ein ſolch kraftvolles Jubelgeſchrei, daß man nur die glorreichen 
Siegesfahnen ſah und die Pulsſchläge ftolzen Triumphes fühlte. 

Als die große feſtgeſchloſſene Maſſe der Eingeborenen mit wilden 
Geſange bis nahe an meinen Sefjel herangerüdt war, ſenkte die Front 
ihre bligenden eilernen Speere zu einer geraden Linie; dreimal ſenkten 
und hoben fie diejelben zum Gruße, worauf die Krieger, die Speere 
wie zum Fortichleudern ergreifend, die Schäfte jchüttelnd und ein 
ſchrilles Kriegsgeichrei ausſtoßend, fich einer nad) dem andern in Lauf— 
Ichritt jeßten. Immer mehr wuchs die Aufregung, bis das Biered 
fich in drei rundherum wirbelnde reife verwandelt hatte und Fürft Katto 
nad) dreimaligem Umlauf um den freien Platz ſich in der Mitte auf: 
jtellte, worauf die in der Runde herumjagenden Reihen ſich fnäuelfürmig 
um ihn zufammenrollten, jodaß ein großer geichlofjener Kreis entjtand. 
Nach Beendigung diejes Manövers wurde wieder das Viereck formirt 
und das Ganze in zwei Hälften getheilt, von denen die eine nach dem 
einen, die andere nad) dem andern Ende des Plabes fich zurückzog. 
Noch immer den wilden Gejang fortjegend, drangen fie gegeneinander 
vor, pajfirten ohne die geringite Verwirrung zwijcheneinander durch 
und nahmen die entgegengejegte Stellung ein, worauf unter fürdhter- 
fihen Geften nochmals ein raſches Umkreiſen des Platzes ftattfand, 
bis das Muge von den herumwirbelnden Seftalten völlig verwirrt war. 
Dann juchten alle lachend und jcherzend ihre Hütten auf, ganz un: 
befümmert darum, welches Bild fie durch ihre Evolutionen und Ge- 
länge in mir und den übrigen heraufbeſchworen hatten. Es war jeden: 


410 Sechzehntes Kapitel. Unduſſuma. 


falls eins der ſchönſten und aufregendſten Schaufpiele, welche ich in 
Afrika gejehen habe. 

30. Mai. Dreiftündiger Marich nad) dem Nſera Kum-Hügel in 
Unduffuma. 

Wir marjchirten in Maſamboni's Gebiet nach unferm alten Lager 
bei Tichongo, welchen Namen die Sanfibariten dem Nſera Kum-Hügel 
gegeben haben, und erhielten reichliche Beweile, daß Maſamboni an 
dem Verfahren der Wahıma - Hirten aufs innigfte betheiligt war, da 
wir frische und bedeutende Spuren vieler großer Rinderheerden fanden. 
Gleich darauf jahen wir die Schönen Heerden, die in völliger Unfennt- 
niß irgendeiner Gefahr auf den prächtigen Weiden ruhig graften, und 
unfere Sanfibariten forderten laut die Erlaubniß, fie mitzunehmen. 
Einen Augenblid nur berrichte tiefes Schweigen, dann anttwortete 
Mafambont auf die Frage, wie Muſiri's Heerden auf fein Gebiet 
fümen, offen, fie gehörten den Wahuma, die im December, als 
er im Streite mit uns lag, aus feinem Territorium geflohen und 
jeßt, um derjelben Gefahr in Uſiri aus dem Wege zu gehen, nad) 
ihren frühern Ländereien zurücdgefehrt jeien. Ich hatte nicht den Muth, 
fie zu ftören, und gab deshalb den Befehl, den March fortzujeßen. 

31. Mai. Halt. Maſamboni machte uns ein Geſchenk von drei 
Rindern und verjorgte unjere Leute mit zweitägigen vollen Nationen 
Mehl, jowie einer großen Menge Kartoffeln und Bananen, Eine er: 
hebliche Zahl Kleiner Häuptlinge aus den benachbarten Diftricten ftattete 
ung Befuche ab und jeder brachte uns eine Beiftener an Ziegen, Hüh— 
nern und Hirfemehl ins Lager. Auch Urumangua, Buelfa und Gunda 
haben Freundjchaftsverträge mit ung abgejchloffen. Die Dörfer dieſer 
Häuptlinge bilden den aufs bejte gedeihenden und außerordentlich cul- 
tivirten Diftriet, welcher ung an einem Decembermorgen des vorigen 
Jahres durch feinen Ueberfluß jo jehr überraſcht hatte. 

Gegen Abend erhielt id) von Mufiri die Mittheilung, daß er, 
nachdem das ganze Land Frieden mit mir gefchlojfen habe, ebenfalls 
von mir als Freund betrachtet zu werden wünfche; wenn ic) das nächſte 
mal ins Land zurückkehre, würde er fich mit pafjenden Geſchenken für 
uns verjehen haben. 

Da ich morgen den Marſch nach Fort Bodo und Jambuja fort- 
zuſetzen gedenfe, will id) hier einfügen, was id) über den Paſcha von 
ihm ſelbſt erfahren und gejammelt habe. 


Siebzehntes Kapitel. 


Perſönliches von Emin Pajda. 


Alter und frühere Tage Emin Paſcha's. — Gordon und das Gehalt Emin Paſcha's. 
— Lepte Unterredung mit Gordon Paſcha im Jahre 1877. — Lepte Zufuhr von Mu— 
nition und Lebensmitteln an Emin. — Fünf Jahre abgeiperrt. — Maday's 
Bibliothek in Uganda. — Emin’s Fähigfeiten und Tüchtigfeit für feine Stellung. — 
Seine Sprad und fonftigen Kenntniffe; fein Fleiß. — Seine zierlihen Tage- 
bücher. — Schufri Aga’s Erzählung von Emin’s Rüdzug von Kirri nad Mſwa. — 
Emin beftätigt die Erzählung. — Der Paſcha und die Dinka. — Eine Löwen: 
geichichte. — Emin’s Bogelftudien. 


Ic beabfichtige nicht, eine biographiiche Skizze über Emin Paſcha 
zu jchreiben, jondern will nur diejenigen Einzelheiten hier wiedergeben, 
die er mir felbjt bei unjerm täglichen Zufammenfein von feinem Leben 
im Sudan und feiner Bekanntichaft mit feinem berühmten Chef, dem 
ewig beflagten Gordon, berichtet hat. 

Bon Geburt iſt Emin Pascha Deuticher. Er gibt an, 48 Jahre 
alt zu fein, und muß daher im Jahre 1840 geboren fein. ch glaube 
er muß noch jung geweſen fein, als er in Konftantinopel eintraf, ſowie 
daß irgendein großer Herr ihn bei feinen Studien unterjtüßt hat und er 
durch denjelben Einfluß wahricheinlich in türkische Dienste gefommen und 
der Ärztliche Begleiter von Ismail Hakki Paſcha geworden ift. Wenn 
er, wie er mir jelbjt erzählte, mehr als 20 Jahre unter der Flagge des 
Halbmondes gedient hat, muß er im Jahre 1864 in den Dienft der 
Türfei getreten fein. Er ſchloß fih in Stambul der jungtürfifchen 
oder Reformpartei an, welche ihr eigenes Organ bejaß, das wegen feiner 
fühnen Befürwortung der Reformen dreimal von den Behörden unter: 
drüdt wurde. Bei der legten Unterdrücung defjelben mußte Emin 
das Land verlaffen. Nach feiner Ankunft in Megypten im December 
1875 trat er in ägyptiſche Dienfte und wurde nad Chartum gejandt. 








412 Siebzehntes Kapitel. 


„Gordon ernannte mic) zuerit zum Arzt mit einem monatlichen 
Gehalt von 25 Pfd. St., dann erhöhte er dafjelbe auf 30 Pfd. St.; bei 
der Rückkehr von meiner Miſſion nach Uganda überraichte er mich mit 
der Erhöhung meines Gehalts auf 40 Pfd. St., doch wurde dafjelbe, als 
ich Gouverneur diefer Provinz wurde, wie bei allen Provinzgouverneuren, 
50 Pfd. St. monatlih. Wie hoch das Gehalt eines Generals ift, weiß 
ich nicht, indeß war ich damals nur ein «Miraman», eine Art Civil: 
Paſcha, der jein Gehalt nur jo lange befommt, wie er beichäftigt wird, 
dafjelbe aber verliert, jobald man feiner Dienste nicht mehr bedarf. Ich 
hoffte zum Militär-Paſcha, d. h. ee ernannt zu werden.“ 


— ernannte FE den deutſchen Biceconful i in — 
ohne jegliche Befugniß von mir, zu meinem Agenten, um mein Gehalt 
entgegenzunehmen. Ich glaube, daſſelbe iſt dieſem mehrere Monate 
ausbezahlt worden; doch ernannte Gordon ſchließlich dieſen ſelben Vice— 
conſul zum Gouverneur von Darfur, als welcher er bald darauf ge: 
jtorben ift. Bei der Ordnung feines Nachlaffes fand fich nad) Bezah- 
lung einiger kleiner Schulden noch eine genügende Summe vor, jodaß 
feiner Frau 500 Pd. St. nad) Kairo geichidt und mir als Hauptgläu: 
biger der Betrag von 50 Pfd. St. gutgeichrieben werden konnte. Einige 
Monate jpäter fiel Chartum, und das Geld, das dort etwa nad) dem 
Tode des Viceconſuls deponirt worden war, ging natürlich verloren, 
nis ich jeit acht Jahren gar fein NE befommen habe.“ 

„Meine lebte ee mit — Paſcha Hatte ich im Jahre 
1877. Es war eine Expedition unter Führung von Oberſt Prout 
nach Darfur und eine zweite unter Oberſt Purdy zu Vermeſſungs— 
zwecken ausgeſandt worden. Als Gordon Generalgouverneur wurde, 
bat er Stone Paſcha in Kairo, ihm einen dieſer Offiziere zu Vermeſſungs— 
arbeiten in der Aequatorialprovinz zu ſchicken. Geſſi Paſcha hatte 
bereits den Albert-See umschifft, feine Meffungen aber nur mit dem 
Kompak vorgenommen. Prout Bey und Maſon Bey waren beide 
vorzügliche Beobachter. Prout Bey traf zuerft ein; er reifte von Ladö 
nach Fatifo, von dort nad) Mruli am VBictoria-Nil, ging dann nad) 
Magungo am Albert-Njanfa und ftellte durch eine Reihe von Beob- 
achtungen die Lage dieſes Punktes für alle Zeiten feſt. Krankheit 
zwang ihn, nach meiner Station in Ladö zurüczufehren. Zur jelben 
Beit war Maſon Bey gerade mit einem Dampfer angefommen, um 
den Albert-See zu vermefjen, und mit demfelben Schiffe erhielt ich den 





Perſönliches von Emin Paſcha. 413 


Befehl, nad) Chartum Hinabzufahren, um den Gouverneurspoften in 
Maſſaua am Rothen Meer zu übernehmen. Der franzöfiiche Conſul 
dajelbjt Hatte fich mit dem dortigen Givilgouverneur verumeinigt und 
gebeten, wenn ein anderer Gouverneur ernannt werde, dazu eine Perſön— 
lichkeit zu wählen, welche franzöfiich verjtände. Deshalb hatte Gordon, 
welcher wußte, daß ich mit der Sprache vertraut war, vermuthlich mic) 
auserjehen. Bei der Ankunft in Chartum wurde ich jehr herzlich von 
Gordon aufgenommen, der darauf beitand, daß ich die Mahlzeiten mit 
ihm einnehmen müſſe, was eine große Gunft war, weil er jonjt jelten 
jemand einlud, mit ihm zu jpeifen. Ich lehnte die Wohnung im Palaft 
jedoch ab und nahm mein Frühſtück bei mir zu Haufe ein, doch bejtand 
Gordon darauf, daß ich zum zweiten Frühſtück und Mittagefjen zu 
ihm käme. Er hatte Ueberfluß an Arbeit für mich, Schreiben an die 
ägyptiichen Paſchas und Beys in den verjchiedenen Provinzen, Briefe 
an die katholiſche Miffion in Gondoforo, jowie an den Papft, den 
Khedive u. j. w. in italienischer, deuticher und arabijcher Sprache. Das 
dauerte eine Zeit lang, bis er mich eines Tages in einer Miſſion nad) 
Unjoro jandte. Etwas jpäter fuhr ich jtromaufwärts und babe jeit- 
dem Gordon nicht mehr geſehen.“ 

„sm Suni 1882 jcehrieb mir Abdul Kader Balcha, daß er in 
einigen Monaten einen Dampfer mit Lebensmitteln und Munition an 
mic; abjenden werde. Nachdem ich neun Monate gewartet hatte, er: 
hielt ich im März 1883 mur 15 Kiſten Munition. Das ijt thatſäch— 
lic) die legte Zufuhr von irgendetwas gewejen, was ich bis zu Ihrer 
jüngjten Ankunft im April 1888 von der Außenwelt befommen habe. 
Genau fünf Jahre!“ 

„Während fünf Jahren bin ich im dieſer Negion vereinſamt 
geblieben. Hoffentlich aber nicht müßig. Ich wurde von den An— 
gelegenheiten meiner Provinz in Thätigkeit gehalten, und es ijt mir 
gelungen, an manchen Dingen Vergnügen zu finden. Dennoch hat 
die Iſolirung von der civilifirten Welt mir das Leben ziemlich ſchwer 
gemacht. Ich würde mich des Lebens hier bis zu meinem Ende 
freuen, wenn ich nur regelmäßig Nachrichten erhalten fünnte und eine 
fichere Verbindung mit der Außenwelt hätte, um alle Monate oder alle 
zwei oder jelbjt drei Monate Bücher und Zeitungen zu erhalten. Ich 
beneide die Miffionare in Uganda, die monatlich ihr Padet Briefe, 
Zeitungen und Bücher befommen. Herr Maday hat in Uganda eine 


414 Siebzehntes Kapitel. 


vollftändige Bibliothef. Das Päckchen «Honeydewa-Tabad, welches 
ich Ihnen neulich gab, erhielt ich von ihm. Ich befam auch einige 
Flaſchen Spirituojen, Kleidungsſtücke, Schreibpapier von ihm und ebenjo 
die wenigen Nachrichten, welche ich aus den mir hin und wieder ge 
jandten Nummern des « Spectator» und der «Times» erjah. Bücher 
über gewiffe Gegenjtände, welche mich interejjiren, habe ich aber nie 
von ihm erhalten fünnen, ohne ihm und feinen Freunden viel zu große 
Mühe zu machen. Ich möchte daher gern meinen eigenen Poſtdienſt 
haben, dann wäre mein Leben von dem Inbefriedigtjein befreit. Ach, 
diefe Jahre des Schweigens! Ich vermag meine Gefühle nicht im 
Worte zu Eleiden, künnte die Zeit aber nicht nochmals aushalten.‘ 


Ic habe bereits Emin’s Alter und Perſon bejchrieben; gewiſſe 
Eigenjchaften jeines Charakters werden durch die vorjtehende Unter— 
redung gekennzeichnet, jedoch würde man den Mann kaum im vollen 
Umfange jeiner Natur verftehen, wenn ich bier aufhörte. Seine 
‚Fähigkeiten, Tüchtigkeit und Brauchbarkeit für die eigenthiimliche 
Stellung, in welche er verjegt war, ergeben fich aus der Art und 
Weiſe, wie er es möglich machte, jeine Truppen zu befleiden. Unter 
den uns aufgenöthigten Geſchenken befanden ſich Stüde von Baum: 
wollenjtoff, den feine Leute ſelbſt gewebt hatten, grob, aber feſt, jowie 
Bantoffeln und Schuhe von feinen eigenen Schuhmachern. Das Aus— 
jehen feiner Dampfer und Boote nad) der langen Dienstzeit, die Her: 
jtellung des für die Majchinen geeigneten Dels, einer Miſchung aus 
Sejamöl und Talg, die ausgezeichneten janitären Einrichtungen, Die 
Sauberkeit und Ordnung der unter jeinem Befehl jtehenden Stationen, 
die regelmäßig ohne Widerjpruch erfolgende Zahlung des Getreide- 
tributs jeitens feiner Negerunterthanen zweimal im Jahre, alles das 
dient dazu, um feinen eigenartigen Charakter zu kennzeichnen und zu 
beweifen, daß er Talente befigt, wie man fie bei denen, die Afrika 
zu ihrem Arbeitsfelde erwählen, nur jelten findet. Bei dem Bemühen, 
ihn zu beurtbeilen, laſſe ich im Geifte Hunderte von Offizieren 
vorüberziehen, welche am Nil und Kongo gedient haben, aber ich 
fenne nur wenige, welche ihm in einer jeiner werthvollen Eigenschaften 
gleichfommen wirden. Abgejehen von feinen ſprachlichen Kenntniſſen 
iſt er Naturforjcher, etwas Botaniker, und was ihn als Arzt an- 
betrifft, jo glaube ich wol, daß 20—30 Jahre eines abenteuerlichen 
Lebens, wie er es geführt hat, ihm jeltene Gelegenheiten geboten 
haben, um im diefem Beruf Hug und geichiet zu werden. Die 


Perjönliches von Emin Paſcha. 415 


von ihm gebrauchten Worte gehen, wie man aus dem Borjtehenden 
erjieht, über das hinaus, was zu einem allgemeinen Geſpräch erforder: 
lich ift, und ließen mic) auc) feine Gewandtheit im Englischen erfennen, 
das bei jeiner fonoren Stimme und gemefjenen Sprechweije ungeachtet 
des fremden Accents jehr angenehm Hang. Ich fand ihm über Die 
Fragen der in Zeitungen und Zeitjchriften behandelten Politik jehr gut 
unterrichtet, gleichviel von welchem Lande wir jprachen. Sein Beneh- 
men iſt jehr höflich und entgegenfommend, vielleicht etwas zu ceremo- 
niös für Gentralafrifa, aber höchſt geziemend für einen Gouverneur 
und gerade jo, wie man e8 von einem Beamten in jolcher Stellung, 
der ſich feiner jchweren Berantwortlichkeit bewußt ijt, erwarten kann. 

Fleißige Arbeit jcheint für ihn ein wichtiges Lebensbedürfniß zu 
jein. Er iſt ein Mufter anftrengender, geduldiger Arbeit. Kaum 
war das Lager aufgefchlagen, jo machte er fich jchon daran, nach 
methodifcher Weife in der Einrichtung Ordnung berzuftellen. Sein 
Tiſch und Stuhl haben ihren bejtimmten Pla, auf dem Zijche be- 
finden fich die Tagebücher, auf einem paſſenden Poſtament die Aneroid- 
barometer, im Schatten find die Thermometer und Piychrometer in 
gehöriger Weife aufgejtellt, jodaß die Luft fie ordentlich bejtreichen 
fann. Die Tagebücher find Wunder von Zierlichkeit und ohne Kleckſe, 
die Schrift ijt mikroſtopiſch klein, als ob er einen Preis für Accura- 
tefje, Sparjamfeit, Zierlichfeit und Treue erzielen wollte. Thatjächlich 
zeichnen die meisten Deutſchen meiner Bekanntſchaft ſich durch die Maſſe 
ihrer Beobachtungen und ihre überaus jchöne Schrift aus, während 
englifch jprechende Neifende, die ich fannte, Notizbücher bejaßen, die 
für fie allerdings ganz brauchbar fein mochten, jonft aber nicht gut 
geführt, voll von Kledjen und im Vergleich zu jenen jchlecht gejchrieben 
waren und demjenigen, welcher die Herausgabe zu bejorgen hat, un- 
endliche Schwierigkeiten machten. 

Nachjtehendes wird einige der Schwierigkeiten illuſtriren, mit denen 
er in den fünf Jahren, die er vom Hauptquartier in Chartum abge- 
jchnitten war, zu kämpfen hatte. 

Schufri Aga, der Commandant der Station Mſwa, der mir am 
Abend des 19. Mai einen Beſuch abjtattete, erzählte, daß vor etwa 
Sahresfrift 190 Soldaten vom erften Bataillon von der Station 
Nedjaf nad) Kirri, wo der Paſcha refidirte, aufgebrochen jeien, um 
ihn zu verhaften und als Gefangenen bei fich zu behalten. Es war 
nämlich von Dr. Junker in Kairo ein Brief eingetroffen, welcher die 


416 Siebzehntes Kapitel. 


Nachricht von der Abjendung einer Erpedition zu ihrer Befreiung enthielt, 
und dies hatte in den Gemüthern der Soldaten des erjten Bataillons 
die verworrene Meinung hervorgerufen, daß ihr Gouverneur in jener 
Richtung zu fliehen und fie ihrem Schiejale zu überlafjen beabfichtige. 
In der Ueberzeugung, daß ihre Sicherheit in der Amwejenheit des 
Eivilgouverneurs unter ihnen liege, waren fie auf den Gedanfen ge- 
fommen, ihn gefangen zu nehmen und mit fich nach Nedjaf zu 
bringen, der mördlichjten Station, wo das genannte Bataillon in 
Garnijon ftand. „Denn“, jagten fie, „wir fennen nur einen Weg, 
und der führt den Nil hinab über Chartum.““ Als der Paſcha 
von den Offizieren des zweiten Batatllons plötzlich von diefem Plane 
in Kenntniß gejeßt wurde, rief er: „Gut, wenn fie mich tödten wollen, 
ich fürchte mich nicht vor dem Tode; laßt fie nur fommen, ich werde 
fie erwarten.“ Das wollten die Offiziere des zweiten Bataillons in 
Kirri aber nicht zugeben; fie flehten ihn an, zu fliehen, ehe die Un— 
zufriedenen fämen, und jehten ihm auseinander, daß „die gewaltſame 
Gefangennahme und die Haft des Gouverneurs einer jeglichen Re— 
gierung ein Ende machen müſſe und die volljtändige Vernichtung jeder 
Disciplin fein werde”. Längere Zeit weigerte er fich fortzugehen, aber 
ichließlich gab er ihren Bitten doch nad) und floh nad Miwa. Bald 
nach jeiner Abreife traf das Detachement des eriten Bataillons ein, 
umzingelte die Station und jtellte die peremtorische Forderung, der 
Gouverneur jolle herausfommen und fich ihnen ergeben. Auf die 
Antwort, daß der Gouverneur bereits ſüdwärts nach Muggi und 
Wadelai abgereist jei, drangen die Empörer gegen die Station vor, 
ergriffen den Commandanten und die Unterbeamten, prügelten fie mit 
Beitichenhieben weidlich durd; und nahmen die meilten als Gefangene 
mit, worauf fie nach Nedjaf zurüdkehrten. 

„Sie müfjen willen“, fuhr Schufri Aga fort, „daß das erite 
Bataillon die nördlichen Stationen bewacht, daß jeder Soldat dejjelben 
gegen den Rüdzug ift und jegliche Andentung, den Wachtpoften in 
Nedjaf zu verlaffen, nur ihren Unwillen hervorruft. Sie haben 
während der ganzen langen Zeit auf die Nachricht gewartet, daß ein 
Dampfer in Ladö eintreffen werde, und hängen noch fejt an dem Glauben, 
daß der Paſcha in Ehartum fie eines Tages holen lafjen werde. Was 
Emin Bajcha ihnen in gegentheiligem Sinne jagt, ruft nur den äußerjten 


* Die Eorreipondenz, welche dieſe Leute mit Chartum unterhielten, läßt mic) 
bezweifeln, ob dies der wahre Grund war. Man vergleiche das Schreiben Omar 
Sali’s an den Ehalifen von Chartumt. 


Perſönliches von Emin Paſcha. 417 


Unglauben hervor. Nun Sie aber auf dem entgegengeleßten Wege 
gekommen find und da mehrere von ung, die wir 1875 mit Linant 
Bey gewejen find, Sie in Uganda gejehen haben und noch viel mehr 
Sie dem Namen nad) fennen, werden fie höchit wahrjcheinlich die 
Ueberzeugung gewonnen haben, daß der Nil nicht die einzige Straße 
nach Aegypten ift und daß Sie, der fie aufgefunden hat, fie auch 
aus dem Lande führen werden. Sie werden Ihre Offiziere, werden 
Ihre Sudanejen ſehen ehrerbietig Ihre Botichaft anhören und mit 
Freuden gehorchen. Das ijt meine Anficht, obwol nur Gott weiß, 
wie die Stimmung augenblidlich beim erjten Bataillon ift, da noch 
nicht genug Zeit verfloſſen ift, daß wir von ihm jchon hätten hören 
können.“ 

Als ich Emin Paſcha am nächſten Tage das von Schukri Aga 
Gehörte wiedererzählte, ſagte er: 

„Schukri Aga iſt ein ſehr intelligenter und tapferer Offizier, der 
zu ſeinem Range befördert worden iſt wegen ſeiner ausgezeichneten 
Dienſte gegen Keremallah, einen der Generale des Mahdi, als derſelbe 
mit einigen tauſend Leuten hierher kam, um uns aufzufordern, uns der 
Regierung des Mohammed Achmet zu unterwerfen. 

„Was er Ihnen erzählt hat, ijt vollitändig wahr, nur hat er zu 
erwähnen vergeflen, daß bei den 190 Soldaten des erjten Bataillons fich 
aud) 900 bewaffnete Neger befanden. Später habe ich erfahren, daß 
fie mich nach Gondoforo zu bringen und dort gefangen zu halten 
beabfichtigten, bis die Garnijonen der jüdlichen Stationen, Wadelai, 
Tunguru und Miwa, ſich gejammelt hätten, um dann gemeinfam am 
rechten Flußufer nach Chartum zu marjchiren. Beim Eintreffen in 
der Nähe von Ehartum wollten fie, auf die Nachricht, daß die Stadt 
wirklich gefallen ſei, fich jeder in feine Heimat zerjtreuen und den 
Leuten aus Kairo und mir es überlaffen, weiter für uns zu jorgen.‘* 

Nachitehend einige naturhiftorische und ethnographiiche Thatjachen, 
die er mir erzählt hat. 

Der Wald von Mſongua wird von einer großen Art von Schim— 
panjen unficher gemacht, die im Sommer oft zur Nachtzeit die Pflan- 
zungen der Station Mſwa bejuchen, um Früchte zu jtehlen. 


* Da der Paſcha dies wuhte, ſcheint er mir doch jehr unklug gehandelt zu 
haben, als er ſich unter diefe Rebellen wagte, ohne fich vorher darüber zu ver— 
gewillern, welche Wirkung jeine Gegenwart auf fie ausüben würde. 

Stanlen, Im dumtelften Afrifa. I. 27 


418 Siebzehntes Kapitel. 


Er bemerkte, daß man an den Ufern des Albert-Sees niemals 
Bapagaien jehe. In Unjoro trifft man fie bis 2° nördl. Br., dagegen 
icheinen die Seeanwohner nicht zu verjtehen, was gemeint ift, wenn 
man von Papagaien ſpricht. 

Unfere Leute fingen ein Paar jehr junge Zebra - Schneumons 
und brachten fie dem Paſcha. Derjelbe nahm jie an und befahl 
fie mit Milch zu füttern. Er erklärte, das Ichneumon jei, obwol 
es jehr zahm werde und äußerjt drollig fei, doch ſchädlich. 

Das neugierige Heine Thier zerbricht die Inftrumente, jprigt Die 
Tinte umber und beſchmutzt und bejchmiert Papiere und Bücher. An 
Eiern läßt es bejonders jeine Zerftörungsmwuth aus; findet es ein Ei 
mit ungewöhnlich harter Schale, jo hebt es dafjelbe mit den Border: 
füßen und läßt es jo lange fallen, bis es zerbrochen tft. 

Der Paſcha weiß viel von den Dinfa zu erzählen. Die Heerden- 
befiger bei den Dinka haben 300— 1500 Stüd Vieh, jchlachten 
dafielbe aber jelten des Fleiſches wegen, jondern halten es einzig und 
allein wegen der Milch und des Blutes. Lebteres wird mit Sejamöl 
vermischt und als Delicateffe verzehrt. Beim Tode eines Heerden- 
befigers ladet der nächite Verwandte jeine Freunde ein und jchlachtet 
vielleicht zwei Rinder für das Feſtmahl bei der Bejtattung, ſonſt hört 
man faum, daß ein Dinka das Vieh des Fleiſches wegen gejchlachtet 
hätte. Stirbt ein Stüd Vieh eines natürlichen Todes, jo verlangt der 
Appetit nad) Fleisch, daß es verzehrt wird, ein Beweis, daß nicht das 
Gewiſſen den Dinka verhindert, jeinen Magen mit Fleisch zu füllen, ſon— 
dern, da die Rinder feinen Reichthum bilden, nur jeine übertriebene 
Sparjamtfeit. 

Die Dinfa bezeugen den Tigerichlangen und allen übrigen Arten 
von Schlangen große Ehrfurcht. Als einer der judanejiichen Offiziere 
eine Schlange getödtet hatte, mußte er zur Strafe vier jchöne Ziegen 
hergeben. Sie betrachten die Schlangen jogar als Hausthiere und 
halten jie im ihren Hütten, wobei den Thieren aber alle Freiheit 
gelaljen wird, ſodaß fie hinauskriechen und auf Beute gehen können, 
worauf fie zurüdtchren, um zu ruhen und zu fchlafen. Sie waichen 
die Tigerichlangen mit Milch und reiben fie mit Butter ein. Man 
hört in faſt jeder Hütte in dem Dachwerk kleinere Schlangen raicheln, 
die dort der Jagd auf Ratten, Mäufe u. ſ. w. nachgehen. 

Auf der Oſtſeite des Nils fand er einen Stamm, welcher eine 
außerordentliche Vorliebe für Löwen hatte und deifen Mitglieder ſich 
lieber von einem Löwen tödten ließen, als daß fie fich des Todes eines 


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Ein Phalanrtanz von Mafambont’s Kriegern. 










THE NEW YORK 
PUBLIC LIBRARY 





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Perjönliches von Emin Paſcha. 419 


ſolchen jchuldig machten. Dieje Leute hatten einmal eine Grube an- 
gelegt, um Büffel und ähnliches Wild zu fangen, doch war unglüdlicher: 
weile ein Löwe das erfte Opfer derjelben. Als die Sudanejen dies 
entdeckten, wollten fie das Thier tödten, der Häuptling verbot dies jedoch 
und bat, man möge ihm den Löwen jchenfen, wozu die Sudanejen- 
gern bereit waren. Während fie neugierig zujahen, was der Häupt- 
fing mit dem Thiere machen werde, fchnitt diejer einen langen, kräf— 
tigen Pfahl ab und ftellte ihn jchräg auf den Boden der Grube, 
worauf der Löwe jofort an demjelben emporkflomm und ins Dicicht 
Iprang, um fich der wiedergewonnenen Freiheit zu erfreuen. Zu er- 
wähnen iſt noch, daß das edle Thier feinen Verſuch machte, jemand 
zu verlegen, und fich wahrjcheinlich viel zu jehr davor fürchtete. 
Man könnte eine ebenjo niedliche Gejchichte, wie von Androfles und 
dem Löwen daraus machen, wenn wir nicht in einem jo wahrhaften 
und profaischen Zeitalter lebten. 

Das „Vogelſtudium“, erklärte mir der grauhaarige Lieutenant 
aus Kairo, ſei das Entzücen des Paſchas. In der That jcheint er 
in allem, was Vögel oder vierfüßige Thiere, angeht, ein ebenjo großes 
Vergnügen zu finden, wie an jeinen Militär- und Civilpflichten, ob- 
wol ich nicht bemerkt habe, daß er die letztern vernachläffigt hätte, 
während das ehrfurchtsvolle, ſoldatiſche Benehdſep ſeiner Leute in ſeiner 
Gegenwart zeigt, daß ihnen die Disciplin guß eingeprägt worden iſt. 

Aus der vorſtehenden Wiedergabe einiger von mir aufgezeichneten 
Unterredungen geht hervor, daß der Paſcha ein wechſelvolles Leben 
geführt hat, das ruhigen, in der Heimat bleibenden Leuten viel werth— 
vollen und anregenden Leſeſtoff bieten würde. Hoffentlich wird er 
ſich eines Tages bereit finden, ihnen in Buchform einige der über— 
raſchenden Ereigniſſe ſeines Lebens in Aſien und Afrika vorzulegen 
und ihnen in ſeiner eigenen angenehmen Weiſe die intereſſanteſten Be— 
obachtungen zu wiederholen, die er während ſeines langen Aufenthalts 
in einer neuen und wilden Natur gemacht hat. 


t 
21 
+ 


Achtzehntes Kapitel. 
Aufbruch zum Entſatze der Nachhut. 


Marſch nach Mukangi unter Begleitung verſchiedener Volksſtämme. — Lager im 
Dorfe Ukuba. — Ankunft im Fort Bodo. — Unſere Invaliden in Ugarrowwa's 
Pflege. — Lieutenant Stairs' Bericht über ſeine Reiſe zur Transportirung der 
Invaliden nach Fort Bodo. — Nächtliche Beſuche der tückiſchen Zwerge. — Allge— 
meine Muſterung der Garniſon. — Ich entſchließe mich, die Führung der Erſatz— 
truppe ſelbſt zu übernehmen. — Kapitän Nelſon's Krankheit. — Mein kleiner 
Dachshund „Randy“. — Beſchreibung des Fort. — Die Sanſibariten. — Ab— 
ſchätzung der Zeit für die Reife nah Jambuja und zurück. — Lieutenant Stairs' 
Muthmaßung über den Dampfer „Stanley. — Geipräd mit Lieutenant Stairs 
über Major Barttelot und die Nachhut. — Inſtructionsſchreiben an Lieutenant Stairs. 


Am 1. Juni marjchirten wir in Begleitung von etwa zwanzig 
von Majamboni’s Leuten von Unduſſuma nach Weiten. Nach andert- 
halb Stunden erreichten wir den Dijtriet von Urumangua, der ung 
eine Escorte von etwa 100 Mann lieferte, während die Krieger Ma- 
jamboni’s in ihre Heimat zurückkehrten. Nach zweiftündigem Marjche 
trennten fich die Zeute von Urumangua in Unjabongo wieder von uns 
und überließen ihre Ehrenpflicht den Bewohnern des neuen Diftricts, 
die ums anderthalb Stunden weit begleiteten und dafür jorgten, daß 
wir in Mukangi gut untergebracht und reichlich) mit Lebensmitteln 
verjehen wurden. Kurz vorher, ehe wir diefen Ort erreichten, waren 
wir in Schlachtordnung aufgejtellt, da ein Kampf unmittelbar bevor- 
zuftehen schien; doc) gelang e8 dem Muth und gefunden Berftande 
des Häuptlings, einen nußlojen Bruch zwiichen beiden Barteien zu 
verhüten. 

Gute Beijpiele finden ebenfowol Nachahmung wie  jchlechte. 
Die Häuptlinge von Wombola und Kamette hatten erfahren, wie- 
rajh wir die freundlichen Anerbietungen Mukangi's angenommen 
hatten; als wir dann am nächiten Tage durch ihre Diftricte mars 
ſchirten, hörten wir weder einen Kriegsruf noch jahen wir eine feind- 


T. Juni 1888.) Aufbruch zum Entſatze der Nachhut. 421 


liche Geftalt. Die Leute von Kamette riefen uns allerdings zu, wir 
jollten unſern Marſch fortiegen, allein das war vollftändig gerecht: 
fertigt, da wir in ihrem Dorf nichts zu thun hatten und es noch früh 
am Tage war; bei der Ankunft im nächſten Dorfe, Ufuba, waren wir 
aber ermüdet und wünjchten nach dem fünfjtündigen Mariche zu raten. 
Ukuba, ein Diftrict von Beſſe, hatte am 12. April unfere Waffen be- 
reit3 fennen gelernt und geftattete uns deshalb, ruhig unſer Lager 
aufzuschlagen. Bei Sonnenuntergang hatten wir die Genugthuung, 
mehrere Eingeborene unbewaffnet ins Lager fommen zu jehen, und am 
nächiten Morgen jtellten te jich nochmals ein mit Geſchenken, einer 
Milchziege, einigen Hühnern und genügend Bananen für alle. 

Am 3. Juni marjchirten wir raſch weiter und nahmen einige 
Kanoes weg, welche wir zum UWeberjegen der Colonne über den Ituri 
brauchten, den wir, obwol im legter Zeit nur wenig Regen gefallen 
war, jo hoch angejchwollen fanden wie im April. 

Am nächſten Tage nahmen wir, nachdem wir den Fluß über- 
jchritten hatten, eine Frau aus Mande gefangen, ließen fie aber wieder 
frei, damit fie ihren Leuten erzählen fünne, daß wir vollftändig harmlos 
jeien, wenn man uns den Weg nur frei ließe. Vielleicht breitet ſich 
infolge defien das Gebiet noch aus, in welchem wir Frieden zwiſchen 
uns und den Eingeborenen hergeſtellt haben. 

Am 5. Juni lagerten wir uns in Baburu und am nächſten Tage in 
Weſt-Indenduru. Der 7. Juni brachte uns nach ſiebenſtündigem Marſche 
nach einem Fluſſe, der nach der großen Zahl der an ſeinen Ufern 
ſtehenden Raphiapalmen den Namen Miwale führt, und am nächſten 
Tage erreichten wir Fort Bodo, wohin wir 6 Rinder, eine Heerde 
Schafe und Ziegen, einige Laſten einheimischen Tabak, 4 Gallonen 
des vom Paſcha gebrannten Whisky und einige weitere fleine Luxus— 
artifel mitbrachten, um die Herzen der Garnifon zu erfreuen, 

Im Walde herrichte ein jo vollitändiges Schweigen, daß wir 
gegenjeitig über unſer Schidjal während der 67tägigen Trennung voll- 
ftändig in Umwiffenheit waren. Bis wir uns Fort Bodo auf etwa 
400 m genähert hatten, konnten wir uns noch nicht vorjtellen, was aus 
Lieutenant Stairs geworden war, den ich, wie man fich erinnern wird, 
am 16. Februar nad der Station Ugarrowwa’s geichidt Hatte, um 
die dort etwa vorhandenen Genejenden zu holen, damit diejelben das 
Los theilten, das uns im offenen Lande bevorjtand, deifen bloker 
Anblick ſchon von jo heilfamer Wirkung auf unfere Leute geweſen war. 
Ebenjo wenig fonnte die Garniſon muthmaßen, weldyes Geſchick uns 


422 Achtzehntes Kapitel. (Fort Bodo 


zutheil geworden war. Als aber unjere Flinten das jchlafende Echo 
des Waldes erwedten, hörten wir, als der Schall faum eritorben war, 
jchon die Antwort der Gewehre der Garnifon; wie wir daraus erfannten, 
da Fort Bodo noch eriftirte, jo erfuhren auch die in den Grenzen der 
Lichtung eingejchloffenen Unglücdlichen durch unſer Schießen, daß wir 
vom Nianja zurücdgefehrt jeien. 

Der erjte, welcher jich zeigte und ums begrüßte, war Lieutenant 
Stairs, dicht gefolgt von Kapitän Neljon, beide in vorzüglicher Ver: 
fafjung, aber von etwas teigartiger yarbe. Dann famen die Leute 
in Trupps herbei, jubelnd vor Freude, mit blißenden Augen und 
jtrahlenden Gefichtern, da dieje Naturkinder ihre Stimmung nicht zu 
verheimlichen und ihre Gemüthsbewegung nicht zu verbergen verftehen. 

Aber ach! meine Berechnungen. Seitdem ich die Waldregion be- 
treten habe, find diejelben immer unrichtig geweſen. Nachdem id), 
meiner Meinung nach jorgfältig, jede Meile des zurüczulegenden Weges 
und jedes Hinderniß, welches Lieutenant Stairs und feinen leicht be- 
ladenen Begleitern entgegentreten könnte, berüdfichtigt hatte, war ich 
überzeugt, daß er nach einer Abwejenheit von 39 Tagen wieder bei 
uns fein würde. Wir blieben 47 Tage, da wir bejtimmt wußten, daß 
es ihn freuen würde, bei der erfolgreichen Beendigung unjerer An— 
jtrengungen und dem fie frönenden Triumph zugegen zu fein. Er traf 
nach 71tägiger Abwejenheit ein, und zu der Zeit hatten wir ung bereits 
nit Emin Paſcha in Berbindung gejet. 

Sc hatte ferner berechnet, daß von den 56 Invaliden, welche wir 
in der Obhut Ugarrowwa’s zurücdgelafjen hatten und auf unjere Koſten 
verpflegen Tießen, mindeftens 40 Genejende für den Marjch bereit 
und tüchtig fein würden; allein Herr Stairs fand diejelben meijt in 
einem noch fchlimmern Zuftande als damals, als wir ung von ihnen 
trennten. Alle Somali waren geitorben bis auf einen, und dieſer 
lebte nur noch, bis er Ipoto erreichte. Bon den 56 Mann waren 
nur noch 34 übrig. Unter diefen befand fi) Djuma mit dem ampu— 
tirten Fuß; drei Manı waren auf einer Fourragirtour abwejend. 
Bon diejer ihm überlieferten jämmerlichen Truppe von 30 lebenden 
Gerippen jtarben 14 auf dem Wege, 1 wurde in Ipoto zurückgelaſſen 
und die 15 waren übriggeblieben, um an ihren entjtellten nadten 
Körpern Die efelerregenden Farben und Wirkungen der chrontjchen 
Krankheiten zu zeigen. Nachjtehender Bericht, in welchem Herr Stairs 
jeine bemerfenswerthe Reiſe bejchreibt, erklärt jeinen Aufenthalt voll- 
jtändig. 


8. Juni 1888.) Aufbruch zum Entſatze der Nachhut. 423 


Fort Bodo, Ibwiri, Centralafrifa, 
6. Juni 1888, 
Geehrter Herr! 


Ich Habe die Ehre Ahnen zu melden, daß ich gemäß Ihrem Befehle vom 
15. Februar 1888 dieſen Pla am 16. des genannten Monat3 mit einer Escorte 
von 20 Boten und jonjtiger Ausrüftung verlaflen habe, um mich nach der Station 
Ugarrowwa’s am Ituri zu begeben, die Boten von dort auf den Weg nad) der 
Colonne des Major Barttelot zu bringen, die unter der Obhut Ugarrowwa's geblie- 
benen Invaliden zu übernehmen und jie nach diefer Station zu geleiten. 

Nachdem wir dieien Plag alſo am 16. Februar verlaffen hatten, trafen wir 
am 17. bei dem Dorfe auf dem Kilimani-bügel ein. Am nächiten Tage beichloß 
ih etwa 3 km mweitlich vom Kilimani auf unjerm Durchmarſch nad Ipoto, einen 
großen und ſtark begangenen Eingeborenenpfad einzuichlagen, und verfolgte denielben 
demgemäß bis 11 Uhr vormittags. Nachdem wir jo weit gegangen waren, wandte 
der Weg fich allzu weit nad Norden und DOften, weshalb ic; nach andern Pfaden 
juchte, in der Hoffnung, bei der Berfolgung eines ſolchen fchließlich auf eine große 
Straße zu gelangen und uns auf diefe Weile nach dem Ihuru durchzuarbeiten. Als 
wir einen Pfad gefunden hatten, folgten wir demielben 3 km und jahen dann, 
daß der Weg plöglich aufhörte, und da feine weitere Spur von demielben zu ent: 
deden war, fehrten wir nach unjerm frühern Wege zurüd und marſchirten auf 
demielben weiter; an demjelben Tage bemühten wir uns noch viermal, nad) Nord- 
weiten oder irgendwie in diefer Richtung vorzudringen, bis wir ſpät am Abend, 
gerade vor Dunfelwerden, nachdem wir einen mit Merkzeichen verjehenen Pfad 
gefunden hatten, uns lagerten. Am nächſten Tage, 19. Februar, folgten wir 
dieſem Wege in raihem Tempo nadı Nordweiten und famen um 10 Uhr vormittags 
zu einem verlaffenen Dorfe. Bier hörten die Merkzeihen am Wege auf und es 
waren feine Spuren von einem aus dem Dorfe führenden Pfade zu finden, obwol 
wir nach allen Richtungen hin gründlich danach juchten. Wir fehrten deshalb wieder 
um und verfolgten eine breite Spur nadı Nordojten, worauf wir einen neuen Verſuch 
machten, doch war der Pfad wiederum zu Ende. 

Nach einiger Weberlegung fehrte ich zu unſerm Lager vom vorigen Tage 
zurüd und beichloß, einen Pfad in der Richtung nadı Mambungu zu verfolgen und 
dann einen Seitenweg einzujchlagen, der nach der Behauptung der Eingeborenen 
nach dem Ahuru führen jollte; allein als wir demſelben nachgingen, fanden wir, 
dab er mur bis zu einigen Wambutti-Hütten führte und dort aufhörte. 

Nachdem ich den Anführer der Boten um jeine Meinung befragt hatte, beichloß 
ic dann wieder umzufehren und unjerer alten Route nadı Fpoto zu folgen, dort 
zwei Führer zu gewinnen, dann dem Pfade nad) dem Dorfe Uledi's nachzugehen, 
dajelbit den Jhuru zu überichreiten und darauf dem nördlichen Ufer des Fluſſes 
zu folgen u. j. w. Meine Gründe hierfür waren folgende: Wenn ich in diejer 
Weile fortfuhr Pfade aufzuſuchen, würde ich vier oder fünf Tage verlieren, was 
bei meiner bejchränften Zeit nicht angängig war; und zweitens würde der Verſuch, 
uns einen Weg durch das Didicht in der Richtung nach dem Fluſſe zu bahnen, uns 
wahricheinfich fünf Tage koſten, welche jeden Bortheil, den ein Weg nach Norden 
vielleicht haben könnte, vollitändig aufwiegen würden. Nachdem wir am 22. Februar 
die Station Kilonga-Longa’s erreicht hatten, trafen twir eine Vereinbarung wegen 
einer Abtheilung, die ung auf einer Straße jüdlich vom Ituri führen follte, und 
jeßten am 24. die Reife fort. Am 1. März überichritten wir den Lenda; unſer 
Eurs war jeßt NW. und NNW. Am 9. März trafen wir in Fariſchi, der obern 


* 


424 Achtzehntes Kapitel. [Fort Bodo 


Station Ugarrowwa’s, ein und am 14, erreichten wir früh morgens bejjen Station 
am Ituri. Wir hatten viele Tage Regen gehabt, ich litt infolge deſſen jehr ftart 
an Fieber und mußte nach der Ankunft bei Ugarrowwa zwei Tage das Bett hüten. 

In der Station Ugarrowwa's fand ich, daß acht oder zehn Mann auf einer 
Fourragirtour begriffen waren, und es dauerte 3", Tage, che ich diejelben bekam. 

Bei Ugarromwa waren am 18. September 1887 jehsundfunfzig (56) Mann 
zurüdgeblieben, nämlih 5 Somali, 5 Nubier und 46 Sanfibariten. Von dieler 
Gejammtzahl waren 26 geftorben, worunter jämmtliche Somali, mit Ausnahme 
Dualla’s. Zwei Mann fehlten noch, als ich wieder aufbrach. Barala W. Muſſa 
erhielt von mir den Befehl, an die Stelle eines Boten zu treten, den wir wegen 
eines heitigen Geſchwürs in Jpoto hatten zurüdlafien müfjen, und Djuma ben Said 
blieb bei Ugarrowwa. 

Die meijten der Leute befanden fich bei meiner Ankunft in geſchwächtem Zu— 
ftande; ala ich wieder fortging, wollte ich daher fieben von ihnen nicht mitnehmen. 
Ugarrowwa weigerte ſich jedoch geradezu fie zu behalten, ſodaß ich die Leute mit: 
zunehmen gezwungen war, mit der Gewißheit, daß fie unterwegs jterben würden. 

Am 16. März jchidte ich Abdullah und feine Boten flußabwärts. Am 17. 
übernahm ich von Ugarrowwa 44 Gewehre, von denen ich ihm 2 nebit 42 Remington 
patronen zum Geſchenk machte. 

Am 18. rechnete ich mit Ugarrowmwa ab mit dem Betrage von 870 Dollars, 
d. i. je 30 Dollars für 29 Mann, und übergab ihm feine Wechjel jowie Ihren Brief. 

Am jelben Tage verlieh ich ihn mit meinem Gefolge auf dem Wege nadı 
Ibwiri. Ugarrowwa hat in der That Kapital aus jeiner Anvalidenftation ge- 
ichlagen. 

Vom 19. bis 23. März, an welchem Tage ich Fariichi erreichte, regnete es be— 
beitändig, wodurch der Weg beſchwerlich und der Uebergang über die Bäche ſchwierig 
wurde. Bon hier bis nach Ipoto hatte ich Tag für Tag jchwere Fieberanfälle, 
und da ich feine Leute hatte, um mich zu tragen, jo mußte ich Märiche von 7 bis 
10 km pro Tag machen. Das bejtändige Durchnäßtſein und die jchlechten Wege 
machten jämmtliche Leute jehr niedergeichlagen und einige von ihnen bezweifelten 
fogar, daß Beiftand für fie voraus jei. Am 11. April traf ih in Ipoto ein und 
marichirte am 13. wieder ab; nach weitern Schwierigkeiten durch Fieber langte 
ich am 26. April hier an. Alle waren frob, als jie das Fort jahen. Den Somali 
Tualla mußte ich in Ipoto zurüdlafien; Tam, ein früherer Ejeltreiber, defertirte 
unterwegs. Von dem Trupp Invaliden (26) waren 10 geftorben. Kibwana itarb 
im Lager in der Nähe von Mambungu ebenfalls an einer Bruftfranfheit. Bon 
56 Invaliden habe ich nur 14 lebend nah dem Fort gebracht. 

Bei der Ankunft in Fort Bodo erfuhr ich, daß Sie ſchon lange fort feien, 
daß ich mit den wenigen Gewehren, über welche ich verfügte, Jhnen nicht mit Sicher- 
heit folgen fünnte, weshalb id) in der Station blieb umd mich zum Dienft bei 


Kapitän Nelion meldete, welcher von Ahnen mit-dem Befehl über Fort Bodo 
betraut war. 


Ueberſchwemmungen, NRegengüffe, Fieber und jonftige Krankheiten find die 
Urjachen unjers langen Fortbleibens geweien, und wir alle, die überhaupt in 
marſchfähigem Zuftande waren, haben bittere Enttänjchung gefühlt, als wir nicht 
im Stande waren, Sie zu erreichen. 


Ich habe die Ehre u. ſ. w. 
W. G. Stairs, Lieutenant. 
Seren 9. M. Stanley. 





8. Juni 1888.) Aufbruch zum Entjage der Nachhut. 425 


Ueber den Zuftand der Garnifon von Fort Bodo war nur wenig 
zu klagen; die Lage der mit Gejchwüren behafteten Perſonen hatte 
ſich zwar nicht gebejjert, aber auch nicht verichlimmert, die anämiſchen 
Opfer der Torturen der Manjema in Ipoto hatten vielleicht ein paar 
Gramm an Gewicht zugenommen, und die chronisch Gleichgültigen und 
Saumpfeligen waren noch vorhanden, um uns durch den Anblic ihres 
Elends daran zu erinnern, daß fie fich fir den uns bevorftehenden 
langen, verzweifelten Marſch nicht eigneten. Wir hatten das alles 
erwartet. Die weite Reife nah Jambuja und zurüc, etwa 1700 km, 
fonnte nie von Leuten zurücgelegt werden, die feine Luft dazu hatten; 
dazır bedurfte es ‘Freiwilliger, welche durch eigenes Interefje angefenert 
und durch das Bewußtjein angeregt wurden, daß nach Beendigung 
diefer einen Aufgabe das Elend des Waldes, Hunger, Feuchtigkeit, 
Negen, Schlamm, Dunfelheit, Pflanzenkoſt, vergiftete Pfeile Dinge und 
Leiden der Bergangenheit jein und daß dann die Freude über das 
Grasland, das göttliche Licht, die Helligkeit und Wärme des vollen 
Tages, das Schwanfen des Grajes im erfriichenden Sturm, der Troft 
fommen würden, daß der Himmel über uns ijt und die Erde, noch voll 
frohen Lebens, jtrahlend von Wohlwollen und Güte, für immer vor 
uns liegt. O, gütiger Gott! beichleunige diefen Tag! Aber fünmen 
die Schwarzen, die „Ihiere‘‘, die „Nigger“, die „schwarzen Teufel‘‘ das 
fühlen? Wir werden jehen. 

Eine Maisernte war eingeheimft und ficher in den Vorraths⸗ 
häuſern untergebracht, die Felder waren aufs neue für das Aus— 
pflanzen vorbereitet, die Bananenpflanzungen lieferten noch unbe— 
ſchränkte Mengen Nahrungsſtoff, die ſüßen Kartoffeln wuchſen an 
verſchiedenen Stellen wild und von Bohnen war ein ziemlich großer 
Vorrath vorhanden. 

Die bösartigen Zwerge, die Wambutti, hatten wiederholt nächtliche 
Beſuche abgeſtattet und die Kornfelder etwas geplündert, worauf 
Lieutenant Stairs mit einigen ausgeſuchten Leuten der Garniſon die 
Marodeure verfolgt und vollſtändig in die Flucht gejagt hatte; er 
hatte bei dem Gefecht einen Mann verloren, aber den kleinen Dieben 
einen heilfamen Schreden eingejagt. 

Das Fort enthielt jegt 119 Sanfibariten von der Vorhut, vier 
von den Soldaten Emin Paſcha's, 89 Madi-Träger und drei vom 
Albert-Njania gefommene Weiße, außer den 57 Sanfibariten und 
Sudanejen, jowie den beiden Offizieren, welche die Garnijon gebildet 
hatten, zuſammen 283 Seelen. Aus diefer Zahl jollten wir eine 


4965 Achtzehntes Kapitel. [Sort Bodo 


Golonne von Sanfibariten= Freiwilligen und Madi- Trägern bilden, 
um Major Barttelot und der Nachhut zu Hülfe zu eilen. 

Nach zweitägiger Raſt hielten wir eine allgemeine Muſterung ab. 
Ich ſetzte ihnen laut die Erforderniffe unjerer Lage auseinander; unſere 
weißen Brüder litten unter Gott weiß was für Schwierigkeiten, und zwar 
Schwierigkeiten, die ihnen größer erjchienen al3 uns, da wir den Wald 
überjtanden hätten und daher feine Bejchwerden als geringer betrachten 
fünnten. Denn die Erfahrung würde uns lehren, wie wir mit den 
Nationen weiter umgehen müßten, wo wir den ermatteten Körper 
erfriichen fünnten und wann wir den Marjch durch die zwiichenliegende 
Wildniß beichleunigen und unjere Hülfsmittel zu Rathe ziehen müßten. 
Unjere Wiedervereinigung würde unjere armen Freunde erfreuen, die 
wegen unjerer fangen Abwejenheit betrübt jeien, und unjere quten 
Nachrichten würden jelbjt die Schwächſten wieder aufrichten und die 
Berzweifelnden ermuthigen. Sie alle wüßten, welche Schäge von 
Stoffen und Glasperlen ſich in der Obhut der Nachhut befänden. Wir 
fünnten nicht alles tragen, und brauchten auch thatjächlih gar nicht 
jo viel. Wie könnte das beffer verwendet werden, als fiir die uner— 
müdlichen, treuen Burjchen, welche ihren Herren zweimal nach dem 
Njanſa und zurüc zu feinen lange vermißten Freunden gebracht hätten? 
„sch bitte euch deshalb, tretet zu mir heran, ihr, die ihr bereit jeid, 
während ihr, die ihr im Fort zu bleiben vorzieht, in Neih und Glied 
jtehen bleibt.‘ 

Bor Freude über ihre frische Kraft, ihre vorzügliche Geſundheit 
und die Anerkennung ihres Werthes jchrien 107 Mann laut: „Auf 
zum Major! Auf zum Major!‘ und jprangen auf meine Seite, ſodaß 
nur jchs Mann, weldye wirklich wegen Stranfheit und zunehmender 
Geſchwüre untauglich waren, jtehen blieben. 

Wer Menjchenfenner ift, wird bemerfen, daß ſich bei jolcher Ge— 
fegenheit einige Tugenden des Menjchen zeigen, wenn aud) andere 
blind find und die feinern Züge der menschlichen Natur nicht zu 
erfennen vermögen, ebenjo wie es viele Leute gibt, welche durchaus 
nicht im Stande find, in einem Gemälde die die Meiiterhand eines 
großen Malers verrathenden Pinfelitriche oder in einem Gedichte die 
mit Kraft und Wahrheit gepaarte —— und Glätte des wirklichen 
Dichters zu erkennen. 

Nachdem ich einige Leute von der Garniſon ausgewählt hatte, 
welche an die Stelle derjenigen treten ſollten, welche für den uns be— 
vorſtehenden langen Marſch untauglich waren, blieb nur noch übrig, 


15. Juni 1888.] Aufbruch zum Entjage der Nachhut. 427 


Zdtägige Maisrationen an jedes Mitglied der Entiatcolonne zu 
vertheilen und jedem Mann und Knaben den Rath zu geben, außer: 
dem jo viel Bananenmehl für ſich vorzubereiten, wie er tragen könnte. 

Bis zum Abend des 15. Juni waren alle Mann bejchäftigt, die 
harten Maiskörner mit Schlägel, Mörjer und Sieb zu Mehl zu ver: 
wandeln oder eine Art Grüte aus denjelben herzujtellen, und Ba— 
nanen zu jchälen, in Scheiben zu jchneiden, auf einem hölzernen Roſt 
über langjamem Feuer zu trodnen und zu feinem Mehl zu zeritoßen. 
Ich hatte meinerjeits neben den Vorbereitungen, welche die allgemeinen 
Bedürfniffe erforderlich machten, viele perjönliche Gejchäfte zu erledigen, 
wie die Reparatur meiner Beinkleider, Schuhe, des Stuhls, Schirms, 
Negenrods u. ſ. w. 

Meine Abjicht war, die Entjaßtruppe jelbjt zu führen und feine 
Offiziere zur Begleitung mitzunehmen, und zwar aus verjchiedenen 
Gründen, Hauptjächlid) aber, weil jeder Europäer eine Vermehrung des 
Gepäcks bedingte, das jet von dem allerfleiniten Umfange fein mußte, 
der fich mit der allgemeinen Sicherheit vertrug. Außerdem verdiente 
Lieutenant Stairs nad) jeinem Marſche nach Ipoto, von wo er das 
Stahlboot nach Fort Bodo gebracht, und jeiner Reife nach der Station 
Ugarrowimwa’s, von wo er die Genejenden herbegleitet hatte, meiner Anficht 
nach Ruhe. Kapitän Nelion hatte jchon feit der zweiten Hälfte des 
September 1887 jtet3 an verichiedenen Uebeln gelitten, zuerſt an 
Geſchwüren, dann am allgemeiner Schwäche, welche fait jein Leben 
bedrohte, Aufbrechen der Haut, Lendenweh, jchmerzenden Füßen und 
hartnädigen Fieberanfällen; für jemand mit jo verdorbenem Blute 
mußte eine Reife, wie wir fie zu unternehmen im Begriffe jtanden, 
unzweifelhaft ſich als tödlich erweilen. Dr. Barfe, der einzige zur 
Verfügung jtehende Offizier, wurde aber für die Kranken im Fort 
gebraucht, da die Garnijon thatjächlich meiſt aus Leuten bejtand, welche 
der ärztlichen Brlege und Behandlung bedurften. 

Nur mit großer Mühe waren wir im Stande, aus der Garnifon 
14 Leute auszwvählen, welche Kapitän Nelſon bis nach Ipoto begleiten 
jollten, um das dort noch befindliche Dutzend Laften zu holen; aber 
gerade als wir im Begriff ſtanden aufzubrechen, wurde der Stapitän 
von einem neuen Anfall von Wechjelfieber und einer feltiamen An— 
ichwellung der Hand betroffen, ſodaß wir nothwendigerweife Dr. Parke 
auf diefem kleinen Marſche an feine Stelle treten laſſen mußten. 

Mein treuer Heiner Dahshund „Randy“, welcher die Anjtrengungen 
des zweimaligen Mariches nad) dem Albert-Njanſa jo gut ertragen 


4928 Achtzehntes Kapitel. [Fort Bodo 


hatte und der ums in der Stunde großer Noth ein jo ergebener Freund 
geweien und aller Liebling geworden war — obgleich er feinem Sanfi- 
bariten gejtattete fich unangemeldet mir zu nähern —, wurde der Sorg— 
falt des Lieutenant3 Stairs übergeben, um ihm die lange Reife von 
über 1500 km, die wir vor uns hatten, zu eriparen. Aber der arme 
Hund misverftand meinen Zwed, und von dem Augenblid an, als ich 
ihn verlaffen Hatte, wies er entjchieden alle Nahrung zurüd und 
ſtarb am dritten Tage an gebrochenem Herzen. 

Bei genauer Erwägung des Zuftandes, in welchem das Fort und 
die Garnison fich befanden, ſowie der Fähigkeit des Kommandanten, 
Lieutenant Staird, der durch den Beiftand von Kapitän Neljon und 
Dr. Parke unterjtütt wurde, gewann ich die feſteſte Ueberzeugung, daß 
das Fort mit 60 Gewehren und genügenden Munitionsvorräthen bei 
jedem Angriff der Eingeborenen, wie ſtark fie auch jein mochten, 
unbezwinglich jei. Zu zwei Dritteln war dafjelbe von einem breiten 
und tiefen Graben umgeben; an jeder Ede war eine die Lichtung 
beherrichende, dicht umzäunte Plattform errichtet, deren Zuführungswege 
und Seiten von den Gewehren ordentlich beftrichen werden fonnten, 
und alle Eden waren durch eine ununterbrochene Paliſſadenreihe mit: 
einander verbunden, welche an der Außenſeite mit Erdreich befeftigt und 
an der Innenſeite mit einem ftarfen Wallgang ausgeftattet war. Die 
zum Fort führenden Hauptwege waren ebenfalls mit Zäunen verjehen, die 
als Hindernijje dienen jollten. Das von der Garniion bewohnte Dorf 
lag an der vom Graben nicht geichüigten Seite und war in der Form 
eines lateinischen V gebaut, um den Eingang ins Fort zu maskiren. 
Bei Tage konnte fich feine feindliche Abtheilung dem Fort unbemerkt 
bis auf etwa 140 m nähern, und bei Nacht waren 10 Schildwachen 
eine genügende VBorfichtsinaßregel gegen Ueberfall und Feuer. 

Diefe Schupmahregeln richteten fich nicht jo jehr gegen die Ein: 
geborenen allein, jondern auch gegen eine mögliche und feineswegs 
unwahricheinliche Verbindung der Manjema mit den Eingeborenen. 
Man hätte ebenjo viel für die Wahrjcheinlichkeit einer ſolchen Ber: 
bindung anführen können wie gegen diejelbe, aber es ift eine voll- 
ftändig faljche Politik, müßig zu bleiben, wenn der Ausgang zweifel- 
haft ift, und bei den Hunderten von Lagern und Stationen, welche 
ih in Afrifa anlegte, habe ich auch nicht in einem Falle den Plab ge: 
wählt, ohne jede nahe oder ferne Möglichkeit zu berückſichtigen. 

Ich fonnte jet Fort Bodo verlaffen, ohne die geringjte Sorge be— 
züglich der Eingeborenen und Manjema, aber auch ohne Furcht vor Un: 


15. Juni 1888.) Aufbruch zum Entjage der Nachhut. 429 


verträglichfeit zwiichen den Offizieren und Sanfibariten haben zu müſſen. 
Die Offiziere waren jeßt mit der Sprache ihrer Leute, jowie mit deren 
verschiedenen Gewohnheiten, Yaunen und Gemüthsſtimmungen vertraut, 
und die Leute vermochten ebenfall® das Temperament der Offiziere zu 
unterjcheiden. Beide Parteien waren aud) der Meinung, daß ihr Auf: 
enthalt in Fort Bodo wahrjcheinlich nicht von langer Dauer jein 
werde, da der Paſcha veriprochen hatte, fie innerhalb zweier Monate 
zu bejuchen, und fie von dem Bejuche eines Mannes von jolcher Auf: 
merfiamfeit und Klugheit gewiß ebenfo viel Vergnügen als Nuten er- 
warten konnten. Bei jeiner Rückkehr nad) dem Njanja konnten fie ihn 
begleiten und das Fort jeinem Schidjale überlafjen. 

Hinfichtlich der Treue der Sanfibariten war ebenfalls fein Grund 
zum Zweifeln mehr vorhanden. Wie tyrannijch oder ungerecht — es 
iſt dies nur eine Annahme — die Offiziere auch jein mochten, Die 
Sanfıbariten fonnten nur zwijchen ihnen auf der einen und Dem 
Kannibalismus der Wambutti und der eingefleifchten Grauſamkeit der 
Manjema auf der andern Seite wählen. 

Ic wünschte, ich hätte dieſelbe Zuverfichtlichkeit und Befriedigung 
des Gemüths auch bezüglich der Nachhut fühlen können. Mit dem 
Ablauf eines jeden Monats war meine Sorge geftiegen. Als eine 
Woche nach der andern verjtrich, wurde mein Glaube an ihre Sicher: 
heit ſchwächer und mein Getjt, ermidet von dem bejtändigen Kampfe 
zwilchen Hoffen und Zweifeln und der Schaffung von geijtreichen, 
ichönen Theorien und der nicht weniger jchlauen Vernichtung derjelben 
beichränfte fich, meiner eigenen Ruhe und Gejundheit wegen, gezwungener: 
maßen darauf, fich der Gedanken zu enthalten und Zuflucht zu juchen 
bei der fejten Ueberzeugung, daß der Major ſich noch in Jambuja 
befände, aber verlajien wäre. Unjere Aufgabe war es daher, nad) 
Jambuja zu marjchiren, das nothwendigite Material entiprechend der 
Leiftungsfähigkeit unferer Trägertruppe dort auszuwählen und dann 
mit größtmöglicher Schnelligkeit nad) dem Njanja zurüdzufehren. 

Auf Grund diefer Annahme berechnete ich die Zeit, welche wir 
zu der Reiſe brauchen würden, und übergab meine Schägung mit 
einem nftructionsichreiben dem Gommandanten des Fort zu deſſen 
Gebraud). 


Da die Entfernung von Fort Bodo nach dem Nijanja 200 km beträgt umd 
in einem Mariche von 288 Stunden = 74 Tagen, einichliehlich der Rafttage, zurüd- 
gelegt worden ilt; 


430 Achtzehntes Kapitel. [fort Bodo 


da wir die Entfernung von Jambuja bis zur Station Ugarrowwa's 


marjchirt find in 289 Stunden . . . . . = 14 Tage 
da Lieutenant Stairs von Ugarrowiwa nad Sort Bodo marſchiri iſt in 6 „ 
100 Tage 


wird unier Marich nah Jambuja vermuthlih 100 Tage und auf dem Rüdwege 
ebenſo viel Zeit in Anipruch nehmen. Vom 16. Juni 1888 bis 2. Januar 1889 
find 200 Tage. Wir fünnen vernünftigerweile am 2. Januar in Fort Bodo und 
am 22. deilelben Monats am Albert-See erwartet werden. 

Oder folgendermaßen: Aufbrud am 16. Juni 1888: 


Fort Bodo nah Ugarromwa . . . 5. Auli. 
Von dort „ Mifibba . . . . 25. Juli. 
a Pi „» Mu » :» 2.2. 14 Auguft. 
"on Sambufa . » 2.9. September. 
Rait 10 Tage — .. 13. September, 
Rückkehr nah Mupe . . . 3. October. 

” ” den Panga— Fällen . 23. October. 

Fort Bodo . . . 22. Tecember. 

Raſi 5 Tage — . 27. December. 
Bon dort nach dem Albert⸗See . . 16. Januar 1889, 


As ich am Tebten Abend meines Aufenthalts in Fort Bodo 
Lieutenant Stairs nochmals die verjchiedenen ihm anvertrauten all- 
gemeinen und perjönlichen Pflichten wiederholte, meinte er, daß vielleicht 
die Nichtanfunft des Dampfers ‚Stanley‘ der Grund des vollftändigen 
Fehlens jeder Nachricht von der Expedition fei, worauf ich ihm etwa 
Folgendes bemerkte: 

„Das iſt eigentlich eine graufame Annahme, mein lieber Herr; 
das iſt das Wenigſte, was ich befürchte, denn joweit ich konnte, habe 
ih für diefen Fall Vorforge getroffen. Sie müjjen nämlich willen, 
daß ich bei der Abfahrt des Dampfers von Jambuja am 28. Juni 
dem Kapitän dejjelben mehrere Briefe übergeben habe. Der eine war 
an meinen guten Freund Lieutenant Liebrechts, den Gouverneur des 
Stanley-Pool-Diftriets, und forderte diefen auf, um unſerer alten 
‚sreundjchaft willen den Dampfer jo rajch wie möglich mit unjern 
Waaren und der Nejervemumition zurückzuſchicken. 

„Ein zweites Schreiben war an Herrn Swinburne, meinen frühern 
Seeretär, ein Muſter von Treue, gerichtet und lautete dahin, daß wenn 
dem «Stanley» ein Unfall zugeftoßen jei, der ihn an der Rüdfahrt nach 
Jambuja verhindern fünnte, er die Güte haben möge, anstatt dejjen den 
Dampfer «Florida» zu ſchicken, da die Eigenthümer Gejchäftsleute 
jeien und baare volljtändige Entjchädigung, die ich garantirte, ebenjo 
bereitwillig annehmen würden wie den Nutzen aus dem Elfenbeinhandel. 

„Ein dritter Brief war an Herrn Antoine Greshoff, den am Stanley: 


15. Juni 18S8.] Aufbruch zum Entjage der Nachhut. 431 


Bool wohnenden Agenten des holländischen Hauſes in Banana, gerichtet 
und jagte ihm, daß falls die beiden Dampfer «Stanley» und «?Florida» 
nicht zu haben jeien, er eine große Summe baaren Geldes verdienen 
fünnte, wenn er den Transport der Borräthe der Erpedition von 
Stanley-Bool und von 128 Mann von Bolobo nach Jambuja über- 
nehmen würde. Was er für Fracht und Belöftigung vernünftigerweile 
verlange, würde ihm, wie ich garantirte, jofort bezahlt werden. 

„Ein vierter Brief an unſern in Stanley-Pool befehligenden Offi- 
zier, Herrn John Roſe Troup, lautete dahin, daß, wenn die Dampfer 
« Stanley », « Florida » und auch der des Heren Greshoff verhindert 
jeien, er die größten Anjtrengungen und Mittel aufwenden jolle, um, 
gleichviel mit welchen Koften, Boote und Kanoes zu jammeln und fic) 
mit den Herren Ward und Bonny in Bolobo in Verbindung zu feben. 
Herr Ward in Bolobo wurde gleichfalls dringend gebeten, dafjelbe in 
Ujanſi zu thun, Die Fahrzeuge mit den Sanfibariten und Eingeborenen 
zu bemannen und die verjchiedenen Waaren etappenweile nach dem be= 
fejtigten Lager bei Jambuja zu befördern. Xeßteres würde doch kaum 
nothwendig werden, da es jehr ummwahricheinlich iſt, daß weder der 
«Stanley», noch die «Florida» oder der Dampfer des Herren Greshoff 
vom 28. Juni 1887 bis 16, Juni 1888, aljo fajt 12 Monate, für 
unjere Zwede nicht zur Verfügung jtehen jollten. 

„Außerdem dürfen Sie nicht vergejlen, daß jowol dem Kapitän 
wie dem Majchiniiten des «Stanley» eine Belohnung von 50 Pfd. St. 
veriprochen worden ift, wenn fie innerhalb der kürzeſten Friſt zu— 
rüdgefehrt jein würden. Eine jolhe Summe it für arme Leute feine 
Kleinigkeit und ich bin überzeugt, daß wenn fie nicht Durch ihre Vorgeſetzten 
daran verhindert wurden, jie auch ihrem Berjprechen nachgefommen 
und alle Waaren und Leute wohlbehalten in Jambuja eingetroffen find.‘ 

„Sie glauben alſo noch, daß Major Barttelot in irgendeiner 
Weiſe dieſe Verzögerung verſchuldet hat?‘ 

„sa, er und Tippu-Tib. Letzterer hat natürlich ſeinen Contract 
gebrochen. Daran kann fein Zweifel jein. Denn wenn er jeine 
600 Träger oder auch mur die Hälfte derjelben mit unjern Sanfi- 
Dariten vereinigt hätte, Damm würden wir jchon längjt von ihnen ge- 
hört haben, entweder in Ipoto, als Ste des Bootes wegen dorthin zu: 
rüdgefehrt waren, oder ſpäter, als Sie am 18. September 1887 bei 
Ugarrowwa eintrafen und wir erſt 81 Tage von Jambuja entfernt 
waren. Hat der Araber, wie er veripradh, ohne Verzug Boten ab- 
gejandt, jo würden wir jicherlich jest Ichon Antwort haben, wenn der 


432 Achtzehntes Kapitel. [Fort Bodo 


Major von Jambuja aufgebrochen wäre. Auch die Boten, welche wir 
am 16. Februar mit Ihnen nach der Station Ugarrowwa's gejandt 
und die Sie am 16. des nächſten Monats gegenüber der Station 
ficher über den Fluß geleitet haben, ſämmtlich ausgeſuchte, wohlbe- 
waffnete und mit dem Wege vertraute Männer, würden ficherlich big- 
jest zurücgefehrt jein, wenn die Nachhut nur wenige Wochen Marſch 
von Jambuja entfernt wäre. ch bin daher pofitiv überzeugt, daß 
Major Barttelot in der einen oder andern Weiſe die Urjache der Ber: 
zögerung iſt.“ 

„Nun ja, es mag wol jein, aber wenn Sie vielleicht denten, daß 
der Major unloyal it, jo —“ 

„Unloyal! O, wer hat Sie denn auf dieſes Wort gebracht? 
Ein jolches Wort jteht hoffentlich in Feiner Verbindung mit irgend- 
jemand bei diejer Erpedition. Unloyal? Weshalb joll irgendeiner 
unloyal jein? Und unloyal gegen wen?“ 

„Nun, nicht unloyal, aber nachläſſig oder nicht energiſch genug 
beim Bordringen; ich bin überzeugt, er hat jein Beſtes gethan.‘ 

„ohne Zweifel hat er in jeiner Weiſe jein Beſtes gethan, aber 
wie ich ihm am 18. September in dem Briefe, welchen die Träger 
Ugarrowwa’s ihm überbringen jollten, schrieb, iſt es feine Haſtig— 
feit und Unerfahrenheit, die ich fürchte, nicht jeine Unloyalität und 
Nachläffigkeit. ch fürchte, die Wirkung der feinen Unterjchied machen: 
den Bejtrafung jeiner Leute ift eine derartige gewejen, daß die Nach— 
barichaft der Stanley- Fälle und der Araber ſich als eine ummwider- 
jtehliche Verſuchung zur Dejertion erwiejen hat. Wenn unfere Briefe 
wirklich unterwegs verloren gegangen find, dann wird unjere lange Ab- 
wejenheit — bis heute fait 12 Monate und che wir Jambuja er- 
reihen mindeftens 14 Monate! — der Grund zu allerlei Ge- 
rüchten fein. Wenn die Sanfibariten von Bolobo ihn erreicht haben, 
müßte er über 200 Träger gehabt Haben. Angenommen daß die 
Waaren und Leute zu gehöriger Zeit eingetroffen find und daß er, 
nachdem er Tippu-Tib's Treubruch erfannt hatte, den Marſch an- 
getreten hat, wie er es veriprochen, jo mußte er in 12 Monaten bei 
den Panga-Fällen fein; aber wenn die jchwere Aufgabe ihn und 
er jeine Träger demoralifirt hat, dann hat er weit unterhalb der 
Panga= Fälle, vielleicht bei den Weipen- Schnellen, bei Mupe oder 
Banalja, oder bei den Gwengwere-Schnellen, mit nur 100 verzweifeln: 
den Trägern und jeinen Sudanejen Schiifbruch gelitten und ift durch 
die Größe feiner Aufgabe mit Gewalt gezwungen, halt zu machen und 


15. Juni 1888,] Aufbruch zum Entiage der Nachhut. 433 


zu warten. Ich habe jede mögliche Löſung verjucht, und dies iſt die 
einzige, welche nach meiner Meinung die richtige jein wird.‘ 

„Wollen Sie nur 100 Mann übriglaflen? Das ift ficherlich 
jehr wenig.‘ 

„Nun, ich jchäße jeinen Verluft nach dem, was wir jelbjt ver- 
loren haben, auf ungefähr 50 Procent. Wir haben eine Kleinigkeit 
weniger verloren, da von unjern uriprünglichen 389 noch 203 am 
Leben find, 4 am Njanſa, 60 im Fort, 119 die mit mir gehen, und 
20 Boten.‘ 

„sa, aber die Nahhut Hat Feine ſolche Hungersnoth durchzu- 
machen gehabt wie wir.‘ 

„Ebenjo wenig haben fie den Ueberfluß gehabt, deſſen wir uns 
während der legten fieben Monate erfreut haben; das gleicht fich alfo 
vielleicht aus. Indeß ift es nutzlos, über diefe Punkte noch weitere 
Muthmaßungen anzujtellen. 

„Der Erfolg, den ich von meinen Plänen erwartete, iſt mir ent- 
gangen. Der Paſcha hat niemals das füdliche Ende des Sees beſucht, 
wie ich ihm in meinem Briefe aus Sanfibar vorgejchlagen hette. Das 
hat uns vier Monate gefojtet, und von Barttelot erfahren wir fein 
Wort. Unjere Leute find zu Dutenden gefallen, und wohin ic) mid) 
wenden mag, it wenig Troft aus den Ausfichten zu jchöpfen. Das 
Elend hängt über dieſem Walde wie das Leichentuch über dem 
Todten; er iſt gleichjam eine wegen ihrer Schändlichkeit verdammte 
Region, wer jeinen Bannfreis betritt, wird der Gegenſtand des gött- 
lichen Zorns. Alles was wir zur Entihuldigung etwaiger Irrthümer, 
die wir begangen haben, jagen können, ift, daß unſere Motive rein, 
unjere Zwede weder geldgierig noch Jelbjtjüchtig find. Unſere Strafe 
joll ein reines Opfer fein, die Erfüllung unjerer Pflicht. Laſſen Sie 
uns alles, was uns auferlegt wird, wie Männer, Die zu Opfern be- 
ſtimmt find, ertragen, ohne an die Folgen zu denfen. Jeder Tag hat 
jeine eigene Yajt von Mühen, Weshalb jollen wir an die Noth von 
morgen denken? Laſſen Sie mich von Ihnen aufbrechen mit der 
Üeberzeugung, dat Sie während meiner Abwejenheit von Ihrer Pflicht 
nicht abweichen werden, und daß ic mir um Jhretwegen feine Sorgen 
zu machen brauche. Wenn der Paſcha und Jephſon mit Trägern bier 
eintreffen, ift e8 fiir Sie, für jene und für mich beifer, daß Sie geben; 
fommen fie nicht, dann bleiben Sie, bis ich zurückkomme. Laffen Sie 
mir Zeit bis ungefähr um den 22. December herum; wenn id) dann 
nicht zurückgekehrt bin, berathen Sie fich mit Ihren Freunden und 


Stanlen, Im dunfeliten Wicita, 1. 28 


454 Achtzehntes Kapitel. [Fort Bodo 


jpäter mit Ihren Leuten, und thun Sie das, was Sie für das 
Beite und Klügfte halten. Was uns betrifft, jo werden wir jo weit 
zurüdmarjchiven, bis wir Barttelot finden, jelbit bis nach Jambuja, 
aber nicht über dieien Ort hinaus, obwol er alles mit fi) dem Kongo 
binabgenommen haben mag. Wenn er Jambuja verlajjen und weit 
fort nach Südojten, anjtatt nach Oſten gewandert ijt, werde ich ihm 
folgen und wenn ich ihn einhole, mir einen Pfad durch den Wald auf 
dem allerdirectejten Wege nach Fort Bodo bahnen. Sie müſſen fid) vor- 
itellen, daß alles dies paffirt ift, wenn ich nicht im December eintreffe, 
und annehmen, daß nod) vieles andere pajlirt jein fann, was uns auf: 
gehalten hat, ehe Sie fich dem feſten Glauben hingeben, daß wir 
für ewig gejchieden ſind.“ 

Das Inftructiongschreiben für Lieutenant Stairs lautete folgender: 
maßen: 


ort Bodo, Gentralafrifa, 13. Juni 1888. 
Geehrter Herr! 


Während meiner Abweienheit mit der Vorhut der Erpedition, die jebt im Be— 
griff jteht, zum Beiftande von Major Barttelot und der Nachhut zurüdzufehren, 
ernenne ih Sie zum Commandanten von Fort Bodo. Ach laſſe Ihnen eine Gar— 
niſon, welche einschließlich der Kranken fait 60 Büchſenträger zählt. Die Leute jind 
meijt nicht von dem Kaliber, wie man fie für eine Garnifon in einem gefährlichen 
Lande gebraucht, fünnen aber jämmtlich ihre Gewehre abfeuern und find in guter 
Berfaffung, und Sie haben Ueberjlug an Munition. Hauptjächlich verlaffe ich mich 
auf den Commandanten jelbit. Wenn der Chef thätig und wachſam iſt, ift unfer 
Fort fiher und feine Vereinigung von Eingeborenen fann die Sarnifon aus ihrer 
geihüßten Stellung vertreiben. Ich brauche Ihnen nicht zu jagen, daß ich mit 
voller Zuderficht von Ahnen fortgehe. 

Was die Verbeflerungen betrifft, die amı Fort Bodo vorgenommen werben 
joffen und welche ich Ahnen jchon mündlich auseinandergejeßt habe, jo möchte ich 
vorſchlagen, daß Sie, da das Fort nach jeiner Vollendung ausgedehnter ald gegen- 
wärtig fein wird, etwa 20 oder 30 der anftändigern und 'reinlichern Ihrer Leute 
auswählen, damit diefelben die Gebäude im Fort bewohnen, bis wir diefelben für 
andere Perſonen gebrauchen, weil 

1. Sie dann in feiner Gefahr find, durch einen fühnen Feind von Ihrer 
Garniſon abgejchnitten zu werden; 

2. dann ein Drittel Ihrer Leute fich innerhalb der Thore befindet und für 
ganz plögliche Befehle von Ahnen bereit iſt; 

3. die Gebäude im Innern des Fort durd das Bewohnen in trodenem 
und wohnlichem Zustande erhalten werden. 

Mais. Beginnen Sie etwa am 15. Juli mit dem Auspflanzen des Korns. 
Am 1. Juli müßten Sie mit dem Aufhaden und Ausroden des Bodens anfahgen. 

Bananen. Ich bin ſehr beiorgt wegen der Bananen. Sie jollten zweimal 
wöchentlich eine ſtarke Ratrouille um die Pflanzungen herumschiden, um die Ein- 
geborenen und auch die Elefanten fortzuichenchen. Für die leßtern würden 
vielleicht ein halbes Dugend Feuer an ebenio vielen Bunften genügen. 


15. Juni 1888.) Aufbruch zum Entiage der Nachhut. 435 


Die Patrouille mühte von einem Offizier begleitet werden, damit Sie einen 
verläßlichen Bericht erhalten über das, was vorgeht. Sollten Sie die Meldung 
befommen, dab die Bananen fnapp werden, dann müßten Sie anfangen, den Leuten 
Nationen zuzutheilen, und jtets ihren Vorrath durch Detachements von den ent- 
ferntejten Punkten der Pilanzungen holen laifen. Die Bananen in nächiter Nähe 
des Fort laſſen Sie ganz reif werden, ebenjo jollte es beim Mais geichehen. Es 
würde aud gut jein, die Pflanzungen an den Hauptwegen entlang bis zur Reife 
unberührt zu lafien. 

Kapitän Nelſon laſſe ich als Nächftcommandirenden zurüd, damit er den 
Befehl übernimmt, wenn Sie wegen Krankheit oder infolge eines Unfalls nicht 
fähig dazu fein follen. 

Dr. T. 9. Parke bleibt als Arzt zurüd, um die Aufficht über die. Kranken zu 
übernehmen. 

Selbitveritändlich it es unmöglich zu jagen, wann wir zurüdfehren werden, 
da wir nicht die geringite Jdee haben, wo die Nachhut jich befindet, doch werden 
wir unſer Bejtes thun. Wenn der Major noch in Jambuja it, fönnen Sie unferer 
Ankunft im Laufe des December entgegeniehen. 

Id erwarte Emin Paſcha und Jephion hier in ungefähr zwei Monaten, d. h. 
etwa um Mitte Auguit. 

Sollte Herr Jepbion mit einer genügenden Zahl von Trägern kommen, dann 
würde ich Ahnen empfehlen, das Fort zu räumen, Herrn Jephſon mit der Gar: 
niion nad dem Njanſa zu begleiten und fich und Ihre Truppe bis zu unjerer Rück— 
fehr Emin Paſcha zur Verfügung zu ftellen. Wenn id; oftwärts marjchire, beab- 
fichtige ich, vom Nepoto einen nördlichen und öftlichen Pfad einzuſchlagen und auf 
die Fähre über den Ituri loszuftenern. 

Damit ich, wenn ich die Ituri-Fähre erreiche, weiß, ob Sie das Fort ge: 
räumt haben oder nicht, bitte ich Sie, fich zu erinnern, daß auf dem rechten 
Ufer in der Nähe der Fähre eine Anzahl ſehr hoher Bäume fteht, in welche Sie 
mehrere breite Pfeile Ichnigen können, zum Zeichen, daß Sie pajlirt find. Sie 
fönnten auch an einer hervorragenden Stelle in der Nähe der Fähre den Tag 
Ihres Webergangs einichnigen. Das würde mir fehr viel Zeit und Sorge um 
Sie eriparen. 

Da unſere 20 Boten am 16. Febr.uar von hier abmarjdhirt find, werden es 
am 16. Juni vier Monate, jeit fie fort find Wenn Jephion etwa in zwei Monaten 
eintrifft, werden es dann etwa jechs Monate jein, ſeitdem die Boten Fort Bodo 
verlafien haben, eine vollitändig genügende Zeit, um jeden Zweifel wegen derielben 
zu zerſtreuen. 

Ich wüniche Ihnen und Ihren Gefährten eine gute Gelundheit und eine 
fihere Ankunft am Njanſa. Wir unjererjeits werden unſer Werk mit der Schnellig: 
keit, welche die Umstände geitatten, zur Ausführung bringen. 

Ihr ergebener 
Henry M. Stanley, 
Befehlshaber der Entiag-Erpedition. 
Herrn Lieut. W. G. Stairs, 
Commandant des Fort Bodo. 


25” 


Nennzehntes Kapitel. 


Ankunft in Banalja. Barttelot’3 Tod. 


Die Entiagtruppe. — Die Schwierigfeiten des Mariches. — Ankunft in Ipoto. — 
Kilonga-Longa entichuldigt fich wegen des Benehmens feiner Manjema. — Der 
Häuptling gibt uns einige unjerer Gewehre zurüd. — Dr. Parke und 14 Mann 
fchren nach Fort Bodo zurüd. — Fähre über den Ituri-Fluß. — Spuren von 
einigen unjerer frühern Lager. — Wir graben die verborgenen Waaren aus. — 
Die Manjema-Escorte. — Ueberbrüdung des Lenda-Fluſſes. — Die verhungerten 
Madi. — Unfälle und Todesfälle unter den Sanfibariten und Madi. — Tie 
ungehenere Lichtung von Udjangwa. — Unter Führung von Eingeborenenfrauen. — 
Eintreffen auf der verlajienen Station Ugarrowwa's. — Willkommene Lebensmittel 
bei den Amiriszällen. — Die Navabiszälle.. — Halt am Landungsplage von 
Avamburi. — Tod eines MadisHäuptlings. — Unſere bei Baſopo verborgenen 
Waaren jind ausgegraben und geitohlen worden. — Djuma und Naffib entfernen 
fih von der Colonne. — Die Beichwerden des Mariches im Walde. — Unter: 
haltung zwiichen meinen Yeltburichen Sali und einem Sanfibariten. — Yahlreiche 
Fledermäuſe in dem Dorfe Mabengu. — Ankunft in Moifibba und Auffinden eines 
lungen Sanjibar - Mädchens. — Die Nedjambi-Schnellen und Panga-Fälle. — 
Die Eingeborenen von Panga. — Wir ftören bei Mugmwje ein beabjichtigtes Feſt— 
mahl. — Wir holen Ugarrowwa bei den Weipen-Schnellen ein und finden uniere 
Boten und einige TVeierteure in feinem Lager. — Der Führer der Boten erzählt 
feine tragiihe Gejchichte, — Amufanter Brief Dr. Parke's an Major Barttelot. — 
Weiterfahrt unjerer Kanoeflotille flufabwärts. — Die Batunda. — Uniere Fort: 
Ichritte jeit dem Abmarich vom Njanſa. — Gedanken über die Nachhut. — 8er: 
ödung längs der Flußufer. — Ankunft in Banalja. — BZulammentreffen mit 
Bonny. — Der Major ift todt. — Das Lager in Banalja. 


Am frühen Morgen des 16. Juni brachen wir in ausgezeichneter 
Stimmung von Fort Bodo nad) Jambuja auf, begleitet von dem lauten 
Subelgeichrei der Garnifon und den beiten Wünſchen der Offiziere. 
Wir zählten 113 Sanfibariten, 95 Madi-Träger, 4 Soldaten Emin 
Paicha’s und 2 Weihe, außer Dr. Barfe und jeiner Heinen Truppe 
von 14 Mann, welche uns bis Ipoto geleiteten, Am Abend des 17. 
erreichten wir während eines jchtweren Regenſturms Indekaru und am 
folgenden Tage machten wir Raſt, um mehr Paradiesfeigen zu james 
mein. Am 19. Juni lagerten wir bei Nöugubiicha und am nächiten 


20). Juni 1838.) Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 437 


Tage bei Nodjalli. Inzwiſchen waren wir jchon wieder inmitten der 
Schwierigfeiten des erjten Marſches. Das Gejchrei der Führer der 
Colonne rief uns jchmerzlich ins Gedächtniß zurüd, was die Abwejen- 
heit von fieben Monaten ung hatte vergeflen Lafien. 

„Rothe Ameijen unterwegs! Gebt Acht auf einen Stumpf, ho! 
Holziplitter! Eine Grube zur Rechten! Ein Loch zur Linken! Dor- 
nen, Dornen, hütet euch vor Dornen! Dieje Ameijen, ho! Eine ge: 
fährliche Schlingpflanze, Nejjeln, hütet euch vor Nejjeln! Ein Loc! 
Unten glatt, unten! Hütet euch vor Schlamm! Eine Wurzel! Rothe 
Ameiſen! Rothe Ameifen im Anmarich! Gebt gut Acht auf Die 
Ameiſen! Ein Baumftamın! SHolziplitter darunter!” So ging es 
weiter von einem Lager zum ander. 

Die meilten Dörfer an diefer Route jtanden noch, aber die 
Hütten waren jämmtlich jchief, im Berfall begriffen umd hatten fich, 
da die Stüben verfault waren, zur Seite gebeugt, ſodaß die Traufen 
den Boden berührten; im Innern waren die Fußböden mit Schimmel 
bevedt, die Vertiefungen mit Schlamm gefüllt und an den Wänden 
wuchjen Schwämme und hatten fich jalpeterhaltige Ausblühungen ge- 
bildet; die Dächer waren mit Schlingpflanzen, Nejieln und wuchernden 
Kürbisranken überwachſen — wirkliche Fieberneiter, in denen wir und unſere 
Leute aber, durch die Nothwendigfeit gezwungen, wegen der übergroßen 
Erichöpfung oder eines drohenden Regenſturms Schub juchen mußten. 

Am 20. Juni erreichten wir Mambungu und am folgenden 
Tage lagerten wir ung am Rande der Bufindistichtung. Nach 47 ſtün— 
digem Mariche von Fort Bodo kamen wir in der arabijchen Nieder: 
laffung bei Ipoto an, wo unſere Leute, wie man fich erinnern wird, 
durch Noth und Hunger wahnfinnig gemacht, mir jo ernftliche Ver— 
luſte an Waffen und Munition bereitet hatten. Die Veränderung in 
ihrem Zujtande war aber jo groß und ihre Augen bligten in jolchem 
Zorne auf ihre Beiniger, daß Kilonga-Longa, der die Wiedervergeltung 
fürchtete, nachmittags mit feinen Anführern erichien und mit vielen 
Entjchuldigungen wegen des Benehmens der Manjema während jeiner 
Abweſenheit die Abjcheulichkeit ihrer Verbrechen zu mildern juchte und 
fih erbot, diejelben, joviel im feinen Kräften jtände, wieder qut zu 
machen. Sie legten mir 19 Nemingtongewehre vor von den 30, die, 
wie ich wußte, in ihrem Befit waren; 6 davon hatte ich jelbit als 
Prand fir Zahlung zurücdgelaflen, 2 hatte Lieutenant Stairs in meinem 
Namen ihnen gegeben, 1 war von Kapitän Nelfon umd 10 hatten 
die Sanfibariten verkauft, außer den 11, welche wir nicht zurück— 


438 Neunzehntes Kapitel. Ipoto 


erhielten; dagegen bekamen wir von 3000 Patronen und zwei Kiſten 
mit Munition, welche dieſe Hehler geſtohlenen Gutes von den ver— 
hungernden Sanſibariten gekauft hatten, nur 50 Stück wieder. Wie 
groß die Furcht der Manjema auch ſein mochte, die geeignete Zeit 
zur Wiedervergeltung und Rache war noch nicht gekommen, obwol 
50 Büchſenſchützen die Niederlaſſung leicht hätten erobern können, da 
der größte Theil der Leute Kilonga-Longa's auf einem Beutezuge 
nach Oſten abweſend war. Wir hatten in dieſem Augenblicke ein 
weit wichtigeres Geſchäft vor uns, als die Zerſtörung von Ipoto; 
auch darf man nicht vergeſſen, daß unſere kleine Garniſon in Fort 
Bodo ſich keineswegs ſicher befand und einige hundert durch ihre Ver— 
luſte zur Verzweiflung gebrachte Leute ſich durch eine Belagerung 
oder einen mitternächtlichen Angriff ſehr leicht rächen konnten. 

Wir beugten uns daher dem Zwange der Nothwendigkeit und 
nahmen die Gewehre und Geſchenke an Ziegen und Reis an, während 
die Sanſibariten Erlaubniß erhielten, was ſie an Elfenbein mit ſich 
führten, für 100 Metzen Reis zu verkaufen, der ihnen als Proviant 
höchſt willkommen war. 

Am folgenden Tage gab der Häuptling noch zwei weitere Ge— 
wehre zurück, aber da meine ſämmtlichen Leute genügend bewaffnet 
waren, ſo erſuchte ich ihn, die Gewehre als Pfand zu behalten, mit 
den 6, welche er noch in Händen hatte, als Sicherheit für die Zah— 
lung von 90 Doti Stoffe, welche ich ihm und jeinen Leuten für den 
nur widerwillig und jpärlich gewährten Unterhalt Kapitän Nelion’s und 
Dr. Parke's versprochen hatte, als diejelben gezwungenerweile die Gäjte 
diefer bösartigen Gemeinde waren, 

Nachmittags traten Dr. Parke und jeine Heine Truppe von 
14 Mann den Rückweg nad Fort Bodo an und nahmen 13 Laſten, 
jowie die allerlegten Inſtructionen mit, welche ich noch zu ertheilen hatte. 

Am 25. Juni brachen wir von Npoto auf, begleitet von einem 
‚Führer und einer Escorte von 15 Manjema, welche ojtentativ den 
Befehl befommen hatten, uns bis zur mächjten arabischen Nieder- 
laffung, einer der entfernter liegenden Stationen Ugarrowiva’8, das 
Geleit zu geben. Ber der Anfunft am Ituri um 3 Uhr nachmittags 
wurde uns ein Kanoe, welches neun Mann tragen fonnte, geliefert, 
um als Fährboot zu dienen, und da eine Hin- und Herfahrt durch- 
ſchnittlich 23 Minuten in Anſpruch nahm, jo war die Dunfelheit ein= 
getreten, bevor die Hälfte unſerer Colonne nach dem finfen Ufer über- 
gejegt war. 


28. Juni 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 439 


Früh am nächiten Morgen nahmen wir die Fährarbeit wieder 
auf und jebten fie bis 2 Uhr fort, zu welcher Zeit alle am andern 
Ufer waren, mit Ausnahme der Manjema, welche plößlicd Furcht 
befommen hatten, daß wir uns an ihmen rächen würden, und nun 
das Wagſtück ablehnten, zu welchem fie befohlen worden waren. 

Wir befanden ung jegt wieder in der weiten, unbewohnten Wild- 
niß, durch welche die Mitglieder der Expedition im vorigen Octo— 
ber als elende Opfer des unbarmberzigen Hungers fich hindurchge- 
fümpft hatten. Nichts würde uns veranlaßt haben, dieje fürchter- 
lihen Schatten nochmals aufzufuchen, wenn wir nicht lebhaft die 
Hoffnung gemährt hätten, unjern zurüdtehrenden Boten bald zu be— 
gegen, welche ung, wie wir erwarteten, mit Neuigkeiten von der 
Golonne des Majors erfreuen würden. Bon der angenehmen Ueber- 
zeugung erfüllt, daß wir, da fie nicht in Ipoto eingetroffen waren 
und feinen andern Weg fannten, fie auf dieſem Pfade treffen 
würden, marjchirten wir in lebhaften Tempo von dem Landungsplage 
ab und erreichten nad 2°, Stunden das Lager, von wo wir am 
14. October nad dem nördlichen Ufer übergejegt waren. Die Ans 
zeichen von unjerm damaligen Aufenthalte waren noch frisch und Die 
mit Holzfohle auf den von der Rinde entblößten Bäumen gemalten 
Pfeile, ſowie die Bleiftiftichrift für die Abtheilung des Chamis nod) 
deutlich zu erkennen. 

Am 28. Juni langten wir um 1", Uhr in Nelfon’s Lager gegen- 
über dem Zujammenflufie des Ihuru mit dem Ituri an, dem Orte, 
welcher im vorigen October jo viel Tod und Agonie gejehen, wo der 
arme Nelfon mit von Gejchwüren bededten Füßen jo viele lange 
Stunden, jo manchen traurigen Tag gejeilen und jorgenvoll auf das 
Eintreffen von Nachrichten von uns gewartet hatte, bis jein Freund 
Mounteney Jephſon ihn, abgemagert und infolge des Gefühls des 
Berlorenjeins und der Berzweiflung in vollitändigite Hülfloſigkeit 
verjegt, inmitten der jterbenden und todten Gefährten auffand. 
Wir hatten den Marjch in 20 Stunden oder, einjchlieglich des Aufent- 
halts beim Ueberſetzen mit einem einzigen kleinen Fahrzeug über den 
Fluß, in vier Tagen zurücdgelegt. Im vorigen October hatte diejelbe 
Entfernung uns ungeachtet unjerer eifrigjten Anjtrengungen einen 
Mari von 39 Stunden oder, mit dem Raſten, von 13 Tagen ge- 
fojtet! Diejer ganze große Unterichied war auf den Zuftand des 
Magens zurüdzuführen. 

Wir fanden die von uns verborgenen Waaren unberührt, obwol wir 


440 Neunzehntes Kapitel. [Dungerlager 


in diejer Beziehung Zweifel gehegt hatten, und gruben die Laſten, welche 
die Entjababtheilung Jephſon's nicht hatte befördern können, wieder 
aus. Die von Kynoc in Birmingham angefertigte Munition hatte, 
obwol jie 8 Monate im Sande vergraben und der tropischen Feuch— 
tigfeit und dem ewigen Regen ausgejebt gewejen war, nicht jo jtarf 
gelitten wie wir erwartet hatten, da volle SO Procent derjelben noch) 
unbejchädigt war, und die gut mit Wachs bejtrichenen Meſſingkiſtchen 
und fupfernen Zündhütchen zeigten noch den urjprünglichen Glanz und 
ihre alte Glätte. Nachdem wir 1000 Batronen an die Leute zur 
MWiederanfüllung der PBatronentajchen vertheilt und jonjtige Gegen— 
jtände, die uns von Nutzen jein konnten, ausgewählt hatten, padten 
wir acht Laſten zujammen, vergruben den überflüjfigen Reſt wieder 
im Sande, und beeilten uns dann, den verhaßten Ort zu verlafien 
und weiter landeinwärts das Lager aufzujchlagen. 

Bei der Ankunft am Halteplage entdedten wir, daß vier Madi— 
Träger mit der Ausrüſtung ihrer Gefährten aus Sanfibar defertirt 
waren. Hätten fie das gewußt, was wir nach den jchlimmen Erfah- 
rungen des Waldes nie vergejjen konnten, fie würden wahrjcheinlic) 
lieber den raujchenden Fluß ſich zum Grabe gewählt haben, als die 
lange Qual des Hungertodes in dem unbarmberzigen Didicht. 

Bei Sonnenuntergang jahen wir zu unferer Ueberraſchung die 
Manjema-Escorte im Lager eintreffen. Die Leute waren zu Kilonga— 
Longa geflohen, aber diefer Gentleman hatte ihnen jtreng befohlen, 
uns wieder einzuholen und nicht ohne eine Beicheinigung zurückzu— 
fehren, daß fie den Dienst, zu welchem fie ausgejchiet waren, aus: 
geführt hätten. 

Am 29. Juni verließen wir die Route am Fluſſe und jchlugen 
eine ſüdweſtliche Richtung durch den pfadlojen Wald ein, um auf den 
Weg zu gelangen, den Herr Stairs mit jeiner Abtheilung bei der 
Rückkehr von der Station Ugarrowwa’s verfolgt hatte. Da ſein An- 
führer Raſchid ben Omar ſich jet bei unjerer Colonne befand, fo 
nahmen wir an, da diejer jelbit feit davon überzeugt war, daß er 
den Pfad wiedererfennen würde, jobald er ihn zu ſehen befäme, 
worauf wir dann natürlich feine Schwierigkeiten mehr haben würden. 
Den ganzen 29. und 30. Juni jeßten wir dieſen jüdweftlichen Curs 
fort, ohne davon abzuweichen. Inzwiſchen Ereuzten wir mehrere Ein- 
geborenenpfade, aber da Raſchid Feinen Dderielben wiederzuerfennen 
vermochte, jo marichirten wir auf unjerm Wege weiter. Am 1. Juli 
erreichten wir früh morgens das Becken des Lenda-Fluſſes und wandten 


6. Juli 1888.] Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 441 


uns, da Raſchid nunmehr jeine Meinung dahin äußerte, daß wir den 
Pfad paſſirt Haben müßten, direct wetlich, wobei wir uns nach dem 
Kompaß geradeaus durch den Wald arbeiteten. Um Mittag am 2. Juli 
jtießen wir auf den Lenda, der im allgemeinen nad) Nordnordweſt 
fließt, wie wir während des Nachınittagsmarjches am 2. und bis Mittag 
am 3. Juli bemerften. Als wir eine jchmale Spalte von etwa 30 m 
Breite entdedten, durch welche der Fluß mit rajender Schnelligkeit 
dahinjagte, hielt ich es für vortheilhafter, eine Brücke über denjelben 
zu Schlagen und dem Glück zu vertrauen, daß es uns am andern Ufer 
den Pfad nad) der Station Ugarrowwa's zeigen werde, als auf der 
rechten Seite des Lenda den Marſch fortzuſetzen, da wir bier vielleicht 
gezwungen jein würden, noch Tage lang weiter zu wandern, bis wir 
die Mittel zum Uebergange fänden. Wir wählten demgemäß drei der 
böchiten Bäume, Stämme von 35, 34 und 33 m Länge aus, die 
es uns gelang über die Spalte zu jchieben; nachdem wir dann kräf— 
tige gabelförmige Stützen darunter angebracht und ein Geländer zum 
Feſthalten für die beladenen Träger befeftigt hatten, bejaßen wir 
eine bequeme und fichere Brücke. Früh am Morgen des 5. Juli war 
dDiejelbe vollendet und um 10 Uhr befanden fich alle wohlbehalten am 
andern Ufer. 

Die Madi-Träger, welche ihre Maisrationen abfichtlich am Wege 
entlang verstreut hatten, um ihre Laſten zu erleichtern, begannen jebt 
die Strafe für ihre Verschwendung zu büßen. Obwol der Ausrufer 
des Lagers jeden Morgen die Anzahl der Tage ausjchreit, für welche 
der Broviant noch reichen muß, find die unwiſſenden Wilden doch zu 
diefföpfig, um die Warnung zu beachten, und infolge deſſen hatten wir 
bereits ein Dutzend ſchwache Wichte mit wanfendem Gange. Es fehlten 
ung ſchon fieben, von denen vier deiertirt waren, 

Wir ſetzten den wejtlichen Curs am linfen Ufer fort und Ereuzten 
hin und wieder mehrere Eingeborenenpfade, welche ſich nach Südost und 
Nordweit wendeten, fanden aber feinen, der für unſere Zwecke nutz— 
bar gemacht werden Fonnte. 

Am 6. Juli geriethen wir plößlich an eine Lichtung, welche von 
einer Heinen, aber wohlgedeihenden Bananenpflanzung bededt war. Wie 
hungerige Wölfe auf ihre Beute ftürzten die halbverhungerten Madi 
auf die Früchte, und bald war der ganze Vorrath verichlungen, Doc 
traten drei von ihnen auf ſcharf zugeipigte Holziplitter, die in geſchickter 
Werje in den Erdboden gejtedt waren. 

Bei Flatichendem Regen marjchirten wir am 4. weiter, und naf 


442 Neunzehntes Kapitel. (Bandeja 


und elend campirten wir im Schoße des noch unbetretenen Waldes. 
Am nächiten Tage brachte ein einftündiger Marich uns nach dem kleinen 
Dorfe Balta und fünf Stunden ipäter machten wir für die Nacht halt 
in Bandeja. 

Dieſer Tag war voll von Elend und eigenthümlichen Unfällen. 
Nachdem wir Balia verlaſſen hatten, überfiel uns ein falter Regen— 
ichauer, in welchem drei der nadten Madi wenige Schritte voneinander 
todt zu Boden ftürzten. Bet den erften Anzeichen des Negens ließ 
ich halt machen und etwa 45 Quadratmeter Zeltleimvand ausbreiten, 
worauf ich alle aufforderte, darunter Schub zu juchen. Nachdem der 
Negen vorüber war, rollten wir das Segeltud) auf und ſetzten den 
Marſch Fort, doch hatten wir noch immer durch die von den Blättern 
fallenden falten Tropfen zu leiden. Die Sanfibariten, welche mehr 
daran gewöhnt und in beijerer Körperverfaflung waren, fühlten da= 
durch nicht viel Unbequemlichkeit, während die Madi, niedergedrüdt an 
Geiſt umd leer im Magen, jo plötzlich todt zu Boden jtürzten, als 
wenn fie erjchoffen worden wären. 

Einer der Soldaten Emin Paſcha's aus Ladö und ein Sanfiba- 
rite, welche ſich Holziplitter in den Fuß geitoßen hatten, waren 
durch die jchmerzhaften Wunden jo invalid geworden, daß wir jie 
tragen mußten, 

sn der Nähe von Bandeja verjtarb wieder ein infolge von un— 
genügender Nahrung erfranfter Madi, während ein Sanfibarite von 
einem fühnen, hinterliftigen Zwerge durd) einen Pfeil verwundet wurde, 
der zwijchen den Rippen eindrang, aber nicht jo tief, daß er den Tod 
berbeiführte. Bei der Ankunft im Dorfe erplodirte meinem Koche 
Haſſan, als er in einem unglüdlichen Augenblide jein Wincheitergewehr 
gegen fich gerichtet hatte, die Warte und riß ihm einen großen Theil 
der Fleiſchmuskeln des linken Armes fort, und gegen Mitternacht wurde 
plöglich ein junger Mann Namens Amari, als er das Wachtfeuer zu 
größerer Helle anblaien wollte, am Kopfe durd) eine Kugel aus einer 
Remingtonpatrone verwundet, die irgendjemand achtlos in der Nähe 
der glühenden Kohlen hatte fallen laſſen. 

Am mächiten Tage hatten wir unter Führung einiger Weiber, 
welche den Weg nach der Station Ugarrowwa’s zu feinen behaupteten, 
einen höchit langwierigen Marich durd eine fürzlich von den Einges 
borenen verlaffene ungehenere Lichtung. Ich erinnere mich nicht, daß 
uns je eine andere jo viel Mergerniß bereitet hat. Unſere Stellung 
war bei jedem Schritt, den wir thaten, eine beichwerfiche; jest betraten 


11. Juli 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelot’3 Tod. 443 


wir einen jchlüpfrigen Baumſtamm, welcher einen gefährlichen Abgrund 
überbrüdte, der von abgejtorbenen Aeſten ftarrte, deren ſcharfe Spitzen 
aufgerichtet jtanden und den aus der Höhe herabjtürzenden Unglüc- 
lichen aufzufpießen drohten; dann balancirten wir auf einem über einen 
reißenden Strom geworfenen Baum; hierauf ftürzten wir uns in ein 
Gebüſch, in welchem wir infolge der dichten Mafjen der über uns und 
um uns herum wachjenden Myriaden von Schlinggewächien faſt er: 
ftidten; bald darauf wanften wir durch einen unergründlichen Moraft, 
deſſen Tiefe uns durch jchwimmende vegetabilifche Schmaroger ver: 
borgen wurde, dann durch in fürchterlicher Weile aufgethürmte Baum: 
jtämme, die Ueberreite des alten Waldes, und mit jedem Schritte 
wiederholten ſich die Schwierigkeiten, bis wir gegen Mittag ſchweiß— 
triefend die ungeheuere Lichtung von Udjangwa pajfirt hatten. An dem 
Hand des jungfräulichen Waldes errichteten wir das Lager und fandten 
Leute aus, um Bananen zu jammeln und fie als Proviant für die 
wenigen Tage vorzubereiten, die wir noch in der Wildnif bleiben mußten. 

Durch eine Sonnenbeobadhtung ftellte ich feit, daß wir uns auf 
1° 0° 16” nördl. Br. befanden. 

Am 10. Juli vermmuthete ich, daß wir uns auf einem Curſe be— 
fünden, der uns in jeiner Fortießung nicht weit von unjerm am 8. 
eingenommenen Lagerplatze bringen würde; allein die Sanfibariten 
hatten sich in den Glauben, daß die Eingeborenen ihr Land am 
beiten kennen müßten, jo verrannt, daß ich in einem Anfall von Toll: 
heit ihnen geitattete, bei Diefer Meinung zu bleiben. Gegen 10 Uhr 
am 11. Juli famen wir auf die Lichtung und an ein kleines Dorf, 
welches wir am Morgen des 8. verlaffen hatten, Wir hatten ung 
alſo vollftändig im Kreiſe bewegt, und zur Strafe verlangten die Leute 
num, die Weiber jollten umgebracht werden. Arme Geichöpfe, fie hatten 
nur nach ihrer Natur gehandelt! Wir waren es, die fi im Irrthum 
befanden, als wir annahmen, die Eingeborenen würden uns einen 
Weg zeigen, der fie immer weiter von ihrer eigenen Heimat entfernte. 
Hätten wir ihnen noch länger Vertrauen gejchentt, jo würden fie uns 
jo lange um ihre Lichtungen herumgeführt haben, bis fie auf ihrem 
heimatlichen Boden todt zur Erde geftürzt wären. Ich ſchickte die 
Weiber daher nach Haufe, und mit dem Kompaß in der Hand jehten 
wir den Weg in der Richtung Welt zu Nord fort, um die Haupt: 
ſtraße zu treffen. Wir behielten dieſen Curs während des ganzen 
11. Juli bei, worauf es uns früh am Morgen des nächiten Tages 
gelang, den geiuchten Pfad aufzufinden, der nach Nord zu Oft lief. 


444 Neunzehntes Kapitel. (Amiri 


Am 13. Juli um 9 Uhr morgens erreichten wir unfer altes 
Lager am Ituri, gegenüber der Station Ugarrowwa’s; als wir über 
den Fluß blicten, fanden wir aber letztern Platz verlajien. Wir 
fonnten daher feine Nachrichten von unfern jo lange vermißten Boten 
oder dem Major und feinen Leuten erhalten. Als wir den Marſch 
wieder aufnahmen und unſer Curs uns jetzt dem Fluſſe entlang 
führte, war uns jeder Stilometer, jeder Bad), jede Uebergangsitelle und 
jeder Lagerplatz wohlbefannt. 

Am nächiten Tage, als unfere Nationen ſchon gänzlich auf die 
Neige gegangen waren und die Madi täglich zu zweien und Dreien 
umfamen, erreichten wir die Amiri-Fälle. Kaum hatten wir das Lager 
aufgeichlagen, als alles nach Lebensmitteln davonftürzte, doch waren 
folche in der unmittelbaren Nachbarjchaft nicht zu befommen, da 
die 600 Köpfe zählende Menge Ugarrowwa’s ung zuvorgefommen war 
und alles Eßbare verzehrt hatte; daß auch fie nicht gemügenden Vor— 
rath gefunden hatte, war an der Zahl der in dem alten Zager liegen: 
den Sfelette zu erfennen. Die Entfernung jchredte unſere Burjchen 
vom Njanja aber nicht zurüd, und fie eilten auf einem nach Süden 
führenden Pfade weiter, bis fie nad einigen Stunden einen Hügel 
erreichten, an dejjen Fuß fich eine ausgedehnte, gedeihende Bananen- 
pflanzung befand. Zu ſpäter Nachtitunde trafen fie mit der fröhlichen 
Botichaft im Lager ein und erfreuten die Augen der Berhungernden 
mit den üppigen Früchten, die uns alle von entzücenden Feſtmählern 
träumen ließen, bei denen die milden, jchmadhaften ‚Früchte des Ba— 
nanenbaums die hervorragendfte Nolle jpielten. 

Selbftverftändlich war zu einer fo fritiichen Zeit und im Bereich 
eines ſolchen Ueberfluffes ein Halt dringend geboten, und bereits zu 
früher Stunde entleerte ſich das Lager von faſt allen erwachſenen 
Leuten, mit Ausnahme der Schildwachen, um Lebensmittel herbeizu- 
ichaffen. Nachmittags kehrten die ſtark beladenen Fourragirer zurüd, 
oft zu Paaren, die einen ungeheuern Büchel von Bananen jchleppten, 
wie man es auf alten Holzichnitten von Kaleb und Joſua fteht, welche 
die Trauben vom Bad) Eichfol tragen. Die fürjorglichern Leute trugen 
jedoch noch größere Mengen von Früchten, da fie diejelben ſchon ge: 
ichält, zerichnitten und zum Trocknen vorbereitet hatten, um das 
Schleppen der überflüſſigen Stiele und Schalen zu vermeiden. Wäh- 
rend der Abwejenheit der Fourragirer hatten die ſchwächlichern Leute 
bereits die hölzernen Rojte aufgejtellt und Brennmaterial geſammelt 
zum Trocknen der Früchte während der Nacht. In getrocnetem Zuftande 


20. Juli 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 445 


fonnte die Frucht zu Kuchen, einem jchmadhaften Bananenmus oder 
zu eimer Suppe zur Morgenftärfung verwendet werden; viele der 
ihönften Exemplare wurden aucd zum Nachreifen aufgehoben, um 
einen ſüßen Pudding, einen jchmadkhaften Brei oder eine Sauce zum 
Mus herzujtellen. | 

Am 16. Juli nahmen wir den Marjc längs des Fluſſes wieder 
auf, indem wir jo genau wie möglich unferer alten Straße folgten, 
und nad) jieben Stunden erreichten wir die Heinen Stromjchnellen 
oberhalb der Navabi-Fälle. As wir am nächſten Tage die lehtern 
paſſirten und nach der Stelle fahen, wo wir unjere Kanoes verjentt 
hatten, fanden wir, daß "diejelben fort waren. Nach vier Stunden 
famen wir in unjerm alten Zagerplage bei der Lagerjtelle von Avam— 
buri au. Der Weg hatte fich erheblich gebeſſert, da derjelbe von fait 
1000 Baar Füßen begangen worden war, feitdem unjere zwei Dutzend 
Haumeſſer zuerit eine Paſſage durch das Didicht hergeitellt hatten. 
Dem Wege entlang jahen wir viele Gerippe, deren Zahl noch durd) 
einige unjerer fterbenden Madi vermehrt werden jollte, die Tag für 
Tag zu Boden jtürzten, um fich nicht wieder zu erheben. Was wir 
ihnen auch jagen mochten, nichts fonnte fie veranlafjen, fich fir den 
morgenden Tag mit Proviant zu verjorgen. Sie hielten zehn Para— 
diesfeigen für einen unerichöpflichen Vorrath, obwol fie jeden Abend 
nach mehr Hungerten. Das einzige uns übrigbleibende Mittel war, 
jo oft wie möglich halt zu machen, damit fie im Stande waren, ſich 
voll zu eſſen. Infolge deſſen machten wir am Landungsplaße von 
Avamburt zwei Tage Raſt, damit die raſch abfallenden und jterbenden 
Madi fich ausruhen und erholen konnten. 

Am 20. Juli marjchirten wir 7, Stunden und lagerten uns 
dann einige Kilometer oberhalb des Bafaido-Kataraftg, nachdem wir 
unterwegs einen Sanfibariten und vier Madi verloren hatten. Einer 
der legtern war ein Häuptling, der an einer durch einen Holzipitter 
am ‚Fuße erhaltenen Wunde litt. Als wir aufbrachen, erklärte er feine 
Abficht, auf der Stelle fterben zu wollen, rief jeine Landsleute zus 
ſammen, vertheilte feine blanfen eifernen Arm- und Beinipangen, Hals: 
bänder und Ohrringe unter fie und legte fih dann mit völlig 
ruhigen Gejichtszügen nieder, an denen auch nicht die geringite Be— 
wegung fichtbar war. Alles das war jehr bewunderungswürdig, doch 
würde es dies noch mehr gewejen jein, wenn er tapfer weiter gekämpft 
hätte, anftatt nach der Art der Hunde fich zum Sterben hinzulegen. 
Drei Stunden ipäter entdedten wir ein Kande, welches einige der 


446 Neunzehntes Kapitel. (Bafaido 


Schwächſten aufnehmen konnte, und ehe wir den Lagerplag erreichten, 
hatten wir noch drei weitere Kanoes gefunden, im denen wir fait alle 
Leidenden einjchifften. Es würde graufam gewejen jein anzuhalten, 
um Leute zu dem MadisHäuptling zurüdzuichiden, und außerdem 
ſprach jehr viel gegen die Ausficht, ihn noch am Leben anzutreffen, 
da das Lager gewöhnlich, jobald es von der Nachhut verlaflen war, 
von Eingeborenenhorden aufgefucht wurde, welche fich fein Gewiſſen 
daraus machten, den jchtvachen Lebensfunfen der hinter der Colonne 
zurücbleibenden Kranken auszublajen, 

Am nächiten Tage Hatten wir mir einen furzen Marſch von zwei 
Stunden. Much Ugarrowwa hatte an dem Kataraft von Bafaido Raſt 
gemacht umd ſich dort mehrere Tage aufgehalten, wie wir aus den 
ausgedehnten Vorkehrungen für das Lager erfannten, das aus der 
Ferne wie eine große Stadt ausjah, welche auf dem äußerjten Ende 
der in den Fluß hineinragenden und von dem Wajlerfall begrenzten 
Spibe lag. Ehe wir die Flußpferdweitung erreichten, befanden wir uns 
im Beliße von vier Stanves. Als wir am folgenden Tage im Lager 
am Sataraft, wo wir die Schaufeln und jonftigen Gegenjtände ver: 
borgen hatten, welche unſere geichwächte Karavane nicht mehr zu tragen 
vermochte, frühjtückten und die geheime Stelle unterjuchten, fanden wir, 
daß die Dejerteure die zehn Elefantenzähne ausgegraben und die 
Eingeborenen fih in den Beſitz aller übrigen Dinge gejegt hatten. 
Spät am Nachmittage lagerten wir uns beim Baſopo-Katarakt. Zwiſchen 
den beiden Wajlerfällen entdeckten die Sanlibariten mehrere Kanoes, 
welche die Eingeborenen in den ſich in den Ituri ergießenden Bächen 
verſteckt hatten; fie ichifften fich ebenjo froh wie unvorfichtig im den 
Stanoes ein und fuhren, obwol ihnen Die gefährlichen Kanäle des 
Bajopo-statarafts befannt waren, den reißenden Strom hinab, was für 
uns den Verluſt eines Sanfibariten und eines zu den Soldaten Emin 
Paſcha's gehörenden Knaben zur Folge hatte. In dem gefenterten 
Kanoe befanden jich auch zwei Soldaten des Paſchas, die beide ihre 
Gewehre und Ausrüftung verloren und nur mit genauer Noth mit dem 
Leben davonfamen. 

Zwei Sanfibariten, Djuma und Naifib, hatten ſich an dieſem 
Tage von der Colonne entfernt und wurden vermißt, ſodaß wir am 
24. Juli halt machen und eine Abtheilung ausjenden mußten, um fie 
aufzufuchen. Nachmittags kehrte das Detachement erfolglos zurüd, und 
eine Stunde jpäter wurden wir im Lager durch das Pfeifen einer 
Kugel erjchredt, die über unjere Köpfe hinflog. Wir stellten jofort 


25. Juli 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod, 447 


eine Nachſuchung an und entdeckten, daß Naſſib der Schuldige war, 
der in Begleitung jeines Freundes Djuma zum Lager zurücgefehrt war 
und behauptete, er habe einen von unſern Leuten eben außerhalb der 
Umzäunung geichen und in der Annahme, einen umberjchleichenden Ein: 
geborenen vor fich zu haben, auf denjelben geichoffen. Aber noch mehr 
jeßte er uns in Erſtaunen, als er erzählte, die Urjache, weshalb er 
und Djuma jich von der Colonne entfernt hätten, jei gewejen, daß fie 
eine Pflanzung mit jehr jchönen Baradiesfeigen gejehen und jich nahe 
am Wege niedergelegt hätten, um einen Vorrath abzujchälen und zu 
trodnen. Das habe jie mindeitens 18 Stunden aufgehalten und als 
fie dann den Weg wieder aufgejucht hätten, wäre die Spur der 200 
Mann nicht wieder aufzufinden gewejen. Es iſt ſchwer zu enticheiden, was 
man mehr bewundern joll, die Thorheit dieſer Menſchen dritter Klaſſe, 
die in einer Pflanzung der wilden Kannibalen, die fich am die ‚Ferien 
der Nachhut der Kolonne zu heften pflegen, um an den Nachzüglern 
Rache zu üben, ſich ruhig niederjegen, oder die Furcht, welche die 
Eingeborenen in dieſem vereinzelten Falle bejeelte. 

Am 25. Juli lagerten wir uns oberhalb der Kleinen Schnellen 
von Bavikai und am nächiten Tage gelangten wir nach dem volfreichen 
Diitriet von Avedjeli gegenüber der Mündung des Nebenflufies Nepofo, 
wo wir unjer Quartier in dem Dorfe aufichlugen, in welchem Dr. Parke 
vor 15 Monaten den Fuß eines unglüdlichen Sanlibariten jo erfolg: 
reich amputirt hatte. 

Die Schredniffe des Marjchirens im Walde find mir niemals jo 
fühlbar gewejen, wie an diefem Tage, da mein eigener Körperzuſtand 
infolge der Lebensweiſe und der jämmerlichen Koſt von Begetabilien, 
von denen ich mich ernähren mußte, mich noch empfindlicher machte 
als gewöhnlich. Wir hatten um dieſe Zeit etwa 30 nadte Madi in 
den lebten Stadien des Lebens; ihre jonftige ebenholzartige jchwarze 
Hautfarbe hatte ſich in eine ajchgraue Färbung verwandelt und alle 
Knochen standen ihnen dermaßen aus dem Körper hervor, daß man 
jich wundern mußte, wie jolche Gerippe iiberhaupt noch die Kraft hatten 
Jich fortzubewegen. Faſt jeder einzelne von ihnen war das Opfer 
irgendeiner abicheulichen Krankheit; Beulen, ausgedörrtes Nücdenmarf, 
übelriechende Geſchwüre waren allgemein, während andere an chronijcher 
Dysenterie und jammervoller Schwäche infolge ungenügender Ernährung 
litten. Schon der Anblick derjelben, in Verbindung mit dem bei 
Krankheiten entitehenden übeln Geruch veruriachte mir Magenframpf 
und Uebelkeit. Dazu fam noch, daß der Erdboden voll von ver: 


448 Neunzehntes Kapitel. Avedjeli 


modernder Vegetation, die Luft heiß, erſtickend, dunkel und mit den 
Miasmen von Myriaden verweſender Inſekten, Blätter, Pflanzen, 
Stengel und Zweige geſchwängert war. Bei jedem Schritte wurde 
mir der Kopf oder Hals, die Arme oder Kleider von einem zähen 
Schlinggewächs, den Dornen des Rotangs, groben Epheuranken oder 
einer riefigen Diftelpflanze feitgehalten, die alles zerfragten und zerriſſen, 
woran fie fich fejthaften. Auch unzählige Arten von Inſekten trugen 
dazu bei, mein Elend noch zu vermehren, namentlich die glatte ſchwarze 
Ameije, welde auf dem Ameijenbaum lebt. Während man unter 
dem Blätterdach des letztern hinmarſchirt, laffen dieje Ameiſen fich auf 
einen herabfallen; ihr Biß iſt noch umangenehmer als derjenige der 
Weſpen oder rothen Ameijen, da die betroffene Stelle jofort raſch an— 
Ihwillt und weiß und blafig wird. Die jonftigen jchwarzen, gelben 
und rothen Arten, welche in ganzen Armeen den Weg freuzten, fait 
allen Pflanzen anhaften und fich von jedem Baum nähren, brauche ic) 
nicht zu nennen. Solch unangenehmen Anblid und jolche Gerüche hatten 
wir, da jeder Schritt, den man macht, jeine eigenen Uebel und Aerger— 
niſſe hatte, einen Tag wie dem andern, bei meiner augenblidlichen 
ihwindenden Kraft und gedrüdten Stimmung wurden fie mir aber 
fait unerträglih. Mein Geift litt unter eimer bejtändigen Laſt von 
Sorge über das Schidjal meiner 20 ausgeluchten Leute, welche ich) 
als Boten an die Nahhut unter Major Barttelot gefandt hatte, ſowie 
der Nachhut jelbjt. Ich hatte ſchon jeit faſt einem Monat feinerlei 
Fleiich, weder von einem Vogel noch von einem vierfüßigen Thier 
gegeſſen und mic) allein nur von Bananen oder Paradiesfeigen ernährt, 
welche, wie mannichfaltig der Koch fie auch zubereiten mochte, dem 
erichöpften Magen nicht mehr genügten. Meine Muskeln waren dünn 
und jchlaff, zu reinen Striden und Sehnen geworden, die Beine zitterten 
beim Gehen und die innern Theile jchienen nach einem Biſſen Fleiſch 
zu ächzen und zu jammern. 

Im Lager hörte ich zufällig ein Geſpräch zwilchen meinem Belt 
Diener Sali und einem andern Sanfibariten mit an. Der Buriche jagte, 
er glaube, der „Herr“ werde nicht mehr fange leben; er habe bemerkt, 
daß jeine Kräfte rajch abnähmen. „Wenn es Gott gefällt‘, erwiderte 
der andere, „werden wir in einigen Tagen Ziegen oder Hühner finden, 
Er braucht Fleiſch und joll es haben, wenn Ugarrowwa nicht das 
ganze Land ausgeräumt hat.‘ 

„Ach“, Tagte Sali, „wenn die Sanfibariten nur Menschen anitatt 
Thiere wären, dann würden jie ficherlich mit dem Herrn das Fleiſch 


30. Juli 1888.] Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 449 


theilen, welches fie beim Fourragiren finden. Brauchen fie nicht feine 
Gewehre und Patronen und erhalten fie nicht Lohn für den Gebraud) 
derjelben ? Ich verjtehe nicht, weshalb fie nicht mit dem Herrn theilen, 
was fie mit jeinen eigenen Gewehren bekommen.“ | 

„Es find wenige hier jo jchlecht, daß fie das micht thin, wenn 
fie etwas erhalten, das des Theileng wert iſt“, entgegnete der andere. 

„Aber das weiß ich befjer‘‘, erklärte Sali. „Einige von den 
Sanfibariten finden fajt täglich ein Huhn oder eine Ziege, aber id) 
habe noch feinen von ihnen gejehen, der dem Herrn etwas davon ge= 
bracht hätte.‘ 

In dieſem Augenblid rief ich Sali und forderte ihn auf, mir 
alles mitzutheilen, was er wiſſe. Durch längeres Fragen erfuhr ich, 
daß einiges Wahre an dem jei, was er erzählt hatte. Zwei Sanfi: 
baritenanführer, Murabo, von der Inſel Bumbire ber bekannt, und 
Wadi Mabrufi, hatten am 25. eine Ziege und drei Hühner entdeckt 
und fie im geheimen verzehrt. Das war eins der erjten Beifpiele 
von offenfundiger Undanfbarfeit, die ich bei diejen beiden Leuten ent— 
dedte. Die mir gemachten Enthüllungen hatten zur Folge, daß ich 
von diefen Tage an einen Antheil an der Beute erhielt. Noch vor 
Abend wurden mir drei Hühner ausgehändigt, und einige Tage jpäter 
hatte ich meine normale Kraft wieder gewonnen. Diejes in meinem 
alle glüdliche Nejultat zeigte, wie groß die Noth der armen nackten 
Madi war. 

In Mvedjeli bereiteten wir ung aus getrodneten Bananen einen 
großen Borrath von Lebensmitteln, während unjere größer werdende 
Kanveflotille ung ermöglichte, alle Madi, das Gepäd und die Hälfte 
der Sanfibaritentruppe einzujchiffen. 

Am mächiten Tage jchlugen wir das Lager in der Nähe der 
Aougadu-Schnellen auf, und am 27. paflirten die Kanoes die Stroms 
ichnellen, worauf wir einige Kilometer unterhalb derjelben für die 
Nacht Raſt machten. 

Wir frühſtückten am 30. Juli in dem alten Lager, wo ich im 
Auguft 1887 jo viele Tage auf die vermißte Erpedition gewartet und 
nach derjelben gejucht hatte, umd schlugen dann dag Nachtquartier in 
dem Dorfe Mabengu auf. 

In diejem Dorfe bemerften wir gegen Sonnenuntergang eine uns 
geheuere Menge von Fledermäufen, auf Kiſuaheli „Popo“ genannt, welche 
über unjern Köpfen bimveg nad) ihren nächtlichen Verſtecken auf der 
andern Seite des Fluffes jegelten. Auf meinem Standpunfte war 

Stanley, Im bunfetiten Airifa. I. 29 


450 Neunzehntes Kapitel. Aviſibba 


über mir nur ein ſchmaler Streifen des Himmels zu ſehen, und dennoch 
zählte ich 680 dieſer Thiere, die mir in Sicht vorüberflogen. Da die 
Armee von Fledermäuſen ſich über mehrere Kilometer des Waldes 
ausgebreitet haben muß, ſo kann man ſich annähernd einen Begriff 
von den vielen Tauſenden machen, die über uns hinflogen. 

Am lebten Tage des Juli erreichten wir Aviſibba, berüchtigt wegen 
des Widerftandes, auf welchen unfere Vorhut im vorigen Jahre dort 
ftieß, jowie wegen der tödlichen Folgen, welche die beim Kampfe be- 
nußten vergifteten Pfeile hatten. In einer der Hütten fanden wir 
die Spibe einer unjerer Zeltitangen, jorgfältig in Blätter eingewidelt, 
mit einem Fleinen Stüd Bappe von einer Batronenhülfe, einem Stüdchen 
grünen Sammt von dem Injtrumentenkajten des Arztes und der mej- 
fingenen Hülje einer Nemingtonpatrone. Das jeltiame Bader hing an 
einen der Dachiparren und war vermuthlich zu irgendeinem Fetiſch beſtimmt. 

In einer andern Hütte entdeckten wir einen aus eijernen Ringen 
beitehenden Halsfragen und zehn unabgefeuerte Batronenhüljen. Lebtere 
müſſen einem unferer unglüdlichen Deſerteure gehört haben, deſſen 
Fleiſch in einem Topf über dem Feuer geichmort worden jein und 
eine Familienmahlzeit gebildet haben dürfte. Später fanden wir auch 
eine alte Jade, welche unjere Vermuthung noch wahricheinlicher machte. 

Bald nachdem wir bei dem Dorfe gelandet waren, jahen wir ge- 
jebten Schrittes ein nadtes Feines Mädchen heranfommen, welches uns 
alle damit überrajchte, daß es uns in der Sprache der Sanfibariten 
anredete, 

„Iſt es denn wahr?“ rief fie. „Ich hörte in meinem Verſteck 
einen Gewehrfchuß und jagte zu mir, das müſſen meine eigenen Leute 
fein; ich will hingehen und fie aufjuchen, denn die Heiden haben feine 
Gewehre.“ 

Die Kleine nannte ihren Namen als „Hatunasmgini” (d. h. wir 
haben feinen andern) und erzählte, fie und fünf erwachjene Frauen 
jeien von Ugarrowwa hier zurüdgelafjen worden, weil fie franf waren; 
bald nach der Abfahrt dejielben mit jeiner großen Stanveflotte feien 
die Eingeborenen herangeftürmt und hätten die fünf Frauen getödtet, 
fie ſei jedoch fortgelaufen und hätte fich verborgen. Seitdem ſei 
fie in ihrem Verſteck geblieben und hätte ſich von rohen wilden 
‚srüchten ernährt, zur Nachtzeit aber Bananen gejammelt, die fie reif 
ebenfall® ungefocht verzehren konnte, da es ihr nicht möglich war, ein 
Feuer anzuzünden. Ugarrowwa hätte mit den Avifibba ein Schar- 
müßel gehabt, in welchem eine große Zahl derjelben getödtet wor— 


5. Aug. 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 451 


den feien. Er jei fünf Tage hier geblieben, um Proviant zurechtzu- 
machen, und jchon vor vielen, mehr als zehn Tagen abgefahren. 

Ein 4'/,jtündiger Marſch brachte uns nach Engwedde und ein 
weiterer von 7", Stunden nach einem Lager gegenüber von einer 
Inſel, die von Bapaijaziichern bewohnt wurde und einige Kilometer 
oberhalb der Schnellen von Nedjambi lag. Hier wurden die Gewehre 
und Ausrüftungsgegenjtände ausgejchifft und die Kanoeleute erhielten 
den Befehl, mit den Fahrzeugen auf dem linken Flußarm hinabzu- 
fahren. Während die Landabtheilung mit dem Tragen des Ge- 
päds beichäftigt war, zog der größte Theil der Kanveleute e8 vor, 
den rechten Flußarm zu wählen, welcher Ungehorjam einem Sanfi- 
baritenanführer und fünf Madi das Leben und uns ein Kanoe koſtete. 
Zwei andere Kanves fenterten, wurden aber jpäter geborgen. Ein 
Sanfibarite Namens Selim wurde von der Strömung gegen die Felſen 
gejchleudert und dabei dermaßen zerichlagen und verlebt, daß er faft 
einen ganzen Monat lang nicht mehr gehen konnte. 

Gegen 3 Uhr nachmittags nahmen wir den Marjch wieder auf 
und gegen 5 Uhr trafen wir bei den Panga-Fällen ein, wo wir nad) 
Zurüdlaffung einer Abtheilung zur Bewachung der Kanves unter: 
halb der Katarafte das Lager aufichlugen. Der Landabtheilung ge- 
fang es hier, eine kleine Menge Mais zu finden, der zu Mehl ver- 
arbeitet wurde und einen Brei zum Abendefjen für mich abgab. 

Ein Regenguß, der um Mitternacht einjeßte und bis um 1 Uhr 
nachmittags am 5. Auguft anhielt, hinderte unjere Arbeit jehr, doc) 
hatten wir die aus 19 Kanves bejtehende FFlotille gegen Abend wohl: 
behalten unterhalb der Fälle, gerade vor unjerm Lager. 

Die Eingeborenen von Panga hatten fich mit allen ihren Ziegen, 
Hühnern und fonjtigen Habjeligfeiten nad) einer Inſel in der Nähe 
des rechten Ufers geflüchtet, aber im den verichiedenen von uns leicht 
zu erreichenden Flußarmen auf unferer Seite mehrere Netze und Reufen 
zurücgelaffen, in denen wir einige Schöne große Fiſche fingen. Die 
Eingeborenen befanden ſich thatſächlich in Sicherheit, da feine Truppe 
von Leuten, die Beſſeres zu thun hatten, fich die Mühe gemacht haben 
wiirde, fie zu beläftigen; indeljen drückten fie ganz offenkundig den 
Wunsch aus, Freundjchaft mit uns zu jchließen, indem fie fich Wafler 
über den Kopf goſſen und ihre Körper damit beiprengten, worauf 
einige unferer Leute fich gutmüthig ihrer Infel näherten und die Zeichen 
in ähnlicher Weile erwiderten. Die tollfühnen Eingeborenen drangen 
dann quer Durch den Waflerfall herüber, und einem von ihnen gelang 

29 * 


452 Neunzehntes Kapitel. Mambanga 


e3, fich unbemerkt unjern Leuten zu nähern und einen devjelben in den 
Rüden zu jtechen. 

Yın nächiten Tage ließ ich Raſt machen. Eine Truppe von 40 Mann 
309 ins Land hinein, um zu fourragiven, und fehrte gegen Abend mit 
einer ganzen Laſt Eßbarem zurüd; doc) hatte einer derjelben, ein Madi, 
eine ſchwere Pfeilwunde im Rüden erhalten. 

Nach 2, ,jtündiger Kanoefahrt erreichten wir am 17. Augujt unfer 
altes Zager gegenüber der Mündung des Naula in den Ituri, dagegen 
brauchte die Yandabtheilung acht Stunden, um die von mir auf 18 km 
geſchätzte Entfernung zurückzulegen. 

In Mambanga am nördlichen Ufer, wo wir am nächſten Tage 
eintrafen, fanden wir einen ziemlich großen Vorrath von Lebensmitteln, 
doch wurde ein Sanſibarite Namens Djaliffi durch einen hölzernen Pfeil 
ziemlich ſchwer in der Bruſt verwundet. Ein etwa 4", cm langes 
Bfeilftüd jaß in der Wunde und machte den Mann länger als zwei 
Monate zur Dienftleiftung untauglich. Nachdem die Pfeiljpige heraus- 
gezogen war, jchloß jich die Wunde bald wieder. 

An dem nächiten Orte, Mugivje oder Mijui, hatte eine große 
Veränderung ftattgefunden. Sämmtliche Dörfer waren durch Feuer 
vernichtet, die jchönen WBaradiesfeigenpflanzungen niedergehauen und 
an der Stelle, wo wir bei Mugwje geraftet hatten, jtand ein unge— 
heueres Lager. In dem Glauben, daß Ugarrowiva jid) dort befände, 
feuerten wir einen Signalſchuß ab und marjchirten dann, als wir 
feine Antwort erhielten, nad unjerm alten Lager am linfen Ufer, 
wo Lieutenant Stairs das Datum „Bl. Juli“ (1887) zur Richtichnur 
für den Major in einen Stamm eingejchnitten hatte. 

Bei der Ankunft im Lager waren wir überrajcht, die Leiche einer 
Frau von der Truppe Ugarrowwa's zu jehen, die vor Furzem ge— 
tödtet, gewaſchen umd am Ufer dicht ans Waller Hingelegt worden 
war, neben etwa 300 Büſcheln PBaradiesfeigen, zwei Stochtöpfen und 
einem Kanoe, das fünf Perſonen zu tragen vermochte. Offenbar 
hatte ein Trupp Eingeborener bei dem Signalſchuß die Flucht er- 
greifen und jein beabfichtigtes Feſtmahl im Stiche laſſen müſſen. 

sch Ichickte eine Abtheilung über den Fluß, um zu recognojeiren, 
und erfuhr bei deren bald darauf erfolgenden Nüdfehr, daß Ugar— 
rowwa am jelben Morgen flußabwärts gefahren jein müſſe. Das 
war jehr bedauerlich für mich, da ich höchſt begierig war, von ihm 
zu erfahren, was er an Nachrichten von dem untern Lauf des Fluſſes 
hätte, und ich ihm auch bitten wollte, das Land nicht zu verwüſten 


10. Aug. 1888.] Ankunft in Banalja. Barttelot’s Tod. 453 


zu Gunsten der nachfolgenden Karavanen, die durch die bei feinen 
Märchen ftattfindende Verheerung und Verwüſtung im großen ſchwere 
Verluſte erleiden würden. 

Am 10. Auguſt übergab ich Rajchid, dem ältejten unſerer ſanſi— 
baritiichen Anführer, 35 unferer tüchtigften Leute mit dem Auftrage, 
unfern alten Weg am Fluſſe entlang zu verfolgen, während ich auf 
diefem mit der Kanoeflotille hinabzufahren und nicht eher halt zu 
machen beabfichtigte als an den Weipen-Schnellen, wo wir Ugarrowwa 
ohne Zweifel einholen würden und bei dieſem bleiben wollten, bis 
Raſchid uns erreichte. 

Um 6 Uhr 40 Minuten morgen! brachen wir auf, und da wir 
fräftig ruderten, jo befanden wir uns gegen 11 Uhr Vormittags in 
der Nähe der Weipen-Schnellen. Schon lange bevor wir das Getöſe 
des über Die feinen Lauf dort hindernden Felſenriffe abjtürzenden 
reißenden Fluſſes hörten, fahen wir am rechten Ufer ein ungeheneres 
Lager und erfannten bald darauf auch die Gejtalten von weißgeflei- 
deten Menschen, die fich im Gebüſch bewegten. Als wir bis auf 
Büchſenſchußweite herangefommen waren, feuerten wir einige Signal: 
Ichüffe ab und zogen unſere Flagge auf, was im demjelben Augen: 
blid mit dem tiefen Knall der jchiwergeladenen Gewehre beantwortet 
wurde, zum Zeichen, daß wir erfannt jeien. Gleich darauf ſtießen 
mehrere große Kanoes vom rechten Ufer ab, famen auf uns zu umd 
riefen uns in der Suahelis:Sprache an, während wir am linken Ufer 
hinabfuhren. Nach dem Austausch der üblichen Höffichkeiten fragten 
wir nad) Neuigkeiten und erfuhren zu unjerer, allerdings mit Kummer 
vermiichten großen Freude, daß unsere Boten, die nunmehr fait ſechs 
Monate von uns fort waren, im Lager Ugarrowiwa’s jeien. Die 
Boten hatten Lieutenant Stairs auf der Station Ugarrowwa's am 
16. März verlaffen und waren nach 17 Tagen, d. h. am 1. April, 
bei den Weipen-Schnellen eingetroffen, wo fie mit einem Verluſt von 
vier Mann der Ihrigen zurücdgetrieben worden waren. Einſehend, 
daß fie nicht im Stande wären, durch die feindlichen Scharen hin- 
durchzufommen, waren fie nach der Station Ugarrowwa’s zurück— 
marjchirt, wo fie am 26. April angefommen waren und jich in den 
Schuß des Arabers begeben hatten. Einen Monat jpäter trat Ugar: 
rowwa, nachdem er feine Leute von den Außenftationen geſammelt 
hatte, die Fahrt auf dem Ituri hinab an, auf welcher die Boten ihn 
begleiteten und er nach Tötägiger Reife am 9. Auguft die Weipen- 
Schnellen erreicht hatte. - Diejelbe Zeit hatten wir zu dem Marſche 


454 Neunzehntes Kapitel. (Bandeja 


vom Albert-Njanfa gebraucht, während der 10. Auguſt der 29. 
Tag war, jeitdem wir Ugarromwwa’s frühere Station verlaſſen hatten. 

Nachdem wir unfer Lager am linken Ufer in dem verlafienen 
Dorfe Bandeja gegenüber den Hütten Ugarrowwa’s in dem geräumt: 
ten Dorfe Bandekia aufgeichlagen hatten, erhielten wir den Bejuch 
der noch am Leben befindlichen Boten, die in Begleitung Ugarrowwa's 
und feiner Häuptlinge famen. Unter allgemeiner Stille erzählte der 
Führer der Boten feine tragische Geſchichte: 

„Herr, als Ihr Freiwillige aufriefet, um Euer Schreiben an den 
Major zu befördern, da gab es feinen Mann unter uns, der nicht 
entichloffen war, fein Möglichjtes zu thun, weil wir wußten, daß wir 
alle eine hohe Belohnung haben und große Ehre erzielen würden, 
wenn wir Erfolg hätten. Wir haben unfer Beſtes gethan, aber es 
ift vergeblich gewejen. Wir haben deshalb jowol die Belohnung als 
auch die Ehren verloren. Die Leute, welche mit Euch nad) dem 
Njanſa gegangen find und den Paſcha gefunden und fich rühmen 
fünnen, ihn von Angeficht zu Angeficht gejehen zu haben, find es, 
welche die befte Belohnung aus Eurer Hand verdienen. Aber wenn 
es uns nicht gelungen ift, den Major aufzufinden und fein Herz mit 
den guten Botjchaften, die wir zu überbringen hatten, zu erfreuen, jo 
weiß Gott, daß das nicht unfere Schuld geweſen ift, jondern jein 
Wille war, daß wir das nicht jollten. Wir haben vier von unferer 
Schar verloren und ich bin der einzige, welcher feine während der 
Reife erhaltene Wunde zeigen kann. Wir haben zwei Mann, Die 
zwar noch am Leben find, aber wegen des Giftes in ihrem Blute 
unheilbar zu jein jcheinen. Einige von unjern Leuten können Euch 
bis zu fünf Pfeilwunden zeigen. Bis nad Avifibba kamen wir ziem— 
lich ungehindert den Fluß hinab, aber dann begann bald die ſcharfe 
Arbeit. In Engwedde wurden zwei verwundet; bei den Bangastzällen 
wurden drei Mann durch Pfeile jehr ernftlich verlegt. Zwiſchen den 
Panga-Fällen und hier fand Tag für Tag und Nacht für Nacht ein 
beftändiger Kampf jtatt; die Eingeborenen jchienen, lange bevor fie 
uns erreichten, unfere Stärfe genau zu kennen und griffen uns ent= 
weder bei hellem Tage oder im der Dunkelheit an, als ob fie ent- 
ichloffen wären, uns zu vernichten. Weshalb fie jo viel Muth uns 
gegenüber zeigten, nachdem fie Jich jo feig benommen hatten, al® wir 
mit Euch flußaufwärts gingen, kann ich nicht jagen, wenn nicht 
unjere zu halben Dubenden ftromabwärts gefommenen Dejerteure Die 
Heiden in den Stand geieht haben, den Geichmad des Blutes der 


10. Aug. 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 455 


Sanfibarleute zu erproben, und fie nicht meinen, daß das, was ihnen 
bei jenen gelungen, ihnen auch bei ung gelingen könnte, Als wir 
aber dies Dorf, in welchem Ihr Euch jet befindet, erreichten, waren 
nur noch elf von uns zu etwas tauglich, die übrigen waren an den 
Wunden franf und einer war hilflos. Kaum hatten wir diejen Ort 
erreicht, al3 der Kampf mit wirflichem Ernfte begann. Die Be- 
wohner des großen Dorfes uns gegenüber vereinigten fich mit den 
Eingeborenen von Bandeja, der Fluß jchien von Kanves zu ſchwär— 
men und das Didicht um das Dorf herum war ganz lebendig von 
Eingeborenen. Nach einftündigem Verſuche, während deſſen nament- 
lich auf dem Fluffe viele von ihnen getödtet jein müſſen, weil fie 
überall jo dicht gedrängt waren, wurden wir in Ruhe gelaffen. Wir 
benußten die Zeit, um die wenigen Hütten, welche wir zu umjerm 
Quartier ausgewählt hatten, jo gut wie möglich zu befejtigen. 

„Als die Dunkelheit anbrach, ftellten wir in üblicher Weiſe Schild- 
wachen aus, wie Ihr und Lieutenant Stairs und Ugarrowwa ſämmtlich 
uns dringend gerathen hattet, aber ermiüdet von der Arbeit und er- 
mattet von der Sorge müſſen unfere Boften geichlafen haben, denn 
das erjte, was wir erfuhren, war, daß die Eingeborenen unjere Seriba 
niedergeriffen hatten und ins Lager gekommen waren, und als wir 
durch den wilden Schrei eines Mannes, der mit einem Speer den 
Todesitoß erhalten hatte, erweckt wurden, fanden wir fie mitten unter 
uns. Jeder von uns griff nach dem Gewehr und feuerte auf den 
nächiten Mann, ſodaß ſechs Eingeborene todt zu unfern Filßen hin— 
jtürzten. Das lähmte fie für einen Augenblid, aber dann hörten wir 
die Stimme eines Häuptlings jagen: «Dieje Leute find Bula Meatari 
davongelaufen. Nicht einer von ihnen darf am Leben bleiben.» Und 
darauf famen fie in dichten Scharen, die von dem Aufbligen unferer 
Gewehre beleuchtet wurden, vom Fluſſe und aus dem Didicht heran 
und ihre Zahl war jo groß, daß fie jelbft die Beiten von uns eine 
furze Zeit erſchreckte. Lakkin jedoch, der nie jo ſpaßhaft ift, al3 wenn 
er ſich in Schwierigkeiten befindet, rief aus: «Diefe Burfchen find wegen 
des Fleiſches gekommen, gebt es ihnen, laßt es aber ihr eigenes fein» ; 
und Verwundete und alle ergriffen ihre Gewehre und zielten, als ob 
fie nach der Scheibe jchöffen. Wie viele von den Eingeborenen fielen, 
kann ich nicht jagen, aber als unſere Patronen auf die Neige zu gehen 
begannen, liefen fie davon und überließen e8 uns, die Todten um 
ung herum zu zählen. Zwei von unfern Leuten antworteten beim 
Aufruf nicht mehr auf ihre Namen, ein dritter, Diuma, der Sohn 


456 Neunzehntes Kapitel. [Bandeja 


des Naſſib, rief mich und, als ich zu ihm kam, jah ic) ihn zu Tode 
biuten. Er hatte gerade nod) Kraft genug, um mic aufzufordern, 
die Reife aufzugeben. «Geht zurüd», jagte er. «Ich gebe euch 
meine lebten Worte, - Geht zurüd. Ihr fünnt den Major nicht er: 
reichen, deshalb, was ihr auch tyut, geht zurück zu Ugarrowwa.» Mad): 
dem er das gejagt hatte, ſtieß er feinen letzten Athemzug aus und fiel 
todt um, 

„Am nächjten Morgen beerdigten wir unſere eigenen Leute umd 
fanden um die Seriba 9 todte Eingeborene, während innerhalb der— 
Velden 6 lagen. Wir enthaupteten die Leichen, jammelten die Köpfe 
auf einen Haufen und beriethen dann miteinander über das Beite, was 
wir jeßt thun Fünnten, Es waren noch 17 von ung am Leben, aber 
nur vier, Die unverlegt von Wunden waren, Djuma’s letzte Worte 
Fangen uns auch wie eine Warnung ins Ohr, und wir bejchlojien 
Daher, nach Ugarrowwa's Lager zurüdzufchren. Das war leichter gelagt 
als gethan. ch will Euch nicht mit Einzelheiten langweilen, wir jtießen 
auf eine Schwierigfeit nach der andern. Diejenigen, welche ſchon früher 
verwundet waren, wurden nochmals von Pfeilen verwundet, und die 
nicht verwundet waren, entfamen nicht ohne Wunden, außer mir, der 
id) durch Gottes Gnade noch heil bin. Ein Kanoe fenterte und wir 
verloren fünf Gewehre. Ismaili wurde bei den Panga-Fällen erſchoſſen. 
Aber weshalb joll ic) das noch einmal erzählen, was ich jchon ge- 
jchildert habe? Es waren von uns nur 16 am Leben und 15 davon 
waren verwundet. Mögen die Narben diejer Wunden Euch das 
übrige erzählen. Wir jtehen alle in Gottes und in Ihrer Hand. Thut 
mit uns, wie Ihr es für gut haltet. Meine Worte find zu Ende.‘ 

Bei denen, welche dieje jchredliche Leidensgeichichte zum erften 
mal hörten, blieb kaum ein Auge troden. Vielen ftrömten reiche 
Ihränen an den Wangen herab, und die mitfühlenden Herzen machten 
fi) durch tiefe Seufzer und Ausrufe des Meitleids Luft. Als der 
Sprecher geendet hatte, jtürzte alles, noch che ich mein Urtheil ab- 
gegeben hatte, auf ihn zu, jede Hand jtredte fich ihm entgegen, um 
die ſeinige zu ergreifen, und alle riefen thränenden Auges „Gott jei 
Danf! Gott jei Dank! Ihr habt euch tapfer benomnten, ja, ihr habt 
wirklichen Werth und Mannesmuth gezeigt.‘ 

Auf dieſe Weile bewillkommneten wir unjere jo lange vermißten 
Boten, mit deren Schidjal unjere Gedanken ſich ſtets beichäftigt 
hatten, jeitdem wir von ‚Fort Bodo abmarjchirt waren. Sie waren 
völlig erfolglos in ihrer Miſſion geweien, hätten von uns aber 


10. Aug. 1888.] Ankunft in Banalja. Barttelot’3 Tod. 457 


in feiner Weije mehr geehrt werden können, wenn fie mit Briefen von 
dem Major zurücgefehrt wären. Die Gejchichte von ihren Bemühungen 
und Leiden wurde gut erzählt und noch wirfjamer und ergreifender 
gemacht durdy den Anblick der vielen Wunden, welche jedes Mitglied 
der kleinen Truppe erhalten hatte. Infolge der Freundlichkeit Ugar: 
rowwa's, deſſen Mitgefühl fie fich durch diejelbe Heine traurige Ge- 
idjichte ihres wadern Berhaltens erworben hatten, waren die Wunden 
bald geheilt, ausgenommen bei zweien, bei denen fie allerdings ftarf 
vernarbt waren, doc; waren die Leute beftändig leidend und ſchwach. 
Ich kann Hier gleich erwähnen, daß der eine nach Ablauf von zwei 
Monaten endlich feine gewohnte Kraft wiedererlangt hatte, während 
der andere mehr und mehr dahinichwand und um diejelbe Zeit ftarb. 

Im Lager Ugarrowwa’s entdedten wir aud drei berüchtigte De- 
ferteure, ſowie zwei unferer Genejenden, welche bei dem Befuche des 
Lientenants Stairs auf einer Fourragirtour abweiend waren. Einer 
der Deierteure war mit einer Kijte Munition davonmarjchirt, der 
andere hatte eine Kiſte mit Stiefeln für Emin Paſcha und einigen 
Paaren meiner eigenen geftohlen; beide Hatten fich in ein Fleines Kanoe 
begeben, das jelbjtverjtändlich gefentert war, und waren mehrfacd nur 
um Haaresbreite dem Tode entgangen, ehe fie bei Ugarrowiva ein: 
trafen. Ste waren dem Lientenant Stairs als Gefangene übergeben 
worden und hatten es nad) ein paar Tagen nochmals möglich gemacht, 
zu Ugarrowwa zu entfonmen, dem ich jet wieder zur Auslieferung an 
mich veranlaßte. Dieje beiden machten fich jpäter ganz vorzüglich, 
während der Dritte einige Wochen darauf ein Opfer der Blattern 
wurde, im Fieber feinen Freunden entfloh und in die Nedjambi- 
Schnellen jprang, wo er ertranf. 

Ugarrowiwa war, da jein Bulver auf die Neige ging, ungewöhn- 
lich freundlich, er machte mir ein bemerfenswerthes Gejchent, bejtehend 
aus vier Ziegen, vier Säcken Neis und drei großen Kanoes. Die Ziegen 
und der Reis waren uns, wie man jich denfen kann, jehr will: 
kommen, und ebenjo waren die Kanoes feine zu verachtende Gabe, da 
ich jet die Gejchwindigfeit unferer Fahrt jtromabwärts verdreifachen 
fonnte, weil ich nun unter Zuhülfenahme unferer eigenen Stanoes Die 
ganze Expedition, 130 Bewaffnete, Diener und Begleiter, ſowie Madi— 
Träger nebjt dem Gepäck einjchiffen konnte. 

Weder von den Boten noch von Ugarrowwa vermochte ich Nach— 
richten von unferer Nachhut zu erhalten. ch befam hier das Schreiben 
an den Major, welches ich im vorigen September Ugarrowwa zur 


458 Neunzehntes Kapitel. [Bandeja 


Beförderung durch feine Boten gegeben hatte, zurüd und ebenjo auch 
die Briefe von meinen eigenen Boten. Ugarrowwa hatte 45 Mann 
den Fluß hinabgeſchickt, doc waren diejelben gezwungen, bei Manginni, 
auf dem halben Wege zwiichen den Wejpen- Schnellen und Mijni, 
umzufehren. Es waren aljo beide Verſuche, mich mit Major Bartte 
lot in Verbindung zu jegen, erfolglos gewejen, was natürlich dazu 
beitrug, meine Ueberzeugung, daß der Nachhut etwas außerordentlich 
Schredliches paſſirt fei, noch zu verjtärfen. Unter den mir von 
Ugarrowwa ausgehändigten Briefen befand fich auch ein offenes 
Schreiben, welches in feiner Schilderung amujant ift und unjern 
Doctor charakterifirt: 


Fort Bodo, 15. Februar 1888. 
Mein lieber alter Barttelot! 

Hoffentlich find Sie feit bei der Arbeit und zieht Jamejon doppelt. Keiner 
von uns hat bier eine Ahnung, wo Sie find. Einige von unjern Offizieren und 
Leuten behaupten, Sie feien weit den Fluß hinauf, andere jagen, Sie feien noch 
in Jambuja und nicht im Stande, mit der großen Zahl Ihrer Laften zu marjchiren ; 
unter den Leuten geht die Meinung, daß Ihre Sanfibariten vielleicht zu Tippu- 
Tib übergegangen find. Stanley hat den See am 14. December 1887 erreicht, 
fonnte ſich aber nicht mit Emin Paſcha in Verbindung ſetzen. Da er jein Boot 
nicht bei ſich hatte, fam er vom See zuräd in den Wald und legte diejed Fort 
an, um fein Gepäd zu lagern, während er mit Jephſon und dem Boot nochmals 
nach dem See zurüdkehrt. Stairs geht morgen mit 20 Mann, die bis zu Ihnen 
marfichiren und Ihnen diejen Brief überbringen jollen, zu Ugarromwa. Stairs 
fehrt mit 40—-50 Mann, die bei Ugarrowwa gelaffen waren, zurüd und geht 
dann Stanley nad, da diefer Ort nur 130 — 160 km vom See entfernt ift. Ich 
ſoll mit 40 oder 50 Mann im Fort bleiben. Nelſon, ber jchon jeit Monaten 
leidend war, bleibt deshalb ebenfalls hier. Wir haben auf dem Wege hierher eine 
fchredliche Zeit durdgemadt. Ach habe oft geiagt, ich hätte während meiner 
Schulzeit hungern müfjen, allein das war VBollftopfen im Vergleich zu dem, mas 
wir bier durchgemacht haben. Ich freue mich jagen zu fünnen, daß alle Weißen 
noch ganz tauglich find, dagegen war die Sterblichkeit unter den Leuten ganz 
enorm, ungefähr 50 Procent. Bis zur Station Ugarrowwa's gibt es eine Menge 
Lebensmittel, aber diesfeit am Fluſſe wenig 'oder gar feine. Stanley jchreibt 
Ihnen, wie ich weiß, alles über das Hungern und den Weg. Heute ließ Stanley 
alle antreten und fragte die Leute, ob fie nach dem See oder zurüd zu Ahnen 
gehen wollten, um Sie zu holen. Die meiften der Leute wollten anfänglich zu 
Ihnen umlchren, jpäter aber war die Mehrheit für den See. Stairs, ſowol wie 
Jephſon und ich waren für den Sce, um feitzuftellen, ob Emin Paſcha noch am 
Leben ift oder nicht, dann Ihre Colonne hierher zu bringen und darauf nach dem 
Muta-Nfige zu gehen. Alle Leute find jo fett wie Butter, doc find einige, welche 
drei Monate mit mir in einem arabifchen Lager waren, wo id; zurüdblieb, um 
auf Nelfonl, die Kranken und Kiften u. ſ. w. zu achten, zu Haut und Knochen zu- 
fammengeihrumpft. Bon 38 find I1 am Hungertode geitorben. Staird war der 
einzige Offizier, der verwundet wurde; viele von den Leuten find an den Runden 
geitorben, 


16. Aug. 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelor’s Tod. 459 


Wir find in Bezug auf Stiefel ſchlecht beftellt, feiner von uns hat ein qutes 
Baar. Ich habe mir zwei Baar angefertigt, doch hielten fie nicht fange, und alle 
meine Kleider find von „Rehani”, einem Sanfibariten, gejtohlen worden. Stanley 
hat mich den ganzen Tag ſchwer arbeiten laſſen und ich habe daher nur Zeit ge- 
habt, Ihnen dieſe wenigen Zeilen zu jchreiben, da die Sonne untergeht. Unſere 
Eolonne hat eine große Menge Munition verloren und verkauft. 

Uebermitteln Sie meine beiten Wünſche an den alten Jameſon, ſowie an die 
übrigen Kameraden, die ich fenne, In der Hoffnung, Sie demnächſt hier bei uns 
zu ſehen, 

Ihr ganz ergebener 
J. H. P. 

Wir haben alle dieſen „Buſch“ fürchterlich ſatt; er ſetzt ſich bis wenige Kilo— 

meter vor dem See fort. 


Am nächſten Tage war Raſt. Der älteſte Führer Raſchid traf 
mit jeiner Landabtheilung erjt am 11. Auguft um 2 Uhr nachmittags 
ein. Die Strömung hatte unſere Flotille in fünf Stunden hinab- 
gebracht, während jie zu dem Marjche 15 Stunden brauchte. Nach— 
dem die Kanves die Schnellen wohlbehalten paſſirt hatten, jchifften 
wir uns am 12, Auguft um Mittag ein und fuhren flußabwärte. 
Gegenüber dem Lager bei dem Elefantenipielplaß begegneten wir einem 
Recognofeirungsfanoe Ugarrowwa’s, das flußaufwärts fuhr und defien 
Inſaſſen uns wunderbare Geichichten von der Stärfe, der Wildheit 
und Kühnheit der Eingeborenen von Batundu erzählten. Zwei Stun 
den fpäter fündigten die Trommeln der Batundu unſer Herannahen 
auf dem Fluſſe an, aber nachdem ihre Kanoes herangefommen waren, 
um die unjerigen zu zählen, zogen fie ſich alsbald ruhig wieder zurüd, 
jodaß wir in Frieden ihr Hauptdorf bejegen und die Nacht über 
ruhig jchlafen konnten, 

Am 13. trafen wir in Süd-Mupe ein, wo wir einen Tag ans 
hielten, um Lebensmittel für die weitere Thalfahrt vorzubereiten; am 
nächjten Tage jchafften wir die Flotille wohlbehalten über die ver- 
Ichiedenen Stromjchnellen und lagerten uns unterhalb der unterjten 
Mariri-Schnellen. 

Als wir am 16. Auguft die Fahrt fortiegten, paffirten wir drei 
unjerer Lagerftätten auf dem Landmarjche und machten dann auf 
einer großen Inſel, welche Hütten genug bejaß, um 2000 Berjonen 
aufzunehmen, für die Nacht Raft. Beide Ufer des Fluſſes waren ent— 
völfert und verlaffen, doch wußte uns niemand einen Grund für dieje 
Berwüftung im großen anzugeben. Unſer erfter Gedanfe war, daß 
unjer Kommen vielleicht die Räumung der Dörfer veruriacht hätte; 
allein da die Eingeborenen noch vor dem Verschwinden der Nachhut 


460 Neunzehntes Kapitel. Batundu 


die Dörfer wieder beſetzt hatten, fo ſchloſſen wir, daß wahrſcheinlich 
ein mörderiſcher Bürgerkrieg ſtattgefunden hätte. 

Es war dies der 83. Tag, ſeitdem wir von den Ufern des Albert— 
Njanſa aufgebrochen waren, und der 60., ſeitdem wir Fort Bodo ver- 
laſſen hatten. Unjer Borwärtsfommen war merhvürdig erfolgreich geweien. 
Von den nackten Madi-Trägern hatten wir eine große Menge verloren, 
thatjächlich die Hälfte der Zahl, mit weldyer wir vom Njanja abmar- 
ichirt waren, allein von den abgehärteten, acelimatifirten Sanfibariten 
hatten wir nur drei eingebüßt, Davon zwei, Die ertrunfen waren, und 
einen, welchen wir nad) einem Wahnfinnsanfall vermißten. Wir Hatten 
900 km von der Neife zurüdgelegt und es lagen nur noch 145 km 
zwischen der Inſel Bungangeta und Jambuja, und doch hatten wir 
noch feinerlei Gerücht über das Schickſal unjerer Freunde und Begleiter 
von der Nachhut gehört. Diejes beftändige unbefriedigte Schnen, 
welches jo jchwer wie Blei auf meinem Gemüthe laftete, in Verbindung 
mit der elenden unnahrhaften Koſt von getrodneten Bananen, ließen 
raſch meinen Geiſt und Nörper altern und Schwach werden. Das 
frühere erhebende, zuverlichtliche Gefühl, welches mich jo lange aufrecht 
erhalten hatte, hatte mich fait ganz verlaflen. Gegen Sonnenuntergang 
ſaß ich allein am Rande des Waſſers und beobachtete die Sonne, wie 
jie immer tiefer hinter das den Horizont bildende ſchwarze Blatt: 
werf von Mafubana janf, das meinen Vli begrenzte; ich beobachtete 
die alchfarbigen grauen Wolfen, die Vorboten der ruhigen dunfeln 
Nacht, und meinte, daß diejelben nur allzu getreu die Melancholie 
widerjpiegelten, welche ich nicht abzuichiitteln vermochte. An diefem 
Tage waren es gerade zwölf Monate, jeitdem die Nachhut von Jam— 
buja hätte aufbrechen jollen 365 Tage. In diefem Zeitraum 
jollen 100 Träger nicht im Stande geweien fein, bis nach Bungangeta 
vorzudringen, jelbit wenn fie ſieben Reifen hätten bin und zurüc 
machen müſſen? Was fonnte möglicherweije geichehen fein, außer der 
Dejertion im großen, verurjacht durch irgendein Misverſtändniß zwi— 
chen den Offizieren und Mannschaften? Als es dunfel geworden war, 
begab ich mich in mein Zelt, doch konnte ich in meinem nervöfen und 
höchit aufgeregten Zustande dort feinen Trojt finden; endlich wurde 
ich ruhiger und flehte die alliehende und gütige VBorjehung an, mir 
meine Begleiter und Gefährten wiederzuichenfen und den mich tödten— 
den Herzenskummer zu verjcheuchen. 

Zur gewöhnlichen Stunde jchifften wir uns am 17. Auguſt ein 
und jebten, langlam dem Treiben mit den Rudern nachheltend, Die 





17. Aug. 1888.] Ankunft in Banalja. Barttelot's Tod. 461 


Reife jlugabwärts fort. Es war ein düjterer Morgen, das jchiwere 
Grau des Himmels malte die Spiten des ewigen Waldes mit der 
dunfeln ‘Farbe der Trauer. Als wir bei dem Diftriet von Bungangeta 
vorbeitrieben, bemerften wir, daß die Zerjtörung ſich nicht auf diejen 
bejchränft, jondern da Mafubana dafjelbe Schickſal getheilt hatte, 
und als wir bald darauf in Sicht der mächtigen Curve von Banalja 
famen, welche an der jüdlichen oder linken Seite jo volkreich gewejen 
war, fanden wir, daß auch diefer Diftriet der Vernichtung nicht ent- 





Die Eurve von Banalja. 


gangen war. Aber um 9", Uhr jahen wir durch den leichten Morgen 
nebel, daß weit abwärts no ein Dorf ftand, das vermuthlich die Grenze 
der Zerjtörung bildete. Zugleich entdeckten wir beim Nähertommen aber 
auch, daß ſich dort eine feſte Umzäunung befand, während die Eingeborenen, 
als wir im Juli 1887 aufwärts pajlirten, ſich für zu mächtig gehalten 
hatten, um eine jolche Befejtigung zu gebrauchen. Im nächjten Augen— 
blidfe jahen wir weiße Gewänder, und als ich rasch durch meinen 
‚seldjtecher blickte, erkannte ich eine aufgezogene rothe Flagge. Da 
jtahl fich die Vermuthung der Wahrheit in meine Gedanfen. Ein 
leichter Windjtoß entrollte die Flagge einen Augenblid und emthüllte 
mir den weißen Halbmond und Stern. Sc jprang auf die Füße 


4652 Neunzehntes Kapitel. [Banalja 


und jchrie: „Der Major, Jungens! Rudert wacker!“ Xautes Ge— 
jchrei und Hurrah folgte meinen Worten und mit rajender Geſchwin— 
feit flog das Kanoe dahın. 

Etwa 180 m vom Dorfe hörten wir auf zu rudern, und da ich 
am Lande eine große Zahl fremder Menjchen jah, jo fragte ich: 
„Wejjen Leute jeid ihr?‘ 

„Wir jind Stanley’s Leute‘, war die im Kiſuaheli des Feſtlandes 
gegebene Antwort. Hierdurch und noch mehr dadurch, daß wir in 
der Nähe des Thores einen Europäer erblidten, jicher gemacht, ruderten 
wir ans Land. Der Europäer erwies ſich bei näherer Betrachtung 
als Herr William Bonny, den ich als Afjiftenten des Doctors für die 
Erpedition engagirt hatte. 

Ihm die Hand drüdend, jagte ih: „Nun, Bonny, wie geht's 
Ihnen? Wo ift der Major? Wol frank?“ 

„Der Major ift todt, mein Herr.‘ 

„Todt? Guter Gott! Wie geftorben? Am Fieber?" 

„Nein, mein Serr, er ift erjchoffen worden,‘ 

„Bon went?‘ 

„Bon den Manjema — Tippu-Tib's Leuten,‘ 

„Sütiger Himmel! Nun, wo ift Jameſon?“ 

„An den Stanley: Fällen.‘ 

„Um Gottes willen, was macht er dort?“ 

„Er hat ſich hinbegeben, um mehr Träger zu erhalten.“ 

„Run denn, wo it Herr Ward oder Herr Troup?“ 

„Herr Ward iſt in Bangala,‘ 

„Bangala! Bangala! Was fann er dort machen ?‘ 

„Ja, mein Herr, er iſt in Bangala, und Herr Troup ift jchon 
vor mehrern Monaten krank nach Haufe zurückgekehrt.‘ 

Dieje ‚Fragen, die rasch geitellt und ebenjo raſch beantwortet 
wurden, während wir noch neben dem Thore am Waſſer jtanden, be- 
veiteten mich darauf vor, eine höchit traurige Geichichte von einer Reihe 
der bemerfenswertheiten Störungen zu erfahren, die in eine organifirte 
Truppe von Leuten nur geschleudert werden künnen. 

Ungeachtet des klar geichriebenen Berichts des Herrn Bonny über 
die vorgefallenen Ereigniffe dauerte es doch viele Tage, ehe ich Zeit 
finden fonnte, um die Einzelheiten zu ftudiren und zu verjtehen. Die 
‚sremden, welche ich bemerkt hatte, gehörten zu Tippu-Tib und drängten 
ſich jet an uns heran, um uns wegen unjerer Ankunft zu begrüßen, 
während unſere Leute, Die eiligft mit dem Gepäd aus den Kanves 


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17. Aug. 1888.) Ankunft in Banalja. Barttelot’3 Tod. 465 


durch das jchmale Thor liefen, wenn fie Freunde wiedererfannten, vor 
Freuden jchrien und hüpften, oder vor Kummer heulten und jo das 
Lager bei Banalja zu einer unausfprechlich lärmenden Scene machten. 

Denken wir uns, daß das Gepäd gehörig verjtaut, die Kanoes 
an jtarfen Pfählen am Ufer befeitigt, die Glüdwünjche der Fremden 
vorüber find, unſere Sanfibariten ſich aus unjerer unmittelbaren Nach— 
barichaft entfernt, um ihre lange verlorenen Freunde aufzujuchen und 
Neuigkeiten auszutauschen, die überlebenden Sudanejen und Sanfi- 
bariten der Nachhut ihren inbrünftigen Dank gejprochen haben, daß 
wir — Gott jei Danf — endlich gekommen find, daß wir die für 
uns angefommenen Briefe hajtig gelefen und dann jelbjt ein paar 
Briefe, einen an Tippu-Tib und einen an das Entſatz-Comité raſch 
gejchrieben haben, um fie durch Boten nad) den Stanley= Fällen zu 
jenden — dann find wir frei, um die Gejchichte der Nachhut zu 
erzählen, wie wir fie nad) den Ahündlichen und jchriftlichen Berichten 
des Herrn Bonny und den MWeittheilungen der ſudaneſiſchen Soldaten 
und Sanfibariten erfahren haben, und fünnen beurtheilen, wie Die 
Thatjachen von unfern ———— oder mit ihnen über— 
einſtimmen. 


* 


Bwamigftes Kapitel. 


Die traurige Geſchichte der Nachhut. 


Zippu-Tib. — Major E. M. Barttelot. — 3. ©. Jameſon. — Herbert Ward. — 
Troup und Bonny. — Major Barttelot's Bericht über die Ereignifie bei der Nach— 
hut. — Unterhaltung mit Herrn Bonny. — Aus der jchriftlichen Erzählung Bonny’s 
hervorgehende Thatſachen. — Ward wird in Bangala aufgehalten. — Wiederholte 
Befuche des Majors an den Stanley Fällen. — Ermordung des Majors Bart- 
telot. — Bonny's Bericht über den Mord. — Beitrafung des Mörders Sanga. — 
Jameſon ftirbt auf der Station Bangala am ?rieber. — Zuſammentreffen der Bor- 
hut mit der Nachhut. — Scredlicher Zuftand des Lagers. — Tippu-Tib und 
Major Barttelot. — Jamejon. — Der Bericht Herbert Ward’s. 


Die wichtigsten Charaktere der nachfolgenden Schilderung find: 

1) Tippu-Tib, alias Scheih Hamed ben Mohammed, ein Ein: 
geborener der oftafrifanischen Küfte von arabiicher Abkunft. Er hat 
Taufende von Leuten unter jeinem Befehl, ift ein berühmter Sflaven- 
händler und befigt die Yeidenjchaft, feine Eroberungen und feinen Elfen: 
bein= und Sklavenhandel immer weiter auszudehnen. Während er einen 
Krieg gegen einen kürzlich in Afrifa geichaffenen und nod) in jeiner Kind» 
heit befindlichen Staat plante, ließ er fich zu einem Friedensvertrag 
überreden, demzufolge er feine verheerenden Raubzüge innerhalb ge- 
wiſſer Grenzen beichränfen und schließlich 600 Träger den Dienjten 
der Erpedition leihen Tollte, welche zur Befreiung eines von vielen 
‚Feinden am Nordende des Albert-Njanja belagerten würdigen Gouver— 
neurs beſtimmt iſt. 

Während er den Offizieren der Expedition den allerbeſten 
Willen zeigt und ihnen willig Gaſtfreundſchaft und zahlreiche kleine 
Gefälligkeiten erweiſt, verſucht er die Ausführung der Beſtimmungen 
ſeines feierlichen Contracts zu verzögern, und es vergehen Monate, 
bis er ſich daran macht, die erforderlichen Schritte zur Erfüllung ſeiner 
Pflichten zu thun. Schließlich, als die Offiziere ihn durch beſtändiges, 


Aug. 1888.] Die traurige Geſchichte der Nachhut. 465 


hartnädiges Bitten reizen, macht er eine Reife von über 1000 km, 
jammelt die Träger und übergibt fie nach elfmonatlichem jyjtematijchen 
Bögern feinen weißen Freunden. Allein einige Wochen jpäter tritt 
eine Kataftrophe ein: einer der Führer diefer Träger, Sanga, richtet 
jein Gewehr auf den den Befehl führenden höchjten Offizier und er- 
ſchießt ihn. 





— — 


Major Barttelot. 


2) Major Edmund Musgrave Barttelot, ein hochherziger, frei— 
müthiger, ritterlicher junger engliſcher Offizier, der ſich in Afghaniſtan 
und am ſudaneſiſchen Nil durch Tapferkeit und Pflichterfüllung aus— 
gezeichnet hat. Sein Rang und ſeine frühere Erfahrung im Com— 
mando über Mannſchaften berechtigen ihn zur Ernennung zum Be— 


fehlshaber der Nachhut. Er iſt angewieſen, bis zur Ankunft eines 
Stanley, Im duntelften Afrifa. J. 30 


466 Zwanzigites Kapitel. (Banalja 


gewiffen Contingents von Trägern unter dem Befehl von drei Sub- 
alternoffizieren, den Herren Ward, Troup und Bonny, in Jambuja 
zu bfeiben. Wenn Tippu-Tib vor oder an dem bejtimmten Tage 
eintrifft, joll er feine Zeit verlieren und der Route der Vorhut folgen, 
welche ihm etwa fieben Wochen voraus iſt. Iſt Tippu-Tib zu der Zeit, 
wenn das Contingent aus Bolobo Jambuja erreicht, noch nicht ein- 
getroffen, jo joll er mit feiner eigenen Truppe von etwa 210 Trägern 
auf fleinen Streden ſich langſam vorwärts bewegen und wiederholte 
Märjche rüchvärts und vorwärts von einem Lager zum andern machen, 
bis alle wichtigen Dinge befördert find, Es bleibt jeinem Ermefjen über- 
laſſen, welcher Gegenjtände er fich entledigen will, um freier marjchiren 
zu können; die Artikel, welche fortgeworfen werden fünnen, find ihm 
genannt. Er erflärt die Inftructionen für far und verſtändlich; er 
verfichert, daß er nicht länger als bis zur Ankunft der Bolobo-Leute 
in Jambuja warten wird, und gibt ung allen die Ueberzeugung, daß 
er ein Mann von Energie, Entichloffenheit und Thatkraft iſt, und 
daß wir bezüglich des Verhaltens der Nachhut nicht in Sorge zu 
jein brauchen. Jeder Brief und jeder Bericht von ihm laſſen erkennen, 
dag er von der äußerſten Loyalität und Bereitwilligfeit bejeelt zu 
fein jcheint. 

3) Ein junger Eivilift Namens James Sligo Jamejon, ein 
reiher Herr mit einer Leidenſchaft für naturwiſſenſchaftliche Studien, 
der anscheinend eine brüderliche Zuneigung zu feinem Freunde, dem 
Major, hegt und zum Bweitcommandirenden der Nachhut ernannt 
wird. Von ihm wird gejagt, „seine Behendigfeit, Tüchtigfeit und 
Bereitwilligkeit bei der Arbeit find unbegrenzt‘; was fein Freund 
der Major vorichlägt, wird von Herrn Jamejon bereitwillig geneh— 
migt; er beanjprucht Erfahrung und Urtheilsfraft infolge jeiner 
frühern abenteuerlichen Reifen im Lande der Majchona und Matebele. 
Kaum vier Wochen nach der Ermordung jeines Freundes ftirbt er, 
durch „Fieber und Schwierigkeiten vollitändig aufgerieben. 

Schließlich) fommen drei dem Stabe des Majors zugetheilte junge 
Engländer, von denen zwei, die Herren Herbert Ward und Troup, 
dem Befehlshaber und dem Nächitcommandirenden bei der Erörterung 
eines jeden wichtigen Schrittes Beiftand Leiten jollen; es kann Fein 
wichtiger Entichluß gefaßt werden, wenn nicht vorher eine Berathung 
diejer vier Männer berufen ift, um denjelben und feine Tragweite für 
das Unternehmen zu erörtern, zu welchem fie am Rande der unbe» 
fannten Waldregion verfammelt find. Sie find daher alle an den Folgen 


Aug. 1888.) Die traurige Gejchichte der Nachhut. 467 


eines jeden Beſchluſſes und an jedem durch legtern bedingten Schritt 
betheiligt. Sie find Feine Knaben, welche eben aus der Schule ge— 
fommen und Fürzlic) aus der Aufficht der eltern entlafjen worden 
find, jondern reife, gereifte Männer. Herr Herbert Ward Hat in 
Borneo, Neujeeland und im Kongogebiet Diente gethan; er ift Hug, 
intelligent und tüchtig. Herr John Roſe Troup hat ebenfalls unter. 





I. ©. Jamefon, 


meinem Befehl im Kongoftaate gedient und wird in meiner Schilde 
rung der Gründung des Ießtern als ein fleißiger, eifriger Offizier 
erwähnt. Herr William Bonny hat in den Feldzügen gegen die Zulus 
und am Nil Dienfte gethan, jahrelang in Südamerika gelebt und 
jcheint ein ernfter und gut beobachtender Mann zu fein. 

Hier liegt ein unerflärliches Geheimnif vor. Wir Haben uns mit 
den wärmſten gegenfeitigen Gefühlen und jogar gegenjeitiger Zuneigung 

30* 


468 Zwanzigſtes Kapitel. [Banalja 


von ihnen getrennt, wir haben einander das Wort gegeben. „Fürchtet 
nichts‘, ſagten fie; „wir werden freudig und loyal arbeiten und vor— 
wärts jtreben.“ Wir glauben ihnen und verpflichten ung durch Hand- 
ichlag gegenfeitig. 

Als wir von der Aufjuhung Emin Paſcha's zurückkehren, er: 
fahren wir aus dem eigenen Berichte des Majors Barttelot (vgl. 
Anhang) Folgende überraſchende Thatjachen: 

1) „Es find ſtets Gerüchte im Umlauf, die aber bezüglich des 
Herrn Stanley felten richtig find. Nach meiner bejten Ueberzeugung 
ijt er nicht todt. Ich bin gezwungen gewejen, die Kiſten des Herrn 
Stanley zu öffnen, da ich nicht alle feine Sachen tragen laſſen kann.“ 

Er ſchickt alle meine Kleidungsjtüde, Skizzen und Karten, Die 
Rejervevorräthe der Erpedition an Arzneien, Chemifalien zum Photo- 
graphiren und Rejervenegativplatten, die Ertrafedern für die Wincheſter— 
und Nemingtongewehre, wichtige Theile der Zelte und meine 
ganze Proviantausrüftung zurüd nad) Bangala. Er verjeßt mid) 
in den Zuftand völliger Nadtheit, und ich bin jo arm, daß ich ge- 
zwungen bin, mir ein Baar Beinffeider von Herrn Bonny zu leihen, 
ein zweites aus einer alten weißen wollenen Dede im Befit eines 
Deſerteurs und ein drittes Paar aus dem Vorhang meines Zeltes zu 
jchneiden, Allein die Herren Jamefon, Troup und Ward find an 
wejend, ertheilen ihre Zuftimmung und helfen; die beiden Lebtgenannten 
befommen ihr Gehalt, es wird ihnen, als fie ihre Abrechnungen vor— 
legen, Fein Pfennig abgezogen, und fie erhalten außerdem noch eine 
liberale Ertravergütung, indem man ihnen eine Ueberfahrt eriter Klaſſe 
nad) Hauje gewährt. 

2) „Es find noch vier weitere Sudanejen und 29 Sanfibariten 
da, welche nicht im Stande find, den Marſch mit uns anzutreten.’ 

„Es find ihm (Herren Stanley) aud) zwei Kiften mit Madeirawein 
gefandt worden. Die eine Kite ſchicke ich zurücd“ — d. h. den Kongo 
hinab. Ferner macht er eine ausgewählte Sammlung von eingemachten 
Früchten, Sardinen, Heringen, Weizenmehl, Sago, Tapioca, Arrotwroot 
u. ſ. w. zurecht und verladet diefelbe mit dem Dampfer, welcher Herrn 
Troup heimträgt. Und doch gibt es 33 Sterbende im Lager. Es ijt 
anzunehmen, daß Die übrigen Herren auch in dieſem Punfte ihre 
Zuſtimmung gegeben haben. 

3) „Ich werde weiter gehen bis nach Wadelai und von Emin Paſcha, 
falls er noch dort ſein ſollte, in Erfahrung bringen, ob er Nachrichten 
von Herrn Stanley hat, ſowie auch hinſichtlich ſeiner eigenen Abſichten 


Aug. 1888.] Die traurige Geſchichte der Nachhut. 469 


über Bleiben oder Gehen. Ich brauche Ihnen nicht zu jagen, daß wir 
die eifrigften Anftrengungen aufwenden werden, um die Auffuchung, 
die wir zu unternehmen im Begriff ftehen, zu einer erfolgreichen zu 
machen. Vielleicht braucht er Munition, um mit eigener Hülfe fortzu- 
fommen, in welchem Falle ich wahricheinlich im Stande jein würde, 
ihn zu verjorgen.‘ 

Am 14. Auguft hat Herr John Roje Troup dem Major Barttelot 
129 Kiften Remingtonpatronen überliefert zu den 29, welche ich in 
Jambuja zurücgelaffen hatte. Dieje 158 Kiften enthalten 80000 Pa— 
tronen. Am 9. Juni (vgl. den Bericht Barttelot's) ift diefer Vor— 
rath bis auf 35580 Patronen zuſammengeſchmolzen, obwol fein Marſch, 
fein Kampf ftattgefunden hat. Er hat während eines elfmonatlichen 
Lagerlebens in unbegreiflicher Weile abgenommen und es ift bei der 
Nachhut nur noch jo viel Munition vorhanden, daß die Truppen 
Emin Pajcha’s faum 50 Patronen für jedes in ihrem Beſitz befindliche 
Gewehr erhalten können. Die Hälfte des Schießpulvers und mehr als zwei 
Drittel der Stoffballen find verfhwunden. Obwol in Jambuja urjprüng- 
lich ein VBorrath von 300000 Zündhütchen vorhanden war, hielt man e3 
doch für nothiwendig, folhe für 48 Pfd. St. von Tippu-Tib zu faufen. 

4) „Die Laften, welche wir nicht mitnehmen, jollen nad) Bangala 
gefchieft werden. Sie werden am 8. Juni (1888) mit den Dampfern 
verladen werden, wofür Herr van Kterdhoven eine Empfangsbeicheinigung 
gibt, die Ihnen zugejandt werden wird, zugleich mit dem Inftructions- 
ichreiben für ihn und Herrn Ward. Vielleicht würden Sie die Güte 
haben, die bezüglichen Ordres für den Transport der Laften und der 
angefauften beiden Kanoes durch Herrn Ward zu ertheilen, da es 
beinahe gewiß ift, daß ich nicht auf diefem Wege zurücfehren werde 
und deshalb feinen weitern Bedarf für fie oder ihn habe.” (Siehe den 
Bericht Barttelot’3 im Anhang.) | 

Herr Ward ift den Fluß Hinabgefandt worden, um wegen In— 
jtructionen an das Comité zu telegraphiren, und man meinte, daß er 
diefe Inftructionen felbjt von der Küſte mitbringen werde. Hier jagt 
der Major uns nun, daß er feinen weitern Bedarf für ihn Hat. Er 
hat auch an Kapitän van Kerdhoven in Bangala gejchrieben, Ward 
nicht zu geftatten, über Bangala hinaus flußaufwärts zu fahren. Im 
dem legten Abfate des Briefes, den Herrn Jameſon an Herrn Bonny 
geichrieben, finde ich einen Hinweis auf dieſe Veränderung. 

5) Die Nachhut beftand, als wir am 28. Juni 1887 von Jambuja 
aufbrachen, aus 271 Gemeinen. 


470 Zwanzigites Kapitel. [Banalja 


Im Detober 1887 hatte diefe Truppe nach einem Briefe des 
Majors bis auf 246 Mann abgenommen. 

Am 4. Juni 1888, während die Nahhut noch immer in demſelben 
Lager liegt, hat fie fih auf 135 Gemeine verringert. (gl. den 
Bericht des Majors.) 

Am 17. Auguft 1888 verlange ich von Herrn William Bonny, 
der zu diejer Zeit allein den Befehl führt, einen officiellen Bericht über 
die Zahl der bei der Nachhut noch übriggebliebenen Leute, und er 
überreicht mir die folgende Zujammenftellung : 

Lijte der von Herrn Stanley in Bolobo und Jambuja zurüd- 
gelafjenen Sanfibariten, mit Einſchluß von 11 aufgefundenen Dejer- 
teuren der Vorhut: 

78 Zodte 

26 Delerteure 

10 Dann bei Herrn Jameſon (Bangala) 
29 krank in Jambuja zurüdgelafjen 


5 krank am Wege zurüdgeblieben 
75 am 17. Augujt 1888 in Banalja anweſend 


223 
Bufammenftellung der in Jambuja zurücgebliebenen Sudanefen, 
Somali und Syrier: 


21 Todte 
1 durch Eingeborene getödtet 
1 auf Befehl von Major Barttelot hingerichtet 
3 den Kongo hinab nah Aegypten gejandt 
4 frank in Jambuja zurüdgelaflen 
1 krank der Pflege des Kongojtaates überwiejen 
22 am 17. Auguft 1888 in Banalja anwejend 
53 
223 
276 


Lifte der von Herrn Stanley in Bolobo und Jambuja zurüd- 
gelafjenen engliichen Offiziere: 


1 John Roje Troup, als Invalide nah Haufe geichidt 
1 Herbert Ward, von Major Barttelot den Fluß hinabgeſandt 
1 James ©. Jameſon, den Kongo hinabgefahren 
1 Edmund M. Barttelot, Major, ermordet 
1 Rilliam Bonny, am 17. Auguft 1888 in Banalja anweſend 
5 
276 
281 
11 Dejerteure von der Vorhut 
270 
1 Itrthum 
271 


Aug. 1888.) Die traurige Geſchichte der Nachhut. 471 


Todte und Verlorene: 
78 Sanſibariten todt 
29 krank in Jambuja geblieben 
4 Frank in Jambuja geblieben 
5 franf am Wege zurüdgelafien 
21 Sudanejen todt 
1 von den Eingeborenen getöbtet 
1 hingerichtet 


139 





6) Der Dampfer „Stanley traf am 14. Auguſt, nur wenige 
Tage vor dem im Inftructionsjchreiben erwähnten Datum, in Jambuja 
ein; am 17. geht der Dampfer nach jeiner Station in Leopoldville 
und jchneidet damit jede Verbindung mit der Expedition ab. Die 
Beamten de3 Kongoftaates haben dem von ihrem Souverän gegebenen 
Verſprechen gemäß loyal gehandelt. Die Nachhut Hat aljo nur nod) 
zufammenzupaden und langjam, aber ftetig auf unferer Route zu folgen, 
da Tippu-Tib nicht eingetroffen it und, wie man vorausgejehen und 
e3 fich bejtätigt hat, nicht fommen wird. 

Ic wende mid) an Herrn Bonny und frage: „Hatten Sie nicht 
ſämmtlich den dringenden Wunſch, and Werk zu gehen?‘ 

„Ja, mein Herr.‘ 

„Waren Sie nicht begierig, von Jambuja fortzufommen ? 

„Ja, mein Herr.‘ 

„Hegten Sie nicht ſämmtlich auch den Wunsch, auf dem Marſche 
zu ſein?“ 

„sch glaube wol. Ja, mein Herr.“ 

„Run, Herr Bonny, wenn es wahr ift, daß Sie alle fo begierig 
waren und eifrig und dringend wünjchten, fortzufommen, dann jagen 
Sie mir, weshalb Sie nicht auf einen beffern Plan verfallen find, als 
zwiichen Sambuja und den Stanley-Fällen hin- und herzureijen?‘ 

„Das weiß ich wahrlidy nicht. Ich war nicht Chef, und wie Sie 
bemerfen werden, haben Sie in dem Inftructionsichreiben nicht einmal 
meinen Namen genannt.‘ 

„Das ijt jehr wahr, und ich bitte deshalb um Entichuldigung. 
Aber Sie haben ficherlich nicht Ttillgeichwiegen, weil ich es unterließ, 
Ihren Namen zu nennen, nicht wahr? Sie als Gehalt beziehender 
Offizier der Expedition?‘ 

„Mein, mein Herr. Ich habe oft geiprochen.“ 

„Die andern. auch?‘ 

„Das weiß ich nicht, mein Herr.“ 


412 Zwanzigſtes Kapitel. | [Banaliı 


Sch habe nie eine weitere Aufklärung erhalten können, obwol dieje 
Angelegenheit in Mußejtunden das beftändige Thema unferer Unter» 
haltung war. 

Als wir ung ein Jahr jpäter in Uſambiro, im Süden des Bictoria- 
Njanſa, befanden, befam ich einen Zeitungsausjchnitt, welcher die Ab— 
jchrift eines Briefes des Majors Barttelot vom October 1837 enthielt. 
In dem Schreiben kam der Bafjus vor: „Wir werden geziwungen fein, 
bi8 zum November hier zu bleiben.” Ic weiß aber, daß fie der 
Meinung waren, fie müßten bis zum 11. Juni 1888 bleiben. Ic) 
wende mich jebt zu dem Briefe des Majors Barttelot vom 4. Juni 
1888 (vgl. Anhang), in welchem er jagt: „Ic halte es für meine 
dringende Pflicht, diejes Werk fortzujegen, und werde in meiner Anficht 
von den Herren Jamejon und Bonny vollftändig unterjtügt; hier nod) 
fänger zu warten, würde ſowol nutzlos wie ftrafbar jein, da Tippu— 
Tib nicht Die entferntefte Abficht Hat, ung noch weiter zu helfen, und ung 
zurüdzuziehen würde feige ſein und, wie ich überzeugt bin, volljtändig 
im Widerſpruch mit Ihren und den Wünjchen des Comite ftehen.‘ 

Ic ehe nun mein Inftructionsichreiben durch und finde in Ab- 
jab 10: | 

„Bielleiht hat Tippu-Tib auch nur einige Leute geſchickt, aber 
nicht genug, ſodaß Sie die Waaren mit Ihrer eigenen Truppe tragen 
müffen. In diefem Falle muß es natürlich Ihnen überlaffen bleiben, 
welche Waaren Sie entbehren fönnen, um im Stande zu fein, den 
Marſch anzutreten.“ 

Abſatz 11: „Sollten Sie dennoch nicht marſchiren fünnen, dann 
würde es bejjer jein, täglich zweimal Märfche von etwa 10 km zu 
machen, al3 allzu viel Gegenftände fortzuwerfen, falls Sie e8 vorziehen 
jollten zu marſchiren, anftatt auf unſere Ankunft zu warten.” (Bol. 
das Inſtructionsſchreiben in einem frühern Kapitel.) 

In Ujambiro empfing ich auch die Antwort, welche das Comite 
als Erwiderung auf das von Herrn Ward von San Paolo de Loanda 
abgejandte Telegramm des Majors Barttelot abgeichict hat, in welchen: 
diefer bat, ihm telegraphiich Nath und Anficht mitzutheilen. 


Major Barttelot, Adreife Ward, Kongo. 


Eomite verweilt Sie auf Stanley's Befehle vom 24. Juni. Wenn Sie gemäß 
dieſen Ordres noch immer nicht marfchiren Fönnen, dann bleiben Sie, wo Sie find, 
und marten Sie auf Stanley’s Ankunft oder bis Sie weitere Inftructionen von 
ihm erhalten. 


Aug. 1888.] Die traurige Geſchichte der Nachhut. 473 


Ein mehr als 10000 km entfernt weilendes Comité vermag jofort 
in den Sinn der Inftructionen einzudringen, dagegen jcheint eine Com- 
miſſion von fünf Offizieren in Sambuja fie nicht zu verftehen, obwol fie 
unter der flaren Bedingung aufgefeßt waren, daß jeder Offizier die 
Borwärtsbewegung und active Beihäftigung dem unthätigen Leben und 
müßigen Warten in Jambuja vorziehen würde. 

Herr William Bonny, deſſen Befähigung zur Uebernahme ernft= 
licher Verantwortlichkeiten mir nicht befannt ift, wird in dem Inſtrue— 
tionsichreiben nicht erwähnt. 

Bei der Rückkehr nad) Banalja übergibt Herr Bonny mir fol- 
genden chriftlichen Befehl des Majors Barttelot: 


Lager bei Jambuja, 22. April 1888. 
Geehrter Herr! Im Falle meines Todes, meiner Verhinderung durch Araber 
oder meiner Abweſenheit von Jambuja aus irgendeinem Grunde werden Sie ben 
Befehl über die Sudanejen- und die Sanfibaritencompagnie jowie die Aufſicht über 
die Vorräthe übernehmen und in dem Gebäude jchlafen, wo lettere untergebracht 
find. Alle Befehle an die Sanfibariten, Somali und Sudanejen werden von Ihnen 
und nur an fie erlaffen werden. Die Bertheilung der Stoffe, Matato (Meifing- 
ftangen) u. j. w, find Ihrem Ermefjen überlafien, doc muß die Verwendung aller 
Arten Waaren joviel wie möglich eingejchränft werden. Ihre ernſtliche Sorge 
muß fein, Herm Stanley Hülfe zu bringen, auf die Laſten und Leute zu achten 
und ein gutes Einvernehmen zwijchen Ihnen und den Arabern aufrecht zu erhalten ; 
alles und jeder, der fich zwiichen Sie und diefe Angelegenheiten zu drängen fucht, 
muß jofort bejeitigt werden. 
Ich habe die Ehre u. ſ. w. 
Edmund M. Barttelot, Major. 


Was bleibt aber für den treuen Jamefon zu thun, „deſſen Behen- 
digkeit, Tüchtigfeit und Bereitwilligfeit bei der Arbeit unbegrenzt find ?* 
Wo ift der vielverjprechende, intelligente und tüchtige Ward? Welche 
Stellung ift für den methodiichen, geihäftsmäßigen und eifrigen Herrn 
Sohn Roſe Troup noch übrig? Herr Bonny ift plöglich für den Fall 
eines Major Barttelot zujtoßenden Unglüds zum Befehlshaber der 
Nachhut erhoben worden. 

Anfänglich befürchtete ich, ich jet toll geworden. Wenn ich von 
allen Menjchen allein den Verſuch mache, dieje unerflärlichen Wider: 
jprüche mit dem, was jeden einzelnen Offizier der Nachhut befeelte, in 
Einklang zu bringen, jo finde ich, daß alle weiſen Zeitungsichreiber 
in London anderer Ansicht find als ih. In den wundervollen Ein- 
tragungen in die Tagebücher leſe ich von edlem Eifer, unermüdlicher 


474 Zwanzigſtes Kapitel. [Banalja 


Arbeit, von Märjchen und Gegenmärjchen und einer unbegrenzten Ge— 
dub. In dem officiellen Bericht des Majors, in dem legten traurigen 
Briefe des Herrn Jameſon (vgl. Anhang) erkenne ich Aufrichtigfeit 
des Willens, unbeugjamen Entichluß, die wahre Fiber der Loyalität, 
unermübdliche Energie und Treue und eine Opferwilligfeit, welche ſich über 
jede Berechnung der Koften hinwegſetzt. Als ich alles aber miteinander 
verglich, kam ich zu der Ueberzeugung, daß die Offiziere in Jambuja offen: 
bar gleichgültig gegen das Inftructiongjchreiben gewejen waren und 
ihre Verſprechungen vergefjen hatten, und als Herr Bonny mir er: 
zählte, daß einer pon ihnen in einer Berfammlung an der Tafel auf: 
gejtanden ſei und den Vorjchlag gemacht habe, meine Injtructionen 
als nicht beftehend zu erklären und in Zufunft die Pläne des Majors 
Barttelot auszuführen, da ſchien mir der mildejte Ausdrud, mit welchem 
ein ſolches Verfahren bezeichnet werden fonnte, zu fein, daß ſie gleich 
gültig gegen Vorſchläge geweſen jeien, welche ich ausjchließlich nur 
niedergefchrieben hatte, um ihren wiederholten Wunjch „vorzudringen‘ 
zu befriedigen. 

Aber was gäbe ich darum, wenn ich an jenem 17. Auguft 1887, 
als die fünf Offiziere, endgültig getrennt und entfernt von jeder Be— 
rührung mit der Civilifation, verjammelt waren, um darüber zu be- 
rathen, was fie thun jollten, nur eine Stunde hätte anweſend fein 
fönnen, um ihnen zu jagen, daß 


Geelenfreude liegt in Thaten, 
Und da jie uns wohlgerathen 
Sit der Preis. 


und fie daran zu erinnern, daß 
Der Pfad der Pflicht zugleich der Weg zum Ruhme. 


Was! Ihre Hunderte von Laften zählen! Was heift das? 
Geben Sie Acht, es iſt einfach jo: Heute find hier 200 Träger und 
500 Laſten vorhanden und das nächite Dorf ift 15 km von hier ent- 
fernt. In 6 Tagen haben Ihre 200 Leute diefe 500 Laſten 15 km 
weit befördert, nach 4 Monaten find Sie 225 km weit ind Land 
hinein. Nach 8 Monaten befinden Sie fih dem Njanfa um 450 km 
näher, doch haben Sie jchon lange vorher Ihre Arbeit dadurch er- 
leichtert, daß Sie Ihre Laften mit Kanoes befördern; Sie werden 
ihon im October, dem zweiten Monat Ihrer Arbeit, alles von der 


Aug. 1888.] Die traurige Geſchichte der Nachhut. 475 


Vorhut gehört haben, können für Pulver und Gewehre Ugarrowwa 
veranlafjen, daß er Sie mit feiner Flotille unterjtügt, und werben 
um die Zeit, werm die VBorhut von Fort Bodo aufbricht, um Sie auf: 
zujuchen, wohlbehalten in der Niederlafjung Ugarrowwa’s fein und 
jhon lange vorher die Boten getroffen haben, welche mit der Routen- 
farte nebjt genauer Information von dem, was vor Ihnen liegt und, 
wo Lebensmittel zu befommen find, unterwegs find; jeder einzige von 
Ihnen wird gefünder und wohler fein, und Sie werden die Genug: 
thuung, eine jogar noch größere Aufgabe als die Vorhut verrichtet 
zu haben, und die gewünjchte Anerkennung gefunden haben. Je größer 
die Arbeit, um fo größer auch die Freude, fie zu verrichten. Das 
von ganzem Herzen fommende Streben und Kämpfen mit Schwierig- 
feiten, das Erfafjen des Ungethims mit feitem Griff, klarem Kopf und 
ruhiger Entjchloffenheit, das Ziehen, Abmühen und Ringen mit dem— 
jelben, heute, morgen und jeden Tag, bis man zu Ende ift — das 
ilt das foldatiiche Glaubensbefenntnif des Vorwärts, immer Vorwärts, 
die Ueberzeugung des Mannes, daß er zu dieſem Werfe geboren jei. 
Denken Sie nicht an die Arbeit des morgigen Tages, jondern nur an 
das, was Sie heute zu thun haben, und machen Sie fi) and Werf. 
Wenn es vorbei ift, fünnen Sie janft ruhen und wohl jchlafen. 

Allein ich konnte nicht anweſend fein; ic; mußte mich nur auf 
ihr Verfprechen verlaffen, daß fie ihr Vertrauen zu Tippu-Tib bis 
zur Concentrirung der jämmtlichen zur Nachhut gehörenden Offiziere 
und Mannjchaften einschränken wollten, und dafür jorgen, daß die 
Kennzeichnung der Bäume, die Anbringung der den Weg anzeigenden 
breiten Pfeile gut ausgeführt würde zu ihrer fichern Führung durd) 
den faſt endlofen Wald, von der einen Seite bis zum entfernteften 
Rande auf der andern. Aber in dem feltfamen Verlangen, zu erfahren, 
weshalb Barttelot, der auf Arbeit jo verjeflen, Jameſon, der jo ernt 
war und für das Privilegium, bei uns zu fein, 1000 Pfd. St. bezahlt 
hatte, Ward, den ich für den zufünftigen Clive Afrifas hielt, Troup, 
der wegen feines Fleißes jo berühmt, und Bonny, der jo bejtändig und 
gehorjam war, jo unbedacht gehandelt haben, daß fie volljtändig ver- 
hindert waren, ebenjo viel wie ich oder ein anderer von ung zu 
tun — fommt mir doch die Ueberzeugung, daß ein übernatürlicher 
böswilliger Einfluß oder Factor in Thätigkeit gewejen ift, um jede 
ernfte Abficht zu durchfreuzen. 

Einige Beijpiele werden Dazu dienen, dieſe Ueberzeugung noch zu 
verftärfen. Ich gebe offen und von Herzen zu, daß die fünf Offiziere 


476 Zwanzigſtes Kapitel. (Banalja 


vor Begier brannten, Jambuja zu verlafien und bei der Ausführung 
des eigenartigen Unternehmens, wegen deijen fie jo viel Behaglichkeit 
geopfert Hatten, bis zum glücklichen Ende Beiftand zu leiften. Sie 
find aber vollfommen außer Stande, ſich vorwärts zu bewegen, jo 
viele Verfuche fie auch) machen. Sie meinen, daß ich am Leben bin, 
und geloben, eine eifrige Nachforichung nach mir anzuftellen, verjegen 
mich aber in den Zuftand der Nadtheit. Sie find entſchloſſen, zur 
Aufjuhung und Rettung Emin Paſcha's aufzubrechen, weil es feig 
wäre, fich zurüdzuziehen, und ftrafbar, noch länger zu bleiben, und 
dennoch trennen fie fich von der nothwendigen Munition, welche fie 
ihm zuzuführen wünschen. Sie geitehen zu, daß im Lager von Jambuja 
33 Kranfe und zum Marſch Untaugliche find, und dennoch verpaden 
fie gerade die Vorräthe, Arzneien und Weine, welche die Leute hätten 
retten können, in Kiſten und jchiden fie nad) Bangala, nachdem fie 
fi) erft eine Empfangsbeicheinigung darüber haben ausftellen laſſen. 
Sie haben ſämmtlich eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach jeder 
Dffizier einen gewiſſen Antheil an allen europäischen Conjerven, geradezır 
Lederbifien, haben jol, und dann weigern fie ſich, fie zu eſſen oder 
an die Kranken zu geben, jondern ſchicken fie aus dem Hungergebiete des 
Waldes nach der Station Bangala. Herr Bonny drüdt, wie ich er— 
fahre, fein Bedauern aus und gibt jeiner abweichenden Meinung feinen 
hörbaren Ausdruck, als die Sachen fortgehen. Aus reiner Gewöhnung 
an die Disciplin unterläßt er e8, den ihm zufommenden Antheil zu 
fordern, und wie ein guter Engländer, aber jehr ſchlechter Demofrat 
gibt er ohne Murren jein ihm unveräußerlich zujtehendes Recht auf. 
Sie juchen nah) Manjema- Sklaven und Kannibalen aus den Bakuſu— 
und Bajongora = Stämmen, um ihre todten Sanfibariten, Sudanejen, 
Somali und Syrier zu erjegen, und einige Wochen, nachdem fie 
dieje Kannibalen befommen haben, ermordet einer von den Häupt— 
fingen derjelben den engliichen Befehlshaber. Ebenfalls an einem un— 
glüdlichen Tage, unglücklich, weil jener Entjchluß, zu warten, ihr 
Schickſal befiegelte, arbeitete ein Offizier der Vorhut in der Begleitung 
von 300 verzweifelten Männern ich durch ein undurchdringliches 
Didiht; um ein Jahr jpäter erzählt an demfelben unglüdlichen Tage 
Herr Bonny, der einzige Ueberlebende der Gejellichaft von Engländern, 
eine jchredliche Geichichte von Tod und Unglück, während zur ſelben 
Stunde der arme Jamejon, ermattet und aufgerieben von den ver— 
geblichen Kämpfen, um „vorzudringen‘“, in Bangala, 800 km weſtlich 
von mir, den legten Athemzug aushaucht, und einen Tag fpäter, 960 km 


Aug. 1888.) Die traurige Geichichte der Nachhut. 477 


öftlich von mir, Emin Pascha und Herr Jephjon den rebelliichen Sol- 
daten von Aequatoria in die Hände fallen. 

Alles das kann ganz toll machen, wenn man daran benft. 
Es ift eine übernatürliche Teufelei in Thätigfeit, welche die fterblichen 
Menſchen an Auffafjungsvermögen und Kenntniffen übertrifft. 

Zu allen den Unglüdsfällen reift in dieſen dunkeln Schatten 
der Nachbarjchaft der Stanley- Fälle und am Lauf des Oberfongo 
noch eine ungeheuere Ernte von Lügen heran, welche Zeugniß von 
maßlojer Schlauheit und unerjättlichen Durjt nad) Schrednifjen ab— 
legen. Ein Lieblingsthema jcheint meine eigene Ermordung zu fein; 
eine Recognojcirungsabtheilung ſoll ganze Mengen menjchlicher Gebeine 
gefunden, man will menschliche Gliedmaßen in Kochtöpfen entdeckt haben, 
und Kunjtdilettanten jollen Skizzen gezeichnet haben, wie ganze Fa— 
milten ſich an fannibaliichen Mahlzeiten ergögen. Es wird mehr als 
angedeutet, daß Engländer an Raubzügen, Mord und Kannibalismus 
betheiligt find, daß fie Eingeborene, welche über den Arumimt ſchwammen, 
als Scheiben benußt haben, und alles das nur, um unter der ruhigen 
englischen Bevölkerung Schreden, Sorge und Kummer zu verbreiten 
und unjere Freunde in der Heimat zu quälen. 

Die Vermittler, welche dieje dunfle Macht fich zur Verbreitung 
diefer jchändlichen Fabeln erwählt, find ebenjo mannichfach bezüglich 
ihres Berufes wie Hinfichtlich ihrer Nationalität. Den einen Tag ijt 
e3 ein Dejerteur, am nächjten ein Majchinift von einem Dampfer; 
bald ijt e8 ein Sflavenhändler oder Sklave, bald ein arglojer Miffionar, 
der eine Thätigfeit jucht, ein entlafjener Syrier, ein junger Künſtler 
von krankhaftem Geſchmack oder ein Beamter des Kongo—Freiſtaates. 
Jedem fommt der Reihe nach der wahnfinnige Wunjch, etwas zu jagen 
oder zu jchreiben, was den gefunden Menjchenverjtand überwältigt und 
über den gewöhnlichen Glauben hinausgeht. 

Nachſtehendes ift aus der officiellen jchriftlichen Schilderung Des 
Herrn Bonny gefammelt und nad Thatjachen in gehöriger Ordnung 
zujammengeftellt. 

Der Dampfer „Stanley ift früh am Morgen des 17. Auguft 
1887 von Jambuja abgefahren. Die von demielben mitgebradhten 
Waaren find im Magazin gelagert und, joweit ich jehen fann, befinden 
fi 266 Mann in dem befeftigten Lager. Da die Offiziere fich ver- 
jammelt haben follen, um über die zufünftigen Schritte zu berathen, 
jo kann man annehmen, daß das Inftructionsjchreiben verlefen, von 
ihnen aber nicht verftanden worden ift. Sie halten es für am klügſten, 


478 Zwanzigſtes Kapitel. [Banalja 


Tippu⸗-Tib zu erwarten, der, wie man jich erinnern wird, dem Major 
Barttelot verjprochen hatte, ihm innerhalb neun Tagen nachzukommen. 

An diefem Tage hörten die Offiziere Schießen am jenjeitigen Ufer 
des Fluſſes und beinahe gegemüber von Jambuja, und durd) ihre Feld— 
jtecher erfennen fie, daß die Eingeborenen von weißgefleideten Männern, 
welche vom nördlichen oder rechten Ufer nach ihnen jchießen, in den 
Fluß getrieben werden. In der Meinung, daß die Marodeure zu 
den Leuten Tippu-Tib's gehören müſſen, bejchliegen fie, einen Offizier 
nebjt einigen Leuten hinüberzujchiden und fie aufzufordern, die Be— 
läftigung der Eingeborenen, die jchon lange freundlich gefinnt gewejen 
find und Schuß genießen, einzujtellen. Der Offizier ſetzt über den 
Fluß, findet ihr Lager und ladet ihren Häuptling Abdallah ein, den 
engliichen Befehlshaber in Jambuja zu bejuchen. Bei dieſer Gelegen- 
heit erfährt der Major, daß diefe Marodeure wirklich zu Tippu-Tib 
gehören und die Stanley Fälle über Land nur ſechs QTagemärjche von 
Sambuja entfernt find. Wahrfcheinfich in der Meinung, daß Tippus 
Tib ſich troß alledem überreden laſſen werde, die Expedition zu unter: 
jtügen, jucht und erhält er Führer, um einige von feiner Truppe nad) 
den Stanley Fällen zu begleiten, damit diefelben in feinem Namen mit 
dem Häuptling jprechen und verhandeln, den wir von Sanjibar nad) 
den Stanley Fällen befördert und welchem wir in Anbetracht der ung 
jo heilig verſprochenen Hülfe freie Nationen gegeben hatten. 

Am 29. Auguft kehrt Herr Ward von den Fällen zurüd mit der 
Antwort Tippu-Tib’3; er verſprach, daß er die erforderlichen Träger 
jammeln und innerhalb zehn Tagen ſchicken wolle. Das erfte im Juni 
gegebene Verſprechen jagte „innerhalb neun Tagen‘, das Veriprechen 
im August lautete „innerhalb zehn Tagen“. Einige Tage jpäter kommt 
Herr Jameſon in Begleitung des Selim ben Mohammed, eines Neffen 
Tippu-Tib's, und einer großen Truppe von Manjema von den Stanley: 
Fällen zurüd. Diefe Truppe joll die Vorhut des Trägercontingents 
fein, das Tippu-Tib binnen kurzem perjönlich mitbringen will. 

Während man in Jambuja auf ihn wartet, brechen aber Unruhen 
am Lomami aus, und Tippu-Tib ift gezwungen, nach dem Schauplat 
derjefben zu eilen, um die Angelegenheit zu erledigen. Die Garnijon in 
Jambuja wartet indeifen Tag für Tag auf fein Erjcheinen. 

Unfähig, die Ungewißheit zu ertragen, unternimmt man den 
zweiten Bejuch der Stanley-Fälle, und diesmal begibt ſich Major Bartte- 
(ot perjönlih hin. Das ift am 1. October. Selim ben Moham- 
med und Herr Troup begleiten ihn. Auf dem Wege nad) den Fällen 


Aug. 1888.) Die traurige Geſchichte der Nachhut. 479 


begegnen fie Tippu-Tib, der auf dem Marſche nad) Jambuja ift und 
ſechs Dejerteure von der Borhut bei fich hat, welche je einen jchweren 
Elefantenzahn schleppen. Der Major überweift die ſechs Elefanten- 
zähne gnädigft dem Araberhäuptling, und beide begeben ſich, da ein 
Balaver ftattfinden muß, nad den Stanley-Fällen. 

Nach einem Monat kehrt der Major zu feinem Lager am Aru— 
wimi zurüd und berichtet, daß Tippu-Tib nicht im Stande fei, in der 
Gegend der Stanley Fälle 600 Träger zufammenzubringen, und deshalb 
nad Kaſongo, ungefähr 560 km oberhalb der Fälle, gehen müffe, und 
daß dieſe Reife von 1120 km, nad) Kajongo und zurüd, 42 Tage in 
Anſpruch nehmen werde. 

Inzwiſchen find 20 von den eigenen Leuten des Majors aufers 
halb des Lagers beerdigt worden. 

Der engliiche Befehlshaber erfährt, daß während feiner Abweſen— 
heit ein Anführer der Manjema, Madjato, fi) „ſchlimm“ aufgeführt 
und thatjächlich die Eingeborenen, welche mit der Garnifon Tauſch— 
handel trieben, eingejchüchtert hat, entweder um die Soldaten und 
Sanfibariten verhungern zu laffen oder um dadurch einen Nutzen zu 
erzielen, daß er bei dem Umtausch der Waaren gegen Producte als 
Vertreter oder Makler fungirte. Als der Major hiervon hört, wird 
er natürlich) unwillig und jchidt Herrn Ward hin, der nunmehr die 
dritte Reife nach den Fällen macht, um fich über das willfürliche Ber: 
fahren Madjato’3 zu bejchweren. Die Beichwerde hat Erfolg und 
Madjato wird jofort entfernt. 

Zu Beginn des Jahres 1888 trifft Selim ben Mohammed zum 
zweiten male in Jambuja ein und entwidelt bei der Durchjeßung ge— 
wiſſer Mafregeln gegen die Eingeborenen eine jolche Thätigkeit, daß 
die Zufuhren zum Lager volljtändig aufhören und nie wieder erneuert 
werden. Er beginnt auch mit dem Bau eines dauernden Lagers aus 
fejten Lehmhütten etwa einen Pfeilihuß von den Palifjaden von Jam: 
buja entfernt und jchließt das Fort auf der Landjeite vollftändig ein, 
als ob er die Vorbereitungen zu einer Belagerung des Plabes träfe. 

Nach einem fruchtlojen Verſuche, Selim mit dem Angebot einer 
Summe von 1000 Pfd. St. zu veranlaffen, ein Eontingent Manjema 
auf der Route der Vorhut auszufchiden, unternehmen Major Bartte- 
lot und Herr Jamefon, ungefähr um die Mitte des Februar, den 
vierten Beſuch der Stanley Fälle. Selim, welcher ungünjtige Berichte 
über fein Verfahren befürchtet, begleitet fie auf dem Wege, wo fie 
200 Manjema treffen, die fie, weil fie feine gejchriebenen Injtructionen 


480 Zwanzigſtes Kapitel, [Banalja 


bei fich haben, auf der Suche nad) Elfenbein im ganzen Lande um— 
herziehen lafjen. 

Im März ehrt Selim nad) Jambuja zurüd und deutet den Offi- 
zieren an, daß die Träger ſchließlich erjcheinen würden, aber nicht um 
der Route des Herrn Stanley zu folgen, jondern um über Udjidji 
und Unjoro vorzurüden; eine ganz nebelhafte Geographie! 

Am 25. März kehrt Major Barttelot in? Lager zurüd mit ber 
Meldung, daß Herr Jameſon, der unermüdliche Jamejon, auf der 
Route Tippu-Tib's den Fluß hinaufgegangen ijt, in der Abficht, 
Kafongo zu erreichen. Zugleich erflärt er feinen Plan, eine fliegende 
Eolonne zu bilden, und läßt den größern Theil feiner Waaren bei 
den Stanley Fällen unter der Obhut eines Dffiziers! Gleichzeitig 
feßt er ein Telegramm an das Comité in London auf folgenden 
Inhalts: 


San Paolo de Loanda, 1. Mai 1888. 

Keine Nachrichten von Stanley ſeit meinem Schreiben vom vorigen October. 
Tippu-Tib ging am 16. November nad Kafongo, hatte uns aber bis zum März 
nur 250 Mann beforgt. Es werden mehr kommen, doch ift ihre Zahl ungewiß, 
und um vorfichtig zu fein, halte ich es, vorausgejegt, daß Stanley in Schwierig- 
keiten ift, für abfurd, mit einer geringern Schar aufzubrechen als er, da mir 
mehr Lajten, abzüglih des Marimgeihüges, tragen. Ich babe Jameſon deshalb 
nad Kaſongo gefandt, um Tippu-Tib bezüglich der urjprünglichen 600 Mann an 
zutreiben, foviel wie möglich Krieger, bis zu 400 Mann, zu befommen und 
günftige Bedingungen bezüglich des Dienjtes und Gehalts der Leute abzuichließen, 
für deſſen Zahlung in Geld er und ich uns im Namen ber Erpedition verbürgen. 
Jameſon wird etwa am 14. zurüdfehren, doch wird der Aufbruch früheitens am 
1. Juni ftattfinden können, worauf ich dann einen Offizier mit allen nicht abjolut 
nothwendigen Waaren an den Stanley-Fällen zurüdlafien werde. Ward befördert 
dieſe Depeiche; veranlafien Sie gefälligit den König der Belgier, da er dem Ber: 
walter des Kongoftaates telegraphirt, mir Träger zur Verfügung zu ftellen und 
Dampfer bereit zu halten, um ihn nah Jambuja zu befördern. Wenn ich vor 
feiner Ankunft Leute erhalte, werde ich ohne ihn aufbrechen. Er müßte ungefähr 
am 1. Juli zurüd jein, Zelegraphiren Sie mir Ihren Rath und Ihre Anficht. 
Die Offiziere find alle wohl. Ward wartet auf Antwort. 

Barttelot. 


Herr Ward begab fich den Kongo hinab und erreichte in jo kurzer 
Zeit, wie noch nie zuvor vorgefommen war, die Seeküſte, telegraphirte 
die Depeſche ab, erhielt die nachjtehende Antwort und trat dann Die 
NRüdreife den Kongo aufwärts nad) dem Lager bei Jambuja ar. 


Major Barttelot, Adrefie Ward, Kongo. 
Das Eomite verweiſt Sie auf Stanley's Befehle vom 24. Juni 1887. Wenn 
Sie gemäß diefer Ordres noch nicht marſchiren fünnen, dann bleiben Sie, wo Sie 


Aug. 1888.) Die traurige Geſchichte der Nachhut. 481 


find, und warten auf Stanley's Ankunft oder bis Sie neue Anftructionen von ihm 
erhalten. Das Comite ermächtigt Sie nicht zur Anwerbung von Kriegern. Bon 
Emin Paſcha find über Sanfibar Nachrichten aus Wadelai vom 2. November ein: 
getroffen; er hatte damals noch nichts von Stanley gehört. Emin Paſcha ift wohl 
und hat feinen unmittelbaren Mangel an Zufuhren; er geht nad) dem Südweſtende 
des Sees, um nach Stanley zu jehen. Briefe find regelmäßig über die Oſtküſte 
befördert worden. 
Vorſitzender des Gomite. 


Als Herr Ward in Bangala eintrifft, wird er dort auf Befehl 
zurüdgehalten. 

Das Comité hat einen leichten Irrthum begangen, indem es 
meine Injtructionsjchreiben „Befehle“ nennt. Die Inftructionen. find 
nicht genau „Befehle“, jondern Andeutungen und Rathſchläge, welche 
der Befehlshaber der Expedition dem Commandanten der Nachhut er- 
theilt und welche diejer nach eigenem Ermeſſen befolgen oder verwerfen 
fann. Major Barttelot hat den ungeduldigen Wunjch ausgeſprochen, 
der Expedition active Dienfte zu leilten; er erklärt, es jet fein höchiter 
Wunſch, Jambuja zu verlafien und unjerer Route zu folgen. Der 
Befehlshaber der Erpedition, der große Sympathien für den unge- 
ftümen jungen Offizier hegt, jchreibt eine Reihe von Borfchlägen auf, 
durch welche fein Wunjch in Erfüllung gehen kann, und gibt ihm auch 
Bleiftiftmotizen (vgl. Anhang), in welcher Weije er das Vorrüden 
auf unſerer Route einrichten Fann. Der Major verjpricht ernftlich, 
diefe Vorſchläge zu befolgen, und die Trennung zwijchen ihm und mir 
geichieht auf Grund diefes Einverjtändnijjes. Allein es find Feine po- 
jitiven „Befehle“; wie die Grabjchrift eines Menſchen ſich am bejten 
erit nach jeinem Tode jchreiben läßt, jo verleiht man dem Manne am 
beiten auch eine Auszeichnung erjt, wenn der Werth feiner Dienfte 
feſtgeſtellt ift. 

Gegen Ende März ſteht der Major mit Selim ben Mohammted 
auf Ichlechtem Fuße, wodurch er gezwungen it, einen fünften Beſuch 
an den Stanley Fällen zu machen, damit jener entfernt werde. 

Um die Mitte des Monats April kehrt Major Barttelot ins 
Lager zurück und Selim erhält den Befehl, Iambuja zu verlafjen. 
Statt ſich aber nad) den Stanley-Fällen zu begeben, beabfichtigt er 
einen Raubzug gegen ein unterhalb Jambuja liegendes großes Dorf 
zu unternehmen; wenige Tage jpäter erjcheint er aber wieder und be= 
hauptet, er habe ein Gerücht vernommen, demzufolge die Vorhut auf 
den obern Gewäſſern des Aruwimi herabfomme. " 

Stanley, Im dunfelften Airita. TI. 31 


482 Zmanzigftes Kapitel. [(Banalja 


Am 9. Mat 1888 begibt ſich der Major zum jechsten mal nad) 
den Stanley = Fällen und am-22. dejjelben Monats fehrt er mit dem 
unermüdlichen Jamejon und einer großen Truppe von Manjema zurüd. 
Drei Tage jpäter trifft der zaudernde Tippu-Tib, welcher am 18. Juni 
1887 gejagt hat, er würde innerhalb acht Tagen in Jambuja fein, 
und dann im Augujt innerhalb zehn Tagen dort fein wollte, mit dem 
Dampfer „A. I. A.“ ein. Auch der „Stanley läuft ein, um Briefe 
für die Erpedition zu überbringen. 

Da Tippu-Tib darauf hHindeutete, daß die Laften im Gewicht 
von 60 Pfund für jeine Leute zu Schwer ſeien, waren die Offiziere 
gezwungen, fie, jeinen Anfichten entiprechend, auf 40, 30 und 20 Pfund 
zu reduciren. Das war feine leichte Aufgabe, mußte aber gejchehen. 
Wie Herr Bonny erzählt, erhielt Tippu-Tib als Borausbezahlung 
47 Ballen Stoffe, einen ungeheuern Vorrath von Schießpulver und 
ferfiger Munition, während Muini Somai, der Anführer des Ma— 
njema-Bataillons, Waaren im Werthe von 128 Pfd, St. befam. Dann 
werden die europätichen Proviantvorräthe unterjucht und folche Artikel, 
wie Madeirawein, eingemachte Früchte, Sago, Tapioca, Arrowwroot, 
Sardinen, Geringe und Weizenmehl, eingepadt und nebſt acht stiften 
meines Gepäds als unnöthig und überflüſſig auf den Dampfer, daffelbe 
Schiff, mit welchem auch Herr Troup, der als invalider Paffagier die 
Heimreile antritt, verladen und nad) Bangala geichidt. 

Endlich am 11. Juni 1888, nachdem noch 29 Sanfibariten und 
4 Sudanejen als zu Schwach zur Arbeit ausgejchieden find, verlafien die 
Herren Barttelot, Jameſon und Bonny das Lager, von dem fie jpä- 
teftens am 25. August 1887 hätten aufbrechen jollen, mit einem Ge— 
folge von Sanfibariten, Sudanejen, Somali und Manjena, insgejammt 
faft MO Männern, Frauen und Kindern, in der Abficht, die „eifrige 
Aufſuchung“ des verlorenen Befehlshabers und die Nettung Emin 
Paſcha's zu unternehmen. 

Dieje ſechs Meilen, weldje der Major und jeine Freunde nad) 
den Stanley-Fällen gemacht haben, ergeben insgejammt eine Strede 
von 1930 km. Der unermüdliche Major jelbjt hat 1290, Jameſon 
1930 km zurüdgelegt. Wären dieje 1930 km nur zwiichen Jambuja 
und dem Albert:See gemacht worden, dann hätte die Nachhut jchon 
die Panga-Fälle erreicht. Selbjt wenn fie, um 15 km Direct 
vorwärts zu fommen, 90 km hätte zurücklegen müfjen, würde fie 
durch unjere Briefe und Karten aufgemuntert und ermuthigt worden 
fein, bis nad) Avedjeli vorzudringen, um ſich bei dem Ueberfluß an 





Aug. 1888.] Die traurige Geſchichte der Nachhut. 485 


Bananen in jener veichen und ftarfbevölferten Niederlaſſung wieder 
zu erholen. 

Aber während der Major und feine Offiziere ſich bemühten, einen 
nicht wollenden Mann durch Gewehre im Werthe von 45 Guineen, 
Remingtongewehre, Revolver mit Elfenbeinjchäften, Munition und 
viele jchöne Ballen Zeugwaaren zur Ausführung feines Contract zu 
bewegen, jtarben ihre eigenen treuen Leute mit einer fürchterlichen Ge— 
ſchwindigkeit. Won der urjprünglichen Zahl von 271 Gemeinen waren 
nur noch 132 übrig, und von diefen 132, als die Nachhut in Banalja 
ankam, nur noch 101 am Leben, von denen fait die Hälfte durd) 
Hunger und Krankheit jo zurücdgefommen war, daß feine Hoffnung ift, 
fie am Leben zu erhalten. 

Dreizehn Tage nad) dem Abmarjch der Horde von Manjema und 
der blutleeren Sanfibariten von dem Unglüdslager bei Jambuja unter: 
nimmt der Major die fiebente Reiſe nad) den Stanley Fällen und 
überläßt es der Colonne, ſich ohne ihn nad) Banalja durchzufämpfen. 
Am 43. Tage erreicht die Spiße der Nachhut auf dem 144 km lan— 
gen Marjche das mit Paliffaden umgebene Dorf Banalja, welches 
während meiner Abweienheit zu einer Station Tippu-Tib's unter der 
Aufficht eines Arabers Namens Abdallah Karoni gemacht worden ift 
und wo am jelben Tage auch der ruheloje, unternehmungshuftige Major 
auf der Nüdfehr von den Stanley Fällen eintrifft. Am nächjten Tage 
findet eine Verumeinigung zwilchen ihm und dem Häuptling Abdallah 
Karoni ftatt; der Major ſtürmt auf ihn ein und droht, am 20. Juli 
die achte Reife nach den Stanley-Fällen antreten zu wollen, um ſich 
bei Tippu-Tib über das Berfahren feines Gegners zu bejchweren ; 
allein am 19. Juli bei Tagesanbruch wird der unglückliche Befehls: 
haber von dem Mörder Sanga durchs Herz geichoijen. 

Ich lafje den vfficiellen Bericht des Herrn William Bonny in 
verbeiferter Form die Einzelheiten des Ereigniſſes erzählen: 


18. Juli 1888. Der Major fuhr fort, Abdallah zu droben, dab wenn 
diejer die ihm von Tippu-Tib veriprochenen Träger nicht ichaffe, er am 20. nad 
den Stanley Fällen zurüdfehren werde, und befahl dem Araber, ihn zu begleiten. 
Der Major theilte mir mit, er würde am 9. Auguſt zurüd jein, fragte dann aber, 
noch ehe er mit jeinen Bemerkungen fertig war: „Glauben Sie nicht, daß id 
richtig handle, wenn ich nadı den Stanley-Fzällen gehe?” „Nein“, erwiderte ich, 
„ich jehe feinen Grund, weshalb Sie noch 60 Mann mehr brauchen. Sie haben 
Leute genug und nod) welche übrig. Es wäre beijer, wenn Sie die Gewehre und 
Munition an die Leute vertheilten, wodurd; die Zahl der Laften um 15 verringert 
wird, und denjelben Vertrauen jchenften. Herr Stanley muß ihnen auch Ber- 

31 * 


484 Zwanzigſtes Kapitel. [Banalja 


trauen jchenfen. Wenn fie Ihnen fortlaufen, dejertiren fie auch ihm, aber wenn 
Sie diejelben meinen Händen überlaſſen wollen, glaube ich nicht, daß fie davon: 
laufen werden.” Der Major antwortete: „Ich will, da Sie von hier ab der 
Befehlshaber der Sanfibariten und Subdanejen jein und einen Tagemarſch den 
Manjema vorausmarihiren jollen. Herr Jamejon und ich werden mit den Ma— 
njema gehen, fie etwas in Ordnung bringen und darauf achten, daß fie ſich nicht 
unter Ihre Leute miſchen. Ich möchte nicht nach den Fällen gehen, wünſche aber, 
daß Sie den Verſuch machen, mir einige Leute zu bejorgen. Wenn Sie mir nur 
20 verichaffen, bin ich zufrieden.“ Ich fragte Abdallah, ob er mir einige Träger 
ablafien fünnte, und erhielt fieben. 

19. Zuli. Heute früh begann ein Manjema-Weib die Trommel zu jchlagen 
und zu fingen. Das ift ihre täglihe Gewohnheit. Der Major jandte jeinen 
ungen Saudi, der erjt etwa 13 Jahre alt war, hin mit dem Befehl, damit auf- 
zuhören, worauf man fofort laute, ärgerlihe Stimmen hörte, jowie zwei Schüfie, 
die zum Troß abgefeuert waren. Nun jchidte der Major einige Sudanejen hin, 
um die Leute, welche geichofien hatten, zu holen, während er jelbjt aus dem Bette 
jprang und, jeine Revolver aus dem Kaſten nehmend, jagte: „ch werde den eriten, 
den ich beim Schießen treffe, niederjtreden.“ Ich bat ihn, ſich nicht in Die täg: 
lichen Gewohnheiten der Leute zu mengen, jondern lieber drinnen zu bleiben und 
nicht herauszufommen, da fie jih dann bald wieder beruhigen würden. Er begab 
fich jedoch mit dem Revolver in der Hand hinaus, wo die Sudanefen waren. Sie 
jagten ihm, fie fönnten die Leute nicht finden, welche geichoflen hätten. Der Major 
ſtieß darauf einige Manjema zur Seite, drängte fich durch, ging auf das die Trommel 
fchlagende und jingende Weib zu umd forderte es auf, aufzuhören. In demjelben 
Augenblid feuerte Sanga, der Gatte jener Frau, durd ein Luftloch in einer gegen- 
überliegenden Hütte einen Schuß ab, deſſen Kugel den Major gerade unterhalb 
der Herzgegend traf, am Rüden wieder herausfam und in einem Theile der Veranda 
jigen blieb, unter welcher der Verwundete todt zu Boden jtürzte. 

Die Sudanejen liefen fort und wollten mir nicht folgen, um die Leiche des 
Majors zu holen, ich ging aber doch hin, gefolgt von einem Somali und einem 
Sudaneſen, welche mir halfen, den Körper nad) meinem Haufe zu tragen. Nach dem 
Geſchrei zu urtheilen, glaubte ih, daß ein allgemeines Gemetzel begonnen hätte, 
obwol ich feinen einzigen Sanfibariten ſah. Sie hatten fich entweder im ihren 
Hütten verborgen oder fich der dem Morde folgenden allgemeinen Flucht ange: 
ichlofien. Ich wandte mid; jegt um und jah einen der Anführer der Manjema, 
welcher mit Gewehr und Revolver in der Hand jeine Leute zu einem Angriff 
gegen mich führen wollte. Ich hatte feine Waffen und ging daher auf ihn los 
und fragte ihn, ob er feine Leute zum Kampfe gegen mich führte. Er ermwiderte: 
„Nein.“ „Dann laß‘, erwiderte ich, „deine Leute ruhig in ihre Häuſer gehen und 
hole alle Anführer, ich will mit ihnen jprechen.“ Bald darauf erichienen einige 
Anführer bei mir und ich jagte zu ihnen: „Das it feine Schwierigkeit fiir mich, 
jondern für Tippu-Tib. Ich verlange, daß ihr mir alle Laften bringt und allen 
euern Genofien fagt, daß fie es auch thun. Tippu-Tib weiß, was jeder von euch 
in jeiner Obhut hat, umd iſt dafür verantwortlih. Er muß uns die Waaren be- 
zahlen, die verloren gehen, und die Anführer beftrafen, welche ihm einen Berluit 
bereiten. Ich werde an ihm jchreiben und er wird hierher fommen und joll die 
Namen derjenigen erfahren, welche jet nicht thun, wie ich es wünſche.“ Das 
hatte zur Folge, daß idy etwa 150 Laſten wieder in das Magazin zurücbefam. 
Ich ſchickte nun meine Leute aus, um foviel Waaren wie möglich zu jammeln, 


Aug. 1888.) Die traurige Geichichte der Nachhut. 485 


und nad furzer Zeit hatte ih 290 Traglaften wieder. Sie waren über den 
ganzen Pla zerftreut, einige waren im Walde, andere in den Neisfeldern und 
viele in den Hütten, furz überall verborgen. Einige Säde mit Perlen und Kiſten 
mit Munition waren bereits aufgeriffen oder zerbrocdhen, und der Anhalt fehlte 
entweder theilweile. oder ganz. Als ich nachſah, fand ich, daß mir 48 Laiten 
fehlten. Die Bewohner des Dorfes zählten ungefähr 200—300 Perſonen, ich war 
mit etwa 100 Mann angelommen; Muini Somai, der oberite Anführer der Ma- 
njema, hatte etwa 430 Träger und 200 Begleiter, ſodaß inägefammt ungefähr 
1000 Berjonen anweſend waren, darımter 900 Kannibalen und alle innerhalb eines 
Raumes von 150 m Länge und 24 m Breite. Sie können die Scene, als die 
allgemeine Flucht, das Kreiichen, feuern, Schreien, Rlündern der Vorräthe u. |. w. 
begann, fich befjer ausmalen, als ich fie zu beichreiben vermag. Zu meinem Be- 
dauern muß ich jagen, daß die Sudaneien und Sanfibariten fich ohne Ausnahme 
an dem Rauben betheiligten, doch durchiuchte ich dann ebenfalls ihre Häuſer und 
Schlupfwinkel und nahm ihnen eine Menge Stoffe, Perlen, Reis u. dgl. fort. Ich 
mußte ichwer jtrafen, ehe es mir gelang, dem Plündern ein Ende zu maden. ch 
ichrieb nun an Herrn Jamejon, der etwa vier Tagereifen entfernt und damit beichäftigt 
war, die übrigen Laften herzutransportiren, ſowie an einen Beamten des Kongo- 
ftaates und den Secretär Tippu-Tib's, Herrn Baert, jeßte dieſem auseinander, 
was geichehen jei und in welcher Lage ich mich befände, und bat ihn, feine ganze 
Kunst aufzubieten, um Tippu-Tib zu veranlaflen, daß er entweder jelbit komm 
oder einen Häuptling jchide, um Muini Somai zu erjegen, der einer der eriten 
gewejen war, welche davongelaufen waren. Ich bemerkte Herrn Baert, er möge 
Tippu-Tib fagen, ganz Europa würde ihm die Schuld geben, wenn er uns nicht 
helfe. Dann lieh ich die Leiche des Majors in eine Dede nähen und beerdigte 
ihn; ich habe das Grab gleidy vornan im Walde graben laſſen, unten Blätter 
als Kiffen hineingelegt und die Leiche in derielben Weile zugededt. Dann las ich 
ein Kirchengebet aus unferm Gebetbuche über der Leiche, womit diejer ſchreckliche 
Tag feinen Abſchluß fand. 

Der Major hat mir, als das Lager von Jambuja und namentlich jein eigenes 
Leben in großer Gefahr war, eine officielfe Ordre ausgeichrieben und übergeben, 
welche mich zum Befehlähaber der Sanfibariten und Sudanejen ernennt. dh 
übernehme daher das Commando diejer zweiten Colonne der Erpedition zum Ent: 
ſatze Emin Paſcha's, bis ich Herrn Stanley treffe oder nad) der Küſte zurüdfehre. 

Es wird meine beftändige Sorge fein, die Colonne mit Gottes Hülfe erfolgreicher 
zu machen als bisher. Herr Namelon wird die Stellung behalten, welche ihm in den 
Anftructionen des Herrn Stanlen an Major Barttelot angewieien iſt. Während 
er nad den Stanley = Fällen geht, um mit Tippu-Tib wegen eines andern An- 
führers der Manjema zu verhandeln, hat er freie Hand, da er Befehlshaber zu 
fein glaubt. ch habe ihn nicht enttäuicht. Bei der Rüdfehr hierher werde ic) 
ihm das Document zeigen, von dem ich voritehend jchon eine Abjchrift mit: 
getheilt habe. 

Ich habe die Ehre u. ſ. w. 

Rilliam Bonnn. 
Herrn 9. M. Stanley, 
Befehlshaber der Entiag-Erpedition. 


Drei Tage nad) der Tragödie erjcheint Herr Jamejon mit den 
legten Mannschaften der Nachhut in Banalja und übernimmt den 


486 Zwanzigſtes Kapitel. [Banalja 


Befehl, tritt aber, nachdem er Herrn Bonny einige ermunternde Worte 
zurüdgelaffen hat, am 25. Juli die achte Reiſe nach den Stanley: 
. Fällen an, in der Hoffnung, durch reiche Anerbietungen von Gold Die 
Habjucht Tippu= Tib’S befriedigen und ihn veranlaffen zu können, daß 
er entweder jelbjt die Führung der Nachhut übernimmt oder an feiner 
Stelle einen feiner heigblütigen Neffen jendet, Selim ben Mohammed 
oder Raſchid, der die Stanley Fälle unter Kapitän Deane ‚angegriffen 
und erobert hat. 

Am 12. Auguſt Schreibt er feinen Ießten Brief (ſiehe Anhang) 
an Herrn Bonny und beginnt denjelben: „Die Erpedition befindet 
ſich, wie Sie mir, glaube ich, zugeben werden, augenblidtid in jehr 
jtarfer Ebbe.“ Das it eine für jedermann leicht erfichtliche traurige 
Thatlache. 

Nachdem er dem an dem elenden Mörder Sanga vollzogenen 
Act der Gerechtigkeit zugejehen, der Erſchießung des Mannes und 
dem Hinabftürzen des. Körpers in den Aruwimi beigewohnt hat, reiſt 
er von den Stanley Fällen nad) Bangala ab. Denn die Herren Jame— 
jon und Barttelot waren beide an der Zurückhaltung von Ward aus 
irgendeinem Grunde betheiligt, und die Antivort des Comité auf ihr 
Telegramm vom 1. Mat war daher in feinem Beſitz. Herr Jameſon 
winjcht dringend den Inhalt deſſelben zu willen, che er eine endgültige 
Bewegung unternimmt, und fährt in einem Kanoe mit 10 Sanfıba- 
riten ab. Sie rudern Tag und Nacht, bis er gegenüber von dem 
Lomami-Fluſſe vom Fieber befallen wird. Seine Eonjtitution ift für 
die Aufnahme des Keimes der Krankheit geeignet und fein Gemüth ift 
niedergedrüct, denn das Glüd der Expedition ift ungeachtet der eifrig- 
jten Bemühungen jeinerjeits, feiner herzlichen, vollen Hingabe, feiner 
Märjche und Gegenmärfche, feiner Wanderung von 2250 km (1930 km 
vor der Wbreife von Jambuja, dann nah Banalja und von 
dort nach den Stanley Fällen), feines Opfers an Geld, phyfiicher Be: 
haglichkeit und der Beltrebungen jeines Geiſtes, um das zu erreichen, 
was gejchehen jollte — thatjächlicy „in jehr jtarfer Ebbe‘. Und dann 
jteigt das ?Fieber ihm ins Gehirn. Tag und Nacht eilen die Stanveleute 
weiter, um das Ziel, die Station von Bangala, zu erreichen, wo fie 
gerade noch früh genug eintreffen, um ihn Herrn Ward in die Arme zu 
legen, und wo er jeinen lebten Athemzug thut, gerade als die Vorhut 
rajchen, eilenden Schrittes durdy den Wald und auf dem Fluſſe vom 
Albert -Njanja daherfommt und in Banalja anlangt mit der Frage: 
„Bo iſt Jameſon?“ 


Aug. 1888.) Die traurige Geihichte der Nachhut. 487 


Achtundzwanzig Tage nad) dem tragiichen Tode des Majors und 
dreiundzwanzig Tage nad) der Abreife Jameſon's ericheint die Vor— 
hut, stark geihwächt an Zahl und fo zerrijien an Kleidung, daß fie 
für am Wege aufgelejene Heiden gehalten und von ihren alten 
Kameraden nicht wiedererfannt werden, auf der Rückkehr vom Albert: 
Nianja in Banalja, um zum erjten mal die traurige Gejchichte der 
Nachhut zu erfahren. 

Die Fülle von Elend, welches man uns erzählte, wurde nod) 
erhöht durch den Jammer, den wir jahen. Die Schredniffe, deren 
Zeugen wir in dieſem fürchterlichen Peſtloche waren, vermag die 
Feder nicht in ihrem ganzen Umfang zu jchildern noch der Mund zu 
‚erzählen. Die jchmachvolle Geijel der Barbaren war auf den Ge- 
fichtern von vielen der gräßlich ausjchenden menjchlichen Wejen zu 
erkennen, die, entjtellt, aufgeichwollen, verjtümmelt und mit Narben 
bededt, von Neugier getrieben herbeiftrömten, um uns zu hören und 
zu jehen, ung, die wir aus dem Waldlande im Oſten gekommen wa— 
ven und uns um den Schreden nicht fümmerten, den der in ihnen 
verförperte Tod einflößte. Es waren noch jechs Leichen unbeerdigt, 
und zu Dutzenden jahen wir die Lebenden mit Eiterbeulen vor uns. 
Andere waren infolge von Dysenterie und Anämie zu dünner Haut umd 
vorjtehenden Knochen abgemagert, noch andere, mit Gejchwüren jo groß 
wie eine Untertaffe, frochen herbei und riefen uns mit hohler Stimme 
ihr jchredliches Willtommen zu, Willfommen auf diefem Kirchhofe! 
Schwach, erihöpft und ermattet an Körper und Geift, wußte ich kaum, 
wie ich die eriten Stunden ertragen habe, die unaufhörliche Gejchichte 
des Unglüds that meinem Ohr weh, der leichenhafte Gejtanf der 
Krankheiten jchwebte in der Luft und die efelhafteiten Anblide be- 
wegten ſich und brandeten mir vor dem geblendeten Auge. Ich ver: 
nahm von Mord und Tod, von Krankheit und Sorge, von Kummer 
und Noth, und wohin ich jah, begegneten meinen Bliden die hohlen 
Augen der Sterbenden mit joldjem vertrauenden, flehenden, ich in 
weite Ferne jehnenden Ausdrud, daß ich glaubte, das Herz müſſe 
mir brechen, wenn nur ein Seufzer ertönte. Ich ſaß in den er- 
jtidenden Gefühl der tiefiten Niedergeichlagenheit eritarrt da, und 
doc; ging die marternde Geichichte in ihrer ſchrecklichen Weiſe weiter, 
aus der weiter nichts herausflang als Tod und Unglüd, Unglück und 
Tod. Hundert Gräber in Jambuja, 33 Mann im Lager zurückge— 
lafjen, um umzukommen, 10 Leichen am Wege, etiwa 40 Berionen im 
Dorfe, die im Begriff ftanden, den ichwachen Halt am Leben fahren 


488 Zwanzigſtes Kapitel. Banalja 


zu laſſen, über 20 Deſertirte und 60 in leidlichem Zuſtande gerettet! 
Und die kleine Truppe tapferer Engländer? „Barttelot's Grab iſt nur 
wenige Schritt von hier, Troup iſt als Gerippe nach Hauſe gereiſt, 
Ward wandert irgendwo umher, Jameſon hat ſich nach den Fällen 
begeben, ich weiß nicht weshalb.“ 

„Und Sie, ſind Sie der einzige, der noch übrig iſt?“ 

„Der einzige, mein Herr.“ 

Müßte ich alles erzählen, was ich an unſäglich tiefem Elend in 
Banalja ſah, ſo würde das gleichſam ein Abreißen des Verbandes 
von einem ungeheuern eiternden Geſchwür, durchzogen von blutenden 
Arterien, ſein, um es dem öffentlichen Blicke auszuſetzen, zu keinem 
weitern Zwecke in der Welt, als Grauen und Abſcheu hervorzurufen. 

In dem unbedingten Glauben, wie wir ihn hatten, an die Be— 
geijterung Barttelot’3, die Treue Jamefon’s, die kräftige Jugend und 
das mannhafte Verjprechen Ward’s, die Klugheit und Zuverläffigfeit 
Troup's und die Selbjtbeherrihung und Beitändigfeit Bonny’s trafen 
mic, diefe Enthüllungen wie eim jchwerer Schlag. Die Colonne war 
mit allen erforderlichen Dingen ‚für längere, nüßliche Arbeit jo vor— 
züglich ausgerüftet, allein die „„eylut der Gelegenheit‘ floß ungejehen 
und ungeachtet bei ihnen vorüber, und auf ihren Märjchen wurde 
daher auch die Zeit nur nutzlos vergeudet. 

Was, Barttelot! Der unermüdliche Mann mit den ewig eilen- 
den Schritten, der fröhliche junge Offizier mit feiner unerjchrodenen 
Haltung, deijen Seele fi) immer nach Ruhm jehnte. Daß ein Mann, 
der mit allen Borzügen der Natur jo verſchwenderiſch ausgeftattet tft, 
auf dieſe Weije vor der grauen Verjchlagenheit an den Stanley: Fällen 
das Knie beugte! Es iſt für mich ein vollftändig unlösbares Räthjel. 
Ich würde eine Wette eingegangen jein, daß er cher Tippu-Tib an dem 
langen grauen Bart ergriffen und ihm die Zähne ausgeichlagen haben 
würde, jelbit in der Gegenwart jeiner Krieger, als daß er gejtattet 
hätte, ihn einmal über das andere zum beften zu halten. Seine feu= 
rige Heftigfeit bei dem Berjprechen, er werde nicht einen Tag über 
die feitgefeßte Zeit warten, klingt mir noch jet in den Ohren, ich 
fühle feinen fräftigen Händedrud, jehe feine refoluten Züge und er 
innere mich an mein feſtes Vertrauen zu ihm. 

Man jagt: „Stille Waſſer find tief.“ Nun, Jamejon war ſolch 
ein ftiller, geduldiger und nichtsdejtoweniger entichloffener Mann, ſo— 
daß wir ihm jämmtlich eine gewiſſe Größe zufchrieben. Er hatte 
1000 Bid. St. bezahlt und Fleiß und Eifer im Dienfte gelobt für 


Aug. 1888.) Die traurige Geichichte der Nachhut. 489 


das Privilegium, als Mitglied der Expedition aufgenommen zu werden. 
Er hatte eine Leidenſchaft für Naturwiſſenſchaften und beſaß eine be— 
ſondere Vorliebe für Ornithologie und Entomologie. Nach Barttelot 
war „ſeine Behendigkeit, Tüchtigkeit und Bereitwilligkeit bei der Arbeit 
unbegrenzt“, was ich ohne Zögern unterſchreibe. Was ſonſt noch in 
ihm ſteckte, erſieht man am beſten aus ſeinem Briefe vom 12. Auguſt 
und ſeinen Journaleintragungen. Sein Eifer und ſeine Thätigkeit 
wachſen zu Verſprechungen heran, und ſchließlich beſiegelt er, wie wir 
leſen, ſeine Hingabe damit, daß er aus ſeiner Taſche 10000 Pfd. St. 
zu zahlen ſich erbietet, ſowie mit ſeiner unglücklichen Kanoefahrt, die 
er Tag und Nacht fortſetzt, bis er in Bangala auf ſein Lager ge— 
tragen wird, um zu ſterben. 

Zugegeben, daß Tippu-Tib gegen dieſe jungen Herren während 
ihrer häufigen Bejuche an den Stanley-Fällen freundlich war, daß er 
ſie willfommen hieß, mit dem Beſten unterhielt und, wie es geichehen 
it, mit Laften von Reis und Heerden von Ziegen nad) Jambuja 
zurückſchickte. Aber jeine natürliche Herrichjucht, feine Unkenntniß der 
Geographie, jeine barbarifche Ueberhebung, feine zunehmende Gleich» 
gültigkeit und feine wachlende Habjucht erwieſen fid) als unüberſteig— 
liche Hinderniffe für die Verwirklichung der Pläne Barttelot’3 und 
Samejon’s und ftanden ihren Intereifen und höchſten Wünſchen ebenjo 
verderblich entgegen, wie offener Krieg dies gethan haben würde. Was 
mich wundert, it, daß die Offiziere jich nie bewußt geworden zu fein 
jcheinen, daß ihre Beſuche und reichen Gejchenfe an ihn vollitändig 
nutzlos waren, und daß der Zwed, welcher ihnen am Herzen lag, ihre 
ererbten Eigenjchaften, ihre Erziehung, ihre Gewohnheiten und Natur 
ihnen die fernere Wiederholung derjelben verboten, Aus irgendeinen 
geheimen Grunde halten fie mit äußerjter Hartnädigfeit feft an ihrem 
Bertrauen zu Tippu-Tib und zu feinen Berjprechungen von erit 
„9 Tagen”, dann „10 Tagen‘, darauf „42 Tagen‘, die ſämmtlich 
nur gegeben wurden, um wieder gebrochen zu werden. 

Allein jelbit das eifigite Herz wird fchmelzen vor Mitgefüht mit 
diefen jungen Leuten, die jo vorzeitig und troß alledem jo nahe der 
Rettung abgerufen wurden. Sie haben wader verfucht, den umwölkten 
Geiſt freizumachen und Ear zu beurtheilen, in welcher Richtung ihre 
‚Pflicht lag. Sie ſitzen an der Tafel und erörtern, was geichehen 
jollte; der Geift ftrebt zum Geift und entzündet einen Funfen der 
richtigen Sorte; der Funke tritt zu Tage, aber irgendjemand oder 
irgendetwas erjtidt ihn, während er aufbligt, und der gute Zweck geht 


4% Amwanzigites Kapitel. [Banalja 


in die Irre. Sie wollen eine Anzahl Pläne ausführen, die weitab 
von den Vorſchlägen liegen, welche ich ihnen gemacht habe, und kaum 
geboren, wird jedes Project bald darauf von einen unvorhergejehenen 
Ereigniß wieder zu Schanden gemacht. Obwol alle ohne Zweifel von 
den reiniten Motiven bejeelt find und ohne alle Frage bis zum Ende 
Toyal bleiben, jo thun fie ſich doch jelbit fortwährend nicht wieder 
gut zu machenden Schaden und bringen, ohne es zu willen, ihre 
Freunde bei der Vorhut vor Sorge bis an den Rand der Verzweiflung. 

Nachitehenden Bericht des Herrn Herbert Ward fühle ich mid) 
gezwungen zu veröffentlichen, um diefem Seren Gerechtigkeit wider: 
fahren zu laſſen: 


New Nork, Windior-Hotel, 13. Febr. 18%. 
Geehrter Herr Stanley! 


Am 14. Auguſt 1887 trafen Troup, Bonny und ich mit den Leuten und 
Lajten von Bolobo in Jambuja ein. Wir fanden, daß Tippu-Tib jeit Ihrem Ab— 
mariche am 28. Juni 1887 nichts von ſich hatte hören laſſen und der Major und 
Jameſon die Zeit dazu verwendet hatten, Heizmaterial für den Dampfer zu er- 
halten. Am nächſten Nahmittage nad unferer Anfunft griff eine Bande Manjema das 
provijoriiche Dorf an, welches der Häuptling Ngunga an der gegenüberliegenden 
Seite des Fluſſes gerade unterhalb der Stromjchnellen gebaut hatte. Bonny und 
ich fuhren in einem Kanoe hinüber, um zu erfahren, wer fie jeien, doch entfernten 
fie fich, anfcheinend jobald fie den Dampfer neben unjerm Lager liegen fahen, in 
- den Wald und fehrten nadı ihrem eigenen Lager zurüd, das nad der Erzählung 
der Eingeborenen nur wenige Stunden weiter flufaufwärts war. Am folgenden 
Tage fam der Anführer der Manjema, Namens Abdallah, mit einigen Begleitern 
zu uns und erzählte, daß Tippu-Tib feinem Worte getreu etwa 500 Mann unter 
Selim ben Mohammed in Kanves an uns abgeichidt hätte, daß dDiefelben aber auf 
viele Feindieligfeiten feitens der Eingeborenen geftohen jeien und nachdem fie 
mehrere Tage gegen den Strom gerudert hätten, ohne Spuren von unferm Lager 
zu finden, fich getrennt hätten. Selim hätte Heine Abtheilungen nad) verichiedenen 
Richtungen ausgeichidt, um unfern Aufenthalt zu entdeden. Abdallah ſtellte ſich 
uns als der Anführer eines dieſer zur Aufluchung uniers Lagers ausgejandten 
Trupps vor. Eine andere Verſion von der Beichichte von der Trennung der 500 
Mann auf der Fahrt den Arumimi hinauf bejagte, daß ihre Munition erſchöpft 
geweſen ſei und die Eingeborenen fich als zu ftarf für fie ermwiejen hätten. Ab— 
dallah erflärte, Tippu-Tib fei vollitändig bereit, die Leute zu liefern, und da die 
Stanlen-rälle nur ein paar Tagemäriche entfernt feien, jo könnten wir leicht jelbit 
hingehen und mit Tippu-Tib iprechen; er jelbit werde am nächften Tage bereit 
jein, uns zu begleiten und als Führer zu dienen. 

Der Major befahl Jameſon und mir, uns mach den Fällen zu begeben. 
Dort erzählte man uns diejelbe Geſchichte, daß Tippu-Tib uns eine große Zahl 
von Lenten zugeichidt, daß fie fih am Arnwimi getrennt hätten, weil fie nicht im 


Aug. 1888.) Die tranrige Geſchichte der Nachhut. 4491 


Stande geweſen wären, bei einigen volfreichen Dörfern vorbeizufommen, wo die 
Eingeborenen fie angegriffen und, da fie Mangel an Schießpulver gehabt, zurüdge- 
trieben hätten. Tippu-Tib behauptete jeine Bereitmwilligfeit, die Leute zu liefern, 
jagte aber, daß er einige Zeit brauche, um fie nochmals zujammenzubringen. 

Da im Lager von Jambuja mehr als 600 werthvolle Laſten gelagert, von voll- 
ftändig tüchtigen Leuten aber nur fo viel vorhanden waren, um 175 Laften zu beför- 
dern, hielten wir alle es für befler, die Laften im Lager, wo reichlich Yebensmittel für 
die Leute waren, zu bewachen, bis die von Tippu-Tib verſprochene Hilfe einträfe, 
anjtatt einen Theil der Waaren zu opfern und dreifache Märſche zu machen, da 
nad den gemachten Erfahrungen, wonach die Leute jogar aus dem Lager deier- 
tirten, wir insgefammt der Ueberzeugung waren, daß die meiften unjerer Träger 
ichon nadı den Märjchen der erften wenigen Tage davonlaufen und ſich der Horde 
arabiiher Wafuaheli- und Manjema-Räuber anichliehen würden, welche, wie wir 
gefunden hatten, das Land nad allen Richtungen durchzogen und deren freie, un— 
gebundene Lebensweile uniere Leute unzufrieden mit ihrem Loſe madte und fie 
in Verſuchung führte, von uns zu dejertiren und ihre Landsleute zu begleiten. Der 
Major, unjer Chef, war perjönlih den Sanfibariten nicht wohlgefinnt und es fehlte 
ihm an dem gehörigen Einfluß über fie. 

Tippu-Tib fuhr fort zu zaubern, nnd inzwijchen war eine große Zahl unferer 
Sanfibariten, von denen übrigens viele ſchon von Anfang an organiich leidend und 
elend waren, erfrantt und geitorben. Sie wurden ftets beichäftigt, ſodaß man die 
Urſache ihres Todes nicht der Unthätigkeit zufchreiben kann. Als Fataliſten er: 
geben fie fih ohne Widerftand in ihr Geichid, da die Bıvana Makubwa mit ihren 
Kameraden in den dunteln Wald gegangen und, wie fie beitimmt glaubten, umge: 
fommen waren. Als fte fanden, daß für fie unter feinen Umftänden Ausficht jei, 
in ihr Land zurüdfehren zu können, außer auf der todbringenden Waldronte, be- 
trachteten fie die Lage als hoffnungslos, fielen ab und ftarben. 

Wir erwarteten, daß Sie gegen Ende November nach Jambuja zurückkehren 
würden, allein die Zeit verging und wir erhielten feine Nachrichten von Ihnen. 
Wegen des traurigen Zuſtandes unferer Leute waren wir nicht im Stande, drei— 
fahe Märiche zu maden. Wir verfuchten jedes Mittel, um Tippu-Tib zu veran- 
lafjen, Leute zu ſchaffen, aber vergeblich. 

Im Februar 1888 begaben fih der Major und Jameſon wieder nad den 
Fällen, und am 24. März fehrte der Major nah Jambuja zurück. Er erzählte, 
er habe Tippu-Tib die Zahlung einer großen Geldjumme garantirt, wenn er Leute 
beichaffen wolle, daß Jameſon nadı Kaſongo gegangen jei, um die Beichaffung 
der Leute zu beichleunigen, und daß das Comite feiner Anficht nach von dem Zu: 
ftand der Tinge in Kenntniß gelegt werden müſſe, eritens, daß wir jeit Ihrem 
Abmariche vor neun Monaten feinerlei Nachrichten von Ihnen erhalten hätten, 
zweitens, dab Tippu-Tib mit feiner Hülfe nicht fomme und wir uns noch in Jam— 
buja befänden, unfähig zu marſchiren. Seit der Ankunft des legten Contingents 
hatten feine Dampfer das Lager bejucht. 

Es jchien uns, daß offenbar Umstände Sie verhindert hatten, fich nadı Ihrem 
Abmarjche mit uns in Verbindung zu jeßen, und möglicherweije Nachrichten von 
Ihren Bewegungen die Oſtküſte erreicht haben fünnten. 

Da es möglich Ichien, Loanda zu erreichen, mit dem Gomite telegraphiich in 
Verkehr zu treten umd nach Jambuja zurückzukehren bis zu der Zeit, wo ame: 
fon von Kafongo erwartet wurde, jo befahl mir der Major, ein von ihm jelbit 


492 Zwanzigſtes Kapitel. [Banalja 


aufgejeptes und unterzeichnetes Telegramm weiier zu befördern und abzuienden. 
Ich legte die Reife in 30 Tagen zurüd und eilte jofort nad; Empfang der Ant- 
wort (der Paſſus „Wir verweifen Sie auf die Anftructionen des Herrn Stanley 
bom 24, Juni” war genau das, was Troup und ich vor meiner Abreife erwartet 
hatten) bis hinauf nach Bangala, wo ich die Anweiſung von dem Major erhielt, 
dort zu bleiben, bis ich weitere Nachrichten vom Comité erhielte, dem er gejchrieben 
habe, daß er feine weitere Berwendung für meine Dienfte oder die mit dem 
„Stanley“ flußabwärts geichidten Laften Habe. Ich zögere nicht Ihnen zu erflären, 
da der Major diefes Arrangement aus Vorurtheil gegen mich getroffen hat. 

Fünf Wochen nad) meiner Ankunft in Bangala fam mit dem „En Avant‘ 
die Nachricht herab, der Major jei ermordet worden. Jameſon, der ſich bei den 
Fällen befand und die Beitrafung des Mörders ſowie die Reorganiiation des Ma- 
njema-Contingents betrieb, jchrieb mir, ich jolle ın Bangala bleiben. Pa er in 
Kanves von den Fällen herabgefahren war, befand er fich im legten Stadium des 
Gallenfiebers und ftarb ungeachtet aller Sorge und Aufmerkſamkeit am nädjiten 
Morgen. Er war nad) Bangala gelommen, um die Antwort des Eomite auf das 
Telegramm des Majors zu erfahren und die Bangala-Lajten und mich mit dem 
Dampfer hinaufzubringen, der nad) der Berficherung des Staatsbeamten an 
den Fällen auf dem Wege nach dort gerade ungefähr in Bangala jein würde, wenn 
er dort anfäme. Die Nachricht bezüglich des Dampfers war falich, und am erjten 
Tage feiner Kanoefahrt zog er jih eine ſchlimme Erfältung zu, welche jeinen Tod 
am Gallenfieber zur Folge hatte. Da für mich feine Ausficht vorhanden war, 
mich Bonny anzufchließen, weil während der nächſten Monate fein Dampfer die 
Fälle befuchen follte, fo begab ich mich nach der Ktüfte, um das Comite bon dem 
Tode Jameſon's und der Lage der Dinge, wie leßterer fie mir vor jeinem Sterben 
mitgetheilt hatte, in Kenntniß zu jegen. Das Comite telegraphirte mir den Be- 
fehl, nach den Fällen zurüdzufehren, die noch vorhandenen Vorräthe der Station 
des Kongoftaates auszuhändigen und Bonny und die Leute zur Einichiffung ſtrom— 
abwärts zu bringen. Bei meinem Eintreffen am Stanley-Pool fand ich, daß gerade 
die Nachricht von Fhrer Ankunft in Banalja und Rückkehr zu Emin Paſcha ein- 
getroffen war. Ach ſetzte jedoch die Reife nach den Fällen fort und nahm alle 
Laſten mit hinauf, welche der Major nadı Bangala hinabgeichidt hatte. Ich blieb 
einen Monat an den Fällen und hoffte dringend, weitere Nachrichten von Ihnen 
zu erhalten. 

Nachdem ich alles verfammelt hatte, was von den durch den Major an Tippus 
Tib überwiejenen Kranken da war, fuhr ich mit Kanoes wieder den Kongo hinab 
und fehrte auf telegraphiiche Anweifung des Comité nadı Europa zurüd. 

Das iſt die einfache, wahre Schilderung der Thatjadhen über den Miser- 
folg der Nachhut.3 

Kein Menſch fann ſich über den unglüdlihen Ausgang der Sache bitterer 
enttäufcht fühlen als ih. Ich bedauere aufs tiefite, daß meine Dienfte jo nuplos 
gewejen find. 


Sch verbleibe ftets Ahr ergebener 
Herbert Ward. 
Herrn Henry M. Stanley. 


ug. 1888.) Die traurige Geihichte der Nachhut. 493 


Herr Ward theilte mir mit, daß er meine acht stiften mit 
Nejervekleidern und jonftigen Bedürfnifjen für die Expedition in Ban- 
gala entdedt und mit ficd) nach den Stanley-Fällen — 800 km ober- 
Halb Bangala — genommen und dann nad) Banana Point an der 
Meeresfüjte gebracht, wo er alles zurüdgelajjen habe. Obgleich die 
eifrigften Nachforichungen angeftellt worden find, hat doch niemand 
erfahren, was weiter damit geworden it. 


Anhang. 


Major Barttelot’s letster Bericht über die Ereiguiffe in Jambuja. 


Geeh Lager bei Jambuja, 4. Juni 1888. 
eehrter Herr! 


Ich habe die Ehre, Ihnen zu melden, daß wir im Begriff ſtehen, 
den Vormarſch anzutreten, wenn auch in weit geringerer Zahl, als 
ich urſprünglich beabſichtigt hatte. Tippu-Tib hat uns endlich, wenn 
auch mit großem Widerſtreben, 400 Mann gegeben. Ferner habe ich von 
einem andern Araber, Namens Muini Somai, 30 weitere Träger erhalten. 
Wir werden nicht vor dem 9. Juni marſchiren; unſere Truppe wird dann 
folgendermaßen zuſammengeſetzt ſein: 22 Sudaneſen mit 22 gezogenen 
Gewehren; 110 Sanfibariten mit 110 gezogenen Gewehren und 90 Laften; 
403 Manjena mit 300 Musfeten und 380 Lajten. Die Offiziere, welche 
den Marih mitmachen, jind: Major Barttelot, Berehlahaber; J. ©. 
Jameſon, Nächjtcommandirender; W. Bonny; Scheich Muini Somai, 
Befehlshaber der Manjena-Truppe. 

Scheich Muini Somai ift ein Araber aus Kibonge, der fidh frei- 
willig erboten hat, die Erpedition unter meiner Führung als Befehlshaber 
des Eingeborenencontingents zu begleiten. 

Am 8. Mat traf der belgiſche Dampfer „A. 1. A.“ mit Herrn van 
Nterdhoven, dem Berchlshaber von Bangala, hier ein und brachte die aus 
30 Sanfibariten und 4 Sudanejen bejtehende Escorte Mr. Ward's mit. 
Ein Sudaneje liegt in Bangala im Sterben. 

11. Mai. Sie haben uns verfaflen, um nad den Stanley: Fällen 
zu gehen. 

14. Mai. Ih habe über Land die Reiſe nach den Stanley Fällen 
angetreten und den Dampfer bei Jallajula am Kongo erreicht. Am 22. Mai 
jegte ich mit den Belgiern die Reiſe nach den Fällen fort. 

Jameſon und Tippu-Tib find mit 400 Mann von Kaſongo zurüdgefehrt. 

Jameſon hat Ihnen aus Kajongo über die dortigen Verhandlungen 
geichrieben. Wie er mir bei feiner Ankunft mittheilte, hat Tippu=Tib 
ihm 800 Mann veriprochen, aber fein jchriftliches Uebereinfommen mit 
ihn treffen wollen. 


Anhang. 495 


23. Mai. Ach hatte eine Unterredung mit Tippu-Tib. Er erklärte 
mir im Laufe derjelben, daß er mir nur 400 Mann überlafjen könnte, 
von denen 300 Lajten von 40 und 100 Laften von 20 Pfund tragen 
jollten, Er jagte, die Lente jeien zur Stelle und zum Wufbruche bereit, 
jobald ich nur meine Lajten fertig hätte. Ich machte ihn auf das Ver— 
iprechen aufmerkſam, welches er Jamejon in Kajongo gegeben hatte, allein 
er behauptete, e3 jei nie von 800, jondern nur von 400 Mann die Rede 
gewejen; es jei ihm ganz unmöglich, uns mehr Leute zu geben, da es 
ihm jelbjt in Kaſongo und Njangwe daran fehle, weil er augenblidlic) 
an jo vielen Kriegen betheiligt jei, daß er das Land volljtändig entblößt 
habe. Ach war gezwungen ihm nacdzugeben, hoffte aber, daß e3 mir 
gelingen würde, weitere hundert Mann oder mehr in oder um Jambuja 
zufammenzubringen. 


Tippu fragte mich dann, ob ich einen Hauptmann brauche, und be- 
hauptete, da; Mr. Stanley in dem frühern Abkommen gejagt habe, daß 
wenn ein joldher Hauptmann mitgenommen werde, er aud Bezahlung 
erhalten werde. Ach erwiderte: „Gewiß brauche ich einen Hauptmann.‘ 
Darauf jtellte er mich dem Araber Muini Somai vor, der ſich jofort zum 
Mitgehen bereit erklärte; die Bedingungen, welche ich mit ihm verabredete, 
jende ich Ihnen mit. 

Am 30. Mai kehrte ich nach dem Lager von Jambuja zurüd. Am 
4. Juni trafen die Dampfer „Stanley“ und „A. I. A.“ ein, von denen 
der erjtere belgiſche Offiziere für die Station an den Fällen, der legtere 
Tippu-Tib jelbjt mitbradhte. Am 5. Juni hatte ich nochmals mit Tippu- 
Tib eine Unterredung, bei welcher ich ihn fragte, wo die bereits gejchidten 
250 Mann jeien. Er erwiderte, daß diejelben jich zerjtreut hätten; er 
habe verjucht, jie wieder zu jammeln, doch hätten jie infolge der von den 
Dejerteuren verbreiteten ungünftigen Berichte ſich geweigert mitzugehen, 
und da fie jeine Unterthanen und feine Sklaven jeien, jo könne er fie 
nicht zwingen. Dies jei der Grund, weshalb er 400 volljtändig friſche 
Leute aus Kajongo für uns mitgebracht hätte. 

Jedoch jagte Tippu-Tib, daß er mir wertere 30 von Muini Somai's 
Leuten überlafjen könne, und da es mir jo fürchterlih an Leuten mangelt, 
jo erflärte ih mich damit einverjtanden. 

Muini Somai jcheint ein williger Mann und ganz bereit zu jein, 
das Mögliche zu leiften. Er hat ſich freiwillig zum Mitgehen erboten. 
Hoffentlich werden Sie jeine Bezahlung nicht für zu hoch halten, dod) 
wird uns damit eine ungeheuere Sorge wegen der Leute und der Sicher: 
heit der Waaren abgenommen, da er fir die Manjema und die von ihnen 
getragenen Laſten verantwortlich ift und deshalb den weißen Offizieren 
eine Menge Arbeit und Aufmerkſamkeit erjpart, die fie jept andern Dingen 
zuwenden können, 

Die Laften, welche wir nicht mitnehmen, jollen nad) Bangala ge- 
Ihicdt werden. Sie werden am 8. Juni mit dem „A. I. A.” oder dem 
„Stanley“ verladen werden gegen eine von Herrn van Kterdhoven aus: 
gejtellte Empfangsbeicheinigung, welche mit B. bezeichnet und Ihnen mit 
einen Inftructionsjchreiben für ihn und Herrn Ward zugejchidt iſt. Viel— 
leicht würden Sie die Freundlichkeit haben, Verfügung wegen der Laſten 


496 Anhang. 


und der im März für den Transport Ward's angelauften beiden Kanes, 
ſowie wegen der von Herrn Ward jelbft für die Erpedition bejorgten 
Vorräthe zu treffen, da es fo gut wie gewiß ift, daß ich auf diefem Wege 
nicht zurüdfehren und deshalb fie und ihm nicht weiter gebrauchen werde. 
Herr Troup, welcher fi in einem Zuſtande fürchterlicher Schwäche be- 
findet umd innerlich frank ift, kehrt auf feinen eigenen Wunſch nach Europa 
zurüd. Die Beicheinigung des Herrn Bonny über jeine Untauglichkeit, 
fein Geſuch, bezeichnet mit E., ſowie Briefe an Heren Fontaine bezüglich 
der Ueberfahrt u. ſ. w., bezeichnet mit F., lege ich bei. Ach habe ihm 
auf Koften der Erpedition freie Fahrt nach Europa gegeben, da ich ficher 
bin, daß dies Ihren und den Wünfchen des Comité entipriht. Auch den 
Dolmeticher Aſſad Farran ſende ich nad Haufe; er war und ift voll: 
ftändig nuplos für mid. Seine Gefundheit iſt nicht gut, und wenn id) 
ihn mitnähme, würde ich ihn jchon nach wenigen Tagemärjchen entweder 
tragen oder zurüdlaflen müſſen, da es mir fürchterlich an Trägern mangelt. 
Ich habe ihn daher mit einem Hmwiichendedsfahrbillet nah Kairo zu 
Ihiden gewagt und bezüglich jeiner an den Generalconſul dajelbit ge- 
jchrieben, dem ich aud eine Abjchrift des Abkommens zwiſchen Aſſad 
Farran und mir über feine Heimreije, ſowie die Papiere des Dolmetichers 
Ulerander Hadad, der am 24. Juni 1887 geftorben ift, gejandt habe. 
Beide Schreiben find mit G. bezeichnet. Da beide Dolmetiher, als fie 
fih im Februar 1887 zur Begleitung der Expedition bereit erklärten, 
feine Bereinbarung über Gehalt, Dienftzeit u. ſ. w. abgeſchloſſen haben, 
find Sie vielleicht jo freundlid, den betreffenden Behörden darüber Mit- 
theilungen zu machen. Bei den engliihen Truppen in Aegypten würden 
fie nicht mehr als 6 Pfd. St. monatlid und ihre Nationen erhalten haben, 
da beide als Dolmetijher von nur jehr geringem Werthe waren. 

Ein judanefischer Soldat, der ein krankes Bein hat, geht ebenfalls 
mit flußabwärts. Außerdem find nod 4 weitere Sudanejen und 29 Sanfi- 
bariten nicht im Stande, den Marſch mit uns anzutreten. Tippu-Tib hat 
ſich freundlichſt bereit erflärt, diefe Leute auf dem beiten Wege nach San: 
fibar zu befördern. Ich werde eine vollitändige Lifte derjelben, ihres Lohnes 
u. ſ. w. an den Conſul in Sanfibar jhiden, und Habe ihn gebeten, Die 
Sudanejen nah Aegypten weiter zu jenden. 

Meine Abfichten beim Verlaſſen des Lagers gehen dahin, joviel wie 
möglich diejelbe Route zu verfolgen, die Mr. Stanley eingeichlagen bat. 
Sollte ich Tängs des Weges Feine Nachrichten von ihm erhalten, dann 
werde ich bis nad Kavalli marjchiren und darauf, falls ich auch dort 
noch nichts von ihm höre, nach Kibiro gehen. Wenn ich in Kavalli oder 
Kibiro jeinen Aufenthalt erfahre, werde ich mich bemühen, ihn zu er- 
reichen, gleichviel wie weit entfernt er fein mag. Sollte er ih in 
Schwierigkeiten befinden, jo werde ich mein Meußerjtes thun, um ihn zu 
befreien. Falls ich weder in Kavalli noch in Kibiro Nachrichten von ihm 
zu erhalten vermag, werde ich nad) Wadelai gehen, um von Emin Paſcha, 
wenn derjelbe noch dort fein jollte, zu erfahren, ob er irgendwelche Nadı- 
rihten von Mr. Stanley hat, ſowie auch, was jeine eigenen Abfichten 
bezüglich des Bleibens oder Sehens find. Wenn möglich werde ih ihn 
überreden, mit mir zu fommen und mid) erforderlichenfalls bei der Auf: 


Anhang. » 497 


fuhung Stanley’s zu unterjtügen. Sollte e8 aus irgendwelchen Gründen 
nicht nothiwendig fein, noch weiter nad) Mr. Stanley zu forichen, jo werde 
- ih mich und meine Colonne Emin zur Verfügung ftellen, um ihm als 
Escorte zu dienen auf jeder am praftifchiten erjcheinenden Route, folange 
diejelbe nicht durd Uganda führt, weil die Manjema mich dort verlaffen 
würden, da ih Tippu-Tib verjprodhen habe, fie nicht nad Uganda zu 
führen, jondern fie nad; Erreihung meines Zweds auf dem kürzeften 
und fchnellften Wege nad ihrem Lande zurüdzubringen oder durch einen 
weißen Offizier begleiten zu laffen. Alles dies unter der Vorausſetzung, 
dag Emin Paſcha fih noch in Wadelai befindet und gewillt ift, es zu 
verlaffen. Vielleicht fehlt es ihm nur an Munition, um allein den Ab— 
marſch zu unternehmen, in welchem Yale ich aller Wahrjcheinlichkeit nach 
in der Lage jein würde, ihn mit derjelben zu verforgen; ich würde ihm 
dann drei Viertel meiner Sanfibar-Truppe und meine beiden Offiziere mit- 
geben und jelbjt mit den übrigen Sanfibariten die Manjema auf dem 
fürzeften Wege, nämlich über den Muta-Nfige, den Tanganifa und Udjidji, 
nad) dem Lande Tippu-Tib’3 und weiter nad) der Küfte begleiten. Dies 
ift auch die Route, welche ich einjchlagen würde, falls es uns nicht gelingt, 
Stanley zu finden oder Emin Paſcha zu entjegen, wenn derjelbe nicht 
in Wadelai ift oder es nicht zu verlaffen wünſcht. 

Ich brauche Ihnen nicht zu fagen, daß wir uns die eifrigjte Mühe 
geben werden, um das Unternehmen, zu welchem wir ausziehen, zu einem 
erfolgreichen zu machen, und ich hoffe, daß mein Verhalten die Billigung 
des Comité finden und daß lehteres jegliche Beurtheilung meiner Hand- 
(ungen, in der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, aufichieben möge, 
bis ich oder Jameſon nad) Haufe zurückgekehrt find. 

Es find über Mr. Stanley ftet3 Gerüchte im Umlauf, die aber jelten 
richtig find. Ich kann nichts von ihm erfahren, obwol ich mir in diefer 
Beziehung die allergrößte Mühe gegeben habe. Nacd; meiner beften Ueber- 
zeugung fowie nad Meinung der Araber hier und in Rafongo ift er nicht 
todt. ch bin gezwungen gewejen, Mr. Stanley's Kiſten zu öffnen, da ich. 
alle jeine Sachen nicht befördern kann, und ich fein anderes Mittel hatte, 
um den Inhalt feitzuftellen. Es find ihm auch zwei Kiften Madeirawein 
geſchickt worden; die eine jende ich zurüd, die andere habe ich zur Hälfte 
an Troup gegeben und den Heft nehmen wir al3 medicinische Stärkung 
mit. Was Tippu-Tib betrifft, jo habe ich weiter nichts zu jagen, als 
daß er uns jein Wort gebrochen hat; auf den Grund feiner ungehörigen 
Bögerung bei der Bejorgung von Leuten, fowie der geringen Zahl von 
Trägern fann ich nur aus den naheliegenden Ereigniffen und Verhält— 
niſſen jchließen. 

Sch halte es für meine dringende Pflicht, unfer Unternehmen fort- 
zujegen, und werde in diejer Anficht jowol durch Herren Jameſon, wie 
durh Herrn Bonny vollftändig bejtärkt. Noch länger zu warten, würde 
ebenjo nutzlos wie ftrafbar fein, da Tippu-Tib nicht die entferntefte Ab— 
ficht hat, uns noch weiter zu helfen, während der Rückzug feig und, wie 
ih mit Sicherheit annehme, vollftändig gegen Ihre und die Wünjche des 
Eomite jein würde. 

Nach meiner Berechnung werde ich 3 bis 4 Monate brauchen, um 

Stanlen, Im dunfelften Afrika. I. 32 


498 Anhang. 


die Seen zu erreichen, und weitere 7 oder 8, um an die Küſte zu 
gelangen. 

Sollten Sie der Anficht jein und das Comite Ahnen beipflichten, 
daß der Betrag für Muini Somai zu hoch ift, und Sie ihn deshalb 
nicht bezahlen oder mir vielleiht nur einen Theil der Summe zu dieſem 
Zwede zur Verfügung ftellen wollen, jo find Herr Jamejon und ich voll: 
jtändig bereit, den ganzen Betrag oder den verbleibenden Reft zu tragen, 
da Muini nur zu unferm Bortheil mitgeht, obwol man natürlich nicht 
vergejlen darf, daß unſer Zweck dahin geht, unfern Beitimmungsort mit 
jo vielen Laſten wie möglich zu erreichen, und unjere individuelle Autorität 
über die Manjema ohne äußere Hülfe gleich Null fein würde. Sollten 
Sie einverjtanden fein und mir den Betrag zur Verfügung ftellen, jo 
bitte ih Sie, das Nöthige zu veranlafien, eventuell für den Theilbetrag, 
da Muini bereits einen Vorſchuß an Pulver, Stoffen, Perlen und Kauris 
im Werthe von 128 Pfd. St. erhalten hat. Im Falle Sie das Geld nicht 
bewilligen oder nur einen Theil deijelben bezahlen wollen, bitte ih Sir 
Walter Barttelot, unter der Adrefje des Carlton-Club, Mittheilung zu 
machen. ch bemerfe dies, weil der Betrag nothiwendig zur Stelle jein 
muß, wenn wir ihn gebrauden, da die Araber und Orientalen es bei 
Geldgeichäften höcht genau nehmen. 

Mit großem Vergnügen bemerfe id), daß ich bei allen Beamten des 
Freiſtaates, mit denen ich in Berührung gekommen bin oder von denen 
ih mir Hülfe erbeten habe, ein jehr bereitwilliges Entgegenfommen ge: . 
funden habe, was mic aufs höchjte befriedigt hat; insbejondere möchte 
id; die Befehlshaber von Bangala, Kapitän van Kerdhoven, und von 
Stanley-Pool, Lieutenant Liebrechts, erwähnen, welche hoffentlich die ver- 
diente Belohnung und Anerkennung erhalten werden. 

6. Juni. Heute Morgen ließ Tippu-Tib mich rufen und fragte, ob 
ich glaube, daß er jein Geld für die Leute befommen werde. Ach er- 
widerte, ich fünne ihm in diefer Beziehung feine Sicherheit geben. Darauf 
fagte er, er müſſe eine Garantie haben, die ih und Jameſon ihm dann 
auch gegeben haben; die Bedingungen und den Garantiefchein lege ich bei. 
Die jämmtlihen Empfangsbeicheinigungen, Contracte u. ſ. w., welche 
zwischen Arabern und mir abgeichlofien und von ihnen unterzeichnet find, 
habe ih an Mr. Holmmood gejandt, während Sie die Abjchriften der- 
jelben erhalten. 

8. Juni, Heute Morgen ließ ich die Laften für die Leute Tippu— 
Tib's und Muini Somai's aufitapeln und Tippu-Tib kam ſelbſt herbei, 
um jich diefelben vor der Verabfolgung anzufehen. Er hatte jedod Aus: 
jtellungen an denfelben zu machen und behauptete, die Lajten, deren 
jchwerjte 20 kg wog, jeien zu Schwer, feine Leute könnten fie nicht tragen. 
Zwei Tage vorher hatte er bei ganz denielben Lajten, die er heute ab- 
lehnte, das Gewicht gebilligt. Sch wies darauf hin, daß er ebenfo gut 
wie ich die Schwierigkeit kenne, eine Traglaft anders als in einen Ballen 
zu paden, jowie das Gewicht genau zu treffen, und daß die Laften, welche 
jeine eigenen Leute trügen, das vorgejchriebene Gewicht von 27 kg bei 
weiten überjtiegen. Wir hatten morgen aufbrechen wollen; jeßt werden 
wir nicht vor dem 11. oder 12. Juni abmarichiren können, da ich alle 


Anhang. 499 


feine Laften genau auf das Gewicht von 40 Pfund zu bringen beabfichtige. 
Das iſt zum Theil unfere eigene Schuld, da wir genauer hätten verfahren 
jollen, um das richtige Gewicht zu befommen. Im Durchſchnitt betrug 
das Lebergewicht etwa 2 Pfund, doc blieben manche Laften auch um 
2 Pfund unter dem feitgefegten Satze. Es ift jedoch nicht das Gewicht 
der Laften, welches er verwirft, in Wirklichkeit möchte er mit der ganzen 
Geſchichte nichts zu thun haben. Er iſt zu dem Unternehmen durch Die 
von Mr. Holmwood empfangenen Briefe gegen feinen und noch mehr gegen 
den Willen feiner arabiichen Genoſſen fat gezwungen worden, und das 
Geſchäft hat in ihm, der vom höchſten Streben und Ehrgeiz erfüllt ift, 
einen gründlichen Widerwillen hervorgerufen, den jelbit jeine angebliche 
Freundichaft für Stanley nicht zu befiegen vermag. Die Behandlung, 
die er ung an diefem Morgen zutheil werden ließ, hat dies deutlich ge- 
zeigt. Sollte er indeß nicht feinem Gontracte gemäß handeln, jo wird 
dies hoffentlich, wenn der Tag der Abrechnung kommt, ernjtlich berüd- 
fihtigt werden. Er hält uns augenblidlih in feiten Banden, doch wird 
das nicht immer jo bleiben. 

An unferm Wege bis etwa einen Monatsmarſch vom Albert:Njanja 
liegen viele arabiiche Niederlafjungen, doch iſt die Entfernung zwiſchen 
einigen derjelben eine jchlimme und die Bewohner find Friegeriih. Wo 
ſich nur eine Gelegenheit bietet, werde ich Träger miethen, wenn nicht 
für die ganze Zeit, jo doch jedenfalls von Station zu Station, denn 
jelbftverjtändlih muß auf Todesfälle, Krankheiten und Defertion Rüdficht 
genommen werden und ich muß meine Lajten möglichit unberührt nad) 
ihrem Bejtimmungsorte bringen. 

Dann wird Muini Somai fi als ſehr nüblich erweifen. Wir 
Icheinen für feine Dienjte einen hohen Preis bezahlt zu haben, allein er 
ift ein großer Araber und im Berhältniß zu feiner Größe fteht auch jein 
Einfluß auf die Manjema, um fie zufammenzubalten und an Dejertionen, 
Diebtählen u. ſ. mw. zu verhindern. Ein unbedeutenderer Araber würde 
billiger gewejen jein, aber bderjelbe würde auch weniger Einfluß gehabt 
haben und die Zahl unjerer Laſten würde allmählich geringer geworden 
fein, und da Laften Geſundheit, Leben und Erfolg bedeuten, jo kann der 
bezahlte Preis nicht als zu hoch erachtet werden, Wir tragen leichte 
Laften und beabjichtigen, anfänglich jehr bequeme Märjche zu machen und 
erjt daun raſcher vorzudringen, wenn wir das offene Land in der Nähe 
von Uganda erreicht haben. 

Wir wogen ſämmtliche Lajten vor den Augen eines Aufſehers von 
Tippu-Tib, der mehrere derjelben, die am Morgen abgelehnt waren, durch- 
paffiren ließ, ein vollgültiger Beweis dafür, daß Tippu-Tib aus irgend: 
welchen Gründen uns hier aufzuhalten wünscht, wenn ich auch nicht jagen 
fann, zu weldem Zwecke. 

9. Juni. Wir werden bequem im Stande jein, am 11. aufzubrechen, 
leider muß ich aber bemerken, daß unjer Berluft an Munition durd die 
Erleichterung der Laſten — denn die Araber hatten ihr Augenmerk haupt: 
fählih auf Munition gerichtet — ein ziemlich bedeutender ift. 

Spwol der „A. J. A.“, als auch der „Stanley“ find heute Morgen 
nah den Stanley- Fällen abgefahren, doch find Tippu-Tib und fein bel- 


32* 


500 Anhang. 


gifcher Secretär, jowie vier Schiffszimmerleute zurüdgeblieben, welche 
Kapitän van Gele und Herr van Kerdhoven uns zur Verfügung geftellt 
haben. Die Belgier haben mit jehr großer Liebenswürdigkeit gegen uns 
gehandelt und uns außerordentlih auf unferm Wege weiter geholfen. 

Ehe ich ſchließe, möchte ich noch Hinzufügen, daß die Dienfte des 
Herrn J. S. Jamejon für mid von unſchätzbarem Werthe gewejen find, 
no jest find und fein werden. Während feiner ganzen Dienftzeit bei 
mir habe ich noch nie ein Wort der Beichwerde von ihm gehört. Seine 
Behendigfeit, Tüchtigfeit und Bereitwilligfeit bei der Arbeit find unbegrenzt, 
während jein Frohfinn und fein freundlicher Charakter ihn Allen theuer 
gemacht haben, Ich habe Ward Weilungen ertheilt für den Fall, daß Sie 
mir irgendein Telegramm jchiden follten, und Tippu-Tib hat mir ver- 
Iproden, wenn es nöthig ſein jollte, mir einen Boten nachzufenden, 
vorausgejeßt, daß ich nicht Schon über einen Monat auf dem Marſche bin. 

Tippu-Tib wartet hier, um mich aufbrechen zu jehen. 

Ich melde Khnen meinen Abmarſch telegraphiih und werde mich 
bemühen, Ihnen, fobald ſich eine Gelegenheit bietet, durch den Freiftaat 
Nahricht zu geben. Es würde mich indeß keineswegs überrajchen, wenn 
die Kongo-Route jpäter blofirt fein jollte. 

Eine Abjchrift des Briefes von Mr. Holmwood habe ich Ihnen nicht 
gejandt, weil das Schreiben nicht officiell ift; von allen andern Briefen 
habe ich Eopien geſchickt. Ich glaube Ihnen jetzt alles mitgetheilt zu 
haben, worüber ich jchreiben Fann; über viele Dinge möchte ich mündlich 
mit Ihnen jprechen, was ohne Zweifel auch gejchehen wird, fall es mir 
geftattet jein jollte, in die Heimat zurüdzufehren. 

Unjere Munition für die Remingtongewehre ift folgende: Büchſen 128, 
Rejervepatronen pro Büchſe 279; ausgetheilte Patronen pro Büdje 
20 = 35580. 

10. Juni. Die Laften find getvogen und ausgetheilt, den Manjema- 
Leuten find Pulver und Zündhütchen verabfolgt und alles ift zum Auf— 
bruch bereit, der morgen früh erfolgen wird. Ach babe Ihnen alles mit- 
getheilt, was ich jet weiß, möchte zum Schluß aber nochmals bemerken, 
daß Tippu-Tib uns fein Wort und feinen Contract gebrochen hat. Muini 
Somai jcheint es meiner Anficht nach aber ernftlich zu meinen, und ich 
hoffe deshalb, daß alles gut gehen wird. 


Sch Habe die Ehre u. ſ.w. 
Edmund M. Barttelot, Major. 


Herren William Madıinnon, 
Präfident des Emin Paſcha-Entſatz-Comitäe. 


Anhang. 501 


Abſchrift des Tagebuches der Nachhut.“* 


11. Juni 1888. Verließen Jambuja um 7 Uhr vormittags. An— 
fänglich herrſchte einige Aufregung, es wurden Gewehre abgeſchoſſen u. ſ. w., 
doch machten wir dem bald ein Ende. Die Sanſibariten-Compagnie trat 
den Marſch an, Jameſon war bei der Vorhut, Bonny beim Centrum, - 
Major Barttelot beim Nachtrab. Das Manjema-Eontingent unter Muini 
Somai brach erft jpäter auf, holte die Sanfibar-Compagnie aber bald 
wieder ein. Um Mittag erreichte die Nachhut das Lager bei dem Batufa- 
Dorfe Sudi. Ein Kranker wurde unterwegs zurüdgelaffen, fand aber 
fpäter den Weg nach dem Lager. Alle Laften find richtig. 


Die Nahhut verließ Jambuja in folgender Stärke: 
Major Edmund M. Barttelot, Befehlshaber 
James S. Namejon, Nächſtcommandirender 
William Bonny, Befehlshaber der ee Compagnie 


Sanfibar-Compagnie . . . . . . 108 Mann 
Diene. Ar a 
Subanefifche Soldaten . . 22... 2 „ 
Somali . . . I en an ale ie 1, 
Manjema-Träger . et Or 60 


Zuſammen 568 Mann. 
’ Burüdgelegte Dijtanz etwa 8 km, 
Die Straße war ziemlich gut und führte duch Dickicht und Pflan- 
zungen; Die beften Wege find die Flüffe. 
Hauptrichtung Südoft. EM. B. 


23. Juni. Warteten im Lager auf die Ankunft einer Recognojci- 
rungsabtheilung, welche um 3 Uhr nachmittags zurüdfehrte, ohne etwas 
ausgerichtet zu haben. Major Barttelot machte fih auf, um den Weg 
zu unterjuchen, und verfolgte denjelben 8 km weit nach Nordoft. Saudi, 
der Diener des Majors Barttelot, dejertirte mit jeinem Revolver, Gürtel 
und 85 Patronen, weil der Major, der ohne Zweifel gereizt worden war, 
ihn geprügelt hatte. Infolge deſſen wurden allen Sanjibariten die Ge- 
wehre abgenommen. Major Barttelot wird ſich morgen nad) den Stanley: 
Fällen begeben, um mit Zippu-Tib wegen der Deferteure zu fprechen 
und wenn möglich neue Leute zu befommen und die Laften und Gewehre 
zurüdzuerhalten. Er wird an Jameſon ein Schreiben fchiden, daß er hierher 
fommen und jo viele Manjema wie möglich mitbringen foll, um die 
Munition und Gewehre zu tragen, fjowie die Sanfibariten nach der 
Station Abdallah Karoni's (Banalja) zu begleiten, wo diejelben auf die 
Ankunft des Majors Barttelot zu warten haben. Major Barttelot und 


* Diejes Tagebuch wird ſich anfänglich vielleicht nicht jehr lebendig lefen, bald 
aber größeres Intereſſe in Anſpruch nehmen und dem rl der unjere Sorgen 
um das Scidjal der Nachhut getheilt hat, eine lohnende Lektüre bieten. 


9. M. ©. 


502 Anhang. 


Bonny find beide der Anficht, daß dies der am beften auszuführende 
Plan ift, denn wenn die Defertionen noch viel länger dauern, wird feine 
Laft mehr übrigbleiben. Den Sanfibariten ift in jeder Weiſe die größte 
Freundlichkeit gezeigt worden und die Märſche waren allgemein kurz. 
Wetter Schön, abends Regenichauer. z z 
. M. B. 


24. Juni. Major Barttelot iſt heute Morgen mit 14 Sanſibariten 
und 3 Sudaneſen nebſt Dienern nach den Stanley-Fällen aufgebrochen. 
Der Sanſibarite Kutſchu, der davongelaufen war, als er den Befehl er— 
hielt, den Major zu begleiten, kehrte um 8 Uhr morgens zurück. Er 
wurde gefeſſelt und in den Wachtraum gebracht. 

Abſchrift der Ordres für Herrn Bonny, 23. Juni 1888. 


J. Sie übernehmen den Befehl über das Lager und bleiben, bis 
Herr Jameſon eintrifft. 

II. Sie geben beſondere Obacht auf alle Gewehre und die Munition 
der Sanſibariten. 

III. Wenn marſchirt wird, achten Sie darauf, daß alle Laſten ſowie 
Munition unter Escorte von Sudaneſen ſind. 

IV. Jeder Verſuch der Meuterei wird mit dem Tode beſtraft. 

V. Sie ſuchen fih über Ihren Aufenthaltsort zu informiren. 

VI. Sie übergeben Herrn Jameſon nach deſſen Ankunft den Befehl 
und marjchiren nicht weiter als bis zum Dorfe Abdallah » 
Karoni's (Banalja), 

Edmund M. Barttelot. 


Sie behalten den Befehl über die Sanfibariten wie bisher. 

Einen an den Poden Erkrankten Habe id) eine Strede vom Lager 
entfernen laſſen. 

Wetter jchön. W. Bonny, 3. 3. Befehlshaber. 


Schreiben von Herrn Jamejon. . 


Mein lieber Bonny! ch bin joeben hier angefommen. ch glaube, 
es iſt dies Naffur ben Saifi, wo id Kutichu und Soldaten mit Sklaven 
getroffen habe. Sie jagten mir, der Major fei vor vier Tagen nad) den 
Stanley Fällen gegangen. ch begreife nicht, wie wir uns verpafien 
fonnten. Ich babe 16 Gewehre und 2 Mann gefangen genommen, aber 
nur einen Theil von zwei Laſten zurüderhalten. Keine Arznei. Ich werde 
morgen jo früh wie möglich zu Ihrem Lager fommen. 

Der Ihrige u. ſ. w. 
%. ©. Jameson. 
Herrn W. Bonny, Befehlshaber. 


2. Juli. Brachen um 7 Uhr vormittags auf und marjdhirten bis 
Mittag. Lagerten uns in einem Dorfe Namens Miwagodi, vom Stamme 
der Baburu. Hauptrihtung Nordoft, Diftanz etwa 12 km, Weg ichlecht, 


Anhang. 503 


dur viele Sümpfe und alte Pflanzungen führend. Keine Defertionen 
unterwegs oder gejtern Abend im Lager. Fand hier einige von Tippu- 
Tib's Leuten, welche ſich bereit erklärt haben, einen Brief nad) den 
Stanley: Fällen mitzunehmen. Sie wußten einen Weg nad) dem Kongo, 
der in vier Tagmärjchen zurüdgelegt werden fünne, Der Arumwimi ift 
etwa drei Stunden von diejem Lager entfernt. Tippu-Tib’3 Leute be- 
haupten, die Station Abdallah Karoni’s jei nur drei Tagemärjche von 
hier entfernt und die Zeihen an den Bäumen jenfeit des Ortes ſeien 
ftet3 fichtbar. 
Wetter jchön. J. S. J. 


6 Uhr nachmittags. Bonny berichtet, daß zwei Sanſibariten nicht 
angekommen ſeien; beide beſaßen Gewehre und der eine war mit loſer 
Munition beladen. 


3. Juli. Kehrte nach dem Udjeli-Lager zurück, um Extralaſten zu 
holen, und kam um 1 Uhr nachmittags an. Muini Somai meldete, daß 
Briefe eingetroffen ſeien, und behauptete, daß die ganze Colonne nach 
den Stanley-Fällen zurückkehren ſolle. Erhielt zwei Briefe von Major 
Barttelot, datirt 25. Juni, dahin lautend, daß wir ſo raſch wie möglich 
nach Banalja marſchiren ſollten. Muini Somai ſagte mir, er habe die 
Nachricht in einem Briefe von Sala Sala erhalten; das Schreiben ſei 
ihm von Boten überbracht worden, und nach Empfang deſſelben habe er 
hingeſchickt, um die von dem Dorfe Naſſur ben Saifi nach hier unterwegs 
befindlichen Leute und Laſten aufzuhalten. Ich erwiderte ihm, der Befehl 
des Majors jei noch immer, nach Banalja zu gehen, worauf er Boten 
abſchickte, um den Leuten zu jagen, daß fie den Marich fortiegen follten. 
Er meldet viele Fälle von Boden und andern Krankheiten, dab etwa 
60 Mann untauglihd und 7 von feinen Leuten dejertirt ſeien. Traf 
geftern Abend die beiden als vermißt gemeldeten Leute. Beide waren 
franf und hatten in einem benachbarten Dorfe geichlafen. 

Wetter jchön. 

J. S. J. 


4. Juli. Sagte Muini Somai, mein letzter Befehl an ihn ſei, die 
geſammte Truppe ſofort zu ſammeln und mit aller Eile zu meinem Lager 
zu kommen. Er verſprach am nächſten Tage aufzubrechen. Bald nachdem 
wir den Marſch angetreten hatten, fiel der Regen in Strömen, doc) mar— 
ſchirten wir rajch weiter und erreichten gegen Mittag Mpungu. Alsdann 
flärte es jich auf und das Wetter blieb während des übrigen Tages gut. 
Heftiger Negen bis Mittag. 

Doppelte Lajten wurden bemerfenswerth gut getragen, 


5. Juli. Erreichten gegen Mittag das Lager Bonny’s bei Mkwa— 
godi. Die Sümpfe waren nad) dem Regen jehr ſchlimm. Er berichtet, 
daß während meiner Abwejenheit alles ruhig geweſen jei. Ein Sanfibarite 
ift gejtorben. Meine Briefe find am 3. ds. gegen 9 Uhr vormittags 


54 Anhang. 


nach den Stanley-Fällen abgegangen. Tippu-Tib's Leute brachten einige 
Hühner zum Verkaufe mit. 
Wetter ſchön. 3.65 


6. Juli. Mit dem Befehle, die Escorte der Sudanejen und Die 
Träger zurüdzufenden, um morgen Ertralaften zu befördern, ſchickte ich 
Bonny voraus nad) dem nächſten Dorfe, das, wie ich höre, groß und einen 
bequemen Marſch entfernt jein fol. Da dies ein jehr fleines Dorf ift 
ohne genügenden Raum für unſere Eolonne, beihloß ich jeine Ankunft im 
nädjften Orte zu erwarten. Bonny's Leute fehrten gegen 2 Uhr nad): 
mittags zurüd. Eine fudanefiihe Schildwache wurde heute Morgen durch— 
gepeiticht, weil fie in letzter Nacht auf dem Posten geſchlafen hatte. 


I © % 


7. Juli. Beförderte alle Ertralaften nad) Sipula, etwa 24km. Der 
Weg war jchleht und ging über viele geftürzte Bäume, der Maniof war 
fehr dit. Bonny meldet, daß der fanfibaritiihe Träger unjerer Proviant- 
fiite auf dem Wege zurüdgeblieben ſei und die Kite erbrochen habe. 
Der Mann wurde auf der That ertappt; e3 fehlte eine Büchje mit Pökel— 
fleifch und eine Büchſe mit Milch; eine angebrochene Büchſe mit Cacao 
war noch in der Kiſte. Der Mann erklärte fich freiwillig bereit, uns 
zu zeigen, wo die vermißten Gegenftände jeien; fandte ihn mit einigen 
Sudanejen zurüd, welche beide Büchjen geöffnet mitbradhten. Die Kifte 
Dr. Parke's fiel gejtern beim Transport Hin und fprang auf; fie ift der * 
maßen beijhädigt, daß fie nicht reparirt werden fanı, Die Kleidungs— 
ftüde verpadte ich in die Untergewicht habenden Säde der Herren Stairs 
und Nelfon; die Kugeln und Patronenkiſtchen mußte ich fortiwerfen, weil 
e3 uns an Trägern mangelt. Sammelte alle den Sanfibariten aus- 
getheilte Batronen und werde fie als Laften tragen lafjen, da ich Bonny 
nad) Banalja vorauszuichiden beabſichtige. Der Weg ift völlig ficher 
und auf dem ganzen Wege find Lebensmittel zu erhalten. Unter den 
Manjema graffiren die Boden; ich möchte gern verhindern, daß fie fich 
auch unter unjern Leuten ausbreiten. Banalja ijt vier bequeme Tage— 
märjche von hier entfernt und Bonny wird Führer haben, um ihm den 
Weg zu zeigen. Ich habe zu Muini Somai gelandt, damit derjelbe 
zu mir jtößt. 

Wetter ſchön. J. S. J. 


8. Juli. Bonny iſt von hier nach Banalja aufgebrochen und Muini 
Somai mit faſt allen Manjema hier eingetroffen. Muini Somai ſagt 
mir, er habe ein zweites Schreiben von Sala bekommen, wonach feine 
ganze Truppe nad) den Stanley-Fällen zurüdfehren jolle. Bei weiterer 
Nachfrage finde ih, daß Sala die Nahricht folgendermaßen erhalten hat: 
- Leute von Selim ben Mohammed, welche nad) der Ankunft des Dampfers 
in Jambuja von den Stanley-Fällen zurüdfehrten, haben das Gerücht 
unter den Leuten verbreitet, die es Sala’s Begleitern mitgetheilt haben. 


3.8.5. 


Anhang. 505 


9. Juli. Geftern Abend begannen wie auf ein gegebenes Zeichen 
faft alle Leute im Lager ihre Gewehre abzujhießen; mehrere Schüfje fielen 
direct neben meinem Zelte. Ach jprang aus dem Bette, fchidte nad 
Muini Somai, ergriff meine Büchſe und ſagte ihm vor fämmtlichen Leuten, 
daß ich den erjten, der in der Nähe meines Zeltes jchöffe, niederftreden 
würde. Darauf wurde nicht mehr gejchofjen. 

Heute gegen Mittag famen mehrere von Bonnh's Leuten ins Lager 
und erzählten, er habe den Weg verloren. Brad) nad) Bonny’3 Lager 
auf und traf unterwegs Boten von ihm mit einem Schreiben. Er meldet 
mir, die Führer hätten ihn gejtern vollftändig faljch geführt und feien dann 
fortgelaufen. Später gerieth er zu weit nördlich, bis in Sicht des Aru- 
wimi. Er bat fih in einem Dorfe etwa eine halbe Stunde von hier 
gelagert. Ging mit ihm den Weg entlang und fand, daß der Pfad nad 
Dften, den er verfehlt hatte, gut gekennzeichnet war. Traf gegen Duntel- 
werden wieder im Lager ein. 

Wetter ziemlich gut. Bonny meldet, daß eine Ziege vermißt wird. 


10. Juli. Brad) bald nad) Tagesanbrud auf und jchloß mid) Bonny 
an. Marjchirte an der Spige weiter auf einem Wege mit im allgemeinen 
jüdöftliher Richtung, den er, wie ich fand, gejtern auch verfolgt Hatte. 
Hatte gerade bejchloffen, nad) der Stelle zu gehen, wo er gelagert gewejen 
war, al3 Araber aus Banalja eintrafen. Der Anführer jagte mir, er 
habe die Zündhütchen von den Stanfey-Fällen nad) Banalja gebracht und 
auch vier Briefe befördert. Er übergab mir drei Dejerteure von der 
Eolonne Stanley's, Muja Wadi Kambo, Rehani Wadi Mabrufi und 
Djuma Wadi Tihandi.* Sie erklären alle drei, fie feien nicht von 
Stanley dejertirt, jondern Franf am Wege zurüdgeblieben. Sie jagen, 
fie gehören zur Compagnie Stairs'. Ach ließ die Araber uns auf den 
richtigen Weg führen, und fie brachten uns gerade nach demjelben Dorfe 
in der Nähe des Arumimi, in weldem Bonny und feine Leute vorgejtern 
geichlafen hatten und von wo fie zurüdgefehrt waren. Er lagert ſich 
dort nochmal3 und geht morgen früh weiter. Abdallah Karoni über- 
gab mir 40000 Zündhütchen, für welche an Tippu-Tib 48 Pfd. St. zu be— 
zahlen find. 

Wetter ſchön. J. S. J. 


11. Juli. Muini Somai theilte mir heute mit, er könne nicht vor 
übermorgen nach Banalja aufbrechen. Ich machte ihn darauf aufmerkſam, 
daß jeder auf dem Wege verlorene Tag ein Tag weniger Aufenthalt in 
Banalja ſei; Major Barttelot erwarte von uns, daß wir bei ſeiner An— 
kunft marſchbereit ſeien. Er hat nicht die geringſte Gewalt über die 
andern Anführer. 

Nachmittags anhaltender heftiger Regen. 3.9, 5, 


* Dieje drei Leute dejertirten von der Vorhut am oder gegen den 28. Auguft 
halbwegs zwiſchen Jambuja und dem Albert-Rjanja. me 


506 Anhang. 


12. Juli. Muini Somai bat um Zündhütchen, um fie unter feine 
Leute zu vertheilen, doch jagte ich ihm, er jolle fih an Major Barttelot 
wenden, jobald derjelbe angelommen jei. Er bradte dann eine andere 
Entjhuldigung vor, weshalb er morgen nicht aufbrechen könnte; er möchte 
nicht gern den weißen Mann zurüdlaffen, worauf ich ihm fagte, das jei 
meine und nicht feine Sade; alles, Leute und Laften, müßten morgen 
fort von diefem Ort. 

Wetter bewölkt, aber jchön. 8. SE 


13. Juli. Muini Somai und die Manjema brachen heute nad 
Banalja auf. Ein kranker Anführer geht mit einigen Leuten langjam 
weiter. Mehrere an den Boden im Sterben Tiegende Manjema find 
im Dorfe zurüdgeblieben. Der Geſtank um daffelbe ift fürchterlich, doch 
find alle Dörfer in der Nähe von hier in ähnlihem Zuftande, 

Wetter jchön. J. S. J 


14. Juli. Schickte nach den Leuten Tippu-Tib's aus Mampuja und 
ſagte ihnen, wir würden einige Tage hier bleiben. Sie haben noch keine 
Nachricht, ob Major Barttelot mit ſeinen Leuten ſchon unterwegs iſt. 

Schwerer Regen den ganzen Nachmittag. 4.63 


15. Juli, Wir warten no in Sipula auf die Rückkehr der Leute 
von Banalja, J. S. J. 


16. Juli. Tippu-Tib's Leute kamen von Mampuja und brachten 
Bananen zum Verkaufe mit. Kaufte einige für die Kranken. Begreife 
nicht die Nichtankunft der Leute von Banalja. 

J. S. J. 


17. Juli. Heute kam Njombi, Tippu-Tib's Anführer in Mampuja, 
ins Lager und meldete die Rückkehr der Leute, welche die Briefe nach 
den Stanley-Fällen gebracht haben. Er hatte Major Barttelot geſehen, 
der auf einem nähern Wege nach Banalja ging, und ſagte, der Major würde 
heute dort ſein. Noch immer kein Zeichen von den Leuten von Banalja, 
um die Extralaſten zu befördern. Sie ſind jetzt volle zwei Tage im 
Rückſtande. 

Wetter ſchön. 363. 


18. Juli. Die Leute von Banalja trafen zwiſchen 3 und 4 Uhr 
nachmittags ein. Sagte ihnen, fie follten jofort Bananen und Maniof 
jammeln, da wir morgen marſchiren wollten. Biel Murren. 

Erhielt folgendes Schreiben von Bonny: 


Abdulla's Lager (Banalja), 15. Juli 1888, 


Mein lieber Jameſon! ch traf heute Vormittag um 10 Uhr hier ein, Die 
Sanfibariten fannten den Weg nicht gut und ich mußte mich fait auf der ganzen 
Strede an der Spige halten. Wenn Sie in meinem erften Lager am Flußufer 
eintreffen, thun Sie am beften, Maniof auf drei Tage zu fammeln, da Sie drei 


Anhang. - 507 


Gefangenen führte, ließ ihn am zweiten Tage meines Marjches entipringen. Sie 
werden den entiprungenen Gefangenen vielleicht jehen. Ich habe den Sudaneſen 
in Eifen gelegt, um ihn morgen früh um 6 Uhr zu Ihnen zurüdzufchiden. (Bier 
folgt eine Lifte.) Insgefammt 23 Mann. Die uns begleitenden Manjema haben 
uns am Morgen des zweiten Tages auf einem falichen Riade verlaffen. Die richtige 
Straße war an mehrern Stellen blofirt. Ich habe unterwegs feinen Eingeborenen 
ejehen, obwohl ich überzeugt bin, daß fie ſich um die zurüdbleibenden Leute be- 
ümmern. Am vierten Tage meines Marjches dejertirte Feradji Wadi Said und 
warf jeine Lajt am Wege fort; wie ich höre, fehlt auch der franfe Selangi. Die 
Laften find richtig. 
Der Ihrige u. ſ. w. 
William Bonny. 


Wetter Ichön. 3.68% 


19. Juli. Brachen um 7 Uhr früh auf und marſchirten bis zu 
Bonny's erjtem Lager. Die Entfernung vom Aruwimi beträgt 8—9 km; 
die allgemeine Richtung ift Nordoft. Paſſirten 5 Dörfer und zwei Flüſſe. 
Der Weg war im allgemeinen gut und führte durch alte theilweis vom 
Walde unterbrohene Maniofpflanzungen. Machten halt, um die Leute 
Maniok fammeln zu Tafjen. 

Gewitterdrohend, aber jchön. J. S. J. 


20. Juli. Verließen das Lager etwas vor 7 Uhr früh und er— 
reichten Bonny's Lager am Ufer des Aruwimi um 11 Uhr. Die Ent— 
fernung beträgt zwifchen 8 und 10 km; die allgemeine Richtung war Dit. 
Der Weg war jchlecht, führte am Ufer des Fluſſes entlang und freuzte alle 
tiefen Lichtungen mit ſchlammigen Einbuchtungen des Fluffes in diejelben. 
Der letzte Theil des Marjches ging über die Standpläge ehemaliger jehr 
großer Dörfer. Die Eingeborenen lebten ſämmtlich am andern Ufer. 
Sehr große Pflanzungen von Maniof und Bananen. 

Wetter jchön. 5 


21. Juli. Als wir heute Morgen zum Aufbruch faft fertig waren, 
trat ein jchwerer Regenichauer ein, weshalb ich das Zelt ftehen ließ. Es 
flärte fich jedoch bald darauf auf, doch begann es, nachdem wir uns in Be: 
wegung gejegt hatten, nochmals zu regnen und regnete bejtändig weiter, 
bis wir das erjte Lager Bonny's im Walde erreichten, wo wir halt 
machten. Als wir nocd etwa 19 km vom Lager entfernt waren, be— 
gegneten uns Boten von Bonny, welche mir einen Brief überbradten; 
während ich ihn öffnete, hörte ich, daf einige von den Leuten jagten, Major 
Barttelot jei todt. Dies war nur allzu wahr, da der Brief die traurige 
Nachricht enthielt, daß er früh am Morgen des 19. in Banalja erichoffen 
worden jei; ferner enthielt das Schreiben die Mittheilung, daß Muini 
Somai mit allen Manjema fortgegangen jei. 


Das Schreiben Bonny’s lautete: 


19. Juli 1888. 
Mein lieber Jamejon! Major Barttelot ift heute Morgen in der Frühe er- 


En lang nichts finden. Der Sudaneje, der die Aufficht über den Sanfibar- _ 


508 Anhang. 


ichoffen worden. Die Manjema, Muini Somai und Abdallah Karoni find alle 
fort. Ich habe durdy Herrn Baert an Tippu-Tib gejchrieben. 
Eilen Sie weiter. 
ö Der Ihrige 
Bonny. 
J. S. J. 


22. Juli. Nachdem wir alle Laſten zum Aufbruch bereit gemacht 
hatten, ſetzten wir uns etwa eine Stunde nach Tagesanbruch in Bewegung 
und trafen eine Stunde vor Sonnenuntergang in Banalja ein, ein langer 
Marſch auf einem der ſchlechteſten Wege in dieſer Gegend. Fand bei der 
Ankunft, daß alles ruhig war und Bonny gethan hatte, was unter den 
Berhältniffen gethan werden konnte. Er hatte etwa 300 der von den 
Manjema getragenen Laften twiedererlangt, und es war ihm auch gelungen, 
die in der Nähe des Lagers Gebliebenen zu beruhigen. Muini Somai 
hatte am Morgen de3 19., ohne jemand ein Wort zu jagen, halt gemacht, 
und war nad den Stanley: Fällen gegangen. Die andern Anführer unter 
ihm haben, mit Ausnahme von zweien oder dreien, die im Lager außer: 
halb des Dorfes find, fih in einiger Entfernung im Bufch gelagert. 
Major Barttelot wurde am 19. beerdigt. Bonny gibt jpäter einen voll- 
ständigen Bericht über die Vorfälle bei feinem Tode, 

J. S. 3 


23. Juli. Nahmen ein Inventar der Effecten des Majors Barttelot 
auf und packten alle Artikel ein, deren Heimſendung uns nothwendig 
erſchien. Ein vollſtändiger Bericht über alles wird an Sir Walter Barttelot 
geſchickt. Boten eine Belohnung aus für die Ergreifung des Mannes, 
welcher Major Barttelot erjchofien hat, J. S. J. 


24. Juli. Stellten eine Liſte auf von allen wiedererlangten Laſten. 
Der größte Theil der Manjema-Auführer iſt ins Lager zurückgekehrt; 
von ihnen erhielten wir folgende Mittheilung: 

Es ſind noch 193 Manjema-Träger in der Nachbarſchaft gelagert; 
Muini Somai,' 6 Anführer und Sanga, der den Major Barttelot erſchoſſen 
hat, befinden ſich ſämmtlich an den Stanley Fällen. Auf meinem Marjche 
nad) den Stanley: Fällen werde ich noch mehr Anführer treffen, die mir 
Nachricht über ihre Lajten und Leute geben werden. Ich ſagte ihnen 
dann, ich wiirde morgen nad) den Stanley: Fällen gehen, um Tippu-Tib 
zu jprechen und zu verfuchen, jolche Arrangements zu treffen, daß wir 
den Marjch noch fortjeßen könnten; ich würde nicht lange fortbleiben und 
fie bei der Nüdfehr wiſſen laſſen, ob es noch weiter vorwärts ginge oder 
nicht. Ich ſagte ihnen ferner, ich wünjchte, daß fie ruhig in dem Lager, 
das fie fih in der Nachbarſchaft ausgewählt hätten, bleiben möchten, - 
aber nicht in diefem Dorfe, damit bis zu meiner Rüdfehr keine weitern 
Unruhen in Ausficht ftänden. Sie erflärten jih damit volljtändig einver- 
ftanden. Wir haben 2981, Laften wiederbefommen, und es fehlen uns 
jegt noch 47'/, Laſten. 

Hatte vor unferm Abmarjche von Jambuja dem Major Barttelot Briefe 


Anhang. 509 


übergeben, die vermißt wurden, von zwei Offizieren der Erpedition aber 
aufgefunden wurden. Hatte geglaubt, daß einer jeiner Leute (Hamed ben 
Daud), der ihm auf dem Rückwege von den Stanley Fällen dejertirt war, 
fie mitgenommen hätte, J. S.J 


Mr. Bonny's Tagebuch. 


11. Juli. Brach zeitig das Lager ab und marſchirte am Ufer des 
Aruwimi entlang. Ich entdeckte bald, weshalb Stanley dieſen Weg nicht 
eingeſchlagen hatte. Jedes Dorf war niedergebrannt und alles zerſtört. 
Elefanten ſind ſehr zahlreich hier. Machten neue Wege und zerſtörten 
die alten, jedoch kam ich nach einſtündigem Marſche an den Pfad Stanley's. 


Bm. Bonny, Befehlshaber der Vorhut. 


12. Juli. Machte einen langen Mari und nahm Maniof auf drei 
Tage mit, um den Wald paffiren zu können. Die Araber, welche zu den 
Sanfibariten gejtoßen waren, dejertirten, nachdem fie uns eine Stunde 
einen falijhen Weg geführt und den richtigen an mehrern Stellen ver: 
jperrt hatten. Fand den richtigen Weg wieder und fehte den Marſch 
bis Mittag fort. 


Wm. Bonny, Befehlshaber der Vorhut. 


15. Juli. Traf nad einem Marjche von 4 Tagen 4 Stunden von 
dem Punkte, wo ih Jameſon zulegt jah, gegen 10 Uhr vormittags in 
Banalja ein, Am 13. und 14. d3. bat ſich nichts Erwähnenswerthes 
ereignet. Abdulla, der Häuptling diejes Dorfes, behandelte mich jehr . 
freundlih, gab mir ein großes Haus, Neis, Fiihe und Bananen und 
fragte mich, ob ich Sklaven kaufen wollte. Am Lager alles ruhig. 


Wm. Bonny, Befehlshaber der Vorhut. 


16. Juli. Heute trafen einige von den Manjema Muini Somai's eit. 
Wm. Bonny, Befehlshaber der Vorhut. 


Die Bemerkungen über die Tage des 17., 18, und 19. Juli find bereits in 
dem 20. Kapitel: „Die traurige Geſchichte der Nachhut“, mitgetheilt worden. 


HM. ©. 


20. Juli. Sandte hinaus zu den Anführern, um mehr Lajten zurüd- 
zuerhalten. Es fehlen mir, wie ich finde, folgende Laften: 8 Säde Berlen, 
3%, Meifingdraht, 10 Säde Tajchentücher, 9 Ballen Sanfibar-Stoffe, 
5 Laften Pulver, 10 Säde Reis, 1 Sad Kauris, zufammen 47 Laſten. 

Der Mann, der den Major erfhoß, Heißt, wie ich entdedt Habe, 
Sanga und ift ein Anführer, der die Aufficht über 10 Laften führte. Er 
it mit Muini Somai nad) den Stanley Fällen geflohen. 


William Bonny, Befehlshaber. 


510 . Anhang. 


22. Juli. ES Hat jett ſchon jeit 36 Stunden geregnet. Jameſon 
ift heute angefommen, Im Lager alles rudig. 


William Bonny, Befehlshaber. 


25. Juli. Jameſon ift nad den Stanlcey- Fällen abgegangen und 
hat die Effecten des Majors mitgenommen. 


William Bonny, Befehlshaber. 


27. Zuli. Die Sudanefen ftellten fich heute auf, ohne den Befehl 
dazu zu haben, und wünjchten mich zu fprechen. Sie fagten: „Wir wollen 
mit den Manjema kämpfen; wir warten auf den Befehl und find zum 
Kampfe bereit.“ Sch glaube, fie ſchämen fich jebt über ihr Berhalten 
am 19., als fie mir auf meinen Ruf nicht Folge leifteten. 


William Bonny, Befehlshaber. 


Belam folgendes Schreiben von Jameſon: 


Lager im Walde, 26. Juli 1888, 

Mein lieber Bonny! Wir haben ein gutes Stüd Arbeit vollbracht, indent 
wir geitern 8 und heute 9%, Stunden marjchirt jind. 

Traf Muini Somai, der auf dem Rückwege nad; Banalja war, nachdem andere 
von den Stanley- Fällen fommende Araber ihn dazu überredet hatten. 

Muini Somai erzählte mir, daß eins von Sanga’s Weibern die Trommel 
aeichlagen habe, au der Major gefommen, nach dem Hauſe gegangen jei und 
gefragt habe: „Wer ift das?“ Sanga behauptet, er habe geglaubt, der Major 
wollte die frau jdhlagen, wie er am Tage vorher einen Mann geprügelt, und habe 
deshalb auf ihn geichoflen. Er befindet fih an den Stanley- Fällen. 

Der Ihrige 
3 ©. Jamejon, 


1. August. Ich durchforichte heute die Häufer der Sanfibariten, 
wobei ich 10 Stüde Zeug fand. 
William Bonny, Befehlshaber. 


2. Auguſt. Im Walde wurde eine leere Remingtonkiſte gefunden. 
Ein Sanfibarite wurde im Befik von 48 Taſchentüchern gefunden, die zu 
den am 19. Juli verlorenen Vorräthen gehört hatten, 


Billiam Bonny, Befehlshaber. 


6. Auguſt. Die Eingeborenen famen gejtern Abend herbei und ftahlen 
ein vor unſerm Thor und feine zwei Meter vor einer ſudaneſiſchen Schild— 
wache liegendes Kanoe. Belegte die drei ſudaneſiſchen Schildwachen wegen 
Pflichtvernachläſſigung mit einer Geldſtrafe von je 1 Pfd. St. 


William Bonny, Befehlahaber. 


Anhang. 511 


8. Auguſt. Als ich um 10 Uhr abends einen ungewöhnlichen Lärm 
hörte, ſtand ich auf und fand, daß derſelbe von etwa 100—150 Kanoes 
herrührte, die zuſammenſtießen. Die Eingeborenen waren in großen 
Scharen auf dem Fluſſe und ich ſtellte daher meine Truppen auf. Als 
die Eingeborenen unſere Bewegungen bemerkten, zogen ſie ſich flußauf— 
wärts zurück. Ein Schuß wurde nicht abgegeben. Ich will ſuchen, mich 


mit ihnen zu befreunden. 
William Bonny, Befehlshaber. 


12. Auguſt. Die Manjema überſandten mir durch den Anführer 
Sadi ein Geſchenk von 15 Pfund Fleiſch von einem Wildſchwein. Ich 
habe ſeit dem 25. Juli kein Fleiſch gehabt. 


William Bonny, Befehlshaber. 


14. Auguſt. Erhielt einen Brief von Jameſon, der ſich jetzt an 
den Stanley-Fällen befindet und mir mittheilt, daß mein Schreiben vom 
13. Juli 1888 verloren gegangen ſei. Daſſelbe war an Herrn Baert an 
den Stanley-Fällen gerichtet, kündigte Tippu-Tib den Tod des Majors 
Barttelot an und enthielt einen Brief an das Parlamentsmitglied Sir 
Walter Barttelot. Tippu-Tib hat Muini Somai's Angelegenheit unter- 
ſucht und nachdem er ihn jchuldig befunden, jeinen Contract zerrifjen. 
Muini Somai bat alle Gewehre u. j. w. zurüdzugeben. Ward ift in 
Bangala mit Briefen von dem Comite, welche Jameſon berzufchiden be— 
fohlen hat. Tippu-Tib hat fich bereit erflärt, Sanga, den Mörder des 
Majors, an Namejon auszuliefern, damit die Gerechtigkeit ihren Lauf 
erhalte. Der Beamte des Nongoftaates nimmt das Necht hierzu für fich 
in Anſpruch und wird ihn aburtheilen, da Banalja im Gebiete des Staates 
liegt. 

William Bonny, Befehlshaber. 


17. Auguft. Herr Stanley ift heute Morgen gegen 11 Uhr wohl: 
behalten, aber abgemagert, bier eingetroffen. Er fam zu Wafler mit 
etwa 30 Kanoes und in Begleitung von ungefähr 200 Mann. Einige 
derjelben jind Unterthanen Emin Paſcha's. 

Ich habe Herrn Stanley kurz die Nachrichten mitgetheilt und ihm 
11 Briefe an ihn jelbft und 4 für Emin Paſcha übergeben. 

Negen. 

W. Bonny. 


18. Auguft. Ein Manjema hat Herrn Stanley eingejtanden, daß 
er zwei Ballen Sanfibar-Stoffe bejite, und einen Mann wiſſe, der einen 
Sad Perlen habe, alles von dem mir am 19. Juli Geftohlenen. Herr 
Stanley wies den Anführer an, die Gegenftände mir zurücdzugeben. 
Kimanga brachte mir darauf zwei halbe Ballen Sanfibar-Stoffe, einen 
Theil der am 19. Juli geraubten Waaren. Ach habe ihm eine Empfangs- 
beicheinigung darüber ertheilt. Bekam heute einen Brief von Jameſon, 


512 Anhang. 


datirt vom 12. Auguft von den Stanley-Fällen. Muini Somai fam ins 
Lager und ſprach mit Herrn Stanley, 
Billiam Bonny. 


19. Auguft. Muini Somai hat nun alle Gewehre, Revolver, Muni— 
tion zurüdgegeben, außerdem eine Beltipige. 
William Bonny, 


20. Auguft. Die Sudanejen und Sanfibariten marſchirten heute 
auf eigene Beranlaffung vor Herrn Stanley auf und beflagten fi, daß 
fie fchlecht behandelt worden jeien. 


Das Schreiben Jamefon’3 lautet; 


„An den Stanley-Fällen, 12. Auguft 1888. 

Mein lieber Bonny! Die Expedition ift, wie Sie mir vermuth— 
(ih) zugeben werden, in jehr ftarfer Ebbe. Keiner von den. Anführern 
will den Befehl über die Manjema übernehmen, obwol ich alles ge- 
than habe, was in meiner Macht jteht, einen dazu zu bewegen. Tippu— 
Tib fagte, er würde gehen, wenn ihm 20000 Pfd. St. bedingungslos be- 
zahlt würden, erflärte aber zugleih, daß er wieder umfehren würde, 
wenn er eine ihm wirklich überlegene Macht träfe oder jeine Leute bon 
ernftlichen Verluften bedroht jähe. Es ift jedoch nicht wahrſcheinlich, daß 
das Eomite auf diefen Vorjchlag eingeht. Ferner jchlug er mir vor, daß 
er für die gleihe Summe die Laften über Njangwe und den Tanganika 
nad Kibiro in Unjoro bringen und erftens für jeden Verluft an Lajten 
garantiren, zweitens alle Laften innerhalb 6 Monaten vom Tage des 
Aufbruches in Kibiro in Unjoro abliefern, und drittens nad) Ablieferung 
der Laften in Kibiro nad) Stanley forſchen wolle. Wenn jedoch Krieg 
zwifchen Unjoro und Uganda ſei, fünne er die Ablieferung der Laften 
nicht garantiren. Geſtern Abend Hatte ich noch eine letzte Unterredung 
mit ihm. Ich ſagte ihm, daß Stanley's allerlegte Ordre noch gewejen 
jei, ihm auf dem von ihm eingefchlagenen Wege zu folgen. Major Barttelot 
babe vor jeinem Tode ebenfalls die Abficht gehabt, diefen Weg fortzu- 
jeßen. Major Barttelot habe an Herrn Madinnon gefchrieben, daß er 
auf diefem Wege aufgebrochen fei, und die Antwort des Comite könnte 
nicht dahin lauten, daß er eine andere Route einfchlagen jollte, da wir 
jonit Schon Nachricht erhalten hätten. Die lebten Mittheilungen Emin 
Paſcha's lauteten dahin, daß wenn er nicht bald entjeßt werde, er fich 
an die Spibe feiner Leute ftellen und den Verſuch machen wolle, über 
den Kongo fortzufommen. Emin Paſcha Habe die ihm von Stanley aus 
Sanfibar gejandte Botjchaft befommen, daß diefer die Route über den 
Kongo gewählt habe; wenn Emin daher aufgebrochen fei, würde er ohne 
Zweifel die Kongo-Route eingeichlagen haben, um fortzufommen. ch könnte 
angefichts alles deſſen feine neue Route einschlagen, wenn id) nicht den 
Befehl dazu erhielte. Darauf ſagte Tippu-Tib: «Sie haben redt.» Ich 
fragte ihn dann, ob er mir auf unjerer alten Route einen Anführer über 
die Manjema bejorgen könne, da es mir nicht möglich wäre, mit ihnen 
fertig zu werden, Er erwiderte darauf, für 20000 Pd. St. würde er 
jelbft den Befehl übernehmen, aber zurüdfehren, jobald jeine Leute von 


Anhang. 513 


einem ernjtlichen Verlufte bedroht würden. «Sie werden feine geringere 
Summe als 20000 Pfd. St. erhalten und zwar bedingungslos.» 

Viele von den Manjema erklären offen die Abjicht, daß wenn ich 
ohne Hauptmann mit ihnen aufbrädhe, fie nur eine gewifje Entfernung 
gehen und, jobald fie ein gutes Dorf erreichen, die Laften hinwerfen und 
nach Elfenbein jagen wollen. (Zippu-Tib gab das zu.) Wenn ich daher 
ohne Hauptmann von hier abmarjchirte, könnte das der ganzen Erpedition 
zum Unglück gereichen. 

Das einzige, was mir jet noch zu thun übrigblieb, war, mir ein 
Kanoe zu verichaffen, jofort nad Bangala zu fahren, die Antwort des 
Comité zu lejen und, falls diejelbe entiprechend lautete, unter allen Um— 
ftänden den Marich fortzuiegen. ch würde dann 30—40 Laften von 
den Leuten, welche Tippu-Tib mir an Stelle derjenigen Muini Somai’s 
geben will, tragen laſſen und Ward mitbringen, damit für den Fall, daß 
die Manjema die Laften niederwerfen jollten, wenigitens einer von uns da 
wäre, der die Nachricht zurückbefördern fönnte, aber feinen Anführer mit: 
bringen. Ich werde mit den Manjema viel zu thun Haben, ch würde 
jofort mit dem Dampfer «Stanley», der unmittelbar nach meiner An- 
funft in Bangala eintreffen wird, zurüdfehren und gleich die Rüdreije 
antreten. Wenn die Antwort des Comité, das alles weiß, was ich thue, 
einen Aufenthalt zuläßt, würde ich Ward in denjelben Kanoes, mit denen 
ich fomme, mit einem Telegramm nad) Banana jhiden, mit dem Dampfer 
«Stanley» zu Ihnen zurüdkehren und alle Leute und Lajten nad Jaru— 
fombe am Kongo jenden. Tippu-Tib garantirt mir, daß er jeine Leute 
entlalien, aber in der Nähe des Arumimi beifanmen halten will, jodaß, 
wenn die Antwort des Comite dahin lautet, das Unternehmen auf einer 
der beiden Routen fortzujegen, er fie in wenigen Tagen wieder jammeln 
fann. Außer mir ift niemand da, der flußabwärts gehen fann. Wollte 
ich die Antwort des Comite hier abwarten, jo wirde ich, im Fall unfers 
jofortigen Aufbruchs, feine Laften haben, um die in Banalja verlorenen 
zu erjegen, auch würde Ward nicht mit uns fommen; und hielte ich es 
für richtig, zu warten und ein Telegramm abzujchiden, jo würde ein jehr 
ernjtlicher Aufenthalt dadurch entitehen, daß Ward mit demjelben fortgejandt 
werden müßte. 

Was ich wünſche, daß Sie jetzt thun mögen, ift, daß Sie in Banalja 
bleiben, bis Sie von mir hören, was in etwa drei Wochen oder einem 
Monat der Fall jein wird. 


— — — — — — or — — — — — — — — 


Wenn wir nad) Jarukombe Hinaufgehen, wird es fich darum handeln, den 
Sanjibariten den Glauben beizubringen, daß wir nad) Sanjibar gehen, weil 
dann nicht viele Deſertionen jtattfinden werden. Tippu-Tib hat das 
Berite der Dejerteure entdedt; dafjelbe befindet fih in Jatuka, dem 
Dorfe Said ben Habib's. Er hat Leute abgejandt, um alle dort Befind- 
fihen gefangen zu nehmen. Daud iſt mit den Sleidern des Majors 
in Jambuja ergriffen worden. Aus allen Dörfern des Landes werden 
Stüde von unjern Stoffen zu Tippu-Tib gebracht. 

Geſtern ijt der Mörder Sanga von Tippu-Tib und dem belgischen 


Stanlen, Im dunteliten Afrita. TI. 35 


514 Anhang. 


Reſidenten abgeurtheilt worden; er wurde ſchuldig befunden und ſofort 
erſchoſſen. 

Meine Hoffnungen ſteigen manchmal bis zum höchſten Gipfel und 
ſinken im nächſten Augenblicke wieder bis auf den tiefſten Grund hinab. 
Als Tippu-Tib ſagte, er würde für 20000 Pfd. St. gehen, erwiderte id) 
ihm, ich glaubte nicht, daß das Komite die Summe bezahlen würde, doch 
wollte ih, wenn er mir gewifle Garantien verſpräche, ſelbſt die Hälfte 
der Summe als meinen Beitrag zu den Koſten der Erpedition hergeben. 
Aber nad) dem, was er gejagt hatte, würde niemand ihn nehmen. 

- Sie erinnern fi, daß ich im Lager aus Ihnen befannten Gründen 
ernftlich beabfichtigt hatte, Ward nicht mitzubringen; allein wenn wir 
diesmal ohne einen Anführer aufbrechen, ift es jehr nothiwendig, daß wir 
unjerer drei find. Ach verfichere Ihnen, daß jein Kommen nicht den 
geringiten Einfluß auf Ihr Commando über die Sanfibariten haben wird, 
Und nun, alter Freund, leben Sie wohl und Gott beichüge Sie. 


hr ganz ergebener 
Kames ©. Jamejon.“ 


Abſchrift von Bleiftiftnotizen und Berechnungen, welche ich am 24. Juni 
1887 in Gegenwart des Majors Barttelot angeftellt habe, als er 
weitere Aufflärungen über feine Pflichten und über Tippu-Tib von 
mir verlangte. Bierzehn Monate nachdem ich fie Major Barttelot 
übergeben hatte, erhielt ich fie dur Herrn William Bonny zurüd. 
Ic Habe fie abgejchrieben und das Driginal letzterm zurüdgegeben. 


Nehmen wir an, daß der Dampfer „Stanley“ im Augujt hier ein- 
trifft; alsdann hofft Stanley am Njanja zu fein. Er bfeibt zwei 
Wochen bei Emin, etwa bis 1. September. September und October find 
für den Rückmarſch. 

Sie haben aljo 74 Tage bei 550 Laften, und haben 155 Träger 
nebjt zwei Garnijonen von je 50 Mann, um die Endpunfte Ihres Tage: 
marjches zu bejegen. 

Entfernung etiva hr km per Tag 155 Laften = ‚Sin und Hermärjche von 


[7 " le 7 7) " 155 [7 km zu machen, 8 Hin— 
* "nn 385 u | Hermärſche = 1 Tage: 
" 91, » nr» 155 „ Jmarih für eine Karavane. 


Nach 74 Tagen werden Sie uns um 9 Tagemärjche näher gefom- 
men jein. 

Wenn Tippu=Tib 400 Mann jchicdt, fünnen Sie mit diejen und 
Ihren 208 Trägern mit allen Waaren nah dem Muta Nſige marſchiren. 
Alsdann würde ich Ahnen 13 Tagemärihe vom Muta Nfige begegnen. 


Anhang. 515 


Lilte der am 14. Auguft 1887 durch den Dampfer „Stanley“ von 
Leopoldville im Lager bei Jambuja gelandeten Waaren: 


100 Kiften Schießpulver. 
129 ,„ Remingtonpatronen. 
10 ,„  Biündhütchen. 
Tu Schiffszwieback. 
2 u Madeiramwein, 
2 „  Savetit. 
114 Ballen Stoffe (afjortirt). 
33 Säde Glasperlen, 
13 ,„ Rauris, 
20 „ Reis, 
8 „ Salz. 
1 Ballen leere Säde. 
26 Laſten Meffingftangen. 
27. Meffing: und Eiſendraht. 
1 Kifte Blechwaaren. 
493 Laſten. 


Liſte der am 28. Juni 1887 unter Aufficht des Major Barttelot 
in Jambuja zurüdgelafjenen Waaren: 


12 Kiften allgemeines und Privatgepäd, 
Herrn Stanley gehörend. 

29 „  Remingtonpatronen. 

38 ,„ Wincheſterpatronen. 

24 „  Marimpatronen. 

24  ,„  europälicher Proviant. 

10 Laſten Offiziersgepäd. 

15 Meilingftangen. 


1 ,„  Tabad, 

1 ,„  SRauris, 
12 ,„ Reis. 

Tu. Bmwiebad. 

1 „ Sal. 

3» Belte. 


177 Laſten. 


Druck von Fe A. Brockhaus in Leipzig. 


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