Paedagogium
Paedagogiüm.
Monatsschrift
«r
Erziehung und Unterricht.
ZIL JalirgaAg, 1890.
Leipzig.
Verlag von Julius Klinkhardt.
1890.
.......
• ••• ••;•.*••
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••• • •• • ••• • . • • • ••• m m
Mitarbeiter des zwölften Jahrganges.
P. As müssen in Leck (Schlc-^wig). S. 349.
H B. in Ii. S. 499.
Dr. J. B<'hiiie in Hamburg. 3. 141.
Dr Leo Burgerstein in Wien. 8. 596.
Dr. Friedrich Dittes. 8. 1, 646. 749. Rundachan, Literatur.
t J. G. Dreßler. Seminardircctor in Bautzen. . S. 409.
Alfrpd Tf>n Ehnnann in Badftn bei Wiftn. S. A4ft.
Gustav Adolf Erdmann in Schloß Annaborg 8. 39, 614.
Dr. J. Frohschammer, Professor an der Universität München. S. 209, 613.
A. Goerth, Schuldirector in In.sterburg. 273.
Ludwig Göhring, Lehrer in Nttmberg. 8. 105.
R. Gohr in Danzig. s. G81.
Dr FwaM Haiife in Meran. S. 318.
(>■ Henkel, Keotor in l'archim. 8. 243.
Dr. M. Jahn in Lciiizig. 8. 161.
Wilhelm Jahn, SebiUdirector in Dresden. 8. 360.
.Tmttim a. fm.
Dr. Kießling in Leipzig. S. 232.
BiVhnrd Köliler in WieHbnden. S. 297.
R. Kran.qe in Wriftzen a. (). 8. 715.
Q. A. Kretschinar, Oberlehrer emcr. in Bautzen. S. 73, 341.
Dr. J. Kvac^ala. Professor in Prcüburg. 8. 223, 238.
Landmann, Ivector in Scbwetz. 8. 433.
Dr. Otto von LOhmann. Rechtsanwalt in Qreifswald. 8. 485.
Mittenzwey. Schuldirector in Leipzig-Lindenau. S. 608.
Dr. Willibald Xagl, Docent an der Universität Graz. S. 674.
Heinrich Neugeboren. Stadtprediger in Kronstadt (Siebenbflrgen). 8. 32.
E. Ohl in (nianb'n b>-i Ki>-1 S :M)H
Egmont Pfalg in Leipzig. 8. 232.
Theodor Schiltz, Inatitotadirector in Antwerpen. S. 623.
236900
— IV —
Frang Si-hlinkert in Wion. S. 522.
Armin S<liniiilt in HiMhiirghausej. S. 709.
Alois Slcziik in l.iLtau. S >>i>n.
Theodor Vemaleken. Professor und Semiüftrdirector a. D. in Qm. 8. 473.
H, ^nti>r«traat in Stftttin. 8 .Hfi8
T)r. E. Witlar/il in Wion. S 19.
Wyß, Schulinspcctor in Biirgdorf (S^hweiz^. S. 12, 565.
Außerdem einige unopyine Autoren, ferner die Correspoudenten der Ruodst bau
und die Faehreferenten der Literatur.
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Inhalt.
%, yaeh der Belheufolge Tcrzelchnet.
Entweder — oder. Dittes 1
Ein Stück aus dem Moraliinterrichte <lcr Volksschule FriinkrcichB. Wyß . . 12
Zur Kclnrin des uaturgcschirhtlichcu Unterrichts. Witluczil 19
Anngunt; zum Studium der Wi rke Bciuke'ij. Xou^cl)orcn 32
Klans Groth und seiuc Bedeutung für die plattdeutsche Dichtung. Erdmann . 39
Wege und Ziele der Di.th ctforüchung 47
P&dagogiscbe Runditchau 50. 118. 173. 245. 325. 386. 456. 632. 601. 640.' 731. 792
über eraiebenden Unterricht, f Dressler 73
Die heutige Volksschule Preußens 88
Skizzcu ÜU.S der deutschen Jugendliteratur. Göhring 105
T>i<> Sokratia^hP Mathiwift- Rflhmfl , - - ,- , ^ . 141
Über die Anfange der sittlichen Entwickclung des Kindes. Jahn 161
Zum Moralunterrichte , 170
Über die Forderung confessioneller Schnleo. Frohschammer 209
Zur Frage des Griechischen in Ungarn. Kvacaala , 223
Die lateinlosoti höheren lUirgcrschulen ; 229
Zur Reform des naturgeschichtlichen Unterrichts. Kießling n. Pfalz, WitlaczU 2.S2
Klaus Groth und Frit/ Reuter. Hcnckel 243
Über Ideen. Go. rth 27.^
Über die Bedeutung Jean Pauls fQr die Pädagogik der Gegenwart. KOhler . 297
Veranschaulichung der Geschichte in der Volksschule. Ohl 308
Fri.-dricli Rc.Ht. H^mfe '.318
Übftr erzifthftnden Unterricht. Kretsehmur . , , , . , . . . , . , Ml
Die deutsche Bechtscbreihung. Asiiiusscn 349
Kindergärten und Fortbildungssc liulen. Jahn 3f)0
Lehrerbildung in England. Waterstraat 368
Kurze Charakteristik der siimmtlichen Werke Bencke's nach der Zeitfolge ihres
Erscheinens, f I>res8ler 409
Auch ein Beitrag z<ini Morahiutcrricht. Landmann 4.33
Franz Stekhanier. Ehrmann 448
Beitrige zur Kcforni des lleligionsunterrichts in Bezug auf Inhalt und Lehr-
weiai». Vemalftken . . , . - , - - , . , . . . 423
Die alten Claesiker auf den preußischen Gymnasien, v. Ltthmann .... 485
Eine neue „Erziehung der deutschen Jugend*. H. B 499
Geometrie oder Formenlehre? Mittenzwey 606
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— VI —
Seite
Drtfl Kartcnzoichncn als Hilfsmittel de« ünterrieht^ in der Erdkunde. Erdmann 514
8l)ort. Scbliiik. rt 522
Zum Gt-dächtiii> AJolt" Dirstrrwet:^. I)ittcs • 545. 749
Zur Discut<siou über deu Moraliiiitcrriclit. WyC . . 5()5
Bäuerlicher Autoritfttencult. Xagl 574
Eine hygieuisch-statistische Untersuchung der österreichiachcn Schulverh<-
nifisc. Biirgerstcin 595
Die Forderung den Sacrificium intellectng und der Lehrprstaod. Frohschanimer 613
In .Sm-ln u tlrs MoraluiitiTrichtcs. Schilt/ <)28
I>ic Furtbildung des Lehrers und die Übung in der frcirii Rede. .Tiistiis . . 634
Leasing und Friedrich der Große. Gohr 681
Die Bildung der ersten Vorstellungsrciben. Slezak 695
Etwag vom deutschen .Spracbunti rrii ble in der Volk&schulc. Schmidt . . . 709
Weiche Stellung hat die Lebrersi haft zu der Prftparandenhildung zu nehmen?
Kr;ui>e . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. , . . = . Uli
Bäuerlicher Idealismus. Nagl 7t>2
Verschiedene An^sichten Uber den pädagogischen Wert der claiieischen Sprachen. 7H4
b. Logisch geordnet. '
I. Zar Gmndlegnng.
Entweder — oder . . . , , , . , . , , . . . . . , . . , ^ 1
Vhi-r Ideen 273
Die Forderung des Saeritieium intellectu^ und der Lebrcr.stiuid 613
Über die Forderung eonlcssioneiler Schulen 209
Bi^uerliclii r Antoritiltcnciilt 574
Bäuerlicher Ideali.-mus 762
Versrbicdenc Ansichten Uber den piidngogischen Wert der ( lassisehen Sprar hen 7H4 i
Siiurt 522 '
Die Bililung der ersten Vor^t» llungsreibeu 6t>5
Über die Anfänge der sittlichen Eutwickelung des Kindes 161
Anregung zum Studium der Werke Benekc's 32
II. Zar historischen P&dagogik.
Die Sokratifiche Methode 141
Lessing und Friedrich der Große 681
Über die Bedeutung Jean Pauls für die Pädagogik der Gegenwart .... 297
Charakteristik der sämmtlichen Werke Bcnekc's 409
Zum Gedächtniü Adolf Diesterweg's 545. 749
Franz Stelzhamer 448
Klaus Groth und seine Bedeutung für die plattdeutsche Dichtung 39
Klaus Groth und Fritz Reuter 243
Skizzen aus der deutschen Jugendliteratur 105
L ^ -d by Google
— VII —
Seit«
IIL Über Schulerziehung, Unterricht nnd Untenichtaanstalten.
Über erziehenden Unterricht _ 73. 341
Znm MoraliintcmVht 170. i^?,. .')B5. ß23
Beitrüge zur Kcturin de?) Rcligionsunterrichtg 473
Die alten Clnssiker auf den preußisrhen Gymnasien 485
Die Forthildiintj; des Lehrern un<I die Üliiiii«^ iu d<T freien Kede G.'U
Welche Stellung hat die Lehrerschaft zn der Präparandenhiidung zu nehmen? 715
Etway Tom deutschen Spra( hunterrichte 709
Die deutsche Rechtüchreihung ' 349
Wege und Ziele der DiulectlorachuDg 47
Veranschaulichung der Geachicbte in der Volksschule 308
Zur Keform des naturgeschichtlichen Unterricht« 19. 232
Geometrie ofer Formenlehre? 506
Das Eartenzeichnen als Hilfsmittel des Unterrichts in der Erdkunde . . . 514
Kindergarten und Fortbildungsschulen 360
Eine hjgienisch-statistischc Uutersachung der österreichischen Schulverhältnisse 5i>5
IV, Zur Charakteristik des gegenwartigen Schulwesens. Zeitgeschichtliches.
Eine neue .JErriehong der dentschen Jugend'* 499
Friedrich Heust 318
Die heutige Volksschole Preußens 88
Die latcinlosen höheren Bllrgerachulcn 229
Ein 8tikk aus dem Moralunterrirhte der Volksschule Frankreichs . , , , , 12
Zur Frage des (iriechisrhen in Ungarn 223
LcbrerhiMuiit^ in En-j-hmd 368
Aus der pädago^ist bim Presse (i-J— Hö. 181 — 134. 19,S— 202. 2(>4— Hi2—.m)
39i^— 402. 464—467. ö40 1. 607— Gll. 674—677. 743. 71»S
Pädagogische Rundschau und Mittheilungen:
Deutschland 50—53. 118-181. 173—192. 245 -263. 325—327. 386 - 390. 456
45((_.1H1 r.33-:)U) 601 -60<;. 640-674. 731—743. 792
(Werreich-Üngam 53—55. 264. 327—332. 394—398. 461^464. 532 f. 606 f. 796
Schweiz . . 55—60. 3fHJ-394. 456—459
Nordan>erika . . . . 60 — 62
Meiiko 540
Anatralien 192—197
Alpbabetischefl Verzeichnia der Autf>ren i bez. Herausgeber) derjenigen Werke, welche im To^iependen
Jahrgang recensirt aind. Die beigesetzte Ziffer bezeichnet die Seite, auf der sich die Recension ßndet.
Adam 808. Asmus 805. Bayr 745. Behrens 138. Beriet 136. Bieler 808.
Böhme 642. Bohnhorst 406. Brinkmayer 205. Burgerstein 68. Cas-sian-Beck 544.
Crantz 472. Dicstrrwctr (^7S. Dillmann 4ns. Iioreuw ll SO.'), l'urny 72, 806.
Emst 803. Escherich 405. Ew^rs 71. y«rhnRr 269. Fischer 471. Geistbeck 543.
— VIII —
Genau 20H. Grävc 80^. Gutmann 339. Hannak 4fi7. ITanns 746. Heidsiek 836.
Hcrb.st 543. Hering (i7i). Hertzbero: 72. Heuer 203, 748. Hoydon 271. Hirt 136.
Hocevar 404. Hoffinana 205. Hoffmeyer 679. Holdermana 4H!>. Hübiier 140.
Hummel 189. Jänicke 806. Junge 544. Kämmel 71. Kaufmann 69. Key 68.
Klimpert 270. KnOpfl 140. Kobmann 679. Költzsch 202. Krause 68. Krause-
Nerger 340. Kreitz 678. Kuenen 71. Lange 542. Langenberg 678. Langemiann
679. Leonhard 471. Lieb 209. Lüttge 678. Miiymis -203. 74H. Marschall 339.
Maydorn 71. Meyer 471. Möbius 472. Müller 470. Müller 804. Müller-Frauen-
stcin 339. Neurath 135. Nietzki 542. Noll 137. Fache 680. Paukstadt 470.
Pawlceki 804. Pickel 204. l'oltlandt (^79. Pollak 271. Rech 271. Reliiiy 406.
Richter 803. Risch 746. Russ 407. Sattler 271. Scherer 678. Schilffarth 679.
Schilling 137. Sohmcding 403. Sc^hrcihcr 135. Schubert 745. Seemann 805.
Sety-epfandt 409. Simon 270. Siiiess 136. Sprockhoff 202. Stn^sc 338. Supan 407.
Tüffers 203. Tupotz 135. Vogel 406. Volkmcr 744. \ olz 543. Wacber 470.
Wachlowsky 67. Wagner 469. Wamecke 205. Wemicke 340. Weyr 405. Wiese
202. Wilke 678. \Vu!^sidlo 13'>. Wrobell b03. Zairer 747. Zins 807. Ziet^ler 746.
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Entweder — oder
Yoin Hennsgtber.
Kampf um die Schule dauert fort In stetem Wechsel
zwisefaea Angriff nnd Abwehr schwankt die Entschddmig. Anf beiden
Seiten veraeichnet man Erfolge nnd Enttänschongen, Siege nnd Nieder-
lageiL Aber ee sind keine endgiltigen Besnltate, sondern nor ephemere
Phasen einer Entwickelungskrisis, Dorchgangspunkte einer stfirmischen
Bewegung, Episoden eines Dramas, Bmchstflcke eines Coltarprocesses,
Haltestellen auf dem Wege zöm Ziel, Vorsidele sn einer künftigen
Ordnaog der Gesellschaft Ja: Ordnung der Gesellschaft nnd ein ihr
entsprechender Zuschnitt des Bildnngswesens, darauf l&nft in der That
der Schnlkampf wie jede andere große Streitfirage unserer Zeit hfaiaus.
Die Ordnung der Gesellschaft ist das Ziel aller, die mit klarem Be-
wusstsein an dem Kampfe um die Gestaltung des Unterrichtswesens
theünehmen. Daher erheben denn auch alle Parteien das gleiche
Losungswort: «Wer die Schule hat, der hat die Zukunft*; und daher
erklärt sich auch die außerordentliche Heftigkeit des Schulkampfes.
Es handelt sich nicht um Kleinigkeiten, nicht um ein Weniger oder
Mehr, sondern um eine entscheidende Verfttgung Uber die YerfSassung
der Gesellschaft, um das ganze Wesen und Schicksal der Menschheit
Freiheit oder Knechtschaft^ Entwickelung oder Yerkfimmerung, Fort-
schritt oder B&ckschritt, moderne Bildung nnd Staatsordnung oder
mittefailtwliche Finsternis und Gewaltherrschaft — das ist die Frage.
Hat eine kleine Minderheit Ton Menschen das Becht, sich Aber ihres-
gleichen zu erheben, sich eine höhere Würde, Weisheit und Macht
anzumaßen, um die große Mehrh^t ihrer Mitmenschen in Unwissen-
heit und Ohnmacht zu erhalten und dann beliebig zu leiten, zu be-
herrschen, zu unterdrücken und auszubeuten? Oder hat jedes Wesen,
das Menschenantlitz trftgt, das Becht, sich seiner Wflrde bewusst zu
sein nnd seine Anh^en und Krftfte zu entwickeln, um als ein freies
Glied der (Gesellschaft den Idealen seines Geschlechtes nachzustreben?
VmiBt^um. lt. Jahtf. Haftl. 1
Das ist die große Fra^e, um welche der Entsclieidiingskampf sich be-
wegt, die große i^rugt-, aus welcher von jeher die gewaltigsten Er-
schütterungen im Leben der Völker entsprungen sind, und welche auch
gegenwärtig den eigentlichen Angelpunkt aller socialen Gegensätze
bildet, insbesondere aber im Schulkampfe zum Ausdiuck kommt und
demselben seine Tragweite und Wucht verleiht.
Schon vor zehn Jahren haben wir in einem kleinen Aufsatz unter
dem Titel „Zeichen der Zeit" auf diesen schrott'en Gegensatz zweier
Denkuugsarten und Strebziele hingewiesen, wie er in der Encyklika
Leo's XIII. vom 4. August 1879 (Aeterni Patris) hervorgetreten war
(siehe »Paedagoginm«* Jahrg. U, Heft 1, S.70tf.). Der römische Papst
hatte der modenieiL Weltanschaniing, Wissenschaft und Schule den
Krieg erklärt imd die Wiederherstellung der mittelalterlichen Satzangen,
Einrichtimgen und Znstfiade als das Programm der Kirche und als
Aufgabe des Staates bezeidmet, weil er meinte, dass nur durch die
Backkehr in die Vergangenheit das Heil der Völker und die Throne
der Fürsten sichere Stützen gewinnen könnten. Als mnstergiltige Ent-
irickelung seiner Leitgedanken bezeichnete Leo XITT. die Philosophie
des Thomas von Aqnino, welche er demgemäft kraft seiner Unfehl-
barkeit und höchsten Autoritftt zur Lehmorm der katholischen Kirche
erhob. „Das Machtgebot des Papstes hat diese Thomistische Wissen-
schaft zunächst der gesammten Hierarchie als Richtschnur aufgedrungen,
dem Episkopat und dem Ton diesem unbedingt abhftngigen Geras;
dieser Clerus wiederum drängt sie dem Volke auf mit allen Grund-
sätzen und Forderungen, und vom Volke soll sie bei dessen Ausübung
seiner politischen Hechte — die ihm der Liberalismus errungen hat —
den Bogisrnngen selbst aui^drungen werdenl" (Frohschammer.)
Aber nicht blos die katholische Kirche, sondern die ganze Christen-
heit, ja den ganzen Erdkreis will der unfehlbare Statthalter Gottes
beherrschen, und insbesondere betrachtet er auch die Seelen der Pro-
testanten als ihm von Bechtswegen zugehörig. Und diese Ansprüche
bleiben nicht ohne Erfolg. Die eifrige Propaganda, welche im Sinne
derselben geübt wird, trägt Früchte, oft selbst da, wo man es am
wenigsten erwarten sollte; insbesondere wird auch in der protestan-
tischen Kirche, nach dem Muster der katholischen, die Glaubensfkreihelt
mehr und mehr unterdrückt, die Priesteilierrschaft mehr und mehr
befördert, so dass schließlich nicht yiel übrig bleibt, was den deutschen
Protestantismus vom römischen Katholicismus unterscheiden und die
Wiedervereinigung der Christenheit zu Einer Herde unter Ehiem Hirten
hindern könnte. Verdankt doch Leo XHL auch gerade einem überwiegend
— 3 —
«protestantischen" "Reiche die bedoiitendsten Erfolge in seinem Streben
nach Wiedererhingung der Weltlu rrschaft. Auf dem Gebiete der Schul-
politik aber ist eben der steigende Einfluss des Papstthums die Grund-
ursache der heftigen Bewegungen und Kämpfe. Offenbar haben die ver-
heißungsvollen Worte Leo's XIII., dicKirclie sei „eine Schule der Unter-
würtigkeit^', und in diesem Sinne reiche er den Fürsten: und Kegierungen
die Freundeshand — viel Anklang gefunden. Denn immer deutlicher
tritt die Tendenz zu Tage, den Servilismus und Byzantinismus zur
höchsten Tuf?end des modernen Staatsbürgers zu stempeln und zur
Hauptaufgabe aller Erziehung (richtiger Abrichtung) und aller Bildungs-
anstalten zu erheben. Die große — nach unserem Ermessen ver-
hängnisvolle — Kolle, welche Leo Xlll. im Culturleben der Völker
gewonnen hat, war eben dadurch ermöglicht, dass ei- das Glück hatte,
ein zur Knechtschaft reifes Zeitalter vorzufinden, ein Zeitalter, in welchem
die geistige und sittliche Erschlaffung und mit ihr die Sehnsucht nach
Gängelung und Bevormundung bei einem gewichtigen Tbeüe der Mensch-
heit epidemisch geworden war.
Da aber trotz alledem das der Men.schheit eingeborene Streben
nach Freiheit und Selbstbestimmung auch in unseren Tagen noch nicht
allerseits erloschen ist und gerade der schwerste Druck den stärksten
Gegendruck erzeugt: so ist dem gegenwärtigen Zeitalter das oben be-
zeichnete „Entweder oder'' in schärfster Form als Lebensfrage gestellt,
und es wird nicht eher Friede werden in der Gesellschaft, bis sie in
dem einen oder anderen Sinne gelöst ist. Denn contradictorische
Gegensätze können nicht nebeneinander bestehen, der eine niuss den
anderen überwinden. Wenigstens herrscht nunmehr volle Klarheit, um
was es sich handelt. Nach dem maßgebenden Votum und Befehl Leo's XIII.
hat sich die große Streitfrage in der Form zugespitzt: Soll Thomas
von Aquino, der Mönch und Scholastiker des 18. Jahrhunderts, fortan
die Geister beheri-schen, oder soll das unendliche, nie ruhende For-
schen des menschlichen Geistes nach Wahrheit und Recht, sowie die
freie Selbstbestimmung der Individuen und Völker als Nonn, Ziel und
Maß aller Bildung, Erziehung und Cultur gelten? — Wer aber meint,
so schlimm stehe es nicht, so schneidig sei die Frage nicht gestellt,
eine ernstliche Gefahr bestehe nicht, oder ihn gehe das alles nichts
an, seine Confession sei davon nicht berührt etc. — dem sagen wir:
Du kennst die Verhältnisse .und Zusammenhänge nicht, und erinnern
ihn an das Wort Goethe's:
Den Teufel spttrt das Völkchen nie,
Und wenn «r de beim Kragen hfttte.
!♦ ^
^ . , v.H)ogle
— 4 —
Zum Glfldc hat endlich ein bernÜBner Streiter denFehdehandschnlL
•
Leo^s Xm aufgehoben nnd die Berechtigiing des Thomascuitns einer
grOndlichen Prüftmg unterzogen. Es ist Professor J. Frohschammer
in Mönchen, ein allseitig geschulter katholischer Theolog nnd einer
der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart, der sidi flbrigens den
Lesern des „Paedagoginms** durch eine Beihe Torsftglicher AuMtze noch
besonders bekannt gemacht hat Die Dsistellung und Kridk des
Thomistischen Lehrsystems, irie er sie In seinem jfingsten, kürzlich
erschienenen Werke*) aosgef&hrt hat, ist ein neaer glänzender Beweis
der Or&ndlichkeit der Forschung, der Klarheit des Denkens, der Be-
sonnenheit des Urtheils, der m&nnlichen Charakterstftrke, kurz all der
Vorzüge, welche dieser hervorragende Geist seit mehr als einem
Ifenschenalter reichlich bewährt hat; und kaum hätte ein anderer eine
so gelungene Würdigung des wiedererweckten Scholastikers liefern
können, wie sie uns nun vorliegt. In den sechs Hauptabschnitten des
Werkes werden nacheinander die Erkenntnislehre, die Bestimmung des
\'erliältnisses zwischen Philosoi)liie und Theologie, femer die Gottes-
lehre, die Naturpliilosopliie, die Psychologie (Anthropologie), endlicli die
Ethik und Politik (Verhältnis von Staat nnd Kirche), wie sie in Thomas'
Schriften vorliegen, dargestellt und beleuchtet. Das Resultat ist, dass
Thomas zwar einer der tüchtigsten G^elehrten seiner Zeit, jedoch in
vielfachen Irrthümern befangen war, dass er von der modernen Wissen-
schaft weit überliolt ist, und dass eben darum seine Lehre keineswegs
als Maßstab der richtigen Einsicht gelten, vielmehr, wenn sie ato solcher
aufgestellt wird, nur zur Verwirrung der Geister und zum Hemnischuli
der Wissenschaft werden kann. „Vom Standpunkt iseiner Zeit nnd
seiner Verhältnisse aus betrachtet, ist die hödiste Achtung für ihn zu
hegen; denn er hat ftir Erkenntnis dei' Wahrheit in unermüdlicher,
großartiger (iiistesarbeit geleistet, was in jener Zeit möglich war,
wenn er sich auch nicht über die allgemeine geistige Gebundenheit
und Richtung des kirclilich-religiösen und geistigen Lebens zu erheben
vermochte... Was sich unter den gej^ebenen Umständen aus dem ge-
gebenen kirchlichen und scholastischen Material machen ließ, li it Thomas
in hervoiTagender Weise ausgeführt, und wie verfehlt auch vieles in
seiner Philosophie der unbefangenen Prüfung sich darstellt, so verdient
doch sein ernstes Streben und seine große Arbeit während eines ver-
hältnismäßig kurzen Lebens unsere Anerkennung, ja Bewunderung, wie
*) Die PliiloHophie des Thomas von Aquiuo kritisch cfcwilrdigt voa J. Froh-
achammer. Leipzig 1889, F. A. Brockhaus. XX u. ö37 Seiten.
sie jedem dem Streben nachWalirlieit nnter Opfern und AnstrenguDgen
gewidmeten Leben gebürt . .. Ober seine Zeitrichtimg nnd seine BU-
dnngsweise hat er sich eben nicht zn erheben vermocht in nrsprBng-
Ucher, vorwArtsstrebender Geisteskraft — yrie es etwa sein bedeu-
tenderer Zeitgenosse, der Franciscaner Roger Bacon, zu thun vermochte...
Mehr Originalität und Geistesfreiheit hätten seinem Werke eine her-
vorragende Stellang nnd Wirksamkeit nicht eingebracht, würden ihm
im G^entheil schlimme Tage bereitet haben — wie dies der genannte
Bacon erfahr, der einen großen Theil seines Lebens im Gefängnisse
gehalten wurde wegen seiner wissenschaftlichen Strebsamkeit nnd
Originalität."
Das ist in wenigen Worten der wirkliche Sachverhalt, die wahre
culturgeschichtliche Stellung des Thomas von Aquino. Hätte man ihn
in derselben belassen, so unterstünde er einfitch der historischen For-
sehmig und Kritik, wie jeder andere hen^orragende Gelehrte der Ver-
gangenheit. Allein er ist nun durch päpstliches Machtgebot hoch über
seine eigentliche Bedeutung erhoben; seine Lehre soll nicht ein bloßes
Glied in der Kette des cultnrhistorischen Entwickelunj2:si)rocosses sein,
sondern ein abschließendes und endgiltiges Ergebnis desselben, ja, eine
bindende Norm für alle weitere Geistesarbeit und zuj^leich für die aller-
wichtigsten Lebensverhältnisse. „Thomas hat sicher darauf selbst keinen
Ansprach erhoben, wie ihm in der That solche Gleltun^ weder während
seines Lebens noch alsbald nach seinem Tode zugestanden wurde, da
er im Gegentheil viel Widersprach erfuhr und manchen seiner An-
sichten bald nach seinem Tode sogenannte kirchliche Censur nicht
efspart blieb ... Er hat es sich nicht einfallen lassen, dass er einmal
in seiner Kirche werde aufgestellt werden als philosophisches Idol für
alle Jünger der Philosophie, als Popanz für die uiiphilosophische Menge
und als Hemmschuh für alle ernste, weiter strebende Wissenschaft,
wie dieä jetzt geschieht"
Somit stehen wir also keineswegs blos vor wissenschaftlichen
Problemen und Untersuchungen, sondern vor den bedeutsamsten Le-
bensfragen. „Es handelt sich unter den jetzigen Umständen nicht
mehr blos um die Kritik eines theoretischen Systems, wie anderen
Theorien gegenüber, sondern zugleich um Bekämpfung einer prakti-
schen Macht, die Thomas mit seiner Philosophie erlangt hat, seitdem
er officiell zum Heerführer jener scholastischen Streiter erhoben ist,
durch welche das Papstthum im Bunde mit dem Jesuitismus einen
Kampf auf Treben und Tod gegen die ganze moderne Philosophie, ja
Wissenschaft überhaupt und gegen die moderne Civilisation begonnen
— 6 —
hat, um sie zu vernichten und die päpstliche Weltherrschaft des Mittel-
alters wiederherzustellen — dem modernen Culturstaat zum Trotz."
Und so ist es gar sehr geboten, das Thomistische und nunmehr
officiell katholische Lehrsystem wenigstens in den Grundzügen kurz
zu betrachten. Die Erkenntnislehre, wie sie Thomas vorfand, in der
Hauptsache dem Aristoteles entlehnt, einseitig in der Auffassung vom
Wesen und Leben der Seele, der modernen Wissenschaft, namentlich
der Anatomie und Physiologie der Sinne, sowie der philosophischen
Kritik entbehrend und in einem unhaltbaren Farliwerk erdichteter
Seelenvermügen befangen, wurde unter den Händen des ^^i-holastikers
Dicht nur durch ihren peinlichen und kleinlichen Formalismus zu einer
beengenden Zwangsjacke des denkenden Geistes, zur Quelle schablonen-
hafter Oberflächlichkeit, uufruclitbarer Spitzfindigkeiten und blendender
Trugschlüsse, sondern durch Aufnuhme einer kirchlichen Satzung über
das Verhältnis zwischen Philosophie und Theologie geradezu zum Hin-
dernis der freien Forschung. Diese Satzung und leitende Norm der
Thomistischeu Krkeiintnislehre heißt: die Philosophie ist die Magd
(Ancilla) der Theologie. Jene hat sich in den Grenzen zu halten,
welche ihr diese zieht, hat das als unumstößliche Wahrheit anzuerken-
nen, was die Kirche lehrt; ihr Dienst besteht nur darin, den theo-
logischen Satzungen eine schulgemäße Form zu geben, sie anzubalinen
und zu stützen, ihnen das Ansehen wahrer Lehrsätze, „den Schein wissen-
schaftlicher Begründung" zu verleihen, sie in ein System zu bringen
etc., kurz: die Aufgabe der dienenden Magd ist eine blos formale Be-
arbeitung der von der Htn iu festgestellten materialen Wahrheit. Eine
selbstständige Philosophie, ein freies Denken nach den Gesetzen der
Vernunft, kann und darf es nicht geben.
Dass unter solchen Voraussetzungen eine gesunde Naturphilo-
sophie und eine autonome A\'issenschaft überhaupt nicht möglich war
und ist, liegt auf der Hand. Hierzu kommt, dass das Mittelalter in
einer grundfalschen Astronomie befangen war, dass es eine eigeEtlidie
Chemie und Physik gar nicht kannte, ebenso von der modernen Geo-
logie nnd Biologie niclits wusste, also weder imstande war, eiD€li
mechanischen oder organischen Naturprocess richtig aufimfassen, noch
die Entwickelung der Erde oder des Sonnensystems zum Gegenitande
ernster Forschung zu machen; dass femer in jener Zeit die Ethno-
graphie und die Geschichte des Menschengeschlechtes mcUkt nnr hOchst
lückenhaft, sondern auch mit allerlei Irrthttmern, Vorortheflen und
Fabeln versetzt war. Und bei alledem worden von der Kirche, d. h.
Ton der herrschenden orthodoxen Partei, der Thomae angehörte, nidit
— 7 —
nur alle Reformen abgelehnt, sondern auch die wenigen Männer, welche
Wandel zu schaffen und einen Fortschritt anzubahnen lahig und ge-
wÜlt waren , mit unerbittlicher Härte uiederfrelialten und verfolgt.
Hierzu kam ferner der Glaulie an allerlei Wunder, an unmittelbare
Eingriffe Gottes, des Teufels und anderer metaphysisclier \\>sen in die
Naturvorgänge und in die Seelen der Menschen. Die Scholastik basirte
nicht sowol auf Thatsachen als auf gemachten Begriffen, Voraus-
setzungen und Postulaten. Wie konnte es da zu einer unbefangenen
Weltanschauung, zu einer rationalen Psycliologie, iiberhaui^t zu einer
Wissenschaft kommen, die noch lieute Wert hätte? Der ganze Tho-
mistische Standpunkt ist eben vollständig veraltet, und heute muss
er entweder grundsätzlich abgelehnt oder es muss ihm Vernunft uud
Wissenschaft zum Opfer gebracht werden.
Was endlich die Politik des Thomas betrifft, so ist auch sie nur
eine Consequenz seiner hierarchischen Parteistellung. Die Kii'che und
Kirchengewalt stammt unmittelbar von Gott her; der Staat und die
Staatsgewalt sind wol auch göttlichen Ursprunges, aber nur mittel-
bar. „Und zwar ist das Volk selbst das Organ oder Mittel, durch
welches Gott den Staat ins Dasein gerufen hat, und die Verfassung
des Staates wie die Regieningsgewalt stammt also zunächst vom Volke
selbst, dem eben dämm auch das Recht zukommt, gegen den Miss-
brauch der übertragenen Gewalt sich zu erheben und allenfalls auch
die Verfassung zu ändern, wenn die Umstände es fordern." Über
dem Volk und dem Staat steht aber die Kirche, repräsentirt durch
das geistliche Oberhaupt, den Papst, dem allein absolute Herrscher-
gewalt zusteht, und dem gegenüber, als direct von Gott gesetzt, auch
das Volk, das sich unter Umständen gegen die weltlidie Gewalt er-
heben darf, schlechthin nichts zu sagen hat. Der Staat ist das dienende
Organ für die Zwecke der Kirche; als weltlicher Arm (brachium saecu-
lare) hat er die von der Kii'che verhängten Zwangsmaßregeln uud
Strafen durchzuführen. „Eine Verhältnisbestimmung, wodurch beide,
Kirche und Staat, zugleich beeinträchtigt, in ihrer wahren Wirksam-
keit und reinen Bethätigung ihres Wesens gehemmt werden. Die Kirche
wird verweltlicht, der Staat zum Kirchendiener gemacht und in seinem
freien Streben nach VerNvirklichung der Humanitätsidee gehemmt. Die
Kirche verliert ihre wahre innere Religiosität, der Staat die Möglichkeit,
alle natürlichen Kräfte, insbesondere die geistigen, zu voller Entfaltung
und Verwertung zum Wol des Ganzen und der Einzelnen zu bringen."
Das ist der Kern und die praktische Bedeutung der Staatslehre, welche
jetzt wieder, wie einst im Mittelalter, zui* Geltung gebracht werden soll.
^ kj ^ oj by Google
— 8 —
Wie aber die geplante kirchliche Beherrschung des geistigen Lebens
im großen und ganzen beschaffen ist, in die gesammte moderne Cultur
eingreift und das ►Schicksal der Völker berührt, darüber seien noch
einige Bemerkungen Frohschanimers angefahrt. „Will mau Einheit
und UnVeränderlichkeit in der Philosophie, so ist dies nur möglich
dadurch, dass man alle freie, lebendige Forschung verbietet und hin-
dert und ein System zur philosophischen Dogmatik macht, wie es jetzt
mit der Thoraistischen Philosophie geschehen soll. Statt dessen sollte
man lieber endlich daran denken, auch im religiösen (icbiete von dem
Fonnelzwang der fixirten Satzungen und Dogmen ab/uhissen. Solche
unveränderliche Feststellungen als absolut Giltiges und Übernatürliches
passen in den lebendigen Fluss des geistigen Lebens der Menschheit
nicht herein und können nur mit Zwang und Gewalt eingeführt und
erhalten werden . . . Dass damit der Vernunft und Philosophie die ge-
bttrende Ehre gegeben werde, ist nur Schein; denn sie bleiben dem
Glanben nnterworfen, der selbst nicht eigentlich als Sache der Ver-
nunft, sondern des (subjectiven) Willens betrachtet wird. Daher dieser
Glaube hauptsächlich nur in Unterwerfung besteht nnd nur durch
UnterdiUcknng der Vemanft erhalten werden kann. Diese wird darum
beständig herabgesetzt, mit ihrer Thätigkeit verdächtigt und der Ge-
ringschätzung preisgegeben. Kein Wunder daher, dass die Menschen
im allgemeinen so wenig ihrer Vernunft folgen mögen und gleich Kin-
dern fortwährend irgend eines Popanzes bedürfen, wenn sie anch nur
za einigermaßen yemfinftigem nnd sittlichem Verhalten gebracht wer-
den sollen . . . Wie viel ünheU dies fiber die Menschheit gebracht, lehrt
die Geschiclite der Beligionsverfolgungen und Beligionskriege. Man
sollte die Menschen vielmehr anleiten, anch in diesem Gebiete den
Dflnkel absnlegen, allein in absolnter Weise die Wahrheit zn besitzen,
während alle übrigen Millionen Ton Mensehen elendiglich im Inüinm
wandetai, ein Dfinkel nnd Hodunnth, der zugleich zn Terachtnng, zn
HasB nnd Verfolgung der Andersgläubigen treibt, das Gmndgebot des
Ghristenthnms, die Nächstenliebe missachten lässt nnd veranlasst hat
nnd noch veranlasst, dass die Religion, anch die christliehe, die ein
Segen nnd ein GlOck f&r die Menschheit sein sollte, so viel&ch zum
Fluch nnd Unheil geworden ist"
Mit welchem Eifer nnd Fanatismus diese nnheüvofie Richtung in
der Gegenwart wieder befördert nnd gepflegt wird — seitiderEncyklika
Leo's XTTT. und der Ganonisirung dee Thomistischen Systems — das
lehren Hunderte von Yolksversammlnngen nnter clericaler Leitung,
und das lehrt insbesondere der beispiellos wflthende Kampf, den die
Ultramontanen und ihre Geistesverwandten aller Confessionen gegen
die moderne Volksschule führen, um die Menschen wieder von Jugend
auf unter den Krummstal» und unter das Joch der Tyrannen zweiten
und dritten Ranges zu beugen. Es ist ein Compagnit gcscliäft zur ge-
meinsamen Unterwerfung und Ausbeutung der großen Mehrheit durch
eine kleine, aber mächtige, listige und herzlose Minderlieit.
Selbstverständlich müssen zu diesem ^\'erke auch alle leitenden
(Organe der Gesellschaft, wie sie aus den höheien und höchsten Schulen
hervorgehen, gehörig vorgebildet werden, weshalb der Sturm und die
Eroberungssucht der Rückschrittspartei wie auf die Volksschule, so auch
auf die Universität gerichtet ist; was dazwischen liegt, hat nicht gleiche
Bedeutung und wird schließlich den Siegern ohne große Mühe zufallen.
Die Hoclisehulen sollen ( gleich den Volksschulen) schleunigst dem geist-
lichen Eintluss geötfnet, womöglich ihm völlig unterworfen werden;
selbst „protestantische" Theologen und Staatsmänner arbeiten — wenn
auch behutsam — in dieser Richtung. Ganz tiuverhüllt aber sprechen
die Jünger und Apostel der Schule des Thomas von A<iiiino ihre
Herzensmeinung aus. Die ganze moderne Wissenscluift leiten sie ab
aus „viehischer Versunkenheit, Leidenschaft, Sinnenlust und Gottes-
hass"*, und demgemäß sind ihnen ,.alle modernen Forscher iu Natur,
Geschichte und Philosophie, die nicht der Kirche sich unterwerfen,
deren Resultate nicht mit kirchlichen Satzungen und Ansprüchen über-
einstimmen, eigentlich nichts anderes als liösewichter, Verbrecher gegen
Gott, die an Leib und lieben gestraft werden sollten, wie ehemals,
wenn es nur möglich wäre." Und wie sie sich des „Volkes', das
nach ihrer (Thomistischen i Theorie über der Staatsgewalt, aber unter
kirchlicher Autorität uud Leitung steht, zu bedienen wissen, um auch
die Hochwarten der Wissenschaft zu beherrschen, darüber sagt Froh-
schammer: ^Haben wir es doch schon erlebt, dass durch die Majorität
der Stimmen ungebildeter, von Philosophie absolut nichts verstehender
Volksvertreter unter clericaler Führung bestimmt wurde, welche Philo-
sophie an der Universität gelehrt werden müsse, resp. da&s die scho-
histische Philosophie (des Thomas) daselbst zn lehren sei, da das
katholische Volk ein Recht hal>e, dies zu fordern. DasGoltusministeriam
konnte nicht omhin, dieser Forderang m willfahren, da die nöthigen
Mittel für die Professur nur unter dieser Bedingung Gewähmng finden
sollten.*) Nachdem dieses Becht des katholischen Volkes bezüglich
*) Wäre CS nicht besser gewesen, auf die Mittel zu veizichteu und damit
auch auf die Professar? D.
— 10 —
der Philosophie glücklich zur Geltung gebracht ward, musste und muss
dasselbe auch bezüglich der Geschichte geschehen, da auch für diese
das katholische Volk fordern könnte, dass sie katholisch gelehrt werde,
d. h. nicht den Thatsachen gemäss, sondern wie der katholische Stand-
punkt es fordert und die kirchliche Autorität es vorschreibt Bald
wird ähnliches wol auch noch in Beziehung auf andere Wissenschaf-
ten geschehen — sicher mit demfleUieii Becbte.^ Dann wird maiuals
normale Leistung der Hodifiehnle besdehnen kSnnen: patentirte Bor»
nirtheit mit wüthemdem FaiiAtismns. Was soll unter solchen ümstän-
den ans dem tmomk Satase in unseren StaatsTeriSunongen werden:
„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist freü** Wollen wir keine Hencbler
sein nnd keine Henciiler ensleheD, so mflssen wir ihn entweder streielien,
oder wir mfissen die kirchliche Beyormnndnng der Wissenschaft stricte
zurückweisen. Der landläufige Liberalismus will freilich lieber laviren
nnd pactiren, statt sich zn einer ernsten That an&nraflfen, womit er
sieb denn selbst vernichtet „Der Liberalismus wird dann znm Dank
für die Errungenschaften, die er dem Volke in schwerem Bingen, mit
Gefahren nnd Opfern erkämpft hat, eben durch den Qebmnch dieser
Errungenschaften von Seite des Volkes unter F&hmng des Clerus
wieder unter den Druck, in das Joch der Hierarchie kommen. Möge
er sieb ahM> vor allen Dingen genau unterrichten, am was es sieb in
unserer Zeit eigentlich handelt, damit er nicht, wie bisher, ans ün-
komtnis, Einbildung und tLbermfifiiger Selbstschätzang die Gefilhrlicb-
keit und die Macht des Gegners unterschätze. Ein vorzflgliches Mittel
zur Belehrung in dieser Hinsicht ist das Werk Frohschammers, aus
weldiem wir hoffentlich genug mitgetheilt haben, um zu einem ein-
gehenden Studium anzureizen.
Eine besonders wichtige BoUe in der Lösung der vorliegenden
Schul-, Bildungs-, Cultur- und Lebensfrage fiUlt zweifellos dem Deut-
sdien Beiche zu, weshalb wir noch ein letztes Wort Frohschammers
hier anführen wollen. Er sagt, die folgenschwere Bedeutung der
großen Zeitfrage gelte „in verschärfter ^eise f ttr das dentscke Beicb
und Volk**, nnd fUgtbei: „Durch Einftthrung und unbedingtes Geltend-
machen der Thomistischen Grundsätze bei dem katholischen Volke
werden nothwendig die confessionellen Gegensätze immer mehr ge-
sdiärft, und nicht blos durch den Gegensatz von Staat und Kirche,
sowie von Beaction und Liberalismus Beich und Volk immer mehr ge-
spalten, sondern vor allem durch Beb'gion und Confession werden zwei
£ut gleiche Thefle des deutschen Volkes immer mehr gegeneinander-
gehetzt und mit Erbitterung gegeneinander erftllt, ein Umstand, der
— 11 —
nicht blos die Macht des Papstthiims in Deutschland immer mehr er-
höht, sondern auch den äußeren Feinden des deutschen Volkes im
Osten und besonders im Westen nur sehr -willkommen sein kann." —
Mö^e denn ein jeder, welcher in dieser Zeit eine gesellschaftliche
Stellung einnimmt, jeder, der im Ganzen leben und etwas bedeuten
will, jeder insbesondere, der an der Erziehung des Volkes mitwirkt,
sei es in der Elementarclasse oder im akademischen Hörsaale, sich
entscheiden, ob er der Knechtschaft oder der Freiheit zum Siege ver-
helfen will, ob er der neuen Verwelscliung unseres Volkes, der ärgsten,
welche je geplant wurde, oder dem Genius der deutschen Nation folgen
will, wie er durch unsere Geistesheroen, durch Lessing und Schiller
und ihre Vorläufer und Nachfolger, zu uns geredet hat. Und wenn
uns ein Thonias von Aquino als der Leitstern einer neuen Cultur-
periode gepriesen wii'd, so wollen wir uns erinnern, dass diese Periode
weit hinter uns liegt, und dass ein Martin Luther im Rückblick
auf dieselbe gesprochen hat: „Wir .*:ind leider lange genug in Finsternis
verfaulet und verdorben, wir sind leider allzulange genug deutsche
Bestien gewesen: lasset uns auch einmal der Vernunft brauchen!"
— Oder hat Luther neben Thomas und seinen Geistesverwandten füi'
das deutsche Volk nichts mehr zu bedeuten? - - Fortschritt oder Rück-
schritt, Licht oder Finsternis, Freiheit oder Knechtschaft, Ehre oder
Schande, Heil oder Verderben — das ist die Frage. Sie ist in aller
Schärfe gestellt, wir müssen uns entscheiden. Entweder — oder! —
EilStlek m demMoralnnterriclit der Volksselmle Fraikraehs.
Von Schulinspector Wyß-Burgdorf (.ScAfoeis).
Die Vereini<^ten Staaten von Nordamerika, Frankreich und Italien
haben bekanntlich den Religionsunterricht aus dem Proj>:i'amm der
Volksselmle o^estrichen. Das Gleiche haben bis jetzt drei Cantoue der
Schweiz f^ethan.
Als Ersatz für den Religionsunterricht ist in den betiftfeudeu
Ländern der „]\[oralunterricht" in die Schule des Volkes und natür-
lich auch in das Programm der Seminarieu einf^etülirt. Diesen Moral-
unterricht betrachtet man nun als die wirkliche „Krone der Volks-
schule".*)
Wie mag dieser Unterricht aussehen'? So Iragt sich wol mancher
deutsche Schulmann.
Hierauf zu antworten gebe ich die Übersetzung des III. Capitels
ans dem 8. Theile des Schulbüchleins von ('oiniiayre: „Elements
d'Instruction murale." Nachdem im 1. Tlieil beliandelt worden ist:
„Die Familie und die Schule-', im 2. Theil: „Die Gesellschaft und
das Vaterland'', behandelt der 3. Theil; „Die menschliche Natui* und
die .Ab.ral.«
Das JH. ( apitel dieses Theiles heißt nun: „Die Pflichten des
Menschen gegen sich selbst."
1. Lection. Eintheilung der Selbstpflichten.
^Anmerkung: Das als Dehrmittel eingeführte Moralbüchlein der
Schüler enthält folgendes Gespräch, das wie ein Lesestück behandelt
wii'd:)
Zur Beruhigung der Dienev der Kirche fheOea wir mit, daes in den beteef-
IMmi LAadem das Geoets wOehentlieh drei Stunden einrinmt nur Ertheilnng des
Beligionsunterrichtes, der aber durch die Organe der Kirche gegeben wird. Statt
eines Eeligion.suntorrichtes gibt der Lehrer den Morahmtcrricht. Man liandelt also
ganz nach dem Wort Christi: „(Jcbt dem Kai.'ier, wan des Kaisers, uml Gott, wa«
Gottes ist!" Das heißt: Geht dem Staat, was dem ^Staate gehört, und der Kirche
was der Kirche gehOrt.
Lj .. . . > , voogle
— 13 —
Lehrer: Was versteht man im allgemeineii unter Pflicht?
Sohftler: Unter Pflicht yersteht man die innere Ndthigung, an-
serer Vemimft» unserem Qe^dssen m gehorchen.
L.: Was befiehlt nns die Yemnnft?
Sch.: Sie befiehlt nns, das zn thmi, was unserer Bestimmung
gem&fi ist
L.: Biese Bestimmung ist aber eine zusammengesetzte. Bevor
ihr in der Gesellschaft und für andere lebt, habt ihr fttr euch selbst
zn kben; ihr habt auch eine individuelle Bestimmung. Und worin
besteht diese?
(Der Schfller schweigt)
Ii.: Gegenftber anderen Menschen habt ihr« zwei Gruppen von
Pflichten: 1. Vorerst habt ihr alle Bechte eurer Mitmenschen zn
achten, also ihre Freiheit, ihr Eigenthum, ihre Ehre etc., oder mit
Ehtem Wort: Ihr sollt ihnen nicht schaden. 2. Und dann habt
ihr in allen FftUen, wo sie eurer Unterstfitzung bedfirfen, zn helfen,
sollt ihnen Wolwollen erzeigen, ihnen Überhaupt möglichst viel
Gutes thun. Habt ihr vielleicht auch ähnliche Gruppen von Pfiichten
gegen euch selbst?
Sek: Ich bin mir selber schuldig, das alles zu meiden, was mir
schadet, und das zu thun, was mir nützt
L.: Ohne Zweifell Aber welches sind die wahrhaft nfitzlichen
und die wahrhaft schädlichen Dinge?
(Der Schfiler schweigt)
L.: Um die Antwort zu finden, bedenkt zuerst, dass ihr einen
£5rper und eine Seele habt, dass der Körper das Werkzeug der Sede
ist Könnt ihr zuerst sagen, welches die körperlichen Vorzüge sind?
Sch.: Unzweifelhaft sind es die Gesundheit, die Kraft und die
Gewandtheit
L.: Kennt ihr auch die Vorzttge der Seele?
Sch.: Dahin gehört, f&hig und unterrichtet zu sein
L.: Und ftberdies empfänglich für alle guten Gefühle. Z. B. sollt
ihr auch muthig sein, denn das Leben bietet viele (Mahren und
Schmerzen, die zu überwinden sind. Wir sehen also, dass der Mensch
Pflichten gegen den Körper und Pflichten gegen seine Seele hat Im
geistigen Leben unterscheiden wir nun drei Fähigkeiten: Erkennen,
Fuhlen, Wollen. Also habt ihr auch Pflichten gegen eure Erkenntnis-
kraft, gegen ener Gefühlsleben and gegen ener Willensleben, enem
Charakter. — (Nach der Behandlung dieses Stückes ist der Schüler
ansnhalten, die Selbstpflichten einzutheilen und verschiedene hierauf
— 14 —
bexftgliehe Fngen schriftUch za beantworten, wie z. B. folgende:
Welcher Mensch kann die socialen Pflichten besser erflUlen, der,
welcher persönliche Tagenden besitEt, oder der, welcher solche nicht
beaitst?)
2. Lection: Pflichten gegen den EOrper.
Lehrer: In einem benachbarten Dorfe fhnd vor knraem eine
Becmtenanshebong statt Em verdorbener Mensch, der nicht unter
die Soldaten wollte, hatte sich zwei Finger abgeschnitten, damit er
znm Militärdienst als nntflchtig erklftrt werde. NatfliUch wurde er
zn langer Oeftngnishalt Temrtheilt, was noch schlimmer war als der
Dienst im Begiment Dieser ünglfl<^che hatte nicht nnr die Pflichten
gegen sein Vaterhind verletzt, sondern auch die Pflichten gegen sich
selbst; denn dorch diese SelbstverstQmmelang hatte er sich zu vielen
Arbeiten nntanglich gemacht nnd sich der Armnt ausgesetzt
Es gibt sogar Unglflckliche nnd Verirrte, die Hand an ihr eigenes
Leben legen. Zn schwach, die Unannehmlichkeiten des Lebens zn
tragen, entziehen sie sich durch den Tod der ErfiUlung ihrer Pflichten.
Sie gleichen einem Soldaten, der desertirt. Der Selbstmord ist nnr der
Ausgang eines verfehlten Lebens, der letzte und größte Fehler einer
langen Beihe von Fehlem. Die Liebe znm Leben verUbsst nur die,
welche das Leben falsch angewendet haben.
Es gibt aber auch Menschen, die sich dadurch strafbar machen,
dass sie einen langsamen Selbstmord begeben, indem sie sich Aus-
schweiftingen erlauben oder durch Nachlässigkeit ihre Existenz ge-
fährden.
Es ist aber des Menschen Pflicht, sein Leben zu verlängern, und
er sOllte es auf hundert Jahre bringen!
Schiller: Das hängt aber nicht von uns ab.
L.: Dir irrt euch! Zum Theil hängt ee von enerm Betragen
ab. Die Erfahrung lehrt den Menschen, seine Gesundheit zu stärken
und die Zahl der Krankheiten zn vennindem.
Sch.: Welches sind denn die Mittel dazu?
L.: Das erste ist die Gesundheitslehre, und das zweite ist die
Gymnastik. Die Gesundheitsldire lehrt uns die Kunst, unsere Gesund-
hdt zu erhalten, besonders empfiehlt sie uns die Beinlichkeit und
Nttchtemheit Nichts ist so gesund, als seinen KOrper, seine Kleider,
seine Wohnung reinlich zu erhalten; nnd nichts ist verderblicher als
die Unmäßig^eit im Essen, Trinken und Bauchen. — Die Gymnastik
aber lehrt ans, die physischen Kräfte zu entwickeln. In den Städten
befindet sich heute in jedem Schulhause auch ein Tnmsaal. Die Gym-
— 16 —
nastik ist ein Theil der Erziehung. Die körperlielien I bungen stärken
die Muskeln, torderri die Gewandtheit und kräftigen den Geist. —
(An diese Lectiou knüpft sich die Beantwortung von Fialen, wie z.B.:
Aas welchen Gründen ist der Selbstmord ein Verbierhen? Kann der
Mensch, der sich schlecht aufführt, seiner Familie, seinem Vaterlande
große Dienste leisten? Welche Fehler sind der Gegensatz von Rein-
üchkeit und Nüchternheit? Welches sind ihre Folgen? . . .)
3. Lection: Nüchternheit, Mäßigkeit.
Lehrer: Den großen Nutzen der Mäßigkeit lernt ihr am besten
aas einem Beispiel kennen. Hört darum die Geschichte von dem
Venezianer Cornaro.
Comaro wurde im Jahre 1466 geboren und starb im Jahre 1565,
ilw im Alter von 99 Jahren. Und doch war er in seinem 35. Jahre
80 schwach, so kränklich, dass die Ärzte ihn für verloren hielten,
wenn er nicht seine Lebensweise ändern wUrde. Er änderte sie aber
sofort; denn er sagte: „Der Gedanke, za sterben, ist mir sehr vat-
angenehm.'*
Ton dieeem Angenblick an lebte er äofterst mäßig. Er nahm
tiglieh nur eine geringe Menge von Nahmng und Getränken zn aidi
mid wog sich dieselben mit einer genauen Wage sogar vor. Dank
dieser Lebensweise hat er ohne Krankheit nnd ohne Eränklidikeit
em so hohes Alter erreicht Noch im Altw Ton 91 Jahren schrieb
erseht Stunden per Tag nnd brachte den Best des Tages mit Spazieren zn.
Natürlich wäre es thOricht, die gleidie strenge Lebensweise jeder-
mann Torznschrelben. Es gibt kräftige Naturen, die mehr Nahrang
lOthig liaben. Aber die Geschichte von Comaro zeigt nns doch, wie-
viel die Mäßigkeit vermag. — (An diese Lection knüpft sich wieder
die Beantwortmig von Terschiedenen Fragen. Die Schüler machen
einen Anfimtz Aber das Wort von Hirabean: «Die Gesundheit ist das
Dothwendigste Werkzeug, nm anf Erden etwas fiechtes zn leisten.**)
4 Lection: Pflege der Intelligenz.
Lehrer: Von allen Pflichten, die der Mensch gegen seine Seele
zn erflUlen hat, ist die Bildung der Intelligenz die wichtigste. Dnrch
diese erwerbt ihr ench die Tagend der Weisheit
Die Zeiten sind yorbei, da die Unwissenheit erlaubt oder gar
empfohlen war, oder da man sie als Bedingung der Tagend ausgab,
während man wosste, dass sie nnr em Werkzeug der Unteijochnng
ist Die Einsicht, die Belehrung befireit euch. Der Unwissende ist
wie ein Blinder, ein Opfer allen demjenigen gegenüber, die ihn leiten
wollen. Pflegt also eure Intelligenz, so vermehrt ihre eure Freiheit
— le-
im weiteren befreit euch die Einstellt andi von den YorortheOen
nnd dem AbergUtnben, die zwei Geiseln der MenBddieit sind. Der
XJnwieeende ist dss Opfer einer Menge von Irrthtlmem, die seine
Existenz trOben; er glaubt an die Zauberei, fürchtet die Kometen etc«
Im ferneren erzieht euch der Untenicht aneh in idttiicher Be-
ziehung, er raoralisirt eiieb. Eine erlenchtete InteUigenz Icann den
schlimmen Gewohnheiten leichter widerstehen. Viele Vergehen sind
oft nnr eine Folge des MüiUggaags nnd dia Langweile. Glücklich
ist darum der unterrichtete und erleuchtete Mensch, der das Lesen
eines guten Buches der Weinflasche vorzieht
Endlich gewinnt ihr durch die Bildung der Intelligenz die Sicher-
heit des Urtheils, den verständigen, praktischen Sinn, die Klugheit nnd
die Weisheit Der kluge Mann denkt vor jeder Handlung an die
Folgen, er leitet seine GeschAfte mit Geschicklichkeit zu gutem Erfolg.
Aber nicht nnr um des Erfolges willen mues man die Bildung
der Intelligenz anstreben, sondern anch um ihrer selbst willen. Sie
ist ein Gut an sich.
Freilich kann es sich nicht dämm handeln, aus jedem Bürger einen
G^elehrten zu machen. Aber jeder soll nach Maftgabe seiner Kräfte
sich unterrichten und soll jede Gelegenheit benutzen, sich zn belehren.
Diese Gelegenheiten bieten sich auch in der neueren Zeit immer
liäiifiprer. — (Anschließend sind folgende Fragen zu beantworten:
Welches sind die Folgten der Unwissenheit? Welches sind die Vor-
theile der Einsicht? Welches sind die schlimmen Folgen der Thor-
heit? Erkläre das Wort von Pascal: „L^^^t uns darauf hinarbeiten
richtig zu denken; das ist das Princip der Moral.")
5. Lection: Die Tugend der Mäßigung.
Lehrer: Die Intelligenz lässt uns denken; das Gefühl lässt uns
lieben. Wie die Unwissenheit ein Fehler der Intelligenz ist, so
ist die Killte oder die Leidenschaft ein Fehler des Gefühls.
Lernt zu lieben alles, was gut ist! Bildet euer Herz zur Liebe
für eure Familie, für das Vaterland, die Menschheit! Lernt auch
das zu be wundem, was schöu ist! Nichts erhebt mehr das Glemüth
des Menschen als das Schöne, z. B. erwookt das Anschauen eines
schönen Dramas die edlen und patriotischen (iefiilile.
Aber eine sehr wichtige Pflicht besteht daiin, unsere (tefiilile
und Leidenschaften zu mäßigen, unsere Wünsche zu beherrschen,
die Begierden zu meiden. Dies ist die Pflicht der Mäßigung, der
Selbstbeherrschung.
Die Mäßigung bezieht sich nicht nur auf den Körper und unter-
— 17 —
sagt WOB X. B. die Trunkenheit und die Naschhaftigkeit; sie bezieht
sich auch anf das Geistige, sie bringt OrdDung in unsere GefUhle, be-
nfaigt, regelt und reinigt unsere Neigungen.
Die Trunksucht ist zwar eine schlimme Unmäßigkeit, aber nicht
weniger schlimm ist der Fanatismus in der Vei-theidignng nnserer
Meinungen. Anch er kann uns zu vielen Ausschreitungen treiben.
Mit der Mäßigung sind in naher Beziehung: die Bescheiden-
heit, die Ordnungsliebe, die Sparsamkeit. — Welche Fehler
bilden den Gegensatz znr Mäßigung, zu Bescheidenheit, zu Sparsam-
keit? Erklärt den Satz Franklins: „Mit dem, was ein einziges
Laster kostet, könnte man zwei Kinder erziehen." „Hütet euch vor
kleinen Ausgaben: Viele Bächlein machen einen Fluss.")
6. Lection: Der Mnth.
Sowie sich einige Pflichten auf die Intelligenz und das Gefühl
besiehen, so beziehen sich andere auf den Willen. Der menschliche
Q&st äußert sich nicht nur im Denken und FOhlen; man muss auch
wollen, wollen mit Kraft, mit Energie; und das eben heißt man
Mnth. —
Je nach Umständen nimmt der Mnth Terschiedene Formen an; z. R:
1. Der Mnth in der Arbeit, der alle Hindernisse und Schwierig-
keiten überwindet, beißt Thätiigkeiti Ausdauer.
2. Der Muth, der sich in der Ertragung des Unglflcks und der
schweren PrCtfiingen desltdieas zeigt, heißt Resignation, Ergebung
S. Der Mnth, der auch im Elend nie verzagt, heißt Geduld.
4. Der Muth, d&t Gefohren und Tod nicht fttarchtet, heißt Tapferkeit
5. Der Mnth, seine eigene Überzeugung auszusprechen, heißt Über-
xengnn getreue, Unabhängigkeit des Charakters.
Es ist nOthig, dass der Wille in allen Lagen des Lebens sidi
offenbare, sich aufrechthalte, seine Macht erweitere, dass er irei und
stark bleibe und der Unterdrückung seitens anderer Menschen oder
der äußeren Natur Widerstand leiste. — (Welche Laster sind der
Gegensatz von Ausdauer, von Geduld, von Tapferkeit, von Mnth im
allgemeinen? Was ist von Feigheit zu halten? Welches sind die
Folgen von der Trägheit? Erkläre folgenden Satz Franklins: „Der
Hunger schaut durch die Thüre des Arbeitsamen, wagt aber nicht,
einzutreten.**
7. Lection: Franklins Tugendübung.
Franklin hatte in seiner Jugend eine große Zahl von Fehlem
und schliflunen Neigungen, und doch ist er ein Weiser geworden. Um
FMdagoKiaa. lt. J^ürg. H«ft I. 8
— 18 —
sich zu bessern, legte er sich ein Verzeichnis der Tugenden an, die
ihm fehlten. Es waren folgende: Enthaltsamkeit, Schweigsamkeit,
Ordnungsliebe, Entschlossenheit, Spai-samkeit, Betriebsamkeit, Auf-
richtigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Reinlichkeit, Euhe, Sittenreiiiheit
und Derauth.
Alle diese Tugenden auf einmal sich anzueignen, fand er unmög-
Kch. Aber was that er? Er richtete eine Zeitlang seine Aufmerk-
samkeit nur auf eine Tugend; war er Meister in derselben, so ging
er zu einer anderen über. Doch das war nicht genuf,'-. Jeden Morgen
und jeden Abend stellte er eine Selbstprüfling an, fragte sich, suchte
worin er gesündigt habe und woi'in er besser geworden sei, und anter-
suchte so genau den Stand seiner Seele.
Noch mclir! Fa' legte sich ein Verzeichnis der Tugenden an;
und wenn er gegen eine dei'selben fehlte, so markii'te er sich dabei
einen schwarzen Strich.
So lernte er die schwaclien Seiten seiner Seele kennen.
Nach und nach verschwanden die schwarzen Striclie, die Steilen
seines Heftes blieben ganz weiß und seine Seele ganz rein. — (Was
ist von dieser Tugendübung Franklins nachzuahmen? Auf was soll
die Selbstprüfung, die Gewissensprüfung jeden Morgen und jeden
Abend sich beziehen? Gebt eine Übei*sicht der Pflichten gegen
sich selbst!)
Lehren: Die Tugend lässt sich auch erlernen wie alles andere.
Die oberste Pflicht eines Menschen ist die, sich selber zu vervollkommnen.
Das erste Mittel hierzu ist die tägliche Gewissensprüfung. Hierzu
sollen sich noch gesellen: das Lesen guter Bücher, die Nachahmung
großer Männer und die Betrachtung guter Grundsätze.
Nachwort: „Und die Moral muBS doch gelehrt werden"^
sagt Fricke. Durch den Moralunterncht wird die Kenntnis des Guten,
die Kenntnis der moralischen Gesetze, das Wissen des Guten und
Rechten, das Gewissen gebildet Im richtig gebildeten Gewissen
ist die Bichtschnur des sittlichen Lebens. Die richtige Ge-
wissensbildung häugi ab von der richtigen Erkennteis der
Welt, unserer selbst nnd unseres Verhältnisses zn der Mit-
welt Wissen des Guten ist die praktische YemunfL Diese ist dem
Zweifel weniger ausgesetzt als der Glaube. Damm sagte Kant: „Die
Vernunft ist das Princip der Moral**
Solange die Volksschule die „Sittenlehre** nicht als besonderes
Fach auMmmt, erfüllt sie ihre Pflicht als Erziehnngsanstatt des
Volkes nicht
Zur Refom des laturgesehiehtiielien Untenrielits.
Tim Dr, E, WUUwM-Wim,
\ii jüngfster Zeit ist auf dem Gebiete des naturgeschichtliclien
ünt^nichtes eine Refornibeweg-ung- liervorr^etreten, welche den von der
Beschreibung ausgehenden und sich au die Systematik anlehnenden
Naturgescliichtsunterricht bekämpft und au seine Stelle eine leben-
digere, mehr gemüthbildende Behandlung treten lassen möchte. Sie
findet die Einheit der Natur nicht im S\'steme, sondern in der gegen-
seitigen Abhängigkeit der Naturkörper bei Befriedigung der Lebens-
bedürfnisse. An der Spitze dieser Bewegung stehen Junge mit seinem
interessanten Buche: „Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft" (Kiel
1885), sowie Kießling und Pfalz, welche durch ein „Methodisches
Handbach f&r den Unterricht in der Naturgeschichte'^, sowie durch
eine Broschüre: „Wie muss der Naturgeschichtsunterricht sich gestalten,
wenn er der Aasbildung des sittlichen Charakters dienen soll?" (Braan-
schweig 1888), ihren Ansichten Eingang in die Volksschale zu ver-
schaffen trachten. Obwol nun in diesen Schriften sehr viel Beherzigens-
wertes enthalten ist, so dass die Lectflre derselben den Lehrer der
Natnrgeschichte nur fördern kann, so drängen sich dabei doch die
Fragen auf: „Ist wirklich anser NaturgeschiditsonteiTicht ein so
trockener and geistloser, wie hier behauptet wird?** „Hat die Be-
handlung im AnschlnsB an das natfiriiche System Trirklich so wenig
ftr sich, dass man sie dnreh die Betrachtung von Lebensgemein-
schaften erwtien mnaa?" „Sollen wir nach den dort geltend gemachten
Gnindsitien die BeBCifareibangen der Natirkdrper gestalten?* Im
Folgenden soll die Beantwortung dieser Fragen versaeht werden.
Wenn dies nicht nnr ron dem Standpunkte des Pftdagogen, sondern
aadi von jenem des Zoologen geschieht, so mOge zor Entschuldigung
der Hinweis gestottet sein, dass der VerfSssser nicht nur seit Jahren
an Gymnasiiim imd Bürgerschnle als Ldurer der Naturwissenschaften
thitig war und ist, iondem anch auf zoologischem Gebiete manche
Arbeit (besondenB in der „Zeitsdirift für wisaenschaftlidie Zoologie" in
Leipzig) veröffentlicht hat
2*
— 20 —
I
Fassen wii- zunächst die Aufgabe des Naturgeschichtsunter-
richtes in der Volksschule (dies \\'ort in weiterem Sinne genommen,
so dass es die östen*eic}iische Bürgerschule mit urafasst) in die Augen,
so finden wir, dass derselbe wie jeder Unterricht in der Volksschule
sowol die Kenntnis gewisser Thatsachen zu vermitteln, als auch Geist
und Gemüth zu bilden hat. Beide Momente sind in der Volksschule
gleichwertig. Wird doch von der Volksschule Rücksichtnahme auf
das praktische Leben verlangt. Diese kann nicht lediglich dadurch
stattfinden, dass man die Geistesthätigkeiten in gewissen Beziehungen
übt; es müssen auch bestimmte, für das Leben nothwendige Kennt-
nisse vermittelt werden. In dieser materialen Beziehung lehrt der
Naturgeschichtsunterricht die wichtigsten Naturkörper und ihr lieben,
sowie ihre Beziehungen zu einander und den Zusammenhang derselben
kennen. In formaler Beziehung gibt der Xaturgeschichtsunterricht
vor allem Gelegenheit, die bei den anderen I'nterrichtsgegenständen
so vernachlässigten Sinne zu bilden. Außeres Ansehen und innere
Structur, Formen und Größenverhältnisse werden den Schulern an
den einzelnen Naturkörpern vorgeführt und mit ihnen besprochen. Die
Schüler üben sich also darin, das, was sie sehen, präcise zu bescln eiben,
durch Vergleich ähnliches zusammenzufassen und verschiedenartiges
zu trennen. Sie lernen weiter die Veränderungen, welchen die Natur-
körper unterliegen, beobachten. Indem sie auf den Zusammenhang
von Körperform und Lebensweise (bei den Thieren z. B.) aufmerksam
gemacht werden, werden aie angeleitet, nach Erklärung der Er-
scheinungen zu suchen.
Wenn die Sch&ler nach einer Disposition beschreiben, wenn sie
einzelne Naturkörper nach ihrer Ähnlichkeit gruppiren, so üben sie
Gedankenprocesse, die in Bezug auf Thatsachen auch bei Anfertigung
eines Aufsatzes oder bei Verfassung einer Rede in Thätigkeit kommen,
und gewinnen eine Fertigkeit, die fOr das praktische Leben von großer
Wichtigkeit ist und (wie wenigstens meine Erfahrung beweist) durch
den Spradiimtemcht mcht in genügender Weise gewonnen wird-
Allee dies trftgt aber auch nieht wenig zur sprachlichen Fertigkeit bei.
Gebt doch klarer Bprachlicher Ausdruck Hand in Hand mit richtiger
geistiger AuffiiBsong. Es nnterstatzt also der richtig erthdlte Natur-
geschichtsnnterrieht in gans wesentlicher Weise den so wichtigen
Sprachunterricht Indem der Natorgescfaichtsunterricht endlich den
Schfllem Einsicht erOffhet in den Znsanunenhang der Natur in ihren
Theilen, besonders auch in den Zusammenhang des Menschen mit der-
— 21 —
flelben, indem er die Kinder mit der Sc)iönheit der Natur im kleinen
TO im grofien bekannt macht, wirkt er auch gemütbbildend: er weckt
die Liebe zur Natur. Das geist- und das gemathbfldende £lement
im KalavgeiciiiclitBiinterrichte stehen Jedoch in ebiem gewissen Gegen-
salie sn einander. Durch zu eingehende und trockme Beschrdbung
wird den Kindern die liebe Ar diesen Gegenstand nnd damit in
vieten Filien ftr die Natur flbeihaupt geraubt Durch zn starke Be^
rflcksfchtigang des gemttthbOdenden Elementes aber, unter Vmach-
Iftssigung Yon Beschreibung, Vergleiehmig etc., wird das geist-
bildende Element geschädigt, und der Natnrgeschiehtsontemcfat kann
zu Tändelei und Schw&nnerei ftthren.
Lüben legt das Hauptgewicht beim Natuigeschichtsnnterrfchte
auf die Beschreibung, wdche schon er, noch mehr aber seine An-
hänger, hie nnd da etwas zn eingehend gestaltet, als wenn den Kin-
dern alles, was Aber den betreffenden Natnrköiper bekannt ist, mit-
getheflt werden mtata Er ist bestrebt, den Kindern eine VorsteUnng
von der Einheit der Natur zu geben, nnd gmppirt deshalb das zu
Besprechende nadi systematischen Ghmdsfttzen, aber ohne dass des-
halb die Systematik in einer schädlichen Welse den Unterrieht ttbei^
wuchern würde. Wol ist dies aber der Fall bei einigen Schul-
bftchem, auf welche sich Junge und Kiessling offienbar beziehen,
wie jenen yon Lennis, Wagner etc., welche in Deutschland leider
noch immer im Qebraache sind, obwol sie in ihrer Anlage schon ver-
fehlt sind, da sie mehr Bestimmnngs- als Lehrb&cher sind nnd des-
halb einen Wnst von systematischen Details bieten, welcher in ein
Schnibnch nicht gehört Bei uns aber wirken die intelligenteren Lehrer
der Naturgeschichte ber^ts in dem von Junge nnd Kießling-Pfalz
gewünschten Sinne, ohne jedoch das Gerippe der SystematüL ganz zu
verlassen. Ich meine hier das Bestreben der Neuerer, den Naturge-
schichtsunterrichts seinem Inhalte nach zn vertiefen nnd das von
Humboldt der Naturwissenschaft gesteckte* und von Bossmäfiler
der Schule empfohlene Ziel festzuhalten: die Erde sls em organisches
Ganzes zn betrachten, dessen Theile voneinander abhängig sind, und
anf die Verkettung der Thatsachen das Hauptgewicht zu legen.
Jnnge will durch den Naturgeschlchtsunterricht ein Uares undge-
mflthvoUes Verständnis des einheitlichen Lebens in der Natur anstreben;
er geht dabei aber von der Betrachtung von Lebenegemeinschaften
^fSbius) aus und sucht die Einheit der Natur nicht in der dem System
zugrunde liegenden Form, sondern in den das Leben beherrschenden
Gesetzen. Er will durch den Naturgeschichtsunterrlcht zn genauer
— 22 —
Beobachtung anregen nnd die .Kinder anleitoi das, was sie beobachtet
haben, nnd das, was sie daraus erschlosseo, scharf auseinanderzohalten.
£ie£ling tind Pfalz kgen das Hauptgewicht aof die Gemüthsbildong
und werfen den bisherigen Bttcheni vor, dass man in allen den Ans-
druck: „Gemftthvolles Verstindnis der Nator" finde, wfthroid die
weiteren AnsfOhrongen einseitiger Yerstandesbüdnng das Wort reden.
Der Natoigeschichtsiinterricht soll nach ihnen dadoreh fördernd auf
die Entwiekelnng des sittlidien Cbarakters einwirken, dass er bestrebt
ist, im SchtUer klares VersUtaidnis der Natur nnd eine auf solchem
beruhende Liebe zu derselben zu erwecken. Sie wollen die SchlUer
gewöhnen, bei den Erscheinungen nach dem Warum zu Aftgen, die-
selben mit kritischem Auge zu betrachten. Das klare Verständnis
suchen sie aber sowie Junge, blos in der Erkenntnis, dass die Erde
ein wolgeordnetes Oanzes ist^ dessen einzelne Glieder sich nicht nur
gegenseitig bedingen, sondern andi denselben allgemeinen Lebens-
bedingungen unterworfen sind. Der Mensch muss als ein sowol be-
dingendes als bedingtes Glied des großen Naturganzen erscheinen.
Der Unterricht in der Naturgeschichte soll dadurch auch zur Bildung
des sittlichen Charakters sowie zur Weckung der Beligiositflt bei-
tragen. Die letzten auch von Gasser*) betonten Momente führen
wol etwas zu weit und könnten, wenn ungeschickt angefosst, den
Naturgeschichtsunterricht selbst schädigen. Bichtiger ist die Bemerkung,
dass durch unseren Unterricht das Mitgefühl mit den Thieren geweckt
werden soll
Obwol nun im wesentlichen die Bestrebungen der Neuerer, den
Naturgeschichtsuntemcht bildender zu gestalten, nur zu billigoi smd,
kann doch die Art und Weise, in der sie das erreichoi wollen, nicht
gutgeheißen werden. Soweit ihre Fordemngoi Berechtigung haben,
lassen sie sich auch in einem sich an das System anlehnenden Unter-
richt erfüllen.
n.
Die Auswahl des naturgeschichtlichen Lehrstoffes wird
sich nach der Au^be richten mttasen, welche dem Natnrgeschichts-
Unterricht gestellt ist Da die durch diesen Unterricht zu fördernde
Geist- und Gemllthsbildung von ^ Auswahl des StoflTes nur in ge-
ringem Grade abhängig ist, so wird hier Tor allem das Bedürfnis des
praktischen Lebens maßgebend sein. Wenn Kießling und Pfalz
*) A. GMier: Wie mt der Mtuisesehiohtliche Untenidit ia der YolkiKhiae
geist- und gemathbüdeod n gestalten? WieBb«den 1887.
— 28 —
vorwiegend solche Naturkörper ansv&hlen, deren Beziehimgen zur
fibrigen Natur klar ersichtlich aiod, wenn Junge in seiiiem Dorfteich
der Lebensgemeinschaft zuliebe naaebes beschreibt, was sonst wol
kaum durch verbreitetes Vorkommen oder praktische Wichtigkeit daranf
bitte Anq^meh erbebeo. können, so scheinen sie dadurch schon zu
weit m gehen.
Schon Com en ins, der Vater der modernen Pädagogik, hat, wie
fut alle Grundsätze derselben, auch denjenigen der Anscbaulichkeit
aoBgesprocben. „Die Menschen müssen gelehrt werden, soweit als nur
ligend mOglidi nicht ans Biichem ihre Einsicht zu schöpfen, sondern
ans Himmel und Erde, aus Eichen und Buclien'*, und: ,.Nichts darf
getobrt werden auf Grund blofier Autorität» sondern alles durch Dai*-
legnng, sinnlich wahrnehmbare und yeminiftgeniäße". Unser Natur-
geschichtsunterricht hat das Bestreben, wo dies möglich, von der An<*
schanung auszugehen. Aber dies Bestreben kann übertrieben werden,
und zu solchen Übertreibungen scheinen Junge, sowie Kießling und
Pfalz gelangt zu sein. Ersterer will überhaupt alles den Kindern
durch Vorführung der Objecto und durch Versuche klar machen und
uberschreitet namentlich durch seine physiologischen Versuche wol vielfach
die Grenze, die durch die zur Verfügung stehende Zeit sowol, als dui eh
das Verständnis der Kinder gezogen ist. Die letzteren aber möchten alles,
was sich überhaupt nicht zeigen lässt, aus dem Naturgeschichtsuntemcbte
ausschließen. Sie lassen desliall) ausländische Objecte unberückaicbtigti
weil diese im besten Falle nicht unter den natürlichen Lebensbedingungen
vorgefühil werden können. Es wird bei alledem ganz übersehen, dass
schon Comeniiis neben einer wahrnehmbaren auch von einer Vernunft-
gemäß» 11 Anschauung spricht. Comenius spricht bereits den Satz aus,
dass man beim Unterricht vom Nahen zum Entfernteren fortschreiten
solle, wonach im allgemeinen bisher auch in der Naturgeschichte vorge-
gangen wurde. Das man das Entferntere und was sich überhaupt nicht
anschauli< Ii inaclien lässt, ein&cb vom Unterrichte ausacbliefit, ist ein
neuer Grundsatz.
Die Kinder bringen den ausländischen Naturkörper nicht nur dämm
Interesse entgegen, weil sie solche schon hie und da kennen gelernt
haben, sondern besonders weil man ihnen von denselben schon von der
ersten Kindheit auf erzählt hat. Geluvt doch z. B. der Löwe, dei*
König der Thiere, und andere hierher, erreicht doch die Natur über-
haupt erst in den Tropen die Höhe ihrer Entwickelung. Kießling
und Pfalz unterschätzen das von den Kindern den ausländischen
Naturkörpern entgegengebrachte Interesse, wenn sie glauben, dass die
— 24 —
Behandlimg ausländischer Natui'körper nicht in demselben Maße, wie
dicjjenige eixüieiiiuflcher, Liebe zur Natur zu wecken vermag; sie
irren sich, wenn sie glauben, dass die eingehende Betrachtung der ein-
heimischen Naturkörper und ihres Lebens den Schülern die Großartig-
keit der Natur näher bringe als Schilderungen ausländischer Naturbilder.
Es liegt also auch ein allgemein bildendes Element in der Besprechung
ausländischer Naturkörper. Schon mancher berühmte Reisende und
Naturforscher wurde durch Erzäliliiugen aus dem Leben der Tropen
za seiner späteren Th&tigkeit angeregt.
m.
Indem wii' nun auf die Anordnung des natiirgeschichtlichen
Lehrstoffes zu sprechen kommen, stoßen wir auf den Grundfehler
unserer Reformer. Da ilinen liehrbücher, wie die schon angeführten,
welche entschieden sehr zu tadeln sind, vorscliweben, da sie an jene
alten künstlichen Systeme, sowie an die Thiitigkeit jener oberflächlichen
Systematiker (es gibt auch heute nocli solche) denken, welclie das Um
und Auf ihrer Wissenschaft in der oberflächlichen Besclireibnng neuer
Formen und in der Einordnung derselben in ihr System sahen, so be-
kämpfen sie die Verwertung des Systenies in der Schule überhaupt,
verrathen aber hierbei, dass sie sich der Bedeutung des Systemes gar
nicht bewusst sind, und dass sie gar nicht auf der Höhe der modernen
Naturwissenschaft stehen, obwol sie vieles von ihr angenommeu haben.
Sie berufen sich auf Humboldt und Rossmäßler, die Bedeutung
Darwins, dessen Anschauungen von der großen Mehrzahl der Natur-
forscher angenommen sind und die Naturwissenschaft befruchtend durch-
dringen, scheint ihnen aber entgangen zu sein.
Für Junge ist das System lediglicli ein wissenschaftlicher Apparat,
der den Systematikern zur Einordnung dient, der aber für die Schule
nicht Selbstzweck sein kann, da hierher nur die Resultate der \\'issen-
schaft gehören. Das System ist ihm lediglich ein Product mensch-
licher Logik, und darum gibt es auch nicht blos ein System, wie dies
sein müste, wenn das System von der Natur geschaflfen wäre, son-
dern bei verschiedenen Naturforschern verschiedene Systeme. Wenn
das System in der Schule ausgefüllt werden solle, so dass der Zu-
sammenhang gewahrt sei, verlören die Kinder die (U)ersicht. Zu
Gunsten der logischen Einheit werde im System das natürlich Zu-
sammengehörende auseinaudergeiissen, das Wesen aus seiner Umge>
bung entfernt und dem Kinde die todte Jb'orm gegeben.
Dem muss entgegnet werden, dass das natürliche System durch-
aus kein so künstliches Gebilde ist. Es ist freilich wahr, dass die
— 26
Hatnr war Indhidnoi Bchafll, nidit Arten, Gattangen etc., aber diese
Iidividaeii stehen in einem Znsammenbange dnreh die grOfiere oder
geringere Jüinliclikett, welche man, seit D aririns Lehre von der Wissen-
sehalt angenommen worden ist, durch die grOfiere oder geringere Ver-
wandtschaft erkürt, in welcher die NatorkOrper zn einander stehen.
£b gibt daher anch blos ein natürliches System; auf die künstlichen
SjBteme, wie sie früher bei dem noch nngenftgendoi Stande der Wissen-
schaft fibUch waren, die, wie z. B. Linnes Pflaazensystem, blos anf
ein Merkmal gegründet waren, brancht hier wol nicht ehigegaogen
sa weiden, da sie entschieden nicht in die Schole gehören. Wenn
anch noch heute bei verschiedenen Naturforschern oder bei demselben
in verschiedenen Zeiten sieh Unterschiede im System neigen, so rührt
dies lediglich daher, dass man eben noch nicht alle Organismen so
genau kennt, nm jedem seinen definitiven Fiats im Qystem anweisen
an können. Bei fortschreitender Erkenntnis treten daher Ändemngen
ha System ein, welche sieh aber meist nor anf Einzelheiten erstrecken,
die in der Sdinle nicht in Betracht kommen. Die Stellung eines
Körpers im natürlichen System ist selbstverständlidi nicht blos dnreh
die laßere Form gegeben, sondern dnreh alles, was von demselben über-
haupt bekannt ist Das System einer Natnrwissenschaft ist deshalb
kein künstliches Sammelsnrinm, sondern die Erönnng der betreffenden
Wissenschaft, wdche unser gesammtes Wissen auf dessen Gebiete ver-
wertet und uns den natürlichen Stammbaum der Lebewesen vorführt
Deshalb soll anch durchans nicht mit dem System in der Schule be-
gonnen werden, es soll nur als Grundlage in der Anordnung Verwen-
dung ifaiden, nm den Znsammenhang der NaturkOrper erkennen zu
lassen. Es muss sich im Unterricht, sowie in der Wissensdiaft von
sdbst ergeben, so dsss es zum Abschluss des Natnrgeschichtsunter-
richtes nur einer ZusammenfiMmung bedarf, um dasselbe hervortreten
zu lassen.
Es schwebt mir hierbei der concentrische Unterricht vor, welcher
gerade für die Naturgeschichte viele Vorthdle bietet Bei einer Ein-
richtung in drei Stufen, wie sie durch unsere dreiclassige Bürger-
schule gegeben ist, vertheilt sich der Stoff in sehr natürlicher Weise,
indem im wesentlichen nach Lübens Vorgang auf der ersten Stufe
Einzelbeschreibangen vorgenommen werden, wobei im allgemeinen die
natürliche Reihenfolge beizubehalten sein wird, um das sehr bildende
Vergleichen ahnlicher Körper zu erleichtem. £s hindert aber nichts»
dass Pflanzen und Insecten aus naheliegenden Gründen im Sommer,
und zwar inderBeihenIbIge ihres Auftretens, zur Besprechung gelangen.
— 26 —
Auf d«r zweiten Stufe kommt nocli die aiisfuhrliebe Bespreclmng eines
anderen wichtigen Eepräsentanten jeder Ordnung, sowie die kürzere
Beepreohnng etw» anderer wichtiger Vertreter dazu. Durch Vergleich
derselben werden nach ihren Ähnlichkeiten die Charakteristiken der
Ordnungen gebildete Sowie anf der ersten Stufe eine geordnete Bd>
Schreibung den Kindern gewisse Schwierigkeiten bereitet, die über-
wunden werden müssen, ebenso ist auch der bei Bildung der Charak-
teristik der Ordnung-en stattfindende Gedankenprocess nicht leicht,
weslialb derselbe eben für die zweite Stufe aufzulieben ist, obwol
Vergleiche einzelner Repräsentanten schon auf der ersten Stufe ge-
macht worden sind. Auf den Zusammenhang gewisser Ordnungen
kann hier auch nebenbei hingewiesen werden. Auf der dritten Stufe
kommt dann zu der mehr in den Hintergrund tretenden Einzelbe-
schreibung und Charakteristik der etwa neu hinzukommenden Ord-
nungen der Hinweis auf den durch den Bau bedingten Zusammenhang
derselben untereinander, also die eigentlich systematische Gliedening
wobei es besser ist, die natürliche Reihenfolge des Systems, selbstver-
ständlich vom liTdier Organisirten, den Kindeni verständlicheren, zu
dem niedriger Orgauisirten herabsteigend, beizubehalten. Auf dieser
Stufe wird übrigens mit Vortlieil die so wichtige Betraclitung des
Baues des menscliliclien Krirpers und damit verweilt die Gesundheits-
lehre der Re1r;ulitiiii.rr der Tliierwelt vonuisfreschickt, so dass auch
bei Betrachtung dieser der innere Bau veigleiclisweise mit jenem des
Mensclien eingehender durchgenommen werden kann. Wollte man mit
den Thieren anfangen, so müsste man sich doch vielfach auf den
menschlichen Körper berufen, wie dies schon auf den ersten zwei
Stufen bei Bespre('hung einzelner anatomischer \'erhältnisse, welche
dort schon durchgenommen werden müssen, der Fall ist. Eine Aus-
füllung des Systems mit wertlosen Einzelheiten, um den Zusammen-
hang hervortreten zu lassen, braucht durchaus nicht stattzufinden; es
wird also auch nicht mit dem Vergessen dieser das System ver-
loren gehen. Junge's diesbezügliche Beliirchtunnfen sind unge-
rechtfertigt. Daneben kann auf die dadurch liervortretende Ein-
heit der Natur, dass die Naturgesetze für alle Natnrkörper gleich
gelten, ganz gut schon liei d(»n Einzelbeschreibungen hijigewiesen
werden, Ei»euso kann bei allen diesen Besprechungen trotz aller Be-
denken von Kießling und Pfalz die Beziehung eines Naturkörpers
zu anderen Naturkr(r])ern und seiner ganzen Umgebung in genügender
Weise besproclieii werden.
An Stelle dieses Unterrichtes nun, der ohne Vertiefung in Einzel-
— 27 —
betten und nnter Berflekrichtigong aller Besiehnngen der Natorkörper
den Sindem doch eine y<n8teUiuig gibt von dem Znaammenhang der-
fldben, w<^en dieNeierer einen ünterrlcht treten lassen, welcher diese
Benehnngen dadurch in den Vordergnind stellt, dass er yon der Be-
trachtung Ton Lebensgemelnsdiaften ausgeht Es soll also der durch
den Speichen Körperbau, durch die natflilicl^e Verwandtschaft gegebene
Zusammenhang zerrissen werden, um einen Zusammenhang hervor-
treten zu lassen, der mehr zufiUliger Natur ist, der sich erst secnndfir
hennagebildet hat und oft schwer nachzuweisen ist. Das Thier, die
Pflanze haben gewisse Lebensbedingungen; wo diese erftllt sind, wer^
den sie sieh finden, das ist aber nicht lediglich in irgend einer Lebens-
gemeinschaft der fVJl, sondern kann an veischiedenai Orten statt-
finden. Die Vig»er findet sich z. B. auf dem Moor, dem Hok-
sehlag etc« Sehr TerSndert sind auch die Lebensgemeinschaften in den
Culturl&ndem durch den Eingriff des Menschen, dnrdi den ganz neue
Lebensgemeinschaften gebildet worden sind. Bei diesen großentheils
künstlichen Lebeusgemeinschaften, wie Oarten, Feld etc. sind aber
wenigstens die Begehungen der einzelnen Mitglieder khir, was bei den
natftrliehen Lebensgemeinsdiaften durchaus nicht immer der Fall ist^
worans sieh wieder ftlr den Unterricht Schwierigkeiten ergeben.
Dass das Zuspitzen des ganzen Naturgesehlchtsunterridites auf
die AUettung gewisser, die LebensTerhSltnisse beherrschender Gesetze,
die noch gar nicht so genau bekannt sind und von denen manche in
der Ton Junge gegebenen Fassung angefochten werden konnten*),
nicht zuUssig ist, wird tou Eiefiling und Pfalz zugegeben. Diese
beiden Autoren weisen auch selbst auf Schwierigkeiten hin, welche
sich bei Behandlung der Jnnge'schen Lebensgemeinschaften ergeben,
ünd dieser selbst hftlt sich, wie aus dem seinem Buche beigedmckten
Pensenplan ftb* einen fttn^fthrigen Curaus (an einer achtchusigen Schule)
in der Naturgeschichte zu ersdien ist, nicht ausschließlich an seine
Lebensgemeinsdiaften, sondern bespricht und gruppirt die KatnrkOrper
nadi den verschiedensten (für Volks- und Bikrgerschule wol etwas zu viel)
Beziehungen. Wenn auch mehrals Anhang, soerscheint doch anchin seinem
Pensenplane eine systematische Gruj^irung der Pflanzen und Thiere.
*) So erscheint z. B. hei dem Ciesetz der Eiitwi( kcinnjs:: „.Tedor Organismus
entwickelt sich aus dem Eintaclieu heraus zur iStiile der (immerhin relutivcn) Voll-
kommenheit", auf die Rückbildungen, bei Parasiten z. B., nicht Kilcksicbt genommen
Dem GeMtM der Spafumkeit (t. B.: Je mehr Pflege, desto weniger Eier) kSmite
wol nfflgekehrt ein Geaeti der YefMliweBdttng mr Erhaltung der Art (aehr viel
Bier oder Semen) entgegoigeiteUt weideB.
o 1 j V U^^.'^lC
— 28 —
IV.
Die geplante Reform des Naturgeschichtsanterridites prägt sich
anch in der Behandlung des Lehrstoffes scharf ans. Lüben, der
Begründer der modernen Methodik des Naturgeschichtsunterrichtes, hat
für die Beschreibung der Natorkörper, welche er sehr eingehend, doch
ohne Berücksichtignng der ganzen wissenschaftlichen Terminologie vot'
nimmt, Dispositionen aufgestellt, nach welchen z. B. die Thiere, die hier vor
allem interessiren, in der Reihenfolge zu beschreiben sind, dass zuerst
das Aussehen (Größe, Farbe, Form etc.), dann Vorkommen, Lebens-
weise, Nutzen und Schaden etc. zur Besprechung kommen. Einige
neuere Tvehrbücher sind aus pädagogischen Gründen bestrebt, jene
Mittheilungen in Form einer lebendigen Darstellung zu geben.
Eine Disposition ist aber auch bei so einer Beschreibung nothwendig,
soll diese überhaupt geordnet erscheinen und soll nichts Wesentliches
vergessen werden. Dies zeigt sich auch bei Junge, der eigentlich an
Stelle der Beschreibungen viel interessantere Betrachtungen der Natur-
körper setzt, indem er die Besprechung der Lebensweise mit der Be-
schreibung der Körperform verflicht und so den Zusammenhang beider
besser hervortreten lässt. Dieses den Unterricht sehr belebende Ver-
fahren ist nur zu billigen. So beginnt er bei Besprechung der Thiere
mit Betraclitung von Aufenthalt und Körperform (Bedeckung, Färbunfj:).
Die Kinder werden also sofort daran erinnert, wo sie das betreffende
Thier schon gesellen liabeii oder sehen können. Daran schließt sich
die Betrachtung der Bewegung und Beweguiigsorgane. Das bewegte
Thier prreß-t eben melir Interesse als das todte, und bei der Bewegung
springt auch der Zweck des Baues der betreffenden Orcane sofort in
die Aupen. Ks folgt die Besprechung der Nahrung und der zur Er-
lanoriinf,^ derselben dienenden Organe: Sinnesorfrane und Waffen, Die
Athniun^'" sclilieLU sich passend an die Ernaliriinr,^ an. Dann kommt
eine Bcsprcdiung der Häuslichkeit i Fortpflanzung) und endlich eine Be-
trachtung über die Stellung des betreffenden Thieres in der Natur als
Glied des Ganzen, wobei natürlich das Verhältnis zum Menschen (Nutzen,
Schaden etc.) besondere Berücksiclitigung findet. Denn für den Men-
schen bh'ibt es doch immer am interessantesten, in welclieni Verhältnis
das betretVende Wesen zu ilim stellt, mag die Bezeichnung „nützlich"
oder „schädlicli" auch von einem höheren Gesichtspunkte aus als un-
passend zu bezeichnen sein. Doch hält sich Junge durchaus nicht
immer peinlich au diese Disposition. Es soll den Kindern eine ge-
wisse Freiheit bei der Beschreibung gewahrt bleiben.
Schwieriger fallt es bei Betrachtung der Pflanzen, an Stelle einer
— 29 —
scheaia tischen, mit den unterirdischen Thailen beginnenden und mit
der aus der Blüte hervorgehenden Frucht endig:enden Beschreibung
eine lebendigere Besprechung zu stellen. Selbstvei^ständlich wird auch
hier mit dem Aufenthaltsort und der etwa damit im Zusammenhang
stehenden Form zu beginnen sein. Im allgemeinen hat man sich an
den Lebenscyclus der betreöenden Pflanzen zu halten, so dass das-
jenige, Avas im Verlaufe des Jahres zuerst auftritt, auch zunächst der
Besprechung unterzogen wird. Es- ist dies ein bereits vielfach be-
folgter Vorgang, der aber viel Zeit erfordert. Zu seiner Erleichterung
werden die leider nicht überall gut durchführbaren Lehrspaziergänge,
welche die Neuerer verlangen und bei denen Entwickelungsbeobach-
tungen besonders bezüglich der Pflanzen gemacht werden können, viel
beitragen. Die Hervorhebung der Bedeutung für die Natur im all-
gemeinen und den Menschen im besonderen macht die Besprechung
interessant. Bei Betrachtung der Pflanzen ist es schwieriger als bei
jener der Thiere, sich von einem Übermaß von Terminologie frei zu
halten. ISowie aber bei der Beschreibung festzuhalten sein wird, dass
nicht jedes Detail, welches für den Fachzoologen oder Botaniker, aber
nicht für das Kind Interesse hat, zur Besprechung kommt und Dinge,
die an den Gegenständen nicht hervortreten, überhaui>t möglichst ver-
mieden werden sollen, ebenso sollen nur die am meisten gebräuch-
lichen Fachausdrücke augewendet werden. Uan muss sich immer
vor Augen halten, dass Fachausdrücke dem Fachmanne die Behand-
lung erleichtem, dass sie aber für den Laien, der sich mit der Sache
niciit eingehender beschäftigt, meist nur ein Ballast sind, der oft das
lnteres.se für die Sache abschwächt. Bei Behandlung der Pllanzen ist
es nicht so leicht wie bei den Thieren, den Zusamntenhang zwischen
Bau und Leben nachzuweisen. Die Einrichtungen der Blüten zum
Anlocken der zur Befruchtung nothwendigen Insecten, die der Früchte
und Samen zur leichten Verbreitung, die Anpassung an den Boden etc.
Bind aber interessante Beispiele.
Die Mineralogie wird von Junge fast gar nicht berücksichtigt.
Die Beschreibung der Mineralien, die kein Leben besitzen, wird noth-
wendigerweise am trockensten sein müssen. Etwas mehr Interesse wird
der Hinweis auf die mit den Eigenschaften deiselben zusammenhän-
gende Verwendung der Mineralien wecken. Bei den Gesteinen kann
das Interesse durch Einbeziehung iiirer Bildung erregt werden, indem
z. B. Gebirgsschutt, Gerülle, Sand, Schlamm, Sandstein, Thon etc. in
Zusammenhang miteinander gebracht werden.
Man kann und soll also bei Betiachtung der Lebewesen auf den
— 30 —
Zasammenhang ihres Baues mit ihrer Lebensweise, der Umgebung etc.
hinweisen, man darf aber diese teleologisclie Betrachtungsweise nicht
iibertreiben. Wir kommen hier auf den zweiten (irundfehler der Neuerer
zu sprechen, welclier, sowie der sclion hervorgehobene, aus der falschen
Auffassung der modernen Naturwissenschaft überhaupt zu erkhiren ist.
Das ist derjenige, dass sie jeden Naturkörper als einen in sich voll-
kommenen Organismus betrachten, dessen ganzer Bau durch seinen
Zusammenhang mit der Umgebung Erkläning linden müsse. So sagt
Junge ausdrücklich, man müsse sich bei jedem Organe fragen: „Welchem
Zwecke dient es, denn überflüssig, d. h. unbrauchbar für das Wesen
wird es nicht sein können." Auf diese Weise wäre ja eine Vervoll-
kommnung überhaupt nicht möglich. Darwin mit seinem der Natur
entnommenen Gesetze vom Kampfe ums Dasein, der im Zusammen-
hang mit der bei den Lebewesen leicht zu erkennenden Abänderung
und Vererbung die Thiere und Pflanzen nicht nur der Umgebung: an-
passt (so weit gehen die Neuerer auch), sondern auch neue Arten
schaö't, scheint den Neuerem nicht genfigend bekannt zu sein. Wäre
jeder Organismus in seiner Art vollkommen, so gäbe es keine Ver-
vollkommnung mehr, es gäbe keine natürliche Znchtwahl.
Wer z. B. die Zoologie genauer kennt, der weiß, dass gai* nicht
selten Organe bei den Thieren vorkommen, die für den Organismus keine
Bedeutung zu baben scheinen and die, wie man sich meist durch Be-
trachtung der Etttwickelung deeselbea und Vergleich mit Terwandten
Formen Überzeugen kann, als vererbte Überreste von Organen zu be-
trachten sind, die bei jenen Formen noch vorkommen, für diesen Orga-
nismns ihre ursprüngliche Bedeutung aber verloren haben, vielleiclit
dafür eine secondAre Aufgabe erhalten haben, vieUeieht aber auch
ohne Bedeutung für den Organismas sind. Nidit als bestes, wol aber
als bekanntes Beispiel will ich hier die Schilddrüse des Menschen
nennen.
Dazu kommt noch, dass von vielen Organen die Bedeutung noch
gar nicht genügend bekannt ist. Es kann nnn dnrchaoa idßh% dem
Lehrer ftberlassen bleiben, dies anf seine Weise zn erkUren, da sonst
zu bef&rchten stflnde, dass manches Falsche in der Schule gelehrt
werden wfirde. Es scheint, dass selbst Junge, der allerdings in seinen
Erklirnngen viel zu eingehend wird, hier und da nicht das Sichtige
getroffen hat Bedenklich scheint mir aaeh der Vorschlag Jange's,
die Kinder die Eigenschaften der Thiere aus der Thatsache, dass das
Thier da oder dort vorkommt, diese oder jene Eigenschaft hat (z. B.
ein Baubvogel ist), ableiten za lassen. Es ist wahr, dass aach die
— 31 —
Naturwissenschaft der Dedaction manchen vichtigen Fortschritt zu
danken hat, so namentlich seit Ouviers Vorgang die Paläontologie,
wo nach einzelnen Knochen, Zähnen etc. auf Bau und Lebensweise
der Thiere geschlossen wird. Aber abgesehen davon, dass in der
Natnr demselben Zwecke oft durch verschiedenen Bau entsprochen
wird, mnss für die Kinder der Naturgeschichtsunterricht. der Reprä-
sentant des inductiven Verfahrens U^beo, welches ja im wesentlichen
bei der Naturwissenschaft noch immer vorwiegend ist. Jenes von Junge
vorgeschlagene Verfiüiren dürfte also nur mit Vorsicht und Maß anr
gewendet werden.
Was soll man abor erst zu dem Vorgehen von Kießling und
Pfalz sagen, welclie an Stelle der objectiven, durch den Naturkörper
bedingten Behandlung eine ganz subjective setzen, indem sie bei ihren
Beschreibunp^en g:anz und gar von dem Verhalten des betreffenden
Naturkorpei-s zum Menschen ausgehen? Sie gehen hierin so weit, dass
sie beliau]»ten, in einem wolangelegten Naturgeschichtsplan solle es
nur wt'uige Objecte geben, welche eine völlig objective Behandlung
zulassen. So gehen diese beiden Herren beispielsweise bei Betrach-
tung ihn' Forelle von dem Satze aus, sie sei ein Kdelfisoli. bei der-
jenigen der Rose von dem Satze, sie sei die Königin der Blumen, beim
scharfen Haiinen fuß von dem Gedanken: er sei zum Schmuck der
Wiesen sehr geeignet. Es wird also die Deduction zum Haupt princip
gemacht, und zwar die Deduction von irgend einem, meist auf einem
Gefühle beruhenden Satze, der häutig niclit einmal eine allgemeine
Anschauung, sondern diejeni2:e zum Ausdrucke brinj^t. die irgend jemand
sieh von diesem Krnper nach irgend einem Merkmal gebildet hat. So
hat jemand behauptet, die Forelle sei ein Edelfisch, ottenbar weil sie
ein gutes Fleisch hat, vielleicht auch we^en der hübschen Färbung und
wegen des Aufenthaltes in klaren Gebirgsbächen. Nun soll das Kind
von jenem Satze ausirehend das Thier beschreiben, wobei ^alle Mo-
mente der Besclireibun','', die sich nicht in Beziehunfj: zum Haujit-
gedanken setzen lassen, für die Behandlung wertlos sind!*' Ks ist
klar, dass dadurch eine vernünftige Beschreibung unmöglich gemacht
wird, da.ss an ihre Stelle ein Gesell wätz. z. B. Uber das edle Wesen
jenes Fisches, treten inuss. Das ist aber ein Naturj^escliichtsunterriclit,
der die objective Grundla«,^' und damit seine Existenzberechtigung ver-
loren hat. Durch so einen Unterricht würde die Naturgeschichte in
der Schule überhaupt unmöglich gemacht. Davor mögen uns die Be-
rufenen bewahren. Videant cousules!
Anregung zum Studiam der Werlte Beneke's.
Von Stadtprediffer Heinrich XetigeboreH-Kronstadt in SUbenbürffcn.
' Unter dieser Übenehrift brachte daa ^Piedagogiam'' Jm ersten Hefte des
XL Jahrgangs (Seite 30 — 36) die Bespreehnng sines Anfintses ssr Kmist-
lehre des Denkens: „Die Erwerbung von Natnrerkenntnissen" — aus Beneke's
^Archiv für dio itmcmatische Psychologie oder die Seelenlehre in der Anwen-
doDg aut das Leben" (Jahrgang 1851).
In demselben Jahrgänge stehen zwei Aufsätze „zur Kunstlehre der religiösen
BUduif: 1. Das Yerbiltnis der Beligion anr Beligionspbilosophie und dem,
was dieser verwandt ist (Dogmatilc, Mystik ete.). 2. Die Stützen, welche die
Psychologie in ihrer neuen Begründung für den Glauben an die Unsterblich-
keit darbietet". Es sei mir gestattet, znn&chst diesen letzteren an besprechen.
L
Im Eingange wird das fut allgemein herrsehende Festhalten an der so-
genannten „Einfachheit" der menschlichen Seele aus dem vermeintlichen In-
teresse der Fortdauer nach dem 'Jode abgelritet. Dagegen wird nun die Be-
hauptung aufgestellt, dass die thatsäclilich vorliegende Vielfachheit der Seele
ohue allen Vergleich kräftigere Stützen für den Glauben an Unsterblichkeit
darinelet
1. ZnnAchst wird nachgewiesen, dass die Schwiobef welche ans der so-
genannte „AltersblOdsinn'' darstellt, ihren Sitz nicht im Innern unseres
Geistes liat.
Gegen diese verwundbarste Stelle der lusherigen Unsterblichkoitslehre
waren die Angriffe ihrer Gegner am liebsten gerichtet, weil sie sie für eine
Annfthemng zar Vemichtang hielten, wozu der Tod die letalen Schritte Tcr-
mtttete. Die Vertheidiger meinten, die blödsinnige Schwäche sei auf Beehnnng
des Leibes zu schreiben. Nicht die Seele selber, sondern nur ihr Werkzeug
sei schadhaft geworden. r>;i ;ibpr der Nachweis hierfür nicht erbracht wurde,
blieb die völlige Verniehtunp: der Seele im Tode, deren Annahme durch die
oft sehr große Schwäche des Altersblodsions so nahe gelegt sei, wenigstens sehr
wahrKheinlich. Die Seelenlehre in ihrer nenen Gestalt hat strengwisseB-
sefaaftlich nachgewiesen, dass die geistige Schwftche dieses sogenannten BlOd-
sinns gar nicht das Innere unseres Cteistes trifft, sondern lediglich die Ausbil-
dung zurErregtlieit fzura Bewustseins und zur Bethlltigung). Beneke's „Lehr-
buch der Psychologie als Natai Wissenschaft" (2. Auflage, S, HlMi ff.).
Dieser Beweis nuu stützt sich auf die unendliclie Vielfachheit der aus-
gebildeten Seele. Da yom ersten LebemangenbUeke an alles, was mit einiger
Vollkommenheit als Bethitignng in nnserer Seele ausgebildet wird, innerlich
oder als Kraft fortexistirt, und kein Augenblick nnseres wachen Lebens ver-
tr^-Iit, wo Dicht eine oder mehi-ert- solchf Btthätignni^en und also auch solche
Kräfte entständen, so ist die ausgebildete Seele anch innerlich eiii unberechen-
bar Vielfaches. Von diesen Millionen von Kräften oder Augleg^heiteu aber
ist a«eh in der kr&ftigsten Zeit des Lebens stets nur ein selir geringw Tbeil
emft oder inBethfttignng; die übrigen sind für das Bewnsstsein and die Fort-
wirkung so gut wie nicht vorhanden. Sollen sich die innerlich fortexistirenden
Kräfte zu Bethätipune:en ausbilden . so müssen gewisse steigernde Elemente hinzu-
kommen, und da nun der ausgebildete menschliche Geist ein mehr als Millionenfaches
ist und jede einzelne Kraft einer solchen Ausbildong bedarf, so luuss unser
Geistesleben in dieser Beziehnng nnsIliUgen Wechsel veriialtn iosen and
S<!bwankangen anteiüegen. Dan Qaantnm der Erregangselemente kann am
Abend nach einem thätig vollbrachten Tage, in Zustanden starker Erschöpfung
oder tiofcr^rreifenden Unwolseiiis, im Schlaf, im sogenannten Altereblödsinn in
dem Maße vermindert werden, dass nur sehr wenige oder auch gar keine Vor«
Stellungen bewosst werden. Dessenangeacbtet kann das innere Seelensein
XUliaBeB in Jedem Onde itaikttrKnfte entlialteB^ Dnd dass aieh dies wirklieh
in dieten Zuständen so Terbalte, diM selbst die äußerste Betehrtaknng der Br^
r»^ptheit nicht Wirkung von zunehmender SchwHrhe, sondern von der bis zum
letzten Lebensangenblicke stetig anwachsenden stärke der Seele ist, wird im
zweiten Theile noch t^enaupr beleuchtet.
2. Die Erregtheit hat Uberhaupt zwei Quellen: eine innere, die Urver-
lOgmf nnd dne ursprünglich von maßen her IHeBeDde, die AnsfUlnofen oder
Rein denelben. Im Fortaehritt des Lebens wird, da alles Arflher Aase:ebildete
innerlich als Kraft fortexistirt, das -Innere immer reicher nnd infolge-
detsen da« Leben der Seele immer mehr zum Inneren hin- und vom Äußeren
abgezogen. So nimmt allmählich der Zusammenhang mit der Außenwelt immer
mehr ab, und zwai' gerade deshalb, weil das gesauimte Seelenleben immer
laehr nadi innen hin coneuitrirt wird and nnnntolnrochen an Aoadefanong nnd
Stirke snnlmmt, Ida er endUdh Im Tode gana anfhQrt, der also nicht Vemleh-
tong der Seele, sondern nur des Znaammenhangs derselben mit dem Leibe nnd
mit der Außenwelt ist.*) Dass g-erade durch die luisiiehmende \'ielfacliheit
ihres inneren Seins die Seele bestimmter und entschiedener aus der Analogie
mit dem nach dem Tode sich auflösenden Leibe gerückt wird, sucht der dritte
Theil damthnn.
3. Der tieliite Gmnd der ananehmenden VidÜsehlieit der Seele des zn
höheren Jahteii gelangten Menschen Ist die große KrtMgkeit ihrer Urver-
mögen, wodurch die feste Aneignung der von anßen aufgenommenen Reize oder
Ausfrillnngen und dann die vollkommene innere Fortdauer der ausgebiMet. n
Lebeusacte bedingt ist. In beiden Bezieliungcn lässt sich in der Gesamnitheit
aller uns bekannten Wesen eine stetige Abstufung nachweisen, in weicher der
•) Im achten der „GcspriiclK' über ilas Erdculebcn und di<' 3Icuschenuatui" der
▼on VwL Dt, J. U. ächmick in Leijpsig (Verlag von Max äpohr 1öö8j herausge-
gebeaen Schrift: „Ät der Tod ein Ende oder niehtf h^t es rflcksiehtueh der an-
scheinenden oder auch wirklichen UnbewusM hei t vor dem Sterben : „Sie beweist nichts
gegen das Fortbestdien des Lebenspiincip«, der Seele, sondern höchstens, dass der
steifeeode Leib nicht mehr imstaaie sd^ die Anwesenheit letaterei shudich wahr*
nehmbarer zu bekunden."
PaaagogioB. 12. Jabrf . Bcft I. 8
— 34 —
menschliche Geist die hödistc Spitz*- eiiuümrat.*; Die Auflösung, welclu fin-
den Leib na<_h dem Tode eintritt, sehen wir fortwährend, auch schon wilhrtnd
des Lebens, sowoi der Seele, als auch der Aulienweit gegenübei* eintreten.
Die steten Verlnste der aofgenommenen AusfttUnsgen bedingen das Eintreten
des Schlafes, während dessen die entschwundenen AnsAUnngen wieder ersetzt
werden. (Beneke's Lehrhnch der Psychologie als Katorwiaaenschaft. 2. Aoil.
S. 286 ff.)
Der Geist zeigt uns von einer .solchen fortwährenden Anflüsunff ^'t gut
wie nichts. £r gibt nichts, was er einmal aufgenommen und fest angeeignet
hat, wieder an die Außenwelt ab. Was Ton ihm erworben ist, ist für immer
erworben. Diese hfibere Kraft der Aneignung nnd inneren Fortdauer ist es
eben, welche, im Fortschritte der Ansbildnng, d«i Gdst za einem lülli<«eQ-
iSMben werden lUsst.
4. Diese auf^nelnnende Viellacliheit des Geistes leistet Gewähr für seine
•Fortdaaer in voller Individualität. Hiervon spricht der vierte und letzte
Theil. Fttr die Fortdauer unseres Geistes kommt es ledig^ch darauf an, ihm
einen neuen Quell der Erregtheit zu erOfftaen. Hierfür sind viele IfOg-
•ll4dikeiten denkbar. Welche von diesen die Wirklichkeit sein werde, dass
lässt sieh allerdinars nicht l)estininif'n. Höchst wahrscheinlich ist es aber, dass
der menschliche (ii-ist. der wäliiend des irdischen Lehens eine überaus reiche
individuelle Ausbildung, eine eigeuthümlich bestimmte Erziehung im ausge-
dehntesten Sinne als ein unverlierbares Eigenthum sich erwirbt, nach dem Tode
nicht in ein geistiges All verschwimmt, sondern in der ix^Uiraid der Verbindung
mit dem Leibe erworbenen IndividualitAt fortdauert und sich fortentwickelt**)
Der zweite Aufsatz, den ich heraushebe, gehört zur Knnstlehre der Geistes-
und Gemathsbestimmnngen und behandelt „die Anfigfabe fttr die möglichst voll-
kommene Sicherstellung des Lebensglückes".
Nach ^'ertiefung des Problems, bei dessen Erwäguiiff man bisher den
Blick überwiegend auf das ÄuLU-rlichc der Zu.'^tände riclitctc, während (Uück
tmd Unglück doch ihren Sitz im Innern des Menschen haben, erstreckt .sich
die üntersnehnng zunftchst auf die sinnlichen AafTassungen und Empfindungen,
dann auf die von aufien bedingten reproductiven Entwickelungen, femer auf
die selbstthätigen Beproductionen und geht endlich über zu den Vergleichs-
oder Gefühlsgrundlagen und zur Ausdehnung des Interesses.
Während ich den Inhalt jedes einzelnen J heiles des früheren Aufsatzes
ausführlicher angab und deshalb am Schlüsse keine einzelnen Stellen anführte,
begnüge ich mich bei diesem zweiten Aufsatz mit der Angabe der Disposition
und fiige noch Iblgende Stellen aus demselben wörtlich an:
1. SelbstgestJlndnis Goethe's: ...Alan hat mich immer als einen vom Glück
besonders l^cgünstigten gepriesen: auch will ich mich niclit beklagen und den
Gang nieiues Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mühe
und Ai-beit gewesen, und ich kann wol sagen, dass ick in meinen 75 Jahren
I ßenekc's System der Metaphysik vad Religionsphiloiophie 8. 101 ff. und be-
sonders S. 108 i\.
•*» Vgl, „Die Fortdauer der .Seele" ron L. Korodi in der Vierteljuhrsschrift für die
Seelealehie. Von Neugeboren u. Koiodi (i960. S. 99ff.)>
— 35 —
keine vier Wochen eigentlich Behagen gehabt. £s war das ewige Wälzen
eines Steines, der immer wieder Ton nenem gehoben sein wollte. Udne An*
nalen werden es deutlich machen, was hiermit gesagt ist Der Ansprifasha an
meine Thfttigkeit, sowol von anßen als von innen, waren zu viele. — Hein
eigentliches Glück war mein poetisches Sinnen und Schaffen. Allein wio sehr
war dieses durch meine äußere Stellung gestört, beschrankt und geliindtit!
mtte ich mich mehr vom {öffentlichen und geschäftlichen Treiben znrücklialteu
and mehr in der Einsamkeit leben kSnnen, ich wflre glftddidMr gewesen nnd
wQrde als Diehttf weit mehr gemacht haben. So aber sollte sich bald nach
meinem Götz und Werther an mir das Wort des Weisen bewähren, welcher
sagte: wenn man der Welt etwas zuliebe gremacht habe, so wisse sie daflir
zu sorgen, dass man es nicht zum zweitenniale thue. Ein weit verbreiteter
Xame, eine hohe Stellnng im Leben sind gute Dinge. Allein mit all meinem
Namen nnd Stande habe ich es nicht weiter gebraeht, als dass Idi, nm nicht
SB Teiietzen. zu der Meinung anderer schweige." (S. 401.)
*2. Jefl'erson, der all die spannenden nnd besor{2:lichen WechselflUle der
nf»rdanierikanisclicn Revolution durchzumachen und später als Präsident der
amerikanischen Freistaaten so viel durch Cabalen und öffentliche Angriffe zu
leiden gehabt hatte, schreibt gegen das Ende seines Lebens an einen Freund:
„Sie fragen mieh, ob ich wol meine 70 oder vielmehr 73 Jahre noch einmal
leben wollte. Daranf antworte ich: ja. Ich denke mit Ihnen, dass es, im
leranzen genommen, doch eine g:ute Welt ist, dass sie auf das Princip des
Wolwollens gegrändet und ans mehr Freude als Übel zugetbeilt worden ist.^
(S. 404.;
3. „Wenige Menschen, wdehe in einem th&tigen Leben nfitdieh sein
ktanen, sind glleklich in der ZnrilckgeEogenheit'' (S. 407.)
4. Man hfite sich vor demjenigren rbermaße, welches ÜberdruBS mit
.sii h fiihrt, wisse zur rechten Zeit abzubrechen, damit dir nefrietligung nicht
in das Gegentheil überschlage und für die Zukunft die EmptUoglichkeit bewahrt
werde. (S. 409.)
5. Man tinsche sich nicht: Jeder in dem Charakter der ÜberwIUtigang
anlig^nommene Oennss riksht aldi ins UnendUehe; wie für die slttliehe Aii»>
bildung (ffir welche dadnrdl Hang, Leidenschaft, Laster in jedem Grade be-
grttndet werden können), so auch für das Lebens^lüek. fS. 410.)
6. -.Mir ist nun wieder g-anz unbehaglich (sclireibt Schiller nach \ oll-
endnng seiner Jungfrau von Orleans;; ich wünschte in einer anderen Arbeit zu
stocken; es ist nichts, als dieThfttis^t naeh dnem bestimmten Ziele, was das
Leben ertrlglich maeht.« (S. 412.)
7. nEs ist (schreibt Schlosser, indem er es als rathsam bezeichnet,
dass jeder sich irgendwie an ein bestimmtes Rernfsf^eschäft bimlc) mit dem
Geiste, wie mit dem Leibe. Nur wenn er Hunger empfindet, ^enieüt er recht :
nnd wenn er genießen kann, so oft er will, wird der Geschmack abgestumpft.
Alle die eigentlichen Liebliugsbesehlftigungen sind ans dann erst so anaiehend,
weil sie mit Sehnsucht betrieben werden." (S. 413.)
8. Einer der hauptsächlichsten Fehler Campbeils (heißt es in einer eng-
lischen Z^'itsclirift) war. dass w stets so viel an das dachte, was andere von
ihm dt nkea würden. Dies staunnte bei ihm namentlich aus der zu vorzeitigen
Berühmtheit, aus der zu leicht ebensowol wie zu früh gewonnenen. Hierdurch ^
8*
— 36 —
wurde bei ihm eine Abuei^j^unff fegen angestrengte Arbeit begründet, ohne
welche doch nicht dash^khste erreicht werden kann, nnd dann weiter, hiermit
in Verbindiiiij?, das peinigende Gefühl, das8 er hätte ein weit höheres Ziel er-
reichen liüuueu und es noch erreichen könnte, wenn nicht die Macht dei ' In-
dolens an die Stelle einet uuinterbroclien rttetigen Fortochreitene ein trftges
Kiieehen aetile. Indem er diee nnn vor anderen und vnr aich verbeigen
wollte, entstand jenes Bestreben, dnrch äußere Ehren nnd Artigkeiten eine Be*
schwichtignng: dafür zu erwerben, und das Selbstniisstranen . die Furcht. *lie
Uni'nhe, die ihn fortwälireiid peinigten: wie er e> selbst bei Gelegenlieit eines
Besuches in einer vomelmiea Familie bezeichnet; „Die Furcht, nicht in gün-
stigem Liditesn endieinen, ttast midi mit ibier pelnUehen Sfpaannng nieht loa
in diesem Hanse. Stolz nnd schene Znrllcklialtanf drUeken mir ibrtwibrend
ihren Stachel in die Seite." (S, 414.)
i). „Sie messen (schreibt Horace Walpole an seine Freundin, die so viel-
fach gefeierte Madame du Deftand) die Freundschaft, die Rechtachaffenheit. den
tieist, kurz alles nach dem Mehr oder Weniger der Huldigungen ab, die man
Ihnen bringt Diea ist esi was Ihren Beiiidl nnd Ihre UrtheOe bestimmt, die
deshalb von dem einen Festtage zum anderen sich verschieden gestalten. Kaehen
Sie sich los von diesem persönlichen Mailstabe und glauben Sie, dass man ein
gutes Herz haben kann, ohne beständig in Ihrem t'abinet seine Aufwai tang zu
machen. Ich habe es Urnen oft gesagt, Sie stellen Ihre Forderungen in dieser
Beziehung ttber alles irgend Denkbare hinaus; Sie möchten, dass man nur fHr
Sie eiistire; Sie Tergiften Ihre Tage dnreh Argwohn nnd Misstranen nnd Sie
stoßen Ihre Frennde von sich zuräck, indem Sie ilmen das Oeftthl der UnmSg-
liehkeit aufdrängen. Sie zufriedenzustellen.'' (S. 415.;
10. Man g-edeuke so weuis als möglich der trübenden Vergane:enheit
und lasse sicli dadurch nicht stören in dem klaren \ orwäi tsseheu und dem
krftftigen, energisch« Vorwftrtsgehen. Wie es die Englander beseichnen:
Heyer mtaidl Straight fbrwardl Throngh! (Denke nieht weiter daran! Oerade
vorwftrta! Hindnndi!) .,Wie viel Sdunerz (Kchreibt Jefferson im V^olg des
ftHher angefRhrten Briefes) haben uns dit' I bel gekostet, welche niemals
eingetreten sind! Ich steuere meinSchirt mit der Hoffnung vom. der Fnrcht
hinten. Allerdings schlagen meine Uofihungen zuweilen fehl; aber nicht häutiger
als die Voraoaempflndongem der Trftbainnigen." (S. 415.)
11. „Idi habe immer (schreibt Wilhebn von Hnmboldt) naeh swei Dingen
gestrebt: mich empiftnglieh m halten für jede Freude des Lebens und dennoch
durchaus in allem, was man sich nirlit selbst e^eben kann. nnabhRng:ig: zu
bleiben, niemand zu bedüiten. auch nicht der Be^üustisun<<t'n des Schicksals,
sondern für mich allein zu stehen und mein Glück in mir und durch mich zu
banen. Beides habe ich in iMhem Grade erreicht . . . Kein Mensch ist andi
weniger bedürftig als ich; nnd darauf bembt ein großer Tbeü meines Glttcites:
denn jedes Bedüi fnis ist, wie es befriedigt wird, nnr eigentlich Stillnn^r eines
Schmerzes: und alles, was darauf verwandt wird, geht dem reinen, mhigeni
stillen G' iiusM- ab.'- iS. 41H. i
12. Nicht blos iu eigentlichen Seeleukiankheileu, wundern auch in rciaiiv
gesunden Seeiensustlnden kommt uns die für den ersten Angenbliok hOchst
raibseihnfte Thatsache entgegen, dasa Menschen sich in Klagen gefidlen, davon
nicht loskommen kSnnen, ja deh nnmflieden zeigen, wenn wir ihnen naeb-
— 37 —
weise», dass sie sich iiTthümlich fiir nng:lücklich halten: nicht wirklich in dem
Maße arm and elend, nicht wirklich so bedroht, geling geach&tzt, verfolgt 'siad|
wie sie sich ausgeben. (S. 416.)
13. Bai dm reiolMr imd hoher gebildeten Menaeheii tilgt nlehts voller,
dauernder, nachhaltiger wm Lebensglucke bei als tüchtiges Arbeiten und
die daraus hervorgehende Zufriedenheit mit sich selbst; nichts ist
vollkräftiffer. andemeitig gebildete Missstimmungen niederzuhalten und zu be-
seitigen. „Aach zur Thätigkeit (schreibt Schiller j tinden sich wieder Neigung
nd Ertfle» «nd diese, hoffe ich, wird das gute Werlc (der Genesung) voll-
enden; denn wenn loh mich beechftftigen kann, so Ist mir vroV* „Die
Haapteaehe ist der Fleiß: denn dieser gibt nicht nur die Mittel des Lehens,
sondern er gibt ihm auch seinen alleinigen Wert." (S. 418.')
14. Wie viele Menschen gibt es, welchen die Gegenwart alles darbietet,
oiu glücklich zu sein, wenn sie nur imstande wären, eine in diesen oder jenen
Bsiiehniigea noeh gllleklidiere Vergangenheit sn Tergessen!" (S. 419.)
15. „Es ist ein grodes GUek (schreibt Wilhelm von Humboldt knrs
nach dem Verloste seiner innig geliebten Gattin), wenn man all sein Denlfien
und Emptinden an einen Gegenstand setzt. Man ist dann auch immer
k>rgen: man begehrt nichts mehr vom Geschick, nichts mehr von den Men-
schen; man ist sogar außertsande, etwas anderes von ihnen zu empfcuigen, als
die Frende an Ihrem GlttdL Man fürchtet auch nlehts von der ZnkoBft. Man
kann nicht Sndem, was nicht sn andern ist; aber das ebie, das Hangen an
einem Gedanken, einem Gefühl, wenn es auch durch den graosamsten Sehlag,
der einen Menschen treffen kann, nur SB dem Hangen an einer Erinnemng
würde, das bleibt immer.'- (S. 420.)
lü. Nichts macht bleibender und gesicherter gliickiich, nichts stimmt in*
Iblgedessen m hSherem nnd reinerem Wdwcdlen gegen andere Hcnaobsn als
das Leben im Übershmllehen, bis sn welchem alle irdischen Missrerhilt«
nisse und Störungen des Wolseins nicht hinanreichen, nnd welches uns also
dem Einflnssp aller Wechselfölle des Lebens entzieht, die unser Glück trüben
könnten. Dem gegenüber aber finden wir nur zu viele Beispiele vom Gegen-
theil: Menschen, die fortwährend mit religiösen Dingen beschäftigt und die
doch beständig ung^ttckUch sind nnd, In derselben Fort Wirkung, gegen andere
Mcoaehen QbelwoUend nnd gehässig gestfanmt Wie ist dies wa eridlren? An
liebenden Gedanken nnd Empfindungen fehlt es auch ihnen, wenigstens in
vielen Fällen, nicht; aber diese flammen nur vorübergehend bei ihnen auf, in-
folge der ungleich geringereu _ Vielräumigkeit " . mit welcher sie begründet
Bind, um sie die tiefe Nacht, in der sie leben, niu- um so grauenvoller und
qnlleader empfinden zu lassen; und vermOge dessen also sind sie dnrchans nn-
fkhig, sich in die stets klaren und heiteren Regionen an erhebeOi in welchen
der wahrhaft Religiöse lebt. (S. 422.)
17. In der That gibt es keine ausgedehntere, reichere, stätigere Grimd-
lage des menschlichen Glückes, als ein ausgebreitetes Wol wollen und die in
den mannigfachsten Formen diesem sich anschließenden Empfindungen. Die
auf das eigene Wol gehenden Bestrebongen, wie sehr sie aneh mit Gelingen
gekrönt sein mögen, sind bald erschöpft; in dem Maße also versiegt der (|liell
des hieraus fließenden Glückes; während der Quell des Glücks, welches aus
den gelingenden Bestrebungen für das Wol nnd die Vervollkommnung anderer
— 38 —
abgeleitet wird, recht eigentlich unversiegbar und ouerschöpflich ist. Alles
andere gleieh geeetst also, hat der WolwoUeade eine ohne allen Vergleich
giOfiere Wahrseheinlichkeit des GlUckes. (S. 423.)
18. Dem gegenüber wird das Glück durch nichts entschiedener unter-
sn'aben als darch persönliche Ciegeusätze und Spannungen gegen andere. So
für die Gegenwart: indem Ja die Auffassungen ihres W'olergeheus und iiii'er
VoUkonuiieaheitlbrtwihiendzQ „Gefüblsgmndlagen" werden, um den Menschen
das,, was ihn etwa drfiekt nnd qnilt, desto schArftr emiiflnden m lassen. Und
so nodi sicherer für die Znknnft, Irgendwie weitergreifende persönliche G«>gen-
siltzp nml Spannungen fuhren, wie hoch und wie siclier auch der Mensch
stehen mag. doch früher oder später jedenfalls zum Bankerott des Lebens-
glückes. ^^S. 424.)
Jüm 6r«tli
und seine Bedeutung fOr clie plattdeutsche Pirhtung;.
Tom Oustav Adolf ErdniunH-tkhUm Ammburg.
»Das Pluttdeutsche ist die SpiaclK- der Ungebildeten, des Pöbeis; es ist
daher oniftbig, deo hOheraa Aiit|iridieii sn genügen, welche die Knnet an eine
Spraehe n nuMSheB bat Bine der Ättheliit genttgende plaUdeiitwhe Literatur
ist daher nndenkbar. Im gfinitigtten Falle kann diese >»arharisfht> Sprache
Bi'mkelsängerweisen hervorbringen, roh nnrb Form nnd Inhalr. Lieder und
P>zählnngen von derbstfiii Unmor und erölisTt-r Satir»\ die sdinn nnt weit»'
Eutfernungen nacli Kuhstall und Dunger riechen, und aus denen da^ Juchzen
und Kreiiidieii der Knechte imd Klgde hersmtSnt Deshalb iat diese Sprache
■it allen Mitteln zn bekämpfen nnd, wenn mOglich, mit Stampf nnd Stiel an»>
znrotten."
Wie oft drinp:en solche und llhnlidit' Anss|irüch»> über die platt- uder
niederdeutsche ilnndart an nnser <»hr. st^llist vitu Leuten, deren liolier Bil-
dungsgrad sie zu einem richtigeren Urtlieil betUlügen sollte. Vor etwa tiint/ig
Jahren war ein eoloher Bichterspnich über das Plattdenteche gang nnd gäbe,
nnd wenn man einen Blick anf die literariachen EraengniMe jener Periode
wirft, so kann man denselben in dieser einen Beziehnnp: sehr wol bereditigt
finden. Die wenigen plattdentschen Poeten nnd Seliriftsteller gefielen sich
allerdings in den täppischsten Sachen und glaubten ihie Aufgabe erfüllt zn
haben, wenn ihre Dichtungen möglichst bänrisch nnd roh nach Form und In-
halt anftraten. Sdirleben sie dcdi das b&nrische Platt, folglich — mnaste
eben alles platt sein.
Wenn unter solchen Umständen die Gebildeten sich von der niederdeutschen
.Sprache abwandt^n. ist dies nur natürlich. Aber war es denn die Schuld der
Sj»rache. die des Sprachgeistes, dass in seinem Namen der Hoheit geopfert
wurde? Mit nicliten! Wie so oft warteten auch hier falsche Priester ihres
Amtes, standen Leute am Altar, die von dem Geiste, dem sie an dienen mein-
ten, kdnen Fnnken in sich spürten. Was Wnnder, wenn sie dnrch eigenes
Unvermögen die Gottheit, der sie zu dienen vorgaben, in MisRachtung brachten.
An den Frücliten soll man ja den Geist erkennen, nnd diese Früchte waren
ungenießbar wie Holzilpfel.
Kein Geringerer als der berflhmte Grammatiker J. C. Adelung stellte
der plattdentschen Sprache folgendes Zengnis aas: „Das Plattdentsche ist nnter
allen dentschen Mundarten in der Wahl nnd Aussprache der Töne die wol-
klingendste, gefülligste nnd angenehmste, eine Feindin aller hauchenden und
zischenden nnd der meisten blasenden Laute und des unnützen Aufwandes eines
— 40 —
volleD, mit vielen Uochtäaeudeu Laateu wenig sagenden Mundes, aber dagegen
nieh a& einer keniliaften Kllne, an treffmden Anidrftekea und iiatTeii^d«ni.
Der Amlftnder. dem die vielen Hauch-, Blase- und Zischlante des Obei-deutschen
ein Ärgernis sind, lernt das Niederdentsclie am leichtesten, sowie der Kieder-
saclise weg^en seines feinen (Tehörs und we^en der Feinheit und Biegsamkeit
seiner Sprachwerkzeuge jede fremde Sprache weit eher vollkommen sprechen
lernt als sein schwerfUlliger südlicher Bruder." Aach Goethe nennt die Sprache
des Niederdea|BeheB „ein sanftes, behagUehes ürdratsoh.*' Diese beiden Ur-
theile von Männern der Wissenschaft und Kunst hören sieh doch gewiss nicht
wie ein Armutszeugnis für die plattdeutsche Sprache an und berechtigen
sicherlich nicht, von ilirem Wert als von der , Roheit einer bloßen Mundart"
zu reden.
Wer den kostbai-en Diamant Anden will, wird sich nicht damit begnügen,
nnr die Oberfläche eines Ctobietes sotgsani abnanchen, sondern er wird tief
hineingraben ins Erdreich und dasselbe aufmerksam dnrehforschen. Anob die
Sprache ist ein Gebiet, das nicht oberflilchlich gestreift werden darf, wenn man
den schimmernden Edelstein des Sprachgeistes gewinnen will. Langwierige,
mühsame Forschung, nimmermüder Eifer ist dazu nothwendig, in die tiefsten
Schachte moss man dringen nnd dort sammeln and beobachten; denn was an
der Oberfläche liegt, ist oft nichts als hOsslidie SeUaeke, welche die AlltIgUeh-
keit des gleichförmigen Lebens abgesondert hat. Mit dieser Schlacke aber be-
gnügten sich die früheren niederdeutschen Poeten und bewirkten damit, dass
1842 der biedere Klaus Harms einen Artikel in seinem „Gnomon'^ überschrieb:
„Min lewe Landessprak, gode Nacht."
Und genau sehn Jahre später schrieb derselbe Klais Harms hoAuuigB-
frendif : „Vielletcht bekommen die späteren Geseblechter noch einmal eine all-
gemeine plattdeutsche Schriftsprache wieder, wie frühere Geschlechter sie ge-
habt haben." Was hatte diesen Umschwung in der Meinung bewirkt? Wie
wai" aus der Todtenklage freudige Lebenszuversicht geworden?
Dem schlummernden Dorni'öscUen wai' endlich der i'rinz erachienen, der
es dareh seinen Flammenknss m nenemLeben erweckte, nnd dieser Prina hieB
Klans Groth, nnd sein fooriger, brttnstiger Knss war der „Quiekbom".
Zn dieser That hatte aber aach die voll hingebende Begeisterang, die
riesengroße Arbeitskraft und die eiserne Beharrlichkeit eines reichbegabten
Mannes gehört, der sein ganzes Leben der Ausführung derselben widmete.
Alles das war bei Klaus Groth in reiclistem Maße vorhanden. Ais uuu sein
„Qaiokbom'' plOtslich wie ein Blita in den Wald der dentsehenLiteiatnr Mhr,
da kennte es gar aidit anders gesebefaea, als dass der Dichter auf begeisterte
Freunde nnd grimmige Feinde stieß, denen er durch seine That ihr ganzes
schönes LehrgebSude über die platte Sprache umstieß. War es doch kein Ge-
ringerer als Karl Goedeke. der in absprechendster Weise über den „Quickborn"
und Groths Bestrebungen urtüeilte, hieß es doch vielfach: die Gedichte des
„Qoickbom" wären dofiMli insPlaUdentsohe äbersetite hedideatBche Gedanken
nnd Empfindungen nnd als solche sun gräfiten Theil ganz nngenießbar, so
wenig hielt man die platte Sprache som Ansdruek eines edleren Gefühls fähig,
so sehr war man durch den Missbraucb, den falsche Priester mit ihr getrieben
hatten, in seinem Urtheil befangen, dass mau uuu. da ein echter Dichter er-
standen wai', der iu ihr lebte, webte, dachte und dichtete, diesen füi' einen
— 41 —
Fälscher erklärte und mit den Steinen der verletzenden Kiitik nach iluu warf.
Ja, man ging sogar so weit — wenn ich nicht irre, so war es Hieronymus
Lotn in der „Wknsr Abendpott** — ni beliaapten, Ekoa Ovoth habe das
PlattdMitMlie ent nibna erlAmen alnen, ohne je deMen nMBBnder An-
wendung ganz mSchtig: zu werden. Träfe dies zu, so iribre der „Qaickbom''
ab stümperhafte Dilettantenarbeit charakterisirt gewesen und Klaus Groths
That wäie einfacli zu einem speculativen Unternehmen herabgesunken. Wie
falsch jene Verdächtigungen waren, wird weiter unten ein Bück auf Grotlis
Lebensgang zeigen.
Und doeh: auch «nriehtigee kann zuweilen ein Kdmlein Waluluit ent«
halten. Trotzdem Klaus Groth ?on Kindheit auf plattdeutsch gedacht and ge-
sprochen hatte, musste er die Sprache als gereifter Mann erst erlernen, niiili-
8 am erlernen, denn er tiiud noch nicht s«.» viel treffliche Vorarbeiten wie ein
Hochdeutscher, der seine .Sprache erlernen will. Oder müssen nicht auch wir
' unere llatteiqpndie noeh erlenen, naehdem wir dieselbe eebon ISagtt fertig
tpRchen? Das war ja eben der groAe, vielleidit sogar der eintlge Fehler der
fixeren plattdeutschen Dichter, dass sie es verschmähten, ihre Sprache zu
Studiren; den« nur. wer tief in die Gesetze einer Sprache eingeweiht ist, wird
das Wesen und den Geist derselben ergründen, und nur derjenige, dem sich
der Geist einer Sprache offttibarte, kann in derselben dichten. Es ist eben
Hiebt von ongeflbr, dati nDicfaten* and ^ Verdichten'* miteinander Yereehwi-
Start lind!
Klaus Groths große literarische That ist so eng mit seinem ganzen Leben.s-
grange vorwachsen, dass man dieselbe gar nicht besser intei-jiretiren kann als
durch eine Dai-st eilung seines arbeitreichen Lebens. Hierbei wird mir gleich-
zeitig Gelegenheit geboten werden, manche Irrthümer 2U berichtigen, die sich
in faat alle Biographien des Diebters eingeoeblieben haben and beeondere anch
g^ehässigen Angriffen zu begegnen, die erst in neuester Zeit aus tückischer
Bachsacht gegen den im höchsten Grade ehrenhaftwi Charakter des TOjfthrigea
Greises geschleudert worden sind.
Klaus Groth wurde am 24. April 1819 zu Heide in Norderdithmarscheu
geboren. Sein Vater Hartwig Groth war Landmann und Mühlenbeeitaer und
galt nach den dortigen VerhSltnieaen für wolhabend. Er war eine jener
seltenen Natuen, die Emst und Milde mitebiander in woithnende Harmonie
zu setzen wissen. Von seinen Bekannten wurde er hochgeachtet, von seinen
Kindern - er besaß außer Klaus noch zwei Söhne und eine Tochter —
innig geliebt. Verstand er doch die schwere Kunst, allen Kigenthümlich-
keiten der Kinder gerecht m werden, wneste er doch die Eniehnng mit
Mar Hand aber ohne Sehelten nnd Strafen zu leiten. Bin einziger Blick ge-
nflgte, un die Kinder zu regieren. Ein trenes Bild seines Vaters hat der Dichter
m seiner anziehenden Idylle: ^Ito SttnndagnMffgen" in der Gestalt desPocken»
narbigen entworfen.
Die Matter, eine schöne und sanfte Frau, verloren die Kinder sehr frflh;
' doch blieh ihre Eniehaag nicht ohne weiblichen Einflnas. „Tante Christine'*,
die Schwester des Vaters, snehte den Kindern die Matter an ersetaen, nnd wie
ihr dieses liebevolle Bemühen gelang, das zeigen deutlich die vier Sonette in
„Hundert BlUtter". welche der Dichter ihr später widmete. Besondei-s das
ietste anter ihnen gibt ein anscbaaliches Bild davon, was Tante Christine fUr
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Klaus war, wie sie nicht allein den rechten Balsam tür seine Kinderschiuerzen
fand, sondern wie sie auch den Samen der Poesie in seine empfängliche Seele
streate.
Außer ihr spielt noch der Großvater eine bedentende Rolle in den Kinder-
jähren Klans (^luths. Der alte Mann fand eranz Vn^sondtM-es Wolerefallen an
dem mnntt'ien nnd geweckten Knaben , niid nfr erzählte er dem begierio:
lauschenden Kinde die alten Sagen und Geschicliten aus den Freiheitskämpfen
der DithmarMhen. Diese EnShliingen haben sich dem Oedftohtnil des Kindea
fest dngeprigt, und derDlehtor hat spftter gern ans diesem Vomth gesehOpft.
Die Abschnitte im „Quiekborn": „AVat sik diit Volk verteilt" nnd „Ut de ol
J^rOnk"^ (Aus der alten riirnnik» peben viele dieser Saeen wieder.
Kechtzeitij? wurde Klans der Hürg'erfehnle zu Heide übergeben. Sein
hingebender Fleiß und sein vorzügliches Gedächtnis machten ihn bald zum
besten Schüler der Anstalt. Da das Hoehdestsolie danils noeh nieht Mode in
jener Oegend war, so wurde anch in der Sehnle plattdeatseh nnterrichtet. So
emsig der kleine Klans auch bei der Arbeit war, er fand doch immer noch
genügend Zeit, sich im mnnteren Spiel mit seinen Kameraden zn tummeln.
Er mnsste die freie Natur sotrar mehr cenießcn. als ihm lieb war. Da in den
voraulgegangenen Kriegsjahreu die Laudwirlscliatt in den Herzogthümern arg
daniiederlag, war den Banem Ton der Regiemog gestattet worden, wSbrend
der Sommermonate ihre Kinder m ländlichen Hillbleistangen ans der Schale
znnickznbehalten. Auch Hartwig- Groth machte von dieser Erlaubnis Gebrauch,
nnd so finden wir den Knaben während des Sommers stets in Wiese. Feld und
Wald beschäftiget. Die Natur, an welcher so viele gut beanlagte Kinder acht-
los vorübergehen müssen, wurde ihm zur Lehrnieisterin und Herzensfreundin.
Der stets geistesrege Knabe lernte beobachten, Äugen und Ohren gebrauchen
nnd wurde ^on der Schönheit nnd Jia^vMi der AUmutter so gefesselt, dass er
später die Naturwissenschaften zu seinem Lieblingsstudinm erhob. Mit vollem
Recht kann er heute v<»n sich schreiben: „^*on den Naturwissenschaften ist
mir kein Zweig unbekannt, selbst mathematische Thysik nicht"*; und wie walir
er das Wesen der Naturforschung erfasst hat, geht aus den fünf scharfsatiri-
sehen Sonetten: „Evangelische Naturwissensehafb* in den „Hundert Blftttem*'
henror. Der Dichter aber verdankt seiner langen Vertrantheit mit der Natur
die herrlichen, lebenswarmen Natnrsehildemngen, die er so zahlreich im nQuick-
bom" bietet.
Als die ("lassen der Bürgerschule durelilunfrii \\ art n. richtete der Knabe
seine Blicke sehnsüchtig auf das Gymnasium als Schlüssel zur Universität.
Aber hier galt es entsagen; denn der Vater hielt diesen Wunsch für llber
seinen Stand hinausgehend. Naehdem Klans sich noch einige Zeit durch Selbst-
studiuuj weitergebildet hatte, trat er mit 16 Jahren in den Bureaudienst der
Kirchspielvogtei zu Heide. Er selbst fasste diese Stellung nur als i'bergangs-
stadiura auf; denn in ihm war der Entschluss gereift, sich dem Lehramt zu
widmen. Da sein Amt kein sehr anstrengendes war — er hatte fast nur Pässe
zu Tisiren — so blieb ihm noeh viel Zeit zur Weiterbildung, die er mit der '
ihm eigenen Energie benntzte. Ein Beiqtiel mSge dies illustriren. Eines Tages
fand er ein altes, verfallenes Ciavier auf dem Boden. Sofort zimmert« er es
sicli wieder etwas znreeht und begann dann zu ü)»en nnd zwar mit solehem
£iter, dass er nach wenigen Wochen kleinere Sonaten von Mozart und Beethoven
— 43 —
spielen konute. In jener Zeit machte er auch die Bekanntschaft der deutschen
Clafisiker, die er in der Bibliutliek des „Kaspelvagd'^ (Kirchspiel vogt) vorfand.
1838 ging Klans Gn»th anfii Seminar zn Tondern, dem er drei Jahre an-
geMIrte. Aneh hier wtete er seine Privatsfcndien eiftig fort; denn sehiem
heOen Kopf war selbst doppeltes und dreifaches Futter nicht zu viel. Beson-
ders trieb «r fremde Sprachen: Lateinisch. Französisch nnd Schwedisch. Mit
einem glänzenden Zeug:ni.s verließ er die Anstalt und wurde sofort an der
Mädchenschule zu Heide augestellt.
»0 du tMatatf erhabener Lehrerbemf, wie fttUte leb unter deinon Ein-
flnsB sich die Schwingen meines Geistes entfUten!'* mag der jnnge Kaan be-
geistert ansgerufen haben, als ihm die geringe Stundenlast von 48, sage und
schreibe dreiundvierzig wöchentlichen T'iifeiTichtBstunden aufei-leg:t wurde. Wer
fühlt 7iach solüher Anstrengniig noch Kiafr und Lust zu Privat-stuilien? Klaius
Gruth hatte beides. \oll .Staunen und Bewunderung hüren wir, da^>8 er iu
jener an Amtsarbeit so fibeneieheii Zeit noch mit großem Eifor nnd Erfolg
Vathematik nnd Natnrwissensehaften triebe ddi eingehend mit den Problemen
der Philosophie — speciell Psychologie und Ästhetik — beschäftigte und so
.,beililuäg'' noch mit 6roths(her QewissenhaftiglLeit Englisch, Französisch,
Italienisch und Griechisch tractirte.
Dass von den landläufigen Vergnügungen bei su anstrengenden Studien
nicht die Rede sein konnte, Tenteht sich wol von selbst Seine einzige Er-
hdnng snchte der jonge Lehrer im Verkehr mit dem eiterliehen Hanse, in
ansgedelmten natunsissenschaftlichen Excursioncn und in seiner Betlieilignng
an der Liedertafel zn Heide. Durch diese letztere sollte der entscheidende
Wendepunkt in Klans Groths Leben herbeigeführt werden.
1844 wurde er aaf das Sängerfest zu Schleswig geführt. Hier lernte er
das heirliohe BaDmaansehe Sebleewig'Holstein-Lied kennen, das ihn In nngeahnter
Weise f&r sein ^'aterland nnd fttr die deutsche Sache begeisterte. In jene Zeit
filllt auch die Entstehung der vlämischen Bewegung, jenes patriotischen Be-
streben*^, der vlUmischen Volkssprache ihre lang" verkannten Keclite wiederzu-
geben, die in Klans Groth einen mächtigen Widerhall fand und den ersten
Gedanken zum „Quickbom'^ in ihm wachrief. Von jeuer Zeit an dachte der
jsBge Lehrer nnr noch daran, seiner eigenen, venuditeten fdattdentschen Mntter-
qnraehe den ihr gebürenden ehrenvollen Platz in der dentsdien Literatur zu
erringe«. Da die Mnndart Volkssprache ist, so beschloss er, in ihr ein "Werk
zu schallen, welches ein Bild des innersten Denkens und Empfindens, des ganzen
Lebens und Webens des A'olkes seiner engeren Heimat werden sollte, und so
nahm der Plan zum „Quickbom" festere Gestalt an.
Sofort ging er ans Werk; er versnehte, einige mundartliche Diehtnngen
zn sdureiben , lieB aber bald davon ab, weil er die Nntzlosigfcelt dieses Begin-
nens einsah. Er erkannte, dass die erste Bedintrnng: zu einem erfolgreicht n
Weiterarbeiten eine tiefere Ertorschung' der Spraeh^esetze, besondei's der Laut-
gesetze des Plattdeutschen sei, ohne welche alles Mühen vergeblich war. Wo-
hu aber sollfee er die Kraft zn diesen Studien nehmen, die Kraft, die sein
aHietttnishee Amt sehen im ÜbermaB absorbirte? Da hieB es nnn efaifoeli:
einem Herren kannst du von jetzt an nur dienen; entweder lebe ganz der
Schule oder g'anz deinem Ideal! 1847 li gte Klaus Groth sein Lehramt nieder
und begab sich auf die lusel Fehmarn zu seinem Freunde, dem Lehrer Leon-
^ kj, ^ od by Google
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hard Seile in Landkirchen, bei dem er Wohnung nahm, um hier in ^ßter
Znrfickgezogenheft aaiMii Stndtai toleii m kBmMo.
Bei allen Biofrapli«ii flndet man mm die Angabe, daas Klana Grtfth sich
hier anf das Amt eines Seminarlehrers oder nnf das höhere Lehramt vorberei-
ten wollte. Es ist dem Dichter völlig- nnerkliirlich, woher dieser Irrthum
stammt, und er hat mich gebeten, zu erklären, dass es iliiii niemals in den Sinn
gekommen ist, Seminarlehrer zu werden oder zum höheren Leliramt überzu-
treten. Ebenso onriöhtig ist das aentinentale Geaptttoh zwischen Vater and
Sohn, weldiea Karl Eggers anf S. 19 leln^ Sehrifti ttar Klans Onrth mit-
theilt; Der Dichter verwahrt sich in einem Briefe an midi gegen jede Senti>
mentalität. Er schreibt: ,,Ich wünsche sehr, dass dies richtiggestellt werde,
damit Hartwig Grotli nnd sein Sohn Klaus nicht als sentimentale Waschlappen
der Nachwelt erecheinen/' Als £llaus duich das augestrengte Arbeiten immer
elender wvrde, sagte sein Vater eines Morgens tn fka: Hin Jong, son AAeiden
Nadit nn Dag ohn en Erholung geit ni, dat kan keen Minaeliennatnr nthole."
Klans: „Dat weet ik." Vater: „Denn hol doch mal pnst nn ran (mhe) di
mal ut!"- Klaus: „Ik will öwem Graben springe nn nehm jüs den Tolop. Puat
hoin geit ni. Küwer kam ik, ob dod oder lebennig, dat weet ik nich."
Durch nichts ließ er sich von seiueu Studien ablenken, weder durch die
Bitten des Vaters, noch dnreh die politiMdien S^eigniSBe, die mn bald über'
Sidileswig^HolBtein hereinbrachen. Es ist annmehmen, dass aufreibende Arbeit
fftr ihn nothwendig und ein Heilmittel gegen eine unglückliche Liebe war, von
der er in den „Hundert Blättern'' so gläckUch nnd auch mit 80 schneidend
bclirillem Ton zu erzählen weiß.
Buhe hatte Groth auf Fehmarn gesucht, Aufregung sollte er finden. Das
Jahr 1848 braehte die sehleswig^holsteinisehA Erhebung, der 1850 die Be-
setzung der Insel durch die Dänen fldgte. Da Klaus Groth einige plattdeutsche
Kriegslieder hinausgesandt liatte, so wurde er viel von der dänischen Polizei
treplagt; aber auch dadurch ließ er sich nicht von seinem Ziele ablenken, und
niilier, immer näher kam seine Idee der Verwirklichung. Doch die Kräl\e des
übermäßig angestrengten KOrpers und Geistes drohten zu versagen. »Herr,
laaa mieh so lange leben, bis ich mein Buch fertig habe. Amenl" so betete er
Abend fBr Abend. Hit Gewalt railte aloh der Ringende noch einmal zusam-
men, nnd — das große Werk war gethan, das Ziel en'eicht. Wenige Wochen
vor Weihnachten 1852 erschien der ..Qnickborn; X'olksleben in plattdeutschen
Gedichten Dithmarscher Mundart**, das Buch, welches den bisher unbekannten
jungen Mann plötzlich berühmt machte.
Wie sehr das Buch angeMndet wurde, liabe leh bereits eingangs ge-
schildert, aber anderseits fanden sich auch begeisterte Freunde, welche laut
den Rnhm des jungen Dichters verkündeten. Gervinus. Freytag. E. M. Arndt
und Alexander v. Humboldt sind gewiss geeignet, die Angreifer völlig autzu-
wiegeu. Der buchhäudlerische Erfolg des W^erkes war ein ungeahnter; denn
die aOOOBieniplaie stailwAnflage war solion vor dem Feste Tergrülto. Aber
nur knrae Zeit vermochte der Dichter steh seiner TrinmiAe sn erfreuen^ dann
verfiel er, zum Tode ermattet, in eine schwere Krankheit, die ilin drei Monate
an das Krankenlager fesselte. Nachdem die Gefahr glücklich überstanden
war, begab er sich 1853 nach Kiel, um in den Seebädern von Düsternbi-ook
Stärkung uud völlige Genesung zu finden. Gleichzeitig sammelte er hier seine
_ 45 —
iMehdMtMsbAD GocUdite, die 1864 unter den Titel „Himdert Blltter, Ftoeli-
pOBMM zun Quickborn" enchienen, aber trotz vieles Schönen, das die Samm-
Inng enthält, nnbeaclitpt vorttbers-ingen. Groth hatte durch sein erstes Werk
die nachfolgenden selbst todt gemacht; denn nicht ein einziges hat auch noi'
annähernd den £rtblg des ersten, „Qoickbom", aufzuweisen.
1865 endiienea GioHifl »Vertdls. PlattdestMlie En&hlongen.'' In dem-
selben Jahn begab er sieh auf Bdseu. Über Hamborgs und Pymumt ging es
an den Rhein nach Bonn, wo er zwei seiner schönsten Jahre im trauten Ver-
kehr mit Simrock, Brandis, Arndt, Jahn und Dahlmann verlebte. Von der
philosophischen Facultät der Universitüt Bonn wurde dem gefeierten Dichter
die Doctorwürde honoris causa eriheüt. Eist 1857 kehrte Groth über Dresden
lad Leipzig naeb Kiel zurflck, woeelbet er rieh als Doeent der deutsehen
Sprache and Literatur hahUitlrte und daroh Verheiratung mit einer hoch-
gebildeten md Uebeoiwttrdigen Dame aas Bremen einen glftcUiohen Hausstand
gründete.
Von (Tioths weiteren Veröftentlichungen mögen zunächst genannt sein die
«Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch" (1858;, dui-ch welche der Dichter
mit Bester in Goniiet gerieth. Er hatte Beatexa , Lauschen un Rimels" an-
gegilftn, da er hl der mit grofea Talent vergenommenen Behandlung rein
anekdotischer Stoffe eine Gefohr fttr die Würde des Plattdeutschen erblickte,
fSr die er ja seine beste Lebens- und Geisteskraft hingegeben hatte. Reuter
vertheidigte sich in einer sehr geharnischten Broschüre und damit war der
unerquickliche Streit beigelegt; denn als 1860 „Ut de Franzosentid" erschien,
war Groth der erste namhafte Schriftsteller, der in Affientlicher Kritik das
Badi feierte.
Erst kürzlich hat Herr Dr. Theodor Gaedertz den traurigen Muth gehabt,
auf Grund dieses kurzen literarischen Streites in Heft \' Spalte 1340 — 1341
der Zeitschrift „\'oni Fels zum Meer" die niedrigsten X'erdächtigungen auf
Grotbs Charakter zu werfen. Neid und Missgunst über eine günstige Kritik
▼<m Kobert Pruta sollen dem gefeierten Dichter des „Quickbom" gegen den
noch gänzlich unbekannten Schnurrenei-zäLhler und Possenreißer Reuter die
Feder in die Hand gedrückt haben, alle möglichen Ansti'engungen soll unser
Dichter /.u einer späteren Annäherung an Keuter gemacht haben, so dass letz-
lerer sich davon angewidert gefühlt habe. Schmachvolle Bezeichnungen falleu
von Gaedertz auf Groths Charakter, und mit Holmlachen greift er einige Sätze
aat Orolhs Kadurof anf Beater heraus, nm sie au geiBeln. Dnrch die Güte
des Hemi Frofeieor Groth bin ich im Belitz einer großen Anzalil von Briefen,
die Gaedertz in den Jahren 1877 — 1879 an den Geschmilhten gerichtet hat.
Sie fließen über von Hot hachtung. Liebe und Verehrung und verheißen ewige
Dankbarkeit und Treue. Hat denn HeiT Dr. Ciaedertz .schnell verge.sgen,
was Groth ffir ihn gethau hat, dass er jetzt mit faulen Äpfeln nach ihm wirtt /
AUerdingt kenne idi sehr wol die TJraaehe daven. Profeesor Groth hat sich
nicht herbeigelassen, Gaederts' Gedichtsammlung .Julklap]) xfletitlidi an
empfehlen, wie der Verfasser schon vorher durch Beilagen und Zeitungsn<ttizen
ausbreiten lieC. Was Gaedertz Uber Groths Verhältnis zu Kenter gesdiiieben
hat, ist Unwahrheit; Klaus Groth ist bereit, eidlich zu versichern, dass er nie-
mals nach jenem Streit eine Annäherung an Beuter yerandit oder den Aaftng
zu einem solchen Vemch gegeben hat Was etwa Freunde hbiter seinem
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Bücken getban haben, ist ihm unbekannt geblieben. Herr Dr. Gaedertz hat
mit EnthüUnngen gedroht: .Heraus denn mit dem Flederwiadi!'* KiauBGroths
lauterer Charakter ist über jedem Zweifel erhaben. —
Femer sind von Groth erschienen: „Hotbgeter. Meister Lamp an siu
Dochter'' (1862), „Qaickboni (1870), „Ut min JungsparadiM" und aaU-
reiche andere EnKhlnngen, Gedichte nnd Anftfttee fiber mnndartliehe Diditong
in den angesehensten Zeitscbrifren. 1863 machte er noch eine grOßere Reise
durch England und Frankreich und wurde 1860 zum Professor pmnnnt. Ge-
legentlich seines ^öjiilirig'en Schriftstellerjubiliiums 1H72 und seines 70. Ge-
bartata£;es iu diesem Jahre wurde er von der Regierung sowie seineu zahl-
reidieii SVenndea hodi geehrt und aivgeaeiehnet.
So aehr aneh EhuB Groth dnreh seine Thatkraft und Ansdaner daa Glfiois
an lieh an fesseln wnsste, sind ilun doefa andh schwere Schicksalsschlägc nicht
erapart geblieben. Seinem Schmerz um da.s vernichtete Tjt')ieiisa:lürk hat der
Dichterin dem tieftraurigen Gedichte „Min I*«trl" lu izbrwegenden .\usdruck
verliehen. Aber das Leid hat ihn nicht verbittert und liat es nicht vermocht,
den idealen Gedanlcenflng dea Sftngera anfrohalten. Emst lagert zwar auf
dem tieljsefiirehten Gesicht, aber hengewinnende Frenndliohkeit sfiEieht aas
den Idugen Augen. Stets ist Klaus Groth bereit, anderen zn helfen, soweit es
in Reiner Macht steht, und selbst die übelsten Erfabruniren haben ilm nicht von
seiner Hilfsbereitschaft al»znschreeken vennocht. Ktine Mühe ist ihm zu ^-roß,
weuu er durch dieselbe der plattdeutschen Sprache dienen kann, ilerr l'astor
.PaDlsen in Kropp, der Heraosgeber des Neuen Testamentes in plattdentsober
Sj^radie, hat dies in reichem MaBe erfahren.
So groB anch des Dichters Bedeatangf&r die engere Heimat ist, in ihrer
vollon Gr^iße zeigt sich dieselbe doch ei-st im Auslände. Selten wol ist es einem
l)ichter vergönnt gewesen, in dem Maße vereinigend auf die im Auslande
lebenden Deutschen zu wirken, wie Groth; selten wol ist es einem gelungen,
so viel aar Hebnng des deutschen Wesens im fremden Lande beiinitragen. Vor
allem wissen die in Amerika lebenden Deutschen onseren Dichter m schätzen.
Zahlreiche plattdeutsche Vereine existiren in den Vereinigten Staaten, und drei
]>lattdeutsche Zeitschriften lassen sich dort die Pflege der niederdeutschen Sprache
angelegen sein.
Aber fast noch bedeatender ist Groths Einfloss in Belgien und Holland.
Es «nrde schon daranf hingewiesen, wie die Tttmische Bewegang daaa beige-
tragen hat, die Idee des „Qnidtbom" in ihm wachzarafen. Dafür hat später
diese Bewegung reiche Stärkung aus den Dicbterw erkon Groths erhalten, be-
sonders nachdem es dem unermüdlichen und gelehrten Antwerpener Stadtbiblio-
thekar Dr. Hansen gelungen war, eine Schreibweise aufzuünden, durch welche
platttoitsdie Dichtungen ohne jede Veränderung jedem Niederländer verständ»
lieh wurden, der seine Sprache wirUich kennt Prof. Groths grofle Yeidieoste
sind auch von König Leopold II. anerkannt w<>] leiu d> i den Kieler Profiessor
cum Elin-iiinitiilied der nentrecriindeten vlämischen Akademie ernannt hat.
Ich bin am Schluss dieser Studie. Möge an ihrem Ende das Wort stehen,
welches Prof. Müilenholf schon vor 33 Jahren schrieb, da« aber noch lieute
seine volle Berechtigung hat: „Die Hiat, die Groth Tfdlbradit, wird nie ver-
jähren, ihre Wirkung wachsen: mttge die Gegenwart nicht vergessen, wie viel
er ihr geopfert"
Wege Hnd Ziele €er Dialektfomliiiig.
Xn der Erfoi-schuiig der deutschen Mundarten lassen sich sehr verschie-
dene Wege TerfolgeD. In der Uteren Zeit handelte es deb nur nm die Er-
forachnng des Thatsachlichen. Wir haben schon im 18. Jahrhundert eine
Arbeit dieser Art. das große Bremischo Wörtorbnch, femer Stadlers Versuch
eines schweizerischen Idiotikons (1812) und Sdimids lexikalische Arbeiten über
den schwäbischen Dialekt. Aber erst im 3. Jahrzehnt unsere« Jahrhunderts
sollte die mundartliche Forschung, und zwar mit einemmale, um Riesenschritte
gefttrdert werden durch die Arbeiten Johann Andreas Schmellers Aber die
Dialekte Bayerns. Zuerst erschien 1821 das Werk ,,Über die Mundarten des
Königreichs Bayern", nnd elf .Tahie spilter das weit berühmter gewordene
bayrische Wörterbuch. <las nach neun .lahren in vier Bilnden vollendet war.
Aul' Scliuiellers Wörterbuch ist lauge Zeit keine ähnliche Arbeit gefolgt. Erst
vor wenigen Jahren hat sich ihr in dem grofiartig angelegten schweizerischen
Idiotikon eine solche snr Seite gestellt Im Jahre 1854 wnrde Ar die Er-
for.«;chungder deutschen Dialekte eine eigene Zeitsclirift gegründet : „Die deutschen
Mundarten", die es bis zum .lalire 1877 auf sieben Bilnde "febrarbt hat. Alb-
diese Arbeiten liabm das (ienieinsame. dass e.s ilinen durchaus um die Dar-
stellnng des Thatsächlichen zu thuu ist, des jetzigen Dialektes, sowie seiner
älteren Encheinungsfbnnen, soweit sie mit den heutigen zusammenstimmen.
Dagiegeii handelt es sieh noch nicht um ein System der Terschiedenen Ersehei-
nnngen, um eine Geschichte der einzelnen Mundarten.
Inzwischen war Grimms Orammatik und neben ihr so manches bedeut-
same Werk erschienen, das auf die (teschichte der deutschen Sprache und auf
das Verhältnis der einzelnen Sprachgruppen in den altdeutschen Denkmälern
dn Licht warf. Dm mnsste Lust zn dem Versuch machen, die dnzelnen
deutschen Mundarten historisch danmstellen.
Es ist das Verdienst von Karl Weinhold, in seiner Grammatik der deutschen
Mundarten diesen Versuch für das alemannisehe und das bajTisclie Gebiet ge-
macht zu haben. In (iic^em Werke, sowie in \\'einholds mittelhochdeutscher
Grammatik liegt nun der Nachdruck durchaus auf der Kenntnis der alten
Sprachdenkm&ler, wihrend dia modefnea Mundarten nur nebenbei behandelt
sind. Die allen diesen Wata gemeinsame Voraussetzung, der feststehende
Unterschied zwischen Dialekt nnd Schriftsprache, ist zuerst von Franz Pfeiffer
und dann von Hermann Paul in seinem Schriftchen: ,,Gab es eine mittellmob-
deutsche iSchriftspracheV" erschüttert werden. Nach Pauls Untersuchungen
hat es eine mittelhochdeutsche Schriftsprache gar nicht gegeben; die einzelnen
Dichter hatten jedtt seine etgene heimatliche Mundart. In ihrer schKrihten
Form bat diese Behauptung Pauls wol niemand flberzengt. Aber sein Ver-
— 48 —
dienst ist es, die früheren Ansichten vw der Ent£tehnng einer mitteUiocli*
deutschen Schriftsprache zurückgewiesen zu liabeii. Eine solche hat nnseren
alten Dichtern vorgeschwebt, Sio hah»^n das Ideal derselben bald mehr, bald
iiüuder erreicht. Aber weuu luau früher von dem (großen Kinäubs der Höfe auf
die BUdnng dieser Sprache redete, eo iit dieeer Ton Paul nit Recht xarack-
gewieeen worden. Der HmqiCfiustor in der Bfldiug einer Schriftsprache ist
gt«t8 die Schrift lelbat. Die Frage nnn, welcher Art das Verhältnis der ge-
schriebenen Sprachen zn den Mundarten und dieser antereinander sei. ist eine
sehr verwickelte, zu deren Beantwortung erst Anlaufe genommen sind. Wa«
letztere Fi-age betrifft, su ist seit Schmids Buch: „Über die Verwandt£chaft8-
verhlllnlüe der indogennaBlschen Sprachen" die alte Lehre Ton einem aoicben
Veriiiltnis, daas man in Form eines Stammbanms darstellen könnte, sehr be-
deutend erschüttert. Viel mehr für sich hat die Annahme, dass bei ruhigem
Nel>eneinandei wohnen der verschiedenen Volkstheile sich bald früher, bald
KpHter. bald da, bald dort eine bestimmte Sprachneuernng entwickelt und sich
von ihrem Entstehongsort weiter verbreitet habe, bis irgendwelche Ui-sacheu
ihrer 8efaranlranloae& Verhreitiuif Halt geboten. Dem gegenfiber Ue6e sich
aber anch denken, das in älterer Zeit reinere Verhältnive vorhanden waren,
die nur mit der Zeit getrübt worden wären. In der That finden sich oft in
der älteren Zeit wesentlich andere Unterscheidungsmerkmale zwischen den Mund-
arten als die jetzt vorhandenen, was L. Tobler zu der Behauptung getrieben
hat, die heutigen deutschen Mundarten hätten sich erst vom 14. bis 17. Jahr-
hnndert gebildet. Um darflber Klarheit m gewinnen, bat man sich vor allem
darftber zn entscheiden, an welchem von beiden Enden die Untersuchung an-
zusetzen hat. bei den Hltesten Spraclulenkmäleni oder bei den jetzigen Mund-
arten? Wenn man nun bedenkt, wie wenig teste Punkte die alten Sprach-
denkmäler uns bieten, so legt sich von selbst die andere Methode nahe, welche
zuent anf eine möglichst geordnete und vollständige Darstellnng des jetzigen
Bestandes bedacht ist, um Ton diesem üBsteo Punkte aus in die Vergangenheit
zurückzugehen. Wir werden also denselben Ausgangspunkt nehmen, wie schon
Schmeller; aber wir werden nicht nur die Ergelmisse der modernen Sprach-
wissenschaft berücksichtigen, sondern vor allem die \ erbreitung der einzehieii Er-
scheinungen von Ort zu Ort zu verfolgen suchen, weil auf diese Weise um so
sicherere Besultate ra endden afaid. Ein höchst bedentender Venrach in dieser
Bichtang ist der „Sprachatlas von Nord- und lUttelhochdentaehland'* von
G. Wenker-Marburg. Was Wenker jedenfalls bewiesen hat, ist die !Biatsache,
dass die (Frenzen zwischen zwei verschiedenen Erscheinungen eines Lautes
scharf bestinimbai-, Jedenfalls die Fälle selten sind, dass für einen Laut oder
ein W^ort an dem iiämiichen Orte melirere i;'ornien bestehen — ein Ergebnis,
welches auch Dr.Fisoher>Tfibiagen anf Grund seiner eigenen Naehftmehnngen
für das schwäbische Oebiet bestätigt, wenigstens waa den letzten Satz Wenkers
betrifft, während es mit seiner ersten Behauptung vielleicht nicht ebenso steht.
Was ist nun der Zweck und Wert der atomlstischen Sprachkarten, welche
mittels der \\ eukersclien Methode gewonnen werden .' Ihi' Wert liegt vor
allem darin, dass sie als Hilfsmittel der deutschen Ethnographie und Sprach-
geschichte zu gebrauchen sind. Angesichts der verwickelten Probleme, welche
die Beschäftigung mit Begiil^ Namen und Ausdehnung der einzelnen deutschen
Stämme bietet, kann vieUeieht gerade die genaue Beobachtung der Grenzen
jeder einzelnen Lauterscheinüng- zum Ziele fähren. So läast sich mittelst der
ilethode. welche von der rein atoniistisclicn Betrachtung der lebenden Dialekte
ausgeht, zeigen, da&s es zwischen Schwaben und Alemannen sprachlich keinen
gcoeriachea üntenofaied gibt Wenn dam noch die geschiehtlidie Fonchimg
tagt: anch die geaddehtUeheo Qnellea madien wahneheinlich, daas Sehwaben
und Alemannen nicht verschieden sind, so hätten wir eins der nmstrittensten
Probleme der deutschen Volksgeschichte der Lösung näher gebracht. Solche
ethnographische Schlüsse lassen sich freilich nicht zu völliger Gewissheit
bringen. Wüssten wir, wie weit in der Zeit unsere Spracherscheiuungen
artekreiehen, so konnten wir genaneree darttber sagen. Nun wird et die
zweite Aufgabe sein, das jetzige so weit als mSglich rückwärts zu verfolgen,
alle DenkraUler auf ihren Sprachstand zu prtifen und mit den jetzigen zu ver-
gleichen. Eine solche Arbeit kann nicht einer in Deutschland übernehmen;
auf jedem einzelnen Sprachgebiet ist eine allseitige Kenntnis des lebenden
IMalekts ein Haupterfordemis. Ohne diese wiid man manche nicht so an der
OberUlche liegende Ersebeinnng sehriftlicher Denkmaler nie vSlIig m verstdien
{■Stande sein. Das Eesultat solcher Forschungen lässt sich jetzt nicht ab-
sehen. Indessen ist es kein bloßer Zufall, dass seit einigen Jahren das Studium
der Mundarten von mehreren jungen Forschem mit Energie und Glück be-
trieben wird. Dieses Studium ist keine Spielerei und kein Gegenstand bios
philologischer Ufkrologie, sondern w soll ans den Weg zur Erkenntnis innerer
VoReit bahnen, einem Ziele, das man mit gutem Ctewissen all ein eeht patrio-
tisehes bezeichnen dar!
FMacosiKB. lt. Jahxg. flett I.
4
Püda^ogisebe Rvndsekan.
Aus Preußen. (Zur A nciennetätsfrage.) Auf Wunsch eines Vereins-
mitgliedes hatte der \'orstand des Vereins von Lehrern höherer ünterrichts-
anstalten der Provinzen Ost- und Westprenßen statistiBche Eiliebiuigen über
die Avaiioftmeiits- besw. GehaltsverhUtnlBse dar in d«n drei letsten Stellea be-
findlichen Lehrer der höheren Schulen anstellen lassen. Die Hesnitate dieser .
Erhebungen gaben zunächst Veranlassung zu einem in der K()iiigsV)er]2:er
Ilartuiig'schen Zeitung Nr. 196 und 197 vom 22. und 23. August 1888 ab-
gedruckten Aufsatz: „Die Lage der jüngeien Lehrer höherer ünterrichts-
anstalten^jisodann aber brachte auf der letBten (XIV.) GeneralrenanimlnBg des
genannten Vereins, über welehe seineneit sneh in den „Bllttem Ar böberes
Schnlwesen" Bericht erstattet wurde, der Schriftführer zwei kleinere Aufsätze
über: „Die Laj^re der Candidaten des höheren Schulanites in Ost- und West-
preußen" und über die Frage: „Inwieweit wird bei der Anstellung bezw.
Beförderung der Anciennetät Rechnung getragen V " zur X'erlesung. Das durch-
sehnittliehe Dienstalter betrog danadi am 1. Jannar 1888:
ffür OstprenBen fiir Westprenßen
beidendreiletztenoKLLehremS Jahre (IS»/,— 4Vy 8,7.5 fl4-/g—n^
„ „ vorletzten .. „ 5,62 „ (S^/^— 2'/,) 6,52(1 P/^-H^)
letzten „ 4.5 .. b.2'i (O^^ ^— 2\)
„ „ Hüfslehreru 3,25 ,. (ö*/*— l'/J 3,63 (5' ^— 1\ j.
Bei elf dieser Hüftlebrer betrug die Dnrehsohnittswarteseit bedentend mehr
als vier Jabre; sie bezogen aber trotzdem immer noch nnr das Qehalt eines
angehenden Gcrichtsschreibers oder sonst eines beamteten MilitÄranwärters.
Von den Sehnlunitscandidaten, die 1 882 ihr Probejahr in Ostpreußen antraten,
waren drei bereits in der Stellung eines drittletzten ordentlichen Lehrers, be-
zogen also das Aufangsgehalt der Richter, vier waren vorletzte, drei waren
letste ordentlicbe Lehrer, vier HOfUehrer, hatten also die Hftlfte des Anfongs-
gehaltes der Bichter, und vier waren noch ganz unbesoldet. Fttr das Jahr
1883 Bind die entsprechenden Zahlen: 2, 2, 2, 4 (8), in Westprenßen, wo die
Zahl der Unbesoldeten nicht festzustellen war, für 1882: 3, 6.7, 3; riirl8R3:
ü, 4. 3. 4. Der jüngste drittletzte ordentliche Lehrer in Ostpreußen trat sein
Probejahr Mich. 1883 au, der älteste vorletzte dagegen bereits Ostern 1879,
der ttlteste letste, von einem ganz besonderen Fall abgesehen, Ostern 1880,
die beiden Sltesten Hüftlehrer Ostern 1882, ein letzter ordentlicher Lehrer
aber, eben der. welcher sidi in jenem ganz besondeien Falle betindet, fac.
docend. in Reliirion und Hebräisch fiir I.. in Dentsch fiir Ob. II. etc.. ein in
wissenschaftlich -theologischeu Kreisen infolge seiner Arbeiten nicht unbe-
kannter Gelehrter, begann sein Probejahr bereits Ostern 1874 nnd ist, nach-
— 61 —
dem er allerdiogt mehnnala die Proyinc gewechselt hat, seit den letsten nenn
Jahres an derselben Anstalt thätig nnd bei jeglichem Mangel an Anssicht anf
Avancement vom Ma°:i8trat der betreffenden Stadt mit einer persönlichen Zu-
lage bedacht. Durchweg ergaben die statistisch festgestellten Zahlen die
allergrößte Ungleichheit und zugleich ein um so traurigeres Bild vun der Lage
der jüngeren Lehrer, als kaum ii^endwdehe Hoffnung auf Bessenmg ihrer
Infieren Stellnng ▼orhanden ist
Hinsichtlich der Frage, inwieweit bei der Anstellung resi». Beorderung
der Anciennetät Rechnung getragen werde, stellte sich heraus, das«, wSlirend
z. B. in Sachsen die Anstellung strenge nach der Aneit iinetUt. ohne Riicksiclit
aut' das Bedürfnis der Schule, an der eine Vacanz eintritt, und auf die Facul-
ttten dea hetreflhoden Oiadidatan, in Ostp nnd Westprenßen gar kein festes
PrfaMdp dafür voriianden sei, in den meisten FHUen aber Jedenihlls nicht nach
der Anciennetüt gegangen werde, so dass man den Eindruck gewinne, als ob
1. dem nedürfiiis eines bestimmton Faches, wobei dann allerdings ircwiss»» her-
vorgetretene Inconseqnenzen nicht zu verstehen seien. 2, den Wünschen des be-
treffenden Dirigenten und sonstiger „hoher Patronage*', 3. anderweitigen Rück-
sichten, „die sich der Bearthelinng entdehen", Rechnung getragen werde, nnd
als ob die Beligionalehrer eine ySlIlge Sonderat^nng einnehmen.
Jm Ansehlnss an diese durch zahlreiche Thatsachen unterstfitzten Ans-
föhmngen wurde auf der am 30. September nnd 1. <), tolier \9,HH jrn Alien-
stein aV)gehaltenen Generalversammlung der .Antrat,^ gestellt und angenommen,
eine Liste sämmtlicher Lehrer an den höheren Schulen Ost- und Westpreaßens
(nach dem Beispiele der Provins WestiUea und Hessen-Nassau) aalirastelien,
die den Tag des Examens, den Anfang derLehrthitigkelt nnd die Gehaltsstufe
ani^t, ein Beschluss, der gleichlautend auch in Bonn gefasst war, und an
dessen Ausrulinuip nnn von Seiten des Vorstandes noch vor Schloss des Winter-
semesters gegani;en werden sollte.
Inzwischen aber war die Veröffentlichung vun Listen nach Art der hessen-
Naasanisehen vom Herrn Minister dorch Zuschrift an den Director des Real-
gymnasiums in Cassel, Dr. Wittiifli, gemiasbilligt worden, „weil dadurch die der
Billigkeit entsprechende gleichzeitige Berficksichtignng der aus dem Dienstalter
nnd ans der wissenschaftlichen und praktischen Leistung erwachsenden Ansprüche
nicht erleichtert, vielmehr Anlass zn unklaren Vorstellungen und unbegründeter
Unzufriedenheit gegeben werde''. Dieser Umstand veranlasste den Vorsitzenden
des Vorort»- Vorstandes, Oymnasialdirector Dr. Steinmeyer- Aschersleben, die
Ansicht der Provinzial vereine, besw. der Vorsttnde derselben ttber die Aus-
führung des Bonner Beschlusses einzuholen, da er es nnter allen Umständen
fnr wün'^riienswert glaubte halten zu mttssen, dass eämmtliche Vereine ttber-
einstimmeud verfahren.
Nach dem nunmehr erfolgten Erscheinen der Dienstaltersliste der Rhein-
lande ergab sich, dass sieh die Aussehflsse des rhehiischen, westfUischen
hessen-nassaaiBChen, hannoverschen und pommerschen Provinzialvereins ein-
stimmiiT. des schleswig-holsteinischen ^fs^fw eine Stimme für die Ansführnng
des Bonner Beschlusses aussi)rachen. Der Vei einsvorstnnd in Brandenburg
enthielt sich der Abstimmung, weil die Generalversammlung noch keine (Ge-
legenheit gehabt h&tte, zn dem Beschlass der Bonner Delegirtenoonferenz Stel-
lung m nehmen, nachdem sie sich vor diesem Beschlüsse gegen die Aufttellung
4*
— 52 —
solcher Listen iiberlianpt ausgesprochen habe. Aus Posen und Schlesien stan-
den die erwarteten Äußerungen noch ans. In Ost- und WestpreuÜen war der
Vereinsvorstand bia auf den Vorsitzenden f&r die Aosföbrnng des gefassten
Besefalvsses. Diner nSmlisli, s. Z. GymnasiaMirector Baohliols-BltoMl, tthrte
zunächst aus, dass Lehrerverzeichnisse in der Art der von der Rheinprovinz und
Hessen-Nassau aufgestellton ihren Z\<> « ck nicht zu erfUllen vennöjfen. Es sei die
Aufgabe solcher Listen, das Material abzugeben zur deutlichen Einsicht in die
Thatsache, dass in der Lehrerbeförderung nicht, wie bei anderen Beamten-
kategorien, das Dienstalter ausnahmslos bei sonst gleichen VerhSltoissen gleich-
ndUUg die einaefaieii höhar trSgt, soodani data hier das natflrliohe Anfrttekan
nach dem Dienstalter vielfach durch irrationale Momente gehemmt bezw. zum
Schaden anderer gefördert wird, und es sollen femer die Lehrerverzeichnisse
die auch im allgemeinen ungünstigere Gehaltslao^e und Rangstellung der Gym-
nasiallehrer gegenüber anderen gleichartigen Beamtenclassen, insonderheit der
BichtATi naehweiseD. Dieaem Zwidw al»er Umie oflEeahar nur unter der Vor-
aassetsuDg genügt werden, dass alle in den Listen angefahrten Lehrer an
nachgewiesener wissenschaftlicher Befähigung einander gleich stehen, also alle
ge|E:pniiber anderen gleichartigen Classen vr)lliß: gleichwertig seien. Diese Vor-
aussetzung aber treffe nicht zu, da die ledif?lich auf Grund ihres ,,Prüfungs-
zengnisaes'^ in den Listen aufgeführten „Lehrer*^ schon nach den Bestimmungen
der Prttfhngsordnang in swei Stlade ileli aondem» von denen doch nnr der-
jenige, weleher die Lehrer nlt Obeilelirerqnalitat nndhaat, mit den Biehtem
gleichgestellt werden könne. Thataache aber sd, dass zuverlässige Listen,
wt lclie auch die Unterscheidung von Oberlehrer- und Lehrerbefähigung an-
e:t'ben, unerreichbar seien, und Verzeichnisse, welche nicht auch das Kriterium
iür die beiden Classen der Lehrer enthalten, seien nicht nur wertlos, sondern
sogar schsdlich, da sie den nicht Vollberechtigten, wenn er in niederer Stel-
hmg aein hoiiea Dienstalter in der Liste findet, im HintUek anf seinen nur
anvollkommen erreichten Lebenszweck noch verstimmter machen, den Voll-
berechtigten aber, der nicht „Glück" gehabt hat, in seiner ün/ufriedpnheit
nicht erleichtern, zudem beiden Kategorien nicht helfen, da die Behörde über
Dienstalter etc. besser unterrichtet ist, als alle Listen sie unterrichten können.
Lediglieh eine hSflicheBedewendnng sei -ea daher gewesen, wenn das kSniglleh
preußische Schulcomit^ za Cassel dem Vorsitzenden dea dortigen Provinzial vereine
t&rdie eingereichte Dienstalterliste seine .\nerkennung aussprach und dieselbe ala
eine Arbeit bezeichnete, die auch für die Behörde von Interesse sei. Vom all-
gemeinen WolwoUen endlich, das durch solche Listen wachgerufen werden könnte,
habe der hOhere Lehrerstand, wie die Verhandlungen in der Volksveitretong, in
der Presse nnd in der Barmer StadtyerordnetenTMsammlnng (4. Deember 1888)
beweisen, nichts zu hoffen, im Gegentheile würden die Vendchnisse in der un-
vollkommenen Art, wie sie allein herzustellen seien, nur zu hämischen Be-
merkungen über unmethodiscbes Verfaluren Veranlassung geben, qaod saagoine
viperino cautius vitandum!
Bei der eratm Umfrage hatte ein College, Dr. Brosig-Grandenz, den Vor-
stand nicht Ittr berecliigt erkiftrt, die Anaftthrnng des AUensteiner Besehlnsaes,
um den es sich für Ost- nnd Westpreußen allein handle, ganz auf/uschieben,
und demgemäß einen Antrag gestellt, unter T>ar]eirung der Bedenken d<'s Ndr-
sitzenden, der Beschlüsse der anderen Provinzialvereine und des anerkennenden
- 53 —
Schreibens des königlich preußischen Sdiolcomit^ za Cassel an den Director
Dr. Wittich die Vota sttmmtlicher Vereinsmitsrlieder dorcli an die eioselnen
CoUegien zu übermittelnde Anschreiben einzuholen.
Dieser Vorschlag fand im Vorstande zwar eine Mehrheit, indessen schien
doeh eine aolcbe •ehriftUche Abstimmung der Entecheidang der (General ver-
sammlang ▼OTEOgreifen. Der Vorstand beschloM daher unter AjiBahme des
Bachholzschen Votums, die Ausföhning: des Allensteiner Beschlusses zu unter-
brechen, um die noch nicht reiflich genug; überlegte Maßregel einer wiederholten
Erörterung nach allen Gesichtspunkten zu unterziehen. Dies zu thun, wird nun
zunächst die Aufgabe einer Sitzung des Vorstandes, sodann der Q-eneralver-
Mwmlmig in Oraudenz Min.
Was da aber auch beschlossen werden mag, die offenbaren Unzuträglicli-
keiten, die hier einmal mit der Anstellung nicht vollberechtigter Lelirer und
mit ihrer Bef<)rderung selbst bis in die obersten Stellen hinein geschartVn sind,
lassen sich durch derartige Listen nicht beseitigen, lassen sich in ihrer ott
geradezu deprimirenden Wirkung überhaupt durch nichts auch nur abschwichen.
Fftr die Zukunft würde etnfgo schwache Hoftiung auf Beeserung allein ein
ÜBteniobtagesetz gewähren. Indessen, wer glaubt noch an das ZnstaiidAk<Mn-
men eines solchen? Das Unterrichtsgesetz ist nun einmal die Klippe, an der
jeder preußische Cultusniinister, sobald er sich ihr auch nur nähert, zu schei-
tern scheint, und welchem Minister, dem sein Portefeuille lieb ist, sollte man
«ine derartige ÜBTonlohtigkdt znmuthen? H. P.
Eheinpruvinz. Gressler gemaßregelt. Die königliche Regierung
in Düsaeldinf hat den Hauptlehrwr GreMler in Bannen wegen des an den Landrath
Paul Martinius in Schwelm gerichteten „Offenen BrieHn" (siebe HeftXI, Jahrg. 11
des „Psedagogiums") In dne Ordnungsstrafe von 50 Mark genommen und ihm
angedroht, dass er im Wege des Disciplinarverfahrens seines Hauptlehreranites
entsetzt werden würde, falls er die in dem „Oflenen Briefe" ausgesproclienen
Grundsätze öffentlich vertreten oder in dem freien Lehrerverein zu verwirk-
üehen yersucben sollte. Diese Kunde wird in der gesummten deutschen pftda-
gogiaelien Welt das grOBte Aufteben erregen, umsomehr, als Gressler wegen
seines mnthvoUen and gwefaickten Eintretens für die Schule und den Lehrer-
stand gegenüber den hierarchischen Gelüsten einer herrschsüchtigen evangeli-
schen Orthodoxie selbst aus den fernsten Ländern von freimüthigen Schulniiln-
nem hundertfache Zustimmung erhalten hat. £s ist klar — Gressler ist der
SeMtton ein Dom im Auge; dass sie ihn mundtodt zu machen sucht, entspricht
ftren Gepflogenheiten von jeher. Wir kommen auf diesen Fall noch des wei-
teren nrSek.
Österreich. Auf der diesjährigen „Hauptversammlung des deut-
schen Landeslehrervereins in Böhmen" zu Braunau am 9. August wurde
u. a. Ton Herrn Josef Gertler eine gdat- und schwungvolle Gedenkrede
«Zum zwanzigjährigen Bestände unsereB'BeichiYolkssciinlgesetzes"
gehalten, welche' ftrigendermaßen schloss:
Wir bleiben treu!
Dm dieser inneren Treue äuBeren Ausdruck zu verieihen, erlaube ich mir.
— 54 —
Sie im Nameu des weitereu Aosachiuses zu bitten, zunächst für uacbfolgeude
EstichlieAnnff za stimmen:
Die in Bnnnan tagende Hasptvenammlnng des dentsdMn Lendes-Lehrer>
Vereins in Böhmen weist die In den Heden und Sein iften der Gegner der Neu-
schule enthaltenen maßlosen nnd ungerechtfertigten Anschuldigungen, Schmähun-
gen und Verdäclitigungen mit Entschiedenheit zurück und erklJlrt, mit unver-
brüchlicher Treue festzuhalten au den Grundsätzen deäßeich&volksscliulgesetzes
▼om. 14. IUI 1869| dessen Segen in alle Scbiditen der Bevlflkerung gedrungen
ist, und dorch das nnserar Jugend eine streng sittlidi<-re)igiOse nnd patriotisclie
Erziehung^ nnd eine allseitig harmonische Ausbildung gesichert wird. Die
dentache Lehrerschaft Böhmens spricht zugleich die Erwartung aus, der hohe
Beichsrath werde sowul der Schule als auch dem Lehrer die bisherige Stellung^
nnd die zugesprochenen Kechte vollauf wahren!
Femer beantragt der weitere Aosschoss, an Eliren des Jahres nnd
Tages nnd ans p flicht schuldiger Dankbarkeit zwei der größten
Freunde nnd Wolthäter der Österreichischen Schule unddes Lehrer-
standes zu den ersten Ehrenmitgliedern des deutschen Landes-
Lehrervereins in Böhmen zu ernennen: Es sind dies der edle und
hochverehrte Gründer des Beich-evolksschulgesetzesSe.Exc. Leopold
Hftsner Bitter von Arths nnd der ansgezeicbnete Vor- nnd Mit-
kftmpfer für die freie Schule Director Dr. FriedrichBittes in Wien.
Diese beiden Anträge fanden den stürmischsten Beifall der Versammlung'
nnd einst iiimiigre Annahme. Es wurde beschlossen, die beiden Ehreiiniitg'lieder
sofort telegraphisch zu verständigen. („Freie Schulzeituug Keicheuberg.)
Handfertlgkeitsenrsns für Lehrer in Licfatenstadt bei Karls-^
bad. Mit Genehmigung des h. k. k. Ministeriums für Cultus nnd Unterricht
vom 31. October 1888 wurde durch Erlass des Ii. Landes.schulrathes in Prag'
vom 22. Juni 1889 dem Bezirksscliulratli in KarLsbad die Bewilligung zur Ab-
haltung eines Handfertigkeitscurses für Lehrer in den heurigen Ferien ertheilt.
Ein Erlass des k, k. Beziiksschnlrathes in Karlsbad fnrderte die Lehrer den
Besbkes an reger Betheilignng mt Das Lehndmmer derl. Classe der hiesigen
Volksschnle war bald zum netten Schlafzimmer mit guten Betten umgewandelt^
wogegen das Zimmer der II. Classe als Werkstatt diente. Der Lchrcnrs, welcher
bis jetzt der erste in Böhmen ist, sowie die seit vorigem Jahre in Lichtenstadt
bestehende Sch iiier Werkstatt trat durch die wannen Förderer des Handarbeits-
nntezriehtes, den Herrn Bezirkshaoptmann Chralbn CSondenhoTe in Karlsbad nnd
den k. k. Bezirksschallnspector Herrn P. Fks. Xaver Biedl am 19. August unter
der Leitung des Heriii Lelirers Fridolin Gelinek ins Leben. Der k. k. Bezirks-
schuliiispector eröffnete am genannten Tae^e den Lehrcurs und ermahnte die
Tlieihiehnier zur Geduld und Ausdauer, damit sie einst für die Saelie thatkrllftig
wirken konnten. Durch seine tägliche Gegenwart spornte er die Lehrer zu
dauernder SehaJUenslust an. Naeh dem vem k.k.BeziriE88ehu]rath genehmigten
Lehrplan sind 56 Modelle nach dem vom Herrn Director Jos. Urban in Wins
ausgearbeiteten, den österreichischen Schnlverhältnissen angepassten Nftas'schen
System vorgeschrieben. Die vom k. k. Bezirksschnlralh genehmigte Werk-
stattordnung regelt die Arbeitszeit und Ordnung in der Werkstatt. Die tiig-
liche Arbeitszeit beträgt neun Stunden. Den praktischen Übungen gehen theore-
tische Vortrilge voraus, welche sieh auf die Oetehiebte, das Wesen und die
Methode des Arbeitsunterrichtes, ferner anf den Gebrauch und die Herrichtung
der Werkzeuge beziehen. Unter der nmsichtig^en Leitun^^ des Herrn Lehrers
(jelinek in Lichtenstadt, welcher sich in Wien tür Arbeiten an der Hobelbank
vorgebildet und an der Lehrerbildungsanstalt för Enabenhandarbeit in Leipzig
fie BeflUiigiDiir Pappwbeiten and HolssehaitaEeraien erworben bat, nelunen
an dem Cniie folgfende Collegen theil: Josef Bröckl-Lichtenatadt, Oskar Grimm-
Schlackenwerth, Karl Heidler-Donawitz, Anton Müller-Lichtenstadt. Kaimund
Schwanzer-Petschau, Rudolf Stöberl-Engelhaus. Außerdem werden noch zwei
aoikrordentliche Hörer erwartet, für welche die nöthigen l'lUtze reservirt sind.
Es kann nnr im Interesse der Herren Collegen sein, sich von der metho-
disehen Andnanderreihnng der gefertigten Arbeiten ca ttbersevgeo. El sei
nebenbei erwihnt, diiss die nächsten Bahnstationen Karlsbad nnd Seidacken*
Werth sind, wovw die letatere 1*/^ Stande entfernt ist.
Schweiz. Bern liefert einen hervorragenden Beitrag zur Lösung der
Überbllrdungsfrage. Eine Abtheilung der ttadtbemisehen CooiMlsBion fftr
Sebolhyglene hat nimlloh dem Gemeinderathe Aber diese Frage Berieht er-
stattet und nachgewiesen, dass eine Überbürdung auf vendliedenen Schulstnfen
in der That vorhanden sei, dass sie jedoch nicht in einem zu hohen Maße von
Schulstnnden und hänslichen Arbeiten bestehe, sondern vielmehr iu der H Ein-
fang von Fächern auf einer und derselben äcliuistufe. Hieraus entsteht, wie
die Berichterstatter treffand bemerken, eine ZerfUirraheit, die den gewissen-
haften Sditltf ftngfläkh nnd nnsidier nnd eine harmonische Ansbüdong onmOg-
lieh macht. Dabei wird der allbekannte Satz nur mit nmsomehr Nachdruck
betont, dass der tSprachnnterricht das Centrum des Prirail runter-
richtes sei und in den Dienst der Kealtacher treten müsse. Im weiteren ver-
langt diese Snbcommission — gewiss ebenfalls mit Becht — keine Reduction
der Ffteher, dagegen mehr Beachtnng des Wesentlichen gegenüber dem Un-
wesentlichen , ein Classenmaximnm von 30 Schülern fttr die Secnndftrschnle
nnd AnsfUmng der Anfe&txe im Clisseniimmer des Progymnasimns statt sn
Hause.
Die schweizerische permanente Schulansstelluug in Bern erfreut
lieh der schönsten Bifite. Nach zebiig&hrigem Bestand darf ein recht segens-
reidies Wirken in eng«n nnd weiteren Kreisen eonstatirt werden, nnd es ist an
hdfen, dass die Erfolge sich im nächsten DeoenoiuB unter der trefTlichen Lei-
tnng des Herrn E. Lüthi progressiv steigern. Die Betheilig:ung der Schweiz
an der Pariser Weltausstellung, bei vermehrten Beltiilsen von Seiten der Be-
hörden, die Bereicherung der Bibliothek in literarischer Beziehung, die Ver-
nehrung der jetzt schon ziemUdi aaaehnlichen Sammlung physikalischer Apparate,
aUee dies kostete viel Zeit uid Kraft, vermehrte aber aneh den Besaeh der
Anstalt besonders im Berichtsjahre wesentlich (1207 eingeschriebene Namen)
und erhöhte somit die LeistiiiigsfHhigkeit des neuen Institutes auch nach dieser
Biclitung liiu bedeutend. Die ehemaligen Freunde des Monopols werden des-
halb bald versöhnt sein durch die edle Goncurrenz Berns mit Zürich.
Solothnrn. Die gegenwärtige Beaetion gegen jedetotMhritÜielieBegang
«od ijmpatiiiBobe Kundgebung für die wahre Geistesfreiheit, von Born ans
iteto mit Bäbeeter TJuTerdronoiheit emenert, oflbnbarte ticfa n. a. aneh im
— 66 -
Biodaiitlea frBilderttreit". Die ültramontaiMii hofften es dnrehietMa m
können, dass das Bild des hochverdienten Staats* nnd Schnhnannes Vigier auf
„höheren Befehl hin" ans den Schulen entfernt werde; allein der Volksen t-
scheid half der gei t oliten Sache: Mit überwältigender Mehrheit hat die Stadt
Solothum dem Stunue ein entschiedenes „Half" geboten. Das Bild ist und
bleibt In den Sdinleiii wo der Ventorbene der anfwracheenden Jagend all Vor-
bild treuer PflicbteiiÜllnDg nnd nneigennütdgen Wirkens Tonnlencbten solL —
Die Gegner scheuten sich nicht, am Tage vor der Abstimmung die Grabesruhe
zu entheiligen und in g:ehässiger Weise das Andenken des verdienten Mannes zn
verunglimpfen, trotzdem er mit staatsmännischer Mäßigung wesentliches bei-
getragen hat zur Beconstmction des Bisthums Basel. Die Stadt Solothum hat
also bewieoea, daae aie „anf der glflcUietien Bahn deaFortBchiittes dar achwei-
lerischen Eidgenossenschaft erhalten bleibe".
Eine ähnliche Treue in der Unterstützung des zeitgemäßen, ruhigen Fort-
schrittes bewies die Berner Regierung, welche der neuesten päpstlichen
Encyklika das Flacet verweigerte, da sich der Papst darin die Aufgabe ge-
atellt, seiner Entrüstung über die Giordano Bmno-Feier Anadnick sa geben
nnd dicae Oelegeaheit dann sn benntMOi die italieniaehe Begiemng ala ge-
beime Urheberin der Feier zu denOMiren. Diese gegen die Eegieraog von
Italien e:f' richteten Anschuhii|2:ungen erschienen der Berner Behörde ihrem Wesen
nnd ihrer Form nach verletzend, und hierauf stützte sie ihre Placetverweige-
rung. Es war zu erwarten, dass die ultramontane Presse sich über das Vor>
gehen Ben» beaehwem wirde^ dn aie kern Uaredit etUiekt in derVenuthei-
hing der Giordano Bnintf-Feier. Die Fvage iat nnn aber allgemein aneh auf-
geworttn worden, ob die Bemer Begiemng in der Lage gewesen sei, ihr Placet
zu verweigern, lediglich darum, weil in dem Hirtenschreiben ein Ton an-
geschlagen ist, welchen die Kcgierung von Italien als einen sie kiänkeuden
ansehen moss. Bisher fand eine Placetverweigerung um- statt seitens einer
cantonalen OberbehSrde, wenn in dem betreffenden geistlichen Erlasse AnafiUle
gegen die eigenen Behörden oder Verletrangen nnaerer Gesetse Twkamen. —
Im Yorli^nden Falle stellte sich die Börner Regiemng zum erstenmale auf
einen anderen Boden des Rechts. Hoffentlich ist es bald Sache dea Banden,
die Veröffentlichung (h rartig-er Erlasse zu verbieten.
Die thurgauische Schulsynode (in Bischofszell) förderte auch dieses
Jahr naeh einem woldnrahdaehten, gehaltvollen Erftfllanngaworte desj Priei-
denten, Herrn Seminardireetora Rebflamea-ErenzUngen, manch wertvolles Gold-
korn zu Tage. Diesmal galt's, die obligatorische FortbflduDgsschule in Ehren zn
halten. Herr Bommeli-Fmuenfeld entledigte sich seiner Aufgabe mit wahrer
Meisterschaft und betonte besonders die (xesinnungstüchtigkeit, welche die
Jünglinge sich erwerben sollen, die Trennung nach Kenntnissen nnd Fähig-
keiten, nieht nach Jahigflngen, die Verlegnng der Unterriohtaatnnden
avf die Tageszeit (nicht auf den späten Abend), sowie die Abfaaanng eines
besonderen Lehrmittels für die Fortbildungsschule. Sowol der Correferent,
als auch die geü^ammte Lehrerschaft, pflichtete Heim Bommeli bei nnd hob den
großen Einfluss der Persönlichkeit des Lehrers hervor.
St Gallen. Die Cantonalconferenz in Korschach behandelte das
wichtige Thema der Oeanndheitspflege in dar Vdlkaaehnleu Die aehr nmfkng^
reiche, gediegene Aibelt dea Beferenten, Herrn ZoUikoibr-St Gallen, lag ge-
— 57 —
dnekt in der Hand jed«8 TheUnebiiien imd erfreut sieb allgemeiner Zaatim-
mxukgt indem n. a. die folgenden Thesen aneh Tom Coire^uwten HermEeaaler-
Wyl warm befürwortet worden waren:
1. £ä ist wniiBclienswert, dass von dem Erziehungsdepartement eine Statistik
über die hygieuificheu Verhältnisse &ämmtlicher Schulhäuser des Cautons auf-
genonunen worden.
2. Da, wo sidi alllUlig groite hygienltdte Übelettade ergeben sollten, ist
deren Hebung sofort anzuordnen und deren Kosten, falls dieselben für die be-
treffenden .Schulgemeinden zu drückend sein sollten, durch den Staat zudecken,
3. Bei Schulhausbauten sind Baugrund und Pläne auch in hygienischer
Beziehung von Fachmännern zu prüfen und zu begutachten, ob sie den von der
SEriehnBgBbeliBrde gutgeheißenen Normalien aitqneehen.
4. Es ist Fffieht der BeiiriDnchianthe (Oberbehfirden, Mittelglied swisehen
Loealschul- nnd Eniehnngsrath), ancb der Schulhygiene ihre volle Anfinerk-
samlceit zu widmen und, wenn nothwendig, Fachmänner zuzuziehen.
An d'ds wirksame, mit reichem Humor gewürzte Correferat schloseea sich
IL a. noch folgende Thesen an:
1. Die OberbehSrde Ist an ersuehen, allgemein Terbindliche Weisungen
besfiglkh der BeJnignng, Ventilation nnd Beheizung der Sehulzimmer, sowie
der EQrperhaltang nnd der Hausaufgaben zu erlassen.
2. Die gesetzliche Schülerzahl, die der T^ehier ZU nnterrichten hat^ soUte
niigends mehr (jahrelang!) überschritten werden.
3. Der Staat fordere nach Möglichkeit Gründung von Sappenanstalten
und die Basehaflking wamer FnflbeUeldnng.
Andere Thesen bezwecken eine Entlastang des Unterrichtsstoffes nnd ans-
gedehntere Berücksichtigung der H.vgietie im Seminarnnterrictite.
St. Gallen hat sich eine Specialclasse für Scii wachsinnige gesichert.
Diese wird im nächsten Frühjahre eröft'net und erfreut sich jetzt schon einer
aUgemeinen Sympathie unter der Lehrerschaft and den Eltern schalpflichtiger
Kinder.
Der 7. Juli fitederte endlich ein entschiedenes „Ja" des Souveräns fflr
eine Verfassungsrevision zu Tage. Da die dcmokrarische Partei nur mit
Hilfe der Ultramontanen die Zangengeburt einer Revision zustandegebracht
and daher in ihrem Programin bedeutende Concessionen bezüglich der rein
bfirgerlichen dchnle machen musste, werden die Liberalen, welehe dieses
Prqjeet seit Jahren hoehhalten, ihr Ziel nicht ohne harten Kampf erringen.
Ifan ist auch in anderen Cantouen auf den Ausgang desselben gespannt, beson-
ders seit der nun endlich glücklichen Lösung des Liclitenberger Schulrecurses.
Die neue Verfa-ssung muss gegenüber der bisherigen (vom Jahre 1861) mit
Art 27 der Bundesverfassung in Finklang gebracht werden, involvirt also eine
prineipielle nnd klare LOsnng der heikein Frage.
Dass eine solche ihre guten Frttchte zeitige, ersieht man ans den Berichten
Uber das Schulwesen derjenigen Gemeinden und Cantone, in denen die »con-
ÜBSSionslose Schule'^ ffclion längst eingeführt ist.
So wird aus Baden -Aargau berichtet, dass Schüler reformirten, katholi-
schen und israelitischen Glaubens kürzlich den nöthigeu Geldbetrag zusammen-
■tsMiten, um dner armen Hitschillerin zum ersten Gommnnionstage Kranz,
.OebetbOchldn nnd Sene anzuschaffen.
— 58 —
Appenzell ft.B. Die Oeneraloonferenas der Lehrer dieses CSmtoiis liat als
Hanptthema daalnetitnt der andemorte fremden Übnnga- (oderBepetir^) Sofanlen
besprochen. Der Referent befürwortete, die Einfiilirung der obilgaloriaehen
Fortbil<liuij(sschulen anzustreben, und zwar wiilii end drei Wintercursen mit je
ca. ÖO Unterrichtsstunden, da anf diese Weise die l iitt rriohtszeit bedeutend
erweitert würde. Von anderer Seite wurde ein achtes ubligatorisches Scku^ahr
empfohlen nebst dem ObUgatorinm der Forthildnngaaelinle^ nnd dleKebrliett der
Couferenz entschied sidi für jUesen eneiglsehen Schritt. Demnach wird die
Landesschnlcommission um bezügliche Weisungen ersucht, so dass das appen-
zellische (a. H.) Sdmlwesen ohne Zweifel bald abermals einen bedeutenden
Schritt vorwärts macht.
Würde es nur bald auch im katholischen Cautonstheil tagen! Dort Hegt
das Schulwesen noch im argen.
Freibnrg. Auch die Freiburger permanente Schnlausstellung darf
mit Befriedigung anf das verflossene Berichtsjahr znrückblicken; zahlreiche
Geschenke wurden ihr zugewiesen und vitle Bt snclie abjjestattet. Ein ge-
druckter Katalog vermittelt die erwünschte Auskunft über neu erworbene Ob-
jecte, über die in Paris ausgestellten Gegenst&nde nnd fiber den von der Com-
mission angeordneten Handfertfgkettscnrs. Das Institut gedeiht nach allen
RichtQOgeD hin vorzüglich.
Aargan. Die Augnstin-Keller-Feier, w(']< he den 12. Mai in Aaran
veranstaltet wurde, gestaltete sich zu einer inijiosaiitt n Kundgebung des Geistes,
der den verstorbeueu Erziehungsdirector und Staatämauu stets beseelte und er-
muthigte su energischem Handeln im Dienste des Onten. Gewiss würde der
vom ComitA der freisinnigen Volkspartei erlassene Anftvf es verdienen, in
weitesten Kreisen veröffentlicht zu werden; legt er doch ein beredtes Zeugnis
dafür ab, da.ss Kellers Geist auch in der jetzigen Generation noch fortlebt nnd
dass dessen Bemühungen nm wahre IleViuntj der Schule und ihre Befreiong von
der Macht des Clerus nun von ihr dankbar anerkannt werden.
Lansan ne. Den 15. Jnli fand hiw der von 1000 Lehrern ind Lehrerinnen
besachte 11. Congress statt unter dem Vorsitze von Herrn Begierungsrath Bufiy,
Vorsteher desErziehungsdepartenients. Es handelt« <\fh zunächst um die grOndliche
Erörterung der Fragre betreffend Anpassung der Secundarschulen zum
Priniarunterrichte. Die Ansicht kam dabei zum Durchbrueh, dass diese An-
passung in rationellerer Weise als bisher bewerkstelligt werden müsse und der
Zutritt zur dassiBchen und industriellen Schule erst vom 12. Alter^ahre an zu
gestatten sei. Das zweite Thema betraf den Zeich nnngsunterricht in den
Primär- und Secundarschulcn. In der auch sehr belebten Discussion betonte
man, den Referenten unterstützend, u. a. die Wichtigkeit des Zeichnens für die
Industrie, den Handel und die Landwirtscliatt, speciell des geometrischen nnd
des Zeichnens nach der Natur, sowie die bessere Ausbildung des Lehrers
im Fache des Zeichnens.
In Lausanne hielten auch die Mitglieder des schweizerischen Vereins
zur Förderung des Knabenarbeitsnnterrichtes ihre Generalversamm-
lung ab. Süwol der PrJlsident, Herr Rudin-Basel, als auch der Berichterstatter
Herr Meylan-Goumoens (Waadt) constatirten das stille, aber sichere Wachs-
thum der guten Sache in den meisten Cantonen. Der Curs in Freiburg hat ihr
nicht nur neue Ftaunde, sondern auch energische Förderer gesichert, da die
\
— 59 —
Beth^gang aoB der franzMBcben und dentaehen Schweiz eine allseitige ge>
worden ist.
Genf. Die Universität dieser Stadt erfreut sich anch vom Ausland her
einer stets sich steigernden Freqnenz. Im verflossenen Jahre zählte sie r)(>H
Studenten und Hörer, wovon 108 Genfer, 107 Schweizer aus anderen Cantonen
und 288 Ausländer sind. Letztere stammen aus allen Ländern Europas. Die
Serben, Bulgaren, Bamänen nnd Baaeen weisen ganz bedeateade Zahlen auf.
Am stärksten werden die Naturwissenschaften (134) und die medicinische
Facultät (222) besucht. An dieser Universität wirken 54 Professoren, 27 Privat-
dwenten und 19 Assistenten. Als Appendix der Univei^sität ist die gut besuchte
Zahnarzneischnle (die einzige in der Schweiz) zu betrachten.
Den 19. Hai feierte der berühmte Professor der Naturwissenschaften da-
selbst, Herr Dr. Karl Vogt, sein ÖOJfthiiges JnbUftnm nnd erntete dabei die
wolverdicute Anerkennung seiner hervorragenden Leistungen von Seite der Be-
hörden, Studenten und der ilim sehr sj-mpatliisclien Bevölkerung.
Der Ende Juli hier erötTiiite Handfertigkeitscurs wurde von 03 Leh-
rern ans Genf, Neuenburg, Waadt, Bern, St. Gallen, Wallis, Solothum, Zürich,
Thnigaa waA Aargan besncht. Anch Devtsdiland, Italien und Ägypten waren
(mit je 1 TheOnehmer) vertreten.
Hen- Gillieron, Lehrer an den höheren Mittelschulen, von der Regierung
mit der Organisation und Leitung des Unterrichtes betraut, functionirte als
Dire( tor dieses vierwöchentlichen Curses für Holz- und Eisendrahtarbeit, Dreherei,
Holzschueiderei, Cartonage etc. Alle verfertigten Gegenstände haben prakti-
schen Zweck für Hans nnd Garten, Kttche, Schrank oder als Schmoek. Die
tlgUche ünterrichtsselt betrug nenn Stunden. Spaslergiage, Gesinge in beiden
Sprachen nnd Abendunterhaltnngen boten nach strenger Arbeit eine angenehme
Erholung'. — Genf hat den Tlaiirlfertiffkeitsunterrieht für die Knaben der Pri-
mär- und Secundarschnlen und für die Lehramtscandidaten in den oberen Mittel-
schulen obligatorisch erklärt.
Gottfried Keller-JnbiUnm. Den 19. Jnli feierte man überall, wo
die deutsche Sprache bekannt ist nnd gescfafttzt wird, insbesondere aber in
der Schweiz, das SOjährige Jubiläum des Dichters Gottfried Keller. Dass
die mittleren und höheren Schulen sich dabei activ betheiligten, ist selbstver-
ständlich. Durch ein solches Fest wird der nationale Sinn schon in der
Jngend geweckt und gepflegt. Die Schule ist in erster Linie dazn berufen,
diese Aufgabe zu ISsen.
Zürich. Conferenz für das Idiotenwesen. Diese fand unter sehr
zahlreicher Retheilignng den 3. und 4. Juni statt. Herr Dr. Wildermuth-
St«tten sprach über die Pathologie der idiotischen Zustände, Herr Di-
rector Kölie-Zürich über die Idiotenanstalten, Herr Erhart-St. Gallen über
sekwerkCrige Schwachsinnige, Herr Professor Forel-Znrich aber Jugend-
liehe Geisteskranke und Lehrer Fisler-Zfirich aber Hilfseiassen f&r
Schwachbegabte. Die Berichterstatter stimmen überein in dem günstigen
Urtheil über diese erste Conferenz nnd ilire allseitige praktische Anregung.
Es handelte sich nicht darum, die Gründung neuer Anstalten in die Hand zu
nehmen, sondern vielmehr darum, durch gemeinsame Besprechung und gegen-
seitigen Gedaakflnanstansch das Interesse an diesen ün^ttcklicken zu wecken
und im Volke allgemeüier an veritreiten. Dieser Zweck ist erreicht worden;
— 60 —
folglich darf man auf einen bedeutenden Fortschritt in der Heilpädago^ik, auch
in der Schweiz, für die nächste Zakanfl hoffen. Am bedeutsamsten ist die von
der VerMumnlaug augenomnieiie Tkeae Laigiaddn: fjkr Staat hat die Vor-
Mfge filr anareiehendeii Untenridit sohwaehibiniger Kinder eDtapreolieDd den
individneUea Anlegen an treffen.*' Seither ist ein einliaaUclier Beridbt hlerflber
von Herrn Pfarrer Ritter-Zürich erschienen.
Das Landesmnsenm hat, obwol immer noch erst im Stadium der „bald
zu realisirendeu Wünsche", doch schon bis jetzt viel Gutes gefördert. Interesse
für die Localfrage und höhere Wertschätzung eines Landesmuseunis überhaupt,
dies zeigt sidi in swei von Zürich nnd Bern aasgegaageaen, objectiv gehaltenen
Broschttren über diesen Stoff. Die Errichtung eines Landesmuseums wird ge-
radezu als eine nationale That bezeichnet. Man hofft allgemein, dass durch die
Schaffung eines solchen die schon bestehenden Sammlungen nidit nur nicht ge-
schädigt, sondern im Gegentheil unterstützt werden und ft'eut sich sehr der
Botschaft des Bundesrathes, die u. a. lautet: „Die Zeit aar Anhandnahme des
Werkes ist gttnstig. Fflr die Mittel znr VerwirUiehnnff derselben ist gesoi-gt;
vier Orte haben den Gedanken aufgegriffen und bieten der Eidgenossenschaft
für die Aufnahme der Landesanstalt schöne, würdige Stetten an." Dieses
Project ist auch verwandten, schon vorhandenen Srhüpfnngen , z. B. der Groß-
schen Pfahlbautensammlung, der Amietschen Münzsammlung, sowie der Samm-
lang nnd Erhaltung vaterländischer Alterthümer nur günstig, nnd somit dürfte
das Meriaa'scbe Testament wie das von Prot VQgeli gemachte Yennlditttls in
Bilde seine segensreichen FHichte tragen.
Schweizerische Studenten an auswärtigen Universitftten. Nach
einer Zusammenstellung des eidgenössischen statistischen Bureaus studirten im
IL Semester 1888/89 (für ( Jsterreicli hat 1888 in Betracht gezogen werden
milBsen) 480 Schweizer an den Universitäten der Nachbailäuder, davon 306 in
Deutschland, 85 in Osterreich, 39 in Italien nnd 50 in Fhuikrefasfa. Der Theo-
logie widmeten sich 125 Schweizer (68 in Deutschland, 56 in östeneich), der
Rechtswissenschaft 115 (98 in Deutschland, 8 in Italien, 5 in Österreich), der
Medicin 136 (davon 57 in Deutschland, 20 in Österreicli, .'50 in Italien, 29 in
Frankreich), der Plülosophie 104 (davon 83 in Deutschland, 10 in Frankreich,
4 in Österreichj. Die Gesammtzahl der Ausländer, weiche an schweizerischen
UniTersitftten stndirten, betmg 232 (147 Deutsche, 29 Österreicher, 28 Italie-
ner, 28 Ffaaioaen). Die von Schweiaem meistbesnchten Universitäten sind
Berlin (86), Innsbruck 60 (56 kathoUsche Theologen!), Leipzig 56 (36 Juristen),
München 50, Paris 36 (23 Mediciner), Wien 22 (16 Medieiner), GötüngenlS,
Jena 14 (13 protestantische Theologen), Heidelberg und Straßburg.
Nordamerika. Auf dem 19. deutsch-amerikanischen Lehrertag, ab-
gehalten vom 9. bis 12. Juli d. J. zu Cliicago, wurde u. a. folgender Beschlnss
gefasst: Getreu den bisherigen Principien nnd Zielen des nationalen deutbch-
amerikanisehen Lehrerbnndes, welcher laut seiner Verfiwsong die Erziehung
wahrhaft freier amerikanischer Staatsbürger, die Propaganda fflr
naturgemäße Erziehung in Schule und Hans, die Pflege der deut-
schen Sprache und Literatur neben der englischen und die Wahrung-
der geistigen nnd materiellen Interessen der deutschen Lehrer in
— ül —
den Vereinigten Staaten bezweckt, liillt es der am 11. Juli 1889 in Chicago
versammelte 19. deatsch-amerikanische Lehrertag in AVürdigong der in neuester
Zeit vielerorto lieraiifbeaehworeneD, sich gegen dentscheSpraehe and dentacheB
Wesen richtenden Bewegung für die nftchstliegende und dringendste
Aufgabe des Lehrerbundes in diesem dem Deutsch-Ainerikanerthum von Nati-
vismus und UndQUL';amkeit aofigedrongenen Kampf entschieden Stellang zu
nehmen. Er erklärt deshalb:
1. Der Unterricht in der deutschen Sprache als der zweiten Landessprache
hat in unserem amerikanisohen Schulsystem vom rein pädagogischen Stand-
poDlcte, sowie von desi des pnkdsehen Lebens nicht nor volle Bsreebtigong,
sondern er entspricht auch einem dringenden Bedürfnis. Er sollte deswegen in
allen Schulen des Landes, besonders aber in den öffentlichen Schulen seine
Stelle haben, dort, wo er bereits eingefühlt ist, gehoben und ausgebaut und
dort, wo er bisher noch keine Berücksichtigung fand, eingeführt und dem
ünterrichtsphine organisch eingereiht werden.
2. Der Lehrerbond wiü daher aiehi iir als soleher energisch Ar die
Erhaltung, Hebong md FSrdening der dent8ofaen8^pnehe eintretea, sondern er
heilt anch die Bildung solcher localer, staatlicher und nationaler Vereinigungen
gvt, welche sich ausschließlich die Pflege der deutschen Sprache zur Aufgabe
stallen, und macht es seinen Mitgliedern zur Pflicht, hei der Bildung solcher
Vereine nach Kräften rait/uwirken.
3. E& soll die besondere Aufgabe des Bundesvorstandes sein, den Mit-
gliedern des Lehrerbnndes In ihrem Wirken sor Grttndnng soleher Verefaie mit
Rath nnd That inr Sdte zu stehen. Er soll femer in Oemeiiisehaft mit dem
ständigen Ausschnss zur Pflege des Deutschen fUr die Idee dos deutschen
Spraclmnterrichtes in der englischen Presse des Landes in aufklilrt ndeni Sinn«^
Propaganda machen, dafür Sorge tragen, dass über die praktische Dun lifiilirung
dieses Unterrichtes alle mögliche Auskunft gegeben wird, nnd schließlicli jähr-
lieh an den Lehrertag nmlhssende Beriehte Aber sein agitatorisches Arbeiten
and erzielte Erfolge abstatten.
4. Als auf einen im Kampfe um die Erhaltung der deutschen Sprache
wichtigen Stutzpunkt sei auf das nationale deutsch-amerikanische Lehrerseminar
hingewiesen. Die Mitglieder des Bundes sollen daher es als eine heilige Pflicht
betrachten, alles in ihrer Macht Stehende zu thun, damit diese vom Bunde ge-
gründete Lehrerbildungsanstalt den ihr vot^gestrebten Zielen in immer höherem
Grade gerecht an werden vermag. Aaf SchaAmg einer soliden finanziellen
Basis nnd Zuführung einer möglichst großen Anzahl von ZSglingen sollte na-
mentlich rastlos hingearbeitet werden. Freudig würde es auch vom Lehrertage
begrüßt, wenn man eine engere Verl)indung des Lehrerseminars mit dem vom
nordamerikanischen Turnerbunde unterhaltenen Turnlehrerseminar bewirken
würde. Die Leistungsfähigkeit beider Anstalten würde dadurch sehr gehoben
nnd ihr Wirken aof «nie breitere Basis gestellt.
Im Hinblick anf den bevorstehenden 100. Geburtstag Diesterwegs
wurde ferner beschlossen, es seien zur würdigen Feier desselben vorbereitende
Schritte zu thun; zugleich sei dafür Sorge zu tragen, dass dem Wiener Päda-
gogen Dr. Friedrich Dittes zu seinem 6Ü. Geburtstatee die Verehrung des
deutsch-amerikanischen Leiirerbundes in geeigneter Weise kundgegeben werde.
— 62 —
Zur Atisführung dieser Beschlflaae wude ein „Comite für eine würdige Diester*
weg- und Dittes-Feitr" eingesetzt, und wurden in dassrllte die Herren Fick«
ChicagOi D6riier*Cincinnati and Lolimaun-Fredericksbuig berufen.
( „Erziehungäblätter , Mllwaukee.)
Ans der pftdagogischeii Presse.
215. Ein Wort zur Überbürdung, besonders durch häusliche
Auf-aben ('Ed. Leonhardt. Österr. Schulb. 1889, XII. XII Ii Über die
Thatsache, dass l'berbürdung vorhanden — Ui-?achen und F<>1};»mi — Abhilfe:
Allgemeine Grundsätze — bestimmte Forderungen oder AN'iuke für einzelne
FBicher. Über Handbücher und Merkhefte, letitere vorgezogen. — Die hftiu-
liehen Arbeiten sollen nie getwünseht, immer befohlen werden (nm kindliche
Selbfltllberbttrdung durch Ehrgeiz zu verhüten), sollen den Unterricht nicht
ersetzen, auch nicht tlieil weise: Thätigkcit des Gedächtnisses niöo-jitlist zu
Bchonen. Keine schriftlichen Hausaufgaben aus der Grammatik: kein liäus-
liches Karten-, geometrisches, Freihandzeichnen. (Warum soll eine Tum»
anfgabe fürs Hau nicht statthaft sein?)
216. Die Analogie in der Geschichte (E. Tomanek, Zeitschr. f. d.
Eealschnhvesen 1889, VI). ,,Wenn vdr Begebenheiten, Thatsacben, Zost&nde
und Gestalten der Geschiclite mit anderen, welche von ihnen zeitlich oder
<irtlich oder nach beiden Eichtungen hin preschicden sind, unsere Schüler ver-
gleichen lassen, führen w ir sie auf die Bahu des selbstst&ndigen geschichtlichen
Denkens." — lUt 27 Beispielen ans der obersten Gymnasialelasse (Wieder-
holung der alten Geschichte).
217. Zum Geographie-Unterricht im sechsten Schuljahr (U. Früh,
St. Galler Schulbl. 1889, 13). Ein Beisjäel, wie (nach dem Grundsatz, dass
immer von der Kai*te auszugehen seij der Lernstoff aus der Karte heraus-
gelesen und gefunden, wie ans der Karte eine einfache, von den Schülern
nadisnseichnende Skizae gewonnen, wie durch mflndlidie Ifittheilnngen des
Lehrers, durch Yei weisen von Ulustrationen, Zeichnen von Profilen n. ä. der
Unterricht anschaulich ergänzt wird, so dass sich die Kinder am Ende ein
klares Landschafisbild eing^epr.lgt haben. (Behandelt wird eines der interessan-
testen Schweizer Flussgebiete: dasjenige der Linth.)
218. Einige Gedanken über den Rechennnterricht (Bemer Schul-
blatt 1889, 26). In der Bechenstnnde die beste Gelegenheit snr Erlangung
der Sprech- und Sprachfertigkeit. GeometriBche Betrachtungen und Berech-
nungen als Ausgangspunkte fiir das Rechnen mit Zahlen. Das schriftliche
Tiechnen zugleich eine Zeichcnübuiio-. Umständliche Ansätze oft Ursachen
grundfalscher Kesuitate. Von hohem Wert ein Sammelheft für Aullösiuigeu
eharaktnlstischer Beispiele aus allen Bechnungsarten.
219. Zur Beform des Zeichenunterrichtes an den Volksschulen
(P. Wengraf, Volksschule 1889, 29). Aus den geometrischen sollen die orna-
mentalen Grundformen organisch entwickelt und in planniüßiger Folge geübt
werden. Das Gedächtnis- und Dictatzeichnen ist auf allen Stufen zu pflegen,
das Stigmennetz aus der Schule zu entfernen.
220. Die K9rper- und Stifthaltung beim freien Zeichnen (Psd.
Zeit. 1889, 28). Die Zeichensection des Berliner Lehrerveretns hat (in Ver-
bindung mit den Professoren Cohn-Breslau, Esmarch-Eiel und den durch ihre
— 63 —
bjrgi«iiitehen Postolate für den Schreibontenridit bekannten Berlin-Stnttgarty
Sebnbert-Nürübeif) für die Haitang des Oberkörpers, Lage der Zeichentläche,
Lasre und Bewegfimg beider Arme, Haltung- des Stiftes eine Heilie beachtens-
werter Kegeln znsaniHiengt'stellt, auf die wir liier nur verweisen.
221. Max Koppeustätter (Bayr. Lehrerz. 1889, 2ü — 29). Seine un-
Tefgenliehen Verdienste vomehnilicb als Vorstand des bajiisehen Lehrervereins
and als Verwalter desLefarerwaisettstiftes. — Seine vorbildlichen ElgensAaften:
Willensstärke, Arbeitslust, Ansdaner, Pflichttreue, Opfei-willig-kdit, Oerechtig:-
keitsliebe. — Für Jede Verhandlung durch tleißi^^e Vorbereitung gerüstet,
drang er auf strenge SacligeuiUÜheit. — Ti'otz mannigfacher niedertrSchtiger
Anfeindungen, trotz Undank and Verkennung (im Amts- und Vereinblebeu),
Izots ftarchtbarster SchjcksalsschUlge im Familienleben blieb er anfrecht und
standhaft, arbeitete er mit g'leicher Kraft nnd Hingabe bis ans Ende — und
das ist 'wahrhaftes Heldenthum.
222. Heinrich Buri^w ardt Major, Freie päd. Blätter 1889, 29). In
gedrängter packender Kürze die Lebensgescbichte eines ganzen Mannes unt«r
den Lehrern, der das verkümmerte Schnlwesen einer Stadt (Wismar) zur
Blute entwickelt, der lebenslang bestrebt war, die Lehrerschaft Heeklenbnrgs
aas UDwfirdiger Lage zu befreien (was ihm auch theilweise gelungen durch
Gründung «ines Landeslehrervereins und einer Scliulzeitung). „Der Mann
predigte gewaltig und nicht wie ein lederner SchriftgelehrLer'* , er verstand es,
,den Jungen in die Seele zu greifen".
223. Die erzieherischen Ideen in Gottfried Kellers Werken
(J. Stiefid, Schweiz. Lehrerz. 1889, 29->33). „Gedichte von Kindern**
— Kinderscenen in Erzählungen — pädagogische Novellen und Romane: Der
grüne Hfinridi: das Fähnlein der sieben Aiifit<'lifen: die Leute von Seldwyla:
Martin ."^alander. ..Ewige Jlusterbilder erzitlierischer Mütter." — Grund
seiner Pädagogik; Poetische, lebendige Psychologie; er kennt die geheimsten
nnd sarteetenKeime der Henscfaenseele — Gharaktsr seiner Pidagogik : Ethiseher *
Bealidealismns, der immer nach Bethätignng trachtet (in Hans» Sehnle, Gesell-
sebaft, Staat) — Ziel: wüidiges BUrgerthiun und wahnr Patriotismus (»Achte
jeden Mannes Vaterland ; aber das deinige iieln i.
224. Wo stehen wir. und wie kann s besser werden? (Berner
Sehnlblatt 1889, 32 — 34). Dieser von strengster Selbstkritik und edelster
Begeisterimg fBr unseren Bemf durchdrungenen Arbeit entndimen wir: Der
Lehrerstand ist nieht ein Stai^ vde ein anderer. Li tinon anderen Stande
rächt sich die Faulheit und Nachlässigkeit an denjenigen, der sie sich zu-
schulden kommen lässt, in der Schule hingegen an schuldlosen Opfern, den
Kindern, nnd damit an ganzen (tenerationen. Dazu kann in anderen Ständen
der unnütze und faule Kuecht leicht entfernt werden; dem Leiirei aber wird
es nnr SU hftuflg ab Tugend angerechnet, wenn er fOnf gerade sein ISast Wie
selten wird bei der Indolens des Pnblienms in Schulsachen die treue Arbeit
nach Verdienst gewürdigt und die Trägheit nnd Einfalt ans Licht gebracht
und gebrandmarkt! Das ist ein faules, niclitsnutziges Wort im Munde eines
Lehrers: Ich sollte ein Narr .seiu und mich für den Sündenlohn so absi binden.
Dem Lehrer wird die Scliule Ubergeben in der stillen Voraussetzung, dass er
sefaie ToUe Kraft Ar dieselbe einsetze. Thut er dies nicht, so ist er vertrags-
brttchig und ein Betrüger gewöhnlichster Sorte.
— 64 —
225. Auf schulpolitischem Gebiet (W. Geiger, Badische Scholz. 1889,
31 — 83). Nothwendig: Freie Vereiiifgmig — ' fortwiÄrendes GdtendiiMchca
benclitigter Wünsche nnd Fordernagen — fretmflthige Vorschllge znr Besaenuii;
mflBBen aus der Lehrerschaft selbst und zwar ans den Conferenzen kommen —
das in letzteren gesammelte und geprüfte Material ist der Oberbohörde vor-
zulegen — in den politischen Tagesblättem sind Schalfragen von allgemeinem
lateresse zn besprechen.
226. Das Studium der Pädagogik Pestalossi's (Sd. Ririi; Repert.
d. Päd. 1888/89, IX). Mehr als eine wissenEchaftliche oder systematische
halten wir eine praktische Bearbeitung der PiUlafrof^ik Pef^taloz/i s oder seiner
Idee der Elementarbildung, also eine echte Pestalozzischo „ Vulgilrpäldagogik"
iüT das, was nuththut. Jene (in ihrem ersten Theile — Pädagogik der Wobn-
stabe — TOD Ed. Bnff bereits Tdlendete) Bearbeitung bat die Aufgabe, die
ans dem Wesen der Henscbennatar bergeleitete Idee der Blementarbfldmig in
ihrem inneren Wesen sowol als auch in üirem ganzen Umfang nnd in ihrem
naturgemäßen, organischen Zusammenhang mit dem hänsUcben, bfirgerlichen
und Staatsleben praktisch und lebensvoll darzusteilen.
227. Flut und Ebbe in der Culturstufenfrage (£. v. SallwUrk,
Rhein. BL 1889, V). Ein historlsdier Bericbt über die Verwirnmg, welche die
Cnltorstafen>Kttnstelel erzeugt — Aber die Retnsehe Verwisserang der ZiOerseiiea
Theorie — fiber die oberflächliche, dünkelvolle Kritik bei den ZUlerianem
(die eigentlich Selbstkritik ist); über das Widersprechende ihrer Ansichten. —
„Alle grundsätzlichen, eiiig-t-henden Erörterungen haben znr Verwerfung der
Zillerschen Cultun>tufeu und der ihnen zugrunde liegenden pädagogischen
Ansehanong geltthrt Der ,Congraenzgedan1ce' bat nor einen Wert fttr den
Pädagogen, den nSmlich, dass er ihm das WiUkllriichste nnd Tranmiialleste
an Erziehungsplänen möglich erscheinen lässt,"
228. Wirklichkeit und Einbildung in Fragen des Volksunter-
richtes (G., Die gewerbl. Fortbildungsschule 1889, VIIl). Ein beheraigena-
wertes Wort: „Der Wert der Anschauung alter Kunsterzengnisse fttr das
praktische Leben bemht znm großen Theü anf EinbUdong. Seit alter Zeit und
bente noch nnd in alle Zukunft wird der Arbeiter viel mehr durch das gebil-
det, was er selber schafft und erlebt, als durch das, was er blos anschauen
kann. Selbst wenn es also möglich wäre, die geschichtliche Entwickelung des
natiüuaieu Kunstgewerbes zu einer umfassenden Anschauung zu bringen, so
könnten wir einer solchen Darstellung (die als nationales Institut nnr T<m
Kreisen gewürdigt werden kann, die Sachkenntnis, wissenschaffUche Bfldong
nnd Muße besitzen, um sidi damit eingehend zu beschäftigen) höchstens einen
akademischen Wert beimessen. Für die Volksbildung sind Kunst und Wissen-
schaft internationale Güter. Wir wollen daher nicht in der Einbildung Schranken
aufrichten, welche die Wirkliclikeit sofort wieder niederreiüt, indem der Welt-
rerkehr unsere Lsdostrie anf den Export hinweist» nnsere Arbeiter swingt, in
der Fremde ihr Brot so verdienen. — Die gegenwlrtlg moderne ÜberschitBong
alter Kunsterzengnisse thnt der Sorge für die Bildung der Handwerker Eintrag.
229. Vom deutschsprachlichen Unterricht {Deutsche Schulpr. 1889,
29 — 30). Drei (iesichtspunkte bei Aufstellung des Lehrplans: Verknüpfung
(Sach- und Sprucliunterricht — die verschiedenen Übungen untereinander:
Schreibeni Lesen, Formenlehre, Anibatz) — Besehrftnknng (zu gnnsten der
— 65 —
Vertiefnug und t'bung) — Arbeitstlioilunf!: (die scliliiniiistcii FeliltT sind genau
aufznzf'if Imen und jedem Schuljahr ist ein Theil zui- besonderen Durchai boituug
zuzuweisen. Der betr. Jahrgang ist für die Beseitigung der ihm überwiesenen
Fehler gewissermaßen haftbar). Der anfzosteUende Lehrplan wird nicht die
ReQmifolge der zo bebandelnden qirachliGfaen Ersehehmngeii geben kdnnen, da
dieselbe ganz davon abhängt, wdcbe SpracherMheimmg sich mit irgend einem
zu behandelnden Sachunteniclitso:pgenstande ungezwungen verknüpfen lässt. -
Es muss sclion für die Unterstufe (2. bis 4. Schuljahr) maßgebend sein, dass
der Aafsatz nicht die Aufgabe haben kauu, das Gelerute eiufach zu wieder-
holen-, vielmehr ist sein Zweck, etwas Bekanntes von einem eigenartigen
Gesichtipiiiikte ans eeibeftUidig betrachten sn lernen. Bbuselarbeiteii Ar die
AnftatEftbong (5. bis 8. Schuljahr): Gewinn des Inhaltes — der sprachlichen
Form — vorbereitendes Diclat (Behandlung der zu erwartenden granimatischent
«•ithopraphisihon, stilistischen Schwierif^keiteu oder Eigenthümlichkeiten) —
C oncept des Aufsatzes — Besprechen der Dictate und Concepte — Eintragen
des Aufsatzes.
A. Chr. Jessea sagt in seinen „Freien pSdaer. BlAttem" : Die Schnle ist
das Mädchen für alles. Geht eine Schlacht verloren, so war die Schule nichts
wert. Ertränkt sich jemand, so hat die Schule die Schuld. Stiehlt einer, so
war die Schule ebenfalls die tirundursache. Gesdüeht ein Mord, gewis.s steckt
auch da die Schule im Uintergiimd. Machen die Handwerker und Gewerbe-
treibenden scUochte Gescfaftfte — di« Mole taugt nichts. Striken die Arbeiter
— das kommt t<hi der sddeehtmi Seknie. Beffdit einer im Baoscbe etwas
T'nreohtes oder recht Dummes — Hailoh, die Schnle! Besuclien die Leute die
Kirch»' nicht fleifip — ja, die Schule! Verspottet ein Knabe jemanden auf
der Gasse — was kann man von der Schule anders erwarten. Hat ein Vatei*
ein uugerathenes Kind — die Schule hat's gemacht. Durchsi-hneidet der Schustei-
bnb beim Abpntien der StielUsdile das Oberleder — es kommt von der Nen-
sehnle. Geht ein Cassirer seinem Hemi mit dem Gelde dnreh — solche Leute
bildet die Nenschule. AVeist die Statistik eine Zunahme der unehelichen Ge-
barten nach — <las ist die Frucht der heutigen Schule. Deaertirt ein Soldat
— die schlechte .'^chiilmoral.
Kun hat in Wien die Familie eines armen Tischlergehilfeu giftige Schwämme
genossen, was ist denn da die Ursache? Welch eine Frage, was dam anders
als die Sehlde! Diese Antwort ist in dem angedeuteten Falle sogar von einer
fidiBrde gegeben worden, und zwar von «toem Marktconnuissariat in Wien.
Das Schriftstück, in welchem sich das genannte Conimissariat mit der Neu-
schule befasst. ist ein Gutachten über den erwähnten \'ergiftungsfall und hat
folgenden Wortlaut: „Die übermittelten Schwämme befanden sich bereits in
einem derartigen Zostand der Finlnis, dass mit Siidieriieit dieselben nidbt mehr
genau bestimmt werden kSnnw; docB kann es mit Gewissheit ausgesprochen
werden, dass sidi darunter auch Satanspilze, wdehe giftig sind, ite fanden. Was
die weitere Frage anbelanjrt . oli diese Scliwilnnne auch von Laien als gresuiid-
heitsschädlich erkannt weiden müssen, nius.s '/.in Schande unserer ^"olksschul-
bildnng gesagt werden, dass leider viel weniger Wissenswertes gelehrt wird,
als die r^tige Kenntnis der Lebens- ond Genunmittel und insbesondere die
Kenntnis der genieSbaten und nicht genieiSbaien Schwftmme, BeerenMchte etc.,
weldM noek Tid weniger verbreitet Ist."
PMiigoffinL lS.Jibif. B«ftl. &
— 66 —
Dank und Bitte. Zu meiuem 60. Geburtstage sind mir von nah nnd
fern, selbst aus Anieriksi, so zahlreiche Kundgebungen aiifriditiger Theilnahme
zagegangen, dass ich nicht imstande bin, sie einzeln zu beantworten. Ich ge-
statte mir daher an dieser Stelle, allen jenen geehrten ilännern und Körper-
schaften, welche mir bei erwähntem Anlass ihre freundschaftlichen Gesiniiuugeu
bewiesen hallen, meinen herzlichen Dank aaBosprechen nnd die Venlchemng
zu geben, dass ich auch ferner den Grandafttzeu treu bleiben weide, welche
mich bisher mit ihnen verbunden haben. Noch stehen wir mitten im Kampfe nm die
wichti5:sten Güter und T'echte der Menschheit, und was ich mit dem Restf
meiner Zeit und Kraft noch beitragen kann zum endlichen äiege des Lichtes
über die Finsternis, soll mit Freuden geleistet werden.
Meine wackeren Freunde wollen mir aber auch eine Bitte gestatten. Der
Einzelne vermag wenig ohne die Untei*stQtzang seiner Standes- und Berufs»
genossen, viel durch deren thätige Mitwirkung. Wenn nun, wie ich glaube,
meine Schritten, insbesondere die vorliegende Zeitschrift und raeine ^.Schnieder
Pädagogik", geeignet sind, der Lehrerwelt einen klaren Blick und einen festen
Staudpunkt auf dem Boden ihrer Berofswissenschaft, zugleich aber auch
toinchbare Waffen znr Vertheidigang ihres gnten Rechtes in bieten, so hoffe
ich, dass meine Freunde zur Verbreitung dieser Werke gern etwas beitragen
werden, damit die Arbeit eines Lebens wirke, was sie vermag, und besonders
einen tüchtigen Nachwuchs heranbilden helfe, der mit frischen Kräften anf
dem Felde erscheinen kann, wenn den Alten die Arme sinken. — Dittes.
Literatur.
Dr. \. Wachlowsky, k. k. Gymnadalprofessor . Stndien über die Erziolmngf
an den Gymnasien und Realschulen. 109 S. Wien 1889, Picliler. 80 kr.
K.s inuss vorauti^eüchickt werden, da«s Yerlasscr bei seinen Stiidion Uber die
eiziehlidhe Seite der Sdiulbildung in erster Linie die österreichischen Gyno»
nasien im Auge hatte, wodurch sicli der c^auze 7ai(j: der Untcrsnehimtj; und
insbesondere die eingebende Berücksichtigung der Uerbartsdien l'hilusoiihic
und Pädagogik erkl&rt, die,Ja an den genannten Anstalten wie auch an den
philosrtphischen Faniltäten Österreichs su ziemlich iiionopolisirt sind. Seine
Grundanscbauung spricht Dr. W. gleich im V'urworte lolgendemiaßen aus: „Die
sogenannte IdealpMagogit beherrschte bis vor kurzem ausschließlich, gegen-
wärtig noch zum großen Thcile die Schulen Österreich-s niul I »fulschlands.
Dieäe Herrschaft war freilich nur eine eingebildete und keine wirkliche. Denn
kein Lehrer konnte die Forderungen der Ideilpftdagogik ins Praktische Übertragen.
Nun kam aber noch zweifaches dazu, um den Zweck derselben illusorisch zu
machen. Pörstens übertrug man die EiKenschatteu der früheren Klostcrschulen
awdiaiifdie modernen Anstalten nnd Terluigte von diesen ebenso wie von jenen
in erster Linie Erziehung. Man vergaß aber, da.«.«* unseren Schulen die zwei
nothwendigt>ten Bedingungen der Erziehung fehlen: klösterliche Abgeschlossen-
heit und Einheitlichkeit in den Erziehungsprincipien. Zweitens glaubte man,
der Hrrbartschen Idealpiidagogik folgend, im T^ntcrrichtc alles zu finden, was zur
Erziehung noth wendig int. Man Ict^e nur die neueren Schriften der Uerbart-
schen Schule, um zu erfahren, was der Unterricht leisten soll. Es ist das
nicht mehr Wij-.scnschaft, sondern i>ädairogisc]i< r Aberglaube, der da sn>f> tre-
zogen wird. Es fehlt den Behauptungen auch nicht an einer hchembaren
B^;rlindung. Man beruft sich auf irgend einen Sati der Hcrbart'.schen Psy-
chologie. Dabei sind oder Ptcllcn sich die Herren so naiv, als ob .si' ilio l'-^y-
cbologie Herbarts für eine erwiesene Wahrheit hielten. Indcsj»en wurde in
Deutschland durch Wundt, in England durch die beiden Mill, Spencer und
in.«besondcro Bain eine neue l'syihologie inaugurirt, welche siih zur Hcrbart-
schen verhält wie die Wirklicbkeit zu einem Luftgebilde. Da muss wol auch
die PBdagogik andere Wege einsehlagen, wenn sie ihr Ziel erreichen will. Der
Verfa.sser des vorliegenden Schriftchens sucht nachzuwcijteu. das.s sieh die gegen-
wärtige Pädagogik in dem früher erwähnten doppelten Irrthumc belindet, dass
unsere Schulen zunächst Unterriehtsanstalten sind, und dass der Unterricht
allein zur Erziehung nicht hinreicht." In der Ausführung dieser (trund-
an.schauungen begründet Dr. W auch genauer sein ablehnendes Votum gegen
Herbart, wobei er zu dm Resultate gelangt: es sei vielleicht ,.das gmlSte l'n-
glUck nn.seres Erziehuugswcsens, dass wir dasselbe gerade nach llcrbart> Tiida-
gogik eingerichtet haben", und insbesondere die verderbliche Fidion hervor-
hebt, „dass darch Unterrieht allein, d. h. durch PZntwickelung des InteUects
auch da.s Gefühl und der Wille zugleich entwickelt wird". Mit diesen Haupt-
sätzen hat Dr. W. jedenfalls den Nagel auf den Kopf getrollcn, währ- nd einige
andere seiner Ansichten, die er mehr gelegentlich änMrt. sehr antVrhtl ar sind,
z. B. seine Kritik des Prineips der Natnrgeniäßheit . seine VerurtheiluiiLr der
Kindergärten, seine Vertheidiguug der körperlichen Züchtigungen, indessen
6*
- 68 —
soll bieraul kein großes Gewicht gel^ werden, da die erwähnten Themata
nur nebenbei bebandelt lind. Jedenfaui zevffen Dr. W.'s „Studien" Ton «hier
sehr ernston Autf'jissinif!^ nnd riniiriiiß^endcn Untcrsuchunc: eines hochwichtigen
Themas, und wer ihnen achteam nachgeht, findet aal' dem ganzen Wege reich-
liche Anregung sanNaehdenken, an Tiefen Stellen aneh wolansgeprägto mniltate.
H.
Richard Krause, Adolf Diesterweg und seine Verdienste um die Entwickp-
long des deutschen Volksschullehrerstandes. 189 S. Borna-Leipzig. Jahnke.
Am 2!». October des nächsten Jahres wird die dcutsrhc Lehrerschaft die
Säi uliirft icr der Oebnrt Adolf Diesterwegs bogehon , nnd dieser Umstand hat
Herrn R. Krfinfo veranlasst, einen Abriss vom Loben nnd Wirken dieses großen
Manne^i und l'ädagogen zn veröffentlichen. „Auch der Vertaisser vorliegender
Schrift'', bemerkt derselbe im Vorwort, „ein inniger Verehrer Diesterweg«,
möchte gerne an seinem Tlu ile ein geringes dazu beitragen, dass doK.«( lbrn in
Liebe und Dankbarkeit gedacht werde. Mchr)iihriges eingchoudcs Studiiuii der
Diestcnvegschen Schriften hat ihm immer und immer wieder besonders die
großf Liclif vor Ansrc n gofiihrf, mit welcher Diesterweg Zeit seines Lebens
filr tU u Vülk>schull(.lirer.stuu(l und detwen gedeihliche Weiten^-ntwickelung ge-
wirkt, gekämpft und gerungen hat. Und daa Bestieben, dieses Verdienst
Diestcrwegs einem größeren Kreise vor Augen m fuhren, als dies etwa durch
Vorträge in einem Verein möglich sein würde, ist es gewesen, welches den
Verfasser bewog, mit dieser ursprünglich m letsterem Zwecke bestimmten
Arbeit an die Öffentlichkeit zn treten."'
Wir können dieses Unternehnieu nur mit Bei&U begrüßen; denn wenn auch
Herr Kranse alt« reu Kennern nnd Vetelinni Diesterwegs nicht« Nenes bieten
konnte, go wird doch seine Arbeit jüngeren Volks,«chullehrern recht ersprießlich
sein. Vielen von diesen ist ja Diesterweg fast unbekannt, da die reaclionäre
Zeit.str()mung und die ihr dienenden ephemeren Männlein dafür gesorgt haben,
dass der Alte von Siegen den Augen des jungen Geschlechtes mnglichst entrflckt
werde. Es thut daher recht .sehr aotb, dass er in der deutschen Schulwelt
wieder mehr Gehör finde nnd ein fkiachena Leben hervomfe. MOge das an-
gezeijTte Buch diizu beitragen! H.
Axel Key's Schulhygienische rntersnchnngen. In dentsclier Bearbeitung
herausgegeben von Dr. Leo Burgerstein. 346 8., mit 12 Curventafeln.
Hamboi^ und Leipzig 1889, Leopold Vota.
Hit Recht bemerkt Herr Dr. ßnrgemtein: „Eine der heutigen Entwickeluug
der Wissenschaft entsprechende lebens- und ausbilduneBfilnige Reform der
Schule wird nur mit Zuhiitcnabme exacter rntersuchung bestehender Verh<-
nisse zuw ege gebracht werden." Unter diesen bestehenden Verhältnissen spielen
nun die hygienischen eine hervorragende Rolle, weshalb Dr. B denselhen
bereits früher seine verdienstliche literarische ThRtigkeit /.ugewendet h.it und
in vorliegendem Werke weiter nadigeht. In Srhufden hat man den mit dem
Schulwesen in Verbindung stehenden hygienischen Verluiltnissen eine besonders
grfindliche rntersuchnng gewidmet, und nanientlieli hat sich dabei der Stock-
holmer I^hysiologo Key durch ein bahnbrechendes Werk hWTOrgethan. Das-
selbe nun auch dem deutÄchen Publicum zugänglich zu machen, war der
Zweck des hier angezeigten Buches, welches unter Weglassung des minder
Wesentlichen und des Wo« für .'^iehweden Interessanten den Hauptinhalt des
Originalwerkes getreu wiedergibt. Die wichtigsten T'nistände, welche bei der
Beurtheilung des Eintlusses der Schule auf die (iesnndheit der Schuljugend in
Betracht kommen, der < J<'sun(iheitszuHtand in den allgemeinen Schulen, die
Kurzsichtigkeit, die Arbeitszeit, der Eintluss derselben auf den Gesundheits-
zustand der Schüler, das Vermögen der Schiller, dem Unterrichte zu folgen,
die Schlafzeit und ihr Verhältnis zum Gesundheitszustand, die Schullucule, die
Wohnun^isrerhältnisse, die Körperentwickelnug der Schüler nai h dem Lehens-
alter, die hygienische Schnlaufsicbt , die hygienischen Verhältnisse in den
höheren Mädchenschulen — das sind die wichtigen hier behandelten Themnlia.
Überall dient ein sehr reiche«, wolgesichtetes Material von ThAtaachen, ans
— 69 —
markant«!) ErfhhruDgca und umsiehtiiipen Beobachtungen gewonnen, snr
Grundlae:e, um zu möglichst oxactcn, zifFermäßigen Resultaten und sicheren
Weiamigen zu gelangen. Von großem Werte sind insbesondere auch die bei-
gegebenen graphischen Tafeln» durch welche die einschlagenden sanitAren
Momente, wie sie oben angeführt sind, in der deutlichsten und übersichtlichsten
Weise Teranschaulicht werdeo. Kurz: wir haben hier einen der gründlichsten
ud wertTolkten Beitrftge zur Schulhygiene TOr uns, fllr den wir dem schwe-
dischen Originalverfassor wie dem deutschen Bearbeiter zu gletehem Danke ver-
püchtet siiä und auch der Verlagshandlung; die in gewo&iter Weise für eine
wflrdiM AuMtattnng gesorgt hat, nnsere Äneikennnng zollen müssen. Möge
das Werk die Beachtung aller derer linden, welche dimli ihre Berufsstcllung
auf die GesundheitsverhAltniwe der ächu^ugend bessernd einzuwirken Gelegen-
heit haben nad nt|üditet ind. H.
J. RaafMum, Znr LehKridldiuigsflwge. (Beilnge siini Jahnabericht der
Solothnmer Cantonssclmle 1889.)
Die angezeigte Schrift erweckt deshalb ein besonderes Interesse, weil Ver-
fmer als Rector derjenigen Cantonssehnle {— (fvmnasiiim und Gewerbe- oder
BealflChuIe) wirkt, mit welcher kürzlich — 1. October 1888 — das Seminar
▼er^aigt worden ist, so dass nun die Lehrer an der gewerbliohen Abtheilung
der (^tonaschule flire Vorbildung eriialten. — Nachdem Dr. Kaufmann in der
Knleitung die ersten Seminargründungen in Deutschland berührt, stellt er die
Kitwickelung dar, welche die Lehrerbildung in dem genannten Lande vom
ABha^ unteres Jahrhunderts an genommen liat. Sodann wendet er sich der
Schweiz zu und bt>pri(lit im besonderen die bezüglichen Verhältnisse der
Ctatone Graubünden, Luzem, Aargau , Thurgau, Zürich, Bern, äolothum,
Waadt. Hit ehiem Kflckblick, der gelegentilieh noch die Cantone Freibnrg,
Ncu<nbiirg, St. Oullen und Schaffhausen streift und eine Würdigung der
ganzen Frage in ihren verschiedenen Beziehungen versucht, schließt Verfasser
ah. — Wir dfirfen es wol hier unterfassen, auf den eisten (Dentsdihmd be-
treffenden) Abschnitt einzugehen, urasoiiif lir, als dort die Hewegung in Sachen
der Lehrerbildung schon anfangs der siebziger Jahre zur Hohe gekommen
ist Dagegen werden einige Mittheilnngen Aber die Sehweizer VeihiltniaBe
willkommen sein, und hier sind c^erade dir' drei letzten Jahre (das laufende
aHtgereebnet^ für die Lösung unserer Frage von gro&er Bedeutung. Doch
«flasea wir in der Zeit etwas weiter inrttckgehen, nm die VencUedenheiteiL
wdehe die gcgenwlrt%e Lehrerbildung in der Schweiz anfweiat, genttgmd
Uar Yorsuführeo.
Wir kitnnen jene Oantone, welche hier hauptsftchlich in Betracht kommen,
mehrfach gruppiren und schon dadurch etliche Streifliehter auf die Entwicke-
laag der Dinge werten. — £ntweder handelte es sich in dem mehr oder minder
heragen Kampfis für und wider die Seminatien nm dne Vereinigung der letz-
teren mit den cantonaleu Mittel- oilvr Vorschulen der Universität, dder um
eine Trennung, wo die Einheit von Autang an vorhanden gewesen. Zu dieser
Gruppe gehSrt aOein ChunbUnden; jene vmfhsst Luzem, Aargau, Thurgau.
Bern, Zürich, Solothurn, Waadt, Sehaffbausen. Die Btnvegung ginjj; aus, oder
die Frage wurde angeregt, in Fluss gebracht, zur Entscheidung gedrängt von
der Kegiening (Luzem 1864, Zttridi 1809, fitchaflhausen 1889), oder ^on der
Lehrerschaft bczw. einzelnen Lehrern (Graubünden 1835, Thurgau IsTl. Solo-
thum 1871 und 188^ üemlH72, Lehxerverein der franzüaischen Schweiz 1874,
Sehaffhansen 1888, Zflrich 1887, Waadt 1888) oder vom Volke selbst wie im
Aargau („Culturgesellschaft" des I' /irks Lenzburg lS(n5i. Fra^^en wir femer,
ob die Lehrerschaft als üanzes innerhalb der Bewegung einen hervorragenden
Pesten innegehabt^ ob sie sidi in grofien Venammlungen entschieden und be*
stimmt ausgesprochen, so wäre das mit Nein zu beantworten fllr Luzem, ftran-
bünden und Aaigau — mit Ja für die übrigen: besonders in den beiden ersten
Gantonen wurde die Angelegenheit anndifieSudi von den Behördoi eiledigt
Zun Abschluss nun ist die Bewegung gelangt in den Cantoncn Qraubünden
1866, Lusern 1868, Bern 1872, Thnrgau 1873, Aargau 1874; — äolothum
lM7j^nf eine endgültige LOsnng der Fnge hanea noeh Zürich, Waadt»
Lj . y Google
— 70 —
In jenen Torilufi^ zur Rnhe gekommenen Cantonen blieben die Zust&nde,
wie sie waren; d. h. Graubünden bcliitlt scino Voroinigiinp:, die Übrigen be-
hielten ihre getrennten Anstalten. In einigermaßen äbnlieher Lage wie (irau-
bttnden befindet sich Neuenburg, nur dass hier ein eigentlicher Streit um die
Art der Lehrerbildung nie entbrannt ist. und diiss die Z<)s:linge der „Section
pedagogique" — obwol diese eine Abtheiluug des Gymnasiums iBt — seit 1883
ihren besonderen Unterricht empfangen (die praktische SchulfÜhmng lernen de
in den Primarschulen der Stadt kennen i. \'on I.uzern ist noch zu erwähnen,
dass im Jahre 1867/()8 eine provisorische Verbindung des Seminus mit den
Mittelschulen stattgefunden, dass nach AbUnf dieses Prob^ahrai der Enieliiuig»'
rath ^ich für das Fortbestehen der neuen Einrichtung :uistresj)rocben, der
Kegierungisrath aber es zweckmäßiger gefunden (wie die Behörde von St. Gallen,
wo wegen Mangels an Geld die späteren Lehrer ursprünglich — IHöü bis 1862 —
ihren Unterricht an der Cantonsschule erhielten!, das.s die Volksschullehrer auf
dem Lande au.sgebildet werden Miründung de»; Seminars Hitzkirch), übrigens
waren c» hier wie im Aargau und Thurgau noch besonders die Stininardirec-
toren. die für Beihehaltung eines selbstständi^en S. minan; entschieden auftraten,
indem sie als Hauptgrund gegen eine \ ereiuigung die grüße Verschiedenheit
der beiden Anstalten betonten. Im Thurgan sprach sich aaeh die Mehrheit
der Schulsynode gegen das CantonBschul]irnject aus. In B<Tn musste .-^i li die
Schulsynode, die sich für gänzliche Umgestaltung der Lehrerbildung erklärt
hatte, bescheideA, weil Krziehungsdircctor Kummer mit einer langen Rechnung
bewies, dass aus fiiiaii/iellen Gründen die sch'men Pläne der Lehrerschatt
unaiistührliar seien. Letztere war nun allerdings so weit gegangen wie die
deutsehe im Jalire 1K4K und der zürcherische Erziehungsdirector Sieber 1869
— bi.s zur ..Hochschulbildung", welche 1H72 mit noch größerem Mehr ahs das
neue Erziehungsgesetz vom Zürcher \'olke verworfen worden war. Die Lehrer-
schaft Zfiridu aber ließ sich dadurch nicht beirren, sondern verlangte 1887
neuerdings — wie den Lesern des ,.Ptf'dagogiums" bekannt — Mittel- unrl Hoch-
schulbildung für sümmtlichc YolksschuUehrcr. Hit einer auf die Mittelschul-
bildung beiichränkten Forderung folgten 1888 Waadt, 4. Juli 1889 Schaff-
hausen („Errichtung einer pädagogischen Abtheilnng am Gymnasium"). — Einen
eigenthümlichen , nämlich rein politischen Zug zeigt die Geschichte des Frei-
biuger Seminars. In Freiburg wurde 1848 von der liberalen Partei die „£)cole
cantonale" mit einer „Seetion pedagogique" gegründet, letztere aber zehn Jahre
später durch die ans Kuder gelangten Couservativen mit der landwirtschaft-
lichen Schule in Hautcrive vereinigt, die sidi nadi nnd nach zur eigentliehen
Lehrerbildungsan-^talt entwickelte.
Sulothurn endlich hat durch die neue Verfassung vou 1KS7 da.s erhalten,
was eine große Zahl Schweizer Lehrer ersehnt und erstrebt. Nachdem 1871
dit' Mehrheit der Lehrerschaft sich für Beibehaltung des Seminars erklärt hatte,
wurde 1883 eine engere Verbindung des letzteren mit der Canton.sschule vom
Gantonamth angeregt. Die zur Bei^utachiung aufgeforderte Professorcnconferens
war gegen die Vereinigung der beiden Anstalten, der Verein der Bezirkslehrer
wenigstens für eine theilweise Verbindung. Eine solche beantragte 1S84 der
damalige Erziehungsdirector AfTolter. Er drang jedoch nicht durch, und die
Angelegenheit ruhte bis 1887. Da wurde jener Antrag von Professor Walter
von Arx wiederholt. Arx wies nach, dass die Vereinigung von ( autousschule
nnd Seminar s am I in ptdagogiflcfaer wie in finanzieller Beziehung sich empfehle.
Jetzt wurde der Antrag angenommen — und wie sich die Sache weiter ent-
wickelte, wird den Lcseru des „Pifdagogiums" aus der „Kund.schau" jener Zeit
bekannt sein.
Im Rückblick sagt der Verfasser u. a.: Wir maßen uns nicht an, zu ent-
scheiden, welche Art der Lehrerbildung die absolut beste sei. Die Frage kaun
naturgemäß nicht überall anf die gleiche Weise entschieden werden ....
Die Gründe und Einwendungen gegen dir \'f'rsr!inielziinür kh inerer Semiuarien
und Gymnasien oder Gewerbeschulen sind nii ht stichhaltig. In größeren Oan-
tonen aber, wo die Seminarien bereits fünfzig bi.s hundert Zöglinge zählen, und
wo außerdem die Gymnasien und Gewerbeschulen übervölkert sind, würde es
wol schwer halten, eine enge Vereinigung ins lieben zu rufen, ohuc die Ziele
kj, ^ d by Google
der einen oder anderen Ahthcilunjr zu schädigen. Bei der croRen Zahl der
Schüler mUssten von Tornheiein Paraileldassen errichtet werden; die Ver-
einiguDg wttrde «bo Tom flnftonellcn StandpuBkte vob keine gjoten Voitbdle
bieten. I>ie Verbindung könnte an solchen Änttalten nur eine örtliche sein,
d. h. das Seminar würde eine Abtheilung der CutonaBchule bilden und immer*
Inn iMbft m mitenehltieiide Yonlli^ iahm (in Besv^ «if Endehnn^ irad Unter»
rieht). Die Kosten würden für die Lchrumtseandidaten nieht crrößer werden;
wir kennen keinen zwingenden Grund, warum nicht auch hier staatliche Ten-
rionate enriehtet wetden konnten. Übrigens hat der Kampf gegen die ge-
trennten Bildungsanstalten eine tiefere Bedeutunc: fllinwei.s auf die Kitmpfer
für die „£inhei(88chule"^. — Wir empfehlen das Studium der KanfinannttoJien
Arbeit*) — die sieh in aUen Stileken dnreh strenge Saebliehkeit nnsseidinet
— nicht nur wegen ihrer Mittheilungen zur incschichte und Aufklärung über
den gegenwärtigen Stand der Lehrerbildungsfrage in der Schweiz, sondern
aneh wegen ihree hohen allgemeinon IitenMee. R. D.
Kienen und Ewers. Die deutflohen duiikfir erläutert und gewürdigt. Zwei
Bftndchen: Schillers Jnngfran von Orleans; fünf Btodchen; Goefche's Iphi-
genie auf Tauriß. Leipzig- 1888, Bredt.
Die genannten Erliiutcrungsschrittcn haben folgenden Gang: Inhaltüaugabc
der einzelnen Scenen, ZusaninieustcUung der Charaktere nach ihren EigcnthUm-
lichkeiten, die Angabe der Idee. Entstehung, Zeit und OrtUchkeit der Hand-
lung, Notizen über Sprache und Vers, eine kurz gehaltene Textcrläutcrung
und eine Sammlung der in dem Drama vorkommenden Sentenzen. Angeregt
durch Unbescheids „Beitrag zur Behandln n 2: der dramatischen Lectüre", geben sie
auch eine dramaturgische Tafel, die in dem fiiutteu Bändchen freilich ziemlich
verschwonunen nnd nnQbersichtlicb ii«t. Lob dagegen verdient die Heraiudehnng
der ^feinungen anderer Eri&uterer dort, wo Terschiedene Auftassongen der
Stelle möglich »ind. W.
Kaj^tni} Hilftibflcher für den dentscfaen Unterrieht BaÜbor 1880, Simmieh.
Das Büchlein ist, wenn auch keine volktändigc . so deich eine ziemlich um-
fiwsende ZusammeustcUung von Titeln solcher Bücher, diu insbesondere der
Lehrer des Deutschen bei seiner ThKtigkeit, dann aber auch jeder Literatur^
freinid In nüthigt. Da sehr sehätzenswerte Arbeiten in Zeitsehrifren o<ler Pro-
grammen zerstreut sind, hätten auch diese angeführt werden sulleui ebenso
wllrde es sieh empfelüen, z. 6. nieht blos unter d^ Titd: „Zum Leseunter»
rieht" die N'amen der Erläutcrungs^«chriften anzugebeu, sondern, falls in der
Erläuterungsschrift (^wie s. B. bei Frick und Polack) verschiedene größere
'Werke commentirt sind, die Absdinitte der Schrift auen bei den Titel: „Br>
läutcrung des betreffenden Werkes" auzuireben. Xatiirlicli inilsste dann die
Zusammenstellung nicht blos auf Grund von Messkatalogen voi^enommen
werden. Dadurch wflrde auch mancher andere Obdstand beeeitigt. Kerns
Unterricht in Prima z. B. , der eine so anregend geschriebene Poetik enthält,
fehlt auf diese Weise unter dem Titel „Poetik"; Sanders Stübuch gehört,
seinem Inlialt nach nicht unter die AuftattsbUdier; Pauls mild. Gmaunatik,
die beste unter den vorhumlenen Grammatiken, die einzige, welche eine syste-
matisch angelegte Syntax enthält — fehlt (nebenbei erwähnt) in dem Ver-
ceiehnis. W.
Kinmel . Deutsche Gescliickte. firstes bis viertes Heft (voUittbidig in etwa
«ehn Heilen zu 1 Mark). Dresden 1889, Karl Höckner.
Das vorliegende Werk ist eine gediegene Leistung. Auf Grund eingehender
Stadien der wissenieliafllidien Farawence ausgearbeitet, ▼omehm in der Dar^
Stellung, sucht es, überall klar entwickelnd, in ruhiger Sprache die Vcrhältnis-se
lUM^h ihrem Zusammenhange, nach Ursache. Motiv, Folge und Bedeutung aus-
efns&denmsetMn und die Triger der Kusolnngen sehsSf heranssuarbeiten. Es
verschmäht anekdotenhaften Anfputj^. sagenhafte Züjre werden hie und da
erwähnt, aber als solche beaeichnet. Charakteristisches Detail steht dem Ver-
*) Preis im Buohhaadel 1^ Fr.
— 72 —
fasscr genug zu Gebote, so dass os ihm lu i i^oincr ausgesprochenen Gestaltungs-
Sabegelungen ist, nicht blos ein treues ^ sondern auch ein anschauliches BÜd
er YoT((S.nt(e so entwerfen. Bis jetet mnd Tier Hefte eiwdiienen, die auf S84
Seiten die deutsche TJeschichte nach ihrer |>olitisrhcn und eulturc-cscliichth'cheu
Seite von üiren ersten Anfängen bis auf den Uohenfltaiifen l'riedrich II. er-
zählen. Ib stofFIieher Hinsicht verdient dns beeottders hervorgehoben m
■werden, weil dicBo ( ';i]iitel in so ausführlicher und ziiixlcich lichtvoller Art noch
niemals in einem Uandbuche bebandelt wurden. Wir meinen die Darstellung
der Leistungen traseres Volkes anf den Gebieten des wirttehaftlieben
Lehens, des Handels und Vorkelirs der A( l^erwirtschaft und der Colonisation
im Innern des Keicbes, der Besiedeluug und (Jermaniairunff des slaviscben
Nofd« und Sttdostem» — avf letsterem Gebiete steht KSmmd dnrdi eeiaWerfc:
„Die .^nfinfjc der deutschen Cultur in ( isterreich" in der Keihc der bahn-
brechenden Forscher — der Entwickclung des Ständewesens und dgl. W.
Dui'uy, Geschichte der römischen Kaiserzeit. Aus dem Französischen über-
setzt von Dr. Q. Hertzberg. IV. Bd. Leipzig 1888, Schmidt Ofinther.
Ikr viert'^ l'and führt die Kaifcrgeschichte von Comniodu3 bis zur Thr^ii-
entäagung Diodetiauä vor, also den Wendenunlct in dem Geschick der antikcu
Welt Hit vnveiliohlener Bewunderung scbllderte der dritte Baad die Zeit der
Antoninr', „die i^Iücklichste Zeit des KitmeireitiJiei''- Der Haupttlicil dieses
vierten Bandes zeigt uns zumeist ein dUsterea Bild: den ticten Verluli der
Kunst und Lidustrie, des Verkehrs, des Heerwesens und der Verwaltung, die
Entartung des Volkes und der Ilcrrsdier Ohnmacht, das Vordringen der ge-
einigten Barbaren und das Unterliegeu des antiken Geistes gegenüber dem
sich immet selbBtatändiger regenden Christenthum , das bald nach Schluss der
genannten Periode zur Staatsrelie:iuii t rls ibffli wird, n.u hdcui es unter Diucle-
üan die letzte der großen Vorfolguugcn ttbezstandcu hat. Der Bedeutung
dieses neuen Lebeneuementee, dem die Zukunft gehörte, enti$pridit es, wenn
Duni.v dem Zustande der chriBtlii hen Kir' lie und ilinm ]I( IJ- nzeitalter, dem
(Zeitalter der Märtyrer, eine umfaugrciche Darbteliung widmet t.S. Iü8— 22S,
289—842, 447--466 , 476—483 , 683—714) und diese Abschnitte durch zahl-
reiche Illustrationen izumcist Katukorabenbilder. aher auch auderweitige Funde,
darunter z. B. das Spottcrucifix, S. 231) verauMihaulicht. Dass er als Histo-
riker ifb Werden der hierarchisehen Einrichtungen an der Haad kritisch ^e-
sichtetcr Quellcnstellcn. die allmähliche Entwickclung der Dogmen, den Ein-
lluss der philosophischen Systeme und geistigen Bichtuugen auf ihre Bildung
und Ausbudttiig zu eHirasdien sucht, branm wol kaum betont zu werden;
vielleii ht a))er, dass Duruv diese an sich dunklon (lebicte außerordentlich klar
schildert und so reich an charakteristischem Detail, dass auch der JNicbt-
Theologe mit gespannter Auftnerkeamkeit der Darstellung folgt.
Wie daneben die Geschichte der einzelnen römischen Kaiser erzilhlt wird,
mag der Leser aus einem Beispiele ersehen. Die Darstellung von Caracalla's
l^arakter, Leben und Wirken umÜUBt 80 Seiten und iet durch nicht weniger
als 27 niustrationcn (darunter zwei ganzseitige Vollbilder'^ gcschinilckt. Die
.Abbildungen, mehrere BUsten und Cameen und viele Mtlnzen, die von Caracalla
gesdiaffonen Bauten in ihrem jetzigen Zuttaad und in Beoonztruetionen, ferner
Statuen und 3Iosaikcn aus diesen Bauwerken sind in sehr gutem Holzsrhnitt
ausgeführt. Ein so reiches Biidermaterial — darunter nicht eine einzige
momnie Composition oder ein Phantaziebild — bat kein andere« Werk. Dort
natürlich, wo bedeutendere Gestalten alsTarucalla geschildert sind, melirt sich
entsprechend der grülicren AusftUirlichkeit in der Erzilhlung dieser Bildcrschatz,
80 z. B. im Torli^r«Bden Bande bei der Darstellung des wukenz dea Septimius
Severus, des Alexander Severus, des Diocletian. Die Lectürc des Lebens des
letztgenannten Kaisers zeijgt uns zugleich ein anderes Verdienst des Werkes
in hellem Lidite: Wir zMineii die Art, wie Dnniy in dieQuellea eiaführt «zd
Quellenkritik übt. Die betreflSonden Fainoten wird jeder nur mit der aller-
größten Befriedigung leeen. W.
VanatworU. Bedartw Dr. FrUdrUb Dittea. BtutOnäuni Julia» KllBkIiar<1l, Lei|«ig.
Dier emeheidei Uitenrielit.
Nadi J. 0. Df essler*) (s. YierteUalmMhiift ftr Settedehf« tob H. NeugeboreD)
nitgeCkeiH tmi Obeilehnr «m. 0, A» A^eMh«MM«-BaMlMii.
Wir fitfseE zaBidist das Niedrigste, womit es der Unterricht su
tlmn hat: die änderen Fertigkeiten — ins Aiige, in Betreff deren
so siemlich bekannt ist, dass von ihnen Gemttth und Charakter am
wenigsten aUiingen, da diese Fertigkdton in einem ziemlidi tief
stehenden System nnseres Seins wnrzefai, nXmUch hn Mnskeli^yBtem,
also in etwas Körperlichem. Dieses steht zwar unter dem Binflnase
des WiDens, ja empfingt seine Erregong immer nnr von innen her,
gehngt aher nie zn dem UarenBewns8tsein,zn welchem das Psychische
sich ansbildet. Aller eigentliche Unterricht geschieht durch
Vorstellungen, und der Unterricht in Fertigkeiten macht davon
keine Ausnahme. Die ftußeren Fertigkeiten sind nur durch die Ver-
mittdung von Vorstellungen zu erwerben, die neben dem durch sich
selbst nicht ▼orsteilbaren MuakelyennOgen liegen, denn die letzleren
entwickeb nur ein schwaches Benasstsein, das zum Vorstellen nicht
hinreicht; undso wird hierans nebenbei klar, dass zwischen Abrichten
zu taßeren Fertigkeiten und zwischen Unterricht in denselben ein
großer Untereehied ist Die Theorie, welche wir durch die Vor-
stellungen gewinnen, klärt die Empfindungen, Schfttzangen, Begehmngen
etc. auf und schreibt ihnen die Zielpunkte vor, weahalb eine richtige
* J. <i. Dresdier, woilaud Semiuaidirector in Haiitzou, f IHt;7, vertrauter Freund
uud Mitarbeiter A. Diesterweg's sowie F. E. Beueke's, Uervorragend al» praktischer
aBhnlwmim, aaaifliitlldi «IsLelirarliildiier, bat adk in derOesehiflkteder pädugogisehea
WimntdiKft bewnden dmrali FOideniag der Piyehologie eisen bleibenden Nnmen
erworben. Sein Standpunkt war der Bcncke's, dessen System er gründlich kannte,
gesfhiVkt popularisirte und eifrig verbreitete. Obige Abhandlung, an sich höchst lehrreich,
gt winnt nocli ein bfsniulcrcs Intorfsse durch \'< rtrkMchun^^ mit dor Ikhandlung do?<-
belbeo Thc-mah dun-h llerbart, der sich namuutiKh dadurch vonBeneke unterscheidet,
di« er dem theeretieehen ünteniohte an eich, dem Ventandeamafigen, d. i dem
BagfüHdw. Abitraeten, dem ,Qedaabenlnreiie« — dtüiche (enieUiehe) Kiafl bei-
legt, wonn isieni BnchteBsefaiOnindiBthmn von Herbart^s Fldagogik liegt. D.
FaiilHiM. VLMUg. B«ftU. 6
— 74 —
Theorie von höeturt wolthfttigen Folgen sein wd, aber Triebkraft hat
die Theorie nidit.
Haben «mach die VorsteUoiigeii Uob mittelbar ihren Wert
für die Eraehnng nnd auch für die äußeren Fertigkeiten, so ist das
doch nicht unbedentend sn nennen. Knr im Handebi entwickelt sich
muser Charakter, der ja durch und doich praktischer Natnr ist, und
nun Handeln ist man nicht beflUiigt, wenn man ftnfiere Geschicklich*
keiten und Fertigkeiten wenig oder gar nicht erworben hat. Es ist
aber namentlidi die mit der rechten Erwerbung verbundene Steigerung,
weiche aneh die äußeren Fertigkeiten f&r G«müth und Charakter be-
deutend macht Man denke sich eine Schule, in welcher die Kinder
leicht und sicher zum richtigen Stprechen, zum Lesen, Schreiben, Zeich-
nen und Singen gebracht werden: wird die Wahrnehmung der ge-
wachsenen Kraft und das damit verbundene Lustgefühl die Kinder
nicht zu begeistertem Fortschritt treiben? Hängt nun auch der sitt-
liche Charakter mehr von Stimmungen ab, die in Bezug anf Menschen
und von Menschen her erworben sind, so doch auch von solchen, die
von Sachen herstammen. So liegt es z. B. am Tage, dass wolklingende
Töne Spuren zurücklassen, die ein lartes Gemüth begrttnden helfen,
theilweise seine lebensfrohe Stimmung ausmachen, und wenn von dieser
vielfech eigenes und fremdes Glück abhängt, so dürfte ein guter Ge-
sangnnterricht unstreitig der Begründer einer höchst wichtigen Fertig-
keit zn nennen sein. Ähnliches gilt vom Schönschreiben und Zeichnen,
welche namentlich ästhetische Bildung bewirken, wenn sie nicht durch
verkelirte Behandlung um diesen Segen gebracht werden. Es gilt hier
der Erziehungsgmndsatz: Je näher man das Material, den Kenut-
msstoff, der affektiven und praktischen Seite des Seelenlebens zn
bringen vermag, desto mehr erziehlichen £influss vermag es zn
änßem
Gehen wir weiter zum Rechenunterricht. Dieser steht an sich
dem aifectiven und praktischen Seelenlehen fern, er steht ganz auf
Seiten des külilen, ruhigen Verstandes, denn die Zahlen sind Begriffe,
oder vielmehr lauter Combinationen des Begriffes „Eins", der ganzen
oder der getheilten Eins, jedenfalls also abstracte Vorstellungen, die
an sich weder Lust- noch Unluststimmungen in sich tragen. Aus
solchem Material erwachsen daher auch keine Begehrungen und Wider-
strebuugen in der Art, wie solche aus Lust- und Unlustgebilden un-
mittelbar hervorgehen. Diese erwacliseu vielmelir aus der Art und
Weise des UnteiTichts. Das erste wird sein, dass der Lelirer sich ge-
nau orientirt, welche von seinen Schüleiii zum Abstrahiren mehr be-
— 76 —
fahigt sind, welche weniger. Jenes sind die kräftigen Küi)fe. deren
Lebendigkeit niclit zu groß ist (selbst sehr langsiiiiie und für dumm
geltende Kinder begreifen die Zahlen noch gut, wenn sie nur dabei
nicht unkräftig sind), dieses sind die ki-aftlosen und dabei flüchtigen,
wozu die zerstreuten kommen. In allen diesen verschiedenen Seelen
m rissen nun die Zahlenvorstellungen und deren Operationen zunächst
so vielspnrig gemacht werden, dass sie Festigkeit und Klarheit be-
kommen, denn davon hängt alles weitere Gedeihen ab. Folglich wer-
den bei manchen Kindern Hunderte von Anschauungen derselben Zahl
erforderlich sein, wo bei anderen wenige genügen, und wer hierin das
Rechte nicht trifft, wer sich Überhaupt auf das Anschaolichmachen
des Abstracten nicht versteht, bei dem lernen aach die besseren Köpfe
nicbts. Die Langweiligkeit (die größte Sünde des U&terriebtes!), die
dann eintritt, erzeugt Missstimmongen, gegen welche das St&rkerer
bereits in den Seelen ist, reugirt, als Wideratrebmig auftritt; mid so
wirkt derselbe Unterricht, der bei einer richtigen Behandliing Lnst-
slammnngen erzeugt (indem er sn dem Oefthle gehobener Kraft IBhrt»
einem GefÜlile, das durch die nnwillkflrUche Verg^eiefaung mit der
anAngüdien Unwissenheit in jedem Kinde als nothwendig bedingt
ist), lähmend und niederdrftckend, nnd was das Kind als ein Gut
sehltzen soUtei das schfttzt es als ein Übel Indessen nicht bloe die
dureh Vergleiehung entstehenden Gefühle, sondern schon die einsdnen
Acte geben eine erhebende Stimmung, wenn sie als Uare nnd krAftIge
ddi direct ankündigen, nnd so können die Yorstellnngen, die sonst
nicht zam Affectiven zn rechnen sind, doch onlengbar affectiv wirken;
denn Kraffc nnd Klarheit, Festigkeit nnd Daner sind sehr wolthfltige
Stimmungen. An gnt entwickelte, gehobene Kraft schliefien sich non
die nenen UrvermOgen, die das Kind t&glich erwirbt, vorherrschend
an, nnd so erklärt es sich, wie anch die an sich strebnngslosen Vor-
steUnngen zn begehrenden, nach Fortentwickelnng verlangenden, kurz
za Triebkrüften werden können, die manchmal sogar ins Übermafi
aasarten, was indess selten eintritt nnd darum keinen Lehrer von
einer erziehlichen Behandlung des Bechenontemchtes abzuhalten braucht
Weit naditheüiger ist das G^egentheil. Denn gesetzt, es würde die
Aneignung des Redienmaterials erzwungen, so sehr anch die gehmg-
weilten Kinder dagegen sich stemmen, so kann es doch kein lebendiges,
kein triebkriftiges werden, weil die Seele ihr Bewusstsein lieber auf
Angenehmeres lenkt, folglich das Gelernte bald wieder in Vergessen-
heit sinkt und hierdurch seine Fortwirkung einbüBt
Was den Sprachunterricht betrüft, so ist von vornherein zu-
6»
— 76 —
fOgeben, daas die Sprache mehr als irgend etwas erziehliche Momente
in sich trägt; denn in der Sprache spiegelt sich unser gesammtes
Geistesleben ab, das gemüthliche und praktisclie nicht minder als das
intellectuelle, aber freilich jenes nur in der Form von diesem.
iMäßt besteht immer noch vielfach der Irrthum, dass man erziehend
wirken könne durch bloße Worte, sobald ihre Begriffe nur auf das
Geistige Bezug haben. Namentlich traut man Wörtern und Sätzen
von rdigiösem Inhalt eine Art Wundermaclit zu. — Will man sich
nnn klar machen, was die Sprache eigentlich vermag, und was nicht,
so muss man vor allem zweierlei sorgfältig auseinanderhalten: die
Sprache als Mittel des Unterrichtes und die Sprache als Gegenstand
des Unterrichtes. Wir fragen zunächst: Welchen erziehenden, G^
müth und Charakter bildenden Einfluss hat die Sprache, insofern sie
als Mittel des Unterrichtes gebraucht wird?
Die Antwort ist folgende. Kein Wort und kein Satz kann un-
mittelbar ein coneretes Gefühl, eine concreto Begehrung, eine eoncrete
Widerstrebnng, ein coneretes Wollen etc. in sich enthalten und in den
Hörenden hineingeben, sondern jedes Wort drückt nur einen Begriff
aus, ist ein Zeichen nur für diesen, also flU^ etwas Abstractes, und
alle Sätze sind nur eine Verbindung von Begriffszeichen. Deshalb gibt
mir das Wort Lust noch keine Luststimmung, das Wort Trauer noch
keine tnü'* das Wort Muth noch keine muthige Stimmung etc. Durch
solche Begiilt'szeichen lassen sich nun wol die concreten Gebilde mit-
erregen, wenn sie da siiul und wenn die erregenden Schallreize der
Worte durch den Hef^riti" hindiucli bis zu ihnen hingcdangen — ein
häutig nicht eintretender Fall, weil die Krre^-ung leiclit nach anderen
Seiten hin durcli die bereits bewussten (Tebilde aligelenkt wii'd, —
nie aber kann das Concrete durch Erregung dt^s Abstracten ent-
stehen. Hätte man diese Natur dei- Hfgritle »^kaniit, hätte man ein-
gesehen, dass aus dem Concreten wol das Abstiacte, nie aber umge-
kehrt aus dem Abstracten das ('oncrete ei wäciist, so würde man nie
Ansprüche an die Begrüte und noch weniger an deren Zeiclicu, die
Wörter, gemacht haben, welche sie nimmermehr zu erfüllen vermögen.
Es sieht freilich oft so aus, als könnte man mit Worten direct auf
den Willen einwirken und diesen dadurch bilden, als käme es mithin
nur auf die rechten Worte an. Das Kind geht ja fort, wenn ich sage:
geh! es kommt ja heran, wenn ich sag«': komm! Aber man übersehe
doch nicht das Entgegengesetzte. Wie oft richten die Worte nichts
aus! Das Kind läuft manchmal davon, wenn man es herkommen heißt,
et^ kommt heran, wenn man ihm gebietet, fern zu bleiben, etc.j und
— 77 ~
wenn die Worte gar nicht vei-standeii \vt i(b.u, weil die ilmeii ent-
sprechenden Begriife fehlen oder sich nicht reproduciren , wie dann?
Ist einem Kinde das Davonlaufen lieber, von pfrüßerem Interesse,
als das befohlene Herkommen, wird dann der Hegrilf „Herkommen"
imstande sein, dieses Interesse iNeig^unf,'» unwirksam zu machen, da
der Begrirt nicht den zehnten Theil der Strebungsstärke hat, den die
lebendige Neigung besitzt? Und können sicli nicht, wie in diesem
Falle, SU auch sonst neben den Begriffen, Neigungen reproduciren, die
ihnen entgegengesetzt sind? — Die Sprache kann nicht etwas tör-
dern, was nicht schon in sich selbst die geliiirige Vollkommenheit hat.
Das Wesentliche der fSprat^lie besteht nämlich blos darin, dass sie
Zeichen zu dem Geistigen hinzugibt, die' sicli mit diesem associiren.
Alle diese Zeichen sind, verglichen mit dem Bezeichneten, etwas Äußeres,
das sich zwar mit dem Innern (dem Bezeichneten) bleibend verbindet,
aber stets in anderen Vermögen fortlebt, als das Bezeichnete. Natür-
lich muss vollkonnuener foi tdanern. was nicht einfach, sondern doppelt
gestützt ist: ei-stens durch sich selbst utid zweitens durch das Zeichen,
mit dem es in Verbindung steht, und je kräftiger das Zeichen beharrt,
desto gi'ößer muss der Gewinn tüi- das Bezeichnete sein. Dies gilt
nun von den Zeichen, die wir Worte nennen, in vorzüglichem Grade.
Die Gehörvermögen, in welchen die Wortlaute wurzeln, besitzen nicht
blos eine große Lebendigkeit, sondern aucli eine bedeutende Kraft des
Festhaltens. Die Vorstellungen gewinnen daher durch die ihnen an-
geschlossenen Wörter einen stärkeren Halt, werden aus dem Be-
wnsstsein nicht so leicht und schnell wieder verdrängt, sondern können
mehr Widerstand leisten beim Wechsel des Brwnsstseins, und wenn
sie an und für sich zu schwach gewesen wären, sich als Spuren fort-
zuerhalten, so geben ihnen die Wörter diese Fähigkeit. Das voll-
kommener Festgehaltene erlangt liierdurch einen iloppelten Vortheil;
es kann nicht nur überhaupt vollkommener und häufiger repro-
ducirt werden, sondern es ist auch die Reproduction vermittelst des
Wortes mehr in die Gewalt unseres Willens gebracht, mehr unserer
Willkür unterworfen. Eine Folge davon ist, dass nun eine Verarbei-
tung der Spuren zu höheren Gebilden stattfinden kann, was auf
zweierlei Weise geschieht. Die nngleichartigen werden nämlich
zu Omppen und Reihen mannigfaltiger Art verbunden und erhalten sich
dann in diesen Verbindungen, was jeder Satz als Beispiel erläutern
kann; denn jeder Satz ist eine Reihe von Vorstellungen, ge-
bunden an eine Reihe von Wörtern, und man kann sich selten
einige Sätze nebeneinander ansehen, ohne in ihnen dieselben WOrter
— 78 —
(imd TorateUimgen), nur anders grnppirt, za Ünden, auf welcher
Gruppen- und Bdlienbfldmigiftliigkeit dSe Ifdg^chkeit des Fortsehrd-
tens ebenso sehr hemht, als anf der zweiten Art and Weise, wie die
Spuren verarbeitet werden. Wir meinen hier die Verbindnng gleich-
artiger VorsteUongen zu Begriffen (das Gemeinsame jener gibt eben
die BegriffiB), welche dann zn Urtheilen, zn Schlflssen etc. verwendet
werden. — Die höheren und namentlich die anf das Innere» Geistige
sich beziehenden Begriffe mnss der Unterricht dadurch Tcnnitteln, dass
er mit Hilfe der WOrter deren Grundgebüde: die Empfindungen, Be-
gehrungen, Widerstrebangen, Geftthle, WoUungen etc. zusammen erregt,
sie nebeneinander gleichsam zum Stehen bringt, denn das Gleich-
artige der Grundgebilde tritt nicht zusammen, wenn die letzteren un-
erregt, unbewusst bleiben. Namentlich die höheren BegrüüB, welche
niedere voraussetzen, erfordern solche künstliche Nachhilfe, und so
leuchtet ein, wie bedeutungsvoll die Sprache dafttr ist Es wird frei-
lich am Lehrer liegen, dass dieser Erfolg erzielt wird. Und nun
noch etwas, was die Sprache als Mittel des Unterrichtes vermag, sie
wirkt ästhetischen WoUaut, wenn sie nämlich wollautend vor den
Ohren der Jugend gesprochen wird. Man kann sie in dieser Hinsicht
mit der Musik vergleichen, welche unmittelbar erregend ins GemUth
dringt, die Vorstellungen also überspringt. Daher die Erfahrung, dass
eine Bede, die sonst wenig Gehalt hat, doch die Zuhörer erbaut, wenn
sie nur wolklingend vorgetragen wird. Ja, es kommt vor, dass je-
mand sich vorgenommen hat, einem Ansinnen, das ihm voraussiclitlich
gemacht werden wird, nicht zu williahren; aber die Worte, in denen
es ihm entgegenkommt, klingen so anmuthig, dass sie ihn unwidei*-
Stehlich ergreifen, und ehe er sich's versieht, haben sie ihn umgestimmt
Unser Gehörsinn ist so geartet, dass seine Erregung nicht nur sehr
schnell, sondern auch am tiefsten sich in das Innere fortjjflanzt; ja
die Schallreize können nicht bloe die Seele, sondern aach den Leib
erschüttern. Daher ist es eine ganz richtige Bemerkung: „Die Be-
tonung trifft ins Gemüth", und weil dem so ist, wirkt derselbe
Inhalt der Worte eranz verschieden, je nachdem ihr Klang, ihr Ton
verschieden ist Durch die Betonung werden elementarische Stim-
mungen zu den Vorstellungen hinzuerregt, und diese Stimmungen, mit
den Neigungen und Strebungen am nächsten verwandt, setzen dann
dieses Praktische selbst gegen die Richtung der Vorstellungen in
Wirksamkeit. Steht demnach dem Lehrer eine wolklingende Sprache
zu Gebote, die Ohr und Herz gleichsam überströmt, so wird er das
Gemüthsleben der Jugend weit vortheühafter zu erfiusen imstande sein.
— 79 —
als ein anderer sonst gleich befähigter Lehrer, dem alMT diMe Nator-
gabe versagt ist, oder der sich keine Mfihe gibt, sieh in dieser Hin*
flicht zu veiToUkommnen. —
Wir wenden uns nnn noch in der Ktlne zn der Spiadie «b
Gegenstand des Unterrichtes. Hier kommen folgende Punkte in
BelTMht
Der Sdiiller Iwingt die Sprache entweder mit» oder er bringt sie
nkht mit Im enisii Nle^ der hinaiehllldi der Mntterspndie immer
stottflndet, kann er sie siemUch vollkommen oder ntemUch mangelhaft
bssitseii, im letzteren, der nur bei fremden Sfwachen vorkommt, hat
sie ihm der Unterricht nmicbst anzueignen.
Wir bleiben hier bei der Muttersprache» and zwar, da wir Dent-
scke sind, bei der deutschen stehen. Da ist wiederum viererlei wol-
gesondert im Auge zu behalten.
1. Ehe es noch zur eigentlichen grammatischen Unterweisong
kommt, ist die Sprache hier doch schon insofern Gegenstand des Unter-
richtes, als die hochdeutsche Mundart, durch oder mittels welcher
wterriehtet wird, entweder erst zu geben, oder doch vieUkeh zn ver-
bessern ist Jenes ist auf dem Lande, wo ein vom Hoehdentsehen ab-
wekhender Volksdialekt gesprochen wird, der Fall, dieses meist in
Stedten, wo das Hochdeutsche zwar schon im Umgange gebräuchlich,
aber mit mandierlei Fehlerhaftem verbrämt ist
2. Indem der SchlUer mittels der Sprache unterrichtet wird,
was schon im elterlichen Hause beim Erlemen der Muttersprache mehr
oder weniger geschehen und dann in der Schule nur fortzusetzen ist,
eignet er sich mannigfache Yorstellangen an. Diese sind das Innere,
der Inhalt der Sprache oder das Bezeichnete, für welches die Wörter
der Sprache das Änlere oder die Zeichen sind. Diesen Inhalt gibt
nicht die Spradie, sondern er stammt aus den Gegenständen, mit
welchen das Kind auf dem Wege des häuslichen oder des Schulunter-
richtes bekannt gemacht wird. Hierdurch sammelt es Grundlagen zur
weiteren Fortbildung, und da gltteklicherwdse alle Fortbildung, wie
wir gesehen, auf Combinationen beruht, so hat die Sprache den grOßten
EänftnsB daran! Indem wir die Wörter so combiniren, wie das durch
sie bcMichnete Vorstellen (das Innere) bei uns combinirt ist, theüen
wir dem Schüler, der uns hört und versteht, auch diese unsere Vor-
stoUnngseombinationen mit, und so schreitet er an diesem Leitfiden
zum Höheren fort, sobald er nur die erforderliche Anfinerksamkdt be-
weist und hiermit jene Combinationen wirklich auch in sich vollzieht.
Hierbei ist aber zweierlei sorgfältig zu unterscheiden. Die meisten
— 80 —
ComMnitlioiMm niiBerer VoisteUimgen aind dnreh die Geg^enstftnde,
•too objeetiT tMBtimmt» mid mt mflssea ans, ireDn wir ab Lehrer
nichts Falflchee geben wollen, streng an die Verimflpflmgen halten, wie
wir sie bei den G^gensttoden antreifon, woraiu I61gt, daas sie vor
allem von uns selbst richtig anfgefiust sein mfissen. Das Gegen-
stftndliche des Unterrichtes ist also hier noch nicht die Sprache selbet,
sondern durch diese hindorch sind ea die Dinge, deren BeschaiFenheit
und Yerhttltnisse. — Dagegen gibt es Combinationen unserer Vor-
stellungen, die nicht das Werk der Dinge, sondern das Werk unseres
schaffenden Geistes, also subjectiven Ui-spnmgs sind, und diese Com-
binationen sind es, die dem Unterrichte über die Sprache als das ihm
Eigenthümlicha zufallen. Indem wir das Sprachliche in seinen ver-
schiedenen Formen uns durcli die Mittheilung von anderen her aneignen,
lernen wir folglich geistige Entwickelungsformen kennen und in uns
nachbilden, die wir ohne das Medium der Spraclie wol nie erworben
hätten, und hierin liegt das Bildende des eigentlichen Sprachantenichtes
ftir unseren Geist.
8. Soweit man eine Sjirache verstellt, ist Form und Inhalt immer
schon beisanuneu. Es kann aber in j^ewissen Fällen die Form zu
den Gedanken, die man liat. erst nü(;h zu suchen sein, wie solches nicht
nur bei der Kilernung fremder Sprachen, sondern auch in der Mutter-
sprache vorkommt, sobald sich's darum handelt, die Gedanken münd-
lich oder schriftlich darzustellen. Es verlaugt dies eine besondere
Übung, weil die Verknüpfung zwischen Wort und Inhalt zweierlei An
ist uml jede Art besonders erworben werden muss; denn weckt mir
ein Wort vielleicht die Vorstellung, so weckt mii' diese Vorstellung
noch nicht das Wort. Daher ist es ein Haupttheil des Unterrichtes
über die Sprache, solche Übungen zu veranstalten, dass man den
Schüler seine Gedanken miiiullich in Worte, solange sie ihm aus irgend
einem Grunde noch nicht völlig geläufig sind, fassen, diese Worte wol
auch niederschreiben lässt. Das letztere erfordert namentlicii viele
Mühe, weil es zu den iitirburen Zeichen noch sichtbare hinzuverlangt.
Es kommt hier ferner nicht blos die Orthographie, sondern auch der
schriftliche Satzbau ins Spiel, der strenger ist als in der Regel der
mOndliche. Überdies bewirkt die Verlaugsamung der Gedanken beim
Niedersehreiben, dass mancherlei Ungehöriges sich zwischen lie ein-
drängt, was nur derjenige mit Galingen tenhält, der durch lange
Übung aicJi die daan eif^rderlicfae Beherrschung seinea Innern er-
worben hat
4. Die Formen und Verhältnisse der geistigen Entwickelnng, wie
Digitizea by LiOOgle
- 81 —
sie sich in der Sprache abspiegfein, ^elang^en zn einem klaren Bewusst-
sein erst dann, wenn sie zu Begi'itt'en verarbeitet worden sind; die
bloße Anschauung lässt sie noch mehr oder weniger dunkel. Es ist Auf-
gabe des Sprachunterrichtes, diese Begrilte aus den vorliegenden cou-
creten Formen abstrahiren zu lassen, imd indem dies geschieht, sagt
man, man unterrichte grammatisch. Während also in dem Bisherigen
die Formen nur an einem bestimmten Inhalte zugleich mit aufge-
fesst worden waren, treten sie hier in einem gesonderten Bewusst-
eeiü auf, und die Erwerbung desselben ist die höchste Stute des Unter-
richtes über die Sprache. Seine Vorstellungen und Gedanken unver-
«oiren aufeinander zu beziehen, vermag nur der, der von den ver-
Khiedenen Arten und Formen dieser Beziehungen deutliche Begriffe
«rlangt hat, und xibschon es nicht unmöglich ist, diese Begriffe ma
dea veraehiedeiien VonteUungen und Gedanken selbet m* gewinnen
eine B&ckaidit anf die Formen der Sprache, so hilt das doch be-
deutend schwer. Namentlich die Jngend wird hierin noch wenig zu
kiBten Imstwide sein, da bei ihr die geistige Entwiekehmg nodi nicht
die Stirice des Bewnsstseins, die Stätigkeit und Haltung eriangt haben,
die aar Abstraction rein ans dem Geistigen heraus erforderlidi sein
vtrde, und sie bleibt daher auch, wie die Eifthrnng lehrt, zeitleibens
geistig unrd^ wenn ihr die Unterstlktaung nicht zntheQ wird, welche
der grammatische Unterricht fBr die Ausbildung des Denkens ge-
wihrt.
Was nun aunidist die nnterate Stufe, die Erwerbung oder doch
SichtigBtellung des Hochdeutschen betrifft, so wird davon Gemflth und
Charakter nur so weit berOhrt, als erfteuender WoDant dabei ins S|piel
kommt und hierdurch die GtemflthsBtimmungen, welche die Kinder mit-
bringen, zur Erragung gebracht, belebt und vennehrt werden. Zu
diesem Behofe neigt sich besonders der Anschaoangsnnterricht von
Wichtigkeit Abgesehen von den sonstigen Zwecken, die er verfolgt,
hat er namentlich die Sprachfertigkeit der Kinder zn vervollkommnen,
und es kann darum nichts verkehrter sein, als diesen Unterricht, der
manchen £indem erst den Mond öffnen muss, abschaffen zu wollen.
Es soll zwar jeder Unterricht, wie die Correctheit, so aucli den Fluss
nnd den Wollaut der kindlichen Rede bilden; aber für den Anfanger
bietet hierzu kein Unterrichtsfach so nngeewnngene und natürliche
Gelegenheit dar als der sich mehr frei bewegende Anschaunngsnnter-
ricbt Durch seine Sprechttbongen, die das Kind unterhalten, gewinnt
es die Schule lieb; es bekommt sofort Eindrücke, die durch ihren Wol-
lant erfreuend wirken, und man sollte bedenken, wie wichtig das ist.
Digitized by Google
— 82 —
Wie hier schon der Anlang g^emacht wird mit einem Hauptzweige
des Sprachunterrichts: mit der Darstelhing des geistigen Innern nach
außen hin im mündlichen und schriftlichen Ausdruck, so hat die Schule
beide Arten der Darstellung, namentlich die schriftliche, immer plan-
mäßiger fortzofthren bis zu den höchstea ihr erreidibaren Zielpiiiikteii
hinauf. Es k<»imt vorzüglich auf doi Stufengang hietbei aa, ob da-
mit f5r Gernttth und Charakter gcfwunnen oder Yerloren werden wird.
Sind dem JEJnde die diesfaUaigen Aufgaben zu schwer, so wird sich
Yerstlmmunff darüber einsteUen; sind sie zu leicht und demnach zu
wenig fbrdemd, so wird Überdmss eintreten, und die ftlschen Neigun*
gen , die somit begründet werden, kOnnen nur Widerstreben gegen
eine Sache erzeugen, die bei rechter Behandlung heilsame Grundlagen
für den Charakter geschaffen hätten. Die Schuld liegt gewiss am
Lehrer, wenn die Oesammtheit oder auch nur die Hehrzshl seiner Schüler
sich von allem Grammatikalischen abwendet; er muss es Terstehen, die
geistigea Combinationen, auf welche es hier ankommt, so lebendig in
den Kindern zu vennitteln, dass die letzteren der Steigerung, die darin
Hegt, in lebendiger Empfindung inne werden. Ist es aber mOg^ch,
für das Bechnen lebendigen Triebe rege Selbstthätigkeit zu ensngen,
so kann dies auch hier geschehen, und nur soweit es wirklieh ge-
schieht, wirkt der Sprachunterricht erziehend.
Was den Unterricht in der Orthographie, den wir hier an-
schließen, betrifft, so liegt wol auf der Hand, dass derselbe erzieh-
liehen Einfluss sehr wenig haben kann, denn er hat es mit Elementen
zu thun, die von Gemüth und Charakter ziemlich weit abliegen. Es
handelt sich auch bei ihm lediglich um Zeichen, welche, wie das Bei-
spiel der verschiedenen Sprachen zeigt, höchst verschieden sein können.
Selbst im Deutschen sieht die Druckschrift ganz anders aus als die
Schreibschrift, und wie vieles bleibt hierbei der Willkür und Mode unter-
worfen! Wir können also von der Bechtschreibung, die mitunter ge-
radezu Falschschreibung ist, nicht einmal soviel bildende Kraft ei'-
wai'ten, als von den äußeren Fertigkeiten; denn was bilden, veredeln
soll, darf nicht quälen, und die Rechtschreibung quält Lehrer und
Schüler, weil sie so viel Unbestimmtes, Willkürliches, Wechselndes hat.
Das meiste in ihr ist rein positiv, muss also durch mechanische
Übung erlernt werden. Gleicliwol ist nicht zu leugnen, dass die
Schätzung des Richtigen immer ein Gut bleibt, mag dieses Richticf
zum Theil auch nur ein eingebildetes sein, und da alle öemüths- und
Charakterbildung auf Neigungen beruht, so kann die Rechtschreibung
nicht ganz ohne Einfluss auf dieselbe bleiben. Daher kann man vou
Digilizea by LiOOgle
— 8S —
der G^enaaigkfiit oder Nachlässigkeit in der Orthographie, die jemand
zeagt, eben so gnt einen Schluss aaf seinen Char&kter raachen, "wie
man solches Ton der Handschrift eines Menschen zu thun pflegt, ja
eigentlich noch mehr, da jedenfalls mehr Willensfreiheit beim Recht-
schreiben im Spiele ist als bei der Bildung der Schönschrift, die gar
sehr von der Muskelbeschaffenheit der schreibenden Hand abhängt.
Natürlich ist dabei vorauszusetzen, dass die Möglichkeit, sich das
Richtige in der Orthographie zu erwerben, gegeben gewesen sei.
Namentlich muss gerade dieser Unterriclitszweig so beliandelt werden,
dass er möglidist Lust macht, und da er eine ästhetische Seite fast
gar nicht darbietet, so muss ihm durch einen zui* Sicherheit und
Klarheit führenden Stufengang Heiz verschafft werden. Vieles be-
stimmt sich liier schon durch den Satzbau, wie namentlich die Inter-
punction, vieles durch die Abstammun«^ der Wörter voneinander, und
für den Anfang ist es besonders die richtige Aussprache, auf welche
der Schüler zu verweisen ist. Frische Übung wird die Hauptsache
bleiben, und werden besonders die Regelwidrigkeiten mit besonderem
Fleiße zu behandeln sein.
Gehen wir fort zu den sogenannten „Realien*' (der Ausdnick
ist streng genommen unpassend; denn das Ideale ist ebenfalls real,
nur in einem anderen (iebiete). Man rechnet hierzu die Naturwisstii-
schaften, Geographie und Geschichte. Der Lehrer vergesse nicht, dass
hierbei das Sehen dessen, was gelernt werden soll, die Hauptsache ist
Nun hat man zwar glücklichen Falls Bilder, Landkarten, Modelle etc.
and yerspricht sich gewöhnlich von diesen Ersatzmitteln der unmittelbaren
Anidianung sdir jißL Aber man täuscht sich, man setzt ein yUA m
grofies Vertranen daradl Um dordi daa Bfld hindurch die Sache za
sehen, miis man die Sadie wenigstens den Hanptelementen nach schon
kennen, ans nnmittelbarer Wahrnehmung aufgeihsst haben. Sonst wird das
Bad selber zur Sache und wiriLt dann verkehrt Eine gemalte Gegend,
ein gemalter Flnss ete. gibt nie den krftftigen, wahren Eindmck, den
die in natura gesehenen zurfteUassen. Daraus folgt, dass man alles,
was wirklich in Natura vor das Ange gebracht werden kann, nicht
Uo6 in BUdem oder gar nur in Worten zu geben habe» sondern dass
der Lehrer mit seinen Kindern in die Natur wandern müsse, nm sie
hier durch lebendige Anschauungen zu unterrichten. Die Heimatkunde,
wekhe der Kunde von dem Entfernten Torausgefaen muss, läset sich
sehr wol auf diesem praktischen Wege betreiben. Die hier gewonnenen
Ansehannngen hUden dann die Grundlage zu den Einblldungsvor-
stellnngen, ndttels welcher sich die Seele das Fremde, das Entfernte
vergegenwärtigt
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— 84 —
Mit der Gescliichte verhSlt aieh's freilich andei*s, die^e lässt sich
nicht, wie auf dem Theater, vor den Aiig«n der Kinder abspielen;
hier bleiben die Einbildungsvorstellmigen (die Pbantasiethäti^^keit) das
alleinige £irwerbuDg8mittel, und nur wenitres lässt sich durch bildliche
Dai'stellungen in etwas versinnlichen. Um non diesem Fache noch
das Möglichste an Bildung abzugewinnen, mnss die sorgfältigste Aus-
wahl des StoflFes getroffen und alles ausgeschlossen werden, was über
den jugendliclien G^esichtskreis hinausliegt. Weniger Geschichte, son-
deni rTeschichten, namentlich Biographien berühmter Personen sind zu
geben und besonders das Culturhistnrische ins Auge zu fassen, in ähn-
licher Weist', wie solches bei der biblischen Geschichte hervortritt.
Dabei ist weniger auf das Außere der That,saclien, auf Namen und
.Tahreszaiiieu et«. Gewicht zu legen, als nelmehr auf die Gesinnungen
der handelnden Peraonen, auf die geistigen Ursachen, durch welche
die Aufeinanderfolge der Begebenheiten hauptsäclilirli bedingt ist, also
auf die innere Seite der Geschichte, denn nur hierdurch kann sie
wahrhaft bildend werden, und nur von dieser Seite findet sie jetzt die
rechten Anknüpfungspunkte in den kindlichen Seelen. Ähnliches gilt
auch in Bezug auf die mit der Geschichte eng verknüpfte Geographie.
Wer hier durch eine Unzahl von StAdten und Ortschaften das kind-
liche Bewusstsein Uberschüttet, durch die genaueste Angabe der Häuser-
zahl, der Volksmenge, der Fabriken, der Handelsproducte etc. bei
jedem Orte verwirrt, dart sich nicht wundern, wenn er bei der Wieder-
holung ßndet, dass er für das Vergessen gelehrt habe, abgesehen da-
von, dass solche Notizen fOr Gemüth und Charakter gar keine bildende
Kraft haben können. Was ToUends in Wirklichkeit gar nicht so
iKiatirty vh» es BU^m und Landkarten für das Ange darstellen, z. B.
Längen- md Breitengrade, die Erdadiae, die Foto, die Wendekreise
nnd dergleichen, kann natOrlich anch nor von zweifelhafter Bildangs-
kraft sein. Solche Dinge sind nicht eher za geben, als bis sich durch
das firflher G^elemte das Bedttrfius dazu aufdringt, sonst lernen die
Kinder blos Worte nnd merken sich Zeichen, mit denen sie nw
Schattenhaftes und Irriges zn verbinden vermögen. Alles Ideale fiifit
anf dem Bealen, und solange letzteres nicht klargestdlt werden
kann, bleibt jenes todtes Wortwesen. — Eine HanptrAcksicht ist hier-
bei die, dass die Schiller so viel als naöglich in Selbstthfttigkeit,
nicht UoB in passives Anfiiebmen zu versetzen shid, denn nur das wird
wahrhaft interessant und lebendig, was man durch eigenes Schalni,
durch eigenes Suchen und Finden sich erwirbt Daher ist in der Geo-
gn^hie dsa eigene Zeichnen von Karten nnd Skizzen aas dem Kopfe»
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— 85 —
in der Gesobichte die eigene Anfertigiuqg von Tabellen tmd Anaiügen,
im NatnrwisBeiiAsbafllicheii die Anlegimg tob SanmüiuigeD, die eigene
Vennstaltimg Ton Bzperimenten ete. yon großer Wichtigkeit ftr die
Kldnng der Sdifller. Nur moss man hiermit ja nicht an weit gehen,
nicht m viel fordern nnd bei der Correctar des Verfohlten nicht pe-
daotiflch etraig sebi, sonst Ifthmt man die Lust nnd den Eifer. Ge-
mAtfa nnd Charakter Teredehi sich nnr an dem, was man liehgewinnt»
als ein Gut schitien lernt. —
Wir kommen znm letaten Punkte, znm Unterricht in der Moral
mid Kellgion.
Das Moralische und Religiöse ist zwar nahe verwandt, weshalb
es im Volksunterricht miteinander Hand in Hand gehen ronss; dem
inneren Wesen nach aber unterscheiden sich beide dadurch, dass das
Moralische sich zunächst auf Gegenstände ei'streckt, die unserer Er-
fahrung vorliegen, das Religiöse dagegen auf Objecte, die unserer Er-
fahrung entzogen sind: auf Gott und die Unsterblichkeit unserer Seele.
Beides wTirzelt in lebendigen Eniptiiidunfjfen, wie sie durch die
Verhaltnisse des Lebens entstehen und sich zu Gesinuuno:eTi aus-
bilden. Die Gegenstände der Erfahrung wirken nämlich aut uns ein
und begründen dadurch die Neigungen, die uns zur Zurückwirkung
auf sie veranlassen (Moralitiiti; dabei lassen sie uns häufig unbe-
friedigt, veniichten sogar unser Wolsein. verletzen unsere heiligsten
Bedürlhisse, und dadurch dräntren sie uns über die Welt hinaus, führen
uns auf den (Glauben an einen, wenn auch unbegreiflichen, docli weisen
und allmächtigen Freund im Himmel, bei deni wir Trost und Erhebung
in jeder Noth finden können (Kel ieriosität). Beides, die Moralität
und Religiosität, begründet sich schon vor- der Zeit, wo der Schulunter-
richt beginnt, und setzt sicli neben und nach demselben unauflialtsam
fort- Der Unterricht kann nur Vorstellungen mittheilen, welche
ein VViderscliein von jenen Empfindungen sind. Hierdurch kann er
jenes Elementarische idie Kniplindungen , wo er es vorfindet, ordnen,
concentriren, zu allgemeinen Sätzen ausl)ilden, aber er vermehrt da-
durch nicht die Triebkraft zum Handeln, und wo er es nicht vor-
findet, sind seine Begriffe nur Schatten, todtes Buchstaben werk,
welches fruchtlos über die unvorbereitete Seele hinweggleitet. Auf-
klärung kann er meistentheils geben, auch negativ nützen, indem
er Vorstellungen verdrängt, welche Aberglauben, Unmoralität, Irreli-
gioflität begünstigen vttrden, und voflere Missionen in dar Heidenwelt
können in dieser Besiehnng yon großer Wichtigkeit sein. Damit aber,
so hodtwiditig das alles auch Ist, gibt er dodi nicht positiv Sitt-
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— 86 —
lichkdt nnd Religion, nicht eine sittliche Gesinnung, nicht ein re-
ligfitaes Gemflth. Erziehen kann nnr das, wodurch Qemftth nnd
Charakter entsteht, also nnr die ans den LebenssrIUurangen geschöpften
Empfindungen. Ehi Lehrer spricht z. B. nach Anleitung eines Bibel-
spmches über die Allgegenwart und Allwissenheit Gtottes. Er macht
den Kindern klar, dass nichts, was der Mensch sagt nnd thut, dem
Ohr nnd Auge Oottes verborgen bleibt, dass er uns fltr alles dereinst
zur Bechenschaft ziehen wird. Zu Hause aber sehen and hören die
Kinder, dass blos das Auge der Menschen gescheut wird, dass man
sich die Sünde ungescheut erlaubt, wenn sie nnr die Menschen nicht
erfahren. Was wird stärker auf die jnngen Gemüther wirken, jenes
oder dieses? Auf der anderen Seite befindet sich ein Kind, dessen
Vater zwar weni^ von Gottes Allgegenwart und Allwissenheit spricht,
der aber so handelt, dass die Ehrfurcht vor Gott aus jedem seiner
Worte, aus jeder seiner Thaten hervorleuchtet, der also durch sein
Verhalten lehrt, er fiihle sich stets von einem unsiclitbaren Zeugen
umj^eben, dem er P^hrerbictun^ und Gehorsam schuldig sei. Wird das
Kind sich diesen Eindiiicken entziehen können? Wird es den Bibel-
spruch: „Dein Lebelang habe Gott vor Augen und im Herzen" etc. auf
diesem praktischen Wege nicht weit ergreifender lernen als aus der
bloßen Theorie?
Wir müssen, solange wir die sehr gesunkene häusliche Erziehung
nicht nmge.stallen können, überall an das Bessere, was wir noch in den
jugendliche» Seelen entwickelt vorfinden, anknüpfen, müssen dieses er-
regen und steigern durch Gleichartiges, wie es in der Geschichte
frommer Menschen, in den unmittelbaren Ausflüssen ihres Gemüths sich
darstellt, in welcher Beziehung voinelimlich das Leben Jesu und seiner
Apostel von der höchsten Wichtigkeit ist. Dieses müssen wir der
Jugend in lebendiger Schilderung vorhalten, ohne dogmatische Ver-
wässerung und liaarspalieiuie Begritfszergliederungen ; niüsseii die
lyrischen, wenigstens lyrisch-didaktischen Stellen der Bibel dem Ge-
, mttthe einprägen, weniger zunächst durch Auswendiglernen, denn dieses
d&mpft das Gefühl, als vielmehr durch rechtzeitige Darlegung in herz-
gewinnender Weise, und müssen auch Nichtbiblisches zu Hilfe nehmen,
so weit es in der Bichtung erwlnnsBder Empfindung und Neigpuig
liegt. Dabei mllssen wir es verstehen, zor rediten Zeit auftuhOren,
und alle Abspannung und Ermttdung vermeiden. Gemüth und Cha-
rakter lassen sich nicht in einem Zuge stundenlang bear-
beiten, wie der Verstand.
Dass übrigens das eigene fromme Beispiel des Lehrers ein Hanpt-
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- 87 —
hel>el für die religiöse Bildung der Jugend bleibt, versteht sich von
selbst, und es wäre traurig, wenn einer glaubte, den 31angel de.^selben
ersetzen zu können durch frommen Schein, durch erheuchelte Mienen
nnd Geberden, welche die Kinder immer bald durchschauen. Bei (be-
sang und Gebet in der Schule sei der Lehrer selber wahrhaftig an-
dächtig, dann werden diese Erweckungsmittel der religiösen Stimmung
nicht so unfruchtbar bleiben, wie sie es bei schauspielermäßiger Be-
handlung so oft werden. Dass der Inhalt der Gebete und Gesänge
der Fassungskraft und dem Gemflthsleben der Kinder angemessen sein
mfissen, bedarf kamn to Banerknng; aber leider wird nnr su oft da-
gegen gefehlt.
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Die heutige Yelkasehale Preufteius.*)
Die um die Mitte dieses Jahres erschienene amtliche Statistik
ttber „das gesammte Volksschnlwesen im prenftischen Staate
im Jahre 188ß** hat in allen Kreisen, die mit der Schule in näherer
oder entfernterer Beziehnng stehen, ein ganz ungewöhnliches Anfiehen
erregt Die Besnltate dieser Statistik sind allerdings dasn angetbaa,
nm auch den Vertrauensseligsten an&ortttteln. Man darf gespannt
sein anf die Verhandlungen, die sich an die Berathnng des Scholetats
im nächsten Jahre anschließen. Dass es mit dei* Volksschale in
Prenßen mit Biesenschritten rttckwärts ging, war zwar jedem,
der sehen wollte, bekannt, aber niemand besaß das ^raterial, um den
Rflckschritt im ganzen zu belenchten, und auch Einzelfälle in ge»
nttgender Zahl zosammenznbringen, liält bei der Gleii-ligiltigkeit \ieler
Lehrer gegen ihre eigenen Angelegenheiten und die der Schale sehr
schwer. Die neueste Statistik des preußischen Volksschulwesens ist
auch zugleich die erste, die mit einiger Vollständigkeit auftritt In
den firttheren Erhebungen finden sich große Lücken» znm Theil sind es
eben nor Feststellungen ttber Einzelheiten, z. B. Uber die Oebal tsver-
hältnisse, die Schulwege, die confessionellen Vorhältnisse etc. Auch
die Verarbeitung der Mheren Aufnahmen lässt \ieltach den geschul-
ten Statistiker vermissen. Für die Ausnutzung der jj^egenwärtigen
Statistik ist das ein großer Xachtheil. Die Verjrleichung mit den
früheren Ergebnissen ist nur in Bezug auf wenige Zahlen tur eine
längere Reihe von .lahren durehzulühren.
Wer die pieiißisclie Bureankratie kennt, wird zu der amtlichen
Statistik in Bezug auf deren Riebt iükoit volles Vertrauen haben und
eine ziemlich gewissenhafte Eiuzelaibeit voraussetzen. So wenig man
*) Nur mit lebhaftem Bedooem kAmen wb dieie AUumdluiig TeiOffioatlidieii,
da ne an mehierai Stell«i aehr uieiftwiliohe AnftehMaie Uber die Volkaidiile dee
größten und führenden .Staates Deutschlandä darbietet. Weil indenaa der Verfasser
zweifellü:^ ein sachkundiger und Avahrheitaliebender Mann, sowie ein guter preußi-
scher Patriot ist, so mfige seine Arbeit mit dem Motto erscheinen: ^Ansnei, nicht
Gift!" D.
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— 89 —
also nach dieser Seite hin Bedenken zn hahen sich genöthigt sieht, so
vorsichtig mnss man bei der Benntanng der VerOffentlichangen als
Games sdn. £Me letasten Verftlfentlichnngen dieser Art hahen ein
nenüich eingehendes Begleitwort erhalten, das bei der Torliegenden
neuesten Statistik beispielsweise 121 Folioseiten nnd^t nnd Ton
Dr« Earl Schneider, Geh. Ober-Begierongsrath nnd vortragendem Bath,
und Dr. A. Petersilie, Professor und Mitglied des Königlichen statisti-
schen Boreaos, bearbeitet ist. Tn dieser Beigabe sind nicht nur die
Ergebnisse der letzten Erhebung besprochen, sondern auch zu früheren
Ergebnissen in Veigh ieh gestellt. Da die Bearbeitung nicht blos von
einem Statistiker herrührt, sondern in ihrem ei<reTitUchen Inhalte von
einem seit Jahren in der prenBisrlien Yolksschiüver waltung außer-
ordentlich einflossreichen Schulbeamten, so ist es erklärlich, dass da-
durch die Besprechung der Einzelheiten stark beeinflusst wird.
Wenn trotzdem auch in diesem Tlieile des Werkes das Bild der
preußischen Volksschule dnrrliaus trübe ausfallt , so verdient dies
doppelte Beachtung. Zwar heißt es in der besi)r(>chenen Einleitung:
„Die nachfolgenden Zahlen beurtheileu die Statistik mit rücksichtsloser
Oftenheit. Sie decken die Mängel , welche noch zu beseitigen , die
Schäden, welche zu überwinden sind, elirlich auf. Die Volksschulver-
waltung ist sich selbst klar bewnsst, dass sie noch einen weiten Weg
hat. ehe sie dahin gekommen ist, nicht ideale, sondern auch nur nor-
male Verhältnisse zu scliatien, aber sie meint richtig zu liandelii, \\enn
sie vor dem ganzen Lande die Aufgabe darlegt, welche ihr zu lösen
übrig bleibt, und sie überlässt sich der Hotiiiung, dass sie damit zu-
gleich nicht nur die betheiligten und verpflichteten Gemeinden, sondern
alle diejenigen, welche eine Vorstellung von der Bedeutung der Schule
haben, zur Mitarbeit an ihrem Werke anregen werde.'' Wer sich
die Mühe gibt auch die Verötientlichnngen früherer Jahre mit Auf-
merksamkeit zu Studiren , wird .sich indessen bald übei-zeugen , dass
die Offenheit, welche die Bearbeiter an sich rühmen, doch gerade
an den entscheidenden Stellen, in den Besprechungen über die
Ausbildung und Besoldung der Lehrer, eine sehr mäßige war, dass
vielmehr gerade in diesen Partien alles das, was den Glanz der
gegenwärtigen Schnlräwaltnng nicht erhöht, einfach übergangen oder
in geradezs inefilhrendem Sinne besprochen ist Wer sich deswegen
em klares Bild von der jüngsten Entwickelong der prenBisdien Volks-
sehnte machen will, dem kann nnr gerathen werden, die Tabellen der
einzelnen Jahre selbst zn stndiren nnd sich nicht zu sehr anf die
offidellen Besprechnngen zn verlassen. Wo das geschehen ist, smd
Padacofim. lt. Jahrf. Haft II. 7
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— 90 —
theilweise recht unzutrefFende Berichte entstanden. So wird in der
Einleitung zur 1886er Statistik z. B. eine Übersicht ober den Besack
der preußischen Lehrerbildungs-Anstalten gegeben*, ans dar
her\'orgeht, dass in dieser Beziehung eine sehr bemerkbare Besserung
stattgefunden hat. Es wird aus älterer Zeit eine Reihe von Zahlen
mitgetheilt, insbesondere aber werden die Ergebnisse von 1876 und
1888 gegenübergestellt, die von 1879 aber übergangen. Wii- fügen
diese Zahlen hinzu, und der Leser wird sich überzeugen, wie ganz
anders sich dadurch das Bild gestaltet.
1876 1879 1888
Anzahl der Semioaristen:
6720 9400 8507
Auf einen Seminaristen kommen Einwohner:
B826 2737 3329
Auf einen Seminaristen kommen im Jahi-e 1886 590 Schulkinder,
was die Einleitung gleichfalls gewissenhaft mittheilt; dass 1879 schon
auf ca. 450 Schüler ein Seminarist kommt, verschweigt sie, geht also,
wie aus den obigen Zahlen hervorgeht, über den Rückgang der letz-
ten Jahre pranz liinweg. Kbenso lindet sich in der 121 Folioseiten
langen Einleitung, in der auch von manchen Nebensächlichkeiten tlie
Rede ist, kein Wort darüber, dass in allen preußischen Pro\änzen das
Gehalt der Volksschullehrer um beträchtliche Summen zu-
rflckgegangen ist (siehe weiter untenl). Es wird mit keinem Worte
erwfilmt, dass In sieben preußischen Provinzen ftir die Besoldung der
stftdtischea Lehrer 1886 83S 000 Hark weniger erforderlich waren als
1878, dass anf ein Schulkind aof dem Lande an Lehrurgehalt 1878
15 Mark, 1886 14 Hark, in der Stadt 1878 21,60 Hark, 1886 nur 10 Hark
erforderiich waren, nnd dass auf diese Art den 22419 stftdtischen
Lebrem 3^« HOlionen, den 42331 Landlehrern 1 HUlion verloren gingen.
Es erscheint der ofiiaeUen Einleitong dorehaos nicht als bemerkens-
wert, dass 1878 auf 57 780 Schnlklassen 57 165 Lehrerstellen
kamen, mitbin nnr 615 Lehrerstellen weniger als dassen yoihanden
waren, wahrend 1886 anf 75097 Schnldassen 64^750 Lebrerstellen
kamen, mithin fttr 10,347 dassen keine Lehrerstelle geschafliBn wor-
den war. Es liegt auf der Hand, dass bei dieser „Offenheit" ein
Stndinm der Einleitung nnr von bedingten Werte sein kann nnd
man an wirklidier Orientimng anf die viel weniger leichte Benntsnng
der Tabellen selbst angewiesen ist
Das Tabellenwerk gliedert sich in fünf Abschnitte, die sich mit
den Öffentlichen Yolksschnlen, den öffentlichen Hittelschnlen, den
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privateu Volksschulen, den privaten Mittelschulen und den sonstigen
Schulen mit dem Lehrziele der Volksschule (Seminar-Übungsschulen,
BUndenanstalten , Taubstummenanstalten , Unterrichtsanstalten für
Schwachsinnige, Idioten und Epileptische, Rettaogs- und Waisenhaus-
nnd ähnlichen Schulen) beschäftigen. Abgesehen von dem letzten Ab-
schnitte, der kürzer behandelt ist, enthalten die Tabellen Nadiweise
über folgende Verhältnisse:
1. Schulbezirke, Schulen, Schulwege, Scholpflicbtigkeit, Benutzung
der Schulen;
2. Schulgebäude, Classenräume, Lelirerwohnunsfen, Landdotation;
3. lehrplanmäßige Einrichtung der Schalen und Gruppirung nach
der Zahl der Unterrich tsclassen;
4. die Schulkinder nach Geschlecht, EeUgionsbekenntnis und
Familiensprache:
5. Lehrerstelleu und Lehrkräfte;
6. die confessionellen Verhältnisse;
7. u. 8. normale und anomale Frequenz Verhältnisse;
9. Ertrag des zur Stellendotation vorhandenen Vermögens mit
Nachweis der freien Wohnungen;
10. u. 11. Die persönlichen und sachlichen Schulunterhaltungs-
kosten ;
12. die Abstufung des Einkommens der vollbeschäftigten Lehrer
und Lehrerinnen;
13. Schulgeld und Schulgeldsätze,
Die Nachwei.suugen enthalten die Angaben bis zu den Provinzen
(l4) und Regierungsbezirken (36), bei den ölFentlichen Volksschulen
sogar bis zu den Kreisen (636) herab. Bei den Privatschulen fehlen
die unter 9 — 13 bezeichneten Angaben, was außerord^tlich zu be-
ihasrn ist Ffir dtesen Mangel kann aber wol nicht die Sdralverw
waltung verantwortlicli gemacht weorden.
Es ist nidit möglich, hier ein «migermaßen ToUstfindiges Bild von
den berührten YerhältnisBen zu gd>ea. Wir werden uns auf die
Ofl^nCUdien Volksschnlen beschrSnken und dabei nicht nur die 1886er
Zahlen geben, sondem auch die bemerkenswertesten Ergebnisse aus
froherer Zeit hinzufügen.
Eine wesentliche Bedingung für die durchgreifende Wirksamkeit
der VolksBchule besteht darin, dass die Schulwege eine gewisse Ent-
fernung nicht ftberschretten und auch sonst für Einder keine Beden-
ken haben. Dieser Forderung würde in den meisten F&llen dadurch
ent^rochen werden, dass in jedem Orte eine Schule erOflhet würde.
7*
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— 92 —
Fllr preuAiBcbe Yerbältniase ist diese Forderung indessen nicht za
stellen, und msn mnss sich mit der möglichsten Abkfirznng der
Schulwege Torderhand begnügen. In dieser Beziehung hat die
preofiische ünterrichtsyerwaltnng aach trotz der ungünstigen VerhUt-
nisse mancher Bezirke sehr Bemerkenswertes geleistet, wenn anch
noch 131 000 Kinder über 3 Kilometer Schulweg haben, darunter eine
Anzahl über 7 Kilometer. Diese Zahl ist zwar noch bedeutend, es
ist bei 4 838 247 Volksschülem, die 1886 in Preußen gezählt wurden,
* ^„ der Gesammtheit. Aber auch bei der grOfitea Anstrengung wird
darin nicht viel zu ändern sein. Die Anlage von einzelneu Gehöften
(Katen) und kleineren Vorwerken ist im Zunehmen b^;riffen, und es
lässt sich nicht in jeder kleinen Colonie und in jedem einzelnen Ge-
höft, wie sie besonders im Münsterlaiide , im schlesischen Gebirge, in
Posen, West- und Ostpreußen sehr zahlreich sind, eine Schule eröflfheu.
Immerhin sind aber unter den Schulbezirken, die aus mehreren Ort-
schaften gebildet sind, noch manche, die unbedingt aufgelöst werden
müssten. Es scheint auch in letzter Zeit darin etwas zu geschehen.
Die 354 Schulen, die vom 20. Mai 1886 bis zum October 1888 neu
eröffnet wurden, sind zum großen Theile einclassig. ()1> diese freilich
in der IMehrzahl abgelegenen Ortschaften zugute koninion oder in
mit Schulen versehenen Ortschaften für religifise Minderheiten errichtet
sind, geht aus den amtlichen Mittheilungen direct nicht liervor.
Die 1280 Städte Preußens hatten zusanimen 3718 Sclmleu mit
23 348 Classen, im Durchschnitte also jede Stadt etwa ;J Sclmlen oder
18,6 Classen, während in den 37 31!) Landgemeinden und 16 403
Gutsbezirken zusammen nur 30 298 Schulen mit 51 740 Classen vor-
handen waren, so dass auf Jede ländliche Gemeindeeinlieit 0.56 Schulen
oder 0,96 Classen kamen. In Frankreich, das sich iiberhaui)t durch
seine vielen kleineren Schulsysteme auszeichnet und deswegen 1885 S6
nicht weniger als 67 300 öffentliche und 13 l'K) private Elementar-
schulen liatte, gegenüber den 57 000 Volksschulen im Deutschen Reiche,
den 34000 in Preußen und den 34 600 in ÖsteiTeich, Ungarn und
Bosnien, gab es zur gleichen Zeit nur 81 Gemeinden, die gar keine
Schule hatten und nur 971, die bei einer anderen Gemeinde eingeschult
waren. Preußen hat mehr große Schulsysteme, die in der Stadt durch-
schnittlkli 6' g, auf dem Lande 1'/, Classen haben, während die fran-
zösiachea Elementarschnlen, städtische nnd ländliche zusammen, durch-
schnittlich nur 1*/$ Classen haben.
Die Schulpflicht ist in Preußen weder nach Beginn noch nach
Ende einheitlich geregelt, unterliegt aber trotzdem einem ziemlich
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— 98 ^
gleiciiinäßigen Gebrauche im ganzen Staate, dahingehend, dass die
Kinder mit dem vollendeten 6. Lebensjalire in die Schule ein- und
mit dem vollendeten 14. Jahre austreten. Reclinet man die Schul-
pflicht vom 6. bis zum 14. Jahre, so waren 188ö, bei der allgemeinen
Volkszälilung, 5 225 891 schulpflichtige Kinder vorhanden. Nach der
1886er Schulstatistik waren in üfi'ei^tlichen Volksschulen
eingeschult
besuchten andere Lehranstal-
ten, Privatschulen etc.
besuchten aus zulässigen Grün-
den noch nicht oder nicht
mehr die Schule
besuchten wegen körperlicher
oder geistiger Mängel die
Schule nicht
konnten wegen ÜberfUllong der
Sehlde nicht aufgenommen
werden
entlegen sieh dem Sehnlbetiich
4 838 247 Kindel* = 90,72 Proc.
299 280 „ = 5,61 „
170439
13619
8826
3145
= 3,19
= 0,26
0,17
0,06
5338466 Kinder = 100 Pm.
Hiernach erhalten in Prenflen etwa 94 Ftoc aUer achnlpflichtigen
Kinder ihre Bfldnng in der (HfentUchen VoUnscfanle (denn die noch
nicht oder nicht mehr die Schale beaochenden 3,19 Proc. sind dnao-
ledinen).
Von den Sdralbeshrken nnd Schnlen geht die Statistik ttber an
den Schnlgebänden und Clasaenr&nmen.
Im Jahre 1882 waren ftr ca. 66000 Ciasgen 61000 Classen-
simmer vorhanden. Es fehlten mithin 6000 Clasaensimmer. Im Jahre
1886 standen den 75097 Schnldassen 66540 Classenrftnme gegenflber,
es fehlten also nun 8557 oder rund 3500 mehr als vier Jahre frflher.
Da von den vorhandenen Classensimmem anßerdem 1862 nicht be-
nittit worden, feUt^ im Vergleich zn den Glassen 10409 daasmi-
limmer. Wttrde die preoAische Yolksschnle fikr jede CHasse andi einen
Lehrer besitzen, so wttrde dieser Mangel an Unterrichtsräumen außer-
ordentlich unangenehm empfanden werden. Aber der Mangel an
Lehrkräften ist etwa eben so groß, denn auf 75097 Scholclassen
kommen nur 64 750 Lehrerstellen, so dass im allgemeinen jede Lehr-
kraft anch über ein Classenzimmer verfügt Von den 75097 Classen
müssen sich allerdinjofs nach obiger Rechnung: 2 X 10409 = 20818
(fassen oder IVt Millionen Kinder mit halbem Anrecht auf einen
Digitizeü by Liüügle
— w —
"üntenichtsi-aum begnügen, ein Umstand, der der Aufmerksamkeit der
Sehnlhygieniker empfohlen werden muss. Wenn volle 1^/, Millionen
Kinder auf Untenichtsräume angewiesen sind, die nicht genügend
aosgelflftel werden können und Iftnger als gut ist im Gebrauch sind,
80 dflrlte das Grond genug sein, sich damit nfiher za befoflsen. Im
Jahre 1878 waren fttr 57780 CSassen noeh ca. 57000 ünteRiehts-
räome vorhanden, der Mangel war damals also noch imbedentend.
Eine ähnliche Vertbiderang zeigt sich in Bezogt auf die Lehrer-
wohnungen. Ihre Zahl ist von 1871 bis 1886 von 48874 anf 42000,
also um 1374 herabgegangen, während sich die Zahl der LehrkrSfte
von 52059 auf 64750 erhöht hat Mithin hatten 1871 8685 Lehr-
kräfte keine Amtswohnimg, 1886 22750. Hierdurch werden vor-
wiegend die stadtischen Lehrer getroifen. Während 1871 ftr 16669
städtische Lehrer 9961 Dienstwohnungen voriianden waren, also nnr
6688 Dienstwohnungen fehlten, waren 1886 fttr 22419 Lehrer nnr
nodi 4391 Dienstwohnungen vorhanden, so dass nunmehr 18028
städtische Lehrer ohne Dienstwohnung sind. Die Zahl der vorhande-
nen städtisdien Lehrerwohnnngen (4391) entspvkht etwa der Zahl der
Schulleiter (3718), und diese skd auch meist damit bedacht Ob mit
der ümwandking der Dienstwohnung in Hietsentschädigung ein Nach-
theü für die Lehrer verbunden ist, lässt sich kaum aUgemehi fesst-
stellen, doch scheint man im allgemeinen die in natura gewährte
Wohnung vorzuziehen, da in letzter Zeit viele Vorstellungen in diesem
Sinne an den Unterrichtsminister gelangt sind, hier aber abschläglich
beschieden wurden.
Nach den obigen Zahlen entsprechen die Unterrichtsräiime dem
Bedfii&is also keineswegs. Und doch haben wir es hier mit dem
Glanzpunkt der preußischen ünterrichtsverwaltung zu thun, die in der
letzten Zeit für nichts so eifiig gesor^ hat, als für die Schulbau-
ten. Dadurch sind die sachlichen Kosten, die 1861 nur 24,78
Proc. der Gesaramtausgabe betrugen, auf H5,f)5 Proc, gestiegen, in
Berlin auf 43,01 Proc, in Hohenzollern auf 41,23, iu Posen auf 41,09
und in Westfalen auf 40,12 Pruc. Dass sich die persünlicheu Kosten
in demselben Maße verringerten, mag weiter unten ausgeführt wer-
den. Laien pflegen alles, was die Schule kostet, als Einnahme der
Lehrer hinzustellen. Es kann nicht schaden, ihnen von Zeit zu Zeit
zu sagen , wie gi^oß die sachlichen Aufwendungen sind . wozu aller-
dings auch nach allgemeinem Gebrauch in Preußen bei allen Beamteu-
classen die Mietsentschiidigung gerechnet wird.
Nachdem wir so ein Bild von den äußeren Verbältnissen der
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— 96 —
preußischen Volksschiik' erhalten haben, werden wir in diese selbst
eingeführt. Allerdings kann die Statistik nicht den Geist, der in den
nach Zehntausenden zählenden Lehrpersonen und in den Millionen
von Schulkindern lebt, zeichnen, sie muss sich mit der Fixirung
der äußeren Zustände begnügen. Aber durch diese wird das Schul-
lebeu auch nach seinem innern Pulsschlage vorwiegend bestimmt.
Es ist nicht gleichgiltig , ob der Knabe mit dem Mädchen ge-
meinsam lernt, ob die Sprößlinge katliolisclier und protestantischer
Eltern beisammen sitzen, oder ob sowol nach dem Geschlechte als
auch nach der Confession Trennung eintritt, ob die Schüler in un-
übersehbaren Massen oder in kleineren Gruppen unterrichtet werden.
Die preußische Volksschule ist im wesentlichen noch die
gemeinsame Schule für beide Geschlechter. Unter den 75 097
Schnlclassen sind nur 10096 Knaben- und 10297 Mädchenclassen,
in den übrigen 54704 Qmmm wsirden Knaben nnd Ifidchen gomein-
nm miterriditat Es sind wenig melir als ein Viertel der Qndor
(1 326097), die in getrennten Claseen unterrichtet werden, die ttbrigen
drei Viertel (3512160 Kinder) gemeften gemeineamen Untenicht
Die meiaten daaeen mit getrennten Geeeblechtem finden aicli
natOiüdi In den Stidten, 16000, mit fiber 1 MOUon Kinder, so dass
Ar daa Land nur 4000 Claeeea mit ea. 300000 Kindern ttbiig blei-
boi, in denen die Geecblechter getrennt unterrichtet werden. In den
Städten, die znaammen 1% Millionen VolksBchiaer stellen (1508906),
nmfiussen die gemischten Classen etwa efai Drittel derKinderzahl (487 434).
Die Zahl der dassen erreicht nicht gans ein Drittel Anf 7998
Knaben^ und 8189 lOdchenclaBsen zosammen kommen 7161 gemischte
Classra. Besonders aahlreich sind die gemischten Classen in den
stadtiscfaen Schalen Posens, Westfalens nnd Rheinlands, verschwindend
gering In Berlin nnd Schleswig-Holstein. Auf dem Lande um&ssen
die gendsehten Classen ^Vn Kinder; nur in Rheinland und West*
lUen, wo viele stadtähnliche Landgemeinde bestehen, sind in fast einem
Viertel der Landschulen die Qeschlediter getrennt. Dass in anderen
Ländern in dieser Besiehong ganz andere Verhältnisse obwalten, kann
hier nicht weiter ausgeführt werden. Voraussichtlich wird sich die
pädagogische Discussion mit der Frage der Trennung oder Vereinigung
der Geschlechter in den Schulen, in nächster Zeit lebhafter beschäftigen,
wie es schon kürzlich auf dem Frauencongress in Paris und von
Seiten der rheinischen Lehrerschaft geschehen ist. Da die Fragte des
Hädchenunterrichtes überhaupt nach Entscheidung drängt, kann man
an der hier berflhrten Seite des Schulwesens nicht vorübergehen.
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— 96 —
Ebenso ^richtig wie dieTreimaiig oderVereinigiiiig der Geidileeb-
ter ist die GlassengUederitng einer Schule fftr deren Leistmigs^
f&higkeit Zur Zeit der Begolative galt in Preußen die eincUssige
Schule als Normatochide, nnd mit einigem Rechte, denn de mn-
fasste die meisten Lehrer and Schüler. Diese Zeit ist dahin. Zwar
ist auch heute noch mehr als die Hälfte der Schulen elnclassig, von
34016 sind es 17 734. Aber das will nicht viel besagen. Diese
17 734 Schulen sind eben auch nur 17 734 Classen, also noch nicht
ein Viertel der Gesammtheit mit noch weniger Kindern (1 146 701 von
4 838 247). Besonders in den letzten Jahren ist unter den einclassigen
Schulen stark au%eräamt worden. Von 1882 bis 1886 ist ihre Zahl
um 2338 zarOckgegADgen. Sie werden, wo die Zahl der Kinder über
eine gewisse Grenze steigt, in zweiclassige Schulen mit einem Lelirer
verwandelt. Ob dadurch allerdings gi-oße Vortheile gewonnen wer-
den, ist zweifelhaft. Etwas mehr Classen (18 141), aber weniger Kin-
der (1078 4.59) haben die 8845 zweiclassigeii Schulen.*) Aber
nur ein Drittel dieser Schulen verfügt auch tür jede Chissc über eine
Lehrki'aft: in ölou Schulen versorgen 0409 Lehrer 10 818 Classen.
In den 3949 dreiclassigen Schulen mit 833 000 Kindern sind auch
fast zwei Drittel (4S6 772j der Kinder auf halbe Kost gesetzt: in
2682 Schulen versorgen 5364 Tiehrer 8046 Classen, in 72 Schulen ein
Lehrer je drei Classen. Diese imvoUständig vei*sorgten Schulen sind
fast sämmtlich erst seit 1878 geschaften worden. In den vierclassi-
gen Schulen saßen 449 744 Kinder, in deu fünfclassigen 285 282,
in den sechsclassigen 829 823 und in den sieben- und mehr-
classigen 215 225 Kinder. Die sechsclassige Schule ist die
eigentliche preußische Stadtschule, in der die Hälfte aller
städtischen Volkssciiiiler untergebracht ist (724()10). Mehr als sechs
Classen haben nur 262 Stadtschulen mit 194 926 Kindern. Dieses
seltene Vorkuniinen von Volksschulen mit sielten und acht aufsteigen-
den Classen ist bei der gi'oßen Zahl von Groß- und Mittelstädten
höchst merkwürdig und deutet jedenfalls auf eiuen Mangel, der
dringend der Abstellung bedarf. Auf dem Lande sind ein» nnd
zweiclassige Schulen vorwiegend. lu ihnen sitzen zwei Drittel
der Kinder, wahrend von dem ttbrig bleibenden Drittel weitftos der
größte TheQ in dreielasslgen Schulen aitst
Die confessionellen Yerhiltnisse der Volkssehnle haben
in dem Lande, -wo der greise Windhotst in den lange angekündigten
*) IMe üi'zoiclmung ist hier t\hcrall nur na( h ilcn aiif:<tf'igpiulen Cla.Hsett ge-
wählt, ohne KttckBicht daraut, ob Parallelclasseu vorbaadeu sind oder nicht.
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Schulkampf eingetreten ist, ein besonderes Interesse. In der mehr*
erwähnten „Einleitung" tritt die ängstliche Sorg^falt, mit der man in
Preußen fregenwärtig alles behandelt, was Confession heißt, wiederliolt
hervor. In einer Ministerialverfügnng vom 20. Juli 1834 heißt
es: „Auf einzelne Familien, gleichviel, ob katholische oder evangelische,
kann bei einer solchen, die Bedürfnisse des Ganzen umfassenden Ein-
richtung (wie die Volksschule es ist") nicht Rücksicht genoiniiieu,
ihrem besonderen Wole können die (4i nndmaximen, nach welchen das
Volksschulwesen überhaupt gestaltet und verwaltet wird, nicht ge-
opfert werden. Dergleichen Familien verlieren sich entweder durch
Übertritt zu der herrschenden Kirche des Ortes infolge der gemisch-
ten Ehen, oder sie suchen einen anderen Wohnort, wo sicli eine Kirche
und Schule ihres Glaubens findet." So vor 55 Jahren. Demgegen-
über wird von dem Verfasser der ?]inleitung l>etont, dass diese An-
sicht einer strengeren Autfassung gewichen ist. „Die preußische
Schulverwaltuug", heißt es, „ist sich bewusst geworden, dass sie gegen
alle ihr anvertrauten Schulkinder gleiche Pflichten hat." Nach anderen
3[aßna)imen zu urtheilen, sind indessen einzelne Ministei'iah'äthe noch
confessioneller als der Minister selbst.
Das preußische Volksschnlwesen ist im wesentlichen auf
confessioneller Grundlage aufgeführt. Von den 3 063 000 evan-
gelischen Kindern besuchten 2 919 000 Schulen ihrer Confession, 26000
waren in katholischen und 118 000 in paritätischen, bezw. Simultan-
schulen untergebracht. Von den 1 730000 katholischen Kindern be-
suchen 1582 000 Schulen ihrer Confession, 55000 sind in evangeli-
schen und 93000 in paritätischen Schulen untergebracht. Die
35 000 jüdischen und 9500 soust christlichen Schüler kommen kaum
in Betracht. Von den ersteren besuchten 13 000 jüdische, 11000
evangelische, 5000 katholische und 6{HK) paritätische Schulen. Die
23 122 evangelischen Schulen hatten im ganzen: 48 689 Classen, 41 539
Lehrkräfte und 2 993 852 Schüler: die 10 061 katholischen Schulen:
22 672 Classen, 19632 Lehrer und 1613 497 Schiüer.
Die 318 jacUschen Sehnten hatten neben 13249 jüdischen nur —
21 dufstUcfae Schflter. Die 603 paritätischen Scholen hatten: 3282
Classen, 3141 LehikrSfte und 216758 Sehttler. Viele dieser Sehnten
sind nur dem Namen nach paritAtiBch. So werden z. B. 32 Berliner
Oemeindeschnlen mit 568 Gtessen und 31 000 Schttleni als paritätische
adigeflUirt, weil darin 35 jOdische Lehrer und Lehrerinnen Anstellung
geftmden haben, obgleieh im Qbrigen diese Schulen dnrchans evange-
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lische sind und nur von 119 kAthoÜBcheii mid 1300 jftdischeii Schälem
besacht werden.
Die Zahl der paritätischen Schulen hat sich von 1882 bis
1886 um 14 vermindert, obgleich die Mischung der Confessionen in
Preußen stetig zunimmt. Daraus geht hervor, dass die Scliulvei-wal-
tung nicht nur in iliren Denkschnften, sondern auch in der Praxis
auf die cont'essionelle Scheidung der Schulen liinarbeitet. Daneben
wird dort, wo für die confessionellen Minderheiten besondere Schulen
nicht geschaffen werden können, wenigstens für confessionellen
Religionsunterricht gesorgt, entweder durch Anstellung von Lehrern
der Minderheit an den Ortsschulen oder durch sonstige Einrichtungen.
Die Kosten werden von den Gemeinden getragen, so dass der Staat
im Jahre 1888 nur 84 (KX) Mark fiir diesen Zweck verausgabte. Der
Minister v. Gossler scheint nach einer neuerdings ergangenen Ver-
liigung die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ganz den Gemein-
den überlassen zu wollen.
Auffallend ist die Verschiebung in dem Zahlverhältnis der
beiden herrschenden Confessionen in der preußischen Volks-
schule. Es ergibt sich für die katholischen Volksschüler ein bedeu-
tend stärkeres Wachsthum als für die evangelischen. Ohne den Wies-
badener Bezirk, in dessen paritätischen Schalen die Confessionen Mher
nicht ennittelt wurden, und der deswegen hfer ganz «iß«r Betradit
bleibt, haben sich von 1871 bis 1886 die kathoUsdien SchAler nm
nmd 400000 wmelirt, die evangelischen, die 1871 ÜBSt doppelt so
zahlreich waren als die katholischen, in demselben Zdtranme nur um
nmd 500000, die Zunahme betrftgt dort 31,55 hier 20,84 Froc Die
Zahl der katholischen Lehrer ist in derselben Zeit mn 34,56, die der
evangelischen am 25,24 Froc gewadisen. Die Gründe tBEt diese anf-
ftttige Erscheinong liegen nur zum kldnsten TheQe in der etwas
stArkeren Zunahme der katholischen Bevölkerung, der Hjauplgrond ist
die stSrkere Benutzung der Mittel- und höheren Schulen seitens der
evangelischen Bevölkerung, die sich gerade in den letzten Jahrzehn-
ten besonders bemerkbar madit In den öffentlichen JOttdschulen
safien neben 115000 evangelischen weniger als 10000 katholische
Schiller, in den privaten Ifittetochnlen 49000, bezw. 11000. Wahrend
von 100 evangeUsdien SchQlem nur 91 der Vidkasdinle zageAhrt
wurden, begnügten sidi von 100 katholischen SchflÜem 97 mit Yolks-
schnlbildung.
Trotz der starken Vermehrung der katholischen Lehrerschaft ist
in den katholischen Schulen noch heute die unterrichtliche Ver^
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sorgung schlechter als in den evangelischen. Während in den
letzteren jeder Lehrer durchschnittlich 72 Kinder unterrichtet und
auf jede Classe 61 Kinder kommen, sind es in den katholischen
Schulen 82, bezw. 71. Das ist ein Unterschied von 10, bezw. 11
Schülern, der sich sicher bemerkbar macht. Die paritiltischen Sclnilen
stehen mit 69 Kindern auf die Lehrkraft und 66 auf die ('lasse in
der Mitte zwischen beiden. Die katholische Bevitlkerung hat früher,
als die Schule fast ganz von den Gemeinden unterhalten wurde, auf-
fallend wenig für ihre Schulen ^?ethan, das geht besonders aus den
früheren G^haltsnachweisungen hervor, die gleichfalbs nach den Con-
fessionen getrennt sind. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass
die katholische Bevölkerung bei der Aufnahme von 1871 in der Schul-
bildung ganz auffallend zurückstand. Von den über zehn Jahre alten
Personen konnten nicht lesen und .schreiben: bei den Evangelischen
6,6 Proc. der männlichen und 11,37 Proc. der weiblichen Bevölkerung,
bei den Katholiken 15,16 Proc. der männlichen und 21,81 Proc, der
weiblichen Bevölkerung. Das sind die Quittungen auf Schulerspamisse.
Von geringerer Bedeutung als in manchen anderen Ländeni, aber
immerhin von merklichem Einflüsse sind die sprachlichen Verhält-
nisse in einzelnen Teilen des Staates. In sämmtlichen Volks- und
Mittelschulen bedienten sich nur 87,10 Proc. der Kinder ausschließ-
lich des Deutschen als Familiensprache, in den öffentlichen Volks-
Bchnlen nur 86,58 Proc. (4 188 857 Kinder). Ton den Übrigen spra-
elMR fa. te IPmSÜB nur polniach 10,35 Proc. (500315 Kinder), pol-
mseli vaA dentseh 1,46 Ftoc (70868 EiBder), nur litaidsdi 0,26 Free.
(12 752 Kmdfir), littuiBeli und deatBch 0,17 (8372 Kinder), ntur dfiniidi
0,5a FMc (24068 Kinder). Die flbrigen fremdspraeUiehen Bestand-
tliefle der SchnlbevOlkernng sind nnwesentiich. Immerhin aber mnss
die prenSisdie üntenichtsyerwaltong damit rechnen, dass ihr 660000
Kinder anvertrant sind, denen die denteche Sprache ans der Familie
gar nicht oder nnr irenig bekannt ist
Von den Sehnlkindem geht die Statistik an den Lehrerstellen
nnd Lehrkräften ftber.
Fttr die 4888247 Kinder waren Torhanden 64760 Stellen für
Tollbesehftftigte Lehrkräfte nnd 1183 Stellen flkr Hilfslehrkrtfte.
Als Tollbesehftftigte Lehrkrifte sind nntersebiedslos alle Lehrer an-
gesehen, veldie den SchnhUenst als Hauptamt ttben, gleichTid. ob sie
dies als Bectoren, HaiQ»tlehrer, Oberlehrer, Klassenlehrer, Hüfelehrer,
Lehrergehilfen, Acynvanten thnn. Die »Hilfelehrkr&fte" sind also
nidit eigentliche HiUhlehrer, sondern Lehrkräfte, die fttr den tech-
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— 100 —
Iiischeu oder den Religionsunterricht angenommen worden sind. Un-
besetzt waren 1886 nur 400 Stelleu. Mit einem kirchlichen
Amte war fast ein Viertel der Stellen v erbunden: 12 412 evange-
lische, 3338 katholisclie und 197 jüdische, in Summa 15 947 Stellen
Eine Trennung \on Kirch- und Scäuldienst würde also von tief ein-
schneidender Bedeutung sein.
Von den voUbe!sciiättigt(?n Lelirki iiften waren 57 902 Lehrer und
6848 Lehrerinnen. Die Zabl der weiblichen Lehrkräfte erreicht
also nur 10,6 Proc, ist aber in den letzten Jaliren sehr bemerklich
gestiegen. Weniger unerheblich erscheint indessen die Zahl der Lehre-
rinnen, wenn man sie zur Zahl der Mädchenclassen in Beziehung setzt.
Dann stehen den 10 297 Mädchenclassen t)848 weibliche Lehrkräfte
gegenüber. Nun ist aber eine große Zahl von Lehrerinnen in ge-
mischten Classen thätig, so dass sich für die Mädchenclassen in Wirk-
lichkeit ein anderes Verhältnis der männlichen und weiblichen Lehr-
kräfte herausstellt. Von den 6848 Lehrerinnen sind 4097 in den
Städten angestellt, und hier erreicht ihre Zahl in Berlin (1814 Lehrer,
850 Lehrerinnen), Westfalen (1216 Lehrer, 521 Lehrerinnen) und Rhein-
knd (2916 Lehrer, 1268 Lehrerinnen) fast ein Drittel der G^esammtheit.
Auf dem Lande kommt die Zabl der Lehreriimen nur in Wefit-
fiden (2526 Lehrer, 685 Lebrerimieii) und Rhefitlimd (4833 Lelurer,
1587 Lehreriimeii) in Betraeht Ja alm anderen Provinzen waxen
soflammen nnr 479 Landlehrerinnen vorhanden (in Pommern 3, in
Posen 5). Anch die atädtiachen Lehrerinnen aind im Osten des Staates
irenig eahlreich nnd hier fSuit nur in den grOBeren Städten thAtig^.
So hatten Osl^nßen 134, WestpreoBen 128, Brandenburg 152, Pom-
mern 116, Posen 31 stAdtische YolksschnUehrerinnen. Damit ist aller-
dings der Einflnss der weiblichen LehrkrSüte auf die Sehnlen noch
nicht völlig bezeichnet, denn nicht mit einbegrifton sind die Hand-
arbeitslehrerinnen, deren es in Stadt nnd Land zusammen 84270
gab, von denen aber nur 5496 fBr ihr Fach geprüft ▼aren.
Von größter Bedentnng Ar die Leistongsttbigkeit einer Schule
ist das Zahlverhältnis von Lehrern nnd Schülern. In dieser
Bezidhnng weist die prenlUsche Volkssehnle weder in der Yergangen-
heit noch gegenwärtig sehr glänzende Zustände waL Während bei-
spielsweise in den französischen Volksschulen auf jede Lehrkraft nui-
43 Schüler kommen und in den preußischen Mittelschulen je 33, steht
der preußischen Volksschule erst fQr 75 Schüler eine Lehrkraft zur
Verfügung. Die preußische Unterrichtsverwaltung hat ihre Lehrkräfte
Ton jeher stark angespannt, aber in der ältesten Zeit, ans der
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— 101 —
gtatiBtisehe Nachrichten vorliegen, weniger als beate. Eis kamen auf
einenLehrer im Jahre: 1822: 64Schftler, von 1834— 1867 80,81,auch 79.
In den für die preußische Volksschule so wichtigen siebziger Jahnen priiig
diese Zalil auf 75 (1871) und auf 72 herab (1879, 1882), um in den letz-
ten Jahren wiederum auf 75, in den Landschulen auf 79 zu steigen; in
den Städten von 62 (1879) auf 64 (1882) und 67 (1886). ErträgUck
ist das Zahlenverhältnis von Lehrern und Schülern nor in Berlin, wo
auf eine Lehrkraft 56 Schüler kommen. Der Rückjrang von 1882
bis 1886 ist in einzelnen Bezirken ein ganz beispielloser, und es
kommen dabei Einzelzittern zu Tage, die man im Lande der Schulen
nicht vermuthet Es ist keine vereinzelte Krscheinung, dass ein Lehrer
250 oder zwei Lehrer nahe an 4r)0 Kinder unterrichten. Die in
Preußen erscheinenden Lehrei*zeitungen haben lan^re Ivcihen flerarti<rer
Zahlen veröftentlicht, die indessen fiii* \iele liCser des „Pji dago^iuras"
ohne Interesse sein möchten. Ganze Kreise haben im Durchschnitt
erst für je 130 — 140 Kinder einen Lehrer,
Um derartige Schülerniassen mit Untei rieht zu versorgen, musste
zu Schuleinrichtiingen gegriften werden, die seit einiger Zeit von
Seiten der preußisclien Schulverwaltung zwar als normale bezeichnet
werden, nach sonstigen Begrißen von Schulunterricht es aber nicht
sind. Die Schulen, in denen ein Lehrer zwei Classen oder zwei
Lehrer drei Classen unterrichten, werden von Jahr zu Jahr vermehrt,
und an mehrclassigen Schulen wird das Fehlen einer oder mehrerer
Lehrkräfte zur Kegel, t'berlastung der Lehrkräfte einerseits
und verkürzte Unterrichtszeit und sonstij^e unzureichende unter-
richtliche Versorgung anderseits sind die Folgen dieses Zustandes.
Die Zahl der preußischen Volksschüler ist von 1882 bis 1886 von
4 339 729 auf 4 838247, also nm 498 518 gestiegen. Der Zuwachs
an Lehrkräften beträgt 4833, Schnlclassen sind 9129 nen errichtet.
Es vnrde also für je zwd Classen bezw. 103 Kinder eine Lehrkraft
nen eingestellt Den 75097 Schnlclassen stehen denn auch 1886 nar
64 760 Lehrkräfte gegenüber, so dass 10347 Lehrkrtfte <»rdnnngs-
m&6ig fehlten, mit Hinsnrechniuig der 460 unbesetzten Stellen 10807.
Besonders anfßUlig ist die Vennebning der zweiclassigen Schnlen mit
einem und der dreiclasaigen mit zwei Lehremi die bis 1878 kaum
in Betracht kamen, 1882 aber schon 682543 Kinder in 11 619 Classen
und 1886 gar 1058246 Kinder in 18864 Classen unterrichtlich vei^
soigten. Auch in den vier- und mehrclassigen Schulen fehlten 1886
2087 Lehrer, in den betrefEsuden Landschulen Schlesieas waren z. B.
Ar 2026 Classen nur 1402 Lehrer voriianden.
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— 102 —
••••.*-*.
"Trotzdem also fiir 10807 Classen keine besondere Lehrkraft vor-
handen war, oder was dasselbe ist, 700 000 Kinder in ihren Classen
von den Lelirern anderer Classen mit unterrichtet wurden, stiege die
Classenfrequenz in vielen Bezirken. Als überfüllt g-ilt eine preußische
Volksschulclasse erst dann, wenn sie in mehrclassigen Schulen über
70 und in einclassigen Uber 80 Schüler hat. alle anderen Classen wer-
den als „normale" bezeichnet, wobei es aber gar nicht in Frage
kommt, ob auch für jede Classe ein Lehrer vorlianden ist, so dass
beispielsweise eine zweiclassige Schule mit 140 Kindern und einem
Lehrer zu den normalen zählt. Nach dieser "Statistik saßen von den
4 838 247 Schulkindern in normal besetzten Classen 2 ()04 874 = 54
Proc. und in überfüllten Classen 2 233 373 Kinder = 46 Proc.
Gegen 1882 hat sich das procentuale Verhältnis um 1 Proc. gebesseit,
trotzdem saßen 1886 170000 Kinder mehr in übertüllten Classen als
1882. Die scheinbare Besserung ist herbeigeführt durch Errichtung
von ca. 4400 Classen ohne Lehrer. In einzelnen Bezirken sinkt die
Zahl der „normal" beschulten Kinder auf 11 Procent (Münster j, und
selbst in Berlin, das in dieser Beziehung weit über den Provinzen
steht, atsen nocb 14000 Kinder in Classen mit über 70 Schülern,
iras aber weniger ins Gewicht ftüt, da hier wenigstens jede Classe
einen Lehrer hat Im ganzen ergeben sieh in den Schalen mit über-
Allten Classen:
19 210 Classen mit je 81-100 bezw. 71—90 Kindern
5735 „ „ „ 101 — 150 „ 91—120 „
590 „ ^ „ über 150 „ über 120 „
(Die zuerst angegebenen Zahlen gelten für einclassigei die leisten
IQr mehrdassige Schnlen.)
Oder es saften:
154()3ti6 Kinder in Classen mit 81 — KK), bezw. 71 -{»O Schüleni
tKX)504 n n n n 101 — 150 „ 91—120 „
86 503 „ „ ^ über 150 „ über 120 ,
2 233 373 Kinder in überfüllten Classen.
Dadurch ist eine so namhafte Mehihelastang der LehrkrSfte ent-
standen, dass diese entweder Übergroßen Anstrengnngen ansgesetit
sind, oder eine unzureichende untenichtUche Versorgnng sich ergibt,
in der Begei wol beides zugleich.
Wenn wir nun die materielle Fürsorge für die preußische
Volksschale ins Auge üAssen, so ergeben sieh auch dort siemlich
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träbe Bilder. Die Unterhaltung der Volksschule geschieht im wesent-
lichen durch Mittel, die direct für cUesen Zweck aufgebracht werden.
An Schal- und Stiftungsver mögen waren (als Landdotation, Be-
rechtigungen, Capitalzinsen, Geld- und Naturairenten) nur 7 323 641
Mark vorhanden, ein Betrag, der bei 75 245 144 Mark persönlichen
und 41 370 504 Mark sachlichen Scbalimterhaltangskosteii kaum ins
Gewicht föUt.
Das Verhältnis der persönlichen und sachlichen Schul-
unterhaltungskosten hat sich, wie schon oben anj^edeutet ist, sehr
zu Ungunsten der persönlichen Kosten verschoben. Wälirend die per-
sönlichen Kosten 1861 noch 75,22 Proc. der Gesammtausgaben be-
trugen, sanken sie 1886 im Durclischnitt auf 62,51 Proc, in einzel-
nen Landest heilen unter 57 Proc, wodurch schon der ungeheure Rück-
gang in der Besoldung der preußischen Volksschullehrer während der
letzten Jahre angedeutet ist.
Das durchschnittlicheGesammteinkoramen eines preußischen
Volksschullehrei*s einschließlich der persönlichen und der staatlichen
Dienstalterszulageu betrug 1886 1067 Mark gegen 1102 Mark im
Jahre 1878. In den Städten ging das Diirchschnittsgehalt von 1878
bis 1886 von 1414 auf 1279 Mark herunter, in einzelnen Bezirken
um mehr als 300 Mark. Auf dem Lande war die Verschlechterung
minder fühlbar, obgleich auch hier viele Stellen erheblich heiiinter
gesetzt \sTirden. Eine Kürzung des Eiukummens, wie sie die
städtischen Lehrer in den bezeichneten acht Jahren erfahren haben,
steht selbst in der preußischen Schulgeschichte einzig da. In sieben
Provinzen (Ost- und Westpreußen, Posen, Pommern, Brandenburg,
Sachsen und Hessen-Nassau) wurde die Zahl der Lehrkräfte um 600
yennehrt, trotasdem aber die Ausgabe ftr Geluvter um 8S4000 Mark
geUrzt, während mehr als diese Snmme hätte neu aufgewandt wer-
den mttssen. In sftmmtlichenBroyinzeii hatte man billigere Lehrkräfte
gesucht Ganz abgesehen von den genannten Provinzen, in denen die
Gehaltssmiime nm Hnnderttansende Termindert wnrde, zahlte Berlin
Ar Jede neue Stelle 1218 Mark (Dnrchschnittsgehalt 1878: 1998 Mark),
Schlesien 680, Westfiaen 966, Rheinland 1143, Schleswig-Holstein
1292 snd Hannover 281 Mark.
Solche Zahlen sind nicht geeignet, die Hoffiiongen der Volks-
sdmllehrerschaft zn beleben. Zehntaasende darben bei einem Gehalte,
das den Anforderungen nnd der Bedentang ihres Amtes nicht ent-
qaicht, wenn es ihnen nicht gelingt, dorch private Arbeit sich ein
besseres Los zu yerschalfen.
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— 104
Auf das öflFentliche Mittelscliulwesen, das gegenwärtig in einem
erfreulichen Aufscliwunge begriffen ist, und die Privatschulen, die von
Jahr zu Jahr mehr zurückgehen, kann hier nicht ein^egang-en wei den.
Soll die preußische Volksschule ihren alten Euhm behalten und
neuen gewinnen, so wird eine zweite Ära Falk nüthi^r sein, von deren
friscliem Geiste noch heute die Lehrerschaft zehrt und nach deren
Verheißungen sie wie nach einem verschwundenen Märchenlande zu-
räckschaut
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Skixxen aus der deutschen Jugendliteratur,
Von Ludwig Oi^rtngSürtiherg.
„■tWM weniger, V^and, LtobttlnftoBl 8» «Infe i«
beliebt swar
Weniger, weil Ja eo aehr Tbekla K^fallen und Mn:
Eina doeh find' icb xa atarli, daaa aelbat iia kigaW
•tofta Jniurfrsii
Mbah Ii«!! wlidrtYtoalithar aekndl, in daa
FUtan. (Epigrana Mf SiMlkr.J
I. Weibliche Federn.
och ehe die RedactionBSt üben nnserer bflletristischen Zeitschriften mit
den Manuscripten weiblicher Vci fassei innen überschwemmt waren und auf eine
Novelle eines Mamies fiiiifeinhalb Novelleu des zarten (Jeschlechtes kamen,
erfkMte ddi raiere Jngendlitemtir berdtB dei tehmeielienMfteBteii Znhnift
■dulftstellemder Damen. Wenn mich nicht du Papier reate, würde ich
rasch einige Dutzend aufzählen; allein man wird anch ohne ZifTemnachweise
meiner bisher ungetrübten Statistiker -Ehrenhaftigkeit vertrauen, nmsomehr,
als ich sogleich die Gründe des Zndiangs anführen werde. Seit altemher
heatebt bei dem weiblichen OeMsUedit die Annahme, fBr Eniehnngsgeschälte
wire es wie gesebaffen, Tentttiide sie mindestens besser als die Minner. Was
spedeU die Jugendliteratur solange, so sei eiwleseit, dass deren üranfönge
— das mündliche Erzählen — von Frauen auspreHbt wurden, wie schon der
Name „Märchentante** bekunde. Es sei auch kein Grund vorhanden, wanim
es mit dem schriftlichen Erzählen anders za halten sei. Femer wird auf jener
Seite bebanptet» die Fkanen bitten sncb ran Schreiben einen natflrlichen Be-
mf, was kein Mensch bestreiten könne etc. etc. Gestützt auf diese Argu-
mente, beginnen sie nun tapfer darauf loszuschreibni : die alte Schulraamsell,
weil sie an und für sich im Erziehnngsfach arbeitet, desgleichen die Gonver-
nante nnd Privaterzieherin, — die feine Dame, weil sie für ihr Leben gern
schreibt nnd sich noch Ueber gedrtekt sihe, — die andere Dame, weil es ihr
die bereits schriftstellenider Freundin empfohlen, — die dritte Dame ans Noth,
— die vierte Dame, um hinter dem Bücken des Mannes einige Thaler zu ver-
dienen und damit ein neues Kleid zu kaufen, die fünfte Dame, um ilire Er-
fahrungen loszukriegen, — die sechste, siebente und achte Dame, weil ihre
Bomane, Gedidite nnd Märchen für Erwachsene za schlecht waren und stets
'VW den Bedaotenren die sie tbrigrens gar nieht m würdigen wnssten —
zurückgesandt wurden. Und obgleich die eine Hälfte ffii lie Mutterschaft
überhaupt verloren blieb und von der übrigen Hälfte nachp-ewiesen wird, dass
just Poetinnen und Kinderschriftenverfasserinnen die schlechtesten Hausmütter
waren, weil sie über dem Tiutenfass das Salzfase nnd Uber den gescheiten
Digitizeü by Liüögle '
~ 106 —
und i^pscheitelten Kindern ihres Geistes die uogescheitelten ihres Leibes ver-
gaßen, trotzdem erröthen sie nicht, wenn sie von ilirer Hlaustruinpforei als von
einem Evangeliom reden. Wir — das i'ublicum — haben uns mit der Zeit
ttbemden lassen, es mflsste so sein, nnd vns an die Enengnisse der welbUehen
Muse gewöhnt, wie der Imker an das Bienengift: — es sehalElt ans fBrder
keine Beschwerden. Wem aber trotzdem einmal eine Frauenfeder unangenehm
werden sollte nnd er äußert nach dieser Richtung seine Meinmio". den heißt
Herr Dietrich Thedeu einen büsen Krittler. Ich weiß nun allerdings nicht,
WM Herrn llieden dam TemnlaaBly die Bolle jenes Btttars von La Hanelui m
spielen nnd für den Sehnt« der Uterarisohen Damen eine Lanze einsnlefoi,
aber er hat es üi dun Artikel der Bheinischen Blätter vom Jahre 1881 ge-
than, in dem er auf so schauerliche Weise das Loli der Frau Clara Cron —
oder wie sie eigentlich heilit: Frau A. Weise — al.s der bedeutendsten Jugend-
schrittstellerin singt. Diese Privatmeinung des Herrn Theden soll mich nicht
▼eriiindeni, die „bedentendste" Jngradsehriftstellerin in Gemeinschaft mit tiner
Bwelteik nbedentendsten" — die ftbrigen gehen gesdienkt darein — etwas
anznzapfen.
Frau (Km begann um das.lalir I8HU ihre schriftstellerische Thätigkeit mit
einem Koiuau iu Brieten, den sie „Mädcheulebeu" nannte imd mit einem Vor-
wort sammt einer Widmung einflUirte. Daa Vorwort war sdiHcht: ,Es ist
von Eltern nnd Erriefaerinnen hAnllg «nagesproehea worden, daaa es onssivr
Literatur an Werken fehlt, welche ganz jungen Mädchen neben ansprechen-
der, crefahrloser Haltung Hath und Fingerzeig für das praktische Leben und
Vorbild guten Stils gewähren könnten. Das vorliegende Werk mochte diesem
Wunsch begegnen Die Widmung dagegen hei etwas schwulstig ans;
sie war ein Sonett, and Sonette fertigt man, wenn einem nicht viel einftllt
nnd man gleichwol dichten möchte.
„Euch, denen noch im zauberi«-hen Lenae,
Im ersten Jugeodglanz das Leben bläht!
Euch, deren Auge von der Kindheit Grenae
Mit Staiiuen in ein rcii in > Ii.iscin sieht, —
Wo ttberali wie Blumendutt und Kränze
Durch alles sich ein Hnvob des Olllckes zieht.
Gefesselt durch der (Irnzit n holde Tiinze,
Doch nur xu schnell der Hören Schar entflieht, —
EucIl denen selbst der hohe Ernst des Lebens, —
Der Schmerz, d. m krine onlfjoborne Brust
Entcelien kann, mit bittersüßer Lust
Das jonge Hefa erfüllt, — euch weih' ich, mebes Strebens
Und t'roimiior Absicht leise mir bewusst,
l>ii> klt iiif Buch. <> li st e^ uidit veri^ebensl"
Auf dies „kleine Buch" folgten ein etwas dickeres, ein Kornau par excellence,
und dann noch — von den Schriften tür Erwachsene ubgeäthen, 2H andere,
mehr oder minder beleibte toU „Grasten holder TUnze" nnd „bittenttBerLnst**.
Diese Fmchtborkeit ist umso erstaunlicher, als das VMertelhundert Bücher so
ziemlich von einem eirizie:i n Gedanken herrührt, den Frau Clara Cron einmal
neu zu einer Krzihlung /.ngcschnitten und dann 24 uml abgeändert, aus-
gebügelt uud wieder zusammengefültelt , gewendet, gestürzt und wieder ge-
wendet hat. Die Heldin der Erzählung ist ein MSdoheD um die sechsehn; sie
steht an Anfang der Enählnng noch mit einem Fii6 im BackflschaJter vnd nrnßg*
Digilizea by LiOOgle
— 107 —
licht dadurch der \'erfa88erin die Schilderung dieser lieblichen Zeit, in welcher
der Himmel voller Geigen hängt. Mit dem zweiten baumelt sie — d. h. die
Heldin — bereite iibei- der Braatschaft^ in welche sie am ächiusse des Baches
lliAtlikfedleh eintritt. Der Held» ein AnalHind vtm Kraft, MaA, SMdielt,
Weiaheit, Tugend, tfichtig im Reiten, Faliren, Sdiwimmen, Fedkten und den
Kiinsten der Salonplanderei, Dichter und Ciavierspieler, führt sich gerne als
Retter ein; er zieht die Heldin unter dem Schlitten hervor (..Drei Kränze"),
oder ans dem Wasser („Mädchenieben"), oder rettet sie ans den Klanen einer
boshaften Tante („Fannys Schicksale") etc. Danach beginnt das Schw&rmen,
das Oediehtemachen, daa Tansrergnflgen, das waelieMamen im Bett ( — die
Vorb&nge sind ans weißer Seide nnd roth gefüttert — ), der Znsammenstofi
mit einem Nebenbuhler nnd die Bearbeitnng des Herrn Papa. In den meisten
Füllen gelingt der Anschlag; da aber eine ehrsame deutsche Jungfrau von
etlichen 16 Jahren zuweilen auch gerührt sein will, hat Frau Cron einen
«weiten tragiachen Ausgang eraonnen: die Heldin — oder der Held — atirbt.
Und 80 habe ioh'a erlebt, daaa ich einmal ein gansee Endel junger Damen —
in der Ennstsprache heißt man es „Kränzchen" — fand, in Thi^nen schwimmend
nnd schluchzend, dass es der Bock stieß: es hatte die letzten Capitel der „Drei
Kränze" gelesen! ich suchte die Armen mit dem Hinweis zu trc»8ten, dass es
immerhin im Bach zwei Hochzeiten abgesetzt, aber es gelang mir damit nur
halb, nnd daa aneh nur dann, ala ieh hinzofflgte, allem Anaeheine nach ent-
wickeln sich als Ersatz «wei neue Liebesverhältnisse, was die Autorin nur
leise andeuten konnte. Denn Clara Cron liisst ßicli nie an einer Lieb.schaft
genügen. Die HeMiii besitzt gt wöhnlicli einen Hruder oder Vetter, der drinnen
in der Stadt studirt oder sich zum Künstler vorbereitet, jetzt schon eine Zierde
der Wissenschaft nnd Knnst ist nnd Aber ein sehr zartes, Uebebedflrftigea
Gem&th verfSgt. Dieser Bruder oder Vetter verliebt sich bei bester Oelegen-
heit in die Herzens- (sprich Pensions-) Freundin der Heldin, die ebenso selbst-
verstündlich ihn liebt und bereits Gedichte auf ihn verübt hat. Weil Weiß
noch weißer ist, wenn es neben Schwarz steht, werden die jungen Mädchen
aberdiea noch in swei bis vier „unglttckliche Lieben" eingeweiht, am ßS»
gUddlchen Ueben nm so begehrenawerter za madien.
IMt 25 Geschichten für jnnge Mädchen haben übrigens das Schöne,
dass man sich fortwährend in sehr gewählter Gesellschaft bewet^^t. Man läntt
nnr über Teppiche hinweg, speist aus Silber, natürlich in gruüt i Toilette und
zu später Stunde, empfängt und erwidert Besuche von Freiherren, Baioueu
nnd aonstigen edlen Meosehen — wer von BBrgerlichen bei Fran Cron eine
Holle spielen will, mnss mindeatena Gommerdenrat sein oder sein Geld zn
hohem Zinsfuß ausstehen haben, aasgenomroen die jeweiligen Helden, welche
dafür dichten, singen, die Violine streichen oder das Ciavier kneifen uiul durcli
philosophische Apercus den Mangel an blauem Blut oder gelbem Mammon
retchlieh eraetien. Als Gegenstack za dieser glänzenden Deeoration finden
sieh einige alte leUtoae HSbel oben in den B^lceratttboliei nnd dazwischen die
entsprechenden lebendigen, — Ammen, Haushälterinnen nnd Diener von viel
Falten und noch mehr Herzensgfite, an welchen die Helden ihrerseits ihr weiches
Herz zeigen können. Ab und zu trifl't man auch etliche arme Teuft l die be-
schenkt werden, damit der gerührte Leser sieht, wie leicht man mit seines
Yate» Geld wolthAtig sein kann.
8»
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— 108 —
Wir macheu aus zu besserer Orieutiroug folgendes Schema:
Titel
des
Bnehes ete.
„Mideheiilebep
EinTagebuch.-
2ö3 Seiten.
Personen.
Stand.
Li
VerUebt
in
1. Ägatiic V. Heldin und
Beltheim. OberbQrger-
meisters-
tochter.
J. Julius V. ( )nkcl und
\ iirustedt. Aj>seasor.
a Wflliein.
4. Marie,
ö. fient-
6. V. Bent-
helm.
7. Sidonie
Hen.
8. V. Aniercrn.
9. Dienstbo-
ten etc., so-
genannte
Freund innrr
I
Gymnasiast
und ansehen-
der Dichter.
Tante.
Papa und
OlMnUrger-
meistcr.
M^*^"**- und
SdiwesterBii
No. 2.
fiaakiers-
toehter nad
Jfldin.
Identenant.
No. 8.
No. 1.
No. 1.
Xo. 5 u. 8.
No. 8.
No. 7 n. 4.
Ver-
heiratet
mit
No. 8.
No. 1.
K(
\o. 8.
No. 6 (cum
maloi.
No. ö.
einem Am-
efduM
Juden.
No. 4.
I
Hat ein gntes
Herz und sonst
nichts zu thun.
Edler Mensch ;
schöne Augen
und verräth
sicli (Itirch ein
sonores Agathe.
Menaeh.
Edle Seele, Engel.
Edier Uenach.
Keine UauahiU-
terln.
Liebt unglttclc-
lich iaMffi
einer Art Ana«
semitiamus.
Edler Ifeueh.
Ihtrignaaten.
wM^iakneng
388 Seiten.
1. Magda-
2. Qoorg von
Düren.
.S. Dora v.
Tracht.
4. Augart.
5. Hugo V.
Tracht.
6. Erich V.
Tracht.
7. Roea
Düren.
8. Hoibaaoh.
^ Heidin uud
I Endeheiin
undnpferdes
.\delstolzes.
HeldjLieut^
nant u. D.,
Gutsbesitser
undOpferdes
Adelstolzes.
Gutsbesitzers-
tochter.
Volontlr.
Otttaherr.
Diplomat.
So. 2.
No. 1.
No.4 U.5.
No. 8.
No. a
No. 7.
Schwestervon I No. 6.
No. 2. I
Fabrikhenr. | No. 1.
DichteU
No. 6.
No. 8.
No. 7.
Kommt zur Be*
Binnung.
SdnHndler.
Plnmp.
Entblasirt, w]fd
durch die Liebe
geheilt.
No. 6.
— tut bttigeriieiL
Digitizeü by Cjüügle
— 109 —
Titel
des
Baches etc.
Penonen.
stand.
Verliebt
in
Ver-
heiratet
mit
Sonstig«
Kennzeichen.
„MagdaleaeuH
i). Elise Wal-
Ml
PHanren-
toelUttr
veischie-
dene.
Stadt-
pfarrer
Putsdame.
382 Seiten.
und
Kokette.
10. Anna
PCftnen-
einen Apo-
wird sitBen
Werner.
todlter.
tlieker.
„Die
1. Magda-
Ente Heldin
in Georg
No. 7.
BeeoniMB.
tichweatern."
lena.
und Vor-
' V. Düren;
297 Seiten.
steherin dSB
temer
vftterlichen
nausnaiTB.
8. Wally.
Schwester i.
No. 3.
No. 3.
Bdia Seele.
zweite ueifliB.
a IT TWIKAm
o. tttlmUtcTg.
ilcCvOr uuu
IMarrver-
weser. iield.
rio. 1.
HO. 8.
Jfiuie ooeie.
4. Selma
Kauftnannt-
No. 7.
No. 7.
Stirbt mrrediteB
V ogcl.
tochter.
Zeit
5. Aureiia
Kaufmanns-
einen
—
TogeL
toehter.
niehtBw1ir>
digen
•Lieutenant.
0. Hobnsch.
FabriUierr.
No. h
Ertrinkt mr
rechten Zeit.
7. Phil. ,
Asaessur und
No. 1.
Nu. 4 u. 1.
Liebt ein ruhiges
Aoakommen.
Rfldiger. 1
FrenndVarn-j
Sr;r>* ijdz'. r.
ClukI. tlicol.
No. 1.
Suiiiiiia
S4 Penonen.
2i) Lieb-
10 Heira- 1
882 Seiten.
sohaften.
ten and
10 „un- 1
glückliche
Lieben".
1
1
Das ist stark. — sonst aber fast nichts, und das ist stärker.
Und weil wir gerade bei Liehestabellen sind, gebe ich zwei weitere
Skelette zum besten, welche Frau Clementine Beyrich (Ps. Clemeutine Helm)
iBit 0«ieliiGhten l&r jnnge Mftdohen umkleidet. Fnn l^jridli wird vwi Umn
PartelgftQgem ebenfalls als die bedeutendste JagendBohriftateUerin ge-
priesen, niid wir atänden aomit einatweüen — Oott eei'a geklagt — vor einem
Dilemma.
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— 110 —
Titel
des
Bncliet etc.
JBukäack-
wm Leiden
vsd Freuden."
a862.) Etwa
300 Seiten.
Pefsoneii.
Stand.
1. Greteben. Gatsbesitzers-
! tochter und
erste Heldin
i3eamteutoch-
2. Eugenia.
18.
4. Baron y.
Senft.
tec nnd
iwdta Heldin.
Erster Hdd.
(rutsherr nnd
zweiter Held.
Vorliebt
in
No. a
^o. 4.
Ver-
heiratet
mit
Sonstige
Kcnuzeicben.
5. Marie Schwegter
Hausmann, j No. 3.
6. Sdiwnn- 1 Pfiurer.
No. 1.
No. 6,
No.
1
No. 3.
No. 4.
No. 1.
No. 8.
No. 6.
No. 6.
TTinnn
Ist das „Baok-
fischcben" und
erzählt selbst.
Sehr couragirt;
Instiice Person;
edlr Seele : liei-
fatct zuerst
und bekommt
nach 1 Jahr
einen Sohn.
Tolpatsch und
guter Musiker;
edle Sede.
Werden auf
dem letalen
Blatt verlobt
Ctr.
JLilly'B
Jagend."
(1870.)
300 Seiten.
1. Lilly.
8. Adele
Stiel tochter
Ton No. 9,
Toclitor von
No. 10 und
ante Imidin.
Stieftochter
von No. 10,
Tochter von
No. i> und
zweite Heldin.
Vetter nnd
erster Held.
No. 8.
No. H. Erz&hlt selbst.
No. 8.
3. Waldemar.
4. Sidonir v. Waise und
Bodenhausüu. dritte Heldin.
5. Di. Fr.
Waldan.
6. Tante
Ifaddeine.
7. X.
No, 1.
No. &.
üistitnl»- No. 4.
lehrer und ;
zweiter Held.
Illi>titUt8- No. 7.
vonteherin.
Ktntigam.
No. 6.
No. 2, dann
No. 1.
No. 6.
EngeL
No. 4.
Heiratet Adrle
uub iJaukbar-
keit
Pic luPtifje Per-
son; edle Seele;
▼ertheUt die
Spitznamen ;
heiratet zuerst
nnd bekonimt
nach 1 .fahr
einen Sohn.
Edle Seele.
Engel ; begün-
stigt die Stell-
dichein zwischen
No. 4 und 5.
Wolthätig; starb
(Iber der Ret-
tung eines Kin-
dee.
Digilizea by LiOOgle
— III —
Titel
Buche» etc.
Penmcn.
Stand.
Verliebt
in
Ver-
keimtet
mit
Sonstige
Kennieiden.
„LilJj's
Jugend".
(1870.)
300 Seiten.
-
6. LuiiM
9.
Eisieherin.
Vnter nnd
roicher Mann,
Witwer.
*
No. 10.
Wird sitzen
gclMBen.
No. lOfwim
zwcitcn-
male).
Verbrennt nachts
das Kleid, worin
sie sich verlobt
hat.
10.
Matter, eist
«nue fmn,
Witwe.
Xo. ü.
No. U (zum
sweitBtt>
male).
— •
ll.Mr.U<i.lu'
Arat.
No. 1.
Summa
6Ü0 Seiten.
16 Penmien.
;» Liob-
schaften.
1
7 HoinitL'U,
2 unglück-
liclu> Lie-
ben, ver-
schiedene
KOrbe.
Auch das genügt. Denn auch bei Clementine Helm, die nm dieselbe Zeit wie
Kran ('rnn zu Bchriftstellern begonnen und es seit HO .Tahrrn chorifalls auf
ein \ ierteihnndert eigener Büclier und drei Bearbeitungen französischer
Jogenderzfthlungen gebracht hat, — auch bei ihr Iftnft alles auf zwei Zapfen:
«nt ist die Heldin Kind — ndetst Braut. Audi de tlmt es nicht leieht nnter
zwei Heiraten und ebensoviel nnglflcklichen Liebschaften: ihre Mftnner sind
Engel voll Pose und satten Stimmenklangs, falls ßie die Helden, unbedeutend
und verschwoninien. wenn sie nicht in der Lage sind, am Schlns.se des Buches
Ehemann zu werden. Die Decoration zeigt den gleichen Wolstand au; die
liMge Belle<eeetnDg dieselben Lieutenants mit schnarrender Stimme, dem
Monocle und der Begier nach Goldfischen; die Instigen Pfarrerst0chter ans der
Stadt, die klatschm.luligen Freundinnen vom Kaffeekränzchen, Anna Gebhardt,
Emma v. Trebnitz, Karoline .Schmidt, Elsa Goldsclimitt etc. etc., die nichts
anderes zu denken haben, als möglichst rasch einen Mann zu kriegen; einen
Biedermann Toa Vater, der meist die Frau verloren; eine Sammlung Engel in
Gestalt von Tanten oder InstÜntslehrerinnen, die einmal nnglttcUich, aX»er tief
geliebt — die Details werden gewAnlich in der Dimmentnnde der schluch-
zenden Heldin erzählt — : ein paar alte Diener und sonstigen Hausrats und
in der \ urütadt ein kranker, ehrsamer Handwerker, den die wolth8tifi-e Heldin
besucht und bei dem sie dafür den nicht minder wolthätigen Helden triiit.
Kor eine SpedalitBt hat Fran Bqrrieh: sie Uast im letzten Gapitel — das ein
Jahr später spielt — das erstvermShlte Paar nochmals anftreten; die Frau,
einen blondgelockten Knaben auf dem Arm. den Mann, wie er sich glücklich-
tolpatschig über Mutter und Kind hengt. Das zweite Paar, das dabeisteht,
kann nunmehr nichts Besseres thun, als tiugs auf der nächsten Seite zu heiraten.
Ich leugne durchaus niolit die mannigfachen Vonfige aowol Glam Crons
alsdeMentine Helms. Sie enlhlen gut» die erstere etwas vetUich-hansbaeken,
Digltizeü by LiOügle
— 112 —
die zweite firiscker, mit einem Stieb ins Hamoristische. Der Stil der einen
ist nÜflTf Ihnoihaft, gwnesBen; maii gleite dnrdi die Bllttor wie tber einen
ruhigen, nicht allzntiefen Teich, dessen Spiegel kaum eine Falte zeigte Bei
Clementine Helm kräuselt sich die Oberfläche zuweilen, und die Liebesscenen,
die dort mit einer Serie feiner Complimente und möglichst rasch abgetban
werden, verlaufen hier schon stürmischer. Clementine Helm besitzt mehr schrift-
■telleriicliea Fever, Glan Gron melv Zartheit. — Der Eisiefaerberaf, dem sie
beide vor ihrer Vetheiratiiiig angehört, hat daa inatinotiTe weibliehe SehielE-
lichkeitsgefühl g^efestigt, infolgedessen aUe „anstößigen" Elemente — weniges
ausg-enommen * I - ans ihren Schriften fernf^eblieben. Nach Derbheiten wurde
man vergebens spüren, und die Dissonanzen des wirldicben Lebens sind nur zu
stark gemildert.
Daa ist ea aneh, waa die Weihnaditireeenaenten an ihren pathetlnhen
Ldbsprüchen begdatert: der Duft der Weiblichkeit. —
Ein Woihnachtsrecensent hat gut bcg-fistert sein: sein Geschäft kostet
ilnii weder Geld noch Nachdenken, und die Sprüchlein vom ^.gefühlten Be-
dürfnis~, vom „auf keinem Tische felilen" und der „gescbmack vollen Aus-
atattnug" aind bald gelernt**) Ein WSrÜein anf den Titelblatt, wie: „10. Anf-
lage", genfigt, um üm einen Terzttckten Tanz mnd um daa Bnch anfftthren an
laoen, und die ^lenge ist mit ihm der gleichen Ansicht, dass ein Bnch von
einem Putzend Auflagen doch seine Verdienste haben müsse. Ach ja, „Lilly's
Jugend', „ Magdalenens Briefe", „Backtischchens Leiden und Freuden" etc.
haben ihre Verdienste, nor aind ea keine Werke für „junge ICftdehen".
Mag man aie jungen Franen in die BanA ge^ zur AaflHaehnng der
eigenen Erlebnisse aus Pensions- und Brautzeit, oder jenen beglttcrien Damen,
von denen K. Alberti sn treffend sagt, sie hätten den ganzen Tag nichts zu
thnn, als schön zu sein, die den Abend vorher mit den süßen Herren Cotillon
getanzt, die sich geziert und fade Complimente eingeheimst haben ; mögen sie denen
eine angenehme ünteriialtnng sein, cüe mit Heiratagedanken an Bette gehen nnd
mit Heiratsgedanken anstehen: mögen sie neben Marlitt, Werner und Gre-
nossinnen alle die armen Seelen erquicken, an deren Geschmack nichts mehr
zu bessern und zu verderben ist. .\ber die Jngend, soweit sie noch erzieh-
lichen £inliüs8en zugänglicli ist, die Jugend in unseren Töchterschulen, die
In ^Magdaleneos Briefen" lässt z. B. Cron Magdalenn srlireiben: ^Anch
weiß sie (die rfarrer?tochter) sit li ohne Vorwisson ihrer Bitern t'ortwiihrend die
neuesten Bttcbcr aus der Leihbibliothek zu Tenchaffen, — — die ich dem ^iamen
nadi mid rIb kehles^^ enipfchlenBwert. für jnnge MMeben kenne, z. B. Alexander
Dnmas* Eomane."
**) Auch' io son pittore! und eh ist mir beute noch zweifelhaft, worüber ich
mdir lachen mU: Uber nein unfreiwilliges SdiaxMohterMBt oder die Einfsit des
Publicunis, das den Dufz('ndn (en>ioncn no^-h Glanben scbenkf. Weiß denn das liebe
Publicum nicht, wie Empfehlungen gemacht werden? Weiß ci» nichts von den ^ur
geAUigen Benntsnng" angebogenen Beeenrionen derYeileger, die natüilieh ihr Bnch
•her den Schellenkönig: loben? nichts von dem „Eine Hand wäscht die andere?" -
nichts von Rftcksicbten für Parteigänger? — nichta von der Gcpäogeoheit, ein
Buch nicht nadi Gebttr an Terklopfen. weil einem dann die Fortsetsnng des Weikes
entz(><»f'n würdo? Es i,««t mir des öftern widi rfahren. diiss die Oberinstanz ans meinem:
„Das Buch ist nicht zu empfehlen", ein; „Das Buch dürfte sich empfehlen" ge-
macht, dass die Redaotton um „frenndliobee üitheU" gebeten oder mich fBr due
Weile kalt gestellt, weil ich eiaAltig genug bin, gerne die Wahrheit an sagen.
DIgilizea by LiOOgie
— 118 —
etwas Besseres zn thun hätte, als aidi durch hysterisch empfindsame Romane
einen Floh ins Ohr setssen zu lassen, die soll von ihnen verschont bleiben!
Ich gehöre nicht zn den Anhängern jenes Bedactenrs, der jede Erzäliluug
IBr dteJafend imbamilMRlff snrtekBaiidte, Mtiald tle mit einer Heirat sdileM.
Es Iftsst sich sehr w<d Jungen MUchen gcgmfiber von Liebe sprechen, wenn
eti in der sdilichten. nngezierten Weise nnserer Volksmilrchen, des X'olksliedes
und der Volksepopöen gesohi^^ht: „Sir- {j^ewannen sich lieb über dieMaÜen. also
dass keines für sein Leben vom anderen mehr lassen wollte. Die Liebes-
geecUehte bleibt nur ^isode einer Geeammthandlnngr» melv angedeutet als
aosgeAhrt, etwa — um ein allbekanntes Beispiel ansnlUnen — wie das
Liebesverhältnis Georg Sturmfeders in Hantfs ^ Lichtenstein Und damit
wäre auch die äußerste Grenze des ZiiHisslichen angegeben. Die blauen Frltcke
der Werther, die Mond»cheingefulüe der Matthisson nnd die ungesunden
Empflndeleien der Siegwarte aber, denen wir in den Leihbibliotheken kaum
Behr Plats gOnnen, —
Das sfißliche Relmgebinraiel,
Das ewige Flennen von Höllo und Himmel,
Von Uersen und Schmerzcu,
Von Liebe uni Triebe,
Von Sonne und Wonne,
Von Lust und Bnuit.
Und von alledem.
Was allzu verbraucht und ircmeia ist»
Und weil es boqueiu,
Allen Thoren i^onehm,
Doch venilhifligen Menschen sur Pein ist!
das wdlen wir am errten mir Jogendliteratar binanskehren! Man kann die
Jagend anf plumpe Weise vergiften, nnd gegen solche Leetüre wehrt sich
sogar ein Weihnachtsrecensent. Was aber unsere weiblichen Federn verüben,
ist raflHnirt. feiner Todtschlag. Sie können nur die Geschlecht«eigenthümlich-
keiten zu Fehlem steigern: das an und fiii' sich reich entwickelte Getnhlsleben
des jnogen KldebsM mir Seliwtnnerei, die nattlrliehe FeinlBhligkeit snr
Hysterie nnd geistigen Bleiehsncht, die Schamhaftigkeit snr Prüderie, die
Schüchternheit zur Ziererei, — die Weiblichkeit zur f^berweiblichkeit. Aus
den süßlichen, keiner Wirklichkeit entsprechenden Geschichten sangrt das
Mädchen jene verschrobenen Ansichten von Glück, Liebe und Ehe, die ihm
spftter als jonger Fran sammt dem llaaae ss oft das Dasein Terbiliteni, bis es
dem wirklicheB Leben gelangmii das nngesond Angesdiwellte anf seinen natir^
lidien Umfimg znrttckznfBhren. Denn we leben die Vamstedti die Georg
V. Düren, die Waldemar?
Clara Cron und Clementino Helm sind nur in oinpin Falle wahr: wo sie
Selbtterlebtes erzählen. Aus diesem Grunde muthen uns Steilen in „Mar-
garotens Brieibn" nnd die Sohildemngen des Penslooslebens belHdm inmitten
des fibrigen Znokerwassers so frisch an, ala ob wir ans helfem Treibhaas-
brodem in den Dnft des Frühlingswaldes träten. Und doch: was versteht ein
..Backfisch" von dem Seelenznstand jener Margareta? Hat dt^nn der Weih-
nachtsrecensent das je bedacht? Und ekelte ihm je vor dem Comödiantenpathos
der sonstigen Liebesscenen, vor dem fordrten, gespreisien Gethne der Conliisen'
reiSsr?
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,Da plötzlich fiililte ich, wie sich ein Ana um ineine Schaltern leg^e uud uiicb
Imdg an tieli »ir* Voll Entaetsen fahr ich aaf, Waldemar hielt mieh
mDBchlnDgeiiL Mit einem Schrei ritt ich mich los und stand vor ihm, zitternd
vor Anfregang. »Nein Waldemar, nicht so!* rief ich heftig. ,Dii kannst
Adele entsagen, ich aber werde nie die Deine. Ks ist dies unmöglich' etc.*)
Übeiwältigt von einer 1^'lut von Gedanken und Gefühlen, die plötzlich über
mich hentfirsten, stdhnte ich laut auf und verhüllte meia Oesiobt wieder
mit dem Tuche. Waldemar ergtiS meine Hand nnd wog de an lein HerE, das
stIkrmiBch klopfte. ,LillyS sagte er schmerzlich, ,Mra8 habe ich denn ge»
than? . . — Da kam es plötzlich über mich wie «'in Fenerstrom. Mit einem
lauten Aufschrei meiner armen gequälten Brost hätte ich mich an sein
Herz werfen und ihm sagen mögen, wie heiß, wie über alle Begriffe ich ihn
liebe. Aber mein guter Genlna stand lehfitceod an meiner Seite, und ich
schwieg. ,0 Lilly, aber da darfst mir ebensowenig alle Hoffnung rauben
Adele" ist «art, sie kann sterben.* , Frevle nicht, Waldemar!' rief ich
empört ,Du magst recht haben, eine solche Liebt kenne ich aller-
dings nicht, sagte ich nach Athem ringend uud wollte gehen, deun ich
hielt mich kanm anfrechtw Da aber senkte Waldemar mit einem
dampfen Schrei den Kopf in beide Hftnde und schluchzte. Ich hatte
sterben möp:en vor Jammer und Weh bei diesem Anblick. Sanft
schlang ich meine Anne um sein liebes Haupt, drückte eiiifii Knss auf seine
Stirn und sagte leis: .Verzeih mir . . . / Er spraug wild auf, und ehe ich
es hindern konnte, zog er mich an seine Brost» imd für einen Aigeabllek war
die Welt für mich Tenohwonden. Aber schon im nächsten drXagte ich den
Geliebten von mir und stürzte davon. Er wagte CS nicht, mir zu folgen,
und bald sank ich wie leblos in meinem Zimmer zusammen („Lilly's
Jagend.'') —
Das ist zwar sehr nerveuangreifend geschildeit, aber auch sehr uuwahr.
Indessen wimmdn die „Ersahlangen Ar junge llftdchen** von diesen Stelsen-
pathos, und eine Verfasserin sacht die andere in Sentimentalität und hohlen
Tiraden zu übertrumiifen. Der junge Nachwachs, Marie Beeg, L. Walther,
E. Wuttke-Biller, O. Kuelimann etc., schwelprt förmlich in einem Venasberg;
heute Liebschaft, gestern Liebschaft, morgen Liebschaft, Heii'at und Verlobung,
Brautschaft sad Tusehnihte Neigung: and da wandert naa tklk Bodi, wem
der von UehMshaften angesteckteBackÜseb eineGymnasiastenUebsehaft aabladelt,
um das so reizend Geschilderte doch anch probeweise zu kosten! Denn was
ist die Tiiebelei der ,.höheren 'Joeliter" anders als ein Experiment, für allüe-
meine, unbestimmt in der Luft schwirrende Worte sein eigenes Ich als be-
stimmte Größe einzusetzen? Die Phantasie ist erregt, die Zeit an und für sich
im Ansage, wo der geschlechtliche Trieb m bohren begiaiit, — eine Art
Liebeshunger überkommt das junge Mädchen, es greift, vor UngestQm blind,
sich aus der Menge den Nilchstbesten heraus, den Predigtamtscandidaten etwa,
der Religionsunterricht ei theilt, oder den Vetter vom Gymnasium, an ümi die
*) Und wamm das? Weil Adde, die eogelreiae StiefiMÜiwester, ihr tags zuvor
erstanden, Waldemar zu lifhcn. — THcsos hnns< lio Zartgefühl wird denn am-h mich
(ieVtiir belohnt: Frau Beyrich »chafl't die erste Fniu auf die in JugendscUritteu
gangbarste Weiio beifl^to: Adele moas an der Sehwmdsadit sterben. Und nun ist
die Bahn Arei!
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Liebe zu verschwenden, die doch noch keine ist. Und wenn der Unsinn aucli
selten verhängnisvolle Folgen hat, die Eltern haben doch ihre liebe Noth, das
balbflilgge Junge vor Sehaden n bewsbren. Sie geben tieh Mtthe*), diese
Fmuhinfflimit des Lebens md^Udilt spät eintreten sn lassen, wenn die Mädchen
etwas mehr \'erstand gekommen. Fran Cron ind Helm jedoch achliren den
Brand, denn ihre Bücher sind nor Öl ins Feuer. —
Dm Omndfibel der BackflBchliteratnr besteht in einer einseitigen An-
aehauBBg Ton Art nad Onoaen des Stoffgebieten Die Verfosseriiuieii
gflsaben, wer für jange Mädchen schreibe, müsse nothwendigerweise über
jnnge Mädchen schreiben, und das interessanteste Object für einen Backfisch
sei eben der Backfisch selber. Aber was lässt sich über einen Backfisch viel
schreiben? Was ist er, was weiB er, was hat er erlebt, welche Stellung
nimmt er in der Oesellsebaft ein? Wenn er aas dem Blttgelkleid In die lange
Robe schlüpft, müssen seine nngelenkeii Manieren geschmeidig! Verden: das
hat Clementine Helm auf unübertreffliche Weise in ihren Romanen als Vor-
wurf benutzt. Hier ist er aber nicht Mittelpunkt der Erzäihlung', sondern
die Taute (Backfischchens Leiden und Freuden), die ihm den Schliff beibringt,
oder das gcsammte Leben md Treiben der Eniehnngsanstalt, deren er nor
ein Glied ist. Ein Schritt dann weiter, nnd wir sitzen wieder mitten in der
Unnatur. Die jungen Damen gründen Kränzchen, sie empfangen und geben
(iesellschaften, und zuletzt steigt der Bräutigam herauf, wie bei den Schieß-
buden der Jahrmärkte beim -leisesten Antippen der Scheibe der Hanswurst.
Die «ottilklie Natnr ist an sich nicht zur Zeichnung energisdier Linien ge-
sduiea; sie schafft Handinngen mit denalich flacher EntwidKelongsearve,
sdHrst nnd lost den Knoten durch keine allzunenen Mittel nnd respeotirt im
ganzen eine hübsch oberflUchliche ( liarakteristik. Sie verliert sich gerne in
Kleinigkeiten und entwirft StilUeben auch in der Literatur, die Geschichte
einer Nähnadelbüchse vielleicht, oder den Traum einer Schlüsselblume. Eine
grole Aai|i;ai»e flndet an ihr meist eine mittelmäßige Ldserin. Wo aber der
Stoff schon so unendlich inhaltslos ist, miiss sich die Erzählung noch platter
gestalten; denn aus Käse schlägt man keine Funken. Die Handlung schrumpft,
wie gesagt, auf zwei Momente ein: das Leben als naiver Backtisch und das
als Braut, was — reichlich gerechnet — lüO Seiten gäbe. Da aber eine
Clara Gkon nnd dementine Helm mit 100 Seiten kein Bnch schließt, mnss sie
streclcen; sie stopft dami swisehen die epischen Momente lyiiaehe Ergüsse,
Beflexionen und GeAUsdedamationen, nnd die 300 Seiten sind fertig. Tage-
buch- und Briefromane, worin Clam (^ron eine seltene T'nverfrorenheit ent-
wickelt, sind zu dieser Bogenschindoiei wie » i tunden: denn es hat leider nur
allzuviel Wahrscheinlichkeit für sich, da.ss junge Mädchen seitenlange Briefe
Itiis heißt: vir l!<Mi lit ! ( ioAvJilinlich brintjon sie ihre bessere Einsicht der Con-
vcnienz zum Opfer. Iftr geaunde Ver.-^tand mag vor Kindcrhäilen und dorn Tnnz-
mterricht im 14. Jahie wsnen. die Mama fährt ihr ..Kind" doch bin. Ach, wie
scfamuiuelt sie insgeheim, wenn das Töchterlein graziiis die FUßchcn setzt und kokett
den Bengel von Schalbuben aulächclt, wenn es Eroberungen macht und nach jedem
Hopser mit einer Cavalcudc diensteifriger Kitter bei ihr erscheint! Zum Lohn be-
kommt die Gefeierte eine neue Schleife, womit i^le sicher noch mehr gefallen wird. —
Derweilen titst der Papa im Wirtshaus und spielt Karte, Schaf köpf su Vieren oder
FOnflBD, was er allein doeh auch snwege brächte. 0, diese Eltemi
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schreiben, ohne etwas zu sagen, and die Tochter eines Commercienraths nichts
Besseres in ihr Tagebuch zu schreiben weiß, als detaillirte ToilettenschildeniDg«!
oder die EUt«diflraiibafleraleii der KrtliiiwhenmItgUeder. Und diene platte
Geachwätz, dieses Nachäffen er\vacb8enerSaloiidamen mit ihrer nichtesagenden
Causerie, diese Claurenschen Mondscheinhelden mit ihrer versteckten Sinnlicli-
keit, diese gutmüthigen Väter, die nichts zu thun haben, als ihren Mädchen
Armschmuck und Kleider zu kaufeo, diese hysterischen alten Tanten und
BdbuiertoUeii Jungfrauen, die anf den enten Anldlek eines Bartes liin sidi
Tcriieben, diese Terlegene Emj^indeld: das ist die geistige Nalirnng
nnserer kfinftigen Franen nnd Hfltter! Und wäre den Cron-HelBSolieBi
Büchern zu glauben, so hätte ein Mädchen nichts weiter sa thvn» als ins
Institut zu gehen und darauf sich heiraten zu hissen:
filier sitze ich und ächucidc Speck,
Wer miflh lieb hat, hol' mieh weg!*'
FQr einen kleinen Bruchtheil des Volkes mag das zu Recht bestehen — für die
Geld- und Blutaristokratie, für den reichen Bourgoojs und Beamten — för die
größere Menge ist es „fauler Zauber". Wie die heutige Bildung der
höheren Tochter durch und durch ungesund und reformbedürftig
ist, so aneh die Literatur; da und dort hat sieh das OlitsemdenndFlittenide
anf Kosten des Soliden eingenistet. „Die Jungen Damen verrtanden nach üiran
Anstritt ans der Pension sich anmnthig zn bewegen und ein hoffähiges Compliment
zn raachen, schwatzten englisch und französisch wie Wasser, tanzten wie die
jungen Götter, spielten ein wenig Ciavier, sangen ein wenig, malten ein wenig,
plapperten mit jedermann, ohne verlegen and roth zvl werden.'' (Clara Helm:
„LiUy'sJngend.") Das ist denn noehhente die Onintesseni aller Pensionstogen*
den. Wie aber diese Talmibildung einer gesnnden hindernd im Wege steht, so aaeili
die erotische Unterhaltnngsliteratnr nnserer weiblichen Federn einer gediegenen
Lectüre, welche, statt Junge Mädchen vorzeitig alt und nervös zu machen,
ihnen Herz und Kopf frisch bade. Und dieser indirecte Schaden, durch das
Vorsehieben des HittefanUigen nnd Verkehrten die Kenntnis desGnten hintan»
snhalten, ist noch größer als der unmittelbare.
Frau Cron nnd Helm sind keine Realisten; sie zeigen die Welt nicht wie
sie ist, sondern wie es ihnen in den Kram passt. Damit lockt man keinen
Hund mehr vor den Ofen. Ancii die Jugend braucht Wahrheit; die Schminke
nnd die falschen Waden, die angedichteten Tugenden nnd der geschraahte
Spnwhton gtibilinn in die Rnmpelkammer. Wiewdt man freilieh der Jngend
Einblick in die Saftgänge des menschlichen Lebens g5nnen darf, hat der päda-
gogische Takt des Veifnssers zn entscheiden, anf den sich die woiMichen
Autoren mit rnrecht s(» vif! einliilden. Ich habe hier gewiss nicht die (irenz-
steine zu setzen. Aberdass mau au einen Wandel der Dinge selbst im eigenen
Lager denkt, beweisen die enltnrgeschielitliehenEnUilnngenFrialein A.PIehns
(ps. Brigitta Augusti)*), welche die Henuisgeber (Hirt in Leipzig) absichtlidt
den „süßlichen'' Mädchenromanen gegenüberstellen. Was lieg-t mir an Fräu-
lein Plehn! Wer coltorgeschichtelti ist noch lange kein Gostav Freytag, auch
♦) Am deutschen Herd. 1. Bd. Kdelfalke nnd Waldvögelcin. 2. Bd. Im
Banne der firden Reichsstadt. 3. Bd. Das Pfanhans zn Tannenroda. 4. Bd.
Die letsten Ualtheims. 6. Bd. Die Bihen Ton Sohaifteeek. 1884—1889.
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wenn er ihn weidlich bernpft. Auch Aug. Plehn liebhaliert noch zu sehr und
beschränkt die geniüthlichen Motive auf erotische; als ob aus der (Teschichte
nichts anderes zu holen w&re, als Schlachten fiir die Buben und Liebschaften
IBr die ]OUdi«ii ! üad dann weil tie dee Stoibi nielit If eiater n werden mid
vorwebt ihre Exeerpte aie MemoiKii und den »nUem aae der dentaoben
Vergangenheit" so hastig, dass das Gewebe eoldi ein zerpflücktes AasaeheB
bekommt wie eine Stickerei auf der Kehrseite. Aber selbst die g-owaltsame
Znsammenstellang geschichtlicher \ orkoinninisse ist gegenüber der Erlo^^enheit
aller Agathen, Adelen, Lillys und Fannys ein unendlicher Fortschritt zum
Beeeereo. Kim endUeh sind wir tber die UterariaehePappenBtnbe hinaiu; ans
den Personen schaut doch mehr als das Ehebetteinteresse der parfömirten
Liebhaber, und den Schauplatz umsäumt ein geschichtlicher Hintergrund. Der
Wirklichkeit entsprechend sind nieist Erwachsene die Mitteljmnkte der Er-
zShlnng; von ihnen lässt sich eine Belehrung eher ertragen, als von Siebzehn-
jUirigen, die eben der PMiiioii entsprungen. Wie kann ein Blinder einen
Blindn kltenl Dam aber daa jnngeM&dehen am aeinerLeetAfe einen danem-
deren Gewinn ziehe als augenblickliche EIrregnng seiner Phantasie, das eben
wollen wir. Verliebte Müdchen haben wir genug; wir möchten aber gerne
mehr solche, die wir so recht von Herzen liebhaben könnten. Dafür haben
weder Frau Cron, noch Frau Helm, noch ihr Anhang je Sorge getragen.
Verdate Damen! Wie wlre et» wenn Sie iieb für eine Weile der Temiebt-
lichen Erzfthlermission begeben wollten, um TOn den verachteten Geschlecht
der männlichen Schriftsteller etwas abzulernen, von Riehl in München zum
Exempel? Und wenn Sie dann endlich einmal in Ihre Orgel eine neue Wahte
einlegten, statt des ewigen: „0 lieb, solang du lieben kannst!''?
Den Herren Weflmaehtireeenaentenwllnaehe ich aber im fibrigen aacb Ar
die benrige Saison eine redit ertrigUelM Ente nnd laagea Leben Ar ihren
eeiicaToUen Beraf.
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Pädagogische RnndBchau.
Ans Berlin. — Der 1. October brachte die ErSffniuig der 179. und
180. Gomoindesfhulo, so dass im Zeitranm eines Jahres 5 Gemeindeschulen mit
102 Classen und 5789 Schalkindern zu der vorhandenen Anzahl hinzutraten,
ein redender Beweis für die großartige Entwickeluug der Stadt und ihres Scliul-
veaens. In nweber Vermehnaigr begrUlin sind Mch die KfttelMliiiIen, hter
„höhere Mittelschulen" genannt. Während Ostern 1887 die erste derselben
eröffnet wurde, brachte der Michaelisterniin die Einrichnng der 6, mit sich. Der
Cultusmlnister ilnßerte sich, nachdem er eine solche gründlich revidirt hatte,
dahin, es wäre ihm sehr lieb, wenn er eine große Anzahl preußischer Ciymna-
aleii in aolehe Bflrgerwdinlen yerwandeln kSnnte. Oewim ein ffUnseBdea Zeng^
nie für die Ziele, Ors"niMtion nnd LeiBtnnguHUiigkeit dieeu* Amtaiten. So
nimmt das Berliner Schulwesen nach anBen hin eine iomer glänzendere Gestalt
an, wenngleich nicht verheimlicht werden kann, dass anch f^roße Schäden vor-
handen sind. So herrscht z. B. in Bezug auf AuschaÜung von Veranschaalich-
nngs- und Lelirmitteln eine Sparsamkeit, die beängstigend wirkt. Wälirend
die Siteren Schnlen in iroßartigster Weiee mit jenen anegeetattet Bind , leiden
die in den letzten Jahren eingerichteten oft am Nothwendig-sten ^lang-el.
Ein zweiter Übel.stand. der oft schwer enipfiuiflen wird, ist der. dass von
Herren, die sicli in leitenden Stellniig-en behnden, Schulbiu iifr greschrieben wer-
den, die dann im Unterricht verwendet werden, ob sie taugen, ist meistens recht
zweifelhaft.
Berlin ist dne dnrebaoe liberale Stadt, die Stadtverwaltong ist in frei-
sinnigen Händen, trotzdem ist es aber auch hier nicht möglich, dass ein Lehrer
Sitz und Stininie in der Schuldepntatiou erlangt, in der Rentiers, Ärzte, Kaaf-
leute, Klempneruieister etc. sitzen. Dies ist bezeichnend für die Lage der VoUls-
echnle in Preußen. Diejenige Partei, von der wir das grOßte Yerständnis nnd
die meiste Liebe IBr' dieselbe voranasetaenmfissten, liandelt da, wo sie Gelegen-
heit hat, ihre Tlieorien in die Praxis umzusetzen, nicht weniger hart nnd un-
freundlich als die .Tunkerpartei.
Das traurigste Beispiel gewilhrt liiert iir. abgesehen von der Fragt- der
Local-Schulaufsicht, die Regelung der Gehaltsverhältnisse au den Berliner
Gmeindesehalen. Wtthrend statistisch nachweisbar die Lebensmittel im Preise
gestiegen, die Mieten in den letzten 10 Jahren um 36% erhöht hatt«i,
war eine Gelialtsändemng seit 10 Jaliren nicht l inp-otroten. Ihis Schullasten«
gesetz in Treußen warf der Stadt Herlin über »ilKMHMI Mark Jährlich in den
Schoß. Davon sollte die Lehrerschaft auch etwas haben. Gesagt, gethau.
Bas Dnrchschnittsgehalt, das bisher 2220 MmA betrug, wnrde nm 90 Mark,
anf 2326 Mark, die Hinimalstufe anf 1600, die Maiimalstnfe auf 3300 Hark
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erhöht. Ein Blick auf diese drei Zahlen geniiirt, nin das Unhaltbare diosos Systems
zuerkennen. Der Dnrchschnitt zwischen UUH) und '^'^00 liegt doch bei 2450.
aber nicht bei 2B25. Die Folge davon wird sein, dasa nur ungewöhnlich lang-
lebige Naturen doli te den Genim dm liSdisteB GebaUes 8«lsen kSnaeo. In
<lea totstfln 10 Jahnn hnben 130 Lehrer daeeelbe erreieht Dnrchsehnitfilicli
«Iso 18 pro Jahr. Wenn sich nun auch dieser Dnrchschnitt auf 20 heben sollte,
was bSehet nnwahi-scheinlich ist, auch 25" o durch Tod etc. abg^ehen würden, so
müsste der am 1. April 1889 angestellte Lehrer, da er ItiiJö Vordermänner
bat, circa 1220: 20 = 61 Dienstjahre erleben, am das höchste Gehalt m
«ireidien, folglich eine LebenesUiigkeit besitzen, diemanwol anch einem VolkS'
eohallehrer nicht zutrauen dürfte. Collegen also, die nach Berlin g^t licn. mifgen
den Dante'schen Spmeh bedenicen: «Die ilir hereinkommt» laset die Hoffliong
draußen."
Die Mebrauf Windung, welche die Stadt Idstete, indem sie das Dnrch-
eehnlttegehalt nm 90 Harte erhöhte, betrügt mnd 100 &60 Mark jährlich. In-
dem de aber sngleieh eirca 1260 Lehrer damit beglückte, dase deren Dienst*
Stundenzahl von 2ß auf 28 wöchentlich erhöht wurde, spart sie auf diesem
Wege circa 120000 Mark, so dass die Mehraufwondimp in Wirkliolikeit nur
40000 Mark beträgt. Bewahrheitet sich aber das Gerücht, dass allen Lehrern
infolge der Gehaltserhöhung die Pflicbtstundenzahl erhOht wird, so kommt f&r
du Stadtelekel nodi dn «rUeekllcher Überaehnae heraus, eine mathematische
Leistung, die ihrem Vater alle Ehre macht. —
Unter diesem Gesichtswinkel muss man folürPTideu Vorfall betrachten.
Scliulrath Schuitze, der Director des liiesigen Lfln iMserninai s. an welchem einst
Diesterweg wirkte, trat am 1. October in den Knhestand. Seine zahlreichen
SMler md Verdirer gaben Ihm einen Abschiedscommers, an welchem Be-
giensganthe, die Leiter des Berliner Gemeindesehnlwesens und eine grefie
Zahl Berliner Ldirer theilnahmen. Der Gefeierte hielt eine Kede, die verdiente,
in jedes Lehrerheim zu dringen. Er wies es ab. als pfrnßer rildagoo- gefeiert
zu werden, er nahm blos für sich in Anspruch, ein Freund des \ olksschuliehrers
zu sein, der in der Liebe zu diesem von niemand fibertroffen werde. Die so-
ciale Stellnng des Lehrers sei hente eine nnwfirdige im Verhftltnlsse seiner Ver*
dienste um das Volk, aber die Zeit werde kommen, wo man anders über Um
denken werde. „Jetzt freilieh haben sie nirgends Liebe, nirgends Wohvollen zu
erwarten, von keiner Partei, von keiner Behörde, von niemand. Kein Mensch
mift ihnen, niemand sage icli, niemand. Helfen sie sich selbst, lassen sie nicht
nadi In eigener Arbdt und lassen de sich die Wertschfttznng ihrer Arbdt Ten
keinem ranben, denn es sind viele berufen , fiber de zn nrtbeilen, aber wenige
imstande, den Wert stiller und treuer Lehrerarbeit zn würdigen." Die \'er-
treter des Staates und der Stadt saßen bei diesen schweren .Ankla^ren eines
Hannes, dem um seiner Verdienste willen am selben Tage der Kronenorden ver-
liehen vrar, wortlos da. Wer mochte einem Manne, der 40 Jahre InSteUnngen
gcfwiikt hatte, wo ersieh ein ungetrübtes ürtheil bilden konnte, widenpradien?
Möchten dem deutschen Lehrerstande viele solche Lehrer und Freunde erstdiai
wie Schnlrath Sehnltaey der Nachfolger Diesterwegs!
Die 23. schleswig-holsteinische Lehrerversauimlung. Dieselbe
find Tom 31. JnU bis zum 2. Angnst d. J. In Sonderbnrg statt. Sonderbnrg
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ist ein aus der Grescliichte der BefreiuDg der Elbhei'zos^hümer von dänischer
Fremdhemchaft bekannter Ort auf der Inael Alsen. Auf die hart am bisto«
ritehen Alfentuid belegene fireondliche Stadt lieht ▼on den bekannten Dlppder
Höhen das Denkmal herab, das meilenweit hinaus ins Meer schaut und dem
nahenden Schiffer von deutscliem Heldenniuth und deutschem Heldentod er-
zälilen soll. Wol eine kleine Stande noidwUrts von Sonderburg erblicken wir
ein anderes geschichtliches Denkmal, das bei Arnkiel, welches dem berühmten
Übergang der PreoAen ftber den Snnd gewidmet iit Wir befimden nns alio in
Sonderbnrg anf hlatorischem Bodenl — Beiefalieh die Hüfte der Bfaiwohner von
Sonderburg reden und denken dänisch und sprechen jetzt von einer „dentMhoi
Fremdherrschaft". Die ländlirlie Uiiiffebung der Stadt ist fast ausschließlich
dänisch gesiuut. Unser Empfang bei jenen noch schmollend abseits stehenden
„dänischen" Bcirgem war darum auch kein sonderlicher: soweit es ihre geschäft-
Udien Intereasensalieden, hatten sie sieh gam von Feste surilekgeiogen. Diese
Thatsache, zusammen mit jener oben genannten, dass Sonderburg auf histori-
schem Grunde steht, drückte unserer Versammlung den Stempel auf. Noch nie
ist auf .schleswig-holsteinischen Lehrerversammlungen soviel von Politik, vom
Deutschthum, vom Bekennen nationaler Glanbensartikel gesprochen worden, als
hier in Sonderbarg. Dies gilt allerdings naaentlicli vm den freien, der Ge-
selligkeit gewidmeten Znsammenkttnften; doch anch die Hanptvei-sammlung
wurde mit einem Vortrage eingeleitet, der nur hier auf diesem historischen
Hoden ge/eitigt werden und auch nui- hier Geh{)r finden konnte. Organist-
iii-uhu-Augustenburg (A. ist bekanntlich das Stammschloss der Familie der deut-
sohen Kalseiti, und die SehkissfftnniUflhkeiten dieiitti jetit dem YoUnnehiil-
lehrerinnenseminar com Anfinthalt) spraeh Gber die pidagogisefaen Ansefaannngen
und Grundsätze des Herzogs Christian von Schleswig- Holstein -Sonderburg«
Augustenburg. Hei*zog rhri.stiaii lehte zu Ende des vorigen nnd zu Anfang
dieses Jalirhunderts. Er war t in Kind seiner Zeit und damit auch ein Anhänger
der damals hemcheudeu raliouelien Geistesrichtong. Er hatte pädagogische
GnudsStM, wie sie ra seiner Zeit bei Gelehrten ans dem Bfirgerstande oft yor-
kamen. Sein einziges „Verdienst"^, das ihn vor anderen hervorhob, war, dass
er als Herzog das Licht dieser Welt erblickte. Und darum im Jahre 1889
über ihn einen \'nrtrag auf unserer Lehrerversammlung V! Herzog Christian
ruht in der Schlosscapelle xvl Sonderburg neben seinen Ahnen, und seinStamm-
sehloss Angustenburg ist ganz in unserer Nahe nnd soll noeh Ton der Yer^
sanmlnnff betneht werden! Wir befinden nns eben anf historischem Bodent
Hier in Schleswig-Holstein besteht .seit Jahren der Modus, dass ein Lehrer d^
Versammlungsortes oder doch eines Ortes, der nahe liept. zur Hauptversamm-
lung einen \ ort rag anmeldet, und unsere Delegirtenversammlung ist jedes-
mal 80 höflich, diesen Vortrag als ei-steu auf die Tagesordnung zu setzen. Mir
scheint, mit diesem Braach mnss gebrochsa werdoi« Wer anf grOBeren Versamm-
langen (in Sonderburg waren gegen 500 Lehrer erschienen) einen Vortrag halten
will, mnss über ein Thema reden, das schon seit langer Zeit, vielleicht schon
seit Jahren sein Herz bewegt hat. Es darf nicht der Zufall, dass die Lehrer-
versammluug nach dieser oder jener Gegend verschlagen wird, eiueu dort woh-
nenden Lehrer som Entscbloss bringen, auf der Proviniialldirervenammlang
reden an wollen. — Einen gediegenen Vortrag lieÜBrle Lehrer Bottgardt-Neu-
mOnster Aber den Antheü der Sehale an den Bestrebnagen gegen das I^emd-
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Wörterunwesen in der dentschen Sprache. Herr Kottgardt rodete in schöner
Sprache, frei und mal] voll über diese Bestrebung^en. Wenn auch dem Einge-
weihten, d. i. dem llitgliede des n^^lls^ciueui^ deutschen Spraehvereins", der
flciUg- die VwinwMiitMhriften litit, weaSg Nene« geboten wurde, eo werden
doch gewiia miadestens 75 — 80^/^ der Zuhörer, welche jene Bestrebungen nur
dem Namen nach oder doch nnr auszugsweise kannten, das Gebotöne mit Dank
und Nutzen g^ehört und ihren 'J heil lÜr ilne Wirksamkeit daheim niitfj:enommpn
Laben. — Den dritten \'ortrag hielt Lehrer Appel-Keitum (Insel Amrum ) über
den HandfertigkeitninterTidit. Der Vortragende hatte von vonlicnin einen
aehweren Staadpnnkt in der Versammlung. Die echleswig-holsteinisclie Ldurav
weit steht zwar der Bewegung, den Handfertigkeitsunterricht in die Familie,
in die Feierabendstunde einzuführen, nicht unsympathisch gegenüber. Alleiu
sie vermuthet, und wol mit £echt, dass jener Unterricht nach der Meinung
seiner Verfechter späterhin zn einem Gegenstand des Schnlantenrichtei werden
soll, md dies ineht sie ndt allen Mitteln sn bekSrnpUm. Diese Ansielit kam
aoch in der Annahme der Leitsätie mm Ausdruck, welche den Wert des Hand-
fertigkeitsunterrichtes wol anerkennen, aber eine Einfuhrung in die Schule für
jetzt und allezeit verwerfen. — Als besonders bemerkenswert hebe ich noch
die Ausstellung der „AbtheiJung für ^saturknude*" hervor. Die Lehrer Jessen
und Kleemann ans Siel hatlaen eine Sammlnng von natnrgeeehiditlielien Ol^iee-
ten aasgesteDt, die von ihnen seihst znsammengestellt war. Die Sammlung
war auch bezeichnet als eine solche, welche jeder Lehrer sich selbst besorp^en
kann. U. a. sahen wir in kleinen, selbstverfertigten Pappschachteln eine große
Anzahl von Früchten, wie sie der Spätsommer und der Herbst bringen. In
kleinen Olttsem sah man die verschiedenen Erdarten, weiter war da eine kleine,
anaerlseene lOneraUensammlnng ete. Einen Glanspnnkt dieser AvssteUang
bildeten die Sachen des Lehres 0. Brodersen aas Kiel. Herr Br. ist in unserer
Provinz bekannt als vorzüglicher Ausstopfer von Thierbalgen. Der Umstand,
dass Brodersen Inhaber einer Jagd ist, gibt ilim Gelegenheit, die Tliiere in
ihrem Leben zu beobachten, so dass seine ausgestopften Thiere gelungene natür-
liche Stelinngen einnehmen. Hier worde aneh ein Nonnalsehraak snr Avfbe-
wahmng ausgestopfter Thiere geneigt, der naeh Vorschrift des Vorstandes
nnserer naturkundlichen Abtheilung hergestellt war. — Befremdlirh erschien
es mir, dass noch so viele Lehrer aus dem Nordschles^^'igschen in ilirem Um-
gange mit einander sich der dänischen Sprache bedienten. — Die Aa&ahme
seitens der deutschen Bfirger in Sonderbarg war eine thenaa henlidie. Bürger-
meister, Hagistratqtenoneii, Stadtverordnete, dieOeiitUehen, der EreisphyBikus
nnd die Ante, der Amtsrichter und andere Notahetal der Stadt nahmen neben
den Bürgern aus allen Ständen theil an den Versammlnngen. Auch das herz-
liclip f]invernchmcn der Bürgerschaft mit ihren Lehrern, suwi*; das gute Ver-
hältnis der V olksschollehrei' zu deu Lehrern des Realprogyiuuasiums verdient
Erwlhnung. Die Tage von Stniderbnrg werden aUen Theilnehmon lange in
guter Erinnerung Ueibenl F. W.
Der IX. deutsche CongrcKs tür erziehliche Knabenhandarbeit
am 28 — 30. September 1889 in Hamburg. Dass die Bestrebungen desdeut*
sehen Vereins für erziehliche Enabenhandarheit auf frochtbaren Boden gefUlen
sind nnd eine selir rasehe und umfimgreiehe Entwiekelung geielgt haben, hat
MmtaB. u-Mm. B«ttii. 9
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der Hambnrger Cong^ress unzweifelhaft dargethan. Die Sache hat die Sym-
pathie weiter Lehrerkreise, vieler gemeianützigen Vereine und Städte und —
■W9B in nnaerer Zeit der Steateiiüfe nicht gering anmaehlagen iit — der hohen
Begiening«!! erworben. Nicht nur das preniUBche Gnltiiniiinirtflrinni, londeni
aach der Reichskanzler hat dem Verein im verflossenen Jahre eine namhafte
Summe zur Verfügung gestellt. Der Congress war von mehreren deutschen
Begierongen durch Vertreter besciiickt, der Geheime Obeiregierungsrath Dr.
Schneider begrüßte die Versammlung im Namen des Ministers v. Gussler und
der Hambnrger Senat flbermittelte durch Senator Elhler WiUkomm and
Glückwnnsch. Der von dem Vereinsvordtaenden A^Lammers-Bremen erstattete
Bericht tther die Fortschritte der Bewegung für erziehliche Knabenhandarbeit
im verflossenen Jahr lautete durchweg sehr günstig, ebenso der Bericht über
die wirtschaftliche Lage des Vereins von Oberrealscholdirector Nöggeralh-
Hirechberg. Über Staad nnd Ansbreitnngr der Schillerwerkstttten in DeatselK
land referirte an der Hand einer von Lehi-er Th. Sonntag-Leiiiaig eingesandten
Arbeit der Geschäftsführer des Vereins, Landtagsabgeordneter v. Schencken-
dorfl-Görlitz; hiernach werden gegenwärtig in etwa 180 Schülerwerkstiitten
6500 Kinder in Handfertigkeit unterwiesen. Nur wenige haben einen engeren
Znwauaenhang mit dar Sdinle, die weitaus meisten sind gana aelbetetlndit^
von Stftdten, Vereinen oder einärtnen Personen eingerichtet Eine aasgedehnte
Pflege findet die Handarbeit in den Knabenhorten, sowie in Waisenhänsera,
BessernngR-. Blinden- und Taubstummenanstalten. Auch ist sie in den Lehrplan
einiger i namentlich sächsischer) Seminare aufgenommen. Die reichste Ent-
wickelung zeigt die Haudfertigkeitssache im Königreich Sachsen, danu folgeu
Sehleeien, die Provins Sachsen, ElBaifr'Lothringen und Sachsen- Weimar. Ändere
Staaten, wie Anlialt, die beiden Lippe, die beiden MeeUenbnrg, Braunschweig,
Hessen u. a. zeigen nach dem Bericht noch kein Interesse. Ablehnende Ur-
theile sind vielfach ans der Lehrerschaft und aus dem (iewerbestande laut ge-
worden. Dieser Thatsache trug der öffentliche Congresstag am 29. September
dnreh Behandlang der beiden Fragen: „Welehea Interesse liat die deutsche
•Lehrerschaft an der Förderang des Arbeitsanteniehtes?" nnd: „Welches In-
teresse hat der Gewerbestand an der FOrdemng des Aibdtsnnterrichtes?"
RerhnuTig. T>ehrer T^issmann-Berlin, der die erste Frage zu erlogen hatte,
zeigte nach einem geschichtlichen Rückblick den engen Zusammenhiuiig der
Handfertigkeit mit der Erziehung, sowie ihre Nutzbaimt^chung tlir den Unter-
riijht und betonte die Nothwendigkeit, die fnnere Bntwickelnng der Frage
wesentlich den Pftdagogen zu Uberlassen. Nach diesen Darlegungen musste es
auff;\llen, dass Rissmann die Einfügung der Knabenhandarbeit in den Lehrplan
von der Hand wies, und seine iii ünde. dass die gegenwärtige Organisation der
Schule diese Einführung nicht zulasse und die Entwickelung der Methode da-
durch gestört werde, vermochten nicht den Eindruck der Stiehhaltiglrait au
hinterlassen. Dr. Bartels-Gera aog denn auch unerschrocken die Oonseqnenaen
der Bissmannschen Darlegungen, indem er die obligatorische EinfQlining der
Handarbeit in die Schule forderte. Bemerkenswert für den Stand der Frage
ist die Thatsache. ilass der Correterent Stadtschulrath Dr. Rohmeder-Müuchen
(vertreten durch Dr. Götze-Leipzig, der das eingesandte Manuscript vorlas nnd
Intetpretirte) wesentlich dieselben AusfBhrungen brachte wie Heir Rissmann.
Aus der Debatte sind die Bedenken des Gewerbeschuldirecters Ahrens-Klel
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sehr beachtenswert. Er deht eine Gefahr darin, dass die eifrigen Vertreter
der Handarbeit das ganze Interesse des Knaben für ihre Sache beanspruchen ;
dadurch würden Zeichnen und Turnen, auf welchen Gebieten noch viel zu thnn
sei, in ihrer Bedeutung verdunkelt and zurückgedrängt. Ein ausreichendes
Oegengewiclit g«geii geistige BeMhUUgong biete in Tdlerem Kate dasTnmen;
die methodische ünterweinmg in der Handfertigkeit störe das naive Schaffen.
Da die Tendenz der Bewefrun^ eine erziehliche sei, müsse in erster Linie die
Familie interessirt werden, und erst, wo diese ilire Pflicht nicht thne, könne der
Lehrer in Knabenhorten der Bildung von Auge und Hand Vorschub leisten.
Die methoditdie Dudilrfldnng des HandllBrtIgkeitninteRiehtet litten «icii
die Sectionen für Enabenhandarbeit in den Lehrervereinen an Berlin und G4b^
litz angelegen sein. Über die Thfttigkeit derselben belichteten die Lehrer
Groppler-Berlin und Neumann-Görlitz. Auf dem vorjährigen Conpress in Mün-
chen wurde eine Commission, bestehend aus den SchulmJlnnern Gärti^^- Posen,
Dr. Götze-Leipzig, Groppler-Berlin, Kalb-Gera, Kerschensteiner-München, Kunath-
Dresden nnd Nenmann-CHhrlitz, gebfldet, welche Aber den inneren Ansban nnd
die praktische Darchfuhrung des Arbeitsunterrichtes berathen sollte. Die Re-
sultate ihrer Arbeit lej^te die Commission in Form von Grundsätzen dem dies-
jährigen Congress vor. Es konnte über dieselben nicht mehr debattirt werden.
Sie geben in zehn Paragraphen die nach dem jetzigen Stande der Sache als all-
gemein giltig anerkaimtai IXomm. ttber Zweck vnd Zid den AiMtranterriditeB,
sein Verhlltnls snr Sehnle, die LelutoAftet die Arbeitsfiteber, den Lehrgang,
die Materialznrichtnng, die Werkzeuge, den Arbeitsranm, die Arbeitszeit n. a. m.
Bezeichnend für die weitansgreifenden Bestrebungen des Vereins sind die
Ausfährnngen des § 1, den wir deshalb hier folgen lassen:
§ 1. Zweck und Ziel des Unterrichtes. Der Arbeits- oder HandfiBr-
tigkeitsunterricht soll die harmonische Erziehung der Jugend fordern, indem er:
A. die allgemeine Handgeschicklicbkeit, körperliche Kraft, Gewandtheit
nnd AnsteUigkeit übt nnd bildet,
B. die geistige Ausbildung unterstützt, and
C. Charakter und Willensbildong fördert.
1. (zu A.) Er bietet ein heilsjunes Gegengewicht zu den rein geistigen
Anstrengungen und macht den Schüler für dieselben widerstands-
fähiger;
2. (zu B) er bildet die ftnßerai Sinne, schafft Einsicht und klares Ver-
sUhidniB für die bei diesem TJntenieht an lUsenden Anfgabra, sehirfl
die Anfinerksamkeit, entwickelt die Beobachtungsgabe belSrdert da-
mit richtiges Denken nnd erweitert die Kenntnisse;
3. (zuC) er leitet den Trieb, zu gestalten, zu schaflFen, in richtig:e Palmen,
führt zur Freude am Arbeiten und über das (u-arbeitete, entwickelt
den Formensinn und das Wolgefallen am Schönen, gewöhnt zu sorg-
fUtigon und anhaltendon AndUiTHi der Arbeitsaafgaben, erzieht
damit aar Geduld, Ansdaaer, Sauberkeit, S]»atsamkeit nnd Ordnung
nnd stärkt die Willenskraft zu zielbewnsstem Handeln.
Außerdem bat der Unterricht mittelbar noch andere segensreiche Folgen;
dazu gehören:
a) pralctische Erfahrung bezüglich derjenigen Stoffe, welclie dem allge-
9*
Digilizea by LiOOgle
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meinsten (Tebraucbe und Bedttrfiliaae dienaii und Eiiisioht in die Ver-
arbeitung dieser Stoffe;
b) Bekanntschaft mit denjenigen Werkzeugen, die dem allgemeinsten Ge-
toMidie und BedMdan dienen, md Ebuieht in die Handlialninf
derselben ;
c) riclitierr Bfurtheilnni? ^ter Arbeit gegenüber minderwertiger;
d) Achtung vor der Arbeit der Händo. insbesondere vor dem Handwerk;
e) erweiterte Erkenntnis der eigenen Leistungsfähigkeit, dadurch Er-
leiobtaiuiff der Bernflnrahl, günstiger EinfliiM anf gie, Znfohrnng ge-
eigneter tüchtiger Krifte snm Htndverkerrtude nnd Hebang des
Handwerks und d^ Kunstgewerbes;
f) Anleitung nnd Gewöhnung zur Selbstbeschäftignng und Selbstthätig-
keit, infolgedessen Bewahrung vor Müßiggang nnd seinen sch&dlichen
Folgen;
g) Andeutung dee Weges nnd der Art, dnreh eigene Arbeit nnderen
f Eltern, Geschwistem) Freude zn bereiten;
h) Befilhigung nnd Neig:nner, im Hanse und in der Familie pi aktiscli hel-
fend einzutreten, das Heim durch eigene Arbeit zu verschönern, zu
schmücken, und infolgedessen Sinn für Häuslichkeit und Liebe für
das eigene Heim;
i) ftr Erziehungs- nnd Ftivatsclinlnnstnlten» Wnisenblnscr, Kinder-
horte, Pflegeanstalten, Taubstummen- und Blindenanstalten, sowie Ar
Kinder, deren Eltern die Freiheit des Kindes nicht überwachen können,
ein sehr geeignetes Mittel, die freien Zeiten, die weder dem Spiele
noch anderer Unterhaltung zugewiesen sind, nfitzU<^ nnd zugleich an-
genehro auszufüllen.
Der nm das Hamburger Kunstgewerbe hochverdiente Huseumdirector Dr.
Brinckmann erörterte die Stellung des Gewerbestandes zum Arbeitsunterricht.
Bemerkenswert war seine Bt liauptung, dass die Schule den ilsthelischen Ge-
schmack bis jetzt ganz unberücksichtigt gelassen habe. Diese Lücke auszufüllen
sei der Handfertigkeitsnntenicht imstande. Interesse nnd Verständnis Ar die
Emengnisse des Knnstgiwerbes, sowie die Wecknng manueller Talente wären
Folgen des Arbeitsuntorriehtes, der dadurch dem Gewerbe fBrdemd in die Hand
arbeite.
Es ist zu bedauern, dass die in der Hamburger Lehrerschaft zalilreich
vertretenen principiellen Gegner nicht das Wort nahmen. Entschiedene Be*
kämpftmg ist das beste Mittel zur Klärung einer streitigen Angelegenheit. Die
Oeschäftsldtnng des ersten Congresstages trigt hieran allerdings die Haupt-
Sebald. H. W.
VL Coufereuz für das Idioteuwesen. Die alle drei Jahre stattlin-
dende Gonibrenz für das Idiotenwesen fuid Tom 10. bis 18. September in
Brannsdiweig f^undliche Aufnahme. Aneh der Regent Albrecht und das Staats-
ministerium bekundeten ihr Interesse an der Sache durch eine Gabe von n(X)
Mark, was «rewiss für fthnliclie Fälle zur Nachahmung empfohlen zu werden
verdient. Einem über die bisherige Arbeit an den Idioten und ihren Leidens-
genossen orientirenden Vortrage von Dr. Sengelmann, Director der berühmten
Alsterdorfer Anstalten bei Hamborg, entnehmen wir folgendes. Ein bedehnngs-
Digilizea by ioUü^lc
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reicher Abschnitt in der Geschichte der Idiotenbehandhing knüpft sich an den
Abeudberg bei Interlaken, wo 1841 Dr. Gu^genbUhl das erste niedicinisch-
p&da£;ogi8che Unternehmen dieaer Art begründet und zuerst Theilnahme für
die Flage md Bfldang der UngUIckliclwii erwe^ hat. Die von frotem In-
teresse getragrene, vielfach nntetttützte , ja von der Qittfln Hahn-Halm i han-
tastisch verherrlichte Anstalt erwies sicli als großartig«, znm Theil von dem
Begründej" absichtlich hervorgemfene Tftnschung und ist längst eingegangen.
Schnell entwickelte sich aber die Sache in England, Österreich und besonders
in DevtaehlMid, wo nunt 1839 eine 1847 nach lOkkem Terlflgle Anatalt be-
gründet wurde. Deutschland zfthlt 41 oder 42 solcher Anstalten, die bisher
16000 üngläcklichen Pflege zntheil haben werden lassen. Jetzt werden 6000
von 1200 Personen veri>flcgt, 2400 werden unterrichtet, 1850 nur beschäftigt
und 1700 nur verpflegt. Dem Umfange nach sind die Anstalten sehr ver-
schieden: fünf haben über 300 Zöglinge, drei zwischen 200 nnd 300, fünfzehn
swtoAen 100 and 200, immaelui wenigw als 100. Als untere Altearagrense
wird meistens das 5., dodi auch oft das 3. Leben^ahr angenommen. So finden
wir dort neben Greisen von 80 Jahren Kinder mit der Säuglingsflasche. Mit
den größten Schwierigkeiten hat der Unterricht zu kämpfen, umsomehr als
noch keine einschlägige Literatur vorhanden ist. Die eigentliche Schnl- und
BOdnngBaeit ist das 12. bii W, Lebemijalir. Die leichtette, widitigate und
interessanteste DisdpUn ist der AnschamingsanteiTieht, eine wahre eniz aber
das Rechnen. Von großer Wichtigkeit ist anch hier der Sprachunterricht. Int
Schreiben und Zeichnen wird oft Erfreuliches, ja geradezu Erstaunliches ge-
leistet. Im Religionsunterricht muss (wie überall) die biblische Oeschichte
Hauptsache sein. Glanzpunkte des Anstaltslebens sind die kirchlichen, patrio-
tisclien nnd Stiftangsfeete. Viel Qntes ist geaehehes, aber noefa Ueibt viel Vei^
dienst übrig, denn in Deutschland gibt's fiber 50000 Idioten.
Dem Vortrage des Lehrers Kielhorn (Brannschweig) über den schwach-
sinnigen Menschen im öftentliclien Leben lagen folgende, von der Conferenz
einstimmig angenommene Leitsätze zugrunde. 1. Das schwachsinnige Kind
bedarf einer von dem geistig gesunden Kinde abgesonderten sorgfältigen Schal-
eniehnng. üm eüie wirksame Sohnleniehnng dnrchzuffihren, ist nOthig: a)das8
Ar dieselben der Erziehungszwang bis znm vollendeten 16. Lebensjahre 0>oz\v.
vom 14. bis vollendeten 1 6. Lebensjahre der Besuch einer geeigneten Fortbildungs-
schule) g^tzlich eingeführt wird; b) dass geeignete Erziehungsanstalten (Hllfs-
•chnlen fürSohwachbefthigte, Idiotenanstalten) in genägender Zahl eingerichtet
werden; e) da» IBr LehitoUte geeorgt wird, die, im Bseitae allgemeiner päda-
gogischer Vorbildnng, fftr die Erziehung schwachsinniger Kinder besonders vor-
bereitet sind. 2. Der schwachsinnitre ilensch bedarf im öffentlichen Lelien der
Fürsorge nnd Beaufsichtigung. 3. Der schwachsinnige Mensch bedarf in der
Kechtsptiege besonderer Rücksichtnahme. 4. Der schwachsinnige Mensch ist
naflUiig, im Heere sa dienen.
Naeh Delfarikk sind 5^/o aller Strafgefangenen geisteskrank nnd lVs7o
für immer unzurechnnngsföhig, nach Gutsch ist der Procentsatz noch höher.
In der sächsischen Strafanstalt Waldheim waren kürzlich 3' \,"',„ (nämlich 41
von 1241 Strafgefangenen) mit angeborenem Schwachsinn behaftet; an Geistes-
krankheit litten 87. Nach Morli leiden dO^j» derjenigen, welche wegen BettelnSi
Arheitssehen nnd Obdachlosigkeit bestraft werden, yon Jugend auf an Geistes-
— 126 —
scliwäcke. Unter 79 Kranken, die wegen gewohnheitsmäßiger and schwerer
Eifentbomsverbrecheii in 4'/, Jahren unter ]Iorli*8 Augen in die Irrenanstalt
gelangten, fimd denelbe 28 von Jngend anf achwaohsinnigy mid nnter 15 Kranken,
die als Soldaten schwere Verbrechen begangen hatten, waiWl 5 schwacbsiDniir.
Die Gefängnisse und Zuchthiluser bergen nicht wenig Insassen, die Verbrecher
geworden sind, weil sie schwacbsiimig waren, mid die als gewöhnliche Ver-
brecher gelten, wo sie doch nur gesündigt haben aus Mangel an Einsicht, Bechts-
gefBhl nnd littlieiMin Oelialt, ans dem Unvermögen, sich selbet nnd ihn Mit*
menschen richtig mi beortheflen, ihr Thnn nnd faiwen nach Beoht nnd Ge-
rechtigkeit abzuwägen.
Und wie geht's dem Schwachsinnigen im Heerdienst? Ein Beispiel! Morli
berichtet: Die Matter war zweimal im Irrenhause, der Vater tobsüchtig, die
GroAmntler getotealvank. Vor der Einttellnng in ein preaSisches Ulanenregi-
meot bereite veriieiratet, wegen HoIsdiebBtahli nnd ISXirpexvttU^ng beetraft»
wird er von den Vorgesetzten bald als lialtloser, erbärmlicher, kindischer Mensch
bezeichnet. Im ersten Merteljahr wegen Trunkenheit im Dienste bestraft,
dann wegen Thätlicbkeit gegen einen Vorgesetzten zu 5 Jahren Festung ver-
urtheilt, wegen Gehorsamsverweigerung 1 Jahr, wegen Majestätsbeleidignng
3'/« Jahre — alles binnen JahresfMst! Daneben viele kleine Strafm wegen
Faulheit, Unptinktlichkeit, Störung der Andacht etc.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen befreit nur der Schwachsinn höheren
Grades von der Militilrpflicht, während der mit Schwachsinn geringeren Grades
Beliaftete dienstfUhig ist. So geht dieser beim Eintritt ins Heer einer schweren
Leideasieit entgegen, dmin die Asfiwdenmgmi des Dfenstes gehen Aber das
Haft seines kViperlichen nnd geistigen KSnnens hinaus. Von den Vofgesetsten
getaddt mid gestraft, von den Kameraden gehänselt und verspottet, so ist es
nicht zu vorwnndem. wenn er sein bisschen Verstand ganz verliert, wenn er
gelegentlicl» verwirrt und wild wird und sich und anderen Unheil anrichtet.
Mau sollte doch meinen, es gäbe in den deutschen Landen Jünglinge gesunden
Geistes genug, das Vaterland sn vertheidigen, und die Heeresverwaltung kOnnte
anf die Schwadminnigen Qberhanpt verzichten.
Die Conferenz entschloss sich zur Wahl eines Ausschnpses, der sicli aus
Ärzten, l'ildagogen, Juristen und Theologen zusammensetzt und die Stellung
des schwachsinnigen Menschen zu prüfen und hierauf bezügliche Anträge vor-
rabereiten hat.
Die genaue Scheidung der den Hilftclassen fttr Sohwachbef&higte und der
den Idiotenanstalten aogehSrigen Kinder nnternahm Oberlehrer Beichelt
(Hubertusburg 1 : In die Hilfselassen gehören die Fälle leichterer geistiger
Schwächung; geistig tiet stclu iide und körperlich schwer erkrankte Individuen
gehören in die Idiotenanstaiten. Die ersiehlichen nnd anterrichtllchen Mittel
und Methoden und nicht zum mindesten die dütetisehen, hygienischen ESurich-
tungen und Maßnahmen, die Überwachung bei Tag und Nachtt sind immer
noch geeignet, auch die Erfolge in der geistigen Entwiekelung zu erzielen, wo
die Hilfselassen, welche der Natur der Sarlir iiacii ihre Schüler während der
Nacht und eines Theils des Tages den unguuätigen, uucontrolirbareu, oft ge-
radem verderblichen Verhftltnissen des Hauses surttckgeben müssen, nichts
Nennenswertes efrdchen. —
Die nn^ficldiche Stellung der seminarisch gebildeten, staatUcherseits
Digilizea by LiOOgle
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geprüften Lehrer an den Tdiotonaiistalten macht Dir. Bartliold (M.-Olad-
bach) znm Gegenstand seiner Austühnuigen. Die Versammlong nimmt ein-
stimmig folgende £rkläning au:
In AnbetnMsht, 1. dm die Idiotenamtalten dem MEanfUduii Wole dienen
und sich der Ärmsten und Schwäclisten unter unserem Volke annehmen, um
ihr trauri^t's Ia)s zu mildern; 2. dass die meisten Idiotenanstalten nicht fnndirt,
auch staatlich nicht subventionirt, sondern g-roßentheils auf die öffentliche Wol-
thätigkeit angewiesen sind ; 3. dass e» denselben deshalb schwer wird, für den
Untenicht und die Erddiongder ihnen anvertmaten Kinder die nHhigen Lehr*
krifto m bekommen, weil tle dieeen keine geeidieiie Lebenmtellnng in Abb-
• sieht stellen können: 4. dass die Ausnahmestellung der Lehrer an Idiotenan»
stalten mancherlei Xachtheile für dieselben bringt (Verkürzung der Dionst-
altersberechnung, Ausschluss von Unterstützungs-, Pensions- und ähnlichen Cassen,
in manchen Orten höhere, weil volle Besteuerung und derghj; 5. dass dagegen
die Erfehrangen, welche Lehrer an den Idiotenanrtelten eammein kOnnen, und
die speciell psychologisch -pAdagogiMdie Aasbildung, w^elche sie in diesem bo-
sondert n Bernfszweige erlangen, ihrer spateren Tliiltigkeit an öffentlichen Volks-
schulen außerordentlich zu statten kommen: erklilrt die VI. Conferenz: es ist
anzustreben, dass den Lehrern au öffentlichen Idiotenanstalten der Charakter
alt öffmllidie Lehrer nerfcmnt werde nnd dleielben in Bezog auf Dienatalten-
herechnnngi Penaienebereehnonirt TbeOnahme an 9tiBntlidien Lehrer-Ünter-
stützungscassen und dergl. den Lehrern an öffentlichen Volksschulen gleichge-
ftellt werden. Die n&chste Contierenz wird 1892 in Berlin atattfinden.
AuaGdrlitz. (Jogendspielcü Gelegentlich des die^&hrigen 40. Philo*
leceneoDgreaaea, welcher vom 1. bla 6. October in GQrlits abgehalten wurde,
kamen auch die Jngendapiele zur Voiillhrung, nachdem der Vereinsvorsitzende,
Abereordneter von Sclienokendorff. zuvor in der allgemeinen Versammlung das
Charakteristische derselben dargelegt hatte. Ein Görlitzcr Ülatt schreibt hier-
fiber: »Die anwesenden Philologen folgten dem Spiel mit lebhaftem und sicht-
barwaohiendem Intereaae. Wie immer bei aoldien Gelegenheiten, hatte
■Ich anch hier wieder ein großer Znschanerkreis aoa der atidtischen völke-
rung eingefunden. Die Vorführung begann unter Leitung des Turnlehrers
Jordan mit einem in verschiedenen munteren Wendungen sich ergehenden
Gruppenmarsch der unteren Classen, zu welchem eine Capelle in heiteren Weisen
den Takt gab. Nlehstdem wurde von den oberen Classen ein wolgelungener,
kuurtroller Beigen vergeftthrt, an welehem von den Hitwirkenden lelbet ein
patriotisches Lied in fiischer nnd anregender Weise gesnngen wurde. Die
sicher nnd frei sich bewegenden jugendlichen Gestalten machten einen überaus
günstigen Eindruck. Nach dieser Einleitung begann die Vertheilung derScliüler
in einzelne iSpielgruppen, die sich bald über den ganzen Platz verbreiteten und
aneh die anweaenden Znaehaner anaogeo. Hier wnrde Fußball, Speerwerfen
— das Pilnm der alten S5mer — , Bogenschießen, TamburinbaU, dort Lawn-
Tennis, Schlenderball, Treibball, Barlauf und anderes ausgeführt. Das Ganze
bot ein sehr lebensvolles Bild dar nnd zog unsere Gäste mehr nnd mehr an.
Hier und da versuchten einige derselben ihre eigene Kunst beim Speerwerfen,
Bogenschießen etc., doch ließen sie sehr bald von dieser ungew<Anten Thfttigkeit
ab, da ihnen die Jagend doeh sn weit ttberiifen war. So ging daa heitere
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Treiben t twa anderthalb Stunde weiter. In mehreren Kreisen der gelehrten
Herren hörte man die Frage erörtpem, wie diese Spiele wol am besten auch
auf andere Anstalten ftbeitragoi werden kSnnten, und hielt man ea für ei;wBniclity
dass hier im nächsten FrlU\jahr vielleffiht aobttlglge GnrM Ar amwlrtige
Lehrer eingerichtet werden möchten.''
Welche Wege man aber auch finden möge, um derartige Spiele allsrcnieincr
nnserer Jugend zuzuführen, so wird man doch zunächst ein solches i:iestrebeu
an sich anf das beste begrüßen kSnnen. Wir gehen sogar einen Sehritt weiter
nnd sagen, anf Baydt Terweisend. («Bin gesunder Geist in einem gesnnden
Körper." Carl Meyer, Hannover 1889), daas das Spiel nicht nur ein Erziehnnga-
mittel der Juj?end. sondern auch ein Factor in unserem deutschen Volks-
leben werden rauss. Je mehr es \ erbreitung findet nnd zu einer nationalen
Eigenthümlichkeit sich ausgestaltet, desto besser werden die Sitten des Volkes,
weil die harmlose Frende am Sfriel einem Undlidien Sinne entspringt, der Roh-
heit, Verwilderung nnd niedrige Gennsssucht ausschließt, dagegen die Gesnndp
heit des Körpei-s bewfihrt und Freudigkeit für den Ernst der Arbeit erweckt.
Inmitten der ernsten Arbeit eine größere Frische des Körpers — das ist es,
was unserer Jugend, ja was uns selbst am meisten noththnt!
Ana Württemberg. Die LandessohnlanssteUnng in Stuttgart vom
25. Juli bis 25. August Die Pforten dieser Ausstellung, die einen vollen
Monat lang dem Strom der Besucher offen standen, haben sich g^hlossen.
Ehe wir von dieser höchst bedeutsamen Etappe im württembergischen Schul-
wesen Abschied nehmen, sei noch ein Rückblick und Ausblick gestattet. Die
HoAumg, dass aneh in Württemberg daa Interesse fBr das Sehnlleben anneh-
men werde, hat sich anf erfreuliche Weise erfüllt. Keine der früheren Aos-
stellungen hat eine so große Anzahl vnii Besuchern aufzinveisen; es mögen
über 100 0(K) Personen gewesen sein, trotz der ungünstigen Jahreszeit, iu
welche dieselbe verlegt werden musste. Aber nicht blos die Zahl der Ein-
tretenden ftberhanpt ist so erfrenlioh, sondern vor allem der Umstand, dass sie
ans dem gansen Lande mssrnmenkamen, dass jede einigermaßen bedeutende
Sdinle, viele abgelegene Dorfischnlen sogar, ihre Kinder in Masse hierher^
sandten nnd damit Tausenden und aber Tausenden Gelegenheit zum Sehen,
Vergleichen, Lernen gegeben wurde. Auch die übrigen deutschen Länder und
das Ausland sind durch Fachmänner in großer Anzahl vertreten gewesen,
welehe ihr günstiges ürtheil über das Gebotene nieht mrüekhielten. So ist
die unendlich mühsame Vorarbeit, welche die Einrichtung der Ausstellung den
Leinern. »Ion Behörden, den Beamten der Kgl. Centraistelle für Gewerbe und
Handel cTHinacht hat, mit reichem Erfolg belohnt worden. Auch das Urtheil
Sr. Mujetjtät des Königs, zu dessen 25 jährigem Kegieruugsjubiläum die Aus-
atellang veranstaltet wnide nnd der dieselbe am 16. Angast gegen dreiStnnden
lang einer eingehenden Besichtigang nntentog, ist ein überaus anotennendea.
Se. Majest.1t selber versieherte, dass er mit dem ganaen Lande stoli anf das
Erreichte sein könne.
Wenn wir nun das Gesammtbild uns vor die Augen stellen und den Al)-
schluBB der Rechnung zu ziehen suchen, so müssen wir unwillkürlich fragen,
wie es mOglioh war, dass das kleine Württemberg eine so groie Anaahl von
gleichmSüig über das Land aarstrevten FortUldungssehnlen anpreisen konnte.
Digilizea by LiOOgle
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Ein kurzer, gescliichtl icher Iiückblick zeij^. wie die Pflanze von sachverstän-
diger Hand unter steter Berückaichtigiuig der ErfahruDg gepfle^, ganz all-
mählich erstarkt ist.
Dm FortbfldoDgMehiilwMNi, wie wir es jetst in WUstbmhtltg haben» ist
nldit etwas Nagelneues» sieht der Minerva gleich fix and fertig ans dem
Hanpte des Zeus entsprungen, sondern ein Ergebnis langer allmählicher ffilt-
wickelnng. Es soll nicht vorgeRsen werden, dass die erste Anregung znr
Grandang solcher Anstalten von der edlen Königin Katharina schon im Jahre
1818 ansgegangen ist, sie machte die Beobachtang, der gewöhnliche Unterricht
der Landsehnlen sd nleht von d«r Art, nm als teehnelofisebe VorMldang fltar
den damals sehr daniederliegenden Gewerbestand angeselien werden zu kön-
nen. So entstanden nntor Mitwirkung der maßgebenden Factoren die Hand-
werkerschnlen als Töchteranstalten der uralten württembergischen Sonntags-
schulen. Im Jahre 1825 worden sie dem kgl. Stadienrath untersteilt, der sein
bcwMidews Aigeomerk a«f Ansarbettnng Ton Lehrpttnea und Verlagen für
dtas gewerbliehe Zeichnen richtete. 1858 wurde von EQnlg Wilhehn eine be-
nendere, aas Mitgliedern des Oberstndienrathes und der Centralst^lle bestehende
Commission gebildet, welche ans Oberstadienrath v. Knapp als l'räses, Regie-
nmgsrath v. Steinbeis and Pfleiderer, Überstadienrath v. Klampp und Riecke als
MitgUedeni bestand. Schon damals wurden die bis auf den heutigen Tag
naSgebeiiden Ornndsttse ad^ieslellt, dersn strenge DurehlUinnig das gro6-
artige Wachsthum dieser Anstalten ermöglicht hat: der Besneh soU freiwillig
■ebl unter Ansetzung eines den wirklichen Verhältnissen angemessenen Schul-
geldes, die Anstalten seien von den Gemeinden zu nnterbalten unter t 'bt-niahme
des hälftigen Aufwandes auf die Staatscasse. Ein beäonderes Verdienst um
Ansaibeitang dieser magna eharta der Fmrtbfldungssdinle bat steh Oberstadiflii-
latli T. Klampp erworben. Zu welch hoher Blüte diese Anstalten gelangten
unter der langjährigen sachverständigen Pflege des Präsidenten v. Steinbeis,
der besonders um (Tründung der Frauenarbeitsschule 1865 sich hoch verdient
gemacht hat, und wie das Werk mit stets steigendem Erfolg anter Director
T. Qaapp fortgesetat und dnroh neue Gesichtspunkte belebt worden ist, das hat
die gio6e JabUftunuaasstellnagt die ihre elf Vorglagerinnsii an Unükng und
Bedeutung weit tlberragtr Jedem Besucher vor Augen gefUhrt.
Unternehmen wir es nnn. die Beobachtungen, die sich bei mehrmaligem
Besuch ergaben, zu skizziren. Auf die Frage: Sind wir seit der letzten Aus-
stellung 1881 vorwärts gekommen V wird die emstimmige Antwort lauten:
Gans entscbleden, es sind sogar bei elnielnen Sehnlen sehr bedentende nnd
anerwartet große Fortschritte zu verzeichnen. Was das Zeiehnen in den
Fortbildungsschulen insbesondere betrifft, so hat das Ausgestellte aufs deut-
lichste gezeigt, dass systematischem Vorgehen, strenge Befolgung des Lehrgangs,
Vermeidang alles Dilettantenhaften, aber aach allzagroßer Pedanterie, allein
zum Ziele fBfari. Der segensreiche Eiafinss der NormatlTbestinmungen über
die Beiiandlang des Zeieheaanteniebtes vem 2. Januar 1886| einer Fmeht der
Aasstellung von 1881, an welcher aadi das Pieisgwleht nichts zu ändern
gefunden hat. ist unverkennbar gewejen; wer sich an diese Bestimmungen
hielt, konnte Bedeutendes erreichen. Auf sämmtlichen Gebieten des Zeichnens,
besonders im Fachzeichnen, ist sehr viel geleistet worden, emzelne ausgestellte
Lehrgtnge (maa eilmmre eidi z. B. des Lehigangs der stadtisehem Geweibe-
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schnle in Stuttp-art im teclinischen Fachzeichneii) sind g:eradezu ninsterhaft nnd
wert, vervielfältigt zn werden. Wenn man vollends erwägt, dass die meisten
Schüler nar wenige Abendstanden nach angestrengter Tagesarbeit verwenden
kSnnen, so tot ibrem Fleifi und ihrer Arbeit volles Lob m spendoi. DweA
die hSheren Leistungen der gewerblichen FortbÜdangescholen werden ttudi der
Kunstj?ewerl)p- niul Baugewerksschnle tüchtig vorgebildetp Schüler zügefiihrt
and diese Anstalten dadurch in die Lage gebracht, ihre Ki'aft anf volle Aas*
bildnng der einzelnen Facheurse zu verwenden.
Betrachten wir diese Erfolge in Zeichnen in den ttbrigen, besondert den
niederen Scholen des Landes, so bemerken wir anoh hier wfrenliche Fort-
schritte. Dass die Forderungen einheitlicher geworden sind und die Gleich-
mäßigkeit der Visitationen jetzt gewährleistet ist, bedingt schon eine kräftige
Anspomung. Jeder Lehrer wei£ jetzt, was von ihm erwartet und wonach
gesdien wird. Es darf nunmehr ausgesprochen werden, die aseichnerische Ans-
bildvng solle ein Oemeingnt aller derer werden, die sie je im spiteren Leben
gebrauchen. Wir reden damit noch nicht der Forderung eines obligatorischen
Zeichenunterrichtes in der Volksschule das Wort, weil das gleiche Ziel viel
besser daduich erreicht werden wird, dass immer mehr zeichnerisch gebildete
Kräfte aus unseren Lehrersemiuarieu hervorgehen und draußen, je mehr sie
selbst in diesem Fach bewandert sind, nm so besser es verstehen werden, anch
ihren Kindern Lnst nnd Liebe zum Zeidmen einzupflanzen. Wir fürchten
nicht, dass unsere künftigen Handwerker, wenn sie als tüchtige Zeichner die
Volksschule verlassen, dadurdi für ihren Beruf, wie man zu sagen pflegt, ver-
pfuscht seien und zu hoch hinaus wollen. Ist ja schon die bessere Ausbildang
desAnges nnd der Hand ein nnschfttsbsns Out, nnd so nothwendig wie irgend
etwas anderes. — Eine weitere erflrevliehe Beobachtosg ist die, dass manche
unbrauchbare Vorlagen allmählich verschwinden nnd dass überhaupt, wo es
die Umstände erlauben, tliunlichst schnell das Abzeichnen von Rlattvorlagen ver-
lassen und aller Nachdruck auf das Zeichnen nach Gips- und Körpervorlagen
gelegt wird ; auch das früher vollständig vernachlässigte perspectivische 2Seich-
neu wird dank vortrefflicher KOrpermodelle mit gHtferer Liebe behandelt.
Den Lehrerbildungsanstalten, ans denen alle unsere Landzeichenlehrer hervor>
gehen sollen und die jetzt schon so Schönes leisten, ist dringend ans Herz zu
legen, dass sie fortfahren, möglichst frühzeitig ihre Zöglinge in das Zeichnen
nach Gips und Körpern einzuführen.
Die FranenarbeitssehuleB hahen wiiUieh groBartige Leistongen an^
gewiesen nnd ist besonders hervotsiiheen,dass diese Anstalten diesmal gewisser*
maßen in einer ganz n« uen Form aufgetreten sind, insofern sie alle dnrch ihre
Lehrgänge und Musterbücher den Nachweis liefer-n . dass sie durchaus auf
artistischen, zeichnerischen Grundlagen beruhen und nur anf diesem Grund be-
fähigt sind, Jklnstergiltiges vorzuführen. Die streng organische Verbindung
des Zelchnois mit der Nadelarbeit ist erst seit 1881 voll nnd gans dnreh-
gefBhrt. Dadurch ist der Begriff einer w iirttembergischen Frauenarbeitsschnle
gegenilber der gewöhnlichen NUhschule für alle Zeiten festgestellt.
DieLehrmittelsaniinlung. weldie auf so liberale Weise dem Publicum
zugänglich gemacht wurde und eine Fülle von Anregung, Belehrung und Uuter-
haltnng bot, ist nnsweifelhalt die giilftte und bedentendste in dieser Art, die
ftberhanpt bto jetzt zn sehen war. Besonders die Sammlangen der Oipsabgiisse
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— 181 —
sind pinzi^ schön und von bewnndemnefswnrdig^er Reichhaltigkeit. Dabei be-
denke mau noch, daas die groiie Ausstellnng der Modellirwerkstätte der Kgl.
Centraistelle für Gewerbe und Handel nur neue Sachen gebracht hat, während
ihre tltm treff liehen ReUeforDamente Oemdngiit aUer Scholen dea Lande« sind.
Aach die Lehrlingsarbeiten geben Zeugnis von einem sebSnen Anf-
blnhen des Gewerbestandes. Wenn mancher Besucher es für unmöglich hal-
ten sollte, dass gewisse sich so vollkommen darbietende Stücke aus der Hand
eines Lehilings hervorgegangen sein sollten, so möge er erwttgen, dass solche
OefBWtliidfl in der Mtik utor Bemitniig ^ vnsÜglklwIaiMaaeliinen von
der Hand des Lehrling* geftrtigt worden, nnd daas derselbe solches häfcte ftber-
haopt nicht machen kQnnen, wenn er nicht zugleich ein ptoktUefaer Besooher
ond guter Zeichner in seiner Gewerbesclnile p:ewe8en wäre.
Gerade die Größe der Fortschritte, welche in den acht Jahren gemacht
werden sind, wird nicht den Gedanken aofkommen lassen, mau könne nun aof
den errongenm Lorbeeren aasrohen, sondern wird den Betheiligtea Freodigkeit
gaben, mit noeh melir Eiftr dem geirteckten Ziel näher zn kommen. Aodi die
Erfahrungen dieser Ausstellnner werden der Behitrde Gelegenheit geben £0
neuen Kundgebungen, zu Verbesserunt^eu und Kr^üiizungen aller Art, damit
durch gemeinsames Bemühen unser Fortbilduugsschulwesen wieder einem neuen
Stadiom der Entwiekelnng zogefBhrt wiri
Ans der pädagogischen Presse.
230. Berthold Sigismund (Fr. Klinkhardt, Deutsche Blätter 1889,
34. 3ö). „Ein frischer Kranz auf das vergessene Grab eines edlen Kinder-
frenndes" , zur 25. Wiederkehr seines Todestages (13. Augast 1864). Arzt,
Natorfoneher, P^jeholag, Lehrer, Dichter, Jogendiehriftateller, ein Charakter
von seltener Eeinheit nnd wahrhaftem Adel, dem leider nur ein ebenso niedri«
gea Lebensalter (1819 — 64) beschieden war wie dem von ihm in trefflicher
Jobiläumsrede gefeierten Schiller. — Wir erinnern hier einfach an seine für
den Erzieher bedeutendsten Schriften : Kind und Welt — Die Familie als Schule
dar Natnr — Botaniaeha Stodien im Haoagarten — Natorsinn (In Sehmidts
Encyklopädie).
231. Fr. W. Kersten (Päd. Reform 1889, 85). Geb. 1836, gest. 1889.
— Hamburger Seminardirector und Schulrath, der von der Pike auf g^edient
und aus allen Schulgattungeu Erfahrungen besaß. Ein strenger Charakter,
der seine Meinung nach oben nnd unten rttcksichtslos vertrat — Reformator
der Hanbarger Lehrerbildnng; besondere Verdienste am einen vemflnftigen
Betrieb des grammatladifln Unterrichtes. — Feind der Schablone, derLeitfftdea
und des Wortwissens, — In der Beförderungsart der Lehrer beseitigte er
manche Härten. — Sein früher Tod die Folge amtlicher Überanstrengong.
„Im Dienste verzehrte er sich.**
232. Loae Blltter aia meiner Mappe (S., Deotsehe Scbnlzeitong
1889, 29 — 87). 24 kone, an LeselHIchte aller Art angeschlossene päda-
gogische Betrachtungen, welche zeigen, „wie sich der Lehrer sein Lehrboch
der Pädagogik selber schreiben kann, freilich nicht als ein Profepsor, der ein
System charakterisirt, sondern als ein Sammler, der die pädagogischen Schätze
einsteckt, wo er sie findet. — IHe gebotenen „losen Blfttter" aalen um der
■aanigibchen Anregongen, die aie bieten, warm empfohlen.
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238. Ein Wörtlein über häusliche Schularbeiten (J. Püiyer,
ICitteischole 1889, XV). Verfasser sagt am Sclünsse: Ich denke mich am
iwanslg Jalire TomiB. Biiie Ptovins muerM Vaterlandes hat, so nehme ich
an, die Sefanlarbeiten fans naoh der alten Weise beibelialten, die andere bat
sie seit diesen zwanzig Jahren über Bord geworfen nnd Ersatz gesucht in den
Bewegungsspielen (und Handarbeiten). Ist nun wirklich jemand im Emst der
Meinung, dass die Bildung in letzterer Provinz merklich zurückstehen würde
gegen die Bildung in jenen? Wo aber größere Lernlust, frischere Gesichter
und beeeere Geesadheit n finden aein wUrden, dürfte nicht zweifUhaft sein.
Ich weis ganz genau, in wdelier Pmins idi am Uetoten Kind, Lehrer ood
aneh Vater sein möchte.
234. Die Gesundheit des Lehrers (Major, Freie päd. Blätter 1889,
34). Der hentige Lehrer hat eine andere und weitaus schwerere Arbeit auf
aleh tb ein Lebnr der Mherai Zelt Seine Arbeit ist mit derKntwickelnng
desSehnlwesens unendlich gewachsen, nnd aOet, was er für aeine Penon doroh
eie sweckmäßige Einrichtung der Schulhänser gewinnt, geht ihm voUatiBdIg
verloren durch den Zuwachs an Lasten, der ihm ans der Vervollkommnung
des Unterrichtsbetriebes erblüht. Er ist nicht besser daran, als seinf* Vor-
fahren es waren, er steht ihnen nicht eiiimal gleich, er ist im (iegeutUeil
echleehter daran.
235. Der Wille (Wendt,österr.Sohnlb. 1889, XVm). Der Wille ist die
(zwiefache) Reaction (Aneis:nung' und Bewegung) gegen die Einflüsse, welche die
Seele von außen erfährt. Der Wille wandelt die sog. Emptindungsreize, welche
wii' durch die Sinne erleiden, zunächst in Vorstellaugen um nnd begrenzt, d. h.
Tenogert in weiterer Entwiekelung die Smune der Eindrfleke alt Antettk-
aamkfiit, wobei daa Erleben ngleieh tili vertiefterea wird. Der Wille geitallet
und ordnet femer die Bindrücke in der Form der Apperception. Inwiefern er
bei dieser Gestaltung und Ordnung der Eindrücke Schwierigkeiten findet, er-
zeugt dies Zustände, welche als sog. Lust oder Unlust sich an die Vorstellungen
heften und die seelische Thätigkeit, d. h. den Willen zu neuen Äußerungen in
der Form dee Strebeos nach oder des Strebens gegen einen eolohen Ein-
druck beatimmen. — ontellnngen nnd Gefühle aind UmbildnngmitCInda dea
WiUens.
236. Beiträge zum deutschen Unterricht (Bemer Schulbl. 1889,
35 — 38). Vom Lesebuch (es soll die Jugend — indem es alles Gewöhnliche,
AUtSgliche, Troekene, Sjatematiaofae beiseite Hut ^ dordi all du Sehen-
werte, Btanneneiregende nnd Wnnderbare in Natnr^ nnd Menschenleben hin-
dnrehführen. Dem Lehrer fiele dabei die bescheidene Rolle eines Bergführers
zn). Vom Wert der Mundart als UnteiTichtssprache (für Schweizer Verhält-
nisse). Vom Lesen (besonders Chorlesen, als Mittel, die Lesefertigkeit zu er-
zielen; letztere zu zeigen ist Zweck des Einzellesens). Vom Aufsatz ^„es ist
eiflirderlieh, daaa daa nnainnige, die Sefaniererei flirinlieh pAaasende nnd die
Zdt TOrgendende ,Zuerstanfeetzen' abgeschafft nnd der Schüler angehalten
werde, seine Gedanken sofort und oluie Vorgoschmiere zu Papier zu bringen".)
237. Geographische Naniendeutung (R. Hildebrand, Zeitschr. f. d.
deutschen Uuterr. 1889, IV). Als Übung im geschichtlichen Denken. „Es ist
in der Sehnle w leiefat getliaa, am bellen in der Zeit vor den groien Ferien,
daaa der dentacfae Lehrer, der ja aolche aoi eigener EriUmmg wo! aar Hand
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hat, den Schülorn die meist bevorstehende Wandernnp- mit einer Erliöliunia: ins
geschichtliche Denken würzt, welche die Reise zu dem machen hilft, was sie
für die Eatwickelnng des Geistes sein kann, zu einem bleibenden tiefen und
MllMt «nrartaMB Gewinn adt frneliUiar teUiMr Niehwirkmg fitn gaan
Leben.* Beiepiele: Luzembnig (dnreh Deutsche verbaUlionite IhmalMMlie
Form — wir müssten Lüxembnrg: sagen und schreiben — von Lützehiburg =
kleine Burg, im Gegensatz zn Mecklenbnrg = große Bnrg; mecklen von alt-
s&chs. mikü, ahd. michil, mhd. michel = groß. Der Dativ in beiden Wörtern
stammt ans dem Leben, weil da die Ortsnamen im Dativ weit häufiger gebraucht
werden als im Noarinatty). — Amerika (der Vemame des Veepned: Amerlge
= Albericns = Alberich; der Hüter der unterirditeben Schatze hat also dem
an Gold und Silber reichsten Lande den Namen gep-eben!). — Xom Kampfe
zwischen Kanzlei und Leben seit dem Mittelalter, hinsichtlich der Ortsnamen
(Aussprache und Schreibung. Das Zusammenziehen der langen Ortsnamen,
wie Bolteeht = Bndolstadt, gesehieht nieht aai blofler Trigheit, soDdem der
Drang des Lebens bringt es berechtigt fiberall mit sieb).
238. Neusprachlichcr Unterricht (M. Lammers, Rhein. Blätter
1889, VI). Wertvolle Bfmtrknn^cn über das Erlemen fremder Sprachen im
allgemeinen und besonderen (höhere Mädchenschule). Sprechen lehren ist nicht
Ziel der Schule. Sprechen lernen nicht viele von einem, sondern einer von
Tiden. Oldebwol ist die richtige Ansspradie grflndUdi n Bben; Hanpt-
schwierigkeit im Unterschied zwischen der Muttersprache und der fremden
Sprache hinsichtlich der LauttÜrbnng:, Bindung, Betonung und des Satzvor-
trages. Zur Erzielung der richtigen Auf^sprache: Sprechübungen, in welche der
Lehrer furtwährend eingreift, und Leseübungen, letztere wichtiger und ^ncht«
barer. Letstce Ziel; Ffthigkeit, einen dem VersOndnis gemifien Schriftsteller
lastriditlg nnd sinnrichtig vorlesen zu kOnnen; diese bahnt die Sprechfthigkeit
genügend an (Ohr undZun^e sind hinlänglich geübt; hinreichender Vorrat von
Wörtern und Wendungen ist im Gedächtnis) nnd kann nach der Schale leicht
forterhaiten werden.
239. Die Stellung der Versnche imPhysiknnterricht (P. Conrad,
Sehweis. Lehrers. 1889, 27. 28. 30. 31. 34 35"). Natnrerscheinnngeii und
die wichtigsten auf Naturgesetzen beruhenden Vorrichtungen als Ausgangs-,
Mittel- und Zielpunkte; Versuche nur da einzuschalten, wo die Erklärung es
erheischt. Gründe für dieses Verfahren: Geschichte der Physik als Wissen-
schaft weist darauf hin, das Interesse wird am ehesten geweckt, die dem
physücalisehen Unterricht gestellte Anfgabe am sichersten gdSst.
240. Ist unser üblicher Unterricht in der Geometrie ein an-
schan lieber? (K. Heun, Päd. Zeit. 1 889, 39.) Nein, weil wir die geometri-
schen Elt inciitargebilde (gerade Linie, Ebene) als itriniitive. keiner Deduction
fähige auflassen und das Vorhandensein ihrer Begrifle in der Kiudesseele vor-
anssetsen. Das ist eine fulsdie Ansicht. Die Bbeae — als ^Feld der Plani-
metrie* — ist vor den Augen der Kinder zu erzeugen: durch Schleifen eines
„starren Körpers"^ (Schieferplatte z. B.) mit einem von diesem selbst abge-
brochenen Stücke (nach der Weise des Steinschleifers). Die Detinition soll sich
auf die bleibende Deckung zweier Flüchen bei beliebiger Verschiebung der
einen stützen. Nun lässt sich das ganze Lehrgebäude der Kanmkuude, ohne
dass man den Boden der Anschauung verlKsat, aufhauen und so eine concrete
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— 134 —
Gnmdlage für das abstracte euklidische System gewinnen. Diese Grundlage
„isfe eongrnent mit dm Mjuiipnlationeii d«8 Handwerkm» streng wisMiiaoliaftUoh,
indem aie auf einem einsigen kUuren nnd großen Oesetne beinlit^ nnd allgemein
Tentftndlieh, weil gie in der natttrUehen Thltiglceit des measoUiohen Geistes
wnnelf
Seit Octoberd. J. erscheint bei Otto Meißner in Hamburg eine „Zdtadirift
für liteinlose liSliere Sdinlen'*, herausgegeben von Dr. O. Weidner inHambnrgt
monatUdi eine Nnmmer, Preis vierteljährlich 1 Mk. 50 Pf. Ein beaditent-
wertea ünteniehmen, auf welelies wir murfieklcommen werden.
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Literatir.
Felix Schreiber, Herbarts Unterscheidanp dor Regjiffe Regierung und
Zucht. luauguralschrift. 56 S. Gotha 1889, Andreas Perthes.
Verfasser beginnt mit einer kurzen Exposition dor bezeichui'tcn Begriffe und
ihres Verhältnisses zu einander in der Fa!(.sung Herbarts, worauf ( r durcl»
cdoen Excon in die Geschichte der Pädagogik den Nachweis liefert, ditss und
in welchem Sinne — ntmlich innerhalb der Grenzen der Herechtigung — die
fragliche Unterscheidung auch bereite vor Herbart stattgefunden, Herbart
abo nichts Neues geboten hat. Hieran reiht sich eine eingehendere Darlegung,
Untersuchung und Kritik der Herbartschen Lehre von Regierung und Zucht,
den n .'-(•liroflV (Gegenüberstellung im Herbartschen .'^yste^le »clilicßlich alis^clohnt
wird, da aie weder Tom usydiologifichen noch vom ethischen Standpunkte,
ireder theoretiBch noch pnuEtisdi naltbar, Tielmehr die wesentliche tfberein-
■timmune: beider Erziehungsthfttigkeiten unleugbar ist.
Die ganze Arbeit zeogt ebensowol von eindringendem Studium des G^en«
stnndes, wie von Uuem Denken, sduurfem, sellMtständigQm vnd unparteüsehem
Urtheil und ist daher sehr geeignet, eine vielbe.sproehene Streitfrago der end-
gUtigen Lösung eutgegenzufUhren; somit sei sie der Beachtung der Schulweit
Dr. Wilhelm Neurath, System d«r Bodalen nnd politisdiai Ökonomie. Volks-
wirtscliaftslelire. Zweite Anflage. In 6 Lieferungen.' Wien, Iieipeig
und Berlin bei Julius isLliukhardt. 1889.
Wir haben die «osgeBeiehneten Arbeiten Neuraths bereits in frttheren Jnhr-
gängen dieser Zeitschrift (VUI S. 2ö.S f. und XI .S. 549/ angezeigt, und indem
wir dieselben aufo neae bestens empfehlen, haben wir nur beisnillgen, dass
die Mer yorliegende zweite Anflage der „VoHnwirtscIiaftoldire*' sorgfältig
überarbeitet, suwie bedeutend orwritt rt ist und zur Erleiehteruiiü des Ankaufs
in 6 Lieferungen erscheint. Nachdem Dr. Neuraths Werke den Beitall der
herrorragendsten NntfoniilBlHWomen gefünden haben und die Yerdienste des
Verfiissers neuerdincrs dureh Ertu iniunir zum Professor an der landwirtschaft-
lichen Hochschule in Wien anerkannt worden sind, enthalten wir uns jeder
weitexen Bemerlcnng. M.
Tipetl, Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für Lehrer- nud Lehrerinnen-
bildnngsanstalten für den T. and II. Jahrgang. Prag, Tempsk}-. 1 fl.20kr.
— Geschichte der östci reichisch - ungarischen Monarchie. Verfassung und
Staatseinrichtungen derselben. Für den III. Jahrgang. Ebenda. 1 tl. 2Ukr.
Beide Bftndc dieses Lehrbuches sind für Österreich isclie Lehrer- und Lehrerinnen-
bildungsanstalten bestimmt uml ihrem Geiste nnd ihrer Anlage nach vielleicht
der erste gelungene Versuch, sicii auf dem Gebiete der geschichtlichen Lehr-
bnchliteratnr vom Auslande zu emancipiren. Der Verfa.sser, durch größere
Gff'icbit hrürhp Arbeiten und Specialforschungen vorthcilhaft bekannt, hat alle
inethodiächeu Ertuhiungeu bei seiner Arbeit verwertet; er konnte, da er den
Stoff und die Literatur behenndit, ans dem Vollen schöpfen nnd abgerundete
H.
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— 136 ^
Bflder yoU LelMo, Aiuchauliehlrdt und Wahilieit entworfen. Die Anekdote,
sofern sio ein Streiflicht auf den Charakter oder ein Errip;nis oder einen
Culturzustand wirl't, wurde nicht aufieracht gelassen, wol aber durch ein nSoU**
oder „man enfthlt" als solche gekennieidmet. Die CnltuseKhiehte ist mit
Vorliebe behandelt. Dies i^ilt besonders fiir die Darstellung der österroichischen
Geschichte. Manchem der Regenten geschieht ja geradezu unrecht, wenn
man die Culturverhältnisse seiner Zeit, die durch ihn beeinflusst wurden,
nicht berücksichtigt. Muu findet darum in dem zweiten Theile des Buches
viele und zwar beglaubigte Züge, die ein wesentlich anderes Bild ^ar naanches
Herrschers geben, als in den landläufigen Lehrbüchern entworfen ist. Ähnlich
wie für preußi-sclie oder fninzösischc Srhnlen bestimmte Lehrbücher der (be-
schichte die glorreicheu Thiiteu eiuhoimischer Helden besonders ausführlich
schildenif eo das Buch von Tupet2 die mhninichen Thatcu österreichischer
Heerftthrer, z. B. die Helden des Kriege« vom Jahre 1H(HJ, Kr/herzog Karl,
Prinz Engen etc., oder die Kcformcn Maria Theresia s. Man wird ihm daraus,
sowie ans der fluchtigeren Behandlung mnncdier mehr loculgeschichtUcher Er-
eignisse anderer Staaten, so wenig wie den genannten Büchern einen Vorwurf
machen dürfen. Das Buch soll ja dem späteren Volksschullchrcr, der gerade die
glorreichen Thatcu des Vaterlandes der. Fugend besonders ausfiilirlich erzählen muss,
will er in ihrem Herzen die Anhänglichkeit an die Dynastie und das Heimat-
land kräftigen, eine Qudle der Belehrung sein und bleiben. Ein Schmuck und
ein Beitrag zur Belebung des Wortes sind du: 154 Bilder und die 19 Karten
des Anhanges. Viele der eisteren sind dem Werke BÖsterreich- Ungarn in
Wort und Bild* entlehnt und sind keine Phuitasiebilder. Die letzteren enetzen
einen historischen Atla.s.
£s ist keine Frage, das« sich das Buch von Tupets um seiner methodischen
Voizflge nnd nudi um des Geistes wiHen, in dem es gesdirieben ist, Fmnde
in den österreichischen Lehrerbildungsanstalten erwerben wird W.
Spiefs und Herlct, Sächsische GeBchichte in Biographien I. (5. Aufl.) Hüd-
burghausen 1889, Kesselring.
Wir hfttten schon wiederholt Gelegenheit, bei Besprechung von GescJiichts-
bttchcrn vergleichsweise auf Spieß-Berlets „Weltgeschichte in drei concentrisehen
Kreisen" hinzuweisen. Das Buch ist eben einer von den wenigen originellen
und sehr brauchbaren Lehrtateii unserer höheren Schulen. Dieses Urtheil ver-
dient auch die Ergänzung zu jenem Werke, die für sächsische Schulen bestimmte
„Geschichte .Sachsens" in zwei concentrisehen Kreisen, die nacli demselben
Plane angelegt i.st, wie das Hauptwerk: abgerundete, an charakteristi^hem
Detail reiche Biblcr- vorangestellt wird dem schlicht geschriebenen Texte eine
Disposition, deren Theile (Schlagwürter • als Kaudnoten sich an den betreflfenden
Stellen des Textas wiederholen; in Fußnoten endlich wird die Lage der im
Texte genannten Drte angegeben und Einzelheiten erläutert oder nachgetragen.
Eine ganz vorzQgliehe Beigabe sind die S. 7G — 88 gegebenen Zusätr.e, die
Geschichte des oberen Erzgebirges, insbesondere Annaberg betrefiFend. In der
Weise wird die Geschichte des Landes mit der Localgeschichte zu deren beider-
seitigem Vortheil am besten verbünde W.
Perd. Hirts Geogrsphisehe Bildertafeln. III. Theil. 2. Abthlg.. Völkerkunde
von Asien und Australien (300 Holzschnitte auf 27 Tafeln). Preis
(5,50 Mk.; 8. Abthlg.: Völkerkunde von Afrika und Amerika ^äiXHolz-
schnitte auf 31 Tafeln). Preis 7 Mk. Breslau, Ferd. Hirt.
Mit der dritten AMhdhing des m. Theiles ist das Hirtsehe Bflderwerk tih
gcscIilosM II. Ks umfasst in il» n fünf rändou: 142 Taft in mit 1108 Holz-
schnitten, außerdem einen umlangrcichen erläuternden Text. Welche Summe
von geistiger Kvaft ein solches werk erforderte, ist jedem klar: vielleicht
ahnt aber mancher nicht, welch große pecuniären Mittel die Herstellung in
Anspruch nahm. Einige der Tafeln sollen dem V erleger bis 2(KK) Mark ge-
kostet haben! Xnn dasW^erk in so gediegener Weise abgeschlossen ist, sollte
CS auch von den Lehrern in der intensivsten Weise beim Uuterri< ht, sowie
beim Studium benutzt werden. Die zweite und dritte Abtheilung der „Völker-
knnde", die ims heute xat Bespzedrang Toriiegen, Teidieiien dieses Interesse
DIgitizea by LiOOgle
— 1S7 —
jjfanz besonders, weil die dur|;c8telitcu objectc einer mis fern luvenden Welt
entnommen sind, in die selbst die beste HeHrhreihung nur unvolLkummcn cia-
t^hrt. Wie anders wirkt ein Bild, wenn es. w ie dic.s hier der Kall, mich eiier
Naturaufnahme gezeichnet ist, den Stempel des UnvertälBchtcn und Objcctiyen
an sich trÄift! Das allein vermag die fremde Welt, so wie fie wirklich ist,
ans mibe zu räcken und sie uns verständlieh zu nnuhcn I>i:r ( rliiutcnide
Text, der ia dw «weiten AbUieiluiig 16 Bogen, in der dritten Abtheilung
10 V« Bogen stank tet, bniiieht dann nur die RoDe des Cicerone zu Aber-
nohnif-n und unser Angf uuf alles Arm I5ilde zu sehende ehamktcrLBtische
Detail hinzulenken. Kinc Keihe Ton Mitarbeitern, die das betreffende Land
und Volk au Antofsie kennen gelernt haben, hat nt diesem Texte beigectenert
— Der Reichthum an dargestellten Ohjenten in d< n jjenanntt u zwei Abtheilangen,
sowie die Art der Auswahl dürfte um besten ersichtlich wurdeu, wenn wir ein
etwM aosttthrUdier behandeiteB Beispiel bringen. Wir greifen ans der «weiten
Abtheilung: .China" h. raus. Was stellen di<- Bogen dar":' Die Tafrl KH)
ftUurt Volkatypen und Erwerbeformen vor. und /.war in vierzehn Einzelbildern:
Chinese, Chinesin (BrvstiiUder), Mandarin, chinesische Fraaen. Kindergrume,
Mant^cliu-Fraueu, Bauer vom Peiho. .Mongolen, Eingr boreuf von .Tiinnan, Zu-
richtung de» Reisfeldes, Reisemte, Krutc und Beurbeitung des Theeä, Seidw-
Weberei, BaumwoUwcbcrei. Die Tufcl 101 stellt aeht nanten dnr. nämlieh:
Straße in Tanton, Brücke, Inneres eines Ziinmeis, (tart> n ' iiics Vornehmen,
Lösswülinuu^'. Inneres eines Tempels, Tenipelhof, die gruBe .Mauer. Hie Tafel
102 gibt das Bild einer J^chule, einer Theatervorstellung, Straßmscenen, ver-
schiedene Strafarten, zwei Opiumrauchcr, dann Ansiehtcn ein« r ILiuptstraße
in» IV'kinger ("hineseuvicrtel, eines Stadttheilcs in Nanking am Blauen Flusbe
mit Dschunken und schwimmenden Wohnungen auf dem Onntonllusse. Die
Hildijröße ist 9:9 cm oder 18:11 rm. Berücksichtigt man nun. da«s jedes
der StraBenbilder bei der zuletzt genannten Größe auch noch Typen der
verschiedenen Berufsarten nach allen ihren Eigenthiimliehkeitcii lu Tracht,
Beschäftigung etc. deutlich genug wiedergibt und das« ebenso auf anderen
Bildern auch vicicriei untergeordnetes T^ctail sichtbar gemacht ist, das in
grOSerem Maßstahe losgelost von dem, wozu es gehört, nicht vorgefiilirt werden
konnte, sollte der Umfang eines Handatlasses nicht überschritten werden, so
begreift man die Befriedigung, die der Beschauer der Bilder ob des Reich*
thums an Anschannngsmaterial eniptindet. Land und Leute von China stehen
in kr&ftigen Zttgcn wie leibhaftig vor unserem Auge. Eine gleiche Anregung
genieBt man, man mag welches Bild audi immer avftdüigen. Besonders die
Gruppenbilder sind :uü?erordentlich packend und prägen sieh wegen ihrer übe r-
sichtÜchen Composition der Phantasie leicht ein. Man lietraohte z. B. aus den
TafiBln 186 und 187 in der dritten Abtfaeünng (Die Indianer Nordamflvika's)
f^twa die Bilder: Der Kriegstanz der Sioux, der Medicinmann, eine Krankheit
beschwörend, oder die Darstellung des Stammeazeichens bei den Pawnees:
diese mtor -vergint man nie mehr, aneh wenn man sie nur einud etwas ein-
gehender be.^i(•htigt h;ihen sollte.
Das» die beiden AhtiicihinLi n ikr Bildcrtateln auch insofern auf Vollständig-
Mt Anspruch machen, als s'u- uicht blot die Eingeborenen, sondern nmh die
eingewanderten Weißen und die Kreuzungen in ihren Typen, Lebensgcwohn-
beiten etc. bildlich wiedergeben, brauchen wir wul nicht erst ausdrücklich
n erwfthnen. \\':ihre Prachtexemplare enthilt aueh in dieser Häneht das
vortreffliche Werk. W.
Samuel Schillinf^s Gnindriss der Natuiyeschiciite. Erster Theil: Da.s Thier-
reich. Sechzehnte Beul beitiiug besorgt von l'rof. Dr. F. C. Noll, Oberlehrer
am städtischen öymaasium zu Frankfort a. M., Herausgeber der Zeitschrift
.,ZoologlMh«r Otiten*. Mit 668 Abbildungan and etner Karte in Farben-
druck. — Breslau 1889. Ferdinand Hirt, kSnigL üniversitfttB- und Verlaga-
bachhaudluug. 3,80 Mk.
Die ächillingschen Lehrbücher erfkeuen sich seit jeher in der deutschen
Schnlliteiatnr eines großen und wolTerdienteu Rufes. Die Verlagshandlung
FMagogiuB. lt.Jsluf. Hann. 10
Digitizeü by Liüügle
- 138
hält (lieselbou in den ^totie: erecheinendcn Neuauflagen auf dem Standpunkte
der »ich weiter entwickelnden Wissenschaft. Auch die neue Aufluge ist wieder
ein sprcclieuder Beweis dafiir. D&s» man in dtt Buthflilang des Buches bei
dem erfuhrungsgemäB Guten verbleibt und so an dem ursprüngliclD ii Plane
Schillings festhält, ist sehr anerkennenswert. So vor allem ist die Kiuleitang
noch immer ein sehr übersichtlichfr. m rgleii iiendcr anatomischer Theil des
Bnolies, welcher es in der Systematik leicht macht, durch Berufungen auf das
Abgehandelte die Thierbeschreibungen recht karz zu fa.ssen. I^ss manche für
den Unterricht auf dieser Stufe ganz unhodeuteude 'l'liit-ri^rappen ausgelassen
wurden, ist nur 2U loben. IMe Detailbeschreibangen sind kurz und bündig
•■d wie der allgemeine Tliefl dnreh zahlreiche theib anatomische, theils Total-
bilder ausrricliond unterstützt. Die geoffraphisclif Verhreitong derThiere und
eine kleine Faläozoologie schlicllen du Buch ab. Wir wiederholen nar. dass
das ganae Werk ein gntee Lerabnch ist, wnmgleidi im Detail naudies wegea
Mania:cl.s mi Zeit in der Schule au.sj,'plas.son und dem Privatfleißc dor Schüler
Überlassen werden muss. — Die Ausstattung ist in jeder Bcadehumr, besonders
aadi in Bmag auf die QiOBe des Druckes aeiir lobauw^rt. 0. R. R.
Dr. pliil. WUkeln Jnliw Behrens, Methodisches Lehrbuch der all-
gemeitM'ii Botanik für höhere Lehranstalten. Nach dem neuesten Stand-
punkte der Wissenschaft. Vierte, durchgesehene Aufla^:e. Mit vier ana-
lytischen Tabellen und zahlreichen Original-Abbildungen in 41 1 Figuren,
vom Verfasser nach der Natui' auf Holz gezeichnet. VIII u. 350 S.
Bkaimsdiweiff 1889, Harald Bmhn, VerlagsbachhandliiDg fVr Natorwiisen-
Mhaft und Medicin. 3,60 Alk.
I'ntcr dem vielen, was anf d»'ui Bncht riiiurkti' erscheint, ist d&a vorlirgende
ein wirklich vorzügliches Werk, mit überreichem Inhalte, der sich in cJcstalt-
lehre, Systematik, Biologie. Anatomie nnd Physiologie und die Hohandlung der
niederen Pflanzen gliedert. Die (vestaltlehre bespricht, unterstützt von zahl-
reichen, höchst gelungenen Abbildungen, die ftuBere Form des PflanzenkOrpcrs
in seinen Theilen. Die Systematik beginnt mit einer sehr detaillirten Dia-
nammatik, wie überhaupt die Durchschnitte der Blüten, um die Anordnung
der BlUtenthoUe recht deutlich sichtbar zu machen, in den Charakteristiken
der einzelnen T^anzenfamilien die erste KoUe spielen. Diese Sysl'-m.itik ura-
tasst übrigens nur die böheien Pflanzen, die Monokotjlen und Dikotylen;
Detaflbeeehreibuttgen fehlen natttrlidi g^wUch. Die Krone des Werkes mochten
wir die Biologie nennen, da sie sowol in don Ahachnitte von der Befruchtung
als in denen von der Übertragung des mitenatanbes durch den Wind und
dnreh Thiere soTiel des Interessanten nnd Belekrenden bietet» wie Mn anderes
derartige.s Buch. Das Capitel, welches Beispiele für die Inseetenbestäubung
bei einigen Pflanzen anfuhrt, ist höchst lesenswert Anch im Capitel: »Ver-
bieitangniittel der Frttefate nnd Samen" sind hOehst beieinende MUnongen
zusammengetragen. Die .Anatomie und Phy.sioiogie theilt sich in die Lehre
von der Zelle, von den Geweben und die eigentliche Physiologie: in diesem
Absoiinitte mochten wir beeonden auf die Bespieehmg und Abbildung der
Afparate. welche die Lehensvoraränfre in den Pflanzen erliiufern, anfmerkasm
machen. Hie ^eben beim .Selbststudium, und dieses ncheiut der V^erfaseer
vor allem stets im Au^c gehabt zu haben, Gelegenheit, durch eigene Versuche
sich von der Wahrheit der aufgestellten Sätze zu überzeugen. Auch den
niederen Pflanzen ist ein genügender Platz zugewiesen und dieselben sind aus-
reichend behandelt. Auffallend dürfte es manchem erscheinen, hier auch die
Nacktsamer (.N'adolhJilzer und Zapfcnpalniem einjjer iht zu finden. Ks ist
schade, dass nicht auch im Zusammenhange dem Werke ein Abschnitt über
FflaoMBgeogiaj^de und •Pallontokttie sagättgt istj ee wttsde dadurch noch
vollkommener geworden sein. — Wir sind «war m neuerer Zeit gewohnt,
naturhii^torische Werke in schöner Ausstattung zu erblicken, und die Herren
Verleger wetteifern zum Nutzen der Wissenschaft in dieser Hinsicht mitein-
ander* aber wir mOmen gestehen, dass dieses Werk auch in dieser Beziehung
uns als das vorzitgUohste anf buchhftndlerischem Gebiete erscheint. Verfasser
Digitizea by LiOOgle
— 189 —
(durch seino ädbtttBtMdifeu Zeictuiuu£euj und Verleger haben hierin dMftuAeate
celeiBtet. Wenn wir daher dieMs Bach «lleB Kreieea, die lieh mit Botanik
MBcbäftigen, auf das an^elrppiitlichKte etupfehlcn, j»o mope noch einmal wieder-
Gdidmnine dm Pflansenwelt «nuiimgen wolleii, in dieaem Buche den Sehltlaiel
finden, der ihnen in der aogenekmten Weite dea Zutritt n dieien Qebeim-
niisflen erüfihet. C. R. K.
Dr. Patl Wonidlo, IHreetar des BealgymnatiainB m Tamowiti, LeitfiidMi
der Mineralogfie und Geologie fBr hShere Xehranfitalt«Q. Mit 696 in den
Text gedruckton Abbildungen und einer geologischen Karte in BontdnudL
VI u. 238 S. Berlin 1889, Weidmannsche Buchhandlung. 3 Mk.
Wir hatten schon Gelegenheit, über Lehrbücher desselben Verfassers uns sehr
lobend zu ftoBem, und mOssen uns in gleicher Weise auch Uber die vorliegende
Mineralogie und iTcologie aUi^prechen. Ein grofler Theil des Buchen ist der
Krjätallographie gewidmet, an einigen Stellen vielleicht Hogar in einer Aua-
dehnung, die Uber das gewohnte Maß hinausgeht; dagegen i»t den physikalischen
Eigenschaften der Mineralien ein kleiner (aber ausreichender) Kaum zugewiesen,
und die chemisdieu Vediftltnisse der Mineralien werden mit Bezugnahme anf
den Umstand, dass unorganische Chemie ohnehin i^olohrt wird, g^anz kurz
behandelt. Nach einem ftat dnrchaua chemiacben Systeme weiden hieiauf
die wichtigsten Minemlien in gtaa sntreffiender Weise headirleben. Die Geo-
logie thf'ilt «i(h in eine Potnii^^riiphic mit nrlit eingehender Beschreibung
der einzelnen Uesteine, welcher eine kune Erläuterung der ätructur und dea
GefBges Toransgesandt iat Ont bdiaadelt ist ferner der Vnlcanisniui und die
erdbildcndft Thätigkeit des Wassers; wol etwa.s kurz s^cfasst ist die geologische
'üiätigkcit des Thierreiches, die dea Pflanzenreiches iKoblenbildung) wird erst
■piter im hiatwiadwu Theile abgeiiaiidelt über Seniehtung, iMS^eniDg nnd
Alter der Gesteine ist das Wis.sen8wcrte sehr übersieht! ich in einem Abschnitte
naammengefasst. Die Erdformationen geben ein reeht anschauliches Bild der
Veitudernngen in dnr LithospbUre der Erde, der diesbesOgliehen Thier- nnd
Pflanzenwelt. Im ganzen Bnehe sind zahlreiche sehr e^elnngene Illustrationen
vertheilt, die insbesondere in den geologischen Abschnitten theils durch Ab-
bildungen von Dtinnschliffen ttber die Stmctur der Gesteine Aufschluss geben,
theils durch landschaftliche Bilder (last ausschließlich aus Deutschland) sehr
belehrend wirken. Auch die geologische Karte Mitteleuropas ist sehr instructiv.
Sprachlich ist uns nur der Ausdruck „FeldapXthe" als uigewdhnlich aufgefallen.
Die Ansstattiiiitr iles Buclios ist geradezu vorzüglich /u nennen. Wir empfehlen
daher da^j Biali uach jeder Richtung al.*i ein sehr brauchbares Schulbuch und
auch zur Selbstbelehrung. ( . R. K*.
Hilfsbnch für den Unterricht in der Naturgeschichte. Zum Zwecke
der Vertiefung und Belebung des natnrgeschichtlichen Unterrichtes bearbeitet
von A. Umumel, Seminarleiirer. 6 Lieferungen ^ 4 Druckbogen & 60 Pf.
Halle ftw S. 1889, Veite; ^ H^ynentiuiaclien Buchdmelcerei (F. Beyer).
Der Verfa.H.ser will in dem Werke, von welchem uns zwei Lieterungcn vor-
Uegen, keineswegs ein Schulbuch bietei^ sondern eine für die Hand des Lehrers
zum Selbvtrtndinm und sur Yofberaitttng für den Unterricht bestimmte Be-
arlieitung ditt Naturgeschichte: für den Schüler, wenn er etwa das Buch zur
Hand bdiommt, soll es die Möglichkeit einer größeren Vertiefung in den
Gegenstand leisten. Dieser Avfurabe entapredien aneteeita die reichen Detafla
über Lebensweise, ^eotrraphische Verbreitung etc. bei den einzelnen Thicren.
sowie anderseits die Au^ben, welche in Fußnoten für den Unterrii-ht an-
g^ldMB sind. IMe Detaiia sind snn Theile ijritßeren Werken, wie Bfelin,
entaoiunen, theils stammen sie von Selbstbeobachtum^^en des VcrfaaaeiB lier.
Anf die Anatomie der Thiere, z. B. ihren Skuletbau, ihre Zahuverh<nine eCe.,
lOtte wol grtBere BAdnicbt genommen werden sollen; auch ist die Sjite-
matik ttne leekt alte, denn in keinem neuereu. insbesondere fUr Lehrer
bestimmtem Biidie wird man die Beutelthiere nächst den Kaubthieren, die
Sdmabeltiiieie bei den FeUiihnem (sonst Zabaanne genanat), die Robben bei
holt sein, das» insbesondere diei
eiche durch Selbststudium in die
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— 140 —
. den WiweroIngethiwpeB voxAiideB. Auch ist bei im Sdmsbelthieran nm
EiorlcfTcn nicht« erwHhnt , wodurch die Charakteristik der Sänpethiere etwas
Hiteriri wird. Da&n in einem solchen Bache Abbildungen fehlen, ist zwar
erklftrlich, aber doch immerbin bedauerlich, Deaaenuiigeacbtet wird dieeei
Werk iii den KreiKon. für die os hcstiinint ist, Nutzen Ptittfti. Wenn aber
die Fortsetzungen in deiu gleichen Maße der Ausdehnung gchalt<.'n sind (die
zweite Liefenm^ schließt noch nicht die Vögel ab), so mri das Werk wol nrft
seohi^ Lieferungen für die gaaie Natugeeohidite nicht Min Auslangen finden.
Die Ausstattuug ist gut. C. Ii. B.
Hax Hftlmer, Lehrer in Bredan, Onmdsilfre der Ptaysik. Ein Merk- und
Wlederholnngsbuch für Schüler mehi klassi^c« r Volkssehiileii. Mit 100 Ab-
bildungen. 1(X) S. Breslau 1889. ^'erlag von E. Morgenstern. 0,50 Mk.
Ein kleines Lehrbuch der Naturlehre, zu dem Zwecke abgefasst, um dem
Schüler du Wiederholen des in der Schule Gelernten su erleiditeni. DieNm
Zwecke entspricht die Form des StofTis und vor ullcni die große Ziihl von
den einzelneu raragm^en beigegebenen \\ iuüerhulungsfragen in vollkommen
beMedigender Weise. Die Träurang des Stoffes in «ueh vorgesetzte Zahlen
gekennzeichnete H nippen ist recht gut. Die Ausstattung, besonders die Holi-
schnitte sind lobeuswert zu nennen. 0. S. B.
Ii. Kuöpfl, GrottherMgl. Bealiehrer an Oppenheim a. Rh., Methodischer Leit-
fhden der nnorganiaehoi Chemie. Inductive Einfitlining in das VerstSadnfti
chemischer Vorgttnge unter Berücksichtigung der 'I'hermochemie für höhere
. Lehraustalteü. üpiieoheim 188Ö. Verlag von Wilh. TraimmäUer. VH
u. 99 S. 1^0 Mk.
Ein für Untendassen der Mittdsdnilen, an denen die Chemie als Separat^
gegenständ gepflegt wird, recht brauchbares Büchlein, da alles auf dem Ver-
suche und der Erfahrung basirt. Die Auswahl ist eine umsichtige und gut
beschränkte. Der Thermochemie ist ein großer Spielraum gegeben, mehr als
sonst in Leitfäden. Die Gruppirung des Stoftes ergibt sich aus den folgenden
AbEchnittBtiteln. Elemente, die binären Verbindungen, die chemische Theorie,
die Zeneferang der binären Verbindungen, die Reductionen. die Wechsel-
zersetzungender Säuren, Basen und Salze, die wichtigsten Salze. Eingefügte
Tabellen dienen sehr vortheilhaft für die Wiederholung uud den llberbUck
der einzelnen Abschnitte. Dass gar keine Abbildungen yorkommen, ist wol
ein Maagel; sonst ist die Anastattang des BAchleias sehr gut. C. &. B.
TwMrtwoitf. RedaetMt Dr. Prl«dri«b Ditt»«. BudMniekspd Julia« Xlinkkirdt, Leipzig.
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Die SokrfttlBebe MetMe.
Von Dr, J» MShm^BamJb^,
Jeder, der si<'h iia(;li den vei*schiedenen Lehrai-teii umthiit. liört
auch von der Sokratischen Methode; Uber Sokrates selbst aber iKirt
er meistens weniger Genaues und bildet sich ^ar zu leicht aus jener
Methode ein abfälliges Urtheil über Sokrates, den Vater der erkennt-
nistheoretischen Philosophie.
Mancher, der den platonischen Sokrates bewundern lernte, erwar-
tet vielleiclit in der Sokratischen Methode einen besonders wertvollen
Besitz der Pädagogik, in dieser Methode ein besonderes, ihm noch
irenig bekanntes Verdienst jenes Philosophen. Doch beide, sowol
der der Phflosophie Beflissene, als ancli der Jttnger der Pädagogik,
imteriiegtti einer TSnsdiang. Dar PhiloBopli erwartet von der Methode
za viel, der Pildagog sieht in Sokrates an venig. Ich werde nim,
am letzteres Yon dem Andenken des griecliischen Weisen abznwenden,
znnSchst korz angeben, was man in der Pädagogik nnter Sokratischer
Methode zn verstehen pflegt, nnd dann dem gegenüber die wirklich
▼on Sokrates gehandhabte Methode in Umrissen za zeichnen Tersnchen.
I. Pädagogischer TheiL
Der Unterriehtsstolf kann aaf zwei Weisen dem .Lernenden mit-
getheOt werden: das dnemal wird der Schiller durch Fragen zn
Antworten geflihrt, die allnüUdich seinen Wissenskreis erweitern, das
anderemal der zn einon Ganzen abgernndete Leinstoff in zusammen-
hangendem Yinrtrage .gegeben. Die erstere Lehrart, die Frage- oder
erotematische Methode, die andi als heoristisehe bezeichnet wird,
weü sie den Schtller selbst das finden Iftsst, was er erkennen nnd
lenien soll, wird von den ehien die Sokratische, von den anderen die
Torzagaweise kateehet&che Methode genannt Man setzt also die
S(^Eralische' Methode gleich der katedietischen nnd bezieht damit alle
Vorwürfe, die der katechetischen gemacht werden, auch anf die Sokra-
tische Methode. Machen wir uns klar, was das zn bedeuten hat.
T^nter Kttx<{f.r^ai< oder Kariixurfiog verstand man ursprünglich den
f&r den Eintritt in die Kirchengemeinschaft vorbereitenden Unterricht
PaiMtacini. lt. Mug. Haft m. 11
Digitizeü by Cjüügle
— 142 —
über die christlichen Glaubeuslehreu. Abgesehen von aller Methode
verstand man also darunter den ersten christlichen Religionsuntemcht.
Mit dieser Katechetik scheint von vornherein die Soki-atische Methode
nichts zu thun zu haben; denn diese Katechetik bezeichnet einen
gewissen Unterrichtsstoft, keine Methode.
Dennoch werden wir in des Sokrates Lehren Vergleicluingspunkte
mit einem ersten Religionsunterrichte finden, die vielleicht mit daran
schuld gewesen sind, dass die Begriffe der Sokratik und Katechetik
miteinander verschwammen. Sehr bald nämlich verwirrten sich
cUew beiden BegrÜfe in der Geseliidite der Pädagogik. Wenn wirk-
lich die Sokratische Methode ebenso wie die katecheliiehe beide nichts
anderes bedeuten als Fragemethode, so wird man leicht Terldtett diese
Fragemethode aach da noch Sokratik za nennen, wo h<kshstens die
Bezeichnung Katechese berechtigt ist.
Die Fragemeihode bietet nämlich durch die gegebenen Antworten
dem geschickten Lehrer stets einen sicheren Kinblick, eine nnfehlbare
Controle Uber das Verständnis des Schfllers. Der Lehrende wird
nicht eher Nenes in den Kreis seiner Fragen hineinziehen, als bis er
ans den anf seine Fragen gegebenen Antworten erkannt hat, dass
das bisher yon ihm Gegebene yerstanden ist nnd eine feste Grundlage
für einen gläckliehen Weiterban bieten kann. Unwillkfirlich werden
sich also an dü^enigen Fragen, welche der Erweiterung der Kennt-
nisse dienen, solche anschließen, welche die Befestigung des Erkannten
bezwecken. Nicht immer wird durch die Frage die Denkkraft in
Thätigkeit gesetxt werden, sondern nur das Gedächtnis in Anspruch
genommen, um das bereits durch das Denken Erworbene als festen
Besitz zu erweisen. So ist es gekommen, dass man unter der kate-
chetischen Methode wie Kant nur das Abfratren des Gelernten ver-
stehen kann, wobei das selbstständige Denken des G^efragten höchstens
nur dazu beanspruclit wird, ihn durch Fragen zu neuer Gruppirung
des bereits gedächtnismäßig Gelernten zn veranlassen, ihm verschie-
dene Gesichtspunkte zum Überblick über seinen Besitz zu geben.
Setzt man also Katechetik und Sokratik einfach einander gleich, so
würde auch diese Art der Bearbeitung des Lernstoft'es zur Sokrati-
schen Methode gehören. Kant freilich unterscheidet sehr scharf die
als Abhören des Gelernten definirte Katechetik von der Sokratik:
und von Kaunier setzt dem Katechisiren das Sokratisiren realistischer
Lehrer geradezu entgegen, welche vermeintlich aii^eltorene religiöse
Begrifle, wie Wolke im Pliilautbropinum, aut« dem iüude herausfrageu
wollen.
Digilizea by LiOOgle
— 143 —
Wenn nun Sokrates auch weniger in den Verdacht kommen wird,
Erfinder des Aufsagens und Abhörens gewesen zu sein, so ist die
Oefahr desto größer, dass man ihn für denjenigen hält, der zuerst
Tersucht habe, seinen Hörern gewisse Kenntnisse durch Fragen in
den Mund zu legen und diese dann in ihren Antworten als Resultate
ihres eigenen Denkens vorbringen zu lassen. Anstatt den Zögling
von Stufe zu Stufe der Erkenntnis aufwärts zu führen, anstatt aus
vielen einzelnen Fällen ihn Regeln abstrahiren zu lassen und so ein
abschließendes allgemeines Urtheil vorzubereiten, nimmt der Lehrer
gleich in seine Frage die schwierigsten Punkte der Untersui'liuiig als
erwiesen auf, vertauscht unbesehens Begriffe, die sich niclit decken,
um scliließlich bei dein Schüler den Glauben zu erwecken, dass er
selbst die Schlusssätze und ihre Wahrheiten gefunden habe. Dieses
Verfahren, die Antwort schon in die Frage zu legen, das Verfahren,
den Gefragten zwischen einer Unmöglichkeit und der von dem Frager
gewünschten, willkürlich herausgegriffenen Möglichkeit wählen zu
lassen, dieses Verfahi en. durch Zerhacken der Begrille und Zerpflücken
der Sätze den Schein einer Untersuchung hervorzurufen, die lediglich
aus angeborenen Begriffen ihre Sätze entwickelte, diese Art der
Eatechetik, welche besonders im vorigen Jalirhundert die jungen
Ohristen durch ihren logischen Schematismus unendlich gemartert hat,
dien Methode wird nur m leiebt mit der Sokratik verwechselt
Pestalozii vergleicht einen solchen Katecheten mit einem Raub-
vogel, der Eier ans lunem Neste holen wül, worein noeh keine gelegt
sind. Der badische Eircbenrath Schwarz ftnfiert sieh in seiner Endehangs-
lehre Ober die Entartung des Katechisirens nnd Sokratisirens folgen-
dennafien: „Man kann es vermittelst der Eateohisirknnst unglaub-
lich weit bringen. Wir haben acht- bis sefai^jfthrige Kinder gehört^
welche von der Allmacht, von Beeht und Pllidit Begriffe angeben,
anfUtoen, erkUren konnten, so dass man hierin ihren Verstand bewun-
dern nnd alles für Entwickelnng der Vernunft halten musste. Dass
es aber Worte um Worte sind, und dass dieses sogenannte Erklftren
nichts anderes als efaie Art Kopfrechnen ist, dass diese Wortmacherei
eher mit einem blanen Dunst der diemaligen BetrOger in der Gk>ld-
macherknnst verglichen als eine Belehrung im Christenthum genannt
werden kann, braucht nicht weiter nachgewiesen zu werden.*^ Der
Hallenser Pädagog Niemeyer nennt, obgleich er den Wert der Eate-
chetik und Sokratik zu schätzen versteht, das Katechisiren ttber
abstracto Begriffe „ein papageiartiges Nachsprechen unverstandener
T0ne*'; oft s^ das Sokratisiren bei Kindern eine bloße Wort- und
11»
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— 144 —
Satzanalyse, ein Wip(lerß:ebea vorgesagter oder h&ib angedeuteter,
unverstandener Kedeusartoii .
Wenn wir die Vorwürfe hören, welche die Pädagogen mit Recht
dieser Methode machen, so dürfte es wol der Mühe wert sein, zu
untersuchen, ob Sokrates es verdient hat, dass sein Name mit einer
derartigen Methode verknüpft wird, zu untersuchen, welche Art von
Katechetik Sokratik genannt werden darf.
II. Philosophischer Theil.
Gehen wir also zu dem Philosophen, zu dem historischen Sokrates
über. Welche Aussichten haben wir, ein wahres Bild von seiner
Metliode zu erhalten? Soki'ates hat nichts Schriftliches hinterlassen.
Er war kein Fieiind des Schreibens. Sobald er seine göttliche Sen-
dung begriffen hatte, suchte er durch die lebendige Rede, durch seine
ganze Persuulichkeil auf seine Mitbürger bessernd einzuwirken. Vom
Bücherwissen dagegen hat er, obgleich er selbst alle bedeutenden
Leistungen seines Volkes in der Literatur gelesen hatte, wiederholt
seine Anhänger abgezogen. Von Sokrates selbst wissen wir also
nichts über seine Methode.
Er scheint sich überhaupt nicht bewosst geworden zu sein, eine
besondere HeHiode erfimdeii m haben, denn sonst wftrde er eieher
eine Teehne, eine Art Methodenlehre, yieUeieht mit großsprecheriBchem
Titel, wie es sdne CoUegen, die Sophisten liebten, herausgegeben
haben. Wenn aber anch Sokrates in der Verfolgung seines ethischen
Zieles auf seine Methode kein besonderee Gewicht legte, sondern immer
nur das eine im Auge hatte, die Seibeterkenntnis seiner Mitmenschen
zu fördern, so war doch seinen Mitbürgern, vielen seiner langjährigen
Freunde und Bewunderer weit eher die Methode und ihr jedesmaliger
Angenbliekseriblg erfiissbar, als dass sie stets Ton demselben heiligen
Streben des Sokratea eifikllt gewesen wlien. Diese Methode lieB
stets den Sokratea, so sehr er aidi anch dagegen verwahrte, als den
Weiseren erscheinen, indem sie die Unwissenheit des Mitunterredners
erwies. Dieser Metbode wegen kamen angehende Staatsmänner, wie
Alkibiades und Eritias, an Sokrates, deren Leben nichts von einem
sittlich bessernden Einflüsse des Sokrates beaeugt Diese Methode
suchten seine bedeutenden Anhänger sich anzueignen in dem Glanben,
damit den Kern des SokraÜschen Denkens zn gewinnen; diese Methode
▼ersuchten die grölten Sophisten, der yielbewunderte, ehrwürdige Prota-
goras, der glSniende All es wisser Hippias, der strebsame Euthydemos,
anznw^den, um ihi*eni lästigen Kritiker gleiches mit gleichem ver-
gelten zu können. Diese Methode dee Sokrates schien seinem grOllten
Digilizea by LiOOgle
— 145 —
Sehfiler Plato so untrennbar mit der ünteraachong philosophischer
Probleme verknfipft la seiii, dass er seine ganze Philosophie von ihren
ersten Anfingen an bis zur höchsten Entwickelang der Ideenlehre
dem Sokrates in den Mund legt Selbst der trockene und ntlchteme
Historiker Xenophon gibt, wo er nur kann, die Lehren und Unter-
suchungen des Sokrates in Gt spräolisform wieder, weil auch ihm die
Untei-suchungsweise, die Methode als untrennbar von der Sokratisehen
Ethik erschien.
Xenophon und Plato sind es fast ausschließlich, denen wir unsere
Kunde von der Sokratisehen Methode verdanken. Beide stimmen in
ihren Mittheilungen über den Inhalt Sokratischer Lehren zwar wenig
überein; wenn sie aber ihren Sokrates abweichende, zum Theil siel»
widersprechende Sätze in derscHten Weise, nacli gleicher Methode
vortragen lassen, so liaben wir den triftigsten Gmud, diese Methode
als historisch vollkommen beglaubigt anzusehen.
Obgleich in einem Autsatze Uber die Sokratisclie Methode der
Lehrgehalt unberücksichtigt bleiben kann, so will ich dennoch, um
einer falschen Beurtheilung der weiter unten aus Plato und Xenophon
gegebenen Beispiele vorzubeugen, kurz aut den Unterschied der Plato-
nischen und Xenophonischen Ülieiliet'erung eingehen.
Die Verschiedenheit hierin wird theilweise durch die verschie-
denen Zwecke erklärt, welche Xenophon in seinen Sokratisehen Denk-
würdigkeiten, Plato in seinen Dialogen verfolgte. Plato will ausge-
sprochen historisch nur in der Vertheidigungsrede, welche er den
Soki'ates vor Gericht halten lä.sst. und in seinem „Gasiniahl'* sein;
es wii*d aber niemand behaupten, dass er wirklich alles, was er seinem
Sokrates in den Mund legt, als historisch beglaubigt angesehen wissen
wollte. Wenn wirklich Sokrates alles das, was ihn Plato sprechen
Iftsst, gedacht und in Worte gebracht hätte, so würde nicht Plato
4er Begründer des Idealismus sein, sondern Sokrates; es wfirde dann
keine Platonische Philosophie, sondern nur eine Sokratische geben
kdnnen. — Aber auch von Xenophon Usst sich eine durchaus treue
Wiedergabe der Sokratisehen Reden nicht mit Sieherhett behaupten.
Sechs Jahre nach dem Tode des Sokrates verfksste er die DenkwOr-
digkeiten, und weder er selbst ervftbnt etwas von benutzten Auf-
seichnungen, noch hiHma wir yon anderer Seite, dass er eigene Au&eich-
nungen oder Notiaen anderer SchtUer des Sokrates benutzt hat Solche
Auikelehnangen haben nflmlieh existirt; Plato ersfthlt verschiedent-
lich, dass Beden des Sokrates von seinen Schülern aufzeichnet wurden.
Jedoch wir wissen nicht, ob und wieweit Xenophon solche benutzt
Digitized by GeTogle
— 146 —
hat Auf jeden Fall musste er aber, um seinen Lehrer nachträglich
zu vertheidigen, bei der Existenz solcher Aufzeichnungen die histo-
rische Treue nach Möglichkeit wahren, ebenso wie Plato in seinen
vei"8chiedenen polemischen Dialogen, die kurz vor und bald nach dem
Tode des Sokrates verfasst wurden, sicherlich nicht allzuweit von dem.
allen bekannten Bilde abweichen durfte.
Der eigentlichen Widerlegung der bekannten dieilachen Anklage
widmet Xenophon nur die drei ersten Capitel seiner Memorabilien,
die vier Bücher gehören im übrigen ganz der Darstellung des Lebens
und Lehrens des verehrten Meisters. Um den Athenern verständlich
zu machen, eines wie praktischen und tüchtigen Bürgers sie sich
durch des Sokrates Verurtheihmg beraubt hätten, zeigt er iiberuU,
wie Sokrates seine Freunde und Schüler bei allem Handeln auf ihren
wahren Nutzen hinzuweisen bedacht war. Leider hat die Person des
bokrates durch dieses Streben des Xenophon, sich möglichst populär
auszudrücken, vielleicht aber auch durcli die Xenophon selbst geläufige
Denkweise das Aussehen eines etwas banausischen Nützlichkeitsphilo-
sophen erhalten, der selbst Freundschaft, Gerechtigkeit nur durch den
persönlichen Nutzfen zu empfehlen weiß und sogar seinen Märtyrertod
für die Wahrheit durch ganz nflchterne Erwägungen begründet. Wenn
abei' Xenophon auch vielfach nur in die äußere Sehale der Sokra-
tischen Philosophie eingedniiigeii ist» so bat er gerade in dieser Schal»
dio Methode» das Handwerk des Sokrates kennen gelernt Xenophon
ist daher, trots seiner etwas niedrigen Anfhssong, flbr unsere Unter-
suchung «in yoilwiegender Gewfthrsmann. —
Die Methode des Sokrates, so deuteten wir herdts oben an, ist
TöUig ndt seiner PersOnUchkeit verwadisen, in ihrer ganaen Eigen-
thttmlicbkeit bestimmt durch den eigenartigen Zweck, dessen Erreichung
sich Sokrates zu sefaiem Lebensdel geaetit hatte. Über die Ericennt-
nis seines Lebensberu&s und die allmfthliche Aufübidung seiner Methode
Usst Flato seinen Sokrates in der Apologie den Bicbtern ungeftbr
folgendes erzfthlen: Ghairepbon, ein JugendgeflUurte des Sokrates, in
Athen den meisten bekannt als kurz entschlossen zum entscheidenden
Handein, fragte in Ddphi den Gkrtt, ob einer weiser wSre als Sokrates,
und erhielt zur Antwort, dass keiner weiser sei Sokrates, der sidi
einer besonderen Weisheit nicht bewusst war, dem Gotte aber einen
Iirthum nicht zutrauen konnte, ging mit sicfa zu Bathe, was dieser
Ausspruch wol kQnne zn bedeuten haben. Lange blieb ihm der Sinn
verborgen, bis er schließlich auf eine ganz eigenthümliche Art der
Nachforschung verfiel. Bei jedem, der im Bnfe der Weisheit stände
Digilizea by LiOOgle
— 147 —
suchte er durch Unterredung, durch Frage und Antworti den Grad
meiner Weisheit festzustellen. — Zunächst unterwarf er einen bedeu-
tenden Staatsmann dieser Prüfung, um, wie er sag^t, in ihm jemand
kennen zu lernen, der weiser sei als er selbst, und dadurcli den Orakel-
sprucli zu widerlegen. Jener schien nun zwar vielen anderen, und
vor allen Dingen sich selbst, weise zu sein, war es aber nicht und
nahm es dem Sokrates sehr übel, als er ihn zu einer entsprechenden
Selbsterkenntnis bringen wollte. Sokrates dagegen saprte sich: er so
wenig wie ich wissen etwas Nennenswertes, ich bin ihm nur etwas
dadurch überlegen, dass ich das, was ich nirht weiß, auch nicht zu
wissen meine. Nach dieser Erfahrung suchte Sokrates andere Staats-
männer auf, die ihm weiser als jener erschienen. Aber gerade die
berühmtesten, so fand er, wareu am weitesten von wahrer Weisheit
entfernt. Er wandte sich daher auf seiner Pilgerfahrt von den Poli-
tikern zu den Dichtem; diese wussten wie die Seher kaum, was sie,
von einem inneren Zwange ihrer Natur getrieben, dichteten, verkün-
deten Weisheit, die ihnen selbst nicht zum Bewusstsein kam, hielten
sich aber dennoch für die weisesten Leute. Auch diesen war also
Sokrates durch die Erkenntnis seiner Unwissenheit überlegen. Nach
den Dichtern suchte er die Handwerker auf. Sie wussten aus ihrem
Handwerk viel Brauchbares mitzutheilen, aber sie glaubten dadurch
ndk auch berechtigt, in allen übrigen Fragen mitzusprechen. Wenn
also der Gott recht behalten sollte, so musste der Irrthum, in welchem
jene Handwerker «ch befanden und von dem Sokrates sich frei-
sprechen konnte, nftmHdi, dass sie etwas zn wissen geübten, wo sie
ni^ts wussten, so musste dieser Irrthnm nach der Schätzung des
Gottes 80 schwer wiegen, dass auch ihr fachmflnnisches Wissen dadurch
als imbedeatend an^ewogen winde.
Wenn es nun ancli wahrscheinlich ist, dass Sokrates nicht erst
durch jenen Orakelspmch veranlasst wnrde, nach der wahren Weisheit
an snchen, sondern dass vielmehr Ghairephon dnreh die tSgUehen
Erlblge des Sokrates bewogen worde, dem delphischen Orakel eine
solche Fkage tiber sefaien Freund vorsolegen, so ist es sowol dorch
FlatoB als auch dnrch Xenophons Darstdlnngen aoßer allen Zweifel
gestellt, dass Sokrates vom frfihen Morgen bis nun sp&ten Abend in
den Bingschnlen, beim Baden, ndtten in dem -regsten Verkehre des
Marktlebens, bei Gastmählern, in dem reichen Hanse eines Eallias
ebenso wie in seiner eigenen dfirfdgen Htttte stets es verstsad, Wissens-
dnrstige sowol als Wissenssttdze in ein Gespräch und eme Untersnchnng
m verwickebi, welche die Unklarheit ihres Wissens, die UnfiUiigkeit,
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■svLSsenschaftlich zu denken, aui> Licht brachte und jedem die Noth-
^vendigkeit fühlbar machte, sich einer scharfen Beg^riffsbestimmung zu
befleißigen. Von diesem Streben allein erfasst, vermied er es, sich an
Staatsgeschatteii zu betheiligen, und kümmerte sich wenig um seine
Häuslichkeit. Rastlos umhergetrieben wie von einer fixen Idee, gritl'
er auf, wen er nur lassen konnte, und verwickelte ihn durch bYagen,
meistens gerade über diejenige Thätigkeit^ welche der Betreffende als
seinen Beruf betrieb, in derartige Widersprüche, dass der Gefragte
sich and anderen, die vielleicht dabei waren, dem Sokrates gegenüber,
wie ein SchnUmabe vorkam. Uancher reiche Kanfinann, der maß-
gebend fttr die Börse war, mancher Staatamaan, dessen Ansichten
bestimmend f&r die äußere Politik, mancher bewunderte Eiiegsheld
hatte Tor Sokrates weichen mftssen. So kam es bald, daas viele, die
er Ucherlieh gemacht, ihn hassten, andere, die davon gehOrt, ihn
mieden, jnnge, aufstrebende Krftfte ihn au&nchten nnd bewunderten,
um von ihm seine alles beeiagende Dialektik, seine Methode zu lernen.
Und so bedeutend war der Eindruck seiner Überlegenheit, dass er
immer und immer wieder versichern muss, er wisse selbst über das,
wonach er sich bei anderen erkundige, nichts, es sei nicht die Lust,
andere niederznargumentiren, sondern viehnehr einzig und allein der
Trieb nach Wahrheit, der ihn zur Anwendung seiner vernichtenden
Methode führte. — Je Ifinger Sokrates seinen neuen Beruf ansttbte,
destomehr wurde er gefOrchtet, desto schwerer wurde es ffir ihn,
Mitunteraedner zu finden, und es gehörte nicht wenig Geschick dazu,
die Widerstrebenden doch endlich zu einer gemeinsamen Untersuchung
mit ihm zu bewegen- Dahar kam es, dass, wenn seine Methode zum
Ziel hatte, die Niditigkeit alles bis dahin erworbenen menschlichen
Wissens nachzuweisen, dass sie als wichtigstes Kampfmittel verlangte
eine große Unterredungskunst, die von ganz alltäglichen, absicht^ilos
hingeworfenen Sätzen ausgehen konnte und doch schließlich ein fest- .
gesponnenes Netz Aber dem Opfer zusammenzog. E^t musste das
Opfer gefangen werden, ehe es vernichtet wurde.
Wie schwer gelegen flieh dem Sokrates das Fangen gemacht
wurde, mit wie übergroßer Zuversicht aber anderseits auch Sokrates'
Freunde den Sieg auf der Seite seiner Methode voraussahen, das zeigt
Plato in seinem Protagoras, in welchem er uns ein wundervoll leben-
diges und packendes Bild entwii-ft von einer Begegnung des Sokrates
mit dem genannten Sophisten. Kaum ist Protagoras, der den Menschen
für das Maß aller Dinge erklärte, auf seiner großen (lastspielreise
durch die gebildete griechische Welt in Athen augekommen, als auch
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schon Sokrates, geführt von einem jungaa bildungshedürftigen BCanne, Um
aufsucht im Kreise anderer Sophisten, um ihn im Namen jenes jungen
Mannes, der bei Protagoras Unterricht nehmen will, nach dem Ziele
und den Resultaten seines Unterrichtes zn fitigen. Es entspinnt sich
eine Untersuchung über das Wesen der Tugend, die Protagoras Dor
widerwillig eingeht, die er durch glänzende Vorträge zu verdrängen
sucht, um schließlicli docli mit Sokrates einzuräumen, dass sie sich
beide völlig unklar sind über das Wesen der Tugend und dass es
nüthig sei, ihre ganze, mit aller Anstrengung geführte Untersiicliimg
wieder von vorne zu beginnen. Dabei weiß sich Sokrates gelegent-
lich scheinbar so in Nachtheil zu setzen, versteht es derartig, im Sinne
des Protagoras zn argumentiren , um ihn zu dem von ihm gewünsch-
ten Schlussergebnis zu bringen, dass noch heutigestags die ersten
Plato-Forscher darüber streiten, welche Argumente Sokrates im Ernste,
welche er nur ironisch zu seinem Kampfe verwendet hat.
Beide Seiten der Sokratischen Methode, das Herbeischaffen der
Fesseln in Form allgemein zugestandener Sätze und die Knüpfung des
Knotens, nämlich der Nachweis des Widerspruches im menschlichen
Wissen, kummen in künstlerisch vollendeter \\ eise in diesem Dialoge
des Plato zum Ausdruck. Aber gerade die Feinheit der Charakteristik,
die hochdramatische Situation, die Vielseitigkeit, die gewandte, nie
überhastete Beweglichkeit des griechischen Geistes, die geschmeidige
Sprache zwingen mich davon abzusehen, einen genaueren Einblick zu
geben. Nicht genug, dass überhaupt jede Übersetzung eines plato-
nischen Dialoges noth wendig hinter dem Originale zurückbleibt, ein
kurzer Überblick würde auch nicht im geringsten den eigenthUmlichen
Beiz ahnen lassen, mit dem gerade die Leetüre dieses Dialoges den
Leser bestrickt Ich wende mich daher zum nttchternen Historiker
Xenophon, um ein Befqpiel für die Art zu geben, wie Sokrates seine
Methode handhabte.
Schon Tersehiedentlich hatte Sokrates Yon einem hübschen jungen
Hanne gehört» dem EnthydemoSf der viele Schriften der Dichter und
Weltweisen sammle mtd tätig lese, durch ihr Stndinm sich weto
dünke als seine Altersgenossen nnd stark hoife, sich einst durch Beden
nnd Handeln in seiner Vaterstadt aosauaeichnen. Wegen sehier groBen
Jugend kam er noch nicht in die Yolksveraammlnngen, sondern setzte
sieh, wenn ihn eine Versammlung besonders interessirte, in der Mähe
des VersammlnngaorteB bei einer Sattlerwerkatatt nieder. S<dErates
begab sich mit einigen seiner ständigen Gefthrten ebenfiüls dorthin
und erklArte dort auf die Fragen eines seiner Begleiter in Gegenwart
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des Euthydemus, dass es Thorheit sei zu g-lauben, Theinistokles habe
nur vermöf^e seiner natürlichen (taben so hohes Ansehen im Staate
erlanget; denn bei jedem Handwerk halte man persönliclie Belehrung
durch einen Meister für unumgänglich notliwendifr: wie könnte dann
einer p'anz allein aus sich heraus fähig werden . das Wichtigste und
Größte zu unternehmen, die Leitung eines Staatswesens? Als Soki'ates
zum zweitenmal sich scheinbar von ungefähr in jener Sattlerwerk-
statt einstellte, um sich dem dort harrenden Euthydemos zu nähern,
will sich dieser entfernen, doch hört er im Weggehen den Sokrates
noch folgendes zu den Anwesenden sprechen: ,.Zweifellos wird einst
dieser Euthydemos, wenn er das vorschriftsmäßige Alter erreicht hat,
in öffentlicher Versammlung dem Staate seinen Rath nicht vorent-
halten. Um für diese Zeit eine Einleitung zu haben, die beim Volke
einschlägt, sucht er jetzt auf alle Weise den Verdacht zu vermeiden,
als hätte er je von irgend einem etwas gelernt. Seine erste Reile
wird beginnen: ,Von niemand, ihr Athener, habe ich etwas gelernt,
nicht nur habe ich stets vermieden, von einem anderen etwas zu lernen,
sondern bin tauch dem Sdiein eliiM «dclMii Lemms mit altem Eifer
ans dem Wege gegangen. Dennoch will ich ench meine Gedanken
vortragen, die mir so gaiiz ans mir selber kommen/ Gerade so wflrde
natürlich auch ein Arzt, wenn er von der Stadt einen Ärztlichen Auf-
trag bekommen wollte, sprechen: Jch habe von niemandem die Heil-
knnde gelernt; nicht nnr von einem Arzte etwas zu lernen habe ich
stets vermieden, sondern sogar den Schein, diese Knnat ttberhanpt
gelernt an haben, geflohen. Ich werde aber jetzt mit eurer Gefahr
zn lernen versndien.' Ein andermal, als sie sich wieder traÜBn nnd
EnthydemoB schon eher anfinerkte anf däa, was Sokratee sagte, sich
aber wol hfttete, etwas verlauten zn bussen, mn sich dnrch sein Schwei-
gen den Anschein der Besonnenheit zn geben, fing Sokrates an: »Es
ist doch merkwürdig, wamm die angehenden Zither- nnd Fldtenspi^er,
wamm einer, der reiten oder sonst etwas lernen will, wamm diese
&8t nnablfissig sich üben, nnd zwar nicht fftr sich allein, sondern unter
Anleitung der besten Heister; wihrend doch einige, die einst in Oilbnt-
lichen Stellungen reden nnd handeln sollen, glauben, ohne jede Vor-
bereitung und Übung ganz ans sich selbst heraus plötzlich einmal
dazu ffthig zu werden. Und dabei ist letzteres doch um so schwerer,
je mehr sich bemühen, das gleiche Ziel zu erreichen, je weniger fähig
sind, den Weg dorthin zu zeigen." Als nun Sokrates merkte, das»
Euthydemos immer williger zuhörte, wenn er sich mit anderen über
ähnliche Fragen unterhielt, ging er einst ganz allein in die Sattler-
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Werkstatt. Und richtig setzte sich bald Enthydemos zu ihm Ist es
denn wahr, fing Sokrates an, dass du eine Sammlung hast von den
Schriften weiser Männer? Du glaubst offenbar, dass Gold und Silber
die Menschen niclit besser machte dass aber einer, der eine Sammlung
solcher Schrilteu besitzt, reich sei an Tugenden. Und Enthydemos
freute sich über das Lob, das er zu hören glaubte. Zu welchem
besonderen Zwecke, fragte nun Sokrates weiter, sammelst du diese
Schriften? Worin willst du tüchtig werden? Willst du ein Arzt, ein
Baumeister werden? Für beide gibt es Schriften in Menge. Oder
willst du ein Geometer, ein Astrolog oder ein Rhapsode werden? Du
sollst ja sämintliche (k-dichte des Homer besitzen. Alle diese Fragen
verneinte Enthydemos; endlich gefragt, ob er tüchtig zu werden strebe
als Bürger und Hausverwalter, filhig. einst ein Amt zu bekleiden, da
bejaht er aus vollem Herzen, dass er diese Tugend zu erwerben strebe.
Fürwahr, meint Sokrates, die schönste Art von Tüchtigkeit, eine
königliche Kunst havSt du dir zum Ziele gesetzt. Kannst du aber
hierin tüchtig werden, ohne gerecht zu sein? Nein, meint Enthydemos.
jedoch, ich bin so gerecht wie einer. Lass uns sehen I Die nun fol-
gende Untersuchung ist zu lang, als dass ich sie hier wörtlich wieder-
geben könnte; sie verläuft ganz in Frage und Antwort; ich werde
nur kurz die von Schritt za Schritt gewonnenen Sätze und Einwände
verzeichnen, um einen Überblick Uber das Ganze zu gewinnen und
zugleich Material zn sammeln zur Charakteristik von Sokrates* Lehr-
und Bflfweismethodew Bis jetzt haben irir Ton dieser Methode folgende
Verfohren kennen gelernt: TJm dem Enthydemos den richtigen Weg
für seine AnsbQdnng zn zeigen, wird er Teranlasst, sn Überlegen, ob
ThemistoUes lediglich doreh seine g^ttcklichen Anlagen zum grofien
Staatsmann geworden sei; bd dieser Überlegung musste denn Enthy-
demos ibiden, dass ThemistoUes nieht durch Bflcherwissen sein Ziel
emklit habe. Zweitens wird ihm die Erkenntnis folgender Begd
nahe gelegt: jeder, der in einer Ennst tflehtig werden will, nimmt
sidi einen Meister nnd fibt sich Tag nnd Nacht nnter dessen AnMeht
Die ünterordnong der Politik nnter die anf diese Weise zn erlernen-
den Künste Lwird nnr angedeutet, ebenso wie die Subsumtion des
Enthydemos unter die Politiker; dsgegen wird das ThOrichte in Enthy-
demos' VeriUiren dadurch gegeißelt, dass sein Verfahren anf eine
bestimmte Kunst angewendet wird. Vom Beispiel, vom beriUunten
Muster, sehritt die erziehende Unterweisung des Sokrates dazu, durch
Indnction aus vielen Fitten die Bogel zu finden. Der Emzehie wurde
durch diese Methode gezwungen, si<^ zn objectiviren und nnter eine
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Classe zu rubricireii, und j^ewann dadurch schon das Correctiv seiner
Handlungsweise. Auf diesem Wege hat Sokrates fast alle seine ethi-
schen Erfolge erzielt; er würde freilich allein durch die Methode nichts
erreicht haben; die große Kunst bestand darin, derartige S(>lilüsse,
Begriflfsdefinitionen , allgemeine Regeln auf die harmloseste und unge-
zwungenste Weise unter tausenderlei Verkappungen zustandezubringen.
Oft hat sich Sokrates mit dieser Art von Propädeutik begnügt;
sie genügte auch vollkommen, wenn es nur galt, einem .Mitbürger in
aeinen häuslichen und staatlichen Geschäften einen guten Rath zu
geben; die Metbode wirkte desto eher, je näher einem jeden die heran-
gesogenen Beispiele standol So müssen denn die einzelnen Gewerke,
der SeUifer, der Bettersmaim, der Jäger, die Sdaven, ja sogar die
Haoflthiere zn allerhand Vergleichen herhalten, und so hänflg dreht
eich scheinbar tun diese Dinge das Gespräch, dass man Sokrates
daraus glaubte einen Vorwarf machen zu können, dass er Mi nur
mit dem Alltäglichsten nnd Ällergewöhnlichsten beschäftige. Nicht
selten freilich geht des Sokrates Beiehrang anch yon Versen ans;
doch damit machte er keine Ausnahme von seinem Prindp, nur das
allen Bekannte za seinen Vergleichen berannudehen; die angctfährten
Verse waren nämlich in aller Mond. Wol aber h&tete er sich, aus
der Geometrie, Astronomie und andere Wissenschaftffli etwas zu
benutzen, was nicht directe Beziehung au& tägliche Leben hatte.
Obgleich er selbst so ziemlich alle nennenswerten Leistungen in diesen
Wissenschaften kannte, warnten seine Unterweisungen geradezu vor
derartigem Wissen. Der Form nach, so* sahen wir oben, wird die
Belehrung hauptsächlich durch den Vortrag des Sokrates erzielt.
Viele Y<m Xenophon gegebene Beispiele solcher ganz innerhalb b&r-
gerlicher Grenzen gehaltener Gespräche sind zwar in Frage und Ant-
wort gefasst, aber Frage und Antwort dienen nur dazu, dem Redner
mit einem Ja zu bestätigen, dass der Zuhörer mit dem Vorgetragenen
noch einverstanden ist. — Noch eine zweite Art der Belehrung lernte
wir beim Euthydemos kennen. Ei* soll sagen, worin er tüchtig werden
will. Sokrates legt ihm zur Auswahl den Arzt, den Baumeister,
Geometer, Rhapsoden yor, endlich entscheidet sich Euthydemos dafür,
ein tüchtiger Bürger und Beamter zn werden. Sokrates erschöpft
also durch so und so viele zu verneinende Fragen den Inhalt eines
Begriffes (hier des Begrifls der Tüchtigkeiten), nm schließlich das
Gewünschte als Rest allein übrig zu lassen. Diese; Wahl- oder Ent-
scheidungsfrage vorlangt zui' Beantwortung schon mehr ürtheil als das
zustimmende AohOren eines Vortrages; beide Arten hat Sokrates sehr
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liäiitig angewendet. Sokrates liebt es, besonders jüngeren Lenten
tlurrli Abscheidung der verschiedensten Falle das Antworten zu er-
leichtern. Gehen wir jetzt zum Gespräcli mit Kutliydemos zurück.
Euthydemos hatte behauptet, ebenso gerecht zu sein wie irgend
einer. Wie die Handwerker, erwidert darauf Sokrates, so können
auch die Gerechten als solche von ihren Werken reden, ebenso auch
die Ungerechten. Zu den Werken der Ungerechten gehört nun als
ein Unrecht das Lü*ien, Betrügen, iStehlen, Berauben der Freiheit;
der Gerechte aber darf nichts von dem sich zu schulden kommen
lassen. Und doch, wendet Sokrates nach diesem Zugeständnis des
Euthydemos ein, wenn nun ein Feldherr eine feindliche Stadt täuscht^
sie beatiehlt und plündert, wenn er die Einwohner als Sclaven ver-
kaoft, so that er doeh redit daran? Ateo, verbeBBem wir misere
obige Behaaptnng, indem wir eine Beaebrinkiing hinznfiigen: die
Freunde belügen, betrügen and berauben ist onrecbt, den Feinden
dasselbe thnn ist recht. Aber, beginnt Sokrates Ton nenem, wenn
ein Feldherr, mn sein mathloses Heer wieder an&aiichteD, diesem
fBlschlich mittheüt, dass Bandesgsnossen kommen, wenn einer seinem
Sohn, der Arznei nOthig hat^ aber nicht nehmen will, diese darcb Tiu-
schang beibringt* oder wenn einer seinem verzweifelnden Frennde, der
möglicherweise sich Gewalt anthnt^ das Schwert oder fthnliche gefihr-
liehe Gegenstände stiehlt and entreißt, so that er damit doch recht
Man daif also die Freonde belttgen, betrügen and bestehlen nicht
immer anrecht nennen. Um diesen Widersprach za lOsen, nimmt jetzt
Sokrates einen Anlaof von einer anderen Seite. Wer handelt weniger
recht, fragt ei; einer, der seinen Fi-eand absichtlich, oder einer, der
ihn vnabsichtlich, wider Willen ttascht? Einer, der absichtlich
seinen Freanden Schaden zofttgt* antwortet der ganz ängstlich gewor-
dene Euthydemos.
Obgleich nun jeder damit die Auflösung des obigen Widerspruchs
gegeben glaabt, dass nämlich der Wille eine Handlang zum Unrecht
macht, so weiß doch Sokrates sofort durch ein nenes Bedenken diese
Erkenntnis aus dem Felde zu schlagen. Es gibt, föhrt er aus, eine
Wissenschaft vom Gerechten, ebenso wie vom Lesen und Schreiben«
Deijenige, der wider seinen Willen falsch schreibt und liest, ist un-
geschälter als einer, der es mit Absicht thut, denn letzterer könnte,
wenn er nur wollte, auch richtig lesen und schreiben. Ebenso muss
also auch derjenige, welcher wider seinen Willen unrecht thut, auch
ungwechter genannt werden als einer, der es mit Absicht betreibt.
Euthydemos merkt nicht die unzulässige Parallele zwischen uu-
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geschult, das nur auf Erlerntes Bezug hat, und ungerecht, das mehr
dem Gebiet des angeborenen Charakters, des Willens angehört, und
sieht sich zum drittenmale gezwungen, einzuräumen, dass seine De-
tinition unzureichend sei. Sokrates lässt ihn daher, indem er andeutet,
dass Euthydemos wol die redliche Absicht habe, sich selbst auf fol-
gende Weise sein Urtheil sprechen: Einer, der das Richtige sagen
will und niemals Uber einen und denselben Punkt in seinen Anssagen
sieh gleich bleibt, wmdem, um einen Weg zu bezeichnen, bald nach
Osten, bald nach Westen weist, einm Sehloss bald als aUgemdn giltig,
bald als nur ganz apedell geltend bezeichnet, wie kommt dir ein sd-
cker yor? Nnn, als einer, der das nicht weiß, was er zu wissen
glaubt Weißt du aber, filhrt Sokrates fort, dass gewisse Ijente nnfirei
und ungebildet genannt werden? Ja, und zwar wegen ihrer Unwissen-
heit; aber nicht, weil sie yom Schmieden, Bauen, Biemenschneiden
nichts verstehen, sondern weil sie nicht wissen, was schön, gut, was
gerecht ist Ganz niedergeadilagmi Aber seine Unwissenheit klagt
Jetzt Euthydemos, dass er keinen anderen Weg wttaste, auf dem er zu
besserer Einsicht gelangen könnte. Hast du, erwidert Sokrates, in
Delphi am Tempel des Apollo das „Erkenne dich selbst** gelesen und
danach gehandelt? Euthydemos hat das immer als etwas ganz Selbst-
yerstilndliches angesehen, dass man sich selbst kenne, dodi Jetzt muss
er zugeben: es genügt nicht, wenn man seinen Namen kennt, man
muss vielmehr sich selbst prüfen, wie einer, der ein Pferd kaufen will,
untersucht, ob es störrisch oder lenksam, ob es stark oder schwach,
ob es langsam oder schnell, kurz, wieweit es überhaupt den einzelnen
Anforderungen entspricht. Einer, der auf diese W^^ise sich selbst
kennen gelernt hat, zieht daraus den größten Voi*theil. Durch das,
was er versteht, verschafft er sich seine Bedürfnisse und hält sich
von dem fem, dessen Unbekanntschaft ihm Gefahr bringen könnte.
Kach seinen eigenen inneren Erfahrungen kann er andere besser be-
urtheilen und richtiger für seine Zwecke benutzen. Weil er stets
erreicht, was er erstrebt, wird er von anderen geschätzt und geehrt,
und jeder vertraut ihm gerne seine Sache an. Euthydemos. ent-
schlossen, diese nützliche Selbsterkenntnis zu erwerben, vergisst die
recht unangenehme Probe vim Selbsterkenntnis, die er schon hat über
sich ergelien lassen müssen, um mtiglichst bald alle Voi-tlieile einzu-.
ernten. Wo. tragt er, mu.ss ich mit der Selbsterkenntnis beginnen?
Weißt du, beginnt jetzt Sokrates, was gut und schlecht ist? Euthy-
demos, d(M- v(»rher nicht wnsste, was gerecht sei, erklärt, er müsste
ja schlechter und ungebildeter als ein 8clave sein, wenn er das nicht
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wüsste. Von Sokrates aufgefordert, Gutes und Schlecht ls aufzuzählen,
hebt er an: Gesundheit ist ein Gut, etwas Gutes, Krankheit etwas
Übles; ebenso ist alles, was zur ersteren führt, gut, alles, was die
letztere zui* Folge hat, schlecht. Ganz recht, meint Sokrates; wenn
aber viele kräftige und gesunde Leute an einem unglücklichen Feld-
zage, einer gefahrlichen Seefahrt theilnehmen und dabei zugrunde
gehen, andere aber infolge von Krankheit oder Schwäche zu Hause
bleiben und sich dadurch das Leben erhalten, so hat doch jenen die
Gesundheit geschadet, diesen die Krankheit genützt. Euthydemos
entdeckt den logischen Fehler nicht, sondern nimmt einen ganz^nenea
Anlaol Weisheit, meint er, ist doch zweifellos etwas Gates. Weißt
da nicht, entgegnet Sokrates, dass Dfidalns wegen seiner Weisheit
TOB Wdm gefangen gesetit wurde and ihm dienen mnsste, dass er
aof der Mneht seineii Sehn Terior, indem nnr seine Weisheit dem Sohn
das Fliegen ermöglicht hatte; hast da nicht gehört, dass viele ans
dem Staate dee GroMLönigs wegen ihrer Weisheit weichen müssen?
Nan, mefait Enthydemoa, wenn anchidie Weisheit nicht etwas Gates
ist, 80 ist es aof jeden Fall doch das GlttckUchsein. Gewiss , wenn
man ee mcht aas zweifelhaft^ Ghitem zasammensetzt Nan sind wir
aber nicht gegenstandslos glücklich, sondern freuen ans stets tther
ein bestimmtes Etwas, z. B. ftber Schönheit, Kraft, Beichtham, Bahm ;
diese kOnnen aber sowol zam Nachtheü als zum Vortheil gereidien.
Aber, wenn nicht einmal das Glttcklichsein etwas Gates ist, roft Eathy-
demos, dann weift ich nicht mehr, am was ich die GOtter in meinen
Gebeten bitten solL Und das, entgegnet Sokratee, kommt nor daher,
weü da dir all diese Dinge nicht grOndlich überlegt hast, allza sicher
anf dein Wissen yertraoend. •
Z. B. wenn du dich rüstest, in einer Demokratie ein Amt zu be-
kleiden, so mnsst da doch wissen, was eine Demokratie ist; zu diesem
Zwecke mnsst da aber angeben können, was ein <f^j»o^, was ein Volk
ist. Euthydemos versteht anter dem Volke die Armen und bezeichnet
die Armen als di(>jenigen, welche nicht das Nöthige aufwenden kOnnen,
während die Eeichen mehr als genug haben. Aber er moss dem
Sokrates bald einräumen, dass es Leute gibt, denen ganz wenig
genügt, während andere mit vielem nicht auskommen, und bleibt, nun
gefragt, welches die Armen wären, dem Sokrates die Antwort schuldig
und hält es von nun an für das beste, zu schweigen. Ganz muthlos
geworden, verachtete er sich und sein Wissen und glaubte nicht anders
ein bedeutender Mann werden zu können, als durch das ständige Zu-
sammenleben mit Sokrates.
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Und bald hatte er dem Sokratos seine Methode abgelernt and
that anderen, wie ihm von Sokrates gethan worden war. Sokrates
aber, so beriehtet Xenophon, yerwirrte ihn nicht weiter, sondern zeigte
ihm auf die einfUtigste nnd deutlichste Weise, was er fttr wissens-
wert hielt IMeees selbst gibt er nidit an, nnd wir mflssen nach
dem, was oben bereits dargestellt ist, den positiTen Theil seiner Be-
lehrong gant in den Kreis bürgerlicher Pflichten verlegen. Die Hanpt-
aache schien offeahttr dem Sokratiker Xenophon mit dem negativen
Besoltat gethan zu sein, mit der Erkenntnis des Enthydemos, dass er
bis jetst nichts wisse, dass er seinem Wissen und Erkenntnisvermögen
in keiner Weise tränen dürfe.
Ähnlich wie das von Xenophon berichtete Gesprftch verlanfen die
meisten der fHlheren Platonischen Dialoge, die eben wegen des engen
Anschlnsses an die Methode des Sokrates anch chronologisch den
Lebzeiten des Sokrates möglichst nahe angesetzt werden. So z. B.
iksst Sokiates im Lysis, der den Begiiif der Freundschaft festsetzen
will, das Resultat der gemeinschaftlichen Untersuchang folgendermaßen
zusammen: „Weder die G^ebten noch die Idebenden, weder die Ähn-
lichen noch die Unähnlichen, weder die Guten noch die einander Ver-
wandten, noch das übrige, was wir besprochen haben — denn bei
der Menge ist's mir selbst ni( lit mehr genan erinnerlich — von allen
diesen ist nichts gleich dem Befreundeten zu setzen, und ich weiß
nichts Neues mehr vorzubringen.'* Im Charmides, der mit bedeutenderer
Tiefe und Gründlichkeit vom Wissen des Wissens handelt, also von
der eißfentlichen Selbsterkenntnis und dem Selbstbewusstsein, erklärt
ein begabter Jüngling', von nun an nicht von Sokrates' Seite weichen
zu wollen, um die von ihm angeregten und in einen Knäuel von Wider-
sprüchen verwickelten i^i-agen anter seiner Leitung selbstdenkend
weiter zu erurtera.
Dieser Trieb zum selbstständigen Forschen, das war der positive
Keim, den Sokrates eben durch sein destructives Verfahren zu püan-
zeu suchte.
Sokiates berührt nur in seinen (jespräclien das Richtige und
hisst es in gleicher Reihe mit dem Falschen an dem Auge seines
Mitunterredners vorüberziehen: mit köstlicher li'onie weiß er gelegent-
licli sich ganz in den Irrthum des anderen zu vei-setzen, um diesen
nur ja alle Mühen des vergeblichen Suciiens auskosten zu lassen. Wie
er sich nicht scheut, den Schein eines Widerspruchs hervorzurufen,
den er selbst wahrscheinlich leicht beseitigen kann, so erschüttert er
die bestehende Meinung, auch wenn er selbst keine besser begründete
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an ihre Stelle sefz«-n kann. Er lässt sich in der AiniahiiiH seiner
Voi*dersätze Ungenauij<keiten zuschulden kommen, subsnmirt und setzt
g-leich, was nidit suhsumirt, was nicht {gleich iresetzt werdt-u
darf; alles nur. um durcli die Verletrenlieit. in die fv andere brachte
diese zum schart" logischen Denken zu zwinp^en. mir diesen zur Auf-
tiudung der logischen Grundsätze hinzuarbeiten. Seine Widersprüche
erzielt er meist dadurch, dass er mit Hegriffen schaltet, als wären
s:ie ein für allemal fest normirte Afünze. die immer gleichen Wert
und gleiche Bedeutung behielte. Kr trei))t seine Hörer dadurch zur
Einsicht, dass alle allgemeinen Kigenschaften nur relativ gelten, dass
es etwas absolut (-Jutes, etwas absolut Schönes nicht gibt. Sokrates
wollte mit den Begriffen rechnen, es fehlte ihm aber die Maßeinheit.
Direct ei*zielte seine Dialektik, indem sie durch P^in wände jedem Be-
griff mehr und mehr von seiner Allgemeinsriltigkeit nahm, scharfe
Abgrenzung dei- Begiitfe; indirect als nothwendig zu denkende Grund-
anschauung die Einsicht, dass alle Eigenschaften nur relativ gelten.
Erwägen wir nun, eine wie gewaltige Gedankenarbeit, welche
Abstra(;tionsfähigkeit zu dieser Einsicht gehört, so können wir keinen
Augenblick zweifeln, dass die Sokratische Methode in ihrer innigen
Verknüpfung mit ethischen Fragen in unseren Schulen nicht zur An-
wendung kommen kann. Und wollten wir diese Methode vielleicht
auch nur in den oberen Glassen taGherer Lehranstalten zur Anwendung
Iningen, so heifit es selbst von Primanern zu viel verlangen, wenn sie
hd der BelativitAt aller Eigenschaften die ganze Dringlichkeit fühlen
und erkennen sollen, mit der trotz aller logischen, begritl'smäiiigen
nnd somit zersetzenden pnsicht dennoch unser ganzes Leben, unsere
gesammte praktische Moral nach einem absoluten Mafie verlangt und
sehliefilich die Existenz eines solchen Maßes sich in Kants Weise aus
der Thatsache ableitet, dass es von allen als unentbehrlich gefordert
wird. Zn dieser Erkenntnis kdnnen sich Primaner nicht durchringen.
Sie lesen Ja freilich anf dem Gsrmnasinm gelegentlich die Sokratischen
Denkwürdigkeiten nnd einen platonischen Dialog; aber wenn der
grammatische Betrieb dieses Unterrichtes llberiianpt ein Interesse am
Gegenstände aufkommen iSsst, so wird dies hervorgerufen durch die
Freude an dem irischen, wechselreichen griechischen Leben, das diese
Schriften wiederspiegeln. Dazu kommt noch, dass Sokrates selbst, be-
sonders nach der DarsteDnng Xenophons, den wahren Nutzen meistens
als Grundlage der ganzen Ethik zu betrachten scheint. Sollte man
nun auch den Natzen ganz objectiv, ganz allgemein fassen, diese
Sokratisdie Methode, diese Art moralische Fragen zu behandeln kdnnte
PlHgoglMi. Jahrg. 11. Beft m. 12
— 158 —
gar zu leiclit wie in jenen Zeiten eine die (-resellscliaft getaln dende
Sophist ik fördern, die nicht den aligemeinen, sondern nui" den persön-
lichen Nutzen im Aw^e hat.
Sokrates liat seine Nützlichkeitsbetracht unsren auc-h zum Beweise
vom Dasein Gottes verwendet: die z\veckmiißif>^e Einrichtung des
inenschliclien Körpers, die ganz zum Besten des Menschen eingerichtete
Natur waren ilim Beweise von der Füreorge Gottes für die Menschen,
und zwar von einer ganz persönlichen, jedem Einzelnen besonders ge-
widmeten Füi'sorge, die z. B. zu Sokrates als sein daifxonov, als seine
innere Stimme sprach und auch durch allerhand Orakel sich verständ-
lich machte. Wie Sokrates, so hat auch die Eatechetik des vorigeu
Jahrhunderts mit Vorliebe den teleologischen Beweis für das Dasein
Gottes den Schttlem Tordemmtrirt-, und es ist vol möglich, dass das
vorige Jahrliniidert dadurch sich verleitei ließ, Sokratik und Eate-
chetik miteinander zu yermischen.
MQssen wir also als Pädagogen davon absehen, die Sokratik in
ihrem eigensten Gebiet anzuwenden , so könnte vidleicht die Form
der SokratischenÜntersuchnngen nnsereUnterrichtsmethoden bereichem.
Jedoch, wir mttssen hier gleidi von vornherein nindherans sagen, So-
krates hat keine besondere Form in seiner Beiehrang bevorsagt AUe
Wendungen, die das lebendige nnd bewegliche Gespräch eines Atheners
dorchmachen konnte, verwendete Sokrates, nm zn seinem Ziel za ge-
langen. Er kam von spedellen Fällen anf das Allgemeine, er schloss
ebenso vom Allgemeinen auf das SpecieUe; Induction and Deduction
worden gleich häufig verwendet; Sokrates griff eine allgemeine Sentenz
auf und schränkte sie durch spedelle Fälle ein, er stellte das Besultat
voran nnd bewies seine Richtigkeit auf analytischem Wegcw Seine
Begrübdefinition ging von el^ymologischen Deutungen, von Dichter^
stellen, von der Rede des gewöhnlichen Volkes aus. Je nach dem
Bildungsgrade seines Mitonterredners legte er mit der Frage zugleich
die Antwort ihm in den Mund, oder begnügte sich mit einfachem Ja;
er stellte so und so viel(> Fälle zui- Auswahl oder forderte zu gröfieren
selbstständigeu Beobachtun^^en und Mittbeilungen auü
Wenn wir sonach in Betrefi* der Form von einer speciell Sokra-
tischen Methode sprechen sollen, so können wir das Eigenthämliche
derselben nur darin sehen, dass Erkenntnisse gesprächsweise gewonnen
werden, dass nicht neues Wissensmaterial hinzugefügt, sondern bereits
Vorhandenes geordnet und gesichtet wird. Aristoteles rühmt die Er-
findung!: des Tnductionsverfahrens als besonderes Verdienst des Sokrates,
und so können wir vielleicht hierin das Eigenthümlicke der Sokra-
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tiaehen Methode suchen. Wir wenden die Induction ja auch häufigf
genng in unseren Schalen an, doch meistens mein* zum Schein, denn
bei unserem überhasteten Sachunterricht, bei dem Streben, möf^lichst
viel Positives zu geben, wird selten dem Schüler Zeit gelassen, wirk-
lich das Bedürfnis nach einer allgeiii einen Regel zu fühlen. Gerade
das aber ist das Bildende der Sokratischen Methode, dass der Geist
durch sie das Streben bekommt, Ordnung zu bringen in das Chaos
der wechselnden Eindrücke des Tage.^. Sukrates lehrt nie, wie die
Zwani^spadagogen nnst'ri'r Zeit, iudem er ein bestimmtes Lernmaterial,
ein Pensum, vortrügt, er bearbeitet nur bereits Wahrgenommenes und
prüft es auf seine Berechtigung. Wol ließt: sich eine derartige Be-
liandlung eines bereits durchmessenen größeren Wissensgebietes denken.
Doch dazu hat unser staatlicher Unterriclitsbetrieb keine Zeit, wo
vom nothdürftig absolvirten Pensum zum neuen geeilt wird, um schließ-
lich durch ein Schlussexameu der Well zu zeigen, dass der betretl'ende
angehende Mensch durch so und so viel Wissensgebiete hinduich-
geschoben worden ist.
Sind wir nun bei dt-r Mannigfaltigkeit der Sokratischen Rede-
wendungen, bei dem Reichthuui seiner Erfindung völlig außei'standt-,
tiine besondere Art des Beweises, einen bestimmten Weg der Darlegung
als speciell sokratisch zu bezeichnen; gewinnen wir also die Über-
zeugung, dass die Soki-atische Methode, welche die Schtder ihrem ge-
liebten Meister ablenten, gar nieht in einer besonderen Gesprächsweise
bestand, sondern dass zur genauen Begrifbbestimmnng Fragen gestellt
wurden, deren Gesammtheit zur Erkenntnis eines scheinbar nnlOalidien
Widerspruchs f&hrte, so müssen wir eingestehen, dass die eigentliche
Sokratische Methode nichts mit unserer heutigen P&dagogik zu thuu
hat Und wollen wir anderseits unter Sokratischer Methode nicht
mehr verstehen als die Fragemethode, so mOssen wir uns sagen, das^s
Sokrates in der Anwendung von Frage und Antwort nie ein beson-
deres Verdienst seinerseits wflrde gesehen haben. Da er das Bflcher-
wissen gering sch&tzte, weil es yon der bOrgerüchen Praxis zu weit
«ntfemt lag, so konnte er nur mftndlich wirken; wollte er durch seine
Bede den lebendigen Geist des Atheners fesseln, wollte er durch sein
Oespräch dessen Gedanken einen bestimmten Weg anweisen, so konnte
«3 nur durch Fragen geschehen, die der Gefragte mit Leichtigkeit
jj^tanbte beantworten zu können.
Der Philosoph sieht sich also, um anf meine Einleitung zurttck-
zukommen, get&uscht, wenn er in der Sokratischm Methode nichts
weiter erkennt als die Fragemethode. Dagegen hoffe ich, ist es mir
12*
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e^inifrennaUeii geluiig:en. zu zeigen, wie einzig in ihrer Art die eigent-
liclie Sokratik dasteht, weklie mächtige und unumgänglich nothwendige
Gedankenarbeit des griecliischen Volk^^s sich in der Person des Sn-
krates verküri)eite. Sokrates allein machte durch sein Ringen nach
testen, klaren Begriffen dem Aristoteles es möglich, eine Los-ik zu
schreiben, die für alle Zeiten unerschütterlich feststeht. Auch noch
heutigestags ist das Studium der Sukratischen (respräche eine Übungs-
schule zum logischen l)enken, besonders wenn man versucht, die Fehler
zu entdecken, die Sokrates macht, die Widersprüche zu lösen, in die
er sich verwickelt; zugleich empfehlen sie sich als eine Vorschule für
moralische und ethische Studien.
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Iber die Auläii^e der sittlichen Kntwjckelung des Kindes.
Von Dr. M. Jahn- Leipzig.
Die Frage nach der sittlichen Entwicklung des Menschen er-
langt für die Krziehung diliirch die größte B:* leiitiing-, dass sie
mit dem Zwecke und Ziele aller Pädafrotrik in engster Verbindung
steht. Denn mag man das Ziel der Erziehiiug in der Bildung eines
Charakters oder in der Heranbildun;,'^ des Individuums zu einem braucli-
bareii Menschen suchen, oder mag mau den Begriff" der Tugend oder
den der Pfticht oder den des liöchsten Gutes in der Erzieliung oben
anstellen, oder will man den Zögling lehren, seine Zeit zu verstehen,
nach Kniften zum Nutzen und Frommen aller zu leben, um dadurch
auch seine eigene Glückseligkeit am sichersten zu tordern: überall
wird die Frage nach dei* sittlicheu Eatwickelung des Menscheu mit
im Spiele sein.
Neben dieser Wichtigkeil ist der Gegenstand aber auch zugleicli
durch seine Schwierigkeit und durch die Grüüe seines Umfanges aus-
gezeichnet, so dass er nicht nur Erfahrung und Leben beherrscht,
sondern auch zu den schwierigsten Problemen der Philosophie gehört,
wie auch Herbart in Bezug hierauf richtig bemerkt, indem er sagt,
dass die erste und wichtigste aller Fragen, welche der Mensch für
i^icl^, fiir andere, tTu- den Staat, für die Welt, ja sogar in Hinsicht auf
Vorsehung und Erlösung auf werfen könne, die nach der Möglichkeit
des Besserwerdens sei. Um nun die sittliche Entwickelung richtig
verstehen and in dieselbe erzieherisch naturgemäB eingreifen zu können,
ist es fflcherlich von Bedentung, dass man schon den Anf&ngen dieser
Entwickelnng genauer nachsp&rt.
Wemi irir die Entwickelanf eines Kinte Ton dea eraton Tagen
^ Gebort an wfolgen, so werden irir bemerken, dass das Kind in
diOi ersten Wodien nnd Monaten keine Spnr Ton einem sittlichen Be-
wasstsflln leigrt; anders aber ist es, wenn wir das Kind im Alter von
«n oder swei Jahren beobachten: da sind deatliche Sparen von dem,
was man eine Änftemng des sittUehen Verlialtens, des sittlichen Qe-
Wissens nennt, schon Torhanden. Non ist es doch sicherlich inter-
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eisaiit, nachzuforschen, wo und wann die ersten Keime des sitUidieD
Bewnsstseins sich im Kinde zeigen, and unter welchen Bedingungen
sie hervortreten. Denji die Zeit, in welcher man von angebornen Be-
griffen und Ideen sprach, ist vorüber; &üc ans gilt yielmehr der Satz
der Causalität auch auf geistigem Gebiete, dass nichts geschieht, wa»
nicht als eine Wirkung von Ursachen und Bedinj^ungen angesehen
werden inuss, dass mithin nichts unvermittelt erscheint, das Nene
sich immer auf das Alte stützt. Natura non facit saltus.
Was ist nun im Kinde vurlianden, ehe die ersten Keime des sitt-
lichen Bcwusstseins hervortreten? Wir sagen, es ist zuerst mit den
Sinnen thätig oder lebt im einfachen Empfindungsbewusstsein. Pas
Kind in der Wiege schlägt dit^ Augen auf und liat die Eniptinduu«?
des gelben Lampenlichtes, welches in einem bestiniinten Stärkegrade
und je nach dem Stürkegrad mit einem ang-enelimen oder unangeneh-
men Gefühl verbunden vorhanden ist. Ähnlicli verhält es sich, wenn
das Kind die Muttermilch genießt oder Schmerz empfindet: immer
handelt es sicli um eine gewisse Empfindung^squalität, einen bestimmten
Intensitätsgrad und einen bestimmten Gefühlston — aber auch nichts
weiter wird das Bewusstsein erfüllen. Noch weiß das Kind nicht,
dass der Lichtstrahl von der Lampe, die Milch von der Mutter kommt>
dass der Schmerz von einer bestimmten Küri»eistelle ausw'eht.
Bald aber schreitet das Kind in der Kntwickelung weiter fort.
Es fängt an, die Empfindungen an bestimmte Stellen des Köi"pers oder
in die Außenwelt zu verlegen. Das zeigt sich, wenn es die Gegen-
stände mit den Augen verfolgt, oder wenn es verwnndert die eigenen
Hftttde betrachtet and gegenseitig erfasst Die Psychologie nennt
diese Vorgänge das Flgvriran, Projiciren nnd Locallsiren, ohne aBer-
dingB weitere An&eUJlBBe Uber den ¥eilaaf dieser Vorgänge geben n
kOmen; es ist nnd Ueibt immerbin rfttbselhalt, wie der Mensch dam
gelangt, das innerlich Empfundene als etwas Extensires Yorm-
steüen. Hier haben wir es jedoch mit diesen Vorgängen nur so w«it
zu tiinn, als sie für die sittliehe Entwickelnng von Wichtigkeit sindr
die Vorstofe derselben bilden. Denn das Kind projicirt nicht nur die
Lieht- nnd Sehalleindrücke der Mntter — abgesdien tob den vielen
anderen Gegenständen der Umgebung — und gelsagt so sum Bfld»
derselben, sondem das Kind Überträgt «ach anf dieses Büd alle die
angenehmen Gefühle, die yon der Mutter ausgehen, nnd in dem
Gegenwart dem Kinde autheil werden. In dem Bilde der Mnttor
verknftpfim sidi im Kinde die Tielftwhea Gefühle des Angenehmen^
so dass, da diese Gefthle auch in der Erinnerung des Kindes erscheinen»
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schon die bloße Gegenwart der Mutter das Kind freudig etngt,
daher also das heitere Gesicht des halbjährigen Kindes, welches im
Bettchen liegt» sobald sich die Mutier naht Hier zeigt sich aber nan
scholl die erste psychische Bedingung, unter welcher das Kind zu
neuen G^f&hlen gefuhrt wird. Sie besteht darin, dass das Kind die
GefUüe des Angenehmen, welche es in sich erlebt, zugleicli mit der
Person rerknfipft, von welcher sie ausg^egangen sind oder aus-
gegangen zu -sein scheinen, so dass die Gegen waii. oder die Erinne-
rung dieser Person auch die Erinnerung des Angenehmen mit sieh
iührt. Dabei finden in der Seele weitere Zusammen£Eissungen und
Übertragungen statt, wobei neue Gefühle und vielfach auch neue
Vorstellungen zum Vorschein kommen. Denn es wird niemand be-
haupten, dass das freudige Gefühl, welches das Kind beim Anblick
der Mutter ergreift, vollständig gleich sei dem sinnlichangenehmen
Gefühle beim Genuss der Milch oder desjenigen beim warmen Wasser-
biid; wir haben ein Gefühl, das wol durch sinnliche Gefühle veranlasst
wurde, aber übergegangen ist zu einem (refühle von Person zur
Person, und welches zugleich die erste Stufe bildet für die Gefühle
der Anhänglichkeit, Liebe und Treue, welche schiiefiUch Mutter
und Kind verbinden.
Die EntWickelung geht aber hier noch ein Stück weiter. Daa
Kind bekommt bald auch ein Bild seines eigenen Körpers. In diesen
und in dessen Organe veileirt es das, was sie thun, und was mit
ihnen geschieht. Hierl'ei lindet ebenfalls sehr bald eine Ü^bertragung
und weitere Vergeistigung der AuÜenweit statt. Alles das nämlich,
was dem Kinde geschieht und ihm Schmerzen und Freude bereitet,
«'ben diese Schmerzen und Freude legt es zugleich auch in andere
Personen und Dinge, wenn mit diesen ähnlich verfahren wird. Das
Kind hält den Tisch, an welchen es sich gestoßen, oder die Nadel,
mit welcher es sich gestochen, für den Thäter. Es meint auch, die
Poppe könne Schmerz empfinden und an der Freude theilnehmen. Das
Weinen der Mutter ist dem Kinde ein Zeichen des Schmerzes, weil,
wenn es selbst Schmerz empfindet, ebenfEtUs weint. In solchen
Obertragungen macht das Kiad ohne Wissen und Wollen auBer-
ordeniUdi schneU Fortsehritte, und bald lernt es nicht nur den Aus-
druck des Sdimenes und der Freude in eines anderen Gesteht, sondern
aaeh den strafoiden Bliek, den Ausdruck HebevoUer Zuneigung und
belobender 2äistfanmung dar Eltern kennen und unterscheiden. So
wird es ertdftrlich, wie die lebhafte Erinnerung und das lebhafte Zu-
saainenspiel solcher Erlebnisse die Gefühle der Theilnahme und
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Liebe, dauii auch der Achtung, der Furcht liervorrufen. und wie
es iil)erhaupt niöglicli ist, dass der Mensch zu der anfangs allerdings
nur dunklen Vorstellung gelangt, dass es Mitmenschen gibt, die
ebenso wie er Schmerz und Freude, Zuneigung und Abnei-
gung, Wünsche und Begehrungen in sich tragen. — In einer
kurzen Abhandlung ist es nun nicht möglich, die Richtigkeit des (re-
sagten in allen Einzelheiten dui'ch Beispiele zu belegen; sie soll viel-
mehr dazu auffordern, die Kinder auch nach dieser .Seite hin genauer
zu beobachten. Es kann jedoch als eine allgemeine Thatsache be-
zeichnet werden, und dieselbe tritt schon im frülien Kindesalter her-
vor, dass der Mensch nicht gleichgiltig seinen Nebenmenschen gegen-
übersteht, dass eine natürliche Empfänglichkeit seiner Seele, welche
psychologisch zunächst durch Übertragung sinnlicher Gef&hle zu erklftren
ist, ihn veranlasst, theilzanehmen an dem Gl&cke oder Unglttcke seiner
Brüder. Im letzteren Falle reden wir insbesond^ van Mitleid and
Mitfreadei von Mitgefühlen oder sympathetischen QeflUilen, mit welr
chen Ausdr&cken man also die Theilnahme an fremdem Wol nnd Webe
beielchnet, dieses so empfindet, als wäre es einem selbst geschdien.
Wie schon erwihnt^ entsteht die Theilnahme zaerst, wenn das Kmd
die freiid- nnd schmersvollen Gemftthsbewegnngen in Aasdracksbewe-
gangen sieht; sie wird aber verstftrkt» sobald die Ursache des Enmmers
bekannt wird, daher immer die Frage: Was fehlt dir? SpAter geiiAgt
es jedoch schon, das fremde Elend in lebhalten Zügen zn schildeni,
und je leichter in einem Kmde die Phantasie erregt werden kann,
nm so lebhafter erscheinen dann die liQtgefilhle, so dass oft infolge
lebhafter Ersählnng der Mitfühlende in weit höherem Grade errogt ist
als der, dem die Sfympathie gilt
In der Thatsache der Vergeistignng der Anfienwelt wunelt
sonach das Verhalten des Menschen som Menschen; hier liegt die erste
Bedingung zur sittlichen Entwickelnng, besonders zur Entwickelang
der sympathetischen Gefühle. Als nothwendige Vorbedingung
dieser Gefühle sind die sinnlichen Gefühle zu bezeichnen, ohne jedoch
diese mit jenen zu identificiren. Allerdings kehrt eine Eigenthümlich-
keit der sinnlichen G^hle hier wieder; auch die sittlichen Gefühle
bewegen sich zwischen Gegensfttzen. Wie wir dort das sinnlich An-
genehme und sinnlich Unangenehme unterscheiden, so redet man
hier v<Hi der Wonne des Mitgefühls und von der Hässlichkeit des
Neides, von der Lust beim Kecht und vom Leid beim Unrecht Diese
Eigenthümlichkeit der Gefühle, sich in Gegensfttseil lU bewegen, ist
jedoch allen Gefühlszoständen eigen und muss als eine nicht weiter
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erklärbare Qnindeigenächaft dieser Seelenzustände angesehen werden.
Diese eine psychische Bedingung genügt jedoch nicht, um das Her-
Tortreten des Ethischen in seiner Mannigfaltigkeit zu erklären. Im
Alter von 8—4 Jahren schon zeigt das Kind eine andere £igenthüm-
liclikeit; wir bemerken, wie es das Tuch, den Lappen nimmt, um mit dem
selben genau so thätig zu sein wie die Mutter. Etwas später will der Knabe
auch schon des Vatei-s Stock und Hut in entsprechender Weise ver-
wenden, er macht die Körperbewe^unpfen und Gesichtszüge der Er-
wachsenen nach, und auch die in der Familie herrschenden Gewohu-
heiteu und Sitten bleiben auf diese Weise dem Kinde nicht fremd,
sondeiTi gehen auf dasselbe über. Wir haben es in allen diesen
Fällen mit Nachahmungen zu thun. In denselben begegnet uns
eine neue, höchst interessante Gruppe von psychologischen Vorgängen,
so dass man sich wundern möchte, dass in den Lehrbüchern so wenig
darauf eing^egan^en wirfl. Bei einer Nachahmung wird das vom
Kinde Wahrgenomniene nicht nur bewusst, sondern wirkt auch auf
den Muskelapparat, und zwar in der Weise, dass das Gesehene von
den entsprechenden Köri>ertheilen, und zwar oft in wunderbarer Voll-
ständigkeit wiederholt wii'd. Der Vorgan«? liisst sich so zwar leicht
beschreiben, aber doch nicht weiter erklären und begreiten. Dadurch
kann jedoch die Wichtigkeit der Nachahmung nicht verringert wer-
den. Weuu wir die Kntwirkelung des Kindes in Betracht ziehen, so
beruht auf der Nachahmung nicht nur das Spiel, sondern auch der
größte Tlit'il aller iibriyfen körperlichen Bethätigung; ja auch tur das
ganze spätere Leben ist die Nachahnmiitr außerordentlich wirksam.
Das EigenthUmliche der Nachahmung besteht mit darin, dass sie
zunächst ein rein mechanischer Vorgang ist; denn das Kind denkt
sich dabei zunächst gar nichts; des Zweckes einer Thätigkeit
oder des Sinnes eines Familienbranches ist es sich gar nidit be-
wnflBt Daran wird m ilun das Sobledite etwnso nacbgealimt wie
das Beehte. Aber doeh kann auch hier eine Fortbildung anm Voll-
kommeneren bald stattfinden. Das geschieht dadurch, dass eine Be-
nrtheilnng den kindlichen Verhaltens durch die Eltern und durch
andere Erwachsene eintritt; die freundliche Zustimmung oder der
eraate Bück, die Ermahnung und das Verbot oder die bestimmte
StrniiB der Eltern Ähren das Kind dahin, das Sichtige Tom Falschen
unterscheiden lu lenien. Auch hier ist wieder das ähnliche Gefühl
mit thitig. Freude oder Furcht in der Erinnerung bei dieser oder
jener Nachahmung wiikt bn bestimmter Weise auf die Thfttigkeit ein,
so daas eine Regelung des Benehmäis und Betragens des Kindes all-
Digilizea'tfy Googie
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mählich eintritt. Dabei macht sich nun der Fortschritt nach der
Seite des sittliclien Bewusstseins mit geltend. Das Kind bekommt ein
diinklcis Gefühl für das Richtige und Falsche, für das Erlaubte
und Verbotene, für das L(>]»ens- und Tadelnswerte, tür das
Schicklicbt^ und Nichtschickliche. Wirkönnen so schließlicli sagen,
(Ihss <lie Nachahmung für die .sittliche Ausbildung im besonderen die
Bedeutung hat. dass das Kind gewöhnlich bei der rein mechani-
schen Thätigkeit des Nachahmens nicht stehen bleibt, son-
dern dciss es theils durch weitere Beeinflussung der Erwachsenen, theils
von selbst zu Gefühlen und Gedanken geführt wird, welche zum
Gebiet des Ethischen gehörig zu betrachten sind.
Nun ist es nothwendig, noch auf eine dritte wichtige Bedingung
des Hervortretens sittlicher Gefühle aufmerksam zu raachen. Viele
Handinngen des Menschen und verscliiedenes im Verkehr der Men-
schen Wahrgenommenes "wirkt nicht in der Weise, dass von seiten des
Kindes eine Nachahmung erfolgt, die oft auch gar nicht erfolgen kann.
Ein Knabe befindet sich z. B., mit seinen Spielsachen beschäftigt, allein
im Zimmer; da sieht ein fremdes Gesicht zur Thür herein; gleich, so
sagen wir, erschrickt das Kind, es will sich vei'stecken und fängt
wol gar an zu weinen. Oder wir bemerken, wie das Kind, der Er-
innerung des angenehmen Geschmaekes folgend, nach der süßen Frucht
im Korbe der Verkäuferin greift, die Hand aber schnell wieder sinken
Iftsst, wenn es die dabei stehende Person wahrnimmt Oder Knaben
spielen auf der Strafie; da würd ihnen von fremder Hand das Spiel-
zeug weggenommen; nach knr»em Stannen sehen wir die Knaben in
neuer Unruhe, sie laufen dem Übdfhiter nach, und die Schlägerei ist
fertig. In diesen und ähnlichen Fällen haben wir uns den psychi-
schen Verlauf in der Weise m denken, dass im Bewusstseln der
Kinder gleichmABig und ruhig eine Ansahl Vorstellungen und GeAhle
ablftuft, wobei sich die Kinder sichtlich wolbefinden. Das Wahr-
nehmnngsl^ des fremden Gesichtes passt nun nicht in diesen Vor^
stellungBlauf, wirkt aber doch, indem es die Vorstellungen zerreißt»
sie in Aufridur versetzt und die rahig dahinflieftendeii Vorstellungen
gewaltsam zurttekdrftngt Es hat, wie wir sagen, eine Gemftths-
bewegnng oder Gemflthserschütterung, ein Affect, stattgeflmden.
In diesem Falle wird nicht nur das Gemttth verBndert und der Körper
in Mitleidenschaft gezogen, die entstandene Leere des Bewnsst*
seins wird sehr oft durch andere wertvolle Bewusstseins-
Inhalte ausgefällt, welche aus dem Innern auftauchen. Das erste,
was sieh gewöhnlich bemerklich macht, ist das Staunen; daran aber
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können sich nach der Bei;chaffenheit des Wahrgenommenen und nach
der Intensität des Eindrucks besondere Geiühle und Gedanken an-
schließen, und liier haben wir nun die Stelle, wo die AtFecte auch für
die sittliche Entwickelung von Bedeutung sind. Denn auch sittlich
wertvolle Gefühle befinden sich unter den neuen Bewusstseins-
inhalten, wie das (Tetlihl vor dem Großen und Majestätischen,
das Gefühl der Achtung, das derFurcht und der eigenen Nichtig-
keit, der Scham und Reue, besonders pflegen die Gefülile des
Rechtes von Atfecten auszugehen hei Verletzung des Rechtes durch
grobes Unrecht. Muth und Feigheit, Ausdauei- und Erschlaffung, Siegeu
und Unterliegen lernt der Mensch beim Affecte kennen, und käme es
unter den Kindern und unter den Menschen überhaupt nie zu einem
Sti'eite, so würde das (letiihl für Wahrheit und Lüge, Recht und
Unrecht nicht zum IJewusstsein gelangen.
Die Vergeistigung der Außenwelt, die Nachahmung und
der Affect erscheinen sonach als diejenigen psychischen Bedingungen,
imter denen das Sittliche, insbesondere sittliche Gefühle im Menschen
geweckt werden können. Wir unterlassen hierbei zu versuchen, für
diese Vorgänge eine höhere Einheit zu linden, wie wir unigekehrt
nicht weiter nachforschen, ob die Zahl derselben nicht zu ver-
mehren sei.
Sind dieses nun innere psychische Bedingungen für das Hervor-
treten des Ethischen, so können im Gegensatz hierzu auch äußere
Bedingungen unterschieden werden. Denn wie die Seele überhaupt
erst dnxdi EinflUase Ton anfien zar TbäUgkeit erwacht, so mfissen
aneh in den beschriebenen FftUen gewisse ftoitere Bedingungen erfUlt
sein, sollen die erwihnten Thätigkeiten in Ghuig kommen. Das wird
aber dann geschehen, wenn der Henseh in Gemeinschaffc mit anderen
gebraeht wird, län Mensch ist kein Mensch. Wollte man ein Kind
isoUrt von allem menachliehen Umgänge anfwachsen lassen, so würden
aneh alle ftnßeren Bedingungen fbhlen» welche das Innere hi Wirksam-
keit yersetsen können. Die ethischen Geffthle wurzeln im ge-
sellschaftlichen Dasein des Menschen; sie sind socialer Art.
Soll ein menschliches Wesen Theilnahme am Schmerz und an der
Freude seiner Mitmensche, Achtung und Liebe, Recht und Unrecht
ffthkn und kennen lernen, so kann das nur geschehen, indem es sich
betheiligt an den Ereignissen und Handlungen des Menschen, dass der
Einzetaie Ton den Aussahen, Verhfiltnissen und Angelegenheiten der
Gesammtheit berührt wird.
Das Ergebnis der sittliehen Entwickelung in ihren Anftngen sind
— 168 —
sittliche Gefiiiile. welche hei den vtl^cllie(len^stt'll Aulä!>i>en nach
den verschiedensten Richtun^^en liervortreten. Das Kind zei^t be-
kanntlich sehr bald, besonders wenn es in geeigneter Weise erzogen
wird, ein feines (Tefühl für die ünterscliiede des eigenen Verhaltens
und das anderer Personen, und diese Gefiihle liaben ti-otz ihrer dunklen
Form die Eigenthiindiclikeit, sicli in sittliche Normen umzusetzen, das
Kind anzutreiben, das Rechte und Gute zu thun. Das reiche Gebiet
der sittlichen Gefühle finden wir auch in der Sprache wieder, wenn
hier z. B. unterschieden wird Mitleid, Mitfreude, Theilnahme, Neigung.
Liebe, Selbstlosigkeit, Selbstvei-leugnong u. & w. Aber doch zeigt
schim dkie BeUM, dass es nicht leidit ist, in die BttnieluiinigeD,
wateiie die Sprache besitzt, Ofdaung za bringen, veü ein md der-
seibe Aosdrack f&r mehrere Formen im Gebraach ist, und weil die in
Frage kommenden Oeffthle leicht ineinander ftbeiianfen nnd einem
Uaren Bewnsstsein nicht standhalten. Bei den sittlichen Gefühlen
soll deswegen schon dm Monseh nicht stehen Udben; die sittlichen
Geftthle haben anfierdem die Eigenschaften der anderen Gefllhle, dass
sie bald wieder verklbgen nnd bei TieUüMher Wiedeiholang sich ab-
schw&Qhen; sie müssen zn klaren YdtsteUongen eriioben, Urtiieile nnd
Begriffe ans ihnen gebildet werden. Dies weiter sn vediolgent ist
aber hier nicht unsere Aufgabe. Eben^) haben wir ganx unterlassen,
die negatiye Seite der sittlichen Entwickelang, nftmlich die Wurzeln
des Unsittlichen, an berücksichtigen.
Auf eins soll nur noch hingewiBsen werden. Die Tergeistigung
der Außenwelt, die Nachahmungen, die Affocte sind als die Bedingungen
der sittlichen Entwickelung bezeichnet worden. Damit ist also gemeint,
dass dann, wenn das Kind seine sinnlichen Gefiihle projicirt und loca-
lisirt, erwartet werden kann, dass auch Gefllhle der Anhänglichkeit,
der Zuneigung, des Mitleids sicli bemerklich machen, oder indem es
nachahmt, hotten wir, dass das Kind bei der mechanischen Thätigkeit
nicht stehen bleibt, sondern dass Sinn und Verstttndnis für die Sitten
und Glebräuche sich einstellen, ebenso ist es bei den Affecten. Wir
erwarten also, dass unter den angegebenen Bedin^nn<ren die neue
BewoBstseinsform hervortritt, ohne sie mit Bestimmtheit berechnen
oder voraussagen zu können. Denn es mnss immer vorausgesetzt
werden, dass im Menschen diejenigen Kräfte vorhanden sind, welche,
wenn die äußeren Bedingungen <ref^eben. die neuen, höheren Getiihle
und Vorstellungen zur Erscheinung bringen. In diesen Kräften sind
dann die Ursachen zu suchen, während der iuigegebene |)sy<'hische
Verlauf die Bedingungen enthält, unter welchen die sittlichen iu-äfte
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wirksam weiden. Bei gewissen Thierarten sind siclierlieh die psychi-
schen Bediugunt^en voiiianden, auch sclieinen die ersten Ansätze zum
Sittlichen niclit <ranz zu fehlen, aber doch gelangt das l'liier zu keiner
sittlichen Knlwirkclung, jedenfalls weil die nachhaltigen Kräfte
mangeln, welche zum Sittlichen führen. Auch im MHnsrhenlel>en giht
es Fälle genug, dass hei aller gt-isiigen Zurechuungsfähigkeit die Knt-
wickelung des sittlichen Bewusstseins zurückbleibt. Die Verbrecher-
welt, besonders auch die jugendliche, liat ganz merkwürdige Beispiele
zu verzeichnen. Ursache oder Ursi)rung und Bedingung der mensch-
lichen Entwickelung ist deswegen wol auseinanderzuhalten. Auch
die Descendenztheorie übersieht, wie es scht^int, diesen Unterschied.
Der Darwinismus behauptet, dass die organische Entwickelung der
Lebewesen nur intulge äußerer Kinwirkungen. durch die natürliche
Zuchtwahl, durch Anpassung und Vererbung voi- sich gehe. Mit die-
sen Ausdrücken ist jedoch weiter nichts gegeben als die Bedingung
organischer Entwickelung. Denn bei jeder indirecten Wirkung wird
immer ein gewisses Maß von Veränderlichkeit vorauszusetzen sein;
das Indiyiduam mnss die Fähigkeit besitzen, sich anzupassen, die
Kraft, sich verändern zu können, gleichviel, ob wir die Kraft Bochen
in dem, was wir Mateila mubii, oder in dem, was wir Gtaiat nennen.
Eine wirklich erfolgte UmAndening eines pflanzlichen, thierischen oder
menschlichen OrganismoB kann offanbar nor als das Besnltat ans der
Constitation desselben nnd ans den auf sie einwirkenden Einflössen
der AnAenwelt betrachtet werden, ans den ftnßeren Bedingungen und
den organischen, physiologischen, psychologischen, intellectnellen, ethi-
sdien Kräften. Und so hat Sdiiller auch nach dieser Seite nicht
onrecht, wenn er sagt: „Es ist der Geist, der sich den KOrper baut**
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Zum Moraiuuterricht
Ein Leser des „Piedagogiums" sendet uns unh r Hinwei« auf cim' Arbeit von
Herrn .Scliuliüsp»^rtor Wyß sidir Ootoborlieft S. 12 ft.) dio nachstoliciidrii kritischen
Henierkuugcu. Wir brin^iu (licsilbcii zum Abdruck, weil der Moraluntcrrichl noch
eine ofl'ene Frage int und aliüeitiger Beleuchtung bedarf. Herausgeber verweist zur
KeniMBeichnung seines Standpviiktes TOiUnflg vat die besflg^dieii AiuflUmingeii in
seinei »Schule der Pftdagogik'', namentlich auf S. 488 ff. D.
Die EinAhning eines besonderen Moralanterrichtes in die Yolk»-
scbnle ist entechieden za Terwerfen. Geschieht dieselbe, so kann man
sieh Aber solche Veriming des menschlichen Geistes nicht genug ver-
wnndern.
Es scheint in dem Moralontenichte darauf abgesehen, den Scha-
lem ein yoUständiges System aller Tugenden nnd Laster za bieten
und ihnen anzneignen. Einem solchen ist aber auch der beste Volks-
schüler keineswegs gewachsen; nur der kann es verdaaen, der auf dem
Gebiete der Psychologie nicht mehr fremd ist. Dagegen wird einem
Schüler das meiste unverständlich bleiben-, wie sollte es da nun, da
es nicht einmal vom Verstände er&sst ist, auf sein Wollen, auf seine
Handlungen bessernd einwirken?
Dieser Unterriclit, der dem Schüler so wenig seinem geistigen
Standpunkte Entsprechendes bietet, wird ihm wenig Freude bereiten,
für ihn wenig Interesse haben Die Tnliist (der B^eind aller gedeih-
lichen Arbeit), mit weldier der Scliüler bald gegen diesen schablonen-
haften, gekünstelten Unterricht erfüllt werden muss, wird noch mehr
steigen, sobald das Kind es eniplindet, dass es der Gegenstand einer
rein inecliaiiischen Dressur ist. Dass alxT unter diesen Umständen
von einem galten Erfolge des Unterrichtes nicht die Kede sein kann,
ist sellistverständlich. Dunat'li sind also Srhulen mit einem beson-
deien Horalnuteirichte kaum imstaude, ilu-e erzieliUche Aulgabe zu
erfüllen.
Wie werden dagegen (diese Frage liegt nahe) die Schulen ohne
äolcheu Uuierricht dieser Aufgabe gerecht? Nun liier werden die
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— 171 —
Kinder nicht in der Moral unterrichtet, sondern zur Moral erzogen.
vSie erfahren hier nicht hing und breit, was Moral heißt, lenien sie
aber unter dem kaum bemerkbaren, doch trotzdem genügend starken
Einfluss seitens des Lehrers ausüben. Die äußere Zucht und das Voi -
bild des Lehrers müssen hier im Verein mit dem so hochwichtigen,
um alles nicht zu unterschätzenden und zu entbehrenden Einfluss der
Familie die Hauptsache thun.
Daneben wirken im stillen, nicht so planvoll und gekünstelt, aber
dafür auch weil mächtiger und nachhaltiger als der besondere Moral-
unt«^rricht, der fwie vorhin zu zeigen versucht wurde) sein Ziel voll-
ständig verfehlt und vielleicht sogar schädlich wirkt, der Unterricht
im Deutschen, in der Geschichte, vor allen Dingen aber der Religions-
unterricht} dessen wichtigster Zweig ja der biblische G^bichtsnnter-
ridit ist Wie oninittelbar und segensreich wiriran nicht in diesen
Fftehem die nblrelchen Tor- nnd Schreckbilder; sie yeiÜBhlen, in der
rediten Wefse angewendet, um ihrer inneren Wahrheit Witten wol
niemals ihren tiefen Einflnss anf das Gfemüth und somit auch auf den
Willen nnd den Charakter des Kindes. Nur wenig kommt bei der
sittlichen Bfldung der Schüler der Verstand in Betracht Wozu das
Kind durch Hans nnd Schule gewöhnt wird, was es bei dem ersieh-
lidien Untenidite unmittelbar mit dem Oemüthe eriSust und durch
dieses anf seinen Willen wirken Iftsst, alles das, was somit allmftblich,
aber sicher den Charakter des Kindes bildet, das erkennt der sonst
so grübelnde Verstand in den bei passender Gelegenheit angebrachten
nnd in den aus den Geschichtsbüdem des Unterrichtes sich so natür-
lich ergebenden Lehren, überw<igt von der aUmftchtigen Gewöhnung
und dem Gtemüth, ohne weiteres an.
Dieser Weg ist bei Kindern der einzig und allein richtige. Bei
diesen erst unvollkommen (und so sind nur die kaum verstandenen
Belehrungen des Moralnnterrichtes) anf den Verstand, und dnrch
diesen erst dann mit Übergehung des Gemüthes auf den Willen wirken
zu wollen, ist vollständig verkehrt, führt nicht zum Ziele. —
Wenn in den Ländern des Moralunterrichtes der Unterricht in
der Religion den Geistlichen überlassen ist, so handelt man keines-
wegs im Sinne des Woi-tes Christi: „Gebt dem Kaiser, was des Kai-
sers, und Gott, was Gottes i.st!"
Der Keligionsunterricht der Kinder kommt nicht der Kirche zu.
Denn die Kinder gehören als solche einzig und allein der Familie
und der Schule an, welche beide im Verein die Aufgabe haben, der
Kirche und dem Staate, den beiden Gemeinschaften, welchen die
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BrwachseneD als Glieder angehören, dereinst neue, würdige Mitglieder
znsoHUiren. '
SelbstverstAndlich mfissen nun ans letzterem Grande alle berech-
tigten Forderungen der Kirche n&d des Staates in der Schnle nnd in
der Familie volle Berfleksichtignng finden, nnd das geschieht wol auch.
Ist dies aber nicht der Fall, so hat allerdings die Gemeinschaft,
welcher die Macht Übertragen ist, nnd das ist einzig nnd allein dar
Staat, das Recht, die besQglichen Forderungen mit Gewalt dnrch-
znffihrra. Doch die Kkche hat kein Beeht, in das GeMet nnd in die
Arbeit der Schnle thfttig nnd gewaltsam einzugreifen. Möge sie sich
genflgen lassen an dem mflhevollen, aber aach, wenn alle Kraft allem
dazu verwendet wird, von Segen gdcrOnten Arbeiten an den Seelen
der Erwachsenen durch Predigt, Schriften nnd vernünftige kirchliehe
Einrichtungen. Auf die Kinder vermag sie noch immer nachhaltig
genug durch den Confirmandennntenicht, den ihr niemand strdtig
machen wird, zn wirken.
Zum Schluss sei mir noch die Bemerkung gestattet, dass die
Diener der Kirche sich gar nicht zur Ertheilnng des Schnl-Religions*
Unterrichtes eignen, weil sie, wie es ja gar nicht anders sein kann
und soll, nicht genügend pädagogisch durchgebildet sind. Dies ist
aber der Lehrer, dessen Berufsbildung eben eine zum größten Theil
pädagogische ist, die sich durch den dauernden Verkehr mit den
Kinderseelen noch beständig erweitert und vertieft.
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Pädagogische Randschan.
Vom Lehrertagre nnd dem Pestalozzi-Vereine Brandenburgs.
In den Tag'en vom 2. bis 4. October hielten beide Vereine ihre dies-
jährigen Versammlungen in der schiinen Havelstadt Potsdam ab. Trotz strö-
mendeu Eegens waren die Collegcu von nah und teru in grußer Zahl herbei-
geeilt — Iber 600 nchniai an den Verliandliingen theU — » um im Eniw
dtae AmtBbrtdcr nene Anregimg nnd StRrknng Ar den Beornf sn finden nnd
•ieb daneben ancb an Potsdams herrlicher Umgebnng körperlich zn erfrischen.
Vormittags nm 11 ühr fand bereits eine N'orstandssitzong statt, woran
sich dann nm 2 ühr die Delegirtenversanuuluiig aitschlobs. Dieselbe wurde
durch den Vorsitzenden, Haaptlehrer Hohenstein-Brandenburg, mit einer herz-
ncben Begrflinng nnd der frenndliehen Htte erBftiet, bei den Verlumdlaiigen
möglichst knrz nnd bestimmt, doch immer eadiUeh seia m wvdlM, damit die
reich bedachte Tagesordnung' zur Erledigung gelangen könne.
Der erste Gegenstand der Tagesordnung betrifft die P'eststellnng der
Vertreter. Für 33 Kreis verbände, die sich in 110 ünterver bände gliedern,
iind «iniclut anweeend 67 Vertreter, deren Zahl im LanÜB derVerimndlungen
anf 70 aldgt.
Gymnasiallehrer Mfthlpfortli-Frankfnrt a. 0., der nunmehr das Wort erhält^
gibt zunächst den Cassenbericht. Darnach betrug die Kinnahme des Provin-
zial-Lehrerverbandes einschließlich des vorjährigen Bestandes 5544,84 M., die
Aasgabe 2455,80 M., so dass ein Barbestand von 3089,04 M. verbleibt —
Der Beebtsschntsverein wies ind. des v<njlbrigen Bestandes an Einnahme anf:
448,97 M., an Ausgabe dagegen 31,90 M".; bleibt somit ein Bestand von
417,07 M. — Die Pensionsoasse hatte aus dem Vorjahre einen Bestand von
50129.31 M. und eine Einnahme von 7741,81 M., zusammen also 57871,12 M.
Die Ausgaben stellten sich auf 6784,45 M., demnach beträgt das Vereins-
Tennögen gegenwärtig 51066,67 M., das snm grOfiten TheQ in popillariMb
sidieren Hypotheken, nun gerin»:ern Theil in Sparcassen onterg^toa^t ist./
Der Casse gehören zur Zeit 1332 zahlende Mitglieder an: Emeriten sind
282 gegen 252 im Vorjahre vorhanden, deren jeder eine T^nterstützungsquote
von 24 M. erhält. — Nachdem noch der Beitrag für das nächste Jahr für die
Mitglieder des Provinzial - Verbandes auf 0,75 M.. festgesetat ist nnd die
BeTisloDSprotocoIle verlesen sind, wird dem Rendanten Entlastung ertheilt.
*) Wir bringen diesen ausflüurlichen Bericht fast unverkärzt, weil er. aus der
Oltiaiprovinz des preuAischen Staates stamsieiid, eine typische Bedeutung hat;
Mttsn ab« flr die Zaknnft um knappere Faasong. D. B.
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Hs tolgt die Auswahl der Vorträge für die HAaptvenammloiig. Ange-
meldet sind:
1. „Gemfltli und Gemtttbsbildnng." Lehrer Bittkau-Brandeobargr.
2. «Welche Hiadenüflse erachwerea der Volknehale und ihren Lehrern
die Erföllang ihrer Aufgabe, und wie ist die Beseitigung dieeer Um-
stände zu erstreben?*' Subrector Berndt-Friedeberg-.
3. „Per Lehrerstand in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zu-
kuutt , oder was hatten wir? was haben wir? was fehlt uns noch?*^
Lehrer Freier-KorrittMi.
4. «Der Volkaechvllehrer sei Volknencielier/ Lehrer Haager-Potsdam.
5. „Der Rechtsschutz.** Hanptlehrer Zemlin-Friedrichsfelde.
Nach längerer Debatte gab man dem Vorschlage des \'orstandes Folge
und bestimmte die ^'ortrilge unter Nr, 1, 2, 4 u. 5, die auch in der angegebe-
nen Keiheutolge gehalten werden sollten. — Für die Abtheilungttsitzungen waren
angemeldet:
1. »Nothwendlgkeit einer entschiedenen und allgemein giltigen Verein-
fachung unserer Rechtschreibung." Lehrer Filter-Potsdam.
2. ^ Das Körperzeirlinrii an allgemein bildenden Iiehraostalten." Zeichen-
lelirer K. öchueck-i'ol.sdam.
Beide Vorträge wurden angenommen.
Von denVerbttndeaSpandan-Charlottenbnrg war der Antrag eingegangen:
„Der Vorsitz in den Abtheilnngssitznngen des Provinzial- Verbandes wird von
einem \'or8tand8mitglie(l»* tr»'tliiirt." In früheren Jahren waren dazu Mit-
glieder aus der Versammlung bestimmt worden. Da diis N'ert'ahreu Geldaus-
gaben verursachte, wünschte man eine Änderung herbeigeführt zu sehen. Die
VontaadaniitgUeder hatten gegen den Antrag nichts einsnwenden and so ge-
langte er denn anch nach knrzer Debatte mr Annahme.
Zn einer längeren Disenssion gab der Antrag: „Unsere Petitionsangelegen-
heit," vertreten durch Lehrer Maul-Clewifz, \"t ranlassung. Die LeitsUtze, die
den Ausführungen des Iveterenten zugrunde lagen, lauteten; „1. Auf der I'n»-
Yinzial- Versammlung jeden Jahres wird von dem Vorstande in Berathung mit
den Delegirten durch Stimmonmehrheit der Gegenstand der Petition seitens der
VoIksschnUehrer der Provinz Brandenburg an das Abgeordnetenhaus des
preußischen Landtages festgestellt: jetzt tVt'ilich noch unter der Hcsoliränkung,
da*s berechtigte Einzelwünsche Untersiützniitr linden, doch letztens nur die
Ausnahme sei. Gelingt es, diese Abmachungen mit dem Vorstände des
Xjandesvereins prenBisoher VoUcssahnllehrer am Terelnbaren, am so besser, so
wird die Haaptkraft der preaftlschea Volksscballehrer Stafe fOr Stnfe aach
y einem bestimmt m Ziele zusammengefasst. — 2. la diesem Jahre wird petitio-
nirt: a) um ein Unterrichts-, b) um ein D'/tationsgesetz und o'i um (iltMch-
stellung der Volksschallehrer in der Uaugstufe mit den 8ubalterubeamten
L Classe."
la Verhiadang hiermit wird der Aatrag des Kreisverbaades Zaneh-BeUg,
der ftdgenden Wortlant hat, behandelt: „Die UitgUeder des Kreisverbandes
billigen die Qrttnde, welche den Vorstand des Landesvereins preußischer Volks-
srluillehrer zu seinen Be.>ichlüssen. betr. die BeschiUnkung des l'rtitionswesens
der Lehrer, veranlasst haben, voll und ganz. Indes vermag der iv reis verband
anf sein unbeschränktes Tetitionsrecht so lange nicht an vemiehten, als von
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Seiten des Vorstaudes des LandeHvciniüs die Provinzial- bezw. Kreisverbftmde
über die beabsichtigten Schi'itte nicht rechtzfitie: j>^f'liört werden."
Erst nach langen, ermüdenden Debatten gelaugt ein vun Mieleke-Lacken-
waldft eingebnMiiter Antrag mit folgeiidMi WasfUnt mr AuMhme: «Der Vor>
ataad hat die Pflicht, im Laafe des Verein^jahiw d«i Kreil* «nd Looalver-
bändt n zeitgem&8e Fragen zar Berathang zn unterbreiten. Die Ergebnisse
diffStT Heiathun°:en werden auf der (^eneralversamniluner in der Form von Reso-
lutionen festgestellt, und zwar kunuiif^ii soll he (iei?enst;lride. welche Unterricht
und Erziehung betreffen, in der Haupt ver(>iiijiiulung, und solche, die das mate«
rielle Wol des Lehrerttandee angehen (namentlich Petitionen), in der Begel
in der Vertreterversammlung zur Verhandlung. Doch bleibt die Behandlang
von Angelegenheiten, welche eine whnellere Erledigang ntftbig machen, dem
Vorstande überlassen."'
War so eine Verständigung Uber das „Wie" io ODseren Petitionsangelegen-
heiten erdelt, so handelte et tieh nnami^ noch um das „Was**. In Bezug
hieraaf einigte man sieh sehliefliich dahin, daas es iweokmftflig sei, znnlohst
nur eine Sadie in Angriff in nehmen und als die dringlichste die ^^'it^v. n-
und Waisenversorgung" einer Ri-^elung^ entgegenmlfihren. Ks soll demnach
eine Petition an den Landta^^ .sowie an den Cttltusmiiiister gerichtet werden, '
worin gebeten wird, im nächbten Jahre die erforderlichen Mittel zu gewähren,
am die Witwen and Waisen der Volkssohnllehrer nach denselben Ornndsatsen
Twsofgan n können , nach welchen die der nnmittelbaren Staatediener Tsr-
sorgt werden. Zur Annahme gelangte im Anschluss hieran gleichfalls noch
ein zweiter Antrag von Mielcke-Luckenwalde, der also lautet: „Der Vorstand
des Lehrervereins der Provinz Brandenburg beantragt beim \'oi'staude des
Laadesvereins, dass derselbe in diesem Jahre auch eine Petitioa an die
geeetmeboDiden E9r|Mnehaflten nm Erlass eines Pensionsgeseties für Lehrer an
Mittel- und höheren Uädchenschalen riclite.'' Dieier Antrag wird dem Vor-
stände des Landesvereins zur weiteren X'eranlassnng übermittelt werden.
Darauf wurde über „Unser Vereinsorgau"* verhandelt. Tjalni-Stolpe. Mit-
redacteur der „Preußischen Schulzeitung leitet die Besprechung ein. Diese
Zeitimg, heraasgegeben von SeyHiurth nnd Lahn, ist bisher Organ das Lehrer^
▼erbaades unserer Provini gewesen. Leider fluid sie von den Vereinsmit-
gliedern nicht die nöthige Unterstützung; von den 3200 Mitgliedern werden
etwa 400 Exemplare gehalten, die Mehrzahl der Leser gehört anderen Provin-
zen an. — Der \ erleger hat sich de.shalb, um dem Blatte eine gröiJere \ i r-
breiiuug zu sichern, veranlasst gesehen, einen politischen Theil beizugeben und
die Zeitung vom 1. Oetober ab tilglieh erscheinen in lassen. Knn will sich
aber P<ditik and Pädagogik nimmer recht vertragen, nnd so wird infolge die-
ser Umgestaltung das Blatt in Zukunft niclit mehr Vereinsorgan bleiben kön-
nen. Bis Neujahr soll es noch dafür gelten, dann aber soll eine andere Zeitung
diesen Zwecken dienstbar gemacht werden. \'ou einer NeugrUndung soll Ab-
stand genommen werden. Es sollen Verhandlungen mit der „Nenen Pftdagog.
Zeitang*, dem Organ des Landesvereins prenftischer Volksschnllehrer, ange-
knüpft werden, damit diese in Znkanft als Organ unseres Pro vinzial Vereins
zeichne und unsere Angelegenheiton vertrete. Mit diesen Vorsehlftgen erklärt
sich die Versannnhing einverstanden.
Sodann kam der Antrag Zehdenick: „Der Voi-stand deä i'ruvuiziai-Vör-
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'bandes wolle bei den zustilndigeu Behörden dabin vorstellif? werden, dass den»
Lehrer zu den amtlichen Conferenzen ReisekoBten und Tagegelder gewährt
werden," zur Anosbme.
Nachdem noeh die aueeheidendeii Mitglieder Laim, Mühlfilinth mid
Thöns durch Wiederwahl anfs neue in den Vorstand berufen tiad, addieflt
nm 7 riir (U r Vorsitzende die Versammlung der Delegirten.
Am r'oimerstag:, d. 8. October, fand die Hanptversammlung statt. Nach
Eröfihung durch den Choral „0 heil'ger Geist kehr' bei uns ein"*, hielt der
VonitEende,HaiiptlehrerHoheiiBtefD-Bra]idenbiirir die BegrOtengirede, in der er
nnter asdereai aagte: »DieStttte, die ein gnterHenadi betrat^ iet eingeweiht**
Potsdam ist eine solche Stadt ; hier stehen wir anf historischem Bodeo. Nidit
alle Mäiiiipr sollen hier genannt werden , die um Sttvat und Schule sich ver-
dient geuiiu ht haben. Kaiser Friedrich III. igt hier im Neuen Palais geboren,
ist anch in demselben geetorhen; er, der Liebling der Nation, dem alle Herzen
in Liebe entgegengeedilagen liaben, war ein Kind dieser Stadt. In der nnr
wenige Schritte entfernten Friedenskirche ruhen die Überreste des stillen Dul-
ders. Nicht fem von hier ist das Dorf, wo er in der Schule stand und den
Lehrer vertrat . damit dieser an das Sterbebett der g-eliebten Mutter eilen
konnte. Wie hat er doch unseren Stand so lieb gehabt! Ist es nicht, als
•diante nodi hevte der edle Dnider Jheundlichen Blickes anf vna hmMet,
xaa Vau zn mahnen, in seinem Sinne nnd Geiste die VolkBbUdnng an beben
nnd cn fördern? So wollen wir dieser Mahnung folgen nnd nnsere Klagen
verstummen lassen, wollen eingedenk bleiben der Worte unseres jugendlichen,
arbeitsfreudi^iMi Kaisers, die vv j^eiegentlich der Vorstellung in der königl.
Turnlehrer - Bilduugsanstalt au die Zöglinge richtete: „Meine Herren, so
Aatferte er sich, „Ich spreche Ihnen von Herzen Hetaie Anerkennnng ans für
die vortreiflichen Leistungen, die Ich von Ihnen gesehen habe, nmsomehr,
da viele von Ihnen sich schon im vorgeschrittenen Lebensalter befinden. Die
Übungen wurden fast sämmtlich vorziierlirh auspeführt, den Gerwerfern kann
Ich empfehlen, dass sie das Gleictigewicht des Ciers etwas mehr in die Hand
legen; sie würden dann mehr Treffer erzielen. Ganz besonders haben Mir
die Übungen am Barren gefUlen, die wirklich elegant aasgeAhrt wnrden. —
Sie kehren jetzt wieder zu Ihrer Lehrerthfttigkeit zurück; die
Zukunft des Landes, die Jug^end. ist Ihnen anvertiaut. Renutzen
Sic (las. was Sie hier g-elernt haben; an guter Anweisung- dazu luit es Ihnen
nicht gefehlt. Ich spreche ihneu nochmals von ganzem Herzen Meine volle
Anerkennong ans."
ünsereAn^be ist eine sehr hohe, aber anch eine sehr schwere. Begie-
rungspräsident Dr. Schulz sagte sehr richtig anf einer Lehrerversammlung,
der Lehrei bat einen schweren, dornenvollen P^ruf, ^ r bedarf deshalb der Stütze
und Ermuntt rung: diese findet er in der Vereinigung, in dem Zusammenschluss
der Mitglieder seines Standes zu gleichem Streben. — Wie sehnlich wünschen
wir, dass wir in unserem Wirkungskreise in Frieden arbeiten und das schwen
Werk der Jugenderziehung in Ruhe betreiben kOnnten. Doch ist ein solches
Qlttck uns nicht beschieden. Die ersten Schusse im Schnlkampf sind bereits
gefallen: Prinz Lifclitensfein in (»stt-rreicli. Kxct'UeTiz Windthorst in Deutsoh-
laud haben das Kampfeszeichen gegeben. W ir würden zu Ven-äthern au uns
und dem Taterhuide werden , wenn wir nicht mit allen Krttften fftr nnser
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Kleinod, die deutsche Volksschule, eintreten wollten. Freilich sollte man wol
erwarten, dass man endlich die Wichtigkeit unseres Amtes nnd die hohe
Aufgabe der Volksschule anerkennte; dem ist jedoch leider noch nicht immer und
«Ilenthalben so. — Wir Terkennen nicht, diia et auch ia muerm Stande noch
viele Glieder gibt» die uwttrdig und, denaelbett anzogehftrea, snd untfiehtiff,
der Schule wahrhaft zu nfttsen. Biese schließe man ans, wir selbst wUnsolMii
es anfs lebhafteste; aber man mache niclit den g-anzen Stand dafiir verant-
wortlich, wie es auf der Kreissynode Regenwalde i^rescliehen ist, wo nian den
Lehrern im allgemeinen arge Vergehen gegen die Sittlichkeit, Hinneigung zum
Tronke ete. sno Vorwinf machte und die Geistlichkeit anfMertOt ein waefa-
aamet Auge anf die Lehrer sä haben. Auch wurde der Vorwarf erhoben, die
Schale and Lehrer vei-schulden es, dass Brandstiftung, Unzucht, Mord etc.
nnter der Jugend in Zunahme begriffen ist. — Wie steht es untPi- diesen
Umständen um das 8. Gebot, wenn man gegen diese Anschuldigungen die
Ausweise der Statistik hält? Diese weist für die letzten Jahre eine entschie*
dene Abnahme dar Verbrech«r nach. Die Lehrer haben so dieser Abnahme
sicherlich ein gut Stäck Arbeit mit geleistet. Und in der Verbrecherstatistik
selbst nimmt unser .Stand noch immer die niedrigste Stelle ein, zählt viel
weniger, al.-^ der an Zahl viel g-erin^^re unserer Ankläger. — Ebens i müssen
wir die Klagen des evangelischen Sountagsblattes zurückweisen , das da be-
hauptet, miser BeUgiooMmteRicht sei dn oberflSehUeher, der die Henen kalt
laan, die Sinne nur aerstrene. Die Schale leiste in Endehnng ond ünterrldit
nidil das Noth wendige, darum habe auch der Confinnandenunterricht so ge-
ringe Krfnlir*'. Was den Religionsnnterriclit in der Schule betrifft, so weisen
wir den ihm gemachten Vorwurf mit aller Entschiedenheit zurück; über die
Güte oder Erfolglosigkeit des Contirmandeuunterrichtes wollen wir uns kein
ürtheil erianben. Aber nnser Ghristenthnm , nnseren Glaoben lassm wir nns
von niemand antasten.
Dass wir die socialen Schäden der Jetztzeit allein zu heilen aoAerstande
sind, das wissen wir. dazu sind wir zu schwach: es sprechen da eben noch viele
andere gewichtige Factoren mit; doch hat die Schule au ihrem Theile gethan,
was sie konnte and sollte. Solche Vorhaltongen , wie sie Oraf Brflhl im
Herrenhaose nnd Dr. Kropatscheck im Abgeordnetenhanse nns machten, lengen
wenig von dem Geiste christiieher Liebe, dessen sie sich 80 sehr rfUunen. Sollen
die Lehrer stillschweigen, wenn Statist i.sch ihnen nachgewiesen wird, dass in
den Sta,dten während der letzten Jahre ihr Einkommen um 10"/,, herunterge-
gangen ist, oder wenn sie sehen, wie die Witwe eines verunglückten Maurers
«inePttmion yon 452,60 IL ond für jedes Kind noch 89,60 M. erhält, wihrend
«ine Lehrerwitwe bisher nnr 260 If. an beanspmcheii hat?
Doch nicht blos za klagen haben wir Ursache, auch danken müssen wir.
Zu danken haben wir besonders Sr. Excellenz , dem Herrn Cultusminister
Dr. v. Gossler für seine warmen Worte im Abgeorduetenhause. Den AuBchuI-
digangen gegen die Lehrer trat er mit den Worten entgegen: „Unser Lehrer-
Stand beweist sich als Vorbild; die Angaben des Herrn Abgeordneten haben
ddi sehon in frflheren Zeiten als übertrieben erwiesen." — Solche Worte
mflseen ans anfeuern, auch fernerhin in dem Kampfe muthig auszuharren nnd
dem altpreuüischen Rufe: „Mit Gott für König und Vaterland" nachzuleben.
Kit dem von der Versammlung begeistert aufgenommenen Rufe: „Seine M.^ es tät,
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unser allergnädigster Kaiser nnd König lebe hoch, hoch, hoohl" acliiow der
Vowitzende seinen mit lautem Beifall begleiteten Vortrag.
Dem Vereine haben sich 13 neue Verbtode angeschlossen, so dass derselbe
in 110 LoealTflrbladen gegenwärtig ttber 3200 Mitglieder zahlt. DerBeneb
der Versammlnngen ein guter gewesen; ttber 400 Yortr&ge sind in dietem
Jahre gehalten worden. Die Gauverhflnde scheinen mehr nnd mehr sich aus-
zubreiten und ein wichtiges Glied in unserer \'erein8organi8ation zu werden.
Bedanerlich ist es, dass unser Vereinsorgan so wenig gelesen wird und nicht
die nSthige OntenUitniiigr Andel — Dem Abgeordnetenhanse iet eine Denk-
schrift betreft Besserstelliuig voBerer Witwen md Waisen ttheirdcht ud
andere Petitionen sind veranlasst worden; amdi in diesem Jahre werden dahin-
nielendp Schritte gethan werden.
Den ersten Vortrag liält Herr Lehrer Bittkau-Brandenburg über: „Gemttth
nndGemütbsbildung.'* Abgesehen von den einleitenden und Schlussw orten, in
denen vis der etwas frOnunelnde Ton nieht reeht rasagen wollte, nttssen wir
eritUrent dass der frei gehaltene, wol gegliederte nnd seharf dnrefadaehte Vor-
trag des Beifalls würdig war, der ihm in reichem Maße gespendet wurde. Den
Ausführurißfen des Vortragenden im einzelnen zu folgen, dürfte zu weit führen; wir
begnügen uns deshalb damit, die wichtigsten Leitsätze, die den Gang des Vor-
trages zum wenigsten skizziren, hier wiederzugeben. Es dürften folgende sein:
1. Die naeh der nisprllngliehen Anlage nnd der gesammten Bntwiekelnng
mannigfach Tersehiedene FShigkeit der Seele, m fUilen, ist nnd heiBt
Gemüth.
2. Das Gemüth ist etwas Bleibendes, das Qefühl ist etwas Vorüber-
gehendes.
3. Der Gmndcbaneter des Gemfithea ist entweder «fai heiteier oder ein
trttber. Zwischen der Heiterkeit nnd dem Trübsinn sehweht der
Gleichmuth.
4. Die Gemtithsart Ist fBr das Lehensglück jedes Einzelnen von groter
Wichtigkeit.
5. Die Gemtithsbildung muss schon sehr früh anfangen.
0. Das Gemüthsleben soll ein mSgUdist reifiBS, tiefes nnd reines sein.
7. Schule nnd Hans müssen zur Erreichung des Zieles
a) auf den Reichthum, die Tiefe und die Reinheit desGemüthes hinwirken.
b) die Veredelung, Milßigung und Beherrschung der Aifecte fördern
und die Affectationen bekämpfen.
c} die permanente Leidenscliaft oder Sucht m Terhflten suchen.
8. Der Familie ist dies mOglieh durch das Yerhlltnis des Kindes snr Kut-
ter, zum Vater nnd zu den Geschwisteni; der Schule durch ihre ganze
Einrichtung, den ^'c^kehr mit Lehrem und Mitschttlem, haupts&chlich
aber durch den Unterricht.
9. Qemüthsbiideude Kraft haben: Religion, Sprache, Qescbichte, Natur-
kunde und Gesang, ja sogar der matiieinaliieh« Untenidit kann Bin-
ilnss anf das Oemüthslehen eilangen.
Um den Bindmck nicht abzusdiwldien, wurde TOn einer Discussion Ab-
stand genommen, und es konnte dämm sofort dem zweiten Referenten, Sub-
rector Berndt, zu seinem Vortrage das Wort ertheilt werden. Das Thema
hatte folgenden Wortlaut:
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„Welche HindeniieBe erschweren der Volksschole und ihren Lehrern
die BrfBlluig ihrer Änl^he, und wie ist die Beseitigwig dieser Um-
stinde zn erstreben?"
Versuchen wir, die Hauptgedanken nachfolgend wicdt^rzngrebcn. Der
Redner führte etwa uns: Unserer Berufs- und Vereinsarbeit wird seitens der
hoben Behörden Beachtung geschenkt und Anerkennung entgegengebracht.
Leider aber nttssen wir anch die trObe, niederdrückende Erfahrung machen,
dass die Lehrer vielfach noch missachtet nnd gekrftnkt werden. Das darf
uns aber nicht abhalten, riistig weiter zu kämpfen. Diesterweg m^: .,Wie
nichts ohne Ziel und Zweck in der Schöpfung dasteht, so hat auch der Mensch
sein gestecktes Ziel, seinen bestimmten Zweck zu erstreben. Er soll im
Dieasto des Outen, Wahren und Schonen stehen imd mit allen Mitteln dieses
hohe Ziel zn errddien snchen."
Der Yolkssehnle wird die Mehrzahl nnsert i .Tugend überwiesen. Von
der ErfBUnng ihrer Aufgabe an dieser Jugend wird die Bedeutung der Schule
fürs Leben bedingt. Und was für Anklagen schleudert man gegen diese
Schale! Sie soll die socialen Schäden der Gegenwart verschuldet haben, soll
nicht genng für das praktisdie Leben Torbilden; dämm will man ihr alle
mOgUehen nenen Q«g«nstSnde, wie Gesetsesknnde, Volkswirtschaft, Handfertig-
keitsanterricht etc., aufbürden. Solche Forderungen sind als übertriebene mit
Entschiedenheit zurückzuweisen. Die Volksschule sucht an ihrem Theile alle
ihr zu Gebote stehenden Mittel aufzuwenden, um den vorhandenen Missständen
entgegenzutreten, sie zu mildern und abzustellen; aber sie allein venuag es nicht,
namentlich unter den obwaltenden Verhältaisien nicht Es gibt der Hfai-
demisse eben noch gar zu viele, die einem gedeihlichen Wirk« ii sich hemmend
in den Weg stellen. Schon die Unreife der Schüler bei der Aufnahme tritt der
Schule hindernd entgegen. Da kommen die Kleinen oft unsauber, eif^ensinnig,
trotaig, lügen- und launenhaft; selten nui- sind Lichtblicke da. Was das
EtternhABS in endehUeher Hiuicht geslndigt, das soll mnss die Sdinle
wiedmr gntnuMihen. ffier wird ein harter Kampf gekämpft, nnd oft liegt die
Schule mit dem Hause im Streite, wo sie auf dessen Bundesgenossenschaft
sollte rechnen können. Als ferneres Hemmnngsmittel muss die zu frühe Be-
schäftigung der Kinder zum Zwvckn de.s Erwerbes angesehen werden. Auf
dem Lande leiden darunter die Hütekinder, in den Städten sind es die Fabri-
keo, die die jugendlichen Kr&fte in Anspruch nehmen. Ermttdet, dumpf nnd
stnmpf dtaen solche Zöglinge da. Die Schule kann weder in unterrichtlicher,
noch in erziehlicher Hinsicht ihre Mif'sion an ihnen erfüllen. Oft sind diese
Kinder sogar sittlich geftlhrdet. Das böse Beispiel der Erwachsenen, das
Zusammensein verschiedener Geschlechter in engen Räumen birgt eine unend-
liche Gefahr in sich. Und nun denke man an die ungenügenden Scbulräume,
an die ÜberfUlung so vieler Glassen, an den Mangel der nothwendigsten
Lehr- und Lernmittel, m wird man zugestehen müssen, dass auch hierdurch
die Thätigkeit des Lehms vielfacli gehemmt und er selbst nicht selten stark
öberbürdet ist. Beklagensw ert bleibt es, dass der Lehrer auf dem Lande auch
noch immer zur Verrichtung der niederen Küsterdienste genöthigt wird, wo-
durch er swielluih Schaden leidet, einmal an der lUgemelBeii Achtung, sodann
aber nnbt ihm dies Nebenamt manche Stande, die er besser Im Schuldienst
▼crwcnden kttnnte. Die Abhftngigkeit des Lehrers von seinem Patron nnd
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von den Bauern auf dem Dorfe ist ebenfallg ein hemmonder Factor seiner
Thätigkeit. Gegen Sänraige kann und darf er gar nicht mit unnachsichtlicher
Strenge vorgehen , weil er niclit die nothwendige UnterstiiLzung findet , oder
weil er sich dadurch Feinde und Gegnei* schafft, die ihn in materieller 6e-
ziehoDg schwer za sohSdigen imtande tind. — Weiter wird es Utter «m-
pAmden, da» die Schale bieher immer noeh der fkehmSaiiiiehen AnUrieht ent-
bebrt) und dasa es dem Lelirer noch nicht — wenigstens noch nicht allgemein
— gelnnpen ist. in den Schnldepütationen Sitz und Stimme zu erlangen. Noch
immer ist der (Teistliche der geborene Localschulinspector, noch immer sieht er
sich nicht als Xebeu-, sondern alt> Übergeordneten de« Lehrers au. Das ist
ein sehr nnerqnicldichee VerhSltais und bringt dem Lehrer manch trttbe
Stande. Wo in aller Welt besteht auch ein ähnliches Verhältnis? Was
würde wol der Jurist sagen, wenn ihm ein llediciner oder Geistlicher zum
Vorfi-esetzten oder Inspector bestellt würde ? In der Hand des Geistlichen,
der ohne die nöthige pädagogische Bildung und Einsicht die Schulautsicht fülirt,
der eine gerechte Benrtheilung der Lelirerthätigkeit nicht hat und nicht haben
kann, ist dieses Amt eine stete SchldJgang des Ansehens des Lehrers. Daaa
eß auch zahlreiche rftlimliche Ausnahmen gibt, wissen wir wol; aber diese
Ausnahmefälle können uns nicht bestimmen, der Localschulinspection in ihrer
jetzige Gestalt das Wort zu reden. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, wird
der Geistliche stets den Vorgesetzten des Lehrers hervorkehren und dadurch
Es wird vom Lelöer verlangt, in Wechselbeaehang mit den Familien m
treten. Das ist recht schön und gat. Dann aber sollte man ihm auch Sitz
und Stimme im Schulvorstaude einräumen, wo er mit den Vertretern der Ge-
meinde, den Familienvätern, zusammen rathen nnd thaten könnte: da-s würde
büiii Ansehen heben nnd seine Stellung kräftigen. Es ist ein eigen Ding, das»
man gerade ihn, den Sachverstlndigen, aas dem Soholvorstande aossehliefit. —
\oü Wichtigkeit erscheint ferner die Hebong der Bildung des Lehrerstaudes.
Seit Erlass der Allgemeinen Bestimmungen vom 15. October 1872 ist hierin
sehr viel geschehen ; aber es muss unserer innigsten Überzeugung nach noch mehr
dafür gethan werden. Der Lehrer muss eine wissenschaftliche und berufliche
Vorbildang erhalten, die ihn aUen Gebildeten unseres Volkes gleich gestellt er-
scheinen ISsst Eine änflere Anerkennang dieser OleichsteUnng wttrde schon
darin gefunden werden, wenn man ihm die Berechtigung zum eiujährigen
Militärdienst zuspräche. — Ein recht gewichtiges Hindernis für die Erfüllung
der Aufgabe, die der Lehrer in der Volksschule zn Vöscn hat, wird in der
durchaus ungenügenden Besoldung des Lehrers gefunden. Nach Ausweis der
jüngst veröffentlichten Statistik von 1886 gab es nach den UittheUungen des
Beferenten im Begierungsbezirk Potsdam*) noch 36 Stellen mit einem Jahres-
einkommen von 450 — 600 M., während der Frankfurter Bezirk deren sogar
lü3 aufzuweisen hatte. Schwere Sorgen sind des Lehrers Los. Wo aber
die Brotsnrp:»' so entschieden in den Vordergrund tritt, da hört die Beiufs-
freudigkeit auf. Die unausbleibliche Folge sind die bösen Nebenbeschäftiguugeu,
die allem idealen Streben die Wonsel abgraben. Der jonge Lehrer hat keine
♦) Wie wir aus einem Privatgcspriioh mit dem Herrn Regiernngsrath Böcklcr
vernoDuuea haben, ist im i'otädanier Bezirk nur noch eine eiuzicp Stelle mit einem
Einkommen unter 000 X. vorhanden, und hier liegen gaas besondere VerhUtais vor.
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Zeit, seine Weiterbildung zu fördern, keine Mittel, es zu können. Haid schwin-
den ihm die Ideale, Bitterkeit schleicht sich in das Herz; durch steten Stellen-
wechsel SQcht er seine Lage za beasera. Das sind trosUose Zustände, unter
deiMB dfoSdiiilarbeit lehwer Mdet; dam nur Heiterkeit ist der Hlauael, unter
dem das Gate gedeiht. — Und diese tranrig^e sociale Lage hat noch vielea
andere im Gefolge. Heute sieht man viel mehr auf das, was vor Ang:en ist,
als anf den inneren, sittlichen Wert der Person. Daher schreibt sich denn
aach 80 oft die Geringschätzung, mit welcher der Lehrer behandelt wird. Er
ist etai ein armer Tenfel, was braaoht man anf ihn grofie Bttoksiolit an neh-
men? Ansnalunen gibt es aneh in Besng hteranf sehr rfthmUehe, das ist ge-
wiss; aber die Ansnahmen sollten die Regel bilden. Um gerecht zu sein, soll
auch nicht verhehlt werden, dass gar oft der Lehrer selbst die Schuld trägt,
wenn er sich der nöthiaren Achtung in der Gemeinde nicht erfreut. Sein
ganzes Leben, sein sittliches Verhalten ist nicht immer darnach angethan, ihn
ab Hoster ond YorMld gelten so lassen. Und das kSnnen wir dem Ldirer
nicht erlassen; er mnss. will er recht wirken, nicht blos vorlehren » SSndem
vor allem Vorlieben. Beispiele zieliPii mehr als Worte und sind am ersten
dazu geeignet, Ihm die Liebe und Achtung seiner Gemeinde zu erwerben.
Diese gekennzeichneten Hindernisse sind entschieden vorhanden, ond es
gilt, die Beseitigung derselben mit allen erlanbten Kitlalii m erstrslMB. Dies
kann gesdiehen anf dem Wege der Selbsthilfs , indem ^r gelegentUdi der
größeren Lebrerversammlnngen immer wieder diese Missstftnde» welche in dem
Mangel an gesetzlichen Voi-schriften begrUndet sind, klarlegen und die zustän-
digen Behörden um Abliilfe ersuchen. Es muss in Zukunft dafür gesorgt
werden, dass die Kinder nicht so frühzeitig zu Erwerbszvveckeu herangezogen
ifOfden, dais die ÄUgemebien Bestimmangen hinsichtlich der inneren nnd taBeren
Ansstattong der Sehnleo, wie besiiglieh der Überfällnng der Glessen zur Ans-
f&hmng gelangen, dass die Localschnlanfsicht*) aufgehoben, die Fachaufsicht
eingeführt und dem Lehrer Sitz und Stimme im SchnlvorstAnde verlielien werde;
endlich dass ein zeitgemäßes Schul- und Dotationsgesetz der jetzigen traurigen
Lage ein Ende mache.
Yen den Lehrwn persSnlieh aber verlangt der Bedner, dass sie dnreh
andauernde treue PflichterfÜlliing nnd durch ihr anfieramtliches Verhalten,
sowie durch sorgfältige Pflege def? rechten Standesbewnsstseins sich die ihnen
gebürende berufliche und gesellschaftliche Stelluiifj; erwerben und erhalten.
Mit einem warmen Appell au alle Standesgeuobseu, den Vereinsbestrebuugeu
*) Während wir dickes schreibuo, lullt uuü ciu kürzlich ergangener Miui^iterial-
Eilass in die Hände, der die Localschvlauftieht in den Städten aufhebt. Der Br-
is« SSgt: j.Die hohe Entwickelang, welche unser sttdtisches \ olkssohulwespii sre-
Dommen hat , und die nicht geringen Anfordenmgen , welche au die Leiter vicl-
gliederiger städtisclier Volksscnulsystcme gestellt werden , weisen daiaof hin, die
Gnmd.«ätzc der Instructionen vom i'fi. .Tuni 1811 naeh der Kiclitung weiter au.'»zu-
liiiucn, da.ss die Recturcn, was d. n inneren Betrieb dcr Sdiul ii anlangt, in der RM;ei
mit denselben Befngnisaen ausgestattet werden, welche hi i kleineren Scbulen ma
' irtssf liiilinfipcctoren zustchoii, und dass, unter Abstandnahme von der Bestellung
bfaonden r Urteujchulinspectürca, die unter der Leitung von Ucctorcu stehenden, also
die sechs- und mehrclassigen Schulen, dircct den ^'eisschulinspectoren unterstellt
werden." — Bravo! Da wären wir wieder um einen guten Schritt Torwftrts ge-
kommen; uur rüstig weiter ^1 Fr.
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— 182 —
ticb anzascbließeu, die Glieder zu vereinter Kette za schließen, nicht muthlob,
Mmdem in vnverlnderter Trene fest nnd sielbewnsst den Kampf fortsnführen,
dem Eniehnngeweike mit gMoer Seele za dienen nnd die Jagend sa woliier
Frömmigkeit, zn rechter Liebe nnd Trene gegen König and Vaterland sa er»
liehen, schließt Redner nnter lebhaftem Beifall der Znhörer.
Die sich auschließendi'. biswciliii erregte Debatte drehte sich vorzüglich
am die Aufhebung der Scliulaufsicht und um bessere Dotirung. Bezüglich
dei ersten Pnnetes stimmten alle Bedner darin llberein, daas die Localsehnl-
aoMeht nidit nnr flberflilasig sei, sondern sogar schädlich wirke. Interessant
waren die Bemerknngren des Pastors Harnisch — der Name hat einen ernten
Klang bei den Pädagogen. Dieser sprach nicht nur seine Zustimmung zu
den Ausfühj ungen des Keferenten aus, sondern forderte im Interesse der Schale
wie der Kirdlie ein VeiliAltnis der Nelienotdnang swisdien Leihrem nnd
Geiatliehen, das würde beiden Anstalten snm Segmi gereicben. In den Sttdten,
wo Haaptlehrer nnd Rectoren den Schnlen vorständen, tti jegliche Localschnl*
aufsieht durch den Geistlichen vom t'bel : anders sehe es oft anf dem platten
Lande ans. wo der junge, unerfahrene Lehrer den Bauern gegenüber eine gar
schwierige Stelluug habe and in dem Geistlichen eiuen treundiicUeu Berather
nnd Mitarbeiter linden müsse. Diese ÄnBeruugen ans dem Monde eines jünge-
ren GeisUiehen erregten lebbaften Beilbil. — ScbUeliliQh Iknden die von dem
Vortragenden an^gpestellten Thesen nnter geringfügigen Ablndemngen allge-
meine Annahme.
Nach einer Pause sprach Lehrer Maager-Potsdani über: „ Der Volkssclml-
lehrer sei Volkserzieher. " Um den Baum des „Piedagogium" nicht übermäßig
in Anspmeh zn nehmen, verzichten wir anf eine ansftthiUchere Wiedergabe
des beifUlig aufgenommenen Vortrages und begnügen nns damit, die demselben
▼orangeschickten Leitsätze mitzntheilen; dieselben lauteten:
1. Der Volksschullehrer sei Volkserzieher, denn er ist dazu ebenso be- '
rechtigt, als verpflichtet.
2. Er sei es nm des Staates, des VolkeSi der Schola and am seines
Standes willen.
3. Kr «sei es a) mittelbar durch die Schnle, b) nnmittelbar dnrdi persön-
liche Belehrung, in beiden Fällen aber dnrch sein Vorbild.
Nachdem Hauptlehrer Zeralin -Friedrichsfelde noch einen kurzen Bericht
über den Rechtsschutzverein abgestattet hatte, schloss der zweite Vorsitzende,
Lehrer Lahn-Stolpe, anter herzliehen Dankeswortm gegen die künigUchen nnd
städtischen Behörden, die Collegen der gastlichen Stadt Potsdam nnd alle
Theilnehmer der Versammlung den Lehrertag mit dem Wunsche, dass allen
Betheiligten reicher Segen uns den Verhandlungen erwachsen, nnd dass die-
selben der Schale zu gedeihlicher Weitereutwickeiung gereichen mögen.
War es nach bereits 2 Uhr geworden, so wnrde trotz der vorgerfickten
Zeit doch noch efaie Abtheflnngssitznng für Zeichnen abgehalten, in der Zeichen«
lehrer K. Schneck-Potsdam über: „ Das KSrperMi(AnAn an allgemein bildenden
Lehranstalten sprach. Folgende Thesen waren von dem Beferenten anfge» '
stellt worden:
1. Die Kiofuhrung des Zeichnens nacli körperlichen Gegenständen in die
Volksschale ist nothweodig.
2. Des Kttaiwneicbnen kann nnr dann eriSnlgreich betrieben werden, wenn
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bestimmte Hauptfignren aus der allgemeinen Knnstforraenlehre ein-
gehend geübt sind. Es ist deshalb nur der Oberclasse der Volks-
schule zuzuweisen. Der gewerblichen Fortbildungsschule ist die üanpt-
pAege des EHrpenelflliiieiis la tberlMsen.
3. Das Körperzeichnen rouss, wie jeder andero UntoRiditifegeilstaiid
aoch, durch Massenunterricht gepflegt worden.
4. Zur zeichnerischen Darstellung eines köri)erlichen Gegenstandes darf
erst dann geschritten werden, wenn nach eingehender Besprechung
uid Uftrer VfinoiditBUidiiiiiff die ntadlidie WiedergalM allM Snt-
idekalteii Mttens der Sdbttler erftdgt tot
5. Beim Körperzeichnen dnd auf dem Wege der Ansehamuig die wich>
tipsten Grundsätze der porspectiviselien Krsclieinuneren zn entwickeln.
t>. Die entwickelten perspectivischen Grundregeln dürfen nicht Mittel
werden, dass der Schüler mit ihrer Hilfe perspectiviäche Bilder con-
stmirt olme Besngnalmie avf seine SteUang nm KOiper. Sie loUeii
den Sehlllem nnr die SellMityerbeHeranir Uuer Arbeit erleiohteni.
Mit diesem Vortrage und der Annahme der gestellten Thesen bitte der
die^'ilhrige Provinzial-Lehrertag^ sein reiches Arbeitspensum erledigt.
Abends um 8 Uhr fand eine musikalische Anfführung statt, in der die
Capelle des 1. Garderegiments z. F. nnd der Potsdamer Hännergesangverein
— mtenttttit von einer ConeerHSngeiin nnd mehreren Ooneertaftngeni —
mitwirkten. Es waren durchaus mustergiltige Leistungen, die zn Gehör ge-
bracht wurden, nnd die eich deshalb ancb des lebhaftesten BeUSkUs m erfreuen
hatten.
Der 4. October gehörte dem Pestalozzi- Verein. Vor Beginn der Uaupt-
Teraammlnng aber hatte sieh eine grofle Zahl der Gellegen zu einer Biehl-Feier
auf dem alten Kirchhof versammdt Efaigeldtet wnrde dieselbe mit dem
Choral: ^Was Gott thnt, das ist wolgethan." Damadi hielt Herr Superin-
tendent Petzhold die GedUchtnisrede, in welcher er mit warmen Worten ein
treues Bild des thenren Todten zeichnete und besonders seine Schlichtheit, seine
Lauterkeit und Selbstlosigkeit, seine hingebende, opferbereite Nächstenliebe,
seine nie wankende lYeue gegen K9nig nnd Vaterland, seine Demnth, Pflidit-
treue nnd Arbeitsfrendigkeit hervorhob. Mit einer Motette, gesungen Tom
Potsdamer Lehrergesangverein, schloss die erhebende Feier.
Bald nach 10 Uhr eröffnete College Sellheim-Eberswalde unter Absingung
der Liedstrophe: „^i^b, dass ich thu' mit Fleiß, was mir zu thun gebühret,'*
die Hanptvenammlnng. In seiner Ansprache hob er hervor, dass der FMi^
leori-Verein in 177 Agenturen mnd 7200 Mitglieder «ttile. Wihrend die
Zahl der WolthätigkcitSDitglieder sidi vermindert habe, sei lie Zahl der
ordentlichen Mitglieder gewachsen; dennoch gribt es immer noch eine große
Anzahl von Lehrern, die dem Vereine nicht ziipehören. — Aus vielen Agen-
turen werde über große Lauheit geklagt, während anderwärts reger Eifer sich
zeige. Dem Anfrnfe des Vorstandes, die in Wegfall gekommenen Belietm-
beitiige in Höhe von 15 Mk. hinfort dem Pestalossi-Verein snsnwenden, sei
lelAer keine Folge gegeben worden. Wäre dies geschehen, so hätte den Wit-
wen eine wesentlich höhere Unterstützung gezahlt werden können. Jedenfalls
aber thut es noth, für die Witwen und Waisen immer besser zu sorgen, da
die Noth unter ihnen zur Zeit sehr groß ist und eine Besserstellung derselben
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— 184 —
seitens des Staates noch sobald nicht zu erwarten sein dürfte. — Die Zahl
der zu nDteratfltzenden Witwen ist in diesem Jalire aufs neue gestiegen und
betritt rund 800. — Das WtiMohaiis siUte im abgeUnlinien Jahre 82 ZOg-
linge, n&mlich 27 Waisen und 5 Pensionäre. Einer der Zöglinge ist im Alter
T« 12'/4 Jahren im Laufe des Jahres leider gestorben; der erste Todt^sfall
seit Bestehen des Hauses. — Mit der Bitte am ferneres eifriges Arbeiten
au dem Liebeswerke schloss der Redner.
Ao8 den sich auoliliefiendea Gaaeeikberichten heben wir nur die Hanptp
sahlen hervor: Die geeammten BinBihmen des Peetalonl-VerdiiB betragen ein-
schließlich des vorjährigen Beitandes 42154,92 M., die Aussraben beliefen
sich auf 25406,58 M., so dass sich ein Barbestand von 16748.34 M. ergibt,
der zu Unterstützungen verwendet werden kann. Der Verein besitzt außer-
dem noch ein Vermögen von über 28000 M, — Das Waisenhaus hatte an
Einnafam«n m ▼ermiehnen 80850,90 M., die Aosgaben stellten sieh anf
22529,06 M., so dass ein Barbestand von 8121,84 H. verUeibt Das Ver-
mögen des Waisenhauses ist auf 105100 M. angewachsen.
Die Commission, die seit 9 Jahren tluUier war, um für den \'erein die
Corporationarechte zu erlangen, hat ihr Amt niedergelegt, weil ein Erfolg nicht
2n erhoffiBn iit — Die aosseheidenden Tontai^mitglieder werden snfli nene
für ihr Amt wiedergevriUüi Als niehster Versammlnngsort .wird Guben in
Aussicht genommen. Damit waren die arbeitsreichen Tage in Potsdam sn
£nde; möchten es fttr alle Theilnehmer reclite Segenstag^e werden
Indem wir den Potsdamer Collegen noch einmal unseren lierzlichen Dank
aussprechen für alles, was sie uns geboten, für die großen Mühen, die sie ge*
habt) wünschen wir, dass sie dnreh das Qelingen der schOnen Tage sieh nnn
anch innerlich fttr sUe Arbeit nnd alle Opfer belohnt sehen möchten!
Fr. Friesicke.
Aus Sachsen. Seit ungefähr einem Jahre ist hierzulande im Schollebeu
eine ziemliche Stille eingetreten. Dieselbe erfiihr eine angenehme nnd hoffNl^
lieh fBr die Zakonft nlltsllche Unterbreehnng doreh die Vm. Hanptver-
Sammlung des Allgemeinen >>ltchsischen Lehrer Vereins, welche vom
"29. September bis 1. Oetober in Cliemnitz stattfand. Diese Versammlung
galt allgemein als eine J ubelversamniiung; denn vor 25 Jahren, vom 2. bis
4. October 1864, tagte in Ciiemuitz die 12. Allgemeine Sächsische Lehrer-
Versammlung, anf wdehMr der damalige Snbreetor der Chemnitier Bealsehnle,
Dr. Dlttes, „Über den deutschen Unterricht an den sSchsischen Seminaren"
einen Vortrag hielt, welcher von grossen und erfrenlichoi Folgen ftr unser
Seminar- und Schulwesen geworden ist nnd dadurch Jene Versammlnng zu einer
der bedeutungsvollsten erhoben hat. Dr. Dittes hatte auch für die diesmiili^^e
Versammlaug sein Erscheinen in Aussicht gesteilt; leider hatten ihn Rück-
sichten auf seine Gesundheit abgehalten, in rauher Jahresseit die Reise von
Wien bis Chemnitz zu unternehmen. Die Versaromlong war von mehr als
2100 Lehrern besucht, so dass sie die stJirkste aller bisherigen sttchsischen
Lehrerversammluno-en ist, und vielp ans dieser grolSen Zahl waren gekommen
in der Hoffnung, den gefeierten Pädagogen einmal, wenn nicht zu hören, so
doch SU sehen.
Den 29. September, abends 7 Uhr: Versammlnng der Abgeord-
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neten (Delegirteii i in dem zu schulgcHrliiditliclier Bedeutung g'elang'ten Saale
der „Linde". Der Vorsitzende gedtiikt einleitend in rühmender Weise des
ehemaligen Vorsitzenden Kolbe-Dresdeo. Dir. Schumauu-Dresden erstattet den
Jftkr«tb«riolit, w«ldiai xofolg« der Verete IWNits 41 Jalir» eebiet Be*
stelMM tShlt aad dae 16. Mit der Beorganiitttloii. Die Zahl der Mitglieder
beträ^ über 5900| «eiche sich auf 61 Bezirksvereine vertheilen und 1500
Ortschaften des Königreiches vertreten. Der \'or8tand war in den letzten
2 Jahren namentlich mit Hersteilnng und Verbreitung: der Denkschrift über
„die Pensionsverhältnisse der sächsischen Vollcsschallehrer'^ beschäftigt (8.
PsBd. XI., 2), lowie mit der BnnOgHehug einer wUrdigea SehidMer des
gOQjfthrigen Regierung^jabilftiuiiB des Haoses Wettin. Eine für diesen Zweek
gedruckte rreisdiclitang brachte 7(K)0 Mark ein, die als ^Wettiner Jubiläums-
stiftung'' dem sächsischen Pestalozzi-Vereine überwiesen werden konnte. Er-
freuend ist die Mittheilang, dass den Crliedern des AUg. S. L.-V. gegen Aasweis
fteier Eintritt in die kSnigL Sammlnngen flir Knnet ond Wissenschaft gewSlirt
wird. De» günitlg Iwrtendeii G aieenberiehte fblgt die Voretandswahl.
Der Terdiente Vorsitzende^ Dir. Gläsche- Dresden , lehnt zu allgemeinem Be-
dauern eine Wiederwahl ab, da er demnächst in den Ruhoptand treten will.
werden g^ewiihlt: Kleinert. Schumann, Altner- Dresden, Freyt-r- Leipzig,
Kühnert-C'hemnitz, Schauack-Zwickau, Fink-Zittau. Ein Haaptgegenstand war
die Berathvog und Beselilnssfamiig über eingereichte Antrage:
Einer Erweitamng den Vontandes Ton 7 MitgUedem aaf 9 wird mgwtinmt;
abgelehnt wird der Antrag, „der Vwitand möge Schritte tiinn, dass einheit-
liche Censorbücher eingeführt und die Schulkinder jährlich nur einmal censii t
werden." Das Gesuch um Gleichstellung der Volksschullehrer mit den Staats-
dienern hinsichtlich der Pensionsverhältnisse soll zor Zeit nicht erneuert werden,
da naa von dem bald naammentretenden Landtage erwartet, daas er in dieeer
Richtung viel leieht, ftr Anfbessemng der Mindestgehalte der Lehrer (840 H.)
aber jedenfalls etwas thun wird. Der ( 'u nie n ins -Stiftung (Päd. Hanpt-
bibliothekj zu Leipzig werden wiederum 3LHJ Mark bewilligt. Die lebhafteste
Erörteraug veranlasste der von Leipzig-Stadt gestellte Antrag: „Der Allge-
meine SftoheiBcheLehrerTerein wolle aeinen Beitritt com »Dentachen
Lehrervereine" beedüteBen." Dieaen Antrag begrlbidet Oermer-Leipiig,
dessen Beweisführung aber mehr negativ ist und in der Widerlegang eines
Artikels in Nr. 37 der „AUg. Deutsch. Lehrerztg.^ gipfelt, weshalb diese Aus-
führungen nicht bis zu Ende gehört werden können. Die lirüiuif pro et
contra werden allseitig erwogen; gegen deu geplanten Schritt spricht nament-
Udi dar Umstand, daae dmrefa deaielben der A. S. L.-V. — infolge dea in
Sadmen geltenden Vereinsgeeetiee — idne Existenz gefährden wftrde. Es
erfolgte dämm die Ablehnung des Antrages, obwol man dem .Deutschen
L.-V.** durchaus nicht unsympathisch gegenübersteht, wievielfacli angenommen
wird. Ja, man verwahrte sich ausdrücklich dagegen, dass etwa dei- A. L.-V.
dM Mangels an Interesse für die allgemeinen Angelegenheiten des dentechen
Lehrentandea gesieheo werden k9nne; fBr die Gomeniis-Stiftang c B., die
doch eine Sache der ganzen deutschen Lehrersdiaft sei, habe wol noch kein
Verein, seibat der D.L.-V. nicht, soviel thna kOnnen nnd soviel gethaa, als der
A. S. L.-V.
Die 1. Hauptversammlung am 80. September wurde begrüüt von
— 186 —
Oberbürgermeister Dr. Andr6, welcher in seiner Rede folgende (iedanken aus-
ffibrte: Die Volksschale darf nidit alle Bestrebimgen aafnehmeo, die eich ab
und sn an die OberiUbdM drangen (Obttbannuracht, Handfertigkeit «te.), obwol
sie den ZeitstrifMongen Rechnung: tragen soll. Nicht die Menge, sondern die
Tiefe des Lernens begründet wahre Bildung. Die Schule kann niolit allen
alles bringen; sie hat nur den Keim so zu legen, dass ersieh später im Leben
glücklich zu entwickelu vermag. Wenn doch diese Gredankeu allgemein
wVrdenl — Dir. Gfi0eU*OhemnitB spneh über „die Entwiekelnng der s&ch«
siechen Volksschnlen in der Zeit von 1864—1889. Eine BQek- und
Umschau. " 1864 sah es aaf pädagogischem Gebiete in Sachsen nach mancher
Richtung hin wol trefflich ans: Es galt ein 1885 erlassenes Schulgesetz, das
1843 und 1851 Ergänzungen erfahren hatte; der Lehrerstand war strebsam,
wirkten doch damals Schulmänner wie Berthelt, Jäkel, Petermann, Dr. Borue-
mum, L. Thomas. Jedooh es fehlte die rechte Fllhlnng swisehen »oben nnd
nnten"; dem im Volke nnd besonders auch im Lehrcrstandc herrschenden
deutsch-natiiuialen Zuge verstand die Regierung eines flenn v. Beust wenig
Rechnung zu tragen; für die Seminare tralt eine Lehrordnnng von 1857, welche
als eine jüngere Schwester der preußischen Regulative betrachtet werden kann
mid aof eine Beediflnkung des Lehiplnns imd Versdiftrfang der V<»saliriften
für das Intematsleben hinausUef. Da kam die 1834er Versammlong nnd mit ihr
der Dittes'sche Vortrag, dessen Aufnahme gleicll an erachten war der Ver-
urtheilnny- eines ">ystenis. durch das den Lehrern anf ihren Bildungsanstalten in
deutschspi ;i( liliciicr l}t /ii liung nicht viel mehr ^elioten ward, als was sie
braucliten, um die Fehler eines Suhüleraufsatzes zu linden. Die duick jene
Versammlnng bervorgemfene Bewegung wurde fertgepflanit dnreh die nSlehs.
Schnizeitiuig'' nnd dnroh die nen erstehenden nChemnitzer pttdagogischen Blätter"
und „Leipziger pädagogischen Blätter", bis diese Bewee:un^. durch die großen
Ereignisse von 18>)(i nnd 187U begünstigt, einen gewissen Abschluss fand in
dem Schulgesetz vom 20. April 1873 und der dazu gehörigen AusfuhrungS'
▼erordnung vom 2ö. August 1874, sowie in dem sich anschließenden Gesetze
über die Gymnasien, Bealschnlen nnd Seminare Tom 22. Angnst 1876, dem
die Lehr- und Prüfnngsordnung für letztere beigegeben ist.*) Es folgte diesen
Gesetzen die Veröffentlichunir des mindestens zu bewiiltigenden „religiösen
McniorirHtüffes** September 1877). sowie des ofiiciellen „Lehrplans für die
einfachen \olksschulea des ivünigreichs Sachsen'' vom 5. November 1878; es
sind dies iwei Bttcher, welche in methodiseher Hinsicht alle Beachtung Ter«
dienen.*'^) Über die Fortsehritte, welche diMO Mafinahmen zur Folge hatten,
berichtete 1884 eine amtliche Schrift, nnd da.«? Bild der Rchnl/usf.inde, das de
entwirft, i.-r im wesentlichen heute noch zutreffend. Zu wün^^chcn bleibt: a) eine
Zusamnieutas.^ung der P^ntscheidungen und N'erordnungtui zum Scliuli^csetz
(8 Hefte: C.'C Meinhold & Sühne;, sowie der nocli giltigen Vurschrilteu aus
den Gesetzen yon 1835, 1843, 1851; b) ein BegolatiT, welches die Beehte
nnd Pflichten der Localschnlinspectoren und Rellgionsinspectoren festsetzt, damit
ein noch besseres Kinverstllndnis derselben mit den Lehrern bestehen könne:
c) in der Scliularbeit eine größere Behaglichkeit im guten Sinne, eine Beseiti-
gung alles aufreibenden Jagens; d) eine Aufbesserung der Lehrergehalte.
*) Sämmtlich erscbienen bei 0. C Mciuboid & ävbnc iu Dresden. • •
**) Verhig Yon A. Hnble fai Dresden.
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- 187 —
BegTÜßungstelegramme wurden abgesandt an Ihre Majestäten den König
und die Könige, an 8e. Exc. Herrn ünterrichtsminister Dr. v. Gerber, sowie
„in dankbarer Srinnening an 1864" an Herrn Sohnlrath Dr. Dittes in PreM-
banni bei Wien. — Dtnnt hMt Dir. Kleinert-Dretden den sweiten Vortrag
ftber „dieNothwendigkeit des französischenUnterrichts in denSemi«
narien." Rednor fordert die Einführung des Französischen im Seminar, a) im
Interesse der gesellschaftlichen Stellung des Lehrers; b) im Interesse seines
Amtes; c) um des Wertes dieser Sprache an und für sich willen. Xu der De-
batte bebt Sehnlrath SeoL-Dir. IVMl-ZMbopM hervor, data man bei etwaiger
EiBfUinuig dee FramMMben Ja aieht das Latein beiieite sehiebeB ipöobte,
das fftr die intellectnelle Bildung eines Lehrers viel letale imd dessen Wert,
trotz vieler Gegenreden der Neuzeit, nicht zu leugnen sei. Die Versammlung
spricht den W'nnscli aus, „dass das Französische in den Lehrplan der Seminare
mit aufgenommen werde."
In der 3. Haaptvenanmloig am 1. Oetober epraeh Dir. Paohe>Lindtenan
(Heraasgeber der „Furtbildungschule", Leipzig, Peters) über „die Wirtschaft*
liehe Ausbildung der Mäidchen". Auf Grund des Vortrages sprach die
Versammlung den Wunsch aus. „dass die Errichtung von Fortbildungsschulen
für die aus der Vulksschule entlassenen Mädchen von den Scbulgemeinden
immer mehr in Angriff genommen werde, nnd dass in diesen Fortbildonge-
icbnlen anf die hanewirtsehallliehe Aasbfldnng der weibUcben Jagend das
Hanptgpwicht gelegt werde." (Vergl. über diesen Gegenstand: Deutsche Schul-
praxis Nr. Hl und H3, 1889.) Hi<'rzn i nni h bemerkt, dass die Errichtung
snli ht r Fortbildungsschulen den SchuIgfiiH iii lm durch <las Oesetz bereits ge-
staltet, ja empfohlen ist. — Es werden die eingelaufenen Aut\vort-Telegi"amme
▼erlesen: 8e. H^feeCtt der K9nig hatte lifiertt haldfoU geantwortet; Seine
Exc. der Herr Unterrichtsminister wttnschte dem Vereine eine reicbgeeegnete
Thatigk<'it; „herzlichen Dank und Gruß" sandte den sächsischen Lehrern ihr
„treuer Landsmann und Standcsgennsse Dittes"', Die erste Antwort wurde mit
stiller Ehi-erbietung, die zweite mit großer Freude, die dritte mit einem lauten
Brayo! anfgenommen. Alsdann hielt Lelirer Beyer-Leipzig dea Sehlussvortrag
Aber „Pestalossi ale vnser sittliehee Ideal*'. Redner leidmete anorst
Pettaloni's sittliche Weltanschauung und entwarf dann ein knappes Bild des
von dieser Anschauung beherrschten Lebens und Handelns des groüen Schweizers,
der so viele Male ein Bettler ward, um Bettler /.u lehren, wie Menschen leben".
Nach einem Ausspruche Pestalozzi's gibt es unter den Menschen Genies des
Geistes» dee Hertens nnd der Knast. „Er war ebi Genie des HerBens.**
Mit der Versammlnng yetbanden waren: Eine Sitsang des slehsisehen
Pestalozzi; Vereins, eine viel umfassende Lehrmittelansstellnng, die Besichtigung
großer industrieller Betriebe (Eisengießereien), ein (loncert des Oliemnitzer
Lehrergesangvereins („König Fjalar'*, couipoiiirt von (i.Sdmek) u.a.m. Noch
verdient hervorgehoben zu werden, dass die 1: estschrift zui' Versammlung sehr
hiteressante „MittheOongen ttber das Ghemaitcer Yolksschnlwesen*' enthalt in
weleben die geschichtliche Entstehung nnd die gegenwärtige Ausdehnung des-
nlben klar und ausführlich dargelegt ist.
Zum Schlnss sei der Meinung Ausdruck gegeben, dass diese Versammlung
eime Zweifel eine sehr ansehnliche, ja vielversprechende wai-, dass sie aber
ihre große Vorgängerin v<h> 1864 wol nicht erreicht hat. Das Wort der
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•Schrift: ,,l)en Geist däiupttt nicht!'", wird in unseieu Tagen zu wenig be-
achtet. Denuoch steht fest zu hoffen, dass die Versammlung Gates nach vielen
9eiteD Un amr Folge haben werde, worftber wte leiMr Zeit nitVergn&gen be-
riditea werden. St.
HtiT Julins Beeger. Lehrer au der V. Bürgerscinile zu Leipzig, Gründer
und Leiter der ( uiiitMiius-Bibliuthek. Herausi^cber der .. PiUlago^ischen Revue''
und einer der uianuhaftesten Vertreter der Schule und des Lehrerstandes, hat
tm 34. Oetober eein 60. Lebensjahr vellendet ZaUnieh waren die Beweiee
der Aditnug and Uebe, welche der vielTerdiente Jabilar von nah and fem
enpfinp:. Der Leipziger Lehrerverein, welcher derzeit 833 ordentliche Mit-
glieder zählt, darimter auch Julins Beeg-er. veranstaltet« zu Ehren des Jubi-
lars eine teierliche Sitzung, in welcher der I, Vorsitzende, Herr K. Beyer, die
trefflichen Eigenschaften und hervorragenden Leistangen Beegera unter aUge-
melaeoi BeilUI eohilderte, and der Jubilar mm Bfaiennitf Uede eniaant wnrde.
MOge dem Lehrerstande dieser übensengtingstreue, aneigenatttaige nad Tiri-
bewihrte VorlüUai^ noch recht laage erludten bleiben!
Dem Hambarger Lehrer 0. E. Schmidt ist für seine unter dem Pseudo-
nym Otto Ernst erschienenen „Gedichte*' der Angsbnrger Schillerpreis im Be-
frage von 2CK( Mark zuerkannt worden. Soeben ist von ihm erschienen:
„Uäeaes Visir! Gesammelte Essays aus Literatur, Pädagogik uud öffentlichem
Leben Ton Otto Emet" (Rambni^ bd Koarad Klo6).
Aae den GroBhersogtham Badea. Im SepteariMrheffc dee „Pndaco-
giam" (S. 800 ff ) versprachen wir hinsichtlich der Bestimmungen über die
„Vorbereitung: zu dem öttent liehen Dienste eines wissenschaftlichen Lehrers an
Mittelschulen'', speciell über d'w ..Freiheit der Wahl der zu einer Combination
von zwei UaupttUcheru iüiizuzimehmeuden zwei Nebenl'ächer' . zu berichten.
Hierüber wnrde Folgeadei beatimmt: „L Mit der Lehrbeffthigung Lateinisch 1
iit nothweadJg aa yerbiaden Grleehiech % mit Oriediiaeh 1 Lateiaiaeh 2, adt
Mathematik 1 Physik 2; mit jeder Stufe der Lehrbef^higung im Französischen
oder Englischen ist Lateinisch 3, mit Jeder Stufe der Lehrbeföhignng in der
Geschichte ist Geographie 3 zu verbinden. II. Das eine der beiden Neben-
fSoher mass, insoweit dies nicht schon durch die vorbezeichnete Bestimmung
Tergeiehrieben Utt, demaelbeB Oebiete angehören, wie die Hanptfteher, d. h.
dem epraehlieh-geaehichtlichen oder dem amthematiBehHMtarwiiBaaachaftlichen.
In dieser Beziehung wird (reographie als Hauptfach dentjenigen dieser beiden
Gebiete zugerechnet, welchem das andere Hauptfach angehört.
Die liebräisciie Sprache kann als Nebenfach zu jeder Combination von
zwei Hauptfächern des sprachlich-geschichtlichen Gebietes Imizuti-eten. Die
▼alle LehibefUigang im Hebrliaeben wird einer anderweiten LehrbeftliigaBg
fttr die mittleren Cliaeen ^ bezüglich der für ein Zeagaia 1. besw. 2. Grades
gestellten Bedinprnng-en — s-leichg'erechjiet.
Die philosophische Propädentik kann zu Jeder Combinatiou von zwei
Hauptfächern als Nebenfach hinzutreten; bezüglich der lür ein Zeugnis 1. bezw.
2. Grades gestelltea Bedingungen wird die Lehrbefthigung in der pUtoeopU-
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gehen Propädentik «iaer anderweiten Lehrbefthigaof Ar die mittleren GlaaMn
gleichpereclmet."
Die AufurdernugeD, welche in den einzelnen Fächern gestellt werden, hier
fm einzelBeii mitzatheilen, würde den Raum dieser BUttter m sehr abeorbiren.
Wir beeehrioken «i» darauf, za bemerlien, dass die Änforderaogeii, wie wir
fritor MÜMMl andeuteten, mäßige sind, beaoodcn für die Lehrheffthigongsprüfang
der nnteren nnd mittleren Classen. Im wesentlichen übersteigen die Anforde-
rungen, welche im Keallehrerexamt ii gestellt werden, sogar die ebengenannten.
Trutzdem unterrichten die Reallehrer im allgemeinen nur bis Untertertia
(4 unterste daase) nnd erhalten einen Marimalgehalt von nur 8dOO Mark,
wlhrend die QymnjyrfaHfihrer einen solchen von 5000 Mark — nadi dem nenen
„Beamtengesets" — beziehen. Dieae Thatsachen illustriren die oft bestrittenen
Worte: ..Dno qnum faciunt idem, non est idem."
JlervtHznlieben ist noch an der in Rede stehende» N'erordnung, dass durch
die Trüfung im allgemeinen nachgewiesen werden soll, ob der Candidat
dnvli sein „Stadium der Philosophie und Pidagogik, sowie durch seine Be>
scliiftignng mit der dentschen Sprache nnd Literatur den an Lehrer höherer
Schnlen allgemein zu stellenden Forderungen entspricht. Lohend ist speciell
zu erwähnen, dass von jedem Candidaten, ohne Unterschied des Studiengebietes,
gefordert wird: „Kenntnis der wichtigsten logischen Gesetze, der Hanptthatsachen
der empirischen Pqrchologrie und der wesentlichsten zn ihrer phUosophischen
Sridlnuir eingeeohlageoea Rlebtungen, Bekanntschaft mit den philosophischen
Grundlagen der Pädagogik und Didaktik nnd mit den wichtigsten Thatsachen
ihrer Entwickelung seit dem Iti. Jahrhundert. Kerner hat sich jeder Caudidat
darüber auszuweisen, dass er eine bedeutendere philosophische Schrift mit Ver-
ständnis gelesen habe. In der Geschichte der Philosophie muss jeder Candidat
tbsr die Hanptmomente bestimmt orlentirt sein.** Ferner muss in der Mel«
dug sar PrüAmg angegeben selo, eventuell dnrefaZengnisie bewiesen werden,
ob unter anderm „der Candidat Assistent an einem IJniversitätsinstilBt oder Mit«
glied eines Universitätsseminars gewesen ist oder an ttbnngen theilgenommen
hat. welche denen der Seminare vergleiclibar sind.*' Aus den von uns citirten
Bestimmungen ist ersichtlich, dass die neue Verordnung zeitgemäß genannt
werden mus und sttnches enthilt, das einen wesentUdien Fortsehritt gegen
früher aufweist, speciell in den allgemeinen philosophisch-pädagogisch-didakti>
sehen Fächern. Die Pädagogik wird in Zukunft wol nicht mehr als ,,.\schen-
brödel" der Wissenschaft von den Gymnasiallehrern betrachtet werden dürfen.
Diese Besümmong insbesondere wird bei dem Theil unserer Jagend, welcher
MIttelathuieii besucht, die besten Frfldite zeitigen.
Über die Kosten, welche ein einselner Schiller unserer Mittel-
schulen ausser dem von ihm entrichteten Schulgelde verursacht, veröffentUehte
Gvmnasialprofessor Treutlein in Karlsruhe eine beachtenswerte Auf- resp.
Zusammenstellung. Danach betrug für die vier letzten Jahre in Karlsruhe,
wo der Besuch ein sehr starker ist, der durch das Schulgeld niciit gedeckte
Auftrand am Gymnasium 132|60Mark, fttr jeden Schttler des Realgymnaaiuma
148,60 Mark, für jeden Sehfiler der Bealsehnle 99 Mark. Das nächste Budget
wird außer den 310000 Mark Schulgeld für die 14 Gymnasien und Progym-
nasien eine Extraforderung von 732 0(X) Mark enthalt<*n. Bei einem Besuch von
5100 Schülern beträgt sonach der ungedeckte Aufwand für den Kopf 143,50Mark.
P«Kiagogiam. IS. Jalirg. Heft Iii. 14
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Hieraus ergibt Bich, das« der ungeiieuere, hauptattchlicii durch das Be-
reebtigongaweseB venmachte Zndrang zn den MitleLKhalea and den sog. ge-
lehrten Bemfiaiten eine h8elist bedenkliche finanzielle Seite hnt, wehsfae in
Anbetracht der Socialpolitik ein noch viel bedenklicheres Relief enthält. Die
Ausgaben für den Schüler einer Volksschule ist im Vergleich zu derjenigen
eines Schülers der Mittelschule ein sehr minimaler. Dieser Umstand sollte den
maßgebenden Factoren der Staatsleitung vieles zu denken geben; doch mancher
derselben sehent das Denken, weil er senst in nnaerer bysuitinischen Zeit leieht
für einen shake^eariachen Gaaaina nnd daher fBr .^gefährlich'* gehalten
werden könnte.
Am October hielt der „l'e8talozzi-\ ereiu Jüdischer N'olksschuUelirer* in
Bruchsal seine Generalversammlung ab. Die Überschüsse, welche durch die im
Jahre 1881 nach Art der Lebenaversieheruugen vollzogene Reorganisation
des Vereins enielt wurden, werden fortan (lant Besehloss derOeneraWersamm-
Inng) zur ErhShnng der Benefiden an die Hinterbliebenen verstorbener Hit«
glieder, bezw. an deren Erben, verwendet. Das reine Vermögen betriiir ivn
12. Januar 1H89: 450207 Mark S9 Pfennige. Mitglieder zahlte der Verein
am 12. Januar 1889: 2071. Das Durchschuittsalter der Mitgliedei- im all-
gemeinen war 45,8 Jahre, das der Yeistorbenen, 35 an der Zahl, 60,9 Jahre.
Seit Gründung des Vereins, vom 12. Janoar 1846 bis 12. Januar 1889, starben
B.'U) Mitglieder; die an deren Hinterbliebenen ansbezahlten Beneficien betratrt^n
im ganzen .090 lH(Hiark. crewiss ein sprechendes nnd blichst erfreoliches Bild
von der „Selbsthilfe der Lehrer**.
Am Schlüsse der Generalyersammlung theilte der Director der „Concordia",
Lehrer-Actiengeeellachaft fikr Dmek nnd Verlag, mit, dass ans dem Beingewinn
des abgelaufenen OeschSftaijalires dem Pestalozzi-Verein 27ß5 Mark 65 Pf., dem
„Allgemeinen Witwen- nnd Waisenstift badischer Volksschullohrer" dies^^lbe
Summe zugewiesen würde; außerdem seien über 30LX) Mark zur Untei Stützung
nothleidender Lehrer und Lehrerrelicten reservirt. Auch diese Gründung der
hadischen Volkaschnllehrer, die im letsten Landtage abermals ao achroire Be-
handlnng erfahr, nammtlieh Ton Seiten des BegiemngscMniniiwnre Geh. Ref.
Joos, ist ein weiterer Beweis von der thatkrilftigen „Selbsthilfe der Lehrer".
Der Obei-scbulrath hatte einen Vertreter zur lieneralversammlnng des Pestalozzi-
Vereins entsendet, der in beredten W'orten dem \'ereine wünschte, dass er „fort
und fort su krättig sein müge, dass es> ihm möglich werde, uicht nur, wie bis>
her, segnend in die Stätten der Traner hinelnsntreten, sondern dass dieser Segen
auch immer reiclier und reicher werde." Ferner bemerkte dar betreffende Herr»
dai>s der Obei-schnlratli stets das gritCte Wolwollcn den Lehrern entgegenbringe,
wenn diese iiucli durch den Ausschluss aus dem Beamtenffesetz eine in Wort
und Schritt geüul>erte Missstimmung gegen geuannte Behörde an den Tag ge-
legt hätten. „Verehrte Herren und Freunde", sagte wOrUich der Bedner,
„das sind Worte, die ich Ihnen sage. Leider ist meine Hand leer*, wie gerne
würde ich sie geeilt mitgebracht haben mit irgend etwaa« was ich Ihnen als
Pfand hätte bringen können für Orößeres, das nachkomTut, Ind. meine
Herren, dass etwas naclikonimen wird, des Glaubens leb' ich und sterl)' i<'h."
Diese Worte waren recht schöu uud ernteten ein allgemeines „Biavo".
Da aber die badischen Lehrer an „sehttne Worte*' seit dem letsten Landtage
gewohnt sind, so fehlte vielen Tbeilnehmem der Venammlnng der bekannte
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^,Glaube". Möchten sie sich täusdioTi' Fiizweifelhaft zielen die Worte des
dem LehrerRtande persönlich wolgewogenen Herrn daranf hin, dass der iiUchste
Landtag eiue „aunäberude" Gleicliätelluug der Lehrer mit den gut situirten
,,BMat«i** crwirkm wmeiB. Bine <i«hii^iM>n<iA Petition doB LehnrveniiM-
Vontaad«B wird, wie wir ans snvetlMgar Quelle erfUinD, dem näohiten
Landtage vorgelegt werden. Wir sehen dann, ob sich die That der Ober-
schulbehörde mit den schönen W o r t e n ihres ältesten Mitg-liedes deckt. Immer-
hin ist es auffallend, dass ein Mitglied dieser hohen Behörde einem Vereine eine
aegenevoUe Weiterentfaltiuig wünscht, der schon jahrelang sehr bedeutende
2iiidiü8M aiB eineiii SenwthilÜB-Iiittitiit („Ooaoordia") erUUt, wtthrend der Di-
reetor dieser Behörde, Herr Geh. ReferendärJoos, gcnrade dieses Institut in der
60. Sitzung der zweiten Kcimmer 18H8 als mit < iiipm „ß^ehilssigen Charakter"
behaftet darstellt und bedauert, dass das Gesetz, tiotzdem der Director. ein
Lehrer, hätte aus dem Lehrerstande austreten müssen, keine Handhabe biete,
Ldirem an Terwehren, Actiea m erwerbeo oder in den AafUebtvath ein-
sntreten. „Die Begiemng", to bemerkte der genannte Herr, „werde dieee An-
gelegenheit im Aoge behalten." Ein WdwoHen gegen die „Concordia" liegt
wol in diesen wie in anderen Ausführuneren dieses Rednere nicht; wir kJmnen
nns den Widerspruch, der im Wesen der geducliten Worte beider hohen Herren
iie^t, nicht erklären. Wo steckt „Graf Öriudur-' V
Die Landtagswahlen Bind beendet; dieNatlonalUberalen, welche bisher die
Xehrlieit in unseren Kammern bildeten, haben anch fernerhin dieselbe; gleichwol
mnssten sie, soweit es sich übersehen lässt, etwa 7 Sitze hauptsächlich den
ültratnontanen und 2 bis 3 den Freisinnigen abtreten. Die frühere national-
liberale Kammermajorit^lt war ge^en die Lehrer nicht sehr günstig gestimmt;
eb in Zokanft bei derselben eine günstigere Stimmung sich geltend machen
wird, bleibt abanwarten. Dem Umstand, dass die Lehrer „Gewehr bei Fuss*'
bei den let/.teu Landtagswahlen standen, soll in manchen Bezirken der anti-
nationalliberale Erfolg, so wird in politischen Zeitungen berichtet, ansnechrei-
ben sein.
Schließlich bemerken wir noch, dass die Cieueral Versammlung des Pesta-
lesai-Vereins swel Tage Tor der Wahlmännerwahl (in Baden ist noch der „in-
direete Wahlmodns" bei den Landtagswahlen an Recht bestehend) abgehalten
wurde. Einige „unglftabigeThomase" bringen in ihrer wahlberechtigten pessimisti-
schen ^^timmung die schöne, so iiofftuiiitCHfrendi)^ fiir di»' L* lirer ausK-eklungene Rede
des Vertreters dt'i' < )l»iis('lmll»eliitrde in \'erbin«lunij: mit den Landtagswahlen
und ziehen daraus Folgerungen, die wir jedoch nicht wiedergeben wollen. Wir
woUeo vielmehr in Besag anf die materielle BessersteUang^, die grOBere Standes-
ehmn^r, besonders in Hinsicht anf die Stellnng und Beaufsichtigung durch be-
rofene Männer aus dem eigenen Stande und die im praktischen Volksschnl-
dienste stehen, einmal optimistisch in die Zukunft blicken.
Ein Verein fttr Vassenverbreitung guter Schriften hat sich in
Weimar gebildet. Derselbe soll seine ThUigkeit ttber alle Lande erstrecken,
soweit die deutsche Zonge klingt. Dieser Verein, welcher unter dem Protec-
torate des <Tioi5herzog8 von Sachsen- Weimar steht und die K'echte einer ju-
ristischen Person besitzt, wird j^t-eignete Sehrit'ttn . namentlidi das Beste und
Vali^tbüuilichste aus den Werken von Alexis, Anzeugruber, Auerbach, Jakob
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Kii^ie], Fre\tag, Gaughofer. Gottlielf, Hauff, I'etcr Hebel, v. Holtei, v. Horn,
Kail ImmermaDn, Jakobs, v. Kleist, M. Meyr, Pestalozzi, Josef Bank, Rosegger,
SehaniBbnrger, Spindler, Trautmann, Wildermotb, Woerner, Zschokke, Walter
9e(»tt, Diekeof, BjOnwon, Bret Harte v. a. In RieteiiaiifhigeB drnclMii Immd
und durch Colporteare, durch Verkaufsantomaten, durch Vermittelung der Be-
hörden und Arbeitgeber, der Geistlichen und Lehrer in jedes deutsche Haus
zu bringen suthen. Bisher haben bereits viele deutsche Füi-sten, Tauseude von
eioflassreichen Peri^onen in Deutschland und Üstei reich ihre UnterstUtsung des
UntornebiDMis angesagt Ana dca Satinngen dea VeniMi Akm wir F<^aodia an :
§ 1. Der Vereiii IBr Maaseiverbreitaiig gnter Sehiiften hat den Zwedc,
dem deutschen Volke, namentlich dessen ärmeren Schichten, guten nnd wolfeüen
Lesestoff sowol unterhaltender als ])ekhrender Art zuzuführen, um dadurch auf
die sittliche nnd geistige Hebung des Volkes binzawirkeo. Der Verein bleibt
allen Parteibestrebnngen lern.
§ 4. Die MitgliedaehafI wird doreh Zahlong eioea Jahreabeltragea Ten
■indesteDS 3 Mark für pereOnliehe nnd mindestens 10 Mark fSr kSrperadkaftp
liehe Mitglieder (\'ereine). die danemde Mitgliedschaft durch einmalige Zahlnng^
von mindestens 'MM) Mark erworben. Auch Frauen können dem \'ereine als
Mitglieder beitreten. Bezüglich der Rechte der Mitglieder sagt der § 5, dass
sie anm Bezüge beliebiger Mengen der mcbienenen Schriften an dem den Col-
1»ertenren bewUUgten Preiae, bei Zahlnnir ▼<ni ndndeatena 10 Mark Jahres-
beitrag zum unentgeltlichen Bezüge eines Exemplares von jeder Vereinsscbrift
das Recht haben. Wir wünschen, dass dieser Verein überall, wo Deutsche
wohnen, feste 'Wurzel fasse nnd segensreich wirke zum Wole und zur £bre
des deutschen Volkes!
Wer für den „Verein Ar Maasenverbreitnng guter Schriften" an wirken
bereit ist, der eriiltte rieh, nm nihersa Aber denaelben sn erihhren, bei seiner
Anmeldnng ab Mitglied zngleidi die Sdirift, welche die Anregung zur Bildung
dea Vereins gegeben hat: „Ein neuer Weg zur sittlichen und geistigen Hebung
des Volkes. Von Dr. Heinrich Frankel. Berlin 1889." Das Schriftchen wird
auf Wunsch kostenfrei versendet durch die Kanzlei des „Vereines fürMassen-
▼erbreitnng guter Sehriften* in Weimar, Herdorplati 9.
In Österreich kam im Reichstage die Sehend- und Schundliteratur in
Jtngater Zeit wiederholt zur Sprache, und der österreichische Schriftsteller
Mftller-Guttenbmnn hat in seiner Schrift : Gegen den Strom! vor längerer Zeit
bereits die Gründung eines derartigen Vereines und die Massenverbreitung
guter Volkssohriften gewOnscht. Hoffen wir, daas der in Weimar gegrflndete
Verein noch Ar Österreich aegenavoll werde.
Australische S c h ii 1 v e r h äi 1 1 n i s s e. A bgesehen von einigen statistischen
Angaben über den Zustand der Scliulen in Neu-Seeland im 9. Jahrgang dieser
Zeitschrift und einer Schilderungr v<hi austraUscheu Knlturzuständeu im 8. Jahr-
gange iat noch nksbti an dieaen Orte Aber die Schalverhaitnisse in Anatralien
berichtet worden. Ein lingerer Anibatn in der Febnaninnuner der MContem*
porary Review" — der dritte einer Reihe von Aufsätzen, welche australische
Zustande schildern — behandelt die Erziehungs- und Schulverhältnisse in den
einzelnen Colonien. Derselbe enthält sehr viel des Interessanten, wovon wir
das Wichtigste hier wiedergeben.
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Der Verfluier tritt der allgemeinen Annahme entgegen, als sei der Austra-
lier dnrdians nnr mit der Jagd nach dorn Mammon beschüftio^t und fdr höheres
Streben fast unempftlnglich. Za den iitjerzeagendsten B eweisen, dass das Streben
nach höheren Zielen durch miterielie Wolfahrt niciit zerstört worden ist, ge«
Um die gUümiidieB Sobenkoiifea, welche des hOherea wie niederen Sehnlen
AnrtnliflBt TOn FriTatleaten geworden sind, nnd die groien Zogest&ndnisse,
welche die Behörden für das s^esammte Bildung-swespn ?omacht haben. Gilt
auch der Wetteifer der einzelnen Colonien zum großen Theil den liöheren
Schalen, so .sind doch das Geschic'k und der Eifer, welche jede Colonie gezeigt
liet, um ein System von zweckentsprechenden Blementnreohnlen za begrflnden
nnd zn erhallen, nioht Minder bewandamswUrdig. Die Schwierigkeiten, welche
gelöst werden mussten, um jedem Kinde die Wolthaten eines geregelten Unter-
richts zutheil werden zu lassen, waren ^anz bedeutend, Ja zum Theil \ ti der
Art. dass eine vollständige Lösnng derselben kaum möglich schien. 1) »cU muss
man den verschiedenen Begierungen der einzelnen Colonien den grüßten Bei-
fül sollen Ar den SohnrlUsn, den Math nnd die Freigebigkeit, womit sie ver-
bracht iMben, dieee Schwierigkeiten sn Utaen.
In den amtralischen Colonien gibt es nngehenere Distrikte, in denen die
Bevölkerung so zerstreut wohnt, das.s es kaum in dem Bereiche der Möglichkeit
liegt, einen resrelmüBij^en Schulbesuch herbeizuführen oder Scliulen zu errichten,
die für alle Kinder zu erreichen wären. Die Straßen sind schlecht, oder es
giht ftberhnnpt keine StmSea, solche Tielicicht nnegenommen, die von den Vieh«
heriCD anf ihren Wege nach dem nttcluten Marktplatze dnveh den MBoeeh"
gebahnt worden sind, oder von Wagen, auf welchen Wolle zur nftchsten Eisen-
bahnstation oder zum nächsten Kafen gebracht wurde. Oft muss ein Schul-
inspector dem Erziehungsminister die ^littheilung machen, dass er durch große
Überschwemmangen verhindert ist, einen Theil seines Bezirkes, in welchem
mehrere Schulen gelegen aind, an inspiciren. Oft kommt ee vor» da» «Me
Üheraehwemmangen die Kinder aus der nichiten Nachbarschaft der Schale
tagelang vom Besuche derselben ziiiiickhalten.
Das Schulgesetz von New South Wales — jede Colonie besitzt niimlich
ihr eigenes Schulgesetz, doch sind alle einander sehr ühnlich — bestimmt, dass
efaie Solivle an einem Orte «richtet werden mag, wo ein regelmftfiiger Becnch
von mindestens swanaig Kfaidem im Alter von sechs bis vieraehn Jahren ga-
rantirt werden kann. Den KindSTOi die anf dem Lande leben, wird freie Eisen-
bahnfahrt gewiUirt. um es ihnen zu erniög-lichen, die ihrer Wohnung am
nächsten gelegcnf Schule zn t ireichen. Die Eisenbahnverwaltungen sind in
dieser Hinsicht im höchsten Grade zuvoikommend, indem sie die Rinder mitten
anf der Strecke in den Zog anfliehmen, besw. wieder absetaen, wenn deren
Wohnnng za weit von einem Haltepnnkte entfernt liegt
Eine Interimsschnle kann an einem Orte errichtet werden, wo nicht
weniger als zwölf und nicht mehr als neunzehn Kinder im schulpflichtigen
Alter die Schule regelmäßig besuchen können, vorausgesetzt, dass nicht eine
andere Schule in der Entfemang von 4 engl. Meilen anf einon für die Kinder
gangbaren Wege an erreichen ist. — Es gibt jedoch nach Beairke, wo nicht
einmal zwölf Kinder in geeigneter BntfBtvnng von einem Orte zosamnienza-
bringen sind, der für die Erbauung einer Schule gewählt werden könnte.
Daher bestimmt das Gesetz, dass „im Falle zwanzig Kinder im Alter zwischen
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Bechs lind vierzehn Jahren innerhalb eines angenomnienen Kadins von 10 Meilen
(engl.) von einem Mittelpunkte vorhanden sind und in Ornppen von nieht we-
niger ala zehn Kindern gesammelt werden können'*, zwei Halbtagsschulen ein-
gerichtet werden sollen, Kwischen denen ein Lehrer seine Zeit gleicbmäBigr
tbeflen MdL GewQhnlicli soll «r den Vormitta; in der einen and den Naeli>
mittag in der anderen zubringen, doch kann er mit Ci* lu limigung des Inepectors
eine andere Anordnung treffen; und es sclicinf von dioer Erlaul-nis auch sehr
ausgiebig Gebiauf h gemacht zu werden. Lclirer. die an zwei Halbtagssdmlen
wirken, beziehen ohne Eücksicht auf ihr Gehalt eine angemessene jährliclie
Soaune nm ünteriialte elnee Pferde«. Alle Halbtagtschnlen lind in jeder Hin-
ddit ivie Offentiiehe Sebnlen sn leiten, und der Bang nnd daa Gelult des Leh-
rers stimmen ilbereln mit Bang nnd Oehalt Ton Leiuwn an (MTentiicIien Sdiolen
der gleichen Stufen.
Wenn die I^evölkenuig so spärlich vertheilt ist. dass es nicht niiijilich ist,
Ualbtagsschulen zu errichten, geht ein Wanderlehrer von Haus zu Haus und
Idurt entweder die Kinder einer Familie oder Ton iwei oder drei benaehbartoi
Familien. Von einem Wanderlehrer Tolangt daa Geaetz keine seminaristisch»
Ausbildung, doch müssen sie „Personen von anerkannt sittliclitm Charakter
sein und Hlhig, iliien Zöglingen die Eudiniente einer englischen Kr/ieliung ge-
währen zu können." Die Vertbeilang seiner Zeit auf die Familien, die er
besncht, wird auf Bericht dea Sehalinapeeton Ton dem Erziehnngsminiater be-
atimmt. Am Ende jeden Ifonata haben die Halbtagalehrer nnd die Wander-
lehrer dem Inspector einen Bericht öber die Arbeit des Honata einzureichen.
Die Schulen beider Arten sollen nach allgemeiner Veraichernng sehr gute Er-
folge aufzuweisen haben.
Die Unterrichtsgegenstände in den Elementarschulen scheinen die gewöhn-
liehen SB sein, wenigstens gibt nnser OewShrsmann niehta NSheres hierttber an.
Wol aber theQt er eine Tabelle ans dem Beiiehte des Ersiehnngsministers tod
Viktoria vom Jahre 1886 — 87 mit, in welcher verschiedene Unterrichtsgegen-
stände aufgeführt werden, in welchen fakultativ unterrichtet worden ist. Diese
sind folgende (die beigelügte Zahl gibt die b'chiiler an, welche an dem Unter-
richte theilnahmenj:
Bnebftthning (1753) Malen (42)
Algebra (1051) Deutsch (35)
Latein (887) Stenographie (24)
Euklid (835) Zeichnen (22)
Französisch (717) Engl. Sprachlehre (9)
Physiologie (51) Physikalische Geographie (9)
Physik (44) Gesehiehte (7).
In dem Berichte wird hinzugefügt, dass nach dem revidirten Lehrplane
einige dieser Gegenstände in die „gewöhnlichen Curse freier Unterweisung"
aufgenommen wurden sind. Zeichnen z. B. wird jetzt in allen Schulen gelehrt,
damit sich die äch liier hinreichende Fertigkeit in der Handhabung des Stifte»
aneignen.
Der Lehrplan Ahr die Interims- nnd Halbtagsschnlen ist weniger nmfkng>
reich, als der in den ftbrigen Öffentlichen Schulen. Der Unterricht in den
Interimssohnlen soll sich auf Lesen, SchreiV en. Rechnen, Grammatik, Geographie
nnd Geschichte erbtreckeu und wenn möglich für die Mädchen auch noch auf
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weibliche Handarbeitpri. Die Oogonstände des Unterriclits für die Halbtags-
schiilon beschrilnkt'U sicli auf I,*s(n. Schreiben. Dictat«* und Rechnen. Die
mündliche Unterweisung wird durcli einen regelmäßigen Cursus von Uausauf-
Was den Reliffioiisiuitenricht anlangt, ao aind dQreh almmtUehe Golonien
AaBtraliens die Schulen, soweit aie ataatliche sind, confeasionslos. Die Sdinlen
von Viktoria, Queensland, Tasmania und Neuseeland sind weltliche (secnlar),
nnd in ihren Lelirplan ist Relis:ionsuuterricht überhaupt nicht aufgonommen.
Doch kann den Kindern auf Verlangen ihrer Eltern unter gewissen Bedingungen
vor oder nach dem Untemdite von Oeiatlichen oder besonderen Religionslehrem
reHgiOae ünterweianng niihefl werden. In SfldanatraUen iat ea dem Lehrar
freigestellt, tftgUch bia an einer halben Stande Bibellesen in den Stundenplan
aufzunehmen, doch mnss er sich streng auf das Lesen der Hiy)el beschrünken.
Das Gesetz vom Jahre 1880 für New South Wales erklärt die ..weltliche
Unterweisung'' (secnlar instruction) dahin, dass im Keligionsuuterrichte alle
Dogmatik nnd Polemik an nnterbleibeii habe. GonfBaatondle ünterwdaong
der Kinder hat außerhalb dea ünterriehtea dorch besondere Beligionalehrer an
geschehen. Die Geistlichen der verscbieden«i ConfMdonen scheinen aber nicht
gerade viel Gebraucli von dieser Bestimmung zu machen. nii^ri,.i,.|i gich ih
allen Colunien, besonders aber in Viktoria, Stimmen gegen den c<intVssion8loseu
UnteiTicht erheben, so scheint doch, wenigstens für jetzt, die confessionslose
Schale gesichert zu sein.
In Hinsicht auf die Art and Weise, wie die Mittel zur UnterhaUung der
Sehnlen anflsebradit werden, beateht eine große Veraehiedenheit swisehen doi
einseinen Colonien. Frei, ist der Unterricht in den Elementarschulen von
Viktoria, Queensland und Neuseeland; doch ist für Viktoria zu bemerken, dass
der Unterricht in den oben angegebenen facnltativen Gegenstanden honorirt
werden muss. In Queensland herrscht aber der Brauch, datis vor Gründung
einer neuen Schule an irgend einem Orte ein Fünftel der mutlunaßlichen Kosten
filr den Ban und die Einrichton^ der Schule suvor dnreh OiTentliche Samm-
lungen aufgebracht werden muss. In New South Wales, Südanstralien und
Tasmania ist Schulgeld zu entrichten. Es haben sich hier aber noch keine
Stimmen tür Aufhebung desselben hören lassen, weil nicht viel arme Eltern
vorhanden sind. Überdies steht den „Public iSchool Buaidb** oder „Boards of
AdTiee" — die etwa unseren Sehnlaissehüssea entspreehen und fiber deren
freilich sehr besehrftnkte Belhgnisse der VerfSasser sieh des Ulngeren verbreitet —
daa Recht zu, mittellose Eltern von der Zahlung eines Schulgeldes zu befreien.
Wae die SteDnng der Lehrer anlangt, so sind sie in allen Golonien Austra-
liens — mit Ausnahme von Western Australia, die dieselbe Verwaltung wie
das Mutterland hat — btii^erliche Staatsdiener, Sie erhalten ihre Geh<er
von dem Erziehungsministerium, und der Minister stellt sie an und entlässt sie.
In dieser Hinsicht sind sie weit besser daian, als die Lehrer des Mutterlandes,
wddie von Itrtliehen Behörden (local managen) angestellt werden; allein aie
hiden gleich den Lehrern Englands unter der Einrichtung von payment by
results, d. h. ihr Gehalt wird nach dem Ausfalle der jährlichen T^rüfungen be-
stimmt. Die Art nnd Weise, wie in den verschiedenen Colonien die Höhe des
Gehaltes bestimmt wird, ist sehr ungleichartig. Der Plan, welcher für New
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SoQlh Wales gilt, iat lehr auflUurlioh ond Ulutrlrt die Piinoipien, naoh dflnea
aiieh in den übrigen Colooien TwiUiren wird, am beaten.
Die Lehrer sind ihrer Beföhigningr nach, Uber die ihre Zeugnme ent-
scheiden . in droi Classen g:etheilt. In den ersten beiden Classen gibt es zwei,
in der diitteii drei Unterg^ade. Die Zeugnisse, die zu den bestimmten Clasaen
und Graden berechtigen, werden zum Tbeil nach einer nuiudlicUeu und Schrift-
lieben Prttfbng, zum Tbeil nach der priJctischen Befähigung ertheOt Zun Anf-
rücken in höhere Glasten müssen die betreffenden Prüfungen bestanden werden;
diese sind nicht nur der Schwierigkeit nach verschieden, sondern auch nach
den GegenstUnden. in denen gcjirüft wird. Die Prüfungen fiir die höheren
Glassen bieten den Caudidaten verschiedene Gruppen von Gegenständen dar,
in denen sie sich prüfen lassen kSnnen. Ohne Prüfung kann ein Lehrer nnr
von einem niederen am einem hBheren Grade derselben daase übergehen.
Nach ihrer Eintheilnng in die vei-schiedenen Classen und Grade werden
nun auch die Lehrer den verschiedenen Schulen zugewiesen und beziehen auch
verschiedene Geholter; denn auch die Elementamhulen haben eine verschiedene
Ordnung. Der Rang der Schulen wird einmal nach der Schülei-zahl bestimmt,
welche dieaelbe dnrchachnittlich besacht, dann aber auch naeh dem Durah-
sclmitte der Leutangen, Aet sich bei den Inspectionen ergibl. Die Sdiiden
mit der größten Scbülerzahl — nicht unter 600 — bilden die Schulen „ersten
Hanges", solange sie den vorgeschriebenen Durchschnitt der Leistungen er-
reichen. Zu den Schulen des letzten, des zehnten, Kanges gehören diejenigen,
in denen die tägliche Schfilerzahl zwanzig nicht Ubersteigt. Erreicht eine
Sehlde nieht das Ar ihren Banir ▼orgesehriebeae Ziel, so verfügt d«r Br-
dehnngsminister ihre Oberfnhrung in den nächsten Rang.
Kin Lehrer kann nach einei- Schule eines niederen Ranges versetzt werden,
wenn nachgewiesen wird, dass durch sein Verschuhlen der durchschnittliche
Besuch der Schule unter den für den betr. Rang nöthigen Stand gesunken ist,
«der dass die Schüler nicht die verlangten Leistungen anfweism können.
Die Geliülter der HanpÜehrer schwanken swisehen 400 Pfd. SterL an
>)chnlen des ersten Kanges und lOR Pfd. Sterl. an Schulen des jsehnten Ranges.
Hanptlehrerinnen an Mitdchen- oder Elementarschülerclassen von Schulen des
ersten Ranges beziehen HOU Pfd. Sterl., dagegen die in Schnleji flinfien Ranges
180 Pfd. Sterl. Schulen mit gemischten Geschlechtern unter dein vierten Range
kOnneii von Lehrerinnen geleitet werden, ond ihre Gehülter betragen mir
12 Pfd. SterL weniger als die der Lehrer. Verhefaratete Lehrer ethalten Ämtswoh-
nnngen angewiesen, während Lehrerinnen einzelner Classen nnd unverheirateten
Lehreni Wohnnngsg-elder gewährt werden. Die Gehälter der Hilfslehrer schwan-
k«iawi8chen2ÖOundii(iPfd.Sterl., der Lehrerinnen zwischen 168 und 24 Pfd. Sterl.
Ist in New Sonth Wales die Möglichkeit, an die Schule eines geringeren
Banges versetzt zn werden nnd so sein Gehalt veiringert an sehen, für den
Lehrer die treibende Kraft, sein Bestes zu thun, so sucht man in Südaostralien
nnd Viktoria durch Prämien, die jedes Jahr vertheilt werden, die Kräfte des
Lehrers anzuspannen.
Gegen dieses System der Bestimmung der Gehältei nach dem Erfolge der
Prüfungen hat dla llehiiahl der Lehrer AvaMiens, an ihrer Spitaa die
ffthigsten nnd begabtesten, einen heftigen Kampf erhoben. Das Erstem Hast
«s nicht an einem gedeihliehen ünterrichte kommen, sondern führt an einem
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allgemeinen und fortgesetzten „Einpauken" und „Einbleuen"- : »In Insppctor,
nicht das Kind nimmt den ersten Platz in den Gedanken des Lelmrs ein; der
besten Unten'ichtsmethode wird die beste Art und Weise, das Kind füi' das
Eismen »bsiuiohteOf Torgezogen; das LelMO 4m Lehren wird onnSthigerwelie
zo einem nosichereD gemacht, da sein Einkommen fortwährend wechseln kann.
Unser Gewährsmann gibt zum Schliisse eine Schilderung des Gesammt-
eindruckes, welchen die Schnlen, die er gesehen, auf ihn gemacht haben. Er
schreibt: „Was einem Engländer beim Besuche einer gewöhnlichen Elementar-
aehnle an meisten anflUlt, ist das mnntere nnd tdlifaende Aussehen der Kinder.
Alle sind wolgenlhrt und die meisten sind gut geUddet. In einigen Scholen
fand ich die Eindw wolhabender Kaoflente und Handwerker auf einer Bank
mit den Kindern gewöhnlicher Arbeiter, und diese Mischung der ver.schiedenen
Bevölkenmgsclassen eifert den T.ehrer an und wirkt im ganzen auch wolthJltig
auf die Kinder ein. Die Schuldi&cipiiu schien mir ausgezeichnet; das Betragen
der Kinder war welanstindig. Die Lehrer in Südaastralien nnd New Sonth
Wales schienen vollständig soflrieden. In Viktoria klagten die Lehrer, mit
denen ich zusammentraf, in sehr starken Ausdrücken über das Unheil, welches
durch da« bestehende Gehalt.ssysteni über das UnteiTichtswork gebracht worden
sei. Ich besuchte Landschulen so gut wie Stadtschulen, und in allen wurde,
soweit ich es beurtheilen kann, mit bestem Erfolge gearbeitet.^
Fügen wir noch einige Worte fiher die eigenartigen Schnleinriehtongen
in Neuseeland hinzu, so haben wir den Bericht nnserea Gewährsmannes, soweit
er für uns in Betracht kommt, erschöpft.
Diese Colonie ist in zwölf Erziehungsdistricte (educatiunal districts) ein-
getheilt, jeder unter einem Schulausschusse (I3oard) stehend. Jeder Erziehung»-
diatriet ist wieder in Sehnlbeiirfce (sehod districts) eingetheilt Die Stener-
pAiditigen eines Jedm Schnlbeairkes wählen jedesmal im Jannar ein Sdinl-
comit^, das aus sieben in dem Bezirke wohnenden Hausvätern besteht. Die
Schulcomit^s eines jeden Erziehnngsdistricts wählen den Schulausschuss , der
aus neun Mitgliedern beRtelit, von denen jedes Jalir der dritte Theil aussclu-idet.
Die Befugnisse dieses Schulausschusses sind im Gegensatz zu denen der
Shnliehen KSrpersdialten in den tibtigen Cdlonien sehr ansgedehnt Es liegt
denselben die Pflicht ob, die öffentlichen Schalen im Districte zu erhalten nnd
nene zu gründen, neue Schnlbezirke zu bilden oder die bestehenden anders ab*
zugrenzen, wie es die Umstände erfordern. Der Schnlansschuss hat die An-
stellung und Entlassung der Lehrer seines Districtes in der Hand. Er errichtet
Freistellen, Schulbibliotheken, Normalschnlen nnd hOhere Districtsschulen. Ihm
Hegt endlidi die Verwaltung der für dm Dlstrict bewilligten Gelder ob.
Nach dem Gesetze vom Jahre 1877 werden ans Staatsmitteln für jedes
Kind 8 .i' 15 s. bewilligt. Docli ist schon seit längerer Zeit eine Erhöhung
dieser Summe um .ö s. bewilligt worden, so dass sie also auf 4 j6' stiege. Dazu
kommt zur Grliudung von Freistellen auf jedes Kind 1 s. d d., sodass also für
den Sditter 4 1 s. 6 d. verwendel werden kQnneo. Tier toh den Sdml-
aussebUssen eihalten auch jihrlich snr Unterhaltung von Normaltehnlen die
Snmme von 8000 Im Jahre 1886 betrogen die Einnahmen der Sdinlans-
sehtee44ü7ö8 j^.
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Aii8 der pftdagogischen PreBse.
241. Johann Jaci»b Lauffers Abhandlang von der rechten Er-
ziehnnp der Kinder i Traxis d. Schweiz. Volks- u. Mittelschule IV).
Ein Beitrag zar Geschieht*' der Pädagogik in der Schweiz. Lauffei . ^reb.
1688, gest. 1734, von 1718—34 Professor der Geschichte und Elo(iuenz an
der Bemer Akademie. Fttr seine 1723 gehaltene Verleming Uber die rechte
Brziehnnff der Kinder (dissertatio liteiaria de recta liberomm educatione) hat
er folgende „Thesen" aufgeRtellt: 1. Es ist Pflicht aller Eltern, ihre Söhne und
Töchter niöglidist glücklich zu machen. 2. Die Seele des Kindes ist eine un-
beschriebene Tafel, sozusagen eine weiche Wachsmasse, die allen Eindrücken
sieb darbietet. Das Glüeic aber hingt von den Eindrucken ab, die in zarter
Jngend gemacht werden. 3. Ee kann alles und jedes durch das vorbUdliche
Beispiel eingeprägt werden. 4. Noch reicher sind die Spuren des Unterrichts,
ö. Der Unterricht begreift a) die Religion, b) die Sitten, c) einen bestimm-
ten Beruf.
242. Heinrich Zschokke als Pädaü Oi,-- i F. H. Deutler, Baier. Lehrerz.
1889. 37 — 39). „Zschokkes Wirken ist eine i)iUia<^ogische That, seine Selbst-
schau eine praktische Psychologie. Er hat sicli — als äußerer Organisator
große VenUenste nm das Schweizer VoUcsschnlwesen erworben. Durch be-
harrliches Streben in Sachen der Jagend- und Volksbildung und durch die
sittliche Gestaltung des Lebens ist Zschokke ein Vorbild der Lehrer.** Im
ganzen verfolgt er dieselben Ziele wie Pestalozzi (z. B. als Schriftsteller); in
einzelnen Zügen ist uns sein Bild ein willkommenes ergänzendes äeitenstück
zu demjenigen Pestalozzis.
243. Unterricht u. Erziehung (K. Moissl, Freie Schulz. 1889/90,1).
Zu vermeinen, der erziehliche Einflnss bedarf fSr seine Erfolge einer ge-
steigerten AuÄildung des Verstandes nicht, ist Thorheit oder — pfiffige
Klugheit. Erziehung ohne tüclitige Ausbildung des Erkenntnisvermögens gibt
es nicht. — Die formale Eiiiwirkunf): des ruteirichts beabsichtigt, frewisse
Seelenkrilfte an und mit dem Lehi^toffe /um Erstarken und endlich zur sellist-
sländigen gesetzmäijigeu Äußerung zu bringen, - die materielle Einwirkung
beabsichtigt, scharf abgegrenzte Vorstellungskreise im kindlichen Geiste zu
bilden.
244. Anschauung und Anschaulichkeit (Grundier, Päd. Blfttter
1889, V). Verf. betont besonders die Bedeutung der Wandtafel. Das An-
schreiben sdll nidit liloß und nicht immer den Zweck des Abschreibens haben.
Es geniige vielfach schon, dass die Schüler das aus der Besprechung gefundene
Ergebnis an der Wandtafel entstehen sehen, dass sie die Worte vor Augen
haben und sie einigemal einzeln nnd im Chore lesen. „Das Anschreiben an
die Tafel erhöht die innere Anschauung und prägt die gewonnene Wahrheit
dem Gedttchtnis schitifer ein. Der angescliriebene Gedanke steht uns ge-
wissermaBen verkörpert gegenüber.'*
245. r)a8 sociale Problem der Gegenwart uml di»- Krziehnng:
'H.Martini, Khein. BUltter 1889. IV, VD. ..Die gegenwUrtigc Eizi.liung
kann man als eine solche bezeichnen, welche das PriucipErübel8(^de8 „Deutsche-
sten der Deutschen", dessen System in Wirldicbkeit nit den Ergebdssm einer
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voniitheilelosen niid strengen rsycl.ologie in Eiiiklang: «■telit. der die Pesta-
lozzisclie Idee nach unten anFgelant, ilir das f if.'» ntliclic p'nndr.nu nt ffe^eben),
wenn es auch hin und wieder andeib foimuliit >vird, zu verwirklicbeu 8UcLt.
I«tete ato in ToUttandiger Weite ilire Aufgabe, fUirte de die Ifeotebeii wut
ÜbereuMtimmang mit lieb, mit der menschlicheii Geaellachaft und mit Gott» lo
wftre das sociale Problem ftberbonpt geltet. "
246. Die Pflege der Reinlichkeit (Haior, Freie päd. Blätter 1889,
H8). Ein ßchmutziges ScliDlzimmer ist eine Anklage wider den Lehrer er
ider Lehrer auf dem Lande, wo eine fcceignete Hilfsperson nicht anj?< stellt
wird) verschmäht das erlaubte and empfehlenswerte Mittel znni Zwecke: Die
DicastleiBtimg der Kinder (die doeb den Scfamiti selbst bereinbriDgen!) „Der
Lebrvr laese jeden Tag ein paar der größeren Schfilerinnen nacb dem Unter»
richte das Lehrzimmer reinigen. Die Pflicht wecIiBle; täglich müssen andere
an dip Reihe kommen. So wird der Schule geholfen, und wo ist der Mann,
der in sich das Zt-ng hat, zn beweisen, dass dieser Vorßchlag nicht der einzig
durchlührlare and nicht ganz unanfechtbare sei? Der Lehrer, welcher seine
Fran jene Dienste Tenlebten ISsst, der bat bei der Brantwabl einen groben
Miasgriff getban; der bitte statt eines HMcbens eine Eselin beimfQbren sollen,
weil — er selbst ein Esel Ist."
247. Über den Unwert moralischer Erzählungen (C. G. H., Päd.
Reform 18H9, 43). „Jeder Lehrer wird mir beipflichten, wenn ich behaupte,
dats von einem ernsten Wort zu rechter Stunde segensreichere Wirkungen
erwartet werden kOnnen, als von einem Dutzend moralischer Erzählungen, and
er wird mir weiter in dem Oedanken folgen, dass die moraliscben Oescbiehten
ja auch nicht den geringsten Tbeil von der Verantwortlichkeit der berufenen
Seelenwöchter hinwegnehmen. Die Grüße dieser Verantwortlichkeit tritt
recht vor die Augen, wenn man bedenkt, dass von jedem Lehrer verlangt
werden muss, die Grundgesetze der Pädagogik bis ins kleiubte hinein zu be-
folgen, und derselbe Lebrer seinem Scbttler Bttcber in die Hand gibt, welche
ibn büflos einer Fülle nnverstindlicber Lebren, nnm9glicber Personen, Hand-
lungen und Zustände fiberlassen und einen Anscbannngskreis bilden belllen,
welcher nur zum Hindernis verständiger Erziehung werden kann."
248. Der deutschsprachliche Unterricht mnss umkehren (K.
Strobel, Deutsche Schulz. 1889, 32, 33), zuiiickkehren zu Diesterweg, dessen
Verdienste Verf. geschickt hervorhebt und folgende! mailen kurz zusammenfasst:
Anknffpfoi an die gesprocbene Spraebe (Unndart), Vermehren des Wort- nnd
Gedankenschatzes, Vergrößern des Formenreichthums (man vgl. bei Diesterweg
die Übung mit dem Worte Hals) — viel l'bung — feines methodisches Ge-
schick im Anordnen der Aufgaben. Diesteiweg und Uildcbrand ndlen die
Gesetzgeber für den deutschen Unterricht sein. Gegenwärtig herrschen der
Ueefaanismus, das grammatische System, die Zergliedemngssncht.
249. Der deutsehe Unterriebt an der Realschule*) (E. GStainger,
Schweis. Lehrers. 1889, 88—40). Zweck ein doppelter: Ersielung von Fer-
♦) Im Ct. St. Gallen; hier bedeutet Realschule soviel wie anderwärts in der
J^cbweiz »rundar-" oder „BcJ^irkiSM liulc", nämlich eine höhere Volknebule, deren
Haupt kcnnzeicben da.s Obligatorium des Franzö^iechen iM.
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tigkeit in der Handhabung: il« r Muttersprache — lül lung des Geistes und
Gemütlies. Bcdiii^rungen auf Seiten dt s Ldirers: solides sprachliches Wissen
— reines und wai mes Gemütb. — Vom Lesen. Eine Hauptaufgabe des deut-
sdien Unterridit«, bis an die Schwelle derHodkMbnle, ein Postulat jeder edlen
(ftethetischen und moralischen) Bildnngr: die Jugend zum scliönen Lesen anzu-
leiten. (Einzelnes: Im Interesse der Wirkung häufig, namentlieli bei lyrischen
tiedichten, den Titel nicht lesen — Bewiiltif^ung längerer Abschnitte, nicht
blos „bis zum Punkt" — das Gelesene als urg^nisches Ganze erkennen —
überall den Plan auffinden lassen und immer eine anschließende scliriftUche
Ansarbeiinng aufgeben, dafür ein beeonderee Hefl). — b) Von Änftais. Stoff-
qnelle Nebensache — Hanptaache, dass der Aufsatz als geschlossenes organi-
sches Ganze sich erweise. — c) Im Gebiet der Dichtung-. Vor iusscty^ung: ein
wahrhaft sclifines Lesen. „Ein Gedicht soll blns so huv^c durchgciiomtiifn wer-
den, bis sein Bild, d. i. sein Inhalt im Gemuth der Schüler deutlich uud fest
gewordoi Iit Ich strene den Samen ans im Oemttthe der Knaben und Jllnfp-
linge; ob er anfgeht nnd wie er aulSpeht, das ttberlasss ieh vertranensroU dÄr
Zukunft; sie hat mich noch selten getauscht. Worte büden, wenn sie der
Erzieher fein, still und bescheiden anwendet." (Im ganzen ein Erzeugnis von
seltener Reife, l'ber das Lesen ist in der deutschen, österreichischen und
Schweizer Fachpresse so Treflfliches seit Jahren nicht gesagt worden.)*)
250. Bemerkungen snr deutsehen Satzlehre (G. MftUer, Zeitsehr.
f. d. deutschen Unterr. 1889, V). Über das Wesen der Grammatik: „Alles
in allem ist die Grammatik eine in ihrem Verfahren durchaus derL^i^nk gleich-
artige Disciplin. Wie diese nie Gedanken als fertige Erzeugnisse iu ihre Be-
standtheile zerlegt, ohne nach ihrer Entstehung zu fragen, so betrachtet und
zergliedert jene die Erscheinungen der Sprache, wie sie sind, nicht wie sie
entstehen; wie es dieser nm ein riehtiges, zum Erkennen fahrendes Denken
zu thun isti SO jener um ein richtiges Spreclien; wie diese eine Kunstlehre
des Denkens, so ist jene eine Kunstlehre des .Sprechens: wie diese ii:iher tür
die g^anze .Menschheit eine uud dieselbe, so ist jene für die einzelnen Sprachen
verschieden."
Schweizerisches Schularrhi v **). Das Schweizerische Schularchiv ist
ein illnstrirtes Fachblatt eisten Kanges. Es erscheint monatlich einmal, mit
der ständigen Beilage „Die gewerbliche Fortbildungsschule" ; außerdem werden
jährlich sechsmal die „Pestalozzi-Blätter** beigegeben. So umfasst der vollständige
Jahrgang 360 nnd mehr Seiten, nnd zwar in handlichem Octavfbrmat. Papier
und Druck sind vorzüglich, die Illttstrationen (Portr&ts nnd Abbildungen von
Lehrmitteln ) kiinstleri.sch sanlit r: mnii darf die .Ausstattung unbedenklich eine
musterhafte nennen. Und dieser ganz«' .statt liehe, mit Bildern wolgezlerte Band
kostet nicht mehr als 2 Franken (^Jahresabonnement;!
Sehen wir uns den Lihalt etwas nBber an. — Das Sehularcbiv nennt
sich Organ der schweizerischen permanenten Sehnlausstelinng in Zfirich. Als
solches win es ein getreues Spiegelbild dieser ▼erdienstvollen Anstalt sein, die
*) Man muss den ganzen Aufsatz leRcn, besonders den liuit^n ren Aufsats Über
das Lc.ocn.
**) Erster Bedacteur: Prof. Dr. Uunziker, Kils.snach-Zttrich. — Verlesrer
OreU Fttidi & Cie.« Zttridi.
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Leiatongen d«r pennuieiitai SdnilAaiatelliuig und des mit fbr TerbnBde&aa
Ardiivbiireaiis xor aUgeBeineii Eeimtiiii Mögen, dafür sorgen, dsss diesen
Arbeiten die gebärende Würdigung widerfahre, dass sie allseitig ausgenutzt,
aber anrh nach Möglichkeit unterstützt und gefördert werden. Ira Bewusst-
sein dieser Autgabe bringt das Hauptblatt Abhandlungen allgemeiner Art,
sowie im besonderen solche über Schweizer Schulen jeder Gattung (mit den
Ausnahmen, yon welchen später^ die Bede ist), anverllssige Beitrtge zor
sehweizerischen Schnlstatistik, ausführliche und anschauliche Beschreibungen
neuer Lehrmittel, interessante Mittheilungen ans der Schalausstellnng, welche
deren innere Verhältnisse betreffen. Eine reichhaltige und musterhaft geführte
pädagogische Chronik beschäftigt sich mit dem AuBlande. Überdies werden
die wissenschaftlichen (unentgeltlichen) Tortr&ge, >\ eiche anerkannte Fneh-
ndbmer im SehulansstellongSTorein halten nnd jedermann ngftngUeh sind, im
Sehnlaidiiv von geschickter Hand skizzirt. — Die gewerbliche Fort-
bildungsschule vertritt die Gesamratinteressen der Anstalten, von welchen
dieses Beiblatt den Namen entlehnt, stellt sich aber außerdem in den Dienst
der Gewei*be-, Handwerker- und Zeicheuschuieui sie berücksichtigt dabei nicht
blefi die Sehweinr YeriiUtnisse, sondern sie hat «nch ein wachsames Auge für
das Ausland und zieht dieses entweder bei gltaist^r<B Gelegenheiten Vergleichs-
weise heran, oder behandelt es in solbststiltKligen Artikeln. Wiederum finden
wir hier eingehende Berichte über Lehrmittel und statistische Zusammen-
stellungen verschiedener Art. Dass literarische Besprechungen (in dieser Bei-
lage wie im Hauptblatte) nicht fehlen , bedarf keiner weitereu Bemerkung. —
Endlich die Pestalozzi-Blfttter! Sie sind eine ganz eigenartige Erscheinung
in unserer vielgestaltigen Fachpresse. Keine andere pftdagogische Zeitschrift
darf sich iihnlicher Beiträge zur Pestalozzi-Kunde rtthmen. Freilich können die
hier in Rede stehenden Actenstneke eben nur von der Züricher Selnilansstpllung
veröffentlicht werden, weil sie allein die Manuscripte besitzt. Wir geben hier
— Statt weiterer Anpreisung, deren das Unternehmen nicht bedarf — dn ün-
haltsveneichnis der letzten diei Jahrg&nge (1886—88): Philipp Albr. Stapfer.
— Ans Briefen von Zeitgenossen über P. — Zwei politische Broschüren P.s
aus der Revolutionszeit. — Drei moderne Schulfragen bei P. — Ein politisches
Memorial P.s ans der vorrevolntionären Zeit. — Stapfer nnd Zschokke. —
P. uud Dr. Bell. — Briefe i',8 an Stapfer. — Das älteste Pestalozzi-Bild. —
Ein jugendlicher Sittenbrief an P. — Pestaloni-Literatur des Jahres 1885. —
PttbKcationen des Pestalozzi-Stllbchens in Zfirich. — Kenument Pestalozzi
ä Yverdon. — Der Banemschtthmacher, von P, — P.s „Figuren zu meinem
ABC-Buch". — P.s Brief an Frau v. W, ♦) in F. — Aus P.s Tagebuch über
die Erziehung seines Söhnchens. — Uhland und P. — Pestalozzi-Literatur
des Jahres 1886. — P.s „Ja oder Nein" 1793. — P. „über ünterwaldens
SsUofcsal" 1798. — Pj „Bitte an Menschenft^unde" 1775. — Efaie oflIcieUe
Predamalim ans P.s Feder 1798. — Burgdorflana. — Pestalozzi-Literatur.
Aus unserer kleinen Skizze geht hervor, dass wenigstens hiiisiclitlich der
Mannigfaltigkeit das Schularchiv in ei-ster Linie steht. Dabei vergesse man
niciit, welch reiche Fundgrube das Schweizerische Schalarchiv ist, eben als
Organ der perminsBtsn SdinlaissteQugr. Was es bis jetzt nr Anfklimng
*) Der Name ist noch nicht entdeckt worden*
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über (lio iniUT.Mi Schiihvrhältnisso der Schweiz and im Dienste der vergleichen-
den Scliulkutide geleistet, ist hochbedeatsam. Sein ganzes Können liat es frei-
lieh noch nicht eotfoltet, sein klar vorgeseichneteB Ideal noch nicht erreicht.
Aber es ist auf dem besten Wege dasn. Die Arbeiten, welche das Arehi7-
bnrean geplant und theils schon ansmfUiren begonnen, werden in Bälde
davon isengen. H. D.
Literatur.
Sprockhof, Vorbereitungen und Bntwiirt'u: Das Rechnen, bearbeitet
von A; Költzsch, Seminarlehrer zu WeiSenfels. 92 S. 0,50 lUEk.
— Die Banmlehre, bearbeitet ron B. Wiese, Seminarlehrer zn Verden.
80 S. Breslau 18S8, Hirt. 0,50 ICt
Da der Lehrer ini Unterrichte imm^r nur sich selbst hört uai dadurch
leicht in Einseitigkeit verfällt, so beabsii^htigt Hprockhoff, durch eine Samm-
lung von Unterrichtsentwrärfen aus dem (Jcbictc aller Gegoastände der Volks-
schule diesem Obelstande entgegenzuwirken und dem Lehrer Anregungen
über das Lehrverfahren su bieten, welche er sich anders nicht leicht ver-
schuflFen kann. Das vorliegende, für das Rechnen von Költzsch bcirboitcte
Heft muss in der That aU ein recht brauchbares UilCsmittel fUr den Lehrer
■ empfohlen werden. Sein bhalt ist gethoilt in Loctionen fttr die Unter-,
Mitt<l- und Oborstufe. Krstere urafa'^st den l'aterricht itn Zxhlcnkreise bis
lOU mit gehöriger Abstufung der Zahleukreise von 10 und 20; die zweite
behandelt den unbegrenzten Zahlenranm nod das Rechnen mit mehraamigen
Zilili n; ilif ilrift" i^üinoine und nci iin ilbdlehc und die bUrnrerlicbiia Ri -hnn^s-
arten. Die Einzelheiten der Ausführung schliefen sich an die dreistudgcn
Reelienhefte Ton KOltsseh an. Recht gelungen sind im Vorliegenden die Bin-
fiihniniTon in neue rntcrrichfsT;i'bi"tc 'inl von diesen wielor £j;inz li'-inl "--<
die Einführung iu die GesclUcbatu>rechnung. Dagegen ist uns die Empfehlung
des Recheslnstens ron Tillich bedenklieh, weil wir der Meinung sind, dass
dersdhe den ZahlhoorrifF der Kinler nidif. kl.irt. sondern verwirrt: denn es ist
in demsellMn Gleichwertiges durch verschiedeu Großes dargestellt, wogegen
die nii»iiehe Bechenmasehine an Branehbirkeit niohts in wansehen flbrig IKast.
ünzuliissii? ist auch die Darsti'llim^ tMnr^r Division, wie si»^ Snito 50 c:i>?.!b^o
wird; auü^rualb der Vulkas^hule wird durchwog dor Di>i)pjlpjakt mit nach-
folgendem Divisor als Divisionszeichen gebraacht. Immerhin wiegen die guten
Ei2:cnscbiiften des Buch'^s h^ l-ntciid vor. und e- i-^t do^^Mi Rinutzunnr bs^oa-
ders junci» h ihrem zu empfehlcu, wel -iii', auüjrhilb do< Vorkchros mit Bjrafs-
genossea sttliond, sich nur wenig fachlicher Anrejfuna: erfreaen.
Der Vcrfii-i-ier der Raunilchrt'. B. Wiese, h it s 'hDU zwei selir brauch-
bare Lchrbehelte geschaffen, und zwar ein Lehrbuch und eine Aufir ibiinaram-
Inng fQr Geometrie; auch das Vorliegende entspricht vollkommen den Erwar-
tunsjen , welche man von einer Arbeit des Verfassers hegen darf. Der Stoff
umfa^i.st in RuzuLT auf geometrisichc («rundbegriffc, Flächen- und Riumberech-
nuiii; alli s. UMS man von der Volksschule erwarten kann.
Der !;i hr>ti)ff iM in 42 L'-ctiunfii uretheilt, welche mit den propädeutischen
Erörteruuijon au Würfel und Prismi beginnen. Unzweckmäßig erscheint uns
die erste Figur. 8ie stellt einen rechten Winkel vor, welcher von zwei Linealen
gebildet wird. Wir miichton den ri i'hten Winkel nicht so darstellen, weil der
Schüler dabei verleitet werden k iuiit •. dir Vorstellnnijf des Winkels mit der
Materie des LiiuMls untrennbar zu verkn ipfcn, wihn-nd er doeh veraalust
werlen sollte, «lie Vorstellung des Riumgebildos von der Mitcrie zn trennen.
Dagegen sind 14 und 16 zwei didiktiseU sehr nut/.bria:^ea 1) Figuren, Uber
die Mittellinie dc^ Trapezes und Uber den Pytha^oräischea Lehrsatz; auch
muas das ganze Ueft, als ein sehr brauchbarer Lehrbohelf der Qoometrie in
der Volksschule, bestens empfohlen werden. Ü. E.
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— 208 —
Ferdinand Hener. Rechenbach ffir Stadt- un<l Landschulen. III. Theil;
bearbeitet von K. H. L. Mai»nus, Seminarlehrer zu Wunatorf. 200 S.
Hannover 1888, Helwing. 1,60 Mk.
Dicäe« Letaatcaiieft beginnt mit dem Rechnen in gemeinen Brüchen. Bs firigea
die Recbnuug;en mit Dccimalbriichcn, sodiinn Zeitrechnung, di«' U'-chmingsarten
des bürgerlichcu Lebcua und Auts^iibca :uis den ül)ri'j;en l nt' rrichts<regcn-
Btänden. Die in außerordentlich großer Menge vori^ifulirten Keiapiele sind
äußerst zweckmiißic: cingetbeilt in solche für diks miiadlicho und für das
schriftlii'be Veriubnin. Femer finden sich noch die Überschriften ; „Dictir-
aaligraben'' und „Kopfirechnen". Letztere dürften im Scbülerhtftc fehlen.
Heners Lehrbücher eifrenen sich schon lange cinei; guten Rufes und zahl-
reicher Auflagen. Durch ihre Bearbeitung von Magnus haben dieselben nur
gewonnen. An Vielseitigkeit der eingekleideten Aufgaben und an Menge
denteibon bleibt nichts zu irttnsehen ttbiig, and ersdieint das Vorliegende
höchst empfehlenswert. H. E.
A« Genau und P. A. TQffers, Seuüuarlehrer: Rechenbuch für LeUrer-
leminare. IL AnHage. I Band. 211 S. II. Band, 184 S. Gotha 1888,
Thienemann. Jeder Band 1,80 Mk.
Jeder der zwei Bände ist in zwei Theile gesondert, wovon der erste Theil
Lehrbuch, der zweite Theil Aufgabeu^amuilung iät. Der erste Hand enthält
die vier Orundrechnungsarten mit ganien Z-ihlen, gemeinen und Hecimal-
brüohen, die bürgerlichen Kcchuung.sarten und das Ausziehen der (Quadrat- und
Cubikwurzel. Es sind besonders die ersten Blätter, in Bezug auf welche wir
uns mit dem Verfasser wenig in Kinklang beflnden. Zunächst ist das latei-
nische „plus" mit „mehr" und nieht mit ..und" zu verdeutnchen.
Alsbald folgt die ganz richtii^e Bemrrkun'T : „Für das Resultat i.st es zwar
glfliehgiltig, ob man eine Auf<):abe in <1> r l-orm des Theilinv o ler des Ent»
naltenseins lösf; die Riclif iirkeit dei Ergebnusses genügt al>er dorn Verfasser
nicht, sondern „in angcwaiulteu Angaben raus.s die Spreclnveise sir-h .streng
nach der Aufgabe richten." — Dunkd ist der Rede Sinn: denn in der That
ist das reclinungsmäßige Resultat ganz unabhän<j:ig von dem Kleide der text-
lichen Umhüllung. Dies mag an einem ointaeheu Beispiele klargelegt werden.
Wenn man den Preis ron sieben Kilogrammen, deren jedes neun Mark kostet,
sucht, oder die Fläche eines neun Mt^ter langen und sieben Meter breiten
Rechteckes, oder die Bewegungsgröße einer si('ben Kilogramm schworen Kugel,
welche sich mit neun Meter (teseh windigkeit bewegt, erfahren will, so ist das
numerische Resultat immer dasselbe; seine Benennung jedoch stimmt im ersten
Falle mit einem Factor Überoin, im zweiten Falle ist die Benennung ver-
schieden von beiden Factoren, und im dritten Falle vereinigt zwar der Xame
des Productes die beiden Namen der Factoren, bedeutet aber, gleichwie im
zweiten Falle, etwas ganz anderes als jeder der Factoren. Es ist also das
Urtheil, welches dem Ergebnisse den Namen gibt, ein (lualitatives, von dem
quantitativen Vorgange gauz unabhängiges und Terschiedeues. Der Verfasser
aber hftlt am „Theilen" und „Bntbaltensdn" fest und begründet dasselbe mit
der Aufstellung: Die ünikehrun<;<'u des Addirens seien „R'-stbildiing und
Differenzhildung", ebenso jene des Muitiplicirens n'fheilen und Enthaitensein",
gleidiwie jene des Potenarens ,,Radiciren und Logarithmiren". In der That
aber besitzt die Addition un<l Multipli ation nur eine Umkchrnng, weil sow<d
Addenden, als auch Factoren vertauschbar sind; dagegen das Potenziren zwei
Umkehrungen hat, weil Potenziand und Exponent nicht yertauschbar sind. In
consi'ijueiifer Durchführung dieser irrrhiimlicl)"!! TM lnuiittiimr folLrt vln-' R''ihe
Ten überflüssigen Lehrsätzen, nur geeignet, das Gedächtnis des Schülers zu
flberblirden und denselben sn verwirren. Dies setzt sich fort bis auf Seite 88,
verkehrt. Es briugt dies minder Begabte nur in grofie Verlegenheit, was zu
l)'G:iiinen. Ist doch das .Sohlagw^rt: „Xorraalvcrfahren" fast ia allen Lehi^
bücheru dieses Jahres zu finden. Man gebe eine tür alle Fälle brauchbare
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— 204 —
Kegel, und ilberlasdc es der Findigkeit de« SchiUen, mögliche Vereinfachimgen
sn Bochen.
Im iibricfon verbreitot sich der erste Band ülier das Rechueü mit ganzen
Zaliiun, gcmciuen und Dccimaibriicben , die bürgerlichen Kccbnuugsarten und
das AiMBWhen der Quadrat- und Cubikwurzel. Es ist weiter daran aodi nicht!
auszusetzen als die Ziffemvprschwondung, wt il dio Subtraction nicht mittelst
£rg&nzung gelehrt wurde, weshalb die Theilproducte bei der Divisi(»u ange-
sdoidieii werden mtlssen, und man nicht einmal imstande ist, jene drei Theil-
pioducte, welche l)eim Ausziehen der Cubikwurzel vorkomHMn und ohaeliin
anf^eschriebcn werden müssen, auf einmal abzuziehen.
Der zweite Band enthllt die sieben Grundrechnungsarten in !ills:emcinen
Zahlen: zwischen den Operationen zweiten und dritten Ranrres ist ein Abschnitt
über (il» icbungen ersten Grades, Proportioneu und Kettenbriiclie eingeschaltet;
ebenso zwischen der eisten nnd zweiten Unikehrung des Fotenzirens die Lehre
von den (tlcicbungen des zweiten Grades. I tcn Srbluss machen ProcT' ssionen
und Ziuäcszioiirechuuug. Aut den i>eiten 4 bi.s 7 tinden sich vierzehn Lehr-
sätze Aber Rechnungsverbindangen von Summen und Dißerouzen. an deren
Stelle vier ebenfalls genügt hätten. Die B<'grüuduug der Zeicheuregel für
die Multiplication ist ganz nmngelhalt. Mau begründet die Zeicheuregel aus
dem Begriflfe der .Multiplication und nicht durch Einttthrang der Null. v. II
man sich bei letzterem Verfahren in einem Zirkelschlüsse bewegt, und weil
die Null die Verneinung der Zahl ist, welche, fälschlich als Zi\hl gebraucht,
leicht SU IrrthUmeni führt. Die ZifTemverschwendung kehrt auch in diesem
BMde wieder; so findet sich aut Seite 34 ein Beispiel, in welchem die Zahlen
797, 101, 11, 3 je dreimal vorkommen, während es genützt hatte, iieselben
einmal zu setzen. Die zweite Hiilt'te des Banden enthält ein tiir di<H; Stute
vollkommen hinreichendes Übungsmatcrial nebst einer fOnietelligen Tal'el der
gemeinen Loguitlimen. H. E.
A. Pickel, Seminariehrer in Eisenach: Die Geometrie der Volksschule.
6. Auflage. 115 S. Dresden 1888. Kleyl & Kaemmerer. 1.35 Mk.
Die sechste Auflage beweist schon, doss dem Verfasser ein glücklicher Wurl'
gelang; wenn er & Vorworte wesentlich den ansehanliehfln Vorgang seines
1j hrvcrfalirens betont, so müssen wir .sac:on, das.s wir diesen Ghnindsatz sclion
wiederholt aatgestellt, aber noch nirgends gleich gut duidlgeHUirt gefunden
haben. Das Buch, fftr die Hand des Lehrers bestunmt, ennriekelt sunlehst
am Würfel die £reomctris( hen Gnindbc a;rifl"e und handelt weiter in zwei
Theilen die Lehren der Planimetrie und Stereometrie in einem Cmtange und
mit einer Stoffrertieftnig ab, wie sie uns fKr die VoOnscbnle ab hinräehend
weitgehend erscheint. Si> findet man auch noch die .\hnlichkeit5lehre auf
einen veijün^tcu Mafistab und auf Streckenmessung im Felde angewendet.
Nur an wemgen Stellen Anden wir eine geringe Verbessening für nOthig.
Zunächst gibt es iWr die .\uffa.s.siui{j eine.- Winkels kein vorzüglicheres
Anschauuugsujittel, ah» Ziifcrblatt und Uhrzeiger; temer ist es am einfachsten^
bei der Benennung der verschiedenen Winkel vom vollen Winkel auszugehen.
Auf Seite 48 ist vnn den Diagonalen der Parallelogramme die Kcde: dabei
wird sich zum Nachweibe der Itezüglichen Lehrsätze auf das ..Augenmaß und
angcHtellte Deokungs versuche'" berufen. Wir glauben, duss die Berufung auf
die Deckungsversuche für sieb allein «renüsrt, weil wir wis.sjcn, dass ein ungeübtes
Augeumali ein sehr schlechter Ikrather ist. Zu oft nur hört man die Schüler
nach dem Augenmaße den Figuren Kigen.schatten zuschreiben, welche ihnen
entweder nicht zukommen, oder im geirebenen Falle nicht von Belang sind.
Deshalb glauben wir, das Augenmal') dL> >cliiilers kann nur insoweit in Betracht
kommen, als er selerut h ir dasselbe mit Hilfe von Zirkel und Lineal so
berichtigen. rber das Volum des Kegelstutzes findet man im Texte eine
angenäherte und in einer Fulinote die richtige Formel. Es scheint uns unuüthig,
dass sich der Schüler beide merke, und wenn er nur eine bdkalten soU, so ist
es besser, es sei dies die ricbti<re, als die angenähtTte.
(^rigens wünschen wir das angezeigte Lehrbuch id& das beste der Geometrie
für die Volkssehole, wdehcs uns binier bekannt worde, nadidrücklichst sn
empfehlen. H. £.
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— 205 —
Warneeke, Kanstgoschiclitliches Bilderbach für Sclinle iiBd Hans.
Leipzig 1889, Seemann. 1,Ö0 lllc.
Dieses billige und sebOn ansgestatteto Baeb enthält snf 41 Seiten (groS
Quart) ungefähr <la.s Alaterial an kunstgescbirhtlichen Abbildungen, das bei
einem gat geleiteten Zeichen- oder Getscbichtsunterrichte an einer Bftrger-
seh nie benSthijErt wird. Bss Material ist den Sammhuigen der SeemamnMben
BiMorbopcn cntnomnien und bost bränkt sich auf die Hauptwerke, insbesondere
aus dem ücbiute der Architekturjpeispectinsche Aasicbteii) (irondrisae, Durch-
schnitte nnd Detaib, ferner anf Werke der Plastik des iUterthnms, der Benais*
aancc und di r (Irironwart, sowie auf solche der Malerei der Xeuzeit. Aus den
Werken der Gegenwart sind mit Vorliebe solche ausgewählt, die zu dem
nationalen Anfhehwunge der Beteten Jahre in Bedehnng stehen. Da die Objecte
Hauptwerke sind, die in jeder Kunstj^cschichte bej^prochon werden, hielt es der
Herausgeber nicht lUr nüthig, dem Buche einen begleitenden Text anzufügen;
vielleicht wftre es aber doch manchem wiUkonunen gewesen. Die HethoM in
der Behandlung kunstgeschiehtlicher Themen in der nllrt^ersehnle ist ja doch
noch nicht jedem Lehrer geläufig, und andere Benutzer de-s Buches, seien es
nnn Schaler, sei es der Kreis der Familie, werden ohne Anleitung kaum alles
und noch weniger immer das Charakteristische an jedem Bilde sdien. W.
Hoffinann, Nachklünge altgermaniachen Götterglanbens im Leben
and im Dichten des deutschen Volkes. Hannover 1888, üahn. i,ÜOMk.
In der ISnIeitnng besprioht der Yerfiuner die Quellen unserer Kenntnis
der deutschen ^TytlH h»-;!!-: al> seine Aufgabe bezeiehnet er, eine derselben, „die
Nachklänge altgermanischen Götte^flaabens im Leben und im Dichten
des dentsehen Volkei", «dnem gtOloren Laienpnblienm zugänglich in
marhen. Zu diesem Zwecke führt er uns einzelne altgermanische Götter-
gestaiten nach ihren chankterisüiichen Eigenschaften und Merkmalen vor und
zeigt an Beispielen, wie die Erinnerung an sie noch hente im Volke fortlebt,
oft unverstanden, oft vcrhallhornt , in Namen, in Märchen, Saiden und Legen-
den, in Kinderspielen und Gebräuchen des Volkes etc. Einige der mitgetheil-
ten „NaebklSnge* sind nicht gedrucktem Qaellenniateriale entnommen, sondem
unmittelbar der Volkstradition: es sind Nachklüng'e, die sieh in der Heimat
dr'K Verfassers, in der (iep;eud am Harz erhalten haben. — r.
Briukluayeri Satzlehre der deutschen Sprache. Zweite Auflage. Qued-
Unburg 1888, Vieweg.
Das Büchlein enthält einen übersii htlich zusammengestellten Abschnitt, der
in den üblichen Leitfäden nicht mit der nöthigen Sorgfidt nnd AusfUhilicbkeit
behandelt m werden pflegt und dessen Kenntnis doch besonders cur Erlernung
fremder Sprachen wichtig ist. Es ist der Abschnitt S. 29 — 38 über den Ge-
brauch der Zeiten und Aussageweisen und über die Zeitfolge. Im g 56 35)
dieses Absdinittes vermissen wir nur eine Angabe über im Gebrandh des
Conjunctivs in Sätzen, wie: „Ich kenne keinen, der fleißiger gi^wci^en wän\"
Auch die liegel 2e. dürfte weiter zu fass^ sein. Vergl. z. B. iiätze, wie:
„Ziele gut, dafi du den Apfel treflSest". Das Beispid aus Rüekert (es ist das
einzige) S. 36 ist als Musterbeispiel nicht gut g(!wählt, da die Präsensfonn
des Conjunctivs durch den Beim beeinfluast wird, nach: als ob, als wenn
aber die PiftteritaUbim QbUcha iit — r.
Nea erschienen.
Ph£ Dr. Chr. Muff, Idealismiis. 182 S. HaUe a. d. S., Biehard WM"
maiiB. 8 Mk.
F. W. D. KruM, Die Kant-Herbartsche Ethik. Eritifiche Stadie. 168 S.
Gotha, Thienemann. 1,80 Mk.
Gerhard Heine, Lehr- und Lesestücke zur Einfiihrnng in die Seelenlehre und
ihre Besuehangen zor £rziehung8- und Uuterrichtslehre. Er^te Abtheilung.
128 a ENheD, Schetder. 1,25 HL
Padafogta. lt. Jahiff. adtlO. 16
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— 206 —
Dr. Hermann Holfneigter, Examen-Katecfaimras. Heft S. PSdagogüc Ein
Bepetiti<»BlHich für AbitorfentMi, Schnlamtscaadidaten etc. Zweite Auflage.
148 S. Leii./.ig und Berlin, Kliiikliardt. 2 Mk.
J. Böhm, Traktische ErziehunK!'l''lii <' für Seminaristen und Yolkuchnllehrar.
Zweite Auflaf?e. 208 S. Miun heu, Oldenbourg. 3,50 ifk.
Dr. Volkiuer, Grundhsä der Yolksscliul-Pädagogik in übersicUtliclier Dar-
atellnn^. Zweiter Band. Elemente der P^chologie, Logik nnd aystemar
tischen Pädajiogik. 238 S. Habelschwerdt, Franke. 2 Mk.
Frau Anna Woas, Das Normalkind. Praktisclie Anleitung fiir Mtttter, nm
Kinder gesund, schön und i;:iit iL^roß/.nziehen. Mit 7 Abbüdongen. Zweite
Auflage. 80 S. Berlin, Pfeil.stücker. 80 Pf.
J. Heidsiek, Der Taubstamme und seine Sprache. Erneute Untersuchungen
fiber das methodische Fnndamentalprindp der Tbabstammenbildong. 318 S.
Breslau, Woywod. 6 Mk.
Dr. (iporg Credner. Bihelkunde für Studirende und Seminarien. 290 S.
Leipzig; und Berlin, Klinkhardt. H Mk.
Biblisches Lesebuch für den evangelischeu Religionsunterricht an den höheren
Schulen des Königreichs Württemberg. Naeh der amtlich lestgestettten
Auswahl Erstes Heft* Altes Testament Kit drei Karten. 124 S. Zweites
Heft. Mit drei Karten. 133 S. Heilbronn, Henninger. ä 1,20 Mk.
Robert ItutZP, t'ber kirchliches Orgelspie]. 72 S. Leipzig, Klinkhardt. 1 Mk,
Fritz Lnbrich und .lakoh Oruber, Die ürgel. Monatsschrift für Orgelmusik
und Kirchengesang. Leipzig, Karl Kliuuer. Abuuneuieutspreis 70 Pf.,
Eülzelpreis 1 Hk. pro Heft.
Hermann Wettig:, Deutscher Liederschatz. Sammlang von ein-, zwei- and
dreistimmigen Liedern Ittr Volksschalen. 132 S. Leipaigi Sie^ismnnd nnd
Volkening. 80 Ff
J. W. L. Hille, Der Gesang und Gesauganterricht in der Schule,, sowie die
mnsikalisch-ftsthetische Bildung des Volkes Uberhaupt. Eine systematische
Darstellung der Theorie und Praxis dieses Unterrichtsfoches. 376 S. Ham-
bnx^, StefAnskL Dazu Notenheft^
Brinkmeier, Satdehre der deateehen Sprache. Zweite Auflage. Quedlinhoig,
Vieweg. 60 Pf.
Döring, Handreichung für den deutschen Sprachunterricht. Drittes Heft,
Satzlehre. Dritte Auflage. Bernburg, Mehrhardt.
(Jüiilher, Driitsche Sprachlehre. Berlin 1889, Stricker. 1 Mk.
(auttiüuuu und Marschall, Gruudriss der deutschen Sprach- und Kechtschreib-
lehre fiir hShere Lehranstalten. Vierte Auflage. München, Oldenbourg.
1,90 Hk.
Hesse, Aufgaben und Stoffsammlung zu deutschen Spracharbeiten in Ober-
elassen der Volkssdnileii und Unterclassen hOherer Unterricbtsanstalten.
Leipziir, Berlin, J. Klinkhardt.
Hüttmauu, Deutsches Sprachbach. Zweiter Theil. Sechste Auflage. Stade,
Schaumbnrg. 1,20 Mk.
Kern, Die deutsche Satzlehre. Eine Untertnehung ihrer Grundlagen. Zweite
Auflage. Berlin, Stricker.
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— 207 —
Kern, Zustand und 6^:eiiBtand. Betrachtnngren fiber den Anfangsonterricht
in der deutschen Satzlehre. Nebst einer Lehrprobe. Berlin, Stricker. 1,80 Mk.
3Iev(M', Deutsche Sprach iibnngen. Für Kinder der Volkaschnle bearbeitet.
Hannover, Meyer. 40 Pf.
Meyer, Kleines deutsches Sprachbnch. Lehr- und Übongsstoffe fttr Becht-
Bchr^bansr und Sprachlehre. Hannover, Meyer. 60 Ff.
Meyer, Deutsche Sprachlehre. Ein Lehr- und Übnngsbuch für Mittel-, Bürg;er-
und ^elu^bene Volksschulen, sowie für die entsprechenden Classen der Gym-
nasien etc. Hannover, Meyer. 1,20 ^Ik.
Möller, Übungsbuch für den Untenicht iu der deutschen (irammatik. Zwei
Hefte. Z^te Atflage. Hunbnrf , Heiinar. 1 Hk.
Stoffel nnd MewiS) Spnchhelte für die ein- und sweiclanige VoHuaehole.
Zwei Hefte. Neuwied und Leipzig, Heuser. 60 Pf.
Besser, Vorschlftge zur fieform der Orthographie. Braonachweigi Bmhn.
50 Pf.
Eulenhaupt, 800 gleich- und ähnlichlautende Würter. 17. Auflage. Nürn-
berg, Korn. 20
Flaehsmanii, 1700 gleich- und fthnlichlantende Wörter. Zürich, Schröter
und Meyer. 1 Mk.
Deutsche Rechtschreibung in Beispielen. Rej^eln und Anfgaben. Von einem
j)raktischen Schulnianne. Dritte Auflage. Bielefeld, Helmich.
Grawe, Präparationen zur Behandlung deutscher Mnsterstficke in der Volks-
schvle. Dritter Theil (7. nnd 8. Schuljahr). Bielefeld, Velhagen & Ein-
sfaig. 3 Mk.
Ma^ns, Erliluterunp^n zu deutschen Lesebüchern. Zweiter TheU. 80 lyrische
Gedichte, llunnover, Meyer. 2S)0 Mk.
Schmid, Materialien zur Erläuterung dciitBclM r Lesestücke, mit einer Ein-
teitams über die Methode der ErlSuterung. Bern, Sehmid Franke.
Kllnle und Streieh, Eurzgcfasste Geographie von Deutschland. Zehnte
Auflage. Esslingen, Lang.
\ienhati8, Weltknnde. Fflnfte Auflage. Bremen, Heinsius. 50 Pf.
Krfiger, Drei Kaiser. Lebensbilder von Wilhelm JL, Friedrich III. nnd Wil-
helm II. Leipzig-, Bädeker. 1 Mk.
Bertoucb, Ahuentafel Ihrer Majestät Angnsta Vicltoria, Kaiserin nnd Königin
des Deutschen Beiches und von Preußen. .. Mit historisch-genealogisdien
EriStttemngen. Wiesbaden, R. Beclitold. 1,50 Mk.
Thienemann, Genealogien europäischer Regenten, für den Schulunterricht
synchronistisch dargestellt. (Ein Tableau.) Berlin, Weidmann. 40 Pf.
Debbe, Ornndriss der deiitsclicii I.if* i;i( Urgeschichte. Bremen, HeiuHius. 2 Mk.
fla^emann, Vortrüge für die gebildete Welt. Drei Heft«': Lming-s Eiiiilia
Galotti, Schillers Braut von Messina, Goethes Iphigenie auf Tauria. Span-
dau, Oesterwits. k 1 Mk.
Riegel, Ein Hauptstftck von unserer Muttersprache, dar allgemeine deutsche
Sprachverein nnd die Errichtung einer Reichsanstalt für die deutsche Sprache.
Zweite Auflage. Brannschweig, Schwetschke. 1 Mk.
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- 208 —
Sehaster, Lohrlmch der Poetik und Khetorik fikr höhere Scholen. Zwei
Tlieile. Halle, Grosse.
Erfurth, Die deutsche Volksdichtung. Potsdam, Stein.
Feyerabend, Der Weltapraeheaehwindel. HeUbionn, Hennliiger. 1,20 Hk.
W. Jüttinj? und Hufro Weber, Anschauungsunterricht und Heimatkunde
tür das 1. — 4. Schuljahr mehrclassif^er Schulen. Grundsätze, Lehrstofte und
Lehrproben. Vierte Auflage. 3ü9 Ö. Leipzig, Klinkhardt. 3 Mk.
Zoologische Wandbilder. Verlag von KiriJaaskj in Tabor. ILUeferong:
Nr. 51 Bebhnhn, Waehtel; Ni*. 52 Tanben; Nr. 53 Speehte, Enoknek;
Nr. 54 Goldammer, Zaunkönig, Buchfink, Singdrossel, Star, Sperling,
Nr. 55 Meisen, EichelhUher, Rauchscli wallte, Kothschwaazohen. Preis der
ganzen Lieferung 2 fl. 50 Icr., jeder Nuouuer (iU kr.
L. Mitteuwey, Gesetzesknnde in Verbindong mit VolkBwirtsehaftslQlira ala
ünterrichtadledplin. 96 a Gotha, Behrend. 1 Uk.
Oeorg Dreyer, Die Jugendliteratur. Ein Beitrag aar Jagendadirifkenftage.
87 S. Gotha, Rehrond. 1 Mk.
Haus iMoser, Allgemeine Geschichte der Stenographie vom klassischen Alter-
tliame bis zur Gegenwart. Nach den Quellen bearbeitet Band I. 236 S.
nnd 20 TaMn. Leipzig, Klinkhardt 4 Mk.
Dr. R. En^elmanii, Hilder- Atlas zum Homer. 36 Tafsln mit erlftntemdem
Texte. Leipzig. Arthur Seemann. 3,()0 Mk.
J. K. (ioinez de Mier. der erlitc Spanier, oder Anweisunj^ zur gründlichen
i^rlernung der spanischen Sprache. Zehnte Auflage. 584 8. Hamburg,
Verlagsaastalt nnd Druckerei A.-G. 6 Mk.
Dr. Bdnraiid Wilke, Einf&hmng In die «iglische Sprache. Zweite erweiterte
Auflage der Stoffe an Gehör* nnd Sprechübungen. 200 S. Leipzig, EarlBeiA-
ner. 1,60 Mk.
YenntwoTtl. BadMtMtr Dt. FriadrUh Dltte«. Bnebdraekerei Jaliaa KlinkharUt, Uipxlg.
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Ober die Forderoig coifessioneller Sekulen.
Vm Fnf, Ihr. J* JVoAMdUMMtN^r-lfMkeii.
ist bduumt — und wer es noch niclit weiß^ kann ee leieht
ans der (Jeechichte erfobr^ ~, dass kaom durch irgend etwas anderes
90 schwere Leiden, so tiefes Elend Aber die Menschheit, flher Völker
nnd Individuen durch alle Jahrhunderte gekommen sei, ahi durßh die
Verschiedenheit nnd die Gegensfttse in der Religion und durch den
fiuiatischen, oft so wilden Glaubenseifer der yerschiedenen QUnbigen.
Vor dem Wahne, allein die Wahrheit sn beeitsen nnd direct fta Gott
selbst zu wirken, yerschwindet alles Ifenschenrecht und alle Menschen-
liebe^ geht alles natOrliehe Gewissen unter. Vor Gott» dessen Sache die
Bekenner in ihrem fiinatischen DQnkel direct zu vertreten behaupteut
kann kein Becht und k^e Verpflichtung als gütig erachtet werden,
wenn jenes gegen ihn gebraucht wird — nach der Meinung der
WahnbethOrten nnd Fanatiker. Daher waren ja stets Vetlblgungen
und Kriege um der Religion oder Confesdon willen die schonungs-
losesten und gransamstoi. Bei den heidnischen Völkeni des Alter-
thmns fiel der Eifer ftr die Nation und die Religion resp. die Na-
tionalgottheit gioBentheOs in eins susammen, und es wurde mit der
ünterwerfimg des Volkes auch die Religion dem siegenden Volke mit
seiner Gottheit unterworfen, dann aber vielfech mit Schonung be-
handelt — wie ein hervorragendes Beispiel hiervon das römische Volk
gegeben hat Dem jüdischen Volke war sein Gott zwar auch noch
NsUionalgott neben den falschen Gottheiten der anderen Völker, aber
es ward schon Alleinherrschaft fUr ihn gefordert — wenigstens kein
fremdes Hecht in dieser Beziehun;^ anerkannt. Daher ward die For-
demng angestellt, dass das feindliche Volk sammt seiner Gottheit
vollständig zu vertilgen sei — wie dies den Ganaaniten gegenüber
geschah — ein nach israelitischem Glauben von Gott selbst befohlenes
gransames Vorgeben, auf das man in den christlichen Jahrhunderten
sich vielfach bei wilden Grausamkeiten gegen Andersgläubige zu be-
rufen pflegte. Mit dem Eintritt des Christenthums schien in dieser
Beziehnng eine bessere Zeit, eine humanere AofGsssnng zur Geltung
FaidaffotHBB. 11. lüng. Haft IV. 16
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— 210 —
SU kommen. Das Christenthom Inreitete sich zuerst nicht mit Gewalt
ans, und die Mheren Kirchenlehrer, die noch znr Zeit der Christen-
wfolgongen lebten und wirkten, unterliefien nicht, sehr entschieden
zn behaupten, dass Gewalt und Zwang im Glanben^biete nnzuiftssig
seien und Verfolgung um des Glaubens willen keine Berechtigung
habe. Sobald aber die ChristenTerfolgongen aufgehört hatten und die
Staatsgewalt der Kirche und ihren Bestrebungen zur Verfügung stand,
fingen die kirchlichen Machthaber und ihre glftnbigen Anhioger als-
bald an, gegen die, welche noch am Glauboi und dem Cnltus der
alten Götter festhielten, Gewalt anzuwenden und Verfolgungen ans-
zuttben, derart, dass selbst die weltliche Gewalt hemmend und mABigend
einzuwirken und Schonung der Altglftutrigen zu gebieten sidi bemfißigt
fiind. Diese Verfolgungssucht der christlichen Kirche dauerte dann
jahrhundertelang, und im Interesse des Glaubens wurden Greuel aller Art
verübt wNOthiget sie hereinzukommen" (von den StzaBen und Zäunen
zum Gastmahl) ward dahin gedeutet, dass man Gewalt anwenden dürfe,
um die Mensehen zum wahren (d. h. dem eigenen) Glauben der Ver-
folger zu bekehren. Selbst Augustinus suchte die religiöse Verfolgung
durch die Behauptung zu rechtfertigen, dass ja die Gewaltanwendung
zum Besten der Gezwungenen selbst geschehe, da sie durch ihren
falschen Glauben ja sich selber schaden — wie dem Wahnsinnigen
kein Unrecht geschielit, wenn er gefesselt wird, da er in seiner Frei-
heit sich selber Scliaden zufügen würde.*) Gleichwol hat man stets
den ^luhamniedanismus christlich erseits heftig getadelt und darin em
sicheres Zeichen seiner Ungüttlichkeit erblickt, dass er so säir mit
Waffengewalt ausgebreitet wurde und sieb in Geltung erhielt
Thomas von Aqnino z. B. erblickt gerade darin einen Beweis der
Göttlichkeit des Christenthams, dass es sich so wunderbar ohne Gewalt-
anwendung verbreitet und zur Herrschaft gebracht habe, während
er dem Muhammed den Vorwurf macht, sich solcher Mittel bei seiner
Glauben sverkündung bedient zu liaben, wie sie auch Räuber und
Tyrannen anwenden — der ^\'a^t■en nämlich rSum. c. Gent. I. Oi.
Solcher Bewei^^tÜllrung bedient sich Thomas um die Mitte desselben
dreizehnten Jahrhunderts, an dessen Anfanj? Papst Innocenz 111. den
Kreuzzuf? gefi:en die ketzerischen Alhicrenser im Südosten von Frank-
reich predigte und Ablass dat'iir ei tlieilte, dass dieselben durch Waffen-
gewalt entweder zum rechten (päpstlichen) Glauben zurückgebracht
*) Sich» lies Verfa-sRers Werk: „Über das Kecht der eigenen Über-
zeugung", Vorrede. Leipzig, 1869.
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— 211 —
oder Ton der Erde vertilgt wOrden. Und in der That strOmten die
Hordgesellen ans dem cbristliclien A1>eDdlande ansammen, nm die
eehOne Gelegenheit zn benutzen, ihre fianb- nnd Mordinst zu befrie-
digen nnd dabei zugleich der kirchlichen Gnadenerweianng theilhaflig
sn werden. In langflhiigen Kämpfen wurde das reiche Land w-
wüstet» nnd wnrde die Ketzerei ausgerottet — groBentheOs dadurch,
dass die BevQlkemng ausgemordet ward, so dass ein geislag steriler
Boden daselbst entstand und noch Jetzt derselbe hauptsächlich nur
fruchtbar ist an Wnndem nnd Aboglanben. Thomas aber erwähnt
nichts davon, dass ein so gewaltsames nnd mörderisches Veifthren
im Dienste des wahren Glanbens unbereditigt nnd nnchristlich sei,
während er gegen Mnharomed so sdiwere Vorwürfe erhebt nnd in
seiner Gewaltthitig^eit einen Hauptbeweis der UngOttiüchkeit seiner
Beligion erblickt! Man weiß femer, wie von da an die Inquisition
Gewaltmittel aller Art, Torturen und Scheiterhaufen zu Gunsten des
wahren Glaubens in Anwendung brachte — in officiell kirchlicher
Weise, nnd wie später so lange Zeit hindurch im 16. nnd 17. Jahr-
hundert wilde, zerstörende Religionskriege von Bekennern christlichen
Glanbens geführt wurden! Im 18. Jahriiundert endlich schien es
besser werden und eine humanere und darum christlichere Zeit an-
brechen zu sollen. Die Wissenschaft brachte bessere Erkenntnis der
Natur und Geschichte und bekämpfte Aberglauben und inhumane kirch-
liche Ansichten, Vorschriften und Bräuche, vertrat das natürliche
Becht des Menschen ancli der Kirchenherrschaft gegenüber und forderte
Gewissensfreiheit und Recht der eigenen Überzeugung. Darüber hatte
sich auch der moderne Staat herauszubilden begonnen, hatte sich von
kirchlicher und theologischer Beeinflussung mehr und mehr befreit
nnd sich so weit davon emancipirt, dass er sich nicht mehr dazu
hergab (wenigstens nicht mehr in dem ^laße wie früher), der Kirche
seine physischen Machtmittel zu Diensten zu stellen oder geradezu
derselben Henkersdienste zu leisten — wie sie fürtlrrte. Man konnte
die Hotl'nung liegen, dass auf diesem Wege fortgeseliritT(^n werde und,
wenn auch noch unter manchen Kämpfen, die Hunuinisirung und
wirkliclie Verchristlichung des Lebens der Völker gelingen werde.
Aber allmählich bereitete sich in diesem 19. Jahrhundert ein IJiiischl.ig
vor, der neuerdings zu alten, vielfacli barbariseh L'^earteten Ansichten
und Bräuchen, insbesondere zu dem, was man das pttsitive und recht-
gläubige Cliristenthum nannte, zuriickliilireii S(»llte. Seit der Wieder-
herstellunir des .lesuitenordens im zweiten Decennium dieses .Talirluindert.s
ward zunächst dieser Umschlag in der päpstlichen Klicke geplant und
16» .
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— 212 —
die Bettanration vorlmitet, welehe die modme Wisaenschaft aad
(Mliaation urrareOlmlicli bekämpfen und so weit als milglich w-
niobten sollte, nm an deren Stelle die alte Scholastik and die sogenannte
l^r^Ufth^ Civilisation zn setsen — wie der achtzigste Satz des be-
kannten päpstlichen Syllabns vom Jahze 1864 ea fordert. Wie im
17. Jahrhundert die Gegenreformation, 80 sollte nun gleichsam die
Gegencivilisation war Durchfiilining kommen. In Verfolgung dieser
Richtung trat nun auch die Forderung confessioneller Schulen an^
der Erhaltung derselben, wo sie noch bestehen, der WiedereinfUhmng,
vfo sie von confesaionslosen ersetzt waren oder sind. Die Spaltung
der Confessionen mnaa dadurch wieder verschärft^ die Abneigimg der
Bekenner derselben gegendnaader wieder hervorgerufen oder ge-
ateigert werden, das Gemeinsame derselben tritt dabei in den Hinter-
grund. Das Eigenthümliche, Unterscheidende und Trennende erhält
das Übei^ewicht und die gegenseitigen Vorurtheile erhalten neue
Nahmng und Verstärkung. Damit stehen aber noch andere Bestre-
bungen, die Spaltung und Feindschaft der Confessionen zu verschärfen,
in Verbindung — wie dies vor allem in Deutschland sehr entschieden
hervortritt. Alle Wissenschaften sollen uuninehr lür das katholische
V^olk streng confessionell bearbeitet und gelehrt werden, dem kirch-
lichen Standpunkt und der hierarchischen Tendenz gemäß — in strengem
Gegensatz gegen die moderne Wissenschaft, jreo^en die liberale Welt-
auffassung und insbesondere gegen den Protestant isiniis. So die Phi-
losophie, die Geschichte, die Literatur und Kunstges(;]iichte und selbst
die Naturwissenschaft, soweit es nur inmier möglich ist. In unserer
Zeit haben es besondere die Jesuiten unternommen, das katholische
Volk Deutschlands von der deutschen classischen Uteratur loszureißen
uud ihm dafür so weit als mni^licli mittelalterliche und allen&lls
romanische zuzuführen. So wurden bereits nacheinander Kant, Lessing
und Goethe von Jesuiten ])earbeitet, d. h. schlecht gemacht und der
Geringschätzung empfolilen, um von deren Kenntni.snahme abzuhalten
und das katholische Volk seiner eigenen classisciien Literatur zu ent-
fremden. Es ist also ein großer Plan, der all diesen Bestrebungen
zugrunde liegt, in dessen llealisirung die confessionellen Schulen
eme wichtige Stelle einnehmen. Sie dienen ja hauptsächlich dazu, die
Lostrennung des katholischen Volkes Deutschlands von ihren anders-
ffläuliigen Volksgenossen sowie vom nationalen geistigen Boden durch-
zulidiren und das so aus dem nationalen Grunde entwurzelte nach
kirchlichen und theilweise romanischen Tendenzen zu bearbeiten.
Und wenu an im deutscheu Volke nach küi'zerer oder längerer Zeit
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— 213 —
niclit XI einem nenen wilden Beligionskriege kommt, so sind daran
flieher nidit die Jesuiten sdiuld, deren Wiriraamkeit Tielmehr durch-
ans dazu geeignet ist, dahin zn fUum Die Orthodoxen der flhrigen
Oonfeesionen werden aelbstverstfiadlleh dnreh all das Vorgehen der
päpstlichen Hierarchie ebenfalls in Anfregung versetzt nnd sn schftrferer
Betonung ihrer Eigenthttmlichkeiten nnd ihres Gegensatzes gespornt,
und die gegenseitige Hetze mnss an Schftrfe mehr nnd mehr zu-
nehmen, wenn nicht rechtzeitig Gegenmaßregeln getroifen werden zur
ICQdemng, nm dem drohenden Unheil yorzubeogen.
Als Grfinde für die Forderung confesdoneller Schnlen pflegt man
anzuführen, dass dadurch dem religiösen Indifferentismns vorgebeugt
und der Eifer fOr öm, eigenen Glauben erhalten oder angefacht werden
solle; dann wol auch in pädagogischer Wendung, dass nur durch die
eoncreten eonftssionellen Lehren der Inhalt des Glaubens zum Ver-
stftndms und zu leibendigem Brikssen gebracht werden kOnne, nidii
durch die vagen Allgemeinheiten einer AUerweltsreUgion. Der Haupt-
grund dieser Forderung besteht aber sidier in der Einbildung, dass
man allein den wahren, rechten Glauben habe infolge besonderer
Bevorzugung von Seite Gottes, wfihrend die Bdcenner der ttbrigen
Religionen und Oonfeesionen von kiftglichen Wahngebüden erflUlt
seien und zum Theil sogar in verbrecherischer EmpOmng gegen Gott
die Wahrheit nicht annehmen wollen, obwol sie zu ihrer Kenntnis
gebracht wird und daher ohne Schuld nicht znrttckgewiesen werden
kOnna
Was nun den ersten Grund betrifft, die Furcht vor dem religifleen
Ihdifterentasmus nämlich, so mnss dabei von der Meinung ausgegangen
werden, dass nur dnrch Gegensätze, durch Irrthfimer und Wahngebilde
die Wahrheit lebendig weiden kflnne in den Menschen und dass ohne
die Gegensätze, ohne gegenseitige Besehuldigang des Irrthums, des
Wahns und der Ketzerei, sowie ohne gegenseitigen Hass und Anfein-
dung die Mensclien si( h nur gleichgiltig und lau gegen die religiöse
Wahrheit und deren Bethätigung im Cultns verhalten würden. Da
möchte man demnach wol ausrufen: Gottlob, dass es verschiedene
sich anfeindende Beiigionen gibt, Gott sei Dank, dass es insbesondere
innerhalb des Ohristenthums zn allerlei Ketzereien nnd Secten ge-
kommen ttty und dass sie fortbestehen — dass also der verschiedene
Glaube immer das Gnindgebot des Christenthunis, die Nächstenliebe,
tödtet und so oft wilder Hass und fanatische Verfolgung zum Aus-
brnch kommen; der christliche Glaube müsste ja ohne dies längst
ganz erlahmt oder erloschen seinl Die katholische Kii'che insbesondere
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— 214 —
rnnsB ja demgemäß Oott nnablflssig um Gegensfttae und Seeten bitten,
damit der Glaabe in ihr lebendig bleibe; denn wttrde sie allein-
herrschend, gäbe es keine Andersgläubigen, keine Ketser und Seeten,
dann fehlte die Yeranlassong oder Qelegenheit, in Eifisr f&r den
eigenen Glanben za. entbrennen and den Iirthnm zn yerabschenen nnd
za fliehen resp. die Bekenner eines anderen Glaubens wie die Pest sa
meiden nnd sich selbst als Besitzer des währen Glaubens zu benedeien!
Es mochte dagegen allerdings Angewendet werden, dass nicht die
Gleichheit des Glaubens den Indifferentismus fordere und an sich
auch nicht die Verschiedenheit des Glaubens, sondern das Zusammen-
leben und das vereinte Streben der Bekenner Terschiedenen Glaubens,
wie es in der confessionslosen Schule den Kindern auferlegt wird.
Der Indifferatismus wei'de dadurch gefördert, dass daselbst kein Unter-
schied des Glaubens gemacht werde und die Bekenner der Wahriieit
.nicht mehr nnd nicht weniger gelten als die Bekenner des Irrthums, so
dass die Meinung entstehen müsse, es sei gleichgiltig, ob man diesen
oder jenen Glauben bekenne, da doch die Berechtigung aller die
gleiche sei Damit allerdings ist der wahre, tie&te Grund der For-
derung der confessionellen Schulen angegeben, die Unduldsamkeit
gegen Andersgläubige, der Dünkel, allein den einzig wahren, gott-
gefälligen Glauben zu besitzen und deshalb auch allein vollberechtigt
zu sein in der Welt und im Staate. Die eigene werte Meinung
wird für so wichtig und alleinberechtigt gehalten, dass alle anders-
denkenden Mitmenschen dem gegenüber für rechtlos, ja iär Verbrecher
gehalten werden, weil sie auch sell)stständi^ urtheilen und glauben
wollen gegenüber diesen Rechtgläubigen, die auch nur Menschen sind
mit menschlichem Urtheil wie sie selbst. Ein Anspruch, der um so
anmaßliclier und unberechtigter, ja empörend erscheint, wenn man
noch iu Betracht zieht, dass nach der Behauptung der Rechtgläubigen
selber dieser Glaube nicht einmal aus Vernunft und Urtheil entspringt,
sondern hauptsächlich Sache des (subjectiven) Willens sei — so dass
demnach den Andersgläubigen geradezu Unterwerfung unter die
Willeusentscheidung ihrer Mitmenschen zugemuthet wird, die nicht
einmal ihre Vernunft frebrauchen, um ihren Glauben zu begründen. —
Wenn außer diesem Hauptgrunde der Forderung der schrolfen Schei-
dung der Coiifessioneii auch noch zur weiteren Beo:ründung derselben
behauptet wird, dass durcli die eigenartigen confessionellen T.eliren
und die formulirten Glaubenssätze die Religion klarer und bestimmter,
daher fassliclier den p:läiibigen Kiuderseelen mitgetheilt, den Gemüthern
eingeprägt and darin lebendig erhalten werden könne, so verdient
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diese Behauptung kaum eine nähere Würdigung oder Widerlegung*
Die confessionellen Streitigkeiten mit ihren spitzfindigen Erörtenmgen
und lieblosen Beschuldigungen nützen der wirklichen Religion 80
wenig, dass sie der Religiosität und echten Frömmigkeit stets nur
Schaden bringen, nnd die formulirten Dogmen zeichnen sich keinfiB-
wegs durch sogenannte Concretheit und leichte Fasslichkeit aus, sind
vielmehr sehr abstracter Natur und den Kindern wie dem Volke
gröfitentheils so unverständlich, dass sie unverstandene Worte bleiben,
die nur aus Gehorsam angenommen und wie eine im Grande nutzlose
Büi'de getragen werden. Die einfachen, klaren religiös-sittlichen Lehren,
Vorschriften und Ermahnungen, wie sie die Evangelien enthalten,
sind viel concreter und verstiindlicher, wie bedeutungsvoller und nütz-
licher als alle theologisch ausgebildeten, unter heftij^eü Streitigkeiten
durch Stimmenmehrheit fest (gestellten Glaubenssatzungen. Und da sie
von Christus selbst stammen, werden sie wol auch christlich sein,
ja das wirkliche Christenthnm enthalten, nicht etwa den Indifiereutis-
raus fordern, wenn die Schule selbst sich auf sie als das Gemeinsame
der christlichen Confessionen beschränkt. Sollte denn Christas selbst
ein religiöser Indift'ereutist gewesen sein?
Die confessionelle Hetzerei der neuesten Zeit verlangt vom Staate,
dass er an diesem Bestreben, die religiösen Gefrensätze wieder zu
schärfen, die allmählich gewonnene tolerantei-e Gesinnung wieder zu
tilgen und die Andersgläubigen zu eigenen Gunsten zu unterdrücken
und ihrer Gleichberechtigung zu berauben, Antheil nehme. Der Staat
soll dazu mitwirken, dass bei seinen Bürgern durch Neubelebung con-
fessioneller Scheidung und dadurch veranlasster gegenseiti«2:er Ab-
neigung und Anfeindung der innere Friede gestört und seine Kinheit
und innere Harmonie zu Gunsten einer Partei vernichtet und er
selbst dadurch in seinem Bestand geschwächt, in seinem Gedeihen
gehindert werde. So beruft sich die päpstliche Kirche auf ihre un-
mittelbar göttliche Gründung und auf ihre höhere, übernatürliche
Aufgabe dem Staate gegenüber, um diesen zu bestinunen, sich ihr
unterzuordnen. Aber andere Confessionen berufen sich auch auf solche
Stiftung und übernatürliche AufV^aben und haben als Menschen mit
gleicher Vernunft und gleichem staatshürjrerlichen Rechte ebensosehr
die Beftignis, sich darauf zu l)erufen und zu verlangen, dass nicht
die einen Staatsbürger vor den anderen privilegirt werden. Wollte der
Staat all diesen Anforderungen entsprechen, so müsste er, statt die
Einheit und Einigkeit der Staatsbürger zu begründen und zu erhalten,
vielmehr eine Anstalt zur gegenseitigen Unterdrückung und Zer-
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— 216 —
fleischong der confessionell getrennten Staatsbürger werden. Die
Majorität, die physische Macht würde zuletzt entscheiden, welche
Partei privüegirt sein und die übrigen Confessionen unterdrücken soLL
Stünde diese sahlreichere Partei noch dazu unter einem answärtigen
Oberhaupte, so würden nicht blos die übrigen Staatsbürger, sondern
der Staat selbst seine Selbstständigkeit verlieren und zum Werkzeug
dieses äußeren Oberhauptes herabsinken. Dazu wird sich der moderne
Staat nicht verstehen, wenn er sich selbst behaupten und seine wahre
Aufgabe erfüllen will. Über religiöse Wahrheiten zu urtheilen, liegt
nicht im Vermögen und in der Aufgabe des Staates*), da er eine
irdische Organij^ation des Volkes mit irdischer, natürlicher Aufgabe
ist, nicht direct das Überirdische oder IJberuatürliche erstreben oder
gewähren will, wie die Religionen oder Kirchen. Aber das Natürliche
hat er eiitscliieden zu vertreten und zu fördern, das natürliche Menschen-
recht hat er zu f^ewähren und zu schützen, die natürlichen Menschen-
kräfte liat ei- nach allen Beziehung-on zu entwickeln und zum Wole
des Einzelnen und des CTanzen nützlich zu machen, insbesondere auch
alle fjeistiire Kraftbildunp und Bethätigung in Kunst und Wissenschaft
muss er fördern. In der ErfüUuncr dieser AufgHl)e darf sich der
Staat durch keine kirchliche Forderung, etwa um übernatürlicher
Zwecke willen oder aus übernatürlicher Vollmacht und daraus ge-
zogenen Consequenzen oder Rechten stören oder hindern lassen. Denn
wenn das natürliche Recht und die übernatürliche Forderung oder
Vollmacht in Ge^^ensatz kommen oder zu kommen scheinen, ist nicht
das natürliche Recht zu unterdrücken zu Gunsten der sufjenannten
übernatürlichen Forderung, sondern umgekehrt, diese übernatürliche
Forderung ist zurin kzuweisen als eine unberechtigte, die sich nur
fälschlich als eine göttliche geltend machen will. Es gibt Fälle, wo
dies that.sächlich geschieht und von Kirclienautoritäten selbst zu-
gestanden wird. Es ist z. B. eine Gi undlehre der christlichen Kirche,
dass die Taufe unbedingt noth wendig sei nicht blos als Aufnahmsact
in die Kirchengenn inscliaft. sondern auch zur Erlan<:ung ewiger Se-
ligkeit, da sie von der Schuld und iSlrafe der Erbsünde und auch der
übrigen Sünden befreie. Nun behauptet die Kirche als ihre Aufgabe,
den Menschen im Unterschiede von dem Staate nicht zum irdischen
Wolsein, sondern zur ewigen Seligkeit zu führen, und sie gründet
auf diese behauptete göttliche Vollmacht und übernatürliche Aufgabe
ihre Herrschaltsansprüche in der Welt und ihi'e Behauptung der Ober-
*) Hievfiber: „Das Hecht der cigenca Überzeugung' . Leipzig, 1869.
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— 217 —
hoheit iilier den Staat, derziifolge dieser vei-ptiichtet sein soll, der
Kirche volle Freilieit zu gestatten und zur Durchführung all ihrer
Anordnungen und Ansprüche behiltlicli zu sein. Da nun durch die
Taute die Menschennatur als vollkommen gereinigt angenommen wird
und die Getauften also, wenn sie unmittelbar nach der Taufe sterben,
unfehlbar die ewige Seligkeit, das eigentliche, wahre Ziel des Menschen-
daseins, erreichen müssen (im Glauben der Kirche), so läge nicht,s
näher, als die Consequenz zu ziehen, dass es für Erfüllung der Auf-
gabe der Kirche kein sichereres Mittel gäbe, als die so durch Taufe
Gereinigten unmittelbar darauf zu tödten. Hat die Kirche das Recht,
nach ihrer übernatürlichen, direct göttlichen Vollmacht alles anzu-
ordnen, was zur Ertüllung ihrer Aufgabe noth wendig oder dienlich
ist, so muss sie auch diese B^rderung stellen düi fen und ihr gehorcht
werden müssen, da es sich um das ewige Schicksal des Menschen
dabei handelt, nicht blos um das kurze zeitliche Leben. Dennoch zieht
sie diese Consequenz nicht und uuterlässt diese Forderung, lässt also
die Getauften leben und allen Gefahren des Lebens für ihr Seelenheil
preisgegeben sein, wodurch so viele Millionen (wieder im Glauben der
Kirchlichen) ewig zugrunde gehen, d. h. der ewigen Seligkeit ver-
lustig gehen, deren theilhaftig zu machen die Kirche als ihre Auf-
gabe bezeichnet. Sie wagt es also nicht, trotz dieser höchsten, ent-
scheidenden übernatürlichen Aufgabe, die letzte Conseciuenz zu ziehen
und das natürliche Mensclienreclit, das Recht auf das Leben, anzu-
greifen. Und ihäte sie es, der Staat würde nimmermehr zugeben,
dass diese Art Menschenopfer im Namen der Religion oder des über-
natürlichen göttlichen Rechtes eingeführt würde — trotz des von der
Kirche behaupteten ewigen Verderbens so vieler Millionen selbst der
Getauften. Wie mit dem natürlichen Rechte des leiblichen Lebens, so
verhSlt 68 sich auch mit dem des geistigen. Wie die Kirche kein
Becht bat, infolge ihrer behaupteten ttbematfirlichen, direct gött-
lichen Vollmacht das leibliche Leben des Mensehen zn gefährden oder
m aeralOren, so aaeh hat sie kdn Seeht, das geistige Leben an
hemmen oder zn ertOdten, nm etwa ihre fibemattirlicfae Anliafabe am
Bo leichter m erflUlen und das Ziel ihrer Wirksamkeit, die ewige
Glflckseligkeit, nm so sicherer und allgemeiner zu erreichen. Man wird
ngeben, dass sie nicht berechtigt wäre und ihr nicht gestattet werden
konnte trotz aller flbematiirlichen Vollmacht» die Getaniten nnmittel-
bsr nach der Taufe geistig so zn Ubmen oder an verstfimmeln (wenn
sie konnte), dass dieselben blödsinnig würden für slles folgende Leben
and dadnrch allen Ge&hren för das Sedeoheil, aller Verantwortlich-
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keit für ihr Thun und Lassen entrückt würden iinrl so des ewigen
Heiles sicher wären. Wie aber die geistige Kraft und Gesundheit
nicht zerstört werden darf für dieses Leben, um die Seligkeit in einem
anderen, d. b. im ewigen zu sicliern, so auch darf diese Kraft des
Menschen, die Vernunft und Freiheit in ihrer Bethätigung, in ihrer
Entwickehmg und Bildunf^ nicht gehindert, nicht gelähmt oder in
Unbildung erhalten werden, um den (Tkuben zu sichern durch Geistes-
unthätigkeit und ünbilclun<,'^, um das ewi^e Heil um so sicherer zu
erzielen. Und dies gilt vom Einzelnen, wie von den Völkern und der
Menschheit überhaupt; auch hierin darf der Staat der Forderung und
dem Streben der Kirchen nicht nachgeben, auch wenn sie noch so
dringend ist und noch so sehr direi t g(iti liehe Anordnung und über-
natürliche Vollmacht geltend gemacht werden will. — Dagegen in
Bezug auf den Glauben selbst hat der moderne Staat volle Freiheit
innerhalb der Schranken des natürlichen Rechtes (und der positiven
Gesetze) zu gewähren. Er hat seiner Natur und Aufgabe gemäß kein
Recht, seinen Hiirji^ern den religiösen Glauben vorzuschreiben, und
ebensowenig ein Recht, den Glauben der Einen seiner Bürger den
anderen gegenüber als privilegirt zu betrachten und zu bebandeln.
Eine Staatskirche oder -Religion hat vollends keine Berechtigung mehr
anter unseren Culturverhältnissen. Wo eine solche besteht und auf-
recht erhalten wird, muss stets Mher oder später ein ungesundes
geistiges Leben, eine Abnormität in diesem eintreten, insofern doch
Datorgemäft ein Tbdl des Volkes, der strebsamere nnd begabtere,
fortschreitet weit Aber den geistigen Bildongsstand der großen Masse
hinaus nnd daher nieht alle religiösen Vorstellnngen nnd Branche
dieser ungebildeten Masse des Volkes annehmen oder glftnhig fest-
halten nnd üben kann. Ist die Beligion Staatsreligion, so mnss die
Staatsgewalt zu Gunsten des Glanbens der nngebildeten nnd Uind-
glAnbigen Masse die geistige Entwiekelnng, Wissensehaft nnd Cnltnr
hemmen, rnnüts gegen den gebildeteren Tbeil seiner BUrgei* gewaltsam ein-
schreiten nnd sie nöthigen, wenigstens änflerlich anf dem niedrigeren
Gnltnrstand des Volkes zn Ueiben nnd Gläubigkeit zu heucheln. Man
weiß, dass dies nicht blos die Hanptursache des LidüTerentismns und
Widerwillens einer groiten Mehrheit der Gebildeten gegen die Beligion
Oberhaupt ist, sondern auch zur Ironie nnd Verachtung, zum Theil
zum Ingrimm gegen dieselbe führt und am meisten zum Skeptidsmns
und YoUständigen Unglauben Veranlassung gibt Hat dieses ungebildete
Volk durch Aus&bung politischer Rechte auch noch maßgebenden
Einfluss auf die Staatsregierung, auch in geistiger Beziehung, so dass
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— 219 —
sie ihrem Cult Urzustand und ihrem Unverstände gemäß darauf ein-
wirken kann, dann muss Stillstand und Rückgang in Wissenschaft
und Bildung eintreten. Damit wird der Weg betreten, der zur Bar-
barei allmählich wieder zurückführt. Es ist selbstverständlich, dass
dies geschehen muss, wenn nicht die Gebildeten, sondern die ein-
gebildeten, von Vorurtheilen und Unwissenheit beherrschten Massen in
diesem Gebiete maßgebend sind. — Bei aller Freiheit des religiösen
Glaubens, die der Staat innerhalb der Schranken des natürlichen
Rechtes (und der positiven Gesetze) zu gewähren hat, soll er aber
das Gemeinsame des religiösen Glaubens, das Peinigende desselben dem
Trennenden, Confessiouelleu gegenüber im Interesse des Friedens und
Gedeihens des Ganzen zu fördern suchen und dabei insbesondere Ge-
rechtigkeit und Sittliclikeit überliaupt betonen, was ja auch das Wesen
des Christenthums, die Übung der Nächstenliebe, am meisten fördert,
mehr als es durch die religiösen Glauliensgegensätze und confessionelleu
Zänkereien und Anfeindungen geschieht
Und hier ist dann die Stelle, wo der moderne Lehrerstaud ein-
zugreifen hat, um zugleich Religion, Sittlichkeit, Cultur und Staats-
wol zu fördern. Zunäclist ist es selbstverständlich seine Aufgabe,
die Bildung des Volkes überhaupt zu heben und soviel als möglich
mit der fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnis in Einklang
za bringen — nicht blos das Lesen und Schreiben zn lehren, das be-
kanntlich auch zur Erhaltung und Förderung des Aberglaubens und
des blinden Fanatisrnss Terwendet werdra kann. Durch diese Hebung
der Volksbildmig soll verhindert werden, dass die Kluft zwischen den
hoher gebildeten Classen des Volkes und der Yolksmasse nicht gar
za groß werde, die Entfremdung beider in geistiger Beziehung
Uftßigung erfahre, und dass zngleidi das ganze Volk Antheil erhalte
an den Errungenschaften der modernen Wissenschaft und Ginlisation.
Allerdings gab es anch im Mittelalter emen schroffen Unterschied
zwischen Ungebildeten und Gebildeten, welch letztere ftst ausschliefi-
lich Jahrhunderte hindurch die Cleriker waren. Aber eine schroffe
Kluft und Entfremdung zwisdien beiden konnte sich doch nicht bilden,
weil beide im Glanben YoUstfindig flbereinstimmten, die Cleriker die
Beherrscher des Volkes waren und an Bildung immerhin nicht sehr
hoch über ihm standen; anfierdem solche, die Uber das gewöhnliche
Glanben und Wissen hinausgingen, alsbald ausgestoßen und mit Gewalt
Yeradcfatet wurden. Dies ist aber nun doch nicht mehr möglich, selbst
nicht in Staaten mit voUstflndig katholischer Bevölkerung — wenn
anch vielÜMsh das Streben sich bemerkbar macht» die Begierungen
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wieder zum Werkzeug der lnt]uisition zu machen. Da man nun
Wissenscliaft und Bildung in ihrem Furt.schreiten doch kaum mehr
wird zu hemmen vermö^j^en, so h]e\ht nichts übrij^ als die Hebung"
des Volkes selbst auf eine höhere Stufe der Bildung, um es den ge-
bildeten Classen anzunähern — wie allmälilich auch dieses nur ge-
schehen kann. — Eine besonders wicht i<re Aufgabe für die Schule ist
es, im Zusammenhang mit der allgemeinen und der religiösen Bildunsr
den Rechtiisinn zu wecken und auszubilden, um dem Volke die Gleich-
berechtigung der Mitmenschen zum khuen Bewusstsein zu bringen
und zur Anerkennung im praktischen Verhalten den Mitbürgern gegen-
über. Dadurch wird insbesondere bei dem blindglänbigen Volke dem
so gefahrlichen fanatischen Dunkel entgegengewirkt, allein die Wahr-
heit in Besitz zu haben, und zwar in dem Grade, dass die Anders-
gläubigen nicht blos als Unglückliche, sondern geradezu als Ver-
brecher, als p]mpörer gegen Gott selbst angesehen werden, — blos
weil ihr Urtheil anders lautet in Sachen des Glaubens. Es braucht
nicht zum IndifFerentismus angeleitet zu werden, d. h. zur Annahme,
dass jede Glaubensüberzeugung gleich oder gleichgiltig sei, sondern
nur dazu, den Glauben des anderen auch zu respectiren, nicht weil
man ihn für gerade so gut und wahr zu halten habe wie den eigenen,
sondern weil der Nächste und Mitbürger ebensoviel Hecht hat aut
eigene Überzeugung, und also zwar durch theoretische Gründe oder
durch besseres praktisches Verhalten belehrt werden mag, ohne dass
sein Recht eine grobe \'erletzung erfahrt, nie aber irgendwie geschä-
digt oder verfolgt werden darf um seines Glaubens willen, — wofern
derselbe nicht das natürliche Recht der Sittlichkeit verletzt oder das
Wol der Gesammtheit beeinträchtigt. In dieser Weise wird die Re-
ligion und zugleich die Sittlichkeit veredelt, und wird dem Gmnd-
gebote des Christenthums selbst, dem Gebote der Nächstenliebe ent-
sprochen. — Aber auch die Vernunft selbst, deren Ausbildung ja
Aufgabe der Schule ist und zu deren Gebrauch diese die Jugend und
damit das Tolk selbst immer mehr anleiten soll, — diese Tomonft
selbst soll auch fOr das Glanbensgebiet immer mehr gebildet und nr-
tiieilsföhig gemacht werden — nicht im Dienste oder anf dem ein-
seitigen Standpunkte der Confesdonen, sondern in allgemeiner Weise
nnd fttr den allgemein religiösen nnd gemeinsam christlichen Stand-*
pnnkt Es gibt innerhalb der christlichen Kirche, in der Theologie
zwei Grundsätze, die von jeher in der Kirche galten und beide wenig-
stens theoretisch noch anerkannt werden. Der eine Grundsatz lautet:
»Ich gianbe, damit ich erkenne oder einsehe" (credo nt inteUigam), der
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andere: „lofa erkenne (forsche), damit ich glaube*' (intelligo nt credam)*).
Jener ist das Fondament der sogenannten positiven Theologie, dto
vom Glanben anageht und denselben nnr sn erkUmn sacht, dieser ist
der feste Stsndpnnkt, aof den die menschliche Vemnnft nnd Wissen-
schaft sidi stdlt, um ihr Becht sn behaupten nnd sich im Interesse
der eigenen Entwickelung und Veryoilkommnung ebenso, ^e in dem
der Wahrheit zu bethätigen. Beide Grandsfttse werden, wie bemerkt,
wenigstens theoretisch auch kircblicherseits anerkannt, auch der zweite,
wenn er auch praktisch nicht wirklich zur Geltung gebracht werden
darf bei den verschiedenen positiven Religionen und Glaubensautori-
täten. Würde man diesem nämlieb theoretische Anerkennung versagen,
so hieße das so viel, als dass man auf alle Vernünftigkeit, auf alles
Becht und alles menschliche Urtheil im Glaubensgebiete verzichte und
sich wie vernunftlose Wesen verhalten wolle, preisgegeben dem Zu-
fall, der Täuschung oder der Willkür und Gewalt, oder endlich irgend
einem Zauberspnk. Dies will man abei- doch auch kircblicherseits
nicht, wenn man auch nicht vollen Ernst mit diesem intellitro ut
credam machen will, sondern sich an das credo ut intelligani hiilt und
deshalb auch stets auf demselben Punkte stehen bleiben will, dadurch
auch jede Einigung im Gebiete der Religion unmöglich macht. Wenn
aber diesen Grundsatz die positive Theologie praktisch im Grunde
genommen allein geltend macht, so ist es Sache der Wissenschaft und
der Schulen durch alle Stufen hindurch, von der höchsten bis zur
untersten, sich auf das intelligo ut credam zu stellen und aiicli im
Glaubensgebiet den Menschen als vernünfti^res, urtheilendes, nicht als
vernunftloses Wesen geltend zu machen. Es giiindet sich darauf
ebenso das Recht und die Freiheit der Forscl)uiig und Wissenschaft,
wie das Recht des Lehrers, auch im Gebiete der Religion, des religiösen
Glaubens zum Gebrauche der Vernunft anzuleiten und mehr und mehr
auch das Volk urtheilsfahig hierin zu machen. Dazu ist die con-
fessionslose Schule noth wendig, welche die Religion keineswegs aus-
schließt, aber sich auf das Wichtigste und Gemeinsame in diesem Ge-
liiete beschränkt, auf das, was hierin vor allem noththut, dadurch
die Gemütlier der Kinder und des Volkes von gegenseitigen Vor-
urtheilen und Gehässigkeiten befreit und zum l^'iieden führt, so djiss
vor allem die Erfüllung des cliristlichen (iiundgebotes der Nächsten-
liebe Förderung findet Dadurch wii*d sicher weit mein* vermieden,
•) Ver£!:kithe hicTÜbcr des Verlassers Schritt: „über die religiösen und
kircheupolitischen Fragen der Gegenwart." Elberfeld, 1875. 8. 193 ff.
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dasB die Schule „ohne Gott** sei, ab durch Schflmiig confessioneller
Qehftasigkeit und Anleitong za der UeUoeen Intoleranz, die man jetzt
BO fiuiatisch in Anftehming bringen will — nicht bedenkend, dass
dadurch die Beligion, die doch znm Segen der Menschheit gereichen
soll, wiedenim, wie in vergangenen Zeiten, vielmehr eine furchtbare
Geißel für die Völker und ein Tummelplatz fOr das Toben aller
Leidenschaften werden muss.
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Zur Fra^e des (iriechischen iu Ungarn.
Von Prof. Dr. J. K.va/C9ala-Frts»hurg.
Die lebliafte Bewegung, die sich schon seit längerer Zeit in der
pädagogiechen Welt ?e?en den Unterricht der classischen Sprachen
geltend machte, ließ auch Ungarn nicht unberührt. Das Frary'sche
Bach, das die Erfolglosigkeit der lateinischen Studien auf den Gym-
nasien schildert und erklärt, ließ der selige verdienstvolle Minister
Trefort selbst ins Ungarische übersetzen ; die Bede, welche vor zwei Jahren
beim Schlüsse des Schuljahres in der Sorbonne der damalige Unter-
richtsminister Lockroy gehalten und die sich in ihrer Spitze gegen den
Unterricht der classischen Sprachen, als einen erfolglosen, wendet,
wurde in einer Fachzeitung veröflfentliclit und die Veröflfentlichung
mit einer lebhaften Erörterung begleitet. Neben diesen von außen
kommenden Anregungen haben auch die einheimischen Schnlyerh<-
nisse der Bewegung nachhaltige Nahrung gegeben.
Die einst sechsclassigen Realschulen haben schon seit langer Zeit
einen ('urs von acht Jaliren erlialten; in ihrer Einrichtung, Stunden-
zahl, in der wissenschaftlichen Bildung der Lehrkräfte sind sie auf
das Niveau gestellt worden, auf welchem die Gymnasien stehen.
I)ennoch hat das Mittelschulgesetz von 1888, das ausdrücklich zweier-
lei Mittelschulen, das Gymnasium und die Realschule creirt, den
früheren Standpunkt festgehalten, indem es ausgesprochen, das Reife-
zeugnis vom Gvnmasium befähige sowol zu der Universität wie zum
Polytechnicum, dasjenige der Realschule nur zum Polytechnicum. —
Es ist nur zu klar, dass diese Sachlage zum Ruin der Realschulen
hinführen wird. Warum soll jemand auf die Schule gehen, dereu
Zeugnis ihm nicht den Zugang zu allen L('bensl)ahnen eruttnet, da er
doch mit demselben Kraftaufwand im (iyiiinasiiini seine Studien derart
führen kann, dass er in alle höheren Lehranstalten aufgenommen
wird? Es war daher ganz gerecht, wenn im vorigen Jahre der Pro-
fessor am Polyteclinicum E. Jonas die Forderung als wünschenswert
hingestellt hat: der Parität wegen sollte man von den Maturanten
eines Gymnasiums, wenn sie auf das Polytechnicum wollen, eine Nach-
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prflfnng aus der dAntellenden Qeometrie verlangen. Diee betrachtet
er nicht als eine endgiltige, principieUe LOsnng der Mittelscbnlfirageb
nnr als ein Bettongsmittel für die Bealschnle, deren Existenz das
erwfihnte Gesetz von 1883 ernst bedrohe. In dem Falle, wenn anch
die gymnasialen Studien einer Eigftnznng bedOite, nnd erkannt wird,
dass weder das Gymnasium, noch die Bealschnle an sich genfigen,
wird anch wachgerufen die Nothwendigkeit einer einheitlichen Mittel-
schnle, deren Stelle das Gymnasium jetzt einseitig yertritt So ist die
einheitliche Mittelschule, auch durch Gesichtspunkte der Untenichts-
politik, als eine Nothwendigkeit hingestellt worden.
Der Tcrblichene Minister Tr6fort hat wol den Lateinuntenicht
auf der Realschule und zwar in den höheren Classen ÜMmltatiT ein-
geführt, so dass man nach Schluss der acht Realclassen, wenn man
den lateinischen Curs mitgemacht, auf die Universität zugelassen wird.
Allein wie nnyollkommen diese Maßregel die Gleichheit der yon beiden
Schalen erreichten BefHlii{^ngen herstellt, erhellt daraus, dass a) nur
die guten Schültr an diesem facultativen Unterricht tiieilnehmen
dürfen, b) dass die Theilnehmenden einen schweren Gegenstand mehr
haben als die übrit^en, was doch der öffentlichen Leitung einer Schule
nur zum Nachtheile dienen kann. — Diese Maßregel kann also fUr
kurze Zeit als Aushilfe manche gute Dienste leisten (neben manchen
schlechten); dass sie aber den Wunsch nach der einheitlichen Mittel-
schule nicht zu unterdrücken vermochte, ist nur zu klar.
Die Idee der einheitlichen Mittelschule hat den neuen Unter-
richtsminister zu dem Vorsatz geführt, vor allem an dem Lehrplane
des Gymnasiums die weitgreifende Änderung in Aussicht zu stellen,
dass das Griechische aus den Gegenständen desselben gestrichen werde.
Eine Erklärung dieses Sinnes hat der Minister iu der diesjährigen
Budgetdebatte abgegeben und selbe schien von den Abgeordneten mit
Beifall aufgenommen worden zu sein. Es ist nur zu klar, dass dieser
^clnitt. wenn er wirklich voUf&brt wiid, ein Schritt zui' Einheits-
schule sein wird.
Dass dii^ Einheitsschule besonders vom Standpunkte der Lage der
RealscIuiUii aus nöthig ist, haben wir oben gezeigt. Dass sie auch
ein i)ä(iagogisches Erfordernis bildet, ist nicht schwer zu beweisen,
wenn man darauf denkt, wie .schwer, ja oft unmöglich es ist, gleich
beim Anfang des Studirens eine l^frufswahl zu tretien, und wie man
die ZTi^^linge in den zu Fachstudien vorbereitenden Schulen so unter-
richten könne, dass ihren erst später zum Vorschein irelaugeuden An-
lagen und i: ähigkeiteu kein Weg vei'schlossen bleibe.
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— 225 —
Allein in Ungarn scheint die geplante Vereinigung des Gymnft>
sinms mit den Kealschulen keine eigentlictie Einheitsschule sdiaff'en
zn können. Es bestehen noch die sechsclassigen Btirgerschuien diedL-
schulen), nicht auf Gesetz, sondern nur auf eine ministerielle Ver^
Ordnung begründet. In welches Verhältnis dieselben mit den neuen
Mittelschulen zu briüf;ren sind, darüber iiabe ich noch keine Stimme
vernomnien, ich enthalte mich auch, mich darüber zu äußern.
Viel wichtiger ist die Frage der griechischen Sprache. Die
öffentliche Meinung ist mit der Ausschließung der griechischen Spi ache
einverstanden, den leitenden Kreisen kann aber die Tragweite dieses
Schrittes nicht verschlossen bleiben. Was das Studium des Griechischen
in der Büdungsgeschichte der Menschheit bedeute, das kann keinem
Historiker ein Geheimnis sein. Soll nun diese (Quelle der Bildung der
ungarischen Jugend und dadurch der nationalen Cultur entzogen
werden? Man sagt allerdings, dass die Maßre^^el nur das Studium
der Sprachlehre tretle, dass man sich desto mehr mit der griechischen
Literatur und Geschichte befassen solle, allein wie hohl klingt diis
Wort Literatur ohne die Kenntnis der Si)rache! Wie fehlen da für
das Gedächtnis und die Apperception die Anknüpfungspunkte, wie ver-
lieren die Kunstwerke selbst durch die Übersetzung! Fernei-: das
Lateinische soll ein obligater Gegenstand bleiben; wie kann aber das
Studium dieser Sprache blühen, wenn das Griechische unbekannt bleiben
soll? Und wenn es von den Lehrcandidaten gefordert werden wird, so
muss denselben Gelegenheit geboten werden, sich darin auszubilden.
So hat die Frage, inwiefern das Griechische ausgeschlossen oder
beibelialten werden soll, eine lebhafte Erörterung gefunden. Wir wollen
hier nur kurz der Polemik gedenken, die der Abgeordnete und nam-
hafte Gelehrte Julius Schwanz in den Spalten des „Pesti Hirlap"
Ende Juli des vorigen Jahres hervorgerufen hat, weil derselbe ein
einflussreicher Abgeordneter ist und den Intentionen der Regierung
nahe steht. Er findet, das griechische Studium sei eine unnütze Über-
bürdung der Mehrheit der Studirenden; die von den philologischen
Pädagogen betonte geistige Gymnastik sei im allgemeinen eine leere
Phrase, die nur in Bezug auf die ausgezeichneten Zöglinge Sinn habe.
Dennoch sei das Studium der grieehischoiL Bj^aewsh» Toa dem Qesieht»-
punkte der nationalen Cnltor infittrsfe widitig und dessen gSosIielie
Vernachlässigung unTerantworÜich. Er sehUgt deshalb Ar die größeren
Stidte wiueittehaftliehe Gymoasieii yor, deren Schiller zn Gelehrten
herangehildet werden nnd eine Befilhignng znm Besnche der ans-
Undiscben üniversitftten erhalten sollen.
PKiU«ogi«B. U.M1V. Halt IV. 17
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— 226 —
Zu diesem Artikel haben gleich darauf fünf Schulmänner ihre
Anschauungen eingesendet und manches Unklare und Unvollständige,
was dem iSchwartzschen Artikel anliaftet, augegriffen; zugleich sind
sie mit ihren Propositi^nen lieivorgetreten, von denen aber keine
einer besonderen Würdigung wei-t erscheint. Am aulfallendsten war
nur, dass niemand sicli dand» aufgehalten, dass diese wissenschaftlichen
Gymnasien „Gelehrte'* hei auzubilden haben; denn wie nebelhaft und
uncorrect dieser Ausdruck bei einer Schulorgauisatiunsfiage, also
Lebensfrage, ist, braucht kaum des nähereu dargelegt zu werden.
Auf Grund dieser fünf polemischen Artikel hat J. Schwartz in
einem Schlussai tikel seine Ansichten viel klarer ausge])rägt. Er stellt
sich auf den Standpunkt der einheitlichen Mittelschule, die das
Griechische, weil es gar zu schwer ist und die Jugend unnützerweise
überbiirdet, ausschließt; dennoch soll das Griechische nicht völlig ver-
bannt werden, und es sollen nicht einmal besondere, die Einheit der
Mittelschulen störende Anstalten znr Cultivirung des Griechischen er^
richtet werden, — dazn genüge die folgende Einrichtung: Die vier
unteren Glassen der einheitlichoi Mittelscbnlen sollen überall gleich
sein, mit dem Lateinischea als einem obligaten Gegenstand; die
Tier oberen eboifolls; nur in den grOfieren Städten wird für die
Tier höheren Classen ein Parallelears errichtet, „wissenecfaaftliches
Oymnasittm^ genannt, der eine Gelegenheit znr Erlernnng des Griechin
sehen bieten 'wird, indem es als obligater Gegenstand in den Lehr-
plan aufgenommen wird. Überhanpt ist die Anfgabe diesee ParaUel-
corses, „wissenschaftUcbee Gymnasium** genannt, keine geringe; es
werden nur gnte Zöglinge aufgenommen, sie werden aber neben all
dem, was die fibrigen zn lernen haben, noch erhalten: das Grieehiscfae
nnd zwar ganz ernst, wie in d«i fibrigen Sdralen Europas, im Latei-
nischen zwd Standen wöchentlich mehr als die fibrigen; ferner, die
in der Phyaik nnd Natorwissenschaften anegeseichnet sind, in der YII.
und VHL dasse auch noch in diesen Gegenständen um dnige Stunden
mehr. Welchen Wert das Zeugnis Ton dieser Anstalt für das weitere
Studium eines giflddichen Schfllers des wiasenaehaftlichen Gymnasiums
haben soll, daröber fMeaa positive Anhaltspunkte in der DarsteUnng
des Herrn Schwarte Da die Mittebchnle einheitlich wird, werden auf
den juristischen und medicinischen Faeultäten gewiss auch Schfller
ohne das Griechische aufgenommen, ja auch auf der philosophischen,
ausgenommen etwa die Lehreandldaten der lateinischen Slprache. Was
können nun Torzugsweise die Musterbilder der Jugend werden? Theo-
logen und lateinische Philologen; die ttbifge Bemfiibildung kann sich
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— 227 —
ein .Tfmt^Iing auch ohne die vei^ebliche Mühe aneignen. Und ob es
den Interessen der Theologie und der classischeu Philologie dienen
wird, dass das Griechische nur an so wenig Orten gelehrt wird, ist
nicht schwer zu errathen. Eine Men^^e von Einwendungen knüpft sich
an diesen Entwurf; nur die guten Schüler können zum giiechischen
Unterricht zugelassen werden; sollen also nur solche 'J'heolosfen und
classische Pliilologen werden können? Oder werden die guten Schüler
an dem Unterrichte theilnehmen, wenu sie nicht das werden wollen?
und so weiter. Aber nicht nui- diese Schwierigkeiten verrathen die
Oberflächlichkeit dieses Entwurfs; der pädagogische Dilettantismus
tritt am besten in dem Lehrplan des ..wissenschaftlichen Gymnasiums"
zum Vorschein. Dasselbe soll mindestens um sechs Stunden mehr
haben als die entsprechenden (lassen der einheitlichen Mittelschule;
denn vier Stunden auf das Griei hische berechnet, ist noch beinahe zu
weni«r, dazu die zwei lateinischen Stunden. Ist das nicht die be-
kämpfte Überbürdung? Oder darf man die guten Schüler aller ihrer
freien Zeit berauben, ihre Aufgaben bis zum Maximum steifj^ern? Ge-
wiss nicht. Die Hälfte der guten Schüler recrutirt sich aus .Uing-
lingen, die ihren Fortschritt weniger ihren Anlagen als ihrem Fleiße
verdanken; soll man diesen den l^ortscliritt unmöglich machen? Und
sollten es auch lauter ausprezeichnete Schüler sein, die Zöglinge des
wissenschaftlichen (Jymnasiums werden: ist es gerathen, ihre ganze
Zeit für die Schule zu confisciren und einer selbstthätijjen, selbst-
gewählten Beschiüligiiug, die doch den meisten Wert hat, in den Weg
zu treten? l^nd was von dem Standpunkte der einheitlichen Schule
nicht minder gewichtig ist: kann man von einer solchen bei einer
solchen Einrichtung noch sprechen? Oder wird die kleine Zahl solcher
Anstalten überhaupt gar nicht in Betracht kommen können? Welchen
Zweck erfüllen sie dann? Ob sich die Zöglinge noch in ihrem weiteren
Wirken mit dem Griechischen beschäftigen werden — um die Wissen-
schaftlichkeit des Vaterlandes auf dem europäischen Niveau zu eiv
halten — ist fraglich, wenn sie aber es auch tbun sollten, itlr wen
sollen sie es than? Und wenn von dem griechischen Stndinm ein be-
frachtender Einfloss auf die ganze Gesinnung des SchOlera gedacht
worden ist, der sich im ganzen geistigen Schaffen desselben äußert,
ist es dann verbüi gt, dass ans den Kreisen dieser Schfller die be-
mfensten Vertreter der Wissenschaft hervorgehen werden? Hat doch
einer der Polemisirenden dagegen nicht ohne Becht angeführt, dass
man sowol angarischer Unterrichtsminister, als auch Präsident der
ungarischen Akademie ohne das Griechische werden kann.
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— 228 —
Dieser nicht ohne gewisse Autorität angeföhrte Gedanke eines
„inflsenscbaftlichen Gymnasiums'^ scheint ims also weder pädagogisch
richtig, noch überhaupt lebensfähig za sein. Solche kleinliche Mittel
werden die griechische Sprache, besser das griechische Studium, nicht
retten. Wenn der äußere Zweck fehlen wird, wird der ideelle viel
sa wenig wirken. Es muss ja die Wissenschaft und das Leben
derart miteioander verbunden sein, dass ein Scheiden derselben beiden
nachtheilig erscheine. Herr J. Schwartz ist überzeugt, die Vernach-
lässigung des Griechischen würde die Wissenschaft zu dem Stand-
punkte vor der Renaissance degradiren. Ob der Unterrichtsminister
diese Meinung liat, wissen wir nicht: nur soviel verrät h der Herr
Abgeordnete Schwartz. dass das Abgeordnetenhaus des Ministers Ab-
sichten unterstützen, votiren werde; ol) iu der angekündigten SchrolF-
heit^ darüber erweckt der Kettungsgedanke des Heirn J. Schwartz ge-
rechte Zweifel. Wie wir sahen, gibt dieser Rettiiii^'^sjiedanke für das
Griecliische die Rettung niclit; — wird der Herr Minister einen anderen
finden oder die Kühnheit liaben — ■ den unbedingten Ansscliluss zu
vollbringen und die Fäden einer jahrhundertelangen Tradition auf
einmal zu zerreißen? naiiiber wird die näcliste Zukunft belehren.
Im Landesunterrichtsrathe gt laiiLrte dit- i^'rage in den letzten
Tagen zur Erörterung; die Schwierigkeit der Entsclieidung wurde aus
den einzelnen Aulierungen ersichtlich; — dass die Erziehung nicht
nur eine praktische, sondern auch eine historisch-ideelle Richtung
liaben soll, wurcle betont; dennoch scheint der Landesunterrichtsrath
der ministeriellen Anschauung günstig zu sein und die Ausschließung
des Griechischen, weil es zur Uberbürdung führe, zu unterstützen.
Man darf gespannt sein, wie die Unterrichtsverwaltung diesen Plan
ausführen wird. Und wie wird die nicht genug zu schonende Jugend
— von dieser angeblichen Bürde befreit aufathmen und die anderen
Gegenstände pflegen!
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Die lateinlosen höherem Bürgerächulen.
Im NoT«B]iali«fte (S. 184) habM ulr die ntna „Zeitschrift fSr latein-
loM bShere Sebnlen* «ngMeigt; mn nvn den Zweck denelben gentner dann-
l^en, bringen wir ans ihrem ersten Artikel (von Dr. A. MAtthlaB-Düsseldotf)
die Hanptstellen über Aufgabe und Notbwendigkeit der genannten Hihhings-
anstalten hier zum Abdruck : „Sie wollen etwas Verständiges lehren, was unser
guter Alittelstaud, unser deutsches Biirgertbum im (ietriebe des Lebens ver-
mrUn und aaniitaen kann, was Um sofrleieh aber anch befähigt, im Glflek
ud im Unglttck, im Wolaein mid im Kampfe nma Dasein mit idealem Streben
nnd reinem Herzen dem I>eben und seinen Forderungen gegenüberzustehen. Die
höhere Bürgerschule, die den Zögling mit dem vollendeten neunten Lebensjahre
aufnehmen w^ill, sucht dieses Ziel zu erreichen in sechs weiteren Jahren, so
dass sie unter ganz regelmäßigen Verhältnissen mit dem vollendeten 15. Jahre
ihre SehtUer ins Leben sendet Ans ihrem Lebrplaoe scheidet das Lateinische
ans. FranzSeisch nnd Englisch wird in dem Mafie betrieben, wie die £ntwieke>
lang des modernen Verkehrslebens es wünschenswert erscheinen lässt. Der
mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht niuinit auf die Bedürfnisse des
praktischen Lebens besondere Rücksicht Im Mittelpunkte des Unterrichtes aber
•oll das Deutsche stehen tiieils dnidi den üntarrleht in der Matterspraehe
aelbat, theOs dadurch, dass am Betreibeii der fremden Spracheigenheitea der
Blick iltr die eigenen Sprachbesonderheiten geschürft wird, theils dadurch, dass
der gesammte Lehrbetrieb anleitet, für jeden Gedanken den richtigen nnd
treflFenden Ausdruck und eine gut pewahlte Form zu finden.
Vor allem haben diese gesunden Anstalten den weiteren Beruf, dem vi^
flush nngenmden Zustande nnsetw hiQheren Bildung fiberhaapt absahellbn.
Man hat ansgerecbnet^ dass vihrend des fSn^fthrigen Zeitraames tco Ostern 1882
bis Ostern 1887 aus sammtlichen preußischen Gymnasien und Progymnasien
ca. 39CK)0, aus sämmtlichen Realgymnasien und Rculprogymnasien aber
ca. 2(3 000 Schüler ohne das Reifezeugnis ins Leben getnit n sind; jene Zahl
beträgt 7iO> */io ^^^^^ ^ jenen Jahren von den genannten Anstalten
Vberhaiipt abgegangenen Sdilller. Bei den meisten Schülern Ist nnmnreichende
Begabung nnd ein unzureichendes Interesse für die hochliegenden Büdungsziele
die Ursache unzureichenden Fleißes und unzureichender Leistungen. Die Folge
davon ist weiter, dass diese große Anzahl von SchiUem ohne abgerundete, ab-
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gescblosBene und grfindliche Vorbfldnng ins Leben tritt. Es fehlt ihnen ein
brauchbares alltremeines Wissen; es fehlt ihnen die nöflii^e Umsicht, der
nöthige Scharf Mick für praktische Verliältnisse. die F.'lhigkcit raschen Ein-
ond Zugreifeuä, durch welche andere Völker uns so vielfach überlegen sind;
es fehlt ihnen die nSthige Yorbereitiing Ar ihren besonderen Beruf; es fehlt
ihnen Gabe nnd Lost für die kleinen Dienste des Tages nnd die untergeordneten
Hanttmngen, die das gewerbliche, kaufmännische, praktisclic Leb^n überhaupt
nnn einmal orfordert. Dazu sind ihre Lebensverhältnisse verschoben und vor-
schroben worden durch den Umgang mit Söhnen aus Familien, in denen geistige
Arbeit und geistiges Schaffen im Vordergründe des Interesses steht. Diese von
den Gymnasien nnd Realgymnasien Abgehenden, die znm Theü mehr doreh
„Ersitzen", also eine sehr einseitige körperliche Thütigkeit, nicht aber durch
geistige Anstrengung: ihre Militllrberechtigunpr und ihre unfertige BiMung; sich
erworben haben, venntliren das halbfrebildete Proletariat in unserem Staate
und richten mit ihrem halbfertigen und raschfertigen ürtheil nichts Gates an;
erreielieii sie mit ihrer Halbbildang niehts Rechtes, so werden sie nnsofrieden
nnd vermehren die Zahl deijenigen, denen unsere heutige Gesellschaftsordnung
ein Dorn im Ange ist. Es kommt hinzu, dass diese Leute neben falscher Bil-
dung auch falsche Lebenssrwnhnbeitpn nnd LebenRansjirürho mit ins Leben
hinansnehmen und in einem Gedankenkrt ise sich bewegen, der sie in untresunder
Weise hinaushebt über die häusliche Umgebung, in welcher Vater und Mutter
oder dieser nnd Jener Bruder beseheidener Arbeit sich widmet Sind diese
Schüler nnn gar, was durch das lange Sitten auf der Schulbank nicht selten
vorkommt, inzwischen „alte Knaben" von 17, 18. 19, ja von 20—21 Jahren
geworden, daim sind sie erst recht zu stolz, sich einem besdieidenen Handwerk
zu widmen, ja zu stulz, dieses gebüreod zu achten. Es werden auf diese Weise
dem Staate und dem bürgerlichen Leben immerfert Krtlfte entzogen, die ihm
mit anderer Büdnng bessere Dienste bitten leisten kSnnen.
Die höheren Bflrgerschnlen haben den Beruf, solchen Missständen entg^cen-
marbelten und uns einen gediegenen Mittelstand zu erhalten nnd da neuzu-
schaiVen, wo er etwa schon Schaden jirelitten hat. Hebun^r des deutschen
Mittelstandes, Hebung deutscher Bürgerbilduug ist vor allem der Beruf der
liSher«n Bttrgersehnle.
Man sieht, der Beruf der hSheren BHii^eraehnlen ist ein schöner nnd
idealer. Er wird noch erfreulicher erscheinen, wenn man erwägt, dass diese
Schulen vielleicht einmal bestimmt sein könnten, unserem Berechtigungswesen
gesundere Formen zu geben. Thatsächlich ist unser ganzes Berecht igungsweseu,
wie es besteht, für unsere Volksbildung ein Übd und dn Unglück, wenn auch
leider ein notibwendiges. Es hat den Zweck der Bildung Tcnehoben; nnd
gerade die armseligste Berechtigung, die zum einjährigen Dienst, hat zur Pflege
von Halbbildung und Seheinbildung in unserem ^'olke in franz erschrecklicher
Weise beigetragen. Das Berechtig-ungszeugnis wird au einer Stelle ausgetheilt,
wo irgend ein Abschluss der Bildung gar nicht vorbanden ist; ebenso steht es
mit den anderen sogenannten Berechtigungen -, ganz wülkfirlich liegen sie
zwischen Unter- und Obersecnnda, zwischen Obersecunda nnd Prima, nwisdien
ünter> und Oberprima; daher wird denn auch von dtsi BehOrdoif welche diese
Zeugnisse fordern, auf den Inhalt der Zeugnisse weit weniger gesehen als auf
die Fonn. Ist Scbeitelspitze und Schwanz in Ordnung, so passirt der Schein;
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wslü dazwischen steht, wird wenig bt^acUtet, ist Nebensache; der äußerlich
aiugMtellle Schein ist die Haaptaaehe. Streng genomnen sollte eine Berediti-
l^ong doch nur an solche Zengnisse sich knfipfen, die sogleich eine hestimmte
Beife bezeagen, die wirkliche Reifezengnisse sind. Das aber sind doch nur die
AbiturienteiizeagTiisse der betreffenden Anstalten ; jedes fi iihoro Abfranf^^zeiiprnis
bezeugt lediglich die Unreife gegenüber dem Ziele und dem Zwec^ke der Schule
nud sollte deshalb wertlos sein. £s wird der höheren Bärgerschule Beruf sein,
hier kliiend sn wirken. Sie mnss die Überzeagnng In immer weitere Kreise
hiDeintragen, dass nicht die Berechtigung als erstes und wichtigstes Ziel
ihres Wirkens erscheint, sondern ordentliche Bildangi die in gewissem
Sinne abgeschlossen und abgerimdet ist.**
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Zw RefoTB des natnrgesehielitliehei Untemelites.
A. Ebiige Bemerlningeii m dem Avftatse des Hem Dr. B. Witlacsil-WieB,
im OctoberhdPte.
Fo» Ihr. R KieiiUng wmI EgmotU ITakt»Le^^,
In der obeDgauumten Arbdt wird dne Lmm gebrodMB flr den natnr-
geschichtlicben Unterricht, wie er bisher nach Lübens Vorgänge ertheilt wurde.
Zwar werden die, sowol in Jange's „Dorfteich" als auch in unseren Schriften*)
nicderprelegten Gründe, welche eiiu stlieils ge^en systematischen Unterricht
sprechen, anderentbeils die Berechtigung der von uns gemachten Eeformvor-
scUAge nacliweiieD, keinerngt widerlegt Jedoch glaabt der Henr VtfiMaer,
einige n^^rondfehler" der „Neuerer" (mit dem letiteren Aasdraeke sind Herr
Haupth hrer Junge und wir gemeint), geAwdea SQ haben. Deshalb and weil
Herr Dr. Witlaczil aiiGerdoin in so nng-enaner, wenig' treffender Weise ül)er
unsere Be8trebung»*n rtl'erirt, dass seine Arbeit wo! arteig-tict ist, in den p^e-
ehrten Lesern irrthümliche Anschauungen über dieselben autkommen zu lassen,
sehen wir mis zn folgender Entgegnnng genSthigt.
Herr Dr. Witlaczil berichtet, wir suchten das klare Verständnis der
Nntnr „blos in der Erkenntnis, dass die Erde ein wolgeordnetes Ganze ist,
dessen einzelne Glieder sicli nicht nur gegenseitig: bedingen, sondern auch den-
selben allgemeinen Lebensbedingungen unterworfen sind,'' und darin, dass „der
Mensch ein sowol bedingendes als bedingtes Glied des groften Natorgaozen"
set Wir sind Jedoch bestrebt, du Verständnis der Nntor aueh dnreh Ver*
mittelnng der Wahrheiten anzubahnen, „dass jedes Wesen einen in seiner Art
vollkonimenen Organismus darstellt, welcher in eigenartiger Weise bi f.iliigt ist,
sich das Leben /u erhalten und zugleich auch dem üestehen des grolien (lanzen
zu dienen," und „dass das gesammte Naturlebeu mit seinem Entstehen, Keifen
nnd Yergehen ein nnnnterbroehener EreislAnf ist".
Femer sagt Herr Dr. WitlacsU, dass wir „vorwiegend solche Natnr-
Itörper auswUlilten, deren Beziehungen zur übrigen >ratur klar ersichtlich sind",
während doch „vor allein das Bedärfhis des praktischen Lebens maAgebead sein''
*)' Kießling und Pfals, Wie mnss der Natnrgeschichtsiinterrieht sich gestalten,
wenn er der Ausbildung des sittlichen Charakters dienen soll? Eine Meihodik des
NaturgeschicbtsuAternchtes nach refbrmatorischen Qruodsätcen. Brauoachweig, firuhns
Verlag. Ferner: Alte nnd neue Methoden des NatorgesdiiehtsoBterrichtes. Histonscfa-
kritis< he n»-leu( htuni; der P.r^tn bnngen auf (lit SMin ("!t-hiete seit Lüben. Leipzig, Usx
Uesse's Verlag. — Diese letztere Schrift wird Uerra I>r. Witlaczil auch zeigeOt dass
die BedentDDg Darwins uns dodi nicht so ganz entgangen ist, wie er meint, soadeni
dass, außer bis zu ihm, auch bis zu uns di<' Knni.' von diesem Manne gedrungen
ist. Dass wir in der zuerst geuannten „Methodik" keine Veranlassung hatten, von
ihm SU reden, bedarf wol keiner weiterai Dadegnng.
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müsse. Es niuss dies zu der Annahme fiiliren, dass wir das letztere unberüok-
sichtigt gelassen hätten. Allerdings tretfen wir die Aaswahl nicht lediglich
▼om Nfttsl{ehkeits8taad]Hinkt6 ans; trotsdem haben wir 'aber bei deneLben doeh,
wie unsere Handbflcber*) aar Genüge seilen, und wie wir aaeh in unaerer
„Methodik" ausdrücklich hervorheben, nimmer solche Objecto, welche zam
Menschen, dem höchstentwickelten aller Naturwesen, in irg-end einer Beziehung
stehen, sei es, dass er sie seiner £xistenz dienstbar macht, oder dass ihm ihre
Betrachtung Gennss gewälirt» vor allen anderen berücksichtigt.
In dem bereiten Anfwtae wird noeli hervoigthoben, daae wir die ana-
ländischen Objecte im naturgeschichtlichen Unterridite unberücksichtigt ließen.
Dies beruht auf Wahrheit. Die folgenden Ausführungen des Herrn Dr. Witlaczil
jedoch und insbesondere die Worte: „dass man das Entferntere und was sich
überhaupt nicht anschaulich macheu lässt, einfach vom Unterrichte ausschließt,
ist ein neuer Grondaats," mSaien zu der Meinung vorioiten, daaa wir die aus-
llndiadien Üatnrol^leete flberhaapt aua dean ünterriehte der Volkaaehule enttont
wissen wollten. Das ist jedoch nielit der Fall. Wir schUeAen aie zwar ans
dem Naturgeschichtsunterrichte ans. weil, wie wir in unserer „Methodik"
(pag. 27 — 33) dargelegt haben, „ihre Besprechung sich weniger als diejenige
einheimischer Objecte dazu eignet, klares Verständnis der Natur anzubahnen
uid liebe aar Natur an erwedien/ und weil dieae Objeete aneh »inlblge der
eigenartigen unterrichtlichen Beliandlnng, welche sie erfahren müssen, wenn sie
in rechter Weise gewürdigt werden sollen, nicht in den Rahmen des natur-
geschichtlichen Unterrichtes passen^ — weisen sie jedoch der Geographie und
anderen Disciplinen zu und begründen dies an obenbezeichneter Stelle auch
anefuhrlidi. So lange nun Herr Dr. Witlaczil nur behauptet, dass wir ans
Irren, ohne daaa er ee aber nnteminunt, unaere Auaflihmngen an wideriegen,
darf er ea uns aneh nieht venigen, wenn wir auf unserem Standpunkte be-
harren.
Weiter ist in dem in Rede stehenden Aufsätze (resagt, das.s wir die ..Ver-
wertung des Systems in der Volksschule überhaupt bekämpften^'. Diese Behauptung
igt unberechtigt. Zwar gehen wir nicht vom Syateme aus und machen ea nicht
Bom Piincip der Anordnung, wol aber ist ee uns eine Frucht des ünterrichtea,
wie aus den Abschnitten auf pag. 133—138, 241 und 242, 320—328 des
ersten Bandes und 101 — 154, 191 — 208 und 328—337 des zweiten Bandes
unseres „HandbuchB.s " zu ersehen ist. Die Gründe, welche wir für diese Art
der methodischen Gestaltung des Unterrichtes geltend machen, sind von Herrn
Dr. Witlaczil nicht widerlegt worden.
Was er zur Erhärtung seiner Anschauungen anführt, können wir nicht
als richfi? anerkennen. Er meint nflmlich. das System solle deshalb „als Grund-
lage in der Anordnung Verwendung tiiiden'^, weil es „d^n Zusannnenliang: der
Naturkörper erkennen lässt** , d. h., weil es uns „den natürlichen Stammbaum
dar Lebeweaen vwfBhrt*. länen aolchen Stammbaum kBnnta man Jedoch auch
anfttellen, ohne daaa man die einaebgm Objecte in ^yatematiacher Beihenfolge
beapriche. Sagt doch auch Herr Dr. Witlacail aelbet: „Bs hindert nichta, daaa
*) Kießling und Pfalz: Metbodifiches Handbuch für den ünterricht an Yolka*
und höh-ren Mäih hoiuschulcn. 2 Bände, Braun.schweiir, Brulms Verlap:. — Ferner:
Naturgeschichte für die einfache Volksschale. Ein Handbuch für Lehrer. Braun-
schweig, BnAoB Yerkg.
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Pflanzen und Insecten aus naheliegenden Gründen im Sommer, und zwar in der
Keihenfolge ihres Auftretens (also nicht in systematischer Keihenfulge! D. Verf.),
zar Besprechons gelangMi.* Was er lua xam Vwwnrf macht, beförwortet er
also doeli adbat: das Yeriassai der systeiiiatiBehen Reihenfolge.
Zudem kommt es uns, wenn wir BMk systematisclie Zusammenstellungen
geben, in denen keine der llaupt^^mppen nnberücksichtigt bleibt, s^ar niflit
darauf an, einen Staminbamn vorzuführen. Denn wenn durch einen solclien die
gesammte lebende Natu- als einheitliche Eotwickeluug aus gemeinsamer Wurzel
dargestellt werden sollte, so nflsste doch wenigstens die Entwickeliingsgescliichte
dner Anzahl Repräsentanten der wichtigsten Abtheilingea lebmder Wesen von
den niedrigsten bis zu den höchsten in genetischem Zusammenhange, verbanden
mit der gescliichtlichen Entwickelung und allmllhlichen üifferenzirung der
wicluigsten Organe und ilirer B'unctionen, zur Anschauung gebracht werden,
dfirften femer auch frühere Epochen onserer Erdgeschichte nicht anberück-
sichtigt bleiben« Dass man aber damit der Fasnungslcraft der VolkasehtUer
Unmögliches snmnthen würde, branchen wir wol nicht erst zu beweisen. Die
Volksschule niuss sich mit dem thatsächliclien Befunde, wie ihn die Natur der
Jetztzeit liietet. und mit der elementaren Erklärung desselben begnügen.
Zu dem kommt, dass selbst unsere sogenannten natütliclien Systeme doch
noch hypothetischen Charakters sind ond keineswegs mit apodiktischer Gewiss-
heit die genetjsehcii Besiehni^peii dar Wesen snm Ansdnick bringen, dfirften
doch sonst die Heinangen der Forscher über diesen Gegenstand nicht ver-
schieden sein. Es werden sich aber derartige Verschiedenheiten immerfort
zeigen, wenigstens so lange, als menschliche Auffassung und der Standpunkt
menschlicher Erkenntnis wandelbar sind, lääst sich doch der subjective Autheil,
den menschliche Oeistesthfttigkeit an dem Anfbaae des Systems hat, nichf
hinweglengnen. Dass wir mit diesen unseren Ansehanongen nicht vereinzelt
dastehen, beweist ein An.espruch. welclien vor nicht zu langer Zeit Professor
Schwendener in einer Rede, gehalten bei Antritt des Rectorats der Königl.
Friedrich -Wilhelm-Universität, getban hat: „Wer das vorhandene Thatsachen-
material (mikroskt^isdMr Fonichang) nnbefangen dorohmostert, wird sieh kanm
der Überaeoguig TerschlieBen könnoi, dass die vergleichende Anatomie frfiher
oder spftter mit dem Systeme selbst in Conflict kommen muss. Zweifel an der
▼ielgertthmten Natürlichkeit desselben sind namentlich mit Rücksicht auf die
Dycotyledonen schon öfter ausgesjtidchen worden, und in der That erweisen
sicli hier bei näherer Betrachtung nur die Familien und hier und da kleine
Familiengruppen als natfirlich, d. h. durch die Oesammtheit der Charaktere
abgegrenzt; alles ftbrige ist aasschließlich aaf Merkmale der Blfiten nnd Frttchte
basirt und muss daher als künstlich bezeichnet werden. Damit ist zugleich
gesagt, dass eine solche Grujjpe unmöglich der Ausdruck genetischer Beziehungen,
oder, wie man auf zoologischem Gebiete zu sagen pflegt, der Bluisverwandtschaft
sein kann. Bezfiglich der Blütenformen ist im Qegentheil jetzt anerkannt,
dass viele derselben nnr als Anpassung an die, hei der Bestftnbnng mitwirken-
den Insecten und keineswegs als Kennzeichen gemeinsamer Abstammung OL
deuten sind. St» kehren z. B. die Blüten mit Ober- und Unterlippe, mit langen
]\'öhren (ider Sporen etc. bei den veischiedensten Familien wieder, die offenbar
weit auseinander liegenden Geuerationsreihen angehören.
WeDB aber diese Stammhlliime noch hypothetischea CkmkXen sind, so
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gdidren sie nicht in dieYolkiMliiile, d«Ba üim mm aftili TonProUema ftm-
halten und darf nur du ftttfiiehmen, was als gesjflhcrtft wissMiBehaftUche Wahi^
hflit betrachtet werden kann.
Ferner wird uns in der Arbeit des Herrn Dr. Witlaczil zum Vorwarf ge-
macht, dass wir jeden Natarkörper als einen in seiner Art ToUkommenen
Organismiis ansehen, und awar deshalb mm Vorwarf gonaeht, weil eine solehe
Betrachtnngsweise den Lehren „vom Kam]ife nms Dasein" ntid \ on der „natfir-
liehen Zuchtwahl" widerspreche und darnm ntir aus einer ^ falschen Aofifossimg
der modernen Xaturwisspnschaften iiborliaupt" zu erklären sei.
Dem gegenüber müssen wir bemerken, dass, wenngleich wir Gegner der
Anfliahme Darwinscher Theorien in die Volkssebnle sind — die Orfinde dafür
liaben wir in nnserer Sehrift »Alte nnd nene Methoden des Natnrgeschiehts-
nnterrichtes" dargelegt — , unsere Anffassung derNatnr doch keineswegs dem
Standpunkte der jetzigen Naturwissenschaften zuwiderläuft; denn auch von
diesem aus ist man wol berechtigt, jeden, selbst den niedrigsten Naturkürper
als einen in seiner Art, also relativ vollkommenen Organismus anzu-
sehen. Ist ja doch gerade die sweckmftftige Einrichtung der lebenden
Organismen die Consequenz der natürlichen Zuchtwahl, folgt ans
ihr mit starrer Nothwendigkeit. weil nacli dem Princip der natürlichen Züchtung
nur die Wesen den Kampf ums Dasein bestellen konnten, welche durch be-
sondere Eigenschaften am günstigsten gesteilt waren, oder, weil nur das
Passendste alles andere ftberlebte. Denn wenn nicht jeder Natnrkötper ohne
Ausnahme einen Organismus darstdlte, der den ihm eigmihflmlicbeu Emilirungs-
nnd Lebensbedingungen am bestoi angcpasst ist, würden nicht gerade die am
tiefsten stehenden Wesen einen so außerordentlichen Formenreichthum zeitren,
würden nicht, wie es thatsächlicli der Fall ist, gerade die einfachsten (^iehilde
eine so wichtige Stellung im Haushalte der Natur einnehmen, eine Stellung,
in welcher sie durch keine anderen Wesen sn ersetsen sind und durch welche
sie die Bedingung f&r die Existenz zahlloser höherer Organtanen werden.
Da die Zweckmäßigkeit der vorhandenen Eigenschaften von dem Principe
der natürlichen Züchtung gefordert wird, kann die Meinung, dass jedes Wesen
ein in seiner Art vollkommener Organismus sei. auch dadurch nicht erschüttert
werden, dass Herr Dr. Witlaczil an Orgaue erinnert, die „ihre ursprüngliche
Bedeutung ▼erloren haben, vieUeieht dafttr eine secundftre Aufgabe erhalten
haben, vielleicht aber auch ohne Bedeutung für den oiganlsmus sind", an die
sogenannten rudimentären Organe, an denen sich infolge des Nichtgebrauchs
eine Keduction vollzogen hat. Außer ihnen gibt es noch verschiedene andere
Merkmale der Wesen, die für ihre Besitzer ohne Bedeutung zu sein scheinen
und welche bereits NKgeli u. a» als Binwarfe gegen die Selectionstheorie ge-
dient haben. BesH^ch der letsteren sagt Darwin selbst einmal, es ezistirten
sogar bei hSheren Thieren Klhiiertheile von solcher Entwickelung, dass an ihrer
Bedeutung nicht gezweifelt werden könne, dass aber dieselbe trotzdem lange
Zeit unbekannt oder vielleicht jetzt noch nicht ermittelt geblieben sei. Und
auch über den Nutzen oder die Nutzlosigkeit der ersteren, der eigentlichen
rudimentSren Organe, wird man nur mit größter Vorsicht entscheiden kOnnen.
VieUhch haben sie, wie auch Herr Dr. Witlaczil selbst zugibt, eine
secundäre Bedeutung erhalten. Wenn wir dieselbe nicht in allen Fällen
kennen, dürfen wir mit so weniger Sicherheit auf ihr Fehleu schließen i als
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dipse secinKlilren Functionen, welche die radimentären Organe erhalten haben,
zunächst schwer nachzuweisen sind. Zu dem kommt noch, dass ein Organ
früher nützlich gewesen sein kann, während es später infolge veränderter
Leliensbedingongai keinen Vortheil mehr m gewähren Teming. Damm dfirfte
man wol, selbst wenn der Nachweis einer secundilren Function unmöglich wäre,
nielit in (ii tn \'orhandf'!iSf iii des Ktulinienta eine Unzwecktiiiißiürkeit sehen, son-
dern raüsste vielmehr in der Hiickbildung selbst, welche das onnötliig gewordene
Organ erfahren liat., eine Zweckmäßigkeit erkennen.
Ans dem Gesagten geht horor, dass steht wir in einer „ilalsdien Anf*
fassnng der modernen Natorwissensehaft" befimgmi sind, smidem dass vielmehr
Herr Dr. Witlaczil, wenn er sagt: „Wim jeder Organlarnns in seiner Art voll-
kommen, so ^ilbe es keine Vervollkommnung mehr, es gäbe keine natürliche
Zuchtwahl", die gesanimte Darwinsche Theorie in Frage stellt, obgleich es sonst
den Anschein hat, als ob er für dieselbe eintreten wolle.
Sehen wir uns also schon ans wissenschaftlichen GrBnden gezwungen,
jedes Wesen als einen in seiner Art vollkommenen Organismas zn betrachten,
iO noch vielnielir ans plldag'ngischen, die für uns in erster Linie maßgebend sind.
Niemand wird es für gut halten, etwa in der Heils- oder Profangeschichte
meDschliche Vorbilder in ihre Vorzüge nnd Fehler zu zerlegen, anstatt nur
Verehmng und Bewnndemng für sie einznflSßen nnd dadurch snr Nacheifening
■nsnspomen; ist doch onsere Jagend leider im Lebm noeh genng d«r Ein*
wiritong nSfgelnder Elemente, welche die bloße Vemeinnng znm Princip er>
hoben haben, ansgesetzt. Und wir sollten in der Natnrgeschichte die Schüler
anleiten, nach Art jenes klugen Mannes, der da meinte, die S(;höj)fung ver-
bessern zu können, wenn er die Kürbisse auf Eichen hinge, die Natur zu
kritisiren? Es wflrde dies den Zwecken des erdehmidai ünterrichtea direet
suwiderlaofni. Nor durch Erwecknng der Überaeugung, dass die Natnr voll-
kommen ist anch in ihren kleinsten nnd unscheinbarsten Gliedern, wird die
rechte Liebe zu derselben erzeugt werden und mit ihr die Achtung vor ihr,
die jedem edlen Gemüthe innewohnen soll. Dass femer auch einzig diese Über-
Beugung dem religiösen Unterrichte dienstbar gemacht werden kann, bedarf
wol nur der Erwähnung.
Endlich wendet sich Herr Dr. Witlaczil noch gegen die Art der nnter-
richtlichen Behandlung, welclie wir den einzelnen Objecten angedeihen lassen,
namentlich dagegen, dass bei uns das Heschreiben der PHanzen und Thiere
znrückgedrilngt, und dass jede unserer Lectionen von einem einheitlichen, leiten-
den Hauptgedanken beherrscht wird. Jedoch entsprechen auch hier seine Dar-
legnngen nicht immer den thatsächlichen Verhältnissen. Wir sehen allerdings
nicht in der möglichst eingehenden Beschreibung der Naturkörper nach einer
gewissen Schablone das Heil des natnrgeschichtlichen Unterrichtes, wie es über-
haupt niemand darin sehen kann, der mit uns über das Ziel desselben gleicher
Meinung ist. Ist uns doch die Keimtnis eines Wesens nicht Selbstzweck, son-
dern es kommt nns bei der Behandlung eines solchen immer darauf an, eine
bestimmte Einsicht zn erifihen oder eine bestimmte Oesinnnng in den
Schüler zn pflanzen. Dies würde nns nicht gelingen, wenn wir alle Be-
spreclinniren nach einer Schablone vornehmen, nnd wenn wir nns mit einer all-
gemeinen Zielangabe, als etwa: „Wir wollen den Specht kenneu lernen*', be-
gnügen wollten. Wir sind darum gezwungen, du bestimmte Ziel, das wir m
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erreichen beabsichtigen, in den Vordergrund der Besprechung zu stellen, so
daas et den Idtenden fibnptgeduken bildet, von dem die gnnie Leetien be-
hemcbt viiri. Aaf diese Weise entstehen Dispositionen, die sich ans der
Eigenart des Materials ererelipn und bei deren Durchführung sich dio Be-
sprechungen zu lebensvollen Charakterbildern der Xatnrwesen (restalten, welche
geeignet sind, den Blick für die Natur zu klären und das üerz für dieselbe zu
erwtnnen. Die Fefderuug einer derartigen SSIelaivabe iat eine ao natiilidie
nnd anch aefaon in aolehem Mafie pqrehologiieh begr&ndet worden, daaa ein Ein-
spruch gegen sie in der Haopteache gar nicht erwartet werden kann. Herr
Dr. Witlaczii wt-ndet allerdings gegen diese Behandlungsweise ein, dass durch
sie eine „vernünttige Beschreibung" unmöglich gemacht werde, ohne das jedoch
zu J)ewei8en. Er scheint als „vernünftige Beschreibung" nur eine
aolebe nninerkennen, die aieb aneb mit minntiSaen Merkmalm
lediglieb nm ihrer selbst willen befasat; denn aoTiel beschreibende
Momente, als nothwendig sind, um die Eigenart der Wesen so zu charakteri-
sinMi, dus^s Kit' von anderen unterschieden werden können, um ft nier ihre Zweck-
mäßigkeit und Schönheit nachzuweisen, linden sich auch in unseren Lectionen.
Alles Beschreiben, was darüber hinausgeht, haben wir allerdings absicbt-
lieb yermieden, weil dnrcb ein solches die Sehttler mit einem Ifnterlal be-
lasti t werden, das, wie anderwärts von uns nachgewiesen worden ist, der Er-
rei( hutifr des Ziels, welches wir dem natnrgeschichtlichen Unten-iclite gestellt
haben und das fast allgemein als richtig anerkannt worden ist, nicht im min-
desten dient.
Bine weitere, bieranf besOglicbe Bebanptung dea Herrn Dr. Witlaesil, daaa
wir in nnaeren Lectionen »gans nnd gar yvn dem Veibalten dea beMfonden
Nntnrkörpers zum Menschen'' ausgingen, beruht anf einem Irrthnm seineraeita.
Der Grund für die P.ehandluiijr eines ObjVctes kann, gemllß dem Ziele, das wir
dem naturgeschichtlichen I nterrichte gesteckt haben, auch in der Beziehung
liegen, die das Wesen zu Pilanzen, Thieren oder zum Boden hat, femer in der
Äbbliigfgkeit. desselben von Waaaer, Lnft, Licht nnd Wirme, aowie endlieh
darin, dass seine Besprechung besonders geeignet ist, die zweckmäßige Ein-
richtung der Organismen erkennen zu lassen oder doch eine solche Erkenntnis
vorzubereiten. Das Vorstehende wird durch Themen, wie die folgenden sind,
bewiesen; Bedeutung der WasserpÜauzeu für die thierischeu Bewohner des
Teichea; Tide Inaecten flben anf daa Lanb der Waldbttnme einen flbenaaohen-
den Einflnaa ana; Bedentaag dea Unteilioiiea lllr den Wald; die Mooae beben
eine hohe Bedeutung im Haasbalte der Natur; die Sandbank soll uns von der
Einwirkung des Wassers anf unseren Erdboden erzilhlen; der Ackerboden als
hauptsächlicher F^rnährer der Feldpflanzen; der Waldbestand ist abhängig von
der Beschaffenheit des Waldbodeus; die Ulme ist der Üestäubung durch den
Wind beaendera angepaast; die Tanbneasel aeigt treflUche Einriebtnagen, doreh
welche ihr die Beihilfe gewisser Insecten zur Bestftnbnng gesidiert ist; der
Lanbfrosch ist trefflich eingerichtet, sich das Leben zu erluilten u. a. m.
Weil jedoch der Mensch nicht nur wie die übrigen Wesen als Glied des
großen Naturganzen von diesem «abhängig ist, sondern auch infolge seiner In-
tdligenz in ganz hervorragender Weise auf dasselbe elniawirken vermag,, so
ist ea wel geiechtliBrtigt, daas die Bedehnngen dea Menaeben aar Nator eine
vorwiegende BerttekaiebtignngertebraL Dagegen dürfte aneb Heir Dr. Witlaeiil
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uinsowenigfr etwas einzuwenden haben, als er ja, indem er über die Auswahl
des SloHes spricht, selbst einmal sagt, dass „vor allem das Bedürfnis desprak-
isch^ Lebens maßgebend* sei.
ünter den von dem Verhalten der NaUukOkper mm Hauchen «nafehen-
den Lectionen scheinen insbesondere solche, in denen ein auf „einem Gefühle
beruhender Satz** an der Spitze steht, in welchem wir uns also vorwieg'end oder
doch wenigstens zunilclist an das Gemüthsleben der Schüler wenden, am wenig-^ten
den Beifall des Herrn Dr. Witlaczil gefanden za haben. Da jedocli die Be-
siehnngen des Menschen nur Natnr zweieriei Art sind, entweder solche, dnrdi
welche die Naturkörper für die Erhaltung seines Lebens 7on Wichtigltdt wer-
den, oder solche, durch welche sie für sein Gemüth Bedeutung- erlangen, so ist
es wo] ß:prechtfertig:t, da^^s nicht nur die erstere. sondci n anrh die letztere Art
der Beziehungen in unseren Themen zum Ausdruck kommt, soll doch der natnr-
geschichtlidie Unterricht neben der Verstandesblldnng auch der Oemütsbildung
dienen. Die hieranf besBglichen AnsfiUimngen in nneerer „Methodik" sind
▼on Herrn Dr. Witlaczil nicht widerl^ worden.
Zuletzt hebt derselbe tadelnd liervor. dass bei nns ..die Deduction zum
Haupfprincip iremacht" würde. Dieser Xdrwurf ist ein ungerecht tertigter.
Allerdings stehen die leitenden Gedanken zumeist an der Spitze der Leciionen,
jedoch erklaren wir ansdrilcUich: . Diese änliere Einrichtung dient zur leich-
teren Übersicht für den Lehrer. ThatsBchUoh aber wird in den meisten FSUfln
Theil für Theil entwickelt werden und der Qmndgedanke das Endresultat der
Ünterreduni^ bilden müssen."
Zum Schlüsse wollen wir noch bemerken, dass Herr Dr. Witlaczil deshalb,
weil wir in unserem „Handbuche'' und in unserer „Methodik" Darwins nidit
gedenken, weil wir fismer das System nicht in den Vordergmnd des Unter-
richtes stellen, und weil wir ans wissenschalUichen und pädagogischen Gründen
jedes Wesen als einen in seiner Art vollkommenen Orgranismus betrachten, sieh
zn lirtheilen üV)er die Ph-fol-^e unseres wissenschaftlichen Strebens berecht it^t
glaubt wie die, dass wir uns „der Bedeutung des Systems gar nicht bewusst
waren" nnd dass nns „Darwin nicht genügend bekannt sn sein" scheine. Da
man sonst doch nur bei der sich gern selbst ftberhebenden Jugend die Crfidimng
macht, dass sie „schnell fertig ist mit dem Wort", so hat dieses Aburtheilen
von Seiten des Herrn Dr. Witlaczil uns wol einigermaßen in Verwunderung
gesetzt, jedoch nicht davon abgehalten, seine Beleliruugen über die Unterrichts-
grundsütze des Comenius, über die Schilddrüse, über den Kampf ums Dasein
und uidere dergleichen neue Dinge mit gans besonderem Behagen sn lesen,
etwa mit demselben Behagen, mit dem man einen lanizjährigen alten Bekannten
aus der Schulzeit begrüßt, der trotz aller Schwächen, die er noch ssor SchaU
tragt, doch gelernt hat, mit größtem äelbstge&Uen aufzutreten.
B. Entgegnung. Von Dr. E. Witlacdl-Wien.
Die Herren Dr. Kießling nnd Pfalz finden, dass ich in meinem .\ufsatze:
,,Znr Reform des natnrgeschichtlichen Unterrichtes": ra-dagoginm. Octolier 1 SSI),
ihre Heformvorschliigt' iii< lit als unberechtigt nachgewiesen habe. Da es un-
möglich zu sein scheint, die Herren für eine andere, als die von ilinen einmal
gebildete Anschannng zu gewinnen, so werde ich nidit durch so weüsehweiflge
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£vOrtening«n wie die ihrigen die Gedald der geehrten Leaer und det Henuis-
gebers diesM Blattes encböpfen und inicli in meiner £ntgegnnngr ganz knn
fassen.
Die an die Spitze meiner Untersuchung gestellten Fragen zeigen zur (re-
nllge, daiB es nicht meine Abaicht war, ein Referat Uber die aaUreidhen Ar>
betten der Herren Dr. KieUing nnd Pfais an geben, «mdeni daae ich doreb
dieselbe selbst zu der Frage der Refonn des Natargeschichtsnnterrichtes Stellung
zn nehmen versucht hnhf. Da nioino Arbeit beim Lcsor die HckaniitHchiift mit
den Arbeiten Junge's suvvie meiner beiden Herren (iegner voraussetzt, so luuss
ich den verdächtigenden Vorwarf eines angenauen, irrthiimliche Anschauungen
bei den Leeem benrorrafenden Referates als ■nbeoreditigt entsehieden sorflck-
weisen. W&re ich auf Jede der ÄoBemngen von Kießling und Pfalz, in der
von ihnen q-owünschten Breite ein^esrfingren, so hiltte ich ein Bnoli iUht ihre
Arbeiten allein schreiben iniisscn. Da diese für mioli aber g-anz und ^i^ar erst
in zweiter Linie kommen, so lag mir diese Absicht naturlich ganz ferne. Ob
ich ihre Omndgedaaken richti|r erfeast habe, das n benrtheilen überlasse ich
getrost den Lesern.
Das Gesagte gilt gleich fflr die erste von ihnen besprochene Einzelheit.
Es war dnrrlians nicht meine Alisirlit. mitzntheilen, in was allem meine Ueireu
(rrerner die Kinlieit und das klare \ erstilndnis der Natur suchen, denn über
„Einheit" und „klares Verständnis'^ der Natur lässt sich viel reden (mehr als
Ar die Schale gat ist), sondern ich wollte blos herrorheben, dass von ihnen
dabei auf das System nidit in genügender Weise Rttcksicht genommen wird.
Wenn meine Herren OegTier die Behandlnnp: anslflndischer Naturk^rper
der Geofrraphie und anderen I»is( i|ilinen zuweisen, die an der Bürgerschule von
ganz anderen niciit facbmiinnisch dafür vorgebildeten Lehrkräften behandelt
werden, so schließen sie dieselben doch wol aus dem fachmännischen Unterrichte
ans. Da die nebensftchliehe Behandlang in einer anderen DisdpUn nor eine
ungenügende sein kann, so sind damit thatsKchHch diese NatnrkOrper ans dem
Unterrichte so ziemlich be-tseitiert. Man darf aber ans so wenig' stichhaltigen
Gründen wie die ihrigen nicht einen so integrirenden 'l'lieil der Xatnrf^esehichte
aas der Schale entfeinen. Ich habe übrigens an der betreäendeu Stelle meines
AnilHttces andi gecelgt» welche beeondere Bedentang die Behandlang anslftn-
discher NatorkSrper für den Natiigtsehichtsanterricht besitat
Die Bedentnng des natürlichen Systems fttr die Wissenschaft nnd den
Unt<»rricht ist eine zu sroße. als dass ein g-elefrentliohes aueh von Kießling
und i^falz beliebtes Piinfrehen auf dasselbe genügen würde. Wenn ich aus
praktischen Ciründen ein gelegentliches Abweichen von demselben für zolässig
halte, so wird mir dies kein olgectiv Denkender anm Vorwarf machen.
Was meine Herren Gegner ttber das Hypothetisclie im natürlichen System sagen,
beweist iiiehls gegen dessen Anwendung in der Schule. Wollte man aus den
Unterrichtsdiscii>linen alles Hypothetische entfernen, so müsste der Steü der
meisten derselben eine ganz bedeutende Einschränkung erfuhren. Dasjenige,
waa auf snbjeetifer AnlUhasang im ^teme bernht, besieht sich ttberdiea meist
anf Einxelheitea, welche fttr die Schale nicht von Bedentnng sind. Aach
dorch die mitgetheilten Ausführungen Schwendeners über die Dicotyledonen
wird die Stellung der Herren I>r. Kiefiling nnd l*fa1/, nieht vt rstilrkt. Be-
trachten wir eine Gruppe der Dicotyledonen, z. B. die Lippenblütler, so lindeu
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wir, dass dieselbe ni( lit mir (Inrcli den ganzen Bau der Blüte nnd Frucht (nach
Scliwendener größtenthtils künstliche Merkmale), sondern auch durch verschie-
dene andere Merkmale: Stellang der Blüten und Blätter, Drüsen, Bau des
Stengels etc. ansgeieidnet ist Und soUteii auch alle diese Merkinale,
was ich nicht glaube, nicht durch HonHdogie^ d. h. wirkliehe Verwaadtsehafly
sondern durch Analogie, d. h. Anpassung an ähnliche Lebensbedingungen zu
erklaren sein, so hütte es noch immer mehr Sinn, die Pflanzen nach diesen so
hervorstechenden Analogien zu gruppiren, als nach den von Kießling nnd Pfalz
aufgestellten viel onsichereren Oesichtsponkten.
Wenn ich in meinem Anftatze unter anderem sage, dass das System uns
den natürlichen Stammbaum der Lebewesen vorfuhrt, so konnten daraus doch
nur die Herren Dr. Kießling und l'lulz schließen, dass ich in der Volks- und
BUrgerpchule den Stammbaum der lebenden Naturköijjer behandeln will. Aut
so eine absurde Idee bin ich nicht verfallen. Der Zusammenhang der einzelnen
Gruppen von Natorkörpern, welche In der ansgehUdeten Fwm aneh cum Amh
druck kommt, soll den Kindern dnrcfa den Natnrgeschichtsuiterricht com Be-
wosstaein gebracht werden. Das genügt.
Eines haben mir die Herren Dr. Kießling: nnd Pfalz besonders verargt,
nämlich die Bemerkungen, dass sie sich der Bedeutung des Systems nicht be-
wosst wären, und dass ihnen der Darwinismus nicht genügend bekannt zu sein
scheine. Sie kommen deshalh sowol im Anftog als in der Mitte nnd am Schlüsse
ihres Aufsatzes auf diese VorwSrfe an sprechen, ja es scheint, als wenn der-
selbe hauptsächlich verfaj>st wäre, um dieselben zu entkräften. Ich glaube
aber noch immer, da.ss d* ijenice. der da.s System nur so nebenbei mit berück-
sichtigt, während er die (iru]>pii iing der >iatuikörper nach gewissen äußerlichen
ZofiLlligkeiten vornimmt, das System thatslehUdi nicht recht an würdigen weii>.
Und was die aweite Bemerkung anbelangt, so hatte ich leider nidit Gelegen-
heit, die neuerdings citirte Arbelt der beiden Herren Antorai, worin auch
Darwin eff'würdigt wird, kennen zu lernen. Aus ihren anderen Werken kann
man aber umsoweniger auf die Thatsache ihrer gründliclien Bekanntschaft mit
Darwins Bestrebungen schließen, als ihre Bemühungen auf Beseitigung des
natfirlichen Systems ans der Schule geriehtet sind, in welchem doch die nach
Darwins Auffassung zwischen den verschiedenen Lebewesen bestehende natttr»
liehe Verwandtschaft zum Ausdruck kommt.
Wie die Herren Dr. Kießling und Pfalz sowol aus wissensrhaftlichen als
aus pädagogischeu Gründen für, so bin ich aus eben solchen Gründen gegen
die BetraebtuDg der Naturk9rper als „vollkommene Organismen". Ich habe
geänflert, dass, wenn jeder Oiganismus vollkommen wSre, es keine Vervollkomm-
nong. keine natürliche Zuchtwahl geben könnte. Nadi Darwin erklären sich
die allmählichen Umänderungen der Naturkörper ans zwei Princiinen. der
Variabilität und Vererbung. Jeder lebende Organismus iindcrt ab. Dit se Ab-
änderungen vererben sich besonders danu, wenn das betreüeudc Lebeweseu iu-
folge dieser Abinderungen den Kampf ums Dasebi besser bestehen kann. Es
ist dadurch vollkommener geworden, war also noeh nldit vollkommen. Dam
kommt noch, wie ich in meinem Anftatae ausgeführt habe, dass wir von vielen
Einrichtungen noch gar nicht wissen, wozu sie dienen. Soll es nnn dem Lehrer
überlassen bleiben, in seiner Weise dieselben für die Vollkommenheit in An-
spruch zu nehmen? Oder soll man diese Einrichtungen einfach aus der Be*
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«eMbuig weglaasen? Hier koBmoi vir anf die pftdagogischen Ghrflnde»
welche noch viel itirker gegen die Betachtongsweiae von Kiefing und PfUg
^^chen.
Die Naturkörper müssen ileii Kindern uiu ihrer selbst willen bekannt gemacht
werden, die Beschreibangeu müssen objectiv sein, wobei ganz gut gewisse
förmale deüen des Unteniefatt ihre Befiiedigang finden. In die Beechreibnog
der NatDfkSrper dirfon nicht snbjeetive GMaaken und Oeftthle hineingelegt
werden, der Natnrgeschichtsnnterricht darf nicht bloe als Uittel fdr andere
Zwecke dienen, indem man ihn benutzt, bentimmte Gesinnung'en in den Schüler
zn pflanzen und aus diesem Grande alles als vollkommen erklilrt, oder dasjenige,
was sich nicht dafiir erklären lässt, einfach aufi der Beschreibung weglässt.
Die mdfton Beispiele einer derartigen Beaehreibnng, welche die heiden Autoren
in ihrem Büchlein geben und von denen idi schon eines, die Betrachtung der
Forelle als „Edelfisch" in meinem Anfisatze gegeißelt habe, sind geradezu ab-
schreckend. Charakteristischer Weise haben sie auf meine diesbezüglichen Be-
merkungen kein Wort der Entgegnung geftindeo. Durch ihre ganze subjective
und teleologische Betrachtung wird die Naturgeschichte aof einen Standpunkt
snriekgcMdinnht, anf weleliem ale sieh snr Zeit der Blftte Okenscher Nator-
philoeophie unseligen Angedenkens befunden hat. ünd so ein Unterricht soll
den modernen naturwissenschaftlichen Anschauungen entsprechen? Nein, meine
Herren Reformer. Sie sind trotz aller ihrer Behauptungen und Auseinander-
eetzungen nicht in den Geist der modernen Naturforschung eingedrungen!
leh glanbe, ans meinem Anftatie geht nir GenOge hervor, dasa loli das
Heil dea Hatoigeschichtsnnterrichtes nicht in einer möglichst aehablonenhaften,
minutiösen und trockenen Beschreibung suche, wie mir von meinen Herren
Oegnem untergeschoben wird. Auch ich glaube, dass der Zusammenhang
zwischen Bau des Körpers und Lebensweise hervorgehoben werden soll, und dass
heide mit einander verwebt den Kindern in lebendiger Darstellung geboten
werden sollen. Kan kann aher nnd mnss hiehei mit Vorsicht nnd KaS ver-
gehen, ohne dass man deshalb in der von Kießling und Pfalz durch ein ge-
schmackvolles Gleichnis ausgedruckten Weise die Natur zu kritisiren braucht.
Auch ich glaube, dass bei der Besprechuno; der Naturkörper von ihrem Auf-
enthaltsorte, welcher, wenn er den Kindern noch nicht bekannt ist, ihnen anf
einem Lehripasiergange gezeigt werden soll, anszngehen ist; aioh ich glaube,
dass bei der Beschreibnng vom bewegten Thiere aosangehea ist, weil die Be-
wegung das Interesse mehr fesselt nnd durch dieselbe intereaaaote Schlaglichter
anf den Bau des Körpers fallen. Kurz und g-ut, ich nehme manches von den
Vorschlägen Junge's an. wie meine Herren (regner aus meinen Beiträgen zur
Praxis des Naturgeschichtsunterrichts iu der Zeitschrift Bürgerschule, Wien
December 1889 nnd weiter ersehen kSnnen, wo sie anch den von ihnen be-
handelten scharfen HahnenftiB in meiner Welse beschrieben finden*
Die Herren Dr. Kießling und Pfalz verwahren sich endlich noch dagegen,
dass durch ihr Vorgehen bei Beschreibung der einzelnen Naturkörper die De-
duction zum Hauptprincip gemacht werde, indem ja die leitenden Grundgedanken
In ihrer Kethodik nor för den Lehrer an die Spitze gestellt worden seien, wäh-
rend sie mit den Kindern Theü für Theil entwickelt werden müssen. Ich
glanbe, dass bei dieser „Entwickelung" den Kindern die oft so wenig nahe
liegenden Gedanken und Gefühle wol in den Mond gelegt werden müssen, nnd
PadkSOSiBm. IS. Jahig. Heft IV. 18
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das8 die Kinder, einmal anf die E&tdeekang- grekommen, am was M tich han-
delt, weiterhin ihre Boficlireibnngren sranz entschieden dednetiv vomebmen werden.
Wenn die Herren Dr, Kießling und Pfalz g^elegr^ntlich bemerken, das»
„das Ziel, welclies sie dem Natargeschichtsunterrichte gestellt haben, fast all-
gemein als richtig anerkannt worden Jet*, so kann ich ihnen nittheilen, dass hier
in Wim von dieser Anerkennung nidit viel m hOren war. Bei der Veitad*
Inng dieser Frage in der hiesigen „Pildagogisehen Gesellschaft" hat man zwar
einiges des von Junge gebrachten, obwol man es nicht für nen halten konnte,^
bereitwillig anerkannt, der ganzen Richtung gegenüber aber hat man sich ab-
lehnend verhalten. Was aber ihre ureigenste Idee: Behandlung der Forelle
als Edelilseh etc. etc. anbelangt, so habe ich peraibiUeh die Erliahrong gemacht,
dass noch jeder Sehnlniann, mit dem ich darttber gesprochen, hoch oder nieder^
anetibend oder Inspector, einfach darüber gelacht hat.
Die TTerren Dr. Kießling und Pfalz beschließen ihren Aufsatz mit einigen
rein peri>üuiichen Bemerkungen, welche zum Theil in etwas schwer verständ-
lichen Oleichnissen Aasdrack finden. Was zunächst meine Änsserungen fiber
die Unterriehtsgrnndsätne dee Comenins etc. anbelangt, so hatten diese nicht
d^ Zweck, meine Herren Gegner an belehren, sondern meine Ansführungen
verständlicher zu maclien. Wenn von „schnell fertig mit dem Wort" ge-
sprochen wird, so diu ttf (lies auf meinen Aufsatz doch kaum Anwendung finden,
da es ihnen nicht gelungen ist, durch ihre weitschwcilige Entgegnung im
wesentlichen etwas von meinen AnsAhrongen an entkriften. Erkliren die
Herren, meine ErOrtonngen mit ngam besonderem Behagen" gelesen an haben,
80 kann ich leider nicht mit gleichem Compliment aufwarten, denn ich habe
ihre Arbeiten theilweise mit ganz bedeutendem Unbehagen gelr-sen. mit jenem
Unbehagen, welches in dem Freunde der Naturwissenschaften die Beobachtung
hervorrufen mass, wie versacht wird, den Natnrgescliichtsnnterricht von seiner
otjeetlTen Grandlage sn verdribigen nnd Ihn zom Spielballe snliJectiTer ErnpUn*
dangen an machen. Dieses Unbehagen wurde aber noch vermehrt durch die
Erkenntnis, dass jene Herren sich durch ihre zahlreichen, bei jeder Gelegenheit
citirten AufsUtze, durch ihr methodisches Handbuch, dadurch, dass sie auf jede
noch so berechtigte Kritik mit einem neaeu Aufsatze antworten etc., sich aus-
gezeichnet in Seena an setzen ventehen. Was zuletat den Vorwarf de»
„grOiSten Selbstgefallens" anbelangt, so kann ich billig erwidern, dass die ganze
Art des Vorgehens meiner Herren Gegner, sowie flur durch nichts zu er-
Bchütterndps selbstbewusstes Auftreten, das in so orasseni Gegensatze zu dem
Auftreten Junge's steht, ganz gar nnd nicht den Bindmck der Bescheidenheit
macht!
(Wird im „Pesdagoginm*' nicht fortgesetat X>. R.)
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Klau» Groth nnd Fritz Renter.
Vm Biector O, Henckei-Farehim.
H err Gustav Ä. Erdmann hat im Octoberheft des Paedagogiam eine
^Studie" über Klaus Groth veröffentlicht. Wenn ich auch nicht glaube, daas
sich viele Leser des Blattes für diesen Artikel interessiren werden, so kann
ich doch nicht onterlassen zu bemerken, dass derselbe bei uns in Meddenburg'
ein etwas ptinUchet Anftehen erregt hiit Es liegt mir gSnzlich fem» Klane
Groths Verdienste um die plattdeatsdie £^[nache m bestreiten, noch weniger
will ich versnchen, seinen Verehrern die Frende an seinen Diehtnngen zu
sehnilllern; nur offenbare Übertreibungen glaube ich zurückweisen zu müssen.
Herr Erdmann schreibt: „Die wenigen plattdeutschen Toeten (vor Klaus
Groth) gefielen sich in den täppisclisten Sachen und glaubten ihre Aufgabe er>
fUlt TO haben I wenn ihre Diehtnngen mOgliehst bftnrisch nnd roh nach Form
und Inhalt anfügten. — Was an der Oberfläche liegt, ist oft nichts als häss-
liche Schlacke; mit dieser Schlacke begnügten sich die früheren niederdeutschen
Poeten. — Dem sclilniumernden Domröschen war endlich der Prinz erschienen,
der es durch seinen Flammenkuss (!) zu neuem Leben aufweckte, und dieser
Prinz hieß Klans Groth, nnd sein ftnriger, brünstiger Knss war der Quick-
bom." —
Ich mBchte Herrn Erdmann fragen, wen er mit den früheren Poeten meint.
EtwaLanremberg, Voss, Sackmann, Bornomann, Arndt? HlÜt er diese wirklich
fiir so täppisch, bäurisch und roh? Glanlit er endlich, dass es des Quickborns
bedurft habe, um Keuter zu seinem poetischen bchaüeu anzuregen, oder hält
er dessen Bedeutung für die plattdentsehe Sprache neben Klans Oroth fVr gSns-
Uefa nebensSohlich?
Ich empfehle Herrn Erdmann die aufmerksame Lectiire der Broschüre,
welche Reuter seiner Zeit als Antwort auf die Klans Grothschen Briefe über
Plattdeutsch und Hochdeutsch verüifeutlichte. Er bat sie allerdings erwähnt
(S. 46), scheint sie aber doch nicht zu kennen, wenigstens w&ren jene Üher^
treibnngen sonst unbegreiflich.
Wir Mecklenburger sind der Überzengnng, dass Kenter selbststftndig nnd
nnabhäng:ief von Klaus Groth mindestens ebensoviel und ebenso bedeutendes znr
„Erweckung des schlummernden Dornröschens" gethan hat, wie jener. Und
die Behauptung des Herrn Erdmann, dass Klaus Groth in hervorragendster
Weise Tei«inig«Bd anf dfo Im Anstände lebenden Dentsdun gewirkt hat, nnd
,dasi es selten einem Dichter gelungen sei, soviel znr Hebung des dentKhen
Wesens in fremden Landen beizutragen", möchte doch in viel höherem Ha£e
bei Reuter zutreffend sein. Eine Anfrafe bei den plattdeutschen Vereinen im
Auslände, besonders in Amerika, würde Herrn Erdmaun darüber belehren, wer
18»
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— 244 —
denn eigentlicli die Anregung zu deuelben gegeben hat Ich weiß von dem
jetst ventorbenen Bachhändler Hinstorf, Hcnters Verleger und Frennd, dUB
gerade Amerika eins der Hauptabsatzgebiete für Reuters Werke war.
Über den Wert der Klaus Grothschen Dichtungen, insbesuudere des
Qttickbom, zn atreiten, ist ganz vergeblich. Es mag du Geschmackssache
tein. Ich penQoUoh thefle die Anrieht Beuten, „dtm van teat 10 Selteo der
Reuterschen Läuschen und Rimels mehr Fingerzeige ni einer richtigen Be-
iirtlieiliinc: nnsei'es jetzigen plattdeutschen Voikriebens und oneerer VoUtB^praclie
ündet, als im ganzen (^uickbom.**
(Wird im MPtedagoginm** nicht fbrtgeMtzc. D. R.)
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Pädagogische Kandschaa.
BerÜD. Der Bttckgang in der Besoldnngr der Volkseelmllehrer*)
ist seit einiger Zeit ständiger Zankapfel in der öffentlichen Presse 1 s König*
reichs Preußen, Das „Berliner Tag-eblatt" hatte zaerst anf Grund anitlicher
Veröffentlichung auf diese Thatsache hinß:ewiesen, sofort kamen die Officiösen
mit Beweisen des Gegeutheils; denn da die Keichstagswahlen vor der Thür
stehen, darf man schon ein wenig DmekenehwSrse für die Schulmeister anf*
weadeii. Das ist bflUg imd hilft oftmals viel. Das Heitere an der Saehe Ist
aber, dass beide Gegner mit amtlichen Zahlen beweisen, nur dass den Haren
Ofliciösen die amtlichen Veröffentlichungen von diesem Jahre nicht passen,
weshalb sie das „Handbnch für den preußischen Staat" von 1888 als funkel-
nagelnen ausmfen. Damit haben sie freilich wenig Glück bei Leuten, welche
die Zeitnng nicht blos als Binsehlftfeningsmittel nach der UittagsmaUztit
benatzen, sondern beim Lesen ein wenig aufmerken. Diejenigen Zeitongen
nftmlich, welche den Rückganp: in der Lehrerbesoldung' behaupten, beweisen es
aus der neuesten amtlichen ^^M■öffentlichung auf diesem Gebiete, von deren
Vorhandensein, soweit es sich um die Lehrergehälter handelt, Leser conserva»
ttver ud nationalliberalear BUttar lehwerlieh etwM er&hren. MaSgabend In
derStareitlhigeiBt allein das jüngst erschienene Bneh: MDasgesammte Volks-
seknlwesen im prenfilschen Staate im Jahre 1886. Im Auftrage des
Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Augfclegcnhciten
bearbeitet vom königl, statistischen Bureau. Mit einer einleitenden Denkschrift
von Dr. Karl Schneider, Geh. Oberregieruugsrath und vortragendem Rath, und
Dr. Petersilie, Profossor nnd Mitglied des kSnigL statlstiMhen Bnreans.
Berlin, 1889." (Preis 16,80 11) Daraus ersieht man nnn i^ilfch auch nicht»
wie das prenßische Schulwesen heute zahlenmäßig dasteht; aber neuere nnan*
fechtbare Zahlen als die in jenem Buche sind bislang nicht vorhanden, sie sind
außerdem vielfach die Berichtigung derjenigen im Handbuche vom vorigen Jahre,
Die 1886er Statistik ist zudem um so lehrreicher, weil sie die Wirksamkeit
des preoMsolien GnltosmlnlBters y. Pnttkamer amtlich in das gebttrende
LIdit rückt. Anf regierungsseitige Anregung hin worden damals Lehrer-
gehllter in Städten erniedrigt, und Lehrer, die dagegen schrieben, durch Ord-
*) VeigL „Die heutige Volksschnie Preußens" im Novemberhefte. D. B.
— 246 —
nnngsstrafen gemaßregelt. So ist nns eine Stadt im Regierungs-Bezirke Düssel-
dorf bekannt, in der auf regierungsseitiges Betreiben eine Gehaltsordnung ein-
geführt wurde, nach der nenangestellte Lehrer sechs Tausend Mark we-
niger beziehen, bevor sie mit ft'üher angestellten Lehrern des Ortes dasselbe
Höchstgehalt haben. Und trotzdem will man den Lehrern officiös einreden,
ihre Gehälter seien nicht zurückgegangen, sondern gestiegen. Ein Glück,
dass unsere höchste Unterrichtsverwaltung zu ehrlich denkt, als dass sie officiell
diejenigen amtlichen Zahlen vorenthielte, welche klar darthun, was län^TSt be-
hauptet worden ist, nämlich die Verschlechterung der Besoldung der Lehrer.
Da Worte genug gewechselt sind, so wollen wir Zahlen sehen lassen. Wii-
stellen darum aus angeführtem Werke drei TabeUen hierher. Die erste der-
selben enthält, was
das Dnrchschnittsgehalt fttr Volks- und Mittelschnllehrer betrug
in
1878
1886
Rückgang
Ji
M
1238
1147
1228
1077
i 2063
1726
aaz
1352
1214
laa
1422
1282
140
1162
1103
6a
1419
1283
136
1309
1193
m
1379
1284
95
1470
1409
63
1118
1094
2i
1372
1366
fi
1422
1263
1652
1496
156
Staat
1441
1329
112
Die zweite Tabelle
lässt die Mittelschullehrer außer Ansatz und gibt
nur an
das Dnrchschnittsgehalt der städtischen Volksschullehrer
in
1878
1
1886
Uückgang
M
M
1164
1062
Ifta
1150
991
isa
11>98
1675
323
1339
1144
195
1423
1211
1121
1027
135*>
1248
m
1H4Ö
1138
207
1351
1250
lül
1443
13« 55
1179
1096
25
Sclile.<wiif-Holstcin , . .
• • » • •
1329
1321
ä
1414
1189
226
ir,o8
1878
235
Staat '
1414
m
Weit deutlicher aber noch sprechen die Ziffern auf Tabelle iL
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— 247 —
Lehrereinkommen in deu Städtea 1878 und 1886.
Vermehrung
1 0 Mimmt-Strileneinkom-
VennehraiiK
AnnU 4»t BteUn
benr. Ver-
men (etaaeUieAl. pweSal.
oder Verminde-
mindsrung
UIWI VHWHh
ItanHäligen)
nag der aafge-
1S98
IflSS
d«r Stellen
1878
1 18W
wandten Snioiaeii
HIB:
1 789
782
7
918 645
831 590
- 87 055
>> cisipreujioii • .
1 675
762
- 87
77(5 109
754 748
- 21 361
1567
1777
2t>64
- 101)7
3 130 619
4 461 418 4- 1330 799
1838
-
- 61
, 2 379 203
2 103 029
- 276 174
1216
1232
- IQ
1 1 730 088
1 491 372
- 238 715
! 983
lü.}G
- 53
1 101 796
1 063 831
- 37 965
Schieden ....
! 2040
245()
- 410
2 766 382
3 045 147
+ 27H 765
Sachsen ....
' 2009
2253
- 244
2 697 056
2 564 254
- 132 802
Westtiüen . . .
1295
1737 t
- 442 ,
1 748 925
2 171 744
- 422 819
Bheinl^nd . . .
3093
418d!
. 1090
4 463 331
5 709 361
- 1 246 030
Hohenzollern . .
23
28'
5
25 720
30 676
4 956
^hleswig- Holstein , 758
Hannover ... 1 1034
977 i
- 219
1007 700
1 '290 729
- 283 029
1291
- 257
1 462 318f
1534 583;
- 72 265
Hessen -Nassau . .
1040
118G
- 146
1 67-_^ 43H
1 627 256
- 44 582
Staat 18 2i>9 22 4 1 9 4 120 j ^ 5 HS( t ; i: U) 28 ()8( ) 33; » 4- 2 HO; ) )9
Obwol also in den sieben Provinzen, wflolif eiiip \'f'rminderiing der für
die Volksschullehi'ergehälter aufgewandten äummeu aufweisen, 600 Lehret*'
it«Il0D nengegrüadet wnrdmii yorringerte tleli die Ausgabe für Beaoldong doch
um 833000 Mark!! An 22419 städtischen Lehrern in Preußen sind naoh
einer Berechnung in den Jahren 1878 1886 über drei Millionen Mark ge-
spart worden. Preußen ist nämlich, wie mftnnigUeh weiA, das Laad dw
Schalen and Kasernen.
Berlin. (Von einem anderen Berichterstatter.) Die Erweiterang det
staatlichen Einflosses auf das Volksschalwesen gegenttber den Organen der
städtischen Selbstverwaltancr ist eins der Ziele, welches Cultusminister von GoCler
mit Consequenz und Ausdauer verfolgt. Dh.s Schullastensresetz ist das wicli-
tigse Glied in der Kette der darauf hinwirkenden Maßnahmen; aber aach die
ZaU anderer Yerffigongen, in denen die Beftigniaee der Gemeinden in Bezog
anf AnatoiiMiigj Bcioldnnflf nnd Diedplinlrnng ihrer Lehrer and sonstige Schul-
angelegenheiten eine bisher nicht gekannte Einschränkung erfahren, ist groß
und reicht durch die ganze Amtszeit des Ministers hindurch. Durch Erlass
vom 17. Mai 1883 forderte derselbe auf Grund der „Regierungsinstruction
vom 23. October 1817, §. 18*^, für die Regierung nicht nur „die Beaufsichti-
gung', sondem ttherhaapt die Verwaltang des gesammten Elementarechnlweaenf
mit amfassendem selbstständigem Verfdgungsrechte. In Verbindung hiermit
steht das Bestreben, die Lehrer namentlich in materieller Hinsicht in directeste
Abhängigkeit von der RegioniiiiJi: /n bringren. Der Mangel eines Unterrichts-
gesetzes läset derartigen Maßnahmen freies Feld. So hat der Minister kürzlich
nnter Hlnweli anf eine Bcihe leiner Erlasse daran erinnert, dase die Begie-
mng allein ftber das AnfHloken der Lehrer in hShere GMialtsstafsn an ent-
scheiden habe, und dass es unzulässig sei, einem Lehrer die Zusage auf Ein-
rücken in ein Iiüheres Gehalt lediglich nach Maßgabe des Dienstalters zu
ertheilen. Selbst auüeronleutliche Zuwendungen der Geiutiiult u an ihre Lehrer
bedürfen nach Uerru von Goliiers Vorschriften der Genehiuigung seitens der
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— 248 —
Hegienuiff. Fr liegt dazn ans der neuesten Zeit dne groBe Zahl von Einzel-
fällen vor, in denen die Regierung die Dotation von stRdtisclien Schulstellen
bei Neubesetzungen bezw. Neueinrichtungen selhststiindig geregelt und die
Tou den Gemeinden aufgestellten Gehaltssätze herabgesetzt bat. Uns erscheint
M alfl wttnaclieiuiwert, daas die Gemeinden üm Bechte auf da« Sehalweaea ni
wahren anftngen, damit an die Stelle des Ton den Gemeinden Terwalteten nnd
vom Staate beanfkiehtigten Schnhvesens nicht die rein bureankratiaehe Staats-
schule trete. Für die Lehrer w<1rc bei der jetzigen Gestaltung unseres politi-
schen Lebens nur Nachtheil davon zu erwarten. Innerhalb der Lehrerschaft
ist man sich der Gefahr vollauf bewosst und überall, wo die Gemeinden das
nOtbige Interesae iseigen, stehen die Lehrer der reinen Staatsachnle wenig
sympathisch gegenüber. Eher macht man sich mit dem Gedanken vertrant>
dass die Unterrieht>;gesetzgebung Reichssache sein soll, dann ist eine etwas
freiere Behandlung zu gewärtigen. Nur die Landlehrer der östlichen Pro-
vinzen erwarten von der Staatsschule Erlösung aus ihrer drückenden Lage,
ob mit Bedit, darf naeh allen gemachten Erfhhrongen billig beaweifelt werden.
Gelegentlich der Einwelhnng eines neuen Sdinigebftndea hielt der Leiter
nnieres Volksschulwesens, Schnlrath Bertram, eine Weihrede, die des Inter-
essanten nicht entbehrte. Er sprach darin die Absicht der städtischen Be-
hörden ans, unsere Schulen in ihrer Leistungsfähigkeit zu steigern. „Eine
geringe, scheinbar geringe Änderung des Lehrplauefi der Unterclaasen ist ein-
getreten, nnd doch eine ttnUerst wichtige. Eine dentsche Stande*) nnd eine
Stunde Gesang sind ersetzt durch turnerische Übungen. Solche Übungen
fanden schon statt in den Vorschulen höherer Lehranstalten. Dass dieselben
nützlich und forderlich sind, bedarf keines Beweises. Bisher hat es uns an
den geeigneten Lehrkräften und au dem nöthigeu Räume gefehlt; jetzt sind
die Kräfte da nod reichlicher Raum durch den San von Turnhallen gewonnen."'*)
Ans den yersehiedenen Lebenskreisen tritt das Kind in vollbesetste Oassen
nnd es soll sich dem Gebote des Lehrers fugen. Es ist eine schwere Aufgabe
für das Kind, das gehorchen und für den Lehrer, der es leiten soll. Gleich in
der ersten Zeit sollte bisher das Kind lesen, schreiben und rechnen lernen,
und mit einer Hast wurde der erste Unterricht betrieben, dass er eine äußerst
aehlimme EOrperlialtBDg endeten mnssteu In den ersten Wochen dflrfen
die Kinder keine Tafel, keine Fibel, keine Mappe mitbringen. Aber
Sprechen nnd Singen, ZBhlen nnd Rechnen sollen sie abwechselnd treiben, nnd
hierzn kommen nun turnerische Übungen. Allmählich wird so aus dem Haus-
kiud ein Schulkind." — Was hier als neue Weisheit gepriesen wird, hatten ein-
sichtige Lehrer und Lehrerinnen längst erstrebt und erbeten, sie waren aber
Ton der yorgesetsten Behörde damit abgewiesen. Settsamer Widersprach!
Im Widersprach zur Warnung gegen die Hast dea Unterrichts steht auch
ein Experiment, welches jetzt in den Oberclassen unserer Schulen ausgeführt
wird. Es soll in diesen das l'ensum für ein Jahr in einem halben Jahre
durchgearbeitet und im zweiten Halbjahr wiederholt werden! Welche Un-
m^lichkeit, ein so hocfageschranbtes Pensom, wie es unsere Obwdaasen Ar
ein Jahr haben, in der halben Zeit an bewUtigen! Wo bleibt denn die
*) Warum nicht statt dcfcsen eine Stunde Religiou? Drei pro Woche wäre iür
die Unterdasse ausreichend.
**) Eäne nicht der Wirklichkeit entqpieQfaeade Behauptung I
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Pädagogik? Es kann nnr ein Naschen am Stoff sein, die Uftlblieit wäre daoa
in Permanenz erklärt Aber — der Bien' mass! — .
D«r Efeat der BerUnar QtmeindeMliiileii Ar 1890/91 Ist im yorauclilair
MsMteUt ia Ebmahme mit 80935 Hk. ind in AugalM mit 8538645 Hk.,
gegen das laofende Jahr mehr 291 027 Mk. Am 1. Oetotar 1890 werden vor-
anssichtlich vorhanden sein 190Schiileamit 3170C1mmii vnd ca. 177000 Scha-
lem und Schülerinnen.
Erwähnung verdient die Bemerkaug des Decementeo, das« iu keinem
Jahre seit 1870 die yerhlltniemaftige Zonahme der sdholpflidhtiffen Kinder
80 gering war, wie im Jahre 1889.
In den Pfingsttagen des kommenden Jalires wird sich in den gastlichen
Manern der Reichshauptstadt der achte deutsche Lehrertag versammeln. Schon
jetzt werden die uüthigen Vorbereitungen getroffen, insbesondere besteht die
Abeicht, eine Diesterweggedenkfeier in großartigster Weise dabei an ver-
anatalten, da der 29. Oetober 1890 der 100. Oebnrtstag nnseree Altmeisters
ist. Voraussichtlich wird der Besuch ein angewöhnlich starker werden, da ja
Berlin als solches eine große Anziehungskraft ansiilion wird.
Die Themen, die nach der vorläufigen Tagesordnaug zur Behandlung vor-
geschlagen werden, sind folgende:
1. Die Sehidsynode. (Ist ee wünschenswert, dan mr Entscheidung prin-
eipieller Scholfiragen neben den ScholverwaltungsbehOrden eine au Ver-
tretern der Lehrerschaft, Gemeinde, Kirche, Staat zusammengesetzte
Schnlsynode bestehe?)
2. Der Bureaukratismus auf dem Schulgebiete.
3. Inwieweit soll die Scholgesetzgebang Eeichssache werden?
4. Beflreinng de« Lehrers vom nfedem Kfisterdienst
5. Die haaswirtschaftliche Ansbildung der Mädchen.
6. Die Hefombestrebnngen auf dem Gebiete des naturkundlichen Unter-
richts.
7. Durchführung der Schulclassen.
Das Cvratotima der Dieeterweg-Stiftnog (Vonitiender A. Böhme,
Seminaroberlehrer a. D. in Berlin) hat einen Rechenschaftsbericht veröffent-
licht, welchem wir folgende Data entnehmen. Die Stiftung, deren Zweck es
ist, „im Geiste A. Diesterwegs zu wirken, insbesondere seine anregende und
geistweckende Methode unter den Lelirern zu pflegen", hat seit ihrer Grün-
dnng im Jahre 1866 eine Getanmteinnahme von 15005,11 Mk. gehabt
(Samminngea nnd Geiohenke 7708,3 Hk., Jahresbeitrilge 2656,50 Mk.,
Zinsen 4645,.58 Mk.); veraasgabt hat sie 9149,77 Mk., darunter für das
(Tfabmal Diesterwegs 3354,40 Mk., für Preisarbeiten im Sinne des Stiftungs-
Zweckes 3Öä3 Mk.
Von der Ostsee. Zwei Nenerongen im Sobnlleben ziehen gefenwirtig
die Aufmerksamkeit aller Strandpädagogen auf sich: Der „Handarbeits-
unterricht für Knaben" und die „lateiiilose höhere Bürgerschule".
T'm den Handarbeitsunterricht kennen zu lernen, haben mehrere Commnnen
einzelnen Lehrern die Mittel bewilligt, dass sie einen Cursas iu Leipzig darch-
madiiB konnlen, imd diese haben non die VerpAichtang, die nese Knoet im
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— 260 —
Ueimatsorte \\'eiter zu verbreiten. Die „Lateinlose'' i»t bis jetzt noch ein
Experiment Hau wird erst einige Jahre ins Land geben lassen müssen, um
m sehen, ob sie dne MitgenABe SehOpfling für mseni Schnlorganismiis ist
oder nicht. Sie soll eine tUchtige Bildung fürs Leben geben, die Jangen
sollen sich aber ancb nicht den Kopf zn selir anstrengen dürfen. Ob sich
beides vereinbaren lassen wird, muss die Zukunft lehren. Einstweilen erwirbt
sich die neue Schulart unter Eltern nud Schülern hauptsächlich deshalb viele
IVeimde, well sie das PriTilegimn haben soll, Zeugnisse für den einjfth-
rigen Militftrdienst aasstellen zn dürfen. B.
Oldenburg. Das Jahr 1889 hat den Lehrern der Stadt Oldenburg- eine
Gehaltsaufbesserung gebracht; das Gebalt der seminaristisch gebildeten Lehrer
stellt sieh jetst fblgttidermaBen: Die Vorstelier der s. g. Mittelsehnlen — ge-
hobene Volksschulen — beziehen 2400 bis 3600 Mk. ; die Vorsteher der Volks-
schulen erhalten 2100 bis 3300 Mk. Die Lehrer sind in drei Gehaltsclassen
eingetheilt — erste Classe, ' der Lehrer, 1800 bis 30<X) Mk.; zweite Classe,
»/a der Lehrer, löOO bis 2400 Mk.j dritte Classe Vs ^^r Lehrer, 1000 bis
2100 Mk.; Lehrerinnen, 1000 bis 1400 Mk. An Zulagen werden bei zn-
friedenstellender Dianstfnhrong der Lehrer in der Bogel bewilligt fünf Jahre
nach der ersten Ansldlnng und sodann von drei zu drei Jaliren je 200 Mk.;
an die Lehrerinnen von drei /u drei Jahren je 150 Mk. Von den 291 Haupt-
lehrern im evangelischen Theile unseres Herzogthums bekleiden etwa 80 zu-
gleich das Amt eines Orguuisteu. Au verschiedenen Orten betrug die \er-
gtttong fllr den Organistendienst bisher nieht 300 Hk., es ist aber Jetit ttberall
eine Vergütung T<ni 300 Mk. gjBwftbrt worden. Das Einkommen der mit
einem Kirchendienstc verbundenen Schulstellen betr.'lo:t an 15 Orten 1200 Mk.,
von 42 Orten 1500 Mk,, an 15 Stellen über 1500 Mk., darunter sind sieben
Stellen, welche über 2000 Mk. bringen. Die drei besten Stelleu gewähren
2500, 2660, 2800 Mk. Es geben fOr die Inhaber der Organistenstellen noch
hinia die Alterssnlagen bis an 450, ueh 30 Diensijahren Im Sdinlamte and, wenn
kein Diaastland Toriianden ist, 1 20 Mk. Landentschädlgimg. Die Gehaltsanf-
bessemnp^en in unserm Lande sind ja reelit erfreuliche, es ist jedoch noch
lange nicht genug geschehen, und wir haben un.ser Ziel — Gleichstellung mit
deu höheren Sabalternbeamten — noch immer nicht erreicht. Der Lehrer-
▼enin wird gewiss nicht rohen, bis dies Zid errdoht ist Der Verein ent-
wiekolt sieh in etfkenlicher Weise weiter, die MitgUedersahl ist auf 599 ge-
stiegen, von den evangelischen Lehrern stehen nur einzelne Collegen abseits,
von den Katholiken gehört kein einziger Lehrer nnserm Vereine an. Möchten
sich doch auch diese anschließen!
Vor zehn Jahren schloss der Verein mit der Fenerversicherungsgesell-
Schaft „Proyidentia* einen Vertrag ab; ans diesem Vertrage sind unserer
Gasse 2603 Mk. zngeflonen, welche dem Pestalozziverein zugewandt sind.
Dieser hatte im letzten Jahre eine Einnahme von 5290 Mk.; darunter sind
2502 Mk. als Geschenke eingegangen: an Unterstützungen sind ausgegeben
4282 Kk. — 500 Mk. mehr als im Jahre vorher. Die Uuterstützuugeu ver-
theUen sieh anf 40 Fftlle, dnrohschnittlieh betrSgt also die gewährte BeihUlb
107 Mk.; die hSehste Untentlltning betrog 300 Mk., in acht Fillen wurden
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150 Mk. bewilligt. Das Vt^i iiiögen des Veroins beträgt 28 580 M.. seit seinem
Bestehen hat derselbe au Unterstützungen bewilligt insgesammt 42 380 Mk.,
es 8ind also im Ganzen über 70000 Mk. zusammengeflossen. Mit den ver-
augabien Sonineii iit gewte naneheNodi, wtm aneh nieht gau gdiobeii, ao
doch fGhlbar gemindert worden. Dankbar erkennen wir an, daai Privatperaonen
aiyährlich dem Vereine namhafte Summen zufließen lassen.
Die Berichte des Testalozzivereins zeig-tn deutlich, dass die Hinterblie-
benen der Volksschullehrer recht oft mit Noth und Sorgen zu kämpfen haben.
Dieaer ünatand Tenudaaate den Lehrerrareia m owägen, ob nicht die Pen-
aionen der Lehierwitwea erh9ht «erden konnten. Die Lehrer aind bereit, für
eine bessere Verafirgnng ihrer Hinterbliebenen Opfer zu bringen, und derVor>
atand des Lehrervereins wird sich bemühen, eine Erhöhung der Witwenpensionen
herbeizuführen. Hotfentlich hat er in dieser Sache einen besseren Erfolg als
in der Lesebuchfrage, die den Verein in den letzten Jahren beschäftigte.
Die prenliaehe Orthographie aoll von jetzt ab in den Sehnlen dea Landea
gelehrt werden, bisher hatten wir uusere „eigene Beehtaobraibnng". Die
Änderung der Rechtschreibung gab den Lehrern erwünschte Gelegenheit, eine
Änderung des Lesebuches für Oberclassen, welches auf Veranlassung des Ober-
schulcoUegiums von vier Lehrern bearbeitet wurde, zu beantragen. Das Lesebuch
zerfällt in zwei Abtheünngen; die eiste Abtheilang — 280 Seiten groß Octav —
tat eine Chreatomatiiie, die zweite AbtheUong kann man fflglich ein Bealienbnoh
nennen. Mit dem eraten Theile sind alle Lehrer hinsichtlich der Auswahl der
Stücke zufrieden, nur wünsclit man allgemein eine Vermi'lirnnij: des Lese-
stoffes, und dies um so dringender, da das Bach auch in mehrdassigeu Schalen
gebraucht werden muss.
Die zweite Abtheilang, — zor ünteratfttznng nnd Belebung dea Ünter-
lichta in der 'Welftonde betitelt, gefiUlt wo! eigentUeb keinem einzigen
Lebrer. Eine Partei will diese Abtheilang beibehalten wissen, verlangt jedoch
eine gründliche Umarbeitung; die andere Partei will, dass der jetzige zweite
Theil des Bnches ganz gestrichen werde und dass ;in dessen Stelle eine Aus-
wahl aus den edelsten Erzeugnissen der Gesummtliteratur trete. Ein dahin
gebender Antrag wnrde, zam Leidweaen Ihrea Berlchteratatten, anf der
Landeaoonferenz mit 72 gegen 70 Stimmen abgelehnt. Der Vorstand des
Lehrervereins veranlasste nun die Vcreinsmitglif^der. ihre Wünsclie bezüglich
der Gestaltung des Lesebuches kundzugeben und arbeitete auf Grund der Vor-
schlage eine Denkschrift aus, welche der Behörde vorgelegt wurde. Die Be>
bArde ging leider Aber die Wflnadia der Lehrer einfach hinweg and Tenidaaat«
einen Neadmek dea Leaebnehea in aeiner bidierigai Qeatalt, nur die Ortho-
graphie wurde geändert.
Wie nöthig die Änderung des zweiten Abschnittes unseres Lehrbuches
ist, mögen einige Proben darthiin. Wii- greifen einzelnes lierans: Die Ire-
Schichte des letzten deutsciifrauzüsischen Krieges ist sehr austühriicli erzählt.
Die DartteUnng iat derartig, daaa man die (jteaehiehte nicht leaen laaaen kann;
wollte jemand FremdwSrter suchen, die nieht in ein Schnlbach gehören, er
würde übergenug finden. Eine Menge von Namen nnd Zahlen ist hier auf-
gespeichert, jeder Fülu'er eines .\rmeecorps ist sorgfHltig registrirt, jedes kleine
Gefecht erwähnt, nnd schwerlich ist eine eroberte Kanone vergessen. Die
Geschichte füllt 19 Seiten gro£ OcUv!
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— 252 —
In dem uatuikundlicheu Theile finden wir folgende Übersichten: Ein-
theUuiir d«r NatorkQrper, die 12 Gküeii d« Thioreldiei, die 12 Ordnungen
der Slngetliierey die 8 OrdnvDgeQ der VOgel» die 4 Ordnnsgea der Beptilieii,
die Reptilien im allgemeinen, die Fische im allgemeinen, die Insecten im all-
gemeinen, die 7 Ordnungen der Insecten. die Pflanzen im allgemeinen, das
Linne'sche Ptianzensystem , das Minf'r:ilrei( h im allgemeinen. Der Abschnitt:
Naturlehre bildet einen vullständigen Luilladen in der alten Manier; es scheint,
als wenn die meKhodischea Fortachrftte der letstMi Jahrsehnte fllr den Ver^
fasser nicht exiatireD. Kein Lehrer wird ana dieaem Atiacfanitt etwas als Lese-
stoff benntzea, wollte er es dennoch tbtuif ao kOnnte man nur die Schiller
bedauern.
Im geographischen Theile finden sich ebenfalls viele Übersichten, Tabellen,
Abriaae a. dgl. Hier finden wir ein Lesestfick: „Bo4enge8talt und Bodea-
hShe**, in diesem Anftata — 57 Zeilen — werden folgende ElementarbegriiTe
erklärt: Spiegel = Niveau des Meeres, absolute Höhe, relative Höhe, Ebene,
Tiefebene, Niederung, Tit fland, Hochebene, Anhöhe, Hügel, Höhe, Berg, GiptVl,
Spitze, Kuppe, Fuß ult s Herges), Abhang, Gebirge. Gebirgskette, Gebirgskamm,
Gebirgsrücken, Gebirgsgruppe, Mittelgebirge, Hochgebiige, lüesengebirge (Art-
beseiehnnng!), Gebirgsknoten, Gebirgastock, Thal, Schlucht, Längenthal, Qaerthal,
Sattel, Joch, Pass, Vorgebirge, Cap, GeiblrBaland, Hochlaad, Qndle, Bach,
Floas, Hanptflnss, Nebenfluss, Strom, Mündong, Küstenfloss, Ufer, Bett, Strom-
rinne, oberer — mittlerer — unterer Lauf, StufenlUnder, Gefiille, Wasserfall,
Strouienge, Stromschnelle, Steppenlinss, Flussgebiet, Meergebiet, Wasserscheide,
See, Queilsee, llfindnngssee, Flasssee, Steppensee. All diese Begriffe — 66 —
in 57 Zellen erklärt, daa iat gewiss eine Leistnng! Wer m5ohte aber seinen
Sehfllem znmntlien, ein solches Stfick zu lesen?
Die vorstehenden Proben ergeben, dass der Wunsch nach I'mgft'staltung
des LeseVuchts .sehr wol berechtigt war. r»ie Lehrer waren auch allgemein
enttäuscht, als die Nachricht kam: das Lesebach erscheint in der alten Fas-
aong. Wir wiaaen nnn freilidi wd, daaa viele Leaebflcher, wenn nicht die-
selben, 80 doch Ihnliche Mangel aofweiaen, nnd daaa nnaer Leaebach, nament-
lich dessen erster Theil, nicht za den aehlechtesten Erzengnissen der Literator
gehört, doch dürfen wir nicht eher ruhen, bis unsere berechtigten Wünsche
erfüllt sind. Die Behörde wild endlich eine Umgestaltung des Buches Yer-
anlassen müssen.
Ein wander Punkt In nnaerm Seholweaen iat die SehnlaofMeht. Sie ist
eine vielgestaltige: der Geistliche der Gttneinde ist Localschulinspei tor , dann
gibt es Kreisschnlinspectoren, im Nebenamt, theils Geistliche, theils Lehrer;
ferner ist mit den Kirchenvisitationen eine Schulvisitation bezüglich des Re-
ligionsunterrichtes verbanden, und endlich hat der Oberschulrath die Ober-
anlUcfat ftber slmmtUcbe evangeliadia Volksschnlen nnd Iber alle Ubereii
Schalen des Landes. Die Lehrer wfinschen den WegfUl der Loealaobnl-
inspectioD, und erstreben Fachaufsicht, ausgeübt durch Lehrer, welche sich in
praktischer und wissenschaftlicher Hinsicht bewährt haben. Der Schulinspector
soll kein anderes Amt bi kleiden, er soll seine ganze Kraft seinem Amte
widmen. Hätten wir Fachauihicht, dann würden gewiss die berechtigten For-
denmgen der Lehrersehaft viel schneller verwirklicht werden.
Dringend wUnschen wir, dass die Voigcsetaten in ehnen regeren peraOn-
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Ucben Vflikehr mit den Lelmni treten, an den Verhandlimgen auf den Landes-
conferenzen bethoilipt sich nie ein Rclmlinspector, noch niemals liat die Behörde
den versammelten Lehrern eine Begrüßnng: zntheil werden lassen. Die Semi-
naiiehrer stehen mit den Völksschullebrem im besten Einvernehmen, besuchen
die VenuDBloDgen der Lehrer imd nebmen an den VerliaodlinigeD lebhaften
Anthefl. Ein reger persönlicher Verkehr zwischen Vorgesetzten nnd Unter-
gebenen würde größeres Yertranen hervorrnfen. Augenblicklich werden recht
viele Berichte geschrieben, aber was nützen dem Lehrer die Berichte, welche
eorgföltig zu den Acten gelegt werden and die dem Lehrer nie zu Gesichte
kommen!
Das Sehnlwesen eines Landes ist noch lange nicht in bester Ordnnng,
wenn die Kegistrator dar BehSrde hübsch gefüllt and geordnet ist, es kann
vielmehr nur dann gedeihen, wenn die Inspectoren den Lehrern mit Rath und
That beistehen, wenn sie den Strebenden unterstützen und ermuntern und den
Trägen unnachsicbtlich zar Erfüllung seiner Pflicht antreiben. Der Schnl-
inspeetor soll dar Frennd der Lehrer sein; er soll allen Bemtthnngen der
Lehrer rar Hebung des Schnlwesens krSftigen Vorachab leisten. Das kann er
aber nur, wenn er die Sache grttndlich versteht, und genügende Sachkenntnis
besitzt nur der Fachmann, guter Wille allein reicht nicht ans. Darum müssen
aach wir immer und immer wieder die Forderung erlieben: Weg mit den
Fremden aas der Schalleitang, die Schale dem Pädagogen!
Aus dem OroAhersogthnm Hessen (Mainz).^) Dinier sagt an
einer Stelle in seinen Schriften: „Die BKder, anf denen der Schnlwagen fiort-
roUen soll, sind: Bildung, Besoldung, Aufsicht, Freiheit." Betrachtet man
yon dem Standpunkte dieses Ausspruchs die Volksschul Verhältnisse in Hessen,
and vergleicht man sie zugleich mit früheren, so lässt sieh mit gutem Grnnde
behaupten, dass der Schalwagen in unserem engeren Vaterlande eine beträcht«
liehe Strecke yorwftrts gmllt ist. Vor allem soi^ die Begiemng, die nach
der für Hessen so verhängnisvoll gewordenen Ära Dalwigk>Eetteler das *
Knder des Staates ergriff, durch Errichtung von Simultanseminaren und Um-
gestaltung der Lehi7»l;ine für eine bessere und gediegenere Bildung de^<
Lehrerstandes, sowol in allgemein- wissenschaftlicher, als auch in methodischer
Beziehnng, nach der Seite des Wissens nnd Könnens. Aach der Besoldangs-
frage war man emstUeh näher getreten, nnd wenn dieselbe bisher aneh nicht
aar allgemeinen Befriedigung geregelt werden konnte, so ist doch nie der ge-
waltige Fortschritt gegen früher außeracht zu lassen. Nicht minder fand der
alte Krebsschaden des Schulregimentes, die Aufsichtsfrage eine zeitgemüßere
Regelung, indem fast allenthalben an Stelle der bekannten ^ geborenen Schul-
aafteher" fachmännisch gebildete Inspectoren ernannt wurden, die in den
ihnen unterstelltea Sehnlen die GröndsKtie einer gesunden ▼(orwlrts scbrei-
tenden Pädagogik nach besten Kräften in Anwendung zu bringen suchten.
Auch das Rad, das da heißt Freiheit der Schule, wurde trotz mancher
Schwankungen des Schul wagens um ein gutes Stück weiter geschoben, ja das
trotz des heftigsten Widerstandes der Geistlichkeit zustande gekommene Schul-
*i in diesem Berichte die ronfessionelleu Vorliältni^ise eine wichtige Bolle
spielen, so bemerken wir ausdrücklich, doss Verfasser Katholik ist. D. R.
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gesetz vom 16. Juni 1874 inadite die so nötliige Freiheit, die besteht „nicht
im Genoss, sondern in der Arbeit, der unausgesetzten Arbeit an den Caltur-
waUgflb&a des modeneii Staates", gendem mr Ffliditl Mit Beeht wude des-
halb dieseB wkhtigef dem CMsta der Zeit entspfeelieiide Gesets yoa Ldirera
und Schulfreunden anf das Lebhafteste beg^-till^t und als der Anbruch einer
besseren Zukunft för die bisher durch geistliche Gewalt geknechtete Schule
angesehen. — Leider stellten sich aber dem so wünschenswerten Weiter-
schreiten der Schule starke Hindernisse entgegen, vou Seiten einer Partei, die,
dem Zeitgeiste fiherhaupt, so besonders dem Geiste der modernen Sehnle ewige
Feindschaft geschworen hat. (reradeca unglaublich ist, was von diesen licht-
schenon Elementen in Verdrehung von Thatsachen geleistet wurde, unzählig
sind die Antrrirte. die in \\'ort und Schrift die „antichristliche und Staats- wie
religiunsgefälirliche" Neuschule erfuhr. Glücklicherweise scheiterte lauge jeder
nntemommeae TorstoA aa dem festen Willen der Begiening und erst jüngst
antwortete Herr Staatsminister Finger in hSchst onzweideatiger Welse, als
dericale Heißsporne es versadltSBi einen allgemeinen Sturm gegen das ilineii
verhasste Schulgesetz in Scene zu setzen. „Was das Volksschulgesctz angeht"*
— so sprach Herr Finger unter dem Beifall d< r Majorität der Ständekammer
— „so ist bei der Staatsregierung noch niemals der Gedanke auf-
getaneht, daran eine Änderung Torsnnehmen, namentlich eine Ände-
rung in dem Sinne, wie sie von Jener Seite (der nltramontasen nftmlich! D.B.)
erstrebt wird, nnd fÄr welche tagt.lglich das ,Mainzer Journal' (Hauptorgan
der clericalen Partei! D. B.) plaidirt. Eine solche Änderung wird nicht
stattlinden, solange in Hessen eine Kegierung besteht, die ihre Auf-
gabe begreift. Die heutige Schale ist ein Prodnct langer geschichtlicher
Entwickelnng. Sie ist infolge eines mehr als hnndertjfthrigen Prooesses ana
den Händen der Kirche in die Hftnde dos Staates übergegangen, und der
Staat würde seine Existenz selber aufgeben, oder doch dazu beitragen,
dass sie gefährdet würde, wenn er die Schule wieder au.s der Hand
gäbe, wenn er die Kirche die Schule wieder regieren ließe.'' So ist
es glommen» dass die nltramontane Partei trots „BaaemTerein* nnd Er>
ziehnngsbrfidwschaft („es mnss der Junker mit dem Pftifoi gehen") es an
nennenswerten Erfolgen im ganzen und großen nicht gebracht hat.
Andei*s in Mainz! Hier, in der Hochburg des Ultramontanismus, war ja
von hoher Stelle schon sehr frühe der Krieg gegen den „grundsätzlich religions-
nnd gottlosen, sog. modernen Staat" proclankirt worden; wie konnte es da noch
ansbleiben, dass die moderne SchnlOf dieses „Kind der Bevdntion", die best-
gehasste der bestehenden Staats-Institntionen wurde? Dabei Iknden die be-
kannten niinkt'lniilnner nebst ihrem lauten und stillen Anhange selbst da
Unterstützung-, wo man sif zuletzt suchen sollte, nilnilich in Uelirerk reisen
selbst. Es ist hinlänglich bekannt, welcher Eintiuss dem in weitesten Kreisen
bekannt gewordenen Bisehofe von Eetteler während der für Hessen se tran-'
rigen Zeit des Dalwigkschen Regimes anstand; ebenso bekannt ist weiter, wie
die ganz im clericalen Fahrwasser segelnde katholische Abtheilung der „Ober-
Stndien-Direction'* bestrebt war, den Willen des westfälisrlie Zähigkeit mit
italienischer Klugheit verbindenden I'rälaten auch in Bei reff der Lehrer-
emennung zu erfüllen. So kam es, dass nur „Gutgesinnte" in der „Diöcesan-
hanptstadt** Verwendung fimden, solche nur, von denen voraussnsehen war,.
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dass sie dem mächtigen Manne und der „guten Sache" keinerlei Schwierige
keiten bereiteten. Nicht verwunderlich ist deshalb auch, dass, während in
allen Gauen Hessens infolge des Frühling-s, der durch das neue Schulgesetz in
das Laad gezogen war, im Schulwesen alles keimte und sprosste, im „goldnen
Mains* mar mit MlUie nnd allmlliUolk der eliig« Paaser gebiroelien werden
konnte, in den durch Priesterhand die Schule eingezwängt war. Und wäh-
rend draußen „auf dem platten Lande" Männer, die die Fahne der Schul- und
Lehrerfreundliohkt it hochhielten, verdiente Anerkennung landen, wurden ihres-
gleichen au den Ufern des „freien Rheines" in ihrem Wirken gehemmt und
in jeder Beziehimg yertolgt! Es zeigte von genauer Kenntnte der bestehenden
Verhältnisse und too gfsnsdem pidagegtoehen SinBe, daas^ als im Sommer 1883
die Stelle eines Kreisschnlinspectors frei wurde, das inzwischen an Stelle der
..Oberstudien-Direction" getretene Sclinlministerium, um dem Mainzer Schul-
wesen aufzulielfen , die Ernennung eines fachmännisch gebildeten Mannes ins
Auge fasste; sowol die Namen der hessischen Schulmänner, wie die der außer-
heesisehea, die als CSandidaten genannt worden, Uefleo in der Tiiat auch das
Beste hoffen. Allein es soUte anders kommen. Man flüsterte bald Ton Schrittest
die die in Mainz immer rückhaltloser und anmaßender auftretende nltramon-
tane Partei gethan habe und noch in Aussicht stelle, um den erledigten In-
spectorpofiten einer „natürlichen Autorität" zuzuwenden. Genug! prä-
aeotirte aieh in jedermanns Erstannen im Herbete 1888 ein nea enuumter
geistlicher „Inspecter der Stadt- nnd Landachnlen des Kreiaes Haina!" Ob-
sebon man den streng ultramontan-kettlerschen Standpunkt des auf einen so
verantwortungsvollen Posten berufenen Herrn vollständig kannte, so liielt man
es doch in verschiedenen Kreisen tiir nnmüglicli, dass bei einem liberalen Schul-
gesetze, einem liberalen Ministerium und einer inzwischen immer zahlreicher
gewordenen liberalen Lehrerschaft nochmals jeaaitiseher Geist nnd Jesuitische
Schulpolitik ihre Triumphe Mm idtnnte. Daan hatte Herr Brilmayer —
so ist der Name des neuen Herrn Luqpectors — erklärt, „auf dem Boden des
Schulgesetzes zu stehen"; eine Umgehung des in dem Gesetze wehenden
liberalen Geistes aber wurde geradezu für unmöglich gehalten. Dem
Schreiber dieser Zeilen ist seit jener Zeit schon sehr oft das Urtbeil eingefallen,
das ein hervorragender hessischer Sehuhnaan bei der Ernennung BrÜmayers
zum Kreisschulinspector HUlte. „ Entweder muss", so lautete es, „Herr
Brilmayer fortan der Schule leben oder der Kirche. Thut er crsteres, so ist
sein Conflict mit der Clerisei gewiss; lebt er der Kirche, so bedauere ich
Schale und Lehrer, denn ich selbst habe lange genug den Segen
einer geistlichen Schnlanfsicht genossen! JedeniUls aber kann man»
wenn man der Kirche lebt, nicht zu gleicher Zeit ein WoltliSter der so sehr
TOn der Geistlichkeit angegriffenen Neuschule sein!'*
Sechs Jahre sind seitdem verflossen, Zeit genug, um einem Manne in
leitender Stellung Gelegenheit zu geben, das von ihm gewählte Ideal zu ver-
wirklichen; and wer wollte leugnen, dass Herr Brilmayer das seinige stets
unverrBckt im Auge behielt und es mit Zähigkeit nnd Jesuitischer Schulung
▼erfUgte? Ja, es zeigte sich bald» daaa der von gewissen Autoritäten als
,,eifriger Jünger** Bezeichnete Heister g^eworden war und eine mehr als
leitende Aufsicht zu föhren wusste, kaum zum Heile des Princips der geist-
lichen Scholinspection, zum größten Schaden aber für die innere und äußere
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Entwickelang des ihm unterstellten Schulwesens. Allen Bezielinngren spürte
und spürt er nach, an die sich für seine Zwecke anknüpfen lUsst; alle Ver-
ordnungen und Erlasse, die auf ihn als technisches (1) Mitglied der Kreisschul-
committioD sorlldaiiflUirai lind, tragen mett oder weniger daa Gepräge einer
längst aatiqnirteOt mittelalterlichen, nicht feu^hmänniBchen Anflkimng der
Schul- und Lehrerverhältnisse. In den Augen der Ultramontanen natürlich
gestalteten sich alle rnternehranngen als „Siege der guten Sache", d. h.
als Siege einer langst erhofften clericalen Schulleitung. In diesem Sinne
arbeitete aacb die Caplanspresse. Heate wnsate dieselbe von „Verdiensten"
des „hoohTerdieiiteD Hom" anf dem OeMete der Sehide, morgen von seinem
„pflichttrenen und humanen (!!)" Auftreten zu er/.Uhlen, so dass der ünkmidige
den Eindruck gewinnen konnte, als sei erst durch die Ära Brilmayer der
Schule Heil widerfahren! Zuweilen konnte zwar der „pflichttreue" nnd
^jhumane" Beamte mit seiner „herzgewinnenden Freundlichkeit'' auch leideu-
flohaftlieh werden, wenn nftmlicb das SpeooUren anf den Fansttamu der
nrtheilslosen Menge oder auf dai Hitleid der frommen Bfnfiilt nicht mehr ver-
fing. In diesem Falle hob dieselbe Presse mit Freuden hervor, dass „den
modernen PMagogen der Staar gestochen nnd klar gemacht wird, dass die
natürlichen Autoiitllten (!!) doch noch leben.'' (Mainzer Journal No. 304,
Jahrg. 1888.) So interessant und lehrreich es für eine spätere Special>Schal>
geaehiehte aneh w8re, wenn wir eine GeMralmnstening aller Sehnlerlane und
Schulbestiminungen, die ana der neuesten Plmae der Entwiekdangsgeschichte
des Mainzer Krei.sschnlwesens datiren. yomehmen würden, so gebietet docb
Aufgabe und Rahmen unserer Darstellung, uns in engen (irenzen zn halten.
\Vir greifen daher nur auf das zurück, was gewissen, allgemein anerkannten
nnd für den IMnunm ftatatelienden VerUltninen bewmden widerspricht nnd
geeignet ist, aneh weiteren Kreisen das Büd eines Eldomdos geistüdwr
Schulleitung za geben« Der „hochwürdige" Herr Kreisschulinspector hatte
kaum von seinem neuen Amte Besitz genommen, als er Gelegenheit fand, seinen
Standpunkt der heutigen Pildagogik gegenüber zu entwickeln. Auf einer in
Sachen der LehrerbibUothek und des Lehrerlesezirkels abgehaltenen General-
yeraammlnng wurde nämlich von einem mtgliede des LehrarerelnB der Antrag
anf BiwfUhmng dee „Psedagoginrns" gestellt, nnd seUflvtlltlndlich stimmte
weitaus die grf'tßte Mehrheit der Confert-nzmitprlieder für genannte Fachschrift.
Nun aber erhob sidi der bisher schweigsam dasitzende „Vorgesetzte" und
erklärte mit der ihm eigenen „Schneidigkeit'S dass er nie und nimmer
„dniden** würde, dieses Blatt in lesenl Dittes lo setite der edle
Gottesstreiter in seinem «heiligen* Zonie hinm — sei ein „ Antichrist", nnd
der „protestantische Geist" werde mehr als genügend, so a. B. auch von
der „Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung" vertreten. Wir wissen nicht, ob
der „über Nacht** vom Caplan zum Schulleiter des größten hessischen Kreis-
lehrerkörpers Beförderte vorher Gelegenheit genommen hatte, beide Blätter
nnd ihreTendo» kennen n lernen; noch wollen wir nicht mtenuchen, inwie-
weit die Prädicate „anttehiistUeh" nnd „protestantisch** die für Hem B. wol
identisch sind, auf genannte Zeitschriften nnd deren Redactionen anzuwenden
sind : es wurde aber allmählich auch dem blöden Auge klar, was die bekannten
Agenten bezweckten, als sie mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die
Eiosdiielvng des wie sein „hehres" Vorbild v. Ketteier stahlharten und doch
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wieder so elastischen Manrips in die hessische Schiilinspection herbeiznfiiliren
suchten. Diese natürliche Folge der gegen die pädagogische Literatur ein-
genommeoen Stellung des Herrn B. mae, daw dem „deetroeUven*' Xaioser
Lesezirkel dnroii OoollMttiQaeB» Yerweigemiig einer GeneralTenamnilnny ete.
allerlei Cbicanen bereitet worden, im Landbezirke aber die „protestantische"
^AUgemeine Deutsche Lehrerzeitungr" ans zwei Lesevereinen verschwand.
Hier wurde sie als „ Feindin der (doch sonst von dem Clerus geschmähten)
weltlichen Lehrerinnen" hingeetollt, dort eoUte aie atfttt „praktischer Aufsätze**
an viel „onflrnohtbare (?) thewetiwdie ErOrtflnmgen** biingeo! (Im Znsammen*
hange hiermit steht jedenfalls nicht, dass die Lehrpersonen, welche für Be-
seitignng der ^Allg-. D. Lehrerztg." besonders thUtig^ waren, bald eine
BefJ^rdefung nach Mainz erfuhren und jetzt eifrige Mitglieder des „von dem
hoch würdigsten Herrn Bischof mit gutem Grunde geschätzten „Katholischen
BMehnogt^eireias* tindl) Immer iCliker t»t Üe VennntliQng anf, dass der
nm das Seelenheil des ihm mteratollten Lehrpersonals so besorgte Herr bald
selbst als pädagogischer Schriftsteller hervortreten werde. In der That prä-
sentirte sich auch der Unennfldliche , der sonst immer von „Zeitmangel" und
„erdrückender Arbeitslast" sprach, einer neuen Lehrerconferenz als Redacteur
der „wie der bekannte Schulbote" (Organ des liberalen „Hess. Landeslehrer*
Vereins*) monatlich sweimal erseheineoden «Sehnlblfttter". Das nene Prodvet
wurde sls „Ihrblos" von Seiten seines geistlichen Bedacteurs bezeichnet nnd
sollte „in erster Linie" die amtlichen Hikanntmaclningen der Kreisschnlcommission
enthalten; etwas zögernd aber folgte die Bemerkung, dass der übrig bleibende
Baum noch mit „anderen Dingen" angefüllt werden wfirde. Und er wurde es!
Dafür sengen Mmmner flr NamoMr, von der V^rherrUehang des „verdienst-
voUea" Kapnainer^Ptdagogeii Don Boseo bis anrHittheilnng des „bedirenden
Besuches" von dem Alzeyer Lehrerseminar durch den „hochwfirdigsten Herrn
Panlns Leopoldus, Bischof von Mainz" nnd seiner „Beffrüßung^* (!) durch den
Geh. Oberschalrath Greim! Es hätte dieser Herrn B. entschlüpften
Herzensergießnng nicht bedurft; auch ohne sie konnte kein Zweifel darüber
tiestehen, wer nach dar Ansicht der „Sehnlblltter" im hessischen Schnlwesen
„"Rtsn^ IB sein verdient nnd wer nicht. Die Brilmayersehen „Scholblitter''
wurden aus nahe liegenden Gründen von den geistlichen Collegen seines
Bedacteurs durch Abonnements und literarische Beitrüge kräftigst unterstützt,
und Herr B. fuhr trotz „Zeitmangels" und „erdrückender Arbeitslast" beharr-
lich fort, Probennmmem seines Hnsenkindes an Lehrer in Stadt nnd Land zn
veneaden; allein trotedem anf den verMhiekten Adressen die charakteristisohe
Handschrift des fswaltigen Schulleiters in nicht misszu verstehender Absicht an
erblicken war, so wollte das Blatt bisher doch nicht „ziehen" nnd nur wenige,
kanm dem Seminar entwachsene Lehrer außerhalb der Stadt Mainz und gewisse
pädagogisch dilettirende Pfarrherren ließen sich herbei, die so heiß ersehnten
Beitilge SV Ueton, erstsre allerdings in der HoAiung, dnrch diesen Act der
Gesinnnngstiliclitiglnit sich den Wcf nach Mains an bahnen. Sehr verrechnet
hat sich aber jedenfalls Herr B., wenn erglanbt^ dnrdi seine eigene redactionelle
Thätigkeit gewisse „protestantische" nnd . antichristliche" pädagogische Fach-
schriften aus den Kreisen der ihm unterstellten Lehrer verdrängen zu können!
— Auch die alten Klagelieder ttber die „fortschreitende Verwilderung der
Jncend'* worden bald wieder in allen Tonarten gesnngen, nnd wer sollte an
Pa4mt«nB* St. Mir. HM IV. 19
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diesem Übel anders schald sein, als dieScbule?! Allen modernen pftdagogiidieE
OnmdsitJWB warn Hohne wurde dam aoob die Zahl dar BeUgioosstnndea per
Woebe von vier wat fftnf erhSbll Dw „goldeM Kalns^ hat «Im uter allen
hessischen Gemeinden den zweifelhaften Rohm, in Minen Volksschulen die
größte Anzahl der v^öchentlichen ReligioDsstnnden zn genießen. Dabei sorgte
Herr B. auch dafür, dass in den übrigen Lehrstunden das „Wort Gottes" zu
seinem Rechte kam. Sogar protestantische Lehrer und Lehrerinnen wurden
angehalten, darauf n eehent daaa bei Beginn und Schhiae der Lehretnaden für
Profan fä eher die katholischen Kinder MTichtig das heilige Kreuz machen".
Ein 90 belehrter I^hrer erlaubte sich zwar die Einwendung, es sei dies Auf-
gabe des betr. Keligionslehrers; allein „Sie müssen!" so klang es ihm ent-
gegen, und schwer, sehr schwer hatte der „liberale Krakehler" seine „unqnali-
Hdrbtt« Binwenduog" spftter noeh an MBen. So aebr batte man atoii in te
Eifer fBr die religUlM Bildung der Sebnijngend binefaigeredet, dais man aich
auch in der Beaufsichtigung dea Religionsunterrichtes nicht genug
thun konnte und „man" außer dem gewiss waschecliten Herrn Kreisschnlinspector
und einem zum „Religionsinsi)eot.(»r" ernannten bisclHit'l ichen Donicapltnlar
noch vier andere ,, besonders verdienstvolle" PlarrgeisLliche der Stadt Mainz
snrBeaaMobtigung dei lutholiaeben Beligionsanterricbtea beBÜmmte. Zngleieb
eriiieltoi die Alumnen dea bisehöflicben Seminars die Erlaubnis, die Ton dea
Lehrern ertheilten Religionsstnnden besuchen zu dürfen! Man wird uns viel-
leicht von Seiten unserer „Schwarzen"' einwenden, die znletzt genannten
Alumnen seien nicht zu Aufsehern Uber die Lehrer bestimmt, sondern ihre
Anwesenheit in der Schulclasse bezwecke eine Beförderung ihrer praktischen
OeeebiekUchkeit Allein wir aind an genan mit den AMcbannogen dieser
Leute vertraut, als dass es uns gelänge, einzusehen, wie dem durch die ver*
scliiedenen Weihen" zur „liölieren Einsicht" Gelangten in irgend einer Be-
ziehung Belehrniip von dem durch Geburt und Beruf mit einer levis notae
macula behafteten „Schulmeister" zutheil werden könnte! „Die modernen
Ptdagogen werden wol" — ao epraeb daaalt eine bekannte elerieale „GrOBe"
»ftber manchea ilire pidagogische Nase rfimpfen; alldn es ist daftr i^e- '
aorgt, dass, wenigstens in Mainz, ihre Zeit vorüber ist!"
Wir kommen zu einer anderen interessanten Ei-scheinung innerhalb der
neuesten Phase der Entwickelung des Mainzer Schulwesens, nämlich zu der
Thatsacbe eines bedenklichen Hervortretens confessioneller StrO*
mnngen. Bs war den altramontanea Oewalthabem achon Iftagst ein Dom im
Ange, dass zwischen den eiaaslnen Lehrern der Commnnalschnle ohne Rück-
sicht anf die Confession ein reger, ungetrübter Verkehr herrschte, dass derselbe
sich auch äußerlich in einem simultanen Lchrerverein und einem Leseverein
von gleicher Beschaffenheit zeigte Auch das mnsste anders werden, Herr
Brilmajer batte, wie bereita beaierkti achon frftber von einem „protestaatiseben"
GMste gesprochen, der mehr als genügend ▼ertreten sei, nnA «katholiaelie
Lehrer haben andere Bedürfnisse als protestantischel* so klang ea
weiter von den Lippen desselben „modernen PHdagogen", als eine Vereinigung
der von ihm besonders in schützende Obhut genommenen Landlehrer im Be-
griffe stand, eine gemeinsame Lehrerbibliothek zu gründen. Die Folge dieser
ofBciellen ErafUeistnng blieb denn nicht ans. Verletate lätdkett nnd nn-
befiriedigter Ehigeia einerseits, religiöser Fanatlemna nnd dericale Unduldsam*
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keit andererseits, sie alle fanden sich in rührender ilarmonie in dem Bestreben,
den Fackelbrand des confessioneilen Haders in die Kreise der Lebrencbaft za
Mbkidira. laibeiradfln aiber erMiryoB dieaeD Wflblen der Ubarato JLtndM-
tehierrerein", in weldMai di» hMiiacben Lehrar ohne Frage nadi dem Tauf-
achein ihre Interessen gemeinsam vertraten, die heftig^ste Aufeindang. So
mnsste es denn die Welt erleben, dass in dem Lande Philipps des OroBmötigen
eines Tages, ^um den Bann des Landeslebrervereins za brechen" (1), ein „katho*
Ilaoher Brziebangsverein fär das GroflbenGogthiini Hesaeo** entstand, ge-
laitei md imrtagirt BaMriieh von Mains ana, in walehar Stadt aeit der Biil-
mayerschen Schnlleitong nach den Worten eines Kenners ^kein Pflastaratein
in den Schnlbof gesetzt wurde, ohne aaf seinen confessionellen Charakter ge-
prüft zu werden." Nach § 1 der Satzungen des genannten Vereins besteht
der Zweck desselben in der „Förderung der religiösen Erziehung im Geiste
der kntlioliaohen Eirebe!" Waa dieaa Framinen unter einer „Bniehnng
im Oeiate der kalboUaebeo Kirebe'* verateben, iat Jeden klar, dar einmal in
die Karten dieser Oottesstreiter hineingesehen hat. Außer strenger, wenn andl
äußerlicher Befolgung der kirchlichen Ceremonien und Herbeiführung einer zur
Schau getragenen kirchlichen Gesinnung verlangen dieselben nämlich nuter
jenem Schlagworte weiter eine confessionelle Färbung des gesammten
Profannnterriobtea, also Hineiotragnag von Bigotterie in jede Art der
üoteniclitafächer! Nach den Unterrichtsmaximen dieser Clique werden natür-
lich nur „religiöse" Siltzo als Scli<irischrift in Anwendung {gebracht, wird bei
jedem Dictando Wasser auf die p:roße römisclie Miihlc geleitet, und jedes Lose-
stück muss es sich gefallen lassen, für ultramontane Zwecke ausgebeutet zu
werden! .Im Oeiate der katboUaeben Eirohe** wird Umier die Qeaefaiolite vor*
getragen, d. fa. divt wo die Tliataaehen sn Uagonaten der Plpate and Hiararehie
sprechen, gefälscht, in der Geographie statt Erdbeschreibung biblische Orta-
kunde gelehrt, ja selbst in der Arithmetik werden die Rechenexempel so ge-
wählt, dass dabei „die Kirche und ihre Diener gut drauskommcn! Dass eine
solche „Erziehung** keine Erziehung, sondern eine Abricbtnng, eine
Dreaanr iat, kimmert dleae deriealen Biedermlnner niebt; man will eben
nicht ein wolnnterrichtetes, aufgeklärtes, gebildetes, sondern ein «glänbigea"
d. h. ein einfältiges, leicht zu belügendes Volk! Nach einem weiteren Para-
graphen soll aus dem „katholischen Erziehungs verein" „jede Politik aus-
geschlossen sein". Man überlege aber! Eül Verein, der von politisch-
deriealen Tagesblättem angeregt, von hervorragenden Fartallliurem gegrSndet
nnd geleitet wird, dar oiKen Tenprifkt, den „Bann dea libemlen Lnndealekrfer-
vereins an breeben*'; ein addier Verein schreibt nnf seine Faline: ,,Pditiadw
Bestrebungen sind ausgeRchlosBen!" Wir wissen wirklich nicht, was wir am
meisten bewundern sollen, die Unverfrorenheit der Behauptung oder das Spe-
colireu auf die Leichtgläubigkeit der Menge! Mit Hecht konnte deshalb auch
der verdiente Obmann dca „Landedebrerverdna", Herr Lebrer Baekea war-
nend mfen: «Waa aie wollen, ist nneingeaokrftnkte Herrschaft über
die Schule, was sie für den Lehrerstand erstreben, ist Knechtang
anter das clericale Joch; darum trauet ihnen nicht!"
Dass bei einem so von Jesuitismus und Hierarchismus durchtränkten
Schulorganismns uieht dn frischer, frder pädagogischer Geist dek eatwiekdn
kann, liegt für jeden EiadchtavoUeu auf der Hand; ebenao ist klar, daaft da,
19*
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,wo dieser Geist ablianden gekommen ist, das Dogma, die Fom, die geistlose
Sclablcae ihre Hvnduift aiftohllgt. Zo dem Übel des GleriealiBmiiB gesellt
sieh «6 das einer auf ÄvtoritAt gegrflndeten »Bnrean-Pldagogik*;
Aach in dieser Beziehang ist die Brilmayersche Sdinlleitlll^ 4iB iprechflll-
der Beweis. Rede man da immer auch von Anfordernng:en einer gfesnnden
Piidagogik, von Rechten des Kindes und Berücksichtigung einer individuellen
LelirtecUuik: ein kategoriBches »Ich verlange es so**, wird die stete Ant-
wort bildenl 'Was aoll nim der das lUße Joch einer etoteelen SehaUmfUeht
Ingende Lehrer beginnen?! WOl er pariren (die Präftmgen sind aehr frühe
nnd werden oft nar zwei Tage vorher angesagt!), so mnss er wol oder übel
„jagen". Herr Brilmayer verlangt ja, dass das und das vorhanden ist,
ihm ist nicht der geistige Stand der Classe und der Grad des Verständnisses
Hanptsaobe, sondern ein „alleseit verfögbares Wissensquantami " Die nnaoa-
UeibUehe Fcdge ist denn aaeh, daaa dnieh das Haaefaen nach pSdagogiaehen
Flittergold die Fächer, die eine tiefere, geistigere Lehrerwirksam-
keit erheischen, wie z. B. das Deutsche, seit 5 bis 6 Jahren in den
Volksschulen von Mainz, wie leicht bewiesen werden kann, in besorgnis-
erregender Weise zurückgegangen sind! Daneben kann, wo das an-
hefanlidie Gespenst einer nBnrean-Pftdagogik" einmal haost, von einer Arbeit
aiia innerem Drange, ven Begeiaternng fftrden Bernf nidit die Bede
sein, und gerade die besaeren Elemente des Lebrerstandes finden aicb am
meisten in ihrem Wirken gehemmt. Was über sie triamphirt, ist eine anft-
selige Liliput- Pädagogik, die Mittelmäßigkeit, die geistige Impotenz, die Untere
wfirfigkeit, das Kriechertham, die Schmarotzereil
Neben dieeer allMi p&dagoglaehen Ctoaetaen direet nawiderlanfenden „Bvreaa-
Pädagogik^ wndiert eine nicht minder gefohrliche Giftpflanze in dem Mainzer
Kreisschulwesen, es ist die immer mehr zur drückenden Last gewordene
Menge bnreaukratischer und statistischer Arbeiten. Man sollte
meinen, das Heil der Menschheit hinge daran, wenn man sieht, wie genaue
VoracfarifteD eilaaMn werden s. B. Uber die Farbe dea Schreibheft*
aebnitteif Uber die Ftthrnng der Lehr berichte, etc. et& Waa nttit es
— 80 fragen wir — was ntttzt es der Sdmle, woui bei Conferenzen aosf&hr-
liche Notizen ttber das procentische Verhältnis der katholischen Kinder
zu den evangelischen zur Verlesung kommen!? Was kann für die Schul-
arbeit heraosspringen, wenn der Lehrer noch so genau in die Schnlchronik die
aahlrelehen amtliehen Erlaaae eintrigtl? Wir behaupten aogar, daaa dnroh «ina
aolohe maschinenmäßige Arbeit der Lehrer nnnOthig belaatet, von seiner
eigentlichen Wirksamkeit abgelenkt wird, und dass er selbst zu
einem verknöcherten Statistiker und Ziffernsammler herabsinkt.
Herr Brilmayer allerdings scheint anderer Meinnng za sein. Bei Visitationen
iat uladidi aein eratea Beginnen — naehsoaiiMn, ob aneh alle Geionnen der
ireiechiedenen Liaten hlibaeh mit Ziffum anagellUlt aind, nnd ob die Froeenta
'Sich aach richtig auf die vorgeschriebene Anzahl der Decimalstellen migerechnet
finden! Wehe dem Lehrer, bei dem das Auge des Herrn Inspectors noch einen
Mangel an dergleichen Dingen vortiiulct! Sofort ist dies Stoff zu neuen Er-
lassen, in denen — unter Nennung des Namens des säumigen Lehrers
' — aof die Nothwendigkeit aohirfsrer Beatlmmongen etc. aaftnerkaam gemacht
wird. Wir mOehten wiaaen, wie nnter aolchen Veridatniaaen der Lehrer an
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einer rahigen, allein gedeihliclien Arbeit kmuneil mlll. Wir tchließeti uns
Tollständig in dieser Beziehung dem Pädagogen Mager an, der in folgenden
Worten das Resuni6 anch iinsrrer Ansicht Über die Schnlstatistilc aasgedrUcItt
bat: „Dnrch die viele Beaufsichtigong'' — so schrieb er einst in seiner
»DMtMhMi BtigsEMhidA* — „iraideii die Solnileii nkdit bcnor, ehe tehleeii-
ter, taa m ist wilir: je ftnrstlielier eine Thlti^keit beeufttchtigt
Dvird, desto ftuBerlicher wird sie. Man kann es durch eine solche Be*
anfsichtignng wol dahin bringen, dass die Versänmnistabellen, die StofTbücher,
die Censarlisten, die Schreibhefte der Schüler und andere Äoßerlichkeittm in
guter Ordnung gehalten werden, aber die eigentlich geistige und sitt«
liehe Lehrerwirkeankeit geht dabei naeh and naeh sa 0raade|
weil sie gar aieht beanfsiehtigt werden kann, und die Lehrer . . . . zn«
letzt dahin g-odrüngt werden, ilire p-.inze Aufmerksamkeit und Sorgfalt dem
zuzuwenden, was dem Schnlaufseher nothwendig in die Augen fällt, d. h. dem
minder wesentlichen, wenn 's hoch kommt, den äußerlichen Fortschritten
In XflBBtaima aad FertigfcdtaB .... Wen eia (^ystmatisditi MiwferMMB
bewisMo werdaa mass, der ^verdisat aichts aaderaa, als dass er vea. dem
Schnlamte entfernt wird, denn er ist unfähig, die Erziehung der
Schuljugend zu leiten, er ist ein Mietling! Leider gibt es noch Miet-
linge nnter den Lehrern, nicht wenige davon sind es aber gewiss durch
die Mietlingsaufsicht geworden, der man sie unterwarfl'^
Haa aiiM gwtehea, Herr Brflmajw hat es vtnteadeo, dM vielgepriMaie
ßjritemdergciitlidMnSchnlaalUcfatnach Jeder Blehtnng hin aanabanen! Seine
„hochwnrdigsten" Lehrherm, sie können stolz sein auf ihren einstigen
Zögling, der sich rühmen kann, ihnen ebenbürtig zur Seite zu stehen, eben-
bürtig vor allem in der Auffassung der bestehenden Schul- und Lehrerverhftit-
nine. Es sind nicht die Augen eines Mannes, der cljeetiT nihigen Bliekes
dnreh die Welt schritt aad Dinge and Persooea nimat and gelten liest, wtt
ile dad, sondern es sind die mit kunstvoll geschliffenen Gläsern bewaffneten
Augen eines treuen Sohnes der Kirche" und eines eingeweihten der römischen
Politik und Hierarchie, jener Hierarchie, „welche mit der ^esamniten modernen
Cultur im Kampfe liegt oder doch in unlösbarem Widerstreite sich befindet,
elaer HleraroUe, welche ihre Ideak ia den kirehlicbea, Qberhanpt lodalea
ZirtHndea des lOttelilten tncht" Anfisewtehsen aa dm Brttsten einer jesn-
itischen Weltanscbannng hat Herr Brilmayer es verstanden, still und geriUtsehtiM^
aber desto sicherer, sie „zur größeren Ehre Gottes" in die Schulleitung zu
ubertragen; mit rücksichtsloser Strenge bekämpfte und bekämpft er alles, was
ihm zur Erreichung seines Zweckes hinderlich ist, ja ihm als solches anch nur
ieheintl Wehe nlmlich dem, von dem bekennt wird, dase seine Ansldit tob
der des sich fQr anfehlbar haltenden Schulleiters abweicht! Ein trefflieh
org-anisirtes und nur von „bewährten" Denuncianten geleitetes Spürsystem
sorgt dafür, dass alles, was vielleicht einer oder der ;ind»TP ..moderne Schul-
meister" mit seinem „aufgeblasenen Wissensdünkel" äußert, au den obersten
laqaialtiontrlefaler gelangt Hnsite doch z. B. ?or einigen Jahrea ela katho»
liseher Lehrer die Qnalen einer DisetpUaarnntersuehang bestehen, weil aha
▼ermnthete, es — stehe mit seinem Tenfelsglanben nicht zum besten!
Und zwei andere derselben Confession angehörige, aber „nicht nltramontane"
Lehrer sahen sich, um den V erfolgungen einer stets wachsenden Heute zu ^
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entgehen, veranlasst, ihre Confession mit einer anderen zu vertauBchen. Schade,
dads Folter nnd Scheiterhaofen nicht mehr winken, unser Schnlleiter des
XIX. Jahrbonderta würde schon längst wenigstens seineu Wirkungskreis Yoa
d«r wlibcnlMt PMt** gvfcioigt bftbenl Fast ssbeiot €•» Hsmi Mmayw sehwebe
auch in seinem Verb<iili xa den Untergebenen sein f,unyerge88licher Bischof
Kettler" vor, der einst an der Tafel des Cardinais H. die bezeichnenden
Worte sprechen konnte: „In meiner Wirkungsstätte hört kein Bischof die
Wahrheit, schon — in folge meiner höheren Jurisdiction!" Mag ein solches
EoadEiaiegfaMiit vieikii^ bk dem festgefügten Körper einer päpstlich-jeseitfiehMi
HieraieUe am Pkrtw sein — in eine Sdnlleituif des XIX. Jahrhinderti
fehlirt es nkht. Ein Schulanfiseher, einerlei in welcher Stellang er auch sein
mag, muss wissen, dass seine Untergebenen „nicht bloe als Mittel zum Zweck,
sondern auch als Zwecke", d. h. als Menschen und zumal als ^lännor zu
betrachten sind; bei allen Amtsverrichtungeu muss das Lehrpersonai merlLCn,
daie der Inspestor Faehkenntnia beritst, dass er weiter mit ihm Mg ist in
der Liebe zur Schule und in der Sorge für deren Wolergehen. Ist dies nicht
der Fall, dann hilft anch der strengste Disciplinar- nnd Strafcodex nichts, der
Inspector ist und bleibt „eine Null TOT einer Eins" (Dr. K. Xehr)| eine »ver-
fehlte Existenz" (A. Chr. Jessen).
Es sind trftbe, traurige VerhftltDisse, unter denen das Sehnlwesen der
Stadt nnd dee Kreises Mains leidst, tranrig für die Sebnle sowol als niieh IVr
den Lehrerstand! Allein — so fraieren wir — dürfen bei dieeon. onerqnick-
liehen Umständen die Lehrer ruhig die Hände in den Schoß lepren oder sich
gar der Strömung anschließen? Nimmermehr! Bessere Zustände werden
nur durch Kampf herbeigeführt, allein der Feigling wartet, bis dad (iute
yon aelbet kommt, „bis der Strom sieh wird veriaaUni bsiben". ÄngstUebe
Gemfither denken mit Heine: „leb mnss meiner Sicherheit wegen jetzt devote
Gesichter schneiden, sonst pribt er (?wer?) mich seinen Mitheuchlern in
Christo an!" Wir aber wollen unsere Hoffnnng nnd Tliatkraft frisch erhalten
ohne Rücksicht auf Menschen und Zeiten und im Vertrauen auf den endlichen
Sieg unserer Sache mit dem edlen Streiter Ulrich von Hntten spreohen:
„Mehl Miasgesebiek Ist groS» mein Math aber ist noeb grSfterl*
Württemberg. Das Jahr 1889 mnss für die württembergische Lehrer-
schaft als ein an mancherlei Erfahrungen n iches bezeichnet werden. Zunächst
ist hervorzuheben, dass die Schulanfsichttsfrage auch wieder einmal im Land*
tage. rar l^inraebe kam. • Anlasa dasn war gegeben, dnroh eine geringe Mehr-
fordemng an besserer pftdagogioeber AnsbiUimg jüngerer OeistHeben durch
Abhaltnng von sechswSchenUichen sebnltechnischen Lehrcnrsen. Ein Redner der
Linken bestritt die Nothwendierkeit dieser Mehrforderung, deren Bewilligung
dazu führe, das geistliche Schulregiment noch mehr zu stärken und stellte
einen Antrag auf Einführung der fachmännischen Schulaufsicht zur Leitung
and Überwaebnng des ünterriebts in den w^lieben Fftebem. Wie sieb aber
schon ans der Zusammensetznnii unserer zweiten Kammer mit ihren privile-
girten Rittern nnd Prälaten vorhersehen ließ, konnte das Ergebnis der Ab-
Btimmnner kein dem Antrag- günstiges sein. Derselbe wnnle mit f>8 gepen
12 Stimmen abgelehnt. Doch hat dieses betrübende Resultat immerhin das
Onte, dass diese Ar die gedetbUebe Sntwiekelnng naaeres VolkssobnlweaeBa
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hochwichtige Frage wieder einmal ans der pädagogischen Presse und den Ver-
einsbestrebungen der Lehrer hinaus in die r)ffentlichkeit gerückt ist. Da es
bei dem übermächtigen Einüuss der Geistlichen aber wol nocli lange nicht za
eiMr in SiaiM der FMdnuunmiilUflht Uegtadoi Äiid«niii|r konaeii wird, wo
kautt man den jetzigen eifrigen Yerfedttmi dieser Fordenug: omioweiijiger
vorwerfen, sie werden in ihrem Streben von persönlichen Bücksichten geleitet,
• BdtMderen Worten, sie erstreben nur deshalb eine Ändernng, damit sie sogleich
in Sohalanfefchtaftmter einrücken können. Eben diese in weite Feme gerückte
Änderung mnss es ja sein, weiche die jetzige LehrergeneratioB ent recht an-
apomt, ram Wol der Sdnle allee Mrikobieton, daadi die fliigaode OenemtiiMi
Ib günstigeren Verhilltnissen arbeiten kann.
Besser als mit der Aufsichtsfrage ging es dagegen mit der Aufbesserungs-
frage, die am o. Juni d. J. zur Berathung kam. Die Kammer ging, was noch
nie da war, einstimmig über die Regierungsvorlage hinaus. Es wurde bewilligt
•o pendöneberechtigten eUatUchen AUemnlagen vom 80. Jahr ab 80 Mlc.
i Mither 0), vom 35. Jahre an 90 Hk. (seither 0), vom 40. Jahre an 180 Uk.
seither 100 Mk.), vom 45. Jahre an 270 Mk. (seither 140 Mk.) und vom
50. Jahre an 360 Mk. (seither 200 Mk.). Ebenso wurden die in drei Ab-
stufongen gereichten Witwenpensionen erhöht von 250 Mk. auf 300, von 325
.auf 390 und von 400 auf 480 Mk. Diese erfreuliche Thatsache der eiu-
atimmigen BewUligong dieser ErhShnngen ist darauf aarfickanführeB, dasa die
Beaeldnogsaufbesserung der Lehrer mit der allgemeinen Beamtenaaf besserung
zusammenfiel. Anstatt aber bei dei-selben die Bedürfnisfrage in vorderste Linie
zustellen, wurde von der Regierung eine procentuale Aufbesserung vor^eschla^^en,
und zwar so, dass die Geistlichen und Lehrer 7 "/^ und die übrigen Beamten b^jg
ihrea GeaannteiDhonmeoa ala Aafbeaaernng erhielten. Die letateren aber
erhielten liiesn je nach der GrSBe ihrea Wohnaitxea 4» 7 nnd 9*/« Wohnnnga-
gddsnschnss. Die Regiernn«rsvorlage wurde angenommen, so dass der ohnehin
so große Unterschied zwischen höherfn und niederen Beamten noch größer
wurde. Die Besoldunffserhöhung der Lehrer aber, die auf zuletzt verschoben
wurde, konnte nicht genehmigt werden, ohne dass ein Mitglied der Oberschul-
hehSrde, PriUat Dr. tob Mwa, neben aneikennenden Wortea die heftigsten
AnsDUte gegen die freiere Richtung im Lelireratande machte. Zum Schlüsse
der einstündigen Rede dürfe der obligate Hinweis auf den Gotteslohn nicht
fehlen, welcher mit den Worten gegeben wurde: Wehe dem Lelirer, wenn er
nicht auf Höheres hofft , wenn er nicht auch hoffen und rechneu könnte uud
wollte anf den veirheifienen Gottedohal Vom Abgeordneten Lehrer Nnssbanmer
wnrde dieser Vortritotnng gegenBber betont» dass mit dieser Mflnae keinem
Beamten, nicht einmal den Geistlich» anl|iebessert worden sei. — Aus dem
Vereinsleben Württembergs sei hervorgehoben, dass sich der „Volksschullehrer-
verein" dem ^Deutsclien Lehrerverein" angeschlossen hat, und dass er beab-
sichtigt, die beiden anderen Vereine, den „Katholischen Volksschullehrervereiu'*
OBd den „Evangeiiaabea (pietiBtiaefaea) Lehrerverein*> an ▼eranlassea, aieh mit
ihm ia wiehtigen Fragen aar gemeinaamea Aetion anaammenaothnn. Schön
wtra es, wenn dieser Plan znr Gründung eines wärttembergischen Lehrer-
bandee führen würde; allein die Katholiken wie die Pietisten stehen dieser
Anregung sehr küiii gegenüber und das Ganze wird wol ein frommer Wunsch
bleiben. F.
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Ößterreich-Ungarn. Am 3. December ist. der Kcidisrath wieder zii-
'MHimengetreten, diesmal ohne deQ Priozen Alois von Liechteustein , der sein
Handat iiiederg«legt hat, weil ada Angriff anf die Nenehnle geeeheileit iat
Wir haben der Saefaa in ihren Yenefaiedenen Phaaen die gebllrende Beaehtang
gewidmet and sind mit dem znr politischen Rohe eingegangenen Haupte der
fendal-ultraraontanen Partei vorlilnfi^' feitig; möge er in Frieden leben und
andere in Frieden lassen. — Einstweilen herrscht nun unter den Verfechtern,
der oonfeeaionellen Schole Verstimmong, Zwietracht nnd Bathlosigkeit. Sie
•woDen daher Im Abgeordaeteahanae ihre Action ein wenig rohen laaeen nnd
abwarten, oh ihnen nicht im Henenbanse die dort sitzenden „Eirchenforsten*
den Weg zum Ziele bahnen. Der gute Wille soll vorhanden und zu baldigen
'Thaten bereit sein. Nun, wir lianrea der Dinge, die .da kommen sollen.
Aus Kroatien erhalten wir die folgende erfreuliche Nachricht:
Das kroatische Lehrerheim in Agram wurde am 4. September v. J.
Merlich eingeweiht und vom Vorstande der Abtheilung für Cultur und Unter-
rieht, Hemi Dr. St Spevec, dem raaüoaen FSrderer der Schale, namena der
aadeeregiemng seiner Beatlmmnn^ fibergeben.
Vor vierzehn Jahren tanchte die Idee der Errichtung eines Lehrerheims
zum erstenmale im Kreise der pädagogischen Gesellschaft auf. Im Jahre 1884
gelangte die Idee zur Reife, und heute sehen wir sie schon verwirklicht, sehen
wir das Werk vollendet. Dass es möglich wurde, nach verhältnismäßig so
knnser Zeit äen stattliehen Ben anfgefBlirt zn sehen, der am ICarktplatae, In
der Nähe der Universitilt und Akademie, 2nr Zierde der Stadt und zur Ehre
derjenigen sieh erhebt, die entschlossen, geschickt und mit Patriotismus das
Werk gescliaffeu, ist nur zu verdanken dem einheitlichen Vorgehen der Lehrer
nnd aller Schichten der Bevölkerung. Die Gesaramtkusten für den Bau beliefen
sich auf 104487,65 iL, wekhe Snmme anfigrebraeht wnrde: durch ein nnver-
ainsliehes Darlehen von 10 000 fl., das die Landesregiemng Torstrei&te, ferner
durch eine Lotterie, die einen Reingewinn von 15 000 fl. abwarf, dann dnrch
Beiträge des „Verbandes kroatischer Lehrervereine," der pädagogischen Gesell-
scliaft, einzelner Lehrer, verschiedener Geldinstitute, zahlreicher Stadtrepräsen-
nzen und der ganzen Bevölkerung.
Das Lehrerhefm — das zweite in Europa — wird alleselt den GrAndem
an bleibendem Huhme, der Lehrerschaft zn allseitigem Fortschritt dienen;
dieses Heim errichtend hat sie den Beweis geliefert, dass mit Ideinen Mitteln,
wenn Einigkeit herrscht, Großes vollbracht werden kann.
Mit der Verwaltung des Gebäudes ist ein aus sieben Mitgliedern bestehender
Ansschnss betrant A. D. in K.
Ans der Fachpresse.
251. Über die Nothwendigkeit des fransSsischen Unterrichts an
den Lchrerseminarien (U. Kleinert, A. D. Lehrerz. 1889, 42). Vortrag
anf der letzten Hauptversammlung des allgemeinen sächsischen I/ehrervereins.
■„Der Unterricht in der französischen Sprache sollte in den Lehrplan der
Lehrerseminare aufgenommen werden, weil es im Interesse der gesellschaft-
licben Stellang dea Lehrers liegt, die franiflaische Sprache es wert UA, daa
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Jkoit es erfwdert." Wenn: Lfttein oder FhunOetaeh — dann für FnuuriMieh
.entacheiden.
252. Aus Pftstalozzi's Umarbeitung; seines Buches „Wie Gertrud
ihre Kinder lehrt" (0. Hunziker, Pestalozziblätter 1889, VI). Umarbeitong
in 8 Briefen (der Jahre 1804 und 1805), von denen 3—8 achon bei SejlTartb,
Bind XVII, TerOiSMifliclit, 1 «nd 2 Terloren geraubt, nonmebr aber in der
Zflrieber Stadtbibliothek aufgefunden worden sind. Diese beiden eraten Briefe
■liasail in den „Pestalozziblilttern" vor. — In dem ersten vollständig ansgear*
beiteten Briefe beklagt sich Pfstalozzi darüber, dass er ,,8o übel verstanden
worden £r sagt u. a.: „Dqt Geist, der in mciuem Üuche von seiner ersten
•Seit» Ma aaf seine letite weht, tat das voUendete Zeugnis, daaa ieli iieiBe
Hethode anf daa HeUlgthnm dea Organiamna der Menschennator an buen
sachte; aber ich brauchte statt dieses Wortes das Wort: Mechanismus, and
dafür beliebte man sich die Mühe zu nehmen, um diese« verfehlten Wortes
willen ans eigenem Kopfe ein UnvernnnfUbild zu schaden, von dem keine Spar
in der Ansieht meinea Bachea liegt." — Der sweite Brief hatte arspröngüoh
IbIfMde EinleitBiig! »llaB flogt an, aieh Me and da so tngm, wie daa» waa
ich jetzt treibe und thue und was ich darch mein Leben immer gelhaa aad
betrieben, eigentlich von friihor Jugend auf in mich hineingekommen sei —
and die Art der Entfaltung meines Geistes und meines Herzens hat wirklich
aoviel Eigenes und soviel Zusammenhang mit der Art meines jetzigen Denkens
aad Hsadelna, dsaa Idi ea wirkUeh für aehicklieh halte, Didi (Oeaaaor) in
dieaem BrieHa biervea an nnterhalten.** Er aprioht aon (in disaem sweiten
ausgearbeiteten Briefe nnd in den Fragmenten anderer Redactionen) von der
nachtbeiligen Bedentung, die der frfihe Verlast des Vaters für ihn gehabt, von
.dem Einflüsse der Magd (die er anfti höchste rühmt), des Haases überhaupt, der
Schale, Bodmers. Hier noch eine der zahlreichen wichtigen Äußerungen:
«Uebe, Arbeit aad ümgaag aiad die voa der Natnr aelbat gegebeaen Weckaaga-
Bilttel der Gesammtheit derKr&fte unseres Geistes, unaerea Herzens und unseres
Körpers; es ist aber unmöglich, dass diese Gesammtheit unserer Kräfte allgemein
nnd harmonisch geweckt werde, wenn diese Mittel nicht neben» und mitein-
ander und im Gleichgewichte untereinander aaf die Bildung des Menschen ein-
wirkaa. Die ao aotlmaBdige BanooBia im Eiaflasae dieser dnl OegeastlBde
mangelte metaerSniehaag gaaa. Der aeeteaariiebeBde, Liebe nadAafopferaag
weckende Zustand, in dem ich bei einem angeborenen lebendigen Ti leb an einer
jugendlich sprudelnden Thätigkeit im Geiste dieser Liebe und dieser Aufopfening
lebte, war mit der höchsten Beschränkung in der Bildung zur Arbeit und in
den Gelegenheiten zum Umgange verbunden, und das Unglück meines Lebens
Ittt in aeinem gaaaen Umüaage ia diesem Ihnatande seine eigeotlidie Qndle sa
anehen.*'
253. Social elrrthfim er und die sociale Heilkraft der Pädagogik
(E. Roff, Hannoversche Sthulzeitung 1889. 33. 34). „Die Erziehung des
Menschen zur Selbsthilfe, die Emporbilduug seiner Anlage und Kräfte bildet
den Pol, nach welchem alle Erziehnngsbeatrebnngen Peataloisi'a biazieleD, nnd
darin ist auch daa innerste Wesen der Sodalpldagogik gekennzeichnet.'' Die
Principien derselben hat die aocialpädagogische Bewegung der Gegenwart zn
erforschen, auf sie, also auf Pestalozzi sich zu gründen. (Bisher versäumt.)
254. Bischof Sailer als PUdagog (K. J. Brand, Eepert. d. Pttdag.
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1889/90, 1). Seine Vwmuiteebaft mit F^nelon, seine Anerkennnng RooiMM*t b»-
betont, — ^Sailer war ein feiner Beobachter nnd Kenner der Menschen- nnd
Kindesnatnr und stellt, wie Pestalozzi, überall an die Spitze der Erziehung das
Princip der natargemäßen körperlichen nod geistigen Entwickelang. Dabei ist
er M TOD jeder Enghendgkeit eKduhrem Klfolieothiiiii, ond nirgends iit
bei ihm eine Spar yon stairem OoBfeerfoiiaUiBiii.'' (Bewein zmeisi mit
Sailers eigenen Worten.)
255. Volkswirtschaftliche Lehren im Unterrichte der Volks-
gchnle (Praxis der Schweiz. Volks- und Mittelschulen 18H9, V). Verfasser
nennt die Volkswirtscbaftulehre eine concrete Sittenlehre. Sie bilde keinen be-
tenderen ünterriehtegegenttand , Mmdem werde »n geeigneten Stellen nndmr
F&cher den Kindern nach nnd nnoli fibennittelt, besonders im kirchlidMi
Unterrichte (4., 7. Gebot!), in der Geographie, Geschichte und ira Rechnen.
(Ffir diese Einfügung werden geschickte Andeutungen gegeben.) Das Lesebuch
soll eine gute Aaswahl kaltargeschicütUcber and volkswirtschaftlicher Bilder
als Grandlige bringen.
866. Über Jagendleotlre und Sehttlerblbliotheken (RIehtw,
Seblesische Schnlzeitnng 1880, 41). Kritik der gegenwlrtig bestehenden
Schalerbibliotheken: Tendenz verwerflich, weil die Kinder veranlasst werden,
nur zu ihrem Vergniig-en zu lesen. Einrichtung verkehrt, weil hinsichtlich der
Zumathung an die FasAongskraft und AneignnngstUbigkeit der Schüler ein
gewaltiger Widenpnidi beetebt BwiMbeo dem SebnUeeen md derPrifatleetln
(2, 3 — 60, 100 Seiten !), weil ftber letstere der Lehrer keine Controle «u-
flben kann, weil die Kinder zu Romanverschlingem herangebildet werden. — ^
Reform vorschlilge: .Sorge fiir Jugendlectiire bleibe allein der Schule überlassen
— weg mit Hofmann, Nieritz und Genossen ! — anfänglich nor kleine Broschüren
— alle Kinder lesen zu gleicher Zeit dasselbe. (Dann Controle nnd linterriebt^
Hebe Auenvtsuig mSgiidh. Lnst snm Leaen wird-nloht entiekt, atdlt aieh
rechtzeitig mm aelbat ein; Abnahnm der iweekloaeo, mflßigen Lenorel wftre ein
Glfick.)
257. Der vorsichtige Conjunctiv (R. Hildebrand, Zeitschrift für den
dentechen Unterricht. 1889, VI). Mit objectiv und subjectiv ist der Unter«
aebied der Uedi am geaaaeaten beieiehnet; aber aacb ObjeeU^ea, «nwelMbaft
Tbattlehliehea kann eonJanetiviaebe Faianng erbatten, aobald ea mit anbjectiver
FArbnng auftritt. Was thatsächlich ist, wird ans dem äußeren Kreise des
Objectiven für den Augenblick (des Sprechens) hineingezogen in den subjectiven
inneren. — Feines Conjunctivgefiihl in früheren Zeiten (bis zum 16. Jahr-
hundert): Das gänzlich ungeschnlte Sprachgefühl konnte den ünterachied
Bwiacben AnBenleben nnd Innenleben, thatalcblieh nnd gedaebtr OI;Jeetifem
nnd Snli^ectivem, auch in ihrem Vt rfließen SO acbarf nnd fein beobachten, wie
man es nur einer philosophischen Zeit wie der unseren zutrauen möchte. — An
sprachlichen SchöpAingen und Wandlungen ist ein gutes Stück Psychologie xa
lernen.
238. Spracbbildung und Lebratoffe In der Volkaaebvle (E. R,
St Oaller Sebnlblatt 1889, 21). Über swei wiehtige Capitel in mnatergütlKer
Kürze nnd Klarheit. — Sprachunterricht nicht ein Fach neben anderen, son-
dern gleirhpam das Reflexbild aller Fächer, ihr orgauischer Sammelpunkt.
Sprachübang Hauptsache. — Sprachlehre: wesentlich Übungen im Vergleichen
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JuA CMmmlMD der sprachrichtigen Form. — Ülierall von der realen ErmMf
nnng ansgehen, Anschaaong der Wirklichkeit als Erstes za erstreben ; Ühnng-en
im Unterscheiden an Lebendigem nnd Bewegtem fdanarh die Sprache einzu-
richten: immer AnsdrUcke des Werdens, Bewegens, Thuns, Handelns). Schlagende
Beweise für die Haltioeigkeit sweier Zniencber Theorien (ColtnritaflMi — Er*
sfthlungen als Omndlagen des Unterrichtes).
259. Reformation des Geschichtsunterrichtes (B.Erhardt, Deutsche
Volksschule 1889, 45. 46). Völlige Umgestaltung. Die neuere Geschichte er-
hält den Vorzug; von politischer Geschichte nur soviel, als zum Verständnis
dar Ciltüfgetdilfliile neHiwendig; Tide Ffirsten und sogenannte große Staats-
■dbmcr soUes fainllnt «nerwUint bleiben oder NebenroUen spielen, dagegen s6-
Tiel als möglich „Männer aus dem Volke" in den Vordergrund rücken. — Der
erste Geschichtsunterricht ist kein „sj'steraatischer", kein in der Zeit einfach
fortschreitender; er schafft nur Bausteine herbei, mittels sachlicher und sprach-
licher Anschauung. Jene wird gewonnen au sichtbaren Zeugen der heimat-
knndlielien Vergangenheit, diese an der Sprache selbst (Personen- mid Orts*
• namen nach Hildebrand — Lebensgesefaiehten gewiner wichtiger Wlbrter, wie
EOrper, Bürger, Kaufmann, Geld). Die gewonnenen Einzelheiten werden zeit-
lich geordnet, die Lücken angemessen ausgofullt, so dass sich schließlich un-
gezwungen eine zusammenhängende Geschichte ergibt. — Coltorgeschichtliche
Bilderbflcher anstatt der Leitfäden.
260. Poesie im natorkandliehen Unterricht (R. D., Blätter Ar
natnrgemäl^e Erziehung 1889, 42. 43.). Die wirkliehe Natnr wird dnrdi die
malende nnd dichtende, aber von den Naturkörpem selbst unmittelbar und
mächtig angeregte Phantasie verklärt, auf die Stufe des Persönlichen erhoben;
doch so, dass Kern und Wesen unverletzt bleiben nnd von Unwahrheit und
Natnrwidrlgkelt» von Tendern nieht die Rede sein kann. Zuweilen — nicht
immer — gelangen wir sn einer bereehtigten poetischen Anschannng, indem
wir einfach das ünbewnsste als bewnsst, das Unwillk&rliche als gewollt, die
Bewegung als Handlung auffassen. Jedenfalls mnss die Poesie sich immer
freiwillig einstellen, darf sie nicht ängstlich gesucht, beschworen — heraus-
gepresst werden. Vollendete Beispiele solcher Poesie z. B. hei ScheflTel (Erd-
mlnwIelB, Waldmebter, IVmne im «Trompeter"), Stifter nnd Boeegger (Wald),
Benter (Feld- und Thierlehen in der „Strorotid" und in „Hanne Nute"), Her-
mann Wagner („In die Natur"). — Verfasser bekämpft selbstverstäj.dlich
willkürliche Symbolisirnngeii, nioralisirende Erfindungen wie: von der trotzigen
£iche und geschmeidigen Weide, dem bescheidenen und dem uubescheidenen
Veilchen, von dem Streite verMliiedener Pflanzen (Pappel mid Fflanmenbaam,
FeldUamen nnd Getreide), wo immer die eine dBnkelhalt dargestellt nnd Unten-
nacb vom Herrn der SchSpftmg mit Verachtnng oder Vemicbtnng « be-
straft" wird.
261. Die Sachgebiete des Kechnenf» (H. Wendt, Deutsche Blätter
1889, 32 — 36). Der Ausgang des Rechueus von bestimmten Sachgebieten ist
bente als ein erheblicher Fortschritt der Methode aaznsehen (Ansgehen von
interessanten sachlichen An^ben; nicht: Ansgehen von Aufgaben mit reinen
Zahlen nnd nachträgliches Anhängen einiger sachlichen, in Wirklichkeit meist
nur „eingekleideten" Aufgaben!). Einheit des Sachgebietes und Wechsel in
den £echeuoperationen. „Keineswegs jedoch meinen wir, dass die Kunst des
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Unterrichtes nun hierbei fdr alle Zeit stehen bleiben sol1<v Wir hoffen tand
wünschen vielmehr, dass durch weitere Forschung:en und Entdecknng;en, nament-
lich auch auf dein Gebiete der Psychologie, noch p:anz neue, uns bisher unbekannte
Gesichtspunkte gefunden werden für weitere didaktische Fortschritte/
Wo ist Byzanz? „Überall, wo nach eines Fürsten, Grafen oder hoch-
mögenden Beamten gnädigem Blick and haldvoller Anrede derTross ergebenster
Creatoren aebmaehtet, wo Mftmior, jeden SeUMtgeiaUoB bar, Tor Unterthlnig^
keit ersterben, keine Meiiiuni^ und keinen Willen haben, WO eine angnädige
Miene des Gestrengen schlaflose Nüclite und kummervolle Tage vernreacht, wo
vor jedem, von welchem ein Vortheil erwartet werden darf, hündisch gekiochen
wird, da überall ist Byzanz." (Moderne Todtengespräche von Laciau dem
jOogeren. Beriln, B. Bdnteln Naehfolger.)
Literatur.
Meiiir. Feclnier, Seminarlehrer inBerlfait Aufgaben für den ersten Unter-
richt in der BachstabenrechniiBg und Algebra. 120S. Berlial888f
Schultze. 1,20 Mk.
Die Vonllge dieeer Sammlung: sind schon in Besug der ersten Auflage von
einer großen Anzahl Zeitschriften anerkannt worden, und wir kchincn nur
lustimmen, daas sie sieb nach Keichhaltiglioit und Sorgfalt der Auswahl nicht
bloe Seminaristen, sondeni auoh für jeden Aafangsonterricht in der Algebn
dgnet Ganz zweckmäßig scheinen die vorangestellten theoretischen Erörterungen,
wenn auch durch dieselben der Verfksser nur dem Vergessen der Ergebnisse
des Unteniehtee Torbeugen wollte. Doch mOgen uns zn dieser Theorie einige
Bemerkungen ge-^tattet sein. Zunächst mfiohten wir die Zeichen -|- und —
„mehr" und „weniger" gelesen haben. Die Kegein zwei, drei und vier auf Seite
' drei sind unnOtliig xaa werden vollkommen durch die Bemerkung am Ende
der Seite sieben ersetzt. Auf Seite vier wäre die erste und zweite Kesrel in
eine zusammcozuzieheu , dagegen die folgenden vier bis neun wieder unnüthig
sind, weil sie gleichfalls dari h die Ikmerkung am Fuße der Seite sieben volt
ständif^ orsotzt werden. — Bei allen Suhtraetionsaufgahen auf Seite sieben
hätten wir (gewünscht, daß Minuend und Subtrahend nebeneinander gestellt
und durch das Kechnungszeicben geschieden wftreiL Auf Seite neun konnten
J gleichfalls die Hegeln swei und drei in eine yereinigt werden, wenn der Vei^
asser den Ansdruek Glieder, welchen er ohnehin anf der folgenden Seite
erklärt, .schon auf dieser eiuLrcfUhrt hätte.
Ganz richtig sind die negativen Zahlen definirt; es muss dies lobend her-
vorgehoben irerden, wefl man ee selten Undet. Mit wahriiaft wolthnendcv
Klarheit ist die Vorzeiohenreyrl für din ^rultipliration entwickelt; nur hätten
wir gerne die Definition der Multiplication in erweiterter Form gefunden.
Anf ante 15 und 16 nehmen die Avf^aben eme etwas nnbehellbne Gertalt an,
da die Potenzen durch Wiederholung der Buchstaben anstatt durch Bcifllgung
des Exponenten ausgedrückt sind, was leicht zu vermeiden wäre. Der schwächste
Theil des Buches ist die Darstellung der Quadrat* nnd Cubikwurzel. £s wird
je eine zwei-, drei-, vierstellige Wurzel besondeiBTOigeflUirt und dabei an Anf*
wand von Ziffern viel zu viel gethan.
Aus den vorstehenden Bemerkungen ist wo! Sil entadUtten, dass wir die
bezeichneten Mängel für leicht abstellbar halten, nnd dass wir auf dieselben
nur aufmerksam machten, um den Verfasser bei einer späteren Auflage dahin
zu veranlassen. Doch auch in seiner gegenwärtigen (Gestalt halten wir das
Buch für einen recht braachbaien, besondentoiSeininaristen duichaus empfehlens-
werten Lehrbehelf. H. E.
A. Lieb, Aufgabelt snm schriftlichen BeclineB für Töchter- und weib-
liche Fortbildungsschulen. 32 S. Nürnberg 1888, Korn. 30 Pf.
Die Übungen umCBssen die vier Grundrechnungsarten in ganiea und
gebrociienen Zahlen nur rar Wiederiiolnng auf wenigen Seiten, wihiend der
nOßte Theil derselben die sogenannten bürgerlichen Rechnungsarten betrifft
Der Veriassai war bei der Textierung der Aufgaben bestrebt, dieselben dem
Irtswssentareise der weiblidien Jugend an entacSimen. Anfertigung weiblicher
Xhider, Kochkunst und Haushaltungskundc haben das Material geliefert. Wir
können nur aus der eigenen Erfahrung bestätigen, dass, wie in den Fort-
^ 270 —
bilduDgäächulcn der Knaben Beispiele dem gewerblichen Lebea entoommen am
meisten befriedigen, so auch dasIntereaBe der Mädchen duroliAlÜisaben, wd(Ae
in du Gebiet dm Ijebe&sÜi&tigkeit tob flauen einiwhlagen. vonriegeud ange-
ngl wild. H. E.
Biehara Klinpert, Oeeehichte der Geometrie für Freunde der Ifatbe»
matik gemeinverständlich dargestellt. 100 Figueil im Texte. 169 S.
Stattgart 1888, Julius Maier. 3 Mk.
Der Verfasser wünscht besonders betont zu haben, dass sein Buch nicht nur für
fachniiiunisch, sondern überhaupt fiirGcbildete geschrieben ist. Er hebt hervor, dam
die Werke Aber die Geschichte der Mathematik zumeist nur ftlr Gelehrte ge-
schrieben and anfierdem auch schwer zugänglich sind, dass er somit zu glauben
berechtigt ist, mit bi inem Buche einem Beditrtni.ssc entsprochen su haben.
JHiK Verfasser schildert in einzelnen Abschnitten, was die vezachiedenen Völker
des Alterthoms und der Neuzeit für die Entwiekelan? der Qeometrie gleistet
hüben. Soweit es iiir»o:li(h, wird Gcburts- und Todesjahr der bekannteren Gto-
meter ange^ebeu und werden die Satze entwickelt, welche theils ihren Namen
tragen, tbeils naehweisbw von flmeB henrfUureB. Die Vortragswdse des Ver-
fassers ist ebenso klar als anziehend , so dass man seinen AnsfUhrnngen mit
Vergnügen folgt. Die besondere Voi liebe, welche er für die Griechen bekundet,
kanii man ihm kaum sam Fehler anrechnen, obwol eesnwdt gegangen scheint,
wenn dem Arcbimedes und ApollonioB i^diaam im Eie alle Verdienste modemer
Geometer zugeschrieben werden.
Außer einer mangelhaften BeMihreibnng an Figur 23 sind uns störende
Druckfehler nicht vorgekommen. Zur Seite 154 können wir es nicht unter-
lassen zu bemerken, da>8 die Deckung geometrischer Gebilde im Räume, gleich
wie in der Ebene auf zweifache Art herbdjmführcn ist, durch Verschiebung
oder durch Wendung Da» Dreieck III kann nnr durch Umwenden mit Dreieck I
cur Deckung gebracht werden, genau ebenso kann auch der Handschuh der
rechten Hand umgewendet auf die linke Hand gezogen wenlin. Vormöge
dieser einfachen Betrachtung hätte der Verfasser es Gauss füglich ersparen
kSnnen, in den Verdacht moderner Vierdimenslonalitit gebracht nu werden.
Im übrigen bildet das Bucb ein lifuhst br.uKbbares Hilfsmittel für den Unter-
ncht; es ist Kleyers Encvklopädio der exakten Wissenschaften angeschlossen,
kann aber andi so wie Jeder Theil dieses ftunmdwerkee cioaeni bezogen
werden. H. h.
Dr. Max Simon, Scminarlolirer in Berlin: Der erste Unterricht in der
Kaumlehre. 36 S., 58 Figuren im Texte. Berlin 1889, Springer. 50 Pf.
Der Verfasser bUt es für feststehend, dam der Unterricht der Geometrie
mit einer das geometrische Anschauungsvermögen heranbildenden Formenlehre
SU beginnen habe, und bietet mit dem angezeigten Buciie ein Lehrmittel hierzu.
Er beginnt mit dem Würfel und Prisma, an welche sich die SrUftrungw über
Vierecke und Dreiecke anschließen. Es folgen noch einige andere einfache
geometrische Gebilde mit dtT Erklärung Uber .\etze, des Rauminhaltes und
einiger Beziehungen zwischen Gerade uud Kreis. Schliefilich folgt ein Anlian):;
Uber einfache Goustructioneu. Die.ser Lehrbehelf ist vorwiegend wegen seiner
gut entworfenen und sorgfältig ausgelUhrten Figuren ein recht brauehbaier
zu nennen. Man findet iu di ui.^clbeu alles, was ubirhaupt in den propädeu-
tischen Unterricht gehört, nämlich Würfel, Prisma und Pyramide als Ver^
aBachavlichnogsmittM von Dreiecken und Vierecken, dann Walte, Kegel und
Kugel als Beispiele runder Korper, an welche das Xüthigc aus d r Krei-lehre
eich anknüpfen lasst. Wenn auch der Vertasäer nicht die von uns gewünschte
Ordnung befolgt, d. i die Pyramide rot das Dreieck zu stellen, und aolerdem
noch in Bcziifr auf Inhaltsbereehnung viel weiter geht, als es filr einen propä-
deutischen Unterricht sachgemäß ist, so wird man doch das von ihm gebotene
Lehrmittel benutzen kOnnen, weil man Jaanr da8Überilii>sige wegzulassen hr uu ht.
Von den ("onstructionen des -Anhanges verdient besonders ein dem Verf.isser
eigenthümliches und für den Unterricht recht brauchbares Verlahren hervor-
gehoben zu werden t flaehengieiehe Figuen dnrA HiUUinien in congruente
Stttoke zn aedegea.
— 271 —
Wilhelm Keeb, GjmnuiaUehrer zu Mainz: Methodischer Lieitfaden for den
Uoterrieht In der ebenea 0eoinetrfeu678.Oie6mil888,E.Botb. 1 Mk.
Der Verfasser sagt, dass das Torlicgendc Hett aus seiner Schulpraxis an der
fiealflchule und einer hohem Mftdcheaachnle zu Mainz^ herrorgegaaeen iat
Br vemt Miii IiehrrerftilireD .eoostraetlT* und „lieiirittiMsh" — swei wTorte,
mit Vorsicht zn gebrauchen. Dass man, ehe von t'ong'rucnz gesprochen wird,
zwei congruente Dreiecke aufzeichnet, ist kaum zu vermeiden, und deshalb
IcaBB der Lehrgang noeh Hiebt Torwiegoid anf den Titel «inet eonstmetlTen
AMprach erheben. "Wenn man aher den pyfhajoriiischen Lehrsatz mit Hilfe
Ton earrirtcm Papier und Abzahlen der Quadrate nachweisen laast, so isi dies
kaoai ein cnnstructiver Vorgang zu nennen. „Heunstisch" i'>t nadi Beidt
ttberhaupt keine Bezeichnung für das Lehrbuch, sondern fär das Verfahren des
LcÄren im Unterrichte. Uns aber scheint das Vorlirg:en<ie nach dogmatischer
Mediode irearbeitet zu sein, und empfehlen mOditen wir es auf keinen Fall,
schon nicht wegen des Mangels der fiUr eia geometrisches Lehrbuch unerläas-
lich nothwendigeu Figuren. H. £.
Friedrieli Pollak, Geachielits-Leitfadeii für Billiger- und lOtttelseholen.
1 1. Auflage, h eraas gegeben unter Hitvii^iuig von Otto Sattler. Gera 1889,
Hof mann. 1,40 Mk.
Manche Eigenthümlicblieiten heben diesen Leitfaden aus der Ma^se der tllr
Bürger- und Mittelschulen bestimmten geadhiebtUdMa Lehrbücher. Dahin
gehört die Form der DarstcUang, die sich Tom trockenen lA-hrhuehstilc fern-
hält und natürlich klingt., wenn sich ein Knabe bei der Nacherzählung an sie
h&It, feiner in den Anmerkungen die Erläuterung der technischen Ausdrttcke
(z. B. Acht, Interdict, Capitulation etc.) und die am Schlüsse Jedes Abschnittes
angefügten Fragen, die auf eine verstandesmaßipe Betrachinng der Geschichte
hinarbeiten oder als Themen für den Aufsatz {reiten wollen, dann der Hinweis
auf iiistoriscbe Gedichte, deren Stoff dem betreffenden Abedinitte entlehnt ist,
und endlich die 209 cnltuTt^escbichrlichen Abbildungen (Statuen, Porträts auf
Münzen und Medaillen, Gebäude ete.). - Im einzelnen freilich werden die
beiden Verfasser trote der elften Auflage noch manches Terbessem müssen.
Hnndio Frage und Aiii)p;abe ist fttr das Alter, dem du Blleblein in die Hand
gegeben wird, zu schwer. Wir grciten ein paar {jrclle Beispiele heraus:
-SehÜdere einen iiieekampf. einen Thunipbzug, das Treiben der iSecrauber, die
Tevlobnrgpr SeUaeht ete." Anf Orand der paar Notisen des Bnebes kann
das kein Schüler Die Gefahr liegt außerdem nahe, dass der Sinn für Wahr-
heit ertödtet wird. Zu schwer oder von einem Schüler auf (irund der Angaben
des Boefaes nicht zu lösen sind Fragen wie: Welchen Eindusi liatten die
Kreu7znge anf die Sittlichkeit? Was haben Alexanders Erobernngen der Welt
genutzt? Warum wählte Hannib&l nicht den See-, sondern den Landweg?
eschichtUdier Hintergrund des Nibdangcaliedes. Mängel der republicanischen
Verfa-ssung. — Unter den auffrenommcncn Bildern sind viel Phantasiebilder;
da nur einmal diese Bezeichnung einem Bilde beigesetzt ist, so kann leicht
der Irrthum entstehen, als ob alle anderen Porträts, z. H. der deutschen Kaiser
des Mittelalters, authenti>-che seien. Gregor VII. ist mit der Tiara geschmückt,
ein Anachronismus, der sich hätte leicht vcnncMen lassen. Woher ist übrigens
diese Zeichnung genommen? Hier wie öfter fehlt jede Quellenangahe. W.
A. V. Heyden. Die Tracht der Culturvölker Europas vom Zeitalter
Homers bis zum Beginne des XIX. Jahrhonderts. Leipzig 1889, £. A. See-
mann. 3,20 Mk.
Costümgeschichte ist ein Theil der Culturgeschichte; in ihr spiegelt sich
der Geist der Zeit in sinnlicher, greifbarer Gestalt wieder. Man vergleiche nur
z. 6. die Tracht in Frankreich zur Zeit Ludwigs XIV. mit der der Puritaner
derselben Epoche, und man wird die Bed^'utung auch dieses Theiles der Cultur-
geschichte 1^ den Unterricht, für die Veranschaulichong der Gerichte begreifen.
Ab Costflmgeseb lebte bat sie nicht Mos die Traeht einer bestimmten Periode
zu be>chrciben und das Costümbild ausführlich zu erläutern, sondern auch die
Eatwickelung der Tracht klarzulegen, nachzuweisen, was letztere beeiaffuast,
^. 1 Lj
_ 272 —
ihr Verbreitung verschiifft und was sie wieder beseitigt hat. Nach beidei
Richtungen entspricht Heydens Werk den Anforderungen und Wüngchen. Es
httit die Mitte zwischen den austiibrUchen nnd darum äußerst kostspieligen
Werken und einem Leitfaden. Auf 266 eng gedruckten Seiten, illustrtrt
durch 222Trachteiibihler, bietet es das Wesentliche in einer auc h für den Autänger
in dieser Wissenschaft leicbfc fiuubaien Form. So su «rbeiten vermochte natlir-
lich nur einer, der ans dem Vollen schöpfen kann and dnrch langj&hrige
Ih m bäftigung auf diesem Gebiete — Heyden ist seit 1876 Heniusgobcr und
Mitarbeiter der Blätter fttr Costtimkonde — die Literatur vollständig beherrscht.
Es wird danm audi niemanden wundernehmen, wenn der Verftisser hie und
da (z. B. Artikol Tof^ai in Strcitfrsigen eingreift und so selbst dem mit der
Lu&tUuigecchichte Vertrauten manches Neue bietet. Die Beschreibungen der
eiwtelnen Bilder sind ausfttliilleh und sehr genau. -Die Literaturangaben sowol
im Quellenvcr/.eichnisse, als auch unter dem Texte und der Hinweis auf Werke,
in denen die Trachten von nur localer uilei vorübergeheuder Bedeutung ab-
Sebildet sind, welche in da» Handbuch nicht aufgenommen sind, eilanbin es
em Le«or, auf einem speoiellpn <;ebi( te, für das sein Interesse rege geworden
ist, bequem weitere Keuutuisse sich zu verschaffen. Die zahlreich eingestreuten
Notizen geschichtlicher Art gewähren häufig einen lehrreichen Einblick in die
Intimitäten weltgesrhiditlicher Gestalten, die in den üblichen SchulbUchem
voll Pathos über die i'.iihue schreiten (vergl. z. B, die Bemerkung S. 231
über General Hahn oder die S. 233 über Napoleon); lehrreidi sind audi <lie
Citafee aus alten Kleiderordnungen oder die costfluigeschichtUchen Notizen aus
alten Chronisten, die in die Oarstellnng verflochten sind (z. B. die recht ehaiak-
terißtischcn Stellen S. Jl oder S. 102 fl".). Das Sachregister (S. 257 -268)
ermöglicht, die £ntwickelung eines Kleidungsstückes, einer Haartracht (z, B.
der PertteKe, des Bartes), ones Sehmuckgegenstandes von seinem ersten Ant-
treten durch alle Formen hindurch bis zur Gopcnwart zu verfolgen, indem es
bei dem Namen jedes Objectes die Seiten des Buches nennt, auf denen es
bdOmdelt ist Erwibnt sei noch, dass Heyden auch die Geschichte der Bewaflf-
nung und zwar als eigenen Abschnitt bei dem betreffenden Volke oder Jahr-
hundert, die Geschichte der geistlichen Tracht aber als Anhang behandelt.
Zum Schlüsse möge es uns gestattet sein, ein paar Wünsche auszusprechen,
die bei einer nä. hsten Auf Inge Beachtung finden mrtgen. Die Tracht der
Babylonier-Assyrier sollte doch etwas eingehender und mit Zuhülenahme eines
Bildes beschrieben werden. Zu wiederholtenmalen feUt im TsKte der Hinweis
auf die Abbildung (z. B. Figur 12, 17 etc.), sodass man sich aus dem „Ver-
zeichnis der Abbildungen" (S. VUl ff.) Auiklärung über das Bild holen muss.
Zweimal kommt dasselbe Bild vor (S. 116 und S. 132), ein Hinweis auf die
S. 116 würde dämm bei S. 132 genügen. Dagegen würde es sich empfehlen,
der Beschreibung der Costüme, wie z. B. der der Schotten oder dsrlnciOTabtef
und der MerroillBBsen wir besseien Ywansnliaiiliflhuwy ein Bild beiidUgcn. W.
VerutwortJ. BedMtew Dt. friedrieh Dlttee. Baebdraekeiei Jaline Kliakhardt, Leipsiff.
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über Ideen.
Von Dinetoc A, Qoerth^Imterburf.
X)er Begriflf ^ Idee** wii'd heatzntag^e selbst in den bedeutendsten
wissenschaftlichen Werken in so verschiedenartiger und oft so unklarer
Weise gebraucht, dass man sich nicht selten ^enöthigt sieht, den Schrift-
steller um eine besondere Aufkläning zu bitten. In den Werken der
Geschichtsschreibung und namentlich in den Literaturgeschichten und
Erläuterungen zu dichterischen Kunstwerken \^ird mit diesem Begriff
ein so heilloses Spiel, ja ein solcher Unfug getrieben, dass jeder wisseu-
schaltlich gebildete denkende Mensch, insonderheit jeder Lehrer, der
in diesen Wissenschaften an den Oberclassen höherer Lehranstalten
zu unterrichten hat, wol die Beorderung stellen darf, man möge in
diesem hochwichtigen Punkte endlich zur Klarlieit kommen. Da diese
Klarheit zugleich geeignet ist. auf andere wichtige Gebiete ein lielles
Licht zu werfen, so habe ich es unternommen, hier allen Lehrern
meine Untersuchungen vorzulegen.
Der Begriff Idee (Bild, Gedankenbild, Vorstellung) hat seinen
Ursprung in der Philosophie von Plato, in dessen Ideenlehre. Nach
ihm ist die Idee das Olgect des Begriff Sie geht auf das Allgemeine,
wird als ein nmiii- md wMoam UrUId der Indhidueo voigoateDt
Gegenüber der weefaaelvolleii Welt der Encfaeinuigen gibt es eine
dem Weehael nicht mitenrorftiie Welt der Ideen. „Werden die In-
dividoen, welebe miteinander das gleiche Wesen tfaeOen, oder derselben
CSasse ang«3iOren (also beispielsweise aUe einaelnen Menschen) befMt
gedadit von den Schranken des Baomes and der Zeit, yon der Mate-
rialität und den indiyidaellen Mängeln, und so anf eine Einheit anrftck-
geftthrt, welche der Qnind ihres Daseins sei, so ist diese (olijectiv-
reale, nicht blos von ans dnrch Abetraction gedadite) Einheit die
Platonisdie Idee.'* Die Idee ist das Urbild, die Einzelwesen sind die
Abbilder. Jedes Einzelwesen Jebt mit der Idee in Gemeinschaft; sie
ist ihm in gewissem Sinne gegenwärtig. Die hOchste Idee, die Idee
des Guten, wird als wirkende Ursache betrachtet, die den Individuen
Dasein und Wesen yerl^ht In filinlicher Weise hat alles Schöne auf
Erden Theil an der (ohjectiY-realen) Idee des Schonen.
Diese geistvolle Lehre eiMr im Lanfe der Zeit mannig&ehe
UmSndenmg. FQr die Scholastiker des Hittelalters galten die Ideen
als die »reinen Formen'**), als die „voUkmnmenen ürhflder'* aller
Wesen, die nach derselben ans demT^en Gottes hervorgegangen seien.
£ine wesentliche Veränderung erfhhr der Begriff jjdee'* durch
unseren großen Kant. „Ich verstehe unter der Idee", sagt er ( Kiitik
der reinen Vernunft), „einen nothwendigen Vernnnftbegriff, dem
kein congruirender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann.**
„Der objective Gebrauch der reinen Vemnnftbegriffe ist stets trans-
cendent, indessen dass der von den reinen Verstandesbegiiflfen seiner
Natur nach stets immanent sein muss, indem er sich blos auf mög-
liche Erfahrung einschränkt.'- „Diese transcendentalen Ideen fz. B. die
drei Ideen Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, mit denen es die
Metaphysik zu thun hat) sind nicht willküi'lich erdichtet, sonderu
durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben. Sie über-
steigen die Grenze aller Ertahrung:, in welcher niemals ein Gegenstand
vorkommen kann, der ihnen adäquat wäre; sie bestimmen den Ver-
standesgebraucli im Ganzen der gesammten Erfahrunj? nach Prin-
cipien." „Wer die Begriffe der Tugend aus Erfahrung schöpfen
wollte, der würde aus der Tugend ein nach Zeit und Umständen
wandelbares, zu keiner Regel brauchbares, zweideutiges Undinfi: nuic.lien.
Dagegen wird ein jeder inne, dass, wenn ihm jemand als Muster der
Tugend vorgestellt wird, er doch immer das wahre Original
blos in seinem eigenen Kopie habe, womit er dieses angebliche
Muster vergleieht nnd es blos danach schitit Dieses ist aber
die Idee der Tugend, in Ansehnng derer alle möglichen Gegenstinde
der Erfiüimng zwar als Beispiele, aber nidit als Urbilder Dienste
thon. Dass niemals ein Mensch demjenigen adflqnat handdn verde,
was die reüie Idee der Tugend enthilt, beweist aber gar nicht
etwas Chimärisches in diesem Oedanken; denn es ist gleidiwol
alles Urtheil fiber deo moralisokai Wert oder Unwert nnr yermit-
telst dieser Idee möglich.'*
Diese klare Darstellnng des Begriffii «Idee** ist dnrch Kants
Nachfolger, namentlich durch Hegel wSedemm verindert und dadurch
•) Aber in den heitern Kejjionen,
Wo die reinen Formen wohnen,
Bauitebt des Jammers trüber Starm aicht luebr.
Schiller: Dm lAeal voA dm Leben.
■nUar gemacht Vörden. Hegel, desam Philosophie den gi ößten Ein-
ftifls, namoitlieli auch aaf dk Ästhett «««gettil Int, iat vied«r auf
Plato nrflflkgegangen. Die Idee Ist WMdi ihm „die Einheil des Be-
griffs mid seiiier Realität, die an lieh seiende Einheit des SnbJectiTen
and Oljeetiyen als fOr sich seiend gesetzt" „Die absolute Idee
ist die reine Ferm des Begriffli, die ihren Inhalt als sich seihst an-
sehant, die sich visseiide Wahiteit, die abeolnte nnd alle Wahrheit,
die sieh seihst denkende Idee als denkende oder logisdie Idee.** „Die
Idee als Sein oder die seiende Idee ist die Natnr.** „Der Geist
ist das Beisichsein der Idee, oder die Idee, die ans ihrem Andetssein
in sich suflckelirt Seine Itonente sind: der snl^jeetive^ der ol^jecti¥e
nnd der abaolnte Gejat** »Der ahsolnte Geist, oder die Religion im
▼eiteren Sinne als die Einheit des snhJeetiTen mid objecÜTen Geistes
realisirt sich in der objectiven Form der AnBehammg oder des nn-
mittelbai*en sinnlichen Wissens als Kanst, in der sat^jeetiyen Form
des GefiUils in der Vorstellung als Religion im engeren Sinne; endlich
in der subjectiv-objectiven Form des reinen Denkens als Philosophie."
^Dh^ Schöne ist das Absolute in sinnlicher finstenz, die Wirklichkeit
der Idee in der Form begrenzter Erscheinnng. Auf dem Verhältnis
der Idee zn dem Stoff beruht der Unterschied der qrmbolisdien, das-
aischen nnd romanischen Kunst"
Diese He^elsche Philosophie hat Fr. Th. Vischer seiner berühmten
Ästhetik zugrunde gelegt. -Die absolute Idee", sagt er. „kann
auf keinem einzelnen Punkte zur vollen Erscheinung kommen; sie vcr-
vörklicht sich im endlosen Laufe der Zeit im Process der Bewegung.
Desgleichen die einzelne Idee, deren Wirklichkeit nur durch den
Gredanken gefasst werden kann, an den sie zunächst in Form der An-
schauung treten muss. Dadurch erzeugt sich der Schein, dass eine
bestimmte Idee, und dadurch ein Einzelnes die absolute Idee ausdrücken
kann. Dieser inhaltsvolle Schein oder die Erscheinung ist
das Schöne."
Fr. Th. Vischer sagt ferner: „Die Idee ist streng zu scheiden
vom abstracten Begriff. Die Idee ist der Inbegrift' des wahren
Wesens, gedacht als wirklich ausgeführt.'* Dadurch weicht er
wesentlich von Hegel ab. Und er fügt hinzu: „Ideen sind die
großen bewegenden sittlichen Mächte des Lebens."*) Dadurch
*) Dies Wort hat mich zuerst darauf geführt, meine Ansicht des BogriSi
Idee m kliien und die so gewonneiuB SriMumiMe Ito die Bevrtheilnif mm
KviiBfcfrarkia n vtrwuUm.
20*
nähert er sich wieder der Ajsttutnag toh Eaat, and dieeellie kommt
seinem Werke ▼eeentUch. mgate.
Nachdem ich bo die hanpttfchUehen AniEuBmigen dee Begrüb
„Idee** klar gemacht habe, sei ee mir vergönnt, meine eigene dar-
sol^ien.
In der SpracfaQ. dee alltftglichen Lebens versteht man unter Idee
einen Einfall, oder Vorsats, oder Plan in Beamg anf ein Werk,
das man schaffen will. Dieser Qebranch des Wortes Idee erinnert an
den philosophisdien insofam, als jeder, der soldi eine Idee ihsst, «ich
von dem Werke, das er aassoAhien jiedenkt, im Geiste em mehr oder
weniger vollständiges Bild desselben entwirft, sich dasselbe in der
Olg'ectivitftt völlig durchgeftthrt denkt." Wer die Idee fiasst, ein Hans
zn bauen, macht sich nach dem ersten Einfall oder Voi*satz im Geeiste
ein Bild von dem Zwecke, der GröBe, der inneren Einrichtung dieses
Werkes. AVenn der Baumeister, dem er die Aasfnhning übergibt,
seine Zufriedenheit erlangen will, so muss er auf diese Idee (oder diese
Ideen) genau eingehen, oder den Auftraggeher durch schlagende Gründe
nOthigen, davon abzustehen resp. sich in Verändeninjiren zn f&gen.
In derselben Weise gehraucht man den Bpfrrift" Tdeo, wenn es sich
um einzelne oder zusammenhängende Thatip^ktiten handelt; so fasst
man die Idee, einen Spaziergang, eine Keise zu unternehmen, für sich
oder seine Kinder einen Stand und Beruf zu wählen, sich in Geschäfte
einzulassen, die besonderen Gewinn abzuwerfen versprechen. Auch
gebraucht man diesen Begrifl" bei [genialen Einfällen oder Ein-
gebungen, die zu großen Erfindungen oder Entdeckungen geführt
haben. Man sagt: James Watt wurde schon als Knabe von der Idee
geleitet, den Dampf als bewegende Kraft bei Maschinen zu verwenden;
Christoph Columbus wurde durch die Idee, Ostindien durch eine Reise
nach Westen hin aufzufinden, der Entdecker von Amerika. In der
Kunst spricht man davon, dass durch die Idee, die alten Meisterwerke
der Griechen und Römer zu studiren, die Baukunst, Malerei, Plastik
und Dichtkunst in Europa einen großartigen Aufschwung genommen
habe. (Benaissancekunst)
ICsn sieht, dass der ursprünglich philosophische Gebrauch des
Begriffs Idee sich dermallen abgesdüüEBn hat, dass er in der Sprache
dee alltäglichen Lebens fftr Jeden beliebigen Verstell ungsinhalt
gesetzt wird.
Indessen ist ein Umstand zn beachten. Bei den vorhin ange-
führten Arten des Gebrauchs haben die Menschen bei diesen Vor-
stellungen nur ihr eigenes, ihr personliches Interesse, im
weitesten Sinne nnr ihre QllLekBeligkeit im Ange. Selbst bei
den Ideen, die zn grofien ErfiodungeB oder Entdeckungen auf den
Gebieten der WiaBenichalten imd Einste gdlihrt fanben, sbid die
genialen EOi^ nie dnreb den Hinblick anf die gesammte
Menschheit geleitet worden. Ihre Ideen «eigen sieh nnr jenen
rein persönlichen gegenflber ra grttüerer Tragweite; sind von anderen
genialen Menschen ait Frenden begrftfit und weiter ausgebildet worden.
Dagegen spricht man von Ideen, die von MilUonen Menschen, von
einem Theile der gessmmten enroptifichen BevOUraning als wahr an-
erkannt nnd bJs rar Anfopfamng des eigenen Glflekes, ja des Lebens
selbst yertheldigt worden sind. Zu solchen Ideen rechnet man die der
Glaubens- nnd .Gewissensfreiheit, die der Menschenrechte.
In diesen Fällen Innss der Begriff Idee eine besondere, von der
oben angeführten wesentlich verschiedene Deutung haben.
Dass ich's ksm sage: In dieser Bedeutung sind Ideen kate-
gorische Imperative der drei grossen im Menschenh^ben wal-
tenden Mächte der Ueligion, Sittlichkeit und SchOnhelt, oder,
wie man auch zu sagen pflegt, des Großen, Guten imd Schönen.
Sie treten allen Menschen mit dem unbedingt zwingenden .,l)u sollst!**
entgegen. JJiesen kategorischen Imperativ fühlt jeder, der die Idee
ausspricht oder als wahr anerkennt, für sich als Pflicht und fordert
dieselbe von allen seinen Mitbürgern, ja von allen Menschen ohne
Unterschied.
Der Be^^rift" ..katepforischer Imperativ' ist bekanntÜL-h durch un-
seren großen Kant in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten**
klar erörtert worden. „Der kategorische Imperativ — im Gegensatz
zu den hypothetischen, technischen, pragmatischen — ist derjenige,
welcher eine Handlung als für sich selbst ohne Beziehung auf
einen anderen Zweck (z. B. den der eigenen Wolfahrt, Glück-
seligkeit) als objectiv nothwendig vorstellt." Auf die Frage:
„Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich?" antwortet der große
Weise: „Diese Frage kann zwar soweit beantwortet werden, als man
die einzige Voraussetzung angeben kann, unter der er allein möglich
ist, nftmlieh die Idee der Freiheit: ingisiehett als man die Noth-
wehdigkeit dieser Voranssetsmig einsehen kaon, weldies znm prak-^
tischen Gebranehe der Vernunft, d. h. zur Überzeugung von der
Giltigkeit dieses Imperativs, mithin anch des sittlichen Gesetzes
— sowie des religiösen nnd ftsthetischen — hinreichend ist; aber wie
diese Voraossetsong selbst mOglieh sei, l&sat sich dnrch keine
menschliehe Vernnnft jemals einsehen.' Znm Sehlnsse seines
— 278 —
WeriEchens sagt er: „Und so begreifiBii w xwar nloht die prsktiBdie
imbediBs^ Noftbwendigkdt des moraUselMa ImperathnB, wir begrreifoE
aber doch seine Unbegreifliehkeit, irakhes alles ist, yna UlUger-
mafien von einer Phüosopbie, die US nr Greose der mensehlidhei
Vemonft nach Prindpien strdrt, gefordert werden kam/*
Diese kategorischen Imperative der BeUgioii, Sittlidikeit nnd
Schönheit, mögen wir immerÜn das Entstehen derselben ans nieht er-
kUren klinnen, sind, wie Fr. Th. Vischer richtig sagt, „die großen
bewegenden geistigen Mächte des Lebens.*^ Anf ihnen beruht im
wesentlichen der Unterschied zwischen dem mensclilichen nnd dem
thierischen Denken und Handeln. Ihre Wahrheit und die daraus eBt>
springende Verpflichtung wird Ton allen Mensehen, selbst von. denen
anerkannt, die scheinbar von solchen Pflichten nichts wissen wollen.
Mit Recht sagt Kant: „Es ist niemand, selbst der Srgste Bösewicht,
wenn oi- nur sonst Vernunft zu brauchen gewohnt ist, der nicht,
wenn niaii ihm Beispiele der Redliclikeit in Absichten, der Standhafüg-
keit in Befolgung guter Maximen, der Theilnehmung und des allge-
meinen Wolwollens (und noch dazu mit großen Aufopferungen von
Vortheilen und Gemächlichkeit verbunden) vorlegt, nicht wünscht,
dass er auch so gesinnt sein möchte."
Diese Ideen (kategorische imperative der Religion, Sittlichkeit
und Schönheit) werden vom ganzen Menschengeschlechte in seinem
Streben nach echt menschlicher Vollkommenheit („Gottähnlich-
keit") durch gemeinsame geistige Arbeit erzeugt.*) Die Kraft, die-
selben hervorzubringen, hat Gott allen Menschen als ihr eigenstes
Merkmai mitgegeben. Bei Thieren haben die sorgfältigsten Forscher
nnr gans geringe Regungen einer solchen Kraft entdeckt, oder so
entdecken geglaubt Thiere handeln nach praktischen Ideen; aber nie
nadi kategorischen Imperativen, die wir als religiöse, sitUiebe oder
sekOna beieieb&ai durften.^
In der Kraft, soldie Ideen sn erzeugen, danach m handeln nnd
ftr sie einzQstehen, besftrt jedes Volk einen Mafetab llr seine Ge-
sundheit nnd geistige Blftte.
Die traibende Maeht, ans der dies Streben naeh Erzengug neuer
♦) Ich bitte meine Leser, von hier ab nur diesen Begriff von dem Wesen einer
Idee festzuhalU'n, von jenen oben erwähnton praktischen Ideen abzusehen.
• ♦*) Wer eine neue Idee der Art ausspricht, vernimmt gleichsam eine Stimme,
die ihm dieedbe mit der Forderung: „äJim eoll es aein!" mnft. (Daher du Wort
der «Heil Piophetea; «Gott spnoh sn mir: Thn «Mo!") Damm darf mam dieee
Thttlfkeit der Seele mit Fag md Beoht als yeraanfttkitigkeit beaeidiMa
— 279 —
Idew, noaer kat^goniclier Impentive, sowie das Haadela danach
hemngeht, ist die Llabe, qieeieli die Liebe lu Religion, Sittlich-
keit ttttd Schönheit Man pflegt dies Qnudgefähl nm Unterschiede
Tcn der siODlldien oder Gesehlechteriiebe als ideale liehe za be-
aetehnen. Sfe ist lanrtMnlieh Terhunden mit der Abneigung gegen
fUsche Imperativei dis sich bis aom schnnershalten Widerwillen
(l^er, Graosen) steigorn kaan.*) Diese ideale Liebe ist nicht kahe
Achtung, sondern ein interesseloses Wolgefallen, eine innere
Wäme Ar BeUgien, Sittlichkeit und Schönheit und kann sich bis
sor Begeisterung stefgem. Sie hängt mit der Achtnng vor den
Geselaen (religiösen, sittlichen oder Schönheitsgesetzen) innig sa-
sammen; denn diese Achtung kann sich bei rechter idealer Liebe so
steigern, dass jene zu Gesetzen erhobenen kategorischen ImperatiTe
als heilig gelten; aber sie ist dorchaus nicht mit Achtung vor dem
Gesetz als identisch aufimfiissen, weil in diesem letztgenannten
Gefühl keine treibende Kraft liegt.
Diese i<ieale Liebe zei^^t sich bei kleineren Kindern in so ge-
ringem Maße, dass nur das scharfe Auge eines sehr sorgsamen und
gebildeten Erziehers leise Spuren davon entdecken kann. Aber sie
muss vorhanden sein; sonst könnte sie sich nicht entwickeln und oft
schon im Jünglings- und Junglraueualter in rührender und erhebender
Schönheit und Kraft hervortreten. Diese ideale Liebe liängt nicht ab
von gießen Ueistesgaben oder gehobener Bildung, denn man findet sie
gai* oft bei den einfachsteu und wenig gebildeten Leuten in solch
einer Keinheit und Stärke, dass der klar schauende Menschenfreund
dadurch innig erfreut und erhoben wird. Diese einfachen Naturen
wissen nicht, dass sie solch eine ideale Liebesfülle besitzen; vermögen
nicht, die kategorischen Imperative, durch die sie geleitet werden, in
Worte zu kleiden: aber ihr Denken, Beden und Handeln gibt davon
ein untrügliches Zeugnis.
„Wm kna Yartiad iar Venttadigw riekt,
Dm Qbet in Binialt ein kiadlich GemfttL*'
Wie bereits gesagt worden, erzengt das Menschengeschlecht, ge-
trieben von dieser idealen Liebe, jahians jahrein in gemeinsamer
geistiger Arbeit neue Ideen, neue kategorische Imperative. Sobald
dieselbe in Gedanken, in Worte gekleidet werden, treten sie in Ge-
sprächen, Beden oder Schriften in der Form von Heinangen hervor,
*) Diese ideale Liebe kann sieh nie bis zum Haas steigcru. Hass
liebtet eieh avr »■ f Perlenen nnA Uhift mit der ainnlioken oder Qeedilecbts*
Kebe nianunen.
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durch die entweder eine neue, für alle als unbedingt itflichtm&fiige
Fdrdenmg aufgestellt, oder eine bestehende als falsch venrtJieüt wird.
Jeder, der solch eine Meinung äußert, wirft sich damit zum Gesetz-
geber in Religion, Sittlichkeit oder Schönheit für alle Menschen
aal Es ist aber nicht zn bdianpten, dass deijenige, welcher solch
eine nene Idee, eine Meinung in der Form eines kategorischen Im-
perativs aufstellt, dieselbe lediglich ans seinem Geiste erzengt habe.
Der Ursprung von Ideen ist stets dunkel wie die göttliche Macht,
welche ihr Entstellen leitet. Dies ^ilt namentlich von den bedeutenderen
Ideen, die das Menscheng^eschlecht gewaltig bewegen und erst nach
langen, schweren Kämpfen als wahr anerkannt werden, z. K von
denen, die man in Bep^riffen ausgedrückt als die Ideen der (ilaubens-
und Gewissensfreiheit, der Menschenrechte, der 'J'oleranz, der Volks-
Souveränität zu bezeichnen pflegt. Diese Ideen — es sei mir gestattet,
sie Samraelideen zu nennen — zerfallen in Hunderte von einzelnen
kategorischen Imperativen. Es ist durchaus falsch, die Erzeugung
der letzteren allein großen Denkern oder mindestens bedeutenden
Menschen zuzuschreiben, oder doch solchen, die als Haupt Vertreter
jener Sammelideen aufgetreten sind. Weder Lutlier als Hauptkämpfer
tili' die Idee tler Glaubens- und Gewissensfreiheit, noch J. .1. K<nisseau
als Verfechter der Idee der Volks-Souveränität, noch Lessing als
treuester und genialster Kämpfer für die Idee der Toleranz haben aUe
die einzelnen Ideen, die kategoriMshen Lnpenative, die sie ansspraidMi,
aUein ans ihrem Geiste erzeugt. Es zeigt sioli djtbei gar oft, dass
Gott gerade in dem scheinbar Sehwadum mftditig ist Diese groAen
Ideen sind dem Liebte der Sonne m yergleiclMB. Sie kflndet sieh
zuerst als leichte Dttnunemng an, bis sie znMst sfenUend in Glanz
nnd HenÜdikeit iienrorgebt ans der Nsiebt und die Nebel nmber eiegr
reieb zerstreut Die einaehMii kategoriaidien Imperstive, die tov-
bereitenden Ideen der Reformation haben sidi bereits mehrere Jahr»
hunderte yor Lnther denflich genig aagektkndlgt nnd ihre Bekenner
auf den ScheiteibanflBn k^hracbt
Nene bedeutende segensreicbe Ideen bleiben oft lange Zeit ver-
borgen. Wenn ae dann endUefa mit Kraft hervortreten, so tragen die
Reden, die Schrifl»n, die Thaten der Zeit ihr Gepräge. Die großen
Geister, die „Genies" haben nnr die besondere Begabung, alle diese
zerstreuten Strahlen des neuen geistigen Lichtes in ihrer Seele irie
in einem Brennspiegel zu sammeln imd klar auszusprechen, was die
an Logik arme grofie lienge nur dunkel zu ftthlen und verworfen
auszudrücken vermag.
— 281 —
Alle Ideen treiben zu Thaten; alle bestimmen, beeinflussen^
verändern die Denk- und Handlungsweise der Menschen. Darum er-
zeugen alle naturgemäß iiiiinlcsteiis geistige Kämpfe, durch die das
Leben in beständigem Fliiss erhalten wird. Das J^esteliende, Alt-
hergebrachte mit seinen veralteten Ideen und den daraus hervor-
gegangen oft tmheilvollen Einrichtongen kämpft mit der neuen trei-
benden Macht um seine Existenz. Je gröfier und folgenschwerer die
nene Idee, desto mfiehtigier dieeeB Bingen. Es ist in seiner Hdhe ein
Kampf um die heiligsten Gflter des LebeDS. Die größttti Ideen haben
die Welt stets in zwei große Heerlager getheüt, md die Qeschidite
weist nacht dass hd solchen Kämpfen die Parteien StrOme von Bist
Teigosaen mid .sich ob solcher Ideen bis svr VemichtaDg beklinpft
haben. MMdBUgen sind stlrkor als Kriegsheere.** FreQich ent-
stsmmen Ideen ans der idealen Liebe, die keinen Haas kennt; aber
wenn sie znr Geltung kommen sollen, so müssen sie eine Macht
werden, und bei dem Streben danach werden nnr zn oft die niedrigsten
Leidensdmfken entfiasselt Bein nnd edel kann das menschliche Streben
sein; sehr selten ist's die menschliche That
Alle großen Ideen eneugoi nattuigeniiß Begdslarang; die ge-
waltigsten haben stets in ihrem Gefolge den sittUehen Hddenmvth,
das echte Mfirtyierthnm. Kleinere nnd naklare Ideen, wie sie in dem
alltäglichen bürgerlichen Kleinleben auftreten, erzengen die wunderlichen
Thaten der Menschen, die „Stürme im Glase Wasser'^ Aus solchen
Kämpfen ringt sich im Laufe der Jahrhunderte langsam die Wahrheit
hervwr, jene große göttliche Macht, vor deren versöhnendem hehren
Glänze sich alle Parteien bengen. Wie gering auch ihr Fortschritt
sei, wir glauben, dass sie sich zu immer größerer Stärke entwickeln
und in sittlicher und religiöser Hinaicht „das £eich Gottes auf Erden''
herbeiführen werde.
Wenn die Kämpfe um Ideen zum .Stillstande gekommen sind, so
werden aus diesen kategorischen Imperativen Gebote oder Gesetze,
nach denen wenigstens ein Theil der Menschheit handelt. Die ältesten
unter ihnen, die sich bereits in grauer Vorzeit gebildet haben, sowie
die, welche Christus ausgesprochen liat, gelten wenigstens dem über-
wiegenden Theil der Menschheit als heilig: es sind die heiligen
zehn und Christi Gebote. Um andere Ideen wird noch lange ge-
kämpft werden müssen, bis man sie als heilige Gebote betrachtet.
Wie wenig Menschen betrachten die Idee der Toleranz als ein sitt-
liches Gesetz! Die sittlichen Ideen zerfallen in einfach sittliche,
die das Verhältnis der Menschen zu einander beireüen; in sociale,
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— 282 —
die „der Menschenrechte", bei denen der Stand dem Staade gegenftber
ins Auge gefasst wird; und in politische, bei dmm es Mk vm das
Verfafiltnis des Btrgers mm Staate ud denen Herrscher haadett
Wie «ikwtmk ist gegenwärtig noek die Macbt der poUtiseh-flitttieliea
Idee: Dn sollst deine Meinang frei bekennen nnd mit 6it nnd Blnt^
selbst unter Verfolgungen, daftr tren einstehen!
Alle diese Ideen spielen eine Hauptrolle bei der Ersiehnng
des ][ensckengeschlec]ite& Damm werden sie den Kindern von
frOheBter Jngend an anablissig in der Fenn Yon Qeboten nnd Vov
boten angemfen und eingepiftgt Jeder Menscli lernt sie kennen duck
bewnsste oder nnbewnsste Einwirknng seiner Eätem nnd Bnieber,
dnrch die verBchiedeosten Personen seiner Umgebong, sowie dnrek
die Tkaten des Offentliehen Lebens, ferner dnrek die Leetüre nnd
Viter dnreh das Stadium von Werken, die das Ctoprftge sokher
Ideen tragen.
Bin«^ Ideen, namentlich die einfacheren, die man znm Leben wie
gangbare Mftnzen beim Handelsrerkehr braucht, erstarren zu Sitten
und Gebräuchen. Sie erstairen in einer Weise, dass die meisten
Keuschen, weLche diese Sitten nnd Gebräuche pünktlich befolgen, von
den denselben sogmnde liegenden religiösen, sittlichen oder Schön-
heitsideen gar keine Ahnung haben. Man denke an die auf Schön-
heitsideen beruhenden Sitten des Umjifangs, das Grüßen, die Haltung
bei Tische, die ^rode. Dies Erstarren von Ideen bringt oft großen
Nachtheil, namentlich dann, wenn solche Sitten und Gebräuche im
Laufe der Zeit mit einem Schein von Heiligkeit umgeben worden sind
und wie die heiligsten Gebote verehrt werden. In eine Abänderung
oder Neuerung fugt sich die große Menge sehr schwer, selbst bei der
Erkenntnis, dass eine Reformation nöthig sei. Die wunderbare Kraft
unseres großen Luther zeigt sich auch in dem Umstände, dass er es
verstand, dem durch die Jahrhunderte geheiligten Gottesdienste der
katholischen Kirche eine neue Form zu geben, die sogleich allgemeinen
Anklang fand und wie die alte mit Verehrung aufgenommen wuixle.
Bisher haben wir nui- Ideen betrachtet, die rein aus der idealen
Liebe, d. h. der intei esselosen Wärme füi- Religion, Sittlichkeit und
Schönheit stammen. Sie treten als kategorische Imperative größten-
theils in scharfen Gegensatz zu den praktischen oder pragmatilohAn
Impemtiven der sinnlichen Neigungen, des Strebens naoh Bebag*>
liehkeit, Wolleben, irdischer Glückseligkeit, das ans der Selbstliehe
entspringt Wie die Liebe snm Wolieben nniss nns ja aneh die ideale
Liebe eingeboren sein, denn sonst konnte sie sich nicht entwiokehi.
— 283 —
Aber jene ist kräftigei*, zeigt sich namentlich in der ersten Jugend-
zeit in besonderer Stärke und bildet sich infolge des mit der Be-
ftiedigung verbnndenen sinnlichen Lustgefühls (oder Unlnstgeföhls
tiei Versagung jener BelHidigung) zu einer soldien Kacht ans, dass
ae ZOT Leidenscbaft werden kann und die FordenmgeB der idealen
Liebe ftst gftndiek eretiekt. Die simili^ Liebe, die Selbstliebe,
ist selbst bei den edel angelegten Naturen so staric, daes alle Lnperative
der idealen Liebe anfauf s einen Zwang ausiben, der erst dureh
langt und sorgsame Übung und Gewobnnng llberwundai werden muie.
Jlan nennt ja deshalb Tugend die durch Gewohnheit eitagte Übung
im Handeln nach guten Gmndsitsen, infolge deren das Sittengesets
in der Seele cum Naturgesetz geworden ist, also dass der Tugend-
hafte nicht anders als gut handeln kann. Mit Becht legt darum
Kant Hauptgewicht auf die gegen unsere einttUflhe Neigung erworbene
Tugend, im GegmsatB zur Temperamentstugend, bei der uns das
Onte infolge einer eingeborenen, den idealen Geboten entgegen-
kommenden Neigung eine gewisse sinnliche Lust bcvefitet, mindestens
gar nicht schwer fällt.
Ks gibt jedoch unter den Grundtrieben der menschlichen Seele
drei Arten von Liebe, die sich der oben besprochenen idealen
nähern, oft mit ihr identisch zu sein scheinen: die Geschlechter-
liebe (Liebe der Brautlente zn einander nnd Liebe der filtern zu
ihren Kindern, namentlich die Mutterliebe), die mj'stische religiöse
Liebe oder der mystische Glaube and endlich die Liebe zur
Wissenschaft oder zur Kunst.
Jede dieser Arten von Liebe erzeugt Ideen, die zwar nicht als
kategorische Imperative (im Sinne von Kant) aufgefasst werden düifen,
aber doch Imperative sind, die sich von denen, welche der gewöhn-
liche Naturtrieb zur Selbsterhaltung erzeugt — zu essen, zu trinken,
unser Leben zu schützen, uns Vergnügen aller Art zu bereiten —
wesentlich unterscheiden.
Betrachten wir zunächst die Idee der Geschlechterliebe.
Diese Liebe ist nach dem Ausspruche eines Naturforschers „ein Kunst-
grift' der Natur zur Erhaltung der Gattung." Aber sie ist bei uns
Menschen anderer Art als bei den Thieren. Sie richtet sich bei
uns in Bezug auf ihren Wert genau nach dem sittlichen
Werte unseres Wesens, also genau nach der durch die Erziehung
erworbenen sittlichen Gteffthlsgmndlage. Darans entstehen bei dem
späteren ehelichen Zusammenleben, wenn der beseligende Bauseh der
Lisbesleidensehaft Teiflogen ist, die herrlichen Imperattre der Treue
I.J —
— 284 —
4er hingebenden, nnelgenntttsigen Anfopfernng Ar das Wol der
geliebten Pereon nnd der in der Ehe erzeugten Kinder, der Baok-
sicht, die nach dem Diehterworte die nBHIte edebten Gemttthee" ist
Es sind dies Impemti?e, die mit den kategorischen der Sittlichkeit
ToUstfindig auammenfRlIen, wemigleich der Gnmdtrieb dazu nicht
alkin die ideale liebe, scMidem in erster linie die Geschleehtodiebe ist
Aber diese GescUechterüebe hat auch ihre eigenen Imperative,
nnd dieselben können oft mit den kategorischen der Sittlichkeit und
selbst der fieligion in argen Oonflict kommen. Die Qeschlechterliebe,
mag sie noch so schön auftreten, ist and bleibt ein unerklärlicher
Natur zwang. Bei der rechten Liebe — denn nur von ebier solchen
kann hier, wo es sich um Ideen handelt, die Bede -sein — sagt jeder
der Liebenden, nm mit dem Dichter zn reden:
„Ich liebe dich, weil ich dich lieben miiSB;
Ich liebe dich nuch einem HimmelsschlubS."
Diese Liebe fordert unbedingt (.Tegenliebe, ist also eigen-
.nütziger Art, ist niclit wie die ideale ein „interesseloses Wolgefallen".
Von ihr darf man im Hinblick auf das liebende Verlangen uach Ver-
einigung das Bibelwort anführen: .,Wenn ich nur dich habe, so frage
ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Ijeib und Seele
verschmachten, so bist du doch allezeit meines Herzens Trost und
raein Theil." Bei dem Manne stammen diese der öeschlechterliebe
eigenen Imperative aus gröberer Sinnlichkeit; darum verliert sich bei
ihm nach der Vereinigung der Freudenrausch sehr bald und macht
— bei edeln Naturen — einer durch sittliche Wärme und deren
kategorische Imperative geregelten Freundschaft Platz. Beim edeln
Weibe sind diese Imperative anderer Art. Ihre Liebe ist feiner und
tiefer als die des Mannes, ist viel weniger diu-ch das sinnliche Wol-
geftUen an äußerer, körperlicher Schönheit zu erregen. Hat sie einem
Hanne ihre Tolle liebe zugewandt, so hAngt sie an ihm ihr Lebenlaug
mit Treae nnd Anfopfening fest nnd -wird ni diesem Gefllhl oft seOMit
bei arger Tftaschnng nicht beirrt. Für den geliebten Mann ertrigt
das Weib alles, hofft alles, duldet aUes, gUnbt sUes, wird nie mfide,
selbst das Schwerste zn flbemehmen, an leiden, an darben, ihre Ge-
sundheit zn opfen, sieh bis anr Vemichtong an&nreiben. Sie ertrSgt
des Mannes Lannen, seine Wunderlichkeiten, selbst Roheiten, über»
sieht arge Fdiler, selbst Verbreehen. Sie beherrseht sieh, entsiefat
sich selbst Frenden, nm ihm einen Gennas zn bereiten, ist onermfid-
lidi thAtig, für sehie BehagUdikett, sein Glflek nnd seine Freode an
sorgen. Sie ist gMekselig, wemi der geliebte Mann gelobt oder gar
grefeiert ^vird. theilt seine Kränkungen, regt sicli über feindselige
Angrille viel iirger auf als er selbst, nimmt überall unbedingt für ihn
Partei, ganz gleich, ob er recht oder unrecht gehandelt hat, schwört
auf seine Worte, seine Grundsätze, lebt und webt nur in ihm. Die
meisten der Imperative, die ihr solch ein Handeln eingeben, fallen
zwar mit den kategorischen der Sittlichkeit zusammen; aber viele
sind vom sittlichen Standpunkte aus mindestens als bedenklich zu be-
zeichnen. Danach fragt das echte edle Weib aber gar nicht Ihr
Thon wird geiegelt durch die elementare Macht der echten öe-
schlechterliebe, und diese Maolit adiwindet bei ihr nimmer, so daas
Franen ihren Ifitanem gegenüber noch in spAteren Jahren gUk^liefaer
Ehe die ganze Schönheit ihrer brftatUehen Liebe zeigen können. Bei
ihr findet nie, wie bei dem Manne, ein Kampf zwischen dieser
Neigung und der sittlichen Pflicht statt Wo solch ein Kampf
sieh zeigt, ist's mit der Beinheit and SdiOnheit ihrer Liebe vorbei
Ehlen sittJichen Kampf mag sie, ohne inneren Sehaden zn leiden, anf
anderen Gebieten bestehen, nie in Besng anf ihre eheliche Liebe.
Ans diesem Grande ist's anch erkUrlich, dass efai Weib Vater nnd
Matter verlassen nnd mit dem geliebten Manne enie »wilde Ehe" ein-
gehen kann, ohne hi ihrem Innern, ihrem Gemftfhdeben dnrdi diese
Verletzung sittlicher und religiöser Gebote und der f&r Frauen so
gewaltigen Macht der Sitte eine zu tief gehende, . ihre Ruhe und ihr
Glück vernichtende Störung zu erfahren. Es kommt dabei lediglich
auf die Persönlichkeit des geliebten Mannes nnd die Stärke ihrer
Liebe an.
Dieselben Imperative tieten bei dem Weibe in noch erhöhterem
Maße bei der Liebe zu ihren Kindern, bei der echten Mutter-
liebe hervor. Der Gegensatz derselben zu den kategorischen dar
Sittlichkeit ist oft ein viel ärg^erer als der vorhin geschilderte. Die
elementare Macht der Mutterliebe aclitet namentlich in Zeiten der
Noth und Gefahr, sobald die Kinder bedroht werden, weder göttliche
noch menschliche (-ä-esetze.
Da wir oben festgehalten haben, dass Ideen kategorische Imperative
der Religion, Sittlichkeit und Schönheit sind, so dürfen vir die Mei-
nungen und Gesetze, die lediglich aus der Geschlechterliebe stammen,
nicht Ideen im eigentlichen Sinne des Wortes nennen; höchstens mag
man sie als subjeotive Ideen*) bezeichnen. Da diese Meinungen und
*) In der Seele der Liebenden erklingen alle diese ImperatiTe, wie die kate-
goriscbon, mit der Forderung: „Du sollst"; obgleich diosplb«> dem zugrunde liegen-
den Naturswange gemlLA als: „Du maastl" aufzufassen hu Diese Ideen kOnncn
— 286 —
Gebote aber im Leben der einzelnen Menschen eine so große Rolle
spielen, sich vielfach mit den kategorischen Imperativen verbinden
und auf den allgemeinen Fortschritt der Menscliheit zur höchsten Voll-
kommenheit (Gottähnlichkeit) immerhin einen nicht unbedeutenden
Kinflnsfi aosgefibt haben, so war es bei onserm Thema geboten, auch
dies Qebiet sa wOprtanL
Dasselbe gilt flr das Gkiblet der mystischen religiösen Liebe
oder des mystischen Glaubens.
Dem Anscheine nach gehört diese Liebe m der idealen, die sich als
innere Wflnne fttr Beligion nnd religiöses Leben seigt nnd die rdi-
gifisen Ideen and wahrhaft frommen Thaten der Menschen henror-
gebracht hat Aber es hemcht zwischen ihr nnd der mystischen
religiösen Liebe ein wesentlicher Unterschied.
Um die mystische religiöse Liebe recht za yerstehen, ist es
nOthig, sttTor die echte ideale Liebe zur Beligion, ahs der die ans
aUe bindenden kategorischen Imperative entspringen, nfther za be-
leochten. Hierbei kann nicht die Gesammtheit von Dogmen, Ge-
brilachen, Einrichtnngen und Vorstellangen in Betracht kommen, die
man (objectiv) als Religion za bezeichnen pflegt, sondern nnr die
echte Frömmigkeit, aach Gottesfurcht, oder fromme Gesinnung
genannt
Man hat dieselbe sehr schön als „das Heimweh des Herzens nach
seiner Wahrheit** bezeichnet. Sie zeigt sich in der That als eine
tiefe Sehnsucht, als ein liebevoller Zog des Gemüthes nach dem Ewigen,
Unbedingten, unbedingt Heiligen; zeigt sich in dem Streben, iiber
das Unbefriedigende unserer irdischen Zustände, unserer Kämpfe mit
uns selbst und der Welt hinauszukommen. In unsagbareni (Tlück.
d^ wir weder uns noch irgend einem Menschen verdanken können,
sucht das Gemüth des guten Mensrhen über sich einen gütigen Urheber,
dem er aus vollem gerührten Herzen den Dank ausströmen könne;
im tiefsten Seelenschmerz einen heiligen, all weisen Weltenlenker, dem
er das volle Vertrauen schenken könne, dass alle Schicksale, die er
sendet, uns zum Besten dienen, der uns das „Kreuz" nie zu schwer
machen werde; einen liebevollen Vater, dem er wie ein Kind sein
Leid klagen <lürfe. In der höchsten Noth richtet sich das Gemüth
des geängstigten Menschen unwillkürlich nach oben, um dort „den
iielier" zu sucheu. In der Seelenangst, die ihn überkommt, wenn er
darum nicht objcciivc sein, da äio uicht lür alle Meueehcu ohne Unterschied
in Leidenschaft gegen seine bessere Überzeugung schwer gesündigt
hat, verlangt sein (xeinüth nach dem heiligen Erlöser, der ihm die
verlorene Seeleni-uhe wiedergeben möge. Gewiss hat in den ältesten
Zeiten die überwältigende Furcht vor den rohen Naturgewalten zur
Religion geführt - - Timor facit Deos wol auch die Sorge um das
Wol der Lieben, um das eigene unbeständif^e Glück; aber schon da-
mals muss zugleich das mit der Menschemiatur innig verbundene, ihr
eingeborene Liebessehnen nach dem absolut Heiligen, das auf
Erden nirgends zu finden ist, leise mitgewirkt haben. Der Beweis
dafür liegt in dem Umstände, dass dies liebevolle ßedürftiis, Heiliges
mit Ehrfurcht (kindlicher Furcht) zu umfassen, sich immer stärker
ausgebildet und bei guten Menschen, so wie das höhere Liebesgefühl
tüi' echte Sittlichkeit bis zu hoher Feinheit und Stärke entwickelt hat.
Diese ideale religiöse Liebe ist bei edeln, feinen und scharfen
Denkern nicht minder zu finden als bei den einfachsten guten Men-
Bdieii, ninuBt nor andere Fonnen an, zeigt sich in anderen, besonders
ftiiMD Q«fllUea, die der fitnune Ungebildete nieiit iDemit Dieselben
rind: dje Ehiitaroht tot den Walten des Weltgeistes, Tor den groBen
nnd kleinen Wandern des Scfaöpfangsprooesses, des Werdens nnd Ver-
gehens in der Natur, Yor den ewigen Säthsdn des Lebens, vor den
Gesetien der sittUohen Weltordnong; es sind die feinem tragisehen
GeftMe, das tragiadie Mitleid nnd die tragische Furcht beiBi opfsr-
wflUgen Anheben des eigenen Qlttokes, ja des Lebens im Xampfe
um das GroBe, Ghite und SchSne; das tragische Grausen vor dem
Untesgange irdiseher Macht und Herrlichkeit, vor dem »großen,
gigantiseheo Sobieksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den
Menschen zermalmt;" vor den Thaten fhrohtbaren nnd zugleich ge-
waltigen, mit Größe gepaarten Frevelsinns. Es ist ferner die Ehr^
Ihrcht vor allem, was anderen Menschen als heilig gilt, auch wenn
man selbst die äußeren Gebräuche dieser fremden Verehrung nicht
theilt, ja für wunderlich zu betrachten geneigt ist.
Diese ideale Liebessehnsucht nach dem Ewigen, Unerforschüchen,
anbedingt Heiligen hat allmählich zu dem Glauben an einen einigen
Gott, den Schöpfer, Erhalter und Regierer der Welt geführt. Als
„die Zeit erfüllet war", und Christus lehrte, dass dieser Gott ein
Gott der Liebe, ein lirbender Vater aller Menschen sei, wurde seine
£eligion, das Chiistenthnm, dadurch zu einer weltbezwingenden Macht.
Aber soviel und so tief man sich auch in dies absolute 'Heilige
versenken, sich mit allen Gaben der riiantasie und des scharfen
Denkens von ihm ein Bild, eine für unsere Sinne und unseren Gbist
— 288 —
fassbare Vorstellung machen möchte: dies Bemühen ist eitel und wird
ewig resultatlüs Ideiben, denn diese Welt, so sehr wir uns auch nach
ihr sehnen, wie g^roß unser Ahnen sein möge, ist unserem Greiste auf
ewig verschlossen, ist unerforschlich. Darum bleibt die Keligion,
als Frömmigkeit oder fromme Gesinnung aufgefasst, stets Gegenstand
des Gefühls, nie des Wissens; der fromme Glaube ist stets sub-
jectiver Art, fällt zusammen, ist identisch mit der frommen
idealen Liebe. Da wir das Wesen der Gottheit nicht erforschen
können, richten sich der Begriff und die Vorstellung von Gott bei
jedem Menschen nach den Gaben, nach der Kraft der Phantasie und
des Geistes, die er durch die Geburt erhalten und durch die Erziehung
ausgebildet bat. „Gott", sagt Luther, „ist eine unbeschriebene Tafel;
was da darauf schreibest, das hast du.'* Der Gk>tt der emfeu^heu,
nngebOdeteii Lente ist ein anderer als der der feinen und aeharfen
•Denker. Jenen ist Qott eine Person, ein Ueber, gütiger, TftterUeher
Freond und Helfer, der in musugänglichem Liebte ttber dien Sternen
thront Sie verkehren mit ihm in ihren Sorgen and Ängsten, in Frende
and Leid wie mit einem Menschen, dessen Macht nnbegrenst ist, dessen
Liebe sie yoUstindig sicher sind. „Um die Leere sa ftllen, die durch
die Ohnmacht des Strebens nach wahrer Eikenntnis m&agt wird,
aetchnet der Mensch sein eignes Bild in das Dunkel mit yeigrOttem-
den ünoissen als höchste Liebe.** (Fr. Th. Vischer.) Die feinen
und scharfen Denker sind darüber hinaasgegaogen und haben andere
Vorstellungen erklttgelt, ohne za besseren Besoltaten gehingt au sein.
Schließlich kommt?^ bei ihnen allen auf das berOhmte pantheistische
Glaubensbekenntnis hinaus, das Goethe in seinem „Faust" entwirft:
..Wer darf ihn nemimi?
Und wer bckcnaea:
Ich t?laub' ihu!
Wer empfindea
Und Bich unterwindon
Zn sagen: Idi glaub* Uin nidit?
Gpfnhl ist nllei;
Name i«t Schall und Rauch
Finnilx-lnd Himmolsjflut."
Die Frömmigkeit eines Menschen riclitet sich demgemäß
durchauü nicht nach diesen Begriffen und Anschauungen,
die er sich von Gott gemacht hat, sondern nach der Stärke
der idealen Liebe, mit der er Heilig:es zu umfassen vermag,
zu umfassen sich bemüht. Auch der sogenannte Atheist, der nicht
an den persönlichen Gott glaubt, wie ihn die einfachen Leute sich
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— 289 —
vorstellen, wie ihn die Kirche lehrt ; der den Glauben an eine B^ortdauer
nach dem Tode als unmöglich und damit die Lehre vom ewigen Leben
als unnöthig betrachtet, kann ein durchaus frommer Mensch sein. Dies
können heutzutage nur Ungebildete oder Zeloten bestreiten, bei den^
geistlicher Hochmath und Verfolgongssucht das klare Denken beein-
trächtigen.
Diese ideale fromme Liebe, sich in das absolut Heilige zu ver-
senken, dasselbe mit Ehrfurcht zu umfassen, zur treibenden ^facht
seines Lebens zu machen, ist allen Menschen in höhere in oder
niederem Grade ei<,'-en. Sie bildet das vereinigende und ver-
söhnende Element aller wahren, auf den Glauben an einen einigen
(lOtt ^^ebauten Religionen*) und der verschiedenen Confessionen. Aus
ihr entspringen die Ideen, die wir als die für alle Menschen
giltigen kategorischen Imperative der Religion kennen ge-
lernt haben. Mag ein Mensch noch so gebildet und aufgeklärt sein,
mag seine Vorstellung von Gott sich von der aller anderen Menschen
unterscheiden: diese kategorischen Imperative erkennt er willig an,
muss sie als edler Mensch auerkennen und als Maximen in seinen
Willen aufnehmen.
Aber dies Dunkle, GeheimnisvoUe, Ahnungsreiche der religiösen
GelBUe hat von jeher besonders in dieser Bichtung begabte Menschen
venuüasst, sich trotz der ünergrttndlichkeit mit Hilfe der Phantasie,
unter Zurückweisung der klaren Verßtandesthätigkeit, in dies
Gebist zu vertiefen, um dasselbe durch innere Erleuchtung, inneres
Schauen des Genius zu erfassen. Die Anschauungen und Vorstel-
lungen, wekhe sie auf diese Weise gewonnen haben, betrachten sie
als Erleuchtungen, als Eingebungen der göttlichen Macht,
als Geschenk der göttlichen Gnade und nennen sie göttliche
OJfenbanuigeii. Sie betrachten sie demgemäß als absolute Wahr-
heit, an der zu zweifeln Frevel am Heiligsten wflre. Solche Personen
nennen wir Mystiker, die ganze Erscheinung die Mystik.
Der Urgrund zu diesem Streben ist aber nicht die allen Menschen
eigene ideale, religiöse Liebe, sondern eine mit derselben zusammen-
hsiigüiniift besondere Vorliebe. Sie ist zu vergleichen mit der auf
besonderen eingeborenen Gaben beruhenden Vorliebe des Künstlers für
seine Kunst, des echten Gelehrten für die Wissenschaft. Sowie die
Fhantaaiethfttigkeit des Künstlers infolge dieser Vorliebe oft von
*) .Tede Heligion, die Vielgötterei anfw«iat, beruht auf Fuicht vor dea
Naturgewalten, mithin auf Aberglaubeo.
PmUcogtnm. Jahtg. 18. Heft V. 21
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Jugend auf mit yendbrenctor Gewalt sich auf das Schaffen von
Kanstwerkesi richtet, also dass er in keinem anderen Sinne Denken
and Sehalfen ab nur in diesem seinem rechten Beruf sone Lebens-
aniisibe findet, wud die Phantaslethätigkeit des Mystikers, sein ganzes
Sbinen und Denken mit yensehrender Gewalt anf ^ Eifonchnng joner
donketai Gebiete der Beligion geleitet Diese treibende Kraft seines
Wesens ist die mystische Liebe zur Beligion.
Der echte Mystiker lebt dämm in einer ganz eigenthflmlichea
Welt, die anderen Menschen nnverstfindlich bleibt — wie die des
grofien Künstlers oder Gelehrten — , nnr angestaunt oder bewandert,
nicht begriffen werden kann. Für ihn, den Mystiker, sind diese durch
innere Erleuchtung gewonnenen Anschaanngen in der That absolut
wahr, sind göttliche Offenbarungen. Sein Glaube daran ist uner^
schQtterlich, kennt keinen Zweifel, ist identisch mit seiner mystischen
Liebe, bildet ..spin ihm zugewognes Glück." Und ob die ganze Welt
sich achselzuckend von ihm abwendet, ihn verspottet, verfolgt: er ist
freudig bereit« f&r diese Liebe, diesen Glanben alles zu ertragen, selbst
sein Leben zu opfern.
Wie groß bei diesen Mystikern die Phantasiethätigkeit ist, er-
gehen wir aus dem Umstände, dass gar viele unter ihnen ,.Gesiclite
sehen," „Entziirkungen" tiililt n, dass sie die Wesen ihrer Einbildungs-
kraft als Personen hdltliattig vor sich sehen, mit ihnen Gesi^räche
führen, von ihnen Bctehle empfangen, die sie als g'Utliche Gebute aus-
führen. Diese Erscheinungen haben für sie volle Wahrheit und
Wesenheit. Wenn Luther auf seinen Gott, wie bei Melanchthons
schwerer Krankheit, mit zornigen Worten, mit heftigen und harten
Vorwürfen einredete, so war ihm dies zornige Gebet wahrlich heiliger
Ernst, und er war später des festen Glaubens, dass er Gott dadurch
bewogen habe, seinen Freund gesund zu machen. So hat man sich
auch die (Gesichte der alten Propheten und ilire Gespräche mit Gott
zu erklären.
Die Mystik hat in dem religiösen Leben der Menschen von jeher
einen gewaltigen Einflnss ansgefibt^ omsomehr, da sie sich bei den
geistig hochbegabten Menschen in noch höherem Maße als bei eingehen
Naturen findet Alle Religionsstifter, alle Beformatoren, alle hervor-
ragenden Kirchenlehrer, die Stifter von Secten, die alten Propheten,
die Apostel nnd Heiligen, die frommen Märtyrer ihres Glanbens sind
Mystiker gewesen. Dnich Mystiker hat sich von alten Zeiten her die
Trennung der Menschen in Priester nnd Volk, in Geistliche und
Laien vollzogen.
— 291 —
Die groflartigste Wirinmg der Mystik zeigt sich in ihrem Eiii-
flnsse auf die AnsMldiing der Äußeren Beligion, die dcli als Ge-
nnuntheit Ton Dogmen, Gebränchen, ESmiehtnngen zeigt, auf die Am-
Idldmig des Lehrgebäudes der christlichen Kirchen. Znm Thefl
sind es diese Mystiker selbst, znm Theil scharfe Denker gewesen,
die diese Dogmen nnd Einrichtungen geschaffen haben. Die letzteren
haben den subjectiven Glauben der ersterea und ihre Vorstellungen
als gOttUdie Qifenbanmg, als absolute Wahrheit anügefesst und Ton
diesem Grunde ausgehend den Verstand mit seinen scharfBU SehUssen
walten lassta* Als erste Folgerong ans dem Obersatze, dass diese
Eileuchtnngen der Mystiker höhere gOttUche Eingebungen und Offim-
bamngen seien, die Gott aus freier Gnade erthefle, bildete sich das
Dogma ans, dass Gott hier als heiliger Geist wirke, dass dieser
heilige Geist nur die Geistlichen erleuchte und demgemäß auch
deren gemeinsame, auf den Concilien gefassten Beschlüsse unter Ein-
wirkung des heib'gen Geistes stehen und die daraus formnlirten
Dogmen als absolute göttliche Wahrheit zu betrachten seien.
Aus solchen Bestrebungen hat sich die Religionswissenschaft, die
Theologie f Gottesgelahrtheit) aufgebaut. Soweit dieselbe nicht Philo-
logie, Alterthumsforscluino:, Bibelauslegung oder Geschichte ist, gründet
sie sich auf Metaphysik, auf die Lelire oder Wissenschaft von dem
Übersinnlichen, und stellt gewisse, durch die Mystik erzeugte
Hauptsätze als absolute Gewissheit und ^^'alll•)leit auf, als Offen-
barung. Die offenbarunprsgläubigen Denker uuter den Theologen und
ihr Anhang sagen: „Der religiöse Glaube geht auf Wahrheit und setzt
die festeste Überzeugung voraus, die es überhaupt geben
kann. Wo also die geistige Cultur genügend erstarkt ist, da sucht
der Glaube ausdrücklich strenge, conseciuente , logisch erweisbare,
wissenschaftliche Wahrlieit für seinen Inhalt zu erreichen, und wo
er dieses Streben aufgeben inüsste, da nüisste er auch sich
selbst aufgeben. Denn daran lässt sich nun einmal nichts ändern:
der Zweifel an der Erkennbarkeit und Beweisbarkeit des .Übersinn-
lichen' und Göttlichen ist auch ein Zweifel an der Realität des-
selben und deshalb unabänderlich auch ein Zweifel an der reli-
giösen Wahrheit, und mit allen Aushilfsmittebi yon ,Werturthei]en*
Aber ,Erlebbares, aber nicht BirklftrharesS von «praktischen NGthigungen'
und 4ntere8sirter Wdtanschauung' ist dagegen gar nichts auszurichten.
Wer die Metaphysik als Wissenschaft leugnet, der leugnet auch die
wissenschaftliche Dogmatik und damit mittelbar auch die Wahrheit
der Religion und speciell der christlichen Religion.** (A. Lassen.)
21»
Wir mttssen aber entBehieden die Behauptung zurückweisen, dass
die Forschimgen der Uetaphysik absolnte Wahrheit enthalten und
den Zweifel an der Erkennbariuit und Beweisbarkeit des Übersinn-
lichen nnd Göttlichen durchaus aufrecht erhalten. Uan leugnet
damit nicht die Wahrheit der Beligion, sondern mir die gewisser
Dogmen und theologischer Lehren. Der Glaube der Mystiker ist nur
ein subjectiver, denn .unser Geist kann vermöge seiner Einrichtung
Übersinnliches nicht erfassen; ihre durch inneres Schauen ei>
woiboien Anschauungen sind nur subjective, enthalten nur Wahr-
heit für sie allein, aber nicht eine absolute Wahrfaeity an die zu
glauben jedem Menschen zur heiligen Pflicht gemacht werden dfirfte.
Für sie gilt das Wort: JX» Wahrheit ihres Glaubens ist n|cht» was
sie glauben, sondern dass sie gruben.** Die Ideen, welche aus dieser
eigenthfimlißhen mystischen Liebe und diesem mystischen Gümben
entspringen, sind nur pragmatische*), aber nicÄit kategorische
LnperatiTe, und es ist unrecht, daraufhin die ganse Menschheit ver-
pflichten zu wollen. Daraus ist der Glaubens- und Grewissens-
zwang entstanden, o-nter dem wir noch bis zur Stunde mehr
oder weniger zu leiden haben. Wer soU-h einen mystischen
Glauben besitzt, soll darin unangetastet bleiben; aber es ist thö rieht,
denselben von denen zu fordern, die diese mystisclie Liebe nicht be-
sitzen und dazu gar keinen Bei-uf haben, und frevelhaft, solch einen
Glauben durch irgend eine Gewaltmaßregel erzwingen zu wollen. Es
ist schon verwertlich, die Lehre aufzustellen, dass derjenige, der ihn
noch nicht besitzt , veri)tiichtet sei , durch inbrünstiges Ringen im
Gebet dafür zu sorgen, dass ei' „eileuchtet", der „Gnade theühaftig
werde".
Man darf von jedem Menschen fordern, dass er in dem oben von
uns erörterten Sinne fromm sei, sittlich strebe und handle und nach
den Ideen der Schönheit lebe. Die Ideen, die solch ein Leben
regeln, sind die einzig wahren kategorischen Imperative. Sie sind
allen Menschen verständlich, und jeder, selbst der Bösewicht,
fühlt sich dazu verpflichtet; aber es ist Versüjidigung au der
Menschennatur, uns zur ptiichtmäßigen Annahme von Ideen und der
daraus entspriugendeu Gesetze zwingen zu wollen, die nur in der
eigenthümlichen Begabung einer kleinen Zahl von Mensehen
ihren Ursprung haben. Auf dei* Erkenntnis dieses Ar die Menschen
*) Pragmatisch sind diese Ideen, weil tue einen Zweck ins Ange fassen,
■iinUoh, cUm lalen religiüse Lebw dar Goneiade, d^r „KiidM" ra ng«fai.
— 293 —
ungerechtfertigt Zwanges bemhA das so oft angefeindete Wort unseres
grollen Schiller:
„Wekd» BeUgion ieh bekenne?
Keine Ton allen,
Die du nennst. — Und wanm keine?
Aus Keligion."
Nach diesen Erörtemngen können wir über die Ideen, welche bei
Gelehrten und Künstlern aus der ihnen eig^enen Liebe zu wissen-
scliaftlichen Forschung:t'n oder zu Kunstschüpfungen entspringen, leichter
hinweggehen. l>ie Inii)erative, die für solche Menschen aus dieser
Liebe entspringen, sind für sie selbst kategorisclie; denn kein echter
Gelehrter denkt bei seinen Foi-schungen an einen Zweck, und der
rechte Künstler will auch nur zwecklos Schönes schaffen: aber sie
können nicht zu Imperativen und zu Gesetzen für die ganze Mensch-
heit erhoben werden, weil die eigenthümliche Art der Liebe, aus der
sie hervorgehen, nur den für diese beiden Bichtuagen besonders be-
gabten Menschen verliehen ist.
Nachdem wii* so das Wesen der Ideen erörtert haben, ist es noch
geboten, den Begriff: „die Idee in einem Kunstwerke" näher zu
beleuchten, weil damit der meiste Unfug getrieben wird. Da die Be-
trachtung dieses Begriß'es für die verschiedenen Arten von Kunst-
werken zu weit fuhren würde, wollen wir uns daranf beschränken,
denselben nur in Bezug auf dichterische Kunstwerke festzustellen.
Es herrscht bei Anwendung dieses Begriffes selbst in den Werken
der ÄsthetlkeTi nnd namentlich bei denjenigen, welche Dichterwerke
erlintem oder als Literarhistoriker auftreten, dne solche VerwiiTang
nnd Unklarheit» dass jeder wahre Freund der Diehtkanst dnrehans
die nUthige Klarheit fordern mnss.
HOren wir zunächst, was ein mit Becht hochgefeierter Dichter
nnd Gelehrter, Gustav Freftag, Uber diesen Begriff sagt
In seiner „Technik des Dramas" heifit es: »la der Seele des
Dichters gestaltet sich das Drama allmUilich ans dem rohen Stofl^
dem Bericht über irgend etwas Geschehenes. Zuerst treten emsebie
Momente: innerer Kampf und Entschluss eines Menschen, efaie folgen-
schwere That, Gonfliot zweier Charaktere, Gegensatz eines Helden
gegen seine Umgebong so lebhaft ans dem Zusammenhange mit anderen
Ereignissen heraus, dass sie Veranlassung znr Umbildung des Stoffes
werden Diese Umbildung geht so vor sich, dass die lebhaft empfun-
dene Hauptsache in ihrer die Menschenseele fesselnden, rührenden
oder erscbflttemden Bedeutung an^e&sst» Ton allem zufiUlig daran
— 294 —
Hftngenden losgelöst und mit einzelnen ergänzenden Erfindungen in
einen einheitlichen Causalnexus gebracht wii*d. Die neue Einheit,
die dadurch entsteht, ist die Idee des Dramas." Demgemäß
bedeutet hier die Idee die Handlung des Stückes, sie ist der nach
Kunstgesetzen geregelte Plan, nach dem Spieler und Gegen-
spieler handelnd uns vorgeführt werden sollen. Freytag bezeichnet
aber die Idee ferner „als die stille Seele, durch welche er
den von außen an ihn tretenden Sto ff vergeistigt," versteht
also dabei unter Idee die künstlerische Verarbeitung des
Stoffes zu einer ein lieitliclien drama tischen Handlung. Ein-
mal bedeutet Idee mithin das Ausgeführte, das Object der dichte-
rischen Thätigkeit und gleich darauf diese Thätigkeit selbst.
Wenn er femer hinzufügt: „Es ist das Eigenthümliclie bei solcher
Arbeit der Dichterseele, dass die Haupttheile der Handlung, das Wesen
der Hauptcharaktere, ja auch etwas von der Farbe des Stückes zu-
gleich mit der Idee in der Seele aufleuchten, zu einer untrenn-
baren Einheit verbunden," so bedeutet hier Idee die dichterisch©
Conception, mit der sich die einzelnen Theüe des vollendeten Werkes
in halbdonkeln Umiiaaen iiad Furbea sogleich einstellen. Kan sieht»
auf diese kann mm Aber den Begriff Idee znr reehten Klarheit
nicht gelangen.
Noch firger wird die Yerwimmg, wenn es weiterhiii heißt, ^daas
der Dichter sich erst später dnreh Nachdenken seine innere Habe in
das g^rägte Metall der Bede umsetzt und die Idee als Grund-
gedanken seines Dramas begreift" Hier taiidit ob bei Herrn
Gnstav Freytag zun erstenmale, will ich nicht behaupten — das un-
selige Wort „Grundgedanke .aut Er sagt weiter, dieser Grund-
gedanke sei „eine Formel, durdi die die Idee des werdenden Stückes
abgesogen und in Worten beschrieben werde,** und räth den Dichtem,
„diesen Abkflhlungsprocess ihrer warmen Seele schon im Beginn der
Arbeit voraunehmen und kritisch die geAindene Idee nach den Grund-
bedingungen des Dramas zu beurtheUen**. Die so auf einen Grund-
gedanken, eine Formel abgezogene Idee der „Maria Stuart'* sei z.B.:
„an4[eregte Eifersucht einer Königin treibt zu Tüdtung ihrer ge-
ftngenen Gegnerin;" in ,^abale und Liebe": „aufgeregte Eifersucht
eines jungen Adligen treibt zur Tödtung seiner bürgerlichen Geliebten".
Man fragt sich vergebens, was denn eigentlich das Wesen der Idee
sei, wenn sie sich so auf eine Formel abziehen lasse, femer, wie
diese Formel, dieser Gnindgedanke denn eigentlich mit der vorher
gegebenen Darlegung des Begi'iä'es Idee zusammengereimt werden könne.
— 296 —
Unmöglich können doch diese Grundgedanken in der Seele unseres
Schiller bei der Conceptiou und Ausarbeitung seiner großen Kunst*
werke die treibende Kraft gebildet habeu!
Dieses Bemühen, den Hauptinhalt eines Kunstwerkes, namentlich
eines Dramas oder Epos — oder auch eines lyii^clien Gedichtes, einer
Romanze, Ballade — auf eine sogenannte Idee oder solch einen Grund-
gedanken zu filtriren, spukt bei allen berufenen und unberufenen
Literarhistorikern und Erläut^rern dichterischer Kunstwerke seit einer
langen Keihe von Jahren dermaßen, dass es endlich an der Zeit ist,
energisch dagegen aufzutreten und das Falsche und tür die ästhetische
Erkenntnis völlig Überflüssige, ja Thörichte und Lächerliche solch
eines Bemühens nachzuweisen. Dies Abfiltriren von „Grundgedanken"
grassirt bereits überall in den Schulen. In Gymnasien, Realschulen,
höheren Mädchenschulen, Seminarien ist die ei*ste Arbeit nach dem
Vortrage eines Dichterwerkes, die Schüler zum Herausquälen solcher
„Grundgedanken" anzuleiten. Man geht nicht zu weit, diese Jagd
danach als die recbte Fundgrube des Witiea pedantischer HohlkOpfe
und unberufener Erl&uterer zu bezeichnen.
Was soll dies Abziehen yon Grundgedanken — wie G. Freytag
es sogar vom Eflnstler fördert — dem schaffenden Dichter oder dem, .
der ZQ höherem Yerstfindnis und feinerem Gennas dessen Werk
geistig nachschaffen wül, für Nntsen bringen? Ifan ist infolge
dieses Unftages schon darauf Terfidlen, die Idee ehies Ennstwerkes als
dessen Tendenz, als den Zweck za betrachten, zu dem der Dichter
es geschaffen habe. Als ob ein wirkliches Kunstwerk solch eine
Tendenz, solch einen Zweck irgend anfimweisen habe! Schliefilich
wird man noch als die Idee oder den Grundgedanken des ^Nathan'*
Leasings Ausspruch betrachten: »Ich will den Pfiiffen damit eins auf-
wischen!" oder die grölten Dramra yon Shakespeare oder Schiller als
Fabeln auffassen, ans denen man Moral lernen solle und uns als deren
„Grundgedanken" moralische Sätze auftischen!
£s wird nun klar geworden sein, dass man bei einem dichterischen
Kunstwerke von der Idee oder dem Grundgedanken, auf denoi
das Ganze gebaut sein soll, gar nicht reden darf. Es ist barer
Unsinn! Will man sagen, der Dichter fasste in diesem Jahre, bei
dieser Veranlassung die Idee, dies oder jenes Kunstwerk ansznftlhren,
so ist dagegen nichts zu erinnern; dann bedeutet Idee soviel wie
Plan, Einfall, Eingebung in dem gebräuchlichen Sinne.
Man darf sagen, dass in einem Gedichte Ideen verarbeitet
sindi i^i^f dass darin nur eine einzige zu finden sei
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— 296 —
Ideen als kategorische ImperatiTe der dttUchen, reUgiOsen und schOnen
Pflicht bewegen die Dichteraeele nnabUssig nnd verbinden sich mit
allem, was er schallt Man kann freilich ein großes Strebnngsgebieti
eme große Bichtnng dee gesammten Ideenlebens, wie wir gesehen
haben, in einen Begriff zwängen nnd yon einer Idee der Toleranz, der
Menschenrechte, der Volks-Sonverftnitftt sprechen; aber selbst wenn wir,
darauf ftifiend, sagen, Lessing habe in seinem „Nathan** die Idee der
Toleranz verarbeitet, so ist doch damit nur gemeint, dass er das ganze
reiche Leben, welches die Hnnderte yon kategorischen Imperativen er-
zengen, die wir unter diesem S;immelbegriff verstehen, zur lebendigen An-
schauung gebracht habe. Wollen wir von dem Studium seines Kunst-
werkes den rechten Gewinn haben, so mfissen wir uns mit Hilfe von
historischen und cultnrhistorischen Studien von diesem Leben eine
Anschauung machen und unseren Schiileni eine recht lebendige An-
schauung zu geben vermögen. Das ist freilich schwerer als „Grund-
gedanken" abziehen. Ich weise auf mein Werk hin: „Einführuns: in
das Studium der Dichtkunst" (Leipzig bei Jul. Klinkhardt). Möge
man darin foischen und meine dort aus^^esproclienen Ansicliten und
Meinungen — liier praktische Ideen, dt icn Ziel die Ausliildunu: der
eciiten Unterriclitskunst ist — womöglich annehmen, ausarbeiten und
zum Nutzen der Jugend verwenden. Tu Bezug auf das wahre Wesen
des Begriltes ,4dee" wird man dann wol zur Klarheit gelangen.
kj ^L,d by Google
Ober die fiedeatmig Jean PaiiLs für die Päd4i|;ogik der
Gegenwart.
VoB BMuupa Xakier-Wietbaden.
der Schroffheit des (Gegensatzes, in welchem unsere Zeit
zu deijenigen Jean Fanls steht» dfirfte es gewagt erseheinen, anf einen
Einflass dieses Schriftstellers anf nnsere jetzige Pädagogik zn rechnen
nnd anf die Wichtigkeit seiner pädagogischen Grandsätze fttr die
Gegenwart hinzuweisen. Stand doch ein Autor am Schlüsse des
TOrigen und noch am Eingange des jetzigen Jahrhunderts einem ganz
anderen Publicum als dem gegenwärtigen gegenüber. Kaum jemals
haben Schriftsteller eine so souveräne Herrschaft über ihr Volk aus-
geübt, wie die deutschen jener Zeit; sie erfreuten sich einer Hoch-
achtung, einer Verehi ung, wie sie ihnen unsere Zeitgenossen schwer-
lich entgegengebracht hätten, und ihre Aussprüche wurden, wie sich
Frau von Stael ausdrückt, wie Orakel aufgenommen. Darum brauchten
sie sieh auch keine sonderliche Mühe zu geben, ihre Werke dem be-
quemen allgemeinen Verständnisse anzupassen; waren diese nur tief
und gehaltvoll, so blieb es dem Publicum überlassen, sich mit ihnen
abzufinden. F^ine Nation, die ein so vorwiegend literarisches Leben
führte, wie die deutsche von damals, ließ sich die Mühe nicht ver-
drießen, in die Werke ihrer Schriftsteller einzudringen, wenn auch
dieses Eindringen mit Schwierif^keiten verbunden war, und zeigte der
Eigenart und selbst den Sonderbarkeiten der Schriftsteller gegenüber,
die den Gegenstand ihrer Bewunderung, ihrer Verehrung und ihres
Stolzes bildeten, eine Duldsamkeit, die ein ausländischer Schriftsteller
schwerlich von seinem Piildicum hätte beanspruchen dürfen.
Nun ist aber Jean Paul in hohem Grade ein Kind seiner Zeit
mit all ihren Vorzügen und Schwächen und macht von dem Hoheits-
rechte, das dem Dichter und Schriftsteller derselben dem Publicum
gegenüber zustand, den ansgeddintesten Gehrftnch. Ging ttherfaanpt
damals die Neigung des deutschen Volkes dahin, sich dem Offentlidien
Lehen gegenüber fbsnschließen, nm desto ungestörter im traulichen
^ kj ^ .d by Google
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Familien- und Freundeskreise aussehen za können, dazu aber, und
dies war besonders bei den hervorragendsten Geistern der Fall, sich
im tiefsten Innern eine ideale Welt aufzubauen, so besaß Jean Paul
diese Neigung im erhöhten Mafie. Wiesen die Zeitverhältnisse den
Deutschen überhaupt auf ein innerliches Leben hin, so drängten die
persönlichen Verhältnisse dieses Dichters und die Weltabgeschlossen-
heit, in der er aufwuchs, zumal da dieselbe durch seine Erziehung
noch auf künstliche Weise verstärkt wurde, die Richtung seines
Geistes umsomehr nach innen. Mit der Vorliebe, mit welcher er sich
in die Welt des Gedankens versenkt, steht die Form seiner Werke
in entschiedenem Zusammcnhan<^e. Der reichbegabte und von heißem
Wissensdrange erfüllte Jean Paul, der die Schranken, welche örtliche
Verhältnisse und Ei-ziehung der Bildun«,^ seines lebhaft aufstrebenden
Geistes entgegenstellten, auf das peinlichste emplaud, suchte die
Mängel dieser Bildung dui"ch eifrige Leetüre zu beseitigen. Da der
Stoff seiner Jugendlectürc weniger von der Wahl als vom Zufall ab-
hing, auch bei seiiu-r Jugend und dem Mangel an geeigneter An-
leitung von Planmäßigkeit in dieser Leetüre kaum die Rede sein
konnte, und da später der Mann sich nicht von der Gewohnheit des
Jünglings zu befreien vermochte, die verschiedenai'tigsten Werke in
bunter Reihenfolge zu studiren, führte ihn dies zu einer wahrhaft
chaotischen Gelehrsamkeit, die auf den Inhalt und besonders auf die
Form der Erzeugnisse des SduiftstellerB» der ebenso reich an üppiger
Phantasie ßls dOrftig an plastlseher Gestaltungskraft war, durdiaas
nicht Tortheilhaft einwirkte. HaaptsSchlich ist es die ÜberftUle von
zum großen Theü fremdartigen und wunderlichen Bildern, die er aus
den yerschiedensten Gtebieten des Wissens herbeizieht, was seiner
DarsteUung zu häufig die Ein&chhdt und NatOrlichkeit raubt und
den reinen Oenuss seiner Werke für den Leser stOrt Auch der viel-
besprochene Humor Jean Pauls leidet besonders durdi Überladung
mit solchen Büdem und durch die Manier des Sdiriftstellers aber-
hanpt; selten ist es ein wirklicher, frisch und unmittelbar ans der Seele
quellender Humor.
Das alles aber kann uns nicht abhalten, dem Schriftsteller eine
besondere Bedeutung für unsere Zeit und speciell auch für die Päda-
gogik zuzusprechen, da er gerade einen Überreichthnm von dem be-
sitzt, was der Gegenwart so sehr fehlt Seit die Kritik mit ver-
nichtender Strenge über ihn zu Gericht gesessen hat, hat man ihm
zum besonderen Vorwurfe gemacht, dass er nie über seine Jugend-
ideale hinausgekommen sei Man hat dabei zu wenig in Anschlag
— 299 —
gebracht, dus die Schwftehe „des ewigen Jflnglings iintor den Dichtern**,
ine ihn der ihm geistesverwandte lächendorff nennt, zugleich gerade
dessen Stärke ist. Gormas gab seinerzeit den Deutschen den
Rath, so praktisch zn werden, wie die anderen Nationen. Ganz gntl
Nur hat er dabei die Mahnung an die Deutschen fiir übeiiliissig ge-
halten, dass der Sinn für das Praktische nicht in Sinn für das rein
Materielle ausarte, und dass die höheren Interessen nicht darüber
vergessen werden möchten. Worüber aber führen lieutzutage die
deutschen Schriftsteller in ihrem Verbandsorgane laute und offene
Klage?*) Vielleicht darüber, dass die zeitgenössischen Schi'iftsteller
gegenüber den großen Classikern unserer Vorzeit verachtet und ver-
nachlässigt würden? Gott bewahre! ^'ielmehr wird nachdrücklich
hervorgehoben, dass fast niemand diese Classiker mehr liest. Da-
gegen gehen die Khigen des Scliriftstellerverbandes dahin, dass es
dem deutschen Volke — mau bedenke, der Nation der Denker und
Dichter! — zu sehr an — Bildung fehle, und dass das sogenannte
„gebildete Publicum" im allgemeinen keineswegs derjenige Theil des
Volkes sei, bei dem man wahre Bildung zu suchen habe; dass der auf
das Materielle und Außeiliclie gerichtete Sinn der großen Mehrzahl
für höhere Interessen unzugänglich sei, die geeignet wären, den Geist
über das Gemeine und Alltägliclie emporzuheben. Dazu stimmt die
andere Klage, dass die Unberufenen unter den „Schriftstellern", die
aber recht gut wissen, „was zieht", und „wie's gemacht wird", dadurch,
dass sie durch gefügiges Eingehen auf die gewöhnlichen Tages-
interessen der für höhere Impnise unempfänglichen Menge, zn der
gerade die yornehme Welt ein betrftditliches Contingent stellt, den
SchiiftsteUerbemf xiim feilen Handwerk erniedrigen, sich ein groftes
PaUicom erwiHrben hahen.
Zugleich wendet sich das Verbaadsorgan dentseher Schriftsteller
an die Lehrer nnseres Volkes, damit diese die Bestrebongen des Yer-
handes dadoreh nnterst&tzen, dass sie den Sinn und die Begeisterung
der Jngend f&r das Ideale zn erwecken suchen, so dass diese einst
empftn^cher dafür werde, als ihre Eltern, das Beine und Edle in
Kunst und Literator zn würdigen.
Dieser AppeU der Schriftsteller aa die Pädagogen ist nmso be-
dentsamer, als anch bei der Lehrerwelt die Begeisterung und der
IdeaUsmuB, die sie zur Zeit Pestalozzi's und Diesterwegs beseelten,
*) Ich Tenreiie nur beiapidtweise auf Nr. 26 der »DentsdiMi Frone",
Beilia 1889.
' -'^le
— 300 —
vielfach erheblich nachgelassen haben, und weil der Widei*stand, den
die Zeitverhältnisse und Gesinnung des Publicums idealen Bestrebungen
entgegensetzen, sowol auf den Lehrern als auf den Schriftstellern
lastet, ein ümgtand, der mit Naehdmck aqf das Studium deijenigen
pSdagogischen Sehriftstellei* hinweist, deren Bemfihiingai ein ent-
schiedenes Gegengewicht gegen das vorherrschende Strehen nnserer
Zeit bilden, ünter diesen Sehiiftstellem ist dcijcuige mit in erster
Linie zu nennen, der mit feniigem Eifer gegen die Gefohr ank&mpfte,
dass „die junge Seele ohne das heilige Fener der Jugend, ohne FlOgel,
ohne große Plane, knrz, so nackt in das kalte, enge Leben hinein-
krieche, als die meisten ans demselben herans.** Gewiss, Jean Panl
theilt die Schwachen seines Zeitalters, aber er ist auch stark in dessen
Vorzflgen. Die Treue, die der Dichter den Erinnerungen aus seiner
Kindheit und den Idealen seiner Jugend bewahrt hat, hat allerdings
zum Thefl seine Fähigkeit beeinträchtigt, die wirkliche Welt, wie sich
Schiller ausdrückt, „mit dem Organ, womit man sieht", zu betrachten;
sie verleiht ihm aber auch anderseits ein tiefes nnd inniges Ver-
ständnis für die Neigungen und Bedürfnisse der jugendlichen Seele
und ein warmes Interesse fftr die.se Ncii^Mingen. Dazu kommt, dass
der durch seinen Bildungsgang und durch seine natürliche Eigenart
der Wirklichkeit sonst in mehrfacher Hinsicht entfremdete Mann
gerade der Kinderwelt durch eigene Erfahrung, die er sich sowol
durcli Erziehung fremder Kinder als seiner eigenen erworben hatte,
unmittelbar nahe stand. Der Umstand, dass in Jean Paul nicht blos
der geistreiche Scliriftsteller, der ül)er Erziehung schön zu reden ver-
steht, wie es bei Rousseau der Fall ist, sondern besonders auch der
väterliche Erzieher zu uns spricht, verleiht seinen Worten über Er-
ziehunt,' denen Rousseau's (re^cpiiübei- nicht allein erhöhte InnlL-^keit,
siiudi in auch erhöhte praktische JiL'drutung. An herzlicher Liebe zur
Iviuderwelt und hin^-ebender Tlieilnalmie für ihre Leiden und Freuden
wird er von keinem Autor unter seinen Zeitf^enossen erreicht und nur
von Pestalozzi übertrnll'en. Mit Pestalozzi theilt er auch die Über-
zeugung von der hohen Bedeutung- der Familie liir die Erziehung,
und besonders der Mütter, die „auf den blauen Bergen der dunkeln
Kinderzeit stehen, nach welchen wir uns ewig umwenden und hin-
blickcn", und wie Pestalozzi wendet er sich mit besonderer Vorliebe
an die Herzen der Mütter. Welche Begeisterung er liierdurch zu
seiner Zeit bei den Müttern erzielt hat, weiß die Literaturgeschichte
zu berichten.
Was er seiner Mitwelt von der Kothwendigkeit der Jugendideale
— 3Ü1 —
sagte, ist fttr die C^egenwart yor noch gr&ßerer Wichtigkeit, and weit
mehr als früher sind hento, zu ehier Zeit, in der man ailza geneigt
ist» nnr das nnmittelbar Nfitadiche za schätzen, seine Worte am Platze:
»Tügt ihr aber das Ideal ans der Bmst, so yerschwindet damit
Tempel, Opferaltar nnd alles." Freilich war er schon anf den Ein-
wand seiner Zeitgenossen gefasst, dass sich der jnnge Mensch in Zeit
nnd Welt zu schicken habe, da es ja der alte auch tirne. Für die-
jenigen, welche deshalb von der Begttnstignng der Jagendideale nichte
wissen wollen, ja sogar ihre UnterdrOckang Terfamgen, hat er schert
die rechte Antwort bereit, die angesichts der Bichtong nnserer Zeit
noch mehr angebracht wäre: „0 Himmel, also was Welt und Zeit
ohnehin entkräften, dies wollt ihr schon gleich kraftlos ins Fdd
stellen . . . ., als ob von den späteren Jahren allmählirhe Erhebung za
erwarten wäre, anstatt Versenkung .... 0, es geschieht genog davon
ohne euch." Auch weist er mit Becht darauf hin, dass manche fri oße
That des späteren Alters nur den unverwelklichen Idealen zu danken
sei, deren Ursprung auf ein zartes Jugendalter zurückgeht: „Das
Schönste, was die Menschen thaten, fiel es auch in ihre kältere Jahres-
zeit, war nur der auffreliende Samen, den der Lebensbaum des kind-
lichen Paradieses getragen hatte, gleichsam realisirte Jugendträume.*'
Der ersteren der vorerwähnten Stellen p:emäß fiilirt er auch in der
„Unsichtbaren Loge" in gewissermaßen allcf^orischer Weise die Idee
aus, dass eine Überfülle von Eindrücken der realen Welt auf den
idealen Sinn und die Phantasie der Jugend niederdi'ückend wirken
müsse. Dr. Karl Lange, der sich durcli eine sorgfiiltige , mit einer
interessanten Lebensbeschreibung Jean Pauls, worin mehrere in anderen
Biographien enthaltene Irrthihner über das Leben des Dichters be-
richtigt sind, sowie mit wertvollen Anmerkungen ausgestattete Aus-
gabe der „Levana'' verdient gemacht hat, meint, dass der Dichter in
einer Täuschung befangen sei, wenn er durch die Einbildungskraft
ersetzt haben wolle, was der Wahrnehmung entzogen bleibe, da die
Phantasie nur so weit reiche, als sich unser Erfahrungskreis erstrecke,
und dass sie mit onserem Yorstellangsschatze wachse and verarme.
Man darf jedoch einem Hanne wie Jean Paul schwerlich einen so
groben IiTthnm zntraaen, dass er als Dichter nicht wisse, dass ohne
reale Grundlage die Entwickelang der Phantasie anmöglich ist, and
dass er als Pftdagoge einer hermetischen Abgeschlossenheit der Kinder-
seele gegen die Anßenwelt emsthaft das Wort reden wolle. Die Idee,
die seinen AasfBhrangen zngrande liegtt ist yiehnehr eine psycho-
logisch woIbegrOndete, nämlich die, dass die Phantasie keineswegs in
— 302 —
gleichem Verhältnisse mit der Zunahme der Kenntnis des wirklichen
Lebens wachse, sondern dass sie vielmehr an überreicher Wirklichkeit
verarme. Denn wie die Phantasie der Nahrung aus der Außenwelt
bedarf, so bedarf anderseits der Mensch auch hinwiederum der ge-
hörigen Ausspannung gegenüber den von außen auf ihn einströmenden
Einwirkungen, wenn sich seine Phantasie frei entfalten soll. Schon
darom verdienten seine Betrachtungen über das Spiel der Kinder,
„die erate Poesie des Meii8chen*\ besonders seine Fordenmg, dass das
Spielzeug ja recht einfach sei, gerade für unsere Zeit ernste Beachtong.
Verlangt er diese Ein&chheit hanpts&cUich im Interesse der Phan-
tasie, so liegt seine Forderung noch mehr in dem der Erhaltnng des
reinen Eindergemflthes mit seiner harmlosen, nnschnldigen Ft«ade am
Kleinen nnd Geringen. Bedenkt man, welche fthergrofie Menge yon
kostbaren Spielaachen hentzntage vielen Kindern als Weihnachts-
geschenke dargeboten wd, nnd dass diese Spielsadien, zmnal solche
f&r kleine Mädchen, zum großen TheQ Nachbildnngen von mit dem
grOfiten BafiBnement ausgeführten modernen Lnznsgegenstftnden sind,
so dürfte man in ihnen wol eines der Mittel ei^ennen, die dasn an-
gethan sind, den zarten Blütenstaub von der Seele der Kinder abzu-
streifen und dieselben schon frühzeitig zn beklagenswerten blaairten
Qescböpfen zu machen.
Nicht minder beherzigenswert ist das, was er Ober Kinderbälle
sagt, die er ebenso streng yemrthfiUt, als er Eindertänze warm be-
fürwortet, sowie manches andere, was besonders bei der Erziehung der
Kinder aus den höheren Stünden in Betracht kommt.
Stimmt Jean Paul in den weiter oben erwähnten Beziehungen
mit Pestalozzi überein, so bildet seine Lehre insofern eine Ergänzung
zu der Pestalozzi's, als er, was f^ewiss noch jetzt sehr zeitgemäß ist,
besonders darauf hinweist , dass die luilieren .Stände wegen ihres
Egoismus einer KrzieiiiiiiL'^srefürm nocli niflir bedürften als die übrigen.
\\'Hhrend er bei seineu Betrachtungen ul»er das Spielzeug be.son-
ders an dessen Einfluss auf die Phantasie des Kindes denkt, hebt er
bei der Gegenüberstellung von Dorf und Stadt vorzüglich den nach-
theiligen Einlluss der Großstadt auf die Entwickelung der Hei*zens-
eigenschaften und hauptsächlich der Menschenliebe bei dem Kinde
hervor. Gegenwärtig, wo an die Stelle der damaligen die modenie
Großstadt und an die Stelle des Kutschkastens, den der Dichter für
noch gefahrlicher als ständigen Aufenthalt flu* Kinder erklärt als eine
Hauptstadt, die Eisenbahn getreten ist, ist seine Ermahnung, gegen
die nachtheiligen Folgen, die duich das Leben der Kinder in Orott-
^. 1^ 1 L j v^>..(.,'^le
— 803 —
stMten oder auf langen Reisen entstehen können, Vorbeugungsmaß-
regeln zu treifen, doppelt angebracht. Dass aber das Leben der
modernen Großstadt auch die von Jean Paul in der ..Unsichtbaren
Loge" verfolgte Idee bestätigt, indem dasselbe der Förderung der
Phantasie keineswegs heilsam ist, lässt sich schwerlich bestreiten.
Ein Dichtergenins, der sich, statt wie Shakespeare in dem jogendfrisch
anfstrebenden London der Königin EUsabeth, in dem jetzigen London
sa voller schöpfenfleher Kraft entfiütetei — undenkbar!
Freilich liegt f&r die Gegenwart die Bemerkung nahe, dass die
Erziehnngsgrundsätze eines Hannes, der so sehr die Wichtigkeit der
Bfldnng des Gemflfhes nnd die Pflege der idealen Gesinnung, sowie
der Phantasie hervoriiebe, leicht dahin Ähren konnten, dass der Zög-
ling der Außenwelt entfremdet nnd f&r praktische Tüchtigkeit, die
unsere Zeit gebieterisch fordere, ungeeignet werde. Aber eben die
Richtung unserer Zeit bietet ein m starkes Gegengewidit gegen ein
ZuTieL von denjenigen, was Jean Paul mit Vorliebe für die Erziehung
fördert NSher liegt bei dem jetzt hemcfaenden Uaterialismus die
BeArchtnng, dass die Grunds&tze des Dichters von viel zu geringer
Wirkung auf die Gegenwart sein dttrften. Mit Becht hebt er jedoch
hervor, dass das Kind, das uns lieiliger sein müsse als die Gegenwart*
nicht ihr diese, sondern für die Zukunft zu erziehen sei, und zuweilen
sogar wider die n&chste Zukunft. Übrigens trägt die Lehre Jean
Pauls das Gegengewicht gegen ihre etwaige Übertreibung auch schon
in sich selbst. Allerdings ist er als echtes Kind seines Zeitalters Ton
der Sentimentalität desselben keineswegs frei geblieben; aber er war
eine zu gesunde und kernhafte Natur, als dass er ihr nnterlpfren wäre.
Dies zeigt sich nicht allein in seinem Leben durcli die zähe Festigkeit,
mit welcher er sich durch die Widerwärtigkeiten und die Xoth, die
sich ihm entgegenstellten, siegreich hindurchrang, sondern auch in
seiner pädagogischen Theorie. Voll treuer Hingebung an die strenge
, und reine Sittenlehre Kants, die er nur, ganz wie Schiller in dem
bekannten Disticiion, durch Liebe zur Ptlicht gemildert wissen will,
tritt er der (TÜickseligkeitslehre der Philautliropeu wiederholt energisch
entgegen. Wenn er der Pflege des Gefühls und des Idealisiuus das
Wort redet, so hat er dabei, seiner ('berzeugung gemäß, ,.dass das
echte Kernfeuer der Brust gerade in jenen Männern glühe", die von
stiller, aber dauernder Begeisterung ei füllt seien, das kräftige und
nachhaltige Gefühl und den gesuiideu lilealisnius im Sinne, die zu
Thaten treiben. Auch hebt er mit Nachdruck hervor, dass das Kind
nicht sum Genüsse, der sich bald erschöpfe, sondern zum Streben an-
— 304 —
znleiAen sei, das sich nie erschöpfe, womit auch in y^iniryng steht»
dass er in der »Selina** von den Forderungen der „praktischen Ver-
nonft** dico'enige der Unsterblichkeit der Seele nicht etwa wegen des
Lohnes f&r die Tagend, sondern wegen der Fortdauer der Togend
anerkannt wissen wilL G^egen die Befttrchtung, dass die Erziehungs-
lehre Jean Pauls zur Verweiclilichung des Zöglings führen könne,
spricht auch seine wiederholt und entschieden ausgesprochene Forde-
rung von Festigkeit und strenger Consequenz in der Zuclit, und zwar
schon für die ersten Lebensjahre der Kinder. — Bei den Betrachtungen
Jean Pauls über die Ausbildung der Phantasie liegt allerdings die
Bemerkung nahe, dass er die Erziehung zu sehr mit dem Auge des
Dichters betraclitet, dass die Phantasie eine Eigenscliaft ist, die nur
wenige in hervorragendem Maße besitzen können, und dass nur selten
jemand gerade zuui Künstler oder Dichter geboren ist. Jedoch kommt
liierbei auch in Betracht, dass ein Mensch ohne jede Spur von Phan-
tasie schwerlich imstande ist. ein Kunstwerk, eine Dichtung, einen
Gegenstand der Ästhetik überhaupt genügend zu würdigen.
Unter dem, was er über religiöse P^rziehung anführt, verdient
neben der Bemerkung, dass lebendige Religion nicht durch Lelirsätze,
sondern durch die Geschichten der Bibel aufkeime, und dass das Leben
Christi die beste christliche Keligionslehre sei. besonders diejenige
ernste Berücksichtigung, dass das Kind dahin zu tuhren sei, dass ihm
fremde Religion so heilig sei wie die eigene, und dass es die ver-
schiedenen Keligionen so liebend aufnehme wie die verschiedenen
Sprachen, woiin doch nnr ein Menschengemüth sich ausdrücke. Wollte
man hierzn bemerken, dass das eine althdoiante Weidieit sei, so wftre
diese Entgegnung nnr dann angebracht, wean. die G^egenwart in reli-
giOeer Duldsamkeit gegen die Zeit Jean Panls yorwftrts gekommen
wfire; allein leider ist das GegentheQ der Fall.
Auch was er in pftdagogischer Beziehung Aber die deutsche Sprache
und aber die Sprachen Überhaupt sagt, hat zum Theil gegenwärtig
sehie Bedeutung noch lange nicht verloren, und es w&re sehr xa '
wünschen, dass Sfttze wie die fölgenden weit allgemeinere Anerkennung
ftnden, als sie bis jetzt besitzen: „Sprache-Lemoi ist etwas Höheres
als Sprachen- Lernen, und alles Lob, das man den alten Sprachen
erthfiflt, ftUt doppelt der Muttersprache anheun,* — »Warum wollt
ihr die Bildung durch Sprache erst einer anslftndischen aufheben?" —
»Welche Dichter aber soll der Erzieher einfähren?" (nämlich fllr das
Alter, in welchem das Kind bereits empfänglich für Poesie geworden
ist). — »Unsere! — Weder griechische, noch römische, noch hebräische,
— 806 —
uoch indische, nocli französische, sondern deutsclK' - Ferner eutlialten
seine Worte: „Vertrauet auf die Entzifferkanzlei der Zeit und des
Zusammenhangs!" eine wahrhaft goldene Regel niclit nur für die Be-
handlang der Muttersprache, sondeni aller Sprachen. Wie viele unnütze
Mühe wird vorzeitig auf die Erklärung so mancher gi-ammatischen
Einzelheiten verwandt, deren Verständnis sich mit dem Fortschritte
geistiger Entwickelung des Schültis ganz von selbst gibt! — Auch
hat die Mahnung Jean Pauls an die Philologen: «Die Alten waren
Menschen, keine Gelehrten! Was seid ihr? Und was holt ihr aus
ihnen? . . Copiam vocabolorum", leider noeh heute nicht ihre Be-
rechtigung verloren.
El kmarte natSriieh fileht In meiiMr AhMit liegen, hier «ine
eraebOpl^de Besprechung aller noeb ftr «liere Zeit bedeateanieii
Qmndaltie Jean Pauls Uber ErsielMnig sn Uefim, die sieh zwar ver-
«ogiretoe in der . „Levana*^, doch aaeh vieUheh in anderen seiner
Sdiriften finden. Alkin das Angef&hrte mag fleUeicht genfigm, die
Anfmerksaakeit eines oder des anderen auf einen SdiriftsteUer zu
lenken, der ebenso hftnfig dtirt als selten gelesen -wird, so asitgemftß
andi viele seiner Gedanken sind. Man hat ihm sehen bei dem Er-
scheinen der „Levaaa" den Vorwarf gemacht, dass er keine eystema-
tisebe Ensiehnngslehre bietet. Allein es ist selbstrerslindlich, dass
man bei einem SehnftsteUer von seiner dichterisdien Eigenart von
Yonherein keine Eiziehnngslehre, die in streng logiseher Folge Glied
an Glied anreiht ond das Ganze za einem geschloss^en System ab-
randet, erwarten darf. EUne solche hat der Mann, der ansdr&cklich
bemerkt, dass der Mensch blos aus einem Buche, und sei es auch das
vollendetste, nie wirklich Endehnng lernen, sondern nur Anregung- ftir
den G^t der Erziehung empfimgen könne, auch schwei lit h lie£arn
wollen. Übrigens bedarf unsere Zeit, die ohnehin oft mehr als genug
zum Systematisiren geneigt ist, weit weniger der strengen Systematik
tlir die Pädagogik, als der Zuführung frischen Lebenssaftes filr die-
selbe. Hat doch alle Sy.stematik nicht davor geschützt, dass das
Bestreben, den Schülern „nur recht viele Kenntnisse aller Art einzu-
schütten," wie es nach Jean Pauls Worten vor Pestalozzi bestand,
sich auch nach Pestalozzi'^ Zeit nur allzusehr geltend g:ema('ht hat.
Übrigens ist die TlnMirie Jean Pauls erschöpfender und weniger
einseitig, als es aut den ersten Blick scheint. So ist z. B. die Ansicht
schwerlich begründet, dass nach seiner Lehre die Erziehung nicht in
dei" Entwickelung aller Kräfte bestehen könne. Eine Stelle (..Levana",
§ 22) scheint allerdings entschieden dafüi* zu sprechen. Allein jene
Padi^offinm. U. Jtlug. Heft V. 22
/
^ kj ^ L,d by Google
— 306 —
Stelle soll doch \vo\ nur eine Wainung vor der Zei'splitteriin^*' der
Kräfte des Kindes, welche aus dem Streben nach gleichzeitiger
Ausbildung derselben lieiTorgehen könnte, vor der Behandlung von
vielerlei Dingen auf kurze Zeit enthalten, wogegen der Dichter auch
an anderen >>tellen zu Felde zieht. Dass es kaum anders gemeint sein
kann, zeigt sein Aussi)ruch, dass der Tdealmensch „das harmonische
]Maxiinuiii aller individuellen Anlagen zusammengenommen" sei, und
die andere Stelle: ,.t 'brigens bleib' es Gesetz, da jede Kraft heilig sein
soll, keine an sich zu schwächen, sondern nur ihr gegenüber die ander«'
zu ei-wecken, durch welche sie sich harmonisch dem (Janzen zutügt."
Ähnlich verhält es sich auch mit der Annahme, dass er da8 Kind
nidit für andere, sondern am seiner selbst erzogen wissen wolle. Das
ist insofern richtig, als er sich enistlich dagegen verwahrt, dass das-
selbe zur künftigen StaatsbranchlMTkeiti zn einer todten Maseldne fikr
die Zwed^e des Staates, flberhaiipt Ar einen bestimmten Zweck im
Interesse anderer erzogen werde. Allein im Gegensatze zu der von
Ronssean nnd zum Theil von den Philanthropen, Ton diesen aUerdings
mit lobenswerter Inconseqnenz, vertretenen endSmonistischen Lehre,
wonach das Eind ftlr sein eigenes Wo! erzogen werden soll, verlangt
er, ganz im Einklänge mit Pestalozzi, dass das Kind nicht nnr zn
seinem Glücke, sondern zn dem der ganzen Menschheit erzogen werde.
Wie Pestalozzi will er, dass daa Eind angeleitet werde, sich in das
fremde Leben nnd das fremde Ich zn versetzen nnd zn versenken
und dieses in edler Selbstentänßerung mit dem eigenen als gleich zn
betrachten und so das eigene Glück in dem der Menschheit zu suchen.
Dementsprechend soll auch jedes Leben für das Eind ins Menschen-
reich hereingezogen werden, damit die Kinderwelt auch alles thierische
Leben fiir heilig halten lerne.
Ist Jeau Paul seinem ganzen Wesen nach in erster Linie dazn
angethan, fruchtbare Anregung zum Nachdenken über Erziehung zu
geben, so fehlt es bei ihm, dei- ja eigene Erfahrung in der Erziehimg
besaß, daneben auch nicht an unmittelbaren, wirklich praktischen
pädagogischen Anweisungen. Freilich dürfte manchen die eigeuthiini-
liche Form, in' die ei- seinen Gedankenreichthum kleidet, von dem
Eindringen in diesen zurückschrecken. Aber es verlohnt sich eher
der Mühe, sich mit der Darstellungsweise des Dichters abzufinden, als
sich mit dem Studium der pädagogischen Schriften anderer abzumidien,
die, um ihre Schwäche zu verbergen, groben Unfug mit unnützen
philosophischen Ausdrinken treiben, und vor dieser rnbefiuemlichkeit
ist man wenigstens sicher bei ihm. Er hat die Jouglem-künste der-
jenigen Philosophen diu'chschaut — und er ftilirt zutreöende Beispiele
dafüi* an — , die schwierige Fragen dadurch umgehen, dass sie sie
anders benennen, worin ihnen dann der große Haufen blindlings folgt.
Wenn er freilich bezüglich bestimmter Richtungen der Philosophie
seinei-zeit die Frage anfwirft: „Was nützt der Tod des Teufels,
wenn seine Großmutter fortlebt so ist auch heute noch die Klage
nur zu berechtigt, dass die rüstige alte Matrone, wenn auch in ver^
änderter Gestalt, ihr zähes Leben munter weiter fristet
Steht auch die Manier, welche den Diehter beherrscht, im all-
gemeinen, zmnal da, wo er sich bemüht, witzig zu sein, dem reinen
und nngetrflbten Gennese seiner Werke ffir den Leser im Wege, so
entschädigt er anderseits dafllr dnreh Stellen, in denen sein tiefeB
und inniges GeAU in natfirlicher nnd- dabei hochpoetisdier Sprache
snm Anadmcke kommt.
Han wOrde viel zn weit gehen, woUte man h<tfen, dass das
Stndinm eines SchiiftsteUers wie Jean Panl ansere Zeit von ihrem
Materialismus nnd ihrem Mangel an Begeistemng für edlere Be-
strebungen eoriren konnte. JedeniUls aber gehört er onter die
Autoren, die ihren Beitrag hieran zn liefern nnd dito Gegenströmung
zu fitrdem vermilgen, die sich gegenüber der Hauptrichtang unserer
Zeit zu regen beginnt. Von einer optimistischen Ansicht, die sich
gegen die Mängel unserer Gegenwart vers( liließt oder die ernste
Schwierigkeit der Beseitigung dieser Mängel ?erkennt, ist wenig zu
hoflfen; aber auch mit einer zu pessimistisrlien , welclie die Hoffnung
auf eine von reinerem nnd höherem Streben ala die Mitwelt beseelte
Zukunft aufgeben wollte, kann uns ebensowenig gedient sein. Dass
gegenwärtig eniste und unverholdene Klagen über die Gleiclij^iltigkeit
der Mehrzahl unserer Nation gegen hrdiere Interessen laut werden,
spricht sicher nicht gegen die Bereclitigung einer solchen Hoffnung.
-Jede holie Kla^^e und ^rhriine über eine Zeit," sagt Jean Paul, „sagt
wie eine Quelle aut einem Berge, einen höheren Berg oder (Tipfel an."
Können wir auch einen solchen höheren Gipfel noch nicht bestimmt
erkennen, so ist doch der Umstand, dass man ihn überhaupt zu suchen
beginnt, nicht das schlechteste Zeichen unserer Zeit
22*
Ymnschavlieliiuig der Cfesehiehte in der Yelksselmle.
Von K, OM-Oaardm Im Kid.
•Hein freund, die SSeiUn il< r Vi rf Ani^Lnhcit
Wmfvu tla Baek alt ftobtn Si.-ir. iti.-
£^uat ztt Wagner.
Gresdiichte Ist in Deatsdifayid Sache der GebOdeteren loid besBer
Unterrichteten. Die gro6e Haaee weiß nichts von Karl dem Groden,
Otto dem Großen, Friedrich Barbarossa md Friedrich dem Gfoßoi;
die historischen PersOnUcbkeitcn sind dem Volke keine lebendigen
' Gestalten.*)
Geschichte ist ein abstraeter Stoff. Der Historiker Ilionunsen
sagt Uber die QneUen zor römischen Gescfaidite: „Unsere Oberiiefe-
mng ist wie die dfirren BUIIter, yon denen wir mühsam begreifenf
dass sie «nst grttn gewesen sind."**') Im Gmnde gilt dies ftr alle
geschichtliche Uberliefemng. So fahl, so dftrr nnd trocken, wie das
herbstliche Blatt, sind aach die auf uns gekommenen Berichte yon
Geschehnissen der Vorzeit. Sollen sie wieder Leben gewinnen, nnd
das mflssen sie, um in bildender Weise auf den Schiller einzuwirken
und in seinem Gedächtnis aufbewahrt zu werden, so muss der Lehrer
, der Geschichte ihnen wieder Leben verleihen. Für den Geschichts-
unterricht, soll er lebensvoll ertheilt werden, gilt aber dasselbe wie
ftkr alle anderen Unterrichts(>^egenstände: „Die Anschauung ist das
absolute Fundament aller Erkenntnis."
Trotz alles Dringens auf Anschauung fehlen dem Geschichts-
unterricht Veranscliaulichung und Anschaulichkeit noch zu sehr. l>er
geschichtliche Lehrton ist zu abstract. es fehlt an der poetischen Be-
lebung des Geschichtsstoffes, an Abbildungen, man benutze mehr die
Karte - historische Kai teu sind iu den Volksschulen wol kauw vor-
*) Vgl. WM Dr. Ludwig Halm in der Tonede n sein» nOeachichte des
preofliscbea Vaterlandes'* sagt: „Über die Thntaaehc, wie wenig verbreitet in
un-sereni prcuBischcn Vatcrlanflo die Bekanntschaft mit der preuBiachen Ge-
schichte ist." Vgl. auch: Biedermann, Gcsdiiclitsuntorricht. S. 29.
Hoiuiuscn, Küiui.sche Cieschichte. Band i, Cup. XJ.
— 300 —
httldeii; ob die Weise, Namen, Zaiilen und Daten medianisch einlenMll
m lassen, gänzlich verschwunden ist, will ich unerürtert lassen.
Vorliegende Arbeit hat es sieb als Aa%abe 'gestellt, die Mittel
zur Veranschaalichung der Geschichte zosammenfassend vorzuführen,
und zwar soll zunächst gezeigt werden, welche Hil&mittel geeignet
sind, Gescliichte sinnlich zu veranschaulichen.
Geschichtliche Gegenstände, Alterthiimer und Denk-
mäler aller Art sind in erster Linie als Veranscbaolichangsmittel ge*
eignet.
Selbstverständlich muss sich eine Besprechung daran knüpfen.
Hei der Erzählung von der Lebensweise unserer Vorfahren zeige mau
einen Pfeil oder ein Steinbeil u. s. w.; ist ein Hünengrab in der
Nähe, so führe mau die Schüler dahin und beschreibe ihnen, wie die
Alten Todte zu bestatten pflegten. Kann man sich eine Urne aus
einem solchen Gralihügel verschalten, so zeige man sie vor und er-
läutere deren Gebrauch; sind Kuueusteine voihuiiden, so müssen sie
betrachtet und besprochen werden. Denkmäler geschichtlichei" Per-
s<men oder Ereignisse und Baudenkmäler müssen, wenn sich Gelegen-
lieit d« findet, betnMditvt mBL die Versnlassong der Eniehtnng
mm erörtert werdeo. Audi der Besuch des Lebra» mit seinen
SdiAlfini in einen AherUHUunnseiun dirfte sopfeUenswert sein.
Aber wie selten bietet sieh C^egenhsift zur Betrsehtung histo-
rieeher Qegenstftnde! Beahalb mnss die Volkasohmle mit wenigen Ans-
nabmen auf diese Art der Vemnscbaalicbung verziditen.
Aber lumn man nidit die Dinge adbst betrachten, so suche man
sie durch Abbildungen n ersetcen.**) An Bilderwerken sur Ver-
aHHchanlifthung ist ja nicht mehr wie ehemals IfaageL Was hilft es
indes, dass Abbildungen in HQlle und FfiUe da sind, wenn ihre Eost-
spieligkmt die Anachaffhng verbietet? Es sollte aber emstlich danach
gestrebt werden, dass die YoUnschnlen, wie sie im Besitz von Bildern
f&r den Anschauungsunterricht, von Bildern zur biblischen Geschichte
und Naturkunde sind, auch mit einem Bilderwerk für Geschichte ver-
sehen würden. Für Schulen, denen gute historische Bilder zu theuer
sind, empfiehlt Schumann***) mit Becht, Mimchener Bilderbogen und
„Uie ücgenstÄade selbat locken die Jugend an." D. M. Cap. XVII, II. IH.
**) „Man sollte weder Ton ägyptischer, nodi griechischer, noeh deutscher Bau-
kontt den SdUttwn enahlen, wtnn man ihnen nicht die entopieclienden Abbildungen
vorzeigeu kuna." — Uiube, Cliunkterliildev MB der GMdiiehte «ad Sage. (Einleitende
Vorrede. J^. X.)
***) Di. bcbumano, Lehrbuch der li'ädagogik. II. TheiL S. 266.
^ kj ^L,d by Google
andere Illustrationen anznschaieiii ebenlUls dttrite das Hirtaehe
Bilderwerk zu empfehlen sein.
Wenn etwas geeignet ist, das siebenmal versiegelte Buch der
Vergangenheit aufzuschließen und es Kindern zu erschließen, so sind
es Bilder. Wer Kindern die Abbildung eines geschichtlichen Ereig-
nisses erläuternd vorzeiget, der thut mehr, als wenn ei* die Geschichte
zehnmal erzälilt.*)
Auch (las Vorzeigen naturkundlicher Abbildungen, eine For-
derung Dr. Finger's *). erweist sich in der Geschichtsstunde zuweilen
als nothwendig. Bei Bespreciiung der Geschiclitf der alten Deutscheu
müssen z. B. Bildei* des Kiens, des Auerochsen, des Bären \l s. w.
vorgezeigt werden.
Aber auch durch Zeichnung an der Wandtafel wird Ge-
schichte anschaulicher.***) Es werde die Marsclirichtuiig der Krieg-
führenden angezeichnet , so z. B. die des vom Rhein Deutschland
dui'cheilenden großen Kurfürsten und die der zurückweichenden
Schweden.
Daneben iniiaa die Wandkarte als Veranachaalichungsmittel
verwendet werden.f) Die Geschichte wird anschanUeher, lebendiger,
interessanter, wenn man genan den Ort kennt, wo sie sidi Eugetragen
hat FQr Jede Gesehiehtsstonde ist deshalb eine Wandkarte unent-
behrlich — am besten eine historische, weil sonst in der Seele des
Kindes ftlsche VorsteUongen entstehen kOnnen.tf ) Anf der Karte
mOssen alsdann die in der Stunde genannten gesdüchtück wichtigen
Örter, Flüsse, Berge, Gegenden, Landschaften n. s. w. geoeigt werden.
Die SchtUer sucken am Ende der Stande oder im Hanse diese nodi-
mals in ihren Handatlanten anf. Es ist aneh toq Nntnn, wenn der
Lehrer sich die Lage dieser Örter u. s. w. dnrch Handansstrecken
seitens der Schiller angeben Ifisst, s. B. das Lechfeld liegt von mis
ans weit nach Süden. (Die SekQler strecken die Arme ans in der
nngefilhren Richtung.)
*) VgL was iioetho Uber die Bilder der deutecheu Kaüer im Kaitterüaai zu
FmnkAirt ». H. and die sieh danui BcUieSeiide B«lehning sagt (Aus in«iii«Bi
Leben. Wahrheit und Diehtnng. L Tbdl, 1. Bach.)
♦•) Dr. Finger, Anweisung zum Unterricht in der Heimatskundc. S. 14(5.
***) „Dos Zeichnen soll in der Schule nicht nur eme Disciplin, sondern ein
methodische« Princip sein.'* Fr. Polack.
t) „Alle Geachidilte wiid der Jqgend in die Lnft geadiridien, wenn die Geo-
graphie nicht die Bub iet*' Sehleiennadier.
tt) „So denkt das Kind, wenn von den Kurfilrsten von Sachsen die Bede ist,
htetfi an d»s KiJnigrcicb oder auch an die PiOTiBS Sachsen'* u. 8. ir. Krieger, Der
(•Cächichtsunterricht. S. 113, 114.
— 811 —
Zuweilen ist es auch nothwendig, bei Besprechung der betreffenden
Abschnitte, einen Ort, eine Gegend oder Landschaft kurz zu charak-
terisiren, z. B. das Leclifeld, das Marchfeld, die Ebene um Leipzig,
die Gegend, in welcher Fehrbellin liegt, u. s. w. Es werden die
wahrscheinlichen vormaligen Wohnsitze unserer aus Asien einge-
wanderten V'orfahren gezeigt, die von Heinrich L gegründeten Städte,
ferner: „die große Kaiseistraße, die von alters übern Breuiier aus
Germanien führt nach Welschland."*) Der Wes: der Ungarn und
Türken bei ihren Einfällen nach Deutschland, der Weg der Kreuz-
fahrer, sowie die uralte Handelsstraße über den St. Gotthard nach
Italien**) u. s. w. Indes darf dies nicht weiter ausgeführt werden,
als zum Verständnis des geschichtlichen Pensunis nothwendig ist:
Geschichte muss eben Geschichte bleiben, und dei* Geschichtslehrer
darf nicht auf das Gebiet der Geogi*aphie abirren.
Nachdem so die Hilfsmittel ins Auge gefasst sind, wodurch Ge-
schichte sinnlich veranschaiilicht wird, soll erwogen werden, wie mGg-
liebste Anschaulichkeit des Gaschichtsstoffes zu erstreben ist
Der GMGbiditoimterridit in der V oUcssehale mnss sieb vorwiegend
nach der Nator des iündes richten und sich demgem&S Überwiegend
Thaten und Personen zawenden. Der Vortrag sei anacbanlich und
lebendig. Die gesehiehtlichen Personen mflssen vor den Augen der
Kinder wachsen und werden bis zn ihrem Höheponkte: das Kind muss
gleichaalD die Geschichte erleben.
Da ist Karls des Grollen Heldengestalt, seine Züge nach dem
Sachsenlande, das fortwährende Anflodem des Aafrnhrs, die endliehe
Unterweifhttg, Wittekinds Tanfe und die KaiserkrOnung in Born. Da
wird Hebrich der Vogelstelkr vorgeffthrt: sein Arbeiten an der
Wehrhaftmaehnng seines Volkes, die Gründung von Stftdten, die
Schlacht bei Merseburg. Da steigt Friedrichs I. Heldengestalt aus
der Vorzeit auf: seine Römerzüge, Mailands Zerstörung, das beiden»
hafte Ringen und die Niederlage bei Legnano, Heinrichs des Löwen
Ungehoissm und Bestrafung, der glänzende Reichstag zu Mainz, sein
Kreuzsog und klägUches Ende. Da ist Luther: sein allmähliches
Wachaen und ^^'erden (besonders auch des inneren Menschen), sein
Kampf gegen Ablass und Papstthum und endlich der Gipfelpunkt:
sein Auftreten auf dem Reichstag zu Worms. Ferner: Gustav Adolf:
sein Abschied von den schwedischen Ständen, die Laudung in Pommern,
*) Julius Wölfl, Taniiliäuscr.
Schiller s TclL V. Aufeug, 2. Auftritt.
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die Hilldernisse, welche Magdeburgs Entsetzung vereiteln, die Schlacht
bei Breitenfeld, der Siegeszug nacli dem Süden, schließlich sein
tragisches Ende. Da ist der große Kurfürst, da ist Friedrich der
Große, ihre Jugendzeit und Leiujabret die vieleu ireiude und der
endliche 'rriumpli.
Auch (J u 1 tu rgi; schichte nuiss herangezogen werden, abei' im .
Anschluss an Personen und Thatsachen.
Bei Karl dem Großen werde des Landes, der Keiigiun und Sitten,
des Charakters, der Lebensweise der Sachsen gedaclit, aber im An-
schluss an ihren Nationallielden Wittekind. Bei Kourad 1. und
Heiniich L spielt wieder die Ciilturgeschichte hinein: die Ungarn
werden geschildert (nach Aussehen, Bewaffnung, Lebensweise, Krieg-
fühnmg), die Wehrhaft machung des deutschen Volkes, die Gründung
vmi Stldten schließe sich daran. Man bespreche „die kaiserlose, die
schreckUclie Zdt** im Anschluss an Badolf von Habsburg, der die
Ordnung wiedetiiei^tellt. Bei der Geschichte der Entdeckung des
Seeweges nach OstindieB werde der alte levantische Handelsweg ge-
schildert Bei Luthers Geschichte bespreche man: Kloetersehalen,
lateinische Schulen, Universitäten, das £losterwesen u. s. w. Die üm-
wUznng, welche durch Schieftpulver und Feuerwaffen bewirkt wurde,
zeige man an der Niederwerfimg der brandenburgischen Bitter durch
Friedrieh von Hohenxollern.
Wird die Gnltuigeschichte von Personen nnd Thatsachen abgelöst,
so ist sie Kindern zu dfirr und abstract und wird infolge davon nicht
behalten.*) Das ist den Lehrern sattsam bekannt Darre Notken,
Abstractionen, trockene Lehren haHm niefal Im Geiste des Kindes,
aber kleidet die Lehre ein in eine kleine Erzfthhmg, und wie begierig
horcht (las Kind!
Es wird eingewendet, dass Kinder fiir die Auffassung gi'ofter
C haraktere nicht reif seien. Allerdings für die tiefere Erfassung der-
selben sind sie nicht reif; aber wenn die geschichtlichen Gestalten
Schülern in kindlicher Weise nahe gebracht werden, so ist der Zweck
d^ Geschichtsunterrichtes in der Volksschule erreicht. Da ist vor
allen Dingen n<'»thig, dass die Jugendgeschichte und das Fami-
lienleben dei' geschichtlichen Pei'sonen, sowie das Äuüere dei-selben
*) „Macht iiuincrhin ein Capitel üb«r das Ritterweaeu, aber Teraftumt nicht,
«Uo lobendige Figur cinos iU)t7. von Bcrlichingen odor Hayard hineinzustellen." ..l>ie
junge Seck- fuHsf gerne und kicht diia Naclieinamlcr, ungern und ucliwcr das 2subeu*
einander. ' — Cirube, ( harakterbilder. Einleitende Vorrede. 8. r\'.
— 318 —
gebärende Berücksichtigung tinde. .Jugeudgeschichten groUer Männer
sind wichtig nnd lassen einen Rück voiaus thun in das spätere
Leben derselben; treftend sagt der Dichtei*: „In auserer Jugend
wurzelt unser Schicksal.'*
Es werde gezeigt, wie Heinrich IV., welcher der väterliclien
Erziehung entbehrte und aus der Hand eines schlimmen Priesters
in die eines noch schlimmeren gerieth, der von Jugend aut ver-
dorben und verführt wurde, zu einem scliwankenden, bald übermäßig
starren und strengen, bald verzagten und kriechenden Charakter werden
musste. Mau zeige, wie die strenge Zucht der Eltern und Lehi-er
Luthers, wie Noth, Hunger und Kummer, das Früh-auf-sich-Belb8t>
gestellt-sein Luther zu einem solchen kräftigen Chai-akter heranbildeten.
Es werde darwf hinge wieeen, wie der große KnrfOrst, der die Er-
ziehung xweter tüchtiger Fnuien eifUir, der die Noth des Lebens
nnd die Greuel eines entsetzliehen Krieges schon als Kind keimen
lemte, dann der Aafimthalt in Holland nnd das lenchtende Yorbild
Friedrich Hebrichs yon Oranien ihn tüchtig machten. Der Lehrer
trete mit dem Kinde ein in Lntliers Hans, lasse es seiner Lante nnd
dem Gesänge seiner Kinder lauschen nnd mit dem starken Mamie
am Sarge seiner lieben Lene die Abgeschiedene beklagen. Auch das
Änfiere der geschichtlichen Persemen miise geschildert wei*deii, damit
das Kind sich dieselben lebendig YorsuiteUen vermöge.
Wie beim Eizihlen der biblischen Geschichte, so dürfen auch bei
der nnteirichtiichen Behandlung der ProfiMigeschichte Neben-
nmstftnde und individuelle Züge, selbst wenn sie ftkr die Geschichte
wenig wichtig sind, doch nicht wegbleiben.*)
In wissenschaftlichen Geschichtswerken finden solche Zü^'^e, wie:
Karl der Große in der Schule, geringe Erwähnung; iu der Volks-
schule darf diese Episode nntfi keinen Umständen fehlen. JTür die
Greschichte ist es unwesentlich, dass Heinrich L die Krone empfing,
als er im Walde dem Vogelfang oblag; Kindern wird der König da-
durch interessant. Was kümmert den gelehrten Historiker viel Luthers
Jugendgeschichte, seine Noth in Magdeburg und Eisenacli, seine Yev-
sorgung durch Frau Cotta, und wie fesselnd ist sie dncli für Kinder!
Wie geeignet sind solche und ähnliche Episoden, obwol nicht strenge
Geschichte enthaltend, ziu* Kinführunfr in die Geschichte. Wie wird
dadurch das Auffassungsvermögen gebildet, das Interesse geweckt!
*) Grabe fordert: „Vertiefüag in das Individuelle.'* — Grube, Chanktcrbilder
Eiideitendc Vorrede. S. XI.
^. ij 1 Lj v^<..<^_'^le
— 814 —
Wie werden daduicli die historischen Gestalten den Kindern näher
gerückt! Wie prägt sich dann die Geschichte leicht dem Gedächtnis
ein! Was daher der Geschichtsschreiber als unwesentlich beiseite
setzt oder kaimi andeutet, das ist dem kindlichen Geiste oftmals
wichtig und für seine Entwickelung nöthig. Was also an das kind-
liche Leben anklingt, wie Karl der Große in der Schule, Heinrich I.
am Vogelherd, Luther der ('urrendschüler, Friedrich der Große am
Mittwoch Nachmittag in Berlin einreitend: das lindet ein aufmerk-
sames Ohr.
Dai'aos muss der Jugendlehrer die Lehre ziehen, dasä trockene,
abstracte Geschichte nicht hk die Volksschule gehört, sondern Ge-
schichte in Und&dieiD Gewände.*)
Um eine lebendigere Bantellong zn erzielen, mflssen die Helden
der Geschichte redend eingeführt werden. Besonders theile man
redit chankteristiBche Anssprttehe mit: Bndolfr von Schwaben Avs^
mf, als ihn in der Sohlacht bei Heraebm^ die Strafe ereilte: nüas
ut die Hand, mit welcher ich dem Kaiser, meinem Hem, Trene
schwor!" BndoUh von Habsbnrg Wortt als er die Raubritter bdcAmpfte:
„Keinen halte ich für adlig, der von Ranb und nnehriicher Hantirong
lebtP Kannitz*s Ansrnf bei der Nachricht von dem Tode des grofien
Friediicfa: „Wann wird wieder ein so groSer K<^nig das Scepter
fahren?** n. v. a.**)
Auch die zuerst von Stiehl angeregte Berücksichtigung vater-
ländischer Documenta, z. B. des „Aufrufs an mein Volk", nützt zur
Veranschaulichong. So könnte man auch benutzen die Briefe und
Telegramme König Wilhelms bei Gelegenheit der groien Siege.
Einer weitergehenden Forderung, die Schüler an die jeweiligen
Geschichtäquellen heranzuführen, kann von der Volksschule wol
nur in mäßigem Umfimge und im Anschlnss an das Lesebuch ent-
sprochen werden.
Ähnlich wie der blaue Duft eine ferne Gegend verschönt und
ihre M&ngel verhüllt, so verklürt auch die Sage die zeitlich fernen
*i ..Da ist iiiiinclies (te.schicht.sbiiihlfin, (Iiis eiu Histdrik«-»- von Farli vehichtlitli
Uber üie äciiulter ansehen wttrdc, lUr deu JUcthodiker vou Fuch eiu wakrbatt claiui-
9dm Werk.** — OniH ChuakteibildM. EiBleitende.VoiMde. S. Y.
**) BfaMO Sefaiitt weit«r geht nooh SehfltM. (SmigeUBeliA Sdndknnde. S, £06.)
Er ('in])ficblt, die Geschichte zn drainatiliMlI. Als Beispiel ist gewählt die Geschichte
von Heinrich» des Löwen l'ngehorsam nnd Hestrafunfr. Wenn es sich un^esucht
eigibt, wirkt eiu »o behandelter Abschnitt ohne Zweitul unscUaulicüer als bloüe
BcBlUung ohne Dialog.
historischen (Testalteu, entkleidet sie des Kleinlicheu, Niedrigen und
Hässlichen — das ja auch ^rioßen Männern anhaftet, hebt dagegen
die guten Seiten hervor, die sie im hellsten Glänze erstrahlen lässt.
Deshalb ist die Sage für die Schule so wichtig; sie zeigt dem Kiade
das Gute, Große, Nachahinnngswiirdige im hellsten Lichte.
Wer möchte wol die poetisclie Sage vom Kaiser Rothbart, die
Heine in „Deutschland ein Winteiniärchen" vergeblich in den Staub
zu ziehen bemüht gewesen ist, entbelireiiy Oder dürfte wol, um einer
Sage der Heimat zu gedenken, die Erzählung fehlen von der gnaden-
reichen Frau, die, um Hüte angefleht in der Schlacht von Bornhöved,
die ermatteten Kämpfer vor den Sonnenstrahlen schützt, indem sie vor
der Sonne ihren Mantel ausbreitet?
Sagen tragen weseDtlich zur Veranschaalichaiig bei, und ist daher
eine größere BeriUifcsiehtigung dior Sage im OesehiditBiiiitenißlEt der
Yolksachiile wolbegi ündet
Aber aach Anekdoten, mkam sie charakteristieeh amd, darf der
gewissenhafte Lehrer, ohne Gewissensbisse zn empfinden, einfiecbten.
Wie trefflich eharakterisirt s. B. eine Anekdote den SoldatenkOnig
und stellt ihn Kindern besser vor Aogen als weitschwmfiges Erzählen.
"Wie die Sage, so ist auch die Poesie ein- vortreffliches Ver-
anschaolichnngsmittel der Geschichte. Was würdig, rOhmlidi und
edel ist, das stellt sie in lebendiger Sprache, in knapper Form vor
die Angen. Den allen bekannten hohen Wert echter Poesie, mit
ihrer leichteren Yerstiodlichkeit, mit ihrer anregenden und belebenden
Kraft; hat auch Luther erkannt
Ein geschickter Lehrer wird, sei es in der Geschichtsstunde
Bfllbet oder in einer anderen geeigneten Stunde (z. B. Lesestuude),
auf geschichtliche Personen oder Ereignisse sich beziehende Gedichte
mit der Geschichte verknüpfen.**)
Bei Karls des Großen Geschichte werde Bezug genommen auf
Geroks Gedicht: „Schulvisitation"; bei Heinrich I. auf Vogls „Herr
Heinrich sitzt am Vogelherd " ; bei Barbarossa auf Rückerts „Der alte
Barbarossa" oder auf Geibels „Tief im Schöße des Kjifhäusei-s" und
auf Uhland's „Schwäbische Kunde".***) Bei Rudolf von Habsburg auf:
*) Er ruft klagend ans: „Ja wie leid iitt mir's jetzt, dass ich oichi lueiir
Poetea md ffittorieii getown luibe and mkh anoli dieielbeii niemand gelehiet hat!"
**) „Gedichte eiliOhen die AnaehanBehkeit des Untenidites uud erwecken in
den Schttlern eine Icbbsifto Thcilnnhme an hjetomohem Penonen und Brnignimon "
Monatsblatt des evaogcliscbeu Leiirerbundes.
Vgl. Methodik des Unterrichtes in der Cicbchicüte vuu Prot. Rusch. 40.
— 316 —
„Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe^'; bei der Geschichte der BefireilliigSo
kri^e auf „Lützows wilde Jagd" ii. s. w.
Wie anschaulich, wenn bei Besprechung des Hubertsburger Friedens
Kindern die Heimkehr ans dem langen Kriege aosgemalt wird:
„Der Kumg und die Kaiserin,
lies langen BmäetB Bilde,
Erweichten ihren harten Sinn
Und machten endlich Friede;
Und jedes Heer, mit Sincr und ^iitißf,
Mit rauk( Q8<-hla;:r und Kling und Klang,
GtanhmUckt mit grünen Beiaern,
Zog heim su seinea Hiiuera.^
All«: Bürixt-rs „I-eiiDrc".
Ist es nicht für das geistige Auge wolthuend, wenn die Geschichte,
die so oft, von Greueln und Blutvergießen*) handelt, auch einmal
den Gegensatz hervorhebt: ..Schön ist der l^'riede!*' Dasselbe Thema
behandelt auch der Abschnitt aus: „Die Piccolomini":
„O »chöuer Tag, wenn endlich der .Soldat
Iis Leben heimkehrt, in die Meaeddiehlteit v. •: w.
(I. Aufiräg, 4. Auftritt)
Diese liebliche Scene ist sehr w<di geeignet, bei fiesprecfaiuig des
westfiUischen Friedens die greuelYolle Geschichte des dreiAigjShrigeii
Krieges zu beschließen.
Kein Geschichtsschreiber schildert so anschaulich wie Uhlands
„Kaiserwahl", wie die deuts( hen Stämme auf dem Maientelde „am
schönen Kheinstrom rwischen Worms und Mainz" sossmmenkommen
und einen Kaiser küren.
Poetischer Stoff zur Veranschaulichung ist in Menge vorhanden.
Aber, könnte mancher fragen, was nützen alle diese Verse,
Sprüche, Oitate u. s. w.? Wird die Geschichte dadnrch nicht zu
einem wüsten Durcheinander?
Einmal dienen sie dazu, die Geschichte zu veranschaulichen, dann
aber auch, sie dem Gedächtnis einzuprägen.* I
Audi eine Vergleicliuug und Kntgegenslel I uuj^ geschicht-
licher Personen und Ereignisse dürfte zur bt^sereu Veranschau-
lichung wesentlich beitragen. So könnten in Parallele gestellt werden:
Bonifacius und Anschar — Luther und Zwingli (Huss) — Heinrich I.
und Budüil von Habsburg — Otto der Große und Friedrich ßarbaiossa
»Peehten rad TodtMUagen." Loeke.
**) ^Haftet doch «ne Geeobielite, ein Ten, ein Wort, die er (der Schaler) im
Fluge, im zufälligen Lesen aufraffte, oft hcMer. al« da» noch so inUhsnm Ein^eObte.*
David Malier, Geschichte des deutschen VoUies. Vorwort zur 1. Aod. S. VI.
— Attila und Napoleon I. u. s. w.; die Schlacht auf den cutalaunischen
Feldern und die Völkerschlacht — der Einbruch der Hunnen mit
den Einföllen der Araber, Ungarn, Mongolen, Türken — der Zu}^ der
Angeln und Sachsen nach Britannien und der Einbruch der Ostgothen
in Italien — des großen Kurfürsten Zug vom Khein nach Fehrbellin
und Friedrichs des Großen Rückzug aus Mähren (Zomdorf) u. s. w.
Man hüte sich vor unpassenden Vergleiclien und frage sich jedes-
mal, welche Vergleichspunkte sich finden, und ob die Parallele für den
Schüler nutzbringend und fördernd sei.
Dies zui* Frage über Veranschaulichnng der Geschichte.
In der Pädagogik handelt es sich nicht um hohe Geheimnisse,
sondern das ganze Geheimnis des rechten Schnlhaltens besteht darin,
sich zu den Kindern herabzulassen, einfach, kindlich und anschaulich
mit ihnen zu sprechen und sie so allmählich geistig zu sich empor-
zuheben.
Die anschauliche Behandlung der Gesehidite erlbfdert also
Betrachtung etwa vortiaiidener Alterthfimer und DenknUUer, Yor-
ftthmng von gescliißhtlichea Abbildungen, Zdchniingea an der Wand-
taftl, fleilige Bentrang der Karte; lisnier verwiegend Besprechimg
ymt PenoMQ nd EreigHiBsen (Onltiugescbichte im Ansdilnss daran),
ehngehende Berttduichtigung der Jagendgeschichte und des Familien-
lebens, sowie des Äniteren geschichtlicher Personen, Vertiefting in
individodle Züge, Anfuhren von Aossprüchen grelSer Männer, Bin-
Üeohten von Docnmenlen, Sagen (Anekdoten) ind Poesie, Yeigtoicfanng
nid Entgegenstellni^r von Thaten nnd Personen.
Um aber eine redite kindliche und anschanUehe Behandlung des
GeschichtsstoffiBS zu ermOgUehen, ist von selten des Lehrers eifriges
Studium erforderiioh.
Wie der Bergmann, ehe er einen Schacht hinabteuft bis zu den
goldenen Adern, zuvor die Gegend und den Boden sorgfältig unter-
sucht, damit die mühsame Arbeit nicht an solchen Orten begonnen
werde, wo sie keinen Gewinn bringt, so muss auch der Lehrer, will
er Kindern die Geschichte ersclüießeu, dies unerm essliche Gebiet
Studiren. D&an nur eifriges Studium anschaulicher Geschichts-
darstellungen (Grube, Spieß und Beriet*), größerer g'eschichtlicher
Werke (Schlosser, Ranke, Giesebrechtj , (^uell Schriften i WattenbachV
methodischer Schriften (Krieger u. a.) und die infolge davon möglicli
werdende rechte Auswahl, Begrenzung und Behandlung des Stotfes
sichern vor MissgiiÜen.
*) Letetens Weile wiid tob Herrn Dr. Dittes empfohlen.
Friedrieb Benst.
Von Dr. EuxUd Haufe-Meran.
Im Jahre 1866 gritaidete Kari Fi^bel eine Eniehiiiige> «id Pendoiie-
ansUlt in Zürich, um in ihr die Ideen seines berähmten Onkels Friedrich
Fri)bel vom Kindorg-arten an durch alle Schulstnfen, bis znni Eintritt in die
Universität, als Kichtsclinur dienen zu lassen. Allein schon nach vier Jahren
überließ er die Anstalt dreien seiner Lehi^er, um in Hamburg die Leitung einer
höheren TBehtendnle (Hftdehenonhrenitlt) m ttlienielinien. Die „Erziehangs*
aastalt im Seelttd" in Zürich ging nach swei Jahren an den ala HlUUefarer
an ihr wirkenden Friedrich Benst Aber, welcher bis 1854 mit einem Collogen
der Anstnlt an ihr thlltig war. In genanntem Jahre trennten sich die beiden,
Jeder fiUirte eine Erziehungsanstalt unter eigenem Namen fort; doch konnte
sieh die eine nicht lange lialten, wihraid aieh die von Benst in Hottingen bei
ZUrich gegründete in gUnttiger Weise entwickelte, was ebenso sehr der Avs-
daaer nnd dem Ifnthe, als der BedUrfhialosigkeit ihres Leiters angesdirieben
werden mnss. Die Bestrebungen desselben weiteren Kreiseii bekannt sn
machen, ist der Zweck folgender Zeilen.
Beusts Verdienst ist im wesentlichen darin begründet, dass er in der
Yolksschnle den Arbeitsnnterricht einzufahren soeht; hierfür Wege nnd
Mittel zu finden, nm dem Wollen nnd Vollbringen innerhalb der pädagogischen
Ziele die llaterie an schaffisn, war die eigentliche Kefonnaa^abe, die er sich
stellte.
Die Lösung derselben erkannte er in erster Linie im Vergleichen und
Hessen im weiteren nnd engerm Sinne des Wcntes. Von Anfang seiner
Lebrthfttigkeit an sah er darin eines der wichtigsten Mittel, das Kind natar>
gemüß zn erziehen. „Die Tliätigkeit dei- Sinne,'' sagt er. ..beginnt bei dem
Kinde bald nach der Geburt. Sobald dieselben vergleichend arbeiten, sind sie
aut dem Wege, die Umgebung richtig zu erkennen. Das \ ergleiclien beginnt
schon sehr firflh; alle Thätigkeiten des Kindes dienen ihm dabei als HitteL
Dahin gehSren zunftchst alle Spiele, die nicht von einem nenen Joh. Ballhom
verbessert sind, und alle die kleinen Handreichnngen, welche dem Kinde —
früher mehr als jetzt — in der Familie zugemuthet werden. Der Kreis der
anf diese Art vergleichend und messend angeschauten Dinge ist schon selu*
gro6, wenn die Sdiole daa Kind mit den Malen nnd deren Handhabnng anf
seine Art vertraut macht. Indem die Kinder beobachten, nntersnchen, ver-
gleichen und messen, schärfen sie ihre Sinne, eignen sich Begriffe an nnd bilden
Schlüsse. So erfassen sie das wahre Wesen der Dinge und befinden sich also
bereits auf dem Wege, die Wahrheit zu erlorschen. Und vollzieht .sich nicht
die ganze Entwickelung der Menschen, bis zum Erlöschen der Denkfähigkeit,
— 319 —
dnrch Vergleichen, Messen, Scliließen. Wollen und Vollbringen? Vergleichen
und Messen sind aber vom Beginn der Gelürnthtttigkeit au allen anderen
Thätigkeiten vwaugebeid. Alle rohen HandarbeitMi keben iiBMUgeietKt det
Versktohen lad Menen nSthig; bei Jeder bOheren teolmiichen Thftti^eit wird
das Vergleichen und Hessen noch in hSherem Grade ange\s (MuIet; Mathematik
nnd Naturwissenschaften erschließen sich uns nur durch Vergleichen und Messen.
Und so geht es mit jedem Berule." ^Die Auswahl der Vergleichsobjecte be-
ginnt mit den einfachsten md naheliegendstMi Begriffen nnd entspricht sowol
dsr UndlieheD, wie der allgeoMiiMB tocialflii Eatwiekeleiigittiife. Berihsite *
Pädagogen sind darin Wegweiser gewesen, am nächsten stehen Pestalozzi nnd
Fröbel; letzterer hat auch ein vortreflfliches l'bungsraaterial geschaffen. Das
N'cit^leichen und Mes.s(»ii niufis aber an den Dingen selbst geschehen; in ihm
sollte sich auch das Wollen und Vollbringen verkörpern, oder jenes sollte zu
diesem die Einleiteng seiB."
In der Praxis hat Fr. Benst dem V'ergleichen nnd Messen im engeren
Sinne, den Untersuchungen und Arbeiten auf dem Gebiete der Grüßen lehre
(Geometrie und Rechnen), die größte Beachtung geschenkt. In seinem Schriftchen:
„Grundgedanken von Pestalozzi und Fröbel in ihi-er Anwendung auf Elementar«
nnd Seeandnnehiilitnfe'' (ZBrich, 1881, SeHMtwU« des VerftMeie) endit er
die ArbettsinetlHide anf naUMMitiaeher Grundlage an begründen. „Ytm nllen
eber," sagt er daselbst, „was das menschliche Sinnen, Denken und Forschen
als gesetzmäßig und festbegründet erkannt hat, ist nichts so einfach, klar und
leicht erfassbar, als was sich auf die Gröfien Verhältnisse bezieht, also die
Mathematik. Es ist aber aneh keine einsige Wissenschaft, oder wenn Sie lieber
wellea, keine der eaoketen Wissenschaften anch nnr denkbar nnter der Voran»-
Setzung, dass uns die Kenntnis der mathematischen Wahrheiten versagt sei.
Die Mathematik ist aber auch zugleich das einzige Wissensfeld, welches nicht
allein einer sinnlichen, äußeren Anschauung zugänglich ist, sondern zugleich
die Verstandesthätigkeit unerlässlich bedingt und durch die gegenseitige Durch-
dringof von Form nnd Inhalt an siehsrai SddHssen and Folgemngen fBlirt
Hier ei-scheint die Richtigkeit eines Schlusses als eine unabwendbare Noth-
wendigkeit, Wahrheit also gleichbedeutend mit Notlnvendigkeit. Auf ihrem
Boden gedeiht kein Wahn, kein Vorurthcil. Di»- Erkennung solcher Wahr-
heiten, welche in numittelbarer, allseitiger Anschauung wurzeln, erzeugt in
dem BewnsBtsdn eine Widerstandskraft gegen den Lrrthnm, weklnr sieh nach
nnd nach auf aUe Lebensbeziehungen erstreckt. Es erwacht die Freude an
der Wahrlit it und steigert sich zu dem Muthc. unter allen rmständen für die
Wahrheit einzustehen. . . . Die so erlangte Erkeiuitiiis fällt mehr ins Gewicht,
als eine Wahrheit, die wir auf die Glaubeuswiirdigkeit einer Autorität hin an-
nehmen. Ihre Wirkung äoBert sieb swar nur allndlhlichi dafür aber grftbt de
sioli tief In daa Bewnaitsein ein nnd maebt, wie Psstakni aaft» daa mttbaelige
Beden nnd die vielen Umtriebe überflüssig, die gegen Irrthum und Vomrtlieile
nngeföhr das wirken, was das Glockengeläute gegen die Gefahr des Gewitters."
Fröbel gab schon dem Säuglinge die Bällchen; in Kugel, Walze und
Würfel bot er den Kleinen die drei wichtigsten Körperformen und gab Ihnen
Bankftsten, damit Ihnen das Wesen des Eürperliehen nicht fkemd bleiben soUe.
DaSMlbe wollten Fellenberg, Wehrli nnd andere dnrch materielle Arbeiten,
wenn nach nicht ganz im Sinne Fröbels, erreichen, der bekanntlich selbst nicht
^. 1 Lj v^>.j^_'^le
— 330 —
zav vollen Klarheit hiDdarclidrang, wurden seiner TliAtigkeit ja so schon genug
HilteiiaM Iii im Weg gelegt. Ktteer itat NaoUblgw FMbeb htA iBMra
Wtomt «Im MtlMiMktiaelMii AflMitig«dMikflB m ikAÜg erfturt, wie Beut;
keine der FrQbelBchnlen hat in genannter Riditong einen Schritt vorwärts
g«than, wie dies Fr. Benst selbst behauptet, ^ünd doch besitzt der Mensch
an sich alle Eigenschaften eines Körpers and seine Umgebung besteht vom
UranfiGuig an bis zur endlichen Auflösung ans körperlichen Dingen. „Die slmmt-
liohea Eig«flichaftfln derKQrper kOimen mit einaader TergUekea, also gMumna
werden, ebenso die der FlAchen und Linien. Die Linien .... werden in der
Vftlksschule in der Geometrie, im Rechnen und beim Zeichnen mehr oder weniger
eingehend behandelt, der Körper selbst aber mit seinen Eigenschaften wird
vollkommeu übersehen, bei Seite gesetzt und als ein zu schwieriger Stoff für
höhere Unterrichtaitiifen ailjgespart, wo er allerdings meist als ein «nrerAan-
liches Deflnitioii^gerleht aufgetischt werden mag. Wie kommt die Schule zu
diesem Respect TOf einfachen Fundamentalwalii lieiten , die dem Kindt-
tiberall am Wege liegen, an die es anstößt, mit denen es auf ganz vertiautem
Fuße atehtV Wie kommt es, dass die Schule die Erkemitnis der Baumgrööeu,
die alle anderen ünterriehtseteffB an Wichtigkeit ttbertraAii, m aaflUkad
TeniaehlMgt, to ewar, dan «ioh ana dcr Mitte dee w ihr lunMUgebildeteu
Publikums, ja aus der Lehrerschaft selbst, Stimmen erheben können, welche die
Erkenntnis des Raumes ganz ond gar als ttberflüasig, als Luxus, ans der Schule
verbannt sehen wollen?"
Die Betolilftignng mit Brangebüden, das VergleidieB ond IfeneD, wird
in Bentts Endehmigaeohnle von der untersten daase aa gefiht, und «war an-
fangs im Rechnen nnd Ausschneiden, spftter bei Darstellung geometrischer
Körper aus Carton, sowie in Messnngen an Himmelskörpern mit selbstgemachten
Qnadi anten nnd durch Arbeiten mit dem Mesatische; sie findet aber auch reichliche
Anwendung in Heimatiinnde, Geograpliie und Natui^^eschichte, auch ist sie
Stfttze fftr das Zeichnen nnd damit eine Haoptgrondlage fttr Handwerk, Kunst
und Technik. Durdi das Arbeitdeben wird Bensts Anstalt eine treffUflhe
\'or8chule des Lebens. Kleine neue Arbeitswege und Arbeitsmethoden aus-
findig zu machen, welche den Entwickehingsstufen der Jugend entsprechen und
dem Kinde innerhalb der Forderungen des Lehrplanes ausführbar sind, und
wodnrch ihm Thatsacben nnd Gesetse im Bereiehe twi Ifathematlk, Natur-
geschichte und Geographie klar und bestimmt als Wahrheiten entgegentreten,
das blieb nnd ist eines der ersten Ziele Beusts fdr Menschenbildong. Viele
seiner Arbeiten waren, wie man sich in seiner Erziehungsanstalt tiberzeugt,
mühsam und zeitraubend. Manche der Arbeiten haben sich mit ihren Vorarbeiten
vom ersten Entwürfe bis nun Absehlnne durch Jabnehnte hindnrehgecogen.
AnAerordentUeh erschwert wurden die Arbeiten dadordi, dass jeder Versucli,
sie allgemein zugänglich zu machen, ebenso sehr an dem der Speculation ab-
geneigten Sinne Bensts, wie an dem Lehrmittelnionopol scheitern musste.
Wie unter Fröbel, so wurden auch unter Beust Spaziergänge ausgeführt,
doch verwertete er sie in weit ausgiebigerer WdbM für Terrainknnde, Karten-
zeichnen nnd Kartenleees. Vor vielen Jahren wurde nnter seiner Leitung
durch die Sehttler der vierten Abtheiinng der Stadtplan Zflrichs aus Vso<»o
' uüo ftbertragen. In jene Zeit fallen auch seine \'nrarl)eiten zur Heransgahe
einer Schulwandkarte vom Canton Zürich mit Höheulinieu von lUU m zu 100 m
~ 821 —
in \'4oooo Jißtß^ zugehSriß'er Handkarte für den S^cliiiler. Im Jahre 1871 wurde
die Karte ganz neu als Unterlage für einen vuii ihm herausgegebenen kleinen
bistorisclien Atlas vom Cauton Zürich gezeichnet. Auch eine grolle itrdkarte
in Vstkatan Pfojeotimi Twdaiikt Uire Bntitohiuigr jennr Zeit; €e wrdm anf
ihr die Wohnplätze der wichtigsten VSlkerfamilien durch Farben WfiiThiwt>
Ein besonderes Verdienst erwarb sich Beost durch seine Methode der Relief-
arbeiten, eine ideale wissenschaftlich -künstlerische Arbeitsmethode von her-
vorragendem Werte für die £rziehang zur Arbeit durch Arbeit. Beim
geograpUidMii ÜBlanriaiito» yd» tbeiteiqi Mf lUm QeÜetm «nieheiideii
UBtaniditn, gilt Jim derGMankey dm Kjndwn aidits anteuifiagMirlNtfliidArar
Beachtnag wart; er will, dass sie sich durch eigene, freiwillige Arbeit Kennt-
nisse erwerben. „Es wird in ihnen das Bedürfbis nach Wissen geweckt and
sie werden zu scliaffeuder Arbeit angeleitet. Was so erworben wird, ist
Eigenthom fdr das Leben. Diese Arbeit ist dm Sohfllem eine Freude, daher
erkUrt aleli ihn grolle Lieibe aar Sehnte. Data die OewShnnng an eine nkha
■diaffende, sich selbst entwickelnde Geistesthätigkeit einer mechanisclian Yiel*
wisserei weit vorznziehen ist, wer wellte dies in der Heimat dea groien
Pestalozzi bestreiten?"
Auf allen BUduugsstufen und Unterrichtsgebieten stellt Beust die An-
•ehanong in Yerbindnng mit Arbeit in den Vordeismad. Waa er nnter dieser
versteht, hat er in der Presse, in Schriften nnd Vortragen, wie in seinem
Lehr- nnd Erziehungsmateriale dargetlian. Es würde den Rahmen der Arbeit
überschreiten, wollten wir auf Einzelheiten eingehen. Wertvolles Material
ündet der Leser in folgenden Schriften von Beust: „Der wirkliche Anschauungs-
nntenicht aof Schreiben und Lesen angewendet." «1^^ wirkliche Anschauungs-
nnteiricbt aaf der untersten Stofe der OrSfienlehre." „Das Belief in der
Schule." „Die Grundgedanken von Pestalozzi nnd FrBbel in ihrer Anwendung
auf Elementar- und Secnndarschulstufe." „Vier öffentliche Vortfilge, gehalten
im Winter 1880/81 zum Besten der Fröbelschen Kindergärten in Zürich."
Diese Ueinen Schriften sind thdls im Selbstreriage des Yerfbssen, theils im
Veriagsmagaatne nnd bei OreU FttBli db Co. in Zürich eiachienen. Doch mehr
als Worte sprechen die Arbeiten seiner Zöglinge, weldie von Lehrern nnd
Schnlbehörden seit .Tahren an der Quelle stndirt werden nnd seit 1865 auf
schweizerischen nnd internationalen Schulausstellungen dem Urtheile des pftda-
gogisch gebildeten PnbUeams vorgeführt werden.
Ohne aaf das Arbeitsleben in Bensts Schale <einzngeh«n, s. B. anf Sdinl-'
Spaziergänge und Schnlreisen in oi^anischer Verknüpfung mit dem Gesammt«
nnterrichte, ja ohne die Arbeiten auch nnr im allgemeinen zu kennzeichnen,
kann hier doch die allgemeine Aufziihlung derjenigen nicht fdilen. die von
Knaben nnd Mädchen ausgeführt werden. Behufs leichteren Eiubiickcä mögen
üdgende Hianpi* nnd Unterabtheihingen angeftthrt werden.
A. Znr EinIBhmng in die Grofienlehre dienen folgende Arbeiten:
a) Legearbeiten fl. nnd 2. Schuljahr). Anschauen. Vergleichen,
Messen, Zuzählen, We^i^nehnien, Vervielfachen, Theilen und wiederholtes Weg-
nehmen derselben Zahl (^Division). Allmähliches Eindringen in das Decimal-
^ysten, Ansffthmng mit kttrperUehen Dingen (BanklOtBehfln), FIftchen (an
BankUftachen), Längen ganten nnd Stftbdien), Gewichte and HUnaeai vdA
«war stets nach dem Zehnentystem in Gruppen geordnet
TMUfOS*»* IS. JUns. B«ft V. 28
— 322 —
I
bi Wiig:earbeiten (1. und 2. Schnljahr). Ergründen der Gewichts-
beziehungen zwischen verschiedenen Menpren verschiedener Holzarten, zwischen
dem Gewicht des Wassers und den iuneurüumeu von Holiigefäßen (3. und
4 Sefaii^jahr) und dem Voliimea dnd Gewichte venchieden feformter Metall-
atftbe (3. and 4. SchnUabr).
c) DarstellnngsarbeitPn. 1. Die Grundrisse von splh';tprfun*l''nen
symmetrischen Figuren, aus Baaklötzchen dargestellt, werden durch Zeichnung
auf Papier übertrageo. Unterscheiden der körperlichen Dinge, Flächen und
LftDgen; Rechnen (1. und 2. Seholjabr). 2. DanteUimf der Ergebnfeee von
Bediimngen ohne voifeeehriebeDeFonD, wodurch Lingfen, Fliehen und KOrper
bis zn 10000 Einheiten zur Erscheinung gebracht werden (3. und 4. Schul-
jahr), 3. Praktische Geometrie. Die Kinder des ersten Schuljahres schneiden
ans farbigem Prisma symmetrische Figuren aus und kleben sie in ihre Hefte.
In zweiten Jahre schneiden sie geometrische Formen nach gegebenen Uai/m
MS and kleben de in Ihre Hefte. Die Schiller des dritten bia seehatea
Schuljahres stellen geometrische CartOBkUrper dar; sie beginnen mit dem
Würfel, der nach verschiedenen Richtungen getheilt wird, und schreiten bis zu
Pyramiden, Kegeln und Polyedern fort. 4. Aufnahmen des Schulterrains mit
dem Messtische (Secundarclaesen). Jeder öchüler zeichnet den aufgenommenen
Ftaa in einer anderem Verklelaenuiir» il> die Aufnahme.
B. Zur EinAbrong in HelnitslnuMle und Geographie dieneii Iblgende
Arbeiten:
a) Messen von Entfernungen mit Heterst&ben im Schalhofe, in benach-
bartpfi Straßen und auf Schnlspaziergängen; Ansmessen des Schulhausgrund-
risses; Darstellen desselben in bestimmter Verkleinerung aus Stäben (im
öchulhofe); Aufbauen in bestimmter Verkleinemng der ümfassnngsmaiMni des
Sehnl- oder eines anderen Hansen ans Backsteinen; Ban eines einlhchai Daches
ans Latten und Schindeln (1. wtd 2. Sehn^jahre).
b) Arbeiten mit XedeUen vom Schnlhanae in Vsm ^ ^ Zimmer
nnd Schulhofe.
c) Arbeiten am Plane von der Umgebung des Schulhauses in Vsoo»
dem Gemeindeplane in Vmnw ^^"^ Plane der Stadt (Zürich) in ^/ gooo (l-iiQ<l
2. Sdinljahr).
ä) Arbeiten am Hdireiief, in Horiiontatoehiehten leilecbar (3. ind
4. Schuljahr).
e) Darstellen von drei Gruppen Reliefs aus Horizontalscluchten mit
wachsenden Schwierigkeiten (3. bis 6. Schuljahr).
f) Ausarbeiten von Nets- nnd Constmctionskarten aaf Tersohiedenen
Stefan (3. bis 9. Schaljahr).
g) Anfertigung eines Quadranten mit Pendel} Meaien der SonaenhShe;
Bestimmen von Zeit und Polhöhe (Secundarclassen).
h) Anfertigung von Armillargloben mit Gestell, Horizontring nnd Stunden"
seiger ana Bledi, Hol^ Oartm nnd Draht (Seoondarelaaaen).
C. ZnrEinllIhnmg ia dieNatnrseschfolite dienen n.n. Hdfende Arbeiten:
a) Sehnlreisen; Anaehanen, Beobaehten, Untetsmdien, Sammein (dnreh
alle Classen hindurch).
b) Freesen, Troolmen nnd Aufkleben Ten Pflannn (1. Ma 9. Scha^ahr).
— 323 —
c) Eefltiminen und Ordnen von PflMHan Ja du eigeilO HMtariom (dnrdl
edsn Schiller vom 5. Schuljahre ab).
d) Herbeischaffen von Natording^n flir den OeBammtonterricht (dorch
•ito flmVin lilndiirdi),
e) BeulMitflii jm. BlfttendliagniiiiMD (2. «nd 8. Seoudandane).
Der Leser wird erkannt haben , daat Bensts Reformbestrebangen im
wesentlichen darin besteben, das in der Lnftschwebe befindliche ünterrichts-
leben auf den Boden wahrer Wirklichkeit dnrch wiaseuschaftlich-künstlerisches
Arbeiten zn ziehen, die Gegensätze von Schnle und Leben zn tilgen nnd der
Schale den Stempel d«r idealen Arbeitaatttte anflndrllekeii, ohne den
Handfertigkeitsnnterricht zn benöthigen.
Der Anerkennongskreis seiner Eeformbestrebnngen geht weit über die
Grenzen deutschen Sprachgebietes hinaus. Wenn ihm Männer wie Köchly und
Holeschott ihre Kinder anvertrauten, so wundert mau sich, dass Lehrer und
Franen, irM» Uber FiQbel nnd deaaen Naehfolger geadirieben, Ten Beaat
nichts wissen ; doch fUngt man in der pftdagogiachen Presse an, sich mit Benata
Reformgedanken zn befassen. So widmet Professor v. Soden im „Correspon-
denzblatt für die Gelehrten- und Realschulen Württembergs" (Tübingen, 1883)
in seiner Abhandlung über „Die Einflüsse unseres Gymnaainrnw auf die Jugend-
bildnnff. Yorachlftge fOr eine natvr- nnd zeitgemftfie Belbnn der JOttoUahnla''
sneh der Beiataelien Entehnngaachnle einer eingehendere Wllidisnnf. »Wie
achon der Name dieses ihres Gründers (Fr5bel) Temnthen lässt,'' sagt v. Soden,
„schließt sich die Beustsche Schule durchaus an die Ideen des großen Reformators
Friedrich Fröbel an und darf mit Recht den Anspruch erheben, in sich nicht
nnr einen vermittelnden Übergang vom GUndergarten in die Sdiole darzU'
atolkOi aondem die FrSbelaehen Ideen flir die Sehnle aetbat praktiaek
gemaebt md für deren Zwecke organisch weiter entwickelt zn haben.*
Was genannter Schulmann über das Arbeitsleben, die Ordnung, die Lehrthätig-
keit nnd die praktischen nnd sittlichen Erfolge sagt, welche die Beustsche
Schnle gewährt, kann hier nicht wiedergegeben werden. Prof. v. Soden ist
ttnIgeBn aneh der Heining» daaa Benata M etbode neek weiter ala bia ana Bnda
darVelksscbule zn reichen habe. „SoUte ea nnn nicht möglich sein", fragt er,
„unsere Schulen, auch soweit sie flir eine höhere Bildung bestimmt sind, zu-
nächst in den unteren Classen in ähnlichem Sinne zu reformiren und dadurch
anch dem Tjpns der Volksschule mehr anzunähern, die Kluft der Bildnngs-
weiae siriaehen den Volke nnd den aogen. GeUldelen m llberbrilekeii?*
Daa sind freilieh neck WInache, denn Beut eneiekte biaher niekt dai^
was ihm zunächst am Herzen liegt, seine Arbeitsmethode in die Volksschule
verpflanzt zu sehen, obgleich seine Arbeiten in dem Gedanken an die allgemeine
Volksschule entstanden und er einen großen Theil seiner Mittel für diesen
Zweck opferte.
AlaVerfuaer den ergrauten Pädagogen mitten in der arbeitenden Sdifiler*
aoknr sah, empfing er den Eindruck, dass ein emster Mann die Jngend oime
Pedanterie in das Leben einführe. Ungezwungen bewegten sich Meister und
Zöglinge; ein mehr familiäres Gebaren leitete die Stürmenden in das Bett
beruhigenden Arbeitswassers, nnd die geistig Armen wusste er auf sicheren
Fnl an ateDen, ao daaa ea iknan gdnngt ein beaekeidanaa Ziel m emielien,
•bar irelBbea der Keiater aainn Vraada ebanao m etkauMn gnb, wie Iber daa
88*
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— 884 —
höhere der Talentvollen. Ohne Hedenkeu hat er uns in seinen Lehr- und
Arbeitsplan eingeweiht; frei von äpeculation machte er selbst auf Verbeweruugen
aiteerkaam, die aothwendig oder wUrnfthentwert sind.
Vikdikk Beut tot jetst 78 Jahre alt und nicht viel nehr lUblt n tineni
fBnft^fUirifHI ^?lrken auf dem dornenvollen Felde der Privaterziehnn^ und
Erziehnngsrefonn. „Die verringerte Leistungsfähigkeit", schrieb er mir vorigen
Sommer, „wie sie ja im aligemeinen einzutreten püegt, wenn man ein gewisses
Alter ftbflorachrittea bat, macht sich leider sehr ftthlbar. Ich darf aber wol zU'
frieAni mIb, dui di« Artrattakralt ao luge itandgehaltwi hal Fflr den Anshaa
dar Sohnle habe kh aedb naoobe AiMt ananflkrai, ehe iah nhen datf.**
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Pldi^ogischd Randschaii.
Ans dem Großherzogthnm Baden. Gymnasialprofbssor Trentlein
«n KarlsruliP vrröflFentlichte gegon Ende vorigen Jahres eine Schrift über
_Zudran£?- zu den gelehrten Bernfs arten", welclie die größte Anfmerk-
sanikeit auf sich zieht und der weitesten Verbreitung würdig ist. In dieser
Schrift «itwldcelt der Verftawr fn klarer und bttndiger Weiee die Idee der
„Einheitsschale". Dieselbe soll sieh auf der Basis der Yolkaschidbfldnii;
anfbanen, an die Stelle unserer Gjrmnasien, Progymnasien, Bealgymnasien,
höheren Bürgerschulen etc. treten nnd In ihren unteren Classen den Schülern
eine „allgemeine, zeitgemäße" Schulbildung vermitteln. In ihren oberen Classen
■dU denjenigen Schülern, welche sich höheren Fachstudien widmen wollen, die
dazQ nOthige winensehaftUche Vorbildung gegeben werden. Dordi diese Ein-
liehtong würde das alleinseligmachende Latein in die oberen Cnrse verlegti
den neueren Sprachen (Dentscli, Französisch und Englisch) in den unteren
Classen der Vorzug gegeben, das Griechische auf das Allernotlnvendigste be-
schränkt und der Mathematik, Naturwissenschaft und dem Zeichnen eine zeit-
geD&6e Wttrdigmig nnd Wartung sufheil werden.
Einen Hanptvorzng dieser Organisation finden wir darin, dass die Nöthigung
zur Berufswahl in spiltere Jahre als bisher zurückfrelegt und auch denjenigen
Schülern, welche die Anstalt nicht absolviren wollen, Gelegenheit geboten wird,
das zu lernen, was ihnen in ihrem späteren Leben wertvoll und praktisch ver-
wendbar sein kann. Der BcfUiigte nnd Lusttragende kann dagegen auf dem
bereits Erlernten weiterbauen, wenn er sich etwa dem Stndinm widmen will,
ohne den ftlrs praktische Leben fast wertlosen Ballast, den unsere heutigen
Mittelschulen uiitKclileppen müssen, sich mit colossaler Miihe und Anstrengung
anzueignen. Auch beseitigt die Treutleinsche „Einheitsschule'' jene lächerliche
Eifersadit swischen den versäiiedenarHgen Kategorien der lUttelsehulen, die
Inflnenautig sogar ?lele Lehrer derselben ergreift und sieh bei densdben
chronisch festsetzt. Die „Einheitsschule", wie wir sie eben skizzenhaft schil-
derten, ist pan/ geeignet, unser ver/opffes und reformbedürftiges >Tittelschul-
wesen, namentlich das Gymnasialwesen, gründlich und, wie wir meinen, auf die
ficiltige Art nnd Welse zu reorganisiren, wodurch manches alberne Yorortheil
mit beseitigt wird. Ohne Kampf wird «Uese Reorgaoiiation indessen nlebt ab-
gehen, WOTOn uns einige Zeitungsartikel, denen man dai; Zopfthum sofort ansah,
einen Vorgeschmack boten. Diese Polemik hielt jedoch den schiilfreundlichen
und Rußerst wackeren Stadtrath zu Karlsruhe nicht ab, denHeschluss zu fassen,
eine Schule („Einheitsschule*') nach dem Trentleinschen Vorschlage zu gründen
und Hemi Trentlein nun Vontand derselben au ernennen. Diese Schule soll
haldigst ins Leben treten. Selbstredend madit Kariaruhe damit einen Versuch;
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der sicherlich zum Heile des Mittelschulwesens ansfallen wird. DasB die „Be*
nehtigQDgsfrage" n. «. dadnieh ein» anderweitige Begelung erhalten wird, ist
klar. DIeae «Fragen" aber lind der gaaien Sache gegenüber nnr von seonn-
dSrer BedentuDg, Hauptsache bleibt: die anf durclians g^esnnder Grondlage
mhende Reorganisation des Mittelschnlwesens. Das Ausland, namentlich Ame-
rika, Frankreich nnd England, sind uns in Bezug auf ^Reorganisation des Gym-
nasial weaena vorangegangen, ohne daas dadurch die Wlawuebaft nothgelitten
bitte. Das Ausland hat anf allen Gebieten des menschlichen Wissens mindestens
ebenso bedeutende Männer «otaiweisen, wie Deutschland, das seine Gelehrten
nnd Techniker dnrch Aneignung des größtentheils für ihren späteren Beruf
unnützen Wissensballastes während ihrer Schulzeit auf Kosten ihrer Gesundheit
abquälen ließ. Die „Einheitsschule'' beseitigt auch den Charakter der bisherigen
Gynmaslen etc. als Gelehrten- nnd Beamtenschule, wird dagegen den Bedürf-
nissen des Technikers nnd praktischen Geschäftsmannes mehr entsprechen, wie
sie überdies auch die gehässige Standesabsonderung vermindert, oline dass sie
dabei das wissenschaftliche Faclistndium beeinträchtigen dürfte. Wir wollen
für heute nicht eingehend diese »Sache weiter erörtern und nur unserer Freude
Iber das dnrchaas gesunde Trsntldnsehe Beorganisationsproject nnd dessen
baldige VerwirklichnngAnsdmck geben. Vor allem empfehlen wir das Stndinm
der Treutleinschen Broschüre besondtts denen, die anf das Schulwesen einen
mafigebenden Einflnss haben.
Aus dem Gebiete des Volksschulwesens haben wir zu berichten, dass
der latent rührige nnd tüchtige, vor Jahresfrist neugewihlte Verstand des
I.ehrerveTC^ sine sasii- nnd aettgemäSe Denkschrift um thunlichste Gleich-
stellung der LehrNT mit den „Beamten", die mitNenjahr 1890 in die erhöhten
Gehalte eingetreten sind, dem Landtage einreichten. Der Obmann des Vereins, Herr
Hauptlehrer Hey d aus Weißenstein-Pforzheimi ein thatkräftiger und geistreicher
Vertreter des Lehrerstandes, begnügte aldi mit der Einrelohnng der belegten
Denlcschrift an die beiden Landtagskanunen jedoch nicht; er Übsirelebte sie
auch in einer erbetenen und gewährten Audienz dem schlü- nnd lehrerfreund-
lichen Großherzoge , welcher bei dieser Gelegenheit sehr anerkennend vom
Lehrerstande sprach und die Lösung betreifender Sache zugunsten der Lehrer
in Aussicht stellte, wenn — vielleicht — auch nicht in dem dieiyährigen Land-
tage, des allenfaUsigen Oddmangels wegen. Wir behalten uns vor, seineneit
über den Erfolg der eingereichten Denkschrift zu referiren.
In Mannheim, jener Stadt, die zuerst die „gemischte Schule" in Baden
einführte und colossale Opfer freudig für Schulzwecke bringt, wurden die Lehrer
am 27. December v. Js. namhaft aufgebessert Gleichzeitig hat die städtische
Bebdrde daselbst das in Baden sn Beeht bestehende Princip der BenUmg der
Lehrer nach Ortsclasaen dniehlBebert, indem man die Bezahlung der Lehrer
nach dem Dienstalter znm Beschluss erhob. Die Dienstzeit wird von der
provisorischen Anstellung der städtischen Lehrer, einerlei, ob diese im In- oder
Auslände geschah, gerechnet Seither konnte ein Vorrücken in eine höhere
Gehsltselasw nnr erfolgen, wenn ein ütterer Lehrer mit Toä ete dnreh Pen-
sionimng abging. Nach der nenen Gebaltsregnlinng eiliniten dagegen die
Lehrer vom 1. bis 10. Dienstjahre 2100 Hark, nnd steigt dieses Gehalt von
4 zu 4 Jahren nni 2(10 ^Tark bis zum Maximalgehalt von 3400 Mark (bisher
3070 Hark); das Höchstgehalt wird im Durchschnitt mit dem 52. Lebei^jahre
— 327 —
erreicht. Bei der öffentlichen Beratbang wuideu die Lehrer sehr geehrt; aach
wurde betont', dan mui nur ftr vmVÜatig den H udmalgebalt auf 8400 Hark
tetoetae und die ErhShnng desselben sich für später, wenn dies nöthig erachtet
werde, vorbehalte. Die Lehrer Mannheims sinrl für diese hochherzige Nei^ahrs-
gabe sehr dankbar. Khre einer solchen Stadt und ihrer Vertretung! Möchten
ihrem Beispiele recht viele andere folgen, möchte insonderheit aach der badische
Landtag and die Begierong den Lnpnla YonKannheim inrBenUnng derLehier
dea ganaen Landoa naeh dem Dlonatalter erhalten.
Das ungarische Unterrichtswesen. Der vor ans liegende, eben Jetzt
erschienene achtaelinte Bericht des angarischen Miniaters f&r Coltos and üffent-
lieben Untarrieiit ttber den Stand dea ünterrlehtawiaana in Ungarn Metet nna
willkommene Gelegenheit, nach einer l&ngeren Paose uns wieder mit den cnK
turellen Fortschritten und Verbältnissen des zn immor ^Hßerer Bedeutung:
gelangenden und rasch aufblühenden ungarischen Staatswesens zu beschäftigen.
In erster Beihe veranlasst uns hierzu der in der Unterrichtsleituug inzwischen
eingetretene Weebeel dea Miniatere; denn bei unserer pariamentarladhen Ver-
fassung drttckt dieser dem ihm anvertrauten Ressort den Stempel seines Geistes,
seiner Begabang und seines Fleißes auf. Und dies gilt in vollem Maße bei
Graf Albin CsÄky, dem neuen Unterrichtsminister Ungarns, der seit dem im
Spätsommer 1888 erfolgten Tode des unsterblichen Ministers und Staatsmannes
Angoat Trefiirt an der Spitae dea ünteixichtaBdniatertQnia atefat.
Graf Cs&ky lat einer der bekanntesten nnd bedentendsten Staatsmänner
Ungarns nnd ist namentlich als die vorzflgüdiate administrative Kraft allgemein
anerkannt. Es ist also natürlich, dass sein Name bei jedem erledigten Minister-
posten in erster Beihe genannt wurde, wobei sich jedoch allemal anch der
Zweiftl erhob, ob er wol seine bisher bewahrte vollkommene Unabhängigkeit
ud vomefame geaellaehaftUehe SteUang in den Dienet einer Partei im poli>
tieohen Leboi atellen würde. Und Graf Ct&ky hätte sich hienni kaam ent-
schlossen, wenn nicht die Stellung eines T^nterriclitsmlnisters gerade eine über
dem Parteihader erhabene Persönlichkeit erfordern würde. Und das Unterrichts-
and Erziehangswesen ist in Ungarn keine Parteifrage, sondern eine Frage der
Znknnft dea Landen, die ja doeh allen Parteien dea Beichatagea ohne jeden
Unterschied gleich warm am Herzen liegt.
Seinen Entschlnss, ins Cabinet einzutreten, mag auch sein mit seinem
Amtsvorgänger Trefort geschlossenes Frenndschaftsband und der Wunsch des-
selben, sein Nachfolger za werden, gereift habea, denn Trefort wasste und
ahnte ea, daaa Qnt Gaiky aieh keine billigen Lorbeerai anf Koaten aeinea
Amtsvorgftngers erwerben, sondern daaa er dnrdi eigenea, aelbatbewnsatea
Schaffen nnd Wirken sich die Anerkennung zu verschaffen wissen wird und
dabei auch die bei der Unterrichtspolitik erforderliche Stabilität and lang-
Barne Fortentwickelang nicht gefährden würde.
Und daa Antrfttsprogramm nnd die bisher entwiekelte eii^Uirige Thätig-
keit des Grafen CSsAky entspricht tollkommen den in Um geaetnten Ermurtangen.
Nach seiner Ansicht muss für eine genaue, energische und nach jeder
Richtung hin gerechte Vollziehung der bestehenden Gesetze, für die Aus-
itUlong der Ltteken and sowol für die Erhaltung and Förderang als aach für
die mOg^Uehsto Potei»fniiif der bieberlgen bedeatenden Brfblge bis so der
Oreoze, welche die Finanzlage UM rteckt, gesor^ werden.
Er hält es fiir seine I^flicht, vor allem die Angelegenheit der Kleinkinder-
bewahranstalten zu regeln; auf dem Gebiete des Volksschulunterrichtes dafür
zu sorgen, dass dort, wo keine Schulen sind, solche errichtet werdeu, dass die
LdnrerfeUUter «od ilire BeltUügiiDgr, sonde das Peariopngnaote dcnelben lerl- .
dirt werde.
Bei dem Mittelschulnnterricht will er fiir eine bessere Lehrmethode swgeB
und steckt sich zum Ziel die Einführung der einheitlichen Mittelschule.
Die Universitätsätatuten müssen einer genauen Revision unterzogen, der
Besnoh der Vorlesungen tod Betten der H9rer gefordert imd eentndirt, die
Stadien- ond PrttlbngsordDong mnss im Interesse der WiiMBiehnflUiildielt uA
der Hörer umgearbeitet und endlidi die Frage der GoUegleii- md PrttAmgs-
taxen geregelt werden.
Auiierdem wird er den speciellen Caltnrbestrebungen , der Pliege und
Helnug alles ScfaOnen und Idealen seine besondere Sorgfalt angedeiben laswn.
Tor allSBi anderen aber ist es nothwendig, dass an Stelle der blsberigeii
eKtensiven Wirksamkeit die intensive trete, dass die bestehenden Gesetze,
selbst wenn »ie theilweise mangelhaft wären, aoflfecht erhalten and die Schal-
administration vereinfacht werden möge.
■ • Und Graf Csäky hat seinem Versprechen gemäft die einleitenden Ver»
fHgnngen behaft VerwirkHchang seiner PlSae bereits getroffen.
Unter den das Volksschalwesen betreffenden organisatorischen Neuemogen
ist eine Verfügung zn erwähnen, nach weicherinden Lehrerseminaren fiir Bürger-
schulen Lehrcurse einfferichtet wurden, damit Seininarprofessdren. beziehungs-
weise Lehrerinnen für Seminare und höhere Mädchenschulen sich die Methode
des Semlnaranterriobtes nnd der Intematsendebnng praktiseh aneignen kDnnen.
Zöglinge in diese Lehrcurse werden nin in beschrinkter Zahl and nur solche
aufgenommen, welche ein Lehrer- oder Lehrerinnenseminar mit vorzüglichem
Erfolge absülvirt haben. Die Zöglinge hüren während des einjährigen Curses
keine besonderen Vorträge, sondern sie beschäftigen sich unter Leitung der
Kroibssoren der Anstalt mit selbststftndigan Stadien tber pädagogisebe and
Fachihigen, hospiliren nnd werden in 4er DireotienskaoBlei, bei der Leltang
des Internates, der Wirtschaft verwendet.
Da die Lehrer ihre Bezüge unordentlich bekommen, sind die Erhalter der
Scholen angewiesen worden, den Lehrern die Bezüge pünktlich und vor jedem
-anderen Bedarf der Sehale auszufolgen.
Die in den 'Volksschalen gebranehten Sefaolbtteher sind einer genaaen
Revision nnterzogen and die betreffs der Wahl der Schalbücher frei verfligsadsa
CSonfessionen anirelmlten worden, ihre BüeluT ebenfalls zu revidiren.
Mit Rücksicht darauf, dasö den Verheerungen der l'hilloxera nur dorch
den Anbau und die Veredelang amerikanischer Reben begegnet werden kann,
bat da« Hinist^am neben den LdirerpvipaaraHidien in den Weingegenden des
Landes Weinbauschalen einrichten la sen, um die Schüler und durch diese das
Volk in dem Anbau, in der \'eredelung and Behandlung der amerikanischen
Heben unterricliten lassen zu können.
im Intcieöse der Bewahrung der Gesuudheit der Schulkinder dürfen nur
sokbe Efaider in die Sehnte nnigemmunen iferden, die geimpft irorden sbid.
— 829 —
Ferner wnrdc verboten, Schnlkinder zur Zeit von Epidemien nnd in schlechter
Witternng zn Leichenbegängnissen zu führen nnd sie dort singen zn lassen.
Die Schal- and Verwaltaogsbebörden worden angewiesen, strenge darauf zu
aditen, daas die Lvft Im d«& Msktnimeni und ihre Vnfebmiir aamml den
ftiak Wasser rein gehalten werde.
Über die Ausbreitnng' des Volksschnlunterrichtes geben nns die folgenden
Daten ein entsprechendes Bild. Im Jahre 1888 besnchten von 2 416 945 schnl-
pflichUgen Kindern (ö — 12jährige 1750013, 13 — 15jährige 666932)
1960879, demMdh 80,78 */o MM die Schale. Im Jehre 1869 betn«
die Zahl der sehiilpflichtigen Kinder znsaromen 2 284 741» deaen 1 162 116,
dmnach nur 50.4- " die Schule factiscli besnchten.
Dieser maditigen Steigerung entspricht auch die Vermehrnnfr der Schulen.
Im Jahre 1869 gab es 12 757 Gemeinden mit 13 798 Schulen, im
Jihre 1888 betrug die Zidil der OeneiBdea 18694, die der StihideB 16688.
Die Zahl der Lehrer sdeg von 17 792 auf 24879.
Die Erhaltungskosten der yolkwdilllen betrugen im Jahre 1869
3760123 fl.. im Jahre 1888 aber das vierfarho: 14H47 871 fl.
Die Zahl der Lehrerseminare erhöhte sicii seit 1869 von 46 aaf 71,
die der Zöglinge derselben von 1556 auf 3955 nnd die der "Pwt&mna und
Lehrer «a dieaea Aasteltea y«b 271 aaf 686. Die Erhaltuagskoatfln der
PMI^randien betragen 1 040 481 iL
Kinderbewahranstaltf'ii waren im Jahre 1888 603 g«gen 255 im
"Jahre 1869. Dieselben wnrdoii von 55 639 Kindern besncht (gegen 18 624),
das Personal bestand aus 1212 Tersonen (gegen 315), und die Kosten betragen
409246 i. (gegen 192 18^ «.).
Eine gleich rege Thitlgfceit ihidea wir aaeh anf dem Gebiete dea
Mitte 1 sc h n hin t e r r i f h 1 0 s.
Vor allein anderen hat der Minister die Regelnng der I'^ nsionstVage jener
Professoren, welche an von den autonomen Cunfessioneu und eiuzelueu Gemeindeu
erhalteaea Mitteladhalea angestellt sind, angeregt und bereits die grandlegenden
YarftKaagea behaft rascher LQsimg der Frage ge^ifen.
Die gegenwärtige Lage ist nämlich die. dasR die genannten Professorea
entweder gar keine Pensionsan.sprüche erheben können, oder aber. da.s8 sie
eine bedeutend längere Dienstzeit ausweisen müssen als die an Staatsmittel-
aehokn aageateUten Lehrer, am eine im YerhUtaiaae aa ihrem letstbeaegeaea,
ehadiia geriagerea Gehalt aoeh Urglichere Peaatea bealehea sa kOnnen.
Die vom Minister geplante Pensionsanstalt bezweckt nun eine vollkommene
Gleichstellung der genannten Profes-soren und ihrer Angehörigen mit den
Pension8ans])riichen der staatlichen Professoren. Die Einnahmsqnellen des
Pensionäinstitutes würden beetefaen: aas einem einmaligen Beitrag der ProfbaaereB,
der ela Drittel ihree Gehaltes betrigt; ferner ans einer geringea Eingiahlmig
jedes Schülers bei seiner Aa&ahme in die Schule; dann aus einem Beitrag
von Seiten jener Corporationen, welche eine Schale erhalten, nad endlich aaa
einer jährlichen Beisteuer des Staates.
Zu dem Zwecke, um neben dem Gymiiasialanterricht den Zöglingen aacli
eiae aorgsaaie Eraiehaag geben aa k^anen aad sie aameatUch fSr eiaea aolehen
Lebensbernf, welcher praktische Spraehkeaatatne «rfordert, Torsaberetten, hat
dar Miaiatar aeben eiaem Badapeetar GymaaBiam eia lateraat Tordafhaad
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— 330 —
nur fiii- 20 Zöglinge errichtet. Die Zöglinge sind theila Zahl-, theils Stift«-
zöglinge und der jährliche Betrag für einen Zögling beträgt 800 fl. Der
Minister hofft, dan sieh das iBternat nach s^ner für 40 Zöglinge beredmetw
VcrgrOßernng selbst, ohne eine Beittenov olialtMi wird.
Die Errichtung dieser Erziehungsanstalt entspricht einem lang gefühlten
Bedürfnisse, auch in Ungarn eine solche Anstalt zu besitzen, in welcher
materiell besser situirte Eltern ihren Söhnen eine sorgfältige und streng über^
waohte Ertiehung gebeo. Bit Jetit wann diaaelben geswnngen, ihn SBIum
wvnOglidi In dem Wiener Thenaianam nnterralnriiigeB, waa flreflich M den
großen Andrang der SchtUer ana beiden HUAeft der (MemidiiMlHnigaikGhn
Monarchie nur schwer gelanpf.
Die Anstalt selbst hat jedenfalls ein aristokratisches Gepräge und schien
mit Bttekaioht darauf, dass das Internat mit einem aas katholischen Stiftongs-
fonda erhaltenen Gymnarinm in VerUndnng' gebracht wurde, auch einen oo*-
fienloiieillai Anstricli bekommen zu wollen.
Es erhob sich denn auch beim Bekanntwerden des geplanten Internates
ein Sturm der Besorgnis und des Unwillens namentlich in den demokratisch
angehauchten Kreisen des Protestantismus, weicher die Stellung des Ministers
m enehftttem aeUen* Daa mteeHeha Anifinten dea Miniaten Jedoeh, wobei
er auch die Cabüietsfhige stellte, und aeine beruhigenden Aufklärungen
dämpften die aufgeregten Gemflther, und Oraf Ce&ky konnte aeine jedenlSüla
zeitgemäße und glückliche Idee verwirklichen.
Eine weitere Lieblingsidee des Ministers bezweckt die Reform des Mittel-
aehnlweeeiia und DameniUeh die Frafe dea grieddadieii SpraehnotenMitei,
mit welcher die Einführung der einheitlichen Mittelschule in engw Verbindung
steht. Infolge seiner Aufforderung beschäftigen sich denn auch die Fach-
kreise und Organe mit der geplanten Reform, um auf Grund der Be|n>^
achtungen und Vorschläge die Verwirklichung der Reform vorzubereiten.
Die Zahl der Mittelschalen beträgt gegenwärtig 180, nnd awar 161 Gyn-
naaien nnd 29 Bealsehnlen, daronter jedoch 3 Privatgjmnarien ebne Oflbnfe*
lichkeitsrecht. In 120 Mittelschulen ist die Unterrichtssprache die ungarischOi
in 39 ist sie eine mit der nngarlMhen gemischte, in den ftbrigen die Sprache
der betreffenden Nationalität.
Die Zahl der SchtUer betrug 39 918, um 616 mehr als im vorhergehenden
SohnUahr. Daa Qymnaaiam beauditen 88866 Schttler, die KealenhnUw 6663
(im verflossenen Jahre 6306).
Unter den Schülern wann ihrer Muttersprache nach:
Ungarn 28487, also 71,3 »/o
Deutsche 6285 , 15,7 %
Romftnen 2466 , ^^^U
ItaUeoer 123 „ 0,3 «"/q
Slovakon . 1 542 , 3,8 *V<,
Serben-Kroaten 810 „ 2,0
Ruthenen 97 „ 0,2^0
Anden 118 » Oß%
Eine Correctnr der vorhergehenden Ziffern und der Folgerungen aua
selben gibt der folgende Ausweis äber die Sprachkenntnis der Schttler.
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— 331. —
Nur nngarijBch aj^rftchen . .
oeoiuer
„ aeuiscii ^ , . <
« ooo
n
„ romftnisch „ ...
669
n
n ilovakiBeh „ ...
11
rt
„ rnthenisch „ ...
»
^ serbiach-kroatisch sprachen
! 83
Nor eine einzige Sprache sprachen demnach 18002 Schftler, also ^o^/q,
die fibrigen verkehrten außer in ihrer Mattersprache auch noch in einer anderen.
Zar KatnitatsprOftmir ^attoi lieh 8322 8eh«kr geneUift, deM
263 mit Torzfiglichem, 685 mit goteai, und 9&5 nit g«iiQgeiid«ii Eilbig du
B/difheitszengrnis erhalten haben.
Die Erhaltunf?8ko8ten der Mittelschnlen repräsentiren ein Capital von
68,7 Uülionen Gulden. Die Ausgaben beliefen sich im letzten Schuijahr auf
4798000 0.
Auf dem Gebiete des höheren und Univerritittsunterriehtes ging das Be-
streben des Ministers dabin, dass der Unterricht und die Pflege der Wissen-
•cbafb möglichst intensiv, prärig, und sowol in theoretischer Beziehung gründlich
als auch in praktiBcber Richtung möglichst instmctiv sei, dass die verschie-
d—an gidiwfiawurhaftfai md DiidpUBMi sidit mir noniiiaU in der üntaiTtehta-
«ffdanof ttahoi, aondflni dan die HOrer thatrihdilkh anch die betreffenden
Vorlesnngen und praktiwhen Übungen freiaeatirea nad der Fleifi enftaprecbend
eontrolirt werden möge.
An der Universität in Budapest wirkten im letzten Jahre 180 Professoren
nd 44 Aiaistenten, and zwar an der theologischen Faenltilt 11, an der
Jaridiieheii 39, an der mediefniaehen 66 (nnd 82 Aasiateiiten) mid endlieh an
der philosophischen 64 Professoren, die allo zuBammen 623 Vorleaongen in
2166 ^Voohenstunden hielten. Die Zahl der Hiirer betrug im Wintersemester
3573, im SoniTnersemestor 3400, zusammen 6973. Am besuchtesten war
die rechtb- und üiaatswissenschaftliche Facultät mit zusammen 3331, dann kam
die »edieiniaehe mit sBaammen 2335 Hörem. Im ganzen worden 3481
Prüfungen und 2570 Rigorosen abgehalten, jedoch nur zu zwei Drittheilen
mit Erfolg. Die jährlichen Erhaltungskosten beliefen sich auf 599 882 fl.
An der Universität in Klaasenburg wirkten 66 Professoren, Die Vor-
leaoi^en besachten im Wintersemester 534, im Sommersemester 519 Hörer.
Sa mntden 447 Prüfungen nnd 439 Bigoroaea abgehalten, im giaaen and
groien mit beaaerem Ergebnis als aof der Bndapeater Hochechnte. Die Er-
baltongskofiten betrugen 54087 fl. 57 kr.
Am k. Josephs-Polytechnicum waren 46 Lehrkräfte und 25 Repetitoren
nnd Assistenten angestellt. Im Wintersemester waren 602, im Öommersemester
544 H9rer. Die meisten derMlben, 627o> beaachten die Fediaeotion Ar
lagenlevre, 20% ^ ^ Maaehinenbaa, die übrigen thellten aieh in die all-
gemeine Fachsection and in die fQr Architectur. Rigorosen wurden 285 ge-
halten nnd 203 angenomnien. Die Erhaltungskosten betrugen 197 834 fl. 62 kr.
Die Zahl der theologischen Seminare betrag 53 mit 1912 Schülern.
Rechtsakademien waren 11 mit 796 Hörem.
Anf dem Gebiete der FachsehnleD nnd Fachlehrenrae ist ra erwihnea,
daaa 256 Wiederholungs-Lehrcurse för Lehrlinge bestehen, dass behafs An-
eignnng einer gewiaaen Handfertigkeit 90 gewerbliche Lehrwerkit&tten errichtet
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— 832 —
sind, und dass die Haasindustrie in 1459 Volksschulen gelehrt wurde. Außer-
dem besteht in Budapest eine staatliche GewerbemittelBohole, mit der ein
teelinologiscIiM Oewerbenrateiin Yerbonden Ist
üm die theoretischen Faehkenntnisse der kanflnamüscheB Lehriin^re m
vermehren, bestehen 65 Lehrcnrse mit 259 Lehrern, fBr diejenigen aber, die
eine höhere kaufmännische Bildung sich aneisnen wollen, dienen 22 Handels-
Mittelscbnlen mit 242 Lehrkräften.
Zar Ansbüdiing von Hebammen sind 10 Lehrcnrse von je fBaAnoDfllliQher
Daser; 2 derselben sind mit den ünlTenttiten in Verbindmi^ fcliraciit, die
anderen an den verschiedenen Orten des Landes errichtet.
Als weitere Fiu'liscliulcii sind zu erwilhnen: die Landes-Mnsterzeicheji'Thnle
und Zeichenlehrer- rrüparaudie mit 92 Schülern, die Kunstgewerbeschule mit
67 Schülern, die Maler-Meisterschule mit 8 Schülern, und der Malerlehrcursos
Ar Franen mit 17 SchfUermnen, das Olasmalereünstitnt, nnd endlieh die La&des-
Akademie für Musik nnd Schauspielkunst.
Unter den philanthropischen Instituten milssen in erster Keilie die für den
Unterricht der Taubstummen dienenden genannt werden. Es bestellen peeren-
wärtig 2 Landes-Taubstommeninstitute und 8 Taabstummeuscliuleu; die Zahl
der Zöglinge beltnft sieh auf 284 Schiller.
Im Landes-BUndenlnstitnte waren 89 Zöglinge.
Wnisenhnuser befinden sieh in Ungarn 69, in denen 2567 Waisenkinder
Unterkunft finden.
Aulier diesen ünterrichtaaustalten behandelt der erwähnte ministerielle
Beridit andi die fibrigen gemelncnhnrellen Institute, als da sind: das Nationa]»
RiQseam, die Lsades-Bildergallerie und gesehlehtliehe Porträtgallerie, das
Kunsterewerbo-Museum, den Verein für Kunstgewerbe, die Knnstdenkmftler und
die bildenden Künste. Überall ist eine glückliche Nenerun-r oder ein interessanter
Zuwachs zu verzeichnen, die alle auf eine sorgsame Fliege der Kuustinteressen
deuten. Victor von Holn&r.
Ans der Fachitresse.
262. Diesterwee ffir immer! (Tr. Bartels. Rhein. Bl 189n. I). Durch
eine Keihe von Citaten aus IMesterwegs Keden und Schritten werden seine
. Gharaktereigenscbaften and Verdienste veranschaulicht, nachdem vorher die
Dankelmlimer der 0«genwart gekennneiehnet worden. Am Schlvsse Tersprieht
Verfasser (Bedactenr der Rhein. Rl,): „DIesterweg ftlr immer! soll auch in
diesem neuen Jahre bei jeder Arbeit unser (relübde «^ein. Tn seineiii Geiste
wollen wir aucli in Zukunft diese Bliltter weiterführen; seinen (iei.it wollen
wir rein und kräftig wach halten in der deutschen Schule. Nur zur Förderung
der Sehnle nnd ihrer Lehrer werden auch in Zoknnft die l^alten dieser BUktter
geöffnet sein. Jede persOnlidie Hadmacfae, jegli<to Personencnltns bleibt ana>
geschlos.sen.''
2li3. Die moderne Pädas^o^ik in Person: Wiehard Tianpe (Fr.
Holzer, Eepert. d. Päd. 1889, IX — Xlj. Eine mit großer Wärme geschriebene
Oeschlchte seines Werdens nnd Wirkens. Mit gebaremderAnsfBhrUehkelt werden
seine Beziehungen zu IHerterweg nnd BMbel nnd deren ISnflflsse anf seine
Lebensarbeit klargelegt, sodann sein Organisationstalent, seine Verdienste HU
die Schalreformation in Hamborg (allgemeine Volksschule; Schnlsjrnode).
— 388 —
264. Herbert Spencor über Erziehung (0. Hunziker, Schweiz. Schul-
archiv 1889, IX — XII). Ubwol ein originaler Denker, dem die großen Päda-
gogen des CoDtinents (Pestalozzi aosgenonunen) onbekaont sind, gelangt Spencer
im weseatlkhen doch aieht m nenea ErgtHudmin. Am anflUlmditea itt die
VerwaMdtKhaft mit Roasseaa, fast in jeder Beziehung (namentUdb in den Atft>
fiihrunpren über Verhtandes- nnd sittliche Bildung). Im übrigen trifft Spencer
hauptsächlich mit Salzmann und Schleieimacher zusammen; Beweise: Schuld
der i<a:zieher au deu i^ chlern der Zöglinge — Anleitung der Jugend zum Beob-
nahttn mi Seihrtflndiii (Snlimnnn, AawtoenbtteMein). DieBeHara derBndehOBgr
müsse einer Reform der Lebensverhältnisse überhaupt entsprechen (Helvetius,
Schleiermacher); Ansichten über die Strafe, den (Charakter der Familie, die
^GeflÜurlichkeit der Übergänge" (Schleiermacher). Eigenartig, aber nicht un-
anfechtbar Neues im Absclmitt über die „leibliche Jilrziehung''.
8661. BjOritan uad die weibliche Ersiehnng (C. Spielmann, P&d.
Mtarn 1889, 49. 60). Trauiuiff der GeicUeobter erst in eiitterai Jahren
— Ilftdchenerziehung in späterer Zeit hauptsächlich eine religiöse, natur-
wissenschaftliche und gymnastische — an der Miidclienschnle männliche und
weibliche Lehrkräfte (männliche* Oberleitoug) — die in der «Schale erhaltenen
Lehren in FnuMaverelnen fortEnpflansen.
968. Ant dem Briefweohael einet Lehrera (G. JQigeBS» Denttebe
Schulpr. 1889, 50). Verfasser spricht iiflb MTend Ober die Doppelnatur des
Lehrers — Schulmeister und Mensch — aus: ^Es ist zwar sehr angebracht,
wenn eins ins andere hinnberspielt, wie denn die Verbindung Uberhaupt niemals
völlig getrennt werden soll; aber der erfahrene Pädagoge sollte immer so ziem-
liek witMB, wann md wo er daa 6ewi43iit Beiner Penanllebkdt aaf daa Sdnl-
bcia, und w ann und wo er es anderseits auf das Gesellschaftsbein zu steUenbal.''
267, Todtes Wissen (PreLsarbeit, Allg, D. Lehrer/. 1889, 51). Im ganzen
nichts Nenes; aber was Verfasser klar und gescliickt vorträgt-, muss immer
wieder nachdrücklich betont werden, besonders; „Nicht ist entscheidend, wieviel
und wie hohes, gdehrtM WiMen dar Einnlne beaitct) Modera ob er mit Sieber-
bett nnd Gewandtheit Aber die FSUe gerade jenes WiBsens verfügt, das bei
seiner Stellung im ganzen eben ihm noththut, weil die anders gestellten und
beschäftigten Glieder der Gesellschaft liitriii auf ihn angewiesen sind und in
der Lösung wiederum ihrer Sonderautgabeu behindert werden, wenn sie auf
lieh nehmen MUea, was dem anderen ngewieeen ist— Ba ist eiaeTerfaftagnis-
velle Verkehrtheit, daa Witten ale tdchet, naal daa der Gelehrten, ala «in
Gut zu betrachten, dessen Betiti einen bSbann Grad von Seelnadel nnd
Menschenwürde verleihe."
268. Ein Rückblick (R. D., Zeitschr. f. d. deutschen ünterr. 1889,
Erg&unmgsheft). Ein Rhckblick auf die Leistungen der pädagogischm Zeit*
aehriften im Dienete dee denttohen Unterriehtea (wShread daa Jahree 1888) lehrt
Bweierlei: „Der dentiohe üntemclit ist er.stons von der pädagogischen Prette
mit Vorliebe gepflegt, zweitens erfreulicherweise verbessert worden oder wenig-
stens im Bejfriffe, sich krätliper und schöner zu entwickeln. Zwar die Lese-
buchfrage hat das Jahr 1888 (und auch 1889) so gut wie nicht gefördert; sie
harrt noch ihrer eadgiltig' beftiedieendeaLgmng, nnd waa über ale geschrieben
werden, ist eitel Wiederholung nad nhdit eelten Phrase. Die Arbeiten Aber
?einMB]ebre nnd Anfnti, ÄnBerangen tber den Wert der Mundart dagegen
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— 834 —
liefern den Beweis, dass man an vielen Orten in den FnAstapfen HUdebrands
zu wandeln strebt.**
269. Wie mitertelieHei aieli der Spraehnnterricht hörender
VDd tanbttnmmer Kinder? (Fid. Zeitnngr 1889, 60. 51). Was die Vell».
Mdmle nicht besonders zn pflegen hat, von der Tanbstnmmensclinle aher eigen-
artig" zu behandeln ist (Articulationsunterripht) — Yerscliiedenheit der Arbeit
in den gemeinsamen Zweigen des Sprachanterriclites (Anscbanongsnnterricht,
Grammatik, Lesen, Aafsatz). — Ergebnis: Abweichungen auf der Unterstufe
am grOAten , im weiteren Verlanfe immer mehr Übeninitimniiii|r. MittelttBli»
der Taubstnmmenschule = Unterstufe der Vidkawiliile; Obentnfe der Tanb-
Stnmmenschule = Mittelstufe der Volksschule.
270. Etwas über Lesevortrapr von Gedichten iK. Hessel, Zeitschr.
f. d. deutschen Unten*. 188U, Ergänzuugsheft). „Gedanken und Erfahrungen"
— ans der VolkaschnlA. Beifpiele: „Die Bache'* und „Daa SeUoM am Xe«r"
▼on Ubiand. Sehr beachtenswerte Regeln über Aussprache und Betonung, wie:
^Sclimiukende Beiwörter sind gttian in derselben Tonhöhe zu sprechen wfe das
dazugehörige Substantiv." »Nor die Wiedergabe in lauter Rede erzeugt
neu all die ij'ormenschönheit^ die der Dichter' in sein Werk gelegt hat, and
danit auch die too iliin beabalehtigu Wirknng auf daa 0«MIl* — ttUna
elaigermaBoi befriedigende Wiedergabe Sehillaneher Balladen flberatelgt die
Kraft der Volksschüler.« (Sehr richtig!)
271. Über die Beiiehnngen zwischen der Erd- und Menscben-
kande (Ft. Reuß, Repert. d. Päd. 1889, VJIlj. Der innige Zusammenhang
swIidMii Geographie wd Oeeolilahta Irt bei weitem nxdi oleht allgemein an-
erkannt Er mnsa deahalb (wie die Thatsache, dan poUtisehe Karten frfiher
oder später als liietorische gelten) noch immer wiederholt nachgewiesen werden.
Verfasser thnt es, nnd insofern ist seine Arbeit von Wert. Als Gewfthrsaftnner
citirt er vornehmlich Herder, Ritter, Ratzel.
272. Die Verwertnng von Natnrgebilden im Zeichennnterrieht
der Volkaaehule (B. Heer^ FSd. Zeit 1889» 44. 45). WirUiehea Zeidien-
object für den Maseennnterricht nur das geometell aasgebreitete, gepresste ud
aufgeklebte Blatt. Andere Naturobjecte dienen zur Erklärung der Vorlagen
(Ornamente), sowie zur Erkenntnis der Schönheit, Zweckmäßigkeit and Freiheit
in der Natur.
278. Sehraibeii nnd BeehtaehrelbeB (H. Reinhard, Deatedie Velka-
adinla 1889, 52). «Des ]QBdem ist aittdrttcUieh za sagen: man verlange
nicht nnd könne nicht verlangeiif dass sie schßn schreiben, wol aber, dass sie
sauber, deutlich und sorgfilltig- — und später, dass sie bis zu einem gewissen
Grade and unter gewissen Bedingungen schnell schreiben." — Das Rechtschreiben
gründe aidi in der ÜBtercüaMa tbAA auf ein aeharfta (Nur mid Auge, wMA
anf Einüben vcw Bagebi nd Beispieien. — Verftiwer «npllelilt »Ar die Klefnen"
folgendes (nach einer beziiglichenünterredang) als Ab- oder Nachschrift („Diotafi^^:
„Die Ciadde f,Conceptheft', ,Tagebuch') ist kein Schmierhefl. Es gibt über-
haupt keine Schmierhefte in der Schale. Ich soll immer sauber schreiben. Jede
Zeile moM voll lein. Über den Bandatrieh hinweg darf ich nicht aelveiben.
Nirgenda darf Bau Tinteofleeke aeben. Auch andere Fleeka aind vertwleii.
In jedee Heft gehSrt wenigstens ein Löschblatt. Dann kann nichts aaswischen
and niehte von dar einen Seite anf dia andere aieh abdrucken. Wlhrend dea
Schreibens liegt das Löschblatt unter der rechten Hand. Ich darf die Feder
erst dann weglegen, wenn der Satz zu Ende ist. Jedes geschriebene Wort,
jeder Satz nnd endlich das Ganze ist sorgfältig za lesen." (Wir anerkennen
sowol die OriginaUtttt wie die ErspriefiUohkdl dltMr Maftregel)
^Steile Lateinschrift* Unter diesem Titel hat Herr Emanoel Bayr,
Schulleiter in Wien, soeben eine kleine Schrift (9R S., Preis 1,60 Mark) er-
scheinen lassen (bei Pichler in Wien), welche bezüglich einer jetzt viel erörterten
methodischen und schalhygienischen Frage von Belang ist. Welche Schriftart
is der Volknchiile hemdieiii welehe Lage das Sehreibbeft erlialteD, wie das
schreibende Kind sitzen soll etc., darauf erstreckt sich die hier geführte Er-
örterung; der reiche Inhalt des Büclileins gründet sich theils auf ein sehr
umfängliches Studium der Fachliteratur, theils auf vierjährige praktische Ver-
suche und verdient eingehende Würdigung.
Der „österreichisolieSchnlbote'' (Redacteur Frans Frisch in Klagen»
furt) ist in den 40. Jahrgang eingetreten nnd erscheint nunmehr in Monats-
heften von 2'/.2 bis B Bogen. Mit dem neuen Zusatz zum Titel: „Zeitschrift
für die Praxis der österreichischen Volks- und Bürgerschule*', ist
angezeigt, in welcher Blditmig der nSdudbote" Man Mine Haapikralt wt-
iUten will, welehe StolTe aleo YOisngtweiae roa Om bearbeitet werden seilen
— die eigentlichen Lehranfgaben der Volks- und Bürgerschule in den ver-
schiedenen Disciplinen und auf den verschiedenen Unterrichtsstufen. Der Re-
dacteur des „Schulboten'' genießt schon längst eines wolverdienten Rufes, und
ttehtige Sohnlminner (Bräutigam, Gesell, Kleinschmidt» Pick, Bosoli eto.) stehen
üm als Mitarbeiter sor Seite; das Blatt wird also aneh in Znkonft die vorige
bewahren, die wir an ihm schon wiederholt gerühmt haben, uid wir wlliiiiihw
ihm daher in seiner neven Qestalt das beste Qedeihen.
Unser rtthmlichst bekannter Mitarbeitei* Herr Heinrich Morf, emer.
Sesdnardirector nnd Walsenvater in Winterthnr, M Ton der phüoso^iischen
FaenUit der Universitit Zürich honoris causa zum Doctor ernannt worden,
und zwar in Anerkennung seiner Verdienste als Erzieher, pädagogischer Schrift-
steller und speciell als Pestalozziforscher. Nie ist solche Auszeichnung einem
Würdigeren zutheil geworden. Ehre den Männern, die das prunklose, aber
TeUwiehttge Vetdlenst einer langen, trenen nnd segensniehen Wiihsankelt im
Dienste der Hensdienbfldnng erkannten nnd anerkannten! — Die Anaaefadiniing
erfolgte am 12. Januar in Zürich, nachdem Moi-f vor einer großen Festversamm-
lung zur Erinnerung an den Geburtstag Pestalozzi's die alle Hörer tiefergreifende
Gedenkrede gehalten iiatte, und die ganze Versammlung war hocherfreut über
die dem 72jlhrigen, noch immer rMgen Greise einlesene Bhre.
Literatur.
J. fidddek, ordeDtl. Lehrer an der Taubstummenanstalt in Brcdaa» Der
Taabsttimme und seine Sprache. Erneute rntersuchungen über das
methodologische Fnndamentalprincip der Taabstummenbildang. 31 8 S. Brealaa
1889, Woywod. 6 Mk.
Eine BefonMchrift, in welcher es rieh am die Frage handelt: In wie weit
soll in der Tüubstnmmenbildunp^ Hcinieke oder de l'Ep^e , die dcutsrhe oder
die franiteische Jücthude, die Wort- oder die Geberdenspracbe zur üeltung
kommen? — Herr Heidsiek tritt der in Deutschland fast allgemein herrschenden
3Ieinung entgegen, dass die Theorie und Praxis Heinicke's dunbnus richtig
und zur Alleinherrschaft benifen sei; ohne die Vorzüge der deutschen Methode
n verkennen, yerfaehlt er nicht st mc Sympathien für de l'Epäe, und behraptst
er eine theilweise Berechtigung der französischen Methode. Nach seiner An-
rieht müssen die Irrthünier von hUben und drüben aufgegeben, die richtigen
Grundsätze und Bestrebungen von beiden Seiten hannonisch vereinigt werden,
damit sie sich gegenaeitig su einer allgemein gütigen und für sftmmtliche
Kategorien Ton Tkubstnmmen ersprieBnehen ^tbme erginsen. Dass das
Votum von Herrn H. liic iiud da ziemlich schroff klingt, und da^s er an der
einen Methode die Schatten-, an d&c anderen die Lichtseiten stärker hervor-
hebt, darf man riner Befbnnsdirtft nidit allsahoch «nreclineB, ftik mui
Ansicht, dass die bisherige Pnixis zun Thdl inrthtUnljdi nnd gemelnichidlidi
sei, als richtig anerkennen muss.
„FHr die methodisehe Bntwickelung des Tsnbstammen-BiMtoiigswwwms isl
es," bemerkt Herr II., „verhiinpnisroll gewesen, da^s die Taubstnmmenlehrer
keinen Unterschied gemacht und keine (Frenzen gezogen haben zwischen den
Yenddedenen Arten von Taubstummen. Darob Unterlassung einer solchen
Trennung oder (inipi»irunß: liahrn die riuibstnmmenh'hrpr sich selbst und diia
Publicum getüuücht. ' Es i^ieu zu unterscheiden die geborenen Taubätuuimeu
TOn denen, die es erst nach der Geburt, früher oder später, geworden sind,
unter welch letzteren sich solche befinden, die eine Reihe von Jahren ge-
sprochen haben und sich noch, in höhcrem oder geringerem (Irade, im Besitze
der Lautsprache befinden, wenn sie einem Institut übergeben werden. Ebenso
seien die völlig Tauben von den sehröchwechüngen zu untersoheiden u. s. w.
Wie sich nun die flranzOsisehe Methode an aU dcnjeuigcn Taubstummen,
welchen das (Jehiir nicht gänzlich fehle, durch Yernaclüussi^uue; der Wort-
eprache yersündigt habe, so die deutsche dadurch, dass sie mit den gänzlich
'nuibstmnmen (beiiriietttoeh Qeigtessohwnchen) laatsprachlieiie Ziele erawinffen
wolle, welche nur mit dem relativ begabteren Schülermaterial (!) erreichbar
seien. .Die deutsche Schule der Taidwtunuu&ubilduug verwirft die (ioberde
und foraert von dem GehSrlosen, dass er seine Zeichen nicht mit den Händen,
sondern dass er sie mit dem Munde, mit den Sprerhwerkzcujren mache. Un-
bekümmert darum, dass der wirkliche Taubstumme seinen eigenen Ton nicht
hört, glaaben wir dem Gehörlosen eine Lautspmehe su geben, wenn wir ihn
anhalten, mit denselben Organen dieselben Bewegungen zu machen, wie sie der
Hörende beim Sprccbou erzeugt .... Die deutsche Methode hat sich Aul-
gaben gestellt, die sie zu lösen anBeiStande ist: sie hat Versprechungen ge-
macht, die sie nicht halten kann .... Von Heinicke bis auf unsere Tage
ist mau von nur halbwahreu Gruudäätzeu ausgegangen, und dieser Umstand
— 337 —
ut €8, warum tinsorom Wollen diu* VoUbrinij^en fehlt , warum wir das Ziel nur
halb erreichen, warum wir ans selbst, das große rubliciau und die hohen Bo-
höiden in den berechtigten Hoffnungen und Erwartungen tftuBcben. Zu diesen
nur halbwahron Orundsätzcn c^ehOrt in erster Linie der, nach wL'khem die
Laxitsprache iiiiht nur hi^rbar, sondern auch sieht- und fUhlbnr sein soll."
Wie nun Herr H. seinen Orundanschanungen gemäß den in Deutschland
bisher üblichen Taubst ammennnterricbt umgestalten will, um die Vorzttge der
Methode Heinicke's mit denen der Methode del'Ep^e's ku vereinigen, das möge
hier iiberirangen werden, (Li nur ein sehr kleiner P.nichtheil der Leser des
nl'sedagogiums" Taubstuuunenlehrer sind. Dagegen wollen wir auf das tflr
jeden Pädagogen bSdnt InteneBante Phlaomen, welchea hiei Toriiegt, nodi
besonders hinweisen: es ist der ZiHammenatoß der beiden obfliSten fininilsiitze
aller Pädagogik, nämlich der Grundsätze: Erziehe naturgemiB und: Erziehe
onltuigemU. De l'Ep^c huldigte don enten, Heinieke dem letsten, jeder ein-
seitig und daher im Übermaße. fWolgemcrkt: wir r< fl' n hier nur vom TTntcr-
richt der Taubstummen.) De l'Eji^e folgte der Kii htung, welche durch die
nattlrliche Verfiwsung des TanlMtuinmcn und durch die ans ihr entapringende
Art des Gedankcnausdniekes angezeigt ist, und erreichte auf diesem natürlichen
Wege sein Ziel leichter und vollständiger als Heinieke das seiuige; de rK])ee
bedachte aber m wenig, dass der Taubstumme doch auch ein sociales Wesen,
ein Culturmensch werden soll, für den die Wortsprache ein sehr wichtiges
Element der Bildung und Organ der Bethätigung hl und dum daher dieselbe
Übermittelt werden soll, falls er des (tehJirsinnes nicht gänzli<h entbehrt,
Heinieke ging allzu energisch darauf aus, den Taubstummen dem Hörenden
gleich eu machen nnd ganz in das allgemeine Cnlturleben zu erhebeu, wogegen
mit Recht bemerkt werden kann, dass der Taubstumme (wenn er nicht zu-
gleich an völligem Blödsinn leidet), doch immerhin in seinem Kieiie und in
seiner Weise aueh ohne Wortopraene ein Cnlturmenseh werden kann, daas
ferner die Individualität - also auch die Taub.stumniheit ein Stück Natur
ist, welches rcspectirt werden muss, dass endlich auch der beateemeintc Kampf
gegen die Natur nicht das Unmögliche anstreben und in qnslerlsche und er*
folglose (icwaltthiitigkeit ausarten darf. Es ist gewiss nicht leicht, in allen
iHUen einen billigen Ausgleich zwischen den beiden höchsten Erziehungs-
prindpien zu tiemn; aber dennoch ist dieser Ausgleich ahi das Ideal aller
Pädagogik unverrüekbnr festzuhalten; nnd der eute ehrliehe Wille, diesen
Ausgleich zu vcrwirkücheu, muss iu jedem l'ädapogen vorausgesetzt werden.
• Wwiss ist dies auch das Ziel, welches Herr Heidsiek mit seiner Refonn-
sehrift anstrebt, und schon deshalb verdient sie alle Anerkennung. .\ber auch
die I>urrlifdhrung seiner Gedanken muss im ganzen als höchst gelungen be-
zeichnet werden, und Referent spricht es offen ans, dass er in allem Wesent-
lichen Herrn Heidsiek zustimmt und sein Buch für ein sehr sehiltzenswertes
Werk hält. Es beruht auf fleißigem und ernstem Studium der Fachliteratur
im weiteren und engeren Sinne, ist vielseitig und gründlich durclidaeht, sorg-
fältig, wolgeordnet und stilistisch correct abgefasst und gibt allenthaibw
Zeugnis von reiner Wafariieitsliebe und fireimfitniger überzeuirungstrene. Das
sind Kic^ensjebaften, dift in der piidat!:(><riselien Literatur der ciegenwart nicht
alltäglich sind. BeUagen miisste mau es daher, wenn dem Buche Heidsieks
ein Fiaspo bescbieden sein sollte, wenn es insDesondere von den speeiellen
Faeliq-eno^spii des Verfassers todtiresehwii iren oder todtgestiniiiit werden sollte.
Allerdings hat es üerr Heidsiek dem Leser nicht eben leicht gemacht, sich
fliit seinen Ideen b« befreunden. Ein grttndlichee Stvdivra sdnes Bnehes er*
fordr'rt vii 1 Zeit und .Viisdiiiier, während dwh das Geistesleben unserer Zeit
im allgemeiueu ein recht kurzathmiges ist. Vielleicht hätte Herr H. besser
getiian, das heißt seinen Reforai^an mehr gefördert,, wenn er sieh kürzer ge-
fasst hritfe. Die allgemeinen psycholnirisehen und anthropologischen Er-
örterungen, welche er seinem Buche einverleibt hat, waren für seinen Zweck
nicht unbedingt nöthig, wenigstens nicht in der vorlieir« uden Ausführlichkeit;
und überdies kfinnen sie leicht zu Kritiken Anln-ss geben, welche von dem
eigentlichen ätrcitponkte ablenken. Auch sind sie in derThat nicht das Beste
des Bneliei ud nklit unaafeelitbar. Zwar iprieht Herr H. den schSnoi und
PaiagogfaMi. lt. Jahrf . Hsft V. 94
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— 338 —
ganz richtigeB Ldteats mu: „Die Leharm der Psychologie man jeder, der sie
kennen lernen will, an und in sioii Mlbst erleben; selbst die großartigsten
D«&nitioiie]i vemögen hier nur wenig su hellen." Aber er bleibt dieser
Uaxime nicht tren, nmden «rbeitet in einer Beflie von Capiteln mit fk<emden
Mitteln, indem er aus den Werken wnehiedener Autoritäten — wobei er
nicht einmal durchaus das Beste bringt — massenhatto Citatc vorlUhrt, die
den Leser ermflden, ohne ihn in Sachen des eigentlichen Themas vorwBrto m
bringen. Man vergleiche z. B. die Capitel über die Enge des Bewusstseins,
über i^wusstes und Unbewusetes in der Seele, über Apperception und mit-
idiwingcnde Vorstellnn^en, Aber die Wechsel wirkong zwischen Seele und Leib.
Älan erholt sich förmlich, wenn man über diese akadeniit<chen ({emeinplätze
hinweg in da.s Revier gelangt,, wu Herr H. wirklich zu Hause ist uud uns
aas eigenen Mitteln die schätzenswertesten AufsehlttsSB bietet, wie i. B. ift
dem st^önen (13.) Capitel Uber die Geberdeosprache.
Schließlich noch ein paar Nebensachen. Referent hat oben einem Worte
aus H.'s Buch ein Ausrufczeiehen beigesetzt, weil ihn dieses Wort sehr unan-
genehm berfthrt bat. Esbeiüt nSciittlermateriai" — einespracliUcbeUis^gebart^
die Bwar nidit Herrn H. dss Dasein Terdankt, aber doeb nenester Ibdie w^^int
seit der E|iorhe des wieder emporgekommenen ('ääariümus als ein spradmdMS
äjmptom aufgetreten ist, nabe yerwandt mit Hecrutenmatenal, Mensdnn-
material v. s. w.; bisweilen bOrt man ancli sehon Lebrermatarial, Beamten-
muteriftl, Officiersmaterial, und vielleicht wird man auch noch von ander* ni
Material sprechen. Alles scheint Material zu werden, Stofi ohne eigenes Leben
und Bedit, ein willMhMes, unpersönliches Ding. In den Sdavenstaatea des
Alterthums, z. B. in Athen und Rom , galten die SVlaven wenijrstons als
Werkzeuge (Maschinen); jetzt aber werden die .Menschen, die doch gesetzlidl
Hiebt einmal Sciaveu sind, gar nur als Material^ bezeichnet, wie ein Lebm«
klumpen oder ein Holzbloek. Mau sirht. wie tii l' der Wert des Menschen ge-
sunken ist. Wenn mau dagegen eiuwendeu will, so sei es nicht gemeint:
warum sagt man es denn so? — Jene niederträchtigen Wörter waren ja
früher ganz unerhört, sie sind neu, das Materialanh&ogsel ist auch sprachlogisch
ganz überflüssig und eben deshalb um so empOrender. Dass es sich aber
bereits in anstäudiger (iesellschaft zu zeigen wagt, ersiebt man daraus, dass
es sdbst Heim H.» dem despotische Denkart fremd ist, einmal unteilanfen
konnte, wSbrend er es bei bundert anderen Gelegenbeiten gaas wol m ent-
behren wusste. — Endlieh muss bemerkt werden, dass das auf S. IV citirte
Bictom: „Ex hat es g^agt," dem Sokratea und seinem Kreise ganz fremd
war, wol aber dea Pytbagorlern eigen geweaen sein aoIL
In Summa nodunab: Jh» Boeb Heidsic« rerdient im gaaien die wlinwta
Empfehlung. D.
StrJJse, Hilfsbuch für den geographisclien Unterricht in Bürger-
und Mittelschulen. 3. AuÜage, Göthen 1889, P. Schettlers Erben. 1 Mk.
Das vorliegende Hilisbuch nennt in einem Prospecte seine bante noch
nicht übertronenen Eigenthttmlichkeiten und Vorzüge, unter anderen auch „die
große Anzahl cingeflochtener Beschreibungen uud .Schilderungen in „kind-
licher und volksthümlicher Fassung''. Ob dieses Lob uid die dafür ge-
brauchten Ausdrücke begründet sind, mag der geneigte Leser aus einer kleinen
Blumenlese, die wir liier mittheilen, entnehmen. Seite 3ö. Die Et.sch geht
bekanntlich ohne Ruhestation ins Meer; die übrigen drei Flüsse schleichen
langsam dem Po zu, der im Tieflande auch eben keine Eile hat. Bringen ihm
seine Zuflüsse mehr Wasser zu, als er mit Bequemlichkeit fortschaffen kann,
so lässt er es Uber die I 'fer ins Land hinein laufen, da mögen denn die Leute
sehen, wie sie's los werden. Seite 36. Das Foma ist jetst (II) bock mit
Sebvtt bedeckt vnd beißt Knldttd, weü Ktthe dannf weiden . . . Wenn dem
Papste auch sein Landbesitz genommen ist, kann man doch nicht sagen, dass
er nicht habe, wohin er sein Haupt l^gen könnte. Wenn er bei feierlichen
Gelegenbeiten mit der dreilbeben Krone anf dem Kmptcr nnd umgeben tm
den Würdenträgern der Kirche und seines Hofes aus einem seiner 11000 Zim-
mer nach der Feterskiicbe geht, so entfaltet er ftlr einen Knecht Uottes immer
^. 1^ 1 L j v^>..(.,'^le
— 389 —
noch viel Glanz. Seite 37. Bis heute ißt dem Vesuv nicht zu trauen; an dem
Erdbeben, welches 1883 die Insel Ifichia verschüttete, war er gewiss niclit un-
h< tiicili^^t. Seite 40. Wenn'8 nicht gerade so kalt ist, dass die Augen mfrieren,
belnätigcn »ich die Bussen auf den Eisrutschbahnen, die ttbcraU eingerichtet
werden. Seite 48. Die Lnstreisenden fühlen sich in Norwegen überall sieher
wie iu Abraham.s Schoß. Seite 53. Auch die unehrlichen Handwerke werden
in London ins grofte getrieben. Die Londoner Diebe z. B. sind Meister in
ihrer Knnst vnA tintn sidi fn ganse Banden sasamnen. Die 19000 Constabler,
welche ihnen auf die Finder i^i h' ii, miis^^f n f-> schon klujp anfangen, wenn sie
einen ertappen wollen. Seite Ö4. In den Hütten der irischen Päditer leben
Ifensehen nnd Vieh in einem nnd demselben Ranme Imisammen mid tiieilen
ihre Kartoffolmahlzeiten miteinander. Den S<hwein( n bekommt das vortreff-
lich; aber die Menschen gedeihen dabei weder leiblich noch geistig . . . Ir-
bad ist eine offene Wunde am britischen Seiche, för welche das leehte PHaster
n"ch f'hlr. Stite 57. Den Parisorn ist auch nicht recht zu tran-n Wenn
Bich die rechten Leute au die Spitze einen aufgeregten Häuft n> stellen, so ist
ein StraBenanflanf fertig:, der auch unter Umständen /ii einer allgemeinen
Empfirung anwachsen kann. Seite 67. Die '/Am uner spielen jedermann auf,
wer tanzen will, und bc-^tehlen jeden, der etwas hat ' etc. etc. Sapi* nti sat.
W.
Cfntmann und Marschall, Grnndriss der deutschen Sprach- und Kecht-
schreiblehre für höhere LehrauBtalten. 4. Auflage, üttnchen 1888.
Oldenbuurg.
Das Bttchlein geht nvr in der Lautlehre, der Orthocvaphie und der Ety-
mologie auf nihd. Formen zurück. Die gramniatischen Termini sind in Frli-
noten etymologisch erklärt und ihre Betonung ist durch eimn fettgedruckten
Bnehstaben angedeutet. Die Fassong der Regeln ist so, dasä sie leicht Ter-
standen und behalten werden, die MuHterhf i«ipicle sind zumeist Klassikern ent-
nommen, liegen aber doch nicht aulicrhalb des <?esichtskrei.se.s der Schüler.
Seite 126 wird das Beispiel: Jnngfrnn — junge Frau. Manneskraft — die
Kraft des Hannes zu beseitigen sein. (DieSchiUer sollen den [Jnterscbied an-
geben.) Seite 74 der Ausdruck: Die Präpositionen „regieren" den Casns,
Seite 70 der Terminus „gemischte fonjugation '. Auch wird der Verfasser gut
thnn, manchen Terminus zu streichen a. B. AdnomüuU, Elativ, Frotasis, Apo-
dofis (Seite 165) und in Anhetradit der Stufe, fOr die das Btuldn bestimmt
ist, auch viele Unterabtheilungcn deren Kenutni.s die Spiachbilduug doch
nicht fördert, zu beseitigen. Man ver^eiche nur die AnradniiDg der Modal-
atze (Seite 160): 1. Qnalitetiv» MMnlittt (mit drei Unten&theilnngen.)
2. Quantitative Modalität (mit swd üntertheilen). 8. BelatiTS Hodniitftt (mit
zwei üntertheilen)! — r.
Jl&iler-Fraaensieiu, Haudbucb für den deutschen Sprachunterricht
in den oberen Glaesen höherer Lehrnnitalten I. Zur Sprachge>
Mhichte und Sprachlehre. HannoTer 1889. 0. GMd (Morddentiehe Ver>
lagsanstalt). 2,40 Mk.
Das Buch ist für Lehramtscandidaten und Lehrer sowie fUr Ausländer be-
stimmt, die ein Yerstlndnls der dentsehen Sprache, eine tiefer gdiende Kennt»
nis derjelbcn sich aneignen wollen. Zu diesem Zwecke sind die nlid. Formen
durch ältere Sprachfonnen und durch Hinweise auf den Dialect erläutert, wo-
bei dem gegenwärtigen Stande der Forsehnng Rechnung getragen ist; dem
Ausländer schwierige ('onptnictimipn sind eingehender besprochen, auch der
Aussprache des Deutschen ist ein groUer Kaum gewidmet und die Lautlehre
in wifssenschaftlicher Weise erörtert. Paradigmata sind nicht aufgenommen,
aiicb ist Wichtiges und minder Wichtiges durch den Druck nicht geschieden,
was jedenfalls die Übereichtlidiheit erschwert, besonders weil auch der Ver-
fteser das Durchschießen und die Nniaerirung der einzelnen Unterabtheüungen
rerschmäht. Anerkennung dagegen verdient die Fassung der Regeln. Vgl
z. B. die Uber den Qebrauch des Coigunctivs (Seite 18ö) gegebene. Seite 178
nad Sstte 179 ist die CtoMliaeitoi jvn nbegegaea" swefanal eagefllhn — r.
Kraasc-Kerger, DentBche Grammatik für Ausländer jeder Nationa-
lität. 4. Auflage, Rostock 1889, Wertlier. S.liO Mk.
Die vorliügeode (irainmatik ist in ihrer vierten Atillagc einer der empichlena-
wertestea Leittädcu. Wissenschaftliche Gruudhige und Verständnis dessen« was
der das Deutsclie erlernende Ausländer bcoötiiigt und in einer Grammatik
sucht, also Abweichungen des deutschen Sprachgebrauches von dem seiner
Muttersprache iu der Construciion und Wortstellung, ausKikrlit he Behandlung
der Ausspiache und Betonung sowie des lexikaUschen Momentes zeichnen sie
TOiHieinum; ans. Gin paar Bemerkungen, die einer baldigen fOniten Autlage
zu |?ute kommen mögen, wollen wir unserem Lobe beifügen. Wir würden
Seit« 5 nicht swei Arten, das y auszusprechen, angeben, Seite 7 heißt es: -oa
klingt wie ftn*. Wie klingt aber in? In der Satslelue wttrden wir mit den
Tcrmiui „uarkter und erweiterter einfacher Satz'' brechen und den Torminus
Copula beseitigen. (Siehe Kernä Darlegungen.)^ Endlich, und das halten wir
iOr das Wichtigste, sollte der Verfasser aus seinem Buche „fflr Auslinder*
die kritischen Angaben für die Termini und deren verMchiedenen Sinn bei den
einzelnen Uramuiatikem beseitigen, desgleichen auch die Notizen, in denen er
angibt, dass dieser oder jener Satz von diesem oder jenem (iranunatiker aadl
in eine andere Kategorie eingereiht werde. Solebe Auseisandenetsungea ge-
hören nicht iu dieses Buch, ja sie stören, — r.
Dp. Alex. Wernicke, Prof. zu Hraunschweif^, (Goniometrie und (Tinnd-
züge der Trigonometrie innerhalb der Ebene. Für obere Ciabseu
hSherer Lehranstalten. 175 S., 20 Fig. im Text. Brauuehwelg 1888,
C. A. Schwetschke & Sohn. 2,40 Mk.
Im Vorworte sagt der Verfasser, dass er sein Buch 7,unäi:h>( t'i\r seine
Schüler am Gymnasium zu Bruunschweig veröfleutlicht liabe, um denselben das
Nachschreiben zu ersparen. Es wird auch daselbst iingegeben, welche der
einzelnen Paraijraplien des Biu-hes in Ober->k*ciiuda, ITnter- und Ober-Prima
vorzunehmen sind. Es scheint uns aber gar nicht zweit'elhalt , da-sH dickes
Werk auch an anderen Lehranstalten Freunde gewinnen wird. Wie der Titel
besagt, ist die Goniometrie ausführlicher erörtert als die Trigonometrie. Die
27 ersten Seiten des Buches befassen sich mit der Entwickelung eines Maß-
systemes für den Winkel; au deren Schlus.-» wird die Entstehung der Schnen-
tafel des Ptolomäus, sodann der Begrül des Sinus vorgeführt. Es folgt nun
die Ableitung der gu uiometrischen Formeln nebst Betrachtung des Verlaufes
der Functionen in diu vor^t lii> ileucn Quadranten. Dieser Abschnitt i-nthält
einige aelten Torkoumeude Figuren, den Verlauf der Sinus- und Tan^enten-
CuTTO dantellend. Die graphisehe vorftthrung der Wiahelftinetionen gibt Ge-
legenheit, auf da.s (Koordinatensystem desCartosins und auf Pular « 'oonlinaten
ttborzugehen. Letztere führen zur Hoivre'schen Formel und zur Autiusuug
binomialer Gleichungen vom 6. und vom 17. Grade, endlich zur Entwickelung
der Reihe für Sinus und Tosinus und der logarithmischen und Exponcntial-Keihe.
Die Trigonometrie, obwol kürzer getasst, enthält doch alle s:ebräuehlichen
Formeln und auch sahireiche Anwendungen derselben. Der Verfasser, welcher
am Gymnasium und an der tei-hnisclu n Hoclischulc zu Braiinsrhweio; al- Lehrer
thätig ist, besitzt nicht nur eine ausgebreitete Kenntni.s der mathematischen
Literatur, sondern vor allem einen edlen Schaffensdrang, weither ihn zwingt,
sich an der modernen Ausgestaltung des itiathematis* heu l'nterriehte.s mit su
betbätigcn. Sichtbar mit Liebe für seinen (gegenständ hat er sein Buch bear-
beitet, durch literarische und geschichtliche Nadirichten den Text erweitert
und durch eine Idare und ein»che Vortragsweise die Benützung des Budies
Mdit und angenelim gemacht. Wir können im Interesse des Unterrichtes und
der Wissenschaft nur wünschen, da.ss das Werk eine re<lit ausgebreitete Ver-
wendung finde, glauben aber die Fach genossen insbesondece aufinerksam machen
SU soHen, dasa man in Auafllhrung und Behandlung bdm Yerfimer origineUe
ymatwoffU. BadMtww Dt. FrUdriok DttUs. BmMradMnl Jvllnt Klinkhardt, Mpsic.
Oedanken findet
Uber erziehenden Unterricht
Von Oberiehnr em. G. A, Krett^tmtir'Bmatm.
(8eUMS*)
IL Der erziehende Einfluss des Lehrers uebeu dem
Unterrichte.
it mit Unrecht hat man behauptet, dass die drei ersten
Lebenigahre des Kindes ftir seine Erziehung die wichtigsten sind. In
diesem kurzen Zeitraum bildet sidi bereits die Gmndlage zn seinem
künftigen Gemüth und Charakter, und ▼enn ^ir anch zugeben mflssen,
dass bei den meisten Kindern fünf his sechs Jahre zn dieser Begrün-
dung erforderlich sein möchten, so bleibt doch sicher, dass der wich-
tigste Theil der Erziehung gar nicht in der Gewalt der Schule liegt.
Was das Kind in seinem Leben vor der Schulzeit geworden ist, da»
bestimmt die Richtunp-, in welclier seine Bildung fortan weiter-
schreitet. Die früliesten Eindrücke sind die dauerhaftesten ; sie lassen
Spuren zurück, welche sich bei allem <j:eltend machen, was tVraerweit
in die Seele eintritt, indem sie dieses entweder anziehen oder abstoßen
(ihm widerstreben). Dies sieht freilich nicht so aus, weil das Kind
sich anfangs so unstät, so leicht umstimmbar zeigt, vom Lachen zum
Weinen, vom Weinen zuni Lachen übersjtrinp:t und bei keinem Gegen-
stande lange zu verweilen verma^^ Allt in dies beruht nur darauf,
dass die zur Zeit entstandenen Gebilde ni»ch aus wenig gleichartigen
Spuien bestehen, es beruht nicht auf Veitilgbarkeit der Spuren. —
Spurenarme Gebilde lassen sich natürlich durch andere leicht aus
dem Bewusstsein, der Erregtheit verdrängen und werden dadiuch tür
den Augenblick unwiiksam; dadurch lösen sich aber die Spuren,
wenn sie auch nur einigermaßen vollkommen entstanden sind, nicht
*) Vgl. NovmberlMft & 73 fT.
— 842 —
auf, sie behalten ihr bestimmendes Dasein und machen es bei der
Wiedererregung sofort geltend. Diese Fortwirknng bemerken die
Erzieher gewöhnlich gar nicht oder erst dann, wenn es leider zu spät
ist. Schon in intellectueller Beziehung bestätigt dies die Erfahrung
an den Schulkindern. Da sitzen geweckte, muntere, geistig regsame
Anfänger neben matten, stumpfen, trägen; die letzteren, heißt es
gewöhnlich, sind von der Natur vernachlässigt, kärjrlich begabt,
während es sehr wahi^cheiulich ist, dass sie unter besserer Leitung
jenen, wo nicht gleich, doch ziemlich nahe gebraclit worden sein
wüitlen. Wo soll die geistige Munterkeit herkommen, wenn die junge
Seele nur Spuren von dumpfem Hinl)riiten, v<»u schlaffem, mangelhaftem
Angeregtsein bilden konnte, wie solches in Familien vorkommt, wo
man den Kindei n alle geistige Thätigkeit verkümmert, indem man sie
zu möglichstem Stillsitzen, Schweigen etc. zwingt? Diese Spuren
wieder wegzuschaffen, ist ein Ding der Unmr>glichkeit. Der Lehrer
kann sie nur dauernd ins Unbewusstsein zurückdrängen, wenn es ihm
gelingt, bessere, schwunghaftere daneben zu erzeugen, und das ist
häufig sehr schwer, wo nicht unmöglich, weil die neuen Urvermögen,
die sich tAglich anbflden nnd aaf deren Grundlage die Weiterbildung
«rfolgt, in der Begel das Gepräge der rerkehrt entwickelten an-
nehmen nnd daher schwach, langsam oder stumpf, wie die verdorbenen
auftreten.
Wenn es nun Hauptaufgabe für die erzieherische Thätigkeit des
Lehrers ist, den Kindern die Schule und das Lernen Tor allem lieb
zu machen, so ergibt sich leicht, was er zu thun habe. Er muss
sich der Verwahrlosten mit besonderer Sorg<, Liebe und Geduld
annehmen, schon deshalb, um sie fBr die Besseren nicht zum Hemm-
schuh der Bfldung werden zu lassen. Nichts ist häufiger, als dass
unverständige Lehrer die armen Kinder entgelten lassen, was deren
Eitern verschuldet haben. Sie vernachlässigen dieselben, behandeln sie
kurz und kalt, statt dass sie ihnen mit Wolwollen und Freundlichkeit
entgegenkommen und sich ihr Vertrauen, ilire Zuneigung erwerben
sollten. — So mancher Lehrer, der in der methodischen Kunst gar
kein Meister ist, fesselt seine Kinder doch an den Unterricht, erhält
sie bei Aufmerksamkeit und Lernfleiß und fördert sie dadurch nicht
blos im Wissen und Können, sondern auch in guten Gesinnungen.
Wieso V Weil sich durch sein Verhalten zwischen ihm nnd den
Schülern ein Band der Liebe geknüpft hat, das die letzteren unbe-
wusst fortzieht und in iliren Seelen alles zurückdrängt, was dem theuren
Führer, der aber den IScUlechten auch seinen Ernst tuhlen lässt, un-
343 —
angenehm sein könnte. \\ ie eiziehend wird vollends der wirken, der
hiermit uucii gutes Lehrgejichick verbindet und dadurch do|>i)elt das
tägliche (lefülil erzeugt: wir sind heute weiter gekommen, unsere Kraft
ist abermals ;it^ wachsen.
I>as Leliitah'nt ist freilich zum Theil Sache der individuellen
Anlage, zum 'J'heil l)eruht es aber auch auf wichtigen späteren P^rww-
huugen. Unter diesen zeichnet sich namentlich das aus. was man
<len Lehrton nennt, von dem M-lum im Vnrhergelieiideu d'w Hede
war. Noch viel zu wenig ist eikaiiiit. wie viel dieser Lelirtun, je
nachdem er ist, die sittlicli«- Hililiiiig der .lügend fiinlern. hemmen
•«»iler wol gar verderben kann. gibt so gut eine geistige An-
steckung wie eine leibliche, und es ist ^rar nicht nöthig, dass der
Lehrer sein sittliches Gesinntsein, sein Ihuiitinden und Wollen immer
bestimmt ausdrücke, es prägt sich schon unwillkürlich in seinem
ganzeu Tliuu und Lassen aus. Die Lehrer zerfallen indes in dieser
Beziehung in zwei Classen. Mancher unterrichtet so, dass er nur
den Gegenstand durch sich hindurch sprechen Hast und alles ver-
meidet, was davon abführen konnte; von seinem Gem&th imdCSimkter
tritt dabei weniges bemei'kbar hervor. Ein anderer mischt fort-
während mehr oder weniger sich selber oder seine Perattnlich-
keit ein, erzählt von seinen Lebensverhältnissen, seinen Schicksalen,
seinen Gefühlen, seiner Handlungsweise, ist freigebig mit Witz and
Schei'z etc. — Führt dies zn weit von dem eigentlichen Gegenstände
des Unterrichtes ab, so knnss die strenge Didaktik es als einen Fehler
bezeichnen, und es kann wirklich naichtheilig wirken, indem es das
zn Lernende verkürzt und den Emst fOr die vorliegende Sache bei
den Kindern abstumpft Bleibt es jedoch in den gehörigen Schranken,
so wUrzt es nicht nnr das Trockene der Sacke, sondern es gewinnen
auch die Einder, welche die entsprecheudeu Vorbildungen hinza-
bringen, an moralischer und gemfithlicher Bildung dadurch.
Während die bloße Sache durch ihre Einförmigkeit vielleicht lang-
weilen würde, bekommt sie hier mehr KiTegtheit und Lelx ji. und das
ist für viele Individuen entschieden Bedürfuis. Fällt so der Lehrton
•gewissermaßen mit dem Beispiele des Lehrers zusammen, so reicht
doch das Beispiel viel weiter, denn es erstreckt sich nicht blos auf
das, was der Lehrer während des Unterrichtes sagt und thut, sondern
umfasst seinen ganzen Lebenswandel, soweit er den Kindern unmittel-
bar odei" mittelbar bekannt wird. Das Beispiel steckt ebenfalls an
und kann als gutes die Schüler zum Edlen erheben wie als schlechtes
zum Miederen hei'abziehen. Beispiel und Lehrtou zusammen drücken
2ö*
. kj ^ .d by Güogle
aber dei' Schule das bestimmte geistige Gepräge auf, das man in jeder
findet: die Freudigkeit und den Schwung der Jugend, wie auf der
anderen Seite das vei düsterte, niedergedrückte Wesen, was beiderseits
der Kenner sofort entdeckt, wenn er in eine Schule eintritt.
Kein Lehrer ist imstande, seine Stimmung, die oft eine durch
bittere Erfahrungen getrübte ist, so vor den Kindern zu verschließen,
dass sie gar nichts davon bemerken, gar keine Lähmung dadurch an
sich erfahren sollten. Möglichste Selbstbeherrschung ist aber hier für
den Lehrer heilige Pflicht. Schmach dem, der die Schuldlosen durch
ein mürrisches Wesen entgelten lässt, was andere an ilim gesündigt
haben. Ebenso ist es heilige Pflicht flir ihn, dass er sich um die
moralische Individualität seiner Schüler bekümmere, sie berück-
sichtige und leite. Wie verschieden verhalten sich auch hier die
Lehrer! Da gibt es manche, die genug gethan zu haben glauben,
wenn sie nur ihre Stunden geben. Sie sorgen dafür, dass während
des Unterrichtes Stille und Aufmerksamkeit herrsche, dass die erfor-
derlichen Vorbereitungen und Ausarbeitungen nicht unterlassen werden;
alles Übrige aber, glauben sie, gehe sie oichts an. Wie wird es mn
die erziehlichen Wirkmig^ des Unterrichtes bei diesen stehen?
Es gibt Tugenden, welche die Kinder anch in der Sdinle praktisch
flben können und welche nmsomehr yon ihnen gefinnlert werden mfissen,
je weniger sie dieselben oft ans der hAosUchen Erziehnng mifbringen,
wohin namentlich die Beinlicbkeit des Körpers und der Kleidnns^
gehört Ebenso wird Höflichkeit, Verträglichkeit, Bescheidenheit,
Wahrhaftigkeit, DienstgeßUIigkeit und die Sehamhaftigkdt gar oft
Ton ihnen yeiietzt, und der Lehrer kann hier das Bessere nach-
drücklich befördern, wenn er darauf hält und es dnrch sein eigenes
Beispiel lieb und wert macht Mancher sieht dies als seine Haupt-
anfig;abe an und wir preisen ihn darum. Fortwährend wendet er seine
gespannte Aufinerksamkeit auf diese Dinge; er controlirt das Be-
tragen der Kinder eben so sehr als ihre Fortschritte im Lernen und
weiß Fehler mit Ermahnungen, mit Tadel und Bestrafungen zu be-
seitigen. Die Besseren dage^n ii weiß er durch Lob und Belohnung
zu ermuntern, sie anf dem Wege zum Guten festzuhalten und zu
stärken. Dabei aber verkennt er nicht, dass Strafe und Lohn ihr
Bedenkliches haben, weil sie von der Schätzung der Sache abführen,
als Xebenmotive den Charakter eben so verderben als veredeln krtnnen.
De.shalb sorgt er zugleich dafür, dass die theoretischen und i)r5ik-
tischen Sachen sich von selbst empfehlen, durch ihren Erfolg lieb und
theuei* werden, damit alle nicht aus der Sache fließenden Beweggründe
— 346 —
nach und uach wegfallen können. vSo erzieht ei* iu imd neben dem
Unterrichte auf die erfreulichste Weise.
Was der Schüler auf diesem Wege theoretisch und praktisch
durch den Lehi-er gewinnt, kann und wird allmählich zu bleibender
Eigenschaft in ihm werden, denn er kommt von den mehr und mehr
angesammelten Spuren nicht melir los. Eine der schönsten Eigen-
schaften, zu welchen er so erzogen werden kann, ist der denkende
Geist, der vom Lehrer auf ihn übergeht: die Liebe und der Eifer
fiirs Foi-schen und Erkennen überhaupt, welche immer mehr vom
Gemeinen und Niedrigen abziehen und hierdurch ein bedeutender
Hebel für die gesammte Äloralitat in ihm werden. Ist der Lehi-er
ein Mann, der durch sein ganzes Beispiel zeigt, dass ihm nächst der
Sittlichkeit nichts höher steht als klare, wol begriffene Erkenntnis,
die er der gröfiten Aufopferung für wert hült, so kann es nicht fehlen,
dass sich dieier Siim allmftUiflii auch auf seine Schäler uberträgt.
Ein soldier Lehrer dtst nach den Sdralstnndai nicht beim Bterkmg
nnd Kartenspiel, wodurch manche Schnhnänner den Siiu fttrs Weiter-
streben nntergraben, sondern sncht seine Erholung auf mehr bildendem
Wege: im Umgänge mit redlichen Menschen, in Qottes freier Natur,
in nfltiUeher LectQre, in anständigen Beschäfügongen, die anch dem
KOrper Bewegung yerschaften etc. So viele, die an der Bildung der
Menschheit an arbeiten berufen sind, sind denk&nl, wissenschaftlich
liederlich, blinde Nachbeter dessen, was andere Ar Wahrheit aas-
geben, wie konnte sonst die ZurackfBhrung längst erwiesener Lr-
thttmer immer wieder gelingen? — Wo gute Lehrer gewirkt haben,
ist das Volk von diesem GNuste unangesteckt geblieben; es widerstrebt
denVerflnsterongsversuehen, und die Herde zeigt sich hier oftachtnngs-
werter als die sich aufdrängenden unberufenen Hirten. Dieser Erfolg
atammt weniger ans dem, was das Volk prelernt hat, als vielmehr aus
der Wertschätzung, die ihm für die Wahrheit übeiliaupt durch den
Eifer eingeprägt ist, welchen seine Lehrer für dieselbe an den Tag
gelegt haben. So wird das Intellectuelle moralisch bildend, den
Charakter kräftigend, das Gemüth erwärmend und hierduich zu allem
Höheren emporziehend. — ZomSchloss werde nun noch kurz betrachtet:
m. Der erziehende Einfluss, den iu den Schulen die Schüler
auf einander ausüben.
Wer erziehen will, muss Ii ( »her stehen als der zu Erziehende, das
Terstebt sich von selbst. In den Volksschulen stehen die Kinder
..ij,.,...d by
einander an Bilflnng- zu nahe, als dass von einem H<iherstehen viel
die Rede sein kr.nnte; sie leben in getrennten ('lassen, die meist nur
in den Zwischenstunden mit einander in JU'riihrung kommen, und wa»
etwa die größeren Schüler, die man zuweilen als Oehilfen oder Auf-
seher gebraucht, zum Besten der Kleinen thun kraiueu, ist von wenig
Bedeutung. Es fehlt namentlich der Kespect, den solche Stellvertreter
linden müssten. Daher ist auch die ..wechselseitige Schulein-
richtung", die vor dreißig und mehr .Jahren so viel von sich reden
machte, gänzlich verschollen. Der erhoftte (lewinn trat nicht ein
und sehr natürlich. Niemand nimmt gern Deine von seinesgleichen
»n, wenn derselbe nicht eine bedeutende Überlegenheit des Innern
zeigt oder ein vertrauter Freund ist, und beides fehlt bei den Schul-
kindern, weil deren Menge es zu keinem recht innigen Einswerden
zwischen den Einzelnen kommen lässt. In den Familien ist das ganz
anders. Ist hier das erste Kind gut erzogen, so wird man mit den
nachfolgeDden nur halb so viel Mühe haben. Die älteren Geschwister
nehmen sich der jüngeren gern liebreich an, denn schon die Natur
führt sie inniger zusammen, und es ^tsteht in den jüngeren leicht
ein Streben, den filteren nachzueifern, wodurch jene unvermerkt hoher
gehoben werden. Gleiches zeigt sich auch unter den Gespielen, die
keüie Geschwister sind, wenn nur dafftr gesoii^ wird, dass die Ton-
angeber wirklich durch Sittsamkeit und Verständigkeit sich aus-
zdchnen und alle Störenfriede fernbleiben. Dass auch in den Schulen
solche Verhältnisse sich bilden kOnnen, ist zwar nicht zu leugnen^
es kommt aber hier weit seltener vor. Zu solcher Annäherung lassen
diese Anstalten, weü alle Kinder mit geregeltem Lernen beschäftigt
sind, wenig Zeit und Itaum. Kinderbewahranstalten, Kleinkinder-
schulen sind mehr Familienkreisen ähnlich und fbrdem daher ancb
die wechselseitige Erziehung der Kinder mehr als die gewöhnlichen
Schulen. Verwilderte Schulen lassen sich durch keine Kinder, sondern
nur durch einen kräftigen Lehrer in Zucht und Ordnung erhalten.
Wie steht es nun aber in denjenigen Schulen, welche recht
eigentlich zur Erziehimg be-timmt sind, in den sogenannten Inter-
naten (Alumnaten) oder Schulen mit Glausur? Hier kommt es vor,,
dass der gutmiltbige, aber noch wenig weltklnfre Srhiiler von seine»
Mitschillem gehänselt, zum Stichblatt gemacht, dadurch geärgert und
verliittert wird; hier geschieht es, dass der Fleißige sich allen Chi-
canen und selbst körperlichen Misshandhuigeii vun Seiten der Faulen
ausgesetzt sieht, weil diese sich durch ihn beschämt fühlen etc.
Solchen Geist auszurotten, wo er einmal eingewurzelt ist, hält außer-
— 347 —
ordentiich schwer. Dass es auch bessere Schulen dieser Art gibt, ist
gewiss; aber eben so gewiss ist es auch, dass alle ganz strengen
Inteiiiate schon an sich etwas UnnatQrliches sind. Sie sollen ein
FmmilieDleben darstellen, allein man vergisst, dass eine Familie von
siebzig und mehr Kindern oder Jünglingen ein Unding ist Znr
Familie gehört jederzeit anch das weibUche Geschlecht mit seinen
sinnigen, mtttterUchen Einflössen nnd Besorgungen; aber dieses Ge-
schlecht ist in solchen Anstalten gerade nmsomehr fem gehalten,
je erwachsener die JQnglinge sind, die man klösterlich dnsperrt Die
Familie wird also hier znr Caricatnr, nnd solche WidematQrlichkeit
bestraft sidi mehr oder weniger durch verderbliche Wirkungen. Man
berufe sich doch nicht auf England, wo die (höheren) Schulen mit
dausur fOr die besten gelten. — Wir Deutschen sind keine Eng-
länder; wir saugen das Princip des vom Gesetze geregelten Self-
goremmoit nicht, wie es dort geschieht, mit der Huttermilch ein;
anch will man dort nicht wie in unseren Internaten die gute Schul-
sucht durch bis ins Kleinste gehende Au&icht erhalten und beleben,
sondern sieht nur anf strengste Beobachtung einiger weniger Gesetze,
die lediglich das Allgemeinste feststellen, während in allem Übrigen
den Schfllern völlig freier Raum gelassen wiid. Und trotzdem haben
bereits gewichtige Stimmen in England selbst auf das Bedenkliche
aufimerksam gemacht, das mit solcher Schuleinrichtung verbunden ist,
und es liegen zahlreiche Erfahrungen dort vor, dass der Schaden oft
den Nutzen überwiegt. — Kommt nun in Anstalten mit Internat noch
Zwiespalt der Ansichten in dem voigesetzten Lehrercollegio hinzu,
niissbilligt der eine Lehrer, was der andere hochhält, sind sie nament-
lich in Bezug aut Religion entgegengesetzten Sinnes, so müsste es
ein Wunder sein, wenn nicht ein gefährliches Paitt-iwcseu unter den
Schülern entstehen sollte, das wol <:iir iinaii luit Beispiele erlebt Ii
von reiigiüs iinduldsanien Lehrern diiicli ein System der Spioiia^»^ ^re-
nährt wird und so die L'harakteibildung der Jugend von Grund aus
ruinirt. Da nun in unseren Taften sich die herrschende religiöse
Verfolgungssucht überall gern eindrängt, so sind gesihlossene Schul-
anstalteu, von denen man sie niclit abhalten kann, schon um deswillen
nicht melir ratlisanr. sie verstärken die vorhandenen Übel und weiden
zum Unsegen. ^\ o alles nach Öffentlichkeit, nach mehr Lieht und
Selbstständigkeit ringt, kann klosterliche Absperrung und Einengung
nur schaden. Wol lässt sich ein Internat denken, das heilsam wirkt;
das kann aber nur ein solches sein, welches die Freiheit und Öffent-
lichkeit nicht weiter beschränkt, als unbedingt nöthig ist zu einer
kj, ^ „cl by ölbogle
— 848 —
Lebensordnung, die in kurzer Zeit Früchte des i^'leißes und der Sitt-
lichkeit bringen soll, welche außerdem langsamer und unsicherer reifen
würden. Genug, für die Erziehung bleibt die Familie der beste Herd,
tür den Unterricht die Schule, und wo also der Knabe des Lernens
wegen das elterliche Haus ganz verlassen muss, bringe man ihn in
den Kreis einer neuen, guten, wirklichen, nicht blos scheinbaren
Familie, von welcher aus er die Unterrichtsenstalt besucht, das wiid
als das natürlichste auch das beste sein.
^ L,d by Google
Die deitsehe Rechtacbreibaii^.
Vuu 1\ Asmussen-Leck (Schleswig).
Vor etlichen Jahren fiel mir eine im Jahre 1580 gedruckte
dentsche ÜberaetroDg der Werira des j&disdien Geschichtsschreibers
Josephns in die Hftnde. Ich las den mir sehr interessanten Folioband
mit regem Eifer, imrde aber nicht selten dnrch die sonderbare Bechir
sehreibuig, die in dem Bache zur Anwendung kam, am Weiterlesen
gehindert. Nicht nur wurden yiele, ich kann wol sagen, die meisten
Wörter anders geschrieben, als wir das hentsntage gewohnt sind;
nicht nur war es mir unmöglich, die Anwendung der Buchstaben u,
V und w in eine feste Regel zu bringen: auch die einztliien Wörter
wurden nicht immer gleicli buchstabirt, manchmal fand ich auf einer
und derselben Seite ein und dasselbe Wort verschieden geschrieben.
So erinnere ich mich für das Wörtchen und heute noch vier ven»
schiedener Schreibweisen: und, vnd, vndt und vnndt, will aber durch-
aus keine Garantie dafür übernehmen, dass der Varianten nicht noch
mehrere gewesen sind. Späterhin sind mir mehrere Drucke aus dem
16. Jahrliundert zu (Besicht gekommen. Die ('berzeugimg, die sicli
mir aus der Betrachtung derselben aufgedränf^t hat, ist. dass es um
.die Zeit eine allgemein giltio^e. nur einigerniaLJen geregelte Bedit-
schreibung der deutschen Sprache nocli nicht gegeben hat.
Als Luther seine Bibellibersetzung begann, schuf er für dieselbe
keine neue Sclirift spräche, sondern richtete sich nach der Sprache der
sächsischen Kanzlei, welcher nachfolgten alle Fürsten und Völker
I^eutschlands, Doch darf nicht verkannt werden, dass eben durch
Luther diese neuhochdeutsche Sprache deutsche Schriftsprache gewor-
den ist, so zwar, dass anfangs die Schriftsteller nicht sofort sich von
ihrem heimischen Dialekt lossagten und dass sie sich zunächst mehr
den Wortschatz als die Rechtschreibung der neuen Schriftsprache an-
eigneten. In der Kechtschreibung niusste eine Einigung noch erst
erzielt werden, und dazu habeu die Grammatiker der folgenden Jahr-
hunderte das ihrige redlich beigetragen. Unter den Namen der yer-
. kj ^ .d by Google
dientesten Männer in dieser Riclitun^ müssen Selioiielius. Gottscbtd
und Adelung genannt werden, so wenig man sonst von den beiden
letzteren zu lialten pflegt und so sehr man den erstert ii vergessen
haben mag. Adelung konnte schon 1787 in seiner „Vollständigen An-
weisung zur deutschen Orthograiiliie" die Haui)tregel: Sehreibe, wie
<lu sprichstl und die beiden Ausnalinieregeln: 1. Abgeleitete und zu-
sammengesetzte Wörter werden ihrer nächsten Ali^tammung gemäß,
2. Wurzel Wörter und alles, was als solche betrachtet werden n»uss,
werden nach dem allgemeinen Gebrauch geschrieben! fe:^tstellen. Das
ist der Standpunkt, auf dem wir noch heute stehen, denn auch die
sogenannte neue Rechtschreibung hat daran niclits zu ändern gesucht.
SoUea diese Begeln nun bestehen bleiben oder kdnnen sie yeriaesen
▼erden? Dass die deutsche Bechtschreibung einer Yereinfacbiuig ftbig
ist, wird wol nicht geleugnet werden können. Wird sie aber ein-
facher, so wird sie leichter erlernbar nnd damit nach mdner Ansicht
besser. Ich nenne die ein&chste Bechtschmbung die beste. Nun
will ja Adelung schon schreiben, wie gesprochen wird. Das ist sehr
einfach. Anch wenn er abgeleitete nnd zusanimengesetzte WOrter
nach ihrer nächsten Abstammung schreiben lassen will, ließe sich
vielleicht nichts gegen ihn einwenden. Aber wenn Wurzelwörter und
dergL nach dem Schreibgebrauch geschrieben werden sollen, so int
mit dieser Ausnahme von der Hauptregel jeder Willkfir Thür nnd
Thor geOffbet, denn der Schreibgebrauch Iftuft doch mitunter dem
„Schreibe, wie du sprichst" recht sehr entgegen. Der gedehnte i-Laut
kann durch i, ie, ieh und ih wiedergegeben werden, allein der Ge-
braucli entscheidet, welches von den vieren in einem bestimmten
Worte stehen nniss, das Ohr lässt uns im Stich. Wir siirn lieii Magd^
aber Jagd, keine Hegel, nur der Gebrauch sagt uns, dass das a das
einemal lang, das anderemal kurz zu sprechen ist. Und so ließen
sich Beispiele in Menge finden, wo es ohne Kenntnis des Sprach-
gebrauchs weder möglich ist, ein gehttrtes Wort richtig niederzu-
schreiben . noch ein gesehenes richtig zu lesen. Dass es aber bei
gutem Willen möglich sein wird, alle i-Lante bis auf einen zu be-
seitigen, dass es m<"»glich sein wird, dit^ Länge nnd Kürze eim's Vocals
auch «iraphisch darzustellen etc.. wird man iiieht l(!U<:nen w<»llen. Die
deutsche Rechtschreibung ist also einer Vei lu >>ei nng fähig. Aber sie
bedaif auch einer solchen. W as für ^liihe macht es die Kinder zum
richtigen, orthograpliisch i-ichtigen Schreiben zu bringen, und wenii
sie die Schule veilassen haben und in einem Beruf stehen, in den:
sie wenig mit der l?"eder umzugehen haben und nicht viel lesen,
— 351 —
pflegt der Schreibgeliraiich bald in Vergessenheit zu geiathen, nnd
die Briefe mit der manchmal clasaischen falschen Rechtsclueiltung
sind an der Tagesordnung. Da nun ferner die Regelang der Kecht«
schreibong Ton behördlicher Seite in die Hand genommen wird, so ist
eine streng einheitliche Regelung derselben nicht nur wünschenswert,
sondern erforderlich, weil wir uns sonst der (Ufalir aussetzen, eine
ganze Reihe von verschiedenen deutschen Kechtsclireilmn<:en zu be-
kommen. Heute schon stimmen preußische und bayerische zwar in
allen wesentlichen Punkten miteinander übereiu, aber nicht in allen
Wortschreibungen. Ich meine daher: Die deutsche Keclitschreibun?
ist einer einheitlichen Regelung und Verbessei uiiii: fähig und bediirttig.
Nun könnte man sagen und man hat in der That schon gesagt:
Was nützt das alles, da man doch nicht die Leute zwingen kann,
sich der einheitlich geregelten, verbesserten Rechtschreilmiig zu fügen?
In der That sind wir r)entschen in dieser Hinsicht etwas eigensinnig
beanlagt. Kaum taucht eine Neuerung auf, so fallen die Männer vom
kritisclKMi Handwerk darüber her und lassen wenig gute Haare daran.
tiUchen wenigstens nachzuweisen, (iass man nicht nöthig habe, sich
danach zu richten, 80 ist die amtlich vorgeschriebene Rechtschrei-
bung weit davon entfernt, sich der Nachachtung aller zu erfreuen.
Ich bin Mitglied eines Joumallesezirkels und bekomme außerdem in
Jahr nnd Tag manche Zeitschrift in die Hand. Nach der neuen
Orthographie richten sich wenige, einige gehen, und zum Theil um ein
Bedeutendes, darftber hinaus, andere haben einiges angenommen, noch
andere bedienen sich noch der alten Schreibweise nnd abermals andere
haben eine Bechtschreibnng, wie sie zn Olims Zeiten Mode gewesen
sein mag. Ist es da nicht besser, alles beim alten zn lassen, wenn
Neues nnd Besseres so schwer Eingang findet? Mit nichten. Ist die
deutsche Rechtschreibung einmal einheitlich geregelt und verbessert,
so kann sie in den Schulen dngef&hrt werden. Die Kinder nehmen
sie mit in das Leben hinaus nnd werden späterhin wenig Lust haben,
umzulernen und die Schreibweise, die sie in der Schnle gelernt haben,
mit einer neuen und schwierigeren zu vertanschen. Dass eine neue
Rechtschreibung nicht gleich bei allen Schreibenden in Anwendung
kommt, ist klar, aber wenn erst einmal die Generation ans Rnder
kommt, die nur die neue Schreibweise gelernt hat, so wird sie schon
nach und nach zur allgemeinen Geltung gelangen. Auch die Verlags-
buchhändler können und werden dann nicht Iftnger gegen den Strom
schwimmen. Freilich, wenn heute eine neue Rechtschreibung einge-
tVihrt wfirde, dilrften immer noch etwa 50 Jahre ins Land gehen.
— 352 —
bevor sie allgemein wird. Daas eben ein Übergangsstadiom auch
hierbei nicht zu yermeiden ist nnd daas ein solches hier seine Un-
annehmlichkeiten hat, das iSsst sich nicht in Frage stdlen. Aber
doch glaube ich: £ine einheitlich geregelte nnd verbesserte deutsche
Bechtschreibnng würde im Lanfe der Zeit allgemeine Annahme finden.
Bevor wir nnn darangehen, Beformvorschläge zn machen, gilt es
zon&ehst, das Übel za erkennen, an dem unsere bestehende Becht-
schreibnng krankt Sehen wir einmal zo, wie die Bechtschreibnng
irgend einer Sprache entsteht Als man sich daran machte, die Sprache
durch Lautzeichen wiederzugeben, steckte man sich das Ziel, für jeden
gehörten Laut ein sichtbares Zeichen zu erasnen. Freilich war man
dabei eben in den meisten Fällen nicht sehr penibel,, indem Ähnlich
klingende Laute manchmal nur ein Zeichen bekamen, welches dann
verschiedene, immer aber im Klang ähnliche Laute bezeichnete. Trotz
dieser Un Vollkommenheit können wir doch den Satz aufstellen, dass
einmal in jeder Sprache jeder Laut sein bestinuntes Zeichen gehabt
hat und dass man beim Niederschreiben eines bestimmten Wortes
jedem Laute desselben dieses Zeichen gab. Dieses System der Becht-
schreibung nennt man das phonetische. Nun aber bleil)t eine ge-
sprocliene, eine h^bendige Spraclie nicht für alle Zeiten dieselbe, sie
macht vielmelir im Laufe der Zeiten mannig-fadie Anderung'en durch.
Hier kann nun die Rechtsclireibunf^ einen doi»pelteii Weg einschlagen.
Sie kann die alte, der früheren Sprache angemessene Schreibung: bei-
behalten, wenn sich auch die inzwischen geänderte Aussprache noch
SU weit von der früher geltenden entfernt. Und das ist die liistorische
Schreibwt'i.se. Ihr i.st es zum großen Theil zuzuschreil)en, dass z. B.
das Englisclie eine nach unserer Auffassung so unendlich confuse
Rechtschreibung hat. — Oder aber die Reclitschreibung suclit den
geänderten Lauten der gesprochenen Sprache gerecht zu werden und
diese geänderte Sprache ebenso treu durch Buclistaben wiederzugeben,
wie die frühere Schreibweise die Sprache ihrer Zeit auszudrücken
suchte. Und das ist die plionetische Schreibweise. Welcher von beiden
folgt unsere Rechtschreibung? Wenn Adelung den dominirenden Gnind-
satz aufstellte: Schreibe, wie du sprichst! so gab er offenbar dem
phonetischen Systmn den Vorzug, indem er einüeudi das sanctionirte,
was im Laufe der Jahrhunderte entstanden war. Doch war zu seiner
Zeit so wenig .wie heute ein rein phonetisches System gäng und gäbe,
und da er nicht die Absicht hatte, etwas Neues zu schafiiBn, sondern
nur etwas Bestehendes im festen Bestand sichern wollte, so be-
schränkte er seine Hauptregel durch die Ausnahme, Wnrzelwörter etc.
— Sft3 —
s^en nach dem Schreibgebrauche zu schreiben. Aber gerade die
Anwendung dieser Ansnahmebestimninngr ließ eine rein phonetische
Schreibweise nicht aufkommen. Dieser Bestimmung haben wir die
verschiedenen Dehnun^zeichen und solche Wortschrcibimg-en zu ver-
danken, auf die unsere Schüler, wenn sie nach dem r4ehrir schreiben
sollen, so schwer kommen. Trotzdem man ja eigentlich unter liisturischer
Schreibweise etwas anderes versteht, so möchte ich es doch als eine
Art historischer Sclii-eibweise bezeichnen, ich weiß für die Sache niimlich
keinen besseren Ausdruck, wenn man Vieh mit eh am Ende schreibt^
wenn man Moos mit einem Doppel-o schreibt, während das j^t-iiau
ebenso gesprochene Los nur ein einfaches erhält, wenn wir diei ver-
schiedene f-Laute haben, ohne den Kindern durch eine Regel beibringen
zu können, wo jeder von ihnen zu gebrauchen ist, u. dergl. m. Ich
glaube darum aussprechen zu dürfen: der wunde Punkt der gegen-
wärtigen Rechtschreibung ist das Schwanken zwischen dem phonetischen
und einer Art von historischem System.
Halbes Wesen taugt nirgends, auch in der Rechtschreibung nicht.
Soll etwas gebessert werden, so moss eins der beiden Systeme voll
zur DnrclifiUming gelangen, al>er welches? In der ersten Hälfte
nnseres Jahrbmiderts erschien die bistorisehe GrumnatilE der dentscben
Sprache yon Jakob Grimm mit der wichtigen Entdeckung der Laut-
verschiebungsgesetae. Es war in dem epochemachenden Werke der
Nachweis geführt, dass die ümwandlmig der Laute in den germanischen
Sprachen nach ganz bestimmten Begeln vor sich gegangen ist Aof
Grand dieser Begeln nnd Gesetze nnn geübten Grimm nnd seine An-
hänger genaa bestimmen zn können, welche Laote einem jeden Worte
der nenhochdeatsehen Schriftsprache erb- nnd dgenthfimlidi znge-
hOrten, nnd diese Lante wollte man durch entsprechende Schriftzeichen
wiedergeben. Was also Grimm nnd seine Anhänger erstrebten, war
nichts mehr nnd nichts weniger als die HersteUmig emer deutschen
Reebtschreibang nadi dem historischen System. Aber bald erkannte
man, dass die Sache ihre Haken hatte. Die Lantwandlungsgesetze
sind durch keine Gesetzesparagraphen geschützt und durch keine
Strafandrohungen vor Übertretungen sichergestellt. Sie sind auch
nicht willkürlich gemacht, sondern die Übergänge sind nach und nach
nnbewusst erfolgt, nur der unbewusst schaffende Geist der Sprache,
so zusagen das Sprachgefühl, hat sie hervorgebracht. Deshalb fehlt
es auch nicht an Fällen , wo diese Gesetze Ausnahmen und Unter-
brechungen erlitten haben, wie ja überhaupt vollständige Folgerichtig-
keit niemals in einer Sprache durchzudringen vermag. Eine nach den
kj ^ „d by Google
— 854 —
(/tesetzeii dei- Lautverschiebung bearbeitete neuhochdeutsclie Sprache
entispricht darum durchaus nicht der von uns gesprochenen, im Gegen-
theil, sie würde uns recht unvei-.stäiullich klingen. Dazu kommt noch,
dass die deutsche Sprache niclit von einem von der Welt abgelegenen
Volke geredet wird, sondern von einem inmitten des regsten Völker-
verkehrs Vohnenden, und so ist es immer gewesen. Nun üben be-
kanntlich die Sprachen benachbart wohnender Völker einen mehr oder
minder großen fiiniliufl auf dnander ans. Aneh unsere Spradie hat
sich solchem Einflnss nicht entzogen. Ich rede hier nicht von den
vielgeschmahten entbehrlichen Fremdwörtern n. dergl., sondern mochte
nni* die sogenannten LefanwOrter ein .wenig ins Auge fassen, Wörter,
die so sehr Eigenthum unseres Sprachschatzes geworden sind, dass
ihr fremder Ursprung vielen nnbeluuint ist, ich ermnere nur an Achse,
Anker, Armbmst, Ball, Biie^ dauern, feiern, Ente^ Fenster, Groschen,
Markt, Nase, schreiben etc. Die Wörter smd uns heute unentbehrlich,
da wir die durch sie bezeichneten Begriffe mit echtdeutschen Wörtern
nicht ausdrucken können. Sie sind auch vollständig deutsch geworden
nur in Bezug auf die Gesetze der Lautverschiebung smd sie nicht
allemal mit der deutschen Sprache fortgeschritten, was zum Theil
wenigstens daher kommen mag, dass sie relativ spät aufgenommen
wurden und einige als Fremdwörter eine Zeitlang mögen betrachtet
worden sein. Wollten wir nun diesen Wörtern die ihnen nach den
Gesetxen der Lautverschiebung zukommende Rechtschreibung angedelhen
lassen, sie wftrden uns ganz unverständlich klingen. Wir sehen also,
dass es einen Weg zur historischen Schreibweise nicht gibt. Wir
Avürden dadui-cli eine völlig neue Aussprache des Deutschen schaffen,
die schwerlich Eingang fände oder aber Schreibweise und Aussprache
kämen in einen ähnlichen Conflict, wie er heute z. B. im Englischen
besteht. Nun sagten wir schon vorher, ein System müsse in unserer
Rechtschreibung das herrschende werden. Können wir aber zum
historischen nicht zuri)ck, und wir können es nicht, so müssen wir
ans dem phonetischen zuwenden.
Auch die l'uttkamersche, sogen, neue Orthographie geht von
diesem Grundsatze aus. Sie bezeichnet einen Schritt vorwärts auf
dieser Hahn. Sie hat wenigstens in einigen ^^■örte^l die Uliertliissigen
Delinungszeichen weggeworfen, sie hat sich bemüht, Regeln ;uit/.u>tellen,
aus denen eisichtlich ist, was groß und was klein zu schreiben ist,
sie zeigt überliaupt das Bestreben, den Sprachgebrauch test zu nor-
uiiren und die Orthographie dem i»linnetisclien System einen Schritt
zu näberu. Aber rein zui* Duichluhruug kommt dieses Sy:>tem nicht,
Digitized by Google
— 365 —
und das ist eine Hauptschwäclie der neuen Ortbograiihie. Beispiele:
Stadt wird mit dt geschrieben, tot mit t, varnm? Die Aussprache
iät die nftmliehe, und in der Ableitung liegt es auch wol nicht Wenn
man dn läast nnd der närrisehte ttatt du llasst und der nirrisdiste
ans plionetischen GrOnden, aller Abstammung zum Hohn pasairen
lässt, warum streicht man dann nicht das d nnd sieht auch da yon
der hftttfig recht weit zurftcklicgendoi Abstammung ab; so kommen
doch die Schüler nur in Verwürnng, wo ein d, wo ein dt und wo
ein t stehen soll Das ph sind wir aus den Worten deutschen Stammes
glftcklich los, nur Epheu hat es noch, der Grund dürfte nicht leicht
ausfindig zu machen sein. Alle Stammsilben, die Im Inlaut ein fi
oder SS haben, bekommen im Auslaut ein ß, „indes" kommt von indessen
her, mflsste also ein ß haben nnd bekommt ein s. Oleißen soll ein ß
bekommen, Gieisner ein s. Wer das nidit weiß, verfällt nicht auf
so etwas. Weshalb die Wörter Sammet, Zwillich, Grummet etc. den
Doppelconsonanten verlieren sollen, sobald sie einsilbig werden, ist für
mich nicht ersichtlich, zumal da andere Wörter hiervon nicht l>erührt
werden, die wenigstens äußerlich den erwähnten ähnlich sind. In
weniger gebräuchlichen Zusammengesetzten Wörtern kann ein Con-
sonant dreimal hintereinander vorkommen, doch soll in gebräuchlichen
Wörtmn einer der drei Gleichen ausgestoßen werden. Wer entscheidet
denn fiber das Prädicat gebräudtlich und ungebräuchlicli? Soll etwa
nur in den Wörtern dennocli, Mittag, Brennessel, Schifi'ahrt die Ver-
dreifachung unterbleiben? Icli niüchte doch wetten, dass das Wort
iStillleben ebenso liäulig' gebrauclit wird wie Brennessel. Wenn ich
gewissenhaft der neuen Orthographie nachleben will, ist mir die
Verdreitachung- immer ein Stein des Anstoßes. Warum hat man sie
nicht zur Regel gemacht oder besser ganz beseiti<j:ty Ein ebensolches
Jvreiiz ist die Bestimmun«:^. dass in Fremd\V(irtern die Lange des i in
der Kegel unbezeiclinet bleibt, aber völlig eingebürgerte wie deutsche
l»eliandelt weiden solUn Nun bitte ich Sie, ist Tiger nicht ebenso
eingebürgert wie Sie.:* !, o 1er M.isctiine als Tiej;el? Ich habe aus dem
Tiei^'el- und Wörterverzeichnis zu meinem P^rstaunen gesehen, dass
(las nicht der Fall ist. Das ])öse th soll bleiben u. a. in gewissen
Eigennamen und Fremdw(>rtern. Einige Beispiele sind angeführt.
Erschöpfen diese die Sache oder nicht? Das amtliche Verzeichnis
lässt mich im Stich und wenn mir ein „gewisser Eigenname etc." in
die Feder kommt, so kommen mir immer Gedanken an Correctur und
rothe Tinte. Warum ich Schar mit einfachem, Paar mit doppeltem a,
Los mit einfachem, Moos aber mit doppeltem o schreiben soll, ist mir
Digitized by CoOQle
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durchans nicht klar. Was nun aber die Regeln über den i^oßen und
kleinen Anfangsbuchstaben betrifft, so gibt es wol nni wenige, die
diese ans der Theorie in die Praxis zu übei-setzen vei*stelien, ich
habe midi abp:omüht. komme aber häufig zu anderen ifesnltaten «Is
der orthograpliische Duden und das amtliche Verzeirlmis. Die Sub-
stantive und alle Wörter, die als Substantive ir»' braucht werden, sollen
groß geschrieben werden. Nehmen aber die Substantive die Bedeutung
anderer Wortarten an und werden sie als solche verwendet, so schreibt
man sie klein und ähnliches. In einer lebenden Spracht^ kommen nun
so feine Nuancirungen vor, dass es selbst Grammatikem von Fach
schwer wird, zu sagen, ob ein Wort noch Substantiv (»der schon etwas
anderes ist. Einem gewöhnlichen Menschen, der doch auch gern
orthographiscli richtig schreiben will, darf man die Umsetzung solcher
Regeln in die Praxis nicht überlassen. Die Kegeln über die Schrei-
bung der Fremdwörter sind nun total unbrauclihar. Einige Fremd-
wörter werden durch die in den fremden Sprachen üblichen Buchstaben
bezeichnet, auch wenn Laute und Lautveibindungen dabei zur An-
wendung kommen, die unserer Sprache fremd sind. In vielen Fremd-
wörtern behalten wir auch für solche Laute, welche der deutschen
Sprache nicht fi*emd sind, die fremden Bezeichnungen bei Aach
wenden wir für solche Laute die in der deatschen Schrift üblichen
Zdchen an. Durchgehende ehiikche Kegeln Jaseen sich nicht anstellen.
Also das amtliche Verzeichnis sagt ganz trocken: Helft ench selber»
ich kann nnd will nicht Denn die paar Beispiele helfen in der That
nichts. Wozu nnn aber hat es denn Schreibungen decretfart, die wir
Mher bei Fremdwörtern nicht hatten, wenn es doch nidit helfen
kann? Wai*mn sagt es nicht ein&ch: Schreibt die Fremdwörter,
wie ihr es gewohnt seid! Dass von verschiedenen Seiten den Regeln
der Vorwarf gemacht worden ist, sie seien za wenig klar and bestimmt
in der Fassung and es ließen dieselben sich nicht praktisch anwenden,
wenigstens kftme man mit ihnen nicht aas, um ein Wort richtig
schreiben zn können, über das man im Zweifel sei, erwfihne ich hier
nor beüftoflg, da eine Kritik des amtlichen Verzeichnisses nicht,
wenigstens hente nicht, Zweck meines Vortrages ist Aber ich kann
nicht anerwähnt lassen, dass za viele zaUssige Schreibarten and
Aasnahmen von der Kegel stehen geblieben sind. Die Regel mnss
gelten und was nebenher Iftoft, mnss verkehrt sein. Und nnn noch
eins. Das leidige th ist freilich in vielen Wörtern gestrichen worden,
aber in manchen ist es stehen geblieben. Nntzen thnt es nirgends.
Man sagt zwar, es soll die Lftnge des nachfolgenden Vocals bezeichnen.
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aber in wie Tiden Wörtern ist diese Lauge äußerlicli au keinen»
Zeichen zu ersehen, nnd im Auslaut der deutschen Wörter ist es Jl^
wol fort und wir sehen nun auch an keinem Zeichen, dass der Yoran-
gegangene Vocal lang ist. Ferner: das lange a wird durch a, aa
nnd ah, das lange i gar durch i, ie, ih und ieh bezeichnet, und doch
wird der Laut i k(nn anderer, ob er nun allein, mit e, mit Ii oder
mit eh verbunden da.stelit, wozu denn alle diese Delinungszeidifn?
Die neue Orthographie hat bewusst einen Schritt weiter nach dem
phonetischen System hin machen wollen, ist aber Uber den Stein flos
Sprachgebrauches gestolpert. Statt fester orthogiaphischer Regelu
herrsclit leider wieder einmal der leidige Sprachgebraucli, nur dass
dereelbe ein anderer geworden ist, wie, er in unserer Jugend herrschte
uns zum l'nsegen. Ich will hier nicht die oft gehörte Behauptung
wiederholeil, als erschwere die neue Orthographie den Kindern das
Deutschlernen. Das erscheint auch nur so, weil uns das Umlernen
Schwierigkeit macht. Aber sie eileichtert das Deutschlernen auch
nicht, wenigstens nicht wesentlich. Denn auf der einen Seite ist ja
freilich eine kleine Vei'einfachung eingelrelen, anderseits aber muss
sich genau nach der amtlichen Schrabuug gerichtet werden, welche
zu erforschen die Regeln kaum, das amtliche Wörterverzeichnis in
keiner Weise aasreicht, denn in diesem findet man in der Regel doch
nur, was man nicht sncht Also: Die amtliche nene Reditschreibung
bezeichnet aof dem Wege zur phonetischen Schreibweise hin einen
ersten, aber nngeniigenden Schritt
Und wie soll's denn besser werden? Im amtlichen Verzeichnui
steht: Wenn jedem Laut ein bestimmter Bnchstabe entspräche nnd der
Lant immer darch diesen Buchstaben bezeichnet wOrde, so bedurfte es
keiner weiteren orthographischen Regel als: Schreibe» wie da sprichst
Also da haben wir den Weg Torgezeichnet, der zn gehen ist Ich
meine einmal von einem QesangskttnsUer in Frankfurt a. If . gehOrt za
haben, derselbe unterschiede acht verschiedene Aussprachen des g,
fttnf solche des e n. s. w. Wie er zn diesen verschiedenen Aussprachen
gekommen ist und wie sie kb'ngen, kann ich Xhnen nicht vormachen.
Wollten wir auf diese Weise vorgehen, so bekämen wir ja wol an
hundert Buchstaben und unsere Kalligi-aphen hätten ein dankbares Gtc-
schäft, nämlich für jeden dieser Buchstaben entsprechende Formen zn
finden. In der That brauchen wir so viele Zeichen nicht. Sachen wir
. f^IgmiLl das Nothwendige. Dass dieVocale bald lang, bald kurz — ich
benutze der Kürze halber diese nicht zutreffenden Aosdrttcke für
gedehnt und geschärft — , bald dumpf, bald hell gesprochen werden
PmbffogluD. Ifl. Jahne. Haft VL ^
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und was dergleichen feine Nuancii'ungen mehr sind, ist bekannt. Aber
das lernt sich beim Gebrauch der Spraclie olme Mühe von selbst. Nur
die Lftnge und Kürze könnte in der Schi-itt durch die Zeichen bezeichnet
werden, mit denen man bei graphischer Darstellung eines Versmaßes
Länge bezeichnet. Der Strich resp. das Häkchen würde über dem
Vocal zu stehen kommen. So würde für jeden Vocal nur ein Zeichen
nöthig sein und an dem Häkchen oder dem Strich würde jeder Leser
auf den ersten Blick erkennen, ob der betreffende Vocal lang oder kurz
zu sprechen sei. Vocalzeichen hätten wir nur elf notliic-. a, e. i. o, u,
ä, ö, ü, au, ei und eu, von denen die aclit ersteren lef^clmiißig ent-
weder (la.^ Zeichen der Länge oder das der Kürze erhielten. Bei den
('onsonanten brauchten wir die feinen Unterschiede in der Aussprache
gar nicht zu bezeichnen, nur das Sehluss-g und das hart** s könnten,
um sie auszuzeichnen, etwa ein Winkelhäkchen ültei- (Ihiu Kopf erhalten.
Dem Grundsatze treu, jedem Laut nur ein Buclistabe, könnten einige
unserer Consonanten fehlen. Wir brauchen nur tulgende 18: b, d,
f, g, h, j, k, 1, m, n, p, r. s, t, w, z, ch und sch. Unser Alphabet
hätte demnach 29 Lautzeicheu, 11 Vocale, Umlaute und Diphthonge
eingerechnet, und 18 Consonanten. Mit diesen Zeiclien ließe sich der
Forderung gerecht werden: Fär jeden Laut ein bestimmtes, aber nur
ein Zeichen.
Ein weiteres Krenz aller Lernenden und Schreibenden, namentlich
solcher, die nicht täglich mit der Feder umgehen, ist der große und
der kleine Anfangsboehstahe. Der kleine Buchstabe ist, wenn wir die
Schriftin das Alterthnm hinauf yerfolgen, nichts Ursprüngliches, sondern
etwas im Laufe der Zeiten Hinzugekommenes, namentlich im Interesse
der SchneUschrift. Heute indes wflrde keiner unter uns zaudern, die
großen Buchstaben fahren zu lassen, wenn uns zwischen großen und
kleinen die Wahl gdassen würde, wolgemeikt, ich rede nicht von
Anfangsbuchstaben. Die kleinen Buchstaben kOnnen wir heute nicht
entbdiren, wol aber die großen, denn auch als Anfimgsbuchstaben sind
sie uns durchaus nicht notfawendig. Unser Deutschland wttrde ?on
seiner GrOße und Macht nicht ein Haar ehibttßen, wenn wir es mit
einem kleinen d schreiben wollten. In der Tlutt ist kein zwingenderer
Grund vorhanden, die Unduskel feiner beizubehalten, als dass man das
im Aaslaade auch noch thut und sie also kennen muss, um Briefe und
gedruckte ausländische Sachen lesen zu können. Würde man sich
einmal einigen, in der ganzen Welt die Majuskel zu beseitigen, so
wäre das eine bedeutende Erleichterung für jeden, der lesen und
schreiben lernen soll, und wir Lehrer würden in der Schule bedeutend
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mehr Zeit für Übung der Lese- and Schreibfertigkeit gewinnen. WilF
man aber einstweilen die Majuskel nicht ganz fiihren lassen, so be-
«chrftnke man sie auf ein Minimum. Han gebe es an^ die Substantive
groß zu schreiben, da sich schwer sagen UUst, wo der SabstantiT*
iMgriff anfilngt und aufhört. Man schreibe nur Eigennamen und von
Eigennamen abgeleitete Wörter groß, sowie auch die An&ngswörter
«Ines Satzes, alles übrige aber klein, dann sind Jrrungen und Zweifel
nusQfeschlossen. Also: Abschaffung odei* möglichst wisiüge Anwendung
der Majuskel.
Tu der Schule haben unsere Kinder eigentlich acht verschiedene Al-
phabete zu lernen, das große und kleine lateinische und deutsche in
iSchi'eib- und Druckschrift. Da kann auch etwas wegfallen, nämlich
die deutsche Sdireib- und Druckschrift. Die lateinische Schrift können
wir für den internationalen Verkelir nicht entbehren, da die meisten
fremden Culturvölker sich ihrer bedienen. Wir müssen sie deshalb
erlernen, denn jeder, der einen Brief ins Ausland schreiben Avill, muss
mindestens die Adresse mit lateinischen Buclistaben schreil)en. Da-
gegen ist die Kenntniss der deutschen Buchstaben nicht erforderlich.
Audi darf uns kein falsches Nationalbewusstsein abhalten, die deut.sche
Schrift aufzugeben. Die Schrift ist gar nicht ursi»rünglich deutsch,
sondern hat sich aus der mittelalterlichen lateinischen Mönchsschrift
herausgebildet, ist also, um das Kind mit dem rechten Namen zu
nennen, eine verdorbene lateinische Schrift, und es ist gar nicht ein-
zusehen, warum wir das Verdorbene noch weiter liegen und nicht
lieber zum Ursprünglichen zurückkehren sollen. Also: Beseitigung
4es sogenannten deutschen Alphabetes.
Ich glaube, wenn diese drei Forderungen in die Praxis umgesetzt
würden, wQrde das Eitomen, Lesen' und Sdireiben der deutsehM
Sprache weeentlich erleichtert. Wenn auch ein nach denselben ge-
schriebenes Deutsch etwas sonderbar fOr unsere Augen aussähe, wii*
wArd^ uns bald daran gewöhnen. Und undurchführbar ist die Sache
nicht Die neue Beefatsehreibung ist amtlich in den Schulen einge-
Ahrt, warum sollte eine solche nach diesen Grundsätzen das nicht
auch werden? Ans der Schule würde sie dann alhnählich den Weg
ins Leben finden.
26»
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KiBdergärten und Forlbüdugssekiüeii.
Von Diioetor WUh, Jah»-Iht8den.
Im 12. Heft lies XI. Jahrgangs dieser fi-escliätzten Monatsschrift
befindet sich ein vom Rector Tli. Landmann-Schwetz a. d.W. g-eschriebener
Artikel über ,.Kindere:ilrten und Fortbildung-sschulen". Der
geehrte Verfasser koninit zu dem hirgebnis: ,,Wenn beide Institute^
Kindergarten und Volksschule, normal arbeiten, dann dürften die Fort-
biklungsschulen in der That überflüssig werden." Schreiber dieses
kann diesem Satze nicht zustimmen und gestattet sich, dem r-rauge
jenes Aufsatzes folgend, seine abweichende Meinung kurz darzulegen.
Rector Landmann hält Fortbildung in i)rakiischer und intellectueller
Hinsicht für die aus der Volksschule entlas.seneu Knaben nirlit nur für
wünschenswert, sondern für höchst uothwendig. Facultative Fort-
bildungsschulen leisten nach seiner Meinung das nicht, was zu wünschen
ist. Und darum begraßt es Rector Laiidiiiaiin mit Freuden, dass in
neuerer Zeit in nnierem deutschen Vateriande Ton Stutewegen obH-
gatorisehe Fortbüdnngsschnlen eingerichtet werden. Es will nns fiwt
wie ein Widersprach erscheinen, dass gleiohwol Rector L. so yiel
Schattenseiten der FortbüdnngBsehnle findet, dass er die Frage anf-
wirft, „ob nicht doieh irgend eine Einrichtung die ForthOdangsschnlen
ttberllttssig gemaoht werden konnten**.
Ab Bokhe Schattenseiten beseichnet er den Unwillen der Brot»
herren der zum Besuche der Fortbildnngsschnle verpflichteten Lehr>
linge, weil sie einige Standen in der Woche die Lehrlinge entbehren
mflssen, die ünlnst von Lehrern und SdhOlera, an Sonntagen nnd
Wochentagsabenden Sehnlarbeit an treiben, anstatt der Erholung nnd
Ruhe pflegen zu können. Infolgedessen sei erfthrnngegemaß das
Unterrichtsresultat ein nnzureichendes, welcher Umstand anch darin
seine weitere Begründung finde, dass den Schfliern wenig oder gar
keine häuslichen Schularbeiten zugemuthet werden können. Da nun
aber die Fortbildungsschulen, die nicht Fachschulen sein sollen, doch
immer nur deshalb nothwendig seien, weil bei den meisten Lehrlingen
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— 361 —
nicht der normale Grad der Schulbildung vorhanden sei. müsse
man sie als ^noth wendige Übel*' bezeichnen, die übeiHüssig sein
würden, wenn alle aus der Volksschule abgehenden Schüler das Ziel
der Schule erreichten und eine normale Bildung ins praktisclie Leben
hinüberbrächten. Durch die „obligatorischen Kindergärten"
könnte dies geschehen. Denn bei richtiger Handhabung der Fröbelschen
Methode würde im Kindergarten ,.die Fördeining aller noch im Keime
schlummeiTiden guten Aidageu berücksichtigt , so dass die Kinder
körperlicli und geistig wol gedeihen". Dem ei*sten Grundsatze Fröbels:
r Sorge dafür, dass da^; Kind nie Lange \n eile hat" naclizukommen, sei
Eltern, welche den ärmeren Volksclassen angehören, kaum möglich.
Ihnen fehlt meist das nüthige Verständnis für die Erziehung, es fehlen
abei' auch Zeit und Mittel, um die Kinder tagüber zweckentsprechend
sa beschäftigen. SdUieSUfifa fi«Bt Bertcnr L. sebie Ansicht in folgende
Satze zusammen:
1. „Nach regelmäßigem Besuch des Kindergartens werden der
Yolksschide an Stelle Ton körperlich verkommenen und geistig stampfen
Kindern gesnnde und geistig rege, geweckte Kinder zogeiAhrtt mit
denen sie dann mehr als bisher sn leisten nnd im allgemeinen das der
Volksschule gestedrte Zid zu erreicfaeh imstande sein dOrfte.**
2. „Der Kindergarten nimmt den Eheni ehie grofle Last und
Sorge ab und beschäftigt mflfiige, sich selbst fiberkusene Kinder,
während die Fortbfldangsschule mit der Beschäftigung der Lehrlinge
^ea Lehtherren keinen Qefidlen thnt und Jünglinge nothdOrftig be-
echäftigt, die schon tagflber tfiohtig angespannt sind und denen diese
wenigen Standen besser als Erholung za gOnnen wärai**.
8. „Der Kindeigarten ist eine naturgemäße Institution, entspricht
einem wahren Bedttrfhis der Kinderweltt wähi*end die Masclünerie der
ForttaÜdungssdiule nur ndt Zwang nnd Widerstreben im Gange er*
halten werden kann."
4. „Eine Menge sittlicher Fehler und Gebrechen, deren Warsein
in der Torschulpflichtigen Zeit des .Sichselbstuberlassenseins' zu suchen
■sind, würden durch die Kindergärten beseitigt werden; denn der
Kindergarten wirkt wesentlich veredelnd, indem die Kinder durch
heilsame Beschäftigang yon gefährlichen Dummheiten, die aus ,Lang6-
weile' entstehen, abgezogen, auch den verderblichen Einflössen des
Hauses mehr entrilckt wei'den."
5. „Es würden die Kindergärten nicht nur dem Handwerker-
stande, aus ■Nvelchem sich vorzugsweise die Fortbilduno'sschulen recru-
tiren, zugute kommen, sondern namentlich der dienenden Volksclasse.
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r
Bd richtiger Handhabung dar Kindergirten dürfte Ansfiicht selnt das»
die arbeitende Volkadaflae in Zukunft ein menachenwflrdigeres
Dasein führen ItOnnte^ dem das Leben nicht eine Last und eine Qual
ist; es dürfte Anssidit sein, dass wir dann treaeroi snverlissigerer
reinlichere und tüchtigere Dienstboten nnd Arbeiter bitten, and wie
sehr würden dadurch auch die Arbeitgeber gewinnen!"
Nach unserer Meinung überschätit Herr Bector L. den Einder»
garten und nntersuUUzt die Fortbilduagsschnle. Schreiber dieses ver^
achert auf Grund seiner mehr als löjfthrigen Erlhhrung, die er in der
fiauptsadie an Dresdener Fertbüdm^isschulen gemacht hat, dass der
WiderwiUe der Arbeitgeber gegen die Fiurtbildnngssciiule immer melür
schwindet, wenn auch lugegeben werden moss, dass immer noch yer*
einzelte Fälle bekannt werden, dass junge Arbeiter ihre Stellung ein-
gebüßt haben, weil sie noch fortbildungssclmlpflichtig sind. Doch das
sind AnsnahmefiUle. (Der stärkste Widerwille äußert sich in länd-
lichen Kreisen, aus denen immer noch Petitionen an den Landtag ein-
gehen um Verwandlung der dreijährigen Fortbildungsscbulpflicht in
eine zweyährige.) Umgekehrt aber machen Lehrer und Leiter der Fort-
bildungsschulen wiederliolt die Erfahrung, dass das Interesse der Lehr-
lierren und Eltern für die Foiibildnngsschule wächst und sicli auf
mancherlei Weise kundgibt. Man erkundigt sich nach dem Verhalten
und Fleiß des Sdi iiiers, fragt nach den Censurbücheru derselljeii, sorgt
liir regelmäßigeren Scliulbesuch. Ähnliches ist in Bezug auf die Fnliist
der Lehrer und Schüler zu sagen. Während früher in Dresden die Lehrer
geiTi der Ai-beit in der Fortitildungsschule den Rücken kehrten, ist
jetzt das Angebot derer, die solche Arbeit suchen, größer als die Nach-
trage. Ein großer Theil unserer Schüler kommt gern zur Schule und
tolgt dem Unterricht mit Interesse, insbesondere gilt dies von den
Schülern der oberen ( 'lassen. Von den 265 Schülern der niii- unterstellten
Kort]»ildungsschule haben im Schuljahre 1888 89 90 Schüler keinen
l ag versäumt. Zur Osterprüfung erhielten 2Ü3 Knaben im \ i rlialt( u
die 1. Censur, im Fleiß 34. Es sind auch einige Fälle zu verzeichnen,
dass Schüler noch im vierten Jahre oder überhaupt freiwillig die Fort-
bildungsschule besuchten. Zugegeben wei*den muss, dass die Sonntags-
zeit (in Dresden wird nur an Privat-Fortbildungsschulen vor oder nach
dem Vormittagsgottesdienst, nicht aber nachmittags Unterricht ertheilt)
nnd hesonders die Abendzeit der Wochentage keine geeignete Untere
richtsieit für die Fortbildungsschule ist Auch wir sind der Meinung,
dass diese Zeit besser der Ruhe und Erholung dient. In der städti-
jschen Fortbfldnngsschule Dresdens wird allwöchentlich nur Mittwochs
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— 363 —
von 1 — 5 Ubr der Unterricbt abgehalten. Jedenfalls liegt aber in
der nngeeigneten Unterrichtsseit an sich kein Gmnd, um die Zweck-
dienlichkeit der Fortbildimgsschnle za bestreiten. Man sorge yielmehr
dafür, dass anch der Fortbildnngsschnle diejenige Zeit gewfihrt werden
die i&r ihre Arbeit nothvendig ist Weiter mfissen wir der Meinung
entgegentreten, dass die Fortbildungsschnle nur deshalb gefordert
werd^ weil bei den meisten Lehrlingen der normale Grad der Schnl-
bildong nicht Torhanden ist, nnd dass man darum erstere als noth-
wendiges Obel beseichnen mflsse. Wir sehen die Fortbildnngsschnle
als eine Ermngeaschafl; der Nenseit an, die vorzugsweise von der
Lehrerschaft erkämpft worden ist, nnd die es verdient, dass sie anch
hochgehalten wird. Ihre Angabe besteht nach dem sächsischen
Schulgesetz in der weiteren allgemeinen Ausbildung der Schüler,
insbesondere in der Befestigung in denjenigen Kenntnissen und Fertige
keiten, welche ffir das bürgerliche Leben vorzugsweise von Nntzen
sind. Und wenn die Fortbildongsschule nicht mehr zu leisten ver-
möchte, als dass .sie das, was treue Lehrerarbeit geschaffen, erhalte
nnd befestige, so wäre das schon ein großer Segen. Indem sie aber
das bereits Erlernte befestigt, das Wissen vertieft, richtiges Denken
befördert und das Können steigert, den sittlichen Halt kräftigt, er-
weitert sie die gewonnene allgemeine Bildung und bringt sie auf eine
höhere Stufe. Wenn aiu^h die Leistungen unserer P'ortbildungsschule
in unterrichtUcher Bezieliung keineswegs den Hrihcpunkt erreicht
haben, so sind sie doch aiicli anderseits niclit so minderwertig, dass
man sie hinwegwünschen könnte. Die Grüße unserer städtisclien
Fortbildungsschulen ermitgliclit, dass die ('lassen mehr oder weniger
mit Rücksicht auf die Berutsarten der Scliüler gebildet werden können,
so dass, wenn auch niclit eigentliche Fachclassen bestellen, doch Ge-
nossen verwandter Berntszwcige gemeinschaftlich unterrichtet werden.
Dies ist aber selbstredend von grußer Bedeutung tÜr Auswahl und
Darbietung des Unterrichtsstoffes, wie für das Interesse, das der
Schüler dem Unterriclite entgegenbringt. Das alles kann auch nicht
ohne Kintluss auf die Leistungslaliigkeit der Schule bleiben. Dass
unsere allgemeine Volksbildung, soweit sie durch Kenntnisse und
Fertigkeiten zur Darstellung gelangt, seit Einführung der Fortbildungs-
schulen eine bessere geworden ist, beweisen die Erhebnngoi bei EUn-
stellung der Recruten sowie an den Gefangenen. Wenn dies nnn
anch nicht lediglich ein Verdienst der ForfbÜdnngsschulen ist, so ist
sie dock nnstreitig ein wesentlieher Faetor dieses Eigebnisses. Dies
wird aber noch besser werden, wenn man der jungen Saat Zeit nnd
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Buhe zur Entfaltung l&sst» wenn man angelegentlich sich mit dem
inneren Ansbaa der noch jungen Schöpfung beschäftigt, anstatt mit
Oedanken des Niederreifiens und ZerstOrens. Und selbst wenn die
LeistnngsiUligkeit der Foribfldnngsschale so gering wftre, wie Beotor L.
Annimmt, wir aber nach unserer ErfUirang durchaus nidit zugeben,
so bliebe doch immer noch der Segen bestehen, den die Schule durch
ihre Zucht ausQbt, ude auch dadurch, dass in der Persönlichkeit des
Lehrers für den Schiller eine Autoritftt gesetst ist Wie wichtig dies
ist in unserer Zeit, die das Siehlosreifien junger Leute Ton jedweder
Autorität zu sehr begünstigt, leuchtet wol ohne weiteres ein. Wir
bleiben dabei: in unterrichüichcr und noch mehr in erziehlicher Be-
ziehung ist die Fortbildiingsscliule ein großer Segen f[\r unsere Jugend,
ein wertvolles Glied in der Reihe derjenigen Veranstaltungen, die zur
Hebung der Volksbildung und damit des Volksgliickes getroffen worden
sind. Die Leistungsfähigkeit der Fortbildungsschule hftngt selbstver-
ständlich auch von dem Grade der Ausbildung der aus der Volks-
schule entlassenen Knaben ab. Rector L. meint, „die Fortbildungs-
>j('lmle würde überflüssig sein, wenn alle aus der Volksschule ab-
gelieiiden Schüler das Ziel der Schule erreichten und eine normale
Bildung ins praktische Leben hinüberbrächten. " Er unterlässt es,
(\m Hegriff ,,nünnale Bildung" zu deliniren. Nach dem saclisisrhen
^Schulgesetz wird denjenigen Kindern die zur Entlassung- ci forclerliche
Reife zuerkannt, welche das Ziel der einfachen Volksschule in den
wesentlichen Unterriclitsgegenständen (Religion, Deutsch, Rechnen etc.)
erreicht haben. Diejenigen aber, bei denen dies nicht der Fall ist,
haben noch ein neuntes Jahr die Schule zu besuchen. Zugegeben, dass
dieses Ziel kein hohes ist, so muss doch auch anderseits anerkannt
werden, dass die Gesetzgebung die Erreichung dieses Zieles zwar für
unbedingt erforderlich, aber auch zunächst lüi- genügend erachtet für
den Eintritt in das praktische Leben. Die weitaus größte Zahl
unserer Schüler erreicht nicht niu* dieses Ziel, sondern eignet sich eine
höhere Bildung an. Von den Schülern det mittleren und höheren
Volksschulen, die ebenfiüls zum Besuche der Fortbildungsschule ver-
pflichtet und nur durch Erffillung gewisser Bedingungen Ton dem-
selben befreit werden, rede ich nicht Dass unsere Schfller das vor^
geschriebene Ziel in verschiedenem Grade, manche von ihnen Über-
haupt nicht erreichen, h&ngt aber von verschiedeoen Umständen abv
deren Darlegung Pftdagogen gegenüber unterbleiben kann. Das wird
aber auch Ar alle Zeit so bleiben, obgleich wir der guten Zuversicht
ieben, dass, je mehr die Volksschullehrerschaft sich den inneren Aus*
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ban der Schule aogetog«n sem Iftast» ein steter Fortschritt snim Besseren
einti'eten wird.
Durch obligHtoriscbe Kinderg&rteni 80 meint Bector L., könnten
die Foi-tbildungsschulen überflüssig gemacht werden. Wenn wii* auch
den Segens vollen Einflnss eines guten , also pädagogisch geleiteten
Kindei'gartens voll und ganz anerkennen, so dürfte es doch zu viel
behauptet sein, dass die Volksschule, falls ihre Kinder vorher durch
einen Kindergarten gegangen sind , ihre Leistungen dermaßen zu
steigern vernuichte, dass die Fortbildungsschule als unnöthig erscheinen
würde. Der Mensch durchlebt verschiedene Eutwickelungsperioden,
deren Eigenthümlichkeiten der Unterricht anzupassen ist. Der Fort-
bildungsschüler, ein Mensch im Alter von 14 — 17 Jahren, bedarf
anderer Kost als der im früheren Alter. Die Unterweisung iu ge-
wissen Lehrfächern, man denke nur an Buchführung, Gesetzeskuude,
Volkswirtschaftslehre, Gegenstände, denen namentlich Schüler der
oberen ('lassen erfahrungsgemäß großes Interesse entgegenbringen,
darf und kann nicht, wenn sie erfolgreich sein soll, verfrüht werden.
Und wären wirklich alle eintieteuden Elementarschüler der Volks-
schule so geistig geweckt und rege, dass letztere thatsächlich niehi-
leisten könnte als yty.i, so wäre darum die EortbiMiingsschule noch
nicht unnöthig, sondern sie belände sich ihrerseits in der glücklichen
Lage, auch ihre Leistungen zum Heile der Jugend und des Volkes
wesenüich zu steigern. Ihre Aufgabe, das Gewonnene zu erhalten,
zu vertiefen und zu erweitem, bliebe nach wie vor bestehen. Ent-
schieden za viel behauptet ist es, dass nach r^elmäfiigem Besuch des
Kindergartens der Volisschnle an Stelle yon körperlich Terkommenen
nnd geistig stumpfen Kindern gesunde nnd geistig rege, geweckte
Kinder zugeführt werden. Abgesehen davon, dass durch diese Gegen-
ttbersteUnng nach beiden Seiten hin übertrieben wird, mnss doch ancb
bedacht werden, dass dem IcArperlichen Verkommensein nnd der
geistigen Stompfheit nicht selten Ursachen sogronde liegen, die
auch ein guter Kindergarten zu heben nicht immer imstande ist
Wenn andi ein guter Kindergarten fttr solche Eltern, die aus
Anleren wie inneren GrOnden nicht in der Lage sind, ihre Kleinen
anregend zu beschäftigen, eine große Wolthat ist, so ist die Fortbüdungs-
schule nidit minder ein Segen ftr ihre Angehörigen, obgldch die Selbst-
sucht und Besdirftnktheit manche Arbeitgeber und Lehrherren ihr
widerstrebt
Wenn wir auch nicht so weit gehen, den Kindergai-ten als ein
nuothwendiges Übel« zu bezeichnen, weU wir eine vielzu hohe Meinung
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— 366 —
von einem guten Kindergarten haben, so können wir doch nicht zu-
geben, dass der Kindergarten für alle Familien eine unbedingte Not-
wendigkeit, eine „naturgemäße Institution" sei. Überall da, wo die
Mutter selbst versteht, in riclitiger Weise die Erziehung ihrer Kleinen
zu leiten, ist der Kindergarten übertlüssig. Derselbe theilt bei unseren
socialen Verhältnissen mit verschiedenen anderen Einriclituiigen. z. B.
mit den Kinderhorten, in gewissem Sinne selbst mit der Volksschule
das Geschick, dem elttdrlicheu Hause als Hilfsinstitut, also zur Unter-
stützung, Ergänzung und als Correctiv zur Seite zu treten. Soll aber
der Kindergarten obligatorisch gemacht werden, dann wird seine „Ma-
schinerie'' ebenfS&Us mit Widerstreben zn kämpfen haben und des
Zwanges bedftarfeii genau so gut, wie die obligatorische Volks* und
Fortbfldongsäclrale.
Wenn anch dnreh einen guten Kindergarten die Wnrseln mancher
sittlidien Fehler nnd Gebrechen beseitigt worden, so bleibt der ersieh*
liehe Einflnss der Fortbildnngssdrale trotsdem wflnschenswert und noth-
wendig, da dem finrtbildmigssehaliKflichtigen Alter gewisse sittliehe
UnvoUkommenheiten eigen sind nnd diese Altersstufe bekanntlich Über-
haupt vielen sittlichen AnüBchtnngen ansgesetst ist. Wir halten es
mit Diestervegs Wort: „Mit dem vollendeten 14. oder 16. Jahre darf
der Schulnnteiricht» die Oifentliche Erziehung, nicht aufhOren, sondern
sie muss, wenn anch in Terminderter Stondentahl, fortgehen. Ein
14jfihriger Mensch ist ein Kind an Einsicht und Kraft, wie an Jahren.
Mögen nun viele zu Handarbeiten Abergehen, die Arbeit an ihren
Seelen darf nicht aufhören; denn nun kommen die einflussreichsten
und gefährlichsten Zeiten!*'
Wir geben gern zu, dass richtig geleitete obligatorische Kinder-
gftrten nicht nur dem Handwerkerstände, sondern namentlich auch der
dienenden Volksclasse zugute kommen würden, ja, wir wünschen so-
gar, dass insbesondere jedes Mädchen, gleichviel welchen Standes, als
Jungfrau wieder schauend und helfend dem Kindeigarten zugeführt
werde, damit dieser nach Diesterwegs Wort „nicht nur als Bildungs-
stätte für kleine Kinder, sondern als Bildungsanstalt für das gesanimte
weibliche Geschlecht aufgefasst und gewürdigt werde"; aber wir können
nicht einsehen, wie hierdurch die Fortbildungsschule überflüssig werdt'u
solle. Halten wir den Besuch des Ivindergai'tens durch die -IiiiiR-frau
für nothwendig, so ist damit gleichzeitig eine Aufgabe für die Foii-
bildungsschule der weiblichen Jugend angegeben, von weicher aller-
dings hier zunächst nicht die Rede ist.
Aus dem Gesagten geht heiTor, dass Schi'eiber dieses ein Freund
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— 367 —
des guten Kindergartens, ganz besonders aber auch der Fortbildungs-
schule ist. Schon 1873 legte derselbe in einer kleinen Schrift: „Die
Fortbildungsschule unserer Jugend" (Verlag von Kämmerer, Dresden)
dieselben Anschauungen nieder. Wir heften auf die Zustimmung des
geehrten Rectors L., wenn wii- als Bildunj^sgang für unsere Jugend
den pädagogisch geleiteten Kindergarten und unsere Volksschale in
Verbindung mit der Fortbildungsschule empfehlen.
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LehrerbilduBg in England.
Von H, Wateniraai-^eitin,
13is vor fünfzig Jahren hat die englische Regierung für den
Vülksunterricht fast niclits gethan, noch viel weniger aber für die
Bildung der Lehrer. Eine l'ontrole hinsichtlich der Prüfungen fand
von Staatswegen gar nicht statt. Schulen zu gründen, sowie Unter-
richt zu ertheilen, stand jedem frei; ja. auch lieute noch ist das Schul-
halten ,,free trade". Günstigsten Falls nahmt n sich also Geistliche der
einzelnen Religionsgesellschaften oder Graduirte dei' Universitäten des
Elenientarimterrichtes an; im übrigen wurde jeder Schullelirer, der den
inneren Herzensdrang dazu in sich verspürte. A\'irklich tüchtige
Elementarlehrer waren nur wenig vorhanden. Ein Giiind, aus welchem
die Regierung bis dahin nichts füi- die Lehrerbildung getlian hatte,
lag darin, dass die Communen Lehrer anstellten, ohne einer Bestätigung
von der Behörde zu bedttifen. Im Jabre 1846 wurde von der Re-
gierung auf Anregung yon Sir James Kay Shuttleworth beschlossen,
Lehrei*a eine jährliche ünterstntziiiig anzabieten, wenn sie sich einer
Prflfting unterzögen. Dieselben sollten aber anch gewiase andere Be-
dingungen erfüllen, welche an ihre Sehnlarbdt nnd ihren Charakter
gestellt wniüen. Daranf erhielten diese Lehrer em Zengnia der Tüchtig-
keit (certiflcate of merit).
Aber diese Maßregel konnte keine guten Lehrei-, also anch kehie
guten Schulen machen, denn man hatte keine LehrerbOdungsanstalten.
Die Anregung zu ihrer Gründung gab ebenfiüls der schon erwähnte
ShntÜeworth. Dieser ging nach der Schweiz (Lausanne, Luzem und
Lenzburg), um hier die Anstalten, in denen nach Pestalozzi'schen
Grundsätzen unterrichtet wurde, kennen zu leinen. Dann besuchte
er auch die besten Seminare von Deutschland, Holland und Frankreich.
Als Fmeht seiner Beise ist die Gi-ündung eines Seminars in Battersea
(London) anzusehen, das er selbst far Elementarlehrer einrichtete (1840).
Drei Jahre später wurde dieses Seminar Eigenthura einer großen „Schul-
gesellschaft", der National Society (for promoting the Education of
the Poor in the Principles of the Established Ghurch)'^).
*) Stifter diesor Gesellacltaft war Andreas Bell, der auch die GrOndung
▼on Ldirergeminaren in den einzelnen Difleeaen Teranlasste und einen Plan fOr ein
Unsteiseminar in der Hauptstadt entwarf. Diesem Icam aber Shuttleworth sttTor.
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Dieselbe Ge:<ellscbaft hatte schon 1841 in Chelsea (London) St.
Mark's College als Seminar fßr Lehrer und Whitelands House für
Lehi-erinnen gegründet Ebenso traten noch mehrere andere Gesell-
schaften, welche gleichfalls auf dem Boden der englischen Staatskirche
stehen, für Gründung von Seminaren ein, wie z. B. die Home and
f'olonial (Infant) School Society. Daneben richtete die große Gesell-
schaft der British and Foreign School Society Seminare ein, ebenso
die Dissenters und die Katholiken. Die letzteren eröffneten ihr erstes
Lelirerseminar zu Hamraersmith (London) ca. 1854, während die An-
hänger von John Wesley «chon 18.")1 ein solches zu Westminster
gründeten. Und nocli immer bildeten sich Gesellschaften, wie z. B.
die Christian Knowledge and National Societies, welche im Jalir 1878
ein neues Seminar für Lehrerinnen in Tottenham i London) gründete.
Wie diese kuraen Notizen ergeben, hat der Staat als solcher kein
Seminar eingerichtet. Aber dadurch, dass er Unterstützungen gibt,
hat er das Aufsichtsrecht über diejenigen Anstalten erworben, welche
diese Beihilfe (grants) annehmen. Staatliche Inspectoren re\ddiren
die Seminare, halten auch die Prüfung ab mit Ausnahme der in
Religionslehre; aber der innere Betrieb in diesen Anstalten, sowie die
Bestimmung Uber die Auswahl der eintretenden Zöglinge ist den ein-
zebnen Gesellschaften, resp. LebrercoUegien völlig überlassen. 1860
beatandttn in England (n. Wales) 36 Seminaie ftr Lehrer und Lebrerimien;
jetit sind 48 solcber Anstalten vorhanden. (In Schottland sind im
gansen 7 Seminare.) Davon kommen anf die
Englische ätaatskirohe
I
Lehrer
Lehrerisnen
■a) National i>ocitty
b) Home and Colonial SoeicUcs
c) Dioeesan Soeieties
d) Christian Euüwle<I|c:e ani Natitnud Sodetiea
e) Churcli nt' Eniiland
fi ]lriti;«li and Foreign Schuul yoiieties . . .
Bishop <Jtter s Memorial
3
3
2
7
1
1
18
1
1
4
1
CoDgregaüonal
1
Wesleyan . .
Ronai OathoUe
1
l
1
8
17 + 1-1- 25 = 48
^Ebtnomineii d«Bi «Handliook of the New Ck>de, 1888".)
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— 870 ~
Heatzatage ist es selbstveretändlicb mit der Bildang der Lehrer
auch besser. Aus Angaben im Censusjahr 1851 geht hervor, d&se
708 Lehrer und Lehrerinnea an PriTatschuIen und 85 Lehrer an
öffentlichen Schulen mit einem Kreuz anstatt des Namens unterzeicli-
neten. Ein Hindernis für Heranbildung tüchtiger Lehrkräfte war
fiilher auch die kümmerliche Besoldung der Lehrer. Dies hat sich
auch etwas zum Besseren gewendet. Daneben trugen noch besondere
politische Erpicnisse. wie die Eröönung des Suezkanals, Gründung des
Deutschen Keiclis etc. mit dazu bei, das*; bessere Elemente den Lehrei-beruf
erwählten. Englands Handelssteliung hatte nämlich durch die angedeuteten
Ereignisse einen großen Stoß erlitten, so dass nicht mehr in demselben
Maße wie früher sich die jungen Leute dem gewerblichen Leben zu-
wandten, sondern manche von ihnen sich demLehrberufe widmeten.
Die Vorbereitunir zum Lehramt umtasst 1. die Zeit als papü-
teacher, 2. die Senünarzeit
L
Nicht ganz in demselben Alter, in welchem die Knaben in PrenSen
in die Präparandttunstaltan dnlieten, beginnen in England die Knaben»
resp. mdehüm, welche in den Schnldienst treten wollen, ihre Bemüs-
büdimg. Fräparandenanstalten aber in nnaerem Sinne gibt ea dort
nicht; sondern jede Volksschule, welche anter guten Lehrern Tflchtiges
leistet, vertritt hier die Stelle einer Vorbereitangsanstalt Knaben
oder Mädchen, welche den Lehrberof erwähleii wollen, werden soerst
pnpil-teachers, d. 1 Scbfilerlehrer (ein Kind, das Untenkbt empftogt,
aber auch ertheilt). Ein solcher papfl-teadier ist von dem Sehnl-
vorstande einer „Öffentlichen Elementarschnle'' engagirt worden nnter
der Bedingnng, während der Scholstonden nnter Anfticht des Hanpt-
lehrers m nntenichten nnd außer dieaer Zeit nnterzicbtet zn werden.
Als Candidat ftr jenen Posten kann znr Probe auf eb Jahr ein Kind
genommen werden, das Aber 13 Jahr alt ist nnd vor dem Begierungs-
inspector eine Prüfung in den » Elementargegenständen " von Stand-
ard V oder VI (Classe 3 und 2 von oben gezählt) und in zwei „Classen-
gegenständen^ nnter denen immer ^Englisch'* sein mnss, bestanden hat
*) Die Lehrfächer einer Volksschule sind in drei Grupi)en getheüt:
1. (Eaementargegeiurtlnde.) Alle Sdifliw mttfsen «iitHiiditet weideo in
Lesen, Schreiben, Rechnen, Handarbeit.
2. (( 'lassengegpnständc.) Alle Schüler einer Chmc kfinnen unterrichtet
werden in: Singen, Englisch, Geographie. Eleuientarwisisenschaft, Geschichte.
3. Einzelne Schüler der oberen Claasen können l'nterricht empfangen in:
Algebra, Raumlehre, Meduuiik, Chemie, Physik, Nataibeedtteilnuig, in den
Gruttdittgen des Ackerbaaei, Latdn, FnaMadt, Haugwirtaehaftdebre.
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— 371 —
Auf die stotf Hellen Anforderungen werde ich sp&ter. eiligeben.
AuÄei'dem muss der pupil-teacher vorweisen: . .
1. ein iirztliciies Gesundheitsattest,
2. eine Bescheinigung von der Schulcomnüssion darüber, dass er
an keinem Fehler leidet, der ihn zam Schalhalten untauglich
macht,
3. ebenso ein Zeugnis über g^ute Fülirung,
4. vom Lehrer ein solches iiber Pünktlichkeit, FieiÜ, (iehoi'sam,
Eifer in Erfüllung der Pflichten,
5. von der Polizei ein Zeugnis der eigenen und der elterlichen
ünbescholteulieit.
Alle diese Zeugnisse müssen während der vier- bis fünQährigeu
\'orbereitungszeit jedes Jahr enieuert werden. Die meisten Prüfungen
in England sind schriftlich, da man von der Ansicht ausgeht, dass
das, was man wirklich klar niederschreiben kann, auch Avirklich
geistiges Eügenthum des Betreffenden ist. Alle Pr&flinge erhalten also
Fragebogen mit Aufgaben (papei*s), die sie IOm sollen. Die Wichtig-
keit, wdelie den einaelnen Gog^uttaden .beigelegt wird, und das
WertYCriiältniB deraelben nnter einander vird durch eine beliebige
Zahl IfariLen (marks) anagedrttdrt;. Z. B. will ich annehmen, dass
sechs Reihen Engüseh ins Französische m Übersetzen sind. Wei*
eine Beihe ToUkommen richtig übersetst hat» erhftlt dafür (Ünf marks,
weil der Lehrer etwa fttnf Punkte annimmt^ in welchen sich Kenntnis
und Unkenntnis zeigen könnten. Wer also das Ganze richtig über-
setzt, wfirde demnach 6x6 marks eriialten. Die Markenansfttze ftr
die einzehien Tlieile des schriftlichen nnd mflndlichen Eiamens werden
addirt, nnd dadurch werden die Zahlen gewonnen, die ein Prüfling
durch ein Tollkommen gaties Examen erlangen kann. Neben dieses
Ideal wird dann am Ende der Prttfhng die Smnme der Marken gesetzt,
die jeder erlangt hat, und nach dem Verhältnis derselben zum Ideal
werden die Reihenfolge der SchQler, Austheilung der Preise etc. be-
stünmt Im einzelnen Fall «geschieht die Zuerkennung der Marken
so, dass, wenn etwa der Wert einer Frage oder Aufgabe = 100 sein
soll, deijenigCt welcher sie ziemlich gut beantwortet oder löst, 90
Marken, wer gar nichts fertigbringt, auch nichts angesetzt erh<.
Nach solchen Piincipien werden sowol die pnpil-teadiers als auch
die Seminaristen und Lehrer geprüft.
Bei dem Eintritt als pupil-teachei* (zur Probe) hat der betreffende
Schüler den Anforderungen des Standard V (Ii. Classe) zu genügen.
Dieselben sind sehr mäßig. Es wird verlangt: Fließendes und siun-
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— 372 —
gfemäßes Vorlesen eines Absdinitts aus einem literarischen oder liisto-
risclien Lesebuch. Aufschreiben einer kurzen Geschiclitc, die mehr-
mals Vorgelesen ist, mit leidlich gutem Ausdruck und guter Handschrift.
Zerlegung und Gliederung einfacher Sätze. Bekanntschaft mit der
Art und Weise der Ableitung englischer Haupt-, Eigenschatts- und
Zeitwörter voneinander.
Im Rechnen müssen die Prüflinge leichte Reguladetri-Aufgabeii
lösen krmnen, sowie in der Addition und Subtraction von eigentlichen
Brüchen bewandert sein.
Wird Greographie etwa noch als zweiter „Classengegenstand'*
genommen (s. S. 270), so ist Bekanntschaft mit der politischen und
physikalischen Geographie von Europa nachzuweisen, sowie mit geo-
graphischer Breite und Länge, Wechsel von Tag und Nacht, Jahres-
zeiten.
Wie schon erwähnt worden, hat der pupil-teacher am Schhisa
eines jeden Jahres vor dem Regienmgsinspector eine Prüfung ab-
zulegen. Die Bestinunongen Aber das in den einzeben Jahren dnreh-
znarheitende Pensum 8. S. 874 n. 375.
Zn den angefahrten Gogengttaden kann anf Wnnsdi der pupil-
teachers noch hinzngenonunen werden eine fremde Sprache (Latein,
Griechisch, Französisch, Dentsch). Es mfissen in der bezQglichen
Prikfong dann grammatische Fragen beantwortet nnd lefchte Abschnitte
ans der fremden Sprache ins Englische flbersetst werden. Feiner
kann geprfift werden in einem von fidgenden Fichem: Mechanik,
Chemie, Physiologie, Lehre vom Schall, Licht, von der Wfirme, Magne-
tismns nnd Elektricitftt, Natnrbeschrdbang, Botanik, Ackertwnlehre,
Mnsik, Zdchnen.
Da die pnpfl- teachers nnter Anihidit der Lehrer sieh aneh im
UnteiTichten zu versuchen haben, so müssen sie ebenfalls jährlich vor
dem Inspeotor nachweisen, was sie in der Praxis gelernt haben. Bei
der Prüfung am Schluss des ersten Jahres müssen sie eine Classe im
Lesen und Schreiben vcnlühren. Im zweiten Jahre tritt noch eine
Lection im Bechnen hinzu, sowie die Beantwortung leichter metho»
discher Frästen Das dritte und vierte Jalir erfordern zu letzterem
noch eine Lehri)robe in Grammatik oder Geographie, sowie die Vor-
bereitung einer niederzuschreibenden Aufgabe.
Genügt ein pui)il-teacher nicht den Anforderungen der .lahres-
pi iUnngen, so wird er entlassen. Wer v(»rher die Lust verliert, kann
abgehen. Seine bisherigen Zeugnisse sind für ihn die besten Em-
pfehlungen.
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1
— 873 -
So bat das System der pupil-teachei-s den Vorzag, dass luiföhigie
Leute von yomhereiu vom Schulanit zurückgebalten werden. Nichta»
deatoweniger klagt aber jetzt noch die Bagienmg darüber, dasB manche
pnpil-teachers am Schloss ihres Engagement» zn geringe Kenntnisse
nachweisen. Füi* die Zeit seines Engagements liat der pnpil-teacher
gewöhnlich freie Station und dazu 10—20 Pf. Sterl., je nach der
Anzabl seiner Dienstjahre. (Jedes Jahr eine Zulage von 27« Pf. Sterl.)
H
Mittlerweile ist der pupil-teacher 18 Jahre alt geworden, und er
kann, wenn er alle Jahres-Examina bestanden, sich zur Auiualnne in
ein Seminar (Training (.'ollege) melden. Wie schon gesagt, ist er
nicht zum Eintritt in ein Seminar verptlichtet. Manche von ilmen
bestehen die Aufnahmeprüfung, treten aber doch nicht in eine Anstalt
ein, sondern nehmen bereits eine Lehrerstelle an. Sie müssen aber
vom Regieiiingsinspector nocli eine besondere Empfehlun«; erlialten
auf Grund ihrer praktischen Tüchtigkeit als Lehrer. S(»l('hf junge
Leute werden pronsionallj' certiticated teachers genannt. Bis zum
25. Lebensjahre dürfen diese in kleinen Schulen unterrichten. Daneben
unterscheidet man noch assistant teachers. Dies sind junge Leute,
welche das Schlussexamen als pupil-teachers oder das der Aulnaiinie
in ein Seminar bestanden haben, oder Graduirte von anerkannten
Universitäten sind, welche Lehrer werden wollen. Beabsichtigen die
assistant teachers die Lebrerpräfung zu machen, so müssen sie
mindestens dn Jahr nnto* dnon eertiflcated teacher tbätig gewesen
sein nnd vom Inspector ein gOnstiges Zeugnis über ihre Amtsführung
erhalten haben. Die meisten pupfl-teachers dagegen aaehen die Auf-
nahme in ein Seminar nach. Sie heifien dann „Stttdenta", nnd wean
sie eine fiegierungsunterstatznng erhalten »Qneen's Scholars". Wie
schon anfangs gesagt worden ist, gibt es in England keine staat-
lichen Seminare. Die Regierung ftbt nur eine Gontrole Aber dic|{enigeii
aus, welche von ihr Unterstatisungen annehmen. Letztere sind um so-
höher, je mehr ZQglinge die Anstalt hat So erhielten z..B. die Katho-
liken 1888 für ihre drei Seminare einen Staatszuschuss von ca. 69S0-
Pf. Sterin wfthrend sie selber ca. 2240 Pf. Sterl. gaben. Die Wesleyaner
bekamen fttr zwei Seminare ca. 9110 Pf. SterL; sie zahlten dagegen
nur ca. 1660 P£ Sterl. zur Erhaltung ihrer Seminare. Um Einflusa
anf die Erziehung und den Unterricht der Jugend zu bekommen^
haben deshalb alle größeren Religionsgesellschaften Seminare gegrOndet
und leisten deshalb neben der Regierung auch den Zuscbuss zur Er-
haltung der Institute. Jedes (Jomitö eines Seminars stellt seine be-
Padigoslain. IS. Jahrg. H«ft VI. 27
Digiti^ca Oy v^ogle
— 374 —
Leieo
Anftngen (Bepetition)
1
Engl Grammatik und j
Aufsatz 1
I.
Das Lesen soll flicikud
und giaBg«raftB sein;
in den letzten Jahren
wird mehr Gewicht auf
das melodiflche ud
rbythmif((^he Moment sa
legen sein.
Auswendig zu 'lernen
sind:
60 Zetten Poesie.
In der Grammatik er- |
weltert sich der Stoff i
Tom Analysiren oinfacher
bis zu dem zusammen-
gesetzter Sätze. Femer
wird die Kenntnis der
gewöhnlichsten Wort-
wendnngen mlugt.
IL
Das Lesen soll fließend
und sinngemäß sein;
in den letzten Jahren
wild mehr Gewicht anf
das melodiarhe und
rhythmische Moment zu
legen Bein.
80 Zeilen.
Es kommen hinzu:
Die haupt8äcbli( Ijsten
lateinischen Vorsilben
nnd Bndnngen.
1
III.
Das Lesen soll flietoid
und ßinueroniüß sein;
in den letzten Jahren
wird mehr Oewieht auf
das melodische und
rhythmische Moment zu
legen adn.
100 Zeilen.
Voisilben und ange-
Ulagte Silben.
ünter»cheiduug eugli-
acher Wörter von dMen
fremdw Herininft
1 IT.
Das Lesen soll fließend
und sinngemäß sein;
in den letzten Jahren
wild mehr Gewicht auf
das melodische und
rhythmische Moment zu
legen sein.
100 Zeilen ans Shnke-
spenie oder Müton.
GewOhnliebelateimsche
Stämmo entflisrhcr Wör-
ter. Die Autsätze fiu-
dcai ihren Steif in leich-
ten prosaischen und in
noetbchcn Stücken, die
in Pioea flbertngen wer-
den sollen.
Außerdem wird noch
ein ümriss der Geschichte
der englischen Sprache
und Literatur gegeben.
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— 375 —
1
1
1 BcehaeniiiidHatheiiiatik
1 — =
Geographie | Oeschiehte
j DecinwlbrUcbe.
■
1
•
1
i
RritisclieTiH'lii, Austrii-
ueu unu i>riiiBCQ-i>oni-
Amerika.
Berge und Flitsse (phys.)
j — Kartenzeichnen.
1 ,
Umriss der britischen
i.TeiH.uicnie \on Julius
Cänar bis zur Eroberung \
En£r1and8 dorch die Not-
mannen.
i
Proportioosleiue mit
. Anwendung auf Zins»,
! Durcluchnitts-, Proccnt-
(Gewinn und Verlust)
Beehnuf, und Beoh-
nung mit Wer^piereo.
£u«>pa und Britiach-
Inditn. (hsogr. Lftnge
und Breite. Klima und
Producte der Britischen
Beaitmngen.
Bifl SU den Stuarts. \
Wurzel ausziehen. Aua-
messen tob Dreiecken
; und Pariillcl<)i,'rammL'u.
Algebra bi$ zu den
•mfiM^Nn Gtoiekiingen.
1
Atiieu und Afrika.
Winde und lla6rM-
BtrOmnngen.
Von der Thronbestei- ■
ffnng der Stuits b&i nr
Gegenwart.
Berechnung ebener Flä-
chen. !
Al^bra bis zu den qiia-
dratischen Gleiebungeu.
(Gleichung 1. Grades 1
mit 2 Unbekannten.) '
iXTleicliuna: 2. Grades i
mit 1 Inbekannten.) 1
EucUd. üb. I u. IL 1
1
1
1
1
Die Welt im allgemei- .
nen. I
.Tiihrrszeiton. Sonne.
Mond. Piaueteuäy^item. 1
Ebbe. Hit. 1
1
1
1
1
1
1
1
Dieselbe Periode wie ,
im 3. Jahr, aber mu-
fthrlicber.
27*
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— 376 —
Bonderen ADfordenmgen an die zukünftigen Student». Die Autnahme»
und Lehi'erprUfungen werden aber vom R^ernngBinspector abgehalten.
Zu letzterem Examen genügt ein ein-, resp. zweijähriger Besuch der
Anstalt Die Aufnahmeprüfung erstreckt sich über alle Gegenstände,
in denen der pupil-teacher unterrichtet wurde, verlangt auch so ziem-
lich dasselbe, was er im Schlussexamen zu leisten hatte. Wie aus-
drücklich in den meisten Prospecten hei'voigehoben wird, ist die
Kenntnis einer fremden Sprache bei der Aufnahme sehr erwünscht.
Nur in Keligionslehre prütt das Directorium des Seminars selbst. Die
Auswahl der Aufzunehmenden bleibt ganz den Vorstehern überlassen.
Diejenigen jungen Tjeute, welche infolge der Prüfung in die erste oder
zweite Gruppe kommen (unter drei), können zu Queen's Scholars vor-
geschlagen werden.
Die Seminare sind Internate in den meisten Fällen. Die Ver-
waltung ist in den Händen eines Comit^s, deren Präsident bei den
staatskirchlichen Anstalten meist der Bischof der Diöcese ist. Wir
Huden daneben aber auch ganz vornehme Namen unter den Mitgliedern
des Comit^s. < Präsident des Comit^s der Katholiken ist z. B. dei*
Hei-zog von Norfolk.)
Die technische Leitung des Seminars ist Sache des principal,
dem ein vice-principal zur Seite steht. Beide gehören dem geistlichen
Stande au, oder sind doch akademisch gebildete Männer. Außer dem
Übungslehrer (normil master) nnterriehten noch drd bis aeehs Fach-
lehrer. Diese werden als leetnrers beseichnet oder als tntors, wenn
sie auch die AuMcht während der Freizeit Aber die stndents zu
fuhren haben. Neben den wissenschaftlichen Lehrern findet sich anch
eine Art Master, welcher Zeichennntenieht gibt, nnd der Drill Sergeant
fftrs Tnmen.
Die Anfhahmebedingimgen, welche die einzelnen Seminare stellen,
sind gewöhnlich dieselben. Mir sind zugänglich gewesen die Jahres-
berichte von den drei katholischen Seminaren zn Hammersmith, Liver-
pool, Wandsworth, von den Wesleyanischen Seminaren zn Westminster
und Sonthlaads, sowie von den anglikanischen saBoronghKoad, Qray's
Inn Boad, Tottenham.
Unerlftsslich ist immer die Einsendung eines ärztlichen Attestes
sowie die »Bescheinigung eines guten and religiösen Charakters''.
Dann mnss ein Kevers unterschrieben werden, in welchem der Can-
didat sich verpflichtet, Lehrer an Elementarschulen zu werden, zwei
Jahre im Institut zu verweilen, die Hausordnung zu befolgen, so lange
im Amt zu bleiben, bis das Lehrerzeugnis erlangt ist. Werden diese
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— 377 —
Bedingungen nicht erfüllt, so luuss der Betreffende eine bestiuiinte
Summe naohzahlen, welche fTir jedes Jahr ungefähr 50 Pf. 8terl. be-
trägt. Wohnung, Beköstigung und Unterricht sind an .den meisten
Seminaren frei, wenigstens an denen unter staatlicher Aufsicht. I^a-
gegen müssen die J>emiuaristen ein Eintrittsgeld von 1' .,—30 Pf. Sterl.
zahlen. Hierbei ist aber wiederum zu bedenken, dass die Queeus
8cholars soviel Unterstützung von dem Staat bekommen, da^s die
Seminarzeit ihnen doch immerhin sehr billig wird. Die meisten Unter-
stützungen scheinen nach den mü' yorliegeuden Prospecten die Zög-
linge der katholischen Seminare zu haben.
Die Seminargebättde selbst sind den Anforderungen der Neuzeit
entspreeheacl aufgeführt. Fast alle arthalten große, luftige R&ume
aowol für den Unterricht, als auch ftr das Speisen, Schlafen nnd
Arbeiten. Bei allen sbid große Gärten, in denen die jungen Leute
den nationalen Vergnttgungen der Engländer nachgehen kOnnen. Den
Zöglingen von Borongh Boad Training College ist sogar von dem Erz-
bisehof von Ganterbnry die Erlaubnis ertfaeilt worden, in dem ge-
rftondgen Park von Lambeth Palace ihre Ballspiele abenhalten. Im
Folgenden will ich die Hansordnnng des letstgenannten Seminars
mittbeiien, ans wdchem ein Scldiiss aof die übrigen gemacht
werden kann.
An Wochentagen, mit Ausnahme Yon Mittwoch nnd Sonnabend,
findet mn 8 Uhr das Moigengebet nnd darauf das Frühst&ck statt.
Von 9—12 Uhr Ist ünteniclit, von 12—1 Uhr Tnraen, nm 1 Uhr
Mittagessen, von 2Vt^V« Unterricht, um 5^« Uhr gibt es Thee.
Von 6—8 Uhr Unterricht, 8' ,, Uhr Abendessen, O«/^ Uhr das Gebet.
An Sonnabenden fällt der Nachmittagsunterricht aus. Pünktliche
Anwesenheit in den dassenammern wird von den Zöglingen verlangt,
wenn nicht Dispensation von den Lehrein nnd dem Director ertheilt
ist. Es ist nicht erlaubt, sich in einem anderen als in dem auf dem
Stundenplan bezeiclmeten Zimmer aufzuhalten. In allen Classen mnss
mhige Ordnung beobachtet werden. Nachlässigkeiten im Anzüge sind
zu keiner Zeit gestattet Die Zahl der students im College hängt im
ersten Jahr von der Anzahl der Aufgenommenen ab, im zweiten von
dem Resultat der Seminarprüfung. Es ist Pflicht des Seniors, auf
Ordnung zu sehen, sowie alle Krankheitsfälle dem Director und der
Hausmutter anzuzeigen. Der Speisesaal wird fünf Minuten nach dem
Läuten geschlossen. Zuspätkommende erlialten kein Essen. Nur am
Sonnabend Abend und Sonntag ist es ^e^tattet, bei den Mahlzeiten
zu fehlen. Der Lesesaal steht den meetings dei' Seminaristen zu Ue-
Digiti^cü LyjpüOgle
— 378 —
l>ot€. Der Auleiitlialt in deiiiselbeu ist besonderen Vorschritten unter-
worfen, Schach- und Damespiel sind edaubt, Karten- und Hazard-
spiele strenge verboten. Rauchen in den Seminargebäuden selbst ist
nicht gestattet, wol aber in der Turnhalle. Sonnabend nachmittags*
und den ganzen Sonntag ist das Ausgehen den students gestattet.
Es wird erwartet, dass jeder am Sonntag dfu Gottesdienst besucht.
Für jede Woche ist ein Sonntagsbericht zu schreiben. Die Schlaf-
zimmer dürfen nur aufgesuclit werden in der Zeit von nachmittagsi
1 — 2, 5 — 6 Uhr, Sonnabends und Sonntag nachmittags, und abends
von 8\/2 Uhr ab. In den Schlafeimmern dürfen die Sachen der stu-
dents nicht umherliegen. Nach 11 Uhr muss jeder Student in seinem
eigenen Schla&immer sein. Licht in demselben ist nicht gestattet
Alle 14 Tage.jntlMi die Seminaristen eine schriftliche Arbeit über
ein selhetgewfililtes Thema ^oeidieD. Ferien sind 10—13 Wochen.
Da zu Weihnachten immer die Entlassungsprttfimgen stattfinden, ist
nach Beendigung derselben meist eine Pause von vier Wochen. Im
Sommer dauert dieselbe nodi länger. Eflnere Ferien sind zu Ostern
und Pfingsten.
Für die LehrerprilAmg sind folgende Gegenstftnde in Gruppen
gebracht:
1. Schulkunde, 2. Englisch, 8. Geographie und Qeschichte, 4. Bech-
nen,. Algebra, fiaumlehre, 5. Wissenschaften (dam gehören : Mathe-
matik, theoretische und angemidte Mechanik, Lehre vom Schall,
Licht und WSnne, Magnetismus und Elektridtät, anorganische Chemie»
Physiologie, Botanik, Naturbescbxeibuttg, Ackerbaulehre), 6. Sprachen»
7. Wirtschaftslehre.
Alle Candidaten müssen bei der Prfifung genügende Kenntnisse
in Nr. 1 und 2 nachweisen. Dazu düifen sie höchstens noch zwei
von den anderen Gruppen w&hlen. Derjenige, welcher in letzterer bei
dnr Prüfung des ersten Jahres nicht bestanden hat» muss sie im zweiten
Jahre aufiiehmen.
Im wesentlichen linden dieselben Gegenstiüuie ihren Platz in dem
Lectionsplan der Seminare. Hinzu kommen noch Musik, Zeichnen,
Religionslehre und Turnen. In einigen Seminaren werden auch Curse
für Handfertigkeitsunterricht gehalten, während die Seminaristiunen
noch in Handarbeit und Kochen unterrichtet und wol noch als Kinder-
gärtnerinnen ausgebildet werden. Unterschiede tinden sich in der
Wahl der Spraclien, sowie in einzelnen Zweigen dei- ..Wissenschaften".
Selb.stverständlich erhalten die jungen Leute in den mit den Seminaren ver-
bnndenenÜbungsschuleu auch Gelegenheit, sich praktiscli weiter zu bilden.
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— 379 —
Der fttr das Seminar gütige Lehiplaii ist Ton der Begienuig vor-
geaehneben. Es folgt eine karse Übersiclit desselben, der nur Infi»«-
mation der Weihnachten 1889 geprüften Jungen Lente vom Education
DeiMfftment herausgegeben kt Wo niehts Besonderes hinzogefOgt
ist, gilt der Lefarplan anch fttr die Lehrerinnen.
L Lesen und Hersagen (Bepetition).
L Jahr. Lesen mit deutlicher Aossprache, richtigem Ausdruck
und gebürender Beachtung der Interponction. Jeder student oder
Lehrer, der zur Prüiang kommt, muss wenigstens 300 Zeilen ans den
Werken Miltons, B^rrons oder Wordsworths answ^dig gelernt haben.
II. Jahr. Von den Candidaten wird erwartet, dass sie eine
größere Vollkommenheit im Lesen zeigen und lange und verwickelte
Sätze richtig wiedergeben können. Außt^rdem müssen sie 300 fieihen
aus einem Drama von Shakespeare hersagen können.*)
Außerdem ist jedem Candidaten erlaubt, aus einem selbst ge-
wählten Bach yorzuiesen.
2. Schreiben:
a) Eine Schriftprobe von in Vorschi'ifteu gebräuclilicher Schrift
b) Ein Dictat zu schreiben.
c) Eine gute Schrift soU sich in allen Arbeiten zeigen.
3. Schulkunde.
I. Jahr. Lehrmethoden der elementary und class subjects (s. S. 1)
(geistbildender Unterricht), Schulregister (Tagebuch etc.). Führung
derselben und Anfertigung von Listen und Berichten. Bildung der
Sinne und des Gedächtnisses. Lehrproljen.**)
Füi' die Seminaristinnen wird noch be.sonders Gewicht gelegt
auf die Methoden und Gruudzüge des Uuternchtes und der Erziehung
kleinerer Kinder.
n. Jahr. Kein student wird examinirt, wenn nicht der prin-
dpal beieigt, dass derselbe wenigstens 150 Standen, von denen die
HSlfte mindestens auf das airaite Jahr kommen mnss, in den Obongs*
schalen onteniditet hat
Lehrprobe Tor dem Inspector. Frag^ naeh folgendem au beantp
werten: Verschiedene Arten der Einrichtnng nnd Verwaltung einer
Schale. Schalregister. Verehren bei Bildung von Schlüssen. Ge-
♦) Den Prüflingen i'lS^'Oi wird zum Lesen vorgelegt: The Tcmpest,
Ivanboe, Troncb „Ott the Btody of worda", The (rolden Treasury of Songs and
Lyrics. Book IV.
**) Den Candidaten sollen Stellen aus LeseMchern vorgelegt werden, damit sie
sdgen, wie solehe den Sjadern n erkliraa sind.
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— 380 —
wObnang und Charakter. Gfesnndheitsi'egdii für Schfltor und Lehrer.
UntenicbtsvetfthreD. Locke's „Gedanken über Eniehmig".
4. EngUsch.
L J ahr. Die Elemente der Grammatik. Auflösen von Wörtern.*)
Stellen aus genannten BQehem zu analysiren. An&ats Ober ein
gegebenes Thema. Sinn- und Worterklämng mancher Stellen.
Seminaristinnen mfissen sich aussprechen können Aber Siirache,
Stil und Inhalt der vorgeschriebenen Bftcher.**)
Satz- und Wortzergliederang. Aufsatz.
5. Geographie.
Elementare Kenntnis der physikalischen Geographie mit beson-
derer Beziehung auf
a) Gestalt, Größe und Bewegungen der Eixle»
b) Atmosphäi-e, Regen, Wolken, Dünste,
c) Winde, Strömungen, Ebbe, Flut»
d) Ursachen des Klimas,
Wirkung des Klimas auf die Industrie, Zunahme der Bevölkerung,
den Nationalcharakter,
i) Verbreitung der Pflanzen und Tbiere.
AUjcremeine Geographie von Europa.
Der Candida! muss imstande sein, Karten der britibclieu luselu,
B^rankreiclis, Italiens und der Schweiz zu zeichnen.
Bei den Semiuaiistinnen wird besonders die pllysikHli^^che. poli-
tische und Handelsgeographie des britischen Kelches betout. ^im
zweiten Jahre.)
6. Englische Geschichte.
I. Allgemeiner Uniriss der englischen Geschichte von 10ti<)— 1815.
ai Daten und allgemeine Kenntnis der erwähnenswertesten Ereignisse.
b) Kegiereude Häuser und wechselnde Dynastien.
II. Jahr. Genauere Kenntnis der Zeit von 1685 — 17SS.
Von den Seminaristinnen wird für das zweite Jahr verlangt eine
genauere Kenntnis der Stuart-Periode (1603 — 88; mit besonderer Be-
rücksichtigung von
*) Fttr 1889 waren Torgeschrieben: Shakespeare'« Macbeth, Gnj^s Odes
and Elegy, Bacoas Essays I— XXVI; fOr 1890. King Richard II.« Tennysona
Laacolot and Elaiiio. Ksaavs of Bnoon.
*'| Für 1889: Byrons Childc Haroiil . ("anto III, Macaiilay > Essay «n
Moores l.ite uf Byrou, Shakesitcan"- Macbeth, Bacons Essays: für WM). Miltons
Lycidaä, L'Ailegro, 11 Peuscroso, iiyuin üu the Nativity. Macaiilay's Vlis&y ou
miUm. Shakespeaie'8 Richard IL, Treaeh's Stndy of Wolds.
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— 381 —
a) constitutioiiellen Veränderungen und den wichtigsten Gesetzen,
b) Thaten des Heeres und der Flotte,
c) industrieller Thätigkeit,
d) der Literatur der Periode.
7. Arithmetik, Algebra, Maßlehre.
L Jahr. Aiithmetische Summen (Kopf- und Tafelrechnen). Lefar-
sfttie beweisen und anwenden.
Einfache theoretische und praktische ij'xagen aus der Aigebi«
und Maßlehre beantworten.
Erhebung einer Quantität von ihrer Wurzel in eine Potenz, Ra-
dicii*en, gemeinschaftliches Maß, algebraische Brüche, IiTatiouale^
Proportion, geometrische und arithmetische Progression, einfache
quadratische Grleichungen mit einer oder mehreren Ünbekaunten. Aus-
messung geradliniger Figuien und des Kreises.
Für Seminaristinnen:
Die vier Speeles. Rechnung mit einfachen und Decimalbrücheu.
Zinsrechnung. Einfache und zusammengesetzte Proportionen. Übung
im Kopfrechnen.
II. Jahr. Schwierigere Aufgaben.
Permutation. Combination. Binomischer Satz, iiitegralrechnung.
Logarithmen. Ziuseszins- und Rentenrechnung. Schwierigere Glei-
chungen. Berechnung des Cylinders, der Kugel, des Kegels und einiger
unregeünäßigen Körper.
Den Seminaristinnen wird zur Aufgabe gestellt die Anwendung
frtther durchgeuommener Begeüi anf DiacontreclinuDg, Bechnuug mit
Wertpapiei^n, VersicherangBrechnnng und Wuraelansziehen.
8. Geometrie.
L Jahr: die drei ersten Bfleher des Euklid.
n. „ EokUd, Bneli IV-VL
9. Wirtscliaftdehre.
Fflr die Seminaristen des zweiten Jahres Volkswirtschaftalehie,
für die Seminaristinnen Hauswirtschaftslehre.
L Jahr. Zubereitung und Nährwert der Naluruig. Die mensch-
li«shen Organe und die Ftocesse des Kanena and der Verdanung.
Materialien znr Klrfdnng. Kohlen. Ban, Eüirichtang, ErwArmong,
Beleochtnng und Baiaigong des Hauses. Frisehe Luft; ihre Bestand-
theile; Mittel znr Sidierang einer guten Ventilation. Athmungsorgane.
IL Jahr. Wahl und Bereitung yon Nahrungsmitteln. Bereitung
von Nahrung f&i* Kranke. Ftthning eines Hanshalts. Ausgaben und
Anlage von Geld.
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— 882 —
Um einen Beprritf zu geben von dem StolF, der in der Volks-
wirtschaftslehre geboten wird, will ich einige Fragefl anführen, die
Weihnachten 1888 an Prüflinge gerichtet wurden :
Kurze Begritfserklärung von: Wolstand, Capital, Wert, Nutzen,
Rente, Lohn und Profit. Unterschied zwischen productiver und nicht
productiver Arbeit. Wie vermehrt Arbeitstheilung die ProductionV
Welclies sind die Vortheile und Nachtheile des „bäuerlichen Besitzes"?
(Länder, in denen dieses System besteht) Welche Wirkung auf die
Preisverhältnisse überhaupt und den Wert der Goldsachen würde es
haben, wenn die kürzlich eröffneten (Toldminen in Wales sich selir
reich ei'weisen sollten? Vorbereitung der Niederschrift einer Aufgabe
T. Classe) wie dieser: die Post in ihrer dreifai^hen Aufgabe: den
V^erkelir zu erleiclitern, den Wolstand zu befördern und Einnahmen
für den Staat zu erzielen. Unterschied zwischen directer und in-
directer Besteuerung.
10. Musik.
I Jahr. Kenntnis der Notenlinien und Noten. Ihre Lage im
Discant ond Bass. Dur-Tonleitern. Diatonische Intervalle. ErklÄ-
rang von Tonica, Dominante ete. Transposition. Tempo. Beieich-
nung desselben. Notenwert
Aoeordbildnng. A-dnr-Tonleiter in den wsehiedenen SehlQsseln.
2-, 3- und 4 theiliger Taet
n. Jahr. Molltonleitern. Diatonische und chromatische Inter-
valle. Synkopining. Allgemeine Begehi fllr StjmmbUdnng.
Namen der chromatischen Töne. Versetzen yon Schlftssehi. Drei-
und viertheflige Tacte.
Eine Prflfiing in Harmonielehre erfolgt nur praktischer
Tflchtigkeit
Im (11.) Zeichnen
wird nicht bei dem Hanptexamen geprüft, sondern besonders dorch
das Art Department
12. Sprachen.
Eine Prüfung findet statt in Latein, Griechisch, Franzitoisch und
Deutsch. Für Seminaristinnen ist meistens Griechisch ausgei?chlossen.
Den Seminaristen ist die PrOfung in höchstens zwei fremden Sprachen,
den Seminanstinnen in einer gestattet.
I. Jahr. Beantwoi*tnng grammatisclier Fragen nnd Übersetzen
leichter Prosastellen ins Englische und umgekehrt.
II. Jahr. Übersetzung schwierigerer Stellen aus Poesie und
Prosa. Construction einzelner Sätze. Stoffe für 1889: Caesar: De
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— 888 —
bello GallicOf lib. Vergfl: Aeneis, üb. Xenophon: Qsrropaedie 5,
Homer: Blas 6, Souvestre: Un phüosophe soas les toits, Racine:
Iphigenie, Grimm: Kinder- und Hanamärchen, Schiller: Wallenstein I;
ftlr 1890: George Sand: T.a Marc au Diable, Moli^re: Le Misan-
thrope, Goethe: GQts tob Berlichingen, Schiller: Jnngfraii von Orleans.
13. Wissenschaft. (Science.)
Bezüglich der Lehrfächer s. S. 378.
Wue Prüfung in bestimmten Fächern wird jährlich im Seminar
gehalten kurz vor der HauptprüfunjE^. Mehr als zwei Gej^enstände
zu wählen, ist den Seminaristen nicht erlaubt; die Seminaristinnen
dürfen nicht mehr als ein Fach nehmen. Bei der Prüfung hierin
gibt es drei Grade von Zeugnissen.
Der Stoff in „Mathematik" ist für die
T. Stufe: Geometrie:
Alle Lelu-sälze der ebenen Geometrie, Euklid, lib. 5—6, Pio-
portionslehre.
Algebra: bis zu lig:urirten Zahlen und Kettenbrüclien. Logarithmen.
Trigonometrie: bis zur Ausmessung von Dreiecken, Flächen, Höhen
und Entfeniungen.
Stereometrie: die ersten Lehrsätze. Inhalt der Obertiilche des
Cylinders, Kegels und der Kugel,
IL State: Ditt'erential- und Integralrechnung. Das Pensum beider
Stufen kann in einem Jahre genommen werden. Erhält ein Student
fiir beide Stufen ein Zeugnis Nr. 1, so bekommt er ein sogenanntes
„Ehrenzeugnis'' (Honours certificate).
Für (14.) Turnen
Ist kein besonteer Lehiplan angegeben.
SeniiBaristinaen haben nodi Unterricht im N&hen und Zoschneiden,
soide im Kochen.
15. Handarbeitsnnterricht
L Jahr. Reparatnr irgend eines üntenengs. AnMchnen von
Mastern fttr ein Fraoenhemd, ein Kinderhemd, Unterbeinkleid für ein
f&nQfthriges Kind. Zuschneiden und Anfertigung genannter Kleidnngs-
stficke. Theoriei
n. Jahr. Schwierigere Handarbeiten. Das Schünräi, EinsKamen,
Kreossticb, Ausbessem, Stopfen yon Strflmpfen. Zeichnen von Mastern
für ein Fraoennaclitieog, Knabenhemd, eine Kinderschfirze.
Zuschneiden und Anfertigen genannter Kleidungsstücke. Theorie.
III
Besteht ein Candidat die Prttfting für das erste Jahr, so erhält er
Digiii^ca üy ^^OOgle
— 384 —
ein Zeugnis di'itten Grades, welclKs Ilm znr Übernahme einer Schulstelie
berechtigt, aber nicht zur Ausbildung von pupil-teachei*s. Ein Student,
der nach zweijährigem Besuch einer Anstalt die Priifung macht, erhält
ein Zeugnis zweiten Grades. Eine zweite Prüfung der Lelirer wie in
Preußen besteht in England nicht; jedoch wird auch hier sehr auf
praktische Bewährung der Lehrer gesehen. Diese bekommen nämlich
ein endgiltiges Zeugnis nicht sofort, sondern sie müssen wenigstens
zwei Jahre amtlich thätig gewesen sein und zwei günstige Berichte
über ihre Lehrthätigkeit von einem Inspector aufzuweisen haben, bevor
sie dies erlangen. (Man sagt dann: He obtained his parchment.) Nach
der Revision sclireibt der Inspector in Zeugnisse zweiten und dritten
Grades einen kurzen Bericht. Wer sein Zeugnis dritten Grades erliöhen
will, muss sich der Prüfung unterzielien, welclie students des zweiten Jahr-
gangs zu bestellen haben. Diese Prüfung darf aber nur einmal in je zwei
Jahren vei-sucht werden. Zeugnisse zweiten Grades können nur durch
gute Amtsführung in solche des ersten Grades umgewandelt werden.
Nach jeden» zehnten i'ievisi<insl)ericht kann liier eine Änderung vor-
genommen werden. Certificated ttaLlRi^ mit Zeugnissen ersten Grades
haben also mindestens zehn Jahie Dienstzeit hinter sich. Bei der
Revision wird vom Inspector in solche Zeugnisse niclits mehr ein-
geti agen; die betreffenden Lehrer können aber «inB Atedirift Y<»k der
Schnicommlnion wUngen, sowie der Betkht in das dMsenbneh ein-
getragen ist. Ein Zeugnis kann auch widermfen oder hemntergesetzt
werden, aber nicht eher, als bis die Bogierong dem Lehrer Gelegen-
heit zur Bechtfertigong gegenflbo' den geltend gemachten Beschwerden
gegeben hat
Wie die englischen Schnlzeitnngen und Jahresberichte der Seminare
ergeben, ist es in den lotsten Jahren auch nicht immer möglndi ge-
wesen, den abgegangenen Seminaristen sogleich LehrersteUen zu ver-
schaflfen. Nach dem Beport des fiorongh Boad Training Collie, ^ndon,.
erhielten die anf der Anstalt voigelnldeteQi nen angestellten Lehrer ein
Jahresgehalt von 60—110 Ff. SterL, also dnrchschnittUch 85 Pf. SterL In
gut dotirte, leitende Stellongen an gelaageo, ist anch den englischen Ele-
mentarlehrem erreichbar, wenngleich solche in den meisten FftUen doch
wol nor an akademisch gebildete Lehrer vergeben werden.
Wie ans dem Obigen ersichtlich ist, ergibt sich beattglich des
Bildungsganges der englischen Lehrer eine große Abweichung von dem
ihrer preußischen Amtsgenossen. Zunächst ist zu bemerken, dass der
Engländer im Gregensatz zu letzteren seine Bildung durch Privat-
anstalten sich aneignet, wenngleich die Prüfungen auch von staatlichen
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Inspectoren abprehaltcn werden. Die directe Vorbereitung auf den
Lehrberuf beginnt in England früher als in Preußen, da mit 18 resp.
14 .Taliren der zukünftige Schulmeister als pnpil-teacher seine Laufbahn
beginnt. Hier sind die Präparanden gewöhnlich 15 Jahre alt, wenn
>ie in eine staatliehe oder private Präparanden- Anstalt eintreten, der
^i<' dann zwei Jahre angehören müssen, bevor sie in ein staatliches
Seminar aufgenommen werden können. Nur die Lehrerinneu erhalten
auch in Preußen meistens ihre Vorbildung auf privatem Wege. In
Kngland wird von vornherein, also schon bei den pupil-teachers, auf
l»raktische Ausbildung gesehen, während hier erst im zweiten Seminar-
jahr der Seminarist sich unterrichtlich versucht. Man muss also im
großen und ganzen den englischen Lehreni bei ihrem Eintritt ins T^ehr-
amt eine größere praktische Ausbildung zuerkennen als den preußischen.
In England wird auch ein einjähriger Tk'such des Seminars (unter
l'mständen, wie bei uns, gar keiner) für ausreichend angesehen, um
nach erfolgreicher Prüfung eine Lehrerstelle annehmen zu können.
Was nun den in den Seminaren durchzuarbeitenden Lehrstoff anbetrifft,
so ist den englischen Seminaristen eine viel grOfiere Möglichkeit gegeben
als den preußischen, sieh mehr Wissen in einseinen Gegenstfinden
anzueignen, — ich verweise nnr anf das Pensum in Mathematik,
Wirtschaflslehre, den fremden Sprachen. Aber da nur von Seminaristen
des zweiten Jahres (in England) eine obligatorische Prflftang in (Religion),
Schnlknnde, Engliseh und zwei andere Gegenstfinden verlangt wird,
mnss man unseren Seminar- Abiturienten doch wol eine grOBere all-
gemeine Bildung zugestehen. Die Engländer haben noch manche
Schäden, an denen ihr Yolkssehulwesen krankt (auf die ich hier nicht
nfther eingehen kann), zu beseitigen. Dennoch ist ihnen nicht die
Anerkennung zu versagen, dass sie schon viel Gutes auf diesem Gebiete
in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben, wozu wol nicht zum
geringsten Theüe ihre Filrsorge flir eine erhöhte Bildung des Lehrer-
standes beigetragen hat
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Pädagaipsche KRudsehaa.
Znm FortbüdniigsschalweBeii in DeatoeUand. Badw hat im nenea
Jahre einen schweren Verlost in Hinsicht des Fortbildongsschnlwesens zn ver-
zeichnen. Kreisschulrath Schindler in Baden-Baden, der lanjyahrige Förderer
desselben in Baden, der Gründer und bisherige Leiter der „Badischen Fort-
bilduDgsschale,'* welche nach dem Muster des «Schweizerischen Fortbildauga-
•ehfllen" etngeriehtet war, ist am 6. Jinner 1890 nadi Imrsem Leiden
gestorben.
Der bisherige Redacteur der trefflich geleiteten Fachzeitschrift „Fort-
bildnngssclmlp.'' Herr Sclmldirector Oscar I^aclu» in liCipzigr-Lindenau, beab-
sichtigt vum 1. April 1890 ab in muuatlichen Zeiträumen mit dem Verlags-
baefahlndler Herrn H. Herros^ in Wittenberg „Dentsehe Fortbildnngs-
blfttter" heraaszugeben. Diese ZeitsohrMt ist in erster Linie für die Hand
der (lontsflit'ii Forfliildmigsschüler bestimmt und es soll dieselbe den Unterricht
in der Fortbildungsschule ergänzen und anderseits die Ausbildung dfs Geistes
nndGemüthes der jungen I^eute selbstständig fördern, indem sie namentlich die
nationale Gesianang pflegt und den sittlichen Emst achftrft
Ans leitenden Kreison in Sachen der dentsdien Fortbildongsschnle ist
auch bereits die Anregung zar Gründung eines eigenen Verbandes der Lehrer
and Förderer der deutschen Fortbildungsschule ergangen.
Am \'I11. deutscheu Lelirertage zu Berlin, Pfingsten 1890, soll aach das
Tliema Uber „Fortbildnngs- andHanshaltnngsschnlen für M&dchen" snr Sprache
koBunen, Als ReÜBNnt wird Herr Dr. Otto Kamp, stUMseherLelinr hiFraok«
fhrt a. M., sprechen. Die Thesen dieses hervorragenden Fachmannes anf dem
Gebiete der Mädchenerziehung seien hier, wie auch die des bekannten Herrn
Korreferenten A. £rnst, Rector der höheren Mädchenschule in Schneidemähl,
nütgetheilt:
Thesen des Referenten.
1. Eine Aber die Volksschulzeit hinausgehende schulgemlfle ünterweiimig
ist für Mädchen ebenso n"»thig uud nützlich wie für Knaben.
2. Dieselbe ninss für lohnarbeitende ^fädchen in Unten-ichtsvorkehrungen
erfolgen, deren Besuch, die Tagesaibeit und den Broterwerb nicht , beein-
trSchtigt.
3. In solchen Mlldchenfortbildnngsschalen kann die Unterwdsnng eine
<]i-eifache sein: a) Fortbildung in gewissen Volksschnlfächem ; b) gewerbliclies
Anlernen und Unterrichten; cj hauswirtschaftliohe Unterweisung.
4. Die in neuerer Zeit mit Nachdruck geforderte und eiuzelorts schon
«rfolgreieh erteilte hanswirtscbaftliche Unterweisung steht den erstgenannten
Unterweisungen an Nothwendigkeit nnd Nntsen nm so weniger nach, als sie
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vor allein den kfinftigen dauernden Leben5;beruf| ihrer Sch&lerinnen ms Auge fasst
nnd deren zorZeit dnrch Broterwerb beschränkte lüUislicheThätig'keit anfden kom-
menden £igenban8balt als das Ziel und die Xrune weiblichen Wirkens hinweist.
5. Sie erfolgt swMhHlBig in Abend-, bezw. in Stnnden-Hansbaltangs-
tebideii, den bamwirtsdnitliolMn FortUldmigMehiltn, deren Besneh im Verlauf
der Entwickelung: nnd nach Maßgabe ihrer Bewährung auch swnngimftSig
crestaltet werden kann. Dieselben sollen keine Mllgde-Bildungsanstalten sein,
sondern die in Fabriksarbeit, in der Kleinindustrie und Geschäften und im
•Dienst bei wolhabenden Leuten befindlichen Mädchen mit den Anforderungen
and Venichtongen dee kleinbürgerUehen AibeiterhaulMltee dnrch pnktlMhe
Unter Weisung vertrant machen.
6. Letztere Unterweisung als Unterrichtsgeg^nstand mit eigener Stunden-
zalil schon in der Volksschule praktisch zu betreiben, erscheint — weil ander»
Fächer schmälernd und die Allgemeinbildung gefäiirdend — nicht rathsaui.
Die anBerhalb derVoIkachnle itehenden sogenaontenNebemefanleB kSnnen mit
flberwachender Fürsorge (USdchenhorte) aadi haanvirliehaftlldie Beeohftftignng
Terbinden oder diese allein bezwecken (Flick- und Nähschulen, Klllder-Kochcnrse ).
7. Dagegren kann die Volksschule in ihren, einer hanswirtschaftHchen
Belehrung ungezwungen zugänglichen Fächern die Haushaltnngskonde in dem
XaBe berficksichtigen, welches den Kern and Schatz der denteehen VolkBschnle,
ihre Allgemeinl^dnng mgeechftdigt Uait
8. Neben und anfler der hanswirtschaftlichen Fortbfldnngsschule stehende
ünterrichtsvorkehrungen: Ganztag -Haushaltnngsschulen, Fahiikheinie und
Mftdchenherbergen sind, wo Orts- nnd Erwerbsverhältnisse ihre £rrichtang
empfehlen, als gleichwertig gute Hauähaltungsschuleu zu erachten.
9. Die EMrtening, VMarnag ud Pflege aller den FortUldonga- nnd
Haushaltnngsschulen geltenden Beetrebangeii ist Pflielit und Ehrensaehe aneh
der deutschen Lehrerschaft.
Die Thesen des Correferenten stimmen in 1 — 4 mit obigen äberein. Die
folgenden lauten:
5. Sie «rfoigt iweekmIAig in Abend*, besw. 8tiinden*Haiiihaltugiiolinlen,
die fttr alle Sohfllerinnen vom 14. bis 17. Jahre obllgatoclaidi sind. Der Unter-
richt findet an zwei Wochenabenden nnd am Sonntag Naehmlttag in je zwei
Stunden st^tt nnd umfasst außer der Fortbildung im Dentschen die praktisclie
Unterweisung in allen Zweigen des Icleinbtii^perlichen Haushaltes.
6. Da ungefähr vier Fünftel aller Schfilerinnen Hausfrauen werden, so
hat die Volkss4dmle In ihran Untenriohte die Ffliolit, die Hanahaltnngtknnde
soweit zu berficksiditigen, als dadurch das eigenüiebe Ziel der Schale — die
Allgemeinbildung — nicht peschädig^t wird.
7. Der Kasseler \'ersucli, die Haushaltuugsknnde im letzten Schuljahre
an wöchentlich einem Vormittage unter Wegfall von zwei Haudarbeits- und
zwei Zeiöhenstmiden praktiseh zn lehren, wird namentUdi grSBeren Städten
zur Nachahmung empfohlen. Ergeben wiederholte Versuche dasselbe günstige
Resultat wie in Kassel, dass die Allgemeinbildung durch den neuen Unter
richtszweig nicht nur nicht pescliädigt, sondern befördert wird, dann ist die
organische Eingliederung der praktischen Haushaltungskunde im letzten Schal-
jahn in den Lebrplan der ICftdehen-Volkssdiale anznstieben.
8. Wie oben.
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— 3«8 —
9. Vcn UnteiTichtsverwaltungen des Deutschen Reiches wird empfohlen,
die Haushaituugskunde möglichst bald iu den Lehrplan der Lehrerinnen
Seminare aofiEonehmen.
10. Die BrOrtemng', FSrdenuig und Pflege aller den FertbUdmigf» und
Hanshaltungsschulen geltenden Bestrebungen ist Pflicht und Ehrensadie der
deutschen Lehrer, die als ..Volkspftdagogen'* bemfen alndy weeeDtUch sur
Lösung der socialen Fi*age beizutragen.
Berlin. Der den AbgeordnelenlianBe vorgelegte neoe Etat für das
VolkaielnilweBen trftgt ein Geeicht, welches den dringenden Nothstitaiden in der
nnterrichtlichen Vemrg^ing- der sdmlpflichtigen Jugend und den traurigen
öehaltaverhältnissen der Lehrki'äfte nicht im mindesten entspricht.
Es ist gegen das \ orjahr ein Plus von 331 000 Mark eingestellt. Davon
entfldlen auf daa LebrerUldnngsweMa 122310, anf die geistliche Schidaaf-
deiit, die verstSrkt worden ist, 188500 Mark und 100000 Marie mehr ei^
fordert die angewachsene Zahl der Emeriten, so dass sich für die eigentlichen
Volksschnlzwecke ein Rückgang von 14()0() Mark ergibt. Weleh ein
Zeichen der Zeit! Dies geschieht unter einem Cultusminister, der erkliüt hat,
dasfi das Volksschulwesen ihm von allen am meisten ans Herz gewachsen sei.
Anf wdche Weise der Etat herantergedrOckt wird, ersieht man daraus, dass
die im vorigen Jahre bewilligten Altersznlagen keine Mittel beanspruchten,
trotzdeni ^ine größere Anzahl Landlehrer s«il<lie erhielten. Woher ist das
Geld gekommen? Einfach, in der That höchst » infach: man hat die Zuschüsse
städtischen Stelleu entzogen! Dabei bedenke man, da^s nur wenig über
10 Procent aller Lehrersteiloi in Preai{«i 1600 Mark nad darüber ein-
Iningen; and wieviel entfallen davon auf Kectoren etc., die doch hier nicht in
Betracht gezogen werden können! Zuviel hat wol keiner, aber es wird das
wenige genommen, was einige mehr haben, als die dringendste Nothdui-ft er-
fordert.
Weiter ist im Etat für die Witwenversorgnng kein UUierer Betrag ein-
gesetzt, obwel die Lelirer keine Belktembdtrige mdv lahlen. Widier kommt
aber das Geld, welches doch da sein moss? Wieder einfacli, noch einfacher!
Die von dem armseligen Gehalt der Lehrer bisher gezahlten Beiträge haben
sich zu solchen Fonds angesammelt, dass der Staat nocli nicht in den Säckel
zu greifen braucht, noch kann vom vorhandenen Fette gezehrt werden!
Wie biUig!
Per Etat berichtet ferner: Für die Errichtung nener Schulstellen sind
;i6<M)o Mark wcniprei- erforderlich. Aber, wird jeder sagen, der die Verhält-
niKse kennt, die amtliche Statistik und die allgemeine Meinung erweist doch,
ddan über 50 Procent aller scholpliichtigen Kinder iu üherlüllteu, oft in er-
schreckend flberflUlten dessen sitzen, und dass 12 000 Stellen nidit besetst sind;
wo kann da eine Verminderung der Schulstellen platsgreifen? Warum thnt
man nichts, um der um sich greifenden ('berfüllunsr zu steuern?
Die Antwort wird wahrscheinlicii die sein, es fehlt an Lehrkräften!
Aller Präparandenfang luid alle Präparaudenzucht, alle Prämien und Stipen-
dien, alle AbkOrznng der Sendnarciirse und alles HenintenelMa der Ansprtlehe
in I^hrerprttfangen ntttst an nidits. Die Zahl der Seminaristen sinkt nnd die
der Schnlkinder steigt^ Wieder sehr einfiieh, hOcfast einfhcb, denn ein Tage-
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— 389 —
lüluier verdient im Dui-chscliuitt über 75() Mark jährlich, aber lOiHjO preußi-
sche Volksschallebrer haben weniger oder höchstens ebenso viel Eiukommeu.
Der Etat webt nidita uf , was die Hoffimogen der Lehrer auf eine Be-
aiüUgvag dringender NotlietSnde rechtfertigen könnte. Der Beeehlnis des Ab-
geordnetenhauses vom 20. WArz v. J. betreffend die Witvvenvei-sorgang ilt
ohne Eindruck vorübergegangon, der Etat zeigt wenigstens davon nicht«.
Unheilvoll für das Schulwesen sind auch die schwankenden Staatsznschüsse
sa den LehrenteUen. In der Regel hat eine GehattaanfbeMenmg der Ge-
meinde den Rftokxng des StaattnuKhueeB nr Folge, so dan der Lehrer nicht
gebessert und die Gemeinde geschädigt ist, der Staat aber den Vortheil zieht»
Dies hat zur Folge, das.^ die Gemeinden alles unterlassen, was einer Besser-
Stellung gleichkommt; nur um den ätaatszoschnss nicht zu verlieren. Eine
derartige Ordnung, die den staatlichen SchnlbehSrden eine dictatorische Gewalt
in die Hand gibt» kann nnr anf dem Wege derGeeetagebong beseitigt werden,
und die gegenwärtige Session geht hoffentlich nicht vorttber, 4riine dass in der
Richtung auf ein T^nterrichtsgesetz hin Schritte erfolgen.
Der Etat Preiißtiis für 1890 91 weist einen Überscliuss von 80 MiUionen
Mark auf; wenn uuu jetzt nichts übrig ist, wo soll etwas herkommen, wenn
die chroniMihen Deficite wieder kommen?
Aus dem Großherzogthum Baden. Bezüglich der nenen Gehalts-
aufbesserung in Mannheim (siehe voripre Nummer) erhalten wir von dort die
folgenden Erläuterungen: Mannheim scheut keine Opfer zur Hebung seine»
Vbikssdivlwesens. Es gibt Jlhrlich eine bedentende Samme ans, nm eine „er-
weiterte Volkssehnle" n nnterluJten, die eine ▼ermehrte ünteniehtneit nnd
einen umfassenderen Lehrplan verlangt und demgemäß mehr Lehrer und Lehr-
säle. Die Durchschnitts-Schülerzahl einer Classe beträgt 50. (Sie entspricht
im ganzen nnd großen der preußischen Mittelschule mit facultativem franzö-
sischen Sprachunterricht.) Jedes Kind, auch das des ärmsten Mannes, muss
diese Sehnle besnehen, wenn es nicht eine Privat- oder Hittelschnle freqnentirt.
Das Schulgeld beträgt für ein Kind jährlich nur 4 Mark; besuchen mehrere
Kinder diese Schule, so tritt Eniiiißi£?ang, bei Unbemittelten gänzlicher Erlass
ein. Mannheimer Abgeordnet»- beantragten in dem voriilhrig-fn Landtage die
gänzliche Beseitigung des Schulgeldes au VoHisschuleu, vMudeu aber über-
stimmt; Mannheim mnss sonaoh, den geaetaUchen Bestimmungen des Landea
entsprechend, Schulgeld erheben. — Wenn auch die jetzigen Lehrergehalte
nicht gestatten, Extravaganzen zu machen — die ja auch völlig überflüssig
sind — so reichen sie doch bei bescheidenen Ansprüchen ans Leben vorerst
aus, zumal vielen Lehrern, abgesehen von Privatunterricht, durch Ertheilong
von Überstunden oder dnrdi UntendchtserthaUnng in der Fortbildnngsschale»
dnrch Ertbeilnng von Tum- oder framüSiBehmn Unterrldit noch ein Neben-
einkommen erwächst. (FUr die Ertheiinng einer solchen Stnnde wird 60 Mark
pro Jahr bezahlt.) — Die wöchentlichen Unterrichtsstunden betragen in den
oberen Classen 24, bezw. 26, in den unteren 28 (das Schulgesetz hingegen
hat 32 festgesetzt). Der Gesammtaufvvand der Stadt ffir ihre erweiterte
Volkssehile betrug in der letalen Bndgelperiode 766200 Hark, wovon
358 800 Mark auf Lehrergehalte kommen. Dnrch die Neuregelung der Lehrer-
gehalte erwächst der Stadt eine Mehrausgabe pro Jahr v<« vorerst 25 000 Mark.
PadagogiuB. lt. Jihtg. H«ft VI. 2Ö
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— S90 —
— Die Lehrer haben außer den nicht übennäBig: hohen Steuern /Staats- und
Gemeindesteuer, Kirchensteuer kennt man bis jetzt glücklicherweise in Baden
noch nicht) jährlich 36 Mark Beitrag zur staatlichen Lehrer-Witwen- and
Waiaeneaase ond 2 Hark Ar d«ii Lesesirkel an laUen, nngareehnet die Ana-
gaben f&r Privat-Unterstützangsyereine , wie beispielsweise monatlich 2 Mark
für den „Pensions-Hilfsverein," wozu die Stadt jährlich 2000 Mark freiwil-
Ilgen Beitrag leistet, den städtischen Pestalozziverein et«. — Die Preise der
Lebensmittel sind denen aller größeren StUdte gleich (OchsenfleiscU erster Sorte
'70—75 Pf, n. Qnalitilt 60—65 Pf), die Oemfiee Jedodi veriiSltiiJamafil«
billig; das Brennmaterial besteht fast aosschUeBUeh ans Steinkohlen, welche
vor dem Strike 60 — 65, jetzt 90 Pf. pro Centner kosten. Die Wolmungs-
miete (4 — 5 Zimmer) betrügt 550 — 600 Mark. Wir führen das ^'o^ste^lende
zur Vervollständigung unseres Berichtes an, damit man auswärts sich ein klares
BOd voo der La^ dM Mmretaiidet In Uanalielai naeheii kann. Schlledlldi
bemerken wir noch, da« eine definitiv angeatellte Lehrerin ein Anftuigsgelialt
von 1800 Mark bezieht; von 10 zu 10 Jahren erhöht sich das Gehalt jetzt
um 100 Mark, so dass nacli :?wanzigjäliriger Dienstzeit eine Lehrerin 2000 Mark
erhält. Bisher betrug das Anfangs- und Höchstgehalt 1770 Mark. Die provi-
iorisohen Lehrer (Unterlehrer) and Lehrerinnen erhalten 1200 Mark ond
steigen Ua 16C0 Hark.
Aus der Schweiz. Am Himmel d^r pädag-ogischen Littnatur stieg in
der Berichtsperiode ein längst erwartetes (jestirn auf, dessen Glanz die
Aufmerksamkeit auch weiterer Kreise auf sich lenkte: H. Morf's „Zur
Biographie Pestaloszi'a*, vierter Theil. Der Icnndlge, nnennfidliche Pesta-
lozziforscher bietet ans darin höchst intereEsantes Material ans der Blütezeit
des Instituts zu Yverdon, sowie aus Pestaluzzi's letzten Lebenstagen und bewt-ist
durch dieses trefOiche Werk au£B ueaej dass er auf diesem Gebiete der erste
Meister ist.
Die Bndehangsdireetion des Canums Bern realisirte ein schAnee, anch
andernorts empfehlenswertes Project: Sie setzte eine Lehrerbibliothek-
Comni iss Ion ein zur Erstellung und successiven Weiterföhrung eines Katalogs
dnrcliaus empfehlenswerter Werke für private und corporative Lehrer-
bibliütheken , sowie zu Recensionszwecken und erließ deshalb einen Aufruf au
die Lehrerschaft zur Angabe besonders sch&tsenswerter Sohriften. Diese
Oonunission zerftUt in drei Sectionen, Ton denen die erste sieh mit Plda^ogüt,
Hetliodik, Kunst und Fertigkeiten, die zweite mit Deutsch, Geschichte und
Religion und die dritte mit Naturkunde, Geographie und Mathematik befasst.
Die Tagespresse beschäftigte sich in den letzten Monaten nicht nur mit der
brotlosen „Kunst" der Politik, sondern oft auch mit praktischen Fragen zur
Hebong des Volks- nnd hSheren Sohnlwesens. Obenauf sebwanunen s. B.
(bigende: die schweizerische Hochschulfrage, der milltArische Vorunterricht, die
Recmtenprftfiingen , über Handfertigkeitsunterricht, Srhnl^esundheitspflege, die
HchulbSlder u.a. Dass der Schulhy2:iene immer mehr Bedeutuii^'^ lür die gegen-
wärtige und zukünftige Generation zugeschrieben wird, ist gewiss erfreulich,
besonders dann, wenn de, wie in Basel, Zflrich ete., andi praktische Beobach-
tung findet, z.B. in der Erriehtung ton ScbolUlden. Der Regier nngsrath in Baael
beabsiehtigt nftmllch, Torlinflg in einem Schnlhavse DonchebSder einzurichten.
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391 —
Man geht dabei von der Überzen^uner ans, dass alle Bemühungen, den
Schülnlumen durch gute Heizung und Lüftung- stets frische Luft zu geben,
uicUt viel nützeu, wenn in diese Räume hiuein schmutzige Kinder mit vielen
Infeetloaskeimea am K9rper und an d«a Kl«ideni konoMo. Der gllmtige
Bericht, den Hr. Penonn, Direetor der Volksscbulen in Göttingen, erstattete:
^Die Frische und Lebendigkeit nach dem Baden, die Pflege des Sinns fiir Rein-
lichkeit, die Förderung der (iesundheit unserer Jngend sind so wesentliche und
wichtige Erfolge der Einrichtang, dass ich nicht unterlassen kann, den städti«
Mhnn Gollflgien den Wameli amiMiMPedien, «noh in dnn aaiereD Volkneknton
«imliehe BadeautaltAn evrifihtea in wollen" — fluid bei dmBehÜidennnd der
Lehrerschaft sofort Anklang und wir sind vollständig ttbeneogt^ dasB man in
anderen Städten dem Beispiel Basels bald folgen und da und dort schon beim
Bau von Schnlhäusern die Errichtung einer Badeanstalt — oder eines
Winter^Volksbades — • ins Auge fassen wird.
Daas indetMU die „SanititsAmatiker'' kel dem nllehternen Sinn der fort-
•ehrlttlich gesinnten Basler kdnen fruchtbaren Boden finden, bewies die Oppo-
sition der Presse gegenüber einem Vortrage Prof. Kollmanns über ,.den
schädlichen Eiutiuss der Schule". Dieser Grelehrte, offenbar zu wenig vertraut
mit den wirklichen Verhältnissen seiner nächsten Umgebung, erblickte nämlich
ftwt einzig und allein in der Bescbrinknng der Sltszeit, reep. der Sehnl-
standen daa radicale Heilmittel gegen die vielen Sehnlkrankheiten. Er verstieg
sich zu der Behauptung, dass ja durchschnittlich je das dritte Kind der Volks-
schule systematisch durch die Schule krank gemacht ^verde; die Schul(\ sagte
er, mache die Kinder zu körperlichen und geistigen Krüppeln , sei schuld an
Bückgratsverkrünunungen, an der Knrzsichtigkeit, an der MefaJienchti an der
Nervosität. Herr Kollmaan hieb bei diesen Übertreibnngen so sehr in die
Steine, dass ihm von verschiedenen Seiten der Presse bald darauf Fnncken ins
Gesicht flogen. Mit Recht wurde geltend gemacht (z. B. von der Nat.-Ztg.),
dass seit 20 Jahren für die Gesundheitspflege sehr viel gethan worden ist und
zwar auf Antrieb medicinischer Autoritäten, indem man die Schulhäuser nach
den nenesten Regeln der B^ygiene erbante, eine rationellere Schulbank ein-
Itthrte, sich um die Ernährung und Überwachung körperlich und moralisch
verwalirloster Kinder kümmerte u. s. w. Femer stellte es sich heraus, dass
der Vortrae:ende sein statistisches Material ans Moskau und aus Preußen
bezogen hatte. Dass indessen auch seine Forderung, betreä'end Keduction der
tBi^liehenünteRlditBMit auf drei Standen ins Wasser ftOlen milsse, bewies man
mit der erfreulidien Tliataache, dass Basel a. B. bei der letaten Recruten-
l^rftfting weit weniger Dienstantangliche hatte als Landcantone, deren Kinder
z. B. im Sommer nur während 12 — 15 Stunden die Schule besuchen, in <\er
langen Frei- und Ferienzeit sich in Feld und Wald aufhalten, dabei aber Ott
weit sclüechter genährt werden und so gesundheitsschädlichen Einflössen m^r
anggeeetet sind als die Stadtkinder. .
Und in der That, Basel ist audi in Benig auf (je8undheits|it!e<r>' in den
vordersten Reihen; das Misstrauen, welches der Kollmannsche \'ortrag im
Publicum gegen das Urtheil der Ärzte überhaupt, sowie der Eltern gegen die
hygienischen ÜbeLstände der Schule geweckt hat, wird darum bald wieder
▼ersehwlnden. Bs ist schade, dass der genannte Uediciner nicht die Geflthren
der hftutlidien Bniehung, die ttbertriebene Zahl der Privatstnuden etc. geh9rig
28»
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— 392 —
gegeißelt und die Mittel und Wege gezeigt hat, wie die Hausaufgaben ei-setzt
und eine noclt bessere Ernährung der Kinder außer den Kinderliorten and neben
den Suppeuaustalten, also ancb im EltenüiaiiM «nielt werden kSnnte.
In nehveren Cantonen traten abennile Schwenkungen ein im Erfolg der
Beeratenpriifnngem; die Tendeus nun Steigen war indessen vorherrsctiendr
an manchen Orten sogar allgemein, so im bündnerischen Lehren^erein , in-
welchem Mnsterlehrer Keller-l'hnr ein reichhaltiges Material in graphischer
Darstellung vurlührte, uui die zweckmäßigsten Natzanwendongen daraus zvt
dehen. Als eolehe Terdienen hier etwa folgende der Erwlhaiuig: Äiieh i»
diesem Canton ftihlt man je Iftnger je mehr das Bedfirfnis gehobener Fatir
bildungsschuleu mit erhöhter Staatssubvention und zweckmäßigeren Veran-
schaulichungsmitteln. Femer wünscht der Lehrerverein, der Erziehungsrat Ii möge
Gemeinden mit schwachsinnigen Kindern zur Creirung von Nachhüfsclasseti
eraHUileni und die ttaentwÜMildigten AhaeDsen noeh strenger ahnden ab biaher*
Man ^erwandert äeh im HinUlek auf die enormen Hindemisse, welche Gran-
bflnden aufweist, selbst über die immerhin noch befriedigenden Resultate der
Recrntenpröfnngen, und in der That hat kein einziger Canton solche besondere
Schwierigkeiten, so z. B. eine so große sprachliche \'er8chiedeuheit (Romanisch,
Italienisch nnd Deatsch, zudem noch in mehr als je einem Dialect) wie Grav-
bllnden mit aeinen hodigdegenen, theUwelae vom Verluhr ahgeaehnittenen
Gegenden und seinen Sommerschulen mit veiltfirzter Unterrichtszeit.
Man bekUnipft natürlich die Lehre von der Unfehlbarkeit des Recruten-
prüfiings-Ergebnisses ; allein das steht fest, das« dasselbe zur Selbsterkenntnis
nnd zum energischen Sti-eben (der Behörden, Lehrer und Privaten) nach ratio-
neueren Fortaehritten im Sehnlweaen führt
I>6r Handfertigkeitsunterricht bricht sich ftkat fiberall Bahn. Nachdem
Opponenten aus Fachkreisen und Laien die schonen, praktischen Früchte ge-
zeitigt sehen und sie wol auch selber ptlücken, sei es lehrend und lernend in
eigenen Versachen, sei es in strebsamen Söhnen, welche die Standen des Haud-
fertigkeitaiintenlehtea beanehen, Teraefawindon die Vomrtheile gegen dieaen
nenen, prakflaahen Zweig dea ESnnena wie die Nebel vor der anfgehenden
Sonne. Da und dort werden zwar noch Vorträge über den Wert des Arbeitena
gehalten, allein die Hauptthätigkeit concentrirt sich nicht mehr auf die Pro-
]iaganda, da diese allmählich im glänzenden Erfolg aufgeht. Die am häufigsten
veutilirte Frage ist dagegen die: Welche Gebiete des Handfertig keitannter^
riflfatea aollen lonldiat nnd am tiefirten gepiflgt werden, damit daa ao er^
wttnaehte Gleichgewicht in der körperlichen and geistigen Aasbildnng der
Kinder ermöglicht und der praktische Zweck erreicht werde, ohne dass man
die moderne Schule übeilade oder sie zur Berufsschule stempelt? Ziemlich
übereinstimmend weist mau den Papp- und Holzarbeiten, dem Modelliren und
Sohnitnn die eraten Stellen an nnd frent alch der Erihhmngathataaehe, das»
die sielbewusste, tmai^^ Th&tigkeit des Knaben in der Arbeitsschule ihm das
Handwerk nicht nur nicht verleidet, sondern es ihm im Gegentheil lieb und
thener macht, wa.s für manclie-s vornehme Söhnchen von hohem Werte ist.
Zu einer staatlich contiolirteu und vom Staate regelmäßig auch üuauziell
anteratUtzten Erxiehang der Kinder aitBer der Sehnle hat ea anaerea Wimen»
erat daa energiaehe nnd reiehe Baad gebraeht» daa aehon jahnehntelang darcb
private Mittel ao manche Terwahrloate oder der VerwahrkMnmg entgegengehende
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Kinder auf bessere Wege ftthrte. Schon im Jahre 1887 winden auf di •
Initiative des Erziehnngsrathes hin Frhohnng-en e-emacht Über dio Zahl und
die persönlichen Verhältnisse nnbeautsichtigter Kinder. Der Griitliverein und
der Arbeiterbund waren es nun, welche die Errichtung der Kinderhorte durcli
den StMt empfaUeD und die WoMihftt der togen. LneuBtlftang, die nur den
grOAeren Schülern zntheil ward, ancli auf die Primarsch üler aoagedehnt wünschten.
Bei der Aufnahrae der nun hierzu nöthigen Erhebungen wurde durchaus
kein Zwang ausgeübt; im ersten Jahre meldeten sich im ganzen 183 Knaben
and 161 Mädchen, also zusammen 344 Kinder, welche man in sieben „Horten"
▼ersorgte nnd swar in den slmmHifllien FrimanelinllitnBem, im Winter von
10 — 12 mid TOD 2 — 6 Ulir, aowie in den Semmerferien. Dieae Einderliorte
«teben unter der Leitung von Lehrern, bezw. Lehrerinnen nnd von aonstigen
freiwillig sich anbietenden Personen. Spiel, Schularbeiten. Lesen nnd Hand-
arbeit bilden das tägliche Programm and Milch und Brot wird allen genügend
verabreicht. Die approximativen Kosten wurden auf je 5000 fl. für baaliche
Einrichtungen nnd HobiUaare elnenelta nnd Unterlialt nnd Betrieb anderaeits
berechnet.
Aber auch der Staat ließ es bei der prophylaktischen Thiltigkeit nicht
bewenden, so wenig als die gemeinnützige Gesellschaft, welche aHt dt in Jahre
1875 jährlich in den Anstalten 8 — 23 und in Familien 3 — 31 Verwahrloste,
im ganaen 600 — 700 Zöglinge venorgt hatte, dabei titeit ans ilnansieilen
Orfinden viele andere nnberücksichtigt laaaen mnatfee, deren Verwahrloaang
notorisch nachgewiesen werden konnte.
Die staatliche Versorgung ist nnn nicht nur rationeller, sondern sie geht
auch rascher von statten, weil wirksamere amtliche Befugnisse zurVertÜgung
stehen; dlea iat aehr irMiÜgt da mitnnter bei langaamer Versorgung eine ver-
hBngniavolle Zeit ventreieht, wihiend weleher daa zn rettende Kind, achon
von der Schnle ansgeschlossen, sich nnbesch&ftigt hemmtreibt.
Sie ist in folgender Weise organisirt:
1. Der RR. richtet Kinderhorte ein, in welchen Schüler der Primarschule,
4ie der elterlichen Aufsicht entbehren, aoiJerhalb der Schulzeit an den Wochen-
tagen beanfUchtlgt nnd beaehSfUgt werden können, nnd ea wird liierfttr efai
jilhrlicher Credit bis auf 5000 Fcs. und ein einmaliger Credit bis auf 5000 Fca.
auf Rechnung des Jahres 1889 für die baulif lu n Einrichtungen bewilligt.
2. Der RR. wird zur vermehrten Unterbringung von verwahrlosten Schul-
kindern in 6es8eiungsam>talten oder in auswärtigen Familien ermächtigt und
«rhfilt hiefllr einen Jährlichen Credit bia anf 2000 Fea.
Wir ersehen hierana, daaa. Baael anch anf dem Gebiete der HeOpttdagogik
etets voranmarschirt, anderen Städten und Cantonen zum leuchtenden Vorbild.
Die auf den 1*2. Januar vom Züricher Lehrerverein veranstaltete Feier
zur Erinnerung an den Geburtstag Pestalozzi's nahm einen erhebenden Verlauf.
Ein Pnblicnm ana allen Standen hatte bia anf den letzten Platz den Cantona-
rathaaal beaetzt, nm den ErOflbnngageaangt ffGeiat der Walirheit, ateig' her-
nieder", den sehr gehaltvollen Prolog J. C. Heer's und den anregenden Vortrag
4es bewährten Pestalozzikenners Morf aus Winterthnr anzuhören. Dieser
verstand es in ausgezeichneter Weise, größtentheils mit iv^talozzi's eigenen
Worten, seine Zuhörer für die hehren Ideen der Jugendbiidung zu begeistern
«nd ihnen den edeln Menachenfrennd ao naher an fllhren.
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Pen Hölieimiikt e) reichte das YcBt in dem Momente, als der Decaii der
ersten Section der philosophischen Facultät den 72 jährigen tiet'geriihrten Greis
in Auerkeimuiig seiner Verdieitste als Erzieher, pädagogischer Schriftsteller
nnd spedeU all Pestalozziforscber zun Doctor phfloeophiae honoiii cania er-
nannte und ihm dadurch den liehenten Beweis daffir erbrachte, dan die höchsten
Tröger der Wissenschaft ununterbrochenes Ringen nnd Forsclien nach "Wahr-
heit , 6o>vie treues Arbeiten anf dem Felde der Jugenderziehung gebUrend zu
würdigen wissen.
Der begelatenide Genug dca Lehterehon: nLaait freudig trmm LM«r
lehallfln" wurde zum aligemeinen Gantot der begciiterten Menge, und ein
zweiter Act im Hotel Central, in welchem der Erziehungsdirector Stossel, Prof.
0. Hunziker, sowie der Urenkel Pestalozzi'B, Prof. Karl Pestalozzi noch
manches Goldkom erhabener Wahrheiten zu Tage förderten, krönte die Feier
in schönster Weise.
Österreich. Die nAUgemeiue Juristenzeitnng" meldet, dass laut amt-
lichen Berichten in Österreich die Zahl der Verbrechen und demgemiiß auch
die Zahl der StrJlflinge seit Jahren stetig abnimmt. Fast alle Strafan-
stalten bind nur unvollständig besetzt, und in einigen derselben stehen derzeit
ganze Refhen der Zelleii leer. — Wieder eine verderbUdie Folge der Nen-
aobole! —
Bei der diesjährigen Pestalozzifeier der „Wiener Pädagogischen Ge-
sellschaft" hielt Herr Director Dr. E. Hannak die Festrede. Er schilderte
den Einfluss Pestalozzi's auf die Pädagogik als Wissenschalt und auf das mu-
deme Schnlweaen nnd kencaddinete seine Omndgedanken, indem er sie in
eine fibersichtlielie, alle HQrer feaaelnde Parallele zu denen Booaoeau's stellte.
Lebhaften Beifall fand besonders anch der Scbluss des Vortrages, in welchem
Redner darauf hinwies, dass die gegenwärtig herrschende Pichtnng im Unter-
licbtsbetiiebe weit hinter den Ideen Pestalozzi's zurückstehe : der übertriebene
QelffMMh von Hilfrbttchem und Veranschaalicbnngsmitteln wirke nachtheilig,
indem er den Untenieht nnnfttaer Weise ▼enSgere, oder aneh daa Kind nn-
lelbatatftndig mache; die Sucht nach Lehrplftnen und Leitfaden, welche alles^
was man der Jugend beibringen will, schwarz anf weiß enthalten nnd den
Stoff auf Wochen, womilglich auf Tage und Stunden vertht ilen sollen, schatlei»
einen Zaim, welcher die freie Bewegung der Lehrenden behindert und zum
Hechaniamna Terleitet Sie aind, eagt Sedner, ans dem lOsakranen gegen den
Lehrstand hervorgegangen nnd schädigen seine Wirksamkeit, indem sie ihn
des selbstständigeu Denkens überheben und seine Berufsthätigkeit zum Hand-
werk lierabdrücken. Diesem überhandnehmenden Mechanismus gegenüber ist
es geboten, immer wieder die geistbildende, von freier, hingebender Liebe und
anltopl^der Kraft getragene Methode Pettalossi'B der Gegenwart mm Vor-
bilde anfiniatellen«
( Bürgerschullehrer-Curse.) Die Bürgerschullehrer -Curse in Öster-
reich sind erst unter dem gegenwärtigen Unterrichtsminister Gautsch von
IVankentimra ins Leben getreten. Obwol seit der neuen Scbnlgesetzgebwigr
alao seit 1869, die Volke- und Bflrgeradinlen ihre hentigen Grundlagen ei^
halten haben, war dennoeh nleht dalttr geaoigt, dasa die Lehrer der
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Bbgenchnlen eine Mlifllmiiij(e AniblldiiDg geuiefleii koDntea. Wer ftüher
BHigarteliilUhrer werden w«Mte, nunte naeli Bl>seileft«r LehrerbefiÜiignngB-
prfifting fllr Bürgerschulen durch eigenen Fleiß sich eine höhere Befähignni:
im Lehramte erwerben, dabei noch regelmlißig den Unterricht der ihm znge-
wießcnen Volksscbulclasse versehen. Das ^^ ar nicht so einfach , denn in
einzelnen Gegenständen, wie z. B. in der darstellenden Geometrie (ProjectiouB-
lehre), hatte der BflrgertehnUehrunti-OMididat in der LehrerbOdnngsanttalt
keine Elementaitenntnisse erlangt, ebenso war es mit dem Zeichnen in gar
vielen Fullen so primitiv in den k. k. Lehrerbildungsanstalten bestellt, dass
die Candidaten für diese Fachgruppe (III) immer seltener worden. Hierzu sei
bemerkt, da&s sich die Lehrbefähignng für Bürgerschulen in Österreich ent-
weder Mf •ämmtUehe Lehrgegenstiode entreckt, oder nor auf eine oder swei
der nachstehenden drei Gmppen:
1. Die sprachllch-liietoriielien Fieber, als: Spraohrach, Geographie, Ge-
schichte.
2. Die natarwisseuschaftlichen Fächer, als: Natorgeschichte, Natorlehre
(Physik und Chemie); dam als Erg&nznng: llathematik.
3. Die mathematiscb-techniBchen Fächer, als: Uathematik, Zdehnen;
dam als Ergiasnng: Natnrlehre.
Überdies ist Pädagog^ik TYüfungsgegenstand einer jeden Gmppe. Den •
Candidaten der zweiten und dritten Groppe steht es frei, als Ergänzung statt
des als Kegel hingestellten Faches ein anderes Fach der dritten oder zweiten
Omppe m wählen.
Im Jahre 1886 wnrde von selten der Unterrichtsverwaltung ein eigenes
Statut aufgestellt Die Grundsätze desselben seien im Folgenden wiedergegeben:
1. BürgerschuUelirer-Cni'se werden je nach Bedarf auf Antrag des Landes-
schnlrathes an einzelneu Lehrer- oder Lehrerinnen-Bildungsanstalten errichtet
Fttr einielne OegenstSnde (Zdehnen, Chemie, Lsndwirtschaft n. dgl ), welche
reichliche Lehrmittelsamnilmigen erfordern, kdnnen aneh solche Cnrse an
anderen Lehranstalten (Gewerbeschulen, l^ealschulen , Landwirtschaftslehr-
anstalten, allgemeinen Zeichenschulen etc.) errichtet werden. 2. Der Director
der betrefifenden Lehranstalt wird mit der unmittelbaren Leitung des
Lfllffwcarses hetrant Die Übrigen Lehrkiifte ernennt anf Vsrsdilag des
LandessehnlraAhes der Unterriehtsminister. 3. An dem Lehreorse kOnnen sich
Hörer und Hörerinnen gleichzeitig betheiligen. Die Gesammtzahl darf nicht
30 tibersteigen. 4. Zur Aufnahme in diesen Curs ist nebst dem Nachweis
eines unbescholtenen Lebenswandels das LehrbefUliigungszeugnis für Volks-
schalen oder mindestens ein Keifezeugnis erforderlich; ersteres gewählt den
Tonmg. 6. Jeder Cus nmÜMSt In der Bogel alle Gegenstände einer Fach-
gmppe, nur ausnahmsweise kann ein solcher Curs auch nur auf einen Gegen-
stand irgend einer Gruppe beschrankt werden. 0. Die Dauer des Cursns ist
auf ein Jahr mit zehn wöchentlichen Unterrichtsstunden festgesetzt. 7. Diese
Stundenzalil ist so zu vertheilen, dass sich die Volksschallehrer des betreffenden
Ortes nnd seiner Umgebong an dem Giune betheiligen kOnnen. 8. Der Lehr-
plan fUr jeden solcken Curs ist vom Landeasebnlrathe dem Unterrichtsminister
zur Genehmigung vorzulegen. 9. Die Hörer (Hörerinnen), welche die Grund-
sätze der Disciplin nicht beachten, werden in Disciplinaruntersuchung gezogen.
Disciplinarstrafen sind: a) Die Küge seitens des Professors; b) die Ermahnong
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durch den Director; c) die Andioliungf der Ausschließung; d) die wirkliche
Aussdiließong. Die Disciplinarstrafeu c und d sind dem Lehrki>ri>er vorbe-
halten und werden dem betreffendem Bezirksscbnlrathe angezeigt. Gegen
diese Beaclilfltse des LehrkSipen lat eine Beaehweide VBsnttMlg. H5nr
(Hörerinnen), welche durch 14 Tage ohne Entechnldigang den Unterrieht
verabsäumt haben, werden aus dem Verzeichnis gestrichen. 10. Am Schlüsse
erhalten Hörer (Hörerinnen) Frequentationszeugnisse , welche vom Director
nnd den betreffenden Professoren unterzeichnet sind. 11. Der Unterricht an
diesen Cnrsen ist nnentgeUlieh; die Anatagen werden ans StaatmitlelB be-
stritte. 12. Es kann der üntenrlehtsministor aneh die Eniditaiig solcher
PriTatCurse bewillie-Pii.
Mit dem Sc huljaliie 1887 88 traten denn auch in Ausführung der \'er-
oiduuBgen vont 31. Juli 1880, welche mehrfache Eeformen im Lehrerbildungs-
wesen flr die Volkssdiiilen mit steh brachteiii siim ersleomale die nenbegrttn-
deten Bürgerschnllelirer-CarBe ins Leben. Die Einricbtnng dieser Cnrse
berücksichtigte vorzugsweise die natnrwissenschaftlichen nnd die mathematisch-
technischen Fächer (zweite und dritte Fachgruppe). Diese Curse wurden ab-
gehalten: an den Lehrerbildungsanstalten in Krems, Wiener-Neustadt, Gras»
Britnn (dentsch), Prag (deutsch nnd csechisch), Badweis (deatseh), Kattenberg
(czechisch) nnd Caemowits; femer an der LehrerinBenUldnngsanstalt in
Brflnn (czechisch); endlich an der Staatsgewerbeschnle in Beichenberg nnd am
czechischen Staats-Realgymnasinm in Pilsen. An der Lehrerbildungsanstalt
im ersten Bezirke iu Wien wurde ein Ours für französische Sprache zu dem
Zwedce abgehalten, um pädagogisch und allgemein gebildeten H5rem und
Hörerinnen dictfenlge mündliche und schriftliche Sprachfertigkeit im FraniOai-
«chen tXL vermitteln, welche zu einer ersprießlichen Unterrichtsertheilung in
dieser Spraclie unerlilsslicli ist. In den letzten Jahren wurden solche Curse
theihveise an anderen Orten errichtet, auch wurde mit der Ertheilung des
Unterrichtes in den Lehrgegenstlknden an einzelnen Anstalten gewechselt.
Die Erfiüimng hat bisher gelehrt, dass diese BOrgersehnllehrer-Gorse, besonders
in BShmen, sieb eines eahlreichen nnd emsigen Besuches von selten der Höi-er
(Hörerinnen) zu erfreuen hatten. Dies ist ein Zeichen, dass die österreicliische
Lehrerschaft rüstig an ihrer Fortbildung arbeitet nnd trotz der leider in den
meisten Ländern bestehenden missiichen Gehaltsverhältnisse jede Gelegenheit
benfitit, in ihrem Berafe thchtiger m werden. Die Errichtnng dieser Onrse
wnrde gleidi anüuigs von der SsterreidiiBehen Lehrerschaft freodig begrilSt,
obwol nicht unerwähnt bleiben darf, dass dieselben eine Ungerechtigkeit in sich
schließen: nfinilirh die Lehrer an entlegenen Landschulen, die oft gern einen
solchen Curs l)e.suchen möcliten und in vielen Fällen recht dringend das Be-
streben äußern, sich fortzubilden, können an diesen Lehrcarsen nicht tbeil-
nehmen. Ihanbetracht aber, dass die Ckdiegen in den betreffenden Stidten,
wo solche Curse stattfinden, oder die Lehrer der näclisten Umgebung ohne
Berufsstörung der ^'orthcile dieser Cnrse theilbaftig werden, gewinnen diese
vor den weniger Begünstigten einen ungerechtfertigten Vorsprung.
Außer diesen eigentlichen Bürgei-schullehrer-Curseu, welche die Ani]g;abe
haben, nicht nnr die Lehrerschaft fortmbüden, sondern anch sachgemlft ge-
bildete Lehrkräfte für die BQrgerschnlen heranzubilden, wurden im verflossenen
Jahre anch noch Balgersehnllehr»^Cor8e an der k. k. deutschen nnd an der
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k. k. böhmisclif^n Staatsg-owerbeschule in Pilsen fünfmonatliche Lehrcarse zur
Heranbildung von Lehrkräften für die g-ewerbliclien Fortbildungsscluilen in
Böhmen abgehalten. Die Zahl der Frequentanten an jedem dieser Carse durfte
olelit Bwlur ab 12 betragen. Die Freqnentaaleii komifteD mdi Haßgabe ibier
Anahildimgabedflxftigkfilt «u allen TheUen Böhmeos bis zur festgesetzten
Freqnenzzahl gewShlt irerden. Die Auswahl der Frequentantea erfolgte durch
die Direction der genannten Staats-Gewerbeschnlen. Die Gwuche ntn Zu-
lassung wurden bei der k. k. Stattbaiterei in Prag eingebracht. Der Haupt-
gegenstand, der in diesen Lehrcnrsen gelehrt wurde, war das Zeichnen. \'er-
ftsser dieser Zeilen, der einem Besucher eines solchen Gnrses nahe steht ind
die lahlreidien zeitraubcu lon Arbeiten durchgesehen hat, kam zu der Über-
Beugung, dass die Theilnehmer dieser Curse mit Arbeit reichlich versehen waren.
Im Schuljahre 1888 89 ordnete das k. k. rntenichtsniinisterium (mit
Erlass vom 22. September 1888; auch noch die Abhaltung eines Bürgerachul-
lehrer-Ciirses mit deutscher UntcariohtssprMhe für die Daner von drei Wochen
an dem Tanbttammeninstitute in Prag zum Zwecke der Heranbildung von Lehr*
Personen an den allgemeinen Volks- und nUrgerschulen für den Unterricht
taubstummer Kinder, einen gleichen ( iirs mit deutscher Unterrichtssprache am
Taabstammeninstitute in Leitmeritz, einen gleichen Curs mit böhmischer Un-
tenMitnprache am Taabttammaninstttate in Frag and je dnen aolohen mit
Mmlseher üntenkhtsipraebe an den Taabatammeninstitaten in Bndwaii and
KSniggrfttz an.
Außer diesen Cureen fanden anch infolge dereelben Verordnung ein Bih o^er-
schuUehrer-l'ui's mit deutscher und ein solcher mit böhmischer Unterrichtssprache
für die Vorbildung von Lehrpersonen zmn Unterricht blinder Kinder au dem
Privat^Ersiebangs- aad Heilinititate Ar arme blinde Sinder nad AagenkraalEe
am Hradschin in Prag för die Dauer von zwei Wochen statt. Diese beiden
letzteren Curse sclilossen sich der Zeit nach an die Cui-se an der Prager Taub-
stummenanstalt unmittelbar an. Das Prager Taubstnmmeninstitut ist eine Privat-
anstalt; es geuiei^t erat seit jüngster Zeit einen Beitrag aus Staatsmitteln, und
die Unteniehtsyerwaltang konnte da nieht gut Vorschriften bestiglieh der
inneren Einrichtung des Curse« machen. Dasselbe galt aach vom Blinden-
erziehungs- und Heilinstitnte in Prag. Nicht.sdestowenigrer mnss aber bekannt
werden, dass die Directionen dieser Anstalten, namentlich Herr Director Kmoch
an der Taubstummenanstalt in Prag, sowie die Lehrkräfte, sich die denkbar
giMte Mflhe gaben, den Can ftr die Tiieflnehmer so nttdich als möglich
werden za lassen. Die Theilnehmer an den Prager Lehrenrsen waren tut
dorchgehends ans von der Hauptstadt femgelegenen Orten des Landes.
Ein mehrwochentlicher Aufenthalt in Prag ist aber mit recht bedeutenden
Kosten verbunden, welche die Theilnehmer ganz allein zu tragen hatten.
Weder der Staat, noch das Land, noch sonst eine Köi'perschaft versprach oder
Idstete eine materielle Unterstttzang. Da die Carse wUnwad des Seha^alires
stattlsnden, wurden die Schnlclassen jener Lehrer, welche einen solchen Cors
besuchten, durch andere Lehrkräfte supplirt. Die Besncher der tunfmonatlichen
Curse an den Staatsgewerbeschulen waren fast durchgehend.^ Uelirer gewerb-
licher Fortbildungsschulen und können ihre im BürgerachuUehrer-Curse gewonnene
Bildnng sofort Terwenden; die Beaaeher der letstefen Art von Cniaen sind
aber nur einfludie Volks- oder BOigenchallefaier, nnd man sollte ihnen voneeiten
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der UnteiTichtsverwaltnng Gelegenheit geben, gegen ein angemessenes Honorar
die Bildung oder Vorbildung taubstummei' und blinder Kindel* eines oder meh-
rerer Besbke Ittr eine Tanlietiniiinen* oder BUndeDaatlalt xn ibemehmen.
Nur auf diese Art ist die Gewfthr geboten, dass aucli diese Lehronrse einen
praktischen Wert erhalten nnd dass sich in Hinknnft eine größere Anzahl von
Tiieilnehraern finde. Es ist nur hierin der Crrund zu suchen, dass einzelne
dieaei' beabsichtigten Lehrcnrse wegen Hangels an Hörern nicht abgebalten
werden konnten.
Frans Orambaeh.
Die zweite Landes-Leiirerconferenz in Böhmen fand in der Zeit vom
3. bis 7. S^tember 1889 in Prag nach einer vierxehivjälirigen Panee statt.
Der AneAül der geaetclieh voi^Keiehrlebenen, von drei sn drei Jalirea abm-
haltenden Landes-Lehrerconferenzen dürfte auf den Unistai^ mrückzuruhren
sein, dass die Kosten einer solchen Conferenz dem Lande zu groß erachienen.
Demselben Umstände ist es auch zuzuschreiben, dass beider vorjührigen zweiten
Landes-Lehrerconferenz die Zahl dei' von den Bezirks-Lehrerconferenzeu zu
«üUenden MitgUedem anf dai geringate berabgeeetsi wurde; ee worde in
jedem Bezirke nur ein Vertreter der Lebreracbaft gewählt. So kam es, daw
die zweite Landes-Lehrerconferenz gegen die erste in der Zahl der Theilnelnner
zurückstand. Nicht aber in anderer Hinsicht, ( ollegcn, welche Gelegeniieit
hatten, der ersten und zweiten Landes-Lehrerconferenz beizuwohnen, gaben das
ürlbeil ab, daaa ee in der swiiten Landei>LebrenonliBrais oflbn m Tage trat,
data die Lehrerschaft an Selbttvertranen, an parlamentarischer Scfanhmg nnd
an sicherem Auftreten in allen Fachfragen gewonnen habe; der Verlauf der
(Konferenz, die in zwei e'otrennten Hauptabtheilnngen für die deutschen nnd
czecbischen Lehrer stattfand, zeigte, dass die Mitglieder derselben ihre Ziele
nnd Fordemngen fest im Ange haben, da sie mit fachminnisclier, siclierer
Hand In die Veriiandlnngen eingriSta.
Programmpunkte der Conferenz waren:
1. Gutachten über nothwendipe Abänderungen in den bestehenden Amts-
sdiriften für die allgemeinen Volksscholen und für die Bürgerschulen.
2. Aufstellung der Grundsätze für die Einrichtung einer Schulchronil^
8. Ontaehten Aber die Einrichtung der nun Untenichto der Kinder be-
stimmten Schnlgiiten, namentlich mit Rdeksieht anf die Unterweisung der
Schfiler in der Obstbaumzucht.
4. Gutachten über die Mittel zur Verwertung und Förderung dei- mit
\' Olksschulen verbundenen landwirtscliaftlichen Lehrcnrse und Mädchenfort-
bildnngsearse.
5. Attlbtellnng von Örmdslttien, betreffend die Verwertung der Schttler-
bibUotheken Ar die Zweeke der Eniebung und des Unterrichtes der Schul-
jugend.
6. Entwurf einer Instruction für die Abhaltung der Local-Lehrerconfe-
renzen an den allgemeinen Volks- and Bflrgerechalen.
AuBer diesen Fregranunpunkten kamen noch einige selbststaadige Anttige
über Lehrbefthlgongsprttftmgen , Schulnaehriehten, Zeugnisse etc. nur Ver-
bandlang. Or.
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Aus der Fachpresse.
274. Karl Lndw. Roth alt Pftdagog (0. G«iell, AUg. Denttehe
Lehrerztg. 1890, I). Verfasser hat das VeidleiiBt» einen Tergessanen oder
doch wenig bekannten Meister den Fachgenossen in empfehlende ElrinneruDg'
zu bringen, indem er Eoths Gedanken über Erziehung und Unterricht (in acht
Abschnitteu zusammengestellt) mittheilt. Aber die Bedeutung dieses bayrisch-
wflrttembergisehen Gymnasialpädagogen liegt weniger in seiner Lehre (keines-
üSIb in Minem Standpunkte) ak in idner Penon, seiner eehten Bndeheniatiir,
seiner sittltabeik €hA0e. Er ist einer von den Ganzen, die unablässig an ihrer
Vervollkommnung arbeiten, auf das kleinste wie auf das größte achten, mit
nnermtidlicher Ausdauer und eisernem Willen, rücksichtslos gegen die Halben
das Wahle uud Hechte zur Geltung bringen wollen. ^
275. Max Koppenttfttter (J. B. Sdrabert, Repert. d. Pld. 1890, III).
Verf., der uns hauptsächlich ein Bild von Koppenstätters frühester Wirksam*
keit entwirft, schließt mit den an den Todten gerichteten Worten: ..^Vir ge-
loben dir, in deinem Geiste und in deiner Weise an dem Werke der Jugend-
erziehong und au der Aufgabe unseres Bruderbundes fortzuarbeiten. Du
soUst nm Üntan dn hdires Beispiel bleiben. Nimmermelir wollen wir dieh
veigewen, und in dankbaier Liebe soll von nns Dein Käme «mgcipNchen
werden."
276. Eduard Ruff (Frankf. Schulz. 1889, 21). Die Lebens- und
Leideu&ge^^chichte eines mit 35 Jahren an Lungenleiden (J uli 1889) gestorbenen
hohenzoUerischen Lehrers, der zn den besten Schriftstellern nnter den Pftda-
gegen gehdrte. (Vgl. die Anieigen seiner Anfeitae In den letnten Jahrgftngen des
^Psedagogium".) Seine weaentüchen Vorzöge : ernste Kritik — feine Beobachtung
der Kindesnatur — Dringen auf die Erkenntnis des Tliatsädiliclien, Bestimmten,
Einzelnen, Kleinen als alleinige sichere Grundlage der Erzieherarbeit. J{e-
sonders vertraut war er mit Pestalozzi; ein vielversprechendes Werk Uber
dieeen (vgl unsere Anzeige im Oetoberheft) ifk non im?ol]fliidet geblieben.
277. Schnlpolitische Rück- und AnibHcke (P. Sehramm, Frankf.
Fchulz. 1890, 1). „Vorwärts schauen! das muss nicht unsere Philosophie,
das muss unsere Natur sein. Wie ein Funke, der zündend vom Himmel fällt,
muss es Deutschlands Lehrer elektrisch durchzucken, dass das Gute nicht ist,
daü et wird. Mag die Ilaeht der Beaetion in stummen oder lauten BUtna
spielen: erschrecken soll sie keinen, am letalen den Lehrer. Freudig sieht er
sn seinen Idealen auf. Er weiß, dass die letzten Ziele der sclinl- nnd bildungs-
feindlichen Hochüut schon einmal an dem idealen Sehnen and Streben der
Lehrer (angeführt von Diesterweg) gescheitert sind."
278. Die Lehrer Vereinsarbeit (H. Köhncke, Päd. Reform 1889,
48. 49). Treffende Charakteristik nnd seharfe Vemrtlieüang der „Beqnem-
lichen, Beeehlftigten, Vornehmen, Klngen," die dem Verein fernbleiben. —
Aufgaben n. a.: würdigen (festen, männlichen, demokratischem Charakter zu
zeigen — materielle Selbsthilfe zu schaffen — principielle Beschlüsse in
schulpolitischen Tagesfragen zu fassen — die Fachpresse an fOrdem — Auf-
kllmng Qber Erriehnng in den Kreisen der Niehtlehrer an verbreiten. (Eine
Arbeit im Geiste frischer, echter Kritik.)
279. Pädagogik und Methodik (E. v. Sallwürk. iHutsche Bliitter
1889, 46. 47). Ans Anlass der zweiten Auflage von Kelu-s Geschichte der
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Methodik. — „Die Geschiclite der pädagogischen Ideen verlangt eine einheit-
liche Dantellang; sie musB in einem Kopfe entworfeo, Ton einer Feder ge*
schrieben lein. Die Oetehiehte der Methodik veriangt die Kenntnis und Er-
lUining eines Fachmannes; wir thnn gat, sie nicht von einem einiigea Manne
zn fordern, sondern nach den Fächern auf verschiedene Bearbeiter za vertheileu,
wie Kehr es gethan hat." — Von den Aufgaben dessen, der Geschichte der
Methodik schreibt. — Vorzüglich skizzirt, wie sich die Metliodik des deutschen,
Oeeehichts-, erd- und natnrinmdlloheB, mathematisehen Unteiriohte entwickelt.
BUkhe Ei^rebnliie: Letelmehfrage noch nicht gelSst — im ganzen ist der
Oco^plilennten-icht in g-esnnder Entwickelnng begriffen — der Geschichts-
imterricht befindet sich noch in schwankendem, unsicherem Zustande — ■ das
Reelsen ist das glücklichst angebaute Feld der Schule. Hauptergebnis: Ge-
viiitt StteheriMlt in denjeuigen GeiUetfln, weldie die Volkneiinle faifiilge ftoBerer
prabUsdier Forderungen zn bearbeiten, wo sie fOr einen klar erkennbaren
Zweck nur die didaktischen Mittd zn finden und zu wählen hat Nächste
Zukunft der Pädagogik: didaktische Arbeiten abzuschließen — sich wieder
den grundlegenden Fragen (vor allem nach dem Bildungsstand und den Bildungs-
zielen der Zeit) zu widmen.
380. Zur Schnlgesnndheitspflege (W. Siegert, Ptdag. Zdtnog 1889,
49). Bericht über die rühmlichen Bestrebungen des Berliner Lehrerverdui.
llitgetlieilt werden 45 Regeln für die Kinder Uber: Pflege des Körpers —
der Athraungswerkzeuge — der Augen — der Ohren — wie sollst du zu
Hause beim Schreiben und Lesen sitzen? Letztere wurden, veranschaulicht
durch eine Zeichnong, den Schreibheften (auf den inneren Seiten des Um-
schlags) vorgedmekt (dadurch nur eine ganz unwesentliche Erhöhung der
P*reise); Erfol^r in Elternkreisen und bei den Kindern ein g-iinstig-er. (Der
Bericht wurde auch in den Deutschen Blättern 1890| 4 and in der Preofi.
Schulz. 1890, 4. 5 ToröffentUcht.)
281. Vom Lesen (Deatsehe Schn^. 1890, 3. 4). „Aus der Praxis
einer (dnroh nngewShnUebe Tflohtiglceit ansgezeiclineten) Arbeitsoonferenz." —
Fragerei des Lehrers zum Theil Ursache fär den Mangel an Verlangen (seitens
des Kindes") nach Verständnis. — Was zu Hause beim Durchlesen niclit ver-
standen, ant Zettel zu sclireiben (für die Schule). — Das Kind soll sich ge-
wöhnen, gegebenen Falles zu bekennen: Ich habe das Gelesene nicht ver-
•taaden. (Mftmg: Vertneh, es ans dem Kopfe nnd in der eigenen Spraebe
sn sagen).. — Aussprechen über das Gelesene. — Scheiden zwischen bereits
Bekanntem (Angeeignetem) nnd nen Gelerntem. — Leseboohfrage noch nicht
gelöst.*)
282. Zum deutschen Unterricht au höheren Mädchenschulen
(St mtnoldt, Zeitsehr. f. d. dentoeh. Unterr. 1890, I). »Mehr noch als an
höheren Knabenschulen sollte in den Ifädehensehnlen der deotMdie Unterricht
Mittelpunkt und Träger des Gesaramtunterrichtes sein. Das beste, was wir den
Mildchen mitgeben können, ist nicht eine mangelhafte Kenntnis fremder Sprachen,
sondern ein Verständnis für das eigene Volk, für seine Arbeit und sein Wesen.
Dam soll ihnen der dentaehe ünterrfdit im weitesten nnd tieibten Sinne des
*) Wu: freuen uns — nicht über die Thatsache, aber dass sie ron zwei ganz ver»
schiedenen achtungswitrdigen Stimmen anerkannt wird (vgL Nr. 279.)
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— 401 —
Wortes verhelfen.** — „Der Aufsatz in Briefform verführt zur inneren Un-
wahrheit. — Gegen das Declamiren: „Die gut deklamirenden Schülerinneu
tiiid Bfliit yordifnglldie ftvMidie Natnreo."
283. Geschichtsunterricht (L.Göhring,Bayr.Lehre«. 1889,48.49).
\'erf.^), erfreulicherweise auf dem culturgeschichtlich-demokratischen Standpunkt
stehend, verlangt (was gegenwärtig leider noch mit größtem Nachdruck betont
werden mnu): Der Geachiclitsunterricht hat sich des aosschließlich höfischen
Tones n entschlagen ud neben den Ffintoo das Volk m bfiritekaiehtigen.
(OleichEeiticw Pflegen von politischer ind GoltoisMeliielite sehon vor 100
Jahren gefordert!) — „In den wenij^ten Fällen werden wir die geschichtlichen
Ereignisse und Zustände um eine einzige Persönlichkeit gruppiren, vielmelir
diese umgekehrt meist nur als letztes Glied einer Kette betrachten.'' (Also
keine „biographische Methode.")
284. Über die Beilehnngen swisehen der Erd- nnd Hensehen-
knnde (F. Renß, Repert. d. Pid. 1890, U). Abhängigkeitsverhältnis zwi-
schen Natur und Mensch ein gegenseitiges. Beispiele von (günstig und un«
günstig) umgestaltender Einwirkung des Menschen auf das von ihm bewohnte
Land. Die größere oder geringere Zagänglichkeit der Länder und ihi^e Folgen
Ar die Cnltiir (Abidüietang und Ißsohnnr der VQIker, gleieharUgM Oedeht
der Großstädte). Annfthernng oder Entfernung der Erdtheile vnd die Vw-
breitung der Rassen und Völker (Bedeutung der Wüsten, Meere, weitvorge-
schobenen Halbinseln; Doppelberuf der Inseln). Raumverhältnisse und Bildungen
des Festlandes, Seen und Flüsse in ilirer Wirkung anf den Verkehr. („Zwei-
typischkeit" — mlfib «in XJngetllm!)
285. Die Verwertung der kunstgewerblichen Erzeugnisse im
Zeichenunterricht der Volksschule (R. Heere, Päd. Zeit. 1890, 2). Ziel:
Verhütung der Geschmacksverirrungen im Kunstgewerbe, in der Ansstattung
der Wohnungen, in der Tracht; Unterdrückung der Neuheitssucht — für die
Knnsthandwerkfi^ Hebnng ihres gesellschaftlichen Ansehens — Wiednirahr
der „alten stolzen Inmingenl* — Nothwendig: SMumlnng von Zeiefannngen und
wiikHchen Erzengnissen der Knnstindartrie (leicht zu beschaffen; man denke
s. B. an die ninstrationen md Beüagin venchiedener Zeitacbiiften).
Karl Ritter über Heinrich Pestalozzi. Der berühmte Geograph
Karl Bitter weilte wiederholt längere Zeit bei Pestalozzi in Iferten nnd ent-
warf in seinen Anftdehnimgeii das Bild des groBen Ftdagogen, wie es sieh
dem unbefangenen Beobachter darbot. Besonders bezeichnend ist folgende
Stelle: „Pestalozzi selbst ist nicht imstande, in seiner eigenen Methode auch
nur in einem Zweige eigentlichen Unterricht zu geben, für das Einzelne ist
er ganz unbrauchbar; aber das Ganze tiligt er in sich und weiß es mit einei*
Kraft und Elarlieit mitnitheilen, die jeden sinnigen Ifonsehen weckt nnd ihn
flUOg macht, in seinem Stame m wirken. Hit Becht sagte er m mir in einem
') £in Gesinnungsgenosse des wackeren Kämpen ^einc» „Bayern"), der sich an
der letsten Preisconcnrrenz der AUg. d. Lehren, mit „Andeutungen snr Nenbelebung
des Gesrhichtsiintcrrichlcs'' (s. unsere Anzeige im Maiheft de3 ,.Pac<lag.'' von 1889 j bc-
theiligte, einer Arbeit, die unter den gekrönten innerlich und äußerlich in icder
Besiehung die bedeutendste nnd — gersde nodi mit dem vorletsten Preise bedacht
weiden ist. Ein Zeichen der Zeit!
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— 402 —
Gespräche über sich seihst: .Ich kann nicht sagen, dass ich alles das liervor-
gebi*acht habe, was Ihr da seht; Niederer, Krüsi, Schmid u. s. w. würden mich
mit Bedkt avilMlieii, wann ieh sagte, idi wiie ihr Lelmr. leh kann nidit
reclmeii, nieht «direibeOf Ttritolie kdne Grammatik, keine Ifathematik, keine
Wissenschaft; der geringste meiner Zögling^e weiß mehr als ich: ich hin nur
der Wecker der Anstalt, und andere müssen eigentlich hervorbringen, was ich
denke; ich bin nur ein Werkzeug in der Hand der Vorsehung: — dies ist in
der That wahr, und dennoch würde olioe ihn das ganae Work nieht da sein.
Er Tenteht die Kmat dordiaii nieht, efai le groftea Qanie m dirigim uid
soiammenanhalten; dennoch besteht ee. Er ist der sorgenloseste Mensch, der
sein ganzes Vermögen aufopferte, der noch jetzt den Wert des Geldes nicht
kennt, der weder Buch noch Rechnung zu führen weiß, der jeden unterstützt,
wie ein Kind alles hingibt. Er hat keine verständliche Sprache, spricht weder
rein dentaeh hoch ftnauOeltch, und dennoeh irt er die Sede der Geaenaehaft
im Emst und Scherz, dennoch ist seine Morgenandacht, sein Morgengebet,
seine Prüfung der Herzen seiner Zöglinge tief eindringend und überaus wirksam.
Er wird geliebt und verehrt wie ein Vater." (Siehe n^weizerisches Schal-
archiv,« XI. Band Nr. 1.)
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Literatur.
Pref. Dr. Schmedfalgt Bedenken Sr. Excellenz des Herrn Ministers
von Gossler gegen die Aufhebttfiff des Gymnatialmonopois. 99 S.
Brauußchweig 1890, Otto Salle.
Auch in der vorliegenden Zeitäcbritt iat die weitauügebrcitete KetormbewegllQg
anf dem (iebicte des mittleren Schulwesens, ftrelche seit etwa zehn Jahren ia
verschiedeneu Culturstaaten, besonders auch in Deutschland, imnier luüebtiger
anwächst, schon wiederholt zur Sprache gcliuiumuu. loübcaoudtru aind deu mit
ihr sQsammenh&ngenden Fra^^ nadl dem absoluten und relativen Werte der
claasischen Bildung im Vergleiche znr modernen, ferner nach der besten Organi-
sation der (rymnasien und ihrer Schwesteninstalten, insbesondere der Idee
einer „Einheitsschule" mehrere aiiäfiüirliche Abhandlangen im „Pwdagogium''
gewidmet worden. Wenn wir bisher noch nicht Baum und Zeit gemnden
haben, diesen wichtigen Fragen gegenüber unser Schlossurtheil auszusprechen
und zu begründen, so dürfte dies uagesii.lit.s der Thutsache, dass die Discussion
«ich noch immer in vollem iluase befindet, als eine veraeihliche Venögerung
«nwheiiifln. Snieiit man doeh am dar MebeB angezeigten Sehrift, dan Bede
und Gegenrede in der vorliegenden Streitsache noch uiiht erschöi»ft sind, und
es ist ein Crebot der Vorsicht, Uber eine so wichtige Angel^nheit die Untcr-
indrang ruhig aunaUba an Inwea.
Professor Schuieding ist als ein Hauptfilhrer der Refonnpartei längst bekannt.
Dennoch müge — wegen der Wichtigkeit der Sache sein Staudpunkt hier
noehmahi beiwichnei wexdM aad cwar mit seinen eigenen Worten, wie wir
Hie in der uns vorliegenden neuen Schrift finden. Als den Kern der cranz' ii
Keformbewegong betrachtet Dr. Schmeding die Frage nach der Stellung
der altea Sprachen im Organismus des Unterrichtet. „Sollen dieselben
ihren früheren Vorrang behaupten und mit deu Vorrechten ausgestattet bleiben,
die sie bis jetzt genießen, oder hält man die Zeit tUr gekommen, dies zu
Indem? Mit anmrea Worten: Welches ist die Stellung der Uuterrichts-
verwaltung zum Monopol der classischen Sprachen? , . . Alles andere, da,«*
Lehrverfahren, die Ausbildung der jungen Lehrer, das Verhältnis der höhereu
Lehranstalten . . . das alles kommt nicht in Betracht gegen das Monopol.
Bleibt es, so ist eine gesunde Entwickelung des Schulwesens unmöglich. Sie
kann erat in Oberlegting genommen werden, wenn es gefallen." Prof. Schmeding
verwahrt sich dagcg> u. dass man ihm unlautere Triebfedern unterschiebe, uud
betont, dass er den Kampf nur fUhre, „geleitet von der tiefen Tbenengung,
dass es sich um eine große, wichtige Sache, um die Bek&mpfung eines fBr ds»
künftige Geschlecht verderblichen Vururtheils und um da.^ Wi l des Vaterlandes
handelt . . . Wir sind nach jahrelanger Arbeit, nach jahrelanger und ge-
wissenhafter PrSfiing ttberseagt. dass wir der Jngoid eia aneaaudt bessens
Rttstieng gfkvBi kOnnen, nm die Kimpib des Lebens an bestahen, als das
— 4(H —
Alteitlniin « bietet Wir woOen die Summe geistiger Schätze, die sich auf
die Xachwelt vererben soll, mehren; und wenn wir dem Altcrthum i?ern zu-
E stehen, das« es die Fackel des Lichtes angezttndet in der Dunkelheit des
ittelaltezs, wo woUen wir dieselbe nieht aaeh bfftudieii, wenn die Mittag»»
sonne leuchtet. Wir finden nicht, wie so viele Vertreter des Gj-mna-iiums,
dass Ideales und NtttsUches im Widerspruch steht . . . Wir schämen uns
nicht m bekemiMi, da« wir, indem wir glaaben, Übt ideal« Zid« besser an
begeistern als das classischc Alterthum, an^deh dem Staat ntltdidiere und
praktischere BUrger erziehen werden/
Dies ist der Standpunkt, welken Dr. Sebmediag seit langen Jahren vertritt,
mul welchen er diesmal gegen seinen eigenen Chef, den i)reußi8chcn Unterrichts-
miuister, Dr. v. Goüler, vertheidigt. Dieser hat am 6. März 188'.) eine Parla-
mentsrede ijehaltcn, welche Dr. Schmeding folgemlermaßen charakterisirt : „An
dem Vorrocht der alten Sjirachon soll in absehbarer Zeit nichts geändert
werden. Die Wünsclie der Retonner kann Se. Excellenz nicht erfüllen. Das
Monopol der Gymnasien soll bleiben. Damit ist zugleich das Schicksal der
nahe verwandten Realgymnasien entschieden; sie haben keine Förderung von
Sr. Excellenz zu erwarten . . . Wir zweifeln nicht, dass sie, wenn nicht eine
Änderung dieses Standpunktes bei der Untcrrichtsverwaltung eintritt, hin-
siechen und zugrunde gehen werden. Daa ist das, was die Anhinger dea
Monopols, die Gymnasialpartei, wttnschen."
Kill in der Tliat iiußorst schroffer, schneidiger GegeoiatB, wie er durch die
MittiBterrede nach beiden äeiten hin an voller Eläraeit gekommen ist, den
elneii siim Leid, den aaderen knr Freode. Sehmedinf; nnn, der rar ToilBufig
gesehlagenen Partei gehilrf, vertheidigt in der vorliegenden Schrift mit un-
gebeufftem Muthe seine i»ache gegen den Herrn Minister: die Einwände
pnd BedeBken deaaeiben Punkt flIrPnnkt s« widerlegen, das eben
ist der Vorwurf der untrrzeigten Broschüre.
Zu welcher Partei man sich nun auch schlagen, oder welche Stellung mau
aonat ehuMbmen möge — ein vermittelnder Gedanke scheint uns noch tbei^
sehen zu sein — jedenfalls verdient Sxhmedings neue Schrift die crn=iteste
Beachtung und Prüfung. Die volle Het^ähigung des Verfassers, in der .Sache
ein ToDinclitiges Votum abzugeben, steht längst unanfechtbar fest; sie eist
darthun zu wollen, wftre eine Beleidigung. Leider aber ist etwas anderes,
neofa wichtigeres, in Frage gestellt worden: der redliche Wille. Schmeding
hilt die Bemerkung für nOthig: „Die Verdächtigung, die zum Theil tob BBserea
GegBem ansgesprocheu. als ob wir den Kampf um gemeinen Gewinn oder ans
ehndchtigen Motiven iilhrcen, weisen wir weit zurück." Ein Mann von der
bewährten Ehrenhaftigkeit, zudem von dem TorgerOckten Lebensalter uud von
der aocialen Stellang Schmedings sollte derartigen Anwürfen überhoben sein.
Leider ist aber die Schmähsncbt in unteren Tagen selbst auf den Höhen der
Gesellschaft zu einer beliebten Waffe geworden, zum Schaden einer unpar-
teiischen Prüfung der wichtigsten Lebensfragen. Wir empfehlen also Scbme-
dinors Behrift einer Wfirdigung sine ira et Studie. D.
Dr* Frauz üooevar, Prof. zu Innsbruck, Lehrbuch der Oeometrie für
EealschnleD. 227 S., 234 Fig. im Text. Leipzig 1889, O. Freytag.
2^ Uk.
Vorwortlich bemerkt der Verl*as.ser, dass das vorliegende der llaui»tsa< ho
nach mit seinem Lehrbuche für Gymnasien übereinstimme und nur in einzelnen
Partien eine Erweiterung erfahren habe, fHr deren Vonalime aa OymnasieB
zumeist nicht die Zeit gefunden werden kann. .\uf einer verhältnismäl i«; ^'ehr
geringen iSeitenzaiil tindet man in diesem Buche die liehren der Piauimethe,
der ebenen Trigonometrie, der Stereometrie, der analytischen Oeometrie der
Ebene und ili r sphärischen Trigonometrie nebst einem Anhang über Karten-
projectionen zusammengedrängt. Besonders ist die i'lanimetrie kurz, ausge-
nUeB. Das Oeboteae steht Mer dnrehaus anf der Hohe derWissensrhatt uBd
Methodik; besonders verdient hervorgehoben zu werden, dass die Kmtiihrung
des Begriffes der Symmetralen auf das vortheilhaftestc zur Vercintaihung der
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— 406 —
IkweisfUhruDs: aus^entStzt wurde, und luöclitcn wir in dieser Beziehung; auch
auf die elei^ante Conatruction der Figuren l'J. 21. 2b, 55 hiaweiseu. An
maochen Stellen mirdcn wir n das Lehrbach von Wienand erinnert. Unter
welchem das vorliegende an wissenschaftlicher Strenge der BeweisfUhrang ge-
wi88 nicht zurückbleibt, dagegen c» aber viele SohwerHllIigkeiten Wiegands
vermieden hat. Auffallend war un» nur, dass der Vcrfiuser es unterlässt,
den Begriff der geraden Linie zu erklären, und denselben den Grundbegriffen
beizfthh. zu denen er imofem nicht gehArt, als er flberhanpt einer Erklärung
fällig' ist. Die gerade Linie ist unzweifelhaft jene, welche die Ebene iu zwei
decknn^^sgleiolie Tbeüe theüt, was durch eine krumme nicht erzielt werden
ktiui. Audi ist die gerade Lilie jene, treidle dem Beednner, von jeglicher
Seite betrachtet, (lasseTbe Bild bietet, während die krumtnc ^ine i rhabeuc und
eine hoUe äeite besitst, ja ftberluuipt ent dann tUr eine krumme erklärt
werdea kum, wenn mu ihre ooMare Seite ven dw oeBvnea m mnteiMMden
vermag.
Auch aus der ebenen Trigonometrie wird alles Xüthige zwar iu knappeäter,
aber sehr eleganter Form geboten; besonders verdieBt hervorgehoben su werden,
dass die Functionen der Summe und Differenz v')n Winkeln gütig für alle
möglichen Winkel an zweien allgemein gehaltenen Figuren abgeleit<:t werden,
wie wir dies zuerst in (iuein Buche des Professor Schmied (Wien) gesehen
haben. Die Berechnunir der Winkelfunctioncn findet ausreichende Darstellung,
und die Ableitung der Moll we ids<"heu Gleichungen gelinpft leicht an einer
griit entworfenen Figur.
Iu der Stereometrie findet die Lehre von den körperlichen Ecken ein-
gebende Behandlung, so dass sie als ausreichende (frundlagc der sphärischen
Trigonometrie dienen kann. Die Einführung des Pri^matoides und des Satzes
TOB Cavalieri mit ein&cher, aber genügender BcgrüBdung. nebet lehrreicher
Anwendung des Satzes über oonvexe Polyeder tob Bvler fassen auch dteeea
Abschnitt des Lehrbuches als eiuen recht zweckmäßigen erscheinen.
Die analytische Geometrie ist mit etwas größerer Ausführlichkeit be-
handelt; 80 wird die Glef drang der feraden Lilie ia mehrlhdier Wvrm Torge-
filhrt. Auch kumnien hier versrhiedcne Aufgraben zur Lftsung. unter anderen
auch die Au&teUung der Gleichung einer Winkelsjmmetralen, welche Anlass
güit, das BeonHat lu TenllgeDieiBera und aar Pom einer OMehaag su go*
langen, welche uns in der modernen .\nalTse prelSiificr 7.n sein hat. Auch die
sphärische Trigonometrie erfreut sich eingehenderer Darlegung, nament-
lich warde es aieht unteiiaasen, aof den Zusammenhang zwischea doB Formela
der ebenen nnd sphärischen Trigonometrie hinzuweisen. Der Anhang über
Kartcnprojectioncu ist in drei Abschnitte gegliedert, welche von den per»pecti-
vischen, Kegel- und Cylind«r*Prqjeotionen handeln nnd den Freuden der
Geographie gewis-s willkommen sein werden.
Die Einrichtung vorstehenden Lehrbuches littst allerdincfs die Mitbcnützuug
einer Aufgabensammlung als unerlftsslich erscheinen, unter d« nen sich jene
TM Busch dem Lehrbuehe recht gut anschließt. Die Vcriagshandlung hat
ihr Bestes gethau, um dcu gediegenen Inhalt in augeuchmer Form zu
bieten. H. E.
6. iMiwidi isd Bb. Weyr, Frareaaeren dar üntveniat in Wten, Ko-
antslieft« ftr Mathematik nnd Phyailc. 1. Heft 48 S. Wien 1890,
Uanz. Abonnementspreis für 12 Hefte 3rk. 14.
Die Aufgabe dieser Zeitschrift soll die THe^e der rein wissenschaftlichen
Forschung durch Veröffentlichung von nngiualarbeiten sein: auch soll durch
Berücksichtigung der Untersudiungen über die Grundlagen der Wissenschaft
dem BedUri'nisse der Lehrer höherer Schulen Rechnung getragen werden.
l>a.s vorliegende erste Heft enthiüt vom Hofrath Stefan (Wien) einen Auf-
satz Uber die Theorie der Eisbildung unter dem Hinweis einer möglichen Er-
weiterung dieses Problems. Auch der Aufsatz Uber stetige Functionen und
deren extreme Werte ron Julius König i Budapest) ist ladit intereasaat; wo-
gegen daa Folfende nm F. Hertens (Oiaa) «her inTiriante Gebilde der
MbfOftaB. IM. Jahig. YI. Heft. 29
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— 406 —
räumlü-hcn ( ollincatiun unverständlich bleibt, wenn man nicht einen SitKuagS-
bcricht der kaiserlichen Akademie, auf welchen sich der Verfasser besieht, nur
Hand liat. — Hie höhere Ableitunf? eines Qnotienten sweier Functionen von
F. Mayer (Clausthal) enthält eine Verallgeuicincrung der sugunannten Wa-
ringschen Potenzsummenformel , w&brend einige arithmetische S&tce Aber
complexe Zahlen von (rcgenbaaer (Innsbruck) an die Arbeiten vonBagajef,
C-esaro und Tchebychef anknüpfen.
I>ie rühmlich bekannten Namen der Herausfrrber und der Umstand, dass
sich ibr UntentebaeD der Uatenttttiang der UnteniebtaverwaUung erfreut,
lassen erwarten, dass dasselbe einen gttten Fortgang nehnen wtrdflL H. B.
Anthropologie uud (iesundheitslehre für Lehrer und zum Selbst-
unterrichte. Mit beMüderer Berttckgtchtignng des Baues dar Tbiere be-
aibettrt toh K* IbnnlA Vtgtl. 428 8. Mit 97 AbbiUngeii. SpandM
1888, Hopfsche Verlagsbuchdrnckerei.
Seit die Anthropologie und Gesundhoitslehre ein Lehrgegenstand der höheren
Classen unserer Schulen geworden, mehren sich die Leitfäden tUr den l nter-
rioht in bedeutender Zahl. Berufene und Unberufene werfen Compendien, die
meistens nur Compilationsarbeit sind, auf den Büchermarkt. Vogel, der ans
schon durch die iierausgabe guter Lehrbücher bekannt ist, hat nun im voi^
üeg^den ein ziemlich weitläufiges Werk geliefert, das als recht gelnngen
bezeichnet werden kann. Pie iiullere Organisation, die Eleraentarorgane, das
Knochen- und Muskeisystciu , da* ^iervensystera und die Sinuesurgane . das (»e-
filii- , Athmungs- nnd Verdannngssystem werden der lieihe nach in austllhr-
licher Weise b^chrieben nnd diese Beficbreibungen durch zahlreiche, sehr ge-
lungene Abbildungen unterstützt. I>ie physiologisdien Vorgänge sind bei den
einzelnen Abschnitten durcliaus »ehr eingehend nnd leicht Terst&ndlich ge-
sehildert An jedes Üygiem kniinit sich ein sehr detaiUirter hjgiODischer Ab>
schnitt, wdcher die EjankbeRsersehelnungen bespricht imd einfkche Ter-
haltungsmaSregeln und Heilmittrl an^ilit entstandene Sehüdi n zu heilen, oder
doch ^ zum Eintreffen eines Arztes das Weitergreilen des L'bels hintanzu-
balten. Die Blicke auf die entsprediende OrgamaatioB der TUere gebSren
zwar, streng genommen, uicbt in dieses Buch, geben aber doch oft einen will-
kommenen Anlass, außer der Beobachtung des Thieres auf die menschliche
Organisation einen mehr oder weniger bwechtigten Schluss zu ziehen. Mit
einem Abschnitte fiber l-ebensalter, Lebenslänge und Tod, sowie über die Ein-
theilung des Jklenschengeschlechtes schließt das interessante und belehrende
Bach, welches, insbesoidefe in der Hand des lichrcrs, sich setir nfttaUeh er-
weisen wird. Die Ausstattung des Werkes ist sehr su loben. C. R. R.
Unsere Pflannen nach ihren dentschen Volksnamen, ihrer Stellung
in Mythologie und Volksglauben, in Sitte und Sage, in Geschichte
und Literatur. Beitrage zur Belebung des botanischen Unterrichtes und
BOT Pflege sinniger Frende In nnd an der Nator Ar Sehnle nnd Hans ge-
sammelt nnd beranagegeben von H. R«liBg, klSnigL Ptiparandenanitnlta-
. Vorsteher in Wandersleben, nnd J. Bohnhorst, Lehrer am G^minasium in
Halberstadt. Zweite vermehrte Auflage. XVI n. 408 S. (3K>tha 188Ö, Ver-
lag von E. F. Thienemanns Hofbuchhandlung. 4,6U Mk.
Eiu hochinteressantes Buch mit reichem Lihalte, in welchem 167 Pflanzen
unserer heimischen Flora gesell ihlert wefden, wie sie sich das Volk seit den
ftltesten Zeiten in ihren wirklii hen oder vermeintlichen Wirkungen vorstellte.
Viele historische Daten über einzelne besonders bekannte Exemplare werden
uns vorgeführt, die Trivialnamen sowol etymologisidi als auch ihrem Sinne nach
erklftrt. Vor allem sind fast bei allen Pflanzen ainnige Qedichte angeführt
und Bwar nicht blos von den großen Meistern der deutschen Literatur i selbe
treten sogar sehr selten auf), sondern wir begegnen hier vielmehr minder
bekannten oder balbvergessenen I^amen, welche i£re Vene der Feier der Kinder
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Flons gewidmet. Eb ist nnsweifelhatt, daas auf diese Weise das gemüthvollc
Empfinden im Herzen der Kinder ^weckt, das sinnige und Terständnisvolle
Beobachten der Natur angebahnt, die edle Freude an dem Walten der Natur-
kittfte auch im Jüeinen gesteigert wird. FOr die Schule selbst wird wol bei
der karg zugemessenen &t diese Art der Betnehtnng der Pflanzenwelt nicht
praktisch durchfülirbar sein; aber wonn der Lehrer mit seinen Schillern wie
ein Vater mit den Jüodem im heiligen Waldesdome oder ttber den bunten
Wiesenplan wandert, wird oft genug sieh Gelegeoheit Meten, die r(riöhen
Schfttze, die in dem Buche aufgespeichert sind, nützlich zu verwenden; im
Hnase wiid, wie im (harten, an die gepflückte Blume sich eine Sage oder an-
lidbende JBnililong anknüpfen lassen vnd dndwdi die Betntelitnng des Natar>
objectes beleben. In diesem Sinne bcerüßen wir das Ersrhcinen dieses Buches,
das durch die Nothwendigkeit einer zweiten Auflage seine Beliebtheit zeigt,
auf das frrandlieliste nod rnndien Lehrer und Elton nnf dasselbe gcbUrend
aufinerksam. C K. U.
-Das heimische Natnrleben im Kreislauf des Jahres. Ein Jahrbuch
d«r Natur. Unter Mitwirkaug hervorragender Fachgelehrten und Kenner.
Von I^. K»t1 Bdm. VolbtBiidig in 12 tieÜBrnngen & 80 Pf Beriin 1889,
Verlag yon Robert Oppenheim.
Dieses Werk enthält in höchst interessanter Schilderung das Naturleben der
Erde; Pflanzen- und Thierreich werden in gleich eingehender Weise behandelt;
die Entwickelung der Bäume, Sträuchcr und Knititer wird vom Beginne an
schrittweise verrolgt, das Erwachen des thierischen Lebens bis zum höchsten
Stande des entwickelten Daseins der Thiere in den einaelnen Monaten anziehend
fjeschildert , und ebenso das Ableben derselben in den Herbstmomitoii genauer
Beobachtung unterzogen. Land' nud Forstwirtschaft Anden in den einielnen
Monaten ihre gebtlrende Berfleksichtigung; die Blnmensndit im Garten nnd
Zimmer, die Gemüse- und ( )bsfgärtnerei, das flalten von Zimmerrögeln und
Uausthieren wird in ausgiebiger Weise abgehandelt. Selbst außeriidische
Vorgftnge, die Hinmels- ind die "Vl^lterungskunde, haben einen mehr als
aasreichenden Platz in dem Werke gefnnden. TabeUarist he t'ber^ichten Wher
die Tliier- und Pflanzenwelt in den einzelnen Monaten, sowie nach Monaten
geordnete VerBeichnisse Aber die Tonundimenden Arbeiten In Hans, Qartan,
Feld und Wald machen da.s Buch zu einem im vollen Sinne des Wortes prak-
tischen Handbuche; nicht uur der wissenschuftlich Gebildete, sondern auch der
praktiidM LsümI- «nd Hauswirt kann aus demselben yiel knm ud m seinem
Nutzen anwenden. Dabei ist die Ausstattung eine schöne n nennen nnd mit-
hin das Werk in jeder Hinsicht aller Empfc^nng wert. C. £. R.
Akxrader Sipai, Otterreich -Uacrarn. Mit S Karten in Ferbendmekf
60 Vollbildern nnd 121 Textabbildungen. (Sonderabdmck aus der Länder-
kunde von Alfred Kirchhoff.) Prag und Impzig 1889, Tempsky &. Freytag.
Supan, längere Zeit Professor der Geographie an der Universität Czernowitz,
bietet tn dem vorliegenden Werke das erste wissenschaftliehe Handbueh
der Geographie Österreich-Ungarns. Was bisher an Werken ttber die Gcsammt-
Monarchie vorhanden war, waren mehr Nachschlagewerke fUr den praktischen
Gebrauch, wie z. B. Umlauft« Handbuch oder das iltere Schmicdlsche Werk,
die sich durch die Mittheilung einer größeren Menge Daten, nicht aber durch
die wissenschilt tÜL he Venirbeitung derselben charaktcrisircn , oder es waren
Bfleher in der Art der Uciscbeschreibungen. Wi-ssenschuftliche Arbeiten gab
es nur über einzelne Abschnitte oder über einzelne Theile der Monarchie. Das
volle Verständnis des Werkes von >Supiiu ist in dem oropn>^phischen Theile
bedingt durch eine Sunimc geologischer Kenntnisse, wie sie etwa die oberen
Classen einer Realschule oder eines Gymnasiums gewähren. Supan betrachtet
n&mlick im Geiste der modernen Geographie die Orographie anch vom Stand-
punkte des Geologen, ja, legt auf lue Darstellung der (gegenwärtigem geo-
logischen YerhiUtnisse, der Gesteinaart, Structar etc. das Hauptgewicht bei
der Ghanktadatik der Oebirgssysteme. Za diesem Zwecke mwertet er Im-
besonden die JalwMlober der geekgiishei Beialisaaftalt in Wien niolit bks
— 408 -
ihrem Inhalt ladi, fondeni «ndi, wat ihre Skiaen, Proflle eCe. betrifft. Die
Monarchie ja^ppirt er hoi seiner Bctrachtunt; in vier darch die Natur selbst
vou einander ffeechiedene Thcile: in die AlpenlAnder, in die Sodetenländer, in
die Karpatheniliider (das daatthiaehe OeUet md die attBericupaMaehen Linder»
H^ruppen) und in das KniatgebieC, und hetrnchtct jede dieser (rni])i)eD in der
Weiae, dnu er zuerst die pigralnha (ieoeraphie (Öro-, Hydrographie, lüiuia,
Vegetstieii md Thienreit) 'vorfShri «ad dann die Caltiirs«ofnpbie (die wirt-
schaftlichen und nutionalen VerhältnissoV In einem Srhiussworte beleuchtet
er die politiseiieu l'heile der Monarchie und ihre Bedeutung im wirtschaftlichen
Leben derselben und die Stellung der Monarchie auf dem Weltmarkte. Diese
Inhaltsübersicht «lürtte einen Einblick in die Anlage des Werkes gewähren.
Die Art, wie jedes einzelne behandelt wird, ist folgende: Supan setzt jede Er-
scheinung in den ihr von der Natur gegebenen Zusammenhang mit der lie
bedingenden, von ihr beeintlulJten. Das Aufdecken dieser WecLselbeziehuugen,
uur uiüglich hei einer vollstündigou Beherrschung de» Stoffes, einer gründlichen
Kenntnis aller Erscheinungen, und nur möglich dem Scharfblick eme»< wis^en-
BchaftUch goächnlten Foredters, ist einer der Keize, der jeden dcukenden Leser
an das WerkSupans unwiderstehlichfesselt. Dazu kommt, dassSupun bei der Darstel-
lung der Cnlturgeographie Ober ein reiches historisches Wissen verftlgi. das ihn in
den Stand setst, g^^wärtige mit vergangenra Zuständen zu vergleichen.
Bb iat diesea Wiana mn so hoher stMlen, ah es rahr mtthsam m erlangen
war. Es sind j:i nur kleine Notizen gewesen, in den vi rschiedensten Büchern
uid Zeitsohrilten aerstreat, aiedeigelegt, die von ihm zum entenmale wissen-
adwfüieh Tenrertot, nriteiBaader in seaiehung gebracht nnd ao ins rechte
Licht gestellt WUdcn. Man schlage nur 7.. B. die Capitel nach über den Berg-
bau in den Alpealftndem oder Uber die wirtscbafüieben Verhäitaiase Nord- und
SÜhOtaneas in derNonaeit vad lai KittdaltBr, nad num wird ataaaead gewahr
werden, wie unter der Leitung dieses wisBcnschattlieh geschulten Betnichters
die paar Notizen alter Chronisten Leben und Bedeutung gewinnen. Die ver-
gleichende MeUiode ftlhrte ihn auch sonst rar Aufdeckung der interessantesten
Thatsachen; insbesondere s'ih dies Ton der Art, wie z. B. .Supan die Besiede-
lungsrerhiLltnisse, die V'erthcilung der Bevölkerung und der Ortschaften betrachtet.
^Mas er dabei von einer Autzählung der Merkwürdigkeiten der einzelnen
()rte und von der Angabe der in NaehHchlaffo werken üblichen statistischen
Daten absieht, ist selbstverständlich. Nur das hat er von diesem Material
v< rkfbeitet, was in oaasalem VerfaJlltnit steht. Wir würden mit der Hervor-
hebung der genannten Bi|^nthtbnlichkeiten das Buch nicht vollständig charak-
terisirt haben, wollten wir nicht auch der Bilder gedenken, die den Text er-
läutern oder eine Beschreibung überflüssig machen, die vielleicht mancher auf
den ersten Blick an einigen Steilen des Buches vermissen könnte. Bilder
ersterer Art sind die Laadkärtchen, zumeist im Maßstäbe 1 : loOOOO, darstellend
die Uiiigelnuit; einer Stadt, eineu Gebirgsabschnitt etc., ferner die geologisehen
Protile und die vom Standpunkte des Geologen aa^nonimenen Skisen. Bilder
der anderen Art sind die Landsehafts- nnd Stidtebilder, die Abbildnngen -von
Bauwerken i f»-., die entweder für das Werk nach Photuirraphicn eigen» her-
gestellt worden sind ^darunter befinden sich einige ganz vorzügliche; oder die
dem „Kronprittsenwene*, oder dem Stvttg^er wnice: „Wanderungen dardi
.'-'toienn.nrk und Kilrnthon", entlehnt sind. Die verschiedenen (Quollen erklären
die N'crschicdcnhcit iu der Darstellung und Technik der Abbildungen. Für
einen Lehrer, der an einer Itsterreielitechen Schule wirkt, kann Snpans Werlc
nach all dem (»esagtcn nur ein rreradezu unentbehrliches Buch genannt werden.
Die Mühe, die das Studium des.sclben kostet, wini reichlich gelohut durch die
erlangte Auffassung, durch das gewonnene Verständnis der heimatlichen V'er-
hSltnifse. Aber auch dorn Lehrer im „Keiche", besonders den Herren Ver-
fassern der Schulgeographien und Leitfäden möge das Werk recht sehr em-
pfohlen sein. Viele der letzteren werden dann aadi ersehen, zu ihrer Leser
Vortheile, wie grund- und haltlos manche ihrer aus veralteten Bttcfacm ge-
sch"»pften, Ostcrreieh-Ungam betreffenden Angaben sind. W.
Veiantworü. K»(UoteBi Dr. Fri«drieh~DittVt. BathdraelMrei J-oliaa Klinkhardt, Leipiig. ~
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Kwm Gliirtkteristik ier siniitliclieii Werke Beneke's
nach der Zeitfolge ihres Erscheinens.*)
Von weiland J, G, DreaOer, Sminariliredor in Bautten.
ie Beneke's Schriften reich sind an neuem, eigen thünilicliem
Inlialte, so ist auch die Forschung.smethode, die den Verfasser zu
diesem Inhalte geführt hat, eine ihm eigenthüraliche. Mit den heiT-
lichsten Eil'olgen ist diese Methode zwar schon seit 200 Jahren in
den Naturwissenschaften angewendet worden, und hier ist sie demnach
eine alte; in geistigen Dingen hat man sie vor Beneke stets vernach-
Ussigt, wem auch einige einen sdiiniclien Anlaiif in fiiMr Benntznng
nabmen; erst Beneke hat sie consequent anf die Seele in Anwendung
gebracht Kein Philosoph konnte daher die rdchen Entdeckangen in
der geistigen Welt machen, die Beneke gemacht hat, nnd eine
Charakteristik yon Beneke's Werken setzt darmn Torans, dasa znnAchst
.das Eigenthtlmliche seiner Forschnngsmethode dargelegt sei
Alles mensdiliche Wissen, hetreife es die An8^ oder die Innen-
welt, wohnt in der menschlichen Seele; sie allein ist, wie der Triger,
so auch der Erzeuger aller unserer Wiasensehaft. Solange wir non
die Kräfte und Qesetm der Seele nicht erforscht haben, fehlt uns
nothwendig die Einsicht in die Entstehung unseres Vorstellens
und Wissens, somit aber auch die Basis iBr die Beorthellnng, in
wetehem Grade unser Vorstelka und Wissen ZuTcrlSssifl^eit besltse.
Das Wesen unserer Seele wird uns aber nur* kund durch sorgfitttige
Beobachtung, durch Erfahrung, und wir müssen also auf das achten,
was in unserem Innern, in unserem Selbstbewusstsein, vorgeht
*) Die vielseitige Wichtigkeit der l'hüosophie uud besonders der I'sychologie,
sowie der Unutaiid, dam die Lehie Bencke'e bidier nur In eiaem TeiHltiiinaUUg
Ueineii KicIm die Terdieate Wflxdigiuig geflmden het — de hitte lohweieB Vm-
immgeii auf pädagogkcbem Gebiete Torbeugen kSmwn! Teraula.«son uns. obige
Charakteristik auf« neue ztim Abdruck zu bringen, womit wir zu^lei( h verschiedenen
Wünschen uud Aulragen bezüglich der Werke des gcuauuten forscherb entsprechen
nOekten. Die hiexmit Teprodndfte Ailieit Dranleie endiieii raent 1861 bei E. S.
Mittler ft Sohn in Berlin. D. Red.
PHdagoclaiB. lt. Jaluf. HeftVU. 80
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— 410 —
Wie für die Naturforscher die äußere, so bleibt tür deu i'hilosophen
die innere P^rfahrung diealleinigeQuelleallerGewissheit und Wahrheit.
lU'nkeu kann mau ja auch das. was gar uicht existii't, und was
existiit, kann uian anders denken, als es existirt, denn das Denken
geschieht durch Begriffe, die auch auf bloße Einbildungen angewandt
Verden können; folglich gibt nur die wiederholte Beobachtung über
die Existenz und die Besdiaffenheit des von jemand Gedachten oder
Behanptetea fliehte Anskinift. Das tmi der EriUinmg abgewandte,
daa reine oder bloBe Denken, gewöhnlich Specnliren genannt^ führt
miansbleiblidi in die Ine, weil es die Ezistena des Gedachten woi
voranssetst, aber durch nichts gewAhrleistet
Freilich kann die Erihhmng nicht alles an den Gegenständen
wahrnehmen, manches^ nnd oft gerade das Wirksamste in ihnen, ent-
zieht sich dem Blicke, nnd wie dies der Fall ist bei den Gegenstftnden
der änfieren, so anch bei denen der inneren Erfahmng. Was thnt
man dann? Man ergänzt das Fehlende durch Voraossetznngen (Hypo-
thesen), also durch Hinzogedachtes, sonst behielten wir*in dem Wahr-
genommenen nnr BmchstOcke, wir gewännen kein in sich zusammen-
stimmendes Ganze, und das Begreifen fiele weg. Zur Hypothesenbildnng
ist also das Denken durchaus erforderlich, nur muss es ein Denken
sein, das streng von den beobachteten Thatsachen gefordert, in keiner
Beziehung Villktirlich, nie von der Erihhrung abgewendet ist Es
darf folglich der Er&hrung nicht vorangehen, sondern mnss ihr
nachfolgen, es muss ein Denken a posteriori, darf nicht ein Denken
a priori, d. h. vor der Erfahrung sein, wie eben das Denken oder
Speculiren der Philosophen bisher war. Wenn z. B. Herbart annimmt,
die Seele habe gar kein Vermögen, weder etwas zu empfangen noch
zu produciren, so ist das eine Hypothese, die er durch Denken vor
der 'Erfahrung gebildet hat, und es ist dämm kein Wunder, dass sie
gegen alle innere Erfahrung verstößt. Denn diese Erfahrung lehi-t
überall: wo keine Kräfte sind, da ist auch kein Geschehen, keine
Entwickelung, denn aus nichts wird nichts — ein Satz, an welchem
alle Naturwissenschalt fe.sthält unil festhalten muss. Folglich kann
die richtige Hy])<)these nur so lauten: Die Seele hat Kräfte, oder
genauer ausgedrückt, sie be.stelit au.s Kräften oder Vermögen, welche
für die Aufnahme äußf^rn- KiiidrUcke <Miii>f;iii.<i-lich sind und nul' mit
Hilfe derselben sich w»-iter forthilden i riinlnftinncn erzeuü:en).
Die innere Erfahrung ist nun durch Benekt* eine so fruchtbare
dadurch geworden, dass er die alten falschen Hypothesen verworfen
und neue richtige zu dem innerlich Waluzuuehmeudeu gebildet hat.
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— 411 —
Sie sind also angewohnt, dime Hypothesen, und man hat sie bisher
nicht allgemein anerkennen wollen, 'aber sie sind .von den Thatsachen
mit Notbwendigkeit gefordert, and die Thatäachen werden nur durch
sie begreiflich. Man denke an die „Spuren'', an die „gegenseitige
Anziehung des Gleichartigen", an die „Ausgleichung der beweglichen
Elemente", an die ..Anbilduiig neuer Urvermögen" etc., lauter Hypo
thesen, die von den beobachteten Thatsachen de.^ Innern unausgesetzt
bestätigt werden. Sie stehen daher eben so fest wie die Hyiiothesen,
diu-ch welche die Naturforscher die Bewegung der Phmeten, die
Erscheinungen beini Licht, bei der Luft, bei der Elektricität etc.
erklären, ja sie haben eine noch viel größere Zuverlässigkeit als
diese, da die innere Erfahrung viel tiefer dringt als die äußere, nicht
auf bloße Erscheinungen beschränkt ist, sondern das An-sich-sein
des Wahrgenommenen erfa^st. Von den Außendingen fallen nämlich^
nur Eindrücke, die sie auf uns machen, in unser Bewusstsein, nicht
sie selber, und somit nur gleichsam ihr Schatten, ja bei den sicht-
baren und hörbaren Dingen, die gar nicht unmittelbar, sondern nur
durch das Medium des Lichtes und der Luft auf uns einwirken,
nehmen wir sogar nur den Scliatten des Schattens in unser Bewusst-
sein auf. Nun ist aber alle Erkenntnis an das Bewusstsein gebunden;
was tui eine vollständige, genaue und wahre Erkenntnis von den
Außendingen kann uns folglich solcher Schatten gewähren? Was wii*
dagegen einzelnes in nnserem Innem wahrnehmen, ist das Wahr-
genommene selber und ganz, sobald es ganz ins Bewusstsein gehoben
wird; indem wir einen solcihen Act durch einen sieh darauf beziehen-
dan Begriff („innem Simi*', aofEuteii oder yorstellen, kommt keine
anffiwwende llraft hinzu, die von dem AuüEuftissendeD in der AH ver-
schieden ^wftne, wie solches bei der Wahrnehmung, der Aufiendinge
stets der Fall .ist . Sein und Vorstellen bleibt bei der inneren Wahr-
nldunung eins; wir sind zogldch dap, was wir TorsteUen, und diese
Eiidieit. allein gibt die vollste Wahrheit» die uns Menschen zu en<eichen
milgüch ist Darum können, wir auch nur unser Inneres in seiner
Genesis: diButUch verfolgen, und so wird die peychische Selbst-
erkenntuis zum Uaßstabe &ac die Wahrheit und Gtewissheit aller
anderen ErkeAntnis. •
. Das Gerägte mag manchem pmHox v^oi^ommen, es bleibt aber
nur f&r 'den befremdlich, dar in der innereu.Er&hrung ganz ungelibt
bleibt; er staunt, wie der FremdUhg in der Astronomie ebenfalls staunt,
wenn er die Astronomen sprechen hört. Durch Übung wird man in
i^em Heister, und wie man im Gebiete der äußeren ficfahrung
ao*
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— 412 ^
allmählich eine Sicherheit des Blickes gewonnen hat, die unseren V<M>
eitern unglaublich schien, so ist gleiches noch mehr in der inneren
Erfahrunp: irxiglich. Denn diese Erfahrung beschränkt sich ebenso-
wenig wie die äußere auf die ungesuclite, zutallige Wahrnehmung,
sondern auch ihr ist die Beobachtung (die gesuchte und mit Auf-
merksamkeit verfol^ite Wahnielimung), sowie der Versuch, das
Experiment möglich, da mau aucli an der Seele experimentiren kann.
Genug: der Seelenforscher geht ebenso ^vie der Naturforscher zu-
vörderst den We^r der Tnduction (Aufzählung des einzelnen), d. h.
er sammelt die einzelnen Thatsachen, stellt sie zur Vergleichung
zusammen, verfahrt also zuerst syntlie tisch; danu zerlegt er in
Gedanken das so Gefundene, das immer aus mehr oder weniger
zusammengesetzten, oft sehr verwickelten Producten besteht, in seine
Factoren, und gelangt so auf analytischem Wege zu den Grund-
kräften und Grundgesetzen, durch welche die Seelenvorgänge
bedingt sind. Die Objecte, womit es die innere Erfahrung zu thun
hat, sind freilich ganz andere als die Objecte bei der äußeren Erfahrung;
jene sind geistige, diese materielle Objecte, aber die Methode
der Forschung ist bei jenen wie bei diesen anwendbar. Da nun diese
Methode seit ßaco und Galilei in den vorzugsweise so genannten
Naturwissenschaften zur Anwendung gelangt ist» so hat sie den Namen:
naturwissenschaftliche Forschungsmethode bekommen, und nur
dieser Methode verdanken wir es, dass die ehemaligen Träumerden
Uber die Anfiero Natur aufgehört haben. Wird dkse Metiiode anf die
Seele angewendet, so erhftlt natflrüch anch die Psyehologie einen
naturwissenschaftlichen Charakter, wfihread sie immer eine Wissen-
schaft Vom Geistigen bleibt, nnd da die Philosophie sich ganz auf
Sedenknnde MQtzt, weü sie es wesentlich mit der weiteren ErOrtemng
nnd Be^rbeitang Ton Seelenaoten' nnd Seelenprodncten in thm hat
(kanm die sogenannte Naturphilosophie ansgenommen), so mnss anch
sie an einer Naturwissenschaft vom Geistigen werden, wie sie es in
Beneke's Werken bereits geworden ist
Dies sind in Hinsicht der Forsdiungsmethode die Principieo, von
welchen Beneke ausgegangen nnd denen er nnTerbraddiehtrea geblieben
ist Schon seine frühesten Schriften hat er so klar nnd bestimmt ab>
gefosst, als dies ohne die erst später von ihm anogebüdete nene und
schärfere Terminologie nur irgend mOgUch war. Dies zeigt sich
bereits in der ersten Schrift, die er heransgab:
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«
— 418 —
1) nErkenntnislehre nach dem Beimsstsein der reinen Ver*
nanft in ihren Grundzli^en darg^elegt"^ Jena, bei From-
mann, 1820. XVI. u. 21() S. kl. 8".
Schon diese erste von Beneke veröflfentlichte Schrift verficht den
Satz: Alles Wissen entsteht durch AVahrnehmung der Thätigkeiteu
unseres Geistes, und diese Tliätigkeiten oder die von ihnen gebildeten
Abstracta müssen aller Wissenschaft als höchste Anschauungen zum
Gründe gelegt werden*' (S. 15*^). In Hinsicht der Bündigkeit stechen
die dafür geführten Beweise freilich noch ab von der Strenge, die sich
in den späteren Werken geltend macht, und das wird bei einer jugend-
lichen Krstlingsarbeit wol nichts Auffalliges haben; der Jüngling ist
noch kein Mann. Die Speciilation in bloßen Begriffen wird aber hiei"
schon eifrig bekämpft und das Kehlerhafte in den bislierigen Systemen
der Philosophen freiniüthig aufgedeckt. Audi versteht Beneke unter
^reiner Vernunft" bereits etwas anderes, als was bis dahin daflir
gegolten hatte. — Ähnlich müssen wir über die zweite Schritt ui'theüen,
* die mit der genannten gleichzeitig erschien:
2) „Erfahrungsseelenlehre als Grundlage alles Wissens
in ihren Haupt zügen dargestellt" Berliji, bei E. S.
Mittler, 1820. VII u. 172 S. kl. 8".
Schon dieser Titel besagt, dass sie kein Lehrbuch der Fsyeho-
logie sein will; sie hat es nur mit dem Nachweise zu thun, dass alles
Wissen auf Ei'fahrungsseelenlehre gebaut werden müsse, zu welchem
Zwecke sie f^reilich mancherlei Psychologisches nicht entbehren konnte.
Aach kann man noch immer psychologische Wahrheiten ans ihr Ionen,
obgleich dieeelben nicht in der Bestimmtheit nnd Klarheit auftreten,
wie in seinen sp&teren Werken. Bichtig ist aber, was der Yerisaaet
in der Vorrede sagt, dass er nämlich von den in der Torigen Schrift
dargelegten Ansidilen so gut als nichts aufgegeben, sondern nnr, wo
es so aussehe, „weniger wissenschaftlich durchgebildete Ausdrücke
der gebräuchlichen Philosophie, an denen er dort noch aas Gewohn-
heit Ibetgehalten, jetzt mit hesliimmteren nnd deutlicheron vertausdit
hahe." Die Anhänger der „gebräuchlichen** Philosophie konnten hierin
fteilich keine Verbesserung erblicken.
3) De veris philosophiae initüs dissertat inauguiaL seripsit atque
ampUssimi philosophorum ordinis anctoritate pro summis in phüo-
sophia honofibus in üniversitate Berolinensi lite adipiscendis
publice defendet etc. Berlin, bei Mittler, 1830. 48 S. 8**.
Hier ist seht neuer philosophischer Standpunkt noch <^eiier dar*
gelegt, ab er bereits in den vorgenannten Schriften zutage tritt
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— 414
4) „Nene Ornndlegmig zur Metaphysik, als Programm zn
• seinen Vorlesungen fiber Logik und Metaphysik dem
Drack &h ergeben." Berlin and Posen, bei. Emst Siegfried
Mittler, 1822. 33 S. 8«.
Diese Blätter sollen den Beweis fiihren, dass auch die philo^
sophischen Wissenschaften den mathematischen an Klarheit, Bestimmt-
heit und Bündigkeit nicht nachzustehen brauchen, und die Darsteliong
bewegt sich daher dnrch and durch in der mathematisch strengen
Ableitung ihrer Sätze von einander. Ausdrücklich aber bemerkt der
Verfasser in der Vorrede, dass er „diese mathematisch strenge Methode
in seinen Vorlesungen mit einer weniger steifen vertausche, da sie
für den Fortschritt des Denkens ohne Bedeutung sei". Seine meta-
physischen Ansichten treten hier bereits schärfer, als in den vorigen
Schriften, in ihrer Eig-enthümlichkeit hervor.
5) „Grundlet^ung zur Physik der Sitten, ein Gegenstück zu
Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, mit
einem Anhange über das Wesen und die Erkenntnis-
grenzen der Vernunft/ Berlin und Posen, bei E. S. Mittler, 1822.
XVI u. 354 S. 8'\ (Ausgegeben bereits zu Ende isjl.i
Diese Schrift zog Beneke (Febniar 1822) das Verbot seiner Vor-
lesungen zu. Theils mochte schon der Titel (..Physik der Sitten-)
anstr)ßig befunden werden, obgleich er nur bedeutet, wa.s Physik iiberall
bedeutet: Naturlelire, hier also eine geistige, uud von einer solchen
hatten auch schon andere geredet; theils und vorzüglich witterte
Hegel aus dieser Schrift einen getahrlichen Nebenbuhler in Beneke,
denn auf Hegels Betrieb vornehm licli ist jenes Verbot erfolgt. Das
Buch enthält die erste der in der „Erfahrungsseelenlehre als Grund-
lage alles Wissens" versprochenen austührlicheren Darstellungen der
philosophischen Wissenschatten, und zwar in Briefform. Freilieh
kommen iu demselben sehr ungewohnte Wahrheiten vor, und manche
neue Ausdrücke, wie Lnstraum, Strebangsraum, gaben, obgleich sie
genügend erklärt sind, doch seinen Gegnern eine willkommene Hand-
habe za den ganz imgegrUndeten Vorwflrfen des Materialismns nnd
EpikareismoB. Zwei Beeensionen, die in gelehrtenZtitscliiiflea «rsciiisnen,
fanden nichts iSefthrliches in dieser Schrift; aber was die eine an .
derselben lobte,: tadelte die andere — ein meilLwfirdiges Zeugnis von
der üneinigkeit der philosophiBchen Systeme. Am meisten Anstoß
nahmen die Gegner an dem Nachweise, dass die Freiheit des Willens
kerne absolute sei, indem sie daraas folgerten, dass es kehie Zorech-
nnng geften kSttne, nnd was dergleichen Verdrehnngen mehr waren.
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— 416 —
Auf sechs Vorstelliinjj^en, die Beneke an die Behörden (die letzte an
den König) gerichtet hatte, um den Grund zu dem Verbote seiner
Vorlesungen zu erfaliren, blieb jede Antwort aus, und dasselbe Schicksal
hatte auch eine von der Universität in dieser Beziehung eingereichte
Vorstellung. Wer sälie nicht aus diesem Vorgange, dass der philo-
sophisclie Dogmatismus eben so verfolgungssüchtig macht wie der
religiöse? Indes mochten die Gregner, wie ihr Schweigen beweist,
wol etwas zur Besinnung gekommen sein, und beschämt mossten sie
dastehen, als Beneke die:
6) „Schutzschrift für meine Grundlegung zur Physik der
Sitten." Leipzig, bei Reclam, 1823. 56 S. 8".
herausgegeben; denn diese kleine Schrift ist ein Muster von Klarheit,
Bündigkeit und Ruhe nnd macht alle Vorwürfe der Widersiiclier wider-
legend zu schänden. In ihr treten seine neuen Principien der Moral
in großer Scliärfe und Präcision hervor.
In der Zeit, wo Beneke vergeblich auf die Aufhebung der über
ihn verllängten Maßregel wartete, förderte er eine neue, sehr wichtige
Schrift zu Tage:
7) „Beiträge zu einer rein seelenwissenschaftlichen Be-
arbeitung der Seelenkrankheitskunde, als Vorarbeiten
fttr eine künftige strengwissenschaftliche Naturlehre
derselben.** Leipzig, bei Beclam, 1824. LYm n. 530 S.
Es kann anfflUlig erschdnen, dass Beneke sich jetzt an die
schdnbar dunkelste Begion der Seelenvorgänge wagte, da er ja als
Forscher auf dem Gebiete des gesunden Sedenlebens so großen
IfisBverstftndmssen begegnet war. Allein es beweist diese Eithiiheit
nur, wie sehr er mit sich über die Gesetze der Seelenentwickelimgr
bereits im reinen war, nnd er vermochte schon jetzt nachzaweiBeii,
dass die Eraokheiten der Seele nadi denselben Gnmdgesetzen erfolgen;
▼on welchen die gesunde Seele bdierrscht wird, nur dass sie dort
infolge nnnatflrlichar Anregung von anften her anders zusammen^
wirken. Dabd Usd er auch das leibliche Leben als ein nntergeordnet
seelisches aof (m. s. hierOber § 43—52 der „Psychologie als Nator-
wiBsensehafkf*), weshalb sich diese Schrift als dme reinseelenwissen-
schafkliche Bearbeitung der Seelenkrankheitskonde ankikndigt; nnd
wenn es htordurcfa den Ansdidn gewinnt, als sei der Verfosser
Idealist, so verdient «r doch diesen ihm gemachten Torwnrf eben-
sowenig als den, dass er Materialist sei (näheres hierfiber weiter
unten). In der „Psychologie als Naturwissenschaft'* genügte es, die
Sedenknmkheiten in einem bloßen „Anhange** zu erörtern, da bereits
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— 416 —
jene Schrift alles Nähere ausführlich und gelimgtii gegeben hatte, so
dass bloü darauf zu verweisen blieb. Die Terminologie in derselben
nähert sich der späteren schon sehr, ist aber doch theilweise noch
nicht so scharf ausgeprägt, als gerade hier zu wünschen wäre. —
Sehl- interessant ist die Abhandlung, welche der Schrift vorgedi-uckt
ist: „Soll die Psychologie metaphysisch oder physisch" (d. b. natur-
wissenschaftlich) „begründet werden? Ein Sendflchreiben an den Herrn
Ftofessor Her bar t zn Königsberg.'* Hau sielit hier klar, in -wMien
Ponkl^n beide Psychologen flbereinstinimen, in welchen sie von einander
abwdchoi, ein VerhftltDis, daa aber noch bestimmter in der Schrift:
„Die nene Faychologie*' (S. 76—121) cor Sprache kommt. Ea aei
hierftber nor b^nerkt, daaa Herbart eben so wie Beneke die alther^
gebrachten Hypothesen: es gebe einen angeborenen beaonderen Yer^
stand, efai angeborenes besonderes Gedächtnis etc. — kurz die ab-
Straeten SeelenvermOgen yerwirft» sonst aber nnr einige terminologische
Ansdrficke mit flmi gemein hat, denen ein anderer Sinn als bei Beneke
lam Grande gelegt ist Obgleich nimlich anch Herbart anf Er&hrong
bauen will, und sogar den Yersnch macht, Mathematik anf die Seelen-
yoigflage anzuwenden, so hSlt er doch die Erfhhmngsbegriffe für
solche» die erst einer Gorrectnr durch speculative Bearbeitung bedürften,
und somit baut er auf eine entstellte Er&hrang, er lässt die That-
saehen der inneren Erfahrung nicht rein zum Worte kommen. Dass
die Bechnungen, die er anf die Seelenthätigkeiten anwendet, in der
Luft schweben, braucht kaum versichert zu werden, wie dam der
grofie Mathematiker Gauß mit Recht sagte: „Die psychischen Er-
scheinungen haben sicher eine mathematische Grundlage, aber die Ein-
sicht in dieselbe hat nur Gott." Die Begriffsspeculation herrscht überall
bei Herbart vor, und bei dieser Forschungsmethode trifft man das
wirkliche Sein nur zufällig, in den meisten Fällen gar nicht
Da Beneke die Berliner Universität verschlossen blieb, so ging
er im Jahre 1824 als Privatdocent an die Universität zu Güttingen.
Hier gewann seine psychologische Theorie vollständige Reife und zu-
gleich eine mehr systematische Form. Dies bezeugen die drei Schiliften:
8) „Skizzen zur Naturlehre der Gefühle, in Verbindung mit
einer erläuternden Abhandlung über die Bewusstwer-
dung der Seelenthätigkeiten/' Göttingen, bei Vandenhoeck
Ruprecht, 1825. XVllT und 492 S. 8".
9) Das Verhältnis von Seele und Leib. Philosophen und
Ärzten zu wolwollender und ernster Erwägung über-
geben." In demselben Verlage, 1826. XXXU iL dOi S. 8».
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— 417 —
10) nÜber die Vermögen der menschlichen Seele und deren
allmähliche Ausbildung.^ In dem nfimlichen Verlage, 1827.
XXXVm u. (598 S. 8".
Die ei^te und dritte dieser Schriften f&hren auch den Nebentitel:
„Psychologische Skizzen, erster und zweiter Band." Sie bieten
aber nicht blos Umrisse zur Seelenwissenschaft dar, sondern diese ist
in ihnen ausführlich dargestellt, und man findet hier einen Reichthum
der feinsten psychologischen Beobachtungen, wie sie nur ein Beneke
liefern konnte. Keine Nation kann diesen Schriften etwas Ähnliches
an die Seite stellen, und man saf?t nicht zu viel, wenn man behauptet,
es liege in ilmeu eine ganz neue W'eltentdeckung (die Entdeckung der
Innenwelt) vor. Was die Getülile eigentlich sind, worin sie sicli von
anderen Geistestliiitigkeiten untensclieiden, hat man vor Beneke nie
bestimmt i^a^vn kömwu: wie ferner das Bewusstsein entstellt, wechselt
und sich immer hoher ausbildet, ist eltenfalLs durch ihn erst natur-
gemäß nacligewiesen worden, und mit diesen Seeleuthatsachen hat es
die erste dieser Schriften zu thun. — Die Erkenntnis des Verhältnisses
zwischen Seele und Leib setzt eine richtige Einsicht in das Ver-
hältnis zwischen Vorstellen und Sein voraus, denn die letztere Ein-
sicht ist der Schlüssel zu jener, und Beneke hat beide Verhältnisse
klar ins Licht gestellt iu der zweiten der genannten Schriften.^; —
*) Hier dflrfte der geeignete Plate sein, Uber dieses schwierige Thema Felgen-
des beizubringen:
Wie es nicht wahr ist, das^; die Erde still st(>hc. so ist es auch nicht wahr,
dass der Leib uu sich tudic Materie atii Wiiä wir I^Laierie ucuuen, ist iu sciucm
An-sich-sein ebenfUls (in vendüedenen Atetuftugeu; lebende Kraft, und swar
dnidi nnd dofch; es enthilt nicht bks Kiaft, und nur ans diesem Gninde kann
der Leib mit der Seele so zusammen bestehen, dass beide Existenzen sich gegen-
seitig durchdringen. Dass uns die Kiißeren Sinne über dieses Verhältnis keinen
richtigen Aulischluss geben, darf uns nicht bciremdcu. ^ Dean bei jeder Wahrnebmung
durch die Sufieien Suine sind sw«i Teraehiedene Faetoien im Spiele: det iileie
Eiadradt nnd die anfibsseode psychische Sinnenknft Indem jener sieh dieser ein-
nnd unterordnet und somit zu ctwax Psychischem wird, kann er nur SO edcaant
werden, wie die auffassende Kraft es bedins^t. l)a rnn jeder Sinn anf anderen
Krattcii besteht, so ist es zugleich natürlich, dass uu» jeder von einem und dem-
selbeu Uc-gcostandc der Außenwelt einen anderen Bericht gibt. Der Apfel z. B. wird
dnieh den Oesiditssinn als etwas rftnmlich Ausgedehntes nnd Farbiges an^geftsstt
durch den Tastsinn nur als räumlich, sugleich aber fasst er den Apfel ids etwas
Hartes oder Weiches auf, das ihm der Gesichtssinn nicht ansieht. Essen wir den
Apfel, so .srhmeckt er nicht räumlich dick, breit etc., sondern süß, sauer etc., und
dem Geruehsiuu stclku aii-h von iluu DUfte dar, die ebenfalls nicht den Eindruck
flnmlicher Ausdehnung madicn denn nie riecht etwas tief, hoch, diek, dünn etc.
Gleiches wigt sich« wenn ein fallender Apfel auf den GehSninn wirkt. Wie nnd
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— 418 —
Was endlich außer und neben den Gefühlen, die so sehr wechseln,
Bleibendes in der Seele ist, das stellt die dritte jener Schriften in
Wils ist uuD der Apfel seinem wahreu iuuereu We^ica uacii? Offenbar haben wir
ihn nur anffaseen kSnneii, wie er TemOge der EiBrichtimg imserer Siime uns er-
scheinen munte. Bitten wir andere SinnenVennQgeat so würde dieeea EmlMineii
ein ganz anderes eein. So riel kommt also auf die BosohafFonhoit der Sinne an.
Ganz anders bei dein, wm^ wir p in innerlich durch da^ Selbstbewiisst'^oin auflassen
(vorstellen). Hier ist alles reiu psychisch; es tritt zu dem, was aulgefasst werden
8oU, kein Sinn hinzu, der nicht aus denselben Kräften bestünde, wie das Aufinip
fiuaende. Xetsten» kann daher keine Alterimng eri^den, es wird auljB^efiust, wie
CS an sich ist, und so weit daher unser Bewusstscin reicht, so weit reich(»i'aiieh
die-e Auffa»»un£»en , die wir als vollkonunonste , als absolut wahre zu bezeichnen
haben. .So laui^e uun Leib und Seele znsannnen bestehen, kann unter Umständen
auch (Jas Leibliche mit dem i'sychischen gleielizeitig bewusst werden, wie solches
nameotUeh bei starker Erregung gesdiieht, wo die leiUiohen Unlust- und Sehmei»
empAndungen, in anderen Fällen auch Lnstem]»findungen entstehen. In solchen Em-
])findnngcn kündigt sich das Leibliche stets nur als Kraft, ^h^rh drtn r:uirnloseii
Psyohisohen, an; die rftnmlif he Ausdehnung denken wir nur unwillkiirlit h liinzu durch
die Begriffe, die aus den W ahrnehmungen des Gesichts- und Tastsinnes abstrahirt
sind, und anch dieses nur dann, wam wir das I<eibliche, da« uns durch seine Em-
pfindung jetst bewnsst wird« firlUier wiridieh durch diese Sinne wahigenonunen
hatten. Wo daher Leibliches jemand nie s<hmcrzhaft bewnsst wurde, kann er
sich nicht die mindeste VorstellnnsT von der raunilielien Oestiilt desselben machen,
da diese erst dem Auge oder dem Tastsinne be>.tininit entirej^entreten würde. In
den leiblidien Lust- oder Schmenempfindungen selber kündigt sich unmittelbar eben
nichts an, was sie ab in dch selbst diek, dflnn, hoch, tief ete. eharakterisirte; anch
wo wir den Edipertheil, der uns schmerzt etc., als mehr oder weniger groß, klein,
dick etc. iiuffassen, sobald wir ihn sehen oder betasten. Tn sich selbst bleiben
die Körjiereniiitindnniren. also das Bewusstscin des Materiellen, nur dynamisch ver-
schieden, cnthalu u uu hts vuu raumlicher Ausdehnung, die blos in den Auffassungen
des Gesidits- und Tastsinnes liegt, nnd sonaeh schUeBt sieh das im Selbstbewnsst-
sein aufgefasste Leiblidie mit dem Fiyehischea an einer Beihe snaammen, die anf
beiden Seiten Hauinloses zeigt. Das scheinbar Unbegreifliche bei der Wechselwirkung
zwischen Seele und Leib verschwindet mithin ftlr dcnjenifjen, der diese An-sich-Er-
kenntnis erfasst hat; denn Kraft muss auf Kraft wirken können, so verschieden von
einander sie flbrigens in Beiug auf Freiheit, Energie, Dauerhaftigkeit, Ansbildungs»
fähigkeit etd. sein mSgen. Auch leaehtet ein, dass diese beiderseitigen Krlfte m*
nammenhalten können ohne ein be.sonderes verimüpfendes Band ; eine Kraft verbindet
sirli mit der anderen schon dur' h ihr [renken sei tirjes Verwandtscliat'tsverhältnis, in
ähnlicher Art, wie die versdiiedent n St eh iikriiltf unter sieh zu sammenhalten.
Was fände sich nun in dieser Darbtclluug, das Beucke zu einem Idealisten
oder Materialisten machte? Leib und Seele bleiben vOUig in ihrer Veraehiedenheit
nebeneinander bestehen, und nur das wird veriaagt, dass man die Materie lichtigw»
uändich als Kraft, vorzustpllen habe, wie Solches bereits Leibnitz erkannt hatte.
Diese Forderung ist aber nicht autfälliger als die, man habf die scheinbare täj^liche
Bewegung der Sonne als ein stillstehen zu denken. Die leiblichen Kräfte sind un-
geistige, die Seelenkrtfle dagegen geistige; jene kann man als s(deh« anislien, die
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— 419 —
erschöpfender VoUstlDdigkeit dar. Dem Anilbiger ist za rafhen, diesen
Thefl der »Skizseii' zuerst za stadiren, denn er ist üusUeber «Is jener,
eben ireil die Sachen oonstanter nnd deshalb anschaoUcher sind.
Namentlich markig und instmctilT sind die gewiehtigen Vorreden in
allen drei Schriften, und. es mag auf sie recht dringend besonders auf-
merksam gemacht sein. Es bilden diese Werke, wie den Commentar
für 4ille8 Einzelne in der theoretischen Psycliologie, so auch das Re-
pertorium dazu, auf sie konnte und musste Beneke in seinen späteren
Schriften verweisen. Drhh die Terminologie in diesen Schriften zu
Toller Schärfe gebracht und bleibend festgestellt sei, wollen wir noch
ausdrücklich bemerken; und wenn man behauptet liat, das seien
nur nnnöthige neue Ausdrücke für alte, längst bekannte Dinge, so
sprach man, wie der Blinde von der Farbe. Was thun die Natur-
forscher, wenn sie Neues entdeckt haben, wozu kein bisheriges Wort
der Sprache passt? Niemand sagt, sie th&ten besser, neuen Wein in
alte Schläuche zu fa.ssen. —
Nachdem Beneke zu Ostern 1H27 wicdei- die Erlaubnis zu Vor-
lesungen an der Berliner Universität eilialten hatte und dahin zurück-
gekehrt war, ging er an die Ausarbeitung der
11) „Grundsätze der Civil- und Crimiual-Gesetzgebung aus
den Handschriften des englisclien Rechtsgelehrten Jere-
mias Benthani, herausgegeben von Etienue I)uniont, Mit-
glied des repräsentativen Käthes von Genf. Nach der
zweiten, verbesserten und vermehrten -\ uflage bearbeitet
und mit Anmerkungen von Dr. F. E. Beneke."" Berlin, bei
C. Fr. Amelang. 1880. Erster Band, XXXU u. 416 S. 8^
Zweiter Band, XXXTOI u. 814 S. 8".
Die höchst lehrreichen Vorreden und Anmerkungen, die Beneke zu
dieser von ihm gelieferten l'^bersetzung gegeben hat, verleihen dem
Buche, das .schon an sich Beachtung verdient, einen erhöhten Wert.
Dass ein englischer Schriftsteller mit Beneke, ohne dass beide von ein-
ander wusst«n, in so vielen Punkten übereinstimmend über Rechts-
verhältnisse philosophiren konnte, liefert den Beweis, dass die ge-
wissenhafte Beachtung der Natur immer zu denselben Ergebnissen
führt. Indem Beneke diese Übereinstimmung freudig hervorhebt, unter*
eine imtefgeofdnete Seele ftnonadiea, nieniAls aber all Geist. Da nm Beneke
klar nachgewiesen hat, dass schon die SiDnenthätigkeiten (nicht di^ Sinnenorgane!)
Thiifi£rkeiten der durcli iiud durch p:oi>^ti}rfn .*<ci'lo sind, so ninj^ man soin System,
das allt'8 aus den Sinncuvcrmögcu und d< ren Kntwiikclung ablciK t, inimcrliin ein
Bcusunlistiaches nennen, aber dieser äenäuuliämus ist kein Materialismus.
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— 430 —
lässt er jedoch nichti dasjenige, was Beiitham einseitig oder fehlerhaft
an^efasst hat, zu verbessern, und durch die Gegens&tze, die 80 neben
einander treten, fiült auf die juridischen Objecte, um welche sich'«
hier handelt, ein um so helleres Licht Näheres hierüber weiter unten.
Zu Anfange des Jahres 1832 ließ Beneke drucken:
12) „Kant und die philosophische Aufgabe unserer Zeit.
Eine Jubeldenkschrift auf die Kritik der reinen Ver-
nunft" Berlin, bei E. S. Mittler. 104 S. 8«.
Hier wird nach einer Einleitung die wichtige Frage beantwortet "•
„Was beabsichtifjfte Kant und wodurch ist das Misslingen seines srroßen
Unternehmens von seiner Seite begründet?" Sodann folgt eine „Dar-
legung des Charakters der späteren deutschen Philosophie und der
Ursaclien, welche denselben bestimmt haben," und zuletzt wird über
die „Aussichten für die Zukunft" gespiocheu. Beneke hat keine Kritik
der reinen Vernunft geschrieben, weil sich das, was (in Kant's Sinne
genommen I gar nicht existirt, unmöglich kritisiren lässt, aber seine
Kritik hat an die Stelle der erträumten Seelenvermögen die wahren
gesetzt
Einige Wochen später (Beneke war jetzt zum außerordentlichen '
Professor der Phiiusophie ernannt worden; kam in demselben Verlage
heraus:
13) „Lehrbuch der Logik als Kunstlehre des Deukens." 1832.
XXVIII u. 196 S. 8«.
Hier erscheint die Denklehre, die seit Aristoteles sich wesentlich
um die höchst künstliche Schlosstheorie gedreht hatte, in einer viel-
fach neuen nnd praktisch frachtbareren Gestalt, eine Folge der neuen
Psychologie, auf welche diese Bearbeitang gebaut ist Die ausflUuv
liehe Vonrede gibt Uber die einsebien Verbeaseruugeu nnd deren Noth-
wendigkeit ToUst&ndige Auskunft Namentlich die Schlnsslehre ist
eine ganz neue geworden und sticht durch ihre EiniSachheit von der
erkttnstelten Aristotelischen hOchst Tortheühftft ab. Was das Ver-
stftndnis dieser Schrift fUr den Anfilnger erschwert, ist ihr Charakter
als „Lehrbuch^ dar, ihr nicht erlaubt, ins Spedelle einzugehen, und
der sie nöthigt, die Veranschaulichung durch Beispiele der Lehrstunde
selbst zu Überlassen. Mehr hierher Gehöriges weiter unten. Hier
wollen wir in Betreff der neuen Schlusstheorie nur noch bemeikeD.
dass die beiden Engländer William Hamilton und de Morgan,
welche im Jahre 1847 ttber die Frage, wer Ton ihnen beiden der
eigentliche Urheber dieser ganz neuen Theorie sei, einen wissenschaft-
lichen Streit ft&hrten, beide kein Becht dazu gdiabt haben dtirften.
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— 421 —
Denn Beneke hatte, wie das eben erw&hnte Lehrbuch beweist, diese
Theorie bereits 1832 aufgestellt, hatte de später in einer lateinischen
Dissertation, auf die wii* zu sprechen kommen, weiter ausgeführt und
dann in seinem „System der Logik" (s. unten) vollständig dargelegt.
Dieses „System der Logik" hatte er 1843 Hamilton, mit dem er in
Briefwechsel gekommen war. zu^pschickt, und so möchte wol die
Priorität der Aiiftinduno: jener Theorie auf Seiten Beneke's sein. So-
lange also nicht das (ipf^^entheil Vtewiesen wird, wird man kaum der
Annahme entpfelien können, dass Hamilton, der sich die Priorität vor
de Morgan zusclirieb (letzterer sollte <lie neue Theorie von Hamiltons
Zuhr»rern oder auch ans Andeutungen in Hamiltons Brieten kennen
gelernt haben i, nur von Beneke entlehnt hatte, was ei- für das Seinige
ausgab. Allerdings können zwei ganz unabiiängig von einander die-
selbe Entdeckung machen, und ein Kn<,dänder kann so gut wie ein
Deutscher finden, was allen den Unzähligen, die sich seit Aristoteles
mit der Schlußtheurie beschäftigt hatten, entgangen war. Man kann
es aber unter den bewandten Umständen Beneke nicht verdenken,
dass er hier, wie er gegen Dressler äußerte, ein Plagiat verinuthete.
zumal da Hamilton es sorgfältig vermied, auf Beneke's brielüche Au-
fragen wegen dieses Zusammentreftens einzugehen.
14) Das „Lehrbuch der Psychologie als Naturwissenschaft"
schien zum erstenmale, Berlin, bei Mittler & Sohn, 1833, dann
in zw^ter, vermehrter und verbesserter Auflage 1845.
Da wir auf dasselbe weiter unten bei der zugehörigen Schrift:
„Die neue Psychologie etc." — zui'ückkommen, so gehen wii* jetzt Uber
zu der Schrift:
15) ,J>ie P.hilosophie in ihrem Verhältnisse zur Jlrfahrnng,
znr Specnlation nnd zum Leben dargestellt" Berlin, hei
Mittler & Sohn, 1838. XYH n. 130 S. Sf».
Wer mochte tther dieses wichtige Thema nicht gern einen Mann
Ternehmen, dem Mäfiignng nnd Klarheit in so hohem Mafle eigen war?
Man findet hier die gediegensten Wahrheiten anilsestellt, die freilich
nooh heute yon den Anhängern der Specnlation nicht anerkannt
werden; denn dass die Verkehrtheiten, die hier freunftthig, aber mit
Bnhe nnd ohne persönliche Angriife ani^eckt sind, den Namen Phi-
losophie nicht verdienen, kann nnr denen eüüenchten, die sich den
Lehren der Erfahrong nicht verschlossen haben. Die Schrift hatte
aber den Zweck, eine uedicina mentis für viele zu sein, denn sie trat
hervor in einer Zeit, wo in Berlin alles dem Hegelthnm nachlief, und
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— 422 —
welcher MaUi dam geliörto, unter solchen VerhAltiiissea die Wahrheit
mramwnndeii sa sagen, das lässt sich denken.
Wir kommen nnn zu der höchst wichtigen Schrift:
16) „Erziehungs- und Unterrichtslehre." Zwei Bände, in dem-
selben Verlage, 1835 und 1836. Zweite vermehrte und ver-
besserte Auflage, 1842. Ei-ster Band: Erziehungslehre,
XXIV u. 622 S. Zweiter Band: Unterrichtslehre, XX
u. 744 S. 8«.
Hier ist das, was Henekes Vorgänger auf dem Felde der Päda-
gogik tlieilweise Gutes geleistet hatten und was von ihm rückhaltslos
anerkannt wird, bei weitem Ubertrotien, weil die waliren psycliologischeu
Grundlagen, auf welche hier gebaut ist, früher fehlten, jetzt aber ent-
deckt waren. Die Natur gehorcht dem Menschen überall , soweit sie
seineu Kräften nicht absolut ül>erlegen ist, aber sie gehorclit nur dann,
wenn wir vorher auf sie geliorcht, ihre Gesetze ihr getreulich ab-
gehorclit haben und dann das Walten derselben weise benutzen. Nur
so gewinnen wir Sicherheit des Gelingens füi' unsere Bestrebungen.
Herrschten in der o:eistigen Natur nic)it eben so feste Gesetze, wie in
der materiellen, wie könnte da ein f^esundes, ungestörtes Wachsthum
des Seelenlebens je vorkommen? An einen Mechanismus ist aber da-
bei nicht im entferntesten zu denken, denn bei aller Gebundenheit au
Gesetze haben die Seelenkräfte als lebende (§ 293) eine Selbst-
thätigkeit, die sich durch keine äuBeren Einflüsse völlig hemmen nnd
unterdrücken lässt Das Meisterstück der Pädagogik besteht folglich
darin, diese Selbsttlifttigkeit so zn leiten, wie es dem Ziele entspricht,
za welchem die Kräfte bei ungestörter Entwiekelang hinstreben.
Dieses Ziel ist Erhebung aus dem Niederen zum Höheräi und Edleren,
aas dem anfSuigs blos Similichen zum tein Geistigen nnd sittlich Voll-
kommenen» ist ein yon Gott dem Menschen gestelltes Ziel, an welchem
sich kein Erzieher ungestraft yersQndigt. Wie also die Diätetik als
leibliche Erziehung sich an die Gesetze des Leibes binden moss, weil
sie sonst die leiblichen Kräfte unfehlbar minirt; wie sie dagegen durch
richtiges Eingreifen in dieselben den Kdrper ganz anders erstaricen
«nd gedeihen macht, als wenn er sich selbst überlassen wäre, so yer-
hält es sidi auch mit der Tfaätigkeit des SeelenbQdners. Zwsr nicht
wir bringen Leben und Entwickelung in die Seele, wie wir kein Leben
und keine Entwickelung in den EOrper bringen können, wo beides
nicht schon da ist; die Seele lebt entschieden in sich selber und ent-
wickelt sich selber, aber es macht einen großen Unterschied, ob wir,
als bereits Entwickdte, unterstützend zu diesem sich entwickelnden
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— 428 —
Leben hiiizatreten, oder ob wir dies gar nicht oder so thiin, dass die
Entwickelung eine verkehrte Richtung nimmt. Alle Regeln der Er-
ziehung und des Unterrichtes müssen demnach aus der Natur der
Seele geschöpft sein, und hierin eben übertrift't das Erziehungswerk
von Beneke alles, was man voi- ilun hatte. Merkwürdig ist aber, dass
die rationellen Pädagogen, namentlich seit Pestalozzi, im wesentlichen
ganz in der Richtung gegangen sind, die Beneke einschlägt, nur mehr
instiuctartig und nach einem dunkeln praktischen Takte, während
Beneke das Unklare überall auf bestimmt Erkanntes zurückführt und
das Falsche, dem man noch anhing, aussciicidet. .iene Pädagogen
sind also wieder ein Beweis, dass die Achtsamkeit auf die Natur
überall zum Recliten hinleitet, bis es gründlich autgefunden wii'd.
Dass der zweite Theil dieser vSchrift, die Unterrichtslehre, den iScliul-
mänuern theils ganz neue, theils neu geeltnete Baliucn hinsichtlich der
Lehrmethode eröffnet, wollen wir ausdi Ucklich zu bemei'ken nicht untei-
lasseu.
Auch das Beste muss in der Welt, wie sie nun einmal ist, bei
seinem ersten Hervortreten eine Zeitlang \'ert(ilgung erleiden, darum
konnte Beneke's Erzidiungs- und ünterrichtslehre hiervon keine Aus-
nahme macheu. Infolge der Angriffe, welche sie bald eiiubr, gab
Beneke heraus:
17) „Erläuterungen über die Natur und Bedeutung meiner
psychologischen Grandhypothesen." Berlin, bei Öhmigke,
1886. 30 S. 8».
Man kaoB fiber das Wesen der Hypothesen nichts Schöneres nnd
Klareres lesen, als hier gegeben ist Wer sich in das, was das „Lehr-
biieh der F^chologie^ sagt, nicht finden kann, lese ja vor allem diese
kleine Sduift, die eine Menge hesfig^icher Vomrtheile aerstrent nnd
dep ganzen Geeist der nenen Psychologie. auf das anschaulichste ab-
i^egelt
Sehr instractiv ist auch die folgende Schrift:
18) Unsere UniT^rsit&ten und vas ihnen noththnt In Briefen
an den Herrn Dr. Diesterweg, als Beitrag anr „Lebens^
frage der Civilisation**. BerUn, hei Mittito & Sohn, 1886.
102 S. 8«
VeninlaMt ist sie dnrch Diesterweg's kleine Schrift:- JOie Lebens-
frage der CiviUsation*' (Fortsetaung). „Oder ttber das Verderben aof
den deutschen UniTersitäten. Dritter Beitrag zur LOsung der Axif-
gäbe dieser Zeit** (Essen, bei Bfldeker, 1836.) Indem Beneke die Ton
piesterweg gegen die Universitäten erhobenen Anklagen thols aner^
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kennt, tlieils zurückweist, wendet er sieli vornelimlicb zu der Lehr-
methode auf L'niversitäten, welche Diestenveg hauptsächlich refonnirt
wissen will, zeigt den vielfachen Unterschied, der zwischen dieser und
den Methoden auf niederen Schulen bestellt und bestehen muss, und
bespricht insonderheit die Frage: wie weit die erotematische, über-
haupt die entwickelnde Lelinnethode neben der akroamatisclien
und positiv gebenden beim akademischen Untemclite aiu Platze sei.
Ebenso kommt über den Wert der Prüfungen, das rechte Verfahren
bei denselben, wie über vieles das Universitätsleben sonst noch Be-
trettende nicht wenig Beachtenswertes vor. Schon in seiner Unt«r-
richtslehre hatte sich Beneke als Meister in Sachen der Didaktik und
Melliodik V)ewährt, und diese Meisterschaft finden wir hier wieder.
Auch über den Gymnasialunterrickt gibt diese Schrift mancherlei be-
herzigenswerte Winke.
Die verdienstvollste Arbeit Beneke's nächst den psychologischen
Skizzen ist nnleugbai* das auf vier Bände berechnete Werk:
19) nGrundlinien des natürlichen Systems der praktischen
Philosophie," von welchem leider der vierte Band infolge yon
Beneke's Tod aasgeblieben ist Die eraten zwei Bande sind der
Sittenlehre gewidmet, und führen den besonderen Titel: „Grund-
linien der Sittenlehre. Ein Versuch eines natttrliehen
Sy Sternes derselben."* Berlin, bei Mittler & Sohn, 1837 n.
1840. Eister Band: „Allgemeine Sittenlehre.** XXTT n.
599 S. 8* Zweiter Band: „Specielle Sittenlehre.** XXTV
n. 661 S. 8^ Der dritte Band hat es mit der Bechtslehre
zu thnn and betitelt sich specieD: „Grundlinien des Natur-
rechtes, der Politik und des philosophischen Griminal'
rechtes. Ein Versuch eines natürlichen Systemes dieser
Wissenschaften.'* In demselben Verlage, 1888. Erster Baad:
„Allgemeine Begründung.** XX u. 400 S. 8^
Beneke selbst erklArte die Sittenlehre fttr sein gelungenstes, ihn
am meisten beMedigendes Werk, und 'wer es kennt, wird ihm gern
hierin beistimmen. Der Beidithnm desselben ist auKerordentlieh, aber
noch lobenswerter die GrQndlichkelt nnd Tiefe, bis zu welcher es
bei den schwierigsten Fragen vordringt Jährt ansende ist das Wesen'
der Sittlichkeit ein Tummelplatz fOr die mannigialtigsten, einander oft
direct widersprechenden Ansichten gewesen, und wer es unternimmt
in dieses Chaos Ordnung und Licht zu brinpren, hat in der That eine
Herkulesarbeit Tor sich. Der bescheidene Titel: „Grundlinien** —
liest den hier vorliegenden Schatz kaum ahnen; man sehe aber,
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— 426 —
. iras du „Lehrbuch der Psychologie'* in den §§ 266-*279 vom Sitt-
lichen in ümriaBen gibt, und man wd sich sagen kfinnen, nm
welche -wichtige Poncte Bich*B in dieser HoralpläloBophie handelt
Namentlich die Natur der dtttichen Freiheit ist ins hellste lidit gesetat»
und es wird nie gelingen, diese BeweisfHhmng nmzostoßen, so sehr
man auch an ihr rütteln möchte. Eben so ist das Wesen der Zn-
reehnnng, der Pflicht, des Grewissens, der yerschiedenen Arten des
von der sittlichen Norm Abweichenden etc. genau bestimmt and vor
allem das Wesen nnd die Quelle dieser Nonn nachgewiesen. Der
zweite Band bespricht dann die einzelnen Neigungen vollständig nnd
führt sie auf ihre wahren Entstehungsursachen zuiück. Weder in der
deutschen, noch in der ausländischen Literatur gibt es eine Schrift,
die das Wesen der Sittlichkeit in solchem naturwaliren Liclite auf-
aseigte. — Dass auch die Rechtslehre eine neu begründete ist,
braucht wol kaum versichert zu werden. Man hat sie öfter füi* einen
Nachhall von Ben t harn 's Grundsätzen aiisgL'ben wollen, weil diese
vonBeneke fniher (s. Nr. 11) bearbeitet worden waren. Diese Meinung
beweist aber nur, wie wenig man Beneke's Grundsätze mit denen
Benthams verglichen hat. In den Resultaten treffen beide Forscher
öfter zusammen, aber in der Begründung gelien sie nicht selten weit
auseinander, was schon darum nicht anders zu erwarten ist, weil
Bentham ein Psycholog wie Beueke bei weitem nicht war. Die
Schrift geht daher einen von Bentham völlig unabhängigen Gang,
wie nicht allein die treffliche Vorrede versichert, sondern noch mehr
die Ausführung selber darthut. Die Vorreden in allen drei Bänden
dieser praktischen Philosoi)liie sind überhaupt sehr gewichtvoll. Dass
der zweite Band dieser Rechtslehre nicht hat erscheinen können,
bleibt sehr zu V)eklagen, denn das Speciellere in Sachen das Rechtes
würde uns noch manclien lehrreichen Aut'schluss gebracht haben.
Es folgt jetzt die Dissertation:
20) Syllogismonim analyticorum origines et ordinem naturalem de-
monstravit Fridericus Eduardus Beneke etc. Berlin, bei Mitller,
1839. 19 a 4»
Diese in classischem Latein geschriebene Abhandlung gibt die
bereits oben unter Nr. 13 erwflhnte neue Schlusstheorie in mehr aus-
geltthrter Darlegung. Beneke ist kein Freund der lateinischen Spradie,
inwiefern sie zu wissenschaftlichen Erörterungen dienen soll; die
Muttersprache gflt ihm ndt Becht für weit zweckmAlUger hierzu, und
er bequemte sich daher nur einem akademischen Gebrauche, als er
zum Antritt eines akademischen Amtes (am 24. Juli 1839) diese
PadafOfffoB, SS. Jahrr. Heft m 31
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_ 426 —
Dissertation schrieb. Da88 er das latonische IdioBi, wenn dafür noch
ein Beweis erforderlich gewesen wäre, vollkommen in der G^ewalt
hatte, tritt hier ebenso deutlich zu Tage wie bereits in dei* unter
Nr. 3 genannten Dissertation.
Eins der vollendetsten Werke Beneke's ist:
21) „System der Metaphysik und Religionsphilosophie aus
den natürlichen Grundverhältnissen des menschlichen
Geistes abgeleitet. Berlin, bei Ferdinand Dümmler, 1840.
XVI u. 600 S. 8«.
Das Verhältnis zwischen Vorstellen und Sein, bekanntlich das
IFauptthema aller Metaphysik, ist hier aufs lichtvollste erörtert, und
das darüber Festgestellte gegen die abweichenden Ansichten Kants,
Fichte's, Berkeley's, Hume's und anderer vertheidigt. Ebenso sind
über Substanz und Accidenz, über Raum und Zeit, über das Cansal-
Verhältnis, über 'das Verhältnis von Seele und Leib etc. die gründ-
lichsten Untei*suchungen angestellt, und wo die Scliranken unseres
Geistes ein tieferes Eindringen unmöglich machen, ist das oifen aner-
kannt und jeder Versuch, diese Schranken durch Phantasien über-
springen zu wollen, vermieden. Daher ist auch über Gott und l'n-
sterblichkeit — zwei aller Erfahrung entzogene Objecte — mitgroßei*
Besonnenheit philosophirt, wobei die Erfahmngsseelenkunde, welche
znm Leitstern genommen ist, den Verfasser in den Stand gesetzt hat,
den Glauben an ^e Unsterblichkeit des menschlichen Geistes ganz
nea und fiaster zn liegrftndeD, ak aol^^ anf dem Wege dar ftnierai
Natnil»nchnng bisher möglich war. Überhaupt ist das Weeen der
Religion hier Ton aüen Seiten anf^wolthnendste beleuchtet Wir halten
nna flbenengt, dass es nie gelingen werde, Torortheilafreier fOter die
metaphysischen Probleme zn phüosophiren, und . stellen daher dieses
Werk unter die vorzOg^chsten, die wir BendEO verdanken.
Ein nidit minder lehrreiches und besonnenes Werk ist das:
22) „System der Logik als Ennstlehre des Denkens.* Berlin,
bei DQmmler, 1842. Erster Theil: XH n. 828 S. Zweiter
Theü: VI u. 897 S. 8«.
Hier wird dasjenige, was das unter Nr. 18 erwähnte „Lehrbuch*
ra^ abstract gehalten gibt, so ooncret dargestellt> als die' Natur des
Logischen solches ftberhaupt znlässt, und die neue von Beneke ent>
deckte Schlnsstheorie erscheint hier in ihrer ansgetührtesten Gestalt,
indem zugleich die alte aristotelisch-scholastische in ihrer UnnatUrlich-
keit angezeigt ist. Wie in jener Schrift, ist auch hier der Gang ein
streng genetischer, so dass das l<'rühere dem Späteren überall
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— 427 —
Torangebt und man klar sieht, wie ans den Anscliauaügen die Begriffe,
aus den Begriffen die UrtheUe, aus diesen die. Schlüsse, aus diesen die '
Erklärungen, Eiatlieiliuigen etc. henrorwachsen. In den früheren
X)enklehren, welche mehr oder weniger die aristotelische Schlusstheerie
zum Centrum des Logischen machen, ist zwar den Begrüben und ür-
theilen schon mehi-fach eine besondere Betrachtung gewidmet, solche
echt natürliche Genesis aber, wie sie hier vorliegt, sucht man dort
tiberall vergebens. Noch vergeblicher ist dort die Frage nach einer
Kunst lehre des Denkens, d. h. nach Anweisungen, wie bei jeder
Denkstufe die geistige Thätigkeit zu begünstigen, Störungen und
Hemmungen abzuwehren und so eine allseitige Vollkommenheit des
Denkens zu erzielen sei. Zwar sind auch dort Vorsclu'iften zu dein
gleichen Zwecke mehrfach gegeben, aber die hier aufgestellten haben
einen ganz anderen Gehalt, denn sie sind auf Entwickelungsgesetze
gebaut, die man früher nicht kannte, und jene konnten daher keine
Macht über die Denkthätigkeit verleihen, wie sie aus der Befolgung
der jetzigen resultirt. Was fenier vor und neben dem Denken in
der Seele vorgeht, ist unter dem Namen: „Grundverliältnisse des
Denkens" — streng geschieden von den Denkthätigkeiten selbst,
und diese Sclieidung gehört zu den Hauptverdiensten der Beneke'schen
Forschungen. Der dritte Hauptabschnitt im zweiten Theile dieses
Systemes betrachtet das Denken und Erkennen in seiuem Gesammt-
ieben und beleuchtet beides wieder in seinem Zusammenwirken mit
dem Äußeren und Inneren, was zu gewichtvollen neuen Aufschlüssen
geführt hat. Die Entwickelung des Denkens, von ihrer subjectiven
Seite betrachtet, ist ein nicht minder wichtiges Capitel, welches den
. Beschlnss macht, nnd das man in solcher psychologisch-wahren Ans-
fllbntiig in kdner Logik Tor Bmeke Andel.
Wir kommen jetat zn dem :
23) „Lehrbnch der Psychologie als Naturwissenschaft^
das im Jahre 1845 in zweiter Auflage erschien. E^s enthftlt nicht
bloe eine systematische Zusammenfusong der iUteren psychologischen
AnsfUumngen des Verflwsers, sondern anch wichtige Ergijbiznngen
daan. So findet sieh s, B., was hier Aber das Verhältnis Ton Wachen
' und Schlaf § 313 ff;, sowie Aber die Trflume, das Nachtwandeln, den
magnetischen ScUaf etc. vorkommt, theils gar nicht, theils nicht in
solcher Ansflihrlichkeit in anderen Schriften Beneke's, weshalb auch
in diesem Abschnitte die Citate fehlen. Ähnliches gilt von den
§§ 180—182, und mehrfiush anch yon 344 ff. Im übrigen bedarf das
mit größter Frftcision geschriebene Bach keiner weiteren Empfehlung.
81*
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— 428 —
Zu iluii gehört :
24) „Uie neue Psychologie. Erläuternde Aufsätze zur
zweiten Autlage meines Lehrbuchs der Psychologie als
. Naturwissenschait."* In demselben Verlage, 1845. XIV u.
350 S. 8<'.
Es handelt in neun Aufsätzen 1. über „die Behandlung der
Psychologie als Naturwissenschaft", 2. über „die Natur der inneren
Wahrnehmung", 3. über „das Verhältnis meiner Psycholofrie zur
Herbartschen", 4. über „die Natur der äußeren Walirnehmung
5. über „die Grundorganisationen der Theilnahme und der Zuneigungen
zu anderen Menschen", 0. über „das menschliche Bewusstsein", 7. über
„das menschliche Handeln und die mit ihm verwandten (geistig-) pro-
ductiven Entwickelungeu**, 8. über ^das Verhältnis meiner Psychologie
zur sogenannten sensualistischen", 9. über die Frage: „Wie weit
stellen sich tlie gegenwärtigen psychologischen Arbeiten des Auslandes
die Aufgabe einer naturwissenscliattliclien Behandlung der Psychologie?"
(Franzosen, Italiener, Nordamerikaner, Engländer.) — Wir wüssten
nicht, welchem dieser Aufsätze wir den Vorzug vor den anderen
geben sollteii; alle sind ebenso lehrreich wie klar und luhren die
wichtigsten und schwierigsten Punkte im „Lehrbuch" weiter ans (na-
mentUeh die Bewnastseiiistlieorie). Doch wollen wir den dritten nnd
die beiden letzten Anftfttse der AnfiiBerkBainkeit ganz besonders
empfohlen haben, da sie das Wesen dei* neuen Psychologie von histo-
rischer Seite ms licht stellen und namentlich fiber den Sensoalisrnns
derselben, im Gegensatz zn Locke, GondÜlac nnd Laromigui^ das
Richtige geben. In den Sinnenthfttigkeiteii wurzelt freiüch zuletzt
alle psychisdie Entwickelung. Aber nur die alte verkehrte Psychologie
betrachtet das spater hervortret^e höhere Getetige im Menschen
so oberflächlich, dass sie die Wurzeln desselben nicht bemerkt und in
den menschlichen Sinnen blos Materielles, nichts von dem elemen-
taris'ch Geistigen sieht, das sie doch eben so sicher enthalten mOssen,
als der Kern des Banmes bereits die elementarisdie Natur des Baumes
und nicht die eines Dornstrauches euthftlt Beneke's ^stem ist
ein durch und durch spiritualistlsches; ein sensualistisches nur
insofern, als es, bildlidi gesprochen, die EkUirung des reich dastehenden
Baumes aus seinen Anfängen nicht schuldig bleiben mag. Das Gei-
stige wohnt nicht blos in einigen Kräften (gleichsam in einem Winkel)
der menschlichen Seele, sondei-n alles in ihr ist geistig; alle ihre Ent-
wickelung wurzelt in geistigen Grundel^enten. Anders bei den Thieren.
Ihre SinnenyermOg^ sind durchaus ungeistige, und darum bringen
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sie es nie zu eigentlichem Verstände, zur Vemiinft, zur Sittlichkeit etc.,
obgleich sie im ganzen auf dieselbe Weise von außen her enegt
werden, wie der Menscli. Die Sinnenverraögen (= psychischen ürver-
mögen) sind ja etwas ganz anderes als die Sinnenorgane. Jene liegen
durch diese hindurch nur für die äußeren Eindrücke gleiclisam zu
Tage, und die körperlichen Organe haben blos die Bestimmung, das
Geistige zu unterstützen, weslialb sie gesund sein müssen.
Eine kleine beachtenswerte Schrift ist femer:
25) „Die Reform und die Stellung unserer Schulen. Ein phi-
losophisches Gutachten." In dem nämlichen Verlage, 1848.
IV u. 76 S. 8«.
vSie wurde veranlasst durch die Kämiite, welche im genannten
Jahre, wie über die politischen, so auch über die socialen und unter
diesen über die Schulverhältnisse entbrannt waren und mit leiden-
schaftlicher Hitze geführt wurden. Diese Hitze zu mäßigen und zur
Besonnenlieit und Gerechtigkeit zurückzurufen, erhob Beneke seine
Stimme. Dass sie gehört und beifallswert befunden wurde, beweisen
die liecensionen, die sie damals erfuhr; aber keine derselben ließ sich
näher auf die psychologischen Grundlagen ein, sondern man schöpfte
hauptsächlich die pädagogischen Resultate ab, ein Beweis, wie wenige
es damals noch gab, die auf den Kern der Sache einzugehen verstanden
hätten. Gewiss hat sie manches Gnte gewirkt, und das vermag sie
Mch fernerhin, da sie, wie grttndlicb, so auch fasslich geschrieben ist.
Sie ferbfdtet sich a) Uber die An^gfabe flbeiliaupt, b) über das Aos-
emandertreten der Volksbildung der Art nach, c) über die Gradab-
stofiuigeii der VolksbfldoBg, d) aber Einheit tmd Umfang der Sehule,
e) Über Anfkicht nnd Freiheit der Yolksbüdang.
Die folgenden Schziftoi ffihren uns auf ein Feld, das Beneke in
ganz neuer Art md anfii frachtbringendste angebaut hat.
Dahin gehört zuerst die:
26) „"BitkgmtLtUche Psychologie oder Seelenlehre in der An-
wendung auf das Leben." Berlin, bei Mittler u. Sohn, 1850.
Erster Band: XIV n. 426 a Zweiter Baad: Xm u. 434 S. 8^
Wer ee weiß, wie sehr bisher im Gebiete des Geistigen Wissen-
sehaft und Leben dnrdi eine weite Eluffc getrennt waren; wer es
weiß, wie unsicher man in der Behandlung geistiger Dinge umher-
tappen nfusate, weil hier die Wissenschaft nur Schatten und Fhan-
tastweien bot, der wird Beneke für das, was er hier geleistet, auf-
richtig Dank wissen. Die praktische Beurtheilnng des Lebens, wie
sie Ton den Gebildeten im Volke gettbt wurde, war zwar grOßtentheils
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— 430 —
besser als jene klägliche Wissenschaft, aber ein sicherer Maßstab und
Leitstern fehlte auch da, und nur in populären Schriften gab es
Ahnungen, dass der Entwickelungsgang der Menschheit auf tiefer
liegendfln SeolaiiswetEeii rohe. Das. ist nim für jeden, der sehen kann
und tohen will» anders geworden. Die genannte Schrift bietet einen
Sehats von lelurreichen Thatatchen ans dem praktischen Leben,, der
sofierordenüich ist^ und Schriftsteller ans den mannigfachsten Lehens-
gebieten haben hierin ihre Beiträge geliefert Indem sie mit ihren
Erfahmngen als Zeugen fltr die Wahrheit der theoretischen Psychologie
anilsefilhrt sind, gewinnt ditee ihre Bestätigung in reichster FiUle.
Wer da wfihnen konnte, die nene Fsychotogie sei nnr em ähnliches
Lnftgebilde ivie die hergebrachten Speculationen, hier wird er sich
gründlich widerlegt sehen nnd den piraktiBchen Sinn Beneke's eben
so sehr hochachten lernen wie dessen große Belesenheit. Dass man
sich in höchst interessanter GteseUschaft befinde^ wenn man die ans-
genichnetsten Geister des In- nnd Auslandes ttber ihre Seelenznstände
sprechen hOrt, bedarf wol keiner Versichemng, nnd dass der Einzelne
wie ganze Völker der praktischen Musterbilder bedürfen, wenn sie
Irrwege Termeiden nnd ihr Lebensglück danerhaft sicherstellen wollen,
igt ebenso ausgemacht. Die Wissenschaften von der äußeren Natur
gi'eifen überall segensi*eich ins Leben ein und nichts ist hier praktisch
nntzlos; die Wissenschaft von der geistigen Natur kann gleichen, ja
noch viel höheren Segen stiften, wenn sie den Einfluss auis Leben
gewinnt, der in ihrei* Bestimmung liegt, und so kommt es nur darauf
An, dass sie richtig aus dem Leben des Geistes geschöpft sei, sie wird
es dann rückwirkend aufs schönste zu gestalten vermögen. Man
studire diese Schrift, und das Gesagte wird sich bewahrheiten.
Um den unendlichen Reiclitlmm an praktischer Ausbeute, den die
neue Seelenkimde darbietet, noch weiter zu verwerten, als es in der
genannten Schrift allein möglich war, gründete Beneke das:
27) „Archiv für die pragmatische Psychologie oder die Seelen-
lehre in der Anwendung auf das Leben."
Dies ist eine bei Mittler & Sohn in Berlin erschienene Zeit-
schrift, die in vierteljährigen Heften herauskam und durchgehends von
Beneke selbst geschrieben ist. Es heißt in dem Vorwurfe dazu: „Die
gegenwärtige Zeitschrift ist bestimmt, dasjenige fortzuführen, was die
im vorigen Jahre von mir herausgegebene „Pragmatische Psycho-
logie" begonnen hat: die Seelenlehre, in ihrer neuen Begründung,
für das praktische Leben fruchtbar zu machen" etc. — „Sie soll das
dort aufgelichtete Gebäude weiter ausbauen und wohnlicher machen.
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. Im Interesse dieses Zweckes wird sie Beitrige Ikiem fikr alle QeUete
des menschliclien Oeistedebens: fDr die logische, die üsthetisclie, die
mondische, die reUgiOse^. die poUtische, (psychisch) mediciniiMshe
imd difttetisehe Ennstlehre" etc. — Das ist mm trefflich ansgeftthrt
worden nnd nur zn beklagen, dass diese Zeitschrift schon nach drei
Jahren dorch Beneke^s Tod nnterhrochen worde. Der erste Band
(Jahigaof 1851) entfaXlt XI nnd 628 a, der zweite 17 nnd 519 S.,
der dritte IV mid 514 a 8«» Wir erwfthnen hier nnr die Anftätae:
„In weileher Art kann nnd soll der Unterricht sogleich erziehen?''
(Band t a 26 ft); „Dia Sdiwierigkeiten der Volksersiehnng*'; „Die
ehglisehe nnd die deutsche Erziehnng, nnd was können nnd sollen wir
nns ?on jener aneignen?'' „Wo hat die Psychologie ihre Nachtseite,
nnd in welcher Art ist dieselbe bedingt?" (Band n, S. 218 £,
S. 297 ff. und S. 253 ff.); „Gesundheit und Krankheit in der Knt-
wickelong der Völker und Zeiten'' (Band III, S. 422 ff.). In den
sämmtlichen Aufsätzen dieses Archivs finden wir ebenso wie in der
vorigen Schrift fast alles mit Thatsachen aus dem Leben der ausge^
zeichnetsten Natur- und Menschenbeobachter belegt. In dem erst^
Bande ist außerdem noch das „Vorwort"* and die „Vorrede** besonders
der Aufmerksamkeit zu empfehlen.
Noch ist anzuführen das:
28) „Lehrbuch der praf^niatischen Psychologie oder der
Seeleulehre in der Anwendung auf das Leben.'* In dem-
selben \'erlage, 1858. VII u. 180 S. 8".
Es ist zunäclist als Unterlage für Beneke's Vorlesungen bestimmt,
sollte aber auch über den Kreis seiner Zuhörer hinaus nützlich werden.
Auch diese kleine Solirift zeigt Beneke als Meister in der zweckgc-
mäUen Zusammenorduung der verschiedenen Stoffe und bietet daher
über das praktische Seelenleben einen reichhaltigen Überblick.
Überall ist für die weitere Ausfülirung dieser Umrisse auf die größeren
Schriften des Verfassers verwiesen.
Endlich sei noch auf die lehrreichen Recensionen hingedeutet,
die von Beneke über Herbarts ..Lehrbuch zur Psychologie", über
dessen Schrift: „Über die Müglichkeitund Xotliwendigkeit, Matliematik
auf Psychologie anzuwenden", sowie über dessen „Psychologie als
Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathe-
matik" in den Wiener „Jahrbücheiii der Literatur", Band 18, 27, 28
nnd 37 vorliegen. Nicht minder verdienen die Beiträge Beachtnng,
die sich von ihm in Brzoska's „Centraibibliothek" etc. Über sehr
wichtige Gegenstände der Psychologie und Pädagogik gegeben finden,
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^ vonmter namentUeh der SpiachnnterriAht hervorzahebeii ist, der .dort
infolge des tieferen Eindringens in das Wesen der Sprache in ^nem
ganz nenien Gepräge erscheint
Beneke spricht es ttberall ans, dass er anf Fortsetier, anf weiter
fUirende Mitarbeiter rechne, dass sein System nnr der Anfiuig^ nicht
die YoUendnng der grofien Geistesarbeit sein woüe, die noch ftbrig
bleibe. Diese Beseheidenheity die von ungebildeter UntrOgliehkeit
weit entfernt ist, ist ein H«qvtsag in seinem Charakter. Wie er als
Mensch sich im praktischen Leben dnrch Biedoiceit der Qfwrfnnnng,
durch Achtung fremden Verdienstes aosieicbnete^ so leuchtet auch ans
Allem, was er geschrieben hat, die reinste Liebe aur Wahrheit h^or,
die er mit sitOieh edlem Eifer erstrebte. Die Gegenwart ist ihm viel
schuldig geblieben, die -Nachwelt aber wird seine Verdienste zu ehren
wistan.
i
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#
Aveli eil Beitrag: ,^nm Mmlniterriclit^*)
Von Reotor Landmann-Schwetz.
„Waa dn als wahr erkannt,
Vwküad' M ohne Zagen;
• Doch tracht« Wahrheit »tcts
Mit mildam Wort zu tagen !"
Grar mancbes zum Theil sehr yortrdOidie Wort ist beraits in
diesen Bl&ttem tiber »die Moral ia der Schale,*' besw. Aber deren
Einfthrnng als Unterriehtsaweig in den Schnlen g^esdirieben worden;
dennoch ist dieses so flberaos vichtige Thema noch keineswegs er^
schöpft, und die Frage, ob eine systematische Moral in den Schnlen
zn lehren sei, noch eine nnerledigte.
Demnach wolle man auch den vorliegenden Beitrag znr Losung
der schwebenden Frage wolwollend aufnehmen und vornrt heilsfrei
prüfen. Verdankt er doch seine Entstehung niclit etwa einer mo-
mentanen Erregung, sondern einer anf langer Lebens- nnd Schaler*
fifthmng gegründeten, tiefgewurzelten Überzeugung.
Um der hohen Wichtigkeit der vorliegenden Frage willen wolle
man mir gestatten,, etwas gründlich zn Werke zu geben und der Reihe
nach folgende Fragen zu erörtern, aus deren Beantwortung sich dann
aam Schluss die entsprechenden Thesen ergeben werden.
1. W<as haben wir unti^r „Moral" zu verstehen?
2. Welches Ergebnis würde die allgemeine Verbreitung der
Moral haben?
3. Ist die Moral heutzutage überall verbreitet?
4. Welclie Kriftel und Wege wären einzuschlagen, um der Moral
eine allgemeini' Verbreitung zu verschaffen?
5. Was Iiätte die Schule behufs moraliächei* Duichbüdung ihrer
Zöglinge zu thun?
6. Wie wäre der Moralunterricht in den Schulen einzurichten?
Zu 1. Was haben wir unter „Moral"* zu verstehen? '
*) YgL aber dteie pBdagogiBdie Ziit* und Streitfrage, deren ErBitemug hier
fortgesetit wird, die befflglidieii Artikel auf Seite 12 9. waA 170 ff. des laufenden
JahigMigea. D. B.
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— 434 —
Man wolle (loch ja nicht die Erledigung dieser Frage, also die
Begritrsbestiiniiiung- von Moral, für tibeiHüssig halten! Dass die Begriffe
in Bezug auf Moral noch keineswegs geklärt sind, beweist zur Genüge
folgende Stelle in einem kleinen Aufsatz im Decemberheft dieser Zeit-
schrift S. 170, betitelt: „Zum Moralunterricht". Dort heißt es: „Es
scheint in dem Moralunterrichte darauf abgesehen, den Schülern ein
vollständiges System aller Tugenden und Laster zu bieten und — ihnen
anzueignen." (!) Hierbei lässt es Verfasser allerdings unentschieden,
ob die bloße Kenntnis des Systems Eigenthum der Schiller werden
soll, oder ob denselben sämmtliche Tagenden und — Laster in der
Weue angeeignet werden sollen, dass sie dieselben auch praktisch im
lieben ansühen.
Vor allem wird es znr Vermeidung von lllssyerständniBsen daranf
ankommen, festznstelleD, was in dem vorliegenden Artikel nnter „Moral*'
Terstsiiden wird. Und zwar möchte idi nnter Moral Wissenschaft yer-
standen wissen: denlnbegriff sämtlicher Lehren, welcheimstande
sind, den Menschen flher sich selbst und seine Bestimmung
anfzakl&ren, die Summe aller Gebote, deren Befolgung den
Menschen beglückt und seiner von Gott gewollten Bestim-
mung zuffthrt Also alles, was veredelnd auf die Gesinnung, auf
Herz und Gemflth des Menschen wirkt^ was geeignet ist, sein Handeln
in normale, heilsame Bahnen zu leiten, gehört in die Moralwissenschaft.
Danach wflrde also auch die Bdehmng ttber dott und Unsterb-
lichkeit in das Gebiet der Moral ftülen; denn* der Glaube an Gott und
an die Weisheit sehier Weltregierung, sowie der Glaube an ein hidivi-
dnelles Fortleben nach dem leiblichen Tode, das sind doch wahrlich
diejenigen Momente, die dem Menschen in erster Linie einen „mora-
lischen Halt ' flirs Lehen verleihen! Vor allem aber würde als
Kernpunkt der Moral die gesammte Lehre von den „Pflichten des
Menschen gegen seine Nebenmenschen und sich selbst" zu
betraditen sein. Als minder wichtiger Theil könnte sich dann noch
etwa eine Belehrung über Höflichkeit und Anstand im geselligen Leben
anschließen. Man sieht, es fällt ein großer Theil der Moral mit der
Religion zusammen: der Glaube an Gott, an Unsterblichkeit und ein
Theil der Ptlichtenlehre. Das aber ist ottenbar derjenige Theil der
Religionslehre, der allen monotheistischen Religionen gemeinsam, der
göttlichen Ursprungs ist. Ausgeschlossen von dem Gebiet der Moral-
wissenschaft ist demnach alles, was co nfessionelle Färbung hat, alle
Unterscheidongsiehren der verschiedenen Parteien und Secten, alle
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gelelirten Dogmen, kurz, alleä religitee Matei'ial, welches pai-ticula-
ristischen Ursprungs ist.
Soviel zur Begritt'sbestiiniiiung der Moral; es dürlte für das rich-
tige Verständnis des Folü;endiu genügen.
Zu 2. Welches Ergebnis würde die allgemeine Verbrei-
tang der Moral unter den Menschen aufzuweisen haben?
Wenn hier von einer allgemeinen Verbreitung der Moral unter
dot MeuBclien gesprochen wird, so ist dies nicht nor in theoretischer
Hinsicht zu Terstdien, sondern auch in praktischer. Es soll damit
gesagt sem, dass nicht nur alle Menschen eine ToUkommene Kenntnis
jener oben angedeuteten moralischen Lehren nnd Vorschriften haben,
sondann dass dieselben auch Ton Jngend aof gewöhnt sein sollen,, dieser
Erkenntnis gon&fi m leben, ihr Denken nnd Handdn mit den gött-
lichen M<Nralge8etzen flberall nnd stets in Einklang an bringen. Keh-
men wir an, dies wflre der Fall: in allen Volksschichten, bei hoch
nnd niedrig, vornehm nnd gering, bei arm und reich wftre eine* gründ-
liche Kenntnis der Mond nicht nur, sondern anch der enisfce Wille
nnd die nOthige Willenskraft vorhanden, der gewonnenen Erkenntnis
gemftß zu handeb: — wir h&tten den Himmel anf Erdent Das
klingt sehr optimistisch, nnd doch liegt unleugbar Wahrheit darin.
Einige Beispiele mOgen zur Beleuchtung dienen: wftren alle Menschen
von der sehr eüilkehen Wahrheit durchdrungen, dass ein mäßiges,
tbätigeff Leben gesund, leistungs- und genuBsfähig, froh und heiter
macht, und wären sie von Jugend auf an Mftfiigkeit und Thätigkeit
gewöhnt, wären sie keinen Verführungen ausgesetzt, welche die Klar-
heit ihres Denkens trüben und ihre Willenskraft lahmen, weksh eine
Masse von Unglück, Krankheit, Elend und Jammer würde ans der ,
Welt verschwinden! Oder: hAtte jedeimann die tief innere Überzeugung,
dass ein allmächtiges, allweises nnd allgütigcs Wesen (Gott) die Welt
geschaffen hat und nach ewigen, unal)änderlichen Gesetzen regiert, dass
dieser Gott „den tiefen Entwurf gemacht zur Glückseligkeit aller
Weltbewohner** (Klopstock), dass die Befolgung der weisen göttlichen
Moralgesetze allein imstande ist, den Menschen zu beglücken und
dem Endziel seiner Bestinmiimg, der Glückseligkeit, entgegenzu-
führ^n: wie unendlich viel Jammer und Elend würde weniger auf
der Erde sein! Der sich zur Verzweiflung steigernde Kleinmuth,
die schließlich im Selbstmord endende Verzweiflung, diese Schand-*
flecke der Menschlieit, sie würden unbekannte L)in»re sein! — Oder
anch: wären die schönen (resetze der Humanität, des WolwoUens
gegen alle Menschen, der Toleranz allgemein verbreitet und befolgt.
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— 486 —
welch eine Quelle des Ärgers, des Grams, des Kummers und .Tainmers
würde dadurch verstupft! — Kurz, i<'li wiederhole es nachdrücklich:
wären alle Menschen gleichmäßig moralisch durchgebildet, wir
hätten annähernd den Himmel auf Erden!
Zu 3. Ist die Moral heutzutage überall verbreitet?
Wenn wir diese Frage entschieden verneinen müssen, so bedarf *
diese Antwort wol kaum einer eingehenden Begründung. Jeder, der
auf dieser Erde eine Spanne Zeit mit oöenen Sinnen gelebt hat, weiß
sehr wül aus Erfahrung, wie traurig es bezüglich der Moral unter
den Menschen steht. Durch alle Volksschichten zieht sich der ver-
derbliche Hang zum mühelosen Genuas, in den wolhabenderen
Ständen herrscht der Hang vor zu feineren, kostspieligen, in den nie-
deren Volksclassto zu rohen, thierischsinnlicben Genüssen. Welch ein
anabsehbares Heer Ton Übeb daraus erwiehst, iat Uar irie dar Tag!
Selbstmorde, ÜberfUlnng der Iirenhftiuer, MeBseralfoiren, ungiaekUche
Ehen, KraaUieiten, Verarmang, UntangUdikeit, ünznMedeiüieit» Ar-
beitsschea n. s. w. sind die nnseligen Folgen des Ifangel's an mo-
ralischer Erkenntnis nnd moraliseker Kraft! In allen Volks-
fldiichten ist der nEgoiamus** in trauriger Weise vertreten, jener
unedle Egoismus, der äußere Torthefle selbst auf Kosten des Woles
«iderer erstrebt, der sich nicht scheut, unter Umstfinden selbst „Uber
Leifshen** hinwegmschreiten. Man kann ehiwenden, dass der EgoLsmus
in der menschlichen Natur begrOndet liegt, dass man deshalb diese
Eigenschaft niemand zum Vorwnif machen kOnne. Zugegeben —
jeder Mensch strebt natnrgem&ß nach GMck und bat das Becht,
gincklich sein zu irollen; aber — 'der Terkennt das wahre Wesen
des Ginckes, der da glaubt, auf Kosten anderer glftckUch sein.su
dOrfen; er weift es nicht, dass Selbstverleugnung, dass selbst Entbiah-
rung SU Gunsten seiner Mitmenschen eine bei weitem höhere, edlere
innere Glückseligkeit gewähren, als die rafiinirtesten sinnlichen Ge-
nflsse zu gewähren vermögen! Jawpl, — der Egoismus liegt in
der menschlichen Natur, aber — es sei nur jener „edle Egoismus,"
der die Triebfeder zu rilem Guten ist! Sein eigenes Wol — in treuer
PtlichterfOUung und in der Begläckung — nicht der Schädigung —
seiner engeren oder weiteren Umgebung suchen, das heißt, nach Gottes
Willen leben, der gewollt hat, dass alle Menschen glücklich werden.
Und wie steht es mit der Wahrheitsliebe nnd der Rechtlichkeit? Es
ist kaum anders mehr, als dass heute ein einfacher, gerader, recht-
licher Sinn, der Lüge und Täuschung um eines Vortheils willen ver-
schmäht, für identisch erachtet wird mit Dummheit und Thorheit.
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Nein, ^vahrlich — nach Gottes Willen ist die Welt kein Jammer-
tlial! Der Mensch macht sich selbst und anderen die Welt durch seine
Schwächen und Thorheiten, die die Folge sind des Mangeli? an mo-
ralischer Erkenntnis und moralischer Kraft, zur Hölle! W^er
wollte lengTien, dass die allgemeinp Verbreitung der Moral unter den
Menschen von außerordentlicher Wichtigkeit wäre?!
Zu 4. Welche Mittel und Wege wären behufa ailgemei*
uer Verbreitung der Moral einzuschlagen?
nNeigtUß htsi. fron Ui sr-hwer. fjcsoUt sich aber Gewohnheit
Wunelnd alliiKilili< li dazu, unüberwindlich wird sie.^
Dieser Ausspruch (joetlie's deutet schon auf den einzuschlagenden
Weg hin. Einige Sprichwörter sprechen denselben Gedanken aus:
..Jung gewdhnt, alt gethan.'* ..Was ein Häkchen werden will, krümmt
sicli bt'izeiteu.'' Im Talmud heißt es: „Lerne in der Jugend, im
Alter ist es zu schwer** und „Was mau in der Jugend lernt, womit
ist das zu vergleichen? Als ob etwas mit Tinte auf frisches Papier
geschrieben ist; aber was man im Alter lernt? Als ob etwas mit
Tinte auf besclimutztes Papier geschrieben ist." Welch zutretfendes,
anschauliches Bild! — Wo ich mit diesen Citaten hinaus will, ist nicht
schwer zu erkennen: mit der moralischen Bildung der Jugend
muss begonnen werden. Das erwaclisene Geschlecht noch belehren
und in andere Bahnen lenken zu wollen, das wäre ein ziemlich erfolg-
loses, verirebliches Bemühen. Wer einmal von Jugend auf dai5 Gift
falscher und verderblicher Grundsätze eingesogen hat, wer von Jugend
auf nicht daran gewöhnt wird, seine unedlen Begierden zu unter-
drücken, seine Willenskraft im Streben nach allem Guten zu üben,
wer von Jagend auf laxe Begriffe Uber Gott, Tugend, Moral iL 8. w.
dngesogen, der wird aehwerlich noch spftter im Leben ein wiHens-
starker, moraUscher Mensch werden, wird sich schwerlich noch ändern;
denn die Macht der Gewohnheit ist zu gro6. Wie viele Menschen
werden oft trotz schöner, herrlicher Natnranlagen dnreh falsche oder
mangdnde Jugenderziehung unglücklich fürs ganze Leben 1 Venn«
staltnngen, auf die Erwachsenen moralisch einzuwirken, gibt es ja seit
Jahrhunderten genügende; zu diesen gehOrt in erster Linie die Kirche
und die Geistlichkeit Wie diese ihre große, schöne Aullgfabe erftUlt
hat und noch erfüllt, darftber zu urtheilen ist nicht meine Sache und
gehOrt nicht hierher. Thatsache aber ist es, dass trotz der Wirk-
samkeit der Kirche die Sittenverderbnis bei heutiger Zeit noch eine
große und allgemeine ist Daneben gibt es ja in neuerer Zeit Vereine,
die moralistrend auf das filtere Geschlecht einwhrken wollen, Hand-
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werker-, Bildiinj^s-, Turnvereine u. s. w. Diese wirken gewiss Tiel
, Gutes und sind allseitiger Unterstützung wert; aber — eine grilnd-
liehe Heilung der Menschheit in moralischer Hinsicht kann durch sie
nicht erzielt werden; diese g-ründliche Heilung kann offenbar nur
allmählich durch zweckentsprechende Einwirkunj,'^ seitens der
Erzieher auf die .Tupfend angebahnt werden. Eltern und Lehrer
aber, (xler besser ge.^a^'t: Schule und Uaus sind in diesem Bezage
die maßgebenden Fucturen.
Es wii'd nun von mancher Seite behauptet, dass die moralische
Bildung der Jugend wesentlich Sache des Hauses sei, dass die Scliule
sich lediglich auf die intellectuelle Bildung zu beschränken habe;
ja, man geht so weit, es für einen unberechtigten Eingriff der Schule
in die Rechte des Hauses zu erklären, wenn sie über die Sphäre des
eigentlichen Unterrichtens hinausgreift und auch die sittliciie Seite der
Bildimg ins Auge fasst, also eine eigentlich „erziehliche" Thätigkeit
entwickelt.
Wahrlich, es wäre das wünschenswerte Ideal, wenn Schule und
Haus sich in dieser Weise in die Ei-ziehungsarbeit theilen ku nuten.
Denn dass die Einwii'kung der Eltern, namentlich der Mutter, auf
die Kleinen bis znm schulpflichtigen Alter fürs ganze Leben von
grOflter Wichtigkeit ist, ist unbestreitbar: „Eine tttchtige Matter jgt
in der Famifie der Magnet aller Herzen und der Polarstem aller
Angen. Ihr EinflnsB ist nnermesslich; ihr Charakter wiederholt sich
beet&ndig in ihren Kindern. Die reinen G^edanken und Handlan-
gen der Liebe, der Zucht, der Selbstbeherrschung, des Flei-
fies, der Arbeit, von denen sie täglich Beweise gibt, leben
und wirken fort und fort, gehen durch die Kinder in die fol^
genden GeschUchter aber.** (Smiles.) Oewiss, es gibt auch heute
noch Tiele solcher Familien, in denen der Einfluss der Mutter den
Kindern eine noimale moralische Bichtang fttrs Leben verleiht In-
des — bei dem herrschenden materialistischen und egoistischen Zeit-
geiste sind diese Familien offenbar in der Minderheit! Es fiUlt dem-
nach der Schule die schwere, aber segensreiche Aul|s;abe zu, fOr die
moralische Durchbildung der Jugend systematisch zu sorgen! WOrde
sie diese Aufgabe nicht auf ihre Fahne schreiben, wftrde sie sich nur
auf die Yerstandesbildung ihrer Zöglinge beschränken, sie wäre nicht
wert, dass Staat und Gemeinden so viele Opfer für ihre Unterhaltung
brächten. Anderseits aber, — lässt die Schule die moralische Bildung
ihre Hauptsache sein, dann haben Staat und Gemeinden die aufge-
wendeten Kosten nicht zu beklagen, dann kann man in Wahrheit sagen:
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^Das Geld »uf Schulen angfelegt,
Die allerbesten Zinsen trüjjt/"
Es liegt, ich wiederhole es, wesentlich der Schule die Pflicht ob,
durch eine heilsame, systematische, auf vemünftio^en pädagogischen
Grundsätzen bei-uhende Thätigkeit derart auf die Jugend einzuwirken,
dass die Menschheit von Generation zu Generation moralisch besser und
somit die Richtung des Zeitgeistes eine gesundere werde!
Bevor wir nun aber diese moralische Thätigkeit der Schule naher
zergliedern, wird es uüthig sein, noch einen Blick auf die Kizieliung
der .Tuo:end im vorschulpflichtigen Alter zu werfen. Denn gerade
während dieser Zeit wird von Kltei-n, Tanten und Kindermädchen am
allermeisten an den Kleinen gesündigt, von den ersteren tUeils aus
übertriebener Zärtlichkeit, theils aus Bequemlichkeit oder aus Mangel
an Zeit, von letzteren aus Unwissenheit, Unbildung oder Fahrlässigkeit.
Es liegt nun nicht im Ulaue der vorliegenden Arbeit, ein S3'stem von
Regeln für die Behandlung dei* Kinder im vorschulpflichtigen Alter
aufzustellen; auch wäre dies eine überflüssige Mühe, zumal es schon
von anderer Seite zum Theil in ganz vortrefiflicher Weise geschehen
ist. Als ganz vorzttglich wäre unter den diesen Gegenstand beban-
delnden M^ieni ein Werkehen zn empfehlen, betitelt „Die ErsiehnngB-
knnst in der Familie** fttr Eltern, Erzieherinnen und Er-
zieher, herausgegeben von Jnlins Boss, Lehrer. Bybnik 1886
Im Selbstverläge des Herausgebers. Diese Schrift enthält eine
voUstindige und treffliche Anweisung zur Behandlung der Ehider bis
zum siebenten Lebensjahre. Namentlich auch zeigt es die modernen
Fehler und UissgiifliB zu zärtlicher oder unveinftDftiger Eltern im
rechten Lichte. Da ist kein todter Bucihstabe*, man fühlt es aus der
wannen, lebensfrischen DarsteUung heraas, dass der Inhalt aus leben-
diger Erfthmng geschöpft ist und aus einem warmen, menschenfreund-
liehen Herzen quillt Der Inhalt dieses Buches sollte nicht nur allen
Eltern und Erzidierinnen bekannt, sondern ihr yolles geistiges Eigen-
thum sein! Eine große Menge moderner Erzlehungsverkehrtheitett
und im Gefolge davon viel Unheil und Elend würde schon dadurch
aus der Welt geschafft werden! Wir kommen nunmehr zur Schule.
Zu 5. Was hätte die Schule behufs moralischer Durch-
bildung ihrer Zöglinge zu thun?
Zum Zweck der Beantwortung dieser Frage wolle man mir ge-
statten, zunächst einige Sentenzen zu citiren, deren Inlialt deutlich
auf die verschiedenen Richtungen dei- pädagogischen Thätigkeit hin-
•weisen dürfte. Im Talmud heißt es: „Wo die Scheu vor der Sünde
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größer ist als die Wissenschaft, da ist die Wissenschaft von Bestand;
wo aber die Wissenschaft mehr gilt als die Scheu vor der
Sünde, da ist auch die Wissenschaft nicht von Bestand.''
Wie wahr und schön! Es ist also die moralische Unterweisung weit
wichtiger als die wissenschal tliche!
Koquette: nBilderreichthuiu und pruukend ücdicht,
Wenn w die Siiine bnanseht md beiticlit,
Wirici auf die LSoge niebt ^iltaulich,
Aber das Wort, das einfach , schlicht
Aus dem Ci*i!iiitli zum Geinüthc spricht,
Klingt uus iiuuier hold und vertraulich/
Goethe: n£ii> geistreich ao^eschloesnes Wert
Wiikt fttr die Ewigkeit"
^Ein gutes Wert, zur rechten Zeit gesprochen,
Es lebt in uns, nach Tagen nit-ht, nach Wochen.
Es ist ein Ro.srnstrauch . di r jährlich blüht,
Ein Gotteshttuch, der durch die Seele zieht."
Bodenstedt: „Wimder wirkt oft im Gemflthe
Eia gewmhtM Dichterwoit.'*
Jean Panl: iJZxan Ziele der Erziehiuigskiinst gehört die Eriie-
hufkg über den Zeitgeist! Nicht für die Gegenwart ist das EJnd ni
erziehen, sondern für die Znkiinit!'*
Reimann: Die Ennst des naturgemäßen Lebens nenne ich Ta-
gend, die Tagend des Körpers, weil die Lehx«i der privaten Hy-
giene mit den Lehren der Moral sich decken, weil, was immer
der Moral dient, geeignet ist, die leibliche Gesondheit zn fördern, and
amgekehrt. Indem die Tagend zum höchsten der Güter, zar Ge-
sandheit itlhrt, ist sie selbst die Erone aller Gftter, der Inbegriff and
das Ziel aller praktischen Lebensweisheit.
Seneca: Lang ist der Weg durch Lehren, karz and erfolgreich
darch Beispiele.
Der Inhalt obiger Citate gibt uns ottenbar die Norm für die
Thätigkeit der Schule an die Hand: In erster Linie ist für die leib-
liche Kraft und Gesandheit der Schüler za sorgen: denn diese
ist die Grundlage eines gesunden geistigen Lebens! Femer
hat die Schule fftr moralische Belehrung zn sorgen, und diese Be-
lehrung muss von Männern ausgehen, die von der göttlichen Wahrheit
ihrer Lehren vollständig^ durchdrungen sind, denen das, was sie lehren,
auch von Herzen komnit und demnach auch wieder zu Herzen geht.
Endlich soll der Leiirer durcli sein Beispiel wirken; er muss also vor
allen Dinpfpn selbst ein Mann sein, der moralische Kraft genug besitzt,
um seinei* Erkenntnis gemäß zu leben.
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— 441 —
Wenn aüao die pftdagogischea Bestrebangen der heatigen Zeit
weeentlieh auf die intellectaelle Bildang der Schttler gerichtet sind
und demgemftt auch die Vorbildung der Lehrer wesentlich die Er-
werbung einer möglichst großen Menge von Wissen znm Ziele hat,
so scheint diese Richtung nicht ganz der Förderung des allgemeinen
Woles zu entsprechen. Es BoUte doch nach allem bei weitem mehr
.Qewicht auf die allgemeine und moralische Bildang der Lehrer
gelegt werden! Moral, Pädagogik, Logik, mathematische Geographie,
Anthropologie und Psychologie, sodann praktische Ausbildung zum
•Turnlehrer, das sind die Zweige, die vorzugsweise betrieben werden
sollten, deren Durcbdiiugung den Lehrer erat zum wahren Erzieher
stempelt.
Die erste Forderun ])ehufs erfolgi'eicher moralisclier Erziehung
der Jugend in der Schule wäre also die moralisclie Durchbildung der
Lehrenden und eine diesem Zwecke entsprechende Unif^estaltung der
Vorbereitungsanstalten zum Lelirberuf in der oben bereits angedeuteten
Weise. Der Lehrer muss in erster Linie mit gutem Beispiel wirken
und dann mit gelegentlichen aus dem Herzen kommenden Belehrungen
und Ermahnungen. Im allgemeinen ist man ja heute gegen das
gelegentliche „Moralisiren" in der Classe. Man ist der Ansiclit,
dass moralische Belehrungen keinen Eindruck auf das kindliche Gemüth
machen, dass dadurch der Unterricht nur gestört und beeinträchtigt
werde, dass nichts für die Kinder „langweiliger" sei als „Moral-
predigten".
Pädagogen, die solche Behauptungen aufstellen, sprechen sich, sollte
mau meinen, selbst das Urtheil; sie beweisen damit, dass ihnen selbst
die Moral langweilig and gleichgiltig ist, dass sie ihnen nicht Herzens-
sache ist Wtre iie es nnd kirnen ihre Worte von Kmm, m
wibrden de andi m Henen gehen, nnd ein großer Theil der Kinder
würde dttvoa einen größeren Nutzen haben als von dem in dieser
Zeit yenänmten wiflsenechaftlichen Pensum. Je Öfter dergleichen
BelebruDgen bei Oelegenbeit irgend eines Vergehens der Schiller gegeh
die Moral wiederholt worden, desto größere Nachwirkung liaben
sie Dir alle Zeiten, desto mehr gehen sie in „Fleisch uitd Blüt** ttber,
desto mehr Sdifller werden sich dafür empftnglidi zeigen, wenn auch
anfing^ch bei vielen die Empflinglichkeit und somit das Yerständnis
dafOr mangeln dflrfte. — Semper aliquid haeret
Was tthrigens das Verhalten des Lehrers und seine Ebiwirkung
anf die Schiller durch das Beispiel betrifft, so ist hierttber im Aprfl-
Hefte 1888, S. 443 iE ehi vortareiniches Wort von Dr. Eefersteln
M^afftam. IM, Mag. HMkVD; 92
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beachtenswert. Der Verfasser führt dort den sehr wahren Gedanken
ans, dass Eigenschaften des Lehrers, wie Gerechtigkeit, Geduld, Wol-
wollen. liebevolle Hingabe an die Schwachen, Gewissenhaftigkdt in.
allen amtlichen Functionen, Pünktlichkeit, Selbstbeherrschung tt. a. als
die nGrnnd Voraussetzungen'' der Moral der Schäler anzusehen
seien. — Sehr wahr und schön! Ob aber ein besonderer ^oralunter-
rieht" in den Schulen einzuführen sei, diese Frage läsBt er noch offen.
— Diese Frage wird dagegen im September-Hefte des IX. Jahrganges
dieser Zeitschrift 1887, S. 761 If. von Schiilinspector Wyss-Burgdorf
in überzeugender Weise bejaht. Den vorzüglichen Ausführungen des
Herrn Verfassers in diesem Artikel kann ich mich nur von j^anzem
Herzen anschließen; ich wäre also auch dafür, dass in sämmtlichen
Schulen, nicht nur in den niederen und höheren Knabenschulen, son-
deiTi auch ganz besonders in Mädchenschulen ein besonderer systema-
tischer „Moraliinterricht" in den mittleren und oberen Classen an
Stelle des confession eilen Religionsunterrichtes Einführung fände!
Denn bei der gelegentlichen moralischen Unterweisung darf es
doch nicht bewenden, insofern diese immer nur lückenhaft und von
Zuialligkeiten abhängig sein kann. Die Kenntnis eines Gesetzes
und seiner heilsamen Bedeutung ist immerhin die erste Grundbedingung
zur Befolgung desselben. „Und die Moral muss doch gelehrt werden 1"
(Dr. Fricke.)
Wenn nun der Verfasser jenes oben bereits citirten Artikels
,Zum Moralunterricht" im December-Hefte 1889 S. 170 ff. den Moral-
unterricht YoUständig verwirft, wenn er behauptet, dass dieser Unter-
richt sein Ziel vollständig verfehle und vieUelelit sbgtar sdiädlidi
wirke, so hat er diese Behauptungen so wenig objectiv begrOndeti
dass sie eigentlich gar keinen Eindmek machen.
Damit aber der nMoralnnterricht**, dessen EiariohtOBg im IMm
Theile dieses Anftatzes noch besonders behandelt werden soll, nicht
seinen Zweck ssnm Theil verfehle, sollten wol di^cmgen Untemchts-
fiksher mit besonderem Nachdrucke behandelt werden, welche sich m
jenem grandlegend und nnterstiltiend verhalten. Zu diesen Fichem
gehört ^nmflchst der Turnunterricht, welcher, indem er die körper-
liche Gesundheit und E[raftbe8weckt, hierdurch auch suglaich das geistige
Leben, namentlich aber die Willenskraft erheblieh fördert Geterom
censeo: Dem Turnen, also der körperiichen Bewegung, besw. den
-Bewegnngsq^ielen, mflsste tftglich mindestens eine Stande gewidmet
werden I — Im naturwissenschaftlichen ünterrichte könnten ohne Schaden
eine Menge Elinzelheiten ans dem Gebiete der drei Beiehe gestrichen.
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dagc^n ein weit größerer Nachdruck auf die Lehre Tom Menschen
nnd auf die populäre Physik gelegt werden. Besonders sollten die
Sinnesorgane des Menschen, ihr wunderbarer Bau und ihre Bedeutung
für das geistige Leben eingehend behandelt werden; daran müsste
sich eine vernünftige, populäre Gesundheitslehre anschließen und
endlich auch die Lehre von der menschlichen Seele und ihren ver-
schiedenen Functionen als besonders wichtig nicht vergessen werden!
In der Physik würden diejenigen nnahänderlichen Naturgesetze und
ihre Wirkung eingeliender zu behandeln sein, die im täglichen Leben
eine wichtige Rolle spielen und an denen sich sichtbar eine allweise
Schöpferkraft bemerkbar macht. Wird beispielsweise das merkwürdige
Ausnahmegesetz von dem allgemeinen Gesetz, dass das Wasser sich
unter 4" C. wieder auszudehnen beginnt, in rechter Weise mit Bezug-
nahme auf die großartigen Wirkungen auf das Natur- und Menschen-
leben den Schülern zum Bewusstsein gebracht, so dient ja diese Er-
kenntnis oft'enbar wieder der Gotteserkenntnis, unterstützt also ohne
Zweifel den Moralunterricht. Und welch großartigen Einblick in die
Weisheit Gottes, der die ewigen Natiu-gesetze geschaffen, gewährt die
Lehre vom Schalle, vom Lichte, von der Dampf kraft und der Elek-
tricität! Auch in der G^graphie w&re eine Menge Ballast über Bord
zu werfen und daf&r der astronomischen Geographie größere
Beachtung zn schenkenl Was sollte wol geeigneter sein, Ehrfurcht
nnd heilige Sehen Yor der AUmaeht nnd Weialifiit Oottea In der
Henaohenhmat zn erwecken, ala der Einblick in die Wunder des
WeltaUsI lat es einerseits die Großartigkeit, so ist es anderseits
die nnwandelbare, ttberall im Weltall waltende Ordnung und Gesetz-
lichkeit, die ganz besonders den Sdittlem zum Bewnsstseln zn
.bringen ist
Nnfimehr aber konunen wir znm „Horalnnterricht** selbst
Zn 6. Wie wäre der „Moralnnterricht** in den Schalen
einzurichten?
Die eingehende Beantwortnng dieser Frage wttide einen so
großen Saarn einnehmen, dass sie weit ttber das Ziel, welches mir in
diesem Anftatae gesteckt ist, hinausgehen würde. Es sei mir hier
nnr gestattet, andentnngsweise meine Ansicht aber Inhalt nnd Form
des in Bede stehenden Unterrichtes auszusprechen.
Als ersten Theil des Unterrichtes denke ich mir: die Glanbens-
lehre, d. h. die Lehre yon Gottes Dasein, seinem Wesen nnd seinen
Eigenschaften.
Als zweiter dürfte folgen: die Lehre yon der Unsterblich-
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Iceit der menschlichen Seele und die ans diesem GHaaben fllr difr
Menschen sich erg^ebenden wolthätigen Folgen.
Als dritter Theil würde sich dann die Lehre von den Pflichten,
die eigentliche Sittenlehre, anschließen, und zwar die Lehre von
den Pflichten gegen unsere Nebenmenschen und uns selbst, welche
nach meiner Auffassung mit den Pflicliten gegen Gott vollständig zu-
sammenfallen. Die weitere Gliederung dieser Sittenlehre kiinnte etwa
so beibehalten werden, wie sie von Herni Schulinspector Wyss in
dem schon oben angeführten Artikel im Jahrgang 1887, S. 771 ff. auf-
gestellt ist.
Endlich dürfte es nicht unzweckmäßig erscheinen, wenn als An-
hang norli die geselligen Sitten, die Pflichten des Anstandes und
der Höflichkeit im Umgange mit den Seineu und mit Fremden etwa
in dem Sinne von Knigge's „Umgang mit Menschen" behandelt würden.
Eine Bhunenlese aus dem genannten Buche würde gewiss reichlichen
und heilsamen Stoff zui' Belehining bieten. Soweit einstweilen über
den Inhalt. —
Was die Form des Unterrichtes anlangt, so denke ich mir, dass
die einzelnen unter obige Rubriken zu bringenden Lehren in kurzer,
präciser Fassung von den Schülern gelernt, von dem Lehrer besprochen ^
und durch aus dem Leben gegriffene Beispiele illustrirt und den
Sch&lem zum klaren TentSndnis gebracht werden mfissten. Femer
floUten zu allen einzeben Pnnktea Belegstellen nicht -nur angefahrt,
tondem anch Ton den Schfllem gelernt nnd so oft wlederiiolt werden,
dass sie fürs ganze Leh^ ihr festes geistiges Eigenthnm werden und
jederzeit bei gegebenem Anlasse mit Leiehtigkeit reprodncirt werden
können 1 Dies» BelegsteUen wSren nicht nnr ans den BeUgionsbfichem
aller drei monotheistischen Religionen, der Bibel, dem Talmnd -nnd.
Koran, sondern voßk «äs den weltlichen dassiseheii.SehriftsteDem aller
Zeiten zu entlehnÖL *
„Wnnder wirkt oft im Gemfithe ein geweihtes Dichterwort^
Man gestatte mir, znrTeraiischaaliehoDg der oben aiisgesprochenen
Idee nnr einige wenige Beispiele anznf&hren. Soll der Lehrer den
Kindern das Dasein eines aUmfiehtigen Gk>tteB klar machen, der die
Welt geschalfen hat nnd sie nach nnwandelbaren Oesetzen erhAlt, so
wttrde er sie etwa lernen lassen: ^Ich g^be an Gott, den allmächtigen
Schöpfer ffimmels nnd der Erde" oder in modernerer Form: „Es ist
ein Gk)tt, der die Welt geschaffen hat nnd sie nach anwandelbaren
Gesetzen erhält." Dieser Satz wird dann gründlich besprochen und
nmttt Hinweis aof die wanderbaren Naturgesetze, welche in der Natnr,
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im Menschenleben und im Weltall walten, den Kindern klar gemacht,
dass das kein Werk des Zufalls sein könne, dass nur Thoren
oder «gedankenlose Menschen so sprechen kOuutea etc. Dazu wären
«twa folgende Belegstellen zu lernen:
Psalm 14 1 1. |j)ie Thoren sprechen in ihrem Herzen, es ist
kein Gott."
Psalm 19, 2: „Die Hinunel erzählen die Ehre Gottes, and seiner
Hände Werk verkündet das Firmament."
Talmud: „Gott ist es. der allein die Welt schuf. Von allem,
was Gott in der Welt geschaffen hat, gibt es nicht ein Ding, daü
zwecklos wäre.'*
Koran: „Er lässt die Nacht dem Tage und den Tag der Nacht
folgen and zwinget Sonne and Mond, ihren Dienst za verrichten, und
beide dorcheUen ihren bestimmteB Laol Das that Gott, eaer Herr,
dem da gehört die Hernchalf*
Oder: Bei der Besprechong Yon Oottes Weisheit und Gttte
würde auf die HenUehkeit Beiner Geeetse, wie die Befolgung dersdhen
das Glflck der lebenden Wesen bezwecke, tainzaweiflen and etw«
folgendes sn lernen sein:
Psalm 104, 24: »Herr,^ wie sind deine Werke so groB nnd viel!
Da hast sie alle weisliGb geiordnet nnd die Erde ist toU deiner Gttte.**
Klopstock in seinem Psalm: „Er, der Hocherbabene,' der allein,
gans sich denken, seiner ganz sidi fronen kann, machte den tiefen*
Entwarf zur Seligkeit aller seiner Weltbewohner'* etc.
Wie wirksam mttsste es femer bei Besprechong der Lflge sein,
wenn das schöne Wort ans Qoethe's Iphigenie IV, 1 gelernt nnd
grttndlich besprochen wQrde: „O weh. der Lüge!** etc^ nnd etwa das
Geibelsche Wort: ,Jittge, wie sie scUan sich hüte, Injcht am Ende
stets das Bein; kannst du wahr nicht sein aus Gttte, lern* aus Elng*
heit wahr zii seia'* Doch — diese Beispiele^ die ich leicht vermehren
könnte, mögen genOgen.
Von diesen Belegstellen müsste das Beste gelernt werden, was
zu allen Zeiten von gottbegeisterten Männern .gesohrieben worden ist
Man sollte meinen, dass derj^leichen Sentenzea weit heiljiamer and
veredelnder aof die Jugend wirken würden, als so manche Bibelstellen,
Gesangbachverse nnd biblische Geschichten, für deren Inhalt die Jugend
wahrlich kein Verständnis haben kann. — Wie ein derartiger Unter-
richt den Schüler mit Unlust erfüllen soll und mit welchem Rechte
ihn der unbekannte Verfasser jenes Ai-tikels im December-Hefte einen
schablonenhaft gekünstelten nennt, ist mir allerdings unerfindlich.
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Bereitet denn der confessionelle Religionsunterricht, wie er heutzutage
gegeben wü*d, den Kindern Fi-eude, erregt er auch nur einigermaßen
ihr iBteresse?! Nach meiner Erfahrung bezweifle ich dies ganz ent-
schieden. Dagegen habe ich oft zu bemerken Gelegenheit gehabt« dass
die Mldehen der ersten Classe Ähnliche Sentenzen, wie die angeflUirtai,
die idi ihnen gelegentlich mit Voilfobe zum Lemoi dietire, gern und
mit Freade lernten nnd ihrer Beeprecbimg ein aofloerlEaaijiieB Ohr
liehen. Wird der Jagend wfthrend der Schulzeit die groBe Wahrheit
snm Bewosstsein gebracht» daes die Befolgung der Gesetze Gtottee in
jedes Menschen eigenem Interesse liegt, dass z. R Arbeit nnd
tflchtige Anstrengung ein reines, hohes Wolgefbhl erzengen, dass aber
Jede AbweidinDg Ton üem pflichtgemAfien Wege Unheil im Gefolge
hat, nnd erhfilt diese Wahrheit allmihlich dnrch Erfthnmg ihre Be-
stAtfgnng, so mnss das entschieden auf Gesinnung und Handlnngs*
weise Ton krSftigerer Wjrknng sein, als die Lehre Ton der SQnd-
haftigkeit der Menschen, die nur dnrch Christi Yermittelung wieder
Gnade bei Gott erlangen kOnnen. Geradem verderblich wirkt Ja der
nngehenere Irrthma, in dem sieh heute noch Millionen w Menschen
befinden, dass man seine Sfinden durch gottesdienstUehe Handlangen,
Beichte, Abendmahl, Ablass, Messen etc. abbttßoi kOnne; dadurch wird
ja doch offenbar der Sttnde und dem Unheil Thür nnd Thor geöffnet!
— Wie anders und schöner, wenn der Mensch es tief innerlich er-
kennt und davon durchdrungen ist, wie gut es Gott mit uns geraeint,
als er uns seine Gesetze gab, durch deren Befolgung wir glücklich,
durch deren Missachtung wir unglücklich werden müssen. Doch —
das ist ja klar. „Tugend nnd Laster tragen in sich selbst die
Vergeltung!" (Wyss a. a. 0.) Es wird einmal eine Zeit kommen,
wo, wie Fichte sagt, „für jeden vernünftigen Menschen die Moral
auch die wahre Religion sein wird", und wo alle Menschen soweit
vernünftig sein werden! Ja — es wird auch einmal eine Zeit kommen^
wo der „Moralunterricht" obligatorisch in allen Schulen eingeführt
sein wird. Sie ist wahrscheinlich noch feine, weil erstens das günstige
Vorurtheil flu* den confessionellen Religionsunterricht noch zu tief
gewurzelt ist, und weil zweitens noch zwei wichtige Vorarbeiten zu
erledigen wären, und zwar einerseits die geeignete Vorbereitung der
Lehrer und anderseits, wie Herr Wyss sehr richtig sagt, die Her-
stellung eines geeigneten Lehrmittels oder Leittadens für den Moral-
unterricht. Letztere Bedingung dürfte sehr bald erfüllt werden, so-
bald nur erst von maßgebender Seite der Sache näher zu treten
Miene gemacht würde!
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Die Thesen, weldie sich aus der Beantwortmig der im AnfSeuige
goateUten sechs Fragen ergehen, würden demnach etwa lauten:
1. Unter „Moral** haben wir diejenige Bichtnng der Denk- nnd
Hsndlongsweise des Menschen za verstehen, die ihn semer von Gott
gewollten Bestimmimg zoftUirt
2. Die allgemeine Verhreitang der Moral würde einen höheren
Zostand der Glückseligkeit der Menschheit znr Folge haben.
3. Die Mond ist heutzutage keineswegs allgemein verbreitet
4. Um der Moral allgemeine Verbreitung zu verschaffen, mnss
vor allem auf die Jugend moralisch eingewirkt werden.
5. Die Schule hat die Aufgabe, neben den die Nieral unterstützen*
den Unterrichtsfächern einen besonderen „Moralunterricht" an
Stelle des confessionelien Beligionsonterrichtes in ihren Lehrplan anf- -
znnehmen.
6. Der Moralunterricht mnss alle diejenigen Glaubenslehren nnd
Sittengesetze enthalten, in welchen die drei monotheistischen Religionen
übereinstimmen, und diese Lehren müssen durch zutreffende Beleg-
stellen aus Heligionsbachem nnd Classikem erl&utert und befestigt
wei'den.
Wenn ich nun im Obigen versucht habe, meiner Ansicht übi r den
fraglichen Gegenstand in einfacher Form einen, wie ich wul fiihle,
nur unvollkojnmenen Ausdruck zu j(eben, so habe icli das walirlich
nicht in der Absicht getlian, zwecklos Opposition gegen bestehende
Verhältnisse zu machen; nein — vielmehi- lialte ich es einfach für
Pflicht, da nicht zu schweigen, wo ich nacli meiner Auffassung irr-
thümliche Ansichten und zweckwidrige Veranstaltungen sehe. Gerne
will ich mich belehien und bekehren lassen, wenn jemand es besser
weiß; anderenfalls aber hoffe ich auch weiter noch Gelegenheit zu
haben, für die oben entwickelte Idee, die mir nun einmal Herzens-
sache ist, nachdrücklich einzutreten. Und so schließe ich mit dem
Worte, mit dem auch Herr Schulinspector Wyss seinen Aufsatz schloss:
„Und die Moral muss doch gelehrt werden!'*
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Franz Stelztiamer.
Von Alfred von Ehrmamn-Badtn,
In jüngster Zeit «dnlat das Dichterwort in Erfttllang gehen zn wollen,
naeh welchem „die Dialekte eich bald lebhafter regen and matiiiger empor*
bttamen würden und neben dem ernstgesenkten nnd fruchtbaren Herbstbanme
— der Schriftsprache — aucl» der lustig blühende Frühlingsstrauß der Volks-
sprache wieder zu Einen kommen sollte". In derTluit, seit die Sprachforschung
die Dialektkimde als eine ilirer wichtigsten Hilfswissenschaften auerkennt, hat
auch das allgemeine Litereese des groSeii PabUcnma Ar die Sprache der imteren
Volkssehiehten sogeiiommeik — nicht nur in nnaerer, Mndern anch in fremden
Literaturen.
In Frankreich z. B., wo seit den fünfziger Jahren schon P. Jasmin, der be-
gabte Dichter der Gascogne, eine verhältnismäßig große (jemeiude von Ver-
ehrern nm sich gesammelt liattCf bricht sich neaerdings der proTenaliBche
Dialekt mit elementarer Gewalt Bahn. Es hat sich eine klehie Schar yon
Dichtem nnd Gelehrten gefnnden, welche fSr das Idiom des südlichen Frank-
reich, die alte Sprache der Troubadours, Geltung neben dem Schriftfranzösischen,
ja sogar Gleicbstellnng mit demselben erkämpfen wollen. Die ehemaligen poe-
tischen Akademien des französischen Sadens, jene berühmten jeux floraoz, sollen
wieder eingeführt and durch Heranggabe von Original-Dichtwerken, tSrammar
tiken und Wörterbüchern in prOTm^aliseher Sprache die ehi-würdige langne
d'oYl zu neuem Leben erweckt werden. Das H:inpt dieser Dichterschule ist
Friedr. Mistral, ein so eigenartiges poetisches (reiüe, dass sein Name gewiss
schon längst in der ganzen gebildeten Welt einen guten Klang besitzen wüi de,
— wenn er es eben nicht venchmihte, fkamMMh an schreiben. Übrigens hat
dieee aufblähende Literatur bereits die Anfhieriuamkeit des Nordens auf deh
gelenkt und wird auch bei uns, die wir wegen unserer „Fremdländerei" so arg
verschrieen sind, bald manchen literarischen Feinschmecker bewegen, einen Ein-
blick in die Grammatik des Proven^alischen zu nehmen, um etwa Mistral's
„Hireio'', „Nerto" oder das herrliche Epos „Galendal" zu lesen.
England hat seit Robert Borna keinen bedeutenden Dialektdichter herrmv
gebracht, dafttr genießt aber auch der schottische Barde eine Würdigung, wie
sie keinem deutschen Volksdichter je zntheil geworden ist. Der Name Burns
geliort eben gerade so gut zur englischen Literatiugescliichte , wie der eines
Moore oder Byron; und doch ist seine Sprache ebensowenig Schriftenglisch, wie
a. B. daa Dentach eines bayrischen FloBkneditea oder, elnea Waldbanem aas
dem Innviertel Hochdentsch genannt werden kann.-
In Deutschland ist die mundartliche Dichtung hauptsächlicli diircli zwei
Namen vertreten: im Südwesten dorch J. P. Hebel, im Norden durch Fritz
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Eeuter. Hebels alemannische Gedichte nehmen in der deatschen Literatur
längBt einen geachteten Hätz ein, und mit Fr. Reuter wird in Norddeutficlüand
ein förmlicher Cnltns getrieben; ja durch die Übermacht de« Bfiebervertriebes
vom „Beiche*' ftos wird denelbe M»g»r uns SMAeitMlien ftmUeh Mfjgiedritagtk
Und dodi Silld gerade wir in Österreich so glücklich, einen Dialektdichter den
Unieren m nennen, welcher nach den Urtheilen eines Emil Kuh, eines Freih.
von Feudi tersleben weder Bums, noch Hebel, noch Keater an {»oetischem Werte
nachsteht. Dieser Dichter nun ist Franz ätelzhamer und stine Sprache ein
Zweig jenes gro6en bajorarisehen Spraehstammei, denen Bereich von Bayern
Uber die ganzen Alpenländer bis an die Marken Ungarns sich erstreckt!
Während aber in den Lesebfichem für Deutschlands Schulen sich Proben
llebelscher und Kenterscher Poesie Torflnden, geschah bei uns bis vor kurzem
nichts zu einer auch nur oberflächlichen Würdigung Stelzhamers. Bemerkens-
wert isli. B. gewiss die Tliatsache, dass la efaMm wettmAnitetflii, u Tielea
Osterrkehischfin ünterrlohtsanstalteii elngeflUirten Lehrbuch der dentseheuLite-
ratnrgeschichte wol die BiograpMm Hebels, RenteES nad Klans Groths, aber
keine drei Worte über Stelzharaer zu ftnden sind.
Erst in neuerer Zeit beginnt es in dieser Beziehung besser zu werden.
£in rühriger Stelzhamer-Aosschuss, dessen Seele, Dr. Anton Matosch von der
Wiener üsäyersitttsUbliothek, selbst ein hoehbcffstoter Dialektdichter ist, wirkt
durch würdige Biichusgaben eifrig für die Sadto der obderennsischeu Dialekt*
dichtung. In Wien versammeln Leopold Hörmann und andere fiir ihre \'or-
lesungen Stelzhamerscher und eigener Dichtungen ein zahlreiches Publicum.
Aber wie weit ist die Popularität unseres oberdeutschen Vulksbarden von der
Friti Bentws in Norddeotsdilaad entfernt, wo eigene Benter-Vereiae Ar die
möglichste Verbreitung des „plattdeutseben Homer" sorgen! — Um nur von
der Biographie Stelzhamers zu reden, so ist dieselbe sogar in Österreich so gut
wie unbekannt. Die Aufsätze, welche über diesen Gegenstand hier und da in
Koseggers „Heimgarten'' erscheinen, geben patürlich uui Beiträge, so wertvoll
sie anch als solche erscheinen; es sind AngenWIcksbilder aas desDichters Lebm,
ohne gewollten Zusammenhang. Und die einiig« rdativ TollsmndlgB Stdi-
hamer^Bio^raphie, das vortreffliche Werkchen von J. Bd. Engl, ist trotn ssiner
■weiten Auflage nicht eigentlich im großen Publicum verbreitet.
So möge denn nachfolgende bincrraphische Skizze in dem h bluit'toii W unsche,
wieder ein bescheidenes Theii zum Andenken an den bedeutendsten \ ertreter
oberdeutscher Dialektdiehtuug beiintragen, ihre Entschuldigung finden. «Aus
obenangefBhrten Grttnden wird wid für sehr wenige damit Bekanntes geboten
sein — abgesehen davon, dass eine PtnliihaMor Biographie schon an und fttr
sidk des Interessanten genog enthält.
• ♦
Franz Stelzhamer wurde zu Großpieseiiliam, einem Dorfe nächst Ried im
Innkreis, Oberösterreich, am 29. November 1802 geboren.*) Seine Eltern
waren efiiikehe Banerslente, d«r Täter ein tüditiger Mann Ton pnkUsfliMn
Verstände, die Mutter gemtitbrelch, ja Ihst ÜelnAhUg troti Ihres niederen
*) Im selben Jahre kam auch Frankreichs natioiialster Dichter, Yiolav.SiMpv
rar Welt: und dnrdi einen seltssmen ZniSdl starb Fiits Beuter ha i^sidistt 3tSn
mit Stelsaamer, nur einen Tag nach Ihm.
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Standes, und ihrem jüngsten Sohne Franz mit geradezu rührender Liebe zu-
gethaB. AliKnalM muBte er fleißig amvttterliolieiiOiite initarbettMi «Bd lernte
dabei das Landleben mit allen seinen Einzelheiten kennen. Oft war er tage-
lang yom Hause fem, auf abgelegenen Triften einsam das Vieh hütend. Daher
seine von keinem Volksdichter erreichte Kenntnis des bäuerlichen Kleinlebens,
daher seine innige Vertrautheit mit dem gelieimsten Weben der heimatlichen
Natnr. Vielleioht atammt aoch aas Jener Zeit die Keigong zum TMmnen und
Fabnliren, jene „einnirddo Weia'*, ' ide er aie nennt nnd ven der er geateht»
dam aie ihm von Jugend auf anhaftete. Wenigstens hat er mit Vorliebe in
seinen poetischen Allegorien f^ioh selbst als Hirtenknabe hingestellt, dem die
belebte Natnr sowie M Ureben und Sage der Heimat in mannigfachen Peraoni-
ficationen ihre poetischen Enthüllungen machen.
^Schiin*) wie ri mi g'hüet't hatf^)
I)ü Gaiß**) und dii (iäna
Obn, bon WiUd au der Cininitzfl
In Land ob der Elms"
beginnt er im „ Waldfi*itiiprl" CMnsa rnralis) die kfistliche Erzählung seines
Bündnisses mit der ländlichen Mnse, die sich zu ihm gesellt und ihm alle
geistigen Güter verspricht, wenn er sich ihr weihen wolle. Aach in anderen
Oedlditen benutzt er gern das Hott? von dem poetiseli veranlagten BanenH
jongen nnd weUl ans dem 'Widerstreft der idealistiaeheii Meigangen mit dem
Bealismns der ümgebong uiwiderstelilich komische Effecte zn ziehen.
Der aufgeweckte Knabe wurde zum Studium hpstinimt. Er beendete in
Salzburg mit ausgezeichnetem Erfolge das Gymnasium und ging dann nach
Gna, vm dort Jos zn 8tadiren>. Dieser Schritt f&hrte zn ernsthaften Zerwflrf«
nimen mit aeinem Vater, welelier den Sohn flir den geietlichen Stand be-
stlnunt hatte.
Nachdem Stelzhamer seine Studien in W^ien absolvirt hatte, nahm er eine
Erzieherstelle in Reindorf, spater eine solche in einem griitlidieii Hause zuBielitz
in Schlesien an. Damals glaubte er ein Talent zum Zeichnen in sich entdeckt
80 haben nnd ging Iran entMAkosen nach Wien zmrttok, nm eidi dem Stndiom
der Malerei zn widmen. Er beeidite aoch wirklich die Malerakademie, aber
bald scheiterte sein Plan an dem gUnzlichen Mangel aller Geldmittel.
Nun gedachte er doch sich noch der Theologie zuzuwenden — schon um
den zürnenden Vater zn versöhnen. In Linz stodirte er als Externist, dichtete
aber nebenbei aeine enlin Ideder in obderamaiiQlier Mondart, darunter einige^
ala deren Aotor man gewiss nicht einen Stndiosoa der Theologie vermnthet
lAttt, Es fand anch dieses Studium ein rasches Ende, herbelgefUtrt durch die
Ungeberdlgkeit des poetischen Gottesgelehrten, der nach einer missgliickten
Prüfung am Ende des ^weiten Corsas der Theologie für immer den Kacken
kehrte.
Yen da ab beginnt fltar Stelsbamer Jenes Wanderleben, zn dem sein nn>
ruhiger Geist ihn trieb, und welchem er bis in sein hohes Alter uie auf lanfo
Zeit entsagen iLonnte. Das Heimatsdorf Termeidend — denn das Vaterhans
*) schan (srhon), ebenso wie baa (habe) sind mit dem tiefen (bayerischen)
a-Lant zn spreohen. Pieser Laut kommt bei Stelzhamer jedem a zu, wclehcs ni' ht
ausdrUc-klich durch dea Acceut (&) als ein helles bezeichnet ist. Das n ist ua^al. —
**) ai klingt nach Stdchamers vielbekrittelter Sdneiboag wie ftaaiQsisrh oi (also
— t) Greaae.
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^ 451 —
war ihm jetzt mehr als je verschlossen - zop er zuviirderfit durch Ober-
Österreich bis an die bayerische Grenze. In I'assaa traf er einen ehemaligen
StndieiicollegeD, der inzwiscliai Dinetcr einer wandeiiideii Sehampielertrnppe
geworden jnct und unseren Franz roa Pieeenham als wülkoramenee MitgUed
für sein amlndantes Theater engagirte. Der nene JUnger Thaliens spielte
verschiedene ernsthafte und komische Rollen, vor allem Intrigante. Er scheint
kein geringes Talent für die Bühne besessen za haben, wie dies ja später die
meisterhafte Art seiner Vorlesungen bewiesen hat — wlhren^ umgekehrt zn
dieser Knust des Vortrages die sehanspielerisefae Lehnelt, sowie die ooHegialen
TTnterweisQDgen einer Sophie Schröder, welche sich flir den jungen Mimen inter-
essirte, nicht wenig beigetragen liaben mochten. Die Herrlichkeit war jedoch
von kurzer Daner. Der Herr Director erklärte sich eines Taiges seiner Truppe
gegenüber insolvent. Franz saß mit einer größeren Zecbschnld im öasthaase
fest nnd motte sieh in «inem Briefe nm Hilfe an die Mntter wenden. Dies«
machte sich sofort anf den Weg nnd kam nach einer anstrengenden Fußwande-
rung In Passan an, wo sie ihren Sohn ohne ein Wort des Tadels mit ihren
ersparten Oelde auslf)ste. •
In lichtblauem Frack mitJlessingknöpfen, in gelben Nankinghosen, lichter
Weste, MiedeErsehnhen nnd hohem weitai QyUB^criinte enibli J. Er. Engl —
ging der ▼etnnglttckte Schanspieler im Mirs 18d5| Passan verlassend, neben
seinem Mfitterlein her, die in ihrer soliden Landestracht seltsam von ihm abg»> -
stochen haben mochte. In Schärding fand er nnvermnthet eine Gesellschaft von
Männern, die seine Lieder schon kannten — sie hatten inzwischen handschrift-
lich eine rasche Verbreitung im Lande gefunden — und sofort eine Snb-
seription veranstalteten, um dem Dichter ans der augenblicklichen Noth sä
helfen nnd ihm eine Sammlung und Heransgabe des -bis dahin Entstandenen zn
ermöglichen. Getröstet nnd nenerdings voll Vertrauen zu ihrem Sohne, machte
sich die ]\Intter wieder auf den Heimweg. Franz aber setzte seine Wanderung^
in der Kichtuug nach Wien fort.
Er sah sich nun mit allem Ernste nach einem VerleKtor nm. Der k. k.
Hofbnehhfo^er P. BohrmaDB war der erste, welcher sich zn einer Hwansgabe
der Dialektlieder bereitfinden ließ. Nachdem der Verlagscontract abgeschlossen
worden war, kehrte Stelzhamer ins F.Uernhaus zurück, nm dort die letzte Feile
an sein Manuscript zu legen. Et hatte sich nicht getäuscht, wenn er hoffte,
den Vater durch die verbriefte Thatsache des Erfolges endlich zu versöhnen.
Besonders war es der obenan gedruckte kaiserL Adler im ContraAtbrief dee
Hofbachhändlers, welcher dem schlichten Bauersmann imponirte. Leider sollte
er von den künftigen Erfolgen seines Sohnes nicht mehr als dieses blofie Voi^
zeichen erleben; er starb noch während der Drucklegung des Buches.
Dieser erste Band „Lieder in obderennsischer Mondarf^, 1837 erschienen'"),
enthUt aii0er einem kÜBinen Epos „D& SoldatnvOdA,* einige der seither be-
*) Das BUi hlcin. welches übrigens im Buchhandel >i« roit> >olt< ii wird, ist tür
die damaligen Verbältnisse recht wUrdig ausgestattet: auf gutea Papier gedruckt
mit hUbsehem Titel und einer HolcMAnitt^gaette anf dem Uanddag TersdieSt
wolrho rine auf knorrigem Bauniast nihnnd»^ Leier als Symbol der Volksmuse dar-
stellt. Mit dieser Vignette nun hat der Zufall ein seitsames Spiel getrieben. Ein
(3i«hA> davon dndet man nindich snf den Programmen einer altbekannten Wiener
VolkBsiageigeBeUsehaft abgedruckt. Nun konnten wir fragen: Soll dies Tidleieht
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t
— 452 —
rfUunt gtmotimm drastisehen OenrebUdolien au dem obartefeemiehJaohea
fiaoenlfllieii (s'Henmähdd-Osang", „iä pfiffi Bue", „dä SpieUomp''), dann
Scenen ans dem Liebesleben des Volkes (dö bsondäLiab", „dös anbrennt Rosl",
„di'i Gfocktü"*), außerdem Autobiographisches („dÖ drei Brüedä", „Nemo pro-
pheta in patdria*^ oder „Wo diPfening gscblagen is, da gilt & nix'Q and jene
rthraid« Apoatropbe an «Melii Hlladflrl*! weloha er in dar Folg» nicht Öfter
all efaimal öffentlich gelesen hat| da er beim Vorteafe desselben laiw dann
war, selbst ^Wich seinen Zuhör«»m von der Rühmng überwältigt zu werden.
Die „Lieder" begegneten gleich bei ihrem Erscheinen einem ungeahnt
großen £rfolge. Und dies iat um so bemerkenawerter, als ziemlich zu gleicher
Zeit ancfa Joh. Gabriel Seidls MFlinBeri" in niederOateireiehiaGfaer Hnndart»
das „Schwarzblattl aus dem Wienerwald" von Freiherrn v. Kiesheim, sowie
Kobells altba3'eri8che Gedichte erschienen. Über alle diese Publicationen trug
Stekhainei-s Buch den Preis davon, indem es sich mit einem Schlage die Gunst
des Pnblicums und die Anerkennung der Presse errang. Dieser glänzende Er-
toHg beatinnnte Stelahamer, von da an die DiehtkonM als seinen Lebensbemf
zu betrachten, obwol er im voraus wusste, dass er angefeindet werden und
keine besonders glänzende materielle Existenz vor sich tinden würde. Unter
seinen Aphorismen befindet sich t iner, welcher diese Erkenntnis hiichst treflend
ausspricht: „Ich habe mir das Kiinstleiios gewählt, eine kahle Hübe, aber mit
Bdcender Fensldit*«**)
Eine wülkonunene Einnahmsquelle «rteUoss steh ihm wol in den stark'
besachten N'orlesungen, welche Stelzhamer von da an abwechselnd in Wien,
Linz, Salzburg und München hielt. In Wien las er meist im „Saale der Musik-
freonde'', in Linz öfters bei Erzherzogin Sophie (wo iku auch einmal der König
Ton PrenBra hSrte), in München war er ein gern ge^dienerOast derKttnstler-
gesellschaft im StabenvoU, «ihrend er im Mnaenmanal vor der Öffentlichkeit
erschien.
In der Isal■^^t;ull war es aucli, wo Stelzhamer jenen Ausspruch that, der
seither mancher audereu Berühmtheit in deu Mund gelegt worden ist. Er
aoHte Tor dem bayariicben ESnige lesen, leimte aber diese Ehre wegen ehies
geringen Formzwaages ab. Als ihm seine Freonde diese Unklagheit zum Vor-
wurf machten, entj^-egnete er ihnen mit jenem ungebändigten Stolze, der eine
seiner Charaktereigenthümlichkeiten bildete: „Könige gibt es mehrere, Stels-
hamer aber nur eiuen!'*
bedeuten, dass fflr un^ joni' Biinkelsängor nn<l l'oiiidetJii lit<T, wie hervorragend sie
auch in ihrem Fache sein mügca, aU die berechtigten Erben der Stclzhamenchen
Muse und ab würdige Nadifolger eines Diditeis gelten soUea, te eine »AliBi*, eme
„KBniir in Noth" gceehrfsbea h»t?l
' j Der ( icfoppte.
**) Audi der ."^chlu^sven eines hochdeatsdiem Gedichtes „Zn Wien (1637)* drflekt
mit ieiiiei Ironie dasselbe aus:
„Bald, wenu ich werde zu Hause sein,
Höret an, was ich treibe:
Wieder dicht' ieh und schreibe
Gar ein ergötzliches, schönes Bttehelein,
Und krieg* ich Hunger dabei, so sehr' ich,
vom Jäahmei
D« HMgens lad Abendi ein KrOmohen,
Mittags eine Krume.
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— 468 — .
Waa die persönliche ErschemiiDg des Dichters betrifft, so mnss dieselbe
nach Aussagen vieler, die ihn voitragen geb5rt odMr als Frennde gekannt
haben, eine vngeinein aympathladie gewesen sebi. Von Angerieht nichts weniger
als schön, mit einer anfSrmlich großen Nase in dem rothangelanfenen Gesicht^
konnten dennoch diese grobgeschnittenen Zöge dnrch den Abglanz eines reichen
Gefühlslebens and den Ausdruck männlichen Selbstbewusstseins, welcher ge-
legentlich in ihnen anflencbtete, fast za wirklicher Schönheit verkl&rt werden.
^Wie sieht 4 denn aus?"
— Hau,*) kennst ja dö Art — :
An &f8tehats Haar
Und an Liing!\tn Bart!
lUßt er im „Nemo propheta^ die ihn beredenden Bauern fragen und antworten.
Und in der That trug auch Stelzhamer gerade so wie „dö Art" — Künstler
nnd Dichter «t- langes, rtekwirts wtUeiides Kopfhaar nnd einen mftchtigen
VoUbnrt
Inzwischen war der zweite Band mundattUdier Dichtungen, „Nene GFe-
8&nge in obderennsischer Mundart", 1841 erschienen nnd gleich günstig nuf-
genommen worden. 1843 kam die zweite Auflage der „Lieder"*, 1844 eine
ebensolche der „Geaftnge" h^ns; tai Zwiseheurimnen dann die fibrigen zwei
Btaide Mundart. Ans den gesaonnten vier BBnden Dialektdichtnng sind als
besonders bemerkenswert zu erwähnen: „s'Waldfräuerl** (Musa mralis),
«s'MAhrl von Fnrtbach" und „Königin Noth". Es sind dies längere erzählende
Dichtungen, welche, untereinander in losem Zusammenhang stehend, im Gewände
der Allegorie — aber einer lebensvollen, mit manchen realistischen nnd
laoBigai Zflgen dorchsetsten Allegorie — dnw Grundgedanken von hohem
sittlichen Ernste zum Ausdruck bringen. Stelzhamers bedeutendstes Werk Ist
aber jedenfalls die ,.Ahnl", großes episches Gedicht in der Art von Göthe's
„Hermann und Dorothea" und Voßens „Luise"; von vielen Literaturkennem
wird anch die „Ahnl** den obengenannten dassischen Werken unserer hoch-
dentsehen Literatur dem dlehterisohen Werte nach TSlUg i^eMiiMlallt.
Auch hochdeutsch hat Stelzhamer einige Bände Lyrik**) nnd eine Heihe
von Novellen***) veröfl'entliclit. Al)er das rnblicnm übersah sie ganz und fast
geflissentlich; diese Theiluahmlosigkeit wurde zu einer Quelle des bittersten
Missmnthes fär den Dichter, welcher sich gerade auf seine hochdentsc)ien Dich-
taagcn viel nngute that.
Nun muss allerdings zugestanden werden, dass dieselben seinen mund-
artlichen Werken nachstehen. Gerade was den letzteren einen unwidersteh-
lichen Reiz verleiht, die Naivetät der Anschauung, die virtuose Behandlung
des vierzeiligen Maßes, hat den hochdeutschen Dichtungen zum Xachtheil aus-
geschlagen. Und doch — ungeachtet mancher sprachlicheii Eflhnbelt, mancher
mit Ostentation gebrancliter Provinzialismen — offenbart sich auch in diesen
_ Liedern der geniale Dicliter, nnd seine kraftvolle Individaalitftt leuchtet noch
siegreich durch seine Verirrangei^.t)
♦) Schau!
**) Darunter: „Liebe" (inderCotta'schenSepaxataufigabe: „Liebesgllrtel,''gFofie8
hochdeutsches Gedicht in 2 BUchem.
♦**) (.Sebastian", „Im Walde", .,KIoiu-.Tonikl" etc.
t) Um sich davon lu fibexsenges, lese man nur einmal das seltsame Gedicht:
nLiehesaffaire", und beobachte wie dann dttVon — eine Art Xnittel — ebensowol
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— 4W —
Die Jabre 1850 — 1870 bilden ungefähr den Hüliepunkt von Stelzhamers
Popoladtit. DamalB war dar Dielrter mit den henrorrageuditen Vertretern
der CBterreiehiBchen Schriftiteller- imd EttnetlerweltbeiEaiiiit, ja theUweiee tag
belteundet, so mit Nik. Lenau, Fr. Grillparzer, Ed. von Bauernfeld, A. Grün
ü. a. So oft er in Wien war, fand er sich auch regelmäßig in dem Stelldich-
ein des damaligen ^ geistigen Wien", dem „Sil])ernen Kaffeehaus" in der
Flankengasse, üil
1854) auf einer nenen Vcileeertoiir, maebte Stelibaaier In Mttndien ein
literarisches Experiment, welches erwähnt zu werden verdient. Er trat im
Museumssaale als Märchenerzähler mit einem Originalmärcbcn: ,,Die drei
^ten'* auf, welches er nach Art eines orientalischen Improvisators völlig auä
dem Stegreif epraeb. Der Entider erntete leiohen BeifaU, doch iat nicht he-
kaant, data er das Expedmeat apftter wiederholt hätte.
Nachdem Stelzhamers erste Fran nach kurzer Ehe gestorben war, heiratete
f'i- 1868 znm zweitenniale, 66 Jahre alt. Gleichzeitig zog er sich nach Men-
dorf, Uberösterreich, zuiuck, wo er in geordneten pecuniären Verhältnissen*)
die letzten aechs Jahre aeinea Lehens verbrachte; nur aeitweilig trieb ihn die
alte Gewdinlieit des Wanden» anf Wochen ans seinem gemfithUdwn Heim.
Er war kemgesnnd, rttitig ond arbeitete Tiel, wie diea sein reicher literariaeher
Nachlas» bewies.
Am 5. Juni 1874 musste er sich, da er sich unwol fühlte, zu Bette legen.
ftUr hutleAeB Humer, als auch für tiefe OefühlsäuBerung dienstbar gemacht ist.
.Uo, ich darf noch maulen und pocheo,
leb bin noeb hundejung,
Hab' Mark DO(b in dea Knochen
Und in den J;'äusten Schwung — "
llsst der IHchter s^en Jugendlichen Hdden im Übermut vemefaitlichea Llebes-
glüclces prahlen. WeMior Contrast zwischen dieser Strojjhe und der Stimmung in
den folgenden Schlus8Vt-ri<cn des Gedichtes. (Der Betrogene hat Untreue smaes
Liebdiens erfSdoea und jagt sie mit höhnenden Worten davim.)
^Scbluchzend und mit rothcn Wangen
Ist sie wimktjud fortgegangen,
Still und schweigend sah ich nach,
Doch mein Herz erseufist' und brach."
Nun mit dem gebrochnen Heiaen
Geh' ich in der Welt herum,
Ohne Frciidcn, ohne Scbiuurzen,
Bin nicht weise und nicht dumm;
Bin nicht heiß und l>in nitlit k:ilr.
Seh' nicht jung aus und uuht alt;
l nd mit meinen starren Mienen
K&tiü ich hcrrsihcn nicht, noch dienen."
*) Schon am 27. April 186() hatte er die erste Landes-Subvention von 600 fl.
aus? der ständischen Domc8ticiilcHK.se nusbozahlt crlialfcn, iiii«! durch einen späteren
Beschluiiä des Landesaufiflchuüses wurden iluu 40011. zugesprochen. Ein eigenh&ndiges,
sehr schmeicbelhaftes Schreiben des IßnisterR Schmerling vom 25. August 1864 wies
ihm eine von der r>stcrrcii hischcn Regiorinif; l)i willigte Ehrenpension von 6(H} fl. an,
welche er hin au sein Lebensende alljiihrliih erhielt. ^Das Ehrenamt eines Landes-
schulinspeetofB von Oberitaterrcich, welches ihm schon frtther angetragen worden
WST} hatte er ahgelehnt, worauf Adalbert Stifter ernannt wurde.)
Hau sieht also, dos Land wuäste seinen bänger zu schätzen und ihm in auer-
kennungs- und aachahmungswOidiger Weise die prskttschen Beweise dafOr m geben!
*
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Das Übel, welcliee er anfangs gering achtete, entwickelte sich rasch zu einer
schweren Erkrankung, die ihn fünf Wochen an das Schmerzenslager heften
und d«r endlieheii AnflSaiing entgegenfUiren sollte. Am 14. Juli 1874| vor-,
mittags 9 Uhr verschied er. Er wurde auf dem kleinen Friedhofe Ton^wdorf
begrabcni— also nicht, w ie er Rieh in jenem Liede gewünaoht hatte:
„Daetter aiun wär uieiü Wunsch,
Und & Wun»ch is ja frei;
I mecht' z' Sehildeni bogisabn liege
Bon MUcderl biebci!
Dö w5ckt mi, wann s' blasen,
Und lasst mi not hint
Suecht alle neun Himmel
Am» bis a' mi flndt.«'
Es wäre nun dieser dürftigen Skizze eines reichen Dichterlebens nichts
weiter hinzuzufügen, als der Wunsch, dass sie ihren bescheidenen Zweck er-
reichen und manoheii cur Leetüre von Stelzhamers Werken anregen mOge, der
ea bisher versäumte, sich diesen Genuas zu verechaffen — einen Gtanus aller-
dings, welcher für den NichtÖsterreicher mit einiger BemUhnng erkauft
werden muss, da diesem das Verständnis des h(icbst eigenartigen Idioms an-
fangs Schwierigkeiten machen wird.
P. K. Boeegger tagt dieebestiglidi im Vorwcrt der von ihm treffUeh redi-
girten Stelzhamer- Ausgabe: „Es wage jeder, der das Volksthum liebt, die
Mühe, sich in die Stelzhamei-sclie Mundart zu fügen; Qedichte wie «D'Ahnl"^
„Königin Noth" etc. werden ihn überreich belohnen."
Welcher von allen gebildeten Ständen wäre nun eindringlicher darauf
hingewiesen, „das Volkithnm in lieben*', wer itflnde ihm nfther, als der
Lehretand?! —
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. PädagttgiBche Bnndflchai.
Die Zanbermacht der elasBischen Bildung. Ptofeasor Schmeding
cUirt in seiner neneeten Sehrift (debe vorige Nunmer dee „Psedagogionk'')
folgenden Aussprach eines Gymnasialdirectors: „Wer in einer Gelehrten-
schnle gebildet wonitMi, liat sich eine Lernftlhigkeit nnd T.ernbefrierde erworben,
wodurch er von der Mücke in der Luft, wie von der Blume des Feldes, von
der Werkstätte, welche in seine Augen fällt, wie von jedem 2^itang8blatt,
das Ihm ttglich dai^beten wird, ans dem Bliebe, wie ans der ConTersation,
wodurch er fortwährend von allen Seiten her alles das aus der Erd-, Natur-,
Gewerbe-, Staatenknnde sich aneignet, was doch in keiner Schule so speciell
gelehrt werden kann, und wozu er auch die gebildete Trtlicilskraft mitbringt;
und doch wird allenfalls eher ein Cuvier oder Davy oder Ritter aus ihm, als
woin er unter all den Naturalien, Btperimenten nnd Landkarten die kostbare
Sehalzeit vertrödelte."
Hiorzn ffibt Schniedinfr folg'ende sarkastische ErlUutemng: „Die Ansicht
der Vertreter ilrr dnnh du- classischen Sprachen erzielten formalen Bildung
liefie sich etwa so ausdrücken: Wie ein auf dem Schleifsteine geschärftes Mes-
ser alles, was es an schneiden gibi, besser schneidet als ein nicht gesehtrftes,
einerlei ob Papier, Holz, Brot oder Fleisch, so ist ein durch formale BUdnng
geschärfter Verstand befUhii^t — hat wenierstens einen bedeutenden Vorsprung
vor dem nicht formal gebildeten , über alles zu urtheilen, was es zu urt heilen
gibt; einerlei ob über Jacototsche Lehrmethode oder über die Jadenfrage, ob
fkhtst UnfUlversiGheningBgesetz oder ttber Girknlirlffen, ttber ftoerfeete Steine
odwttber eine Bemini'sche Statue, Uber die Züchtung von Yorkshire-Ebern oder
über eine Schleierniachersche rre<lig:t, über Münchener Bier oder über die
Bildung des (Tcwissens; — mit einein Worte, über alles. Und das beste
Mittel, dieae formale Bildung zu erzielen, sind die classischen Sprachen.''
OehVrt ins Bereich der Feeomlrehen. Die Wirklichkeit weiB nichts davon.
Die neueste Schulbank (Normalschulbank). Seit Jahrzehnten schon
schenkt man den besser cfmstruirten Subsellien eine ihrer h(»heu Bedeutung
entsprechende Aufmerksamkeit. Das Urtheil medicinischer Autoritäten ver-
schiedener eoropUsoher Staaten wird je länger je hiSher gesch&tzt, anch wenn
es sich blos um unwesentliche Verbesserongen der einfachen Schalbank liandelt.
Bei Einfiihrnng eines neuen Systems entscheidet nur das Gutachten der maß-
gebenden Ärzte. Dies bewies z. B. die neueste Geschichte der nach Größen
sich abstufenden Schulbank. Die Vortheile derselben sind so bestechend und
wirklich bedentsam, dass ein hervonragender Schvlhygieniker mit Becht nene
Gonsfemctionen so lange für nnnttts erklärte, bis ein ganx anderes Prindp er- *
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dacht wordp. Pädagogen und {^ohiilliygieniker, wie Inspector Largiad^r in
Basel, betonen, dass, so lani^e man nur die GesamratkörperHlnge eines Kindes
als MaÜstab zar Bestimmung der Dimensionen einer einzuführenden Schulbank
benntse, lo lange werden manche Kinder einer and derMdben Glaase in ganz
anpassenden Snbsellien sitzen. — Die Mittelgröße der Schüler ist „durchaus
nicht maßgebend, da die Schüler des gleichen Lebensjahres sich in den Ver-
bftltnissen ihres Körperbaues wesentlich unterscheiden."
Angenommen nun, eine Behörde mache sich die Anschaffung neuer Schul-
bftnke nach einem DnrehBcbsittsmaße zur Aufgabe, so ist sie schon dedialb
nicht gesehtttst vm unpassenden BaalcgrOßen, veil sie die Schülersahl der ersten
Classe z. B. fürs nilchste Jahr nicht kennt und weil die Kinder der gleichen
Classe das nächste Jahr in ihrer Mehrzahl vielleicht auffallend viel kleiner — '
oder grüßer sind als die früheren; die gleichen Banknnmmem sind deshalb
in za groller oder sa kleiner Zahl Torha&dso. Wollte man aber cooseqnent
sein, so hfttte man da und dort die Sehfller einer unteren Classe in der Bank
einer oberen zn placiren und der Lehrer mfisste über eine Menge Reeeryi^
bftoke verfügen können, wenn er seine Zöglinge bequem setzen wollte.
Die Folgen dieses Übelstandt^s liegen auf der Hand. Zunächst werden die
physisdi nnd somelrt avch geii>tig abnoimalfln, so Ueinea oder sa gzoAn
Schüler benachtheiUgt, weil man sie unter den herrschenden Vmstindengkieh-
sam in das Prokrustesbett einer unpassenden Zwangsschulbank steckt. Sodann
sind es aber auch die vielen geistig begabten, außergewöhnlich kleinen oder
hochgewachsenen Kinder, die in der munteren Schar, entweder beinahe eines
Hauptes l&nger oder künsw, einen bedanemsverten Anblick darbieten. Als
Ideal Unirte hier nnr der üi Laigiad^ Lehrerkalender «rwUmte Anthropo-
meter (Körpermesser) gelten, wenn er nicht zu theuer wäre.
Diesen und anderen hier nicht erwähnten tibelständen hilft nun die
ueuesteus von Joä. Kttdlillgerf Lehrer, erfundene Schulbank gründlich ab.
Sie ist das Ergebnis nnermüdlichen Prüfens and Vergleichens der Usherigen
bewtthrtesten Systeme, die Fracht Tieler Beobachtongen and Experimente anBer
nnd in der Schule und darf darum wol Anspruch machen auf eine gewisse
Anerkennung von Seite der Behörden und der Lehrerschaft Sie iiat folgende
Vortheile:
1. Der Faflschemel dieser neuesten (in der Schweiz and in Franknldi
schon patentlrtoi) Bank kann nach voni and onten Tcrsdloben, der Sitz Ter-
breitert nnd die Lehne erhöht werden. Die drei wesentlichen Theile
sind also ganz dem Bedürfnis,' d. h. der Grüfie jedes einzelnen.
Schülers entsprechend, beweglich.
2. Diese Verschiebong hat so weite Grenzen, dass der jüngste nnd kleinste
Elementarschfller (im sechsten Leben^ahre) so gat wie ein Recmt mit Minimal-
maß bequem darin sitB«D, Stellen, lesen und schreiben, in einer Stellong ttber-
hani t Hidi darin bewegen kann, die den Anfordernngen der Hygiene in Jeder
Beziehung entspiicht.
3. Die bei der Anpassung der Bank an die individuelle KSrperbeschaffen-
heit des Schülers nüthig werdende Verstellung kann sehr leicht nnd schnell
— natürlich nui vom Lehrer — vollzogen werden nnd zwar durch LOsong
mehrerer Schrauben and deren Wiederbefestigang. Dabei ist die Bank für
den Schüler fest.
Ptedagogiom. 12. Jahrg. VlI. lieft. 3B
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4. Dieselbe hat nur gewöhnliche Schnlbaiikgröße und kann ein- and mehr'
aitzig hergestellt werden.
5. Die wesentlichste Verbesserung principieller Natur ist der Schräg«
lehevel, da durch denen Gebrauch das Vorbeugen beim Schreiben und
Lesen erfolgreich bekämpft und der Korzeichtigkeit wirksam, weil ohne fort-
währende, ppecielle Ermahnungen des Lehrers, entgogepgearbeitet wird Die
richtige Lage des FuUes, seint- rechtwinkelig»; Stellung zum Unter-
schenkel ist bei der Benutzung dieses Schemels nicht nur geboten, sondern
für den Sitaenden auch die bequemste.
6. Im individaellen Verkehre des Lehrers mit den Schülern, also im
iSchreib- und ZeicbnuDgsunterrichte etc. muss sich jener nicht mehr zu diesem
herunieriH i:^^en — weil die Blinke für das höchste Maß couBtroirt sind und
alle Pulte fiir den Lehrer gleiche Höhe haben.
7. Die BSdlingersche Bank bildet überall da einen sehr erwünschten Aus-
gleidi, wo infolge fHlherer Anschaffang von SchnlbSnken nacli nnvoUkom-
menerem Systeme manclie Schüler sein- Miigünstig, sanitfttswidrig placirt worden
sind, indem diese neue Bank für dir S( luiler abnormaler Größe in entsprechender
Anzahl von Exemplaren zur Ergänzung augeschafft werden kann.
8. Die Abnntnung dieser Bank mit guseeisemem Oestell ist eine viel
geringere als die der besten Holzbank.
9. Ihre Construetion ist nach fachmännischem Urtheile die denkbar
einfachste.
10. Die so absolut nöthige freie Bewegang des sitzenden und stehenden
Schülers ist nicht irgendwie gehemmt. Der redite oder linke FuB oder beide
FUße können beliebig vor, horisontal oder senkrecht gestellt werden. Sdbst
das Zorückstellen der Füße ist ermöglicht.
11. Diese Bank macht jegliche (Irößcnnussung anmittelbar vor der neuen
Bestuhlung eines Schulzimmers total übertiüssig.
12. Die sweckmüMge Construetion simmtlicher (beweglicher) Theüe er^
mSgUeht die Zusammenstellnng derselben zu einer beliebig langen Bank mit
freiem Platz znm Ein- nnd Ausgehen der Schüler.
18. Die Anfertigung von Einplfttzem nach gleichem Systeme fdr das
Hans ist leicht möglich.
14 An die Hoiisdiwelleii lassen sidi Bollen anbringen, wodurch die
Beinigong des Zimmers bedeutend erleiditert wird.
15. Im Verhältnis zu den hier verehiigten vielen Vortheilen ist diese
Normalbank sehr billig.
Die bei irgend einem anderen Schulbanksysteme mehr oder weniger
gefOrehteten Naehtheile^ Hindenüsse der allgemeinen Verbreitung und Schwierige
keiten beim Sdur» des Zimmors, beim Faehwechsel, beim Hinausgehen der
Schüler etc. fUleo hier weg, indem ein zu hohes Gewicht, eine wackelige
Tischplatt»', störendes Geräusch, Versuchung des Schülers zu Spielereien nnd
nncontrulirbureu Bewegungen der Hände, wenn nicht in allen, so doch in
vielen Füllen auBges«di]osseii sind.
AUflUlige Bedenken beaüglteh der gnitsi Entfomung bis zum Tinten-
gefÜÜ (für die kleinsten Kinder), bezüglich Länge und Breite der Tischplatte,
Versorgung der Bücher und Zeichnungsmappen, die Minusdistanz von H cm etc.
schwinden voraussichtlich, sobald die „Normalbauk' der Traxls dienstbar ist,
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und mancher (.•oncnn-ent wird beim Prfifen jedes einzelnen Theiles oder des
Qeaamratobjectes unwillkürlich an das ,.Ei des Coliimbiis" erinnort werden.
So erscheint diese Erfindung eines experimentirenden , schiichteu, aber
MiMif beobKelitaideii Lelmn s. B. fu Lfdite ▼<« Dr. Babinsky 's *) Anfinderaofeii
ao die SehnllNuik der Znknnft als du adum ttnget Erstreikte. &. Sdimid-St. Gallen.
Berlin. Ale der Abgeordnete Engen Bichter im iwenßlechen Ab-
geortlnetenhaase die anangemessene Behandlung dtf Volksschallehrer im deut-
schen Keiclisheere znr Besprechung brachte, antwortete der Kriegsminister
VerJy du N'ernois u. a. atuli in ziemlich gtieiztem Tone, es werde zu er-
wägen sein, üb den Lehrern nicht die Bevorzugung abgekürzter Welirdienst-
zelt (10, 6, 4=t20 Wochen) entzogen werden mtteae. Wenn der Kriegn-
minister geglanbt haben sollte, mit dieser Drohung die Lehrer einznadlflcfatem,
80 hat er sich sehr im Irrthnme befunden. Die Berechtigung zum einjährig-
freiwilligen Heercs<lit>n>>te ist von den Lehr< rn seit Jahren sehnlichst herbei-
gewüubcht worden. Es mag nur au den Bescliluss des vierten deutächeu
liehrertages in Gamel (Pftngeten 1882) erinnert werden, welcher folgenden
Wortlaut hatte: „1. Dit- sechswöchentliche active Militärdienstpflicht der deut-
schen Volksschullehrer fJaxlert nicht das Wol der Volksschule, sondern übt
durch ilie dadurch gesciiädigte berufliche Stelluiür der Lehrer einen nach-
tiiL'üigeu KinHubS auf dieselbe aus. 2. Der deutsche Vulksschullehrer muss
gldche Beehte nnd Pfliditen mit jedem anderen gemeinsam haben nnd tragmi
und mnsB berechtigt sein, auf Grund der Befähigung für das Volksschulamt
seiner activen Militilrdienstprticht durch den einjährig-freiwilligen Dienst zu
genügen.** Wie gerechtf»^rtigt dicst^r Beschluss ist, ergibt sicli am besten aus
der Trüfungsorduung für den einjährig-freiwilligen Wehrdienst. Die darin
gestellten Forderungen bleiben weit hinter denjenigen snritck, wdlche an Volks-
Bchnllehrer in ihren Prfilhngen gestellt werden. Ein Punkt freilich macht
eine .Ausnahme: es werden vom Einjährigen Kenntnisnachweise in zwei fremden
Spraclii'ii verlangt. Die Anforderungen in denselben sind zwar mir geringe
(Julius Cäsar, Charles XIL, Vicar of Wakefield;. Zudem scheint die Militär-
behSrde ftvmdspraehliche Kenntnisse nicht für nnbedingt nothwendig zu erachten,
denn von dem Nachw^se einer wissenschaftlichen Prüfung dürfen entbunden
werden: „1. junge Leute, welche sich in einem Zweige der Wissenschaft oder
Kunst (liier in einer anderen, dem (femeinwesen zugute koraniendcu Thätigkeit
besonders auszeichnen; 2. kunstverständige oder mechanische Arbeiter, welche
in der Art ihrer Th&tigkeit hervorragendes leisten; 3. ni Ellnstleistnngen
angestellte Uitglieder landesherrlicher Bfiknen." Wie weit die Kenntnisse
derjenigen Einjährigen, welche nur den nothwendigen Wissensbedarf besitzen,
hinter denjenigen der Lehrer zuriiekstehen. beweist schlagend die oftmals vur-
kummende Thatsaclie, dass junge Leute mit „eiujährigem'* Zeugnisse noch
einer einjährigen Vorbereitung znr Anfisahme .in das Lehrerseminar mit
bekanntUdi dreUtthrigem ünterrichtscnrsns bedOrfen. Sollte der preußische
Kriegsminister mit seiner Drohung nan aber gar gemeint haben, die Lehrer
sollten in Zukunft drei Jahre zur Fahne einberufen werden, so würden die
*) Dr. Baginsky ^Berlin), Handbuch der ächulhys^icnc.
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preußischen Volkssehullebrer trotz der damit vorkiiiiiiffen Zurücksetzung hin-
ftiebtlich ihres Bildungsgrades solche Bestimmung mit Freuden begrülien.
Wer würde alsdann wol noch Lust verspüren, bis zum zwanzigstel!
Lebeni^ahre die Sehnle nt berachen, nm Lehrer mit Auaidit auf ilrej(}SlirifeD
Heereedienat zu wei'den? Und da die preußischen Lehrer doreh lange, lange
Erfahrung wissen, dass nur der Lehrermangel Aiifhesserungen der kläglichen
LehrereeltiiUir bewirkt, so würden sie den Tag segnen, au dem die dreyährige
Dienstzeit für Lehrer verfügt würde. Ein rheinischer Lehrerverein, der Freie
Lehrerrerein zn Dniehnr?, acheint dem Herrn Kriee;sminiBter die Antwort anf
dessen Äußerungen über die vielleicht zu verlängernde Dienstpflicht der Vulks-
schnlU-brer gelx'n zu wollen. Diesei' Verein bat iiiliiilicb für den XIV. rheinischen
Lebreitafj: vom 7.- \K April zu Ki'iln den f(»lgenden Antrag eingebracht:
„in Erwägung, dass bereits durch Kescript vom 21. April 1818 solchen
jungen Leuten, welche ddi zu Lehrern fHr Volkiecbiilen hflden, anf Grond
vortheilhafter Zeugniaie ihrmr YorgeBetzten der Eintritt in das Heer als Frei-
willige auf ein Jahr gestattet gewesen ist;
in Erwät^ung, dass im Bundesstaate Bayern den \'olksschullehrem die
Berechtigung zum eiiyührigeu Wehrdienst auch gegenwärtig zusteht;
in Erwägung, dass nach der Heer* nnd Wehrordnnng vom 22. NoTem-
her 1888 die Militärdienstzeit der Lehrer nicht mehr sechs, sondern sehn,
sechs und vier, also bereits zwanzig Wochen beträgt ;
in Erwägung, da.s.s mit dieser Neuordnung noch insofern eine Sohäditfung
des Ansehens des Lehrerstandes verknüpft ist, als die aus seinen Keihen uus-
gehobenen Wehrpflichtigen sammt ond sonders nidit den wehrflLhigsten Truppen
gleichgesteUt werden;
in Erwägung endlich, dass nach dtMi Ausfiilirungen des Herrn Kriegs-
niinisters im Abgeordnetenhause die Stimmung für Verlängerung der Wehr-
ptlicht der Volksschullehrer an maßgebender Stellung zur Zeit besonders
günstig ist:
efsacht der rheinische Provlnzial*LeIirerverband den Vorstand des Landes-
vereins preußischer Volksschullehrer, beim Kriegsminister und dem Minister
der geistlichen. Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, erforderlichen
Falles beim Abgeordnetenliause dabin vorstellig zu werden, dass den Volks-
schnttehrem anf Onnd ihrer Prfifungeu die Bereehtignng znm ei^jährig-ftwi-
wüligen Wehrdienst gewihrt werde.
Sollte der Landesverein ein Vorgehen in dieser Sache ablehnen, so wird
dem Vorsitzenden des rheinischen Pro vinzial Verbandes der Auftrag ertheilt,
die erforderlichen Schritte selbstständig zu unternehmen."
Derselbe Lehrerrerein Anste in Besag anf das Seite 249 des „P»dago-
ginm" mitgetheilte nnd für den VIII. Deutschen Lehrartag zn Berlin in Aas-
sicht genommene Thema: „Inwieweit soll die Schnlgesetsgebong Eeiehssaehe
werden?'' den folgenden Beschlnss:
„In Erwägung, dass in einzelnen Bimdesstaaten des Deutschen Kelches,
besonders in Preußen, bislang ein tJnteniehtsgeBetz mangelt, weil die Hinder-
nisse, welche der gesetzlichen Eegdiing der Schnlangelegenheiten schon in
diesen Theilen des grollen Qanzen bislang nicht haben ttberwnnden werden
können ;
in Erwägung, dass die Keichsgesetzgebung oft auf weit weniger einschnei-
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— 461 —
denden Gebieten als dem des Scbulwetens in DUUichen Bondeaataaten wenig
günstig aufgenommen wird-
in ErwSgnng, dass das Eintreten des Dentschen Lehrenrereins fttr die
Beichgschnlgesetggebnpg ui maßgebender Stelle snr Zelt nicht die geringste
Anasicht auf Erfolg bietet;
in Erwilffung, d;i«.s in solchen Bundesstaaten, denen ein Unterriclitsofosetz
noch mangelt, es vielmehr von Erfolg sein dürfte, wenn die betroffene Lehrer-
schaft auf Erlass von Landesschulgesetzgebangen mit allen gesetzlichen Mitteln
hinarbeitet:
erklärt der Freie Lehrerverein DuisUu-g die Frage der Beiehaschalgesetz-
gebnng als eine rowoI sachlich als taktisch nicht zeitgemäße, zumal die Ver-
wirklichniig diestr Frage auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist."
Hier/u sei bemerkt, dass auch der Spandauer Lehrer verein sich gegen
die Behandlung dieses Themas auf dem Lehrertage erklftrt hat
Österreich. Prinz Liechtenstein istabgethan. Nun ki»nimen die „Kirchen-
fürsten" und verlangen noch mehr. Die „Wiener Abendi)ust- brachte an>
12. März folgende Mittheiluug: „Auf Grund eines in der heutigen Sitzung
gefltfsten Beschlusses der zur Vorberathnng des Oesetsentwurfts Aber die Ab*
ändemng einiger Bestimmnngen des Gesetzes vom 14. Mai 1809 (R. G. Bl.
Nr. 62), beziehungsweise des Gesetzes vom 2. Mai 1883 iR. G. Bl. Xr. 53),
betreffend die Grundsätze desl'nterrichtswesens bezüglich der Volks-
schulen, eingesetzten Specialcommissiou des HeiTenhauses des Eeichsrathes
ist uns vom Bureau dieses hohen Hauses der folgende FMtokolls-Auszug zur
VerOflbntllAhung mitgethdlt worden:
Protokolls- Auszn s:.
Nach Eröffnung der Sitzung ergriff Sc. Eminenz der hochwürdigste
Cardinal Fürst-Erzbischof von Trag, Graf Schönborn, das Wort, um nach-
stehende ErlcUrung zu verlesen:
„In Verfolg der in der ersten Sitzung der Schulcommission des hohen
Herrenhauses am 28, Februar d. J. tTklärten 15ereitwillii:kt'it . den Versuch
machen zu wollen, der von der hohen Regierung selbst als ii(»thwentlig erkannten
Änderung der Gesetze vom 14. Mai IHüii und 2. Mai 1883 eine solche Kich-
tung zu gehen, dass die berechtigten Ansprüche der katheUschen Kirche be-
fiiedigt werden, erlauben sieh die unterzeichneten Mitglieder der Schnlcom*
mission, zugleich als Vertreter des gesammten Episcopates der im
Keicbsrathe vertretenen Königreiche und Länder, die angedeutete Eichtuog
im Nachstehenden näher zu kennzeichnen.
Nadi den eben bezogenen Oesetzen «dflrfen die Eltern oder deren SteQ-
Tertreter ihre Kinder oder PflegebefbhleuNi nicht ohne den Unterricht lassen,
welcher für die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist". f§ 20.)
DemgemäÜ sind dir meisten Eltern, beziehungsweise Stellvertreter der-
selben, gesetzlich gezwungen, ihre Kinder oder l'tlegebefohlenen den öffent-
lichen Volksschulen ancnvertnnen. (s 23.) Die QiüBntUche Volksschule stellt
sich somit als eine Zwaagsschule dar, und kdnnen die Elten oder deren
Stellvertreter sogar durch Zwangsmittel verhalten werden, fUr den regel-
mäßigen Schulbesuch ihrer schulpflichtigen Kinder Sorge zu tragen, (i? 24.)
Indem die Unterzeichnelea von der Frage der Berechtigung des Schoi-
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Zwanges überhaupt absehen, erachten sie den Schalzwang, wie er bei uns
geübt wird, nur dann fUr zulässig und erträglich, wenn durch denselben den
Katholiken das heilii:8te, aneh.itaatagrandiieeetillGh (Artikel 14) ^ewUurleistete
Recht der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit niekt TCrkflnt wird. Eine
solclie Vf'rkiir/iinp: findet aber nnzwcitelhaft statt, wenn es den gesetzlichen
\'ertretern der katholischen schulpflichtigen Kinder unmöglich gemacht wird,
denselben durch die öffentliche VoIkaBcbule eine solche Erziehung und einen
solchen Unterricht aagedethen za lassen^ wie de den OmndsItMii ihres Olanhena
einzig entsprechen und von ihrem Gewissen gefordert werden, und legt ihnen
die Pflicht auf, ihre Stimme für eine kath<»lische Einrichtung der Volksschule
immer wieder zu erheben. Das Bewusstseiu, alle Schul- und öflentUchen
Lasten redlich mitzutragen und alle Bürgerpflichten getreulich mit zu erfüllen,
mnss ihrer Stimme ninr nm so grSBerai Nachdmek geben.
Aber in noch höherem Maße sind die Bischöfe verpflichtet, für die ilinen
anvertraute Herde Jesu Christi eine s(p]clie Einriclitnn°: der als Zwangsschule
sich darstellenden öfFentlichen \'olksscliule in Anspruch zu nehmen, dass die
Kinder nicht nach den Lehren wechselnder Schulmeinungeu, sondern nach den
nnabinderliehen Gmnd^tmni ihres heiligen Olanhens reUgife-sittlidi enogen
und nicht nur mit den zur weiteren AosbUdong för das zeitliche Leben erfor-
derlichen Kenntnissen und Fertigkoiten anspestattet, sondt rn anch befähigt
werden, ihre ewige Bestimmung zu erreichen, und dass so die (iiundla^e für
Heranbildung wahrhaft tüchtiger Menschen und Mitglieder des staatlichen un-
kirdilichen Oemehiwesens gesehaffen werde.
Dieser ihrer Pflicht entsprechend, können die ünterzeicluieten nicht umhin
für katholische Kinder katholische öffentliche Volksschulen za fordern nnd
diese Forderuni^ in foljti^enden Punkten näher zu bestimmen:
1 . Die öfl'entlichen Volksschulen sind so auszugestalten, dass es den katho-
lischen Kindern mOglich gemacht werde, dieselben in der Begd ohne Ver-
mischung mit Kindern anderer Confessionen zu besuchen.
2. An katholisehen 'iffentlichen Volksschulen haben sllmmtliche Lelirer
der katholischen Kirche anzuf^eliiiren. sind für dieselben an katho-
lischen Lehrer-liildungsanstalteu auszubilden und haben auch die
Befthigung zor Ertheilnng des katholischen Beligionsanterrichtes za erwertmi.
3. Bei Anstellung der Lehrer an katholischen öff'entlichen Schalen ist
den Organen der katliolisclu ii Kirche jene Einflussnahme zu ge-
währen, welche noMnv« iidig: ist, um sieh der entsprechenden Wirksamkeit des
anzustellenden Bewerbers zu vergewissern.
4. Der Beligionsnnterricht ist an diesen Schulen durch Mitver-
wendung des Lehrers zu erweitern und der übrige Unterricht, die Lehr»
pläne, sowie auch slUnmtliche Lehr- nnd Lernmittel so einzurichten,
dass darin nidit nur nichts vorkomme, was für katholische Kinder anstöüiff
wäre, sondern alles in einheitlicher Beziehung zu dem katholischen
Charakter der Schale stehe.
5. Was die Beaafsichtignng der katholischen Volksschalen and Lehrer-
Bildnngsanstalten betrifft, so ist es der Kirche zu ennrifrlichen, deren eon-
fesslonellen Charakter durch ordnungsmäßig von ihr bestellte
Organe nach allen liichtungen in wirksamer Weise zu wahren und
za fSrdern.
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Schließlich erklären die UnterzeiclineteD, ohne hier das Gebiet politischer
Erwägnngen zu li«ril]uren, sieh berdt, in Betreff dar Ton Ikam gestellten
derang mit den competenten Faetorai sich dee weiteren so lienelinfln.
Wien, 12. Milrz 1890.
Franz Cardinal v. Schönborn. Fürst-Erzbischof von Prap. Johannes Zwerger,
Fürstbischof von Seckan. Jacobus, Fürstbischof von Laibach.^
Auf dieee ErUftmng erwiderte Se^ ExMUeas der Herr Minieter für Cultas
imd üntenlehty Dr. Freiherr Ganteeli naelistelieiideB: „Nadideiii die soeben
vernommene Erklärung, die von den hochwUrdigsten Herren Bischöfen nicht
blos in ihrer Eigenschaft als Mitglieder d»>f? holit-n Horrenhanses. sondern anch
namens des hochwördigsten Episcopates, welchem die i'flege der religiösen
Intereaaen der Itathdbdien BevSUcemng obliegt, abgegeben wnrde, mit Rttck-
tieht auf ihren wichtigen Inhalt eine ernste nnd eingehende PrSflmg seitens
der Regiemng erheischt» so werde ich nicht ermangeln, hiervon dem Minister-
rathe Bericht zn erstatten nnd dessen Beschlüsse einzuholen. Zn diesem
Behnfe erlaube ich mir, an den Herrn Vorsitzenden die Bitte zn richten, die
Sitzung der hohen Commission schließen zn wollen nnd die hohe Ck>mmis8ion
dann wieder einzubemüni, wenn ich in der Lage sein werde, die Antwort der
B^ening ndtentheüen.*'
Österreich. Im Kronlande Böhmen wurden zu Beginn dieses Jahres
einschneidende Änderungen anf dem Gebiete der Schnlverwaltung und der
Sdinlanlhieht getroffen.
Infolge der Ausgleichsb< stimninngen wird von nun an der Landesschul-
rath ans einer deutschen und einer tschecliisclien Section bestehen, welche
innerhalb ihres Wirkungskreises selbsiständig Beschlüsse fassen. Der Plenar-
berathnng bleiben die gemeinsamen Angelegenheiten, sowie die Errichtung der
Kinorittttssehnlen Torbehalten. Der Landessdinlrath wird anf Onmd des Aus-
gleiches kfinftig bestehen: 1. Ans dem Landeachef oder dem von ihm bestimmten
Stellvertreter als Vorsitzenden : '2. ans sechs vom Landesansschnsse pcwilhiten
Abgeordnt'tcu [drei Deutschen und drei i'schcchen ). Wählbar sind alle, welche
in den Landtag gewählt werden können; 3. aus den Referenten für die
administrativen nnd Skonomischen Schnlangelegenheiten; 4. ans den Landes»
schulinspectoren ; 5. ans einem deutschen und einem tschechisehen Vertreter der
Stadt Pras:; 0. ans zwei katholisclien , einem evangelischen Geistlichen nnd
einem Israeliten; 7. ans vier Mitgliedern des Lehrstandes ^zwei Deutsche und
zwei Tschechen).
Minder gfinstig, ja geradezu von den sehädlgendsten Folgen Ar das VolkS'
Schulwesen in Böhmen ist folgende Maßregel: Unter der Begründung, daas
der Norin;i]schnlt'oiid Böhmens die Substitut ionsgebüren fiir die dem Volks-
schullehivistandf entnumraenen k. k. Bezirksschulinspectoren nicht mehr zur
Gänze zu bestreiten vermag, ist Uber Erlass des h. k. k. Ministeriums für
Cnltos nnd Unterricht vom 24. Januar 1890 sn Beginn des Monates Felmiar
1. J. einer größeren Zahl k. k. BezirkaaehuUnapectorai Böhmens das Enthebungs-
deeret zn^estellt worden.
Unter den auf diese Weise und aus diesem (Jninde enthobenen k. k.
Beziiksschuiinspectoren betiuden sich auüersl tüchtige und befähigte Schul-
mSnner Böhmens, deren Amt, das sie in bester nnd ▼erlisslichster Weise ver-
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waltet haben, mm an Mittdaehnllehrer, Geistliche oder Personen andeier Stinde
ttbergehen soll.
In dieser Maürcfjt*! erblickt die Lehrerschaft Böhmens nicht nur eine
empfindliche SchUdigung ihres Ansehens, sondern eine Beeiiitlussung des hei-
mischen Sdinlweoens, dessmi streng fochliche BeavfUchtigung alldn mr an-
unterbrochenen Fbrdemng nnd Hebung desselben beizutragen geeignet ist.
Dei- Ansschuss des Deutschen Landes-Lehrervereins in Böhmen veröffentlicht
voi-stfthende Kundffpbnnur an der Spitze seines Vereinsorg-ancs. der ,. Freien
Schalzeitung", und drii< kt sein Bedauern daiiiber aus, dass im hohen Landtage
nidit mttel nnd Wege getunden wurden, dieser tiefelnBehneidenden llaSregel
entschieden vorzubengen, nnd hofft, dass es durch geeignete Beschlässe des
Landtages seinerzeit wieder ermöglicht werden wird, die schädigenden Wirkongen
dieser bedaiierlicljen Maßregfei zu beheben. Auch gibt der Ansschuss des
Deutschen Laudes-Lehrervereius in Böhmen der sicheren Hoffnung Ausdruck,
dass die hohen SchnlbehSrden hei Bestellnng der 1c k. Beairkssefanlinspectoren
stets dem Principe der Beanftichtigang der Schale dnrch Faehmlnner ans dem
Kreise der VoUu- nnd Bfii^rerschnllehrar Rechnung tragen werden.
Aus der Fachpresse.
286. Diesterweg nnd die Lehreryereine (A. Bebhnhn, Pid. Zei*
tong 1890, 3. 4). Greschichtlicher Kückblick auf Diesterwegs Bedehnngen,
die er vier Jahrzehnte hindurcli (1824 — 68) zum deutschen Lehrervereins-
leben hatte. Besonders wertvoll das Programm von 1824 (Zusammenkunft
mit den ersten jungen Lehrern, die er in Mörs entiaäsenj — Plan von 1828
(kleine, mittlere, allgemeine GonÜBrenxen*, ünterstttnanguwecke) — 1848.
Qründnng von Pestalonai- nnd Proyinnalvereinen in den sechaiger Jahren. —
Verfasser stellt am Schlüsse zusammen, welche Gesinnung und Einrichtung
Diesterweg für das Gedeihen der Lehrervereine verlangt. Was der Meister
auf die Frage: Wovor haben sich die Lehrer vereine zu hüten? antwortet,
geben whr hier wlbrlUdi wieder (es ist ja nodi immer seitgemäß!): „Vor den
an£Mdineiderisdien, den Hochmnthstenftl heranfbesdiwftrettden Phrasen, vor
allem leeren, hohlen, nichtsnutzigen Eeden und inhaltslosen Salbadern; vor
allem unnützen Poleniiairen gegen andere Stände, besonders gegen verwandte:
vor der Überschätzung der W^irksamkeit der Lehrer, der Bedeutsamkeit der
S<äiale, wie sie ist; vor der ÜberschUsnng des Ifethodisbrens, Tor allem Spin-
tisfaren; vor allem Wortkram, allem Kachspveehen, allem Pathos, aller Salhnng
(die Liebe zur Einfachheit, Wahrheit und WahrhAftigkeit vertii^ sich damit
nicht. Ein Lehrerverein ist kein Conventikel).
287. J. Chr. Fr. Guts-Muths (A. Wenzel, Deutsche Blätter 1890, 3— 5).
Eine nmfassende Darstellnng seiner erzieherischen nnd schriftstellerischen Wirlc-
samkeit (letztere Im Gebiete der Pftdagogik, der Tnmknnst nnd der Oeognqihie),
seines Einflusses auf Karl Bitter, seiner Beziehungen zn Jahn nnd anm Frei-
herrn vom Stein. Besonders dankenswert die Würdigung seiner verschiedenen
zahlreichen Schriften.
288. K. Y. Stoy nnd die sogenannten formalen Stufen des Unter-
richtes (A. Bliedner, Rhein. Blltter 1890, 1. II). Verhftltnis Stoy's an Her-
bart und Ziller; ( Überlegenheit über den letzteren. Ergebnis: „Stoy schreibt
den vier Herbartschen Stufen eine groAe Wichtigkeit für die gesaaunte Unter-
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richtstliätigkeit zu. Anwendung dei-selben wie bei Hoibart: für große, kleinei'e
uud kleinste üii Ullrich tsgr Uppen, für aualjÜBchen und syuthetisclien Unterricht.
Der ZUlenelien Atttumag konnte er sich nieht anidüiefien. Stoy hat eine
Fortbildung auf Herbartscher Grundlage insofern geschaffen, als er die Unter-
richtsstoffe bestimmt hat, die ihrer Natur nach das analytische Verfahren
erfordern (Muttersprache, Furnienlehre, Heimatskunde und Geographie).
289. Fußpfade im Gebiete der Erziehunprsknnde f\V. Walter,
Päd. Zeit. 1890, 6). „l)a.s bekannte Bild vom breiten und schmalen Wege
gilt anch för das Erziehungswerk. Zwar — der schmale Weg allein führt
nieht ins pftdagegische Himmelreidi, ein dnxelner nieht nnd die Summe vieler
nicht. Aber dieser nnd die breite Heerstraße zusammen bringen uns znm
Ziele. Die zahlreichen Fußpfade sind die Theile: die ]ane:e Landstraße stellt
das geistige Band dar, das natürlich den Eigenthümlichkeiten der Verbundenen
nnd Verbündeten angepasst sein muss (ist also erst noch zu bauen oder zu
wehen). AndemlUIs eehwebt es in. der Luft, ichwebt es und «diwanlct et
unklar nnd unsicher im Nebel — mul es ▼eriehwinden, sobald ein lotlUger •
Wind den Nebd verscbeocht.'*
290. Unsere Schiller jetzt und spftter (Bichsei, Praxis d. Schweiz.
Volks- und Mittelsch. 1889, VI). Von der {Schwierigkeit, die Kinder richtig
zu behandeln und zu beurtheiien nach Begabung, Wissen, Können, Wullen,
nach der Oesaaiitheit und den ZniaamenwirlMii aller Seelealtrftfte; von der
NotKwendiirkeit (für den Lehrer),, über den besehrftnkten Scholhoriaont hlnans-
znsehen. — ,.Der Erfolg des Augenblickes und eine vermeintliche Volksstimme,
die niflit O'ittes Stimme ist. verhiteii den Lehrer, der Kuhm sucht, und den.
der sich von dem Phantom eines Normalmenschen der papierenen l'Udagogik
tftnschen lasst, dazn, gute Lem^r nnd schwache Lemer für identisch zn halten
mit tfiehtigen nnd nntttchtigen Menschen. Er sieht nur anf die PrSftingsnoten,
nicht in die Kinderseelen. Der Irrthnm ist da, nnd von ihm kommt Ungerechtig-
keit in Fälle."
291. Zerstreute Kinder (Allg. D. L. linMz. 1890, 0). Ein recht an-
sprechend freschriebener Aufsatz über ein Tlitiiia, das zn denjenigen gehört,
für deren zeitweise Wiederholung oder Auffrischung wir immer dankbar sind.
VorfiMner qpiieht (anf 0mnd langjtthrigor Erfehmngen und gründlicher psjeho-
logischer Kenntnisse) über Kennzeichen, Schaden, Ursachen, Verhütung, Be-
kämpfung der Zerstrentlx it. (Den jttngeren CoUegen, den Erstlingen im Amte
ganz besonders warm zu empfehlen.)
292. Didakt isf he Erinnerungen (Frd. Euraenes, Repert. d. Päd.
1890, I}. Diese Erinneningen des Verfassers an seine Lehrjahre enthalten
eine Fülle von Anregungen. Ein Wort seines trefflichen Lehrers: „Erziehung
nnd Bildung wirken nnlengbar viel im Menschen; abor der fireie Wille —
das heißt Anspannung, Wachsamkeit und SellwtbehaTsdinng — wirkt auch
viel oder gar noch mehr, da dieser selbst dem manpelhafl Erzogenen nnd Ge-
bildeten innewohnt nnd nur von ihm in Thiltio;ktit zu setzen ist, um das
Wünschenswerte auszuführen. Dieser freie Wille bildet das hohe Panier, um
welches alle Krftfte in nns sich sammeln müssen."
293. Öffentliche Unterrichtsstunden (K. LOhrl, Schule nnd Haus
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1890, II). Am Sonntag In einer Stande zwei verschiedene GegeustUnde zu
Mttiideln, als mnstergiltige Piobdeetiraeii, die in Ordnung and Qwag Ton den
gewöhnlichen Wochenlectionen nicht abweichen sollen. Abhaltnng je nach
BedfirflÜB (Wunsch der Eltern), ^'erfas5er hat den Vorschlags an seiner Schule
mit bestem Erfolge dnrchgefühi't. Letzterer wäre auf selten der Eltern:
Möglichkeit wirksamer Nachhilfe, Achtang vor der Schale (energische Ver-
theidigung der Nenschnle), LebrerfrenndUdkkeit
294. Pftdagogisclie Statistik (Jetter, Praxis der Endehnngisehnle
1889, VI). Zweck: „Sie sucht in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen die
individuell treibenden Kräfte und Gesetze auf, führt diese auf ihre Ursachen
zurück und stellt so bei Betrachtung von vereinigten Ganzen den Anthi-il des
Individuums und des in demselben waltenden allgemein gütigen Gesetzes gegen-
über der Gesammtwirknng liest, sei es nun, dass bereits bekannte psychologische
Oesetze nnd jAdagogisdie Haißregeln durch statistische Nachweise bestätift«
sei es, dass angenommene wieder in Zweifel gezogen werden nnd dadurch zu
weiteren Untersuchangeu Anlaas gegeben wird, sei es endlich, dass man neaeu
auf die Spur kommt."
295. Geschichte und Zweck des Lesebnches (K. Brandt, Päd.
Reform 1890, 2—4). Oeschichtliclie Entwiekelnng: ]foralisch>praktische8 —
grammatisches — belletristisches Lesebuch ; letzteres der Form nach zu schwer,
dem Inhalte nach dem kindlichen Vorstcllnngskreise und dem UnterrichtsstoflTe
nicht angepasst. (Aber die Lesebücher der Unter- und Mittelstufe kennzeichnen
sich doch vielmehr durch seichte, langweilige Natorbeschreibung einerseits und
dnrok Afterpoesie nnd Uoralisterei der Cliristoph von Schnid, Knunmadier,
Cnrtman, Hey etc. etc. anderseits!) — Zwecke: Nicht „nationale, homane,
harmonische Bildung," sondern Leeenlehren (im weiteren nnd tieferoi Sinne)
and Sprachhildung.
29tj..Der heimatkundliche Unterricht (U. Früh. St. Galler Schulbl.
1890, 1. 2). Blick auf die Eutwickelung dieses UnteiTichtes in der Schweiz.
Aasgang: Die PestakeKl'schen Anstalten in Bnrffdorf nnd Ifoten. Verdienste
Hennhigs (in seiner „topischen, physikalischen, p<ditjsdtett nnd mathematischen
Elementargeographie"); wenn auch die Eutwickelung einer Unmasse von geo-
graphischen Begriffen (Darbietung der ..ganzen geographischen Sprache"*) als
nächstes Ziel galt, so hat doch die spätere Methode bezüglich der Stofi'auswahl,
der Gesiditspnnkte, der Darstdlnng betrachteter Fonnen dnreh Sehraifenldbt-
cben, des Dringens anf vielseitige BeohMhtnng dnrdi die Schiller nichts Besseres
mehr anCnihrlngen vermocht
297. Heimatskunde und Geographie (Schweiz. Lein crz. 1890. 1 -3).
»Indem Heimat- und Naturkunde theils vor. theilsmitnud neben dem (icogiaphie-
anterrichte fortwilhrt nd auf phantasie- und verstandesmäßige Erfassung des
Seins nnd Geschehens in der Umgebong sich richten, sollen sie za einem ooii-
tinnirlich flieBenden Qnell woden, der dem Unterrichte über firemde Gegenden
durch ZnfDhrung neuer, ans der nnmittelbarui Anschauung gewonnener Vor-
stellungen und (H:-dank»»n anschauliches Leben zu geben hat." — Von (im
engeren Sinne; geographischen 'riit inen, die sich mit naturkundlichen berühren,
sind nothwendig nnd mit aller Gründlichkeit zu behandeln: die äußere Gestaltung
der heimatlichen Erdoherfl&che nnd, soweit durch den Schiller so ermitteln,
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deren Ursaclifn — der Kreislauf des AVassers, seine rrsaehen und seine Be-
deutung — täglicher und jährlicher Erscheinungscyklus am Himmel — Wechsel-
besiehimgeii zwiacheii Luft, Erdboden , Waner, PHanxeii- und Tbierleben —
AbhSng^keit des Hmeehen von der Natur (Tor allem: Erwerbaqnellen, Wohn-
ort, Lebensweise) — Veränderungen in der Natur durch den Menschen (Er-
stelhinpr von Verkehrsmitteln} Tb&tigkeit in Feld nnd Wald, Herrscbaft Aber
die (iewäsäer etc. etc.).
Dr. Karl Schmidts Geschichte der Pädagogik iu der vorchristlichen Zeit,
nrnftaeend die Ersiehnng bei den NatnrrOllcero, im Oriente, bei den Oriedieii
und Kömem. Vierte Auflage, vielfach vermehrt, verbessert nnd nmgearbeitet
von Professor Dr. Knianuel Ilaniiak, Director des Pädagogiums der Stadt
Wien. Mit dem Porträt l»r, Karl Silimidt's, einer Biographie desselben und
einem Vorwort von Dr. Friedrich Dittea. XXXII u. Üö8 Ö. JvötUea 1890,
Vor 'iO Jahren erschien dieser erste Theil von Karl Schmidts großer (Jeschichtc
der Pädagogik zum ereteomale, und jetst liegt er in neuer (icstait vor uns
ab ein rflhinliches Zengnls herrorragender Oelennamlteit und jahrelanger Aus-
dauer in trciifleißiprr Arluit. fiic Schwierigkeiten, welche der Ilerausgelier
zu Überwinden, die Zwecke, welche er aniuftrebcn hatte, bezeichnet er selbst
in der zutreffendsten Weise folgendermaBen; „Sie eigaboi sieh erstUoh daiaua,
dasa seit der ersten .Vuflacre auf dem (Jebicte de« orientalischen und elassiscli< n
Ältertbums weitgehende Forsehungcn gemacht und stauiieuswcrte Kry:ehnisj>e
zu Tage gelordert wurden, weh he in den späteren Auflagen id. i. in der 2. nnd
3.1 keine Berücksichtigung fanden, dann aber auch daraus, dass idi in meiner
Auffassung der Geschichte der Pädagogik von «leni Vcrfa-sser iusolcrn abwich,
als dieser auf die subjective, abstracte, tht oretische, auf bestimmte Gesetze ge-
richtete, unter dem Einflüsse Hegclscber I'hilosophie stehende Anordnung und •
Behandlung des Stoffes das Hauptgewicht legte, \(-Shrend ich das objective,
historisch beglaubigte, concrcte Material in den N'ordergrund stellte und daraus
die sich ergebenden Beziehungen und Entwickelungen zu abstrahiren suchte,
ohne auf irgend welche Theonen RVcksieht zu nehmen. Zunflehst galt es, die
inzwischen imldicirfen Resultate <ler Forschung m^ch Tliunlichkeit zu sammeln
und zu' verwerten. £s kam auf diese Weise viel uvucs Material hinzn, ao dass
aieh der Unfeng des Werkes fast verdoppelte. Dann erforderte die Beächtnng
des historischen Momentes mancherlei Veriinderungen in der .\nordnnng und
Eintheilung; doch suchte ich, soweit es möglich war, den alten Text zu be-
wahren nnd verwies deshalb die von dem Verfasser abweichenden Anmerkungen
unterluilb des Textes. Überdies wurde durch Sternchen angeaelgt, was Original,
was Zusatz ist."
Von den zahlreichen Verbesseruntren und Zusätzen, wddie das Werk in seiner
neuen Hedrbcitung erhalten hat, seien die wichtigsten angeführt. Die Dar-
stellung der Erziehung bei den Naturvölkern ist vöUitr umgearbeitet und
bedeutend erweitert worden, indem die anthropologischen Werke, sufcrn sie
pftdagogiache Capitel und 2iotizen enthalten, verwertet wurden, wodurch sich
an Stelle blos theoTCtiseher AnseinanderBetaungen ein Bild eoncreter Verhftlt-
nissc eryab . das zu c:ei;riindet<'n Schlii^x'u auf die primitivsten Formen der
Erziehung die Unterluge bot. Dem Erziehungswesen der Chinesen ist in der
neuen Auflage dreimaf soviel Raum gewidmet wie in der ersten, und dasselbe
ist eben.«o wie das der Japanesen bis auf di< (oi,'( tnvart verfolgt. Die
Abschnitte. Uber diu Pädagogik der Ägypter, Bab^ louier, Assyrcr, PhO-
LiteratBr.
Schettler. 12 Hk.
— 468 —
aiker und Inder, liülicr sehr uuiugtUuilt dargwtoUt. ist nun in helles Licht
gesetzt, die der Baktrer, frtlher ganz übersehen, hat die verdiente Stelle
erhalten. Auch das BiMiingswcsen der Israeliten und der Perser erscheint
jetzt in weit klarerer lit louchtung als in der ersten Auflstrc Bezfliarlich der
cliissischen Völker ist neben zahlreichen Verbesseruntrcn im einzelnen be-
Kaiserzeit, welche gans nen grearbeitet wurde. Welche unennttdliche Avs-
dftuor Prof, Hannak seiner AufcabG widmete, ersidit man noch bc^^onders
daraua, diü>8 er, nachdem das Werk selbst bereit« voUbradit war, noch zwei
Zugaben lieferte, welche ebenso dankenswert rind, wie sie von unnpesehwiehter
l.u^t und Kraft zur Arbeit zeugen: das i-t < rstens der summarische Ühcr-
Mick des ganzen behandelten Stoffes uud /.weiteus diu» musterhafte, ganz nenc
alphabetische Namen- und Sachregister, welches den Oebrauch des
Werkes als Naclischhigebuch wesentlich erleichtert.
Die Ausstattung uiuss als sehr lobenswert bezeichnet werden, wenn
auch Wegen der Entfernung des Druckortes vom Herausgeber eine Anzahl von
DruckfeUem unterlanfcn sind. Dieselben siad meist unbedeutend und Überdies
in einem dem Texte vorangestellten VetBeichnis tagt sSmintlich berichtigt.
Aufgefallen sind dem Keferenten vnn nennenswerten ICÄBgeln nur norh folgende :
S. 76, Z. 3 T. XL. „Karl Schmidt*- muss beißen Karl Adolf ^chmid; S. lUU,
Z. 20 T. n. „CnlturTölker" muss heißen Naturvtflker; S. 151, Z. 9 u.
„443" muss heißen 4H.3; S. t.').'). Z. 14 v. o. „vor" muss heißen nach; S. 898,
Z. Ü V. 0. „erhält" muss heitten enthält.
Und nun soin ScUnsse nnr noch: das Werk h>bt den Heister, Ehre dem
Ehre gebürt! D.
A. Dillmann, Oberlehrer a. I>. Die Anschaunng im Bilde in ihrer
Anwendung auf den fremdsprachlicheil Unterricht, insbesondere
auf die praktische Übang im mändlichen Ausdruck. Druck und
Veriag von Gebrfider Petmecky in Wiesbaden. — 12 BUdertallBln mit
französischem oder engUechem Text (9 Bogen) 4,50 Mk.; mit beiden
Textbüchern 5.70 Mk.
Dius Werkcht u enthalt 12 lithographirte ilililertalein in Folioformat, elegant
p;ebunden; /.u denselben gehört ein fran/üsischcr und ein englischer Text, jeder
in besonderer Ausgabe. Die Bilder sind künstlerisch ausgeführt und dadurch,
sowie durch die (ienauigkeit und Mannigfaltigkeit des Zusanuncngcstellten
gauz l)esuuder8 geeignet, die Freude und den Kitcr des Lernenden zu wecken
und rege au erfa«lten. Jedes derselben stellt ein Alomeut aus dem Familien-,
Gewerbe-, Verkehrs- und Landleben dar und wird so den allseitigen An-
forderungen gerecht.
Der zu einem jeden Bilde gehönge Text enthält 1. eine austühiiiche Be-
schreibnng des anf dem Bilde Dargestellten; 2. einen anf die Beschreibung be-
ziiglichen t^uestionnaire; eine Kr/ählung oder Sdiilderung. die auf irgend
einen Liegenstand oder eine Person des Bildes Bezug nimmt; 4. ein oder zwei
einfache (iedichte, die dem .Alter derSchüIer entsprechen. SSuletirt folgt ein genane»
Wörterverzeichnis, da.s nach den einzelnen Darstelluugen geontuet ist. Die
Anschauung im Bilde ist in neuerer Zeit beim fremdsiiradilithcn Unterricht
mehrfach m iJlwMidung gekommen, ganz hegonderä auch deshalb, weil man
die Erfahrung gfcmacht, dass die in demselben erzielten Resultate nicht an-
nähernd der darauf verwandten Zeit und MQhe entsitiecheu. Geschieht dies
auf die richtige Wei.se, so ist der von dem neuen Lehrmittel erwartete Erfolg
sicher. Das genannte Werk, welches demselben Zweck dienen »oll, verfolgt
alw keine neue Unterrichtsmethode: ea bietet nur Slaterial anr OmTersation,
Ldirer ansgiebigen Stoff zur Übung im müudlicheu Ausdruck und der zusammen'
hängoBden Besprechung, wozu der beigefügte QucstionnaircTTortreffUche Dienste
leistet, s' ndcrn die Erzählungen kiiniion aiirh durch Abfragen des lahaltCS und
>>acherzuhien zu SprochUbungun benutzt werden. Die Verarbeitung des ge>
botenea Testes m .ConversauonsBbiingen mit Benutmng der Bilder und die
nnd dies in reichem
- -469 —
dadurch zn crlang:cndc Sprachfertiifkeit sind der Hauptzweck diese» Burlios.
Das Werk bietet so in diosor \\ fise etwas ganz Neues und ist ebenso iür
den Scbuli^ebrauch wie für diu rnvatunterricbt beätcnä zu empfehlen.
£s mag vielleicht nicht ttberüässig sein, noch hinziuuifOgeo, dan der tran-
eOsIwrhe Theil dnrcham keine Ohenetziing; den euirlischen Tlitilw ist. Es kam dem
Vt rta>>< r vielmehr darauf au, sich hier aut euglist hem, doit auf französischem
Boden zu bewegen, und so können beide Theile nicht allein durch die Sprache,
der sie dienen wollen, sondern auch durch ihren Inhalt, der in leineo Lese-
stückon und (JiNlichtrn nur srld n den eiitrli^ehi n ri sp. französischen Boden
Tcrlösst, redit eigentlich auch tils LcsicbUcher der bet rettenden Sprachen beuutzt
werden. I)ic Auswahl von jenen ist so getroffen, dass der Sehftler nebenbei
noch raanchorlei andere gute Dinge daraus lernen kann. Penn nichts wäre
verfehlter als die Auswahl von nur couversationsartitft u und fdr die Jugend
g» radi zu gemachten Stoffen, deren grobe Absichtlichkeit den SchOli» mit Un-
lust erfüllt oder doch wenigstens nicht aneifert. An dem Wörterverzeichnis
wRre noch die VollstÄndigkeit und Reichhaltigkeit zu rühmen, die dem
Srh'ürr er-Jiiart, seino Zeit mit Nachschlagen zu verlieren, und damit auch der
Lehrer nicht zu kurz kommt, dem vielleicht nicht jede der beiden Sprachen
in wllnschenswerter Geläufigkeit zu Gebote steht, emditen wir die ad 2 in
großer Ati-Jnhrliclikeit und M aiiiiLrfultigkeit beigegebeuen i^uestionnaires als
nicht den kicinstea Vorzug des Werkchens, das in dieser Ausstattung gewiss
nicht Teifiehlen wird, sich eineii uu^iedehBten Freundeskreis zn erwerben. N.
HoldemuiB und Setiepfindt, Bilder and Ersfthliiiiffea »vs der all-
gemeinen und deatschen Oeschiclite (III. Theil, Neaseli Mit 57 Ab-
bililnngcn uud 4 Karten iu Farbendruck}. Leipzig 188i>, Freytag. 1,50 .Mk.
Wie scbuu der Tit«l t-agt, ist dieses Hilfibuch lur die untere uud mittlere
Stufe des (iCM-hichtsunterriehtes au höheren (.preußischen j Lehranstalten nicht
eine hlle Partien in gleicher AustUbrlicbkeit behandelnde (icschichtc der Neu-
zeit. Es wählt aus derselben die (iestalten aus, die für den Entwickelnngs-
gang von hervorragender Bedeutung sind, und stellt die Verbindung zwischen
den „Bildern'' durch übersichtlich gehaltene äkiasen her. Solche .l^üder" sind
s. B. ans dem Zeitalter der Reformation: „I^vtlier, Karl V., Zwinj^U und Calvin,
rbilii»!» II.. Heinrich IV. von Krankreich und Elisabeth von Englaud." l)ie
Darstellung ist, was die Sprache betritt, schlicht und j>achiich, was den Inhalt
anlangt, ziemlirh reieh an Detail , durch ebarakteristische Ausspr&ehe der Be-
genti'n cfc. bfliht. Manches dieser Art, das der Darstellung ein frisches
("ulorit Verleiht, ist freilich nicht sicher beglaubigt; ein „soll" oder „man er-
z.iblt" hätte da seine berechtigte Stellung getuuden. i V'gl. in dieser Iliusieht
das Buch , von Hartslet. „Treppenwitz der \\'t li;;eaihi( hte." wo eine Anzahl
der auch hier mitgctheilten Anekdoten als soli he uai hgewiesen werden.) Recht
gelungen sind iu dem Buche die drei Abschnitte: ..Leben, ."^itte und Kunst im
16., im 17. und 18. und im V.K .lahrhundert." Solche Bilder finden si(h in
ähnlichen LehrbU< heru nii ht oder nicht in der Weise ausgeführt. Anerkcnnuugs-
wert ist auch das Bemiihi u der V^crlagshandlung, durch gute Copieu authen-
tischer Portrats, Bunten eu-., deren das Buch 57 euthält, die Anschauung der
Lernenden sn fordern und das geschriebene Wort zu beleben. —r.
Wagner, Cleorg, Streifzttge in das Gebiet der dentsehen Sprache.
EäneZasammenstellung deutscher Wortfamilien. Hamburg 1889, Meißner. 4 Mk.
Der Verfasser bietet hier dem Lehrer, dem die Gelegenheit tehlt, grüliere
etymologische Wörterbücher, wie Weigand, (irimm etc. zu benutzen, ein Büch-
lein, das, in handlicher Form, die für die .Schule intrn s.santesten Wortgruppen
zusammenstellt und etymologisch deutet. Es zieht auch Fremdwörter io den
Kreis der Betrachtung. Um ein „Grandwort" gruppirt es die enrMdbim Wurzel
uehi rigen Wörter, wodurch ott. „/ur \'i rwi;ii>Icruiifr und Freude di s Lesers
Verwandtschatten zwischen Wörtern anlgedeckt werden, die ihm nach Form und
Bedeutung weit auseinander zu liegen schienen," z. B. Bahre, gebühren, ge-
bühren, gebären, entbehren. Bürde, (ieb.trde, Kiniev, Znhcr, erbarmen, Borste.
Bürste, BUrzel, burzelu, Purzelbaum, Geburt, Adebar, urbar, empor, oder z. B.
— 470 —
credü^redit, Kreditiv, accreditiieo, kredenzen. Natürlich gibt es bei jedem
dieser W9rter auch den Otnig an, den dieBedeutnng von der des Grundwortes
aus jrenoinincn. Da es sich :uif dio obt-n genannten wissonpchaftlichen Wörter»
bücher stützt, so kann i s mit Bonibigung gebraucht werden. — r.
Faukstadt, Entwürfe zu deutschen Aufsitzen und müodlichen Be-
sprechangen fttr die Secnnda. Dessan, 1889, Banmann.
Der Lesestuff der Secnnda ist die epische Dii hfnnsr. Dementsprechend hat
diese J?ammlung von Entwürfen, die zum grijlsien Theil litcrari.sche Themen
behandeln, ihren Stoff Dichtungen dieser Kategorie entlehnt. Sieht mau von
ein paar Themen ab. wie z. B. Thema .Tl: „Die Compo.sitioii di Aiiiioliedes. ■
dessen Stoft den Schülern aus der Leciüre kaum bekannt seiu dürtt«: und dessen
LBsiuig in der vom Verfasser Toigfesehlagenen und dufcligefllhreen Bearbeitung
gewiss kein Schüler zustande bringen wird, so kann man sagen, da&s das Buch
auch dem Ideenkreis und der Fimungskratt der Secundaner angemessen ist.
Besonilers die Themen, die sieh an die Odyssee, an das Nibelungenlied, an
Gudrun, an Keineke anschließen oder die Themen aus der praktischen Poetik
sind yidfedi geeignet , das Ventln^ds der Didtitunoren zn fHrdem. Die Ent-
würfe sind sehr ausführlich gehalteili §0 dass uian >\< ]it. sji- sind mehr tTir den
Lehrer als bequemes iiilfsmittd, demt ^r den ächUler bestimmt; diesem bliebe,
fiüls er auf Grundlage der EntwflrfiB die Themen ansarbeiten sollte, doch su
wenig zu thun übrig. — r.
Möller, ( bungsbach für den Unterricht in der deutscheu Grammatik
(2 Hefte). Hamburg 1889, Meißner.
Dit i^es ni. thodisehe Sohriftchen ist zum Gebrauche au mehrstufigen Volks-
schulen und an Mittelst luilen (im preußischen Sinne dos Wortes! bestimmt und
gliedert sich in zwei Theile (I für das 2., 3. und 4. Schuljahr). Die Ortho-
graphie lehrt es durch Vorführung methodisch geordneter Wörtergruppeu, hie
und da mit Zuhilfenahme von Beimregeln, Formen- und Satzlehre in concen-
trischen Kreisen, erst von der V. Stufe an In mehr systematfseher Weise^ und
zwar iiln-nill so, dass es von fiiniii leiclit verständlichen Mustersatz ausgeht,
auf inductivem Wege die ii^el entwickelt und dem erlaugteu Verständnis die
Übung folgen ISsst. Der übungsstoiT nimmt dem Titel des Buches entspre-
chend den größten Th».il des I^üchleins ein und ist dnieh Fragen und Auf-
gaben bequem für Lehrer uud Schüb r zurechtgelegt. — r.
Sarauel Schillings Kleine Schulnaturgeschichte der drei Reiche,
Nenbearbeitmig durch R. Waelier. Äaagabe A, mit dem Pflansenreiche
nach dem Linn^'schen ^yateme. (Achtzehnte Bearbeitung, erster Druck
der von R, Waeber besorgten Neugestaltung.) (Tesammtausgabe. das
Thier-, Pflanzen- und Mineralreich enthaltend; mit öCH I .Abbildutigen. einigen
im Farbendruck. — Ferdinand Hirt, Künigl. L'niversitüis- und Verlags-
bnchhaadlung, Brealan 1890. Zoologie, 188 S., geb. 1,60 Hk.; Botanik
nach Linn4, 156 S., 1,25 Mk.; Botanik nadi natSrlichem Systeme, 156 S.,
1,25 ^Ik.; Mineralreich, 84 S., 80 Vfg.
Einen wolverdienten Kuf haben in der deutscheu pädagogischen Literatur
Sehillings Werke, wie auch die groSe Anflagensahl beweist; die thätige Hirt-
srbe Vcrlaglhandhing hat nun dieselben der bewahrten Hand Waehers zur Neu-
gestaltung Qbeigeben und liefert uns in vorliegenden Werken fast neue Bücher.
Wie Waeber den uaturhistorischen, speciell den botanisclien l'nterricht auf-
fa<!.st und si-)ir c wnndt behandelt, haben wir vor .Tahr>'n bei der I'.espreehune:
seiner Botamk hervorgehoben; dasselbe zeitrt sieh nun aucii in den uns vor-
liegenden Werken. Der Verfasser beschränkt den Stoff nach Thunlichkeit und
sucht ihn so interessant als müglich zu schildern, dio Systematik spielt eine
untergeordnete Rolle; auf das Gesammtleben uud die Wechselbeätiehungen zu den
Mitges<:h(ipfcn ist überall Kücksicht irennnuneu. .\us dii -en Gründen w(dleu wir
auch mit dem Verfasser nicht rechten, dass sein System nicht das neueste ist,
so s. B.die Schnabelthiere nicht dk> letsteSiogethierordnvng bilden, dielnsecten
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— 471 —
nicht nach ^en Fresswerkzeuj;ea geordnet erscheinen u. dgl. Die Botanik (in
beiden Bttehem) ist jedenfallt tm loi^isaiDBtett (gearbeitet, ja in rfudnen Partien
geradezu niusti^rfjiltig: die Minoraloirio isr mit IxUck-icht auf die Sprödi^keit
, des Stoffes interessant geschrieben und beüondem dadurch praktisch gemacht,
dass der Verarbeitnng der Minexalien nelur Anftneikiamkdt gewidmet ist, ab
dies sonst geschieht; wir verweisen u. a. auf die Glasbercitung, die Eisenge-
winnuug, die Goäbcreitung u. s. w. Kurz, das ganze Werk int höchst em-
pfehlenswert und wird es noch mehr duidi die allen Werken des Uirtschcn
Verlages ei^enthUmliche muster^rilti^e AnsBtattinig im Drucke und in den zahl-
reichen sehr gelungenen iioizäcbuitten. C. E. R.
Onindzfiird der Geognosie und Oeologrie von Dr. Chutav LMihardf
weil. Professor in Heidelberg. Vierte vermehrte und yeriwnerte Anflage.
Nach des \'erfassprs Todp besorgt durch Dr. Rudolf Hoernor, k. k. o. o.
Professor der Ueologie und Paliloutologie an der Universität Graz. 4. (Schluss-)
Lieferung mit 122 Holzschnitten. XI S. u. v. S. 577 — 980. Leipzig.
G. F. WiDter'sehe VerlagaliiBdliiDr 1889. 7 Mk.
Mit dieser Schltisslicfcrnng findet das ausgezeichnete, in der wissenschiiftürhen
Literatur Deutschlands fast einzig dasteliende Werk seine würdige Vullenduug.
Reichhaltigkeit des Stoffes in paläontolofrischer sowie strati^raphischer Hinsicht,
ein auspfezeichnetes Detail in der Sehildenias; der Localvorkommnisse, Hüok-
)iichtnahuie aut die neuesten Erfahrungen und Entdeckungen in den verschie-
densten Gegenden der Erde, ein stetes und genaues Anführen der Literatur
der einzelnen Abschnitte der geologischen Perioden und Formationen, das sind
die Hauptvorzüge des Werkes. Es bietet dem Studirenden ein so reiches
3Iaterial, wie es kaum sonstwo zusammengetragen erscheint. F'in 4t) Seiten
umÜEtfsendes Sachregister erleichtert das Nachschlagen bei den betreffenden
Fartien. Dabei ist die Ausstattung des Werkes eine duTChaus TorzOglicbe. C. R. R.
Tasehenbitch für Schmetterlingssammh r von Emil Fischer. Dritte
vollständig neu bearbeitete Auflage. Mit I i Farhpiidrncktafeln und TieleD
Holzschnitten. IX u. 292 S. Leipzig, Oskar Leiner. geb. 4 Mk.
Würdig reiht sich dieses Taschenbuch den übrigen Lciner-Piacher'schen In-
aeetenbttchcrn an. Es enthält nach nini iihnloirischi n N'orbiincrkungen Winke
fltr den Sammler, eine Beschreibung der wii htigsten ächmetteriiogsarten, einen
Raupen- und Schmettorlings-Kalender, ein alpbabetisebes Register und syste-
matisches Verzeichnis und ein Fund-Xntizhuch. Di«' P.i s( hreibuuiren sind kurz
und prftcise und werden durch vorzügliche Farbentaieln unterstützt, welche
die lypea der Gattungen darstellen, überhaupt ist die Ausstattung des sehr
beciuemen Büchleins vorzüglich und dabei der Treis im Versrleiche zu ähnlichen
Werken recht hillig. Der Sammler wird in dem Bestreben, seiner Schmetter-
liug.<.sammlung ein gefälliges Aussehen in geben, sehr nnteistHtst duiob die
Etiketten für Schmetterlingssammlungen, zusammengestellt von
Emil Fischer, zweite Autlage, l.öü Mk., welches Zettel für Fiimilien. (lat-
' tungen, Arten und Geschlecbtszeichen in reiehlicher Zahl theils mit vorge-
druckten Namen, theils leer enthält. ('. H. H.
Diesterwegs populäre Himmeiskunde und mathematische Geo-
graphie. Neu bearbeitet tod Dr. H. Wflheln Hey er, Director der
Gesellschaft Urania noter Uitwirknng von Profesaor Dr. B. Schwalbe,
Direktor des Dorotheenstädtiscben Bealgymnasiunis zu Berlin. Mit
vielen in den Text gedruckten Abbildungen, Vollbildern und Sternkarteo.
IV u. 426 S. Berlin, Verlag von Emil Goldschmidt 1889. 6 Mk.
Nunmehr liegt voHstftndig die 11. Aufliige des alten bekannten Diester-
wegschen Werkes in neuem Gewände und den neuesten .Xiisidiri n entsprechend
umgearbeitet vor uns. Dass das Werk durch die Neubearbeitung wesentlich
- gewonnen hat, zeigt jede Sr-ite des Buches. Der pftdagogische t'barakter des-
selben ist gewahrt geblieben, und -n ist es* ein populäres Buch im edol-;trn
Sinne des Wortes iusbesouderc dadurch, diu>s es nicht oberflächlich und seicht
— 472 —
den hodiinteressanten Oegesstand behandelt, sondern, wo es nothwendig ist,
auch beweist und sich so weit vortieft, dass der Leser ein lehenditros Bild des
Waltcns im Weltalle erhiilt. Um deu reichen luhalt zu charakteri.Hireu, er-
wähnen wir nur di«' t apitcl: Erklärungen über Gestalt, Grblio und Bewegungen
der Erde, [ihyfiisrhe Heschaffonheit der Sonne, Planeten, des Mondes, der Ko-
meten und Meteorite, von den Fixsternen, die Eut wickeluugiJgciK'hiehte des
Weltalles, kurze Übersieht Ober die (tesehiehtc der Astronomie Q. s. f. Viele
Holzschnitte und Vollbilder sowie Übersichtstufeln erleichtem das Veretändnia.
Die Ansstattnno: des Werkes ist vorztiglich zu nennen. Fttr Lehrer, Schflier
iin<l Laien ist dieses Buch gleich empfehlenswert. ('. R. R.
A. F. 3IöbiU8, Die Hauptsiitze der Astronomie. 7. Auflage fnr Schulen
und zur Selbstbelehrung umgearbeitet und enveitert von Professor
H: Crants. Mit 29 Fignren und einer Tabelle. III S. Stuttgart. C^. J.
GOschensche Verlagsbachhandlung 1890.
In gedrängter Form, aber dorh ausreicbend für das gewöhnliche, aber nicht
oberflächliche Stu<liuin der Astronomie werden in diesem Werkchen die wich-
tigsten Lehren derselben behandelt und durch einfache aber sehr instruetive
Figuren erläutert. In «ien Alischnitten von der Erde, Sonne, dem Monde, den
IManeten, den Kümetcu und Meteoren und von deu Fixülcrut-u werden die
wiohtip^sten Wahrheiten und Hypothesen angeführt. Die Tabelle über die
Terschiedenen Monde, die Umlaufiseiten der Kometen, die Doppelsteme und die
Elemente der meisten Planeten, sowie die Übersicht der bei nns wahmehm-'
baren Sternbilder sind eine sehr dankenswerte Beigabe. E.s ist nur z\i be-
dauern, dass bei den Meteoren nicht auch etwas ttber die eigentlichen Meteor-
steinllUle geboten ist, die doch, angeregt dnich die hie sid da angelegten
Sammlungen, allgemeines fiiteiesse errsgen. C. B. R.
Venntwortl. SadMtenr Dr. Friedriob DitUt. BmhdnelMni Jttliat Kliakliatdt, IMf^.
BeitrSge rar Refim des ReUgi^iunuitorriehtes in BeEBg «if
Inhalt nnd Lehrweise."*^
Ym Dinetor mer. Frof. Theodor Vomaiokon'Qrwg,
HL Confessioneller Religion Bnnterriclit
Wir halten an dem Gnmdsatze fest, dass ein Unterricht in
Religion und Sitte für die Volksschule ein wesentlicher Bestandtheil
ist und bleiben muss und dass er in dieser christlichen Grundschule
eine Hauptgrundlage haben muss an den wolverstandenen Lehren
des Neuen Testamentes, mit Ansschlnss anyerständlicher theologischer
Meiimngen mittelalterliclifir SdioliistilL Anch eine pädagogische Lehr-
weise sollte Eingang finden. Darans folgt, dass speciell-ooDfessionelle
Lehrmittel keinen Platz in nnserer znkanfligen pädagogischen yolks-
sehnle haben, also anch der herkömmliche Katechismns nicht Fillt
dieser ans, so wird aoeh die Entscheidung angebahntt ob die Volks-
schnle confessionell oder simultan sein soll.
Im Januai^Hefte des „Ftodagogirnns'* (1890) hat Prof. Fioh-
MjhammermitBecht daranf hüigewfeseo, dass dnrch die aufgekommenoi
Gegensfttze in der nrspriknglichen Religion der Liebe viel Elend über
die Menschheit gekonmien ist, indem der wilde Glaabenseifer keine
andere Meinung neben sich dnldete. Gewaltmaßregeln and Ver-
folgungen gingen bekanntlich von der päpstlichen Kirche ans. Um
schon der Jugend die Unduldsamkeit einzuimpfen, forderte man später,
als ob wir an den nationalen Gegensätzen nicht schon genug hätten,
auch noch confessionelle oder Kirchenschulen. Nehmen dann die
nichtrömischen ronfessionen ebenfalls eine schärfere Tonart an, so ist
die gegenseitige Hetze fertig. Die VolLsschule wenigstens soll sich
auf das allen christlichen Confessionen Gemeinsame beschränken,
und dies finden wir nicht in einem Katechismus, sondern hauptsäch-
lich in den Evangelien.
*) TgL hiom: Pädagogium Jahrgang XI, S. 141 IT. «id 84181 D. S.
Padagociaau lt. JArg. Htft vm. 84
— 474 —
Die l^ltramontanen <M()ft'nt^n gern Hinterthürchen , und das ist
weder ehrlich noch christlich. In unserem Zeitalter ist das Ver- ^
Mltnis zwischen dem Staate und der sop-en. Kirclie (d. b. eigentlich
dem Clerus) ein ganz anderes als im Mittelalter, das scheint auch die
Kirchenpartei einzusehen. Sie weiß, dass kein Staat mehr gesonnen
ist, seine Schulanstalten einer Gesellschaft zu überlassen, darum
klammert sich die Kirchengesellschaft an das Wort confessionell,
meint aber Kirchenschule, und das ist das Hinterthürchen. Die Zeiten
sind andere geworden.. Noch im 16. Jahrhundert regierte der Papst
im heiligen römischen Beiche deutscher Nation, nicht nur als oberster
Bischof in geistlichen Angelegenheiten, sondern eben so sehr als
politischer ICadiihaber. Seitdem sind 900 Jahre vergangen, nnd der
heutige Staat ruht anf anderen GmndUtgen, irobei die sittlichen
Grundlagen des Christenthnms keineswegs aasgeschlossen sind, wol
aber die hierarchischen des Mittelalters. Ein Staat ohne jene sitt-
lichen Grundlagen hat keinen langen Bestand, aber von hierarchischen
mnss er sich frei machen. Hit den in cleticalen Yersammlnngen
froherer Jahrhunderte aoi^tellten Meinungen (Dogmen) hat der
moderne Staat so wenig zu thun, wie mit der neuesten Meinung von
der Unfehlbarkeit des römischen Papstes. Der einzelne B&rger im
Staate mag sehen, wie er mit solchen Glaubensmeinungen fertig wird;
der Staat hat nur darauf zu achten, dass ihm kein Nachtheil daraus
erwachsei Nun sollen aber diese Meinungen schon in der ^'olks-
' schule unseren Kindern beigebracht werden und zwar mit Umgehung
oder Umdeutung der reinen Lehre des Stifters und seiner Apostel.
Bezeichnend ist der Antrag, den Windthorst und 9B Mitglieder des
Centnims vor kurzem im preußischen Abgeordnetenhause einbrachten: •
„Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: die künigl. Staats-
regieriing aulziüordern, dem Landtage baldigst den Entwurl eines
Gesetzes vorzulegen, durch welches den Kii'cheu und ihren Organen
in Betrefl des religiösen Unterrichtes in den Volksschulen diejenigen
Befugnisse in vollem Umfange gewährt werden, welche die Ver-
fassungsurkunde im Art. 24 denselben durch den 8atz: .den religiösen
Unterricht in der Volksschule leiten die betreftenden Religionsgesell-
schaften' zugesichert hat und dabei dem ui^prünglichen Sinne dieser
Zusicherung entsprechend insbesondere auf Feststellung folgender
-Rechte Bedacht zn nehmen: 1. In das Amt des Yolkssehalldirers
dürfen nur Personen berufen werden, gegen welche die kirchliche
Behörde in kirchlich -religiöser Hinsicht keine Einwendung gemacht
hat Werden später solche Einwendungen erhoben» so darf der Lehrer
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475 —
SDT Ertheilnnir des BeUgConsnnteiTidites nicht weiter zngelABsea
werdeD. 2. Diejenigen Organe zn bestimmen, welche in den einzelnen
Yolksscliulcn den Religionsunterricht m leiten berechtigt sind, steht
ansschließlich den kii'chlichen Oberen zu. B. Das zur Leitung des
Beligionsnntenichtes berufene kirchliche Organ ist befugt, nach
eigenem Ennessen den schalplanmäßigen Religionsunterricht selbst m.
crtheilen, oder dem Religionsunterricht des Lehrers beizuwohnen, in
diesen einzuo^reifen und für dessen Ertheilnno: den Lehrer mit Wei-
sungen zu versehen, welche von letzterem zu befolgen sind. 4. Die
kirchlichen Behörden bestimmen die für den Religionsunterricht und
die religiöse Übung in den Schulen dienenden Lehr- und Untemchts-
bücher. den L^rafang und Inhalt des sclmlplanmäßigen religiösen Uuter-
ricliisstoties und dessen Vertheilung auf die einzelnen Classen."
In Österreich sind ähnliche Vorschläge j^emacht, nur in anderer
Fassung. Man spricht zwar nur vom Religionsunterrichte, thatsäch-
lich aber will man die T^ehrer und die Schule in unbedingte Abhängig-
keit von den kin hlichen Oberen bringen.
Die Grundschule der Völker, die Volksschule, kann keine anderen
Wege gehen als die Staaten bei der jetzigen Civüisation, in der die
Staaten sieh nor confessionslos gestalten dttrfen. Dasa drängen, abge-
sehen von localen und pecnniären Grftnden, schon die modernen Ter^
kehrsTerhftltnlsse, bei denen von einer Beschränkung nicht mehr die
Bede ma kann, vie im MitteUiIter. Thatsflehlich smd die meisten
Volksschnlen In den enropftischen Staaten noch immer eonfessionell,
indem meistens Theologen der betreffenden Confession den Religions-
unterricht ertheÜen nnd die Beligionshücher dn^ confessionellen In-
halt haben.
Für eine blos christliche, aber confessionsfreie Volksschule kftme
noch etwas in Betracht, an dias noch wenige gedacht haben, weil es
sich schon nach den vier ersten Jahrhunderten des Christenthums ein-
gelebt hatte. Allgemein nimmt man heutzutage an, dass die Taufe
fldion eonfessionell mache. Ist dieser symbolische Act nicht ein all-
gemein christlicher? Die verfolgte Brüdergemeinde der Waldenser
erblickte in der Besprengung der Unmündigen nur eine vorbereitende
Namentaufe und erwartete eine innere Wirkung von der wahren
Taufe nur dann, wenn das Bekenntnis des Glaubens (confessio) seitens
des Täuflings hinzukomme. Nun kann aber das Bekenntnis erst bei
der ..('ontirniation'' abgelegt werden, wodurch der junge Christ einer
<ler lu'sirhcndt n Kirchengenieinschaften zugeführt wird, und die Vor-
bereitung dazu sollte vernünftigerweise nicht vor dem 12. Lebensjahre
34*
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— 476 —
geschehen. Vor dieser Zeit gehOrt das Kind dgenüich zu keinei*
Coufeasl«»!, irie es Ja aneh noeh sa keiner ^fkugeriichen GesellBduft gehört
Die sogen. Gonflnnation (Firmuiig) ISast sich vergleichen mit dem
Anziehen der toga ▼iriliB bei den BOmem nnd der mittelalterlichen
SchwerÜeite, d. L Wehrhaftmachnng.*) Erst bei solchen Feierlichkeiten
wurde das Jonge Volk als mfindig erklärt Ifit dieser Anschaaqng
steht es vielleicht im Znsammenhange, dass die Osterreichische Gesetz
gebnng folgende Bestimmung getroffen hat Ln Art 4 des Gesetaes
vom 25. Mai 1868 heifit es nftnlich: „Nach yollendetem 14. Lebens-
jahre hat jedermann ohne Unterschied des Geschledites die freie Wahl
des BeligioDsbekenntnisses nach seiner eigenen Überzengong.^ Vielleicht
ist auch (las noch zu frUh; nach altdeutschem Rechte musste sich der
Jüngling bis zum 21. Jahre yom Vater bevormunden lasseUi dann erst
ward er selbstständig.
Auf eine theologische (dogmatische'^ Betrachtung der Taufe gehen
wir hier nicht ein. Bei allen morgenländischen Völkern galt äußer-
liche Waschung oder Besprengung als Symbol der inneren Reinheit,
und diese Bedeutung entwickelte sich besonders mit dem Christenihum
als Wiedergeburt, dann als Aufnahme der Juden und Heiden in die
Christengemeinschaft. Die Kindertaufe ist erst seit Augustinus, also etwa
400 Jahre nach Christus, herrschende Sitte geworden, ohne dass dafiir
ein Befehl Christi und der Apostel v(»rliegt. Die verschiedenen Kirchen
haben aber diese schöne Sitte beibehalten, nur sollte man sich nicht
der Meinung hingeben, als ob ein Kind katholischer Eltern dadurch
eine andere Religion erhielte, wenn es etwa von einem protestan-
tischen Geistlichen, oder umgekehrt, getanft wird. Die Taufe ist ein
christlicher Act, aber kein confessioneUer. Es wird auch hier wieder
„Eirchengesellschaft*' mit „Religion oder Christenthnm" verwechselt.
Wir haben den UnterseMed bereits im Ifarzheft des «Pftdagogiams**
1889 dargelegt.
Welche Folgerungen alles dies fftr die Kinder unserer Volks-
schnlen hat, braucht wol hier nicht weiter hervorgehoben an werden.
Die Simultanschule ergibt sich daraus von selbst Eine Trennung
wäre schon wegen der fi»t ttberall gemischten Bevölkerung und
wegen der Kosten nur an einzebien Orten ansflfhrbar. Hanptbedingung
für eine gemeinsame (simultane) Volksschule ist, dass innerhalb der
Schule nur das allen Christen Gemeinsame gelehrt und gefibt werde;
*) Vgl. die trcfnichc AI li uullung (Pädagogik des deutschen Kitteblten) TOB
Fnuiz Bianky im Ö. Jaiuebbericht von St. Anna in Wien, 8. 29.
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— 477 —
alles andere gehört in den Confirmandenunterricht, der den TheolK^^^en
überlassen bleibt. Den Eltern sollte es freistehen, für ihre Kinder
die Wahl zu treffen, welcher chnstlichen Kirche sie dieselben zuführen
wollen.
rV. Pädagogischer Unterricht in Religion und Sitte.
Der Gegensatz zur clericalen Volksschule, die nur confessionellen
Unterricht auf Grundlage des alten Katechismus und der noch mehr
yeralteten Lehrmethode yerlangt und damit wieder eine Brflcke hei>
stellen will zor Hemehaft Uber das Volk, bildet die staatiieh»
Volksedmle aaf Onmdlage der fortgeBchritteneB Pftdagogik und der
sonstigen wissenschafttiehen EmmgeDscliaften. Also: Theologischer
oder padagogisdier BeUgionsnntemcht? Das ist die Frage.
An nns tritt efaie Forderong des zur Neige gehenden Jahr-
honderts heran, die schon im vorigen Jahrhundert ihren Schatten
Torans geholfen hat Im Jahre 1777 lemte Kaiser Josef n ein Bnch
von Langoinais kennen, das n. a. für den Beügionsnntäridkt forderte:
„Keine Dogmatik, sondern die ethischen Gmndsätie der Togend und
Menschenliebe." Das war dem großen Kaiser aus dem Herzen ge-
sprochen, und die Geschichte seiner kurzen Regierong best&tigt e&
Was damals einzelne Denker nicht ausführen konnten, davon ist der
Geist unserer SSeit erfüllt. Kaiser Josef hat's nicht erlebt, nnd wir
Alten erleben es vielleicht auch nicht, aber das darf uns nicht ab-
halten, immer wieder darauf zurückzukommen.
In Confessionsschulen ist der Dogmatismus zu Hause, die Begriffe
Theologie und Religion werden fort und fort verwecliselt. Und wie
sind wir dazu gekommen? Bei Beantwortung dieser Frage nehme
ich drei Perioden in der Entwickelung des Cliristenthums an: 1. Den
großartigen und sieghaften Apostelzeiten, welche die einfachen, ur-
sprünglichen Lehren Christi uocli festliielten , folgte das legendisch-
hierarchische Zeitalter, das mit der Höhe der Verweltlichung der
Kirche schloss (12. Jahrhundert); 2. dann erhob sich in der Mystik
und einigen „Ketzern" (d. h. Reingläubigen) der evangelische Geist,
um die Freiheit des Denkens und Glaubens zu erobern und die Ge-
meindekirche wiederherzustellen ; die Flamme wurde von der päpstlichen
Kirche geldscht, doch derFonke konnte nicht erstickt werden*); dann
folgte 8. die Beformation, haapts&chlich gegen Born gerichtet, aber
der Dogmatismus blieb', denn Bekenntaisschriften Und Katechismen
*) nie besten Schriften darüber sind: Staat'^archivar Keller, „Die Ref ormation
and die älteren Beformparteien'' (^Leipzig, Hirzel 1885); J. v. Döllinger, „6ecteu-
geschichte des Mittelalte»" (Manchen 1890).
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8oUt«n die Unterschiede dareteUen. DasZosammenwirken der Literatur
des letzten JalurhuidertB In Yerbindong mit der neueren Katar* und
Bbelforsehung scbeint eine nene Wandlang vorznbereiten, die schon
Lessing geahnt hat am Schiasse seiner Schrift: „Die Erziehung de»
Menschengeschlechtes.'' %
Die Geschichte der Menschheit nimmt einen langsamen Oang. Anf
diesen hat auch Lessing hingewiesen in dieser Schrift Er hringi
darin die Oifonbamng mit der Ersiehong des Menschengeschlechtes in
Zusammenhang. Leasing sagt: „Was die Eiviehung bei dem einnelneik
Menschen ist, ist die Oflbnbarung bei dem ganzen MenschengeechlechteL
Erziehung ist Offenbarung, die dem einzelnen Menschen geschieht^
und Offenbarung ist Erziehung, die dem Menachengeschlechte geschehen
ißt und noch geschieht. Ob die Erziehung, aus diesem Gesichtspunkte
zu betrachten, in der Pädagogik Nutzen haben kann, will ich hier
nicht untersuchen. Aber in der Theologie kann es gewiss sfehr großen
Nutzen haben und viele Schwierigkeiten heben, wenn man sicli die
Offenbarung als eine Erziehung des Menschengeschlechtes vorstellet.''
Lessings Anwendung dieser Sätze auf die Kelitriun lassen wir
hier beiseite, behaupten aber, dass sie auch für die Pädairogik von
Nutzen sein können. Wie Gott stufenweise das „auserwahlte Volk"
der Juden zur Erkenntnis brachte, so kann dies auch bei der Er-
ziehung des einzelnen Menschen geschehen. Und dies ist das Ge-
heimnis der Methodik im Jugendunterrichte, auf das selbst der größte
Lehrer der Menschheit hingewiesen hat, indem er sagte (Ev. Joh. 16,
12): „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht
tragen." Lessing weist auf das Alte Testament als Elementaibucb
fir das jüdische Volk hin. In diesem Elementarbache fehlen z. E.
die lichre yon der Unsterbliehkeit und die damit verbnndene Strafe
und Belohnung in einem künftigen Leben* „Ein Elementai'bueh für
Kinder'^, sagt Lessing, «darf gar wol dieses oder jenes wichtige Stück
des Wissens mit StiUsohveigen übergehen , yon dem der Pädagog nr-
theUtOi dass es den Fähigkeiten der Kinder, f&r die er sdurieb, noch
nicht angemessen sei. Aber es darf schlechterdings nichts enthalten,
was den Kindern den Weg xa den znrQckbehaltenen wichtigen Stücken
versperre oder yedege." Übrigens seien Vorübungen, Ans^elungen
(z. B. die Bedensart „lu seinen Vitem yersammelt werden**) und
Fingerzeige gani am Platze; ebenso allegorische Einkleidungen und
sinnbildliche DarsteUangen (Schöpfungstage, verbotener Baum. Thurm-
bau zu Babel etc.). Das alles eignete sich für ein Volk in seiner
Kindheit, und wir dürfen es heute noch in ähnlicher Weise für unsere
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Kinder verwerten, aber nur für ein gewisses Alter. Als in der Ge-
schichte Israels die Zeit gekommen war. erschien Christus und ver-
vollständigte die Lehre fär die, welche dalui empfänglich waren, und
swar in einer Art und Weise, die damals zur Annehmung seiner Lehre
vom Beiclie Gottes und seiner Sendung wichtig gewesen ist „Jetzt%
meint Lesiing, „sd es zor Erkemrang der Wahriieit dieaer Lehr«
nieht mehr ao wichtig." Daa Nene Testament war daa aweite, hOere
Elementarbneb flr daa Menacbengeechlechtt nnd ea Ueibt einatweüen
die beste Gnmdlage fttr die reUgiOae Erziehong der Jagend and der
Volker, wenn andi die Aofhsaangen dea Bdialtea oft weit aoseinander
gehen nnd nnn adt bald 2000 Jahren die efaristliche Welt theila ge-
hoben, theüa entaweit haben.
Daa Vorstehende paast ganz wol an nnserem Thema, bd dem
wir sowol die Saehe als auch die Methode im Ange haben. Es ist
natürlich nnr eine gewisse Ähnlichkeit, die zwischen der Entwickelung
des einzelnen Menschen und derjenigen der Menschheit besteht, allein
wir dürfen diese Ähnlichkeit bei der geistigen Ausbildung nicht anBer-
acht lassen, am wenigsten bei der religiösen Erzidiong. Es wäre
eine Sünde wider den heiligen Geist — des Kindes, wenn man in den
ersten Lernjahren ihn behelligen wollte mit den Lehrmeinungen (Dog-
men) der Theologen. Ebenso sollen Eltern und Lehrer den jungen
Menschen einstweilen mit confession eilen Dingen verschonen. Die
Gewöhnung zu Pietät und guter Sitte kann nicht früh genug
begonnen werden, aber der Einführung in eine Religionsgesellschaft
(Kirche) und ihre Glaubenssätze muss ein geschichtlicher Unterricht
vorausgelien , wie er für die Jugend sich eignet. Das Kind hat für
die gesellschattüchen Gestaltungen und Vereinigungen im Leben weder
ein Interesse noch ein Verständnis. Gibt man dem Kinde doch auch
erst Milch und nicht Fleisch, und zum Lesen erst einfache Geschichten,
den Robinson u. dergl., nicht aber den „Faust". Die Lehre von Mein
nnd Dein gehört in die Volksschule, aber nicht die Jnrispmdenz;
ebenso Kenntnisse aos der Natnrknnde,. aber nieht Natnrphüosophie;
aidi daa Zeichnen, aber nichtEnnatgienÄidite; ebenso SpiMhftbangen,
aber nieht Philologie. In gleichem Verhlltniase stehen religidae nnd
sittliche BegriffB snr Theologie nnd snm kirchlichen Dogma, wie ihn
dar Katedriamna bietet.
Viele haben eine nnnOthige Farcht vor den Folgen der Ent»
wickehmgstheorie Darwins, Haeckels n. a. Keine Wissenschaft, ins-
besondere aber die Anthropologie, Philosophie nnd Theologie wird
sich den Oonseqnenaen dieser neuen Lehren entliehen können. Am
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— 480 —
mdsten wehren sich die Theologen dagegen. . Unleugbar hat dieee
Lehre auch dnen Einfluss auf den Religionemiterricht, aUein der
Jugendmitenicht hat nichts mit der natdrlichen SchOpfungslehre
oder der monistischen Ethik zn schaffen. Eine richtige Pftdagogik
mnss wissen, was für die Jngend gehört und was Sache der Wissen-
schaft ist Niemandl sagt Canieri, denkt daran, den Darwinismos
unter die G^egenstlode der niederen Scholen an&oneihmen, in die yer-
nnnftgemftß kein Gegenstand gehört, der eine höhere Ansbfldimg
voraussetzt.
Diese pädagogische Einsicht haben die kirchlichen Religionslehrer
bisher nicht gehabt, denn seit Jahrhunderten sind die theologischen
Lehitneinungen in den Händen unserer Kinder. Der Katechismns
war fast die einzige Grundlage für den Religionsuntemcht. Fertiges
hat man den Kindern eingegeben, ohne zu bedenken, dass aus ge-
bratenen Eiern keine Küchlein kommen, dass man Meld nicht säen
kann. Selbst katholische Pädagogen haben dagegen geeifert, z. B.
Overberg nennt das mechanische Auswendiglernen des Katechismus
eine uiiiiiitze und schädliche Plagerei (vgl. Kellner, Ei-ziehungsge-
schichte 2, HU)). Man frage in Städten und Döifern, welchen
Schrecken das Buch eingeflößt hat, und wie nachhaltig der Widerwille
gegen das Auswendi^'lernen der theologischen Lehrmeinungen (denn
das sind die ,. Dogmen' ) ist. Sogar die Herren in den Unterrichts-
behörden haben ein solches Einsehen, dass sie bei Lehrplänen selten
über die obligaten zwei Stunden hinausgehen. Sie wissen ja selbst aus
eigener Erfahmng, wie saaer der Jugend diese mechanische Arbeit
wird. Wir fragen nun: Wird das im Interesse der Jngend nnd der
wirklichen religiösen Bfldung nicht bald anders werden? —
Vor mehr als 60 Jahren hörte ixdi schon «inen Prediger in der
WQste. Der war Diesterweg, damals 'nodi in seinem „stillen Hörs^
Der nnp&dagogische Dogmatismns Uieb vor wie nadi in katholischein
wie in protestantischen Schnlen. Leider mnss der Geschichtskenner
bestfttigen, dass selbst seit dem großen Geistesprocesse der Zeit
Walihen yon der Vogelweide (im iS. Jahrhundert) und der deutschen
Beformation (im 16. Jahrhnndert) die dogmatische Machtform, in weldie
Innocens HI. die Menschheit bannte, zwar gelockert, aber noch heute
nicht übeiwnnden ist Dieser langsame Gang der Menschenerziehong
scheint eben anch, um christlich zn reden, im Rathe der Yorsehnng
beschlossen. Sie scheint in Natur nnd Geschichte von jeher zwei
Mächte zuzulassen, die einander bekämpfen, und aus diesem Kampfe
geht die VervoUkommnong hervor, deren sich die Menschheit bereits
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erfreut. Die staatliche Gesellschaft wie die Schule haben immer gegen
rftekläufige Elemente zu kämpfen, die bald die Oberhand haben, bald
imterliegwi. Die Zeit te Soheiterliaiifen ist yorftber und die Waffen
sind andere geworden. Beide TheiLe kOsnen sich «nf die Antoritit
Christi stfttsen, der sagt (Ey. Matth. 10, 35): „Ihr sollt nieht meinen,
dass ich gekommen sei, Frieden ra bringen auf Erden. Ich bin nieht
gekommen, Frieden an bringen, sondern das Schwert**
Dieses Schwert hat ein Henschenalter bindnreh auch Diesterweg
geschwungen im Interesse eines yemOnftigen, pftdagogischen Beligiqns-
nnteniehtes fttr die Jagend, nnd wir dtlrftn. nicht aofhOrea, diesen
Kampf fortzusetzen. Der Staat wird in seiner Weise sich wehren,
aber ohne ihn kfimpft die Schnle yergebens. Beide haben gemeinsame
Interessen.
In npiipstcr Zeit hat man in Österreich viel darüber verhandelt,
ob sechs- oder achtjährige Schulpflicht. Das ist nicht einmal die
Hauptsache. Schon Diesterweg hat 1851 in den „Rheinischen Blättern"
den Religionsunterricht als die Haupt- und Lebensfrage der Schule
bezeichnet; „in ihm ist die Zukunft, die Wirksamkeit, die Stellung
und die Bedeutung der Schule beschlossen". Es ist dies der Schwer-
punkt der Emancipationsfrage, dit^ zusammenhängt mit der Frage, ob
die Schule confessionell sein soll oder nicht. So lange die Volksschule
conf'essionell ist, also so lange der Religionsunterricht der öffentlichen
Volksschule in den Händen der Kirchenpartei bleibt, wird die Schule
nicht frei sein. Das we iden nicht blos Deutschland, Fraukieich und
Belgien, sondern auch andere Staaten bald einsehen.
Der Dogmatismus, der die Spaltung in der Christenheit verur-
sacht hat, niuss wenigstens vom Jugendunterrichte fem bleiben. Man
sehe sich nur den Inhalt nnsei'er Katechismen an, den „Heidelberger"
mit eingeschlossen, und frage sich, ob diese Speise fttr die Jagend
yerdanlich ist*) Der Kern der ehristlichen HeUslehre lieBe sich auf
•) Der „Heidelberger" beginnt ohne weiteres mit der Frage: „Was ist dein
eini(;rer Trost im Leben und im Sterben?" Dann folgt gleich die fertige Antwort
* — zum Auswendiglernen! Vgl den Xleinen iLatechiamus. Wien, Scbnlbttcher-
veiiag 1880.
Anstatt dem alebealihiigw Kindern die BnehnAing der Welt, du Leben Jesa etc.
in Knlhfamgen m fobea, ifaidfla wir nur Fragen und Aatwortan sum Annrendig-
lernen, z. B.:
Frage: Waa sind die EngelV
Antwort: Die Engel sind reine Geister, welche Ventnnd nnd Willen, aber
keinn Leib haben.
Frage: Wanun wird Jenu der Sohn Gottei genannt?
r
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ein kleines Blatt schreiben. Wenn — wie es in Grimms Kleinen
Schiilteu 1, 218 heißt — ^wenn einmal die gesammte katliulische und
protestantische Kirche ilir (Tlaubens- und Sittengesetz auf eine geringe
Zahl einfacher Gebote beschränken wollte*) und darüber hinaus jeden
Menschen mit sich selbst und seinem Gewissen, wie es die duldsamen
Alten thaten, fertig werften liefie, so brauchte sie nicht länger Pro-
seliten za werben, nicht mehr Liebe und Hass ans demselben GeOfie
sa gießen.^
Auch Emannel Geibel klagte, dass Religion zur Theologie ge-
worden sei nnd die Besten entfremdet habe. Er gibt daher den Rath:
„Wollt ihr in der Xizolie SchoB
Wiflrr die Zerstreuten samraelo,
Miiiht die Ptorten breit und ^oß,
Statt sie selber zu verrammeln. "
Die persönlichen, ztim Theil gelegentlichen Mittheilangen der
Ältesten Zeugen des diristenthums, wie sie im Neuen Testamente Yor-
liegen, enthalten keine systematisch geordnete „Glanbenslehre*'. I>aza
wurden die Berichte nnd Briefe erst, als die Kirche ans ihnen die
Bekenntnisformehl ao&tellte, die dann als „Eirchenlehre*' galten, aber
dem einiSBichen apostolischen Christenthum wenig mehr Ahnlieh sahen.
Dagegen erhob sich eine Beaction schon in der Vorreformation (P.
Waldus, Wielif, Huss), am wirksamsten durch Luther mit seiner offenen
Bibel in der Hand. Bald trat aber aueh in der evangelischen Kirche
die neoformulirte Eirchenlehre in den Vordergrund: das lutherische
Dogma als abgeschlossenes Gegenstück zu der römischen Kirchenlehre.
Wir erinnern nur an die Lehrartikel der Augsburgischen (}onfession
im Gegensatze zu den Tridentinischen Beschlüssen. Das gab nun Stoff
für die Katechismen. Der Heidelberger oder Pfälzer Katechismus
wurde 1562 verfasst und ist so mit Inhalt und Form bis auf unsere
Tage unverändert gebliebon. Auf der anderen Seite verfassten die
Jesuiten (Canisius) ähnliche Lehrmittel zum Frommen der lieben
Jugend. Die „Religion" wurde jahrhundertelang fix und fertig dem
Gedächtnisse eingegossen, und dagegen hat die Pädagogik schon lange
Protest eingelegt und zwar nicht blos gegen die Form und Methode, '
sondern auch, im F.iirklange mit der neueren Schriftforschung, gegen
Ajitwot: WoQ V tob wriam h&maliB^ai Vater von Bwigkeit hör gaimget iit
Frage: Wie nennt man diejenigen, ^reiche Jesu Chzüti Lehre tekmea?
Antwort: Die nennt man katholische Christen.
Demnach wären alle germanischen Vülker kathoiiscbe Ckristen!
*) Man 7gL auch „Pfiedagogiom" 1880 im 1. Hefte S. 88, tsmer 8. Heft
& 148%., NoTember 1888 & 100 iL «. 0.
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den Inhalt, der ala „von Gott eingegebene" Offenbarung dargestellt
wird.
Zar Beligion und Sitte moss der junge Mensch erzogen werden.
Soü er lam Beoken angeleitet werdeii so daxf maii ilim nichts Feiv
tiges, Abgeschlossenes bieten. Zum Thnn Icann Jemand gezwungen
▼erden, aber nicht som Qlanben. Nor die Mtm und der Staat
schreiben Gesetze vor, nnd diesen hat sich der Mensch als Kind nnd
später als Mitglied des Gemeinwesens unbedingt zn fftgen. In religiösen
und geistigen Dingen ist dies anders. £3n von Theologen an^sesteUtes
Dogma kann nicht verbindlidi sein, das beweist schon der Name. Das
griechische Wort dokeo heiltt: ich meine, wihne; Dogma beieicluiete
orsprllnglich die tfeinnng, den Lehrsats eines griechischen Philosophen.
Wenn nun in päpstlichen Concilien durch Beschlnss etwas angenommen
wurde, so folgt daraus nicht, dass alle nicht clericalen Glieder der
Kirche dies als das einzig Kichtige and Wahre annehmen müssen.
In einer zeitgemäßen Schrift von Bähring („Die Reform des
christlichen Religionsunterrichtes'*) lesen wir folgende bemerkenswerte
Stellen: „Christus hat keine dogmatischen Lehrvorträge gehalten, die
dai-auf angelegt gewesen wären, gewisse Lehrsätze zum Gegenstand
verstandesmäßiger Erörterung zu niacheu und dem Gedächtnis ein-
zuprägen, wie es die Rabbiner mit ihren Satzungen thaten. — Ver-
schiedene Ursachen wirkten in der Folge zusammen, um das priester-
liche Bewusstsein der Gemeinden zu unterdrücken und die anfangs
aus den Gemeinden durch freie Walil hervorgejs^angenen Ältesten und
Vorsteher zu einem Standespriesterthum zu erheben, das im Wider-
spruch mit dem Vorbild und den Weisungen der Apostel (2. Korinth.
1, 24; 1. Petr. 5, 1 — 4) als Mittleramt zwischen Christus und der
Gemeinde den Glauben zu Dogmen formulirle/*
Auch die Reformation ist auf halbem Wege stehen geblieben,
denn auch der Protestantismus zog durch seine Bekenntnisschriften
der Glaubens- und Gewissensfreiheit bestimmte Grenzen, obwol bei
weitem nicht so enge wie die päpstliche Kirche. Wir sehen dies in
' den TielfiMh veralteten Confessionskatechismen (dem Lutherischen nnd
Heidelberger).
Die evangeUsche Kirdie ist wol am ersten, imstande mit einer
Beform Toranzngehen, d. i znr HersteUong eines Uber die Schranken
des Gonfessionalismns hinansreiGhenden, allgemein dnistUchen, anf
einen in wahrer Kenschenliebe thätigen Glanben hinwirkenden
BeUgionsmiterrichtes. »Was will man^ sagt der oben erwähnte
Bähring, „die Jagend noch mit Bekenntnisformetal plagen, die selbst
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so conservativ gesinnte Theologen wie Palmer niolit mehr festhalten
können, wenn sie elnlich sein wollen? Begreift man nicht, dass ein
solcher Unterricht in sittlicher Bezir4uing sogar verderblich wirken
kann? — Der Mensch wird nicht als Lutheraner oder Katholik,
sondern als Mensch geboren und tritt durch die Taufe nicht in eine
besondere Oonfesdon, sondern in den allgemeinen Bund der Christen-
heit«eiii.''
Die Schule ist Henschenbildungsanstalt, die Kirche GJanbens-
gemeinschaft. Beide haben also verschiedene Aufgaben. Eine spe-
cielle Angabe des Inhaltes für einen pädagogischen Beligions-
unterrieht behalte ich mir fftr eine spätere Abhandlung yor.
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Die alten Glasfiiker anf den preußischen Oyinnasien. *
Fortsetzung.*)
Von BeektgoMpalt Ihr. Otto von IMhmanHrQrcifnoaid.
CjTegen die in meiner ersten Abhandlnngf über diesen Gegenstand
gemachten Vorjichläge sind von manchen Philologen Einwendungen
erhobeD, welche sich hauptsächlich darin concentriren, dass für einen
lateiniflchen Dichter wöchentlich eine Schulstunde nicht genüge, sondern
zwei Standen wöchentlich unumgänglich nOthig seien, ind dass der
Sophokles im griechischen Urtext duidiaiis nicht fbrtMen dflrfe.
Hiergegen mOchte ich nodi einige Gründe Yorbringen nnd sngleich-
eyentoeUe VeimittelungsvorschlAge machen.
Feiner ist beim Entwarf des Lehrplans für unsere Oymnasien
. nicht berttclDBichtigti dass ein groter Bmchthefl der SchOler nnr ein
Jahr in der Seeonda sitst nnd dann das Oymnasiam ginzlich verUsst»
weil diese Zeit genügt, nm ihnen das Becfat nun eiigahrig-freiwil-
Ugen MilitSrdienst zn geben. Dies mnss beim Lehrplan berücksich-
tigt werden.
Endlieh halte ich für dringend nothwendig, dass bei
unserem Gymnasialunterrichte auf Weltgeschichte, be-
sonders vaterländische, und auf deutsche Sprache weit mehr
Gewicht gelegt werde als bisher.
Diese drei Punkte sind es, welche mich veranlassen, zu meiner
ersten Abhandlung über die alten Classiker anf den prenßtBchen Gym-
nasien noch diese Fortsetzung hinzuzufügen.
Üie lateinischen Dichter.
Der größte Fehler im Lehrplan unserer preußischen Gymnasien
besteht dai'in, dass die Schüler viel zu früli mit der Lectiire der la-
teinischen Dichter beginnen und viel zu viel Zeit auf die lateinischen
Dichter verwenden. Die lateinische Poesie, welche auf uns gekommen
ist ist ja nicht aus dem Sinn und dem Herzen des römischen oder
des italischen Volkes selbstkräftig und naturwüchsig herausgewachsen,
«) YffL Jahig. XI, 617 ff. D. B.
«
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sondern ist mit einziger Ausnahme der Satjrren) nur Nachahmung
der griechischen Dichter. Die lateinische Poesie ist eine Treibhaus-
pflanze. Wenn ich einen Schüler ülier ein Land unterrichten will
und ich richte meinen Vortrag zum großen Theil auf diejenigen
Pflanzen, welche in jenem Lande nur in Treibhäusern wachsen, so
bekommt der Schüler eine ganz verkehrte Vorstellung von jenem
Lande. Ebenso wenn fast ein Drittel der lateinis( lien Leetüre auf
den preußischen Gj'mnasien in der lateinischen Poesie, diesei- Treib-
hauspflanze, besteht, so bekommt der Schüler eine ganz verkehrte
Vorstellung von der lateinischen Sprache und von dem römischen
Volke. Das römische Volk war keine poesievolle Nation. Es steht
ja in der Entwickelung der Rechtswissenschaft allen Nationen voran
und hat überhaupt im praktischen Geschäftsleben Ungeheures ge-
leistet Aber die lateinische Poesie hat sich weder ans dar eigenen
Natnr des rOmlsehea Ti^IkM «itwiekielt, noch einen maßgebenden oder
andi nnr erheblichen Einflnss auf die Entwickehuig des römischen
Lebens^ des rOnusehen Denkens nnd Empfindens ansgettbt
Ich Terkenne dnrcbans nicht die große Knnst, welche sich in den
lateinischen Diditnngen zeigt Während Homer ans dem miindlicben
Vortrag die Freiheit ttberfcommen hat, in dnzehien Silben bal^ lange»
bald knrae Vocale an gebranchen, nnd ihm der Versban dnrch manche
kleine Fkffükelchen sehr erieichtert wird, so mnss der lateinische
Dichter sich ohne ^«se HiUunittel helfen. Er wird daher hluflg in
die Nothwendigkeit versetzt, des Versbaus halber eine gezwungene
Wortstellung vorzunehmen und einen Ausdruck zu wählen, welchen
er sonst wol nicht gewählt hätte. Aber die gi-oße Kunst, mit welcher
der lateinische Dichter diese Schwierigkeiten überwindet, sieht der
Tertianer oder der üntersecundaner noch nicht ein. Solcher jugendlicher
Schüler erhält nui* den Eindruck, dass Ovid oder Virgil mit großer
Kunstfertigkeit die einzelnen Wcirter in den Vers hineingeklemmt
und ihm damit die Mühe bereitet habe, die einzelnen Vocabeln
nun wieder zusammenzusuchen, wie sie im Satzbau zu einander ge-
hören. Schon Lessiug in einem seiner kleinen Gedichte bemerkt spot-
tend, die Lehrer, welche mit kleinen Knaben den Ovid lesen, zeigten
dadurch, dass sie selbst den Ovid nicht verständen. Aber diese
scharfe Benierkuug Lessings hat bis jetzt leider nichts genutzt.
In vieleu philologischen Kreisen gilt es für ersprießlich, wenn der
junge Philologe schon eine Bekanntschaft mit möglichst vielen alten
Qassikern auf die Universität mitbringt. Diese Rücksicht hat auf
den Lehrplan unserer Gymnasien stark eingewirkt, obgleich kaum ein
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Fünftel von den Schülem unserer Gymnasien später Philulugie stii-
diren. Ferner hat auf den Lehrplan auch wol eingewirkt der un-
glückselige Ehrgeiz, die Schüler ,.recht weit zu bringen" und selbst
die schwersten Classiker mit ihnen schon auf der Schule zu lesen. So
ist denn die Leetüre der alten Classiker auf unseren Gymnasien all-
zusehr in die Breite getrieben. Und weil unter den lateinisclien (las-
sikern die Dichter natüilich am scliwersten sind, so liält man darauf,
ja schon recht früh den Schüler mit den lateinischen Dichtem be-
ginnen zu lassen. Und so wird denn schon der Tertianer dam ab-
gerichtet, daas ee den Ovid, den er nfclit yenteht^ wenigstens noäi-
weise übersetzen kann. Und dem ünterseenndaner ergeht es geradeso
mit dem Virgil.
Ich meine nun: Unsere Gymnasien dfirfen keine Uofien Vor-
sdralen flr eine einzelne Facnltttt sein. Noch viel weniger dOtfen
die SchUer eine einseitige oder gar schiefe Aosbildnig erhalten, ledig-
lich in der Hoffinmg, daas bei demjenigen SchtUeni, welche apftter
Philologie atndirent deivinat in höheren Stndiensemeatem die Sadie
ins Gleichgewicht kommen ymöa. Das Gymnaalnm aoll eine aUge-
meine Ansbildong für das Leben geben, mag der Schiller sich später
einer der yier Facoltäten zuwenden, oder mag er von der Schule
direct ins praktische Leben eintreten. Der Lehrplan des GymnasiamB
muss also einen AbschloflS in sieh selber haben. Das, was dem
Schüler gelehrt wird, muss schon auf der Schale selbst dem Schüler
in Fleisch und Blut übergegangen sein. Ob dieser Zweck erreicht
ist, dafür ist der beste Prüfstein der, ob der Schüler auf der Schule
die Wissenschaften so lieb gewonnen hat, dass er auch später sich
mit ihnen beschäftigt, ohne durcii sein sogen, iirodstndium dazu ge-
zwungen zu sein. Und da dies fost durchgängig nicht der Fall ist,
so muss der Umfang des zu Lt In enden, insbesondei e die Anzahl der zu
lesenden alten Classiker eingeschränkt werden, damit in diesen engeren
Grenzen das Wissen des Schülers eine gewisse Abnmdung und die
Gesammtausbildung des Schülers einen gewissen Abschluss erhält.
Nach dem ohen Ausgeführten wird im Verhältnis zu der so sehr
wichtigen lateinischen Prosa auf unseren Gymnasien ^iel zu viel Zeit
auf die ja viel weniger wichtigen lateinischen Dichter verwendet. Aul
einem ebenso unrichtigen Princip beruht es, dass mit den lateinischen
Didrtem vfel frtther begonnen nnd flberiianpt der Schiller .damit ykSL
mehr besolUUtigt wird, als mit den griechisehen' Diehtern, Ton denen
die lateiniadie Poesie doch nur eine Nachahmung ist Diese viele nnd
anhaltende Beschftftigong des Schttlers mit der lateinischen Poesie be-
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ruht also nach zwei Riclitungeu iiiu auf einem unrichtigeu Princip, Tiiim-
lich sowol im Vergleicli mit der lateinischen Prosa als auch im Vergleich
mit der griechischen Poesie. Mit der lateinischen Poesie wird der Schüler
aber sechs Jahre hindurch wöchentlich zwei Schulstunden beschäftigt;
und außerdem erfordert ja gerade der Dicliter eine besonders müh-
same und zeitraubende Präparation. Indem also ein so bedeutender
Theü von der Arbeitskraft des Schülers nach einem unrichtigen
Princip verwendet "wird, dadurch ist der ganze Lehrplan unserer
Gymnasifiii in eine aeliiefe Lage gerathen.
Insliesondere dem Tertianer bringt der (Md nidit nur viel MOhe
und ZeitveilQBt) olrne ilun za nlltKen; sondern der Ovid Inlngt iJim
sogar positiven Schaden. Denn die Beschftftigang mit diesem Dicliter,
wddien der Tertianer nicht versteht, gibt seiner Ausbüdnog etwas
Yersohntbenes nnd erschwert es aofierdem dem Tertianer, in der la-
teinischen .Grammatik sich einige Sicherheit anaoeignen. Von den
beiden Schnlstonden, welche jetst in Tertia wöchentlich auf 0vid ver-
wendet werden, will ich mne anf Nepos verwenden, so dass der Ter*
tianer im Sommersemester noch eine Nepos-Stnnde mehr bekommt, als
nach meinem früheren Vorschlage, und er im Wintersemester neben
dem Caesar eine Stunde wöchentlich Nepos liest. Ich lege ein sehr
grofles Gewicht darauf, dass schon der Tertianer soweit kommt, den
Nepos ohne sonderliche Mühe lesen zu können. Denn in dem Zeit-
punkte, wo der Schüler den ersten lateinischen Schrift-
steller, wo er seinen Nepos ohne sonderliche Mühe lesen
kann, da beginnt er die lateinische Sprache liebzugewinnen
und sich in ihr heimisch zu fühlen: er fülilt sich als Lateiner.
Es ist ein arger Fehlet- unserer meisten Pädagogen, dass sie mit den
Schülern stets nur solche Schriftsteller lesen wollen, welche dem
Schüler schwer werden. Da muss ja die lateinische Sprache dem
Schüler zum Ekel werden. Da ist es ja natürlich, dass er die latei-
nischen Klassiker beiseite wirft, sobald er ii-gend kann und darf.
Nicht nur in Tertia, sondern auch in Secnnda und Prima
muss der Schüler neben den lateinischen Classikern, welche
ihm sauer werden, stets auch einen lesen, welcher ihm leicht
wird; nnd dam eignet sich am meisten deijenige SchriftsteUer, in
welchen er in der vorhergehenden Glasse sich eingelesen hat Übrigens
Nepos* Leben des Atticos wird anch noch der Secondaoer mit Nntawn
lesen, nnd er wird dadurch mit dem rOmisdien PrivaÜeben einiger-
maiten bekannt gemacht werden. Wenn der Schiller sich in efaien
Schriftsteller eingelesen hat, dann boH er ihn nicht beiseite legen.
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Denn erst dann beginnt dessen Lectüre ihm den haui)tsächlii"hsten
Nutzen zu bringen. Erst dann kann der Schüler den Inlialt des
Schriftstellers im Zusammenhange gehörig verstehen. Erst hei der
wiederholten Lectllre des schon Gelesenen prägen sich die Rede-
wendungen und Vocabeln gehörig ein; und der Schüler bekommt da-
durch eine ganz andere Vocabelkenntnis und Sprachkenutnis.
Auch in Untersecimda will ich noch keinen lateinischen Dichter
didden, sondern erat in Obenecimda damit beginnen. Wo abo die
ganze Seconda zusammen " in demeelben Classenlocale onterriehtet
wild, da dürfen di^enigen Schtttar, welche noch kein Jahr in der
Seconda gesessen haben, an der LectOre des lateinischen Dichters
nicht theibiehmen. Ich habe dalllr folgende Qrftnde:
1. Alsdann eriiält der Schttler eine genügende Sicherheit in der
lateinischen FMi nnd in der lateinischen Grammatik, bevor er mit
dem lateinischen Dichter beginnt
2. Wenn die Lecthre der lateinischen Dichter in Obersecunda be-
ginnt, so ist der Schüler reif dazu, den Dichter zu verstehen. Und
drei Jahre sind überreichlich Su den SchÜer cor BeschAftigiug mit
lateinischer Poesie.
3. Nicht durch einen lateinischen Dichter soll der Schüler, in die
Poesie der Alten eingeführt werden, sondern durch einen griechisehen
Dichter, und zwar durch den Tyrtaios in Untersecimda.
4. Diejenigen Scliülei-, welche nui* behufs Elrlangunj:^ der C^nali-
licati(tn zum einjährigen >[ilitärdienst ein Jahr lang die Secunda be-
suchen, die sollen überhaupt keinen lateinischen Dichter lesen, sondern
ihi'e Arbeitskraft auf die lateinische Prosa concentriren.
Bereit« im Eingänge dieser Abhandhmg habe ich erwähnt, dass
nach preußischen Gesetzen diejenigen das Recht zum einjährigen Mili-
tärdienst erwerben, welche das Gymnasium soweit durchmachen, dass
sie ein Jahr die Secunda besuchen. Manche Pädagogen sehen in
diesen Schülern, welche nur diese Qualification erwerben wollen, eine
Last ftr die Gymnasien. Ich meine: der Fehler liegt darin, daaa aehon
in Tertaa und T^nteraeconda lateinische Diditer geleeeft midka. Diese
▼erkehrte Einrichtu^r des Lehriilaiia Übt fineüich ihre schädliche Wir-
kung aoch anf die A^iranten dea eii^|ahrigen Militlrdienates ans.
Denn wdl dieee Aapbanten in Tertia und Unteneennda, alao drei
Jahre hindoreh, mit den ihaaB nnveratlBdliehen lateiniachim Dichtem
nntak» geqaäH werden, so lernen sie aoch ton der lateiniaehen Prosa
nichts OrdentUches; aoaden waa aie Latefaiisdiea gelent haben, daa
wird in ihrem Kopfe mm wüsten Chaea. Dagegen wenn in Tertia
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uud Uotei'secunda keine lateinischen Dichter gelesen würden, so
würde diesen Militäraspiranten dei* Nepos vollständig geläufig und auch
Gaesar und der von mir besonders warm empfohlene Sallnst geUlnflg
werden, und ihnen der lateinische Unterricht zor Kttmng und SchSr-
ftang ihrer AnfGusungefthigkeit wesentlich nfltaen. Andi dei' üntisr^
rieht selbBt ip den lateinischen Dichtem wOrde gewinnen, wenn jene
Uüitftrasplranten nicht daran theünAhmen. Ich hoffe daher, dass dieser
mein Vorschlag Anklang finden wird.
Dagegen mOchte ich elneii wöchentlich zweistündigen Unterricht
in der Chemie als &cnltatiT ehigeffthrt sehen, an wdchem jeder Se-
cnndaner und Primaner, welcher dazn Loat hat, theilnehmen kann.
Es würden dadurch die Wünsche auf größere TierücksichtSgang der
Naturwissenschaften wenigstens theilweise befriedigt werden.
Jetzt komme ich zu demjenigen Punkt meiner Reformvorscbläge,
in welchem ich den lieftigsten Widerspruch namentlich von Philologen
erwarte. Ich will in Obei"secunda und in Prima den lateinischen
Dichter wüchentlicii nur einstündig lesen-, und zwar in Obei-secunda
den Ovid, in Prima Winters den Virgil und iSommers den Horax.
Über die Noth wendigkeit, die Lehrstunden für lateinische Dichter zu
verringern, habe ich ja ausführlich gesprochen. Das praktische Leben,
für welches ja doch die Schüler vorbereitet werden sollen, ist ja vor-
wiegend prosaisch, ja meistentheils sogar gewaltig prosaisch. Nun
hat zwar die Poesie die Bestimmung, uns Menschenkindern über
»manche Härten des praktischen Lel)eus leichter hinwegzuhelfen. Aber
wenn mit den Schülern allzu viel Poesie getrieben wii'd, so bekommen
sie eine ganz unrichtige Vorstellung vom Leben, und es wird ihnen
dadurch wesentlich erschwert, flkb dereinst im praktischen Leben
zurechtaufinden. Wir mttssen auf dem Gymnasium weniger
Poesie treiben und mehr Weltgeschichte. Und es mun gerade
das Studium der lateinischen Poesie hesehrinkt werden. Denn durch
die giiechiBche und deutsche Poesie weht doch ein viel frischerer
Hauch, ala durch die lateinische Poesie. Auch bei den latolnisGhen
Dichtem wttnsche ich, dass lieber weniger gelesen, das Gelesene aber
wiederholt werde, damit wenigstens etwas von der lateinischen
Poesie dem Schiller so geläufig werde, dass er es später ohne Mtthe
lesen kann.
Filr den Fall nun, dass ich mit meinem Vorschlage, die latei-
nischen Dichter wöchentlich nur einstOndig zu lesen, nicht durch-
dringe, will ich folgenden Vermittelongsvorschlag machen:
In Obersecunda und in Prima sollen die lateinischen Dichter
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wöchentlich zweistündig gelesen werden; und zwar in Ober-
secunda der Ovid, in Prima Winters Virgil und Sommei-s Horaz.
Aber die Schüler, welche ein -Jahr in Prima gesessen haben,
brauchen, wenn sie nicht wollen, an der Leetüre der latei-
nischen Dichter nicht mehr theilzünehmen ; und demgemäß
braucht auch beim Abiturieutenexamen niemand, der nicht wUl^
(las Examen in den lateinischen Dichtern mitzumachen.
Der Oberprimaner, welcher sich für lateinische Dichter nicht
, interessirt, würde alsdann also seine Zeit anderweitig anwenden können.
* Und lllr den Unterridit «iSbet, ftr die LeetQre d€0 Dichten iMtarde
«B ein Vortheil sein, wenn in Oberprima nur lanter Verehrer des
Dichten daran thdlnfthmen.
Die griechischen Dichter.
Nicht dorch einen latefaiischen Dichter, sondern durch einen
griechischen Dichter soll der Schttter muMres Qymnasianis in die
Poesie der Alten eingeflihrt werden, wie ich oben schon knn an-
deutete. Unter allen ndr bekannten Dichtem des Alterthnms ist
meiner Ansicht nach keiner, welcher sich hiem so sehr eignet» wie
die wenigen anf ans gekommenen Lieder des Tyrtaios. Denn zunftchst
sind sie leicht zu lesen, bis auf wenige abweichende dorische Formen,
welche dem Schüler leicht bekannt gemacht werden können. Den
Tyrtaios versteht ein Untersecundaner vollständig. Sodann haupt-
sächlich die patriotisrhe Tendenz, der einfache, klare Inhalt, die ein-
fache, schlichte und vielleicht j^orade deshalb so packende Darstellungs-
weise und die große historische Bedeutung der Tyrtaios-Lieder sprechen
dafür, mit ihnen die Leetüre der alten Dichter zu beginnen. Ich ent-
sinne mich noch sehr wol, welch tiefen Eindruck schon damals
Tyrntaios auf mich machte, als mir während meiner Schulzeit mal zu
fällig eine Sammlung alter griechischer Lieder in die Hände fiel und
ich still für mich ein Lied des Tyrtaios las. Und jetzt in meinem
reiferen Mannesalter habe ich noch öfter die wenigen uns erhaltenen
Lieder des Tyrtaios gelesen, und stets mit demselben Interesse. Die
von den Urvätern stammende spartanische Erziehongsweise, diese
strenge, sehr einförmige, ja sogar einseitige Schalung und Ausbildung
der Spartaner hat Tyrtaioe durch seine Lieder gewissemuJen ideali-
eirt und dem Gefthl seiner Zeitgenossen näher gebracht Und somit
hat er gewissemaäen eine Brücke geschlagen swischen der strengen,
ja starren und abetoftenden Einseitigkeit der Spartaner und d^ leichi-
beweglichen, vielseitigen, aniiehenden Genialität der Joner. T^ntaios,
den die Sage als lahmen Schulmeister beieichnet, war wol hauptsäch-
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lieh der Instructor, welcher die bei den Spartanern von altersher
herkömmliche militftriflche Ausbildung des einzelnen Mannes^
weiter entwickelte und dorch seine Lieder wenigstens indireet snm.
Oiuwiiigat der griechiBehen Nation machte, welche dadnrch in den
Stand gesetzt wurde, die Schlachten von liarathon, Salamis nnd.
Hatää m schlagen. Der Tyrtaios soll nmi in üntersecnnda gelesen
werden nnd den Schiller, in die Poesie der Alten einfuhren. Der alte
Dickter, mit welchem der Anüuig gemacht wird, kann ja natOrlich
anftngs nnr langsam gelesen werden; aber hierzu eignet gerade der ^
Tyrtaios sich ganz besonders, wefl seine Lieder nicht erzählende»
sondern Sinngedichte sind, nnd von ihnen schon kurze Abschnitte Ar
sich vei*sUindlich und fttr den Leser interessant sind. Vor Ober-
secunda soll kein anderer antiker Dicliter gelesen werden als Tyi-talos.
Die Lieder des Tyrtaios sind offenbar dazu bestimmt, von allen
Spartanern ohne Unterschied der Lebensstellung oder Begabung ge-
lernt zu werden, und sie haben dalier einen gewissen Beigesclimack,
der an eine preußische militärisclie Instructionsstunde erinnert. Ge-
rade deshalb eignen sie sich besonders für die Untersecunda. Denn
das ist ja die letzte (.'lasse, weh'he von den oben raehrt'ach erwähnten
Aspiranten des einjährigen Militärdienstes besucht wird. Es g\ht gar
keinen antiken Dichter, welcher sich so sehr zur Vf»rbereitung auf
den Militärdienst eignet wie Tyi'taios. Wenn die Ziiglinge unserer
Gymna.sien später als Recruten gedrillt werden, dann möge diese
ebenso uothwendige wie anfangs unbequeme militärische Detailaus-
bildung ihnen erleichtert wei'deu durch ihre Erinnerung an die Lieder
des Tyrtaios. Die Aspiranten des eiiyährigen Militäi'dienstes sollen
also anf der Schule keinen anderen alten Dichter lesen als den
Tyrtaios.
Erst in Oberseemida sott man damil beginnen, mehr Zeit auf die
alten Dichter in verwenden. Erst in Obersecnnda soll mit dem Ovid
nnd hauptsächlich mit der Ilias begonnen werden. Unter allen Qe>
singen der Dias sagen mir am meisten an: das dritte findi (Teieho-
skopie) nnd das sediste Bach (Hektors Abschied), das neunte Buch
(vergeblicher AnssOhnnngsversuek zwisehen Agimenmeli und Aehitt)
und das zweiondz wanzigste fiuch (Achills und Hektors Entscheidungs^
kämpf). Und diesen Geschmack dürften sehr viele Verehrer der Ilias
mit mir theilen. Ich winsehe daher, dass diese vier Bücher schon in
Obersecnnda geleeen und nachher mehr&ch wiederholt werden. In
Prima sollen sodann eben diese vier Bücher wiederholt werden nnd
auch andere Bücher der Ilias gelesen werden. Nur das dreizehnte
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Buch (Schlacht bei den Schiffen), das siebzehnte Buch (Kampf um die
Leiche des Patroklos) und das einundzwanzigste Boch (Achill im
Flosse Xanthos) sollen überhaupt nicht gelesen werden, weil diese
drei Bücher sehr viel Wiederholungen enthalten md daher den
Schüler leicht ermüden könnten. Es kommt mir aber gerade bei der
Ilias ganz besonders darauf an. dass der Schüler sie mit Lust und
Liebe liest. Die übrigen einundzwanzig Bücher brauchen nicht alle
gelesen zu werden. Aber wenigstens die ersten neun Hiicher, sowie
das: sechzehnte Buch (Tod des Patroklos), das neunzehnte Bncii (Aus-
söhnung zwischen Acliill und A£>-aniemnon) und das zweinudzwanzigste
Buch fEntscheidungskanipf zwischen Achill und Hekton müssen i,'e-
lesen werden. Der Ijehii r soll also soweit freien Spielraum hal)en,
dass er in Ol)erse('un(la und Prima, also in drei Jahren, wenigstens
zwölf Biiclu r Ilias mit den Schülern lesen muss und höchstens ein-
undzwanzig Bücher Ilias lesen darf. Während der ganzen Schulzeit
und anch beim Abitnrientenexamen soll kein anderer griechischer
Dichter yorgelegt werden dürfen, als die Ilias (mit Ansnaime jener
drei Bflcher) nnd der Tyrtaios. Ich will eben dnrehans das Interesse
der SchlUer anf diese bdden grieehischen Dichter concentriren.
Hiermit komme ich wieder aof einen Punkt» wo ich ^en starken
Widersprach seitens vieler Philologen erwarte» nftmlieh gegen die Ver^
hannnng des Sophokles yon unseren Gymnasien. Meine GrOnde habe
ich ja bereits in meiner ersfen Abhandlung Aber dieses Thema aiis-
einandergesetst Obgleich die große Bedeutung und die Schönheit des
Sophokles unbestritten ist» so folgt daraus dodi nicht» dass er in der
Ursprache nun gerade anf dem Gymnasium gelesen werden muss. Er
kann ja auch auf der Universität gelesen wei*den. Man wird mir ein-
wenden» dass anßer den Pliilologen &st niemand auf der Universität
dazu kommen werde, den Sophokles griechisch zu lesen. Dies gebe
ich als wahrscheinlich zu. Aber der Sophokles ist für die Schule zu
schwer. Um dem Wissen der Schüler eine gewisse Abnindung und
ihrer Ausbildung einen gewissen Abschluss zu geben. müs.sen wir
namentlich die Zahl der zu lesenden alten ('lassiker einschränken und
diejenigen alten ('lassiker i^anz wejrlassen. bei welclien wir nicht mit
Wahrscheinliclikeit erwarten kiinuen, dass wenigstens zwei Drittel
der Schüler sich so in dieselben einlesen werden, dass sie auch nach
ihrem Abgange von der Schule dieselben noch ohne große Mühe lesen
können. Es ist aber nicht mal zu erwarten, dass auch nur ein
\'iertel der Schüler sich so in den Sophokles einlese. Daher verljleibe
ich dabei, dass es am besten ist, den Sophokles griechisch auf dem
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— 494 —
Gymnasium nicht zu lesen. Unsere (j^ymnasiaUcliüler lesen troudeok
noch reiclilich viel Dichter.
Für den Fall nun, dass ich diese Beseitigung des Sophokles auf
unseren Gymnasien nicht durchsetzen kann, will ich folgenden Ver-
mittelungsvoischlag machen :
In I*rima darf Sophokles gelesen werden, jedoch höchstens nur
in jedem Wintersemester eine Tragödie. Daran brauchen aber
diejenigen ScJiiiler nicht theilzuuehmeu, welche dazu nicht Lust
haben; und im Abitnrientenexamen darf Sophokles überhaupt
nicht vorgelegt werden.
Der Primaner, welchem der Sophokles am achwer ist oder wdeher
sieb fOr den Sophokles nicht intereeehrt, wttrde alsdann also seine
Zeit anderweitig anwenden kOnnen. Und fllr den Unterricht selber^
für die Lectfire des Sophokles würde es ein grofter VortheQ sein^
wenn nnr Umter Verehrer des Dichters daran theilnfthraen. Ich helfe
daher, dass wenigstens diesem meinem VermittelangsTorschlage aneb
viele Philologen anstimmen werden.
Dentsch und Weltgeschichte.
Auf Weltgeschichte oder anf deutsche Sprache darf beim
Gymnasialunterricht nicht weniger Gewicht gelegt werden
als auf Lateinisch oder Griechisch.
Insbesondere auf deutsche Prosalectüre wird an wenig Gewicht
gelegt. Der Lehrer soll die SchQler anhalten, namentlich auch be>
stimmte prosaische Schriften unserer deutschen Classiker zu lesen;
und er soll diese alsdann in der Classe mit ihnen durchgehen. Nächst
Lessings Laokoon würde ich hierzu am meisten Platens Gescliichte
Neapels empfehlen. Platen versteht es, eine Menge einzelner Per-
sonen und Ereignisse so vorzutragen und so zu gruppii*en, dass wir
dadurch ein Gesammtbild der damaligen Geschichte Neapels erlialteu.
Seine Darstellung» weise hat etwas Dramatisches und erinnert mich
lebhaft an die Schreibweise des Sallust. Ganz besonders möchte ich
noch auf das aufmerksam machen, was Platen in der Einleitung über
die Geschichtschreibung sagt. Ferner sollen die Schüler bestimmte
Abschnitte aus Schillers und Goethe's prosaischen Schriften lesen^
wozu ich besonders die historischen Schriften empfehle und diejenigen,
weldie wenigstens etwas Historisches enthalten. Es tritt dadorch des
SdiQlen Aioeit im Dentaehen in eine Verbindung zmn Geschichts-
unterricht; die Arbeit des Schfllera wird mehr concentrirt, nnd sefn
Wissen gewissermafien abgenmdet Ebenso soUen mit dem SchQler
wenigstens einaelne Stellen ans Mommsens römischer Gesdiichte
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durchgegangeu werden, z. B. über die Vei-scliiedenlieit des National-
charakters der (irieclien und Römer, über die Eroberung (Iriechen-
lands imd Macedoniens durch die Römer und über den römischen
„Mittelmeerstaat Denn wenn auch Moramsen etwas viel eingescho-
bene Sätze hat und sein Periodenbau zuweilen etwas complicirt ist,
so müssen wir doch Mommsen nicht allein zu den gi-ößten Histurikeni
rechnen, sondern sowol wegen des Inhaltes seiner römischen Gej^diichte,
deren Bedeutang und Wirkung auf die geistige Entwickelung der
deatschen Nation ja unendlich weit aber eine Fachachrift hinausieicht,
als auch wegen seiner DafSteUungsweise mfiBsen wir Mommsen mdner
Ansteht nach aoeh m nnserai deotadien Glassikem atiden. Mommsens
politischen ParteSaasiehteii stimme ich nicht bei. Aber warm hat
midi anter anderem Mommsens DanteUong berührt^ wie im SoUani*
sehen Büigerkriege Pompcgos einen gefiugenea poUtischen Gegner,
einen durchans ehrenhaften Mann, welchem noch daan Pomp^ selbst
bei einer froheren Gelegenheit sein Leben zu danken hatte, ans rein
selbstsllditigen Motiven hinrichten Usst» wogegen Casar in seinem
ganzen Leben es stets seiner selbst und seiner alten Familie würdig
erachtet, empfangene Wolthaten niemals zu vergessen. . Mommsen
legt dar, wie Undankbarkeit das Zeichen eines gemeinen Charakters ist*
Hauptsächlich aber sollen mit den Schttlern durchge-
gangen werden Abschnitte aus guten Geschichtswerken
über deutsche (Teschichte, insbesondere ans den Sybelschen
Büchern Uber die Gründung des Deutscheu Reiches.
Der Väter Thaten, Vaterlands Gescbick
Soll Beupiel tüx die Jugend lein und Lehre«
Damit du Tatniud fai Leid und 0lflek
Der guten, lapftn SOhne nie entbehre.
Aul' Weltgeschichte muss mehr Gewicht gelegt werden, und sehr
viel mehr Gewicht auf vaterlftndische Geschichte. Über den Ge*
schichtsimteRieht habe Ich bereits in meiner ersten Abhandlung aus-
geitthrt, dass in jeder CUsse mindestens drei Stunden Geschichte
wöchentlich gegeben werden müssen und darunter eine Stande deutsche
Geschichte. Noch lieber wilrde ich es sehen, wenn in jeder Classe
wöchentlich vier Gesdiichtsstnnden gegeben wfirden nnd darunter
zwei Stunden deutsche Geschichte. Ich wfinschCi dass auch im Ge-
schichtBonterricht Extemporalia geschrieben werden. Es soll dem
Schiller ohne spedeUe Vorbereitung ein geschichtliches Thema zur
sofortigen schriftlichen fiearbeitung in der Classe gestellt werden,
z. B. über ein bestimmtes geschichtliches Eireigms oder dessen Be-
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deatimg f&r die Eatwickelung des Volkes, über eine bedeutende
historische PeraOnbehkeltt ftber deren oder dner Dynastie VerhältniR
zu einer historischen Idee, etwa Besiehung der OaroUnger zum
Ohristenthnm, der Salischen Kaiser zum Papstthnm. Dadurch wird
der Schiller dch gewöhnen, einzelne zu einander in Beziehunf stehende
historische Momente sich selber zu einem G^esammtbade au gmppiren.
Er wird alsdann yom Gteschichtsontemcht mehr Katzen haben, auch
die historischen Thatsachen sich dadurch fester einpräge und besser
behalten. Natürlich hat auch der Oeschichtslehrer die Schiller anzu-
halten, bestimmte Abschnitte aus guten Geschichtswerken zu lesen,
und hat diese mit ihnen durchzugehen. Es empfielilt sich, den T'nter-
richt im Deutschen und den in der Geschichte wenigstens in der
deutschen Geschichte in die Hände desselben Lehrers zu legen. Die
deutsche Geschichte muss fttr den Schüler Herzensangelegen-
heit sein.
Das System unseres Gymnasialunteirichtes.
Das System, nach welchem ich <len F/elirplan unserer Gymnasien
ab&ndern möchte, fasse ich tolgeudermaßen kurz zusaninien:
Der Zweck unseres Gymna8ialunteriichte> ist nicht etwa, mü^?-
lichst viel Gelehi'samkeit den Schülern zwangsweise einzuflößen, sondern
durch nicht allzu reichliche, aber möglichst gute und dem
Begriffsvermögen der Schüler entsprechende geistige Nah-
rung die Fassungskraft und den Verstand der Schüler uatuigemäß
zu entwickeln und auszubilden, ihr Herz und Gemttth Ar die Wissen-
schaften und aberhaupt f&r das Gute und Edle zu erwftnnen nnd so
die Schiller für das praktische Leben Torznbereiten und sie
zu guten und branchbaren deutschen Staatsbürgern zu er-
ziehen.
Unter allen Lehrgegenstftnden sollen sowol während der Schul-
zeit als auch beim Abiturientenezamen folgende vier als die wich-
tigsten behandelt werden:
1. Weltgeschichte^ und zwar besonders Taterlindische Geschichte;
2. Deutsche Sprache» und zwar sollen die Schüler nicht weniger
deutsche Prosa lesen, als deutsche Dichter;
3. Latein, und zwar besonders vorwiegend Prosa;
4. Griechisch. Von giiechischen Dichtern sollen nur die Ilias
und Tyrtaios gelesen werden (event. und nur facultativ Sophokles). -
Auf Weltgeschichte oder deutsche Sprache darf nicht weniger
Gewicht gelegt werden als auf Lateinisch oder Griechisch. M^gel-
hafte Kenntnis in einem Fache kann durch besondere Leistung in
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einem oder melirei en anderen Fftchera aufgewogen werden. Wenn die
Lehrer einen Abiturienten im übrigen des Zeu^ni^^ses der Reife fOr
würdig tialten und nur seine Fehler im griechischen Extemporale da-
gegen Bedenken ergeben, so kann ihm das Zeugnis der Reife ertheilt
werden mit dem Beiiurken, da&s, falls er Sprachwissenschaft Stadiren
will, er ein Examen im Griechischen nachmachen muss.
Mit den lateinischen und griechischen Dichtern außer Tyrtaios
t;oll erst in Obei*secunda begonnen werden, so dass die Aspiianteu des
einjährigen Militärdienstes keinen alten Dichter aufier Tyrtaios zu
lesen bekommen.
Die Schule darf niemals vergessen, dass sie ein deutsches Institut
und (las.s sie ein Staatsinstitut ist. —
Durch die von mii* vorgeschlagenen Einrichtungen wird dem ein-
zelneu Sciiüler die Möglichkeit gegeben, seine Ai V)eitskraft auf eine
geringere Anzahl von Materien zu concentriien und also in den
Fichm, SU welchen er größere Fähigkeit oder besondere Lust und
Liebe hat, mehr zu leisten, ohne dass die wesentliche Gldehhelt der
Gesammtansbildttng unserer Gymnasialsdifller dadurch beeinträchtigt
wird. Ich hoife daher, dass die Schüler alsdann mehr mit Lost nnd
Liebe arbeiten nnd wenigstens in ihren Lieblingsftchem mehr leisten
werden, nnd dass jedenfidls das Gelernte ihnen mehr in Fleisch und
Blnt übergehen wird. Ich hofib ferner znversichtlieh, dass alsdann
namentlich die von Hanse ans gnt sitnirten Schüler, welche nicht
nOthig haben, des Brotstudiums wegen fleißig zu sein, ans Lnst nnd
Liebe arbeiten und nahezu alle das Gymnasium ganz durchmachen
werden. Ich lege hierauf einen ganz besonderen Wert, weil ich eine
wesentliche Bessemng unserer politischen und socialen Verhältnisse
mir davon verspreche, wenn besonders diejenigen, welche von Hause
aus durch ihre Vermögens- und sonstigen Familienverhältnisse in den
Stand gesetzt werden, im politischen oder geschäftlichen Leben eine
größere Rolle zu spielen, durchgänjriy eine recht gute Schulbildung
zu ihrer dt-reinstigen Wirksamkeit mitbringen.
Im Drange des praktischen Lebens müssen wir vieltach rasch
arbeiten und uns rascli entscheiden, ohne dass uns vergünut ist, uns
die Sache länger zu überlegen oder gar aus Büchern oder von anderen
uns Raths zu erholen. Auch deshalb liegt meistens gar nicht so viel
daran, dass das, was wir einmal gelernt haben, sehr in die A\'eite und
Breite geht; sondern es ist meistens viel wichtiger, dass das, was wii-
gelernt haben, uns so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass wii'
es wenigstens in den Grundzfigen möglichst jeden Augenblick präsent
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— 4Ö8 —
haben und dass wir durch den Unterricht wii'klich verständiger und
klüger geworden sind. Wirklich verständiger aber werden wir nicht
etwa durch massenhaftes uns eingeflößtes Wissen, das wir nicht in
uns verarbeitet haben, sondern nur durch eine vorsichtige und
naturgemäße allmähliche Entwickelung unseres Gemüthes
und Verstandes vermittelst nicht allzu reichliclier, aber mög-
lichst f,aiter geistiger Nahrung. Unverdautes Wissen ist für
den Schüler schädlicher Ballast, hindert seine naturgemälie
geistige Kntwickelung und kann ihn leicht einseitig und für
das praktische Leben ungeschickt machen. Wenn der Unter-
richt sich nicht innerhalb der Grenzlinie hält, welche durch
das Begriffsvermögen der Schüler gezogen wird, so ist er
nicht mehr Erziehung, 8ond«rn er wird zur Dressur.
Daaemd aber kOnnen wir das Gelernte selbst in den Gmndzflgen
nur dann prAsent haben, wenn wir aach nach unserem Abgange von
der Sehnle dalllr sorgen, dass das Getomte uns nieht in Vergessenheit
gerttth, nnd wenn wir aneh in gereiftem Maanesalter das Gelernte
znweUen nochmal wieder durchdenken. Der erfidurene Hann sieht
manches mit anderen Angen an. Und so TerUndet sich atodann
Schule und ErfS^irung zu einem hannoniscfaen Ganzen. Was wir
wirUich in uns verarbeitet haben, um das wenigstens in den Grund-
zfigen fest zu bewahren, ist nicht viel Zeit octor Mühe erforderlich.
Wenn wir aber die auf der Schule gelesenen alten Glassiker nicht
dermaBen in uns Terarbeitet und liebgewonnen haben, dass wir
wenigstens einzelne davon auch später noch gern einmal lesen, dann
beruht unser Gymnasialunterricht in den alten Sprachen nicht auf
richtigen Principien. Und wenn wir die Weltgeschichte und die ge-
lesenen deutschen Classiker nicht dermaßen in uns verarbeitet und
liebgewonnen haben, dass wir auch später mal ein Geschieh ts werk
oder einen deutschen Glassiker gern zur Hand nehmen, so beruht
unser ganzer Gymnasialnnterricht aut unrichtigen Principien.
Die kune Sohukeit, die scimeil verhunt,
Sie wll dioB danend Ovt dem flolilUer g^wn»
t>a88 er die Wisbenschaften lidigewiiuit
Und sie dann lieb behiUt fürs giate Leben.
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Eine lene „Enieliiig der deitsekei Jigend**.
AV^ährend der enton zwanzig Jahre seit Bestehen des Deut-
schen Beiches hat die Schule sich keiner besonders Uebeyollen Anfinerk-
samkeit seitens der leitenden Persönlichkeiten eifrent Denn die Ära
Falk war im Grande doch nnr ein Ifittel zur Bekftmpfiing yon Be-
strebungen, welche dem damaligen Leiter der Geschicke gefährlich
schienen; da das Mittel nicht fruchtete, zerbrach und zerbröckelt man
noch jetzt das Werkzeug, das unschaldige, und die Schule trägt den
Schaden. Fürst Bismarck entbehrte, so groß sein Genie in anderen
Richtungen auch war, des pädagogischen Taktes und Interesses vOUig.
Diese Theilnahmslosigkeit scheint endlich weichen zu wollen. Kaiser
Wilhelm II. hat sein Interesse für Erziehung- und Unterricht zu ver-
schiedenen Malen kundgethan; nicht in allgemeinen Ausdrücken, wie
sie etwa dem Laien als gutgemeinte Phrase zu Gebote stehen, sondern
durch Kundgebung ganz bestimmter Ansichten und Vorschriften, die
zu dem Schlüsse berechtigen, dass er über pädagogische Dinge nach-
gedacht hat und den Ergebnissen seines Nachdenkens zu gelegenerer
Zeit mit der ihm eigentbümlichen Energie Folge zu schatten ver-
suchen wird.
Wie dieses pädagogische Ideal der Zukunft beschaffen ist, lässt
sich aus den bisherigen Kundgebungen nicht mit Sicherheit schließen.
Es sind, entsprechend den Gelegenheiten, mehr Andeutungen und
Bmebsticke als eine consequente Gedankenfolge zu Tage getreten.
Seit zwei Monaten jedoch glaubt man in PauljGQssfeldts Buche: „Die
Erziehung der deutschen Jugend" ein ausgeftUurteres Bild jener An-
schauungen zu besitzen. Der Inhalt dieses Werkchens ist zuerst im
Januar- und Febroar-Heft der »Deutschen Bundschau' erschienen und'
liegt nun schon in 2. Auflage (Berlin, Gebr. Paetel) yor, ein Beweis,
wie sehr es die Auflneiksamkeit weiterer Kreise erregt bat Weshalb
man die Veröffentlichung Gflssfeldts mit den pädagogischen Ansichten
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— 500 —
Kaiser Wilhelms in Verbindung bringt? Daiüber zum Schloss ein
Wort. Vorher sei es gestattet, den Inhalt der Ai'beit zu skizziren.
Die einleitenden Abschnitte enthalten für den Fachmann nichts
Neues, sind jedoch für jeden Laien liöchst anregend, da Güssfeldt die
Sache wesentlich vom Standpunkte eines solchen ansieht. Er wird
der Arlxit der Lehrer gerecht, indem er sie nicht für das verant-
wortlich macht, was die Foltife „der Tretmühle eines starren Systems,
des Lehrprogramms", ist. Aber diejenigen, welche berufen sind, die
Lösung des neuen Programms zu übernehmen, sieht er in ihnen nicht.
„Dazu müssen die Lehrer selbst erst durch eine Schule gegangen
sein, wie sie mir vorschwebt.**
Der Verfasser wendet sich deshalb vor allem an die Ehem.
Ihnen legt er dar, was in der Kindesseele keimt und lebt, wie die
zarten Sprossen zu pflegen und zu ziehen sind, vielfach in vielleicht
nnbevBSBtem Ansctalnss an die Forderungen des großen Genfer Pftda^
gogen. Da er steh vor allem auf eigene Erlebnisse, Erinnerungen and
Reflexionen stfttzt, so ist es erklftrlich, wenn er, den Begriff »dentsche
Jugend** arg beschneidend, sich auf die mftnnliche Jugend der mittleren
und (Oberen Gesellschaftsdassen bescfaiftnkt, „also denjenigen Classen,
von deren Verhalten und Beschaffenheit das Wolsein der. nnteren
Classen wesentlich beeinflusst wird — und damit das Wolsein des
ganzen Staates. Eine Anwendung der anfgesteUten Prindpien auf
die Elementarschulen ist unterlassen worden; richtig gehandhabt,
-würde dieselbe dem Unglück der Halbbildung (in :der Yolksscbnle?)
und ihrer Opfer entgegenwirken."
Nachdem also in den ersten acht Abschnitten in zwangloser
Form die Punkte dargelegt sind, bei denen in der frühesten häus-
lichen Erziehung die meisten Missgriffe begangen werden, wendet G.
sich der Zeit des tlierganges aus dem Kindes- in das Knabenalter zu.
Hier findet er den Hauptfehler des gegenwärtif^en Schulsystems: bisher
waren die Maßnalimen, denen das Kind sieh ausgesetzt sah, fast nur
erzieherische; nun tritt plötzlich ein solches Übergewicht des Unter-
richts ein, dass „von den Kräften, die bisher gleiclimäßig in AusiUmng
kamen, nur einige übermäßiir angespannt werden, während andere
brach liegen müssen. Es tindet ein Sprung statt — und dieser Sprung
ist ein P'ehler. Ihn zu vermeiden oder doch auf das kleinstmögliche
Maß herabzudrücken, das macht den Kern der gi-oßeu Bewegung aus,
die ein jeder von uns zum Segen Deutschlands durchgeführt sehen
mochte.** Nicht in unzulänglichen Mittelchen, sondern in einer durch-
greifenden Reform, die an Sparta oder gewisse Abschnitte des
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— 501 —
Plato'schen Staates erinnert, sucht die Abliilte. Vor I)arleg:uug
seiner Pläne sucht er jedoch durch Aufstellung des Erziehungszieles
und dmch Kritik des bisherigen Unten-ichtsbetriebes seinen Vor-
stellungen den Weg im Geiste des Lesers zu ebnen.
Inhalt und Ziel der Jugcndei*ziehung sei die harmonische Bil-
dung. Sie ist der Inbegi-iö' von Gesundheit, physischer Kraft
und Geschicklichkeit, einem reinen Gemüthe und einem
Immanen Sinne, Charakterfestigkeit und PflichtgefQhl, Ver-
standesschftrfe und einem gewissen MaBe von Kenntnissen.
So ordnen diese Begriffe sich nach der Wertschätzung Gfissfeldts.
Die Erwerining einer solchen harmonisehen Bildung wird angenhlick-
lieh dadurch erschwert^ dass Elraehnng nnd Unterricht „als getrennte
Gebiete ohne inneren Znsammenhang angesehen werden; jene fiült der
EVonilie zo, dieser dem Staate oder dem commnnalen Gemeinwesen;
ein Zasammenwirken gibt es nicht, wol aber ein Enl^iegenwirken.
Der Ünterricht« indem er mehr nnd mehr fttr sebe Allgewalt bean-
s])ruchte, hat die erziehende Kraft des Elternhauses untergraben nnd
durch Herrschsucht die harmonische Entwickelang des Knaben unmög-
lich gemacht." Die Familie vei-mag, solange der Untemcht das
Kind auch außerhalb der Schule durch häusliche Aufgaben mit Be-
schlag belegt, wenig zur Abhilfe. In der Schale selbst müssen
Änderungen vorgenommen werden, und das Schlagwort für den Be-
srinn der Reform miiss sein: Weniger Kenntnisse und mehr Bildung.
Die einseitige Ausbildung des Verstandes zerreißt die innere Har-
monie und treibt das Lebensschifflein weit ab von den wahren Zielen
des Lebens.
Um nun das Übergewicht des Unterrichtes zu vennindern und das
oben gesteckte Ziel der harmonischen Ausbildung zu en'eichen, stellt
der Verfasser in dem Mittelpunkt seiner gesammten Betrachtungen
folgende Vorschläge:
„Die Schule verwandelt sich aus einer Anstalt fui* Unterricht in
eine Anstalt für allgemeine Bildung.*'
„Die BilduDg erstreckt sich anf den Intellect, das Gemuth, das
kibUehe Wol, die Sinne, anf HandÜsrtigkeiten, anf die Grandzüge
aOgemeinen Wolveriialtens nnd anf den Charakter."
Die Ifsflnahmen müssen so genommen werden, dass sie im Ein-
klänge mit den KriHteA der Jugend stehen, dass Jede Beacüon, als
F<^ von Obenuistrengong, Yermieden wird. Dedialb mnss, selbst
wenn eine grOltere AnsMIdnng des Ihtellectes oder ein grOAerer Vor-
rath Ton Kenntnissen erwfinseht wBre, dieses Mehr rftcksichtslos ge^
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strichen werden, sobald die kiirperliche Ausbildunpf und das körper-
liche Wolbetinden darunter leiden. — Die für die Reform uüthige
Zeit wird in folgender Weise beschaftt:
„Die tägliche Scliulzeit, welche abwechselnd in <len Classen-
zimmern, im Freien, in Turnhallen, auf Spielplätzen, in WerkstAtten,
auf der Schwimmschule, auf Ausflügen verbracht wird, dehnt sich
über die ^auze Tageszeit aus.
Die wissenschaftlichen rnterrichtsstunden eines Tages werden
auf vier, höchstens fünf Stunden lierabgesetzt, womit aber nicht ge-
meint ist, dass sich die geistige Thätigkeit der Schüler auf diese Zeit
allein beschränken soll. Denn es wird noch von besondere einge-
richteten Arbeitsstunden die Rede sein, in welchen die Schüler der
selbststindigren Arbeit obliegen.
Viele von den bisher gelehrten Kenntnissen fallen aus. Die
Schüler werden damit auf das spätere Leben verwiesen und sollen
sich zwischen achtzehn nnd achtundzwanzig Jahren diejenigen Kennt-
nisse erwerben, welche sie flr ihren Bemf oder ihi« Mwillig geabte
wissenschaftliche Thätigkdt gebrauchen. Auf diese Weise bleiben
von den zwAlf Stunden noch sieben zur Verfikgang.
Die Tagesmablzeiten werden in der Anstalt eingenommen.
Der Aufenthalt im elterlichen Hause und der Verkehr mit den
Mtem ist yomehmlieh auf die frmen Abendstunden, auf den Sonntag
und auf die Ferien beschrlnkt
Die häusliGhen Arbeiten kommen ganz in WegüUL
Bichtschnur fttr alle Haftnahmen bleibt der Gmndsate; Entwiche-
lung der krlftigen Individuen, nicht Erhaltung der sehwachMcben.''
An diese Vorschlage wird eine Beihe methodischer Bemerkungen
geknüpft, die für Lehrerkreise zu selbstverstAndUeh sind, als dass sie
hier Erwähnung linden dürften.
Wie musB nun angesichts dieses Befonnplaaes der bisherige Unter-
richtsstofr umgestaltet werden? Diese Fnige wiod mit einer Qrttnd-
Uehkeit und Behutsamkdt behandelt, welche das Bemttw», die An-
hänger des humanistischen Gymnasiums zu gewinnen, nicht yerkennen
lässt. Doch die Erfthrungen, welche der Verfasser als Schüler und
mit ihm Tausende yon- uns, die gleich&lls der „ehrenvollen Mittel-
mäßigkeit*^ angehörten, gemacht haben, sie werden den echten Alt»
Philologen nicht wankend machen. Man lese den Aufsatz Zellers,
welchen die Redaction der „Deutschen Rundschau" dem Gttssfeldt-
scben folgen ließ, and man wird sich in der Überzeugung befestigt
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fiililen, dass diese Partei nicht mit Gründen zu (iberwindeo, sondern
nur durcli einen Maclitspruch zu unterwerfen sei.
Vor allem — ruft Güssfeldt — Achtung der Muttereprache! Sie
muss obenan stehen, dem Ihiterncht in ihr muss der Gesammtunter-
richt dienstbar gemacht werden. Dagegen .alles, was eine Sprache
tüi' die Verstandesschuiung dadurch leistet, dass sie nicht unsere
Mutteraprache ist, das muss von den alten auf die modernen Sprachen
abertragen irardeD." Die alten Claaaiker soUen mit dem Beistande
dentsclier Übersetzungen getosen irerden, damit die Jagend sieh bald-
mOg^ichat an dem gdBtigen Inhalt erlabe, mit der Toraehmen Denk-
weise des Alterthnms bekannt werde. Kein systematisches Durch-
arbeiten der Grammatik mehr; mir die Fnndamente des Gtiediisehen
und Lateinischen, Dedination» Co^fogstion nnd Präpositionen, werden
gelerat Was diese beiden Sprachen bei solcher Behandlong nicht
mehr leisten kOnnen, wird das FransOaisehe mit seinem liiinen nnd
reichen Formenschatze ersetzen. EzereUdnm und Extemporale, welche
für die alten Sprachen wegfallen, treten im Französischen ein; die
Schriftsteller werden hier ohne Übersetzungen gelesen. Das Eng-
lische soll swar mit geringerem Nachdruck, aber doch so gelehrt
werden, dass es verstanden und gesprochen wird."
Sehr beherzigenswert sind Güssfeldts Ausfülirungen über die
Gründe des unfrudit baren mathematischen l'nterriclits auf den
höheren Lehranstalten. Das sclilimmste ist, „das bei vielen Schülern
niemals Vorstellungen von geometrischen Gebilden existirt haben.'*
^Die einzelnen ('lassen, eigens für den mathematischen Unterricht ge-
bildet, sollten die Schülerzalil von zwölf nicht übersteigen." (Hohn-
geiächter sämmtlicher Unterrichtsminister Deutschlands.)
Hinsichtlich der Naturwissenschaft, der astronomischen Geographie
und der Erdbeschreibung sagt der Verfasser nichts Neues. Die Re-
ligion als Bekenntnis will er vom Unterricht ausgeschlossen sehen.
Wir treffen hier auf eine wolthnende Vorurtheilslosigkeit und hören
Grunds&tze, an deren geflissentlicher Niedertretung in Preußen jetzt
leider wieder mit hOehstiem Eifer gearbeitet wird. Die hamMMdscIie
Endehnng hat in gleieher Weise die Keime der Irretigiosität wie der
Intolenuu zu nnterdrficken. tßi» mnss ihre Zöglinge mit der Er-
kenntnis durchdringen, dass es etwas Höheres, ÜbermenaoUiches gibt,
das kein Verstand der VersCindigen zu durchdringen Terang;' mnss
es aber dem Geistlichen ftberiassen, das Gbrnbensbekenntnis nnd- die
religiösen ÜberttefiBntngen an lehren, welche die geistig« (Anmacht
ersetien sollen. Die Moral, menschlichen Ursprungs, geschailBn, um
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ein orgaui^irtes Zusaiiimfiilebeii zu erniögliclien und möglichst sicher
zu gestalten, und geeignet, ein gemeinsames Band zwischen den vei-
schiedeDen Bekenntnissen herzustellen, muss gelehrt werden.
Die Geschichte befestige das Ideal im Kinde, die Gewissheit^ dass
die Tngesd trinmphirt, das Laster untergeht; sie pflege aber neben
der allgemeinen Bogeisternng anch besonders die Vaterianddiebe dnreh
Betraehtong der vaterländischen Geschichte. Dorch geeignete Aas-
wahl dentscher Schriftsteller soUen große Ideen geiredct und edle
Handinngen rar Anschauung gebracht werden. Oberhaupt ist bei
Behandlung der meisten Untenichtaftcher mehr Gewicht auf die Aus-
gestaltung des Charaktei's und des Gemttthee als auf die Forderung
der Intelligenz au legen. Letrterar s<dioi besonders die Ituttersprache,
das Französische und die Mathematik dienen.
Wichtiger fast als das Vorhergehende erscheint dem Verfasser
die gesundheitliche und körperliche Ausbildung der Schüler. Der
Engländei', «frei von Nervosität und Empfindlichkeit, stark von
K(irper, klar von Kopf, gelenkig und zäh," ist auf diesem Gebiete
sein Ideal. Freiübungen, Spiele, gymnastische Übungen am Geräth,
schätzbar zugleich für die Bildun}; des Willens, Schlittscliuhlanfen,
Ausflüge, Baden, Schwimmen sollen im Verein mit Handfertigkeits-
unteiTicht in Weikstätten die körperliche Ausbildung zur Vollendung
führen.
Wenigstens eine Tagesstunde muss den Z«(j:lingen ganz zn be-
liebigem (-rebrauche gegeben werden. An Stelle der häuslichen Ar-
beiten nimmt der Erziehungsplan Arbeitsstunden auf in denen jeder
Schüler sich selbstständig und ungestört beschäftigen kann. \\'ährend
der Freistunden wird eine Art von self-goverumeiit den Schülern er-
möglichen, das Leben im kleinen darzustellen und zu erproben.
Soweit der Plan. Hinsichtlich seiner Vei'wirklichung gibt Gttss-
feldt sich groAen Erwartungen hin. Die Mittel rar Durchführung
wird das deutsche Volk geben. nBegierung, Pailament und Volk
mflssen an den Opfern bereit sein, welche durch die ümgestaltung
der Schuten n St&tten harmoniseher Ausbildnng an sie herantreten,**
„Wir werden eben in Zukunft zwei Armeen m unterhalten haben,
eine Armee mit Kasernen .... und eine mit Schulhinsem und allem,
was die harmonische Ausbildnng erheischt Fttr welch besseren
Zweck konnten wir unser GeU anch hingeben? Wir werden dann
stark nach aufien und nach innen sein."
Für Ideen ähnlicher Art wirkt sdion seit einer Reihe von Jahren
eine andere fieformbewegungt deren Organ „Die neue deutsche Schule"
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ist und als deren Hauptstreiter Dr. H. Goehring und Prof. Preyer
bekannt sind. Während diese sich aber dahin bescheiden, die Anwoid-
barkeit ihres Planes in einer privaten Anstalt erproben zu wollen,
wird Güssfeldt, wie er schon im Vorwort bemerkt, von der Zuversicht
beseelt, dass seinen Ideen die Stunde der Verwirklichung sclilagen
werde, und zwar, wie aus dem oben Angeführten erhellt, der Ver-
wirklichung in vollem Umfange und von selten des Staates.
Woher diese Zuversicht? Der Verfasser verräth es nirht. Drei
Freunde, sagt er, haben ihm nach Vollendung des Entwurfs mit Rath
und ürtheil zur Seite gestanden; ein Schweizer Philosoph, ein preu-
ßischer höherer Militär und ein deutscher Forschungsreisender. Hin-
sichtlich des an zweiter Stelle Genannten könnte man sich einer Ver-
muthung hingeben, die, wenn sie zuträfe, wieder aui das eingangs
ausgesprochene Gferttcht ftUkren würde. Letzteres findet jedoch aucü
in dem Werke selbst Nahrung.
Da ifll «lerat der Ton und dar gaiise Geist der AufUiruug. Es
lebt etwas Ungekfinsteltes, Frisehes und ZnversichtlicheB dariu, das
auf den unbefangenen Laien entschieden bestechend wirken muss,
eine muthigB Frende an der GrOBe und Bewegtheit des modernen
Lehens, deijenigen gkieh, weLehe sich auch in allen Worten und
Handhmgen Wühehns n. neigt Die Au£hs8ung Oüssfeldts Ton Wert
und Zweck der Geschidite deckt sich mit den Ansf&hrungen des
Kaisers, die Tor Monaten durch alle Tageszeitungen gingen; auch In
ihnen wurde besonderes Gewicht auf die neuere vaterlAndische Ge-
schichte gelegt Es ist bekannt, dass der Kaiser in den Cadetten-
anstalten gewissermaßen Musterschulen sieht, die manches Vorbild-
liche f&r andere Schulgattungen enthalten. Güssfeldt theilt diese
Meinung; er spricht von den „verbesserten Einrichtungen der Cadetten*
Corps, welche den Übergang bilden von unseren heutigen Schulen zu
den Erziehungsinstituten filr die gesammte deutsche Jugend." Es ist
freilich eine missliche Sache, aus solchen Parallelen, die ja ebenso gut
zufällige sein können, weitergehende Schlüsse zu ziehen. Was solchen
Folgerungen einige Wahrscheinlichkeit verleiht, ist neben jener zur
Schau getragenen Zuversichtlichkeit des Verfassers, der bisher noch
garnicht als pädagogischer Schriftsteller auftrat, noch der Umstand,
dass er sich im verflossenen Jalire in der Reisegesellschaft des Kaisers
befand. Hier hätte man denn Zeit und Gelegenheit zu ausführlicheren
Auseinandersetzungen auch über pädagogische Keformpläne zu ver-
mutheu.
i'atU^^nm. 12. Jahrg. Heft VIIL
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€l«OHetrie oder Fomeilebre?
Vm Sckvidirtetor MUtmtmae^-Leipzig-Lindmm.
II iiutig wird der Unterricht erschwert diircli die Vermenguiig
verschiedenai'tiger Forderungen und durch dievei schiedeuen Auffassungs-
weisen, die nicht selten ein Begriff zulässt. l)asselbe ist z. B. auch
der Fall mit der Bezeichnung Formenlehre; wie verschieden sind
da nicht die Meinungen über Begriff, Stoff', Umfang, Bedeutung und
Wert der letzteren und besonders über das Verhältnis zu anderen
Lehrobjecten, namentlich zur Geometrie. Bald hat sich die Formen-
lehre mit der OrSBe der geometrischen Gebilde beschäftigt, bald mlft
der Lage derselben, bald tr«t sie spedell als „geometriaehe Ck»n»
atmetionalebre" anf etc^ kurzum, ein gevaltigea Schwanken. Ja, in
der einen Schule nennt man Geometrie, was in der anderen Fonnen-
telu« heiftt
Ab diesem Schwanken und benehongs weisen Widerstreben tragen
am meisten die Sehold die Vertreter der exacten Wissensobaften; sie
protesturen beständig gegen das Popnlarisiren — oder Profimiatai,
wie sie es nennen möchten — ihrer Wissenschaft; und so sagten sie
auch, dass kein TheQ der Mathematik, mithin aneh keiner der Geo-
metrie eine populäre Behandlung yertrage. Da nun die Vertreter der
eza<;ten Oeometrie keine elementare Behandlung anließen, die Päda-
gogik aber — nachdem die empirische Anschannng durch Comenius
und Pestalozzi in ihre Rechte eingesetzt war — eine solche heischte,
so sah sie sich genöthigt, eine „Elementarstufe'* füi' den geometrischen
Unterricht zu schaffen; natürlich durfte diese nur unter fremdem
Namen passiren, man gab ihr den Namen „Formenlehre". So unend-
lich wichtig es war, eine naturgemäße Behandlung anzustreben und
den geometrischen Unterricht anschaulich vorzubereiten, so lässt sich
doch nicht leugnen, da.ss durch Einfiilirung der Formenlehre als
selbstständigen Lehrgegenstand nicht der rechte Ausweg gefunden
wurden ist, wie wir später sehen werden. — Zunächst müssen >vir uns
jedoch über den Begriff und den Inhalt der Formenlehre, sowie über
ihr Verhältnis zui' Geometrie klar zu werden suchen.
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Die sogenannte Formenlehre hat zam Zweck, die geometrische
Anschanmig and die geometrische Phantasie vor Beginn dee eigent-
lichen geometrischen üntemchtes zu üben. Man sucht dies nun be-
sonders za erreichen durch analytische Betrachtung der im krystallo-
graphischcn Systeme vorkommenden bedeutendsten Körper und beginnt
da gewöhnlich mit den „regelmäßigen" Körpern: Hexaeder, Tetraeder,
Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder; man bestimmt die Zalü, Gestalt
und Richtung der Flächen, die Zahl und Form der Kantenlinien und
die Zahl und Lage der Eckpunkte. Hierauf betrachtet man die „un-
regelmäßigen'" Körper: Prismen und Pyramiden und endlich die „ninden"
Körper: Walze, Kegel, Kugel, und schließlich folgt in der Regel noch
eine „Zusammenstellung und Er Weiterung" der gewonnenen Anschauungen,
wo von den verschiedenen Arten der Drei-, Vier- und Vielecke, von
den Linien und Winkeln in und am Kreise etc. die Rede ist.
Über das Verhältnis der B^rmenlehre zur Geometrie schreibt
Seeger (Elemente der Geometrie, 1860): „Der Formenlehre ist es am
unmittelbares, anscbaoliches, der Geomeitrifi um vennitteltes denkendes
Erkeanen za Uran; jeiisr kommt es hanpts&chlicli «of die Saehe, düsser
anfterdem noch aof die kanstmftßlge Behandlnng derselben an; die
eine begnügt sich, zu fbrdem, dass der Schltter die OogenstSade rein
und scharf aoffiksse, die andere yerlaogt, dass er sie yerstandesm&ßig
durchdringe.** Während also die Geometrie mittets begrünicher Ver-
tiefiing' abstraete BanrnverhSltnisse behandelt und dem Schfller eine
energische Abstraction znmnthet, bleibt die Formenlehre gmndsfttsUdi
aof dem Standpunkte der Anschauung stehen und Termchtet auf die
wissenschaftliche Einheit der Deduction. Und hier stoßen wir auf
den ersten ESInwnrf, welchen wir gegen die Einführung der Formen-
lehre als selbstständigen Lshrgegenstand eriieben imfissen. ' Es
muss n&mlich als fehlerhaft gelten, erst die ganze „Lehre von den
Formen" zu absolviren und Material und Begriffe anzuhäufen, bevor
Ton Gombmation, Determination etc. die Rede sein soll. Das Kind
wird diu'ch die Menge der Begriffe und die Summe der Verhältnisse,
die aus den Beziehungen und Verbindungen der geometrischen Objecto
nicht selten hier schon abgeleitet werden, fast erdrückt; es müssen,
wenn eine gewisse Anzahl Anschauungen und Begriffe gefunden sind,
dieselben erst verarbeitet, mit ihnen erst vielfach operirt werden, be-
vor neue hinzutieten dürfen. Oder warten wir, wenn wir z. B. einem
Kiude das Lesen und Schreiben lehren, mit der Zusammensetzung von
Silben und Wörtern, bis es alle Buchstaben kennt und geübt hat?
Schon lange nicht mehr. Es haben neben der Anschauung auch die
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geometrischen Übungen, Messungen und Berechnungen aufzu-
treten. Die Formenlehre fordert ferner das Zeichnen der Körpernetze,
schon nach der Betrachtung des Würfels wird die Aufgabe gestellt^
<las Netz desselben zu zeichnen, doch dem Kinde ist weder die Hand-
habung des Zirkels, noch die Construction von senkrechten und pa-.
rallelen Linien gelehrt worden etc., was doch unumgänglich nöthig ist.
Weiter ist nüthig, dass der Schüler den ünifaii«,^ einer Fläche niessp,
die Länge der Kanten berechne etc. Auch ist in dem ersten Jahr-
gange — zumal dieser Unterricht gewöhnlich erst mit dem sechsten
Schuljahre begonnen vnvd — schon einiges aus der Flächenberechnung,
80 die Inhaltsberechnung eines Quadrates, Kechtecks und Dreiecks, zu
behandeln, wie überhaupt eine möglichst concentrische Vertheilung
des Lehrstoffs, zumal iu gegliederten Schulen, die allein berechtigte
ist Es ist dieser oben angedeutete Mangel auch bereits mehrfeudi ge-
fehlt worden, und man hat deshalb der Fenneiilehre so Terschiedenes
heigegeben, was, streng genommen, in die Geometrie gehört, was aller>
dings nicht za Terwnndem ist, da Übergänge yon der einen Erkennt-
nisweise sor anderen nnsertrennbar sind. Ja, man ist in neuerer Zeit
sogar soweit gegangen und hat gesagt, beide, Geometrie imd Formen-
lehre, behandeln denselben Stoff und zum groflen Theil dieselben
Wahriulten, beide lehren den Schüler gerade nnd krumme^ parallele,
coa« nnd diyergirende Linien kennen, die verschiedenen Winkel, die
Arten der Dreiecke» Vierecke etc. nntsrseheiden, nnr der Lehrgani^
ist ein anderer, die Geometrie beginnt mit dem Ponkte, geht dann
zur Linie nnd Fläche nnd ans der Planimetrie zur Stereometrie ftbei*,
während die Formenlehre mit der Vorzeigung der Körper beginnt, an
diesen die Flächen, Kanten, Ecken und Winkel anWilt und erst
dann die Planimetrie bebandelt. Gegen diese Auffassung ist aber ein^
zuwenden, dass es gar nicht die Aufgabe der Formenlehre sein kann,
den Inhalt der Geometrie zu popularisiren, sondern „dass sie gi'und-
sätzlich auf der Elementarstufe stehen zu bleiben hat".*) In der For-
menlehre werden concrete Raum Verhältnisse mittels der Anschauung
behandelt, der Schüler vertraut der Beobachtung, andere Beweise,
fordert er nicht; werden ihm aber Lehrsätze ohne Beweis mitgetheilt
so wird der spätere geometrische Unterricht geschädigt. „Der Schüler
muss geradezu irre werden, wenn ihm Sätze, deren Richtigkeit er bei
der Aiitlüsung \ieler Aufgaben vorauszusetzen gewohnt war, nun noch
be^\ iesen werden. Er niuss sich dann einen ähnlichen Begriff von
der Geometrie bilden, wie ihn Mephistopheles von der Logik gibt."**)
**) Grube: Bedeutung und Stellung der Formenlehie im VoikMdndimtenicht»
**) LindemftiiB : OeometriBolie Fonneolehie.
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Ein fernerer Übdstand, weLcber durch EbfAhrnng der FoimeR*
lehre all BeLbstständigen Lehrgegenstaad berrörgemfen wurde, ist
der, dass man in den höheren Schulen von einer geometrischen An>
flofaanungslehre meist ganz absieht. Schon ein flüchtiger Blick in die
verschiedenen Schulprogramme lehrt uns dies zur G^nilge. Man sagt
dort: die Formenlehre ist für die Volksschule, wir treiben hier jedoch
die Geometrie „wissenschaftlich". Man beginnt also sofort mit der
abstracten exacten Wissenschaft und bedenkt nicht, dass die Ausbil-
dung der Raumphantasie und der geometrischen Anschauung so uner-
lässlicli ist, dass alle Erkenntnis sich in ihren Grundzügen auf die
Anschauung stützen muss. Schon der bedeutende Graßmann*) sagt:
,.l)ie Geometrie des Euklid ist für Männer, nicht für Kinder. Sie
fordert einen gereiften Verstand, um die Gründe der Anordnung zu
übei-sehen und die Folge der Sätze bis zu den Grundsätzen hinab,
worauf ein Beweis gegründet ist, so mit einem Blick zu überschauen,
dass der vorliegende Satz im Grundsatze selbst erkannt wird. Eine
zusammenhängende Reihe von Schlüssen gehört nicht füi- Kinder und
•kann von ihnen nicht ftherBehsB werden. Wie deutlich ihnen jedes
ebadne Glied einer aplchea Kette und sein ZnHamagiihaag in dem
▼orheifeheiidflD «ein nag, ee feUt ihnen die Kraft, die Glieder ab
ein Ganzes amosehen, nnd so geht ihnen die Einheit des Beweises,
' naeh welcher die Folgerong in der VoransBeteing ab nmertrennbar
erUiekt werden eoU, nnd damit die eigentliche Erideas yerloiren, wih
doreh die Geometvie eben aninehend und hädend wird.** ünd noch yer^
echiedene andere Antoritäten haben es wiederholt aosgeeprochen, dass
Enklid nicht für 12- Us llttUirige Knaben, daaa er tlbeilianpt nicht Ihr
Anfibiger iat (veigL aneh Mager: „Die dentaehe BttigerMdinle^% Eß
wird soviel Aber die Erfolglosigkeit des wathematfaichen nnd besonders
4m geometrischen Unterrichtes geklagt; man meinte sogar lange Zeit,
dass deijenige Schiller besonders organisirt sein müsse, welcher in der
Mathematik etwas lernen solle; ja man fand es sozusagen in der Ord-
nung, verzeihlich und höchst anständig, in der Mathematik nichts zu
wissen. Welch gewaltiger Irrthum! Die Mathematik ist eine reine
Verstandeswissenschaft; da nun alle normal organisiiten Menschen die-
selben Vers tan deskräfte haben, so kann bei der häufigen Erfolglosigkeit
der Fehler nur an der Methode liegen. Die einzig richtige Methode
kann aber nur darin bestehen, dass jeder Schüler, bevor er zum
systematischen, wissenschaftlichen, formal logischen Gange
*) Graßmana, Baumlehre f. Yolksschalen. 1817.
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in der Geometrie gelangt und über den inneren Zusammen-
hang aus der geometrischen Entstehung und über die syste-
matische Anordnung der geometrischen Wahrheiten reden
und denken soll, die geometrischen Begriffe, den geometri-
schen Stoff und die geometrisclie Fertigkeit und Übung durch
Anschauung kennen lernen muss. Wie einem Schüler die Zahlen
auch anschaulich vorgetührt werden müssen und er das "Rechnen im
Zahlenraume von 1 bis 10, von 10 bis 100 etc. absolvirt haben muss,
bevor er sich mit diophantischen Gleichungen beschäftigen kann, so
ist aucli unbedingt nöthig, dass der erste geometrische Unterricht — sei
es in der Volksschule oder in einer höheren ünterrichtsanstalt — An-
schauungsunterricht sein muss und mit der Betrachtung von Körpein
zn beginnen lial Das Hans kla^^t so oft Aber ÜberbBrdnng', die
Schnle klagt so yid Uber nngentkgende BefiUiigung, Aber Ignoranz nnd
Strebloaigkeit; und die Schnld Uegt znm grofien Thefle mit an der
Yeikehrtheit der Methode: ein Lehrsaal Ittr Kinder ist kein HOr-
Baal fflr Akademiker.
Es ist swar neaerdings Ton oben angestrebt worden, doch fflr das
erste Jahr etwas elementarer za veilftbren, so hat s. 6. die oberste
SchnlbehOrde fflr Prenßen in den ErUaternngen der Lehrplftne fflr die
höheren Schalen vom 81. Mfirs 1882 in Quinta des Gymnasinms Bamn
gesehaiFen fflr einen propidentischen Unterricht in derOeometrie. Der
einschlägige Passus lautet auf S. 25 'wörtlich: „Die fflr VI. und V.
angesetzten Lehrstunden gehören dem Bechenunterrichte an. Die iiir
V. eingetretene Erhöbung der Anzahl der Lehrstanden ermöglicht es,
eine wöchentliche Lehrstunde dem Zeichnen von Figuren mit Lineal
und Zirkel zu widmen und durch diese methodische Ausbildung der
Anschauung den davon ausdrücklich zu unterscheidenden geometrischen
Unterricht voi-zubereiten." — „Ausbildung der Anschauung" wird ge-
fordert. Sehr gut. Aber [dieser Begriff, so einfach und klar er er-
scheint, hat in praxi die wunderbarsten Auffassungen erfahren. Was
hat man nicht alles lür die armen Quintaner zusammengetragen und
aufgespeichert! Projectionslehre, Ahnlichkeits- und Congruenzlehre,
Ornamentik, Berechnung der Drei- und Vierecke, Berechnung des
Cubikinhaltes von Prisma, Cylinder und Kugel; die|Correspondirenden-,
Weclisel-, Gegen-, Ergänzungswinkel und wie sie sonst ad libitum oft
benannt werden, fehlen aber nirgends. Es ist ein wahrer Jammer!
(Wir übertreiben durchaus nicht; wer sich noch eingehender hierüber
Bartholom äi, Die Geometrie der VoUuschale.
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— 511 —
<n4eDtireii und die betreffenden Werke kennen lernen will, der lese
unsere Besprechungen der geometrischen Literatur in den „Pädago-
gischen Blättern", begründet von Kehr). Das Zunächstliegende wjlre
aber doch die Gewinnung der geometiischen Grundbegriffe und zwar
durch eine entsprechende Betrachtung yon Körpern etc. Halten wir
fest, dass alle Erkenntnis auf die Anschauung sich stützen muss, so
folgt ohne weiteres, dass jede Schulspecies des geometrischen
Ansc Ii a Illings unter licht es bedarf, dass aber eine jede derselben
Auswahlund Verai beitung des Stofes ihrem geometrischen Standpunkte
gemäß einzurichten hat.
Ja, wir gehen noch weiter; die Anschauung und das geunietrisclie
Material wird am besten zugleich mit der formal-logischen Form ge-
geben. Und gerade der Grund, welchen die Vertreter des gesonderten
Anscliauungscursus ins Feld fuhren, „dass der wissenschattliche, for-
mal-logische Gang in größerer Reinheit auttreten könne, wenn zuvor
der Schüler das ganze geometrische Material in elementar anschau-
licher Weise kennen gelernt hat", spricht — wenigstens in Hinsicht
auf die YidlBBdiiile — für Vereinigung beldw Kchtnngea. Die
gröBere nBeinheit^ des formal-logischen Ganges kann leicht zu eber
pedantischen Systematik ausarten nnd dem größten Feinde aller Un*
teniditsbestrebungen, nflmlich der Interesselosigkeit nnd Langeweile
günstigen Boden bereiten, znmal bei weniger abstractionsflüiigen
fichttlem. Werden aber die Anschannngen mit Conatmction, Gombi-
nation, Determination, Hessong, Berechnung etc. verknöpft, so gestaltet
tisk der ünterrieht yUA mannigfBltiger und daher interessanter, als
wenn jedes getrennt behandelt wird, gewiss ein m beachtender Factor,
ziunal im mathematiaehen Unterrichte.
Summa Summarum: Die Formenlehre ist die elementare
Stnfe des geometrischen Unterrichtes, doch sie ist von diesem
unzertrennbar, weil di e Elementarstufe stets zum eigentlichen
Unterricht gehört; und wie z. B. beim Rechenunterricht keine
selbstständige „Zahlenlehre" nöthig ist, sondern die concrete Behandlung
der Zahl mittels Kugeln, Würfeln, Strichen etc. als die Elementar-
stufe des gesammteu Rechnens betrachtet wird, so hat auch der geo-
metrische Anschauungsunterricht als Elementarstufe des
gesammten geometrischen Unterrichtes zu gelten, aber nicht
als selbstständiger Lehrgegenstand. Es möchte daher, und
zwar auch aus den oben angetührten Gründen, zu empfehlen
sein, die Bezeichnung Formenlehre — zumal auch der Name
nicht gut ist, da es noch andere Disciplinen gibt (z. B. die
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Grammatik), die es mit den „Formen" zu thun haben — voll-
ständig fallen zu lassen und den g&uzen Unterricht mit
„Geometrie" zu bezeichnen.
Wenn die oberste Schulbehörde für Preußen in den obenerwähnten
BevStimraungen für Quinta nocli ganz besonders betont, dass die für
diese Stufe vorgeschriebene Ausbildung der Anschauung und das Con-
struiren von Figui'en- mit Lineal und Zirkel von dem geometrischen
Unterrichte „ausdrücklich zu unterscheiden" ist, so ist damit noch
keineswegs gesagt, dass dieser Standpunkt der richtige sein müsse.
Es kommt immer darauf an, bei wem man sich Baths erholt; ein in
seiner Vissensehaft verknöcherter Profiessor der Mathematik wird aller-
dings die Geometrie der YolksBchale gar nicht als Geometrie gelten
lassen, nnr ist es meikwfirdig, dass es an den homanistischen Gym-
nasien gerade mit der Geometrie nicht selten reeht „windig" anssiiBfat
Vielleixäit hat das preußische Untenichtsmimsteiiiim war sagen wollen,
man mOehte ja nicht etwa den Stoff für Quarta mit anf Quinta «ns-
dehnen und mit Lehisätien, Voranssetsangen, Behaaptnngen und Be-
weisen an die Qnintaaer herantreten. SoUte dies der FWUi sein, dano
sind wir der genannten hohen Behfirde sogar sehr dankbar. Nnn,
dass die Geometrie in den Gymnasien eine andere ist als in den
Yolksschnlen, das ist selbstverständlich, doch es ist z. B. die Botanik
oder die Geschichte in den Volksschulen auch eine andere als an den
Uni?ersitäten — akademische Wissenschaft kann nicht Yolksschol-
Wissenschaft sein — und doch ist der Name gleich; wanun soll es
hier anders sein?!
Zum Schlüsse noch eins.
Die meisten Unterrichtsdisciplinen erhalten ihre Begründung in
einem Unterrichte, welchen wir Anschauungsunterricht nennen; auch
der geometrische Unterricht muss von demselben berücksichtigt werden *)
Pestalozzi, der Begründer der Formenlehre, hat letztere durchaus nicht
als selbstständigen Unterrichtsgegenstand hingestellt, sondern sie seinen
„Anschauungs- und Sprechübungen" eingereiht.**) Die elementarsten
geometrischen Begiiflfe wie oben, unten, links, rechts, senkrecht, wage-
recht, gleichlaufend, Viereck, Dreieck, Kreis, Körper, Fläche, Linie,
kugelförmig, walzenförmig etc., müssen schon in der Unterclasse ge-
wonnen werden und zwar nicht zufällig, sondern absichtlich; an ge-
eigneten Objecten zur Betrachtung kann es ja nicht fehlen. Es ist
*) Hftrbait verlangt, dass der üoterricht fai der AnffiMiiiag des Binnliekea
eintreten muss, sobald der Untemeht Oberhaapt beginnt.
••) Grube a. a. 0.
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dies nöthig, weil die Cultur des Räumlichen viel Anstrengung erfordert.
Herbait will daher, um das mühsame Einprägen zu vermeiden, die
Elemente der Synthesis schon möglichst frühzeitig zu Bestandtheilen
der täglichen Erfahning des Kindes machen; er will deshalb schon
dem Kinde in der Wiege die geometrischen Formen anffUllig gemalt
oder durch glänzende Nägel auf Tafeln bezeichnet fortdauernd vor
Augen gestellt wissen.*) Und wenn dies vielfeicht auch nicht wört-
lich gemeint ist, so muss man doch dem zustimmen, dass mit der
Cultur der räumlichen Vorstellungen schon mit dem Beginn des Un-
terrichtes überhaupt der Anfang gemacht werden muss. Das
Kind darf nicht bis zu seinem 11. oder 12. Lebenegahre ohne alle
Keaatais der rftmnlichen Fonnen nad Beiiefaaagea bletben, weil die
Bilder des BäomHehen fiut fortwtOirend unser Vorstellea begkitea,
wtSL die inchügsten Begriife aaseree Denkeas Hetaphera des Banmee
siad aad eine Menge geomeirischer YentellBageBt sowie die riumUcfaea
Beiiehnagsbegriffe swiscbea Snitlect aad Objeet, Streckea, Biehtoagea,
•Wiakel, Drebnagea, Figuren aller Art BerflekaiehtigaBg fordeca.**)
Hier bleibt für den Anschaonngsanterricht ein laDgjfthrigeB Un-
recht m sQhnen, denn wAhread derselbe bald der Nataxgeschicht^
bald der Onuamatik, bald dem Stile, bald der Qeographie etc. cor
BegrOndaag dienen soll, wird an die Caltnr der geometrisehea Tor-
steOongen nad Begriffe kaum gedacht
♦) Her hart Bibl. piülag. Klassiker Vni. S. 91.
**) Es ist das Uaapf.verdiunst Fröbelä, dass er der AuBbildung der rftnm-
li^fla PhaatMi« im Mbai KiDdeMlteir mehr sa ihnm B«ehte TerliolfiBii hat
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Das Karteueiehieii als Hilfsmittel des Unterriektes
in der Brdkuide.
.Man Unit ebt n nur durch Zeichnen sehen, nnd M ist
gi'wiiw. doM, wer eine Stunde sdrhnet. mehr fflr seine
Atischauunnkllft gMriaat, als wer zi-hn Stunden
bloB sieht A (D i e s t e r w e g.)
Der Wert des Zdchnens als Mittel zur Erzielong klarer Vor-
steUnngen ist schon lange von den verschiedenstoi Pädagogen an-
erkannt worden. Weist doch bereits Bonssean in seinem „Emil"
darauf hin, wenn er beim Unterricht in der Geographie verlangt:
„Das Kind entwerfe sich selbst von allem eine Kante, dieselbe sei
sehr einfkch nnd enthalte anfinglich nur zwei Gegenstände; diesem
füge es nach und nach die flbrigen hinzu, sowie es dieselben kennea
imd ihre Entfernung und Lage abschätzen lernt" Neuerdings ist
man ja bestrebt» den Griffel auch dem naturgeschichtlichen Unterricht
dienstbar zn machen, und die Thatsache, dass sich von Jahr zn Jahr
die Stimmen hierfür mehren, scheint zu beweisen, dass man gute Er-
fohmngen in dieser Beziehung gemacht hat.
Sollen die Zeichnungen zur Unterstützung eines Unterrichtsfaches
ihren Zweck erfüllen, so sind verschiedene Anforderungen an dieselben
zu stellen. Sie müssen v*)r allen Dingen einfach, klar und übersicht-
lich sein, müssen das Wesentliche zur Anschauung bringen und das
Nebensächliche unberücksichtigt lassen, das Ausschmückende dem
Charakteristischen opfern. Diesen Anforderungen entspricht allein die
schematische Zeichnung, die also auch einzig als Hilfsmittel des
UnteiTichtes zur Anwendung kommen sollte.
Aber auch bei dem Verwenden des Zeiclinens im geographischen
Unterricht können wir die alte Wahrnehmung machen, dass gute
Mittel bei ungeschickter Verwendung entweder wertlos werden oder
gar schädigend wirken. Und wie hat man das Eartenzeichnen bisher
meist betrieben? Von der Einfachheit, die schon Rousseau betont, war
nichts zn spüren; man copirte möglichst genaa die als Vorlage dienende
Landkarte. Noch deatUch erinnere ich mich ans meiner eigenen Schul-
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zeit, dass unter uns ein reger Wetteiler darin stattfand, am bestimmten
Tage eine möglichst große, bunte und reichgefUllte Karte abzuliefera,
und dass wir in diesem Wetteifer von unseren Lehrern stets ange-
spornt wurden. Noch deutlich erinnere ich mich, wie ich wochenlang
alle Tagesfreistunden opferte, um mögliclist treue und zeichnerisch
gefällige Copieu abliefern zu können. Ebenso klar aber ist es mir
heute, dass dadurch nicht allein meine geographischen Kenntnisse
nicht in dem der angewaiidttu Zeit entsprechenden Maße geftirdert
wurden, sondern dass der Körper bedeutend unter der Arbeit litt, ein
Schaden, der durch die merkliche Ausbildung der Hand in zeich-
neriBcber Hinsicht nicht aufgewogen wird-
Da ist es denn ganz natfirlicfa, dass sich gegen das Eartea-
zdchnen die Opposition regte. Besonders in der neueren Zelt haben
sich mehrere gewichtige Stimmen mit aller £nt8diiedenheit dagegen
erhohent so dass es wol am Platse ist» sich einmal nfther mit der An-
gelegenheit des Eartenseichnens zn beiSusen.
Die Gegner des Eartenzeichnens haben sich die Sache insofern
leicht gemacht» als sie die zahUosen Abgeschmackthexten der einzdnen
Vertreter dieser Methode geUebi. Es wird darauf hingewiesen, dass
Kinder doch unmöglich die ümrisse der thfliingischen Staaten ans dem
Gedächtnis zeichnen kCnnen, zumal wenn mit dieser Aufgabe die
Forderung größtmöglicher Genauigkeit Tcrbunden wird, dass sich
zahlreiche Fehler einschleichen, die Augen zu sehr angegriffen wer-
den u. s. w. Und nachdem so die einzelnen Mängel beleuchtet worden
sind^ zieht man den Summirungsstrich und sagt, wie z. B. Tromnau-
Bromberg: „Die Volksschule . . . muss es (das Kartenzeichnen) aus päda-
gogischen Gründen verwerfen", oder man sucht die Enll)ehrlichkeit
desselben mit Leitzinger („Zeitschrift lür Schulgeographie" 1888,
Heft TV") durch die Vergleichung darzuthun: „Es lässt sich der aus-
gezeichnetste Naturforscher denken, der nicht imstande ist, die Gestalt
eines Pferdes correct aus dem Kopfe zu entwerfen'', ein meiner Mei-
nung nach sehr übel gewähltes Beispiel, da gerade von den Natur-
forschern möglichste Ausbildung in der Zeichenfertigkeit lebhaft ge-
wünscht wird.
Die Gegner des Kai tenzeiehnens schie6en weit über das Ziel
hinaus. Indem sie die Auswüchse der verschiedenen Alethodeu als
Kriterium ansehen und in Anbetracht derselben das Zeichnen einftch
entfernen wollen, schtttten sie das Kind mit dem Bade aus. ^t sich
wol ein einziger unter den Gegnern die Mühe gegeben, darttber nadi-
zudenkeUt welchen Nutzen das Kartenzeichnen im geographischen
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Unterrichte gewähren kann, wenn es rationell gehandhabt wird? Ihre
Schriften lassen dies wenigstens nicht erkennen. Und der Mühe wäre
es doch wol wert gewesen; denn Männer wie Karl Ritter, Kirchhoft" und
Heiland werden kaum ohne guten Grund das Kartenzeichnen warm
empfohlen haben. Ist es doch bekannt, wie Ritters voi-züglicher Vor-
trag gerade durch die Kartenskizzen, die er während desselben eut-
-wai^ in wirksamster Weifle nnterstfltzt wnrde.
Um das EartensEeielineii la dem Hilftmittel za machen, welches
es ftr dm geographischen ünterrieht sein kann nnd soll, war es mr
nöthig, eine yernttnftige nnd zweckentsprechende Anwendung desselhen
zn finden. Diese An^gabe scheint mir durch eine neoe Methode ge-
ltet zn sein, welche wir dem Herrn Bector Otto Bismarek, Ortsschnl-
inspector in Eüenbm^, yerdanken. Ich hin fiberaengt, dass die Bis-
marcksche Methode bald zn allgemeiner Geltung kommen wird, be- '
eonders da sie nicht erst lange erprobt zn werden brancht» sondern
schon einePrüfnngszeit von zehn Jahren hinter sich bat, bei der heute
herrschenden wilden Jagd nach neuen G^esichtsponkten gewiss ehie
rfthmenswerte Selbstyerleognang des Erfinders.
Bevor ich an die Darstellung der Bismarckschen Methode gehe»
bemerke ich vorweg, dass Bismarck von früheren Bestrebungen nur
die bereits 1821 von Selten angedeutete Benutzung geometrischer
Figuren übernommen hat und auch diese in wesentlich anderer Art
Ich bediene mich bei der Schilderung der neuen Methode der kleinen
Bismarckschen Schrift: „Das Kartenzeichnen als Hilfsmittel des Unter-
richtes in der Erdkunde" (Wittenberg, R. Herrose, 1890. Preis 40 Pf.)
und der von demselben Verfasser im gleichen Verlage als Hilfsmittel
herausgegebenen „Kartenskizzen für den Unterricht in der Ei*dkunde"
(3 Curse k 1,20 Mk.).
Fundamentsatz für die ganze Methode ist: „Das geogiaphische
Zeichnen ist nur ein Hilfsmittel des Unterrichtes, nicht Selbstzweck."
Kenntnis der Erdoberfläche ist eine der Forderungen des geo-
giaphischen Unterrichtes. Wodurch wird dieselbe erzielt? Durch
Schilderungen. Aber diese Schilderungen haben sich an ein Bild
anzuschließen, an das Kartenbild, sfe sollen demselben Ldieii
einhattehen und sollen allmahMch den Schüler dazu hinleiten, beim
Anblick eiur Karte selbst eine Schilderung geben zn kUnnen: yon
der Karte zn lesen. Aber «Karten sind Stebe der Weisen, und es
gehört ein bedeutender Aufirand Ton Kraft dam, sich ihren £Hnn
zn Terdenüichen**, sagt der bertthmte Geogrsph Oskar FescheL
kommen die geringen Resultate, die gewöhnlich im Kartenlesen er-
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zielt werden? Für die Kinder ist das Bild der Landkarte ein Laby-
rinth, das sie verwirrt, in dem sie sich verin'en, und sie bedürfen
daher eines Ariadnefadens, der sie sicher zum Ziele leitet. Diesen
Faden gibt nun die Bismarcksche Methode und führt hierdurch zum
wirklichen Verständnis der Landkarte.
Ausgehend von dem Verfahren der Triangulation, popularisirt er
dasselbe fiir die Schule und gewinnt hierdui'ch für die zu betrachten-
den Gebiete Dreiecke oder Vielecke, welche zwanglos die Grundform
derselben angeben. Complidrte mathematische Figuren sind stets
gemieden, da dier TevfiMser an don Gnmdsals .feathait, nur kleinere
Lftndergttbiete auf anmal in den Kreis der Betrachtung sn lieben.
Die Fhuattnlb werden dnreii eharalLteristiBehe LnftUnieii angedeutet,
▼fthrend sieh ftr die Qehiigssflge meist ebeniUls ein&ehe mathe-
matisdie Figoren als Grundlage ergeben. So entsteht ein ein&ehes
Skelett ans wenigen Linien, das bei snner AnsflUlnng ein klares,
leicht übersichtliches Eartenbild in Form einer Skisze bildet
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist es, dass Bismarck bei Her^
BteUnng des Skelettes anf die Anwendimg des Earteamallstabes dringt,
wodurch die Schüler einen Begriff von der wahren Ausdehnung des
betrachteten Gebietes erhalten, ein Erfordernis, das nur gai' zu oft
bisher nnberücksichtigt blieb. War doch bis heute in den meisten
Fallen der Maßstab auf der Wandkarte ein „rudimentäres Organ*^,
mit dem man nichts anzufangen wusste.
Aber wie entstehen nun die Kartenzeichnungen?
Nachdem an der Wandkarte die grundlegende mathematische
Figur für das zu betrachtende Gebiet aufgefunden ist, wird die eine
der Linien mit dem Kartenniaßstahe gemessen und in dei'selben Länge
und Lage an der Wandtafel gezeichnet. Die übrigen Linien werden
nun unter Berücksichtigung der gemessenen abgeschätzt, eine treff-
liche Übung des Augenmaßes, die Neigungswinkel der Linien zu
einander werden mit dem Transporteur gemessen, worauf denn die
von den Schüleni gefundene Grundfigur in den richtigen Verhältnissen
von der Hand des Lehrers an der Wandtafel entsteht. An dieses
Skelett lehnen sich leicht die i^'ormen des Gebietsumrisses, bei denen
durchaus kein Anspruch auf absolute Genauigkeit erhoben wird. Die
Schüler zeichnen nnter Benatzung der gleichen Hilfsmittel dieselbe
Gestalt hl verjüngtem Mafatabe auf ihre Tafel oder in ein Heft
Nun versucht man, das Chaos der Gebirgszüge zu entwinren, indem
man auch hier für die Hanptzüge die Grundform auftucht, diese dem
Umrisse elnftgt imd darauf die einiehien Züge leicht den Leitlinien
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anschmiegt. Die Anreihung der außerhalb der Grundform liegenden
Gebirgszüge dürfte nur geringe Schwierigkeiten machen. Nun werden
die Luftlinien für die Flüsse gesucht, wenu anders die Flussläufe
nicht schon durch die Richtung der Gebirgsketten genau angedeutet
sind, und an der Hand derselben entwickelt sich dann ein Bild des
Flusssystems jenes Gebietes, das zwar nicht jede Windung und
KrQmmung der StrOme wiedergibt, wie eine Gopie, das aber trots
seines schematisehen ChaFskters wegen der genauen Hafte der Lnft-
linien eine viel klarere Yorstellnng yon dem Wesen des Elosslaiifee
gewährt als jene. Es ermangelt nun nur noeh die Eintragung der
gemerkten Ortschaften, die nach natOrlichen Hericponkten oder nach
Abschfttaongen geschieht, und die Eartenskizse ist fertig.
Biese Karte entsteht nnn aber nicht etwa in weni^ Angenblieken
als ein Oanies. Sie wird als Grundlage wihrend des Unterrichtes
allmählich ans dior Landkarte heran^geschllt and gewinnt durch den
Vortrag des Lehrers Leben. Während der Schüler die ein&chen
Striche einer Zeichnung macht, muss seine Phantasie das gezeichnete*
Gebiet durchschweifen und ihm alles das ins Gedächtnis znrftckmfen,
' was ihm von jenen Gegenden bekannt ist. Dann erst gewinnen jene
einfachen Skizzen ihren vollen Wert, der durch Profilseichnnngen
noch wesentlich gehoben werden kann.
Die Zeichnungen des Lelirers sowie die des Schülei-s sollen mög-
liclist einfach sein; deshalb werden z. B. auch die Gebirge nur mit je
einem kräftigen Strich angedeutet, da die Schraffirungsversuche der
Kinder meist reclit unglücklicli ausfallen und das Kartenbild nur ver-
unzieren. Dagegen ist es zu empfehlen, dass Lehrer und Schüler
eine farbige Skizze herstellen, ersterer mittelst farbiger Kreide,
letztere unter Anwendung von Buntstiften, welche Kinder bei einiger
Anleitung bald recht geschickt gebrauchen lernen. So können z. B.
die Grund- und Luftlinien roth, die Grenzen grün, Flüsse blau, und
die Gebirge braun angelegt werden, während die Ortschaften mit
Tinte oder Bleistift herzustellen sind. Das ^einfache Kartenbild ge-
winnt dadurch sehr an Lebhaftigkeit
Die unter Leitung des Lehrers in der Schule entstandene Karte
wird in genau demselben Mafte dann zu Hause in ein besonderes Heft
eingetragen. Der freie Baum, welcher gewöhnlich noch an irgend
einer Stelle auf dem Kartenblatt bleibt, wird dazu benutzt, in den-
selben noch einmal in kleinem Haflstabe den Grundriss der Karte zu
zeichnen, dessen Linien die richtigen Ausdehnungen beigemerkt werden.
Hierdurch wird [der Grundriss dem Gedächtnis fest eingeprägt und
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ermögliclit es, den Kartenumriää auch einigeriuaßeii richtig auä dem
C^edächtuis zu zeichnen.
Es steht nun ganz in dem Belieben des Lehrers, durch mannig-
fache Abänderungen der Skizzen dieselben immer fester einzuprägen.
So kann er z. B. Skizzen entwerfen lassen, in denen nui- die Namen
der Halbinseln, Inseln und Häfen benannt werden, während alle an-
deren Objecte unbenannt ble&Mn, oder es werden nar die Gebirge
benaimt etc. ete«
Da sich das Zeichnen gleich an den Unterricht anschließt» nnd
iamest nur da^enige gezeichnet wird, was gerade besprochen wurde, i
so wird diese Methode niemals die Klage Aber zu großen Zeiiyerbraach
zulassen. Kommt doch aof einen Zeitraum von drei bis Tier Sdiul-
wochen im Durchschnitt immer nur eine yollstSndige ^"*^»Wmi>
Treten wir nun an die Beantwortung der Frage, was durch die
Anwendung der Bismarckschen Kartenzeichenmethode ifllr den geo-
graphischen Unterricht gewonnen wird.
Zunächst dürfte es klar sein, dass dnrdi das Skizzenzeichnen die
Landkarte nicht nur nicht verdrängt, sondern dass ihr durch dasselbe
erst wahrer Wert verliehen wird. Das Skizzenzeichnen zwingt ja in
seiner ^Eigenartigkeit zur jgenauen Betrachtung der Karte, es weist
dem Kinde ja Jerst den! Weg, die complicirte Kartenzeichnung richtig
zu verstehen. Dann \ aber kommt es dem kindlichen Gedächtnis
zuhilfe. Statt der scheinbaren Verwirrung auf der Wandkarte bietet
die Skizze geregelte (schematisirte) Ordnung in feststehenden, leicht
merkbaren raathematischen Formen, statt der Überladung der Land-
karte hier weise Beschränkung auf dasjenige, was der Unterridit dem
Kinde bot. Dass liienlurch die Aussicht auf festes Einprägen des
Gelernten unendlich wächst, bedarf keines weiteren Wortes.
Sodann bieten diese selbstgezeichneten Skizzen den Kindern vor-
zügliche Hilfsmittel zur leichten und doch gi'ündlichen Wiederholung
dar, die durch keine Nebeneindrücke gestört wird, und endlich ist
die Bildung des Augenmaßes und die Anleitung dazu, in der Einfach-
heit die wahre Schönheit zu erkennen, gewiss nicht gering anzu-
schlagen.
Zum Schlnss noch einige Worte über die Hilfsmittel der Bis-
marckschen Eartenzeichenmethode. Die kleine anleitende Schrift ist
schon erwfthnt Für die Hand des Lehrers sind femer die 8 Curse
mit Kartenskizzen {k Cursus 1,20 Mk.) bestimmt, die ftrbig ansge*
llihrt sind. Cursus 1 entfafilt auf 11 Blatt liitteleuroparDeutschlsnd,
Cursus 2, 11 Blatt, Europa und Cursus 8, 18 Blatt, anfiereuropfiische
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Erdtlieile. Wenn auch im allgemeinen diese drei Curse fUi* den
Lehrer bestimmt sind, so düi'fte es sich doch wol empfehlen, dieselben
auch besonders kurzsichtigen Kindern in die Hände zu geben. Metho-
dische Bedenken stehen dem wenigstens kaum entgegen.
Von ganz besonderer Wichtigkeit sind aber die in dem Herrose-
schen Verlage erschienenen Skizzenwandtafeln von Bismarck, die
in ihrer Eigenart etwas ganz Neues in der pädagogischen Literatur
sind. Sie sind die Kartenskizzen der vorhin genannten (-urse in der
Größe 80 : 65 cm. Vorläufig ist nur der erste Cursus — Mitteleuropa-
Deutschland — 11 Blatt, im Preise von 8 Mark erschienen. Die
Größe der Skizzenwandtafeln ermöglicht es, dass .sie selbst in großen
Classenräumen von allen normal sehenden Kindern scharf aufgefasst
werden können. Hervorgegangen sind sie aus der Erwägung, dass
die vom Lehrer an der Wandtafel entworfene Skizze niemals dauernd
ist» da die Tafel stets gebrandit wiid. Es ist aber für die Schule
Ton Wert, die Idtende Skizze f^stzohalten.
Ein dreifaelier Zweck fällt bei den Skizzenwandtafeln besonders
leicht in die Augen. Ilir Platz ist neben der Wandkarte, für deren
Labyrinth sie den Kindern die Leitlinien geben sollen. Als besonders
nützlich aber erweisen sie sich im Massenunterricht, vorzugsweise
jedoch bei Wiederholungen. Jede Unterrichtsstunde soll mit Wieder-
holung beginnen, fordert die Pädagogik. Wenn aiber das TOtge-
schriebene neue Pensrnn absolTirt werden soll, so kOnnen nur wenige
Ifinnten fftr die Wßämhßllmg Terwandt werden. Wib Undeilidi in
diesen FiUen das flbeifUlte Landkartenbild sich erweist, hat wol
schon jeder Lehrer der Geographie in seiner eigenen Praads erfiihren.
Da treten nnn helibnd die Skizzenwandtafehi ein. In seiner Über-
aichtUchkeit ist der Idialt emer einzehien TtM in einigen lünnten
abgingt« das Bild g^chzehäg wieder in seiner YoUen Klarheit ins
G^edfichtnis znrflckzanifiBn, nnd man wird in den meisten Fällen in
dner Stande mehrere Wandtafeln zur WiedeAolnng biingai lüSmuaL
Dies gewährt wiederum den groAen Vortheil, dass selbst ein umfang«
reiches Pensum in einem Jahre den Kindern wiederholt vorgeftthrt
werden kann, wodurch der Sicherheit im Wissen beträchtlich ge-
holfen wird.
Endlidi aber dienen die Skizzenwandtaiebi als vorzBglich ans-
geftthrte Zdchenvoilagen beim Classennnterricht Sie bieten in dieser
Hinsicht besonders demjenigen Lehrer ein willkommenes HUfiimittel,
der keine große Fertigkeit im Zeichnen an der Wandtafel besitzt
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Die Kartenskizzen sowol als auch die Skizzenwand tafeln sind in
dem weltbekannten Institut von Giesecke & Devrient in Leipzig aus-
geführt, Bürgschaft genug für ihre Genauigkeit und Eleganz.
Ich bin der festen t'berzeugung, dass die Bismarcksche Karten-
zeichenmethüde einen großen Fortschiütt auf dem Gebiete des geo-
graphischen Unterrichtes bedeutet, und dass sie zum Heile für diesen
Unterrichtsgegenstand allen Gegnern zum Trotz den alten Grundsatz
wieder zur Ehre bringen wird:
Nolla dies sine lineai
Mhioglak lt. Mag, ym. Btft.
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Sport.
£iiidfe Jahre lind im Lud gezogen, Mit wir in diesen Blftttem auf
die Schftden im Culturleben des Banernvolkes bingrewiesen und glelAaeitig
anzadenten versucht haben, wie durch eine heilsame Wechselwirknnf? zwischen
Volk und Intelligenz jene Übelstände zu beseitigen oder dtnih zu niild^^rn
wären. (IV. Jahrg., 6. Heft: „Volksbildungsmittel''.) In dieser Spanne Zeit
hat sieh in den einiehlägigen VerhUUdnen niehts geKndert; gar langsam treibt
daa Ktthlrad, wenn der Himmel nur spärlich Wasaer spendet. Damals be-
tonten wir hauptsächlich die Fehler, welche auf seiton <ler Bauern liegen,
heute wollen wir uns mit einer Erscheinung beschäftigen, die uns in weiten
Kreisen der Gebildeten entgegentritt. Hierbei müssen wir wieder vor allem
danlibar anerkennen, daas görade diese Zdtschrift ans Gelegenheit bietet,
caltarelle Fragen solcher Art, die für die Volkserziehaog von hoher Bedentong
sind, vor pädagogisch gebildeten Tjesern zu behandeln.
So, wie in lilngstvergangen^'n lalirlinnderten religiöse, ethische Probleme
die Qemüther beschäftigten (Humauismus, Reformation), so werden heute die
hnromgendea, fBhrenden Geister der Nation von Fragen politiseher nnd ▼olKs»
wirtschaftlicher Natnr inSpaanang gehalten (Parlamentarismus, Nationalismus,
Socialismus), während die große Menge des N'olkes in dem aufreibenden
harten Wettbewerb um Erriugung materieller Lebensgüter nicht zur ruhigen
Einsicht in Dingen, die den inneren Menschen angehen, kommen kann. Diese
Zeitatrihnnng bringt nnn BndidnQngen satage, welche ericennen laiaeo, dass
in deiaslben unsere gebildete Gesellschaft vielfach verfladkt nnd ▼<« der Er-
strebung ethisch fördernder Ziele abp^elenkt worden ist.
Das l'lx'iwieg^on politischer und socialer Fragen ist durch unsere der-
maligen Bedürtuisse, durch die ganze Entwicklung unserer Staatengebüde
bedingt, nnd daran etwaa indem an wollen, wire nidit nnr eine Tergebliehe
Ktthe, sondern auch ein adur n TernTtheilendes Beginnen, weil dadurch die
nothwendige Entscheidung über Fragen, welche das Volkswol nahe betreffen,
vereitelt oder verzögert werden könnte. Dagegen müssen wir aber alleiding^s
Sorge tragen, dass nicht in Verfolgung jener Richtung eine übergroße Ein-
aeitigkeit sich breit mache, doreh wetehe hShere menschliebe Zwecke geschädigt
werden miissten. Und hier dünkt es nns nun von besonderem Vortheile, gerade
eine jener Erscheinungen, von denen zu Ende des vorigen Absatzes die Bede
war, welche besonders detitlich das (iepriiire der Zeit trägt, einer näheren Be-
trachtung zu unterziehen, um das Fehlerhatte daitin zur klareren Erkenutnia
an bringen.
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— 52S —
Wir haben die Art nnd Weise im Aagre, wie sich heutzataye die Sport-
mäßigkeit ia allea Dingen bemerkbar macht. Das Wort „sport^ bedeutet
im Englischen tovid wie Spiel, BelnsUgaDg, SpaB,Vergnägen, Zeitvertreib;
waxk die Jagd wird d*nuiter rmUnäm^ DieM Begrilfe keannialiiieii Im
Chnmde anch Jene Gewohnheiten und Übanr>'n, die wir Dentschen keoto mit
dem Aasdrucke „Sport" belegen. Der Sport muss hauptsiiclilich einem Ver-
gnligen dienen. D.;r Botengänger, der den ganzen Tag herumläuft, betreibt
nicht Sport, weU er sich mit «einem Gehen das Brot verdient; wol aber be-
treibt Iba der „Dtotaiuffeber*, der fkreiwUUg, ohne einen anderen Nntami ab
die etwaige Aassicht aaf den „MeiBterschaftspreis'' zu haben, sich seine Alf-
gäbe gestellt hat; streng genommen darf auch schon ein „Distanzläufer" von
Profeesion, der aus seiner körperlicheu Übung ein Geschäft macht, nicht melir
nli richtiger „sportsman" gelten, nnd wird eigentlich — ebenso wie der
ajodny* — nur deshalb an den Sportkreisen geilhlt, weil dnreh sdne Knnit
der Sport im aUgemeiDen, das Vergnügen anderer, zu höherer Blüte gebracht
werden kann. Ebenso betreibt ein»^r Sport, der leidenschaftlich alte Cigrarren-
spitzen sammelt, nur um sagen zu können, er besitze so und so viel von dieser
nnd von jener Gattong — während ein anderer, der dieser Beschäftigung
ernstere Zwecke nnteriegt» etwa nm die Entwiclnlnng dar .Heenehanm»
drechalerei zn itndiren, nicht mehr ein bloa sportmiftiger Sammler genannt
werden darf.
Anfänglich war aller Sport nur auf körperliche Leistungen gerichtet.
Die älteste Form desselben war wol die Jagd, die bald nachdem sie aufgehört
hatte, dem Menaehmi seinen Lebensnnlerbalt an liefern, nur mehr sportmMMg
betrieben wurde. Daran schlössen sich gymnastische Übungen (Waffentänae),
das Fechten, Fahren, nnd in spJUeren Zeiten das Reiten, Schießen, Schwimmen,
endlich das Rudern, Radfahren u.s. w. Immer handelte es sich bei der Pflege
des sportlichen Vergnttgens nm die Erreichung der höchstmöglichen
Leistnng. Daher finden wir «<dion fHUiseitig die OepflogwMt, Wett-
bewerbe zu veranstalten.
Im Wechsel dor Zeiten wurden auch Farbe und Richtung des Sportwesens
verändert — dtn jeweilig herrschenden Auslohten und Bestrebungen ent-
sprechend. In unseren Tagen mit ihrem hochentwickelten Schreibstnbenlebea*
nnd Beamtenwesen hat der kSrperiiehe Sport schon vom Standpunkte der Oe-
sundheltqifloge eine besondere Bedeutung gewonnen; es fBUt Ja jeder beim
Verlassen seines „Bureau" das Bedürfnis, dem vom Sitzen ermüdeten Körper
einige Übungen der Muskeln und Lnngen zu g-önnen. Diese t'bun^eu nehmen
dann leicht die Form des Sportes au. Auch die nVereiusseligkeit" unserer
Zeit Ist derEntwickelnng des Sportes günstig. Wir sahen denn, wie der Sport
immer weitere Kreise zieht. Was oft die kärglicher zugemessenen Mittel dem
Einzelnen nicht gestatten, das ermog-licht ihm die Vereinigung mit anderen
zu gemeinschaftlichem Zwecke im reichsten Maaße; so ist die Ausübung sport-
lichen Zeitverireibeji nicht mehr an die VVolLabenheit gebunden, die ver-
adiledensten OeaeUsohaftsdasaen bethefligen sich an demselben. Natflrlich
steigern sich infolge dieser weiten Ausbreitung des Sportes anch gewisse Be*
dtirfnisse, welchen das Gewerbe abzuhelfen hat. Es entwickelte sich eine
eij^ene Sportindustrie, welche die neue RichtuniE^ ausg^iebig pflegt und ihr, wo
es nur angeht, eine einträgliche Seite abzugewinnen bestrebt ist. Hierdurch
»7»
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— 524 —
wird Wiederau die allgemeiue Aufmerksamkeit enrcf^, die Sacke „populär'*
nad «ndlidi — cor Mode gemacht
t)bertreibaiig: und die Sucht nach AuBergewöhnliohem dnd Merkmale
unserer blasirten Zeit, in der ^schpn alles einmal dagewesen"; aofort wurden
sie auch dem Sportwesen aufgedrückt, und dasselbe trug hinwieder nicht wenig
zur Verschärfung dieser EigenthUmlichkeiten bei. £s ist jetzt eigentlich
Hiebt mehr um die bettmSgliche, tondeni um die mttglichat aaAer*
gewVbnliche Leistung zu thun; am ausgeprägtesten finden vir dieaas Be*
streben in den beliebten, den Inbegriff alles Sportes umfassenden „Exoentric-
Clubs'*. Dieser Endzweck ist jetzt ausschlaggebend geworden, und wenn auch
betont werden muss, dass im Einzelnen ausnahmsweise auch die alte, ei'uster&
Artmig dea Sportea aick rein eriialtan hat, ao kann doeh nicht gelangnet
iretden, dass im ganaen nnd groBen daa eigentliche, niaprüngliche Ideal v«r-
wiadit worden ist.
Durch die Betheiligung verschiedenartiierer, weiter Kreise an der Sport-
pliege, infolge des liierbei bethätigten Strebens nach Außergewöimlichem, Auf-
fiOtondiB, und endlich aadi dem großen Zuge der Zeit entapreehend, «md»
aanolt derSpcErt anf Änflerlichkeiten hingedrtngt. Anf Nebenaachen hat ua»
ein scharfes Auge, auf die Erfüllung gewisser Förmlichkeiten wird ein großes
Gewicht gelegt. Es hat sich ein ganz eckiger Geschmack entwickelt, der nur
das Zweckmäßige, Glatte und das eben durch diese Eigenschaften besonders Auf-
fallende pflegen will. Man hat ^HHihemden, Sporthosen, SportHldce, Sport-
waaten, Sportaohnhe, Sporthttte, ebensolche Halabinden, Bnaennadeln nnd
Handschuhe im Gebrauche, — mit einem Wort, man hat jene eigenthüniliche^
allüberall in der ganzen Welt sich bemerkbar machende sociale Eiseh<'innng
ins Leben gerufen, die der Wiener spöttisch mit dem Ausdrucke „Gigerlihuui**'
n baniiftiieB beliebt» uid deren Vertreter er „Gigerln** nennt Unter dieaer
Beseiohamig ist nach dem Wiener SpraohgelOhle etwas QekUnateltea, Über*
tliebeneaf Haltloses zu verstehen. Der richtige „Gigerl" muss schon in seinem
Äußeren — und das ist ja bekanntlich die Hauptsache — seine Artung zur
Schau tragen, indem er alle jene früher erwähnten gewerblichen £rzeugnis8&
gewiaaeohalt bemitst; beaacht er dann nm^ an Men Sonntagen den »Tlirf *
•nd gehOrt er etwa andi einem Badlhhrer» oder Bnderdnb an, ao ist er voll-
atlndig — npschtttt«.
Die ungeheure Vermehrung der Zahl der Halb- und Dn iviertel-Gebildeten,^
die sich mit Vorliebe der Behandlung von wissenschaftlich aussehenden Dingen
widmen; das allgemeine Beatreben, gelehrt nnd wi^1% m thu; die Vor»
aeklebnng, welche nenerer Zeit in den VeraBgenaverhitlUiiaMin elngötreten ist»,
wonach es neben einer Anzahl von Armen, auf kärglichen Hände verdienat
Angewiesenen auch eine große Menge von Reichen gibt, die mit ihrer freien
2ieit nichts anzufangen wissen; — alle diese Umstände bewirkten, dass zuletzt der
Sport auch auf geistiges Gebiet äbertragen wurde, das heifit, ee werden
hewte nicht nar kttrpeiüeliek aondem amdi Angeiegonkeiten, die das mnschliehe
Benkaii und Ffihlen betreffen, einer rein aportuSAigen Behandlnngsweise unter-
zogen. Diese Erscheinung steht in innigem Zusammenhange mit dem f ber-
handnehmen des Dilettantismus; allein der Dilettant fasst im ganzen seine
Thätigkeit doch noch emster auf als derjenige, welcher nur Sport betreibt,
and dem ee hauptsächlich auf eine bemerkbare Wirkung nach anfiea ankommt»
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— 525 —
FaaMn wir nan das, was wir in wenigen Worten tber die Entwiekelnog
tind den gegenwärtigen Stand des Sportes gesagt haben, zusammen, so er2:ibt
«ich, dass wir heute unter Sportniäßigkeit anf geistigem Gebiete eigentlich
folgendes zu verstehen liaben: Alle ernste, gründliche, in die Tiefe
gehende Arbeit ist der epertnftßigeii Behandlnngtweiie inwider,
da diese ja eigentlich schon von jeher mehr anf das Vergnfigen,
■das Spiel angelegt ist; die Sportmilßigkeit hat es heute hauptsäch-
lich auf ünßere, in die Aagen springende, überraschende Wir-
kungen abgesehen.
Das Wolgefallen am Sportmäßigen hält die weitesten Kreise, namentlich
unsere Jugend, gefimgen; es gehSrt sam gatm Ton, irgend eioett Spert m
treiVton. und wenn einer „recht was Dummes* Mutollt, dann entschuldigt matt
ihn damit, dass dies „halt sein Sport" sei, ebenso wio der Wiener Gassenbube,
der, seinen irgendwo ergatterten Cigarrenstuinpf in einem versteckten Winkel
schmauchend, zum „Spezi" sagt: „Du, des is dir schon Spurrt!" Dieses Wort
^Spnrrt" lat aneh noch von Jeaer wngerechten Bewegong der voigettrecktea
Fanit mit weggespreisfeeBi Danmea begleitet.
Durch die Ansbreitang des Sportee aieh tber geistige Gebiete wurde
demaeUwa der weitestgehende BiitflnM anf muer gesammtes Leben gesichert.
Er gewann eine Beden tung, die er nie vorher gehabt hatte; leider aber trug
dieser Umstand der Gesammtbeit keinen Vortheil ein, und wir wollen nun
versuchen, an einzelnen Beispielen diese Behanptnng zu begründen.
Die Sportmäfligkeit in wissenschaftlichen Dingen äußert sich vornehmlich
in allea Arten dee Sammelsportes. Derselbe bat altovdinga «Im gewisses
Interesse an irgend einer Wissenschaft snr Vortassetanng, allebi dieses Inter-
esse dringt nicht tiefer ein, sondern verbreitet sich nur Ober Äußerlichkeiten,
<iabei finden die EfFecthascherei und der Vergniigungszweck volle Befriedignng.
£s wird der Honigseim vom Rande der Schale genippt. Der wissenschaftliche
Anstrich moss sam Anlauts dienen nnd wird deshalb besonders wert gehaltra.
Vorzüglich beliebt Ist das Sammeln von Alterthümem. Hf an sammelt ans der
Stein-, Bronze- und Eisenzeit; man sammelt Waffen, Kleider und Geschmeide
— der eine ansschließlich dies, der andere jenes. Schon das Specialisiren an
«ich muss zur Erhöhung des wissenschaftlichen Ansehens dienen. Dieses
Sammeln MixMt, dm yerOeil, dass sidi bei demselben allerhand wolfeile Ge-
lehrsamkeit anfwenden lisst; so kann also einer leicht Ar eteen Historiker,
Anthropologen oder Ethnographen gehalten werden. Wie viele „Literatur-
frennde" gibt es, die nichts weiter als Büchersport treiben und in dem Zu-
sammentragen von Büchern verschiedener „Editionen" ihr einziges Vergnügen
linden, ohne diese Bftcher zu lesen, geschweige denn einen tieferen Nutzen als
«Ine leere, anf den Lippen getragene B^ielstwong „fftr die groBen CMsfeer
4er Nation" darans zu ziehen. Von jeder dieser einzelnen Abarten von
^„Sportsmen" sind nns bestimmte Exemplare im Leben bekannt. Viele solcher,
l>esonders auffallender Figuren hat auch der bekannte Wiener Schriftsteller
Friedrich SchlCgl geschildert. Man findet sie unter Jungen und Alten, M&nn-
lein nnd Weiblein; bei allen Feilbietnngen ▼mtKnustgegensandenodsr Biebern
«Ind sie scharenweise zn treffen. Da gibt es Damen in schwarzer Kleidung,
mit Nasenkneifem (obwol sie ohnedies nicht knrasiehtig sind), und Hftnner,
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die ständig einen Katzenbuckel machen, nm rar Schan a. tragen, urie Mkwer *
sie ihre Wiseenschaftliclikeit niederdrnckt.
Eine Abart des Sammelsportes mass aach zur ErgftozuDg dctWohnnngs-
sportea dienen. Dieter iMstelit an md Ar lieli In dam Bestreben, aeina
Wohnnng: so sehenswert als möglich einzurichten, wobei es natürlich weit
mehr auf äußere Effecte ankommt, als auf stilvolle, die Sinnes- und Gemüihpai t
des Eigenthümers bekundende, behagliche Aut^stattung der Wohnräume. Die
hohe Entwickelang des Kunstgewerbes ermöglicht es ans heute, dasa wir uns
ait Vielgestaltigen Erzeugnissen eines guten, gellnterten Geadnnaekea nm-
gaben; — aber wie viel wlri hier geaHndigt dnrch t)lwrtreibQngen in der
Form und in den Mengen!
Eine Wohnung, die den sportlichen Aiifurderungen gentigen soll, mnsa
sehen vor allem anderen eine etwas weitläufigere Gliederung in ihrer Anlage
anfvreisen. Sitninunar („Salon*), Spaiae- ,Sch]af- nnd Damenzinnier («Bondoir"),
Herren-, Banch-, Efpiel-, Badezimmer n. s. w. — das sind so die unerlässlichen
Räumlichkeiten, wenn eine Wohnung hallwegs „fashionable'' sein soll; dann
muss dieselte auch zugleich in einem eleganten Stadtviertel und einem schon
von außen eleganten Hause liegen. „Wenn man sich mit einem bloßen Obdach
hegnflgen will, dann wird man adne Anaprfteha niederer atellen*, tagte mir
einmal eine Mietpartei, die zweitausend Gulden Jahreszins für ihre Wohnung
bezahlt — nnd ich hätte gedacht, dass zwischen einem einfachen „Obdach"
und einer theueren Stadtwohnung denn doch ein größerer Unterschied bestünde.
Die innere Ausstattung der Wohnräume muss so effectvoli als möglich ge-
lialten aein; ea liandalt ridi dabei nicht um Oedkgenheit nnd geachmackvoUe
Form, sondern um Auf&llendes, den Besucher überraschendes. Und hier greift
eben auch der Saromelsport herüber. Man trägt alles Mögliche in so eine
Wohnung zusammen: Figuren aus Tanagra, alte Kröge aus verschollenen
Burgen, Waffen aus den Kreuzzügen, Sessel und Bänke aus NOmberger
FatiieiarhHiiaero, Ttepplehe ana daan Orient, Ungehener ana Japan nnd ün-
ainniges ans aller Welt. Das hat es allea früher, da der Sport noch nicht
seine allumfassende Ausbreitung gewonnen hatte, nicht gegeben; aber die
Zimmer mit ihren weißen Fenstervorhängen nnd den guterhaltenen Möbeln ans
Großvaterszeiten, an die sich tausend Erinnerungen knüpften, waren gewiss
ivohnlicher nnd anhalmelnder ala mmn hentlgeii Wohnritanae mit ihrem Icalten
Prunk, ihren yon Jedem HObelhändler zu erstehenden Schaustücken, bei deren
Anblicke wir uns an keinem freundlichen Eiinnei-ungsbilde, das fie in unB er»
wecken, erwUinien können, da sie ja nur von heute auf morgen erworben
worden sind. Heutzutage zeigen die Hausfrauen ihren Besuchern die äußeren
Vorsfige nnd Efgenthtlmliehkaiten ihrer Wohnung, wie aie ehemala dieaelban
mit dem reichen Inhalte der Schrftnlte vertraut machten nnd gerne die
Menge der selbstgefertigten Leinenwäsche, Stickereien u. dergl. bewundern
ließen. Dieser Unterschied i^^t wiedt r bezeichnend für die auf Äußerlich-
keiten gerichtete Sportmäßigkeit unserer Zeit.
Die heaprodMueB Sportarten alnd IndcaMii nur privater Natur. Enister
müssen jene ÄnBarungen der S^Hirtiuat genommeii werden, welche die AU*
gemeinheit berühren.
Der hentige Sfort bekundet auch darin den Zup unserer Zeit, dass er
aich eines Gebietes bemächtigt hat, auf welches gegenwärtig die allgemeine
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Aafmerksamkeit gerichtet ist, — des Gebietes der Politik. Hier liat nnn
der Sport viel erustliclies Unheil gestiftet, denn derjenige, welcher sportmäßig
Politik betreibt, bat es nur auf äaßera Erfolge abgesehen and sucht gew^n-
Ueh efaMn Ansnahnrntondiwiikt etnsnnehiMB, der reoht «nflUleiid iit Bs
mig flberraschen, dass sich viele gerade für den politischen Sport erwärmen;
man sollte doch meinen, dass die Beschäftigung- mit den sich drängenden
TagMfragen, den aufregenden Parteikämpfen gar wenig Anziehendes für den-
jenigen, der sportliches Vergnügen sucht, in sich schließe. Und dennoch sehen
wb nidit nur fUmiide PenSnlleUnitfln, Mndera andi einen gewaltigen An-
hängertross politischen Sport betreiben; bei den ersteren finden wir Kampfee-
frenriigkeit, Eitelkeit, manchmal sogar natürliche politische Talente, bei dem
letzteren vorzugsweise das Behagen an Wirtshausgesellschaften, als Beweg-
gründe, welche das Eintreten in das politische Getriebe veranlassen. Bei
BinMlnen kommt aneh Mdk eine gewlne materielle Wolhabenbelt dara, wekhe
dieser Sportart sehr fÖrderlieh ist.
Wenn auch diese Art von Politikern nicht so gefilhrlioh ist. wie das offene
oder versteckte Streberthuin, so kommt doch viel von der Zerfahrenheit, Un-
einigkeit und Unbeständigkeit unseres gegenwärtigen politischen Lebens auf
ibre Beehnnng. Ee will einer den anderen dnreh rflekaiehtelMeres Anftreten,
edtaamere, wnoeh nie dagewesene" Programme flberbieten. Die einielnen
Gruppen suchen mit Eifer zwisrhen einander Unterscheidungsmerkmale herans-
znfinden, auf die man sich nicht wenig zugute thut. Finden sich im Urunde
•olche Merkmale nichts dann verbeißt man sich an nebensäclüichen Dingen.
So wird die emete AiMt geetOrt, daa Trennende anstatt des Yereineiiden
•herf ergekehrt.
Da in diesen Blättern nicht der Ort ist, politische Streifereien zu unter-
nehmen, können wir wol nicht in nähere Schilderungen, wie sich die politische
Sportmääigkeit bei den einzelnen Parteien äußert, eingehen. Allein es mag
uns dodi geetafttet lein, an bemwken, daas lidi gerade In den jüngeren poli-
tiaehen Bichtongen die SportmiBigkeit geltend macht und die Wirkung dieaer
fHschen Strömungen, welche sieh dueh belebende. Kraft anaMiehnen aoUten,
leider wesentlich beschränkt.
Wir wollen ans nun mit dem Einflasse des Sportes auf die Volks-
bildnng teadMIHgen.
Zu allen Zelten hat die Überfbinerang des Lebens eine gewisse weich-
herzige Sehnsacht nach dem Ursprünglichen und eine schwUrmerische Ver-
ehrung der Äußerungen desselben im Volksthnme bei den Gebildeten" wach-
gerufen. In früheren Epochen kam bekanntlich diese Stimmung in sentimentaler
Welae nun Anadrteke. KaB ▼eraetile lieh kloatUeh in elBlhdMre, naivere
Tage snriek vnd Tetsnehte dnrdi LiBoenimng Ton nSdilÜBreieB" oder durch
das Lesen von idyllischen ,^ Schäferromanen" die Saiten des „empfindsamen*'
Gemöthes in wehmuthklingende Schwingungen zu versetzen. Hentzutage geht
man mehr verstandesmäflig- vor: man „reflectirt". Die Gemüthsbewegung tritt
mrlkk gegenttber dar irrtheOsfUHlgkik Kan kam to der Überzeugung, daaa
daa Leben in mprangliefaeren Veridtttaiaieii wd frei yon manch drückendem
Zwange und reldier an fk«nndlichen Bildern als unsere gegenwärtigen Zustände
sei; aber ebenso wurde es allgemein klar, dass ein künstliches Zurückversetzen
in jene Ursprünglichkeit, wie es von Kousseau gedacht war, nicht nur unmög-
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lieh sei, sondern auch keine Befriedigung bieten würde. Man sah ein, dass die
einflwiiaB ZattSnde vidftMh aneli lundingUch Beten; tomit «teilte mm tUk
deneelben mit mehr Selbatbewotttieiii oder auch nur mit mehr AnmaBnng
gegrenüber, als es in der sentimentalen Epoche der Fall war. Im Volke verehrt
man nach wie vor die alten Reste von Urwüchsigkeit and Naivetät mit mehr
oder weniger richtigem Verständnisse ; zugleich aber denkt man auch äber die
SchwIdMB und Fehler dee Volkes niflh oad TeuMWlit dieeeibm tIbnMBiL
Also nicht wie frfiber de» ZnrttckTereetBeii in e{Bfiwhere Znetlnde, lOiidAm der
Versuch, dieselben emponroheben, iat beste der Erfolg jener «ibenerwUuitiii
.Stimmung.
Man fühlt sich zum Volksleben hiugeaogeOt oftmals macht sich sogar eine
fibertriebene, kindische Vethimmetamg deeielbett benvkbar, aber lüxt ist dabei
Immer bestrebt, auf dasselbe emmwirken. Ventirkt wird dieeea Bestreben
noch durch den heute herrschenden BUdnngsdttnkel, der über alles erhaben sein
will , und durch die Ideen allgemeiner Volksbeglucknngi die immerfort Segen
spenden wollen.
Diese SlBBMriehtuug änderte sish iimi «nildmfc in der Politik dvroh
stramme Herynkehrung des nationalen Standponktes in aUen Fragen, sie flmd
aber auch für ihre praktische Bethätignsg das bereits bebaute Gebiet der all-
gemeinen Volksbildung vor. Wir sehen daher auf demselben trotz der un-
günstigen äußeren Verhältnisse, wie sie durch das Vordrängen rückschrittlicher
Chmdiitie geschaffen werden, eine erhOhtere Begsamkeit, welche hie und da
aneh sdion den sportmiBigen Betrieb erkennen llsst Die Lust am Spori-
mldigen liegt heute eben in der Luft; kein Wunder also, wenn wir ihren
Einflnss auch manchmal in den Volksbildungsangelegenheiten leise verspüren.
Unter den vielen, die sich heute mit denselben befassen, muss es auch solche
geben,. die diese ihre Thätigkeit zu „ihremSporf* maehen. Sie finden na dsr-
•elben ein angenehmes Vergntfen, ein Mittel, in MBentlieheii Angdegenheltea
mitcnwirken ond in diesem Wlrkeu rasche, auffallende Erfolge zu erleben.
Finden wir den Sport in der Stadt unter den Gebildeten in schönster
Blüte, so ist davon unter dem Landvolke noch wenig zu bemerken. Um den
Körper in Übnng zn erhalten, brancht der Bauer keinen Sport; beim Mist-
ftbren md Dresehen kommt das Bivt genigei^ in Bewegug, ond statt Wett*
bewerbe hierin zu veranstalten, ist der Bauer froh, wenn er Mistkralle und
Dreschflegel ruhen lassen darf. Von wissenschaftlichen, geistigen Bestrebnngen
reicht in das Leben des Bauers wenig hinein; nur die ülaubenssachen be-
schäftigen ihn eigentlich näher — und hierin hat sich allerdinga eine Art
Sport entwickelt
Wir meinen das Betschwesterthum, welches in aumchen seiner Eigen-
heiten eine sportliche Richtung erkennen lässt. Vor allem entspricht dasselbe
keinem wirklichen, nothwendigen Bedürfnisse, da das religiöse Gefühl in den ge-
wöhnlichen und allgemeinen religiösen Übungen weitaus sein Genügen finden
kann. Die Betschwesteni und Betbrttder finden aber ein Vergnfigen daran,
über das gewöhnliche Mafi in auffallender Weise hinauszugehen. Dass ihnen
dies in den meisten Fällen ein wirkliches Vergnügen bietet, ühnlicb wie dem
JRuderer das Uberstandene Training, beweist das sichtliche Wolbehagen, mit
dem sie sich ihren freiwillig gestellten Aufgaben unterziehen, und mit welchem
nie sich anoh der VolUlIhrong denelben fronen. Ansgenommen sind hier
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allerding^s roli^iöse Fanatiker, ^vplche eher einem krankhaften Drang'e als
einer sportlichen Neigung folgen. Dem Betschwesterthinii ist es allemal um
eine Wirkung nach außen zu thunj das erhellt aus dem Bestreben, V'er-
eiiiigBiig«!! sn gritaideii und bei gflnitlgMi AnUtaMB mhIi Mrpantfv wfciiireteu
(bei Processionen, Leichenbe^LngiiiiMii n. dergl.). Audi in der Oewandnnir
sucht jedes Mitglied seinen Sport zur Schau zu tragen; die Betschwestern
wählen gerne Häubchen und schwarze Röcke, welche sie den Klosternonnen
ähnlich machen, und die vom „dritten ürden'' haben sogar Ansprach daraaf, falls
ito kdlsr sterben, Im NooMBgeiwaiids mf die Bahre gelegt sn werden; die
Bethrfider, die wol in der Mindeneahl sind, ahmen in ihrem ÄuBeren mOglidiBt
die geistlichen Herren nach. Nur einen kennen wir, der will recht bäuerisch
erscheinen, trägt einen breitkrempigen, grünen Steirerhut, gestutzten Backen-
bart und eine lederne Hose; aber der will dadarch mit Absicht seine couser-
vativQ Richtung, die nit allen DeniettUdiea Oeflnnker niohts geaelii hat, anr
Schan tragen. Ist das nidit Gott Teneih' nns die Sünde! — das reine
,.Gigerltlinm" im Weihrauchsnebel? Man sucht sich auch gegenseitig in
außerordentlichen Leistungen zu übertrumpfen, und wer etwa am öftesten die
weitesten Wallfahrten macht, der erringt die Palme der Glaubeuseifrigkeit.
Ist das alefat der sportliehe Wettbewerb? Dabei entwickdt sich ianeriialb
der Betschwesterkreise über alle diese Angelegenheiten und VoikomninisBe ein
regelrechter, boshafter „Tratsch'', der dem häufigen Gezänke in den Sport-
kreisen der Stadtleute anch in nichts nachgibt. Zudem fehlt — um der sport-
lichen Charakteristik vollständig zu entsprechen — dem ganzen Betschwester-
fhmne der eigentUflhe innere Wert. Dieae Leute sind selten wahre, anMehtige
ud edle CauisteB; aie aiMtan niofat an dar VerTaHkommnaag dea inneten
Menschen, sondern verwenden alle ihre Zelt nd Kraft auf die Pflsfe dar
äußeren Religionsgebräuche.
Dr. Hans Willibald Nagl hat in dem von nns herausgegebenen „Großen
ItanrniValmdnr mit Bildani* (1890) drei typische Figuren im Betaehweatnrn
aaeh lebenden Unatem geaelehnet, die dieae naaere Aosfilhnuigen recht dent-
Ueh illnstriren. —
Mit den vorgeführten Beispielen für die sportmäßige Richtung unserer
Zeit wollen wir ein Genügen finden. Die gleichen sportlichen Eigenheiten
wiederholen sich ja bei den verschiedensten Zelterseheinangen, und jeaar Leser,
der tterhaapt ▼enrtanden hat, was wir meiaen, wird aiit Leiohtigkait ans
seinem eigenen ErfkhraagakieiBe aoih aaUrekhe Peisptola den aagaflUniaa
hinzufügen können.
Solange sich ein Sport nicht für mehr ausgeben will, als er eigentlich
ist, erscheint er nidit gefiUirlich; nur dartdi seine nnbeschrftnlrte Anslnreitang
aad Anmaflmg wird er schldlieh. Dann leidet nater seinem ICInihisae tot
aOem Jene Innerlichkeit und Gründlichkeit, dia an wirklichen Erfolgoi anf
geistigem Gebiete unerlässlich ist. Das Wesen von Kunst nnd Wissenschaft
erftrdert von jenen, die sich einem künstlerischen oder wissenschaftlichen Be*
rnft widmen, treue und ernste Hingabe, bei denen aber, für weldie die
Leistaagea aad SehSplhagen dieeer Bemftartea bereehaet alad, abi eüHgea,
gründliches Nachdenken und Nachfühlen. Aaf beiden Seiten werden heute
diese Pflichten häufig vernachlässigt, weil man auf ein ernstes, in die Tiefe
gehendes Streben wenigei Wert legt, als anf überraschende, seltsame Wir-
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knngen. Man unterzieht sieh nicht der Mühe einer ruhig'en. sachlichen, den
Kern erfassenden Beortheiluug. Daher die vielfache Zorücksetzung wirklicher
'KllnBtlflr md CMelnier, daher deren Vcriiitteraiiir vsd deren QroU e:egen
unsere öffentlichen ZostJünde.
Namentlich bleiben jene künstlerischen und wissensehaftlichen Leistungen
unverstanden, die im lebendigen V(»lksthnm wurzeln und auf die Verbreitung
der Kenntnis und Würdigung desselben abzielen. Die Seele des Volkes er-
iddieftt eich nicht dem eberfflkhliehen BeobacMer, den Sport Mbenden
Bammler; aie will genu atadirt und mit Liebe nnd BUtar etfbnoht werden.
Anderseits aber sind ihre Regungen einfach und entbehren der Über-
schwenglfchkeit, welche doch so nothwendig ist, um ^Sensation" zu machen.
Auch kann mau dem Volke fiberail, auf allen Wegen and Stegen, begegnen;
wie kann da die Sooht nach Selttanem beftiedigt weiden? Deehalb holt man
lieh lieber aeine Yorwlife a» entlegeneren Gebieten, ana «hahcnn Xreiien'',
oder man erwählt jenes todte Volksthnmi das der Geschichte angehSrt^ ond
das sich leichter etwas Effectmachendes — andichten lässt.
Von unserem eingangs erwähnten Standpunkte aus müssen wir diesem
eben bertthitea Kadillieile ein ganz besonderes Angenmerk zuwenden, denn er
tilgt den grilBtan Theil der Schuld, wenn zwiachen Volk nnd InteUigeni kein
inniger, emster, ersprieBlicher Veikdir aufkonunen louin. Der Mangel an
Verkehrswegen ist es nicht, der eine Annäherung erschweren würde; heute
führen unzählige Schienenstränge und Straßenzüge mitten unter das Volk, an
deoaen aeit Uneiten beaiedelte Heimatitten, nnd dennoch finden wir heute weit
weniger Beziehnngen der Intelligenz zn denaelben als früher. Man pfliickt
heute eben nur die Blumen, die am Straßenrain stehen, und adieat den Weg,
der weiter hinein in die blumige Wiese fährt; ao im Vorfoeieilen iSaat aidi die»
wahre Blumenpracht niemals erfassen.
Andi hetironagende Geiater, wie der jüngst leider m früh von uns ge-
aefaiedene Anzengmber, bleiben von einem groSen TfaeOe der Gebildeten nn-
gewürdigt, wenn sie sich die Pflege des lebendigen Volksthnma anaerkoren
haben. Der Volkscharakter bietet wol Licht und Schatten, aber zu wenig jäh
aufzuckende, grelle und beängstigende Blitze, die uns aufregen könnten. Aut-
regung aber iafe nnaeaer aportloatigen Zeit erwünscht. Der bftnerische Rauf-
bold, der den Nebenbuhler ersehllgt, iat aehUedUeh ein Lomp, ton dem nichts
Besseres zu erwarten; aber ein alter Lebemann, der eine Geliebte erdolcht,
damit sie ihn nicht noch länger betrfigen kann, der Ist ein — ▼errfickter Kerl,
der hat was für sich.
Der fieiaesport, welcher die Intelligenz doch ao häufig in Berührung mit
der LandbevOlkerang bringt, kann einen ernsteren Verkehr nicht anbahnen,
weil sich die Gebildeten nicht im entflnrntesten Mühe geben wollen, durch wol-
überlegtes Eingehen in die Äußerungen des Volkscharakters das Zutrauen der
Leute zu gewinnen. Daher moss auch der Antrag, der einmal in einer Ver-
aammlung von Volksbildnem geeteUt wurde, und der darauf abzielte, unsere
Tovriaten als Apostel der Anfkllwng unter dem Landvdke tn benntaan, er-
Iblglos sein.
Zum Schlüsse fühlen wir uns gedrängt, ausdrücklich zu betonen, dass wir
den Sport (Spiel, Vergnügen, Zeitvertreib) in köriieriiohen Übungen durchaus
nicht tadeln wollen; wir gestehen auch gerne, dass sogar seine Übertreibungen
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Dicht allemal BchSdlich tind. Er steht eigentlich außerhalb nnBerer Betrach-
tungen. Wir wenden nne gegen die Sportmftßigkeit auf geistigem (lebiete;
denn hier sollte ein Spielen, eine loee Zeitvertreiberei und endlich eine Effect»
hateherei sieht anfkonnnes. Wir wellen auch nicht den Sport an aieh für alle
Plattheiten in geistigen Dingen verantwortlich machen; die Übertragung des
Sportes auf geistiges Gebiet ist vielmehr eirip Folge unserer allgemeinen Zeit-
richtnng — aber eben eine Erscheinung, welche die Flachheit dieser Richtung
sehr deutlich erkennen ISast
Eine grllndlldw Hcflnng der berflkrten Sehidnt ist nnr ▼om Wandel der
Zeiten zn erwarten, dar die Hohlheit der Sportm&ßigkeit auf geistigem Gebiete
zur Erkenntnis bringen wird. Bis dahin können wir nichts verRuchen, als jene
Erkenntnis durch grelle Beleuchtung der Übelstände allmählich zn wecken
nnd so schon Jetzt eine wesentliche Milderung des Fehlerhaften zu ermöglichen.
Ein heaondera wirkaamei Mittel liegt tlbn in einer dieser Absiebt eotQNcfaah
den Einwirkung anf die Jngend — nnd dasselbe ad allen JogendUldnen
empfohlen.
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Pidag«glwhe RudaeliAn.
Österreich. Vom 2. — 4. April wurie in ^\icn der „Tl. dontsch-
österreicbische Mittelschultag-' abgehalten. Die Hauptversaininlungen
fanden im Festsaale des Akademischen Gymnasiums statt. Vertreten waren
«nter Wien 9B Stldte mit 71 liShefeii Lehrwiftalteii, d. k. OjrmiiMfeii imd
Bealseholen, durch circa 2001>ireetoreii und Professoren; ttherdies betbeiliften
sich mehrere höhere Schulbeamte und Hochschulprofessoren. Unter den Verhand-
lungen waren die über ^.Tugendspiele" und über ;,Schülerau8flüge'* von
% allgemeinem Interesse. Das Keferat: „Über die Pflege der Jagendspiele aa
Hittelsehiileii'' führte Prof. Dt, Leo Burgerstein^Wiea mit gewohmter
PrSeision und Begeisternng. Zn Onnsteii der Jngendspiele führte er u. a. den
Wunsch an, dass die -wechselseitigen Einwirkungen des Gemütlislebens der
Schüler einen weiteren Spielraum erhalten miichten als bisher, und betonte, von
welchem Werte es in socialer Hinsicht wäre, im unbeiaugeueu Kindesalter
ipiteren, oft ganz angereditMIglMi GegensAtam ywwümgn. Naehdem der
Redner den hohen erdehUehen Wert der Jngendsirfele ond verwandter Be-
thätigungen in hygienischer Hinsicht als eine Compensation der mit der Schule
unvermeidlich verbundenen schädlichen Einflüsse auf die Gesundheit dargelegt
hatte, beantragte er die Annahme zweier Thesen, weiche lauten: 1. Die thon*
Uehate Forderung einer fMoi Bethfttigung der Jagend dnrdi Sj^sle und Ter*
wandte« ist wegen des hohen eniehlichen und aetnellea gesnndheitliehen
Wertes der genannten Factoren von Schnlwegen gmndrttslich und entschieden
anzustreben. 2. Der Mittelschultag beschließt, die Vereine „Mittelschule" und
„Realschule", „Deutsche Mittelschule" und „Innerüsterreichische Mittelschule*'
aufzufordern, sich in einer gemeinsamen Eingabe an das MinisteriunL für
Cnltns und Unterricht sn wenden mit der Bitte nm moralische F9rdemng der
Spiele und verwandter Bethätigungen der stndirenden Jugend unter Führung
der Schule." — An das Referat schloss sich eine längere Debatte, welche zu
einer Erweiterung der Thesen führte. Es wurden sowol die Anträge des Re-
ferenten, als anch die des Directors Fetter (Wien) auf Einsetzung eines
Oonütte behnfb eingehenden Stndinms dieser Flrage nnd des Landesschnünspeo»
tors Maresch, es sei anlässlich des bevorstehenden Falles der Linienwälle an
die Regierung und die Stadt Wien die Bitte an richten, den Schalen SpielplAtse
zu sichern, einstimmig angenommen.
Professor A. Weinberg (Wien) referirte über „Schülerausflüge und deren
Einflnse anf die Eniehnng nnd den Unterricht der Jagend* und loun m dem
Schlüsse, dasB Schülerausfliige ohne wissenschaftlichen Hintergrund zn entfallen
hätten, wol aber seien solche Ausflüge mit wissenschaftlichem Hintergrunde
geboten, wobei das Augenmerk auf die mannigfachsten Disciplinen (Geographie,
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— 533 —
Geschichte etc.) zu richten sei. Das Unterrichtsmiaisterium soll um Würdignog
dkier Frage gebeten frarden. Biwiii Anirfianangett trtlen die Profeatorea
Beehtl, Tmnlirx «ad' Gratsy (La£bMk) entgegen, und nahm ^reiten nnter
allgemeiner Spannung Gymnasialdirector Dr. Petrovic (Belgrad) das Wort,
welcher mittheilte, welch weitgehende Unterstützung die serbische Regierung
solchen Schüleraosflügen zutheil werden lässt, dass Eisenbahnfahrten ohne Ent-
gelt gemacht, die oOthigen Apipante wut Verfügong gestellt werden nnd sehr
oft anch die BekSetignng unentgeltlich erfdg«. Et handle deh bei 8dleheD,ofk
auf 10 Tage ausgedehnten Excnrsionen darum, auf den Charakter der Jugend
einzuwirken, sie unter das AV»lk zn fiiliren, den Landmann bei seiner Arbeit,
in seinem Hause aufzusuchen, der Jugend ethnographische Kenntnisse beizu-
bringen. Die Ezcarsioneni welche zu Ermehongszwed^en und Charakterbildung
nnternommea werden, seien ebenso wichtig, wie dii(jenigen 'za wiMeuchaft-
lichen Zwecken. (Lebhafter BeilUl.) Andi Director Hannak trat fAr solche
Schülerreisen ein, welche ein Verbindungsmittel zwischen Hans und Schule
seien. Nach einigen Auslührungen des Directors Hackspiel wird sodann eine
Beioltttion angenommen, dahin lautend, dan anBor den Usherigen Ansflflgen
ans Eniehnngt- nnd ans Blickaichten für die Chankterbfldnng anch Sehnl-
teisen wünsebenswert enchefaMo.
Die XIV. westfälische Provinziallehrerversammlung zu Siegen
am 7. und 8. April. Aus der Xilhe und Ferne eilten am 2. Ostertage die
Lehrer Westfalens und der Nachbarprovinzen nach der schön gelegenen Berg-
stadt Siegen im Sfbden unserer Proviu, nm in würdiger Feier den Altmeister
der modernen dentschen Pädagogik, Dr. Adolf Diesterweg, am 29. Oetober
1790 hier geboren, in dankbarer Erinnerung an seine Verdienste zn ehren.
Auch die Familie Diesterweg war bei dieser Feier vertreten durch den Sohn des
großen Todten, der als Sanitätsrath in Wiesbaden lebt, einige Enkel und einen
Neflbn, den Conmerdenrath Kreni in Siegen. Den Uitlelironkt der ganxen
Feier bildete die Grnndsteinlegnng des von Professor Bensch in Königs-
berg, gleichfalls einem S(»hjie Sieg-ens, entworfenen Piesterweg-Denkmals,
dessen Enthüllung am UHJ. Geburtstage Diesterwegs stattfinden soll; das
Denkmal wird die eherne Büste Diesterwegs auf einem Piedestai von Granit
isdgen.
Am Ostennontage, nachmittags nm 4 Uhr, erOfltaete der Voisitnende des
westAlischen Provinziallehrervereins, Gector Euhlo-Bielefeld, die Deleglrten-
versammlung, in der lediglich Vereinsangelegenheiten besprochen wurden,
die über Westfalen hinaus wenig Interesse bieten. Erfreulich ist das stetige
Anwachsen der bestehenden und die Bildnng neuer Vereine, zu bedauern die
Entstdinng confessioneller Sondenrerbindnngen , wie des im yorlgen Jahre
durch den Cmtrumsführer Dr. Windthorst ins Leben gerufenen katholisdien
Lehrervereins. Die Wilhelni-Angusta-Stiftn np^ für Westfalen, deren
Schattenseite besonders die ist, dass sie eine Wulthiltigkeits-, keine Rechts-
casse ist nnd ans der bedürftige and würdige Lehrerwitweu und -Waisen
nntevstiltst werden, verftgt ttber ein Vermögen von 28000 Hark, snr Ver^
theilnng gelangen in diesem Jahre 880 Hark.
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Per Deleg-irtenversainmlung schloss sich eine geraüthliclie Abendaater-
baltang an, wozu aach die Bilrgerechaft Siegens — Herrea uad Damea — in
großer AnnU enchienen waren; Getang und freie Rede bUdetea du Programm.
College Klein-Bochom Bpraeh folgenden von ihm gedichteten Prolog:
Sie blühen schont
Sie bldhen schon in Feld and Wald die Blumen Icozgeboren.
Der Lerche Hang, der Drossel Schlag dringt hell zu unsen Ohm.
Dex Osterglocken froher Jüaog verlandet Auferstehon,
Der Genius des Lenaes sieht anreh Feld und Wall und BMien.
TJnd Rosenknospnn hr^f^hcn auf heim L\^(\ der Nachtigallen,
Uad Jubelhymnen weihevoll dem groBen Gott erachallen.
Sie blflhen schon in holdem Schmnck, ron heil'gem Lieht nmfloason, «
Dü^ 'Teislesblumen rein uad schrm, der Wahrheit SchoB eotsprOSiea.
Ein großer (rcistesfrilhling tagt, die (ieij'tcr mächtig ringen,
Für Wahrheit, Freiheit, Recht und Licht die Flammenscnirerter klingen.
Sie blühen schon im lichten Kleid, der Wiihrheit Licht geweihet«
Von dir, o großer Diesterweg, die Saaten auägestreuet
Die Bahnen hast da uns gezeigt, worauf zu Qotteä Ruhme
Erbltlht ein edles, treacs Volk znm freien Menschen thume.
Drum nahen hente hnldigeud wir dir, dem großen Todten.
Der kQha für Wahrheit, Freiheit stritt, als WinterfrO^te drohten.
Uad D^nk und ew'ge Liebe sei dir, Oeistesheld, entboten.
0, daas in jedem Lehrerher^ die hefl'gen 'Ölaten lobten,
Die brannten einst in deiner Brust filr alles Gute. Wahre!
0, dass der Geist von Diestcrweg uns all' zusammenschare, *
Damit ein hohes Ideal im Kampf verwirklicht werde:
Ein freies Volk auf freie n Grund auf Gotte? sohilner Erde'
Ein Lehrerstand, an Geist. GunnUh im Sinn de» großen Todten,
Die Jugendbildner gut und schön, der Wahrheit treue Boten.
Dos deutsche Volk, so stark und fromm und fest wie seine Eichen,
Im Schmuck der alten Lieb' und Treu", den heil gen deutschen Zeichen.
Das deutsche Volk, gesinnungstreu im Ringen nach Vollendung.
Am tapfren Schwert den Palmenzweig nach gottgewollter Sendung.
Sie blähen sdiott! Die OstergrtIB* entflammen unsre Herzen,
Div>ft glUhen ungetrübt und rein der Freude helle Kerzen.
Sie blühen schon beim Becherklang, des Frohsinns schiJnste Triebe.
Sie hlflhen schon nach dentacher Art, Oemflthlichlceft und Liebe.
Sic blühen si'hon ! r>iiM sei mein ßrnß im givstlinli freien Si^eo:
Wir wollen, schlaget alle ein, in diesem Zeichen ^iegenI
Herr Lehier Sichel begrüßte als illtestes Ariticlie l <\''s Siegener Lehrer-
vereins die Fcstversammlang. In markigen Worten feierte er Diesterweg als
den Stifter der Lebrervereine, als den Kämpfer für die Rechte der Schule und
der Lehrer, ala daa Ideal Jedea atrebiamen Lehrera. Diedterweg würde nie
veralten, so lange die heilige Sache der Menschenbildnng zii den Idealen edler
Gci'^ter <rel!r>re. so lange Lehrer hestrel.t seien, einen hinreißenden, geistig Ul'
regt iuit ii l'iitt'rricht /u erthcilen. R' ilnor fordert seine CoUegen auf, unent-
wegt zu dem großen Pädagogen zu halten und sein Andenken nie verlöschen
SU laiMii.
Herr Sanitätsrath Dr. Diesterweg aus Wiesbaden dankte bewegt für
die große Liebe nnd Anhänglichkeit, die die Lehrerschaft Westfalens für
seinen verblichenen Vater an dtn Tag legte. Er wisse, wie es allezeit die
Lebensaufgabe des lieben Heimgegangenen gewesen sei, nach Kräften für den
geiatigen nnd materiellen Anfbehwnng dea Ldireratandea m aorgen, damit der-
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— Ö36 —
selbe nach jeder Seite Inn seine hohe Aufgrabe erfüllen könne. Stets habe die
Familie Diet»t«rweg mit Interesse alles verfolgt, was die Lehrerschatt bewege,
Toa heute ab wfirde das noch in erhShtem MaBe der Fall tein. Bedner wtnscht
der Lehrerschaft Bltthen und G«delken.
Die Hauptversammlung am Osterdieiista«?»' die von ca. 40() Theil-
nehmern besucht war, nahm iliren Anfang um 9 L hr. Zunächst begrüßte der
Bürgermeister Delius die Erschieueueu mit herzlichen Worten, ihm folgte der
YenitMiid« des Siegener LehremnfaMS. BoliM-BerliB Ininft henlisfae QtUe
und Segenswünsche von dem g^esehiftsflUmoiden Anasehnsse des dentsohen
Lelircrverpins, Strebe-Mag'Ubnrg vom Vorstande des prenßisrlien Landos-
leiiiervereins, Müller- Wiesbaden vom nassauischen Lehrci verein , Berg-
director Knops- Siegen vom liberalen Scholverein für Eheinland und West-
iUen und Wilh. Meyer-Markao ans Daislmrg fan Namen des gleichzeitig in
C51n versammelten rheinischen Lehrertages. Die Bede Mejers lantete:
Sehr geehrte Versamralnng! Die Vertreterversammlung des weit
über 2000 Mitglieder zälilenden rheinischen Provinzial-IiPhrerverbande« hat
Herrn Homscheidt aus Crefeld und mich gestern im altehrwärdigen Cöln
besnftngt, Ihnen die henliehsten OrUe nnd die besten Wlnsd» tBr einen
gesegneten Verlauf Ihrer beutigen Verhandlungen persönlich n ftberfaiingen.
Es ist eine alte Gepflogenheit zwischen dem westfölischcn und rlieinlMthen
Lehrerverbande, einander während gleichzeitiger Tagungen zu begrößen.
Und wie könnte es auch anders sein! Wenn sich selbst die Lelirer Preußens,
jaÄUdentschlands, als eine groieFuBilie fttUen,wie viel mehr noeh müssen
da erst die Lehrer Westfalens nnd Bhetnlands sieh als m einander gehSrlg
betrachten. Sind es doch Schwesterprovinzen unseres KönigreidiSi die
wir unsere Heimat nennen, zwei Geschwister wahrlich, denen gegenüber nur
eb Fremder in Zweifel gerathen kann, welcher von beiden er den Preis zu-
erkennen sdl, ob dem Lande der Grethen Erde", ob den Gestaden dee
mftchtigen Bhelnstromes. Der Weetfttle, der Bheinllader geitthen in solche
Zweifel nie; dem sobald der Bheinlinder in Iberspmdelnder Lebens-
lost singt:
..Nur tun KLeine mOcht' ich leben,
Nur um Rheine mächt' ich sein.
Wo die Beige troffen Reben
Und die Beben goTdnen Wein — *
da stimmen die «Hftnner aas Westfehuiland' mit onfthlbarer Sicherheit mis
der Tiefe herainnerlichater Übersengnng an:
„Ihr nittgt den Rhein, den stolzen, purisea,
Der in dem ^choß der Reben liegt j
Wo in den Bergen ruht das Eisen,
Da hat die Mutter niich gewiegt — **
jenes markige Westfalenlied, das da betheuert;
„Bis ich zu Staub und Asche werde,
Heb Heis iioh sdner Belmat ftent«"
' Abw nicht nnr die landsehaftttdie Lage nnserer Heimat|HroThuen Terweist
uns auf einander, meine Herren, sondern auch unser Beruf und die Ge-
• schichte unseres Stande.s. Wir sind Lelirer. Und dn Imt jener Mann, dessen
• Büste heute diesen Saal ziert, dessen lOOjährigem (Tediichtnisse der heutige
• westfälische I..ehrertag geweiht ist, dessen Verdiensten diese seine Vaterstadt
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— 53ö —
flia Denkmal eb enichtem beabdchtigt — d* hat dieser grolle Lehrer dar
Lehrer las Westfalen aad Bbefadftader dmeh seinen Lebenagaag noch im
besonderen an einander g^ekettet. Gaboren nnd anfigrewachsen als Sohn der
„rothen Erde", „in einem der interessantesten Thäler Deutschlands", hier in
Siegen, hat er seinen wahren Lebensbemf, den Beruf im Dienste der Volhs«
achole, an den Gestaden des Rheins evkannt aad ergriffen. Eiae rbdaiscbe
Onistadfe, Elberfeld, ist die gitetife Zeagaagastfttte dieses VolkH^al-
mannes, ein rktlaiicher Schulmann, Wilberg in Elberfeld, der geistige
Vater desselben, ein ^^kleines rheinisches Nest", Mörs, sein geistig'er Geburts-
ort. Da w&re es eine Unterlassungssünde schwerster Art gewesen, wenn
BheiBlaads Lduer sieh deai heutigen Feste ftragehaltea hlttea. Hat doeh
IMesCerweg ak Semiaardireetor stets dea Verkehr mit dea Lefarera ge-
sucht; hat er doch schon selbst damals Lehrerrereine gegründet, als er
noch Seminardiroctor in Mfirs war, einem Orte, der heute, siebzig Jahre
später, trotz des dort errichteten Diesterwegdenkmals, kein einziges Mit-
glied aoseres rfaeiaischen Verbaades aufweist, nicht eianal aater dea
dertigea Volksacbal-y geediweige deaa aater dea Seniaarlehrera. Uad
doch schreibt Diesterweg: „Als Resultat langen Nachdenkens habe ich den
Satz, nnd er hat mich: Lehrervereine sind die eigentliche Lebenslust des
Lehrersinnes. *^ Und nun lassen Sie mich znm Sclilusse eilen mit den
Worten, die ein rheinischer Dichter, Emil Rittershaus, zu einer Diesterweg-
Mer gesaagen hat:
JDir mfamer all*, zum Fest vereint, die Stime hoch erhobest
0 lasset uns in tiefster Brust dies schwören und peloben,
Dass wir im Dienst de« freien Geist« nie wnnkcu und erlahmen,
Dass wir, so lang wir leben, streun der Wahrheit edlen Samen,
Dass wir dem freien Menschenthum die Bahn die Wege brechen I
Zu diesem Schwur da möge Gott sein Ja nnd Amen sprechen."
Rector Bartholomäus-Hamm, der es übernommen hatte, die Gedächtnisrede
zu halten, war leider durch häusliche Verhältnisse am Erscheinen verhindert;
das TOB ihm elagesaadte Haaaserlpt warde dareh Liaaeweber^Hagea aar Ver-
lesung gebracht. IMs Bede ist bereits in der .Sammlung pildagogiseher
Vorträge"', herausgegeben von Wilhelm Mejer-Markan, im Verlage von A.
Helmich-Bielefeld erschienen ; eines weiteren Eingehens auf dieselbe bedarf es
aus diesem Grande hier wol nicht.
Aaf dea Yonrng des GoUegen Üngerath-Hagea masste die Versamailiiag
leider verachten. Ungerath wollte über „die Bedeutung der freien
Lehrervereine für Lehrer nnd Schule" sprechen; indes erklärte der
Vorsitzende bereits in der Vertreterversamnilung', dass der Berichterstatter
seinen Vortrag zurückgezogen habe. Da diese Jsjrkiärung nach einer iängerea
Uatenrednag, laent xwisehen dem aaweseadea Begiemagsrath Eiaaier aas
Arnsberg aad dem Vorsitzenden, sodann zwischen ersterem und Uagarath« er-
folgte, so war es für jeden handg:reiflich, dass der als »Ehrengast" an-
wesende Vertreter der königlichen Keffierung, jedenfalls durch einen ..grewich-
tigen'' wolgemeinten Hathschlag, den unliebsamen Vortrag zu i^'all gebracht
hatte. Henr Regierongsiath Kresier mass wol Ober dea Nataen der Maa
Lehrervereine anders denken als viele seiner Collegen, die sloh ia aoeriteaasn*
der Weise über die Ziele nnd Mittel der Lehrerrereine ansgeqtrochen haben.
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Nun, er wird dit Rad der Zeit kaiiin «ufhalteii, ebensowenigr wie der be-
kannte Scliulrath von Cyriaci- Wantrap, dessen Nachfolger Herr
KrPHiPr peworden ist. Dass diese Maßro^'l nachlialtiger wirkt, als im schliminsteTi
Falle der Vortrag Ungeraths zu wirken imstande pewesen wäre, leuchtt^t wol
jedem ein. Auf den Vortrags des Lehrers Merten-Dortmund über den „V'er-
* beUsiiin in der Sdrale* vendditete die VenammlnBcr.
Um 12 Uhr ordneten sich die Feittbeilnehmer zum Zuge durch die Alt-
stadt zum Gebnrtshause Diesterwegs, an dem eine Marmortafel auf dif Gf-
buriÄStätte Adolf Diesterwegs aufmerksam macht. Nachdem der Zag Halt
gemacht hatte, sprach Siebel-Siegen etwa folgende Worte:
„Wir itehen bier vor dem Hanse, worin vor 100 Jabren tet Lebrer
der Lehrer, Adolf Diesterw^, das Licht der Welt erblickte, nm sie selbst
mit seinem Lichte zu erleuchten. Zum Andenken an die Geburtsstätte haben
Freunde des Verewigten mit uns Lehrern die Marmortafel. die zu unseren
Häuptern glänzt, als Wahrzeichen für die Vorii hergehenden im Jahre 1867
aofebradit Adolf Dleeterweg bat in seinem Leben dorcb Wort und Scbrüt
fflr Schale und LeliTer Großartiges gewirkt. Nun ist er nach segensreicher
Thätigkeit lu imisregangen, aber sein Name wird fortleben bis an das Ende
der Tage. Diesterweg für immer!"
In feierlicher Stille mit entblößtem iiauptc standen Hunderte deutscher
Lehrer via dem Vaterbanae ibres IHesterweg.
Sodann ging es weiter warn SchnlplAtse, zur Grundsteinlegung. Hier
bleitSehnldirigent SchrJ-der Siegen eine lilngere Rede, die mit den W^orten schloss:
„Das Denkmal Adolf Dieeterwegs, das einst auf diesen Grundstein sich
erheben wird, soll
1. ein iiebtbarw Zeiebeii des lebhaften Dankes IBr alles das sein, was
Diesterweg filr die deutsche Schule nnd die deutsche Lehrerwelt und durch
sie fiir die deutsche Volksbildung gethan:
2. das Denkmal Diesterwegs für uns Lehrer eine tägliche l^fahnung sein,
beharrlich und treu zu wirken in unserem Berufe, damit jedes un.s anver-
traute Kind ein Kind Gottes werde, zu jeglichem guten Werke gesciuckt,
efai guter Unter(ban und efai treuer Arbeiter auf seinem Arbeitsfelde;
3. das Denkmal Diesterwegs alle Bürger Unserer Stadt und alle Fremden,
die es zu sehen bekommen, daran erinnere, wa.s man treuen Lehrern des
Volkes um ihres Werkes willen schuldig ist, auf dass sie ihr Werk mit
Freuden thun und nicht mit Seufzen.
Und nun, hochverehrte Herren, die £He die hohe königliche Begierung, den
Kreis, die hiesigen städtischen Behörden, die Geistlichkeit, die answilrti^en
Lehrervereine und da.s Denkmal-Comit»'' vertreten, bitte ich Sie. weihen Sie
den Grundstein zum Diesterwe^denkmale mit den Wünschen, die Sie für
das Wol der deutschen Volksbildung hegen 1*^
Herr Regierungs- und 8cbnbrath Eremer ftthrte die ersten drei Hammer-
scbläge ans niid sprach hierauf: „Anfang, Mittel und Ende stell'n wir in Gottes
Hände. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des lieiliEfen Geistes!
Amen." — Herr Riirp:ermeister Delius folgte mit dem Spruche: ..Wer die
Schule hat, hat die Zukunft!" — Herr Sanitätsrath Diesterweg- Wiesbaden:
„Das Gedächtnis des Gerechten bleibt in Segen!" — Herr Bobm'Berlin: „Jm
Naaieii des deutschen Lehrervereins: dem Altmeister der deutschen Lclirer
Padagofinm. iS. JUuf . vm. Haft. 86 ^
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Ztun Oreflächtnis, seinen Schülern zur Freude, den deutschen Lehrern zur Nach-
eiferung I" — Herr Strebe-Magdeburg:, der Vertreter des preußischen Landes-
lehrervereins: „Wer im Verein mit andern schafft, stärkt seine und der
ULderen Kraft" — Herr Wilhelm Heyer-lUricaii als Vertreter de« rheini-
aehen ProvinziaUelirerTeiteiidee: „VoUnAreihflit nnd VolkBglttck durch Volks-
bildung!" — Herr Müller- Wiesbaden für den nassauischen Lehrerverein:
„Das Werk, das dankbare Liebe liier bog-ontieii. es tnöE^e die Kommenden zur
That begeistern. Nur wer ein Vurbiid schätzt, kann selbst sich meistern."
Nachdem die Familie Diesterweg noch einen prachtvolloi LorlMerkmis
am Gnmdsteiii niedeigeleKt hatte, war die Dieatwwegfeier beendet Ein Feet-
eaien beschloss den lag. Möge er reichen Segen bringen allen Mitfeiernden
nnd ein Born sein, ans dem sie stets neue Kraft snm schweren Werke
schöpfen; denn
„nie Zeit ist schwer und ring!<uiii viel l>«>.se Feinde wumlcni.
l>i<' einen sii'n das 'i'oUkraut aus, den Scblummermohn die nudeml
Der schwarze Maulwurf wUhlt itii Grund, es nagt am dttrren Blatte
Selbstoucht^ Qcmoinheit. RiuipcnfruB ist das, der nimmeisatte.
Wir haben mit dem hlankrn Schwert, mit Stahl und Blei und Bisen
Uns einen hohen Platz erkämpft rings in den VölkerkieiBen;
Was wir errungen, kann uns nie die Waffe nnr bewahren,
Es wird uns wie ein Truia^/Ercsehenk aus iinscrn Hämlen fahn n.
Wenn nicht des (Putschen Geistes Licht vorleuchtet allen Stämmen,
Wenn wir der Feinde Bosheit nieht mit allen Kräften lieminen!
Nit ht Säbel kann's und Polizei, kein HtUt(«i auf den (rassenl
Von allem Zwang die Geister frei, und Bildung in die Müssen!
Ans Bayern. Vor etlichen Wochen wurde vom Münchener Land^:eri(•llt
ein 63jähriger Priester zu 1?' .. .Jahren Gefängnis vernrtheilt. weil er im
Lanfe des Winters 1888/89 an sechs noch nicht 1 4jährigen Mädchen unzüch-
tige Handinngen verübt hatte. Ich würde dieses Falles nicht Erwühnnng ge«
than haben, hBtte der Verlauf diet OeriditsTerhaiidlnng nicht ganz eigenthnm-
liclie Blasen geworfen. Um sich weiß zu waschen, erklärte der Angeklagte
mit widerlichem Pathos, unter Augenverdrehen nnd Anflieben der IlUnde
znm Himmel, dass er ein großer Lügner vor Gott und seinem Gewissen wäre,
würde er behaupten, er hiUe. die Handlangen ans unreiner Kegung begangen.
Denn das Fleisch sei in ihm mit dem ersten Jünglingsalter ertüdtet Habe er
„liebkosf — in Wirklichkeit waren diese Liebkosungen sehr bedenklicher
Art — , 80 geschah das lediglich aus christlicher Liebe zur .Tneeiid und zur
Belohnung für deren Tugendhaftigkeit — Zum anderen wäre er zu
diesen Handlungen nur durch das Beispiel anderer Erzieher gekommen, —
nnd die Anklage beruhe übrigens nnr auf Oehftssigkeit des Lehrers.
Ven der Staatsanwaltschaft anf das dringendste aufgefordert, Namen zu nennen,
verweigerte es der schurkische Heuchler — ans Xärhstenliebe, um niemand
zu compromittiren. Diesen Menschen, der aut di r Kanzel mit Vorliebe das
Bordell behandelte, so dass ehrbare Frauen und Tüchter nachgerade von der
Kirche fernbleiben mnssten, diesen* tfenschen zn retten, TerschmShte es der
Vertheidiger nieht, zu behanpten, dass derartige „Liebkosungen" allerdings
pädagogische Aiifminit<>rungs- nnd Erziehnngsmitte] wären! Ich
^anbe kaum, dass Buseubaum je einen größeren üynismus begangen, und die
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bedeiiklicluMi Mittel der ofFenkmidiprt'ii Jfsnite» ei'sehoinon harmlos diefien Stimn-
lanti«'n der iimdenien verkappten ^'e^fpnüber. .lencr \'ertheidigrr aber mit der
eiserneu Stirue, Kitter von Schultes, gehört zu den StimmfUlueru jener Pailei,
die in diesem Augenblick zur Sdumde lUieires VatorlaadeB die widerliebste
Hetze K^gen Wissenschaft nnd VolknoftlSniDg unteniittiftt. Ans Rache gegen
den bayrischen Cultnsniinister versagen unsere nltramontanen llnversölinlichen,
ihr geringes t'bergevvicht in der Landtagskanuner niissbrauchend. Mittel um
Mittel für Zwecke des Uuiernt-htes. Sie eutziindeu eiuen Brand der Unduld-
lamkeit im Lande, de heiiehelii Religioeitilt in politischen BUltteni ond treiben
rtmiscbe Politik, wo sie Keligioeitftt zn pflegen hätten, .^ic fanatisiren den
bayrischen Katholiken, sie verdrehen, sie deuteln, sie denuniiren, sie schimpfen
in einer Sprache, deren sich ein Fuhrknecht schämen würde; und das alles
mit jenem Augenverdrehen, wie es auch der augeklagte Priester zuwege
brachte, nnd mit der Jesnitenmoral seines Httnchener Yertheidigers. Und das
sind die Hilfttmppen, mit welchen Windthorst Stoim gegen die moderne
Sehale laufen will! In Norddentschland ist es gelungen, in das feste Gefiige
der Lehrerschaft Bresche zu legen, ich will nicht sagen, in der belagerten
Borg Verräther zu werben. Auch bei uns tönt das Liebeslockeu der Clericalen ;
es tat der Ton, womit der Weidmann sein nachmaliges Opfer betblM.
Der „rasende See der Centnimspartei'*, wie sich ein Icathdisdier Ffknrer
ansgedrilckt» der mittlerweile selbst diesem See zum Opfer fiel, hat auch einen
Antrag verschlingen helfen, der vom Verein zur Schulreform im Landtage
eingebracht worden war. Allerdings ist die Frage einer durchgreifenden Ke-
forni der Mittelschalen erst im Finanzaasscbnase behandelt und abgewwfen
worden, sodann in der VoUversammlnng ohne viel Aufhebens der Regiemng
zur Würdigung Wnübergegeben worden. Wer jedo(!h unsere Verhältnisse kennt,
weiß. da«8 damit üb<^rhauj>t d;»s l'itlieil gesprochen ist. Tnd doch hätte die
Bewegung, welche den .Antrag auf den Tisch des Hauses warf, eine eingehen-
dere Würdigoiig verdient, als die bekannte vergilbte der classischen Philo-
logie. Der stdlvertretende Minister für Cnltnsangelegenheiten — Freiherr
V. Lutz ist immer noch nnpKssUch — ist offenbar über da« angestrebte Neue
niclit .«ionderlicli unterrii hti-t. — noch oftenbarer Jedoch kein Freund desselben.
Das ciriechi.'^che iiiittc .soviel Feinheiten, so fasste er seine Ausführungen zu-
sammen, da^ man es aus pädagogischta Gründen als Erziehungs« und Bildungs-
mittel nidit entbehren kSnnte! Die Bemerkung ist wenigstens kurz nnd knapp,
wenn auch falsch.
Der Stn iehwnth der Clericalen nicht allein, sondern auch der Lässigkeit
der s. V. Liberalen unserer Kammer, die statt ahzustimmen, zur Mittagsschüssel
eilten, ist es zu danken, da^s eine Summe vuu 16,000 Mk., für bcdUrttige
nuijorenne Lehrerwaisen bestimmt, abgelehnt wurde. Das zehnfisdie haben die
Diftten der Abgeordneten aufgezehrt, welche ein Vierteljahr lang katholische
Reden gehalten haben, über Kirchenlehren gestritten and Bemerkungen über
Kunst verübt, über welche man besser lacht, als sich ärgert. Nach Ablauf
eines Zeitraumes von November bis März, und nachdem kein Mensch mehr die
Kammefberichte lesen mochte, endete dmr erste Act mit der Preisgabe der
Altkatholiken. Einen Augenblick trat Windstille ein und es klang aus den
Orgaheu des Centrums wie Befriedigung über das Erreichte, wie Versöhnung
und liachgiebigkeit. Doch «Born will alle« nehmen". Das confessionell ge-
38«
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mischte Lehreneminar Bamberg gab erwünachtoi Anlan zum Stonnlanfen
gegen die Simnltanschale ttberfaaapt. Und hier ist eine der bedaaerlichsten
Erscheinungen unseres bayrischen „Parlaments" schroff zu Tage getreten: vott
der ganzen Linken ist nur ein einziges Mitj,dit'd pr»'f?en die Rechte aufgetreten
— und dieses Mitglied war leider kein gutei' Eedner. Die Fordemng der •
Sbraltanaehide tcheiDt ana den Ubcnlen Programm gewischt worden m aefo;
oder will man dem Coltiuminiater keine nenoi Verlegenheiten bereiten, dem
Cultusminister, der bereits einer Anzahl der von ihm geschaffenen Sininltan-
schnlen den Hals umgedreht? Bei uns scheint das Schachersystem das einzig
Zeitgemäße zu sein. Über eine Drehscheibe mehi* uder minder auf einem
Bahnhof ist man bereit, einen Tag mit hoehpoUtiadien Beden sn verschwenden;
wenn von der Sehole die Sprache ist» -schweigt alle«, am ehesten sogar die
liberalen Angehörigen des Lehrerstandes, welche in der Kammer sitsen.
Ans Vexiko schreibt uns unser Berichterstatter, dass aach dort, ebenso
wie in Eoropa, „die ewige Feindin alles Fortschrittes, die schwane Bande der
Finsternis, Jetzt wieder wie im Mittelalter ihren Bachen Ofltaet". Die weitere
Schilderung dieses Treibens müssen wir aus "Rt sjiect v<»r der europäischen
Prossfreiheit beiseite lassen, ('brigens enthiUt sie nichts saclilich Neues: das
Geschäft ist ja interuatiunal und wird von einem Ceutrum aus geleitet. Der
Untersdiied ist nur der, dass es in Europa aneh von nnbemfoier Seite gehegt
nnd gepflegt, in Amerika hingegen in gehörigen Schranken gehalten wird.
Zugleich erlialten wir die Mittlirilung. dass im Mmiat >filrz in ^lexiko
ein Pädagogeucougresa getagt hat, um die Mittel einer gleichmäßigen natio-
nalen ErziehuDg und Bildung zu berathen, worüber uns ein Bericht in Aus-
sicht gestellt wird.
Indem wir demselben mit Vergnügen entgegensehen, danken wir zugleich
unserem wackeren Freunde und Bericht« rstatter, Herrn Professor M. iii Pm bla,
tür seine stets bereite Mühewaltung und seine neuerlich an den Tap ^clcpte
herzliche Sympathie. Mügeu seine guten Wünsche au ihm selbst in Erfüllung
gehen! D.
Ans der Fachpresse.
298. Za Scherrs Todestag (Schweiz. Lehrerstg. 1890, 10. 11).
Scberrs nnverwelkliche Verdienste: „was er IQr die Methodisimng des Sprach-
unterrichtes, die Popnlarisirung des grammatisdien Unterrichtes, ffir die metixo-
dische Durchfnlirung der Realien gethan, was er als geist- und rliarakter-
bildender Lehrer und als Schulnrpanisator geleistet." \'or fünfzig: .lahren
forderte er, dass sich an die Kinderschule die ^Schule des mittleren Alters"
(14. — 18. Jahr) und weiter die „Sehnle des blirgerliehen Alters" anscUieten
B(^e. Ans seinem Beridite Aber die Organisation des zfirdieriBchen Unter-
fiehtsweeens twi 1832: „Ohne genügendes Einkommen keine genügende An«
zahl guter Lehrer; ohne gute Lehrer keine gute Schule; ohne gute Schule
keiue emporstrebende Bildung des \'olke8; ohne allgemeine Volksbildung keine
allgemein verbreitete edlere Gedttong, kein b^lUckender Wolstand, keine
wahre Freiheit.*
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— 541 —
299. Zeicheu der Zeit (II. M., Bayr. Lehrcrztff. 1890, 12). Welche
sind siey N'erschwinden (and Verschwundensein) des Interesses für Schule und
Lehrer, im besonderen Gleichgiltigkeit der Lehrerbildung gegenüber — Ab-
sieht, den Leltnr henitaadrttckeD (um seiner Herkunft und um der von ihm
im Seminar genossenen staatlichen ünteratfttznng iviUen) — feiger nnd lügne-
rischer Gebrauch der Kedensart vom „Nicht-opportun-sein". Auf Seiten der
Lehrer: die alte thatkräftige Liebe zum Vereinsgeist erloschen — in den Ver-
sammlangen fehlt der zündende Gedanke, das Wort der freien Überzeugung;
nan eprieht mit IVnichtiger Elngheit and hohlem Fnthos. („Ei ist ja alles
so harriich; so seh9n nnd prBefatig fthrt sldi's in den sltea Geleisen.*' Wahr!)
300. Fußpfade im Gebiete der Erziehungskunde (W. Walter,
Päd. Zeit. 1890, 7. 10. 11). 1. „Kömdien" von Ursprünglichkeit in padago-
fischen (besonders schriftstcllerisc lienj Leistungen, ( ,,Man wiege den Ijehrer
nach dem Eeichtham — schon wenige machen reich — seiner nrsprüuglich-
eifenaitigen BlatstropfSan oder Harkkttgelchen, oder Gedanken, oder Mnme.^
2. „Superlativ." Gegen die Unsitte der Lobhndelei, geübt von den Lehrern
an sich selbst (in Berichten über Vortrage. Recensionen) und an den Kindern
(Censiren Grundgesetz: im ersten Schuljahr den möglich und erlaubt
niedrigsten Grad zu wählen). 3. „Diminutiv." Die Sucht, die Namen der
Kinder abankflnen nnd mit VerldeinernngssUhen an behingen nnd flr sie die
Namen der Dinge in ahnlieher Weise lIpiilBeh nmsnwandeln, entspringt fUseher
oder gefälschter Liebe nnd schw&chUdier Sentimentalität.
801. Psychologische Begründung der Verschiedenheit in den
Leistungen fP. Niehus, Deutsche Hlrltter 1S90. 12). Ein Versuch — und
ein wolgelangener. Gesichtspunkte für die Beobachtung: Vorstellungsgeschwin-
digkeit — Klaiheit nnd SeUbrlb der EfameiveffSteDnag — Linge nnd GUe-
dersng der Vorstdlnngsreihen — Keprodnction — Apperoeption. Hit einer
höchst interessanten tabellarischen Übersicht (die Kinder einer Mittelclasse ge-
ordnet — in 3 Abtheilungen mit je 3 Gruppen — nach dem Unterschied der
Leistungen in Dictat nnd Lesen; letztere verglichen mit demjenigen in Ge-
schldite nnd Religion ^ ee ergeben sich dieselben Äbtheünngen beaw. Groppen;
huptsSchlicher Anhaltspnnkt: das erlangte Geschick in Anflsssang der Bdhen).
302. -Vom Corrigiren (Sdileswig-holst Schnlz. 1890, 3). Verfhsser
will das Corrigiren auf das äußerste Maß eingeschränkt wissen O'e^^s"^^^^
die Arbeiten einzelner Schüler eingehend corrigiren nnd besprechend dagegen
sehr viel und immer wieder Neues schieiben lassen und dabei hauptsächlich
anf gnte Handschrift nnd Sauberkeit halten. Wertsohltsnng der Orthographie
nach Hildebrand. „Es gibt orthographische Tslente.** „Mit der Orthographie
macht es sidi allmlblich gana seibat — oder gar nichl''
303. Religionskenntnis und Religiositit (E. Hartberg, Schule nnd
Haus 1890, III). Kritik der herrschenden Unsitte, religiöse Kenntnisse für
religiöse Gesinnung auszugeben, und des darauf gestützten „Religionsunter-
richtes". Argumente: die bekannten. Trotzdem erwfthnen wir den Anfints
hier; denn was er bringt» kann in nnaorer Zeit nicht oft genug gebracht
werden«
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Litoratv.
Lan^e. Frucht- und Blumealese aas üoethe's Schriften. Potsdam
1889, Stein.
368 Citate ans Goethe*s DichtnngcD und Prosascbriften. oline i^nau ersicht-
lich gemachte Anordnung nebeneinandergestellt und ohne Angabc des AVcrke«,
aas dem sie cntBommen sind. Da unter den Citaten manche sind, die auch
eiq eifriger Leser Oeethe's nicht sofort nach ihrem Standorte in den Wericen
des Meisters erkennt und der BeniUzi r ilifi.sor Aunwahl aller Walirsch' inlii Iik<'ir
nach ebenso häufig in die Lage kommt, die Quelle eines üoethe'schen Citates
wie das Citat selnit kennen m lernen , so dürfte es sieh empffeUen, tvots des
in der Vorrede aufgestellten Pirtnins „"Wiirc die Stellf (\v> ntate» genannt,
so biefie das zu dem Leser sagen: Du kennst unsere größten deutsrhen IHehter
nicht") jedem Citate die Quäle (Werk, Act, Seme oder Strophe, Vers) bei-
zufügen und die «^itate in Gruppen mit einem gemeinparaen Titel m ordnen»
wodurch ja auch das Aultiudcn bedeutend erleichtert wird. W,
Böhme, Erläuterungen zu den Meisterwerken der deutschen Dichtkunst fiij- die
hämUehe Vorberdtuig der SditDer. 1. BddMO.: GOts von Berliehingen ;
2. BdcheD.: Der PriDX von Hombarg. Berlin 1890, Weidmann.
Der Gang dieser Erläuterung i^t folgender: Zuerst spricht der Oomraentator
kurz über die Entstehung des ächauspiels, dann erläutert er Scene für Sccne
aUe dem Sebflier ans seiner bisherigen Lectflre kaum bekannten Ansdrtteke.
Hierauf bespricht er die einzelnen Seenen, indem er sowdl ihre Stellung im
dramatischen Aufbau des Werkes erläutert, als auch die geschichtlichen Ke-
siehnngen, auf die in der betreffiraden Seeae angespielt wird, darlegt. Ein-
gestrente Fragen und Hinweise atif Späteres oder Verwandtes machen auf
Manches aufmerksam, das ein tieferes Verständnis des Werkes lürdert. Auch
die eingehaltene Dispositionsform hebt die Punkte, die der Beachtung wttrdig
pind. irut hervor. Den Schlu.ss bilden „Bemerkungen zum ganzen Schauspiel",
z. B. also in der Erläuterung des „Götz" ein Lebensbild 1. Götaens (nach der
Selbstbiographie und der allgemeinen deutlichen Biographic), 2. Franz von
8ickingen, 3. Lerae, ferner die Beantwortung der Frage: Warum war Goethe's
Götz epochemachend? und einige Stimmen über Goethe's Oöt« (Herder, Wieland,
Ticck). \h Anhang siud 46 Aufgaben zu Aufsätzen und freien Vorträgen
beigegeben und ein Verzeichnis der im Drama genannten Orte mit Annbe
ihr» Lage. W.
Geibels Gedichte (Auswahl), .Schulaasg. mit Aumerkougen von M. MeUki.
Stattgart 1890, Cotta's Nachfolger. 1 Mk.
Der Herausgeber iiat dieser Auswahl ans den Oediditea des beliebten
Lyrikers eine Einleitung vorausgeschickt, in der er des Dichters Leben er-
zählt und seine Lyrik nach ihren istoffgebietcn (den lyrisehen Standpunkten)
charakterisirt. Dom Gange der Einleitung enti<pre<hend sind die ausgewählten
Gedichte gruppirt: 1. <ieili( hte. zu denen Geibel durch Erlebnisse auf seinem
Lebensgange angeregt wurde, und in denen er von solchen erzählt, 2. Ge-
dichte, in denen er Gott, Natur und die Liebe verherrlicht. 3. (icdichtc zum
Praiae des Vaterlandes, 4. Gedichte, die sich auf das classische Alterthum be-
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ziehen, und ül)er3etziine:on ijriccbischcr und rüiuLscher Dichtungen, 5. Ethiaches
und Ästhetisches. Den 6cliluss bilden Gelegeuheitsgediclite, einice der berühmten
Balladen <z. B. der Tod des Tiberius) und anderes. Der Herausgeber fiber-
schreibt diesen Theil seiner Auswahl: „Vennischte Gedichte." Bei dem Um-
stände, duss die Gcsammtausgabo der Oeibelschcn Gedichte zu einem billigen
Preis nicht zu kaufen ist und auch sobald noch nicht z. B. in der Reclamschen
Ao^gahe eiscbeinen kuui, seine Gedichte aber wert sind, yon unserer Jugend
^kavnt zu werden, mebar, als dies dureh die ja fanmernin nnr dflrfUj^ An^
wähl in den Le sebüchern möglich ist, wird man der vorlicticmlen billitjcn Ann»
gäbe für die Hand des iSchttlers eine recht große Verbreitung wünschen. Die
nette AuBrtattnng wftide das BOdilein aneh nur Schttl«inriaile geeipet
madMn. W.
Volz, Grundriss der alten Geographie. Zweite Auflega Berlin 1889,
Spamer. 1,60 Mk.
Das Büchlein behandelt auf 144 Seiten die alte Geographie Griechenlands,
Italiens und Pattstinas (am ansfUirUchsten die Grieeheidands, mdir ab An*
hang die Palästinas nii<l zwar so, da.s.s durch Unterscheidung des Textes in
Groß- und liLloiugedrucktes der Gebrauch des Grundiissee aul' beiden Stufen
des Oymnaaiums ermöglicht wird. Lob Terdient die Ansehanlieliluit der
Schildenine:. Hauptsächlich auf Grund des Pausanias und der neueren For-
schungen auf dein <iebicte der alten Topographie, sowie des Selbsigeschauten
werden die Land.schaften und die historisch bedeutenden Orte nach ihrer
Eigenart, ihren historischen und sagenhaften Erinnerungen, ihren Bauten.
Denkmälern u. s. w. geschildert, besonders auätUbrlieh Attika, Athen, Sparta,
Delphi, Oljrmpia, Korinth, roiiipoji uud Syrakus. Nur Rom kOnnte noch detamiila!
beschrieben sein. In der Beschreibung der Akropolis, die sonst sorgsam ge-
arbeitet ist, venuiskst man deu Tempel der Nike von den Propyläen. Das mit
sichtlicber Liebe zur Sache geschriebene Büchlein wird von Gymnasiasten bei
der Leetüre dei; antiken Cla^iker und von Schülern höherer Scholen ttberhanpt
beim Geschichtsunterricht mit Nutzen gebraucht werden. W.
Geistbeck, Leitfaden der Geographie. IV. Theil: Die außerearopäischeu
Erdtheile. 4 Auflage. Mllnehee, Oldenbonrg. 60 Vtg.
Geistbeeks Leitfaden nimmt zu seinem Vortheile auch Rücksicht auf die
praktischen Bedürfnisse des Lebens, auf volkswirtschaftliche Thatsachen und
Erscheinungen (Rohproduction, Luduatrie, Handel, Verkehrswesen u. s. w.) und
«war nicht in Form zutallig hier und da eingeschalteter Notizen. Geiatbeck
betrachtet diese Belebrangen viehnehr, wie es eben in den meisten anderen
Leitfaden nicht geschieht, ata einen integrirenden wesenfUehen Bestandtheil
der ]!( si'lireibung eines Landes; nach veri^Ieichcmler Metbode f^ruiipirt er
außerdem in Tabellenform die wichtigsten der genannten volkswirtschaftlichen
Erscheinungen sv einem Genmmtbilde. Wie alle Odstbeeksdien Bfleker,
zeichnet sich auch da.s vorliegende deich Kl;irheit der Disposition aus und
dadurch, dass es auf den ursächlichen Zummmcuhang der geographi^K^hen 1^
adMlnuDgen nnteieinander den gebttiendoi Wert legt. W.
Herkflt, Historisehes Hilfebneh fttr iie oberen CUsien der Gyni'
naiien nnd ReaUehnlen. 3 Theile. Wiesbaden 1889, Knnse's Naeh-
ftlger.
Da.s Hilfsbueh von Herbst ist der Nachfolger des vor Jaliren an den meisten
Anstalten eingeführt gewesenen Lehrbuches von l'ütz. Ein (jutes Buch ist
hier durch ein besseres verdrftngt worden: Es lässt dem Schill« r einen größeren
Spielraum, da es durch seine ronn ihn nöthigt, nicht mechanisch zu lernen,
und ist anderseits so hübsch gegliedert, dass die i^eji^ebene Disposition des
Stoffei4 das Lernen, die Übersicht, sowie die Aufdeckung des Zu.sanimenhange.s
wesentlich erleichtert. £ntq^rechend der Bildungsstufe, für die es geschrieben
ist» wird nidit bhM die ttntore Geeehicht& sondern aneh die Entw^dnng der
inneren Verhiltnisse sehr genau nad dem Stande dm gegenwtrtigen Fenehttag
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gemäß besprofhon ; auf eine ausfilhrliche Parstellung »1er Saß:o jedoch verzichtet.
Ein paar ächlagworte geniigen ja auch, den nui der Unterstufe gelernten
Sagoutoff iu GediditDiB svrfleknirafeii. W.
Junge, Iieitfaden fttr den GeiehichtiiBterriclit in den oberen
Glasten hVkerer TSektereehnlen. Berlia 1889, VeUen. 8 Mk.*
Der vorliegende Leitfaden (?^rupi)irt den für prrußivohe Töchterschulen vnr-
«■duriebenen Lehrstoff in zwei Uaupttbeile: 1. in die (iescbicbte der wichtigsten
Völker der TOfgermanisehen Zeit (Alterthnin) und 2. in die der Deatadien Ton
ihrem ersten Auftreten bis zur Gegenwart. In dem ersten Theüe bespricht er
in Kilize die niürgenländischen Völker i^S. 3 — 10) und in uugef&br gleichem
Ausmaße auf je ca. 26 Seiten das Wichtigste aus der griechischen «nd
römischen Geschichte. S. 62 — 224 umfasst den zweiten Haupttheil; am aus-
führlichsten wird der Abschnitt unserer Gesihichte vom Jahre 1640—1889
behandelt (die Hegierong Kaiser Wilhelms I. von 8, 206— 'i22). Mit Recht
bemerkt dazu der Verfasser: „Für deutsche tichUlerinnen und Schüler, welche
nach neunjähriger Schulzeit die Schule verlassen, gibt e« nur eine deutsche
Geschirlite mit ihrer nothwendigeii > ii iiinllage, d. h. einer Geschichte des
Alterthoffls, die auf die deatsche TO'bercitet." Von diesem seinem pftdo^giBchen
SUndpmüite wihlt er maA den Stolf am: Trotz des beselntnkten Ummnges
der IpriechischM GesehicbtC führt er <\oc\i ilir Sagen we^^en ilms n irh> u
Bildnngistofts eingehendef vor, skizzirt anderseits mit Weglasüung vieler
Namen nnd ZMn Kriege, die wie der peloponnesisehe oder der Sannnterkrieg
sich nur sch^vfT eiiipräj^nn. Einige Angaben über die Ursache, den Gang,
den Wendepunkt, die Folgen und die Bedeutung des Krieges sind da besser
als viel Detefl nnd Namen. Die deutsche Geschichte ist mit Zugrundelegung
des Textes von Müller's deutscher Geschichte geschrieben, die .Tunge seit dein
Tode ihres Vert'assers wiederholt umgearbeitet und herausgegeben hat. Einen
Schmuck des Büchleins bilden die eingefügten neun oolorirteu Karten, die nur die
im Buche erwähnten Orte enthalten und dämm sich als „leere Karten" leicht
einprägen, und die fünf' eigens für den Leiti'aden zusammengestellten BUdertafein
Mur KuMtgesebiiAte. W.
GusiMl-Beck, WeltgeBehiehte fflr höhere H&dchenschaien nnd
Lelirerinnen'bildangtanetalten. L Theil (Altetthnm). Wlesbadea
1889, Kunze'» Nachfolger.
Auch dieser erste Theil der Cassian-Beckschen Weitgeschichte VOTdieat den
Namen eines guten Idstorbehra Lesehvehes, das jedem Leitfaden nur Er*
gftnzung und dem Lehrer bei .ler Vorbereitung auf die GeschichtsKtunde dienen
kann. Weil es auch dun Antheil der Frauen und ihre Stellung in den ver-
schiedenen Zeiten nnd bei den verschiedenen Völkern des Alterthums in eigenen
Charakterbildern bespricht, und auf die Culturverhältuisüc und die äußere
(iesehichte das Hauptgewicht legt, eignet es sich besonders für Lehrerinnen-
bildungsanstalten und höhere Mädchenschulen. Die Erzählung ist klar, einfach
im Satzhau »nd anjichaulich, so dass sie sich der PJiaiuasie und dem Gedächt-
nis der Jugend leicht einprägt. Hier und du iüt eine mitgctheilte Sage nicht
ak Sage bezeichnet, und mancher einer bedeutenden Persönlichkeit nur irr-
thümlich in den Mund ffelegte Ausspruch ohne weiteres als von ihr gesprochen
hingestellt. Eine Durc^icnt des Buches z. B. an der Hand des bekannten
Werkes von Ilertzict „l>ie Treppenwitze der Weltgeschichte" wird darum
xathsam sein. Dabei Ueüen sich auch einige Dru (Mehler verbeBsem, z. B.
Pavierw (8. 88), Eupatrite (S. 122X Tneien (8. 128), fomesisoh (S. 179j,
Satiereu, Deckenblatt (S. 175) etc., ebeuo die hnu giieeUsoiiei hnlb römische
form einiger griechischer tarnen. W.
Vwnntwvrll. nadaetoar Dr. rrtedrieb Dfttaa. nmbdniekanl Jallm« KliakhaHt, L«^(.
Zum fledlelitiiis Adolf Diesterwegs.
Owproeben auf dem tehtea dentedieii LehxeiUge am 27. Kai 1890 im Feitiaale
der Philhannonie m Beriia.*)
To» Dr. Mßdrieh IHUm,
dem, der seiner Väter gern gedenkt^ der froh von ihren
Thaten, ihrer OrOBe den HOrer nnteriiilt nnc^ still sich freuend, ans
Ende dieser schOnen Beihe sich geschlossen sieht**
Wie oft hat sich in den letzten Wochen nnd Monden dieses
schöne Dichterwert hewflhrt! Oberall, wo es deutsche Lehrer gibt,
die noch Sinn haben fftr das nnveiigfingliche Verdienst ihrer geistigen
Vorfahren, gedenken sie in diesen Tagen eines ihrer ruhmreichsten
Ahnlierren; sprechen sie von dem Meister und Bahnbrecher, der vor
hundert Jahren das Licht dei* Welt erblickte: sprechen sie von
Adolf Dies terweg, der unter den ehrwürdigen Vätern der deutschen
Schule dem heutigen Geschlecht am nächsten steht.
Es ist ein Trost in dieser vielfach trübseligen Zeit, dass es unter
den deutsehen Lehrern noch einen Kern von Männern gibt, welche
sicii oüen zu den Grundsätzen und Strebzielen Diesterwegü bekennen
und ohne Menschenfurcht bezeugen:
„lo ihm liab' ich seit meiuer ersten Zeit
EiB Miuter dta voUlKnDDmneD MaaiM gesebeo."
Dass audi der „Deutsche Lehrerrerein'', die weitaus bedeutendste
Kdrpersdiaft ihrer Art, bei Gelegenheit seiner achten Hauptversamm-
lung «ne DiesterwegfiBier veranstaltete, war eme unerlässlidie Pflicht
der Ebre und Dankbarkeit, eine Pflicht, zu deren ErfftUung es keines
Befehles bedurfte^ weil die Stimme des Herzens sie forderte. Und
wo anders könnte der „Deutsche Lehrerrerein**, der das ganze Deutsdie
Reich zu umfiissen berufen und bestrebt ist, seinem geistigen Ober-
haupte nnd Proteetor eine vollwichtige Huldigung darbringen, wenn
nicht in der Hauptstadt des Deutschen Reiches? Hat doch in Berlin
unser Diesterweg fast die Hälfte seines Lebens verbracht, den gi-ößten
Theil seiner Arbeit gethan und endlich die letzte Ruhestätte gefun-
den. Und so ist Berlin, abgesehen von seiner hauptstädtischen Be>
*) Der folgende Abdruck ist genau und ToUständig uach dem Manaieript bei^
gestellt; im mUndlicbrn Vortrage waren, wenn ich mich i«cht erinnere, einige
Stellen vergessen worden. D.
PailagogiBm. 18. JaJtrg. Ucft IX. 99
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deiitung. fiir die A'ereUrer Diesterwegs einer jeaer bevorzugten Orte,
die der Dichtei* mit den Worten preist:
„Die Stätte, die eiu guter Meuäcb betrat*
Ist eingeweiht; nedi hundert Jähren Idingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder "
Und so danke ich dem geehrten Vorstand des „Deutschen Leh-
rervereins", dass er so freundlich war, mich zur Theilnahme an dieser
Gedenkfeier einzuladen. Es war mir ein Herzensbedürfnis, den Manen
unseres großen Berufsgenossen und Vorgängers in einem Kreise treuer
Gesinnungsgenossen die wolverdiente Huldigung darzubringen und
öffentlicli auszusprechen, dass ich die Verelirung, welche mich von
Jugend auf dem Lebenden verband, auch dem Todten ungeschmälert
bewahren werde bis an das Ende meiner Tage. Mögen ilin andere
lür ..üb(>rwunden" und _al)gethau" erkliireu. uns bleibt er einer der
Unsterbliclu'U, auf die wir das Wort anwenden, weh^lies die beiden
größten deutschen Dichter ihrem Vorgänger Lessing widmeten:
„Vormals im Loben ehrten wir dich wie einen der Gtttter;
Nun dtt todt hist, «o herneht Uber die Geister deb Geist*
Was aber könnte ich, geehrte Yersammlnng, Ihnen noch sagen
znm Lobe dieses herrlicben Mannes? Es bieBe Wasser ins Meer
tragen» wollte ich Ihnen eraählen von seinem Lebensgange, seinem
rastlosen Wirken für die Schnle, ftlr Förderung der Volks- und Men-
Bchenbildnng, für Glaubens- und Gewissensfreiheit, für die Vervoll-
kommnung der Unterriclifsniethode, für die geistige, sittliche und
sociale Hebung des Lehrerstandes, oder von den Leiden und Ver-
folgungen, die ihm beschieden waren, und in denen sich sein eherner
Charakter nicht weniger bewährte, als in Arbeit und Kampf. Nicht
auf Lob und Ruhm war sein Sinn gestellt, sondern Gutes zu wirken,
das war das Ziel seines Lebens. Und darum glaube ich in seinem
und in Ihrem Siinie zu handeln, w^enn ich etwas beizutragen versuche,
das die heutige Gedenkfeier nicht blos dem Gefeierten zur Ehre,
sondern auch uns zum Nutzen gereiche.
Dazu bedarf es aber keiner neuen Gedanken, und fern liegt mii*
die Absicht, Ihnen solche vorzuführen. Originalität wird derzeit ohne-
hin mehr geiibt, als gut ist. Ich möchte nur hinweisen auf die
wahren Fundamente der deutschen Nationalbildung, die längst gelegt,
nun aber leider halb vergessen sind; zurückweisen auf die Leit-
gedanken im Leben und Wirken Diesterwegs und damit anf die
glänzendste Epoche, aof das klassisdie Zeitalter des dentscheii Geistos-
lebens. Denn Diesterweg lebte in der Welt nicht als ein abge-
schlossener Sonderling, er lebte im Ganzen, er lebte in jenem Beidie
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— 547 —
^er Ideell, welches von den edelsten Geistern der deutschen Nation
erschlossen war, in jenem Heiche, aus welchem ich bereits, mit Vor-
bedaclit, einige Stimmen citirt halte. Rückkehr zu den wahren, echten
nnd dauernden Grundlagen deutsclier Cultur und deutschen Bohmefli
das ist es, was meines Erachtens heute vor allem noththut.
Gestatten und verzeilien Sie mir ein offenes Wort. Wol weiß
ich, dass dem (laste Bescheidenheit ziemt, und ich will .so zahm sein,
als es mir möglich ist. Aber Sie haben ja selbst meine Gegenwart
gewünscht, und so, hoffe ich, werden Sie mir auch einige Nachsicht
gewähreu. Zudem habe ich doch auch noch ein gewisses Recht, heute
ein wenig mein Herz sprechen zu lassen, da ich ja auch ein Glied
der deutschen Nation bin und mich wol aucli einen deutschen Päda-
gogen nennen darf, dem es erlaubt .sein mag, an einem Dicstei-weg-
tage seinen Ansichten über Erziehung und Unterricht Ausdruck zu
geben. Es steht ja einem jeden frei, wie er sich zu ihnen stellen
will Ist doch niemand, als ich allein, für meine Worte verantwort-
lich. Ich werde nichts anderes reden, als was ich auf Grund langer
Erfiüimng nnd sorgfältiger Beobaehtung für sidiere Thatsache, oder
nach meiner innersten Überzeugung fllr evidente Wahrheit halte.
H(fren 1^ mich also geduldig an, wenn ich etwas sage, was Ihnen
nicht geftllt» nnd lassen Sie mich, wenn Sie wollen, in Gottes Namen
-einen alten Zopf oder verhirteten Ketzer sein, an dem nichts mehr
zu bessern ist Gern verzichte ich auf jeden BeüSdl; lassen Sie mieh
denn auch etwaiges Ifissfhllen nicht allzu hart empfinden.
Es mag zunlehst dahin gestellt bleiben, ob die Ideen Biesterwegs
und seiner Geistesverwandten heute und in Zukunft noch einen prak-
tischen, einen actuellen Wert haben, oder ob ihnen nur noch eine
schanliche und erbauliche, eine speculative und contemplative Be-
•dentung zukommt; ob sie, mit anderen Worten, als das Abendroth
eines vergangenen oder als das Morgenroth eines anbrechenden Tages
im Leben des deutschen Volkes anzusehen sind. Gewiss ist, dass sie
einmal in den besten Geistern gelebt und Großes gewirkt haben, dass
ihnen also wenigstens eine h-istorische Würdigung gebürt, und dass
an einem Gedenktage, der uns zur Selbstbesinnung mahnt, es sich ge-
ziemt, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden, um, wo
möglich, einen Ausblick in die Zukunft zu gewinnen.
Bekanntlich betrachtet Diesterweg als Ziel aller Erziehung und
allen Unterrichtes die allgemeine Mensclienbildung in nationa-
ler Form und individueller Ausprägung. Diese Zielsetzung hat
•axiomatische, also absolute Giltigkeit und muss daher tlir immer die
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— 648 —
unabänderliche Norm der Pädagogik sein und bleiben. Denn es leuch-
tet unmittelbar ein, dasss jedes Wesen sein und werden soll, wozu es
von Natur beanlagt und bestimmt ist. das Menschenkind also ein
möglichst vollkommener Mensch; ein jedes derselben trägt die Grund-
zflge der Gattung, in allen walten die gleichen Entwickelungsgesetze,
und alle haben, nach Gottes Ebenbild geschaffen, die gleiche Würde
und Bestimmung, also ein natürliches Anrecht auf Erziehung und
Bildung. Es ist femer eine feststehende riiatsache, dass jedes Men-
schenkind einer bestimmten Nation angehört und dadurch eine be-
stimmte Sprache, bestunmte Bildnngsmittel und bestimmte Lebeosaof-
gaben erh<, die aber sfimmtlieh den allgemeinen Nonnen der Mensch-
heit ab ihrer höchsten Biditadmnr entspreehen mtlsseD. Endlich be-
flitst Jedes menschliche Indi?idnnm die allgemein menschlichen An-
lagen in besonderem MaBe, in besonderer Ausprägung, Mischung und
Gradabstnflmg, mit besonderen MftngeJn und Yonllgen; es besitzt
mit einem Worte seine Eigenart, die berOcksichtigt werden mnss, nm
Fehlem entgegemmirirken, Vollkommenheiten wbl' fUstdetiL — Wer
diese Fondamentalwahrheiten nicht begriffen hat» oder nicht achtet, der
ist nicht 20m Pädagogen berufen und hat kein Recht» in Sachen der
Yolksbildnng seine Stimme zu erheben.
Für Diesterweg» wie für jeden echten nnd ganzen Pädagogen,
ergeben sich aus jenen Grundwahrheiten organisch und mit logischer
Nothwendigkeit alle Theilaufgaben der Erziehnng: Gesundheit, Kraft
und Gewandtheit des Köi'pers, Aufklärung des Geistes durch lebendige,
fruchtbare Erkenntnisse und durch Entwickelung der Denkkraft,
Bildung des Willens zu strenger Sittlichkeit und beharrlicher That-
kraft, Veredelung des Gemüthes durch das Wahre, Gute und Schöne,
duixh Erhebung in eine höhere Welt, in das Reich des Göttlichen
und Idealen — dies alles in innigem Zusammenhange, mit unver-
wandtem Blicke auf das Ganze, zu allseitiger, einheitlicher und har-
monischer Ausgestaltung des ganzen Menschen. Als äußeres Ziel
m
und Merkmal aller echten Erziehung fordert demgemäß Diesterweg:
Unterordnung der persönlichen Interessen unter das Ganze der
Menschheit, der Nation, der Gemeinschaft, des Standes, Leben und
Streben zum Ganzen, daher strenge Zucht, feste Gewöhnung zur Ge-
setzlichkeit und zum Gehorsam, dabei aber freie Entwickelung aller
Anlagen und Enfle des jungen Meoachen nnter enldilieher Antori-
tAt, damit er sich allmählich zur Selbststfindigkeit, Selbsterziehung
und sittlichen SelbMbestimmung erhebe.
Dem allen entspricht denn auch die ganze Didaktik und Lehiw
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— 54E9 —
methode Diesterwegs: Bes<ihränkuDg des Wissens auf das Maß dessen,
was dfir Sdillkr in sein Tolles geistiges Eigentum yerwandeln kann,
Aiurottniig alles leeren Wortwesens und mediaaisehea Gedielitois-
werkes» Behandlang des gesammten Lehrstoffes in anschaulicher, ent-
wiekelnder, kraftbfldender Weisen Gestaltung alles Untenichtes nur
FOrdemng der freien Selbstthfttigkeit, der Wissbegierde, der Walir-
heitsliebe, der Sdbstsoeht» zor Bildung für das Leben, zur Stärkung
des Willens zum Outen, zur Weckung der Begeisterung für allen
Hohe und Edle^ mit einem Worte in durchaus pädagogischem, erzieh*
lichem Geiste, nach den Gmndsätaen seines groAen Yorbildes Posta-,
lozzi, den er als den „Mann des erziehenden oder bildenden, natur-
gemäß entfaltenden Unterrichtes** beaeichnet
Behufs sicherer Durchfdhrung: dieses Planes fordert Diesterweg
eine möglichst gründliche Lehrerbildung; nur geweckte, denkende,
selbstständige, reife Menschen hält er für würdig des Lehrerberufes;
femer eine seiner Bildung und der Würde seines Amtes entsprechende
Stellung und Besoldung des Lehrers; ingleichen fachmännische Auf-
sicUt und Leitung der Schule; endlich Unabhängigkeit dereelben von
der Kirche, sowie von politischen und socialen Sonderbestrebungen,
•weil die allgemeine Volksbildung und allgemeine Volksschule ihrem
Wesen nach mit trennenden Gegensätzen, also mit confessionellen
Satzungen, mit bürgerlichen Parteiungen und Standesunterschieden
nichts zu thun hat, ja unvereinbar ist.
Wie ist nun Diesterweg zu dieser seiner Pädagogik gekommen? —
Allgemein bekannt ist, dass er sich in erster Linie an Pestalozzi au-
schloss, dass er zu diesem mit Bewunderung aufblickte, in dessen Le-
ben und Wirken ein hohes Vorbild fand, aus dessen Scluiften die
nachhaltigsten Anregungen schüpite, dass er es sich zur Lebensauf-
gabe madite, im Sinne und Geiste Pestaloasi's in ariieiten, daas er
dessen grOndMchster nnd fhuditbarster Interpret war und noch in
hohem Alter die Losung ausgab: „Pestaloin Ar Immert'' Schon in
semem ersten Lehramte, au Frankflirt a. IL, trat Diesterweg mit
einer Anzahl unmittelbarer Schiller Pestalozzi's, unter denen besonders
Gruner und de Laspto herronagten, in enge yeEi»hidnng, ebenso mit
dem geistesverwandten, auageseidmeten Schulmann Wilbeig, einem
SchlUer Bochows. Mit diesen M&nneni verkehrte er zur Zeit seines
Wirkens in Frankfurt und MOrs, so oft er dam Mu8e Ihnd, um aich
an ihrem üntenidite und im Gespiftch mit ihnen sn bilden. Zweier-
lei lernte er von ihnen: Methode — und Begeisterung für den ]>ftda-
gogischen Berui Zu welcher Meisterschaft in der ersteren. er ea ■
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— Ö50 —
gebracht hat, das wissen Sie aUe; lieillglieh des zweiten großen Er-
furdenusses fttr den Lehrerbernf sagt er selbst noch in späten Tagen:
»Von der Begeistomng, wie sie damals nnter den jüngeren Lehrern
lebte, hat das gegenwärtige Geschlecht keine Ahnnng mehr." Sie
wurde damals genährt von allen jenen TorMDichen Männern, welche
theils noch mitten im pädagogischen Berufe standen, theils dnreh ihre
Schriften nachwirkten auf die vorwärts strebenden Jünger. Diese
Männer empfahl denn anch Diesterweg bei jedei* Gelegenheit seinen
Seminaristen und jüngeren Lehrern als 3Ieist«i' und Muster. Neben
Pestalozzi schätzte er besonders Rochow, Basedow, Salzmann nnd
Campe, Niemeyer und Schwarz, Dinter und Denzel, Schleiermacher
und Beneke und eine ganze Reihe tüchtiger Zeit- und Berufsgenossen,
die ihm als Mitarbeiter an seinen periodischen Schriften und am
„Wegweiser" nahe standen. Gleicli fern von lilinder Hingebung an
seine Lieblinge wie von gehässiger Heral)setzung Andersdenkender,
ehrte er neidlos jedes Verdienst, erwies er Gerechtigkeit auch dem
Schwächeren, auch dem Gegner. Immer aber blieb sein Sinn auf das
Wahre, Schone und »Tute gerichtet, welches ihm von Jugend auf in
glänzenden Gestalten nahe getreten war, und welches die eigentliche
Grundlage der klassischen Pädagogik Deutschlands bildet.
Die Bildungsjahre und die ei-ste Periode der Lehrthätigkeit
Diesterwegs fallen in jenes glänzende Zeitalter, wo unsere großen
Denker, Dichter und Patrioten die h(k^hste Coltnrstnlb darstellten,
wdehe nnsei« Nation bisher erreicht hat, und derselben ehien blei-
benden Sitz in der Bnhmeshalle der Mensdiheit errangen; wo -durch
Kant und Fichte, dnrch Lessing, Herder, Gfodthe, Schiller nnd den
großen Kreis derer, die ihren Spuren folgten, aJle Ideen nnd Bahnen
der dentsohen Natiooalerziehnng erkannt nnd gewiesen wurden; wo-
neben allem, was die Geister adelt, anch die kOrperlidie Tüchtigkeit
als Bildnngsziel zn ihrem Bechte kam, nnd insbesondere die Philanr
thropen Guts Mntbs nnd Vieth, dann Lndwig Jahn die dentsdie
Tnmknnst schnfisn. Wol bat za unserem Bildongswesen schon das
Alterthnm manch gnten Banstehi geliefert; wol lagen, yiel&ch unter
mittelalterliehem Sdintt verborgen, die ewigen Wahrheiten des Christen-
thums bereit; wol hatten der Slave Eomensky, der Engländer Locke,
der Franzose Rousseau der deutschen Pädagogik trefflich vorgeai'beitet:
aber ins Leben trat sie doch eigentlich erst durch die mächtigen
Wellenschläge im Ocean des deutschen Geisteslebens.
Das also ist der Schauplatz, auf welchem Diesterwegs Pädagogik
and Diesterwegs Lebenswerk emporwuchs, und das sind die geistigen
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"V&ter, deren Werke Diesterweg in seinen besten Stunden auf sich
"wirken ließ, mit denen er auch, soweit dies möglich war, persönlich
verkehrte. Sagt er doch selbst, dass jene Begeisterung für Menschen-
bildong, welche ihn umwehte, „eine Nachwirkung der Glut f&r Deutsch*
lande Wiedergeburt nnd Enienenmg'* war. Diesterweg leiste im Qsn-
sen, sein Element war die hohe See wahrer Oeistesgrtase; ans ihr
sdiOpfte er seine Idesle, s^ne Methode, seine Kraft, seinen Enthusias-
mns. Höge denn dem heutigen Gesdhlechte wieder Inind werden,
in welchem Garten der Stammbaum der wahren deutschen National-
ernehnng za finden ist, mOge es begreifen, dass dieser Baum
mit all seinen Wnrsehi, Stimmen, Ästen nnd Blttten erwachsen ist
sm den schöpferischen Geistern unserer großen Denker, Dichter und
Patrioten nnd ans dem ftbenengnngSYollen, hingebenden Sfamen nnd '
Arbeiten ihrer trenen NadifUuren. „Wol dem, der seiner Vftter gern
gedenkt."
Leider kann ich in dieser Stunde weder den Werdeprocess, noch
die Grundzttge der Pädagogik Diesterwegs näher beleuchten; noth-
gedrungen mnss ich skizzenhaft, aphoristisch, oberflächlich sein; selbst
sehr wichtige Themata, wie die Lehrerbildung, die allgemeine Volks-
schule, deren fachmännische Leitung und Beaufsichtigung, kann ich
blos streifen, nicht ausführen. Nur über eins derselben, über den
Religionsunterricht, möchte ich mir ein paar Bemerkungen gestatten,
weil Diesterweg selbst darin eine Haupt- und Lebensfrage des
Bild ungs Wesens erblickte, indem er meinte, von der Gestaltung des
Religionsunterrichtes hänge zum guten Theile die Zukunft, Wirksam-
keit, Stellung und Bedeutung der Schule ab; weil ferner diese Au-
gelegenlieit auf das tiefste in Diesterwegs Lebensschicksal eingegriften
und das Urtheil über den Mann wesentlich beeinflusst hat. Diesterweg
wai' eine tief religiöse Natur; wer dies leugnet, der kennt ihn nicht.
Von Jugend auf war er streng christlich erzogen , und bildete ernste
Qottesforcht, frommes nnd anfHchtiges Qottvertraaen einen Gmndzog
seines Wesens. Seihst die kirchliche Ausprägung fehlte seiner Beli-
gion nicht» wie seine Einsehreibangen in die Familienbibd nnd sein
ileifiiger Besuch des Öffentlichen Gottesdienstes hezengen. Vom Beli*
gionsuntenichte sprach er stets mit großer Wärme und Wert-
schätmng, s. B.: „Die BOdungsmittel kOnnen im Laufe der Ent-
wickelung in mancherlei Art. sich ändern, constant wird die Beligion
bleiben, die im Menschen die Gottähnliehkeit entwickelt. Sie ist das
Universal-Endehungsmittel aller Zelten und aller Völker, Oentrum»
Kern, Blüte und Frucht aller wahren Bildong.** — Und dennoch
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wurde er von jener Partei^ welche sich die rechtgläubige nennt, ab
Fond der Religion nnd Kirche erkUUrt und in der heftigsten Weise
befehdet, ja selbst sein amtlicher Schüflnrnch hat hierin die Hanpt-
nrsache. "^e ging diee zu, und was war der eigentliche Strei^
pnnkt? Diesterweg wollte in der Volksschole nnr das Ghristenthnm
Ghristf gelehrt wissen, wie es in der Bibel steht, nicht aber das
Christenthnm der Confessionen, wie es in den Eateidiismen steht; er
wollte einen allgemein chi-istlichen, aber keinen apedell confessionellen
Keligionsnntenicht in der Volksschule, welch letzteren er den Kirchen
flberlassen wollte. Und meines Erachtens hatte er damit ganz recht,
weil die Kinder in der Volksschule nicht reif sind, um die Unter-
scheidungslehren der Kirchen verstehen nnd beurtheilen zu können,
und weil die Volksschule das allen Parteien Gemeinsame lehren soll,
diis, was sie verbindet und versöhnt, nicht das, was sie trennt und
verfeindet. Nun sagt mau aber, jener allgemeine Religionsunterricht
sei abstract, also uni)ädagogisrli; überdies sei es unmöglich, das
Cliristenthum ohue confessionelle Fassung zu lehren. Eitel Irrthum
oder Sophisterei CDUcret, anschaulich und unmittelbar zum Herzen
sprechend, also pädagogisch, ist ebeu die Lehre Jesu, von dem der
Evangelist sagt: „Er predigte gewaltig und nicht wie die Schrift-
gelehrten"; abstract liingegen und die Fassungskraft des Kindes
übersteigend sind, abgesehen von ihrem sonstigen Werte, die unter
vielen Kämpfen, Zerwürfhissen und Zwangsmaßregeln zustande ge-
kommenen Glaubenssatzungen. Und wenn Religion nicht gelehrt
werdtt konnte, ohne ein besonderss Glanbenssystem, dann kttante
anch nicht gelehrt werden, was gut und bOse, recht und unrecht ist,
ohne ein besonderes System der Ethik oder ^urispmdenz, könnte ans
der Weltgeschichte nichts erzählt werden, ohne es nach einem po-
litischen Parteiprognunm zu modehi, konnte keine popuUre Natur-
kunde gelehrt werden, ohne ein naturphilosophisches System ehizn-
mischen, z. B. für oder gegen den Darwinismus Stellung zu nehmen.
Es konmit ttberall nur darauf an, ob der Lehrer sidi. selbst beherr-
schen, sich unbefiuigen der Sache hingeben, sich auf den Standpunkt
des Kindes versetzen kann, ob er also ein pädagogisch gebildeter und
gearteter Mann ist. Wenn aber trotz aUedem die Orthodoxen einen
fieligionsnntemcht ohne confessionelle Deutung und Färbung für un-
möglich halten, so mögen mir die weisen Herren doch sagen: welcher
Confession oder Separat-Kirche gehörte denn ChrLstos an? War er
römischer oder griechischer Katholik, Lutheraner oder Calvinist,
Heimhuter oder Methodist oder was sonst f&r ein Confessioneiler?
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Mir ist von alledem nichts bekannt, und doch ertheilte er einen aus-
gezeichneten Religionsunterricht, und das war ein allgemein christ-
lirlier. wie wir Ketzer ihn wollen. Jesus sprach zu seinen Jiingeni,
die docli Männer waren: „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber
ihr könnt es jetzt nicht tragen." Unsere Orthodoxen hingegen wollen
schon dem zarten Kindesalter Satzungen aufbürden, um die sich die
schaifsinnig.sten Köpfe Jahrhunderte lang gestritten haben und noch
heute streiten. Wenn doch dit- Herren Theologen nicht weiser sein
wollten als ihr Heisterl Wenn sie doch nicht so hochmüthig sein
wollten, den Herrn dei* Welt in ihre Menschensatzungen und Schul-
formeln zu bannen! Die Differenz zwischen ihnen und uns ist ein«
fSuh folgende: Sie woUen BekflontniB, irfr wdlen Beligion; sie stellen
aehf d. b. die -Theologen und die Kirchen Aber C9iriBtiim, wir itellen
Ohristiim über alle Theologen und Kirchen.
Weil wir diesen Zwiespalt nun leider nicht beseitigen kOnnen,
nnd weil alle YerkleiBtemng desselben nicht zum danemden Frieden
itthrt, so bleibt nns nichts anderes ftbrig, als die nnbedingte und
gftnzUche Trennung der Schnle von den Separatidrchdn zu üDrdeni.
Die Beligion wird damit der Schule nicht verloren gehen. Denn ich
mOdite doch sehen, wer es dem Lehrer verwehren will, seinen Kin-
dern biblische Geschichten zu erzShlen oder mit ihnen Abschnitte
ans der Bibel zu lesen! Etwa ein evangelischer Pfarrer oder ein
evangelisches Consistorium? Ist es doch einer der obersten Grund-
sätze des Protestantismus, dass jeder Christ die Bibel zu lesen das
Becht und die Pflicht hat und zwar nicht etwa am Gängelbande
priesterlicher Bevormundung und Satzung, sondern in freier Bethäti-
gung seines eigenen Gewissens. Und scliließlich ist doch die Kirche
nicht die alleinige Inhaberin aUes Glaubens: wir haben ja auch eine
deutsche Nationalliteratur, die tiberall von religiösem Geiste durch-
drungen ist: man denke an Luther, an Klopstock, Lessing, Herder,
Goethe, Schiller, Arndt, Uhland u. s. w. Man kann immerhin schon
zufrieden sein, wenn alle Kinder und alle Theologen so viel Religion
haben, wie unsere echt volksthtimlichen Dichter und Schriftsteller.
Traurig genug, dass solche Betrachtungen in unseren Tagen
nöthig sind; dass heute noch gekämpft werden muss um die besten
Grundlagen der deutschen Nationalerziehung, um die wichtigsten
Rechtstitel der deutschen Nationalehre, um Glaubens- und Gewissens-,
freiheit, um Freiheit des Gedankens und Wortes, nm die freie Wissen-
schaft und Lehre! — Das 16. Jahrhundert jubelte einem Luther ent*
gegen, das 19. scheüit mit dem Triomphe der Oeisteskneehtschaft
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enden zu sollen. In meinen Jugendjahren las ich aui einem Denkstein
in der Leipziger Ebene die Inschrift:
^(histav Adolf, Christ and Held,
Kettete bei Breitenfeld
Glaubensfreiheit för die Welt"
Heute will es scheinen, als ob diese „Glaubensfreiheit für die
Welt" in manchen Ländern recht wenig zu bedeuten habe; man
spricht auch niclit mehr gern davon. Mächtiger als je ist ihr Unter-
drücker, der Papst, dessen Besiegung doch ein Hauptzweck der Be-
formation war. In einer Encyklika nach der anderem Terkfindigt er
kOhii Bdn angeUichfls Itoeht auf die Welthenraehaft, seine Oberhoheit
Aber alle YtHker und Henraeher, seine absolute Antorit&t in allen
Cnltiir- und Biidnngsfragen, Uber alle Wissenschaften and Schulen»
prodamirt er einen M9nch des IS. Jahrhnnderts als den Gesetzgeber
aller Forscfaong nnd Lehre: nnd fut niemand wagt es, gegen diese
Uachtsprfiche zn protestiren. Man lauscht nüt Ehiftircht den römi-
schen Offenbarungen» oder man duckt sich wie der Vogel Strauß und
schweigt wie die Auster in ihrer Schale. Ja mehr noch: man hält
sich in steter Fühlung mit dem römischen Pontifex maximus, man
^teht mit ihm in fortwfihrenden Verhandinngen, will ohne ihn nichts
Großes unternehmen, kommt seinen ungeheuren AnsprQchen rück-
sichtsvoll entgegen nnd sucht auf alle mögliche Weise seine Gunst
zu gewinnen; man ruft ihn an als Schiedsrichter über weltliche Mächte»
man bittet ihn nm Hilfe in den Nöthen des Parlamentarismus, man
streckt vor ihm ruhmlos die Waffen des Culturkampfes , man sucht
seinen Beistand zur Lösung der socialen Fragen. Solche.s war denn
doch seit der Reformation bis auf unsere Tage unerhört, ja es geht
hinaus über den Maßstab des Mittelalters. W as Wunder, dass sich
diesem verhängnisvollen Zug der Zeit alles beugt, was am Webstuhl
der Gedankenfabrik sitzt, und dass dabei Erzeugnisse zustande
kommen, welche man vom Lande der Dichter und Denker nicht er-
wartet hatte. Doch sprechen wir nicht davon, das ist ja eine be-
liebte Maxime unserer Zeit. Die sogenannte öffentliche Meinung
schweigt eben auch gar vieles todt. Man will nicht anstoßen und
betrachtet daher die großen Lebensfi'agen der Cultur als ein Noli-me-
tangere. Und diese Erbärmlichkeit wirkt ansteckend wie eine
Epidemie selbst da, wo man auf eine gesunde Widerstandskraft ge*
rechnet hatte. SellMit im britlsehen Musterstaate des LtbersUsmus
lehnen bereits freisinnige Blätter ersten Banges wissenschaftliche
Arbeiten von henrorragendoi Gelehrten ab, um nicht das Missfhllen
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eines sehr bekannten Cai*dinals zu erwecken. Ähnliche Ablehnungen
seitens deutscher Blätter von freisinniger Farbe sind schon längst
usuell. Nur die Organe der schwärzesten Reaction finden es für
überflüssig, sich irgend einen Zwang anzuthun. Es ist ein gar wunder-
lich Ding, unsere Pressfreiheit. Man kann ihr uuch Belieben die
Zügel schießen lassen oder das Lebenslicht ausblasen. Und hierzu
bedarf es nicht einmal immer offener Gewalt, es gibt auch Mittel,
sie heimlich zu erdrosseln. Und mit der Lesefreiheit ist es ähnlich
bestellt. Wer insbesondere so viel Aufpasser hat, wie der Lehrer,
der ftrchtet sich, ein missliebiges Blatt oder Buch in die Hände zu
nehmeD, und er hat Grand genug, der aUfUUgen Beitellang die Bitte
«asiiftgai, man mOge es ihm ja nicht offen, sondern in ymdthaaeom
Oonvert senden.
Man kann Ober solche Zustande verschieden denken, je nach dem
persönlichen Standpunkte. Man kann sie fttr heilsame Schranken des
knrzsiehtigen Unterthanenverstandes nnd ftr Bfirgschaften der Staats-
WfiJfahrt erkUrep. Ich meinerseits halte sie fOr hOchst Terderblich
nnd gefiUiriich. Dem dentschen Volke das wdsche Joch auferlegen,
ihm die Selbstbestimmung, die Freiheit des Gedankens und der Rede,
der Wissenschaft und Lehre, des Glanbens und Gewissens yer-
kttmmem, das heiAt nach meinem Dafürhalten: dem deutschen Volke
die Seele anareifien und ihm seine Kraft rauben. Als vor 77 Jahren
der „Aufruf an mein Volk" erschien, da hat die deutsche Nation ge-
seigt, was sie in der Sonne der Freiheit zu leisten vermag. Damals
stand sie auf jener Höhe, auf welcher das Volk der Hellenen stand,
als es das Joch der Perser zerschmetterte. Möge nie der Tag er-
scheinen, wo ein ähnlicher Aufruf ein in Knechtschaft versunkenes
Geschlecht vorfindet! — „Wol dem, der seiner Väter gern gedenkt.''
Vorläufig kann man leider nicht ohne Besorgnis auf die Gegen-
wart und in die nächste Zukunft blicken. Es will scheinen, als ob
eine weitgehende Entwertung, ja ein förmlicher Preissturz der
höchsten Güter des Menschengeschlechtes eingetreten sei und damit
der Grund zu wanken beginne, auf welchem allein Völker und Reiche
dauernd bestehen können. Schon treten Kennzeichen eines Geistes
hervor, der verderblich wirken müsste, wenn er sich weiter entwickeln
und verbreiten sollte. Dieser Geist nennt sich „Kealismus" oder
„NaturaUsmos" und besteht in dem entschiedenen Übergewicht der
niederen, sinnlichen, thierischen Elemente im Menschen über die
höheren, geistigen, göttlichen; er ist der directe und bewnsste Gegen-
satz zum Idealismus, welcher in der Pflege und Yorherrsdiaft der
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edleren Anlagen des Mensciien: in der Vernünftigkeit, Wahrheit,
Schönheit und sittlichen Freiheit sein Ziel erblickt. Der Realismus,
zunächst in der Politik entwickelt und von da aus in alle anderen
Lebensgebiete eingedrungen, respectirt nur das, was die Macht hat,
sich thatsächliche Geltung zu verschatten, gleichviel was es sei und
mit welchen Mitteln es seine Erfolge erziele; etwas Bleibendes und
Ewiges, etwas absolut Giltiges und WertyoUes gibt es in seineii
Augen nicht, das ist ihm Chimäre, an sioii ein lichcriidier Wahn,
der nnr insofern Beachtung verdient, aU er, in kleineren oder grOiteren
Ereieen, auf Iflngere oder Idlnere Dauer, als Maditfiietor wirkt Die
natürlichen Instinete sind die Basis dieses Bealismns, die Befinedigong
der Selbstsndit dorch Gennss und Herrschaft ist sein Ziel Wahr,
das heißt reale Machte, sind ihm anch Irrthnm nnd Aherglanbe» Ver-
stellnng nnd Heuchelei, LQge nnd Verleomdnng, wenn sie Erfolg
haben; schSn sind ihm anch das Alltftgliehe nnd Gemeine, das Häss-
liche nnd Ekelhafte, die nackte Schamlosigkeit nnd die rohe Bruta-
lität, wenn sie durch die Kunst (Poesie, Malerei) naturgetreu copirt
werden, woiin eben die realistische oder naturalistische Kunst besteht ;
gut sind ihm auch die bösen Züge des Menschen, Hinterlist und Gfe-
waltthätigkeit, Hass und Fanatismus, Cori-uption, Betrug nnd Fälschung,
Verhöhnung der gebeugten Unschuld, Beschönigung der siegreichen
Niedertracht, Undank gegen den Wolthäter, Venrath des Freundes,
kurz alle Sünden und Laster, wenn sie seinen Zwecken dienen, aller-
dings auch alle Tugenden, jedoch ebenfalls nur dann, wenn sie Vor-
theü bringen. Recht hat in jedem Falle und unbedingt der Stai'ke,
er aber auch ganz allein, unrecht in jedem Falle der Schwache.
Man proclamirt diesen Realismus oder Naturalismus jetzt als moderne
AVeltanschauung und Lebensphilosoi)hie , der in unseren Tagen die
Alleinherrschaft gebiire. In der Literatur wird er nicht nur factisch
und praktisch von zahlreichen Adepten gepflegt, sondeni auch bereits
theoretisch und programmmäßig entwickelt. Man sagt da wörtlich
und allen Ernstes: ,.Die Anschauungen einer versunkenen Welt" (das
sind die unserer Classiker) „müssen den Forderungen der gegen-
wärtigen Stunde'S „den bewegenden Mächten der Zeit** weichen;
„kein heilig gesprochenes Muster der Vergangenheit*' kann uns als
TorhOd dienen, man darf sich „an keine Formel, an keine Autorität*^
hinden, man muss ledig^ch «dem stQimend Neuen in all seiner gfthren-
den Begellosigkeit% «dem ewig Werdenden, der unendlichen Ent-
fiiltung n unhekannten Zielen* folgen. Das wäre also die bewusste
geistige Sdbstentmannung und Verlotterung, die Wegwerfhng der
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Ö57 —
Menschenwürde, die Zertrümmerung des Compasses und Steuerruders,
ein fatalistisches Sichpreisgeben an das Spiel der Wellen. Die spontane,
inneren Gesetzen folgende Freiheit des Wollens und Schaffens hört
auf, und der Tenmnftbegabte Menschengeist wird unter den Lockungeu
und QeifteDiieben AnBerar Lnpidae ein wildes Boss ohne Zügel, das
Offemtliclie Leben ein entgleister SdmeUBOg. Nun eneliallt von vielen
Seiten her die Klage, daas mia ein zncktlofles GeaeUeeht herumeiiae.
Ja, woUte man nur aadi ernstlich nach den wahren üraachen for-
sehenl Dieeterweg, der Hann strenger Zucht, hat eindringlich genug
daTor gewarnt yergeben& Nun erhebt aush ein keckes Epigonen-
thnm in seiner Tollheit und Nichtigkeit. Ihm gilt auf allen Gebieten
die Warnung:
„Vergebent wenlen mgebmidiie Oelster
Nach der VoUenduQg reiUHr Hohe streben,
Und das Gesets mir kMm uns Freiheit geben."
Leider ist diese Erinnerung auch schon in der p&dagogischeu
Literatur vonnOthen. Auch da hat der ungestüme, serstfirende, nur
äußeren Antrieben und wechselnden TagesstrOmnngen folgende Zug
der Zeit schon sehr merkliche Spuren gezogen, und so weit diese
reichen, ist die Pietät vor den bahnbrechenden Meistern, der An-
schluss an wegweisende Vorbilder, das Verständnis für die maß-
gebenden Principien geschwunden. Ich verkenne durchaus nicht, dass
nnsere Fachwissenschaft noch eine Anzahl tüchtiger Männer auf-
zuweisen )iat, welche mit gi-ündüchem Verständnis tür deren uner-
schütterliche Fundamente und füi* die ausgezeichneten Leistungen der
Vorfahren das Errungene zu bewahren, anzuwenden, zu ergänzen und
auszubauen vei*steheu, und mit großer Befriedigung lese icli ihre Ar-
beiten. Aber daneben macht sich eine Verworrenheit, Zerfahrenheit
und Obei'flächliclikeit bemerkbar, welche bei aller Impotenz zu hoch-
müthig ist, ihr kostbares Gedankenmaterial dem gemeinsamen Bau zur
Verfügung zu stellen, sondern sich zu gnmdstürzenden Hammer-
sehUlgen und originalen Neugestaltungen berufen w&hnt. — Würde
doch die deutsche Schule, wie sie Dieaterweg geplant hat» erat wirk-
lich hergestellt, statt daas man n» schon wieder asntOreu willl —
Bekanntlich gab ea schon im alten Testamente nicht nur große
Flwphetea, sondern auch kleine und sdbet ftlsche Propheten. - In der
Pädagogik unaerer Zeit dominiren die kleinen und Jdschen Pnopheteo^
und alle finden ihr Auditorium, daa freilich meist nur ein paar Schlag-
worte behält» sonst aber zum linken Ohre ausgehen lAsst, was durchs
redite eingeht Es will scheinen, als ob die Geister zu Sieben würden.
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die alles tlurchtallen lassen, und als oh sie schon von Jenem Marasmus
Ijefalleu wären, welchen der Apostel Paulus in der gesimkenen Haupt-
stadt Griechenlands vorfand und die Bibel mit den Worten bezeichnet:
„Die Athener aber alle waren gerichtet auf nichts Anderes, denn
etwas Neues zu sagen oder zu hören." So ergeht es immer, wenu
die Menschen den Keni fester Leitgedanken verlieren.
Sich in die großen Propheten zu versenken, das kostet den kurz-
athmigen Streblingen unserer Tage zu viel Kraft und Zeit, auch sind
diese großen Propheten in den Kreisen der kleinen Größen missliebig.
Beides ist nicht verlockendf denn man will mit wenig Mflhe schnellen
Erfolg ersdelen. Jeder will idne paar Deka Qddxn mOgUchst rasch
varwerten, und so kann « sieh nicht dämm kllmmera, schon w
ihm geschaffen ist und neben ihm geschaffen wird, nnd wie seine Lieb-
haberei zom Ganzen passe. Wie Stemsehnnppensehwftnne schweiÜBn
die Originalgenies nnd Frojeetmacher am pldagogischen Himmel um-
her. Ein wahrer „Stnrm nnd Drang** hat die Schalwelt etgrüSan.
Ans allen Ecken nnd Enden erschallen die Schlagworte: «Befonn,
Beform, ZeftgernftSe Gestaltung, Nene Bahnent" nnd wie sie sonst
noch heißen. Es ist ein Ärmliches Geschäft und ein förmlicher Sport,
„Reformliteratur" en gros zu producii-en. Wer einen ganzen oder
halben Gedanken gefasst zu haben glaubt, der meint schon, alles Be-
stehende 'aus den Angeln heben zu können und ein Universalmittel
zur Heilung aller Schäden zu besitzen. Für alles mnss ein besonderer
Verein oder wenigstens eine Kameraderie und womöglich ein eigenes
Pressorgan gegründet werden. Welch buntes Durcheinander, welche
babylonische Verwirrung, welche /^ersiilitternng und Zersetzungl Man
halte nur eine Überschau über die pädagogische Tagesliteratur und
Journalistik. Jedes Ländchen, jede Gattung, Art und Nel)enart
von Schulen, jedes einzelne Lehrfach, jede Specialität, die Lehnnittel-
kunde, die Schulhyjiriene , das Jugendspiel, die Handarbeit, die
Haus- und Volkswirtschaft, der Knabenhort, die Feriencolonie, der
Idiotenunten-icht , und w^as sonst noch alles muss ein autonomes
Gebiet werden; auch die Lehrerinnen müssen ilire eigenen Vereine
und Zeitschriften haben. Und jede Partei proclamiit ihr Pro-
giamm und ihr Interesse als das Wichtigste von allem, als das
ISncf, was noththnt Wer soll da noch den mhenden Pol in der Er-
scheinungen flneht eAannen? Und da habe ich die mannigfaltigen
Bewegungen anf dem G^Uete des höheren Sehnlwesens nodi gar
nicht erwähnt. Ich lese mehr als 40 pädagogische Blätter nnd erhalte
jede Woche mehrere Ballen nener pädagogischer Schriften; aber das
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genügt kaum, um mich sattsam zu orientireii. Dauert diese Siiudflut
so fort, dann muss schließlich alles aus Rand und Band gehen. Ich
gebe ja zu, dass die meisten der erwähnten Angelegenheiten ihre Be-
rechtigung haben. Aber man muss sie ni(lit zu weltbewegenden
Fragen aufbauschen, nicht vom Ganzen losreißen, nicht als Special-
sport betreiben; mau kann den meisten derselben auch in allgemeinen
Vereinen und in al"l gemeinen Zeitschriften gerecht werden; man
muss auch nicht glauben, die Altmeister der Pädagogik hätten davon
gar nielits gewusst, und die Schulgeschichte fange erst mit den Epi-
gonen an. — Wieder andere bleiben, von diesem rastlosen Treiben
angewidert, stricte in den ansgefalirenen Gleisen und bei ihrem Pensom,
. irie es die Boreaiipädagogik zuges^itten hat Aber schiiftsteUern
wollen sie doch auch, und nmi finden sie, dass es ihre Christenpfficht
sei, ftr die liehen hüfibedürftigen CoUegen oder Untergebenen An-
weisnngen fiber Anweisungen, Lehrproben über Lehrproben zn schrei-
ben, so dass man fragen möchte: Was lernen denn eigentlich die
Lelffamtseandidaten in ihren Seminarien, wenn man ihnen selbst das
Metier erst nachtrftglich eindrillen mnss? Oder ist etwa der Lehrer
eine Spielnhr, die immer wieder an|g;ezogen werden moss^ so oft die
Walze abgelMfim ist? Die kleinliche MethodeujAgerei ist flberhanpt
immer ein Zeichen von geistiger Dürftigkeit, nnd der Dichter hat
recht, wenn er sagt: *
,.Es trägt Verstand und reohlar &m
Mit weaig Ktuut sich «albtt TW,"
wenn man ihn nur erst hat.
Wenn man diesen pädagogischen Hexensabbath — er datirt von
der Zeit an, wo die Diesterwegsche Pädagogik dui-ch die Regulative
und ihren Anhang in den Bann gethan wurde — Jahrzehnte lang be-
obachtet hat, ihn, der so viel Zeit und Kraft nutzlos verdorben, so
viele schwache Kopfe verwirrt, so viel Zwiespalt und Hader hervor-
gerufen und nach und nach die großen Meister der deutschen Päda-
gogik in den Hintergrund gedrängt hat: dann muss man sich wol
fragen, ob es noch der Mühe lohne, und ob ^ noch ehrenvoll sei, sich
an der pädagogischen Literatur zu betheiligen; dann darf man sich
nicht wundern, wenn bei wissenschaftlich gebildeten, aber mit den
Classikern der Pädagogik nicht bekannten Männern alle Schulmeister-
weisheit zum Gespdtte wird, wenn das alberne Geschwätz, die Päda-
gogik sei eigentlich gar keine Wissensehaft, gläubige Nachbeter findet
(Tor lierzig Jahren nnd frfiher war die Pädagogik ebie Wiswnschaft,
mit der sidi (Deister ersten Banges be£usten); darf man sich nicht
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wundern, wenn gar mancher Laie das Eefoimiren besser zu
verstehen glaubt and in der That neben gewissen Merkmalen des
DOettanten mebr geoinden UenscIienyerBtand zeigt, als Schnlmlbmer
Ton Beruf; darf man sidi aach nicht wondeni, wenn gelegent-
lich . ein blasirter Jonker ftber die n^eosiDi^en GeheimniBse^ des
Ijehrerberofes witielt — Es dflrfte also Ton Nntsen sein, wenn die
Diesterweg&ier den Erfolg hätte, dass die dentsehe Lehre^sehait fortan
sich etwas jBprOder zeigte geg^ Stfimper nnd Ekinmeister, Pftascher
und Projectschmiede, Viertels- und Achtelspädagogen, SteckenpiSBrd-
reiter and Karrenschieber. Wer anf- and vorwärtskommen will, der
moss sich Meister wählen, die höher stehen als er seihst; wer immer
sa kleinen Geistern in die Schnld geht, wird selbst ein kleiner Geist.
Lesen Sie also wieder und immer wieder die classischen Werke der
dentsdien Denker, Dichter und Pädagogen. In ihnen finden Sie fttr
das ganze nationale Büdungswerk den allumfassenden Plan, den leiten-
den Geist und Zweck, für jede heilsame Reform den rechten Sinn,
den rechten Platz, den rechten Weg. «Wol dem, der seiner Väter
gern gedenkt!**
Die liückkehr auf die geistige Höhe des Lehrerberufs wird auch
der socialen Stellung des Leinerstandes zustatten kommen. Auch in
dieser Hinsicht ist die Gegenwart noch weit entfernt von dem, was
Diesterw^ anstrebte, am weitesten in seinem eigenen Vaterlande.
l>as Ausland hat während der letzten Jahrzeliute bedeutende Fort-
schritte gemacht, so Mexiko und Chile, Uruguay und die Argentinische
Republik, Japan und Australien, in Europa namentlich Frankreich, Eng-
land und Italien; doch dies nur nebenbei. Gestatten Sie mii* jedoch einige
Bemerkungen über das nachbarliche und verbündete Österreich. Vor
allem ist da hervorzuheben, dass dieser Staat seit mehr als zwanzig
Jahren ein Schalgesetz besitzt, und zwar ein solches, welches im
wesentlichen den Anscfaannngen Diesterwegs entspridit Diesem Ge-
setze verdankt es die Ostenreichische Lehrersdiaft, dass sie nidit mehr
nOthig hat, Uber die «Befreiang vom niederen Sttsterdienste" zu ver-
handehi, das ist dort ebi längst verschollenes Thema. Ebenso gibt es
seit jenem Clesetze keine geistliche Localsdialinspection mehr, ist die
BedrksschnUnspection im Prindp ond meist anch schon in der Wirk-
lichkeit eine üuhmännische, in vielen Ftilen Beroftogenossen im engeren
Sinne fibertragen; qpecieU in der Hauptstadt Wien gehören von den
seefas Scholinspectoren fünf dem Stande der Volks- und Bttrgerschnl-
lehrer, einer dem der Gymnasiallehrer an. In allen Bezirksschulräthen
ist die Lehrerschaft gesetzlich durch frei gewählte Glieder ihres
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Standes vertretoo. Dei' Usus, zu Seminai-directoren und -Schulräthen
Theologen za eammm, ist in Östezreich unbekannt und UDmöglick.
Ferner sind alle Öffentlichen Schulen in sodaler nnd eonfeesioneller Hin-
sidit nngesehieden, die schulpflichtigen Kinder aller Sttnde und Bekennt-
nisse vereinigend, also »allgemein'' und »simultan". y^Vorschnlen" gibt
es nicht. Die Frage des Schulgeldes ist längst erledigt; in den we-
nigen Lfindem, wo es noch nicht entbehrt werden konnte, wird es
nur noch als Nothstand betrachtet Die Öffentliche Achtang des Lehrer-
standes ist bei allen gebildeten Classen bedeatend gestiegen, nur von
den reactionären Parteien wird sie geflissentlich verleugnet und herab-
gesetst' Die Candidaten des Lebiiinits haben nach Absolvirung des
Seminars das Becht auf den einjährig-freiwilligen Militärdienst, was
um 80 bemerkenswerter ist, als in Österreich dieses Recht nur solchen
jungen Männern zusteht, welche das Gymnasium oder eine Schule
gleichen Ranges ganz absolvirt oder eine ä(iuivalente Prüfung be-
standen haben. Brutale Behandlung der Lelirer im Militärdienst
kommt nicht vor. Überliaupt ist in Österreich das Militär der Neu-
schule freundlich gesinnt, weil es sehr wol weiß, dass es mit den
Recruten jetzt leichtere Arbeit liat, als in den Zeiten der alten Schule.
Wol bleibt auch in Österreich noch manclies zu wünschen übrig; aber
die erwähnten ^loinente sind doch feststehende Thatsachen. — Allerdings
möchte nun eine bekannte Partei in Österreich die alten Schulzustände
wieder zurückführen, wobei sie, und leider nicht ohne Grund, sich
stets auf das Muster PreuÜeus beruft Aber bisher hat sie noch nieht
viel ausrichten können, weil ihr ein von den Lehrern tapfer verthei-
digter Wall von Gesetzesparagraphen im Wege steht. Wol sind auch
in Österreicli der t'ultusniinister und der Unterrichtsniinister in einer
Person vereinigt, bei welchem Verhältuis bekanntlich, der Herr Unter-
richtsniinister in der Regel eine seiner ersten Pflichten darin erkennt,
den Herrn Cnltusminister zufinedenzustellen und bei gnter Laune zu .
erfaslten, was nicht immer möglich ist ohne Schädigung der Schule.
Wo aber ein Schulgesetz besteht, da hat denn doch auch die größte
GefiUligkeit unflbersteigliche Schranken.
Wie es in allen diesen Beziehungen m Preußen und anderen
deutschen Lindem steht, wissen Sie selbst Wie nachtheiUg femer
ein Qberm&Big entwickelter Bureankratismus wirkt, welcher mit
unnOthiger Vielschreiberei Tiel kostbare Zeit in Ansprach nimmt und
die eigentliche Schularbeit sch&digt, indem er die besten Lehrer um
ibi*e Bemikfreodigkeit bringt, die minder guten Elemente aber der
Verantwortlichkeit vor dem eigenen Gewissen überhebt und an eüie
P«d«8«giun. lt. Jthis. H«ft IX. 40
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— 562 —
0
blos irerkgeTechte BerafsfOhrung gewöhnt, das dürfte Ihneii eben&Us
nicht unbekannt sein. Noch weniger (raachen Sie über Ihre Oehalta-
verhSltnisse eine Belehmng von mir; zodem heifit es ja jetzt wieder
einmal, dass dieselben besser werden sollen, und ich kann nar von
ganzem Herzen wQnschen, dass diese Aussicht wie verschiedene andere
Hoifinmgen sich bewähren mOgen. Ober den bisherigen Stand der
Sache meine Meinung abzugeben, wäre mir in parlamentarischen Aus-
drücken unmöglich. Gestatten Sie mir daher einen Satz anznftthren,
den ich unlängst in einem Schriftchen von einem wackeren preußischen
Pfoner fiind. Derselbe sagt wOrtlidi: „Die Besoldung der Volks-
schnllehrer ist eine Schmach und Scliande für unser ganzes Staats-
wesen, und man begreift nicht, wie diejenigen, die es zu verantworten
haben, ein gutes und ruhiges Gewissen dabei haben kOnnen."*) Hier-
nach niuss man baldige Abhilfe zuversichtlich erwarten. — Besonders
auffallend ist auch der niedere Stand oder die niedere Taxation der
Lehrerbildung, indem dieselbe kein Anrecht gibt auf den Freiwilligen-
SChein, welchen doch in Deutschland ein fünfzehnjähriger Knabe er-
werben kann. Zur Helmni,'- der Achtung des Lehrerstandes trägt
dieser T justaml prewiss nicht bei. i)ass dieselbe gerini>- ist, zeigen die
schon erwiiliiitru Besoldungsverliältuisse, ferner der .Manirel jeuer In-
stitutionen, deren .^ich der «isterreichische fieliier erfreut, nicht mindei-
die niisstrauisrlie, bevornuiudemle und geringschätzige Behandlung, ja
ufFeiitliehe iSciimahung, welche in einem großen Theile Deulsehlands
der Lelirerstand iil)er sich ergehen lassen muss. Man könnte da fast
zu der Meinung koninien, die deutsche Nation niilsse vor sich selbst
wenig Achtung haben, wenn sie die Lehier ihrer Jugend so übel
behandelt.
Und wenn nun Diester weg heute von den Todten auferstände,
würde es ihm besser ergehen, als es ihm zu Lebzeiten ergangen ist?
Ich mochte diese i>Yage nicht bejahen, glaube vieLnehr, sein Martyrium
würde gegenwärtig ein noch schwereres sein. Wol s^cht er von
demselben unter dem Motto: „Unsagbaren Schmerzes Erneuerung**,
und mit Becht; denn Jahre lang mit den ungerechtesten und heftig-
sten Schmähungen verfolgt zu werden, dabei auch unter den eigenen
Schülern die bekannte und stehende Figur des Judas Ischarioth zu
finden, endlich vor der Zeit aus einem mit ganzer Seele umfassten
Amte geworfen zu werden: das ist wahrhaftig kein Vergnügen. Attein
im übrigen wurde er mit ziemlicher Schonung behandelt. Man lieft
*) .Siehe Koblrauscb. Der evangdiflche Geistliche and der eTaagcli.'^che Volki-
«chuUehrcT. MAgdeburg bei Rathke.
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ihm die ganze Besokhmg, hetzte keiue orgaiiisirleii Meuten auf ihn,
die ilini die Ehre abschnitten, ihn auf Schritt und Tritt umlauerten
und mit dem Tode bedrohten, jagte ihm auch keine Angst ein um
das Siliicksal seiner Kinder: vor solchen und ähnlichen Liebenswüi--
digkeiten, welclie s^ine sclilat'luseu Nächte um das Zehnfache hätten
vermehren können, blieb Diesterweg glücklicher Weise verschont Ob
er nun in unseren Zeiten sein Leben noch einmai zu leben wünschen
würde, daraber will ich keine Vamirtlinng aussprechen, zumal ich über-
zeugt bin, dass ein Schulmann seiner Art gegenwärtig überhaupt gai*
nicht mehr aufkommen und bestehen könnte. Diesterweg war sieben-
nndzwanzig Jahre lang Seminardirector, heute könnte er es nicht vier
Wochen, nicht efaien Tag sein, und im ganzen Deutschen Beiche wftre '
keine Stelle ffir ihn. Ihre Augen, geehrte Damen und Herren, werden
keinen Adolf IMesterweg mehr sehen. Noch ein Factum. Im Jahre 1851,
Tier Jahre nach seinem amtlichen Schüfbmeh, subscril^rten auf sein
nPftdagogisches Jahrbuch** 1681 preußische und 1926 sonstige deutsche
Lehrer, im ganzen 3456 (abgesehen von den freien EAufem); heute
wtLrde er trotz der weit gröfieren Lehrerzahl schwerlich die Hälfte
dieses Erfolges er zielen. Schon im Jahre 1857 erklärte ein deatscher
Scluilin^pector seinen Untergebenen: „Diesterwegs Standpunkt ist seit
zehn Jaiiren überwunden.'' Und ein paar Jahre spftt«r nannte ihn
der ünterrichtsminister v. Bethmann-HoUwe": einen ..unverbesserlichen
Reactionär." Diesterweg mnsste diesem Urtheil beipflichten und nannte
sich selbst einen „Zurückgebliebenen"*, weil er auf dem Standpunkt
verliarrte, welchen die Herren Eiclihorn, .Stiehl, v. Raumer u. s. w.
überwunden hatten. Gestatten Sie mir. der ich auch ein solcher Zu-
rückgebliebener bin, Ihnen, yeelirte I)anien und Herren, im Namen
meines verstorbenen Leidensgenossen den herzlichsten Dank auszu-
sprechen, dass Sie ihm ein achtuuii^svolles Andenken bewalirt haben
und heute in feierlicher Versammlung sein f^rutSes Verdienst ehren.
Wol erfüllt es uns mit bitterem Schmerze, wenn wir .ziehen, wie relativ
wenig bisher das Wirken dieses edlen und stärkt ii Mannes gefruchtet
hat, und wie fern uns noch die Ideale sind, denen er mit ganzer
Seele ergeben war. Bildung und P'rieden, Recht und Freiheit, Ge-
sittung und Wolfabrt wollte Diesterweg seinem Volke erringen helfen.
Wer aber, erfüllt von diesen Hochgedanken, die gegenwärtigen Zu-
stände betrachtet, der möchte in die- Klage einstimmen:
.Ach. der Hiimiiel lüujr mir
W ill die Erde uie berlllireu,
Uid das Dort ist aieiiMls hier."
40*
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— 564 —
Heil uns, dass eine höhere Hand uns aufrichtet, w^nn der Mensch-
heit Jammer unseren Muth, unsere Hoffnung niederdrückt; dass uns
nach jedem Winter in jedem neuen Frühling, die ganze Natur ein
ewiges Sein und Leben synibolisirt. Wol fülilen wir* oft nur allzu-
sckwer, wie schwach unsere Kralt, wie unzulänglich auch das edelste
Streben, wie klein und ohnmächtig alles Menschliche ist:
„Doch ist es jedem eingeboren,
Dtn ieis QvBM hinauf und Tomrirts dringt,
* Wenn Aber uns, im blauen Baum Terlomn,
Ihr schmetternd Lied di( Lerche singt;
Wenn über schrofftn Fichtenhohen •
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Uad ttbor FIIoImd Ikbor Seoi
Der Knnich nach der H«jni«t •trebt"
.,Wol dem, der seiner V&ter gern gedenkt." Über die schmerz-
eifüllte Erde hinaus weisen sie uns in die ewige Heimat des Men-
schengeistes, damit wir auf dieser dornenTollen Pilgerfahrt anserer
höheren Bestimmung eingedenk bleiben, nm standhaft und treu ans-
mharren Im Dienste unserer Pflicht.
Eines Mannes gedenken wir heute, der mit Luther sprechen
konnte: „Ich suche nicht das Meine, sondern allein des ganzen deut-
schen Landes Glück und Heil.** Möge sein Wirken fortan den wer-
denden Geschlechtern tausendfältige Frucht bringen zu Glück und
Heü, zu Ruhm und Ehre unserer ganzen Nation! Das wünsche ich
Ihnen, geehrte Versammlung^, zu dieser Stunde, und das wünsche ich
dir zum hundertsten Gebuitstage eines deiner besten Söhne, dir, o
Matter Germania!
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1
Zar Discussion äber dea Moralunterhcht.
Aletner Abhandlong Aber den „Moraluiterrieht in der Volks-
sebnle FrankrdchB" ist im 12. Heft des nP^dagogium'' tob 1889 die
Ehre einer Entgegnung geworden. Der geehrte Heranageber dieeer
Zeitsehrift begleitete diese letsteie mit der Bemerkimg, der Moral-
imtenidit sei noch „eine olfone Frage^ nnd bedfiife «allseitiger Be-
lenchtong*; sodann verweist er aof seinen Standpunkt, wie er ihn in
der „Schnle der Pftdagogik" darlegt Dorch diese Bemerkung ver^
anlasst er mich, hiermit die Discossion Aber die „offBoe Frage" finrt*
zusetzen.
Meinem Gegner im S. Heft von 188^ habe ich einleitend nur
wenig zu erwidern. Seine Entgegnung beruht auf einem MissTerstftndnis.
£r hat eben meinen früheren Artikel im 12. Heft des IX. Jahrganges
nicht gelesen. In diesem Iiabe ich einen „anschaulich" gehaltenen
Moralunterricht füi' die Stufe der Oberschule verlangt, einen Unter-
richt, der dem Kinde die Tuj^enden und Pflichten „durch Beispiele und
Vorbilder" veranschaulicht, und der durch diese Beispiele im Kinde
sittliche Gefühle erweckt und das sittliche Bewusstsein, das Ge-
wissen bildet. Es handelt sich also nicht darum, dem Schüler blos
ein „System aller Tugenden und Laster anzueignen," wie der Gegner
meint! Damit wäre allerdings nicht viel gewonnen. Und es wäi'e
gewiss nicht pädagogisch, mit «Umgehung desGemüthes auf den Willen
wirken zu wollen." — Mein <4egner kämpft also einfach gegen eine
Windmühle; ich kann mii h darum nicht länger mit ihm befassen.
Was ich heute zu tliun wünsche, das ist, andere Schriftsteller in
die „Discussion" einzuführen, nämlich vorab den Herausgeber des
„Psedagogium" selber, dann Jahn, Salter und Kant etc.
Nachdem Herr I>r. Dittes*» mit Recht hervorgehoben hat, dass
die Triebkraft alles Wollens und Handelns nicht in seinen Begriffen
nnd Grandsätzen liege, sondern luden aus Empfindungen entspringen-
r
*) Siehe: „Söhnte der FIdagogik", S. 428 v. s. 1
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— 566 —
den Zu- und Abneigungen, und dass die moralischen Veihältnisae
erst erlebt werden müssen, ehe sie be^-ifFen werden können, hebt er
dann die Bedeutung der sittlichen Belehrung in folgenden Worten
gehörig hervor:
„Sind aber die ursprünglichen Grundlagen des Willens real ent-
standen, dann ist allerdings die Belelirung von großem Wert. Sie er-
zeugt erstens Klarheit über die sittlichen und unsittlichen Elemente
des Willens, l)eseitigt die chaotische Verschwommenheit derselben,
scheidet und ordnet sie, verwandelt sie in Begriffe und Grundsätze
und bringt dadurch Sicherheit in das sittliche Urtheil und Stn*ben.
„Sie gibt zweitens den moralischen Empfindungen und Strebuugeu
eine erhöhte Bewnsstheit und Erregtheit, denn sie beginnt mit
Reprodnction derselben und fUu*t zu jenen festen Gebilden, die ver-
möge ihrer sdiaite Ausprägung dominirende Hittelpunkte des
sittlichen Gefflhles würden.
nDritteofl yerleihen die durch Betehrung eizengten Begriffe und
Grundsätze dem Willen jeneFestiglceit und Beharrlichkeit, welche
das Wesen des Charakters ausmachen.
„Viertens ist die Belehrung ein vorzfigliches Mittel, um den sitt-
lichen Schätzungen und Neigungen eine vielseitige Ausdehnung
auf die mannigfiiltigBten Lebensverhältnisse zu geben, so dass die All-
gemeingiltigkeit der Moralgesetze dentlidi wird. Das Kind soll
die SittUcfakeit als Sache der gesammten bliigerlichen Gesellschaft,
der gesammten Menschheit erkennen lernen.
„Diesen Zwecken dienen lebendige und treue Schilderungen ver-
schiedener Charaktere, Lebenslagen und Welt Verhältnisse, also Be-
lehrungen über die menschlichen Tugenden und Fehler, Thaten und
Schicksale, Freuden und Leiden, über Glück und Unglück, Armut und
Reichthum, über Verkehrs- und Staat^sverhältnisse, Lebensweisen und
Benifsarten, Sitten und Rechte. Fieilich müssen alle solche Beleh-
rungen an die Erfaluungen, Emplindungen und Neigungen des Kindes
angesclilopsen werden."
Aul Seite 451 spricht dann Herr Dr. Dittes seine Meinung über
das „Religion.sbuch- aus, das zugleich die bestt^ (Triuiillatrc für den
Muraluiiterriclit darbieten würde. Er sagt hierüber. J)(.mi abend-
ländischen Völkern stehen als Denkmaler der religiösen Eutwickelung
des Menschengeschlechtes vor allem die biblischen Schriften zu Ge-
bote. Aus dem alten Testamente lassen sich eine Reihe der schönsten
Erzählungen, etliche Psalmen etc., aus dem neuen Testamente be-
sonders Beden und Gleichnisse Jesu, Aussprüche dei* Apostel als un-
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— 667 —
übertreffliche Stoö'e fiir die Jagendbüdang verwerten. Man sollte sie
in einem Rellgionsbuclie zusammenstellen, welches aber nicht aus-
schließlich ans jüdischen und christlichen Quellen geschöpft
werden müsste. sondem das Schönste aus allen welthistorischen
Relipfionsurkunden zu enthalten hätte: AIj^o aucli eine Blumen-
lese aus dem Zendavesta, den Vedas, der brahmanischeu und buddhi-
stischen Literatur, Ausspruche des Lao-tse, des Confucius, Stellen aus
dem Koran etc. Das wäre (l;iini ein lebt^iuliger Schatz der edelsten
Bildung^sstoff'e , zugleich ein redeiitles Denkmal der religiösen Cultur-
ent Wickelung der Menschheit und also ein Hilfsmittel ziu- Einführung
in die Culturgeschichte. Namentlich nui>sre das Buch auch in einer
Reilie von moralischen Kernspriichen die allgemeine menschliche
Sittenlehre enthalten. Es würde, als Bildungsmittel der Jugend, zu
rechter Zeit dem dünkelhaften und engherzigen Sectengeiste vor-
beugen, indem es das aufwachsende Geschlecht auf die Höhe der
Henscbbeit stellte, auf den Standpunkt der Humanität, des Kos-
mopolitismns, der Vorurtheilslosigkeit, der Sittlichkeit, der
Ifenschenachtung und Menseheiiliebe. Zeit wäre es endlich,
dass die Menschheit zu sich selber käme, dass die Volks-
sehnle hierzu beitrüge, dass sie allen unfruchtbaren Wust
von sich würfe und dafür die herrlichen Perlen eintauschte,
welche uns die edelsten Geister aller Zeiten und Völker
hinterlassen haben«" —
Führen wir nun einen anderen Autor in die Discussion ein.
Vor kurzer Zeit erschien von Dr. Jahn eine hOchst bemerköis-
werte Schrift untor dem Titel: „Ethik als Grundwissenschaft
der Pädagogik.**
Aus diesem Buche, welches die Ethik als „die wichtigste der
Wissenschaften'' bezeichnet, geben wir hier nur wenige Sätze, um die
Leser auf diese Schrift selber zu verweisen:
„Wird das Kind mit Beispielen des Guten und Schönen um-
geben, so können die edlen Gefühle emporwachsen. Die sittlichen Ge-
fühle entwickeln sich zu sittlichen Vorschriften; diese bilden das Ge-
wissen. Die Sittlichkeit ist die HeiTschaft der sittlichen Ideen. Das
Gewis.seu ist die Summe der sittlichen Gefühle und Gedanken. Die
Vernunft ist der Sitz des Sittlichen.
..Das Ziel der Erziehung heißt: Sittliche Einsicht durch
Entwickelung der sittlichen Begriffe und durch Belebung
der sittlichen Ideen.
„Das sittliche Urtheil ist eine nuih wendige Vorstufe des sittlichen ^
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— W8 —
oder vernünftigen Wollens. Der sittliche Charakter ist das
Ziel aller Erziehung. Der Gang der sittlichen Willensbildung ist:
Bildung sittlicher Oefühle: {iraktische ?jnsicht in sittliche Lehens-
verhältnisse: Unterscheidung des Guten vom Bösen und sittliche Ge-
wöhnung und i'bung. Der Mensch wird nioralisirt, wenn in
ihm die vernünftige Natur zur Herrschaft gebracht wird."
Im Jahre 1889 erschien im Verlage von W. Friedrich in Leipzig
ein kleines, aber gediegenes Büchlein: ^Moralische Reden" von
W. M. Salter, ins Deutsche tibersetzt von G. v. Gizycki. Salter
ist ein Amerikaner und ein tüchtiger Verti*eter der etliischen Bestre-
bungen, wie sie sich in den amenkaniaGhen „Gesellschaften iüi' mora-
lisehe CdtDr** geltend inadieD. Salter Ist elten^dte der Verfasaer des -
ansgezeichneten Werkes: „Die Religion der Moral", auf das wir
die Anfinerksamkeit ancb richten möchten.
In der dritten nmoraUschen Hede" des erstgenannten Sehriftehens
spricht Salter von den „Pflichten der religiös Freisinnigen gegen ihre
Kinder." Nachdem er hier es streng getadelt hat» dass die Freisinnigen
ihren Kindern einen Beligionsnnterrieht geben lassen, den sie selber
nicht für wahr halten, verlangt er dann, dass die „ethische Schnle''
den Schttlem yom 12. Jahre an einen eigentlichen Moralnnterrieht
ertheile. Salter sagt hierüber:
„Vom 12. Jahre an soll ein directer Versuch beginnen, den Geist
des Kindes hinsichtlich der Pflicht aufzuklären. Was eine gute Hand-
lung ausmacht, soll vor allem den Kindern klar gemacht werden.
Dann können die gaten Handlungen eingetheilt und kann eine nach
der anderen vorgenommen werden. Lasset die Kinder durch eigenes
Nachdenken die wahre £intbeUang herausbringen; sie werden finden,
dass es Pflichten gegen andere und Pflichten gegen uns gibt. Die
ersteren ^verden sie eintheilen in PHichten gegen die Familie, den
Staat und die Welt. Die zweiten kann man in Hinsiebt auf den
Körper, den Geist und den Cliaraktcr auffassen.
.,Die Kinder sollen gelehrt werden, sich selbst zu achten, und
dass Selbstachtung in Wahrheit die erste der Tugenden ist.
Ein jedes v<tii ihnen hat Wert, ein jedes von ihnen hat Würde als ein
moralisches Wesen, das fähig ist, sich seinen Weg im Leben zu wählen,
und jedes sollte seinen Körper für heilig ansehen und ihn rein halten
und ihn stets zum Diener der besseren Natur machen; jedes muss
sehen, welche wun<lerban* Kraft es im Geiste hat, wie fleißig wir sie
pflegen, wie selir wir uns der Trägheit schämen sollten.
»Die Moral von Wahrheit und Lüge sollte klar gemacht werden;
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das Gote und das Schlechte am Zorn — das Edle eines sittlichen
Unwillens sollte gezeigt werden; die sittlichen Elemente des Muthes
sollten dargelegt werden, das Heldenthnm, allein einzustehen für seine
Überzeugungen, tapfer das zu ertragen, was wir nicht Andern kOnnen,
die Erhabenheit der Geduld im Unglück.
„Und dann sollte die Bedeutung der Familie eröffnet werden, die
Heiligkeit ihrer Bande, die besonderen Pflichten, die wii* hier haben,
nämlich die der Ehrerbietung und des Gehorsams gregen die, welche
über uns sind, der Brüderlichkeit gegen die, welche unseresgleichen.
der Milde und Hilfsbereitschaft gegen die, welche unter uns sind.
Dann sollten die Pflichten gegen den Staat kommen. Die Kinder
sollen gelehrt werden, den Staat, zu dem sie gehören, zu lieben.
Menschen, welche die Interessen des Staates vernachlässigen, welche
sich den üflentlichen Verpflichtungen entziehen, oder welche gai' die
öffentliche Meinung verderben, sollten dem stärksten Tadel preisgegeben
werden.
„Noch weiter sind dann die Pflichten gegen den Menschen als
Menschen vorzuführen. Dies ist in einer Hinsicht der höchste Zweig
der Moral; denn wir hahen die zu lieben, welche wir nie gekannt
haben. Die Kinder sollen fllhlen, dass ein lleaaeh um seiner seihst
willen geachtet zn werden Teidient Hier ist die Gelegenheit, dem
Geiste des Kindes die Lection der Humanität einznprftgen in dem
Sinne der Nächstenliebe, des Mitleides, des feineren GefOhles fftr mensch-
liches Unrecht, einer vollkommeneren Gerechtigkeit, als die Welt ttht." —
Salter will die Bihel den Kindern nicht vorenthalten; er will sie
als Verm&chtnis einer ehrwftrdigen Religion zur Kenntnis bringen;
aber er will nicht dabei stehen bleiben. —
. Geben wir jetzt noch dem l^osophen Kant das Wort
„Um in den Kindern einen moralischen Charakter za begründen,
mtlssen wir Folgendes merken:
„Man muss ihnen die Pflichten, die sie zu erfüllen liaben. soviel
als möglit'h durch Beispiele und Anordnungen beibringen. Die Pflichten,
die das Kind zu thnn hat, sind doch nur gewöhnliche Pflichten gegen
sich selbst und gegen andere. Wir haben hier daher näher zu betrachten:
„a) Die Pflichten gegen sich selbst. Diese bestehen darin,
dass der Mensch in seinem Inneren eine gewisse Würde habe, die
ihn vor allen (.Teschüpfen adelt, und seine Pflicht ist es, diese Würde
der Menschheit in seiner eigenen Per.>^on nie zu verleugnen.
„Die Würde der Menschheit aber verleugnen wir, wenn wir z, B.
uns dem Trünke ergeben, alle Arten von Unmäßigkeit ausüben, wei-
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clies alles ^en Menschen weit unter die Thiere arniedi iirt. Durch die
Lüge kann sich auch das Kind unter die Würde der Menschheit er-
niedrigen. Das Lüofen macht. den Mensclien zam Gegeofitand der all-
gemeinen Verachtung.
..b) Die Pflichten gegen andere. Die Elirfurcht und Aclitung
für das Reclit (h'V Menschen miiss dem Kinde sclion früh beigebracht
werden. Unserer Schule fehlt fast durchgängig etwas, was dorli sehr
die Bildung der Kinder zur Reclitscliaftenheit befördern würde, näiu-
licli ein Katechismus des Rechtes. Was die Verbindlichkeit zumWol-
ihun anbetrifft, so ist sie nur eine unvollkommene Verbindlichkeit. Es
genügt nicht, im Herzen des Kindes Mitleid zu erwecken, sondern es
muss erfüllt werden von der Idee der IM licht."
Zum Schiasse seiner Abhandlung sagt Kant:
„Es bmiht hei der Erziehung alles darauf, dass man überall die
richtigen Gründe aufstelle ond den Kindern begreiflich nnd annehm-
lieh mache; sie müssen letnen, den inneren Absehen statt des äntteren
vor Mensdien nnd der göttlichen Strafen zu setzen, Selbstschätznng
nnd innere Wflrde statt der Meinung der Menschen, inneren
Wert der Handlung statt der Worte nnd der Gemflthsbewegung,
Verstand statt des Gefühls nnd Fröhlichkeit und Frömmigkeit
bei gnter Laune statt der grftmischen nnd finsteren Andacht ein-
treten zu lassen.**
Auch Dr. H. Höffding^Xsoll in dieser „Discnssion* noch gehört
werden. In dem angeführten Werke tritt er für die „humane Moral"
ein und stellt die Vernunft als Princip dieser Moral auf. Da-
gegen bezeichnet er die Mängel der religiösen Moral mit folgenden
Worten: Positive Religion heißt auf Autorit&t gegiündete Religion.
Die christliche Cardinaltugend ist der Gehorsam, die Unterwerfung
nnter den göttlichen Willen, nicht die Liebe; denn man soll ja die
Menschen um (Rottes willen lieben! Das Christenthum erkennt nur
die auf den dlauben gegründete Liebe an! Aber das Gebot der Lielie
kommt erst zur vollen Geltung, wenn man über die Schranken des
Glaubens hinausgeht. Die Triebe ist griiLjer, als der (ilaube.
— Die ,humane Ethik' sucht ihr Princip in den psychologischen und
ethischen Gest-tzen, und diese sind Naturgesetze. Die Autoi'ität hat
zwar Bedeutung für das Ethische, aber das Autoritutsprincip ist nicht
der vollständige Grund des Ethischen. Die Autorität appellirt in letzter
Instanz an egoistische Motive, lu deu Augen der Ethik erscheint
„Die (iruadlagcD Ucr humancu Ethik."
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— Ö71 -
die AntoritSt nur ab Mittel. Der Schwerpunkt ist yon aaßen
nach innen zn verlegen. Dies ist das grofie Ziel aller Endehong.
Der Wert der ethiseben Ideen beruht auf ihnen seibat, anf
ihrem ZusanimenliaTio:emit den Grundbedingungen des mensch-
lichen Lebens. Für den Protestanten ist das trewisson die ein-
zige Richtschnnr. Das Gewissen selbst ist die höchste Autorität;
es ist ja die höchste Klarheit und Überzeugung. Der Lebensnerv der
humanen Kthik ist die innige Verbindung des Einzelnen mit dem Ge-
schlecht. Das Wunder widerstreitet der Ethik ebenso sehr, wie der
Physik und Logik.** — '
Der bedeutende Forscher W. Wundt sagt in seiner Ethik (Ver-
lag von F. Enke in Stuttjrart : ..Es ist gefährlich, wenn die alten
Motive des Guten verschwinden, bevor die neuen an ihre Stelle ge-
treten sind." — Dieses Verschwinden der alten Motive ist gegen-
wärtig der Fall. Gerade die Geistlichen klagen darüber, dass der
religiöse Zweifel im \\"achsen begriffen sei. Die tlieologische Wissen-
scliatt der Bibelkritik hat iiierzn selber beigetragen, indem sie zeigte,
wie flas neue Testament auf ganz natürliche Weise aus dem Streit
von Keligionsparteien entstanden, also kein „Wort Gottes" ist. Auch
die Naturwissenschaften sind es, die den Zweifel mehren, indem sie
ttber die Entstehung der Erde und des Weltganzen ganz andere Be-
griffe TOibreitent als der Supranaturalismns der Beligion. Je mehr
aber die reUgiOsen Lehren geschwächt werden, desto wenig«* eignen
sie sich als Onmdlsge der Moral. Damm mehren sich die Klagen
Aber mangelhafle Erziehung. Chtistinger z. B. sagt in seinem Vortrag
Uber „nationale Erziehung": „Man soU sich nicht yerhehlen, dass aus
mehrfiichen Ursachen in unserer Zeit eine Schwächung der sittlichen
Kräfte und damit eine Schwächung des Charakters eingetreten ist.**
Dr. Fricke in Wiesbaden bemerkt in seiner Pädagogik, die Bil-
dung des Herzens sei augenftUig hinter der Bildung des Verstandes
zurückgeblieben, man müsse daher der ,y8ittenlehre" eigene Unterrichts-
stunden widmen. Und Kehr sagt in seinen „Pädagogischen Reden"
(S. 23): „Der Hauptgiimd 'der unbefriedigenden Verhältnisse ist
darin zn suchen, dass bis jetzt viel zn wenig ihr die sittliche Erziehung
der Jugend gethan worden ist." —
Dies allesr lässt sich in die Worte Schillers zusammenfassen:
„Es wankt der Grund, worauf wir bauten!"
Nun, so baue man auf einen solidereu Grnnd. Ein schwankender
Glaube ist kein solider Grund. Die Erkenntnis früherer Jahrtausende
ist heute kein solider Grund. An übernatürliche Offenbarung glauben
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— 672 —
heute nicht mehr alle. Die Gedanken der Weisen sind die einzige
UÖenbarimg für viele. Mit dem blos negativen Vorgehen der Wist^en-
schaften Lst dem Volk niclit gedient. Man gelie positiv vorwärts!
Man baue die Ideen des Guten auf neuen Grund und Boden! DavS
aufgeklärte Gewissen ist der Felsen, der nie wankt Verlegen wir
die Motive in das Innere!
Zum weiteren Studium dieser Frage wird die „Moralphilo.sophle**
von 0. T. Gizyckl (Leipzig, W. Friedrich) empfohlen. Es ist dieses
Buch eine hocbbedeatsame Erscheinung. Das Verhältnis von „Moral
and Theologie** wird hier in gründlicher Weise auseinandergesetzt.
Einige Worte aus diesem Boche sollen zur Empfehlung desselben hier
beigesetzt sein:
nWir haben uns Überzeugt, dass die Moral von der Theologie un-
abhängig ist, da die Pflicht das Höchste bleibt, gleichviel ob ein Gott
. oder ob keiner ist Die Sittengesetze bedürfen der göttlichen Sanction
nicht Angenommen, es gebe ein persönliches höheres Wesen, welches
Befehle erlftsst, so würde es nur dann recht sein, denselben Folge zu
leisten, wenn sie gerecht wären; und wenn eine Handlung gerecht
ist, so haben wir sie zu befolgen, ob auch kein Gott sie gebiete.
Wenn wir sollen Gott gerecht nennen, so muss .gerecht' etwas an
sich selbst bedeuten und also seinen Wert behalten, auch falls ke|n
Gott wäre. Der Begriff der Gerechtigkeit und der sittlichen
Vorstellungen überhaupt entspringt nicht aus der Religion,
sondern aus dem gesellschaftlichen Leben der Menschen.
„Die Meinung, dass der Mensch nur aus Hot!'nung auf jenseitigen
Lohn und Furcht vor jenseitiger Strafe recht zu handeln vermöge,
steht mit der Erfahrung aller Zeiten im Widersprucli. Wahre Tugend
muss selbstlos und nicht blos weitsehende Klugheit sein.
„Die Vorstellungen von Himmel und Hölle können leicht eine
eigensüchtige Sinnesart ei*zeugen, indem der Mensch sich gewöhnt
nur durch sie sich zum Kechtthun bestimmen zu lassen und die so
beständig in Untliätigkeit erhaltenen unmittelbaren Triebfedern zum
Guten allmählich abzehren, wie die nicht arbeitenden Muskeln. Wenn
dann jener Glaube schwindet, so bleibt eine Selbstsucht zurück, die
ihre ganze Niedrigk»'it otfenbart. Es ist sicherlich nicht gut, auf
etwas zu bauen, was man niclit weiß. Das sittliche Verautwortlichkeits-
bewusstsein besteht nicht in der Meinung, dass ein Gott uns in einer
anderen Welt mai'tem wird, sondern in der Gewissheit, dem Richter-
spruclie des eigenen Gewissens zu unterliegen. Die menschliche Ver-
nunft, das menschliche Gewissen ist ohne irgendwelche Rücksicht auf
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— 573 —
Gott der einzige Schiedsrichter zwisclien wahr und falsch, gut nnd
böse; sie ist sich selbst Gesetz und reicht liin, durch ilire natürlichen
Kräfte das Wol des Menschen und der Viilker zu begründen. — Die
Kirchen des alten Glaubens tessehi die freie Entfaltung des sittlichen
Lebens, indem sie die Meinung aufrecht zu erhalten suchen, dass etwas,
was jetzt nicht mehr leben kann, eine Bedingung der Sittlichkeit sei.
— Gott, anfgefasst als Schöpfer des liinimels und der Erde, bedarf
unserer nicht; wol aber bediirfen wir ^lenschen der ganzen, ungetheilten
Kraft unserer Herzen, die Erde von all dem Übeln und Bilsen, das in
ihi' emporwuchert, zu reinigen. Unser Gott sei nur das Gute in uns
selbst." —
„Die Geschichte zeigt nicht, dass der Supranaturalismus auf eine
Beförderung der Menschenliebe hingewirkt hat Der „tbeologisclio
Hass" gilt als der stfirkste; er hat, wie kein anderer, Unheil Uber
das Henschengeschlecht heranfbeschworen. Der „Glaube" hat, Zwie-
tracht säend, der Liebe entgegengewirkt Und noch mehr hat er die.
Wahrhaftigkeit gesch&digt, da er das redliche Forschen nach Wahr^
heit nnd Verkftndigen derselben oft mit Fener nnd Schwert verfolgt hat"
Die Forsten nnd Regierungen sollten die Lehren der Geschidite
lernen. 1^ sollten das Wßtt Kaiser Friedridis beherzigen: Zeit»
in der wir leben, veilangt Licht nnd AnfkUbrnng.**
„Religion ist nicht, was Unnatur,
Grübelnd nach vcti^nlbteu Mönchsreoq»teil«
Zeitigt« auf der Suphiätik Flur.
B«ligion ist nicht, was die Adepten
Listig dnieh Jahihiinderte Tendileppten —
Religion ist Manwchenltebe nur."
(Moderne Xenien.)
Dr. Fricke wird also doch recht behalten mit seinem Wort:
„Und die Moral muss doch gelehrt werden!*'
r
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Bäuerlicher Antoritätencnlt.
Daigestellt auf Unuul zahlreicher, im siUlüstlichen ^lederöstemicli
gesammelter Erfahrungen.
Von Dr. H'il/ihald \agl-Grat.
SoU der Mensch moralisch sein, so muss er vor allem über
eine gewisse Selbstständigkeit vei*füg^ Beim Wahnsinnigen, beim
Cretin, beim nocli unbewussten Kinde kann man Ton Moralität nickt
oder noch nicht reden.
Soll der selbstständige Mensch moralisch sein, so muss er seine
geistigen Kräfte, seine Gefiililsanlagen, sein ^^'illensleben den Natur-
gesetzen der Gesellschaft gemäß regeln oder zu regeln suchen.
Wir reden Iiier nicht vom idealen, vollkommenen Men.schen. son-
dern nui- vom I'u rclisciinittsmenschen, der Ja als solcher die
Schwere der menschlirlien < rcsellschaft bildet und in unserem Cultur-
lel)eu einen großen, wenn nicht — leider auch get^^enüber den voll-
kommeneren Zeitgenossen — den herrschenden Ausschlag gibt.
Der Durchschnittsmensch ist also kein idealer, vollkommener, ge-
regelter Mensch. Wie er einerseits bei vielen Anlä^sen eine (.Teistes-,
Gefühls- und Willenstüchtigkeit erweist, die Uber das jeweilig Er-
forderliche, die Pflicht, hinausreicht und als Überschuß der Kräfte
zum Höheren, zum Idealismus führt, so bleibt er bei anderen An-
lAssen, wo ihn seine Qeistes-, Gkl&hls- und Willenskräfte im Stiche
lassen, hinter den Leistungen eines normalen vollkommenen Menschen
zurück, und nm nicht Schaden zu leiden, sucht er sich in solchen
FfiUen Ton anderen Kräften ersetzen zu lassen: er lehnt sich an
Autoritäten.
Wo das Erkennen zu schwach ist, sucht der durchschnittliche
Ifensch eine Autorität, der er glauht; wo der eigene Wille zu schwach
ist, eine solche, der er gehorcht Das Gefühl, das für Erkenntnis
und Willen vorbereitet, theUt sich daher auch auf gegenüber den
Autoritäten der Erkenntnis und des Gehorsams.
Bei den Landleuten macht man nun, in Bezug auf den Cultus der
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— 575 —
Aatoritftten, dieverochiedensten, einander oft grell widersprechenden Er-
iahningen. Der Bauer erscheint bald devot Ms zur Senrilität, bald
wieder stutzig und stOiiig; einmal misstranisch und skeptisch, das andere
Mal wieder leichtgläubig wie ein £ind. Wir werden uns indessen
dennoch zurechtfinden, wenn wir den schon im vorigen Jahrgänge des
„Psedagogiums" („Bauemreligion") gewonnenen Gegensatz zwischen
Manier und Natur uns vor Augen halten.
Wie steht es nun bei unseren Bauern mit den Autoritäten an
sich und im allgemeinen? Erst nach Beantwortung dieser Frage
\v'erden wir untersuchen, wie sich der Autoritfttscult im GUuben und
im Gehorsam beth&tigt.
A.
a) 1. Das Bedürfnis nadi einer Autorität entspringt dem Gefülile
jedes einzelnen, dass seine Kiäl'te unzulänglich sind, um alle höheren
und niederen Lebensaufgaben ins Detail hinein blos uns und durch sich
zu lr»sen. Wer sollte nun von diesem Gefühle mehr geleitet sein, als
der auf so vieleu Gebieten menschlicher Ausbildunj^ so weit zurück-
gebliebene Bauer? — Iii der l'liat sehen wir in diesem ein starkes
Alllehnen an die Autorität Höherer und Tüchtigerer. Wir dürfen aber
nicht vergessen, dass mir die ecUereii Atfecte des Bauers nach einer
Ergänzung durch die Autorität streben und zielen, denn nur die edleren
AfFecte und Strel>ungeu würden sich mit dem durch Bildungsversäumnis
ausgefallenen Theile des Geistes- und Seelenlebens zu einem einheit-
lichen Ganzen vervollständigen, und nur sie wollen, wemi schon ein
Nachholen dieses Bildungsversäuranisses nicht sofort möglich ist, wenig-
stens einen Ersatz, der eben im Anlehnen an die Autorität am ehesten
geflinden wird. Die Versäumnisse in der richtigen Entwickelung haben
aber ein gleichzeitiges Aufwuchem falscher Seelenyorgänge zur Folge,
welche zu jenen edleren Affecten in feindlicher Gegenwirkung stehen,
dieselben oft hindern und niederhalten.
Wir haben zwei Hauptursachen falscher innerer Vorgänge beim
Bauer kennen gelernt: die tief eingerottete Manier, welche die Ent-
wickelung so vieler natOriicher Anlagen verhindert hat und nun deren
Stelle ausfüllt, und die heimliche entartete Selbstsucht, in der sich
die Natur des Bauers, freilich entstellt, noch behauptet hat
2. Der Antoritätscult, getragen von den edleren Affecten des
Bauers, wird demnach eine beträchtliche Minderung erfahren, wenn
die autoritäre Person irgendwie '^egen die Manier verstoßen sollte.
So genießt z. B. jeder „studirte Herr" von vorneherein Ansehen und
Autorität, nicht blos auf geistigem, sondern auch auf moralischem Ge-
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— 676 —
biete; wenn er aber mit dnem Mädchen nnr einen Jux macht, mit
ihr schäkert und lacht, — so ist seine Autorität verscherzt: man
mag ihn gern haben, sich seiner freuen, aber sittlich imponiren kann
er nimmer. „Maclit halt auch Dummheiten, wie unsere un-
geschickten jungen Leu f." Noch ärger wird ein Verstoß gegen
die bäuerliche Keligiosität emitfunden: wer sich z. B. in der Kirche
nicht „christlich" benimmt, hat nicht allein seine Aatohtät, — er
hat auch alle Sj'mpathie verloren.
3. Auch f^egen die Selbsisuclit des Bauers dai-f keine Person
verstoßen, welche auf wirkliche Autorität Anspruch macheu will. Der
Kaufmann oder Krämer, von dem der Bauer weiß, da^s er von dem
Gelde seiner Kunden lebt, und voraussetzt, dass er diese womüi^'-lich
über vortheilt, — kann in den Aug:en des Bauers niemals Träger einer
Autorität sein, ^^'as immer er sagt, — Bäuerlein wird sich dagegen
misstramsch inacht nehmen und einen Betrug dahinter wittern. Der
Krämer wird als pfiffig gelten, wird wegen seiner Wolhahenbeit and
seines MArheitdosen" Lebens beneidet werden, — aber der Bauer
mdehte sich doch nie an die Stelle eines soldien nnchristlichen Schebnen
wflnschen, „Hoben jo nit amol a Erenz hängen in ehanern
GwOlb.** So sucht die Abneigong, welche in der gekränkten Selbst-
sacht wurzelt, eine Erklärang and BeschOnigang in der Beligion. —
Gerade wie mit dem Kaofinann, oder noch ärger, steht es mit den
Staatsbeamten nnd Advocaten. Der Baner hat einen Horror vor ihnen,
der ihn in der Kanzlei Uber lauter Devotion nnd Bespeet kaom ver-
nünftig und ruhig reden lässt, einen Horror, der ihm mitunter sogar
auf der Gasse einen Gruit abjagt, — aber das ist alles nur Angst;
eigentliche Autorität oder Achtung zollt er den „GTichtsdokteni", wie
der Collectivausdruck lautet, nur ausnahmsweise. „Sic thun einen so
viel mit ihren Stempeln und Taxen überhalten; an den hohen Steuern
ist auch niemd Schuld als sie." Dabei wird zwischen Advocaten,
Richtern, politischen Beamten u. s. f. gar kein Unterschied gemacht.
Hingegen genießen alle jene Personen, die entweder jsehr einlluss-
reich sind in der Ortsiremeinde, oder die über ein bedeutendes Ver-
mögen veifügeu, kurz alle jene, von denen der Bauer in irgend einer
Lage, ohne Taxen und Gebüren, Hilfe und llnterstützung erlangen
kr>nntt', unbedingtes Ansehen. So wird der Gutsbesitzer von den
Bauern, der Bauer von den Eheholden verelirt: und was „so ein
Mensch" wünscht, das eniptindet man als Befehl, und was „so ein
Mensch" sagt, das wird geglaubt, — und wenngleich ein Verstän-
digerer etwas Besseres uud Richtigeres vorbrächte. Ohnehin wii-d dei*
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Bauer schon durch die traditiunellp 1 Überschätzung des Geldes und
Besitzes zur unverhältnismäßigen Vereliiuntr gegen Reichere verfülirt.
(Ausgenommen von solcher Verehrung ist aber gewöhnlich der-
jenige, welcher, aus der Mitte der Bauern stammend, sich aus änneren
Verhältnissen vor ihren Augen zur Wolhabenheit emporgescliwungen
hat. Der Neid der Überflügelten — ebenfalls in gekränkter Selbst-
sucht wui-zelnd — hat eine zu große Abneigung gegen einen solclien
Emporkömmling in jenen rege gemacht, auch wissen sie zu gut, dass
sie dui'ch boshafte Äußerungen etc. sein Wolwollen verscherzt haben,
als dass sie jetzt so leicht seine Hilfe beanspruchen möchten: und weil
ihnen dieser letztere selbstsüchtige Gedanke abgeschnitten ist, so will
in ihnen aneh kein AebtungsgefÜhl gegen einen solchen homo novus
platsgreifen.)
4. Zwei Momente hat man also bei der Betrachtung des bäuerlichen
Antoiitfttscnltee anseinand^ sn halten: Erstens, dass der Baner im
Gefühle seiner Znrflckgebliebenheit extensiv ein starkes Anlehnen an
Autoritäten venäth: er grfiftt Jeden besser Gekleideten, der ihm be-
gegnet; er nimmt sich in seinen Yerkehrsformen möglichst „znsammen**,
tun dem yeimeintlichen „Hfiheren'* in dem nobehi städtischen Bocke
thnnlichst anständig za begegnen; er räumt jedem Fremden« oft bis
zom Ealkftthrer herab, gerne den Vorrang ein, wenn etwa im T^rts-
bans anf die gegenseitigen Verhältnisse die Sprache kommt, nnd er
tluit, als müsste er sich an jedem ein Beispiel nehmen, von dessen
Thun tnitl treiben er nur von ferne gehört hat. Aber ein Verhängnis-
volles Zweitens steht jeder Fractifldrang dieses äafierlichen Anto-
ritätscnltes gegenüber: es ist ungemein schwierig, dem Bauer gegen-
über intensiv eine solche Autorität zu behaupten, dass sich dieser
von derselben irgendwie leiten ließe; die eigentliümliche geistige Ver-
fassung und, ich möchte sagen, die coniplicirte Gemüthscon-
struction des Landvolkes erschwert die Behandlung des letzteren,
und sehr leicht kann man sich einen Verstoß zu Sclmlden kommen
lassen, der einem auch jene oberflächliche äußerliche Autorität tür
immer raubt.
b) 1. Vom natürlichen Autoritätscult gehen wir über zum Auto-
ritätscult auf Gnind der Manier. Die klösterlich-bäueri.sclie Munier-
doctrin beruht im Grunde nur auf Autorität, — sie stellt ja die Er-
kenntnis, das Wollen, ja selbst die Gefühle unter die Botmäßigkeit
der Maniersatzungen. Man soll zu keiner anderen Erkenntnis ge-
langen, als der vorgeschriebenen; man soll nichts wollen, als das
Vorgeschriebene; ja selbst die Geffthle werdeii vorgeschrieben:
rMi««gf«n. U. Jikif. BifllZ. 41
4
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— 678 —
jetzt mnaat du Reue empfinden; gegen diesen oder jenen mnsst da
Liebe hegen; dieses und jenes musst du verabscheuen etc.
Ist demnach in dei' Manier das Autoritätsprincip ausgiebig ver-
treten, ao mnss es zu allernächst seine Geltung haben gegenftber den-
jenigen, welche sich der Bauer von altersher als die Träger, als das
Centrum des gesammten lianierensystems vorstellt: gegenüber dem
Clerus.
Wir sunimiren hier die Autorität, welrhe der Priesterstand auf
Grund der Rplipfion wie bei allen Volksstäinmen so auch hei unserem
Landvolke genießt, und jene Autorität, welche unser Bauer auf Grund
seiner speciellen Manierhattigkeit dem Clerus zuerkennt. Manier und
Religion sind ja bei unseren Landleuteu so enge in einander ver-
wachsen, die Religion ist von der Manier so arg überwuchert und
durchsetzt, dass man aus diesem Gemenge ^^elleicht theoretisch
noch das rein Religiöse herausfinden, aber keineswegs praktisch
eine aparte Bethätigung der Bauernmanier und Bauernreligion
constatiren kann. Auf letztere kommen wir übrigens noch zu sprechen.
Der manierhafte Antorititsenlt wird aJao vor allem dem Geist-
lichen aniheil. Männer, Weiher nnd Kinder küssen ihm die Hftnde,
wenn sie zn ihm aoflB Zimmer kommen; die Weiber nnd Kinder aneh
bei dner Begegnung anf der Gasse. Man littert vor respectvoller
Anfregung, wenn man mit ihm zn reden hat Ist irgendwo von ihm
die Sprache, so darf man Fehler nnd Schwächen nicht erwähnen, —
eigentlich hat er ja gar keüie. Seine guten Seiten werden oft in ganz
unverhältnismäBiger Weise hervorgehoben und belobt „Is wull a
recht a freindlicher, gmoaner Herr, — mit ein'm jeden redt
er**, heißt es, wenn er hin nnd wieder ein altes Weibel anruft; „und
WOB er olls Guats thuat, ein'm jeden gibt er", heißt es, wenn
er den Dorfarmen 5ft«r einen Groschen über das Nomale znkODun^
lässt. Auch körperlich ist er „so ^^el ein schöner Herr", wenn" ear
mit dem „Rocket" auf der Kanzel steht Kurz, er ist alles Treffliche,
Hohe und Würdige in Person, oder, wie sämmtliche in die Stadt
übersiedelte und acclimatisirte Landgeborene betheuem: ffi^r Pfarrer
ist den Bauern ihr Herrgott."
Dabei denken die Baueni zunächst garnicht mehr daran, dass
der Priester Stellvertreter Gottes ist; nein, sondern es ist schon Manier
geworden, dass man den Pfarrer so behandelt. Erst nachträglich
kommen einzelne Frömmere darauf, dass er diese Behandlung auch
wirklich verdient, weil er täglich das Fleisch und Blut Christi ge-
nießt, weil durch seine Hand der Segen Gottes über die Gemeinde
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— 579 —
kommt, durch seinen Mimd Gott selber redet etc. Aber die gewöhn-
lichen Durchschnittsbanem denken an gnr nichts, sie thun nur, „ms
sich gehöil."
2. Und nun erst der Bischof! Nur selten ist er zu sehen; ein
Firmungsfest, die Einweihung- einer iif'n{j:ebauten Kirche, das sind die
einzigen nur nach Jahren wiederkelirenden Anlässe, den Bischof zu
sehen. Da drängt sich denn auch alles heran, von den fernsten Ge-
meinden eilen die Scliaren herbei, und sehen und staunen. Was man
sonst nur hoch auf dem Altare in Weihrauchdampf und Kerzenflimmer
erblickt, die seltsame Himmelsge^italt mit der mächtigen, spitzen Inful
und dem gekrümmten Stabe, — heute steht sie heraieden vor dem
Altäre und regt und bewegt sich wie ein anderes Menschenkind! Und
wenn sie sich zum Schlüsse umwendet, die Bischofsgestalt, um den
dreifachen großen Segen zu ertheilen, wenn die dienenden Priester
selber vor ihr in die Kniee sinken, die Orgel plötzlich Terstammt und
aUgemeinM tiefes Sdiweigen die Feierlichkeit des Actes verräth, —
da dOnkt es dem Baner wnl, als irire er einen Homent in den Hinunei
msttckt, sein Herz klopft, eine anbeschreiUiehe Ahnong nnd Sehn-
sneht nach dem Höheren dnrehiieht seine Brost, vnd tausend nach-
folgende Standen prosaischen Lebens kSnnen den Eindruck dieses
Angenbliekes nicht mehr yerwiseben.
Wahrlich, der Czar aller Beaßen mfisste sich gratnliren, wenn er
bei seinen ünterthanen nnd Knechten eine Antorität besftße, wie der
Bischof bei dm Bauern! ^ Einem Bischof sich an nfthem, mit ihm
an reden, dafür halten sie sich fttr ganz nnwQrdig; sein Verkehr ist
ja schon mehr mit den Engeln des Himmels, mit den Heiligen, mit
Gott selber, und sie, die Bauern, haben mit Ochsen, Pferden, Schweinen etc.
zu thon. Sie können sich kanm Torstellen, dass ein Bischof auch ein-
mal ein Wickelkind gewesen, nnd es wäre Sünde, zu denken, dass er
sich damals auch nicht braver aufgeführt, als die anderen Kinder alle.
Weniger fast, als der Bischof, gilt der Papst. Nicht, als ob man
nicht wüsste, dass der Papst über dem Bischof stehe; sondera, weil
man vom Papste und seiner Macht und Herrlichkeit nur hört, ihn
selber aber nie sieht: und der sinnliche Eindruck richtet ^ beim
Bauer mehr, als das bloße Hörensagen.
3. Kehren wir aus diesen hohen Sphären wieder in die tieferen
zurück. — Neben dem Pfarrer schaltet und waltet im Dorfe noch
etwas anderes: es krabbelt und spielt auf der Orgel, wenn der Herr
Pfarrer beim Altare steht; es singt in herzzerreißenden Tönen vor
ihm her, wenn er an die Einsegnung einer Leiche geht; es haust
41»
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neben dem Pfarrhofe in einem kleinen Baue, wo es auch seinen Unter-
richt ertheilt, — es ist das Schulmeisterlein. Immer in der Nähe
des Pfarrei"S gesehen, diesem beispringend und helfend, empfangt es
in den Augen der Bauersleute Licht von ihm, wie der Mond von der
Sonne erleuchtet wird. Es besteht zwar keine specielle religiöse Satzung,
dass man den Schulmeister scliätzen und ehren solle, aber eine solche
Satzung wird durch den Eindruck, die sinnliche Wahrnehmung
ersetzt, dass der Pfarrer zu ihm in engerer Beziehung steht.
4. Eine solche Satzung besteht aber in Bezug auf das weltliche
Oberhaupt, den Kaiser. Der Kaiser genießt allerdings auch eine natür-
liche Autorität als mächtiger, reicher Herr; von dieser kann aber
hier nicht die Rede sein. Seine religiöse und manierhafte Autorität
ist aber nicht, wie die des Bischofs, eine ihm innewohnende, Selbst-
ständige: de ist nur der Abglanz der kirchlichen Autorität Dem
Bischof, dem Geistlichen soll man nldit widersprechen, soll man keine
Einwendung »nuuAen; den Kaiser und seine Begierungsacte kritisfart
man nngesdieat Des Kaisers Antoritftt geht gar nicht oder doch nnr
wenig auf die Staatsbeamten ttber; wemi diese nicht durch die Staats-
gewalt geschätzt wären, kSnnten sie ihre oft nnangenefamen Pflichten
bei den Banem nicht erftllen. Anders steht's mit den Gdstlicfaen: sie
tragen ihr^ Autorität in sich selber, weil sie dieselbe unmittelbar von
Gott haben.
Die maniergemä6e Autorität des Kaisers und seiner Beamten be-
ruht eben nur auf dem kirchlichen Gebote, dass man auch die weit*
liehe Obrigkeit schätzen mflsse; wo aber der Bauer zwischen Clems
und Kaiser, im Falle eines nicht zu bdTürchtenden Conflictes, zu wählen
hätte, — er wtirde sich (in meiner Heimatsgegend wenigstens) un-
bedingt für den Clems entscheiden. So wirkt der Satz des Schwaben-
spiegds noch bis heute nach: „Sit nu got des vrides fürste heizet, sö
liez er zwei sweil hie üf erderiche, do er ze himel fnor, ze schirme
der kristenheit. diu lech got Sant Peter bei diu, daz eine mit geist-
Kchein gerihte, daz ander mit wereltlichem gerihte. daz wereltliche
swert des gerihtes, daz Hliet der päbst dem keiser. daz geistliche ist
dem pabest gesezet, daz er da mit rihte. dem päbest ist gesezet ze
bescheidenlicher zit ze riten üf einem blanken pherde, unde der keisei*
sol dem päbest den stegereif haben, daz sich der satel iht winde."
5. Wir haben noch der Fälle zu gedenken, in welchen der Bauer
seine eigene Autorität auf Grund der Manier geltend macht. So
müssen wir in erster Linie die Eltern erwähnen, die sich den Kindern
gegenüber fortwährend auf ihre elterliche Autorität berufen und von
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dieser so lange den ausgiebigsten Gebrauch machen, als sick s diese
gefallen lassen. Darauf ist man noch nicht gekommen, dass in den
Kindern die Pietät und das Autorität sgefiilil von selber rege werden
und bleiben kann, wenn die' Eltern nui- ihre Pflichten mit Liebe und
Mäßigung erfüllen. Solange aber der Prügel regiert, kauu solch ein
natärliches Autorltätsgefuhl nicht aufkommen, es muss daher eine for-
cirte MtnieruitoritSt ihre Dienste tfann. Äbnlieh steht es auch mit
den Dienstiierrai ihren Knechten nnd Mägden gegeniber. Da hemdit
der eiserne Mnss, und der ^err Bauer" nimmt die strengste Autorität
f&r sich in Ansprach, die keine Widerrede y^m Dienstboten dnldet
Beim Tischgebet z. B. mnss immer der Baner jeden Absatz zuerst an-
ftngen, nnd erst wenn er eine Sübe schon iSut fertig gesprochen, feilen
die anderen mit ein. Nnn trUft sichre Öfter, dass der Baner beim »eng-
üschen Groß'* in seiner Gedankenlosigkeit ein GHied aaslässt oder
zweimal betet, — auch dann stimmt das Hanspersonal ein, niemand
wagt's, den „HenA" zn conigiren, nnd wenn auch im ganzen nnr
vier oder fftnf Betende wären.
6. Fragen wir schließlich noch, wer von den angeführten Auto-
ritäten, die auf der Manier fußen, einen thatsächlichen TBififlnaa auf
Grund seines maniermäßigen Ansehens ausüben kann?
Nur der Pfarrer, der Geistliche überhaupt, übt mit seiner Autorität
einen starken, bis zu gewissen Grenzen, welche durch die bäuerliche
einseitige Selbstsucht gezogen sind, unbedingten Einfluss auf gi-oß
und klein in der Bauernwelt. Der Bischof kann seine Autorität nicht
direct zur Geltung bringen, er verstärkt nur das Gewicht und An-
seilen der Pfarrer und Cooperatoren, die ja bei gewissen Gelegenheiten
öftVntlich voi' dem Volke als Mithelfer des Bischofs, sogar als dessen
gehorsamste Freunde erscheinen. — Der Kaiser kann aber seine Auto-
rität weder direct noch indirect durch seine Beamten thatsächlich aus-
nutzen: er selber kommt mit den Bauern in keine Berührang, und
auf die Beamten erstreckt sich die kaiserliche Autorität, soweit sie
auf der Baueimmanier beruht, gar nicht oder nur in ganz unzuläng-
lichem Grade. Hier muss, da auch die natürliche Autorität des
Kaisers als eines reichen, mächtigen, weisen und gütigen Herrn noch
nicht zui' Besiegung des bäuerlichen Stonerhasses etc. ausreicht, die
Furcht vor der Gewalt, yor der Strafe emgreifen. Von diesem
mächtigen Factor miterstfltzt, ist das Banungemltth dann doch hin
und wieder imstande, seinen Staatspflichten aneh unter mamerbrayen
AutoritätsgefBhlen gegenftber dem Kaiser und seinen Organen naeh-
zukommen.
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Die bäuerlichen Eltern bringen ihr uianiergeinäßes Autoritäts-
recht zur ausgiebigsten Verwertung gegenüber ihren Kindern, ebenso
die bäuerlichen Herren gegenüber ihren Dienstboten. Und in Kindern
und Dienstboten wird das Anerkennen solcher unerbittlichen Autorität,
wenn aach unter Ach und Wehe, zur Gewohnheit. Freilich, bei den
Kindern kommt endlich die Zeit, wo sie diese Antoiitit abschütteln
und umgekehrt ihre Eltern ebeoBO heyonnimdeD, wie sie eevon letsteren
dnreh eigene ErÜiidinuig gelernt
Der Schnlmeieter natOrliGiii und was senst nodi einige manierhafte .
Autorität nnd Weihe besitEen sollte, etwa der Arzt, kOnnen anf Gmnd
der Manier, wenn nicht andere Bttdcdditen mitwitken (als: Angst vor
gesetadicher Ahndnng, vor Verscfalinunerong der Krankheit etc.), kanm
einen bestimmenden Einflnss anf die Banem ausüben. Sie sind allza
indirect von Gott angeordnet
B.
Wie bethätigt sich, so fragen wir jetzt, der eben im allgemeinen
geschilderte Autoritätscult im Glauben?
a) Das wirklich innerliche Glauben setzt naturgemäß voraus,
dass der Geist des Menschen weit genug entwickelt ist, um füi* einen
bestimmten Gegenstand, der geglaubt werden soll, Interesse zu haben;
das Interesse für einen Gegenstand entwickelt sich in mir dadurch,
dass ich denselben bereits absichtlich oder zufällig von einem Stand-
punkte, von einer Seite kenneii oder doch ahnen gelernt habe, und,
im Wolbehagen über die bereits erlangte, wenn auch noch ganz zweifel-
hafte Vorstellung, je nach der Kraft meines Geistes oder der inneren
Verwandtschaft meiner sonstigen Verhältnisse mit diesem fraglichen
Gegenstand mich stärker oder schwächer gedrängt fühle, denselben
weiter oder vollends kennen zu lernen. Außerdem muss im Geiste
ein kritisches, sichtendes, controlirendes Element vorhanden sein,
welches den zum Glauben vorgestellten Gegenstand oder die denselben
vorstellende Autorität nach der Glaubwürdigkeit prüft. Krst wenn
diese Vorbedingungen da sind, ist naturgemäß das wahi e und nchtige
Glauben möglich, welches ebie echte und rechte Überzeugung yer-
mittelt, ganz wie die unabhängige Eigenforschung.
1. Li unserem Landvolke sind diese Vorbedingungen UiAet nicht
▼orhanden. Wir haben bereits Über das Oeisteslebeil der Bauern
gehandelt und wissen, dass das Interesse für geistige Objecto im
allgemeinen Tiel zu wenig, Ihst gar nicht, geweckt ist Die ganzen
geistigen Ernrngenschaften unserer Zeit kttmmem den Bauer einen
Pfifferling. Wenn man ihm etwas eipliciren will, so wird er viel-
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leicht nicht wagen, sein UnbehagvU liierüber zu zeigen; er wird
immer wiederholen: „Jo, freilich*', ,Ja so, ja so**, Jo, es ist eh aso,
es ist so", — aber er bemüht sich gai* nicht, die Sache aa^ufELSsen,
und Bseb «brar halben Stunde weift er nichts mehr dAT<m. Er kann
aocb nicht gianben, dass ein Kenach n. B. wissen kann, wie groß
Ägypten ist; ans welchen Steifen die Lnft besteht; oder wie man die
Zeit einer Sonnenfinsternis berechnet „Das steht in den Bttehern",
sagt er, nnd die Bttcher erscheinen ihm Ust wie eine zanherhafte
Geheimlehre, der man im praktischen Leben nicht nachgehen kann.
Anch in der Wirtschaft pflegt er nicht viel an denken, ist daher
anch skeptisch gegen Jede Belehrung. Das Otgeet der Belehrung
Ifisst sich ja nur durch geistige Arbeit erfiusen, nnd flir die ist er
nicht vorbereitet Er thnt in seiner Wirtschaft, was er yom den
Eltern gesehen hat: Der Gedchtseindmek wirkt stärker nach, als
jede folgende Belehining.
2. Vollends ist der Bauer außerstande, eine Autorität oder
ihre Äußerungen zu prüfen. Er hat eine gewisse Summe tob
Dogmen überkommen: wer gegen diese verstößt, — nnd eine ver-
ständige und zugleich ehrliche Autorität ist hiezu in so manchen
Fällen gezwungen — , der hat alle Glaubwürdigkeit verloren. Wer
viel anderes vorbringen will, was gegen den ungeschriebenen Bauern-
koran zwar nicht verstoßt, aber in demselben auch nicht, enthalten
ist, der hat zu wenig Berührungspunkte mit dem bäuerlichen
Gedankenkreis — und kann das Interesse der Landleute zu wenig
fesseln. Diese echten Manierleute von reinem Wasser mögen die
interessanteste Geschichte nicht bis zu Ende hören: ihre Geisteskraft
j-eicht nicht so weit, sie verstehen ' alle die feinen Apercus einer
besseren Erzählung nicht, weil sie ihre eigene Natur nicht verstehen.
Wir tinden also im Geiste der Bauern nur Vorurtheile oder
Schwächen, — aber nicht jenes objectiv verlässliche, rege Control-
element, wie wir es als nothwendige Vorbedingung für ein richtiges
GkBben, für eine wahre Überzeugung gefiinden haben.
8. Und doch imiss das GelBhl der eigenen Unwissenheit, der
Zurftdcgebliebenheit anf geistigem Gebiete den Bauer innerlich an-
treiben, sn fragen und zu forsdien. So lange nur noch die untersten
Grade des Geisteslebens, die von der physischen Natur lunftchst ab-
hängigen, noch gesund sind, so lange fllhlt der Mensch anch den
Drang, etwas zu erfahren und kennen zu lernen von all dem, was ihm
unbekannt ist. Aber was der Baner fragt, wo und work er die
Autorität eines Belehrenden anerkennen wollte, das sind lanter
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— 5ö4 -
Eleinigkeiteii: iMüd etwas Yon dort, iMld -wieder etwas yon da, eiiimal
diest eiiiinal jenes. Aber um soldie Eldnigkeiten m einem System
za leihen, mit anderen Worten, nm etwas Terstehen n lernen, dazn
fehlt ihm die Geduld, die Sehnlnng, die Kraft Der Baner ist oft
neugierig, aber selten lernbegierig. „Was ist denn das, die Sehwefel-
• s&ore?" fragt dich ein Bauer, wenn in seiner Gegenwart Öfter von ihr die
Rede ist Sag' ihm: „Ein scharfes Wasser", das genügt ihm sdion,
und das glaubt er dir auch. Willst du ihm das Weitere noch so
populär erklären, du thust ihm doch keinen Gefallen damit: ja, es
dünkt ihm unwalirscheinlich, unsicher, dass man gerade diese oder
jene von dir genannten Ingredienzien dazu brauche, er kann's nicht
recht glauben und verschließt sich innerlich gegen deine Belehrung.
„Wo liegt denn dös Arabien?" „Gegen Sonnenaufgang." Alles
Weitere: die Erwähnung des Welttheils Asien, die Nennung der an-
gi enzenden Meere wäre zu viel und zu weitläufig. So will der Bauer
gelegentlich auch eine gleiche kurze Erklärung über den Zweck der
Parlamente, der Hochschulen, der Eisenbahnen etc., — aber wenn
man ihm dann diese Dinge noch so bündig auseinandersetzen wollte,
so wird's ilnn zu lang. p]in andere.s Mal fragt er nicht mehr nach
demselben Gegenstand, und denkt sich, du hast ihn wol zum besten
gehabt mit demer unTerstandenen Ehrklfirung.
Und hat er anch eine Kleinigkeit anfgegriifen — er getränt sieh
gar nicht, dieselbe, wenn sie noch so Bweifellos ist, mit ToUer Ober-
zeugung zu eriSusen und auf seine Veraatwortong weiter wa TertMwiten.
Kommt er dock in die Gelegenheit, davon zn reden, so thnt er's nicht,
ohne ein „wia ma hOrt" oder »sog'n s** einsnschalten, um jede Ver^
antwortnng von sich abndehnenA Und wie UcherUdi so ein „sog'ns***
bei handgreifliehen oder allbekannten Dingen sich ansnimmtt „Dta
Ungarn war' leicht so a iloche Gegend, sog^ s'I"
Der Bauer will sich an das Höhere nicht gewQhnen; dieses mOsste
sich nadi ihm richten, wenn er damit zufrieden sein oder dafür Inter-
esse haben sollte. Es dürfte kein anderer Gedanke, der nicht in den
traditionellen Manierdogmen enthalten ist, keine 4ieue Idee, die nicht
bisher schon fructificirt war, mafigebend sein, weder in politischen,
nodi in wirtschaftlichen, noch in irgendwelchen anderen Dingen. Und
weil die Welt den Bauern diesen Gefallen nicht thut, so bleibt sie
unverstanden von ihnen: die Bauern bilden sich auf Grund der über-
lieferten Anschauungen und Dogmen ihre eigenen Urtheile über sämmt-
liche Neuscliöpfungen, und solche lächerliche, bornirte Urtheile sind
die gangbare Münze im Vei'kehi*e der Landleute unter sich. Mau
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darf sie clarob nicht bemitleiden, denn solche Urtheile stammen nur
aus Trägheit, ja aus absichtlicher Selbstbomirungf, zu der sie sich
gegenseitig verstehen, um desto leichter die ganze übrige strebende
Welt ignoriren zu können.
Somit wird dem Leser klai* sein, dass eine natürliche Autorität
}m den Baaem nur sehi* schwer Qlauben und Anerkennung finden wird.
b) 1. Auf Qnmd der Manier „glauben** die Landleate weit lieber
und eher, als ans natfirHdieii Gfttnden. FreQich ist der Uanieigiatibe
kein ^eigentlicher Glaabe. Er ist nur ein mflndliehes Binstimmen in
die Äntemng eines anderen, bei welehem das Gemftth eine gewisse
Piet&tsregnng empfindet, der Geist aber jeder weiteren Untersnehnng
Uber die objeetiye Bichtigkeit des Gesagten sieh enthSlt, wenn die-
selbe nnr mit den traditionellen Dogmen nnd Anschanangen stimmt.
Der Bauer ist an dieses Glauben gewdhnt worden. Er will sieh nicht
„dummer Bauer** schimpflBn lassen, aber er gesteht es bereitwillig,
dass er ein ,/)anfocher Banemmensch" ist, nnd ans dieser seiner
nOanfochheit** (Einfidt) leitet er die Nothwendigkeit ab, den herge-
brachten Autoritäten sein Geistesleben zu unterstellen, und folgert sein
Becht zur bequemen Gedankenlosigkeit, denn diese Autoritäten „denken
ja für die andern Leut' auch." Er lässt sich die Glanbenswahrheiten
auf die simpelste, oft geradezu lächerliche Weise versinnlichen. „Die
heilige Dreifaltigkeit ist wie das Wasser: erst ist es Quelle, mitten
ist es Bach, endlich wäclist es zum Flusse an — und doch sind
Quelle, Bach und Fluss nur ein Wasser, wie die drei göttlichen Per-
sonen nur ein Gott sind." Daneben glaubt der Bauer aber doch, dass
der Vater der ganze Gott, der Sohn der ganze Gott und der heilige
Geist der ganze Gott ist. „Wenn man sich mit Weihwasser besprengt,
so wüthet jedesmal der Teufel darob, und im Gegentlieile lacht er,
wenn jemand am Weih Wasserkessel vorübergeht, oline die Finger
hineinzutauchen," u. dgl. m. Im Katechismus ist für die „Einfältigen"
viel Rücksicht genommen; sie brauchen nur gewisse Wahrheiten zu
kennen, die anderen haben sie nur implicite zu glauben; solche Nach-
sichten wendet der Bauer gerne für sich an, — „mein Gott, die geist-
lichen Herren wissen's schon, wie schwer unser einem das viele Denken
nnd Specaliren fallen thät" Der Gastliche ist die erste und höchste
Manierantoiitftt, der man alles glsnbt Was er in der Ftedigt sagt,
das haben ja die Bauern alles schon einmal oder öfter gehört, — und
dämm interessirt sie's, dämm glanben sie es anch. Das sind ja die
alten Wahrheiten, die Mk leider der Baner anch immer nor in seiner
altgewohnten Weise auslegt Der Geistliche predigt von der Ter^
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achtung alles IrdiBclieD, von der Verdienstiiehkeit der Entbehrung und
PJage, TOD der Schadlicfakeit der ftlechen Wissbegierde, Ton der Ter-
derblichkeit der Zeitungen, Ton der GotÜodgkeit unserer Schulen etc.
Wir haben bereite dargekgti wie der Bauer alle diese Lehren mit
seinem Thun und Lassen su vereinbaren weiA. Er glaubt aiso dem
GeisUlchen um so lieber, weil er ihn su nichts Neuem, zu keiner den
Willen und die Denkkraft in ungewohnter Weise beanspruchenden
Veränderung anhfilt
Aber nicht nur in kirchlichen, auch in weltlichen Dingen fühlt
sich der Baner dem Geistlichen zum Glauben verpflichtet; ja» er zieht
wol gar die Meinungen desselben denen eines Faclimannes YOr. Liegt
jemand krank im Hause, dann fragt man heimlich den gerufenen Amt,
wie lange der Kranke noch leben könne. Kommt der Priester zum
„Versehen", so fragt man ilin aucli, — und sagt er etwas anderes,
als der Arzt gesagt hat, so glaubt man nicht diesem, sondern dem
Geistlichen; natürlich, „so ein Herr!"
„So ein Herr" nämlich, der die himmlische Gelehrsamkeit in
sich trä^t, die doch mehr ist als alles irdische Wissen, und der über-
dies auch in der irdischen Gelehrsamkeit auts höchste g'studirt ist,
der muss es doch besser verstehen, wie der unchristliche „bartete
Doctor", der halt auch nur auf seinen Erwerb ausgeht, und sogar
eine Alte (ein Weib) zu Haus hat, wie ein ganz gewöhnlicher Bauer!
2. Wer sich auf den Standpunkt der Manier stellt, braucht nicht
einmal eine angesehene Persönlichkeit zu sein, um bei den Bauern
Glauben zu finden. Wenn ein Bauer nur auf Besuch geht zum anderen
und 80 wihriod seines Besuches die Ehren eines Gastes genießt, so
ftthlt sich der andere schon Terpflkditet, zu allem, was der Besuchende
meint und ftnfiert, „Ja** und nAmen" zu sagen. „Fteilieh ist's aso,'
„jo holt jo," ,4h sog* 's ah** etc. Natfiilich wird da Iraine „nnchrist-
liche** oder unmanierliche Ansicht Torgebracht Es wird z. B. vom
Schulwesen gesprochen. „Ih glaub',** sagt dar Gast, „dass dO Lehrern
koaner koan^ Glanb^ nit hob'ta, dS kinnan thuan, rain wos wOUn.**
,Ja wull/ meint der andere ,es is' eh' asol* Es wird von neuerflm-
denen Isndwirtschaftlieben Instrumenten gesprochen: „Ih moan', dOs
Maschinwer' ist der Menschheit koaa Nutz; arbeit't amol nit so natta,
und hemoch werd'n d' Leut' ah faul, wenn d' Maschin oUas thuat**
'Jo freilih is 's a so, sein thuat 's eh aso.' In dieser Weise etwa wird
verkehrt, und was der Gast sagt, — das „glaubt** der andere alles,
er wüsste ja selber nichts anderes zu sagen.
3. Hier muss auch jenes gdiorsamste Beipflichten erwähnt warden,
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dessen sich der Bauer befleißt, wenn er mit höheren Personen ver-
kehrt, auch für den Fall, dass er von deren Reden nichts versteht.
„Da müssen yie bei der höheren Instanz einen Kecurs einreichen, Sie
verstehen nrich?** So fragt z. B. eine Gerichtsperson den Bauer.
„Je, jo," sagt der, ,Jo, jo, Herr Doctor — und durch dieses über-
eifrige ,Jo" schneidet er sich selber die Möglichkeit einer weiteren
Frage ab und geht Teridttift nnd yerwirrt yon daunen. ,^*n Beyers
soll ieh einreicheil, oder wie er gesagt hat/' recapitidirt er dann un-
sicher anf dem Hdmwege, „ein'n Bevers bei der hOhern Distanz 1**
H<Qieren Personen pflichtet der Bauer Öfter sogar bei, wenn sie
etwas Manierwidriges sagen. FreUieh rent es ihn im stillen, —
aber er ist Ton dem GefQhle seiner Unterordnung momentan so ergriffen,
dass er sich fOr den Augenblick kaum etwas anderes zu denken getraut,
als was der Höhere bricht Aber man darf dieses Beipflichten nicht
mit Glauben verwechseln, nicht einmal mit dem maniermftfligen Glauben,
— es ist vielmehr die reinste Äuflerlichkeit.
4. Den Glauben, welcher der manierrnftlHgen Autorität gezollt
wird, verlangen auch die bäuerlichen Eltern von ihren Kindern, bäuer-
liche Herren von ihren Dienstboten. Widerspruch oder Einwendungen
werden bei Kindern und Dienstboten nicht geduldet, sie haben zu
glauben, was man ihnen sagt. Die Alten predigen aber auch wie
ein Pfarrer: ob sie alle ihre schönen Lehren selber je befo]f!:en konnten,
das ist gleichgilt ig-, die „Gesindel" brauchen das auch gar nicht zu
wissen. „Ja", meint ein aufgeweckter Knabe, „wie kann euch denn
das Vergiftwenden 'was helfen?" ,Das verstehst du nicht,' ist die
Antwort des weisen Alten, ,sei nicht so vorlaut' „Die Gesindel
(Kinder) müssen in der Stuben bleiben und brav sein," predigt manche
Bauernmutter, und es wäre das größte Unrecht, wenn jetzt eines ihrer
Kinder sagen möchte, zu Hause beim langen Sitzen wiid ihm üfter
nicht gut.
C.
Wie beth&tigt sich der bSuerliche Autoritätscnlt im Gehorsam?
a) Ymi Natur aus ist der Btaet wenig zum Gehorsam geneigt
Er soÜte aUerdingar so könnte man meüien, firoh sein, wenn eine höhere
Autorität in seine misslichen Terhflitnisse eingreift, um ihn einem
besseren Ziele entgegcoizultthren, als er allein bei seiner Zurflck-
gebliebenheit und fUschen Cultnr erreichen kann. Allein so ablehnend
sich der Bauer gegenftber einer natürlichen Autorität im Glauben
verhält, so ablehnend veihält er sich gegen eine solche auch in Bezug
auf das Gehorchen. Man hat den Bauer in seiner gesammten gesell-
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schaftlichen und wirtschaftlichen Gebanm^ viel zu viel ihm selber
Uberlassen: er ist fast wie ein Robinson, der keine Bedürfnisse hat,
die er nicht aus Eigenem befriedigen konnte. Und ireil er sieh seine
Nahrang, zum großen TheQe seine Kleidung nnd seine sonstigen
geringen Beqnemliehkeiten unmittelbar dnreb die Arbeit seiner H&nde
herstellt» so flUdt er ein EingreiüBn einer noch so wohneinenden höheren
Autorität ftr eine ÜberfiOssigkeit nnd Ungerechtigkeit Für den S t aat
hat er nicht das geringste VerstSndnis; er bedenkt noch nicht» welche
Wolthaten er Tom Staate empfingt durch Straßen , Bahnen, durch
die Öffentliche Sicheiheit, durch das Schulwesen nnd durch das Landes-
vertheidigungssystem. Er denkt nur daran, dass er isst, was er
selber gebaut, dass er trinkt, was er selber gepflanzt, — alles Weitere,
mefait er, gibt sich von selber, wozu so viele Beamte, Lehrer, Soldaten,
oder gar Bftchersclireiber, Spielwaren&brikanten etcl
1. Wir wollen hier nicht reden vom Steuerzahlen, vom Einrücken
der Recruten oder von anderen empfindlichen Lasten und Pflichten.
Es ist flberflflssig zu sagen, dass der Bauer solchen Anforderungen
der staatlichem Autorität nicht entsprechen würde, wenn nicht die
Gewalt und die Strafe zu fttrchten wäre. Wir reden nur daTon, dass
auch alle anderen, noch so zweckmäßigen Anordnungen der weltlichen
Obrigkeit nur mit Widerwillen hingenommen und vollzogen werden.
Da ordnet z. B. der Bedrkshauptmann an, es sollen Bäume längs der
Straße gesetzt werden. «Jo freillh,'' heißt es, «dann werden wir
extra ein'n Baumhftter halten, damit nix rninirt oder g'stohrn
wird!" Sie setzen pro forma die yeriangten Bäume; wenn aber einer
von den Bauern den Pflug umwendet am anstoßenden Acker, dann
ist's ihm eine Genugthuung, wenn die Ochsen dabei das junge Bäum-
chen quetschen: „Da sieht man's ja, so was taugt ait bei uns."
Und so sind wirklich bald alle Bäume verdorben: „was versteht denn
so ein Bezirkshauptmann von der Landwirtschaft?" — Ein anderes
Mal ist eine Anordnung ans schwarze Brett beim Bürgermeisteramt
geheftet : auf allen wichtigeren Wegkreuzungen und Straßenabzweifrungen
müssen Wegzeiger angebracht werden. „Je freHih,"^ wird da wieder
gebrummt, „damit das umgehende G'sind gleiwl Ubeiall hinhnden konni"
u. dgl. m.
Dieser Widerwillen der Bauern gegen die Anordnnngen der welt-
lichen Obrigkeit ist aber nidit erst von heute. Sdion in den Linder-
ma3ri*schen Dichtungen (neu edirt yon Dr. Pius Schmieder) findet
sich derselbe oft recht komisch yerwertet Ich erinnere an die Gedichte
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„Der von allen Seiten geciuälte Bauer", „Der klagende Bauer", „Der
Bauer aas Yerzweifiaug eiu Schatfgräber" :
^ kan ma's tinmigH nöt denkii,
Was d Herren mit uns no auhöbn.
Ä Baor aoU d wirkli gnda henkft,
So kAm ft dient wOg to den LBbo.
Seyn d'RiLstgeldä käm sna diidnriiigtt
Und gleiwobl höbns' Noimiifrä an,
Und thaue uns än Toitel aufbringä,
Den d*Herr8cbaft «elbs nennS nöt kan/ n. s. f.
Die weltliche Obrigkeit hat indessen die Mittel, sicli den Ge-
horsam zu erzwingen. Und so energisch ist der Bauer bei weitem
nicht, dass er sich auch k der That iridersetM möchte, so wie er
sich in fleiiiBr GeBinnung und in seiiMn Werten, wm niemand Yer-
ftnglicher ee hOrt, widersetst. Denn so wie sein innerlieher Ün*
gehonnm snm grefien TheQe anf der angeerbten WiUensträgheit
beroht» die alle Neneningen schent ond bei der traditionellen Bobinaon-
wirtschaft bleiben will, ao hslt ihn auch dieselbe Wilknstrftgheit
davon ab^ dass er sich mir Wehr setne, selbst wenn ihm Unrecht ge>
schieht Mit Gewalt lässt er alles aas sich machen, ohne Gewalt
will er nirgends folgen, anch nicht zom eigenen Nntasen, ^ anlter,
n^ hftlt ihm den Lohn dafür schon mit vollen Hlnden hin.
2. Ifan kann sich nnn leicht vorstellen, wie wenig etwa eine
wissenschaftliche Antoritit bei den Bauern ausrichten kann. Nehmen
wir an, der Baner liest z. B. in einem Bauernkalendei* einen gedie-
genen, leiclit verständlichen Artikel fiber rationeUe Düngerbereitung;
er wird anfiioglich zugestehen, dass der Kalender recht hat; bald
aber wird er allerlei Einwendnngen finden, und thnn — wird er
nichts.
3. Die Autorität des Arztes wird durch die Angst unterstützt,
man könnte die Krankheit verschlimmeni, wenn man ihm nicht ge-
horcht. Dass aber mehr diese Angst als das positive Vertrauen zur
Kunst des Arztes die Bauersleute zum Gehorsam gegen letzteren
bringt, dafür zeugt das gemeinübliche Drunterpfuschen von ver-
schiedenen Hausmitteln, welche, ohne Wissen des Arztes, mehr zur
Beruhigung der Angehörigen, zur Bekämpfung ihrer Angst, als zur
Gesundheit des Patienten angewendet werden. „Man will halt doch
nix unbenutet lassen, wenn man dem Kranken helfen könnt'."
4. Wie schwer ein prompter Gehorsam den Bauersleuten fällt,
sieht man am besten an den bäuerlichen Recruten. Sie wissen« dass
sie beim Militär gehorchen müssen, und sind auch, weil sie die Gewalt
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fürchten, von dem Gefühl ihrer untergeordnet tn Rolle durchdrungen;
es könnte ihnen nicht einfallen, sich zu widersetzen. Aber selbst
beim besten Willen haftet ihnen das heimische Widerstreben gegen
einen prompten Gehorsam an: ruft der Ofticier den Recruten, so macht
sich dieser ohne weiteres auf seine schwerfalligen Beine und geht,
mit der ergebensten Miene von der Welt, zum Oflßcier. Beim Militär
heißt es aber: „Trab, Trab!'' und wer gerufen wird, muss laufen.
Manche Officiere fassen diese Schwerfälligkeit als bloße Langweilig-
keit auf und schelten solche Recruten „fad", „lamlacket" etc., —
aber es ist eine gute Dosis inneren Widerstrebens gegen den Ge-
horsam dabei
Der Bauer will aiidi niebt gehorsam eraeheinen, er sdiiiiit
aich deasen. Wenn er einer höheren Person den achnldigen oder nicht
schuldigen Gehorsam erweSat, iat er froh, wenn ihn kein anderer
Bauer dabei sieht Anch im gegenseitigen Verkehr der Bauern nnter-
einander seigt sieh öfter diese Sehen, gehorsam an ersdiebien. Sie
thnn einander gern einen GeMen, die Manier sdireibt es ihnen tot;
wenn aber die Situation eine sotehe ist» dass der Oefiülen einer Nach-
giebigkeit, also einem Gehorsam gleiche, dann ftllt er schwer. Da
hftlt ein Bauer mit seinem Heuwagen auf dem Fahrwege vor seiner
Scheune und ladet ab. Der Nachbar kommt eben auch mit einer
Fuhre und kann nicht passiren. Obwol der andere nun seinen Wagen
in den Hof fahren und auf der inneren Seite der Scheune ebensogut
abladen könnte, thut er es doch nicht, denn das sfthe fast aus wie
ein Gehorsam. Der Nachbar muss warten oder einen Umweg ein-
schlagen.
b) Je iingerrier der Bauer einer natürlichen Autoritiit gehorcht
desto eifriger befleißigt er sich, der maniergemäßen Autorität seinen
Gehorsam zu erzeigen. Jeder Mensch hat seinen Herrn, und alle
Herren haben wieder einen noch höheren Herrn in dem Himmel. —
Gottes Stellvertreter sind aber die Geistlichen, ihnen muss man
zuei'st und vor allen anderen Herren gehorsam sein.
1. Der religiöse Gehorsam ist der eigentliche und einzige
Gehorsam in der Vorstellung des Bauei-s. Jeder andere Gehorsam,
gegen den Kaiser, die Elteni etc., muss sich auf diesen zurück-
führen lassen, wenn er überhaupt berechtigt sein will: aber auch
dann erhält er noch immer nicht dieselbe Bedeutung, wie der religiöse
G^orsam im engeren Sinne. Es wäre unerhört, wollte jemand den
kirchlichen AnfordKungen der Geistlichen nicht nachkommen. Die
Toigeschriebenen Beichlen und Fastenaeiten werden pünlctUchst eln-
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gehalten etc. Das Beichten, das Fasten, das Ablaasgewinnen
kostet eben nichts, ja, die Hausfrau kann dabei sogar ersparen. Die
bäuerliche Selbstsucht wird dabei nicht verletzt. Die wenigen An-
lässe, wo man den Geistlichen zahlen muss, als Taufen, Hochzeiten,
Begräbnisse, treffen den Einzelneu verhältnismäßig so selten und immer
in so erregter Stimmung, dass seine Aufmerksamkeit nicht gar so ,
sehr auf das weggezaldte Geld concentrirt ist; und überdies kann
man sich ja daran erinnern, dass einem dafür der Segen, den bei
solchen Anlässen die Kirche spendet, im Himmel und auch auf Erden
schon ein reichlicher Ersatz sein wird. Beim Steuerzahlen hat man
selbst diesen Trost nicht. —
Aber auch der Geistliche ist an die Tradition gebunden, er darf
den Landleuten niclit befehlen, was er will. Die neuerlichen Er-
leichterungen des Fusteugebutes erfüllen den Bauer mit Bedenken
und er getraut sich nicht von ihnen Gebrauch zu machen, trotzdem
sie yon der Kanzel verkflndet werden. „Die Geistlichen werden
leicht'' (leicfatsiBnig), sagen die Leute, „ist kein Wunder, wenn der
Olanben scUeclit wird.** Aach wfirde der QefstUcbe wenig Qehorsam
finden, wenn er die Bauern bewegen wollte, in der Wirtschaft, in
ihrem hänslichen Treiben etc. Nenerangen nnd Yerbesseningeii in
modernem Sinne einznfUiren, — obwol man sich zu derlei Dhigen
noch am ehesten dnreh den Rath des Pfiirrers bringen liefie. — Am
allerwenigsten soll aber der Geistliohe nene Taxen einfthren und so
den Baner an der empfindlichsten Stelle Terletsen. Ich habe mich
gewundert, wie scharf sich Bauemweiber darftber ansdrftckten, dass
in jttngster Zeit der Geistliche auch für Versehg&nge ehie Taxe (1 fl.)
annimmt, und dass die Yersehtaze immer allgemeiner in Gebrauch
kommt. „Mit der Zeit müssen dann die armen Leut' (zu denen
sich bei solchen Anlässen natürlich auch die Bauern rechnen) ohne
Versehen sterben, können sich nur die Beichen den Himmel
erkaufen, jetzt gehen die Geistlichen auch nur mehr auf
das Geld" etc. Allerdings getrauen sie sich nicht, gelegentlich
den Gulden zu verweigern, aber es ist schon viel, dass man es wagt,
in dieser Weise über die Geistlichen zu reden.
2. Eltern und Dienstherren verlangen stren;:^en Gehorsam von
ihren Kindern resp. Dienstboten. Die Bauernmoral macht ihnen dies
sogar zur Pflicht. ,,Man muss das junge Volk streng halten", heißt
es. Es wird ihnen keine Freude geboten, die Erziehung umfasst nui
Befehle und Strafen. Und wenn man auch den Kindern etwa auf dem
Jahrmai'kt einen „Kirchtag \ kauft, zu Weihnachten ein „Chnstkindl"
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einlegt, so mischt man strenge und hei'be Wai-nnng und Mahnung in
die Festfreude der kleinen Empfänger. Das Frohe daran mttssen diese
von selbst und allein herausfinden. Weil aber der Gehorsam so
freudenleer und trocken ist, so kann er nur raaniermäßig fortbestehen;
die Natur sucht liinter dem Rücken der strengen Gebieter die ilir
gebürende Freude; die Eltern oder Dienstherren sollen es aber nicht
wissen. Die Kinder laufen aus, «gesellen sich irgendwo in Scharen
zusammen, raufen, zerreißen sich bei unUber wachten S])ielen die
Kleider, dafür sind sie dann zu Hause so still und scliweigsam, wie
man es von ihnen verlangt. Die Dienstboten, besonders die männ-
lichen, nehmen bei der Nacht oft Reißaus, um sich irgendwo zu
unterhalten. Besonders die Samstaguächte sind in dieser Beziehung
berühmt.
So übt man den maniermfiiSigen Gehorsam gegen den strengen,
christlichsn Hansherrn, ist brav und folgsam, fast sclavlBch gehorsam,
solange man in seinen Augen ist, — und lünter seinem Bflcken ent-
schsdigt man sich dafür, so Tiel als eben thnnlich ist
c) Wenn w den ganzen Antoxitfttscnlt des Baoero nochmals
Überblicken: wie der Baoer jeden HOhergeeteUten eiigebenst grilBt,
aber dessen Bdehrnng ignorirt und bei Seite setst; wie er innerlieh
yon der ganzen ihn nmgeboiden Welt sich losgea^t hat, von niemand
beeinflnsst werden will, nnd wie er nach außen doch Gehorsam leistet
und sich alles ge&llen lasst, obwol er es hart empfindet, — so kommen
wir zu der Einsicht, dass eine gewisse sdavische Unterwürfigkeit,
ein gewisser Drill den eigentlichen und gesunden Autoiitfttscult in
unserem Landvolke verdrängt hat.
Über diese Unterwürfigkeit schreibt ein Herr Lehrer Sieber
ans Ransdorf :
Die Bevölkerung des südiJstlichen Theiles von Niederösterreich
besitzt einen besonderen Unter würtigkeitssinn. Als Beispiel hierfür
kann Folgendes dienen: In den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts
sagte der gutsherrliche Verwalter beim Herannahen der Assentirung
zu den Ortsrichtern: So viel Männer hat jede Gemeinde zum Militär
zu stellen, schaut um, woher ihr dieselben nehmt. Nun hatten abei-
die wolhabenderen Stellungspflichtigen und deren Väter sich schon
irpfendwelclie arme Bursche ausgeschaut, die in die Lücke geschoben
werden könnten. Es waren dies meist Söhne sogenannter «Inwohner",
überhaupt armer Leute. Dieselben wurden nun nicht etwa durch ein
verabredetes Kaufgeld bewogen, für die Gemeinde Soldat zu werden,
sondern worden nachts von einer Rotte dabei interessirter Bauern
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übei-fallen, gebunden, zur Herrschaft geschleppt, visitirt und, wenn
tauglich, zum Militärdienst gezwungen an Stelle der Bauemsöhne.
Nun war aber diesen Misshandelten gar wol bekannt, dass ein solcher
Vorgang nicht der gesetzliche, sondern nur durch den jeweiligen un-
gerechten (Ttutsverwalter und Ortsrichter gebilligt war. Man sollte
glauben, sie hätten den Fanorhunden einen Denkzettel gegeben, dass
ihnen die Lust fiir immer vergangen wäre; nein! Die Scheu vor dem ge-
strengen Herrn Verwalter und dem Ortsrichter war so groß, dass die
meisten sich blöde wie Schafe vierzehn Jahre in den Watienr<jck stecken
ließen. Und was war das Ende dieser Zwangssoldaten? Nach der
eisten C'apitulation waren sie zu einer anderen Arbeit nicht mehr
recht tauglich, machten gewöhnlich eine nochmalige Tour mit und
kamen endlich in iluc Heimat, um als Bettler vor den Thüren der-
jenigen, für die ii0 zum Militär gepfercht worden waren, ihren Lebens-
nnteriudt m «ammeln. Ich glaube, sagt Herr Sieiber, dass nur eine
ausgesprocbene SdaTendresenr solehe VerhAltnisse ermöglichen konnte.
Und der krenzbrave Baoer, der auf diese ungerechte Weise seine
Söhne vom ICiUtfirdienste frei machte, fikhlte ob solchen Vorgehens
keine Gewissensscropel, so wenig wie der gntsherrliche Verwalter
oder der sanbere OrtsricÜter. Noch jetzt leben solche Fanghnnde
und höchst wahrscheinlich anch Me nnd da als elender Qoartierer
einer der G^epferchten.
Überhaupt war ein gntsherrlicher Verwalter im Vereine mit deqn
Ortsrichter bei diesem Sclavenvolke eine Macht, die nach der nnge^
rechtesten Willkür schalten und walten konnte. Nicht besser machte
es oft in dieser Beziehung die geistliche Obrigkeit; ja selbst der
jeweilige Schulmeister, wenn er mit ersteren auf gutem Fuße stand,
hatte das Eecht, auf dem Rücken der Bauern hemmzutreten, weil
sich dieses Volk einmal alles gefallen ließ.
Nun sind freilich viele Änderungen in dieser Hinsicht ein-
getreten. Das Jahr 1848 hat den allmächtigen Gutsherrschaften einen
argen Hieb versetzt, auch die Geistlichkeit etwas zurückgedrängt.
Die Leute dieser Gegend waren aber nur die Geschobenen; man
denke ja nicht, dass sie das bisschen Freiheit und Selbstständigkeit,
welches sie jetzt besitzen, üirer eigenen Initiative zu verdanken iialten.
Andere, thatkräftigere Menschen haben ihnen dazu verhelfen. Der
echte Bauer, Söldner oder Inwohner althergebrachten Calibers kommt
heute noch mit der unterwüitigsten Miene von der Welt zum
Grerichtsbeamten, zum Pfarrer, zum Bürgermeister etc. Man möchte
glauben, die Ehrfurcht vor der Obrigkeit wfire in diesem Volke
Padagogian. lt. Jtliif. Halt IZ. ^
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besonders eingewurzelt. Beileibe nicht! Nicht Ehrfiurht, Furcht
ist es, welche zu einem solchen Benehmen ilrang-t. Ist eine Hochzeit,
so wii'd ganz gewiss der Bürgermeister, wohl auch der Plarrer und
Schullelirer dazu cmgeladen, mit allen möglichen Ehrenbezeigungen
überhäuft. Wie schön ist es, wenn eine Obrigkeit, ein Seelsorger, ein
Lehrer solche Zuneigung im Volke genießtl Doch irolehe T&uschong,
wenn einer so denkt Man fürchtet den Bfii^germeister, denn er könnte
bei einem aUfiUUgen Streite mit einem Nachbar sich etwa anf Seite
der Gegenpartei stellen, oder hei einer Gesetseenrngehung die Augen
nicht zudrücken; man fürchtet den Pfiurer, der eine besondere geist-
liche GFewalt Aber das Volk besitzt und einem am Ehid' gar den
Himmel yerschlieBen kann; anch der Schullehrer ist ein Mann, den
man als Gtemeindeschreiber oft braucht, oder der etwa gar im Orts-
schnlrathe einen Stra&ntrag stellen könnte etc. Daher die Ehre,
die man scheinbar diesen Leuten anthnt Man denke sich die leb-
hafteste Unterhaltung, deren eine Bauemgesellschaft fähig ist Lautes
Singen, Schwingen der vollen Gläser, Schäkern mit den anwesenden
Weibsen etc. und nun lasse man pir)tzli< Ii eine Standesperson
eintreten. Welches Stocken im fröhlichen Tumult, als ob sie gegen
eine anständige Unterhaltung etwas einwenden könnte. Solche Beispiele
licBcn sicli eine ganze Menge anfiihren, es genüge jedoch das Gesagte,
um darzuthuu, weiche sclavische Furcht dieses Volk vor jeder Obrig-
keit besitzt''
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»
Eine hygienisch-statistisclie Untersuchung der österreichischen
Ncbalverhältnisse.
Von Dr. Leo Burgerstein- Wim.
rath Dr. Beer hat hener in den Ansscfanssrerhandlongen des Bdchs-
rathes n. a. die entsprechende Beachtung der Schnlsanität bezw. eine
Untecsochnng angeregt
Efi dürfte daher, da die Frage derart etwas mehr Actnalität er-
hftlti nicht ohne Interesse sein, den bdnngreiohen Gegenstand an
dieser Stelle ein wenig zn beleoohten. Es konnte sich bei einer
Untersndinng in erster Linie am eine einmalige Beyislon der Sdinl-
locale und zweitens am eine einmalige üntersachnng der Schnl-
beTOlkerung, beides in den Landeshanptstftdten, wenn thnnlich nm
eine beschränkte Anzahl von Schulen und Schulkindern auf dem Lande
handeln. Die Revision der Schullocale ist im großen Ganzen
durch die Lehrerschaft selbst ausfiilirbar; mit kurzen Schlaf^worten
sei hier angedeutet, was liiebei als zu Erfragendes nngefälir in Betracht
konmit, weil dies zur Beurtlieilung der Diiirlifülirbarkeit nöthi^ ist.
La^e des Gebäudes (Orientirung: Straße etc., Abstand und Höhe
gegenüberlie2:ender Bauten, schattende, hohe, feuclitmachende Bäume,
lärmende, unsaubere Betriebe, Dungstätten etc. in der Nähej. Ziegel-
bau etc. Außenstiege, Scliutzdach, Vorhalle. »Stiegen (Breite,
^laterial. Wendeltreppe, IMat/.t-lstiege, Slufenhöhe, Vorrichtungen zum
Anhalten und Verliinderii des Abrutschens daran). Gänge i Breite,
Länge. Höhe, lieizbar, ventilirbar, hell, dunkel, zum Ergehen «»der zu
GarderubczNvecken benutzt). Schulzimmer (Länge, Breite, HTihe;
Oberkltider darin abgelegt; Fußböden: Stein, Holz, liart, weich, Dielen,
RienK^iibndcu etc.; geölt, gestrichen. Wie viel Schulkinder im Zimmer,
wann, wie lange. Wände: tencht, na.sstleckig; Farbe, Art des An-
striches, wie oft erneuert, ob abfärbend, Lambris, wie hoch). Bänke
(System, Distanz, Iiehne etc., erschwert das Bankmaterial die Bein-
hidtung). Ventilation (künstliche, mit der Heiznng yerbonden;
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werden die Fenster n-gehnäßig zur Lüftung geöttn»4. wann, wie lange).
Beleuchtuug (Fen.ster: Zald, Größe, Himmelsrichtung. Art des
Otinens. Doppelfenster im Winter; Vorhänge, deren lkschaüenheit.
Künstliche Behnichtung, Ol, Petroleum, Gas etc.; (Qualität der i Campen-
Brenner, Glocken, Erfahrungen). Heizung lüfen, (entralheizung,
System etc., merkbare Nachtheile). Woher kommt die der Heizanlage
zugeführte Luft. Brauchbare Thermometer im Zimmer, wie hoch an-
gebracht, etwa r^gehn&ßig abgelesene Ergebnisse. Reinhaltung (Vor-
richtungen znm Beinigen der Schuhe. Waschbecken für die Schul-
kinder, Seife, Handtuch; wie oft werden Zimmer und Gänge gekehrt,
von wem; gewaschen; MObel abgewischt, Fenster geputzt). Aborte
(deren Zahl, Lage, (Qualität; Desinfection). Wasser (Brunnen etc,
Nähe von Senkgruben, Kanälen, Qualität des Wassers, subjectiY).
Arbeit und Pausen (Stundenplan, Pausen, wann, wie lange, wo
halten sich die Kinder auf; was machen sie. Hitzeferien, Sehnlgmrten,
Hof, Spielplatz, offen, gedeckt, Bodenbeschaffenheit etc.). Körper-
liche Übungen (Tumraum vorhanden; im Gebäude, wo sonst; Di-
mensionen, Beleuchtung etc. Art der Bekleidung beim Turnen. Spiele.
Aus welchen Ortscluiften, wie viele ans jeder, ungefilkre Entfernung
der Orte), Sonstige Bemerkungen.
Diese rohe Skizze berührt ungeiahi- die Dinge, welche in Beti-acht
kommen. Es ist selbstverständlich, dass eine derartige Revision mit
Sehl' verschiedenem Grade von Exactheit vorgenommen werden kann
und hinsichtlich mancliei- Fragen einer kurzen Erläuterung bedarf^
wenn die Beantwortung l)lo.s durch die Lelirei- ge.><cliehen .soll.
Je breiter di»* Basis einer Statistik ist, um so zuverlässiger ist
natürlich, caeteris paril)us, das Resultat. Von diesem Gesichtspunkte
wäre die Autnahnie aller Schulbauten in Osterreich ein wünschens-
wertes Ziel, umsumehr, als durch die damit verbundene eigene Arbeit
Anregung sowol als eigenes Studium seitens der Lehrerschaft im
größten Ausmaße einträte; allein schon die Vielsprachigkeit der Ant-
worten würde in Österreich eine derart groß angelegte Arbeit er-
schweren und es wird für eine zuverlässige Statistik auch genügen,
wenn mit Rücksicht auf culturelle, klimatische und sociale Verhält-
nisse eine engere Anzahl von Schulen aus allen Theilen der Beichs-
hälfte ausgewählt wird, also bestimmte Verwaltungsbeziike beadehungs-
weise deren Stftcke in die Untersuchung einbezogen werden. Dieser
Weg wäre allerdings jenem, blos ein paar Großstädte hinsichtlich der
Schulgebäude ins Auge zu fossen, vonnziehen, vorausgesetzt, dass die
vorgescUagene Auswahl der Landdistricte so vorgenommen wird, dass
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— 507 -
die Besnltate zu einem Dnrchschnittsbilde führen. Gliicklichei'^'eise
genügt für die einfachareii ländlichen Verhältnisse eine relativ ein-
fsMdie Auskunft n. a. schon deshalb, weil hier das Kind weit mehr
und weit leichter Gelegenheit hat zum Genuss von Sonnenlicht, reiner
Luft und freier Bewegung, als das Stadtkind. Ein Fragebogen
mit Erläuterungen wird für Landschulen ganz ausreichen, um brauch-
bares Material für eine statistische Bearbeitung zu erhalten. In
großen Städten, d. h. speciell bei complicirt angelegten Schulkasprnen
stellt es sich vielleicht als wünschenswert heraus, auf Grund der ein-
gelaufenen Auskünfte eine kleine Anzahl ausgewählter (Tebände fach-
männisch zu untersuchen; viellei(^ht finden sich, falls dieser Weg sich
als wünschenswert ergeben sollte, durch Umfrage bei den betretlen-
den Gesellschaften (Ingenieur- und Architecten -Verein in Wien etc.)
Specialisten, welche sich aus wissenschaftlichem Interesse botheiligen.
Das sind übrigens Fragen, welche noch gar nicht spruchreif sind und
erst durch die betreffende Untersuchnnga-Commission zu erörtern
wären. Sehr zu ^ansehen ist es jedenfalls, Schulen aller Grade,
vom Kindergarten bis mr Mittdscinile einsdiHeftUiCh m «ntersnchen.
Der zweite Ponkt, der mit dem ersten an Wichtigkeit wetteifert,
ist die Untersuchung der Schuljugend. Es sei andi hier vor
allem eine Bohskizze der EYagen gestattet^ ehe einige allgemeine Be*
.merknngen ftber die Durchlhhrung gesagt werden.
Datum der Untersuchung, Name, Alter, Geschlecht, Geiburtsöft;
Beruf der ESltem; wenn Terstorben, woran; HaaifEurbe, Augen&rbe;
Impfiiarben, durchgemachte Infectionskrankheiten. Länge, Gewicht^
Brustumfimg, Lungencapacität, Beschaifenheit der Augen, Ohi«n,
Zähne. Andauernde Eränklichkeitszustände (Bleichsucht, Öfteres
Nasenbluten, babitneller Kopfsclimerz, Appetitlosigkeit, Rückgrats- '
wkrttmmung etc.). Zustand der Körperpflege (Reinlichkeit etc.), ge-
nossener Turnunterricht, betreibt Sport (Schlittschuhlaufen, Schwim-
men etc.). Fähigkeitsnote (Schwierigkeit beim Unterricht in den
einzelnen Gegenständen), Folgen. Arbeitszeit in der Schule, zu Hause,
obligatorisch, freiwillig; Zeit des Schlafengehens, Aufstehens, .Schlaf-
dauer. Zahl der im Jahre .... krankheitshalber versäumten Sclnil-
stunden (niuiiatw(Mse); durchiremachte Krankheiten (letztere Fragen
auch bezüglitli <ler Lehrpersoueni. Ol» strenger Impfzwang herrscht.
Diese rolie .Skizz«' deutet wieder das zu Erfragende bezüglich der
Schulen bezw. .Schulkinder allei- (4rade au. Wie man sieht, weiden
zur Beantwortung einer Reihe vun Fragen die Kitern herbeigezogen.
Sowol in dieser Hinsicht, als bezüglich der von den Aizten zu erhul-
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tenrten Antworten ist die Sache natürlich wieder in den Mittelschulen
und inji^roßen Städten relativ leicht durchführbar, da in diesem Falle die
Eltern sehr oft die nütliitjc Bildung- und vielfach Hausärzte haben, sich
iiberdios wahrscheinlich iibei- Anfrage bei den ärztlichen Gesellschaften
eine hinreichende Anzahl von Herren fänden, wcldip l»ereit wären, die
Schulen behufs einer solchen einmaligen IJntci sucliung unter sich auf-
zntheilen. Bezüglich der Landeshauptstädte, speciell der Universitäts-
städte, ist es ganz gut denkbar, dass sich für Untersuchung von
Augen, Ohren, Zähnen wenigstens hinsichtlich einer ausgewählten
Gruppe von Schulen bereitwillige Specialisten*) fänden, so dass die
Auskünfte über eine statistisch ausreichende Anzahl Mittelschüler so-
gar die größtmöglichste wissenschaftliche Exactheit hätten.
Andei-s steht die Sache natürlich bezüglich der Volksschulkinder,
zumal auf dem Lande. Arpnt mid Mangel an SdniIbOdiiiig aeitens
der Eltern schaffen hier große Sehwierigkeitea, obawar eine Untere
snchnng der Kindergarten- und yolksschnlbevOlkemng sowol an sich
von größter Wichtigkeit, als anch für das volle Verständnis der Re-
sultate hinsichtlich der Mittelschulen belangreich ist Da es sich aber
hier wie bei den Mittelschulen besonders darum handelt, eine sta-
tistiscli hinreichende Anzahl passend ausgewählter Schulen
zu nntersoehen, so erscheint das Unternehmen bei der mdglicherveise
bereitwilligen Mitwirkung der Ärzte voraussichtlich dnrchftthibar.
Hinsichtiich der Landeshauptstädte scheint dies ganz besonders anßer
Frage. Würden z. B. in Wien einige hundert Volksschulkinder in
jedem Bezirke und „Vororte" untersucht, gäbe das eine ganz brauch-
bare statistische Basis, und es fragt sich, ob nicht in Ländern, wie in
Mähren, wo das Institut der Bezirksärzte durchgeführt ist, sogar eine
Gruppe von Landschulen in die ärztliche Untersuchung einbeziehbar
wäre; die Untei'snclinng hätte auch dann bleibenden Wert, wenn
jetzt nur einzelne ivronläiider eiiiliezogen werden könnten. — Eine
ganze Reihe von Fragen kann der Lehrei' ln autworten, auf (Trund
einer kurzen Instruction z. B. auch eine statistisch verwertbare Prü-
fung der Sehschärfe vornehmen, wie dies in einer Wiener Volksschule
(Koperuikusgasse 15, Schulleiter Emanuel Bayr) mit dei* Cohuschen
*) Derartige Uotemehmungen bedürfen auegubiger bebördUdivr F6id«nag;
die eigenen Bifdiningett, welehe der nm die Hygiene muem Schalen liooliTeidieiite
Proff.s.xur V. Ucnss auf <lt in VI. intern. Congreüse fiir Hytriciie und DemogiapUe,
Wien 1887, niitEfotluilt hat. siml illustrativ und nicht ailei^^r••luMlll. Das generfise
Anerbiet^en d«?« Wiener Zalmarztes Dr. Th. M iiiischer aul deuiselhen Congresee
(alle Wiener Sohulkinder betrefifend) ist ofienbar ganz unbenutzt geblieben.
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Piüfuugstafel tliatsäclilich scliou geschielit. ebenso eine Geliörprüfung,
die Messung- und Wägung-, für andere Untei*sucliungen i Brust unitang,
Gebiss, KrHuklichkeitszustäude) ist natürlich der Facluuaim entweder
wünschenswert oder unbedingt notlnvendig.
Sicher ist, dass der Lehrer derart eine neue beträchtliche Aibeit
bekäme, die er nicht, wie eventuell der Arzt die kleine, freiwillig
flbeiiiimmt, und dass die Kinder deslialb zur Schule müssten; mit
Rflckflicht auf diese Verhältnisse wäre es billig und praktisch, für die
ganze hier skizsfrto wichtige einmalige Untersuchungsarbeit ein paar
, Schultage unterrichtsfrei zu machen. Die freiwillige ärztliche Unter-
sndrangsarfoeit könnte eventuell so erledigt werden , dass die Kinder
während der Sehnlstunden fitr Fertigkeiten ahwechselnd in klehien
Gruppen yoigefthrt werden. — Dass die ungefähre Gleichzeitig-
keit eraer Untersnehnng der Schnllocale und der SchnlbevGlke-
rnng noch von besonderer Bedentang sei, ist klar. Der Anfiing des
Unternehmens könnte mit den grofistädtischen Schulen gemacht wer^
den. Die Ergebnisse wfiren auch fdr die Untenichtsreform von hohem
Wert. Vielleicht discatirt eine oder die andere nnserer pädagogischen
ond ärztlichen Gesellschaften die angeregte Frage?
Die bereits ziemlich reiche Literatur Uber verwandte Studien im
Auslande, unter welchen die Axel Eey^s in Stockholm und die der
dänischen Commission obenan stehen, bieten vortreffliche Anhalts-
punkte Über die einzuschlagenden Wege; zutreffende exacteste Frage-
stellung wird die statistische Bearbeitung erleichtem. Die vorliegen-
den Muster über Verwandtes aus Belgien, Dänemark, Frankreich,
Russland, Scliweden und der Schweiz bieten manchen guten Anhalts-
punkt; mit Benutzung aller Erfahrungen hat eine Untersuchung Aus-
sicht auf großen B^rfolg. Die wesentlichen Kosten dürften zeitweilige
besondere Verwendung einigei" Beamten sowie betriichtliclie Druck-
auslagen sein; letztere weiden allerdings z. Th. durch den buchhändle-
rischen Vertrieb der L'nteruehnningsresultat« ]iereinzu])riiigen sein,
besonders wenn außer einer streng wissenschaftlichen Ausgabe eine
für die weitesten Kieise Kitern) veranstaltet wird.
Abgesehen von dem bleibenden Wert der Krg-ebnisse in wissen-
schaftlicher Beziehung, iiirer anregenden ^\'irkung■ und ihrer großen
praktischen Bedeutung für die Schulbehörden, würden die Resultate
last not least von der ( iffentlichkeit mit großem und in die weitesten
Kreise dringendem Interesse verfolgt werden; es ist klar, wie sehr eine
derartige von der maßgebendsten Stelle inaugnrirte Arbeit anf das
Publicum und die Lehrerschaft hinsichtlich einer rationellen häuslichen
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und Schulerziehuug der .lugend in hygienischer Richtung eiinviikt^n
möchte, — Deutschland liat durch kräftige, andauernde Fürdening
gesunder körpL'rlicher Bethätigung (Spiele, Bäder) einen großen Schritt
in der Praxis voraus, wendet aber sonst viel Zeit auf akademische
DlBCOssioii schulhygienischer Fragen. Bei der TOTStebendeii Skizze,
wdehe ja von eiiier Episode im Österreichischen Parlamente ansgeht,
habe idi Österreich im Auge gehabt, welches derart gleicblUlB in
hygienicia einen großen praktischen Schritt nach vorwirta machen
konnte.
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I
Pidago^lie RnndsehaiL
Ans Sachsen. Das Winterhalbjahr 188*.) 90 briK litp fiir die säelisische
Lekrei-schalt manches, das iuteressaut, oud mauches, das niclil uui' interessant,
■OBdern auch erfreulich ist.
Der vor Ostern d. J. gMehlossene Landtag hat mehrere Beschlftsse
gefasst, welche von den Lehrern als wohlthnend wirkende empfanden werden.
A. Am 15. März gelangte in der 2. Kammer Cap, 110 des Staatshaushaltes
zur Berathnng und Erledigung, betr. die Dotationen au die Schulgemeinden.
Zunächst ist erwähnenswert, dass dieses Capitel nicht, wie in Preusseu, den
veriiftognisvollen und — hier ist einmal das Fremdwort am Platie — omi-
nSsen Namen „ Schul lastengesetz" erhalten hat. Cap. 110 Uberweist, wie
früher, an die Schnlgemeinden die Hillftc der Grundstenereinnalime in Höhe
von 1 559 223 Mk. und eine Beihilfe „zur Bestreitung der Lehrergehalte" in
Höhe von 1 700 000 Mk. Diese Gewährung soll in der Weise erfolgen, daes
den Schnlgemeinden an dem Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an
den einfachen Volksschulen und an den mittleren Volksscluih n, sofern am Orte
eine einfache Volksschule nicht bt'st<«ht, für jede stiindige Lelirerstelle ein
Zufichnss von 3(K) Mk. und für jede llilftilehrerstelle ein solcher von l.')0 Mk.
zuthcil wird. Voraussetzuug für die Gewährung dieser Beihilfeu soll aber
■ein, dass das Schulgeld im Dnrehschnitt den Betrag Ton 5 Mk. jShrlidi nicht
fibersteigt, sowiei, dass das AfindesttMukonnuen der ständigen Lehrer und Lehre-
rinnen nicht unter 900 Mk.. das Mii\dt stcrehalt der Hilfslolirer und Hilfslehre-
rinnen nicht unter tiOO Mk. jährlich bt-tra^e. Ausnahnuswcisc kann ^zui-
Vermeidung einer erheblichen Belastung mit Schulanlagen'' der Staatszuscliuss
anch dann gewfthrt werden, wenn das Schulgeld im Dnrehselinitt bis auf 8Mk.
jährlich ansteigt. Die Wünsche der Lehrer nach Aufbesserung der OehSlter
haben also insofern Berücksiclitifirun«:: erfalircn, als das ^iindcsteinkommen eint^s
Hilfslehrers von 540 auf üOO Mk., ihm » iiu-s ständigen Lehrei-s von 840 auf
900 Mk. erhöht worden ist. Kanu diese Erhöhung auch keine außer-
ordentliche genannt werden, so ist sie dodi sehr dankbar angenommen
worden, da seit Yorigem Jahre Tenchiedene Ursachen, daranter nicht znm
mindesten die jjcwaltsanien und massenhaften Arbeiterausstände, eine Preis-
erhöhung all» r r.ebensViedürtnis.se herbeigeführt haben. Bei diesem Cap. 110
liatte die socialdemukratische Partei, au deren Spitze die Abgg. Bebel und
Liebknecht iteben, den sdioii frOher gesteUteii Antrag aof Wegfall des
Schnlgeldes von neuem eingebracht, der jedoch abgelehnt wurde. Bei der
Berathuug desselben sagte ein Abgeordneter, der ganz auf dem Boden der be-
stehenden Gesellscliaftsordnune: steht, „dass die Aufliebung des Schulg-eldes
nicht nur durchführbar uud möglich, sondern auch nur eine Frage der Zeit
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sei," wahrend ein anderer hervorhob, die GelialtsverhUltniss*' der Lehrer könnten
an vielen Orten giüistiger sein, weshalb er die Regierung bitte, „ernstlich nach-
mdenkeD, in welcher Weise beim nSchsten Luidtage in dieser Beziehung Än«
demngen eintreten kOnntoi." — B. In einer andern Sitsmig wurden folgende
Antr&ge des Finanzansschnsses zam Besch Inss erhoben: 1. Die Kammer' wolle
von den eingereichten IVtitionen diejenigen, welche darauf ererichtet sind, den
slAndigen Lehrern an den Gymnasien und Realgymnasien königlicher Collatur die
Staatedienereigenschaft gesetzlich za verleihen, auf sich beruhen lassen. 2. Das
Oesoch der stftndigen Lehrer an den Oyninasien nnd Bealgymnaaien königlicher
Collatur um Gleichstellong ihrer Pensioniverh<nisse mit denen der
Staatsili ener ist der königlichen Staatsregiemng zur ErwätTTin? zn fiber-
geben mit der Maßgabe, diese ErwÄgung auch auf die 1 eichst el hing aller
ständigen Lehrer an den VolkeBchulen, Realschulen, Seminaren nnd anderen
höheren Schulen, sowie der Oeistlieben za erstrecken. 8. Dorch diesen Un-
Ktand ist die Bitte des Allgemeinen Sächsischen Lehrervereins, fftr die Volks*
schnllehrer di»' Scala des Staatsdiener- TViisinnsgesetzes Geltnn? erlangen tax
lassen, als erledigt anzusehen. Nach allt dem dürfen die Lehrer in den nächsten
Jahren einer vortheilhaften Änderung sowohl des Dotations», als auch des
Pensionsgesetzes gewSrtig Bein. — 0. Ferner sttminte der Landtag einer
Regierangs-Vorlage zn, nach welcher die Beiträge der Lehrer zur Landes-
Lehrerpensionscasse, sowie zur Witwen- nnd Wnist lu-asse vom 1. Januar
d. J. an in Wegfall kommen. In gleicher Weise sind sämmtliche TVnsions-
beitrUge gleichzeitig den Geistlichen und schon früher den iStaatsdienern er*
lassen worden. Die Bdtrftge der Lehrer zn beiden Gassen betrogen durch-
schnittlich 1 des Gehaltes; immerhin ist die eintretende Erleichtemng fBUbar.
Und so könnf ii dif Lelirer mit dieser Maßnahme sehr zufrieden sein, umsomehrt
als sie durch dit sf lbe »'im' gewisse Gleichheit mit den Geistlichen und Staat«-
dienern eiTeichten! — D. Die meisten der zahlreichen Petitionen, in denen um
HemhsetBUng der gesetzlich bestdienden dreijährigen Fortbüdungssehulplllcht
auf 2 Jahre gebeten wurde, Hess man auf sich beruhen, etliche jedoch wurden
der Reo-ierung 7.nr Kenntnis überwiesen. — E. Ein von einem Arzte einge-
reichtes Gesuch um völlige Aufhebung der Icörperlichen Züchtigung
blieb unbeachtet.
Der Besuch der hierl&ndischen Lehrerseminare (s. Febmarfadl 1888)
hat sich seit 1885 fortgesetzt gesteigert. Dennoch kann der Bedarf an Iiehr-
kriUten noeli nicht vrillig» gedeckt werden, so dass es nötliig geworden, emeri-
tirte Lehrer und Candidaten der Tlieologie vereinzelt /,nr Aushilfsleistung
heranzuziehen. Bei diesem thatsäcliiichen Lehrermangel, der aber mit dem
in Pren6en z. Z. bestdienden nicht zu vergleichen ist, wird der Besudi der
Seminare thunlichst zu Hirdern gesucht. Neben dem vollständigen Parallel-
Seininar zu Dresden-Friedrichstadt wird nunmehr auch das Doppelseminar zu
Grimma (ein normales, eins für illterc aus anderen Herufskreisen übertretende
•Schuiamts- Aspiranten) mit i'arallelclassen verseben. Die solchergestalt ge-
steigerte Frequenz der Seminare (dieselben zBhlten 1885: 2241, 1886: 2262,
1887: 2387, 1888: 2422 und 1889: 2480 Zöglinge) lässt erwarten, dass
Nothbehelfe, wie die erwähnten, künftig nur in seltenen Fällen eintreten wer-
den. 1889 betrug z. B. die Zahl der mit Reifezeugnis vom Seminar Abgehen-
den 347, einschließlich 37 weibliche.
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Tn der Erkonntr\is. dass di> T'ntorrifli tsstatistik trotz vieler Ein-
'wäiide doch nicht uhue Bedeutung ist, haben die Uini»terieu de» Unterrichtä,
des Innern, des Krieges und der Finanzen soeben einen „2. fiericht fiber
die gresammten Unterrichts' nnd ErsiehnngsanstAlten im KQnIg-
reich Sachaen" veröffentlicht, nachdem schon 1885 anf Gmnd statistischer
Erhebungen vom l.December 1884 ein 1. Bericht heranspepreben worden war.
Die Erhebung erstreckt sich hauptsächlich auf den Zweck, die Organisation
und den Besnch der Scfanlen, femer anf den Schulanfwand nnd die Art
der Deckung dersclbeD, sowie anf die Lehr erstellen nnd die Bhnintlichen
Lehrkräfte. Der erste Theil des Berichts behandelt die dem ünterrichts-
niinisrerinm nnterstelUen Anstalten, niimlich die T'niversität zu Loipzier, das
l'olytechnicum zu Dresden, die Leliranstalten für allgemeine Bildungszwecke
(Gymnasien, Realgymnasien, Bealschalen, höhere Mädchenschnlen and Privat*
schalen mit hlttieren Unterriehtssielen), die BUdnogsanstalten Ar Lehrer ind
Lehrerinnen, die öffentlichen Volksschulen, die Taubstummenanstalten, die con*
ct^ssionirten Privatanstalten und den Unterricht durch HauslehrtT. TTirr sei
d»'r Kürze halber nur von der üniversitüt zu Leipzig einiges angeführt:
Die Zahl der Docenten betrug im Sommerhalbjahr 1889: 181, im Winter-
semester 1889/90 182, die Zahl der Yorlesnngen im erstgenannten Semester
407 nnd im letztgenannten 423. Die Zahl der Studirenden erreichte im
Soninierseraester 1889 die Höhe von 3322, darunter 1546 Sachsen, und im
Winterhalbjahr 1889 90: eine solche von 3453, darunter 1553 Sachsen;
außerdem haben im Sommer 87 und im Winter 86 Personen, ohne inscribirt
an sein, Voriesongen bemdit Bas letate Wintersemester hat nKdist de» Ttm
1883 84 die hSiditte BeenohsriiTer eneicht. Seit 1864/65 ist die Zahl der
Studirenden stetig gewachsen, und zwar um 251,fi3 Procent des damaligen
B*'Rtandes. Die geringste Zahl von Studirenden haben die Pädagogik und
die Mathematik aufzuweisen. Von Interesse dürfte noch der Unterlialtungs-
anfwand sein. Die Oesammtanigabe betrug 1440338,65 Mk., die Einnahme
402606,93 Hk., der Staatsznschnas dmnnach 1037 741,72 Mk. An Unteiw
StfttsnDgen sind den Studirenden zugeflossen: 107 758,13 Mk. an Stipendien,
48871,93 Mk. an Convictstellen. 1 031,63 Mk. an Freistellt n. 51 7 234,10 Mk.
betrugen die Besoldungen der Professoren und Lehrer, öl 7Ul,41 Mk. die-
jenigen der Verwaltonga* nnd GerlditsbeamtMi, 566611,02 beanspraehte der
Anfnrand fftr akademische Lehrmittel nnd Institute, n. a. f.
Der Handfertigkeitsunterricht, sofern er nicht innerhalb, sondern
außerlialb des Volksschulunterrichts betrieben werden soll, bricht sich mehr
nnd mehr Bahn. Der deutsche Verein für Kuabeuhaudarbeit, der be-
kaanlUdi in L e i ]• 2 i g ein Handfertlgkelts-Semlnar nntevidllt^ für «elcii«
anch der letste Landtag eine namhafte üntenttttanngasnmme bewilligte, wird
im Laufe d. J. mehrere Curse znr Ausbildung von Lehrern abhalten.
An dem O.sterlehrga ng betheiligten sich vorwiegend solche Schulmänner,
welche an geschlossenen Anstalten (Internaten) wirken, z. B. an Waisen-
häusern, Einderhorten nnd Bewahranstalten, an Blinden-, Taubstummen» nnd an-
dern Instituten, In welchen — nach meiner Ansicht — der HandÜertigkeitannter-
riehtseinen eigentlichen Platz hat. Im Juli soll sodann den norddeutschen, im
Ans-nst den siiddentschen und im Sei)t<Mnber den rheinischen Lehrern
Uelegeoheit geboten werden, sich an einem Cursus zu betheiligen, damit dann
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überall die Knaben sclmn in der bildung'sfähif^t'ii .lu^j^endzeit angeleitet werden
künnen, nach und neben dem ScUolanterriclit (der immer die Haaptsache
bleiben moMl) am SfihranbBtock und in der Werkstatt für Papparb^t oder aa
der Hobelbank nnd am Schnitstisdi Hand nnd Ange za fiben.
Die Schulreformbewegung hat auch in Sachsen Boden gewonnen:
schon seit Jahren besteht in Dresden eine Freie Vereinigung für Schulreform'';
jüngst bat »ich ein Verein für Schul-Reform gebildet, welcher dem großen
ndentKhenVereinlBrSdnKBelbnn*' znBerlin als Ortsgruppe Dresden beigetreten
ist In derconstitnirendenVersammlnng wurden folgende Gedanken geltend ge-
macht, welche hier wiedergegeben za werden verdienen, da sie von allgemeinem
Interesse sein werden, indem sie einen kurzen Rückblick auf diese
Bewegung bedeuten: Schon vor 20 Jahren begannen ernstliche Klagen
über den gegenwärtigen Schnlbetrieb und die damaligen Sohnlein-
richtungen; jedoeh erst Prof. Dr. W. Preyers Bede anf der Nator-
fonehenrenammlnng an Wiesbaden Uber »Natorforschung und Schule" führte
zu weiteren SchritteOi n, a. zn einer mit 23000 Unterschriften versehenen
Schulpetition an den preuiJisclien Unterrichtsminister Herrn v. Gossler. £s
folgte die Bildung zweier Schulreformvereine zu Berlin, des einen mit
Dr. Lange nnd Generalseeretllr Peters, des andern mit Prot Preyer nnd Dr.
Hugo Gering an der Spitze. Die Spaltung der Sdiulreformer in zwei Vereine
hat keinen sachlit hen (irniid. und es ist auch von Seiten des Preyer'schen
\ ereins („Neue deutsche Scliule") der Wunsch vorhanden, sie zu beseitigen. —
Ein fibexnsdiender Erfolg ward den ßeformbestrebungen dnrch die
Cabfnetsordre des Kaisers Wilhelm vom 12. Fehmsr d. J. ftber den Unterricht
in den Cadet^nhftnsern. Der Erlass enthält die wolerwogene nnd aus-
drückliche Willensmelnunp: des Kaisers, zniiitchst freilieh nur für die Cadeten-
anstalten; indes ist es blos eine Frage der Zeit und liet^t Jedenfalls auch in
der Absicht des Kaisers, daas die In dieser Ordre ausgesprochenen Grundsätze auch
anf die bttrgerliehen Schalen, namentlich die Gymnasien, Anweadniig
finden. Minister v. Gossler ist seitdem weit eher ein Begünstiger als ein
Gee:ner der Schulreform, und er hat bei der Berathnng des Cnltnsetats im März d. .1.
erklärt, dass man die „Berechtigungsfrase" des Einjähriß: -Freiwilligendienstes
jedenfalls ganz von der Schulfrage loslösen werde, und dass eineEnqnete-
Gommission Ton etwa 40 Personen einbemSm werden solle, nm Aber Sohal-
reformvr>rs( hläge zu berathen. UOge die Fi a^i- der Schulreform, der ja im
nPa'dagogium" eine fortgesetzte Anftnerksamkeitzngewendet wird, einer gedeih-
lichen Lösniip entjüregen geführt werden! —
Zum Schluss meines Berichtes will ich noch einer i'ersou Erwähnung
thnn: Job. Fried. Ang. Lansky, ein Hann, welcher aa der in den letaten
60 Jahren erfolgten Hebung des sächsischen Schulwesens und Lehrerstandes
großen Antheil hat und meist in Verbindung mit den Namen Berthelt, .Jäkel,
Bunieniiinn. Thomas, Petermann, Heger etc. genannt wird, trat ;uii 0. Januar l.J.
in den liuhestund; 1818 zu Dresden geboren, war er zuletzt daselbst Schul-
dfreetor, im Kai 1849, als JnLEeH Bedaeteor der Sftehs. Sehnlaeitnng nnd
Mitglied des Landtages 1848/49, in Dreiden erkrankte und starb, flber-
nahni Lansky die Leitung dieses Blattes. Die Lehrerschaft hat ihm zu
Ehruu eine Lausky-.StiftntiLr im Sächsischen Pestalozzivereine errichtet, als
dessen Vertreter Oberschuirath A. Berthelt au Lansky u. a. folgende Woi te
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richtete: ^Was Sie dunh Ihr reidig^eseffiietes, melir als oUjiihriires l«eiut'-
liches Wirken, wu.s Sie tVnier durch »-ine mehr als 25jährig'e Mitylieds< hat'r
im Vorstaude des Allg. 8. L.-\ . und seit über 40 Jahren als Sclirütleiter der
Sttcha. Sehnkeitang im Interesse des Lebrerstandes in Bezog auf erliSlite
Bdrafobildnng und Anerkennung der dem Stande gebürenden Stellnng im
socialen Treben, unbekümmert nm I.nb und Tadel, ^ethan haben, was Sie end-
lich durch die Erzeugnisse Ilirer poetischen Kegrabung*) zur rechten Feier
fröhlicher und emster N'orkommuisse im Lehrerleheu beigetragen haben, und
V. a. m. wird Ihnen in tausend Bensen eine dankbare Erinnernng sicheni! **
Aus Dresden. r>ie vor 12 — lö Jahren ins Leben gerufenen Schnl-
spareassen vcrlicirn iiiiiiicr mehr Ansehen und Anhilnger. Ein denken-
der Ko|)t erfand die .Sparniarke, und seitdem ist die Frage, wie schou die
schulptlichtige Jugend znr Sparsamkeit geftthrt werden kSnne, als* gelSst zn
betrachten. Die meisten dentschen Spareasaen haben bereits die Sparmarke
eingeführt; auch die liicnitrc Sjjarcasse hat zahlreiche Verkaufsstellen er-
richtet, wodurch es nun der Jnirend leicht fremacht i.it, kleine Ers|)arnisse
anzusammeln. Im April IbUU befanden sich unter den Einlagen der 4 Spar-
eassensteUen 5970 Sparmarken » also eis Betrag von 597 Hk. Es sind aber
aneh sehon Monate zn verzeiehnen gewesen, da die Einzatilnng in Spannarken
fut die Summe von 1()00 ^I. eireichte. UOge die Einrichtung, welche
pädagogisch wie volkswirtschaftlich gleich wertvoll ist, zu einer
überall, herrschenden, einer internationalen werden! —
Der lOOjfthrige Todestag Samuel Heiniek6*s (30. April 1790), des
BegrSnders dee dentsdien Taubstummen-Unterrichts, ist in allen deut-
schen Taubstunniien-Anstalten in entsprecli. iider Weise geiSaiert worden. Bei
der Feier der Ihesdner Anstalt entwarf \ icc.lii-. 11. V.. Stötzner. Leiter des
Beiblattes zur Allg. i). Lehrerzeituug: „Auz. f. d. neueste päd. Literatur",
ein lichtvolles Lebensbild des unter die Wolthftter der Menschheit zu zäh-
lenden Mannes. —
Nach dem FiDunzgesetze für 1800 91 werden dt ii ScJiulgemeinden 300
bez. 150 ilk. Zusciiuss für jede stäudifre bez. llilfslelu erstelle gewährt, wenn
die Uehiilter dieser Stelleu wenigstens 9ü0 und »iLKJ Mk. ausmachen und das
Schulgeld 5 Mk. jährlich nicht fibersteigt. Meie Schulgcmeiuden, welche
schon bisher ihren Lehrern jene Summen, also etwas mehr als das Minimum,
bezahlten, setzen nun zwar, um den Staatsbeitrag zu erhalten, das Schul-
geld auf f) Mk. lic(;i]), erhöhen aber nicht die Lehreitrchillte!-. obwol
eine Erhöliung derst lben angesichts der jetzigen Z' it verliältnisM' wUnschens*
wert ist und jedenfalls auch in der Tendenz der Regierung gelegen hat. In
Dresden erhalten die provisorischen Lehrer 1^00 Mk., die stftndlg wwdenden
1500 Mk., wovon jedesmal !>0<) Mk. als Wohnungsgeld zu rechnen sind.
Demnach — sagt man! — liegt kein Kechtsirnuid vor. die Gehälter zu er-
höhen. Es wird daher woi noch eine Weile dauern, bis es hier so schön wie
in Mauüheim wirdi —
In vielen Städten des Deutschen Reiches (Fraokftirt a. M., Berlin, Leip-
zig, Chemnitz u. a.) haben sich seit ungefähr 10 Jahren Lehrergesang-
•*) S. u. a. die Oedichtssmmlung: „Unser Wandel ist im Himmel'* (Leipaig,
JuUus Klinkhardt)
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— 806 —
vereine gebildet, welche durch ihre Leistuiigeu iu der luusikalischeu Weit
Beachtaug finden und demgemäß zur Hebung des Ansehens des Lehrerstaiw
des beitragen werden. Der seit 1884 in Dreiden beetehende L.-0.-V. hatte
am 2. Mai die Bhre, den Königi Hqj estäteii , welche nach moiuitelangem Anf*
enthalte soeben von dei- Riviera znriickf?ekehrt waren, ein Abendständchen
(unter Leitung des Musikdir. Prof. Osk, Wermann) zu bringen. Der \ <tr-
titasende gab dem Gedankeu Ausdruck, dass die Lehrerschaft iu patriuiischer
Geeinnimg dem fDr die Volkabildnng beMiytra König Albert, aowie der meaachen-
fireondlichen Protectorin de.s Sächsischen Pestalozzivercins, der Königin Carolai
sich 7A\ Dank \ » rpHichtet fühle. Se. Majestät antwortete auf die Ansprache,
dass ihm und seiner Gemahlin „die künstlerische D.orbietuug" des L.-G.-V.
„eine große Freude bereite''; iu dem uacli Beendigung der Gesänge geführ-
ten ISageren PriTatgespifioh, das hanptsfteblich mnaikalisch peraöidielie nnd
locale Angelegenheiten l erührte, äußerte sich Se. Majestät u. a. dahin, es ael
anzuerkennen, dass dir Lclirer. welche .,\vi»l ohnehin schon viel zu thmi
haben", neben ihrem Berufe aucli der Kunst ihr Inti ressi: zuwendeten. —
Wenn einer der mit Recht angesehensteu deutscheu i ürhieu eine reichliche
Stande Zelt findet, nm Lehrern somhören, nnd es nicht anter seiner Wfirde
liUt, sich längere Zeit mit ihnen zu unterhalten, so dürften aach manch
andere keinen aasreichenden Grand liaben, die Lehrer „bergetief " unter sieh
zu erblicken!
Aas Österreich. — Dareh Erlass des üntenrichtsministeriams vom
20. Jänner 1890 ist auf Grund der Vorlage des Landeeaassohnsses für Böhmen
eine größere Ziilil k. k. Bezirksschulinspectureii , welche dem Kreise der
"\'olks- und Bürgersehullehrer an^ehflren, ibnb Amtes vom 1. Milrz 1(S9U an
enthoben worden. Der Grund dazu war, dass der Nurmalschulfoud Böhmens
nidit mehr imstande sei, die SabstitatioDiBgebttr Ar diese Inspectoren ca be-
schaffen. Es werden deshalb non die Terwaisten BezirksschnÜnspectorenstellen
durch k. k. Mittelschulitrofe.ssoren, deren Substitutionsgebüren aus dem Staats-
säckel fließen, oder durch (Teiftliche. Apotheker, He/irksrichter u. s. w., tlir
welche Personen tiieilweise solche GebUren ganz „ei-sparf* werden, besetzt!
Dieser Vorgang wird sidi in der Folge ganz natürlich als ein arger
Missgriff erweisen; es ist nndenkbar, dass Inspectoren, dem Lehrpersonale der
^fittelschnle entnommen, oder gar aus Ständen stamnienil, die der \'olksschule
ganz tVeiiid gegenüberstehen und diese gleich Laien nur von auüen kennen,
die Arbeit des Volksschullehrers in gerechter Weise würdigen und beurtheiien
können.
Eiin Apothelrar, ein Geistlicher, ein BeiirkBrichter — k. 1l Bezirksschul-
inspector! Solche Fälle sind in Böhmen jetzt zur Thatsaclie geworden. Die
bezügrlichen Interpellationen im Reichstasre hatten W(d eine Antwort des
Uuterrichtsmiuislers zur Folge, die aber erstens nicht ganz klappte, und iu
VdUcBsehallehrerltreiBen idoht befriedigen konnte, weil die Lehrer am besten
wissen, dass nnr deijenige eine Arbeit richtig zn beortheflen Termag, der die
Arbeit selbst einmal gemacht hat. Die Lehrer Böhmens, namentlich die deutsch-
böhmische Lehrerschaft, hat sowol duich ihren Lande^lelirer-N'erein, als auch
in fast sämmtlicheu Zweigvereinen Kuudgebungen gefassst, welche diese \'er-
füguug als eine tiefeinschneidende und schädliche bezeichnen. Leider hört
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— 607 —
man die Stimme d« r Lehrci^chat't, ^ ataht in Österreich seit Jahrzehnteu so
in seiner Gresckichte, zu spät! —
Im Statthaltenigebftnde in Prag fand efaie Berathiug tob Vertreteni des
gesammten Sdudweseiis Böhmens nnter dem Vonitae des Statthalters statt. Zwsek
der Enrniete war, zn berathen, in welcher Weise das Schulwesen Böhmens auf
der Landes -Jubililnms -Ausstellung- am geeignetsten zur Ausstellung zu brinj^eu
wüxe und hiediuch die geeignete Grundlage zu gewinnen für die dem k. k.
Ministerium za erstattenden besfiglichea Antrftge. Znnftchat handle es sich
dämm , ob all« Kategorien Schulen bis anf die niedeisten ünteiriehtsstofen
herab die Ausstellung bescbicken sollen, was im Principe bf^fabt wurde. Mit
welchen Gegenständen und in welchem TTinfang-H sich jedoch die einzelneu
Sdinlkategorien an der Ausstellung betheiligeu bullen, wurde mit BücksicUt
daranf, dass fiber die für die Sdiiilaisstellung verfugbaren Bftnme noch Un-
Uariieit hemeht» einer spUeren Beachlnsstanng vorbehalten.
In einer engeren Conferenz der Vertreter des Fachschulwesens fand die
Berathung über die approximative Bestimmung des benöthia-ten Raumes und
Aufwandes statt Zur Durchfülirung der Vorbereituugsarbeiten wurde ein
engeres nnd ein weiterem Comlt6 gewählt —
Der Lehrermangel, bsMer gesagt, dw Unterlehrermangel, ist in Böhmen im
stetigen Stcli^eii bcg^rifTen. Die UnterlebrcrstcUcn an 2classigen Scholen sind in
manchen Bezirken fast alle iinliesotzt. Nirlit einmal n\ir einitremiaßen an einer
Mittelschule gebildete Aushili^krälte iinMrii sich. I>ir rnrrrlelirer mi\sseu eben
8 bis 10 Jahre, bie und da iu Städten uuch langer warten, bevur sie eine mit 100
bis 800 fl. dotirte Lehrenteile erhalten. —
Die Venammlnng des dentsch^fstenreichlMhen Lehrerbnndes wird stehetem
Vernehmen nach am ß, u. 7. August 1. J. in Böhmen, und zwar in der Stadt
Saaz tagen. In erster Linie war Znaira in Mithn-n in Aussicht genninmen.
Die Hauptversammlung des deutschen Laudeslelirer-Vereines in Bölimeu wird
im tanHanden Jahre entlhUen. Die VenammlQBg des dentsA'-liatwreicliiMAen
Lehrerbnndes sollte, nachdem sieh fai Znaim mit der Abhaltang dersdben
Schwierigkeiten ergaben, für heuer ausfallen, doch hat die von den Bischöfen
eingebrachte neuerliche Forderung auf Deniolirung der ;»8terreichischen freien
Schulgesetzgebung und Unterordnung der Schule unter die katholische Kirchen-
gewalt wieder die Gemlither der Freunde wahrer Volksbildung in Aufregung
gebracht nnd die Lehrer der OsterreiGliischen Schale nr Stellnngnahme gegen
solche Angrüfe anf Volkseniehnng nnd Staatsgmndgesetse veraolasst. Or.
Aus der Fachliteratur.
304. Warum ein kritischer (Geschichtsunterricht die „biogra*
phische Methode*' verwerftii mnss (R. D., Päd. Beform 1890, 5). „Will
die Kjritik ihre Anklage gegen die „liiographische Methode'* in wenige kurze
Sätze znsammendrJlngen, so sind es diese :Sie beschäftigt sich Überhaupt nicht
mit Geschichte, 8on<lt'rn mit Geschichten (und Sagen). Sie zieht die Schale dem
Kern vor. .Sie stellt Muster auf, die keine sind, für unsere Kinder keine sein
können oder dürfen. Sie fälscht die Geschichte. Sie verdreht nnd verhöhnt
die Natnrgeaetze.*
305. Das historische Moment im naturwissenschaftlichen Unter-
rieht (Aarganer SchnlbL 1890, 3). „Kein Unterrichtsfach scheüit so wie das
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— 608 —
der Naturwissenschaft gr^ iffnet. je nach Art der Beliandlnng entweder Stolz
und Selbstüberheboog, oder rahigen Math, gepaart mit Bescheidenheit, zu er-
zeugen." Hinweis auf die Leistniigen der Vergangenheit im LiteraaBe der
Pietät, Gereditigfceit mid Bescbeidenlieit dw Vertieftiiigr und Erweitenmg
(hinsichtlich des Fachwissens). „Sollte die Naturwissenschaft dem MateriaUamu
den Boden geebnet haben oder zn ebnen im IJegrifle sein, dann würde das er-
folgreichste Gegenmittel in der Verknüpfoug ihrer realistischen und objectiv
kalten Lehren mit geschichtliehen Momoiten (dem erwärmenden Allgemein-
menachUchen) liegmi.''
ROß. Reform des RechennpterrichteB (Pr, Drischel, Repert. d. Päd.
1890, III). Nur eiiie ungezwung-ene Verknüpfung des Rechenunterrichtes
mit den übrigen Fächern (nicht Spielerei and Künstelei wie in der Schale
Zillers). Behandlung der DecunalbrUche nach Steuer (Rechnen mit ganzen
nnd mit gebrochenen Zahlen in eteter Weehsdbesiehnn;, FortfBhmng der
Decimalbruclircclinnng in üoncentrisclien Kreisen). Beseitigung verschiedener
Aufgaben und Aufgabenpriuppen (die theils zu complicirt sind, tbeils den Anfor-
derungen des Lebens nicht entsprechen, z. B.: aus den Grundrechnungsarten
Aufgaben mit mehr als zweifadi benannten Zahlen; Bräche mit unbequemem
nnd nngebrftnchlichem Namen: Anlli;aben ana der Begeldetri, Zlna-, lOadiuiga-
nnd Terminrechnnng-, Kettensatz; Wnrzelausziehen.
307. Vom geometrischen Unterriclit (A. J. Pick, Osterr. Schulbote
1890, I, II). Uber den ei-sten geometrisclien Unterricht im allgemeinen und
die Entwickelang der geometrischen Grundbegriffe im besonderen. Verschiedene
Wege: 1. Der empiriache (ezperimMitelle) Nadiweis (an einer Anzahl Einnel-
Alle) fVr die Richtigkeit einer Behauptung — nur bei der Einübung zn be-
nutzen. — 2. Die ^'eranschaulichang der Wahrlitit bei vielen Sätzen an-
wondbai". — 3. Die synthetisch-katechetische Methode (durch Abfragen die
Mittel zur Führung des Beweises für die Richtigkeit des gegebenen Lehrsatzes
zn finden) — weitana am hinflgaten ansnwendoi. — 4. Die henriitiaehe
Methode ist — richtig: angewandt - - die beste und kann ftberall gewählt
werden: aber sie würde den Unterricht außerordentlich verlangsamen, wollte
man sich ihn-r überall bedienen. In Fällen, wo das zu Findende leicht er-
sichtlich ist, ist sie am Tlatze. („Thöricht wäre es, wollte man z. B. den
pythagoreiaohen Lehrsata von den SchfUem finden laaaen.")
308. Der physikalische Unterricht (R. Jünger, Deutsche Sehnlpr.
1890, 8. 9) ist auf die Erfahrungen der Kinder (die aus ihrem Zusamnien-
hauf:re nicht herausgelöst werden dürfen) zu gründen. Stoffe: physikalische
Individuen (Lampe, Ulcn, bounej, dabei auch chemische Erscheinungen zu be-
handeln. Anordnung nach der Schwierigkeit, nicht mit Bilckaicht anf das
System. Versuche als Prüfsteine der Wahrheit (ethiaoher Wwt). Die Kinder
betheiligen sich an der Erfindung der N ersnche.
3(.)9. Gedanken über den Unterricht in Irt indi n Sju iu hen f J. L.,
Freie iSchulzeitung 1889/90, 23). Lehrbuch = Ergäuzuugsbuch für die in ge-
mehaaamer Arbeit yon Ldirer nnd Sohiller gew<»nenen grammatiaehem Kennt-
nisse und bietet daher genügenden, sorgfältig anagewfthlten Stoff in einer
Form dar, die genau den Vorgflngen des Lemprocesses entspricht, damit das
Selbststudium (auch für den der Schtlle Entwachsenen) erleichtert, angenehm
und wirklich nutzbringend werde. Charakteristik des französischen Unterrichtes
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— 609 —
— anf UntenM: in den Veriwn anf er imd den HUftreiteit. — Mittel-
stnfe; in den drei nnteren Oonjngationea einechliefilich der nnregelmäBigMi
Verben — Oberstufe: in der ausführlichen syntaktischen Behandlung eines
Redetheils nach dem anderen. Aligemeiner Grundsatz: Wenig Regeln, viel
Beispiele.
810. Valentin Trotzendorf fL. Sturm, Schles. Scholz. 1890, 7). Alf
„Gedenkblatt zum vierhundertjährigen Geburtstage" wol geeignet. - Skiz-
zirang seiner Lebensgeschichte, seines Charakters and seiner A[ethodei letzteres
naeh dem Berichte seines Nachfolgers, des Magisters Tabornus.
311. Beformen nnd Proteste (Aügr. Dentaehe Lehrers. 1890, 16).
Etgeoattchtige FaohmBnner (Specialisten) haben in der SchnlreformA-age nicht
mitzureden, sondern nur Sclinlraänner, d. h. M&nner, „die neben vielseitigem,
gründlichem Wissen eine tiefg^eliende Kenntnis der Jugend ihr eigen nennen
dürfen". Die erste Stimme gebüre Endolf Uüdebrand, in dessen Werk vom
dentaehen äprachvnterrieht nSich dä> Qeist eines Peataloizi mit dem Jakob
Grimms zu einer wahrhaft nationalen Tliat verbunden habe". (Für diese dnrch-
aus richtige Bemerkung verdifnt Verf. alle Anerkennung. Zu tadeln aber ist,
dass er unter den Reformen ß;* lade die nothw endigste, dringlichste nicht be-
rührt: die Erziehung zur That, die von der modernen Schulbildung nicht nur
Twnachlttsslgt, sondern planmSfiig Tereitelt wird.)
'512. Der Kampf um die Schulreform (G. Holzmfliler, SSeitachr. f.
lateinlose hiih. Schulen 1890, I). Verf. ohanikterisirt verschiedene anf die
rmj^estaUunt;- der höheren Schulen abzielende Bestrebungen, im besonderen
die Eingabe, welche der von Lange, Peters und üeuossen geführte Verein für
Sdinlreform an den prenÜlBchen Cnltosminiater gerichtet. Diese Eingabe wird
praktisch als unwirksam erachtet, weil ein hinreichender Grandstock latein-
loser Schulen fehle. Letztere haben an sich genttgende Lebenskraft; de ver^
ziehten auf jegliche Berechtigungsjagd.
313. Der Mittelweg im Streite der Parteien (C. Spielmann, Hess.
Sehnte. 1890, 12). Geschickte Empfehlnng des niiparteiischen FondiaiB md
Prfifens. Der p^ldagogische lOttelweg ist »sehr, sehr schwierig''. Yert
glanlit, ..dass sieli zwischen Wissenschaftlern und Vulgaren eine große ge-
niäüit,'te Mitteliiartei bilden, die mit der Zeit sich über ganz Deutschland ver-
breiten werde und alles Gute, das ersonnen wurde und in der Praxis sich be-
wihrt hat, Tereinigt".
314. Herab nnd binanf (W. Walter, PÄd. Zeitnng 1890, 14). Tom
Herablassen und Hinaufziehen. „Die beiden Gesetze ergänzen sich. Eines
kann ohne das andere nicht bestehen. Sie stehen im Verhältnis des Bedingen-
den zum Bedingten. Das erste Gesetz gilt als/ Einleitung zum zweiten, wel-
chea Hauptgesetz ist. Die Theorie dea Herablassens gründet sich auf die
Psychologie, die Theorie des HinanlUehena anf die Ethik. In der PTaiia Tor-
Inlten rie sich wie Nüttel und Zweck. — Das Herablaasen gilt dem IndlTldamB,
das Hinanfziehen dem .Mimi<( lu n."
315. Die Durchführung der Schulclassen (A. Lomberg, Deutsche
Blätter 1890, 13). Bei Durchführung der Classen wird die Unmbe, welche
daa Nepe im Kinde erregt, vennindert (da der Lehrer nicht nen ist) — die
Nothwendigkeit dea „Einarbeitena* anf Seiten dea Lehrera hInfUlig — die
PwiaeotiwB. 1> Mktg. Haft IX. 48 '
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— 610 —
Fflhlang des letzteren mit dem kindlichen Geiste erhalten und verstärkt —
das Gesetz über Berücksichtigfang der Individualität erfüllt — die Zucht be-
deutend erleichtert — Krittelsucht auf Seiten der Sciiüler erstickt oder ver-
hütet — die Anhänglichkeit der letzteren an den Lehrer eine über die Schule
Uiiaiu daa«Ride. — (Dass schon durch ein anfrichtig gefBhrtes pftdagogicehea
Tagebuch und durch wrgfSlüg gezeichnete Charakterbilder der Lehrerwechsel
sehr viel des Misslichen verliert, verschweigt der Verf. Er scheint überhaupt
nur mit den ungünstigsten Verhältiiisseu rechnen zu wollen, — Beispiel: ^Der
Ltihrer, dem eine Classe nur auf die Zeit eines Jahres übei^eben wird, be-
achAfUgt deh in dleaer Zeit Cut anasdüiellich mit der Darcharbdtang dea
TOigeBdiriebenen Jahreapenamna und kdmmert sich in seiner Arbeit weder
im aeinen Vorgttnger, noch um aeinen Nachfolger.")
316. Pas Durchführungssysteni (Fr. Viergutz, Pomm. Blätter 1890,8).
Verf. beleuchtet die Nachtheile der reinen Durchfiihrtinir; er will sie nur für
drei- oder vierdassige Schulen gelten lassen; in mehr gegliederten Schulen
soll eia Lehrer dieselben Kinder 2 — 4 Jahre behalten. (Jn vielen Fällen könne
~- wegen einer grollen Zahl Zarflckgebliebener — von einem Fortfahren der
nrq^rttnglichen Claaae gar nicht mehr die Rede aein.)
317. Gesnndheitsregeln in der Schule (Schlesische Schulz. 1890,
5. 6). „Es pribt eigentlich keinen Uiitei richtso^efrenstand, der,. natnrgemUß ver-
nünftig, pädagogisch treu gehandhabt, nicht zugleich eine Lection in der Ge«
aondheitalehre «tra. Auch bei der AnateUnng beaonderer Sdiidftnte wird die
Ku^vertretnng der Schnlhjgiaie immer in der Povon und im ünteirichte
des Lehrers liegen. — Es ist unmöglich, alles hervorzuheben, was im Schul-
leben eine Anknüi)fung für Gesundlieitslehre bietet; die Anlässe sind oft auch
nngesuchte oder zufällige." — Belehrung über a) Erhaltung der Gesundheit;
Veranlaaauig: daa Scbiillebe& im ganten; — b) Heilung von Krankheiten,
Wegschaflhng fiilacher Heilmittel n.s.w.*, VeranlManng: besondere Etile, Ver-
letzangen, Epidemien n. ä.
318. Staatliche Anstalten für Stotternde (Fr. Kreutzer. AUg.
Deutsche Lehrerz, 1890, 14). In erster Linie für Arme. Ein Dutzend .An-
stalten mit einem üauptlehrer und einem Hilfslehrer würde für Deutschland
genügen. Auf daa beste „Lehrbuch mit Eriülrungen" wäre, eine Prämie za
aetaen; im EreiarichtercoUeginm bitten Sprachlelirer (diese als Leiter), Päda-
gogen und Ärzte zu sitzen. — Die gegenwärtig von einzelnen Gemeinden ver-
anstalteten ^Curee" seien ihrer Kürze (4 — 5 Monate täglich nur eine Stunde)
und ungenügender Lehikiäfte wegen zu verwerfen. — Über das Wesen des
Stottema. Kritik aa Gotamanna Lehrbttchem „Dm Stetten L tnid IL**
Empiehlnng der BroachUre von A. Fett
319. Daa Märchen in der Volksschule (R. D., Pldagoglache Rnnd-
Bchan 1890, TV). Abgesehen von der Phantasie, wirke es sogar auf die
Denkungsart veredelnd. Erfahrung an uns Erwachsenen selbst i P^inflnss der
„märchenhaften Stimmung" am Weihnachtsfeste). — Pflege der Märchen in
der Schule mit Behntsamkeit und ohne Übertreibung (sie dürfen nicht, wie bei
den Züleriaami, mdehmi für aUea aein). Weil sie mehr ala allea anders die
Phaataaie beleben, mitaaen aie den Spraehreichthnm mehren, die Beweglichkeit
des Stiles steigere.
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— 611 —
320. Die Robinsonade auf dem Gebiete der Pädag:ojrik (Ed. Ruft*),
Repertoriom der Päd. 1889/90, VI). Die erste, nrsprüngrliclie Robinsonude,
die erste Veraibeitang^ der Robinson-Idee im Dienste der I'ädagogik brachte
der SimpUdniniis (I. Bvfih). — Besiebangen cwiBcfaen Simplidsaiiiiiis —
Boblmon — Bonaseaa's Emil — Alban Stolzens „Spaniadiem für die gebil-
dete Welt".
H21. Zwei Lesebücher für mehrclassige Schulen (Th. Kirchberg,
Frankfurter Schulzeitung, 1890, 4. 5). Kritik im allgemeinen und besonderen,
lnuner MBond: FalwiMtioniwelBe — alberne Scheidnng in „Ausgaben für
evangelische nnd für katholische Schnlen." — Fsendo- Jugendschriftsteller (in
enfeer Linie Cnrtman, Krammacher, Franz Wiedemann). Viele schreiben fdr
Kinder, obwol ihnen Hauptbedingung zum .Tn^end schriftsteiler fehlt; Organ f&r
den Humor. Mit Recht warme Empfehlung Andersens.
322. Der deutsche Unterricht in Bnatland (S. Cidcalay 2Seitsehiift
fOr den deutschen Unterricht 1890, H). Die Sehnten in den OstseeproTimen
und im Innern Bossland. Der Petri- Paul -Schule zn Moskau ist eine ausführ-
liche Darstellung gewidmet; sie bildet eine Ausnahme unter den deutschen
Schulen. Im ganzen ist es nm letztere, ^ie um die FUege der deutschen
Sprache fiberhaupt, recht misslich bestellt (schlechte Lehrer, Unterriditabetrieb
ilan, Icein Streben na^ syradüiehflir Beinheit) — vaa freilich nnter der Begie-
mng eines Alezander IIL nicht befremden kann.
Pestalozzi fflr immer! In Commission der „Permanenten Sehvlana-
Bteltnog in Zürich" ist eine kleine Schrift (39 Seiten) erschienen, welche der
weitesten Verbreitung wert ist und namentlich der jüngeren Lehrergeneration
angelegentlich empfohlen sein möge. Das Bürhlein führt den Titel „Pesta-
lozzi-Feier in Zürich, den 12. Januar 1890"^ und enthlLlt einen kernigen
nnd schwnngToUen Prolog Ton J. C. Heer nnd eine Festrede vom Alt-
meister Dr. Heinrich Horf.' Die wenigen Blätter dieses Schriftchens geben
ein lebendiges Bild der nnvergttnglirhen Gi-oße Pestalozzi's nnd sollten anch
von denen gelesen werden, welche „nicht viel Zeit haben".
Ein Eaiserwort fiber Oeschichtsnnterricht Franz I., der Oemahl
Maria Theresia'a nnd Vater Josels IL, gab über die Erziehnng seines Sohues
n. a. folgende schriftliche (eigenhilndige) Instrnction: ..Die Historie soll meinem
Sohne Josef so tradirt werden, dass ihm ebensowenig die Fehler und Ubel-
thateu der Regenten, als ihre Vorzüge nnd guten Handlungen verschwiegen
werden. Hein Sohn mnss sich ans der Geschichte das Treftliehe merken nnd
sich gnte Grundsätze bilden; dann wird er dch flrihzeitig gewOhnen, die
Fehler der vorigen Regiemngen zn vermeiden. Und das wird gewiss von
gnter Wirkung sein." — Vergleiche: Franz Böhm, ^Kaiser Josef II. als
Reformator des üsterreichischen \ ulksschulwesens", ein vortreffliches, höchst
empfehlenswertes Schriftchen. (Znaim 1890, Foamier & Haberler. 21 S.
Preis 22 kr. = 40 Pi|r. incL Postversendnng.)
•) Eduard Ruft", einer der besten pädaKoyischen Scbriftsteller, tiel im Juli vor.
Jahres als FRnftmddreißigjäljriger einer tOdüschen Krankheit zum Opfisr. J6t Hegt
begiabea in sdnem Oebortsorte Zimmern am Fnfle des HoheazoUeni.
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^ Ö12 —
^Aiiek die Lehrerinnen mftsaen ihre eigr^nen Vereine and Zeit-
schriften haben." Dieser Satz in meiner Gedenkrede auf Diesterweg
(s. oben S. 558) hat, wie mir niiindlioli und brieflich mit^etheilt worden ist, in
Kreisen von Lehrerinnen sehr verstimmend gewirkt. Das thut mir leid, ich
kann es alier nicht Inden. Denn m den bekUgeninrartetten BSneheinongen
der Zeit gehSren meinen Enehtean die vidlhehen Spaltnngen in der dentacben
Lehrerwelt, deren eine eben die Absonderang: der Lehrerinnen von den Lehrern
ist. Ich besori^e von derselben sehr schlimme Folgen verschiedener Art, nnd
deshalb bedaaere und missbillige ich sie. Nimmt man mir dies Übel, so mnss
ich mich damit trösten, daas meine Wamnng anf langjähriger Erfobrnng beruht
nnd lediglich das beste des ganzen Lehrerstandes, besonders auch der Ldtrerinnm
zum Zwecke hat. Wer meine Grundsätze und mein Wirken kennt, wird mir
uii'hts anderes zutrauen. Aber davon kann ich nicht ab<jrehen, dass auch für
die l^elirerinnen Diesterwegs Mahnung gilt: „Lebe im Ganzen!" — Wozu
auch die Trennung? Eine Lehrerin, welche sich durch meine Äußerung schwer
gekrankt fBhlt, schreibt mir; „Ich erlaube mir, Ihnen einen knrzen Bericht
ftber den civtcn Lehrerinnentag: beizulegen. Sie werden daraus ersehen, dass
unser Ziel genau dasscllic ist, wie das des deutscht'n T^ehrf^rt as^es,
dass dieselben Fragen ln'i uns wi«; dort in Erwiie:nn;? genommen
werden." Wozu also die Trennung? Nun, dieselbe Lehrerin schreibt mir:
„Ansgeschloisen von den Verdnignngen nnd Arbeiten der männlichen Berafth-
genossen, haben wir Lehrerinnen uns zusammengethan, um in Gemein.scliaft und
ans eigener Kraft uns zu unserem Ziele emporzuarbeiten/' Abt i- ist dit^ses
> Ausgesclilossrn" »iiie ThatsaclieV In dem erwähnten lierichto rinde ich im
Gegentheile, dass die Vorsitzende des ersten Lehrerinnentages ausdrücklich be-
merkt hat: „Zwar ist es den Lehrerinnen vergOnnt, an den Versamm-
lungen der Lehrer theilzunehmen." Auch bin ich der Überzeugung, dass
die Lehrerinnen ihrer Sache besser dienen können, wenn sie dieselbe unter
Milnnern. st;irf nur unter sich vertreten. Im ganzen aber. d. h. bezüglich
aller Spaltungen im Lehrerstande, lehrt die Krfalirung, dass dieselben stetB
der Anfong von Fefaidsdigkeiten sind nnd zn einem gemeinscbftdlicben Sivali-
siren der Parteien ftthren. Dies kann nnr den Feinden der Schule nnd des
Lehrerst^indps y.w statten kommen. Ihre Losung ist: Divide et impera. Soll
nun der Lehrerstand selbst seinen Untenli iickrrn in die Hiinde arlit ittMi? Soll
er den beliebten Kunstgrift' unterstützen, dass man eine Partei gegen die andere
ansspielt, um sie alle zn schlagoi? — So wenig femer die Familienendehnng
gedeihen kann, wenn Vater und Mutter getrennt nebeneinander ihre Wege
gellen, so wenig wird es der Schule frommen, wenn sidi zwischen Lehrern nnd
Lehrerinnen eine Scheidewand erhebt.
Vielleicht kamt ich das hier nur an einer Stelle berührte Thema einmal
in wnitnran Umiknge beleuchten. Filr heute mochte ich nnr die gesammte dentsebe
Lehrerschaft eindringlich an das Wort erinnern: „Seid einig — einig —
einig!« — D.
▼•imtwofti. n«dftelMr Dr. Fri«<rleb Dittet. BMUnskerri J«li«t Kllnkhardt, Luipiif.
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«
Die Forderung des SMnfidnii intellectns und der Lehrerstand.
Fol» Fnf, Dr. JT. n'oha^ammer'MBnd^,
»Sacrifidimi iBteUectuB*, »Opfer der Veraonft^ ist eine Feide-
nng, welche der xeUgKieen oder irielmehr kinAUdien Orthodoxie allentp
halben mehr oder weniger elgenthfimlich m eein pflegt, insbesondere
aber in der nenesten Zeit mit yerstarlcter Energie geltend gemacht
wird. Am entsehiedeiisten, nachhaltigsten nnd andi eifblgreichsten
geschieht dies, wie bekannt, in der rOmiseh-kathoUschen oder päpst-
lichen Kirche, vom Papste nnd den Organen seiner geistlichen Hen^
whaft. Es kann nicht anders als sonderbar erscheinen, dass gerade
in unserer Zeit, wo der Gebrauch der menschlichen Vernunft in der
Wissenschaft die höchsten Triumphe gefeiert hat nnd feiert, wo das
menschliche Dasein durcli die Naturwissenschaft in so vieler Beziehimg
gefördert wurde, dem physischen lieben der Menschen nnd Völker so
große Vortheile erwachsen und ^o auch die Geisteswissenschaften so
viel für Humanisimng des Lebens geleistet und die Barbarei zurück-
gedrängt haben, dass. — sage ich, gerade in solcher Zeit diese Forderung
auf kirchlichem Gebiete mit solcher Dringlichkeit j^estellt wird. Indes
liegt die Erklärung hiervon ziemlich nahe. Gerade in der großen
Thätigkeit des menschlichen Intellects, in der energischen Entwickelung
desselben durch die freie Bethätigung in Wissenschaft und Leben er-
blickt man die größte Gelalir, wenn auch nicht für die Religion über-
haupt, so doch für den kircliliclien Glauben an die festgesetzten Dog-
men und Cultiishandlungen, sowie für die kirchliche Herrschaft über
die Seelen, für die Behanptimo: der kirchenregimentlichen Autorität.*
Da meint mau min, diesen Glauben und die kirchlii he Autorität nicht
anders retten zu können unter solchen Verhältnissen als dadurch, dass
man wirklichen Vemunftgebrauch aus diesem Gebiete ausschließt^ dass
man den GUubenss&tzen nnd der UrchUdien Antorität gegentUwr das
Opfer der Yemnnffc, d. h. gänzliches Verzichten auf eigenes FrttfiBn nnd
Urtheilen fordert, also nrtheilsloee Annahme der Olaahenssitse nnd
Uindgehorsame Unterwerfimg nnter die Antorität
Padagogiaai. U. JUkiy. Ball Z. 44
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Wenn wir Sacrificium intellectus als Opfer der Vernunft be-
zeichnen, so ist dies bei der schwankenden Bedeutung des Wortes
„Vernunft" nicht ganz genau; man muss unter intellectus mehr den
Verstand verstehen, d. h. das logische Vermögen des Menschengeistes,
Begriffe zu bilden (zu abstrahiren), zu urtheilen und zu schließen, also
überhaupt das Vermfigen zu urtheilen, da das Begriffebilden (Ab-
strahiren) auch nur durch Urtheilen geschehen kann und das Schließen
ebenfalls ein Urtheilen ist, wenn auch ein yermitteltes, complicirtes,
da drei ürthefle daza gehören, indem nftmlich ein drittes ans zwei
anderen durch logische Operation gewonnen wird. Ln Sacrifidnm in-
tellectus ist also gefordert gfinzUches Verzichten anf eigenes -Ürtheiloi
im Gebiete der Religion nnd des Idrcldichen Olanbens nnd ortheils*
lose ünterwerfiing nnter das, was die Autorität hierin yerkfindet nnd
zn glauben Torsebreibi
Und diese Fordemng, die Vemnnft zn optoi, d. h. auf eigenes
Forschen nnd Urtheilen im G^iete der Idrdilichen Beligion zn ver-
zichten, riditet sidi nicht etwa nur an das ungebildete Volk, das im
Drange der täglichen Lebensgeschäfte weder Zeit noch Kraft flbrig
hat, um selbstständig zu forschen, die Forderung richtet sich anch
nicht blos an die Kinder, deren Geist noch nicht entwickelt genug
ist, um prüfen und nrtheilen zu können, die daher ihi*e Vernunft einer
fi-emden hingeben und unterordnen müssen, — aber nicht, um in der
Unterwerfung urtheilslos zu verharren, sondern dieselbe möglichst frei
und selbststÄndig daraus zurückzuerhalten, — sondern auch die ge-
bildete Vernunft nnd die Wissenschaft selbst sollen dieses Opfer bringen,
d. h. sich selbst des Urtlieils begeben und der Autorität sich unbedingt
unterwerfen. Nun kann man dies allenfalls noch bei der sogenannten
theologischen Wissenschaft begreiflich finden, insofern die positive
Theologie speciell dazu bestünmt ist, im Dienste des Glaubens, von
welcher Art dieser auch sei. zu wirken, die festgestellten Glaubens-
sätze nicht etwa auf ilire Wahrheit zu prüfen, denn diese steht durch
den Glauben fest, sondern nur dieselben zu erklären, womöglich zu
vertheidigen und zu begründen. Ob dies möglich sei oder nicht,
ändert an dem Verhältnis nichts; denn sollte die Prflfhug ein anderes
Resultat argeben, als den bestimmten Glaubeossatz, so muss das wissen-
schaftUohe Resultat, mögen noch so viele oder sichere Gründe daftlr
sprechen, als unrichtig, als Irrthnm Terworfen und der unbewiesene
Glanbenssatz als Wahrheit festgehalten werden. Dass die wissen-
schaftliche Frfifiing ein abweichendes Resultat als Wahrhdt ergebe,
muss der Schwäche der menschlichen Ymwtt ttberhaupt oder ebem
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speciellen Fehler bei dieser Untersuchung, oder endlich geradezu einer
Eingebung oder Vorspiegelung des Teufels zugeschrieben und jeder
Zweifel an der Wahrheit „unterdrückt" werden. Die positive Theo-
logie also, welcher "Religion sie auch dienen mag, muss, ihrer Stellung
und Aufgabe gemäß, das 8acrificium intellectus bringen. — Aber die
Kirchengewalt fordert dieses Sacrificium auch von den übrigen Wissen-
schaften, von den Geistes- wie von den Naturwissensclmften: von der
Philosopliie Vor allem mit ihren verschiedenen Disciplineu, von der
Geschichte, der politischen, wie der Literatur- und (Kulturgeschichte
und nicht minder von den Naturwissenschaften, soweit sie in Beziehung
zu dem Ghiubeiisgebiet kommen. Von der Philosophie ist es ohnehin
bekannt genug; sie soll die Magd (ancillaj der Theologie sein, aber
ancii die Gesddcbte, insbesondm MMh die Einteigescbichte darf nnr
flolohes als geschehen, als Thatssdie beriehten, was den Interessen der
Kirehe und der Antorität gemftß ist, das flbrige hat sie mit Still-
schweigen zn ftbergehen oder nrnzadenten oder irgendwie za recht-
fertigen oder wenigstens za entschnldigen. Selbst in der politischen
Wissenschaft wird Unterordnung des Intellects nnter die Ansprache
der kircUichen Antoiitftt gefordert, wie denn z. B. alle politischen
Schriften, welche der OberfaeiTsdiaft des rOmischen Papstes Uber die
weltlichen Begienmgen Opposition machten nnd die SelbetstSndigkeit
des Staates vertraten, auf den römischen Index der verbotenen Bücher
gesetzt wurden und noch jetzt darauf stehen, — voran Dante's Schrift
über die Monarchie (de monarchia). Endlich auch den Naturforschem
wird zngemnthet, ihren Intellect den Dogmen und der Kirchengewalt
zn nnterwerfiBn, d. h. nichts als wissenschaftliches Forschung8)*e8altat
zu behaupten, was mit den Glaubenssätzen oder der heiligen Schrift
oder der Entscheidung der Kirchenautorität in Widerspruch steht oder zu
stehen scheint. Davon gibt die (rescliichte der modernen Astronomie Zeug-
nis, denn das Copernicanisclie System wurde von der Congregation der
Inquisition und des lud* \ für ketzci isch, der heiligen Schrift und also der
göttlichen Offenbarung widersprerhend erklärt und demtitmiäß kirch-
lich verworfen. Den Astrunonien ward daher zugemuthet, iliren In-
tellect nach den kirchliclien Bestimmungen zu richten, d. h. das < )pl'er
des Intellects zu brint^en. Die ganze moderne Astronomie mit allem,
was sich daran knüpft, die moderne Naturwissenschaft hätte niclit ent-
stehen kr>nnen und das Ptoloraäische Svstem wäre als Wahrheit in
Geltung erlialten worden, wenn die positive Theologie nnd Kirchen-
gewalt sich h&tte geltend machen können, wenn insbesondere der Staat
sich znm Werkzeug der Unterdrückung der selbstständigen Forschung
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Doch fei'ner hergegeben hätte. Ähnliches wiederholt sich in neuester
Zeit in manchen Zweigen der Naturwissenschaft, z. B. der Geologie,
Paläontologie und der daraus hervorgehenden Entwickelungstheorie
gegenüber.
Es ist begreiflicli, dass hierdurch, d. h. durch die Forderung und
Erzwingung des Sacrificium intellectus auch im Gebiet« der Wissen-
schaft, also durch Versagung der Freiheit der Forschung, nicht blos
aller Fortschritt in der Ek-kenntnis der Wahrheit, alle' Erweiterung
des menschUehen Wissens yerhindert, sondern geradezu die Wissen-
Schaft auch comunpirt, zom Scheunnssen verdorben, zum lUselieD
Wissen und Lehren genöthigt wflrde. — Abgesehen aber von der
Wissenschaft ^vird durch diese Forderung des Yenranftopfera der
Mensch nm seine hOdiste Kraft und deren Bethfttignng gebracht^
um das, wodurch er sich von den vemunftlosen Wesen unter-
scheidet, und gerade in Besag anf seine höchste Betfa&tigong und dem
höchsten Gegenstand gegenAber. Man Hordert das Saorifldnm inteUeetos
im Namen göttlicher Oibnbaamng und der Wahrheit, nm -diese znr
Geltung zu bringen und den Irrthnm zn vermeiden. Als ob für jemand,
der auf eigenen Vernunftgebranch, auf eigenes Urtheil verzichtet, es
noch eine göttliche Offenbarung nnd in irgend einem Gebiete Wahr-
heit geben könnte! Die Wahrheit, mag sie stammen, woher immer,
existirt nur für den Intellect und durch ihn; wer auf diesen ver-
zichtet, muss auch auf die Wahrheit selbst verzichten und auch auf
göttliche Offenbarung. Selbst die Scholastiker behaupten (nach Aristo-
teles), dass Wahrheit und Intellect sich gegenseitig correspondiren,
dass Wahrheit erst durch den Intellect zustandekomme. In der Tliat:
das real und ideal Seiende ist zwar auch ohne Intellect, wii'd aber
zur Wahrheit (im Sinne von Übereinstimmung des Denkens mit dem
Gedachten) erst dadurch, dass es erkannt wird, so etwa, wie die sach-
lichen Bedingungen der Töne zwar auch ohne Ohr schon da sind, aber
ohne Ohr nicht zu Tönen werden, so dass das Olir es ist, wodurch
Töne als .solche entstellen und ohne Ohr es auch keine Töne gäbe in
der Natur. So auch kann es ohne Intellect keine Wahrheit geben und
die Thaügkeit des Intellects hemmen oder verbieten, heifit die Wahr-
heit selbst unmöglich machen. Das Sacrifidnm intellectus fordern, be>
dentet also der Wahrheit gegenfiber so viel, wie die Forderung, im
Interesse der Töne sich die Ohren ni verstopfen; — iras ebenso einer
gOtllichen Offenbarung gegenüber sich verhilt, da eine solche nor
möglich ist einem Wesen gegenüber, das seine Vernunft gebraucht
Wenn im Namen der Wahrheit oder selbst Gottes das Opfer des In-
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tellects trefüiflert wird, so heißt das nichts anderes als im Namen des
Lichtes und dessen, was darin p:esehen werden kann, fordern, dass
man sich die Augen verbinde oder geradezu ausreiße, um besser, rich-
tiger zu sehen oder um nichts Unrechtes zu sehen oder um nicht Ge-
sichtstäuschungen zu erfahren. Wird für ein Gebiet, hier für das reli-
giöse, das Opfer der Vernunft, d. h. des Vermögens zu urtheilen, ge-
fordert und gebracht, dann gibt es in diesem Gebiete im Grunde gar
keine Wahrheit mehr, sondern nur Unterwerfung, blinden Ge-
horsam, wobei es dann ganz gleichgiltig ist, ob das, was in Unter-
werfung angenommen wird, auch wirklich Wahrheit sei oder nicht,
denn das Verdienst des Gehorsams ist ja dasselbe, ob das so An*
genommene wirklich Wahrheit sei oder nicht.
Daraus geht ten ein weiteres nothwendig hervor: Mass im
Glanbensg^jiet das Sacrifldiim inteUedoi getaistet werden und ist
«Im hier Frttfong and eigenes ürthefl oostatthaft» mn davon die An-
nahme des VerkQndeten abhängig zn machen, dann setst dies für die
Antoiität) die dies Opfier fordert, nothwendig physische Zwangsmittel
vorans. Denn wie soll man die Menschen zor Annahme des Verkltair
deten, zom Gianben deesdheD hringen, wenn anf geistigem, inteUectnellem
Wege dies nicht mehr geschehen kann? Trota allen Tadels gegen
andere Beligfonen, s. B. den Mohamedanismns, wegen gewaltth&tiger
Verbreitang nnd Behauptung däs Glaubens, hat daher auch die christ-
liehe Kirche in den verschiedenen Confessionen physische Machtmittel
Zürn Scliutze und zum Geltendmachen des Glaubens nicht verschmäht,
und insbesondere hat das Papstthnm stets den Staat mit seiner phy-
sischen Macht als weltlichen Arm für seine Zwecke, d. h. zum Schatze
des Glaabens, zur gewaltsamen Darchföbrong seiner Beschlüsse nnd
zor Verfolgung und Ausrottung der Gegner zu verwenden gesucht.
Dies gilt auch noch für unsere Zeit. In dem bekannten Syllabus
kirchlich verdammter Irrthümer von 1864 ist auch der Satz verworfen,
dass Jurche und Staat zu trennen seien. Indes ist dies nicht ganz
emsthaft gemeint; denn dass die Kiiche sich vom Staate trenne, ist
wol als zulässig angenommen, ja ist thatsächlich durchgeführt oder
gelegentlich geltend gemacht, da das Papstthum für erhaben über alle
Staaten gilt und Verträge, die es mit diesen schließt, nur als Gnaden-
sache gelten. Also: der Staat zwar darf sich nicht von der Kirche
trennen, wol aber die Kirche (das Papstthuroj vom Staate, daher die
Kirche beschließen und sich einrichten kann, wie sie will, ohne dass
irgend ein Staat etwas einzureden hat; dagegen im Staate darf nichts
angeordnet werden, wenn die Kirche nicht ihre Zustimmung gibt.
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Wie die Verhältnisse sich in dieser Beziehung gestaltet haben, zeigte
sich bei dem vaticanischeu Concil 1870. Während früher zu allge-
meinen Concüien die weltlichen Regierungen auch ihre Vertreter sandten,
z. B. noch bei dem Concil von Trient, wurden bei dem vaticanischen
Concil diese weltlichen Regierungen nicht vertreten, gleich wol aber
ward ?oii ihnen pftpstlicherseits gefordert/ dass sie die Beschlüsse
dieses Goneils: die Beschlltose sor Vernichtimg der freien Foi-schung
(24. April 1871) und das Dogma von der UnfbhUMurkdt des Papstes
duxebftbreD. Und zwar soll es geschehen, wie dies noch yor koraem
sich z. B. in Bayern gezeigt hat, ohne dass die BesdüHsse von der.
weltUehen Begienmg erst geprüft werden, um das zu Iteeht bestehende
königlidie Flacet zu erhalten. Das heiflt also: anch vom Staate wird
prüAmgslose UnterwerAmg, prIlflmgsloBer Gehorsam gefordert, indem
■er seine physische Macht der Kirche snr Yerlügnng stellt in Anwen-
dung Ton Zwangsmaßregeln; d. h. noch vom Staate wird das Saeri-
fleium intelleetas der Kirche gegenftber gefordert und ihm nicht ein-
mal im Ernste der vernünftige G^orsam (obseqoinm rationahfle) ge-
stattet, indem er etwa seine Action za Gunsten der Kirche von seiner
Prüfling abhängig macht! Glaubenszwang also nnd Hindenmg der
freien Wissenschaft zu Gunsten der sogenannten positiven Glaubens-
bekenntnisse und der Rechtgläubigkeit wird als Aufgabe der welt-
lichen liegierung (als brachium saeculare* betrachtet. Mehr oder we-
niger gilt dies von den meisten Religionsgemeinschaften mit ihren
Lehrsystemen und ihren Glaubensautoritäten. In hervorragender und
erfolgreichster Weise wird dies aber wiederum geltend gemacht von
der päpstlichen Kirche, die mit enieuerter Anstrengung dieses Ver-
hältnis und sogar in verbesserter Form — nämlich ohne selbst an
den Staat irgendw^ie gebunden zu sein, wieder zui' Geltung zu bringen
sucht. Die Methode ist: die weltliche Regierung soll das Volk und
die Wissenschaft zur Unterwerfung unter die kirchliche Autorität und
ihre Glaubenssätze und Befehle zwingen, so dass sie das Sacrificium
intellectus bringen müssen; sie selbst aber, die weltliche Regierung,
soll hinwiederum zu dieuar Art von Kachtbethätigung genöthigt werdOB
duirdi das Volk seihet mittels der Ausübung der politische Bechte,
welche die coostitationellen Verfhssungen gewähren; ^ da, wo die päpst-
liche Purtei die M^rität in den Kammern hat oder wenigstens Aber
eine Macht gebietet, mit wehsher gerechnet werden mus& Und zwar
soll, wie schon bemerkt, der Staat durch die Majorität der gläubigen,
ungebildeten Volksmassen und ihrer Tertreter genöthigt werden, seine
Machtmittel blindlings der Kirche zui* Verfllgung zu stellen, ohne
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prüfen zu dürfen, wofür eigentlich die Kirche sie verlangt, d. h. der
Staat selbst soll seinerseits durch die ungebildete Volksmenge, resp.
deren Vertreter zum Sacrificium intellectus genöthigt werden, um dann
durch seine Macht die Wissenschaft und die Gebildeten zu diesem
Sacrificium zu nöthigen. Es konnte für die päpstliche Kirche nichts •
Günstigeres gefunden werden, als die constitutionelle Verfassung und
die möglichst große Ausdehnung des Stimmrechtes auf die weitesten
und untersten Schichten des Volkes. Das ungebildete Volk wird vom
Clerns beherrscht und dieser steht in unbedingter Unterordnung unter
dem kirchlichen Oberhaupts und hat nneh desaen Weisung auf das
Volk in aUen Beiieliiingen zu wirken. So ist es i. B. in der neuesten
Zeit mfig^ieh gewwden, dass in der rOndBch-katholiachen Kirche das
Oberhaupt die Austtbongr der durch den Liboralisanis den Volke er>
rungenen politischen Bechte in hohem MaBe Ar seine AnsprQche gegen
die weltliche Regierung auid)euten konnte. Ein hervorragendes Bei-
spiel lieferte in neuester Zeit gerade Bi^em, wo die ultramontsne
Partei in der Kammer die M^orit&t besitst, wenn aueb nur mit ein
paar Stimmen. Schon die Wahlen werden nach den Wünschen und
Weisungen des kirchlichen Oberhauptes in hohem Hafte beeinflussti
wflhrend die weltliche Regierung eifersfichtig überwacht wird, dass
sie keinen nnconstitutionellen Einfloss dabei ausübe-, und die Kammer-
beschlüsse selbst werden unter Führung der zahlreich gewählten Mit-
glieder des Clerus den Ansprüchen dieses kirchlichen Oberhauptes
gemäß gefasst, nicht etwa in untergeordneten, weltlichen Angelegen-
heiten, wovon auch das Volk etwas versteht, sondein in den höchsten,
wichtigsten Angelegenheiten des geistigen Lebens und der wissenschaft-
lichen und künstlerischen Thätigkeit, wovon die Mehi-zahl, aus ungebil-
deten Männern bestehend, nicht das mindeste Verständnis hat. Man kann
sagen, diese Majorität steht auf dem Standpunkt des päpstlichen Ab-
solutismus, dem sie dient, nicht auf dem dei- constitutionellen Ver-
fassung bei der V' erwendung üirer politischen Kechte. Das Papsttlium
kann auf diese Weise die politisclien Rechte und Freiheiten der Völker
gleichsam für sich in Beschlag nehmen und zu seinen Gunsten aus-
beuten. Das Volk muss zunäclist sich des eigenen Urtheils begeben,
das ohnehin in den geistigen Dingen schwach genug ist, muss in
seiner Gläubigkeit in gehorsamer Unterwerfung das Sacrificium in-
tellectos bringen; durch Ausübung seiner politischen Bechte soll dann
der Staat sur ünterweitog' unter die Kirche, zur prttfongslosen, ge-
nuthigt werden, also ebenlhlls sum Saerilldnm intellectns, und dnreh
den Staat soll dann die gebildete, forschende Vernunft und die Wissen-
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Schaft selbst zu diesem Sacrificium gebracht, die Freiheit der Forschung
vernichtet werden. Es ist, wie man sieht, Methode in der Sache!
Ebenso klar ist aber auch, dass, wenn damit voller Ernst gemacht
und in möglichst umfassender Weise in dieser Richtung weiter ge-
gangen wird, damit der Weg zor Barbarei .^orttck beschritten ist;
tan diese, mius ümner wieder eistreton, weatk dk ungebildeten Hassen
den Gfebfldeten und der Wissenschaft GeeeUe vorschreiben, ihren
Willen and Unverstand ao&wingen nnd Vemnnft und Wissenschaft
in ihrer Entwiekehmg henunen. Oanz gelingen kann das Unternehmen
immerhin jetst kaum mehr vollkommen; denn ein Volk, bei welchem
dergleichfin dnrchgefllhrt würde, kannte alsbald die Ooncorrens mit den
anderen, tnaen Vdlkem nicht mehr bestehen nnd müsste verkfkmmem
nnd seine Bedentong nnd Selbststfindigkeit verlieren. Aber theQweiser
nnd bis zn einem gewissen Grade kann das betreifende Volk immer
noch schwer geschädigt werden, wenn dnrch die Kenntnis- und Urtheils-
losigkeit der Majorität des nngeibildeten Volkes die hierarchischen Be-
strebungen Erfolge erringen.
1ji welchem Verhältnis nun diese Forderung des Sacrificium in-
tellectus zum Lehrerstand stehe, ist aus dem Bemerkten unschwer zu
erkennen. Ist das Sacrificium intellectus ein holies Verdienst für den
Menschen, ist das Opfer der Vernunft die Gott wolgefalligste Gabe
und die Offenbarung der Wahrheit sogar zu diesem Zwecke gegeben,
so sollte eigentlich alles geschehen, um dieses Opfer zu erleichteni
und dadurch dem Volke in umfassendster Weise zu diesem großen
Verdienste zu verhelfen. Die Geschichte der lieligiunen zeigt ja durch-
aus, dass, je mehr die W^issenschaft sich entwickelt und die Bildung
zunimmt, umsoraehr Gefahren für den altherkömmlichen, überlieferten
Glauben entstehen, umsoweniger Bereitwilligkeit besteht, sich den ti-a-
ditionellen Autoritäten und religiösen Satzungen zu unterwerfen nnd
sie blindlings zu glauben, — also das Sacrifidnm intelleetns zn bringen.
Dieser Brfhhmng gemftß mflsste es also als das Beete erscheinen, das
Volk ganz nngebildet zn lassen nnd alle wissenschaftliche Forschnng
m yerpOnen. Höchstens mochte soweit nnd zn dem Zwecke zn unter-
richten sein, nm einigen geistigen Verkehr zn ermöglichen, wie ihn
die Briei^^osten besorgen. Man wendet vielleicht ein, dass es sich ja
nnr nm das religiöse Gebiet nnd nm Glanbenssachen handelte. Allein
die Grenzen shid schwer zn bestimmen nnd sind bewefl^ich je nach
der Ansicht nnd dem Willen der geistlichen Antorittt; daher kann
dieses Vernnnftf^ftr gelegentildi gefordert werden in Angelegenheiten,
die dnrchans nicht als geistliche oder kirchliche erscheinen. Wozu
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hat in früheren Zeiten nicht die Excommunication dienen müssen, die
doch eine rein kirchliche Maßregel und für moralische und dogmatische
Angelegenheiten bestimmt war! Nicht blos die Unterwerfung der
Fürsten bezüglich ihrer souveränen Gewalt sollte dadurch erz^^^mgen
werden, sondern selbst ganz weltliche Geschäfte und Dinge wurden
zu Gunsten der Kirche oder des Clerus unter den Schutz der an-
gedrohten Excommunication gestellt. Ks könnte daher wol sein, dass
gegebenen Falles, bei günstigem Verlauf der hierarchischen Bestrebungen
* das ganze menschliche Witten, die ganze theoretische Forschung und
aeibet snrn Thefl das pnktiBche Leben unter das Zeichen des Sacnficiom
inteUecstiiB gwtdlt wOrde.
SoU dies nieht geadielieD, loil es den energisehem SteebmigeD der
Hierarchie und ihres ndlchtigeo Anhanges gegenflber verhindert werden,
80 mnaa eine sehr entschiedene Abwehr und Gegenwirkung statt-
finden. Und wem liegt diese mehr ob and wer ist geeigneter dam,
als der gesammte Lehrerstand, dessen eigenstes Gebiet wie Recht die
, Bethfttignng and Bfldnng des IhteUeets nnd der anbescfarftnkte Ge-
branch desselben ist? Wer sonst soll sidi der armen Vemanft ihren
Gegnern nnd Bedrftngeni gegenflber annehmen, wenn sie in EJrlassen
und auf Kanzeln nnanfhörlich verdächtigt, herabgewürdigt, geschmäht
wird, als der Lehrerstand durch alle Stufen hindurch? Ihm liegt es ob,
nnaofliGrlich geltend zu machen, dass diese Vernunft vom Schöpfer
gegeben sei nicht zur Opfenmg und nicht blos für die kleinlichen
und für die blos äußerlichen Angelegenheiten des Lebens, sondern auch
und ganz besonders für die höchsten und wichtigsten desselben, auch
die religiösen. T^nd er muss fest darauf bestehen, dass es falsch sei.
dass sich der Mensch in allen gewöhnlichen Dingen mit seiner voUeu
Denk- und Urtheilskraft bethätigen dürfe, nur aber in dem horlisten
Gebiete, Gott gegenüber, sich wie ein vemunftloses Wesen verhalten
müsse. Für dieses ist ihm doch im Gegentheil das apostolische, christ-
liche Wort gegeben: Prüfet alles und das Gute behaltet; — ein Wort,
das nicht etwa blos für die zum Prüfen wenig geeignete Vernunft des
Ungebildeten gilt, sondern wol vor allem für die gebildete, wissen-
schaftlich forschende Vernunft. ~ Der Staat wii'd wol nicht anders
können, als den Lehrerstand in diesem berechtigten, unbedingt noth-
wendigen Streben zu unterstützen, sei es auch nur um der eigenen
Sidiemng, nm der Selbstbehauptung willen, an der er durch den
hierarchischen Ansturm genSthigt ist, der um so mächtiger nnd ge-
fiOulicher wird, je größer die Hasse derer ist, die YollstAndig unge-
bildet sind, oder die im Interesse bestimmter Strebnngen mit Bewnsst-
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sein und Willen das Sacrificium intellectus gebracht haben. Der mo-
derne Staat und die moderne Wissenschaft und Civilisation werden
ohnehin immer zusammen genannt als gemeinsame Producte der ver-
derbten und verkehrten menschlichen Vernunft, wenn von den kirch-
lichen Machtbabern die Schlechtigkeit der ganzen Welt, soweit sie sich
Tor ihBon nicht beugen will, geseholtai wird — was, wie bekaaat,
nicht gar ra selten, uni nicht m sagen unaofhArlich geschieht Man
meint wol im Ernste, Beüigion nnd Glaaben nicht retten m Jcflnnen
ohne ToUständige ünterwerfimg der Gl&nbigen unter ihre geistliche'
Obrigkeit, ohne ▼(^Uige Beditloaigkeit im religiösen Gebiete, die eben
im Sacriflctnm intellectas zum Ansdmck kommt, nnd vermeintlich Qott
gegenflber stattfindet, wfthrend es doch nnr ron Menschen mit d)en^
falls beschrinkter Yemonft gefordert wird. So glaubte man früher
im Hans- und Staatswesen ohne Sdaven nicht aaskommen zn kflnnen,
wie ja auch Aristoteles diese Ansicht mit aller Entschiedenheit rar .
Bechtfertigong der Sclaverei vertritt Jetzt ist dieser Wahn ver-
schwunden; es wird ähnlich mit der geistigen, religiösen Sclaverei er-
gehen und sich zeigen, dass Beligion und Frömmigkeit aach ohne
sie bestehen kann.
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In Saeliei des Monlmtemelites.
'Veranlasst durcli den im Decemberheft 1889 dieser Zeitschrift
erschienenen Aufsatz „Zum Moralnnterricbt'* hatte ich schon im Januar
nachfolgenden Aufsatz geschrieben, jedoch, wie ich es gewDfanlidl thne,
eine Zeitlang beiseite gelegt, um ihn später mit mehr objeetiTMi
Augen wieder durchzulesen und in amendirtar Form der Bedaction
des „Psedagogium" einzusenden. Warn in ebenerwähntem Artikel der
Moralnnterricht In der Sehlde als eine Yeriining des Geistes dar^
gesteDt "Wird, so konnte diiae doeh nicht das letzte Wort in dieser
Sache .bleiben. D» lc3i mm schon seit Jahren dieses Thema zom
G^egenstand - meines Stidimns gemadit und mich sogar der erwähnten
Geistesverimmg schuldig gemacht, indem ich den Horaluiterrieht
nach einem Ton mir selbst anl^estellten Moralkatechismus in meiner
Emehnngsanstalt eingeführt nnd mit Erfolg betrieben hatte — so
glaubte ich in dieser Sache anch ein bescheidenes Wort sprechen zn
können. Nmi bin ich sehr erfreut, dass im Aprilhefte schon eine Ent-
gegnmig auf den besagten Artikel im Decemberheft erfolgt und die
Einführung des Moralnnterridites doch wieder za Ehren gekommen
ist.*) Mein Aufsatz wäre nun eigenüich überflüssig, aber ich denke,
si duo ÜAcinnt idem, non est idem, und wage mich daher mit meinei-
Arbeit ans Licht, weil ich doch noch einige andere Seiten in der
Sache beleuchtet habe.
Die in eine neue Phase getretene Arbeiterbewegung hat immer
mehr einen internationalen Charakter angenommen und hat sich mit
dem Socialismus in eine gefährliche Verbindung gesetst Dies, zu-
sammen mit der schon so viel&ch beklagten aUgemeinen Slttenver-
deitmis, weist auch auf die Nothwendigkeit, für die Zukunft eine
gründliche Bmedur «ninbahnen, als welche ich die Einführung des
Konbmtenichtes in die Schulen ansehe.
T«fgleicbe auch die Axbeit tob Wjn im Junihefte.
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Nachdem die bekannten ICaigeeetae so gai -wie begraben sind,
hat der Goltnrkampf einige Zeit nnter der Asche geglüht Bs hat
den Ansdiein, als ob er im dentsdien Reichstag wieder aufleben sollte»
wenn das Oentrom seine alten Anträge anf Wiedererlangung des Mr
heren Einflnsses anf die Scholen emenert Znm Glftek sind diese An-
träge, infolge des ftr das Centmm gttnstigen StimmverhgJtnisses, so
maßlos, dass eine Annahme derselben keine Aossidit anf Erfolg
hat Wir wünschen und hoffen, dass die Schalen nicht preisgegeben
werden, was wir aber noch sehnlicher hoflfon, ist, dass den Regieningen
endlich die Aug^en darüber aufgehen mögen, dass ein Compromiss
zwischen Staat und Rom ein nutzloses Bemühen ist, dass gewisse
Dinge sich nun einmal nicht mischen lassen, dass man sie daher ge-
trennt halten muss. Der Culturkampf ist nun auf das Schulgebiet
übertragen, und er wird kein Ende haben, bis man entweder alles
preisp^eben, oder das Kirchliche ganz von der Schule trennen wird.
Wii' hoffen und glauben fest, dass einmal das let2:tere ^^eschehen muss
und wird. Die Schule muss confessionslos werden, und statt der
Dogmennioral muss ein für alle Menschen g'leich verbindliche!: christ-
licher Religions- und Moralunterricht einpefiilirt werden. Das ist nur
eine Frage der Zeit, deren Lösung einmal kommen muss, wenn das
moralische Weltenrad nicht stille stehen soll. Zu dieser Lösung
drängen die Zeitverhältnisse immer stärker. Der ( iilturkampf, die
Arbeiterfrage, der Socialismus, die allgemeine sittliche Zersetzung in
allen Schichten der G^eUschaft sind eine sociale und internationale
Krankheit am Leibe der Menschheit, welche die Staatenlenker emstlich
anflfordert, die wahren Ursachen dieser Erscheinnng an&udeeken nnd
eine HeQnng von innen herans anzubahnen. Die znr Linderung des
Nothstandes der arbeitenden Glasse in Berlin berathenen ICafiregetai
süid nnr Pflaster anf die Wunden, aber keine grOndüche Heilmig.
Man geht sehr gründlich zu Werke, wo es sidi darum handelt, k(tr-
perliche Krankheiten epidemischer nnd contagiOser Art Tersehwinden
zn lassen. Man muss sich wundem, dass man den sittlichen Krank-
heiten nicht besser nachspürt und zn Leibe geht Wenn man zugesteht,
dass die sittlichen ZnstAnde der menschlichen Gesellsdiaft efai F^er
der Erziehung sind, so kann man doch mit Beeht fkragen, wer für die
sittliche Eiziehang yerantwortlich ist, und muss sich die Antwort
geben, dass es teilweise die Schule ist. Der Staat hat sich bisher damit
begnügt, die sittliche Erziehung in den Schulen dem conflessionellen
Bdigionsunterricht zu überlassen, nnd meint, damit sei genügend für
die Sittlichkeit gesorgt. Wenn der BeUgUmsunteiricht seine Angabe
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richtig anfasste, wäre allerdings schon viel erreicht, aber dem ist nicht
so. Der confessionelle Religionsunterricht stellt die Dogmen in den
Vordergrund und vernachlässiprt die Moral. Aber auch die confessio-
nelle Moral selbst reicht für die Volkserziehung nicht aus; sie ruht
auf sehr verschiedenen Grundlagen und kann deshalb keine einheit-
liche sein. Mit einer solchen Moral ist dem Staate niclit g-edient. Es
ist nicht zweckmäßig, den Gehorsam gegen die Staatsgesetze und die
Befolgung einer allgemein verbindlichen Moral aus confessionellen
Gründen in Frage stellen zu lassen. Dieser ÜT)elstand ist gerade
durch den Culturkampf ins hellste Licht gestellt worden. Die Moral
der Schule muss vom Confessionellen losgelöst und mit dem Menschlich-
religiösen verknüpft werden. Der Staat, der doch fiii- die Erziehung
des Volkes zu sorgen hat, muss auch fiii' eine allgemeine Staatsmoral
sorgen; er kann sich dieser Forderung nicht entziehen. Die allgemeine
Gesetzgebung reicht dafür nicht aus. Die Pflicht der Selbsterhaltung
fordert mehr. Die Weltgesdiichte beweist, dass ein Staat, der die
Gesetze der sittlichen Weltordnnng anßeracht lässt, frOh oder spät zu-
grunde geht Wenn die geseUschafOiche Zersetzung so fortwächst,
wird die staatliche Ordnung emstlich bedroht, und es werden noch
bedenkliche Convulsionen zu erwarten sein. Um dies (Ar die Zukunft
zn vermeiden, sorge man recht bald fttr eine ordentlidie moralische
Erziehung in den Schulen. Leider ist dazu wenig Aussicht, so lange
die Beglements* oder Bureanpftdagogik statt der wissenschaftlichen
Vemunftpädagogik in den jSchnlen bestehen bleibt. Es muss anders
werden, es mnss eine Zeit kommen, wo der Confeesionalismns dem
Humanismus Platz macht, wo in den Schulen keine confessionell ge-
Knuten Kinder, sondern einerlei Menschenkinder sitzen. Die Schäden,
• welche in der fehlerhaften Erziehung ihre Quelle haben, können auch
nur durch eine verbesserte Erziehung wieder verschwinden. Für diese
Fehler sind weniger die Lehrer anzuklagen, als das System, die
leitende Pädagogik, unter der die Lehrer selbst erzogen sind. Der
beste Lehrer kann nicht viel an der Moral thun, wenn ihm dafür in
der Scliule kein Raum gegeben ist. Auch denken die Lehrer ge-
wrihnlich, die Moral sei Sache des Religionsunterrichtes, und so kommt
es, dass wenig oder gar nichts geschieht. Manche sind auch der An-
sicht, dass das Haus und die P'amilie für die moralische Erziehung
sorgen, und da die Familien ihrerseits die Sache wieder auf die
Schule und den Religionsunterricht schieben, so kommt schließlich
alles auf diesen an, und — man sieht kein Resultat.
Der sittliche Mangel tritt uns in allen Lebensschichten entgegen,
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in den unteren offianer, in den oberen, der sogenannten guten Gesell-
Schaft, versteckt er sich unter äaßei*em Schliff und anständigen Fomeo.
Man sehe sich um bei den Lehrlingen, Gesellen und Arbeitern aller
Art» wie es mit den Eio:e!ischaften, die zu einem ordentlichen Menschen
gehören, bestellt ist. Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit,
Pflichttreue, Sparsamkeit, Ordnungsliebe sind Ausnahmen. Die Regel
ist Lüge, diplomatische Verstecktheit, raffinirte Übervortheilung, Nach-
lässigkeit im Dienst, Unlust bei der Arbeit, Selbstsucht, Gennsssttcht,
unnöthige Geldverschwendung für Tabak, Schnaps, Kartenspiel etc. —
und das alles wii'd gar nicht mehr als ein Fehler empfunden, das ver-
steht sich ja g&nz von selbst. Diese unordentliche Lebensfülirung ist
eine Hauptursaehe der internationalen Arbeiterbewegung und des Socia-
lismus. Es mag ja vieles Berechtigte in den Forderungen in Bezug
auf Lohnerhöhung? und Verminderung der Arbeitszeit sein, aber selbst
die Bewilligung aller dieser Forderungen wird das Übel niclit hellen,
wenn man die Leute nicht zu jrleicher Zeit moralischer, d. h. mäßiger,
sparsamer, ordnungsliebender nuu hi. Dieselben werden den Überschuss
an Zeit im Wirtshause verbringen, den Zuschuss an Lohn weniger
auf die Verbesserung ihrer allgemeinen Lebenslage, als auf unnütze
Nebenausgaben verwenden; sie kommen dämm nicht besser mit ihrem
Lohn ans, die ünznfiriedenheit wird bleiben und zn immer neuen For-
derungen antreiben: Man sieht von der Sache kein Ende. Könnte
man mit einem Schlage die Menschen ordentlich nnd sittUdi machen,
so dass sie ihr VergnQgen im Znsammenleben mit der Familie, oder
in ihrer eigenen geistigen Fortbildung .suchen würden; dass sie die
Groschffli, welche sie sonst verrandien, vertrinken nnd verspielen, auf
die Sparcasse legten, dann würde man die sociale Frage bald gelOst
haben. Aber die Leute leben in den Tag hinein, sie meinen, das
Leben gehöre sich so. Hätten sie schon in der Schule die Lehren
der Wirtschaftlichkeit aoi^nommen, hätten sie gelernt, wie man es
machen mnss, um weniger auszujreben als einzunehmen, dann stände
es viel besser. Einzig nnd allein die moralische Eichung in Schule
und Haus kann dne bessere Zukunft anbahnen. Alle sittlichen
Tugenden müssen in der ersten Jugend gelernt werden, sie kommen
nicht von selbst.
Man sag-t zwar: „Der Relig-ionsunterricht lehrt ja alle diese
Tu^^enden." Ja — aber warum fehlen sie denn dem Volke? — Der
Keliirionsunterricht hätte ;,'-ewiss Zeit und Gelef^'-enheit, eine das Leben
bestimmende Moral zu lehren, wenn er sich die Sache angelegen sein
ließe, wenn er uicht seine Zeit mit audereu, von der Moral weit ab-
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liegenden Dingen verbrauchte. Er will die Menschen znm Himmel
vorbereiten, und versäumt mittlerweile, sie zu einem guten Leben auf
der Erde zu befähi<^en — Man hat wol gesagt: „Es muss mehr Beli-
giou in die Schulen hiueinkoinmen!'*
Nein — es sind zu viele Religionen in den Sohnlen, es muss nur
eine Religion und eine Moral in die Schulen hineinkommen.
"Wenn aber auch im Religionsunterricht confessionelle Moral ge-
lehrt wird, so ist diese doch von der Moral, welche unseren Schiüen
Lütlithut, sehr verschieden. Wenn überhaupt mit confes.sioneller
Moral etwas zu leisten wäre, so hätte diese doch aucli schon sicht-
bare Früclite tragen müssen. Aber davon ist niclits zu selien. Der
ganze kirchliche und geistliche Apparat ist zu sehr in Misscredit ge-
rathen, und durch diese Canäle ist im Laufe der Zeit so viel Schmntz-
ynamt gdanfen, dass man kein Zutraaea mehr m da* Lauterkeit
. derselben hat
Was Ar eine Moral soll man denn in den Scholen lehren?
Eine gans beeümmto einheitliche Moral, welche allen Mensehen
nnbeschadet ihrer Gonfession gieich angepasst und gleich Terbindlich
ist» weO sie allgemein menschlieh ist Wenn man anf die Welt kommt»
ist man nicht eonfessloneU, man ist bloe Mensch, und dies Menschliche
bleibt jedem, anch wenn er confessionell wird; oder siiUer, gleichviel
ans welchoi Qrllndflii, das GonüBssionelle wieder ablegt Leider ist in
unserer Zeit dieses Ablegen des Confessionellen so allgemein ver-
breitet, dass dies eine große 6e&hr für die menschliche Gesellschaft
geworden ist. Warum? — Die confessionelle Eraiehang ist im Laufe
der Zeit in eine so eigenthfimliche Bahn gerathen, dass die Menschen,
die in dieser Richtung erzogen sind, das Eeinmoischliehe ganz ver-
nachlässigt und darum verlernt haben. Wenn nun solche Menschen
von dem Rationalismus und Materialismus unserer Zeit befallen werden,
fallen sie dem einseitigen Realismus in die Arme, der ja unsere Zeit
beherrscht, und sind nachher — nichts als sinnliche Thiermenschen.
Dies geht so zu. Nachdem die Naturwissenschaften die Geister von
den Banden des blinden Glaubens, des mystischen Idealismus befreit
hat. wenden sich dieselben <lein naturalistischen Realismus, oder wenn
ich so sagen soll, dem Utilitarismus zu, wie es ja wol anders kaum
sein kann. Die Xaturwissenschaften haben ja darin ihre Haupt Wirkung
geäußert, dass sie f^elehrt haben, wie man die Natur zu seinen Zwecken
ausbeuten kann, wie man sie zu einer Quelle von Macht und Reich-
thum machen kann. Diese Art dei' Naturbetrachtung vernachlässigt
ganz die Ästhetisch-ethische Seite nnd wendet den Bück anf das
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Nächstliegende, Handgreifliche, Sichere, Nützliclie, aber sie macht den
Geist arm an Ideen, die Phantasie arm an Bildern, die Seele arm an
Empfindung, und das Kesultat ist eine enge, trockene, von Musen und
Grazien verlassene, verödete Seele.
Auch die Interessen der Politik ziehen von den Idealen ab: die
Geister leben von der Hand in den Mund. Wer hat noch Zeit und
Lust, sich in das unendliclie Meer der Ideale zu verlieren, der Wahr-
heit und Schönheit zu leben? Reich thum, Üppigkeit, äußerer Schliff
gepa&rt mit Unwissenheit, innerer Beschränktheit, Roheit, sind die
Merkmale dieser Richtung. Auch in DeotscUajid hat dieser Batte-
rismos, der in Amerika s^e Torzlligltehste Heimstiltte hat, sehr groBe
Fortschritte gemacht und droht den Sbin für das Ideale, den wir noch
haben, yoUends zn ersticken.
Das Beinmenschliche also mnss den Gmndcharakter der Moral
ausmachen. Dieselbe enthBH auch BeligiOses, weil dies ja doch som
Menschenwesen gehört, weil man sich den Menschen nicht ohne Zn-
Hammenhang mit Gott nnd der Ewigkeit denken kann nnd dart Der
Mensch hat eine ganz besondere leibliche nnd geistige Organisation,
welche mit seiner Bestimmung auf Erden so genau zusammenhängt,
dass man ans der genanen Kenntnis der Organisation die Bestimmung
erkennen kann. Wenn er nnn sein Leben ganz in Einklang mit
seiner Organisation bringt, wenn er so fühlt, denkt, will und handelt,
wie es seiner Organisation nach Leib und Seele angemessen ist, dann
lebt er auch seiner Bestimmung gemäß, — er ist moralisch. Kr er-
kennt mit seinem Geist die Beziehungen, die er zu Gott, Welt, Neben-
niensnlien und zu sich selbst hat, und leitet daraus seine religiösen
und uioralisclien PIlichten ab.
Wie bringen wir nun eine solche Moral in ein geordnetes 8yst^»ni?
Jedes wissenschaftliche System bedarf, wenn es Anspruch auf all-
gemeine Billigung der Geister machen soll, einer axiomatischen Grund-
lage, gewisser allgemein angenommener Wahrheiten. Der menschliche
Geist liefert sie selbst, und diejenigen, welche uns hier beschäftigen,
sind zugleich Axiome fiii- Pädagogik und Moral. Betrachten wir die
wesentlichsten derselben.
a) Die Ideen, deren Keime dem Menschen angeboren sind, derai
Entwkkelnng sich im großen Gang des Menschengeistes Tollsogen hat
nnd welche die eigentlichen Leuchten, die Leiter und Enieher des
Menscheogeschlecfales gewesen sind und sein werden. Die phänome-
nalen Besnltate dieser Entwlckelnng sind hanptsftehlich nach vier
Bichtangen hin erkennbar, ganz entsprechend den Ideenanlagen im
Mensdien.
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a) Das Bewns^tsein des UnencUiclieD und des Zoninmeiihajiges
mit demselben hat die Beligion, oder die BeUgionen hervorgebracht.
Das GeAhl Ar das SehOne hat die große Welt des Astheti-
sehen, namentlich der Knnst» ins Dasein gemfeo.
y) Der Trieb nach Wahrlieit, der Forschertrieb, war der Enseaget
des Keiclies der Walirheit, der Wissenscliaft.
d) Die Erkenntnis des ZweckmÄßigen nnd der Zwecke hat die
ganze Welt des Nützlichen und Guten, und auch die Unterscheidung
von Gut und Böse zur Folge gehabt, deren Haoptmerkmale das Ge>
wissen und die Sittlichkeit sind. Zweckmäßig zu sein, za denken, za
handeln, ist — moralisch.
Dies sind Gnmdideen, aus denen sich alle anderen sittlichen
Ideen leicht ableiten lassen.
Die Ideen in der Menschenseele sind göttlichen Ursi)riings, sie
sind ihrem Wesen nach unendlich und füllen die Seele mit einer
stillen Sehnsucht nach dem Unendlichen, nach dem Unjuell der Schön-
heit, der Wahrheit und Güte. Und dieser stille Trieb — ist das
Wesen der Liebe, gleichviel ob er sich auf den Urquell (Gott) bezieht,
oder auf die uns näher liegenden, mehr fassbaren Objeete der Welt.
Daher ist Liebe aucli das Grundwesen des Menschlich-Keligiösen und
des Chiistenthnms.
b) Die Begriffe; sie sind wesentlich verschieden von den Ideen,
sie sind nicht das Unendliche, sondern das Reale, Endliche nnd sind
die Resoltate des moiseihlichen, logischen Denkens. Das Material, ans
denen sie sich bilden, ist das Reale, die Welt, nnd die Pfbrten, dnrch
die es in unsere Seele gehingen kann, sind die Sinne. Sie haben
insofern einen Zusammenhang mit dem Idealen, als sie nnr mit Hilfe
eines in nns liegenden gOtÜichen Organes zustande kommen kOnnen,
mit Hilfe der Logik; nnr ein mit Logik begabtes Wesen kann Be-
grife bilden, und nur durch Begriffe steigt man auf zu den Idealen
der Wahrheit nnd Güte und zur MoraL Erst die Kenntnis der Welt
nnd ihrer Erscheinungen, die Erkenntnis der darin waltenden ewigen
Gesetze, befähigt uns, die Dinge nach ihren Beziehungen und nach
ihrem wahren Werte zu schätzen, und daraus sittliche Pflichten ab-
zuleiten.
Wenn man die liuidlänfigen Ansichten ttber Moral und Pflicht
ein wenig näher ins Auge fasst, so findet man, dass sie sehr lax und
sciiwankend sind, und dass sie mit der wahren Moral oft wenig zu
thun haben. Man hält für l*tiicht. was nur Schickiichkeit ist, man
hält vieles für erlaubt, was, nach reiner Moral taxirt, unmoralisch ist.
Padtgogiiun. lt. Mag» Heft Z. 45
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Einige Beispiele mdgen dies eridSren. BeligiOse Pflichten sind solche .
nur för bestimmte Leute; die Pflichten der Höflichkeit entsprechen
noch lange nicht immer der wahren Höflichkeit, sie sind nur Mode,
Convenienz, Gewohnheit Viel schlimmer noch sieht es aus mit
Pflichten, die man gar nicht mehr als solche erkennt, infolge der
yerschrobenen Begriffe, z. B. die Entwickelung und Vervollkommnung
unseres Wesens zum Guten, Wahren und Schönen, überhaupt die Er-
aiehung wii-d nicht allgemein als Pflicht erkannt. Wahrheitsliebe ist
▼erkehrt, in diplomatische Schlauheit und Gelegenheitsrederei, je nach-
dem es der Vortheil so mit sich bringt. — Die Ehi'lichkeit ? — Sie
ist oft gerade in ilir (-Jefrentlicil verkehrt und gipfelt im Egoismus.
Sparsamkeit, Oidnungslitlie, Hausliclikeit sind ganz nett, aber nicht
Pflicht, selbst da niclit. nvo es sich ums Wol und Wehe von Familien
handelt. Dahin gehören aucli eine Menge socialer Untugenden, die in
ihrer allgemeinen Verbreitung schwere, folgenreiche Verirrungen sind;
sie werden nicht mehr als Sünde erkannt. — Die Regelung solcher
verworrenen Anschauungen kann nur durch eine Berichtigung der
moralischen Begrifie geschehen und muss von Staat und Schule aus-
gehen. Falsche Begiiffe föhren auch zu falschen Ideen, und — Ideen
regieren die Wdt
Nadidem wir nnn die Nothwendigkeit des M oralnnterrichtes, sowie
die idlgemeinen Qmndlagen der Moral in BegrüSan und Ideen erkannt
haben, wollen wir uns noch tther die Vorbedingungen zu einer grttnd-
lichen Beeserong, eowie Aber die Ifittel dieser letiteren aussprechen.
Wie ist Besserung zu erreichen? Zuerst mflssen wir fragen, wer
ist zu bessern? Theilen wir die Menschen einmal in Yier Gruppen:
a) In die der Schule entwachsene Generation,
b) die der Jugend als Lehrende oder Belehrende gegenflber^
stehenden Menschen, die Lehrer und Eltern,
c) die schulpflichtige Jugend,
d) die vorscliulpflichtigen Kinder.
ad a) Was ist also an der der Schule entwachsenen Generation
zu thun?
Sehr wenig, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Wenn man besserungsbedürftig ist, kann man erst dann l>esse-
ningsfähig werden, wenn man seine Fehlerhaftigkeit einsieht,. und das
ifit bei Erwachsenen leider sehr selten der Fall.
2. Sell)st wenn man seine Mangelhaftigkeit einsieht, gesteht mau
sie aus falscher Scliam oder aus falschem Ehrgefühl niclit ein.
3. Die Gleichgiltigkeit gegen alles Sittlich-Ernste ist zu groß.
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Was nützen Bdehrnngen, gute Sehriftea und Bftcher, mm sie nicht
gatesen und beherzigt werden? — Was lesen diese Art Leate, wenn
sie flberhsnpt lesen? — Nichts als TagesklatBch nnd alieriei Sens»-
tionsnachrichten. — Welche Zeitongen haben den meisten Erfolg?
Di^enigen, die ihre Spalten mit Neuigkeiten füllen, die eine Entehrong
und eine Schände der Menschheit aufdecken, Diebereien, Schwindeleien,
Mordthaten, EhebmchsgeBchiditen, Selbstmorde n. dgl. Zum Lesen
guter Bücher hat man weder Zeit noch Lust, weil die Geniisssncht
die Menschen plagt; dieselbe Theilnahmslosigkeit zeigt man für Fre-
digten oder Vorträge belehrender Tendenz.
4. Wenn Menschen schon in ihrer frühesten Jugend eine ver^
kehrte geistige oder unmoralische iTrundrichtung bekommen haben,
ändern sie sicli selten im si)äteren Alter. Sie bleiben ihr ganzes
Leben in ihren Vorurtheilen, Irrthitmem, schlechten Gewohnheiten,
bösen Neigungen stecken.
Soll au der jetzigen Generation noch etwas gebessert werden, so
könnte dies nur mit ilireui freien Willen geschehen, indem man sie
• überredete, sich an Vereine anzuschließen, welche sich geistiije und
sittliche Erhebung als Ziel gesetzt haben, z. B. Turnvereine, Gesaug-
vereine, Bildungsvereine, Vereine zur Verbreitung nützlicher Bücher,
Vereine zur Beförderung <iuter Sitten und Unterdrückung der Unsitt-
lichkeit. Wenn solche Vereine ihr Ziel mit Ernst verlblgen, können
sie selu' viel Gutes stiften. Dann müssen die verbreiteten Schriften
und die Offaitlichen Vorträge aneh soldie Gegenstände behandebi,
-welche dem Volke wahre Anfkiftnmg ttber das menschliche Lehen,
über die Bedingungen zu Glück nnd WoliUirt bringen, die zur Be-
seitigong Ton VomrtheOen, zor Elfining der sittlichen Begriffe, zur
richtigen Wertschfttznng der Güter des Lebens dienen. Solche Gegenr
stände sind die Lehre vom Menschen nach Leib nnd Seele, die Wirt-
scfaaftslehre oder die Ennst, 'hsnsznhalten nnd zn sparen, die Lehre
Yom Umgang mit den Menschen n. a. m. Es fehlt nicht an dergleichen
Vereinen, aber wol an der mmea Betheiligung an denselben.
ad b) Wie wäre der Lehrerstand zu heben nnd zur Ertheilnng
des in den Schulen einzuffthrenden Moralnnterrichtes vorzubereiten?
Diese wichtige Frage muss noch vorher geklärt und entschieden
werden, ehe in der Schule etwas gemacht werden kann. Wenn die
Lehrer Moral lehren sollen, müssen sie selbst moralisch sein nnd den
Schülern als ein Anschauungsobject dienen. Aber sie sind darum
doch noch nicht für den Unterricht in der Moral be&higt, weil sie
selbst noch keine confessionslose Moral gelernt, noch weniger sie
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gelehrt haben. Dieses neue Lehrfach miiBB erst in den Seminarien ein-
gefllhrt werden, und den jan^eii Lehrern mnss ein besonders dai*auf:
eingerichtetes Moralbuch in die Hand gegeben werden. Solche Bflcher
existiren noch nicht, und die Anfertigfiin;? derselben wäre eine Auf-
gabe tXu- liumanistisch durchgebildete Jfänner und Pädagogen. Es
wäre daher wünschenswert, wenn von möglichst vielen Seiten Pläne
für die Einriclitunf]^ solcher Lelirbücher geliefert wUrden und so eine
Einigung' darüber erzielt werden könnte.
ad c) Teil wende mich nun zu dem Moralunterricht der Schul-
jugend. Als noth wendige Voraussetzungen zu demselben sehe ich fol-
gende Punkte an:
1. Das Kind muss von iiause aus schon eine gewisse, auf das
Gute zielende Grundrichtung bekommen haben.
2. Der Lehrer muss seiner Aufgabe gewachsen sein, d. h. er muss
die ad b besprochene Vorbildun«,^ erhalten haben, und muss vor allem
selbst ein Beispiel für die von ihm vorgetragene Moral sein.
3. Dem Lehrer muss beim Unterricht ein, auch in den Händen
der Kinder befindliches Handbüchlein dienen, worin die moralischen
Grnndlehren in klarer nnd möglichst kurzer Fassung, übersichtlich ge-
ordnet, enthalten afaicL Er muss dieselben dnrdi das lehendige Wort
erklSren nnd dnrch Erzählungen, Gedichte, Beispiele znm Bewnsstsein
und ZOT Empfindung bringen nnd dann ansirendig lernen lassen. Ob
dies B&chlein in Form Yon einfMhen Geboten oder Begeln,' oder eines
Eatechismns emgerichtet sei, mag dahingestellt sein. Mit diesem
Moralbfichlein mnss ein gedgnetes Lesebnch in Verbindiing treten,
dessen Stücke zn dem» Moralbnch passen. Die Lesestacke desselben
dflrfen nicht einseitig sein, d. h. sich etwa nnr ftber moralische Lehren
verbreiten, sondern aadi anf das die Moral unterstützende, grund-
legende Wissen, besonders die Natui"wissenschaften, die Menschenknnd^
die GesnndheitBlehre, Wirtschaftslehre, Höflichkeitslehre. Der ganze
Moralunterricht mnss als Hauptliebel seiner Thätigkeit das Gemüth
des Kindes benutzen, und darauf hin müssen die Lesestücke gewählt,
sein nnd viele Gedichte enthalten. Wenn der Lehrer selbst ein ge-
müthvoUer Mensch ist, wird es ihm nicht schwer sein, auch auf das
Gemüth zu wirken. Einem von seinen Lehren durchdrungenen Lehrer
weiden auch die Worte im Munde zu (7<>ld, während der lierzlose
pedantische Lelii-er alles in eine lederne, lan{,^weilige Form kleidet.
4. Der Moralunterricht muss nicht, wie der heutif,^e Religions-
unterricht, als ein von den übrigen Lehrfächern ganz abgetrenntes
Lehrfach betrachtet werdeu, sondern es muss das ganze Unterrichts-
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^ 633 — .
«
gebiet, soweit es thmdich ist, mit dem Moraliiiitenriclit in organlsdiem
Zusammenhang stehen und in keinem Fa4die etwas gelehrt werden,
was der Moral entgegenstände. Das ist leider ein wunder Ponkt des
dogmatischen Beligionsonterrichtes. Er lehrt Dinge, die in offenem
Widersprach mit den Natorwissenschaften and der Logik stehen.
5. Als letzte VoranssetBong zn einem wirksamen Moralnnterricht
wSre die Unterstfitznng der Schale dnrch das Haas nnd die Familie
za fordern. Das Lehrbach, welches den Lehrern in den Seminaiien
ZOT Belehrnng and Bichischnnr im Horalanterricht dient, mflssto aach
in den Hftnden der Familie sein,' damit die Eltern, besonders die
Mütter, eine Richtschnur dafür hätten, wie sie in der Behandlung der
Kinder der Schule an die Hand gehen sollten. Was bierg^en alles
eingewendet werden könnte, etwa von Beschränkung der persönlichen
Freiheit etc, ist nicht von Belang in anbetracht der großen und
wichtigen Aufgabe, die doch ohne Mithilfe der Familie gar nicht ge-
löst werden kann.
ad d) Die moralische Erziehnn«^ dei niclitsclmlptlichti(?en Kinder
liegt ganz in den Händen der Familie und muss dem Mürahmterricht
in der Schule vorarbeiten. Natiiilich kann liier von einem Unterricht
nicht die Kede sein, sondern nur von einer angemessenen Behandlung
und Angewöhnung im humanistischen Sinne. Damit die Eltern darin
einer Anleitung nicht entbehren, ist denselben noch besonders das
Moralbui h für Seminarien und außerdem eine besondere Anleitung zur
Erziehung der Kinder im Hause zu empfehlen. Hierbei rechnet man
freilich auf den guten Willen der Eltern, sich mit der Schule zu einer
einheitlichen Erziehung in unterstützender Weise zu verbinden. Nur
so ist die moralische Erziehung der Jagend nach ejnem einheitlichen
Plan zn verwirklichen.
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Die F^rtbildang des Lehrers und die Cbnig in der freien Rede»
l^iB gibt wol wenige Lehrer, wenigstens unter deigenigen, die sich einige
Beraftfrendigkeit bewahrt haben, welehe« nachdem aie den geeetdieh bestimmten
Pflichten Genüge getlian haben, nunmehr mit ihrer Weiterbildung Schlua»
machen niid Bücher uiul Wissenschaft ad acta h-gen zu dürfen glauben. Wenn
man auch nicht für geistige Bevormundung schwärmt, wird doch jedt-i- unserer
Berufsgenossen uns recht geben darin, dass man unausgeset;ct au seiner eigenen
AoebUdnng arbdten mon, data man nach den Worten des Volkes nUie sa alt
wende, nm an lernen." Das Interesse an der FortbUdnng in der Lchrerwelt
rege za halten, ist anch Hauptzweck der von der Behörde angeordneten Con-
ferenzen. Endlich ist wie jedem Berufe, der auf die Bezeichnung „geistige
Arbeit" Anspruch erheben kann, so besonders dem Lehrerstande die stetige
Weiterbildung Bedürfnis und die Fühlungnahme mit dem fortschreitenden
Staadpnnkte der Pädagogik unentbehrlich.
Für die Weiterbildung im engeren Berufe ist die Schule eine willkommene
Stilttf: doch hat die Behörde auch dem Streben des Lehrers nach anderweitiger
Au>bildung futgcgenkounnen zu müssen geglaubt, von dem Gedanken geleitet,
dass alles Studium, auch das nicht speziell pädagogische, der Schule zugute
komme und immer tiefer in die Schule hineinfahre. In der That! Die wissen-
schafüiohe Ausbüdung, welche sich in den richtigen Grenaen hllt und anch
der Vorbert itnng auf den Unterricht genügenden Raum lässt, kann niemals
der Schul«' enifremden. Der gute Wille der Behörde, den Lehrern das Weiter-
stndium zu erleichtern, ist in der Errichtung sog. Fortbilduugscurse für
Lehrer, wie solche in Elberfeld, Stettin und Berlin bestehen, an erkennen.
Leider ist die Zahl der erwihnten Cnrse eine verschwindend kleine, nhd ao
bh iht denn ftst der Gesammtheit der Lehrer behufs weiterer wissenschaft-
licher Ausbildnng kein andt rei- Weg nftVn . als (hT einsame, beschwerliche
Pfad .des häuslichen Stiirliimis . vieh- sind nicht einmal in die Lage vei-setzt,
sich durch Einzelunterricht einen Wegweiser und eine Stütze bei ihrer Arbeit
an verschaffen. Das bildende Mittel ist für diese einzig nnd allein der tote
Buchstabe.
Wenn wir auch zugestehen, dass der mit einer guttun Seminarbildnng
ausgerüstete Lehrer den nöthigen Bikiunj^sgrad besitze, um sich in den für
weitere Prüfungen vorgeschriebeneu wissenschaftlichen Fächern mit alleiniger
Selbsthilfe an vMToUkimiuBtti, so liat doch daa ansschließlich liänsliche
. Stndinm, welches nicht durch den Verkehr mit erfahrenen, durchgebildeten
Männern lebendige Anregung und feste Kichtung findet, seine groften Be-
denken. Es erfrinlet t mehr als der in der Schule durcli das lebendige \\'ort
venuittelte Unterricht und die dm'ch wetteiferndes Streben gehobene Arbeit
Digitizea by LiOOgle
— 635 —
Austrengnng und Fleiß. Übertriebener £ifer, dem gerade das in unseren
Tagen lieh spfretmnde StreberÜmm Tliflr mid Thor 9Ai«t| fBhrt wtu YoniMdi-
lft88igw>g der Bemfearbeit, naht dem Lebnr die Zeit und die Kraft, mit
Liebe nnd Frische die Kleinen zn lehren, schadet der krirperlichen Gesmidheit,
die hei dem Mangel nttthiper Erholung- über CTcbär angegriffen wird. Und
nicht auch der geistigen'/ h'üi- denluiam aus dem Seminare entlassenen jungen
Mann liegt die Oe&lir nehe, dan er, der doeh bei der Abgeachloesenheit des
SoBinarielMiis kaum einMi Blick in die Welt gethan hat, rieh der wolthnenden
Einwirkung eines gesunden Volkslebens entzieht und infolge dessen auch
niemals die Kraft erlangt, die in echter Volksthünilichkeit verborgen liegt und
dem Lehrer bei seinem Wirken in der Schule so sehr zustatten kommt, aber
auch in seinem unmittelbaren Eiuüusse auf das Volk sich oft in überraschender
Weise offenbart Für den noeh nioht genugsam gefestigten Charakter dee
jungen Lehrers hat ein Boleh efnaeitigee Stndinm den Nachtheil, daas er die
Wirklichkeit aus den Augen verliert und die Dinge nnd Verhältnisse nur durch
die Brille seiner Bücherweisheit beurtheilen lenit. Da ist Goethe's Ausspruch
am Platze: „Grau, theurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens
gold'ner Baum.** Daas aokbea Streben Menschen erzengt, die für den geaeU-
sehaftlichen Verkehr ingenieSbar sind, nur „ttbers Handwerk" sa sprechen
wissen nnd oft bei aller Redlichkeit der Absicht keineswegs znr Vermehnmg
des Ansehens des Lehrerstandes in engeren und weiteren Kreisen beitragen,
wird keinem verborgen bleiben, dessen Dichten nnd Trachten nieht in der
Schule aufgebt, der das mitunter noch sehr seminaristische Gebaren mancher
jungen Lehrer beobachtet hat und die oft draatisehen nnd nicht selten nitreibn-
den Volksnrtheile „über den Schulmeister'' hdrt Der i^r, welcher noch ein
He^z für di* Srhnle hat, wird es mit Betrübnis sehen, dass die Unnatur der
„Bücherbildung'' sich auch in die \'olk8scliule hineinschleiclit nnd dort als
verderblicher Verbalismus ihr Wesen treibt. Uder werden die Kufe nach
Befonn dee EMehnnge* und üntenlchisweBeDS nicht immer lanter, trotamanciMr
gewiss nicht zn verkennenden metfaodlaehen FMtschritte? Will man aber das
Übel mit der Wurzel ausrotten, dann lege man auch Hand an die dgene Bes-
serung; soll die Schule den heranwachsenden Menschen vor einem einseitigen
Innenleben schützen, ihn körperlich und geistig gesund erhalten, dann muss
sich zunächst der Lehrer vor einer einseitigen Richtung seines Seelenlebens
bewahren. —
Nachdem wir auf die Geftdir der Einseitigkeit und der Verkennniig des
wirklichen Lebens aufmerksam geworden sind, dürfen wir nicht übersehen,
dass auf der anderen Seite die ubertlächliche Allgemeinbildung, die überall
mitspr^en will, und die Verflachnng des Wissens gar zu verlockend winken.
Zir Bildung nndVeredelnn^ des Geistes, nr Sammlung des Gemftthes evaeheint
dne geditgeae LeetSre durchaus Tortheilluift; doch ist damit ntekt im ent-
ferntesten der Bath gegeben, dass der junge Lehrer auf dem umfangreichen
Felde der sog. schonen Literatur seine Kraft vergeude und sein Interesse für
die Rerufsbildnng schwäche — ist doch selbst des Guten auch hier eine solche
Fülle vorhanden, dass es dem Lehrer bei gewissenhafter Erfüllung sefaier Be-
Tuftpilichten schwer werden dürfte, „sich auf dem Laaftnden an erhalten.*
Darum müssen wir nach einer Übung der geistigen Kraft suchen, welche
vor Einseitigkeit bewahrt, aber auch vor Zetttrenong sch&tst Dass der
— 636 —
Lehrer aelne Ifnftetfeiiiideii mit eeinem Lieblingestiidiiim amfUle, "wird ihm
niemand wehren wollen, ebensowenig wie für die Wahl des Gegenstuides eine
andere Maßgabe als eigener Geschmacli und eigene Einsicht bestellen kann.
Doch sei es uns gestattet, auf ein Mittel hinzuweisen, das den Getalireu von
der einen und von der anderen Seite za begegnen geeignet ist, nämlich die
Übung in der zaeaninienhlngenden mlndHehen Dnntelliing bez. in der i^en
Bade. Wir erstreben sehen bei nnseren Sefafllem die gnsammenhangende Wieder^
gäbe der Unterrichtsstoffe; die Lebrerbildnng-sanstalten — nnd diese wol nidlt
allein unter den lieberen Schulen — betrachten es als eine ihrer hervor-
ragendsten Aufgaben, dass ihre Zöglinge in freier li'ede über das erworbene
Wissen verfügen lernen ; auf allen Prüfungen, welchen »ich der dem Lehrerbe-
mfb siehwidmMide jnngeHann zn nnterziehen hat, wird die znsBmmenhiIngende
Rede in melir oder minder ausgedehntem Sinne verlangt. Von den PSdngOgMi
hat z. B. schon Dinter den Wert der Rede betont, indem er kein umfang-
reichee Wis.sen vom Lehrer verlangte, sondern dase er sich über das, was er
wisse, flieüeud und klar aosznsprecheu vermöge.
Niemand yerkennt wol den Vorzug des gesprochenen Wortes rm dem
gesefariebenen. Sclmn in dem Klange der mensehllehen Stimme liegt etwas
wunderbar Ergreifendes. Die Worte des Sprechenden nntertt&tzen noch die
Geberde und der lebendige Blick des Auges. Gerade vom gesprochenen Worte
gilt: „Wer die Sprache in .seiner (iewalt hat, beherrscht die Geister." Jeder
hat es an sich selbst erfahren. Hat vor allem nicht der Erzieher es an den
lenehtenden Angen der Jagend gesehen, wdeh mlehtige Wirkung ein mit
Überseogiing nnd Gefühlswaiurheit gesprochenes Wort erzielt, wie eine schlichte
Erzählung durch den sinngetreuen Vortrag Inhalt nnd Bedeutung gewinnt
and ein schönes Gedicht erst Leben und Poesie! —
Wenn wir von der Unterscheidung absehen, welche gewöhnlich zwischen
dec Wiedeigabe eines gedlehtnismUUg eingeprägten Steflfes und der nidit be-
sonders vwbereiteten Rede (der sog. Stegreifrede) gmnaefat wird, so trigt die
tr^e Rede für den Sprechenden zur Aneignung des Stoffes bei. Zwar ist aadi
die kurze, treffende Antwort nur bei gehöriger Einprägung und wahrem Ver-
st&ndnisse möglich; doch müssen wir der znsammenhängenden Darlegung die
jener fehlende Übersicht, die umfassende Herrschaft über den Stoff zuerlceanen.
Die geistige ThStigkeit wird Jedenfldls mdir in Anspmeh genommen dnrok
die mit ausschließlicher Selbsthillb geforderte fortlaufende Hede, als bei der
durcli Mitwirkung der Frage angeregten Antwort. — „Reden ist ein Bildner
der Gedanken." Reden ist auch ein Bildner des Willens. Nicht nur die an-
gestrengte Geistesarbeit des Redners ist eine Übung der Willenskraft, sondern
auch — und das mag uamentUoh von der Stegreifrede gelten — die Über-
windung einer gewissen BeAmgenhdt, von der sieh die wenigsten ganz i^i
fühlen, ist eine Bestätigung der EJnergie. Es gehört oft kein geringer Muth
dazu, vor eine größere Versammlung, in deren Mitte wir kampffähige und
schlagfertige Gegner wissen, mit seinen Leistungen und Ansichten hervorzu-
treten, nicht wenig Selbstbeherrschung, ihre unvorhergesehenen Angriffe mit
Rohe anznhOren, nnd nieht minder Geistesgegenwart, saehgemlB au erwidern
nnd dieselben mit Überlegung zurückzuweisen. — IHm endlich durch die
Übung in der freien Rede wie für die Gedankenbildung so auch für die Sprach-
bilduog gewonnen wird, braucht wol kaum gesagt zu werden. Durch das
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• — Ö37 —
Bestreben, im entscheidenden Aagenblicke das reckte Wort zu finden, waclisen
Spradigewudthflit snd Spnudulchcorlieit. ' Die Spradie fiberhanpt gewinnt an
NntBriidikeik, wu nm » eher dnlenehtetf als die freie unvorbereitete I'> de
als nnmittelbarer An^^fliiss des Hemos am entMi Ajupmcli auf Wahrheit und
.Überzeugung maclien kann.
Sei darum auch der Inhalt einer BedeUbong, welcher er welle, so kümieu
wir deneiben die fonud Uldende BedeituBg nidit abspredMn; wir kOnnen,
da die Spradie Unterriehtsmittel ist, den Wert der dnreh die Bede «nielten
sprachlichen Vervolllcoinainong des Lehren auch dann nicht verkennen, wenn
ihr Inlialt die F^ädapoonk nicht berührt, wir müssen endlich die auf diesem
Wege gewonnen»' Ansbildunpr überliaupt, namentlich aber die moralische Kräf-
tigung zum Theil der Schule und dem Unterrichte zuweisen, da bei dem
UnterrÜDhte nnd in enter Linie bei eineoi eniehliehen Untenichte der ganne
Mensch sich in seinem eigensten Wesen nieht entftnilem Icann nnd darf.
Der Hinweis auf den Wert der sprachliclien Vervollkomranunpr für die
Schule legt nns den Gedanken nahe, dass die Ertheiluug des Unterrichtes ein
gutes Stück Stil- und Bedeübung für den Lehrer sein kann. Die Schule ist
der rechte Ort, wo der Lehrer die Sprache des Henens nnd Gemüthes er-
lernen kann. Es -wfirde wenig dabei heransiBoninien, wollte der Lehrer die
den Verstand bildende Katechese ans ihrem Bechte verdilüigen, nm sie durch
die zusammenhUngende Darlegung zn ersetzen; er wird ohnedies Gelegenheit
genug finden, wo die Natur der Unterrielitsstoffe die achromatische Methode,
also aach die Übung in der freien Bede bedingt. Wenn schon im gewöhnlichen
Leben da« Ableeen den Bündrack der Rede sehwicfat, dann Terfidilt nament-
lich der Unterricht seine Wirkung auf die Schüler, wenn der Lehrer eine
biblische Erzilhlunp:, ein geschichtliches Ereignis, eine geographische Schilde-
rung aus dem Buche ablesen niuss. Das freie Erzälilen hebt das Interesse
für den Uuterrichtsgegenstand, wie auch die Autorität des Lehrers. Die Kin-
der sehen, dass der Lehrer dim Stoff yoU nnd gani beherrscht. DieBenntinng
eüies Baches ersehwwt anllerdem die SchBldiadplin, indem der Lehrer seine
Aufmerksamkeit nicht in ungetheiltem MaAe den Sdifliem widmen kann. Im
allgemeinen kann dem Lehrer nnr gerathen werden, dass er sich die vorzu-
tragenden Stoffe nach Form und Inhalt genau zurechtlege, damit er im
Unterrichte nicht nach Worten zu suchen brauche. Dennoch muss die Form
bei der Benntsnng von ffiiftbflchem immer sdne eigene genannt werden
können und nicht su ängstlieh ÜBStgehalten werden, dass nicht die Stimmung
des Angenblickes eine bessere an ihre Stelle setzen dürfe. Selbstverständlich
ist Jede willkürliche Änderung da unzulässig, wo die Darbietung des Stoffes
an einen bestimmten Wortlaut gebunden ist. —
Dieae Gelegenheit der Bedettbung, welche, wir betonen es nochmals, nieht
auf Kotten des üntenidhtes gepflegt werden darf, ist in die Gewalt eines
jeden Lehrers ^'^cgeben. Eüne weitere Gelegenheit bietet das gemeinschaftliche
Studium durch Mittheilung von Gelesenem oder Memorirtera an einen Zweiten.
Jedes wissenschaftliche Gebiet ist ein Feld zur Übung in der zusammenhängen-
den Bede. Das gemeinschaftliche Studium hat außerdem noch den Vortheü,
dass es dnreh gegenseitigen Anstanseh der Ansichten nnd Meinnagen das ür-
theil verschärft, den Blick erweitert nnd die Arbeitslast wachhält.
Wo die geoellschaftliehen Verhältnisse es gestatten, erscheint die Oröndnng
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— 638 —
von Uflinemi yareine&, wie sie in manchen Städten bestehen, recht paieend
zur Pflege des rasammenhiagenden Vortrages. Der Vortrair im engwen Krelae
der Amtsg-enossen bereitet auf die Rede in öffentlichen größeren Versamm-
lungen, auf deren Bedeutung wir später hinweisen wollen, vor. Es ist darch-
aus nicht gesagt, dass bei den kleineren Zasammenkünften der Lehrer nnn
Pidagogisches TCiliandelt werden soll; allgemein wissensehaftUehe Gegeu-
stSade verdienen nicht weniger in die Bespreehnng hineingezogen sa werden,
nnd selbst hnmoristische Vortrige erscheinen nicht selten als eine treffliche
Würze und «»ine Erheiternnu" de« ernsten Bernfslebt^ns. Variatio delectat. Ein
Vorbild jener \'ersaninilungen sehen wir in den V(tn der I^eliördti »duf^erichteten
Couferenzen der Lehrer. Nur finden dieselben zu selten statt, als dass sie den
Ansdrodc in freier Rede wesentUdi fftidem Mannten; hieran scÄieinMinns eigens
zn diesem Zwecke gegründete Vereinigungen der Lehrer weit besser am
Platze. Damit wollen wir jedoch die Nothwendigkeit der amtlichen Conferenzell
ni( Itt bestreiten, welche ja auch nicht der genannten Bestimmong allein dienen
können.
' Soviel US bekannt ist, wird snf den amtUdien (Kreis-) Confbremen auch
nicht der freie Vortrag» sondern nnr das Ablesen eines selbstg«fertigten Anf-
satzf s gefordert, woran sich freilich die freie Besprechung in Rede und Gegen-
rede knüpft. Wüiirend wir auf der einen Seite die Rücksichtnahme der Be-
hörden aut die den meisten Lehrern mangelnde Übung in der freien Rede an-
erkennen müssen, können wir andererseits nicht umhin zu gestehen, dass die
Rede eines Sprediers, der sich ängstlich am Concepte hUt, mit dem fMen,
lebendigen Vortrage keinen Vergleich aushalten kann. Dem Gelesenen fehlt
die überzeno:ende Kraft, die lebendige Seele, die Ergriffenheit des Redners, da
wir durchaus nicht einmal g:enöthigt. sind, das Interesse des Vorlesers als vor-
handen auzunebmeu. Erst dadui'ch wird der Gedanke unser eigenstes £r-
sengnis nnd nnser volles Sigenthnm, da» er, dem Geiste stets gewirtig, in
klarer Form jederseit mir Mittheünng bereit steht; erst dann ist er ins Hen
gedrungen, nicht aber, weun er nnr auf dem Papiere steht ; erst dann kann er
zum Herzen /^ehen. Es kennen zwar organische Fehler der Ausbildung im
freien \ ortrage hemmend in den Weg treten; in den meisten Fällen ist jedoch
die Möglichkeit gegeben, sich einige Kedefertigkeit anzueignen, ohne dass man
gerade ein Redner im eigjßntUehsten Sinne des Wortes m sein brandit.
Im \'erkehr mit dem Volke, dem sich der Lehrer als ein Hann, der unter
dem Volke lebt und wirkt, nicht entziehen kann, zeigt sich der Besitz eines
erewisseii ]\[aßes von Kedekunst als sehr wünschenswert, wenn nicht mitunter
sogar als nothwendig. In seiner Stellungnahme zu politischen und Tages-
fragen kann der Lehrer allerdings nicht vorsichtig genug sein; aber es lilete
doch den Bemf des Lehrers theUweise veriMUM», letnteren als jemanden hinxn-
stellen, der „nnr der Schule gehöre nnd nidit in die Gesellschaft.'' Da ist
es oft schon durch die Stellung des Lehrers In der Gemeinde (das trilt nament-
lich von Dörfern und kleineren Städten) bedingt, dass er zli einer kürzereu
oder längeren Rede das Wort ergreife. Besonders hentzntage erhält diese
Fordemng immer mehr Naebdmck dnrch die allgemeiner werdende Bfldang
nnd denAntbeil. den auch der Mann aus dem Volke an öffentlichen Angelegen-
heiten nimmt. Es macht einen oft geradezu peinlichen Eindruck, wenn der
Lehrer nur dnrch „ächweigen" glänzen kann, wohingegen es allen Achtung
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4
— Ö39 —
abnOtbigt, wenn er den allgemeinen Gefühlen einen beredten Ausdruck zn
gelten yermag. —
Bei dea amgedehnten Vereiiielebeii der Jetitieit bleibt die Kimtt der
' frden Bede nicht mehr das alleinig Eigeathiim der Gebildeten, sondern be-
ginnt immer mehr Gemein^rnt des Volkos zu werden. Die einzelnen Stände,
auch die arbeitende Bevölkerung, werden mehr und mehr zum Zusammen-
schlösse gedrängt and erkennen die Vortheile, welche in dem gemeinschaft-
liehen Anttrag seitbewegender Fragen auf Öffentlichen Yersaminliiiigen beruhen«
Dadurch ist jedem, welcher sich in freiem Vortrage auszudrücken versteht, die
Möglichkeit gegeben, auf ein größeres Ganzes zu wirken. Wie viel die Macht
der Rede zu wirken vermag bei dem regen Vereinsleben der Lehrerwelt und
welche großartige Bewegung der Lehrer dadurch in die weitesten Kreise Iiinein-
antragen vermag, aeigen die Srgebnisie der grSfieren Lehrenreraammlnngen.
Eb ist angesichts dessen nieht an lengnoi, dass der freie Vortrag von ein-
seihneidender Wirkung auf das gesammte Schul- nnd Lelirerleben ist.
Wie wir im Vorhergehenden erkannt haben, ist der freie Vortrag nicht
blos von bildeudeui Werte fiir deu Lehrer, indem er die Denkthätigkeit an-
regt, das Wissen klärt und den Charakter festigt, sondern auch nutzbringend
Ar die Sefanle, wdeiier die FrSchte der wahren Lelirerbildnng niraials yer»
loren gehen können, außerdem :iber auch die freie Darlegung als Unterrichts-
mittel schützen muß: er (der freie Vvirtrag) ist ebensowol von Bedeutung fiir
die genellschaftliche Stellun;,^ di-s e.iiizt liirn , als auch ein mächtiger Hebel zur
Förderung de» gesammten Standes. Möchte seine formal bildende Bedeutung
jedem ein Sporn sein, in der Ennst der freien Bede mehr nnd mehr Heister
zu werden; seine Wichtigkeit Ar Scbnl- nnd Lehrerleben überhaupt der Pflege
dieser Kunst in den Lehrerverdnen eine noch frenndliehere Heimstätte bieten
als bisher!
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Pidagoi;i8ek6 RudsehaiL
Der VIII. Deatache Lelirertag: (Berlin, Pfingstwocbe 1890).*) (Von'
Wilh. Meyer-Daisburcr.) Es werden KHK) Schulmänner gewesen sein, die ans
dem weiten Deatschland und aas benachbarten Landen in Berlin zusammen-
geströmt waren, um das Gedächtnis Diesterwegs würdig zu begehen. Diester-
wegB hiinder^tUirigefl Geburtsjahr war bekanntlich die VeranlasBiinff gewesen,
weswegen die Berliner Lehrer ihre Amtsgenossen ans dem ganzen Belche nun
VIII. Deutschen Lehrertage nach Berlin geladen hatten. Die Vor Versammlung
verlief leider recht unruhig. Die schlechte Schallwirkung des Saales trug dazu
vornehmlich bei. Sodann wurde mit Recht gegen die vom geschUftsfiilirenden
AimchnBse vorgeschlagene Tagesordnnnir Widerspruch oriioben. Die vier Vw-
bandtthemen moaaten, will der Lehrertag seinen Grundsätzen getren bleiben,
zunächst zur Verhandlung kommen. Ist dann noch Zeit vorhanden, so kann
auch über andere Sachen verhandelt werden. Darum durften vom geschäfts-
fuhrenden Ausschüsse keine abweichenden Vorschläge begründet werden, wie
es geschab. — Die Vorstandswahl, allerdings nnr die T(»4ftafige, die aber Be-
stätigung fend, «rgab IBr den Lelurertag als 1. Ymitzenden Ldirer Tiersch-
Berlin, Vorsitzender des Deutschen Lehrervereins, tiß 2. Oberlehrer Johann
Baptist Schubert, Augsburg, Redacteur des „Pädagogischen Archives", als
3. Lehrer Julius Beeger, Leipzig, Redacteur der „Päda^^u^^ischen Revue". —
Die Begrüßung der Gäste in der Vorversamiulung namens des ürtsausächusses
lialte der Lehrer und pädagogische Schriftsteller Rebert Bissmann, Beriin,
libemommen. Derselbe führte ans: „Amtagenossen, die ihr gekommen seid
von Nord und Süd, von Ost und West, aus allen Theilen unseres schönen
Vaterlandes und von jenseit seiner Grenzen her aus stammverwandtem Volke:
Graß und Handschlag bietet euch durch mich die Lehrerschaft Berlins. Seit
Konden rflsten wir ans anf euren Empfang, mit bercUeber Freude hdtai wir
euch willkommen. Willkommen in des Deutschen Reiches Hanptstadtl Bleibt
das Gelingen des Festes zurück hinter unserm Wünschen und Wollen, rechnet
es uns nicht an; das Hasten und Jag-en der Weltstadt passt wenig zu stiller,
emster Geistesarbeit. — Zu guter Stunde tritt der VIII. Deutsche Lehrertag
*) Verschiedene Correspondenten imiss ich um Entscholdigung bitten, dass ich
ihre Mittheilungen über den Eindruck, welchen der Lehrertag und namentlirh mein
Vortrag in ihren Kreisen gemuchi hat, nicht zum Abdruck bringe, für jeUa wenig*
atens. Es widerstrebt mir, im ,.Piedagogiiim'* mich loben sn laSieiL Ebenso mOgen,
mindestens vorUiufic:. abfilUigc Xußemng'en unberührt bleiben; unsere Leser werden
dieselben zu würdigen wissen, fulk sie überhaupt Notiz davon nehmen. Ich kann
nur sagen, dass ich meine Rede sehr genau bemessen hatte, und dass ich mir tob
denellratt nichts abhandehi lasse. D.
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— (Ul —
sOMamen. Unruhe hat sich des Geschlechtes der Gegenwart bemächtigrt. £r-
wartnngsvoll schaut es nach den Zeichen, die immer deutlicher das Herauf-
steji^en einer neuen Zeit bekunden. Wie draußen auf Feld nnd Flur, in Wald
und Heide es allenthalben aick regt nnd die Knospen schwellen und die Bläten
sieh entfidten, bo ist auch neues Leben und neues Streben in der Menschheit
erwaeht. Oedankmgebftnde , die Ar die Ewigkeit errichtet schienen , stftrsen
jSh Kosammen, aber neues Leben sprosst hervor ans den Ruinen. Ideen, vor
kurzem noch der Sonderbesitz einsamer Denker, fanden an, das liewusstsein
der Völker zu beherrschen. Unterschiede im Denken und Streben, die vor
kurzem noch unttbersteigliche Scheidewände aufrichteten zwischen Ständen und
Parteien, schwinden vor der Hacht neu auftretender Probleme, welche ge-
bieterisch ihre Lösung heischen. Von einer solchen Zeit der Umwälzungen,
des Kampfes nicht zwischen Meinnnpren einzelner, sondern entgeg'enstehender
Weltansichten, von einer Zeit, wo die Anscliannng-en über die Aufg^abe des
Menschen und das Wesen der Gesellschaft jähem Wechsel unterliegen, von
einer solchen Zeit kann auch die Schule nicht unberührt bleiben. Wird sie
doch getragen vom Strome des Calturlebens. Zwar nicht Bereicliemng des
Cnltnrschatzes der Menschheit ist ihre Aufgabe, wol aber f'benTiittelnng des-
selben an das heranwachsende Geschlecht nnd. veriii(»g^e ihrer Bildnn^sarbeit.
seine Umwandlung in lebendige Kraft. Darum mögen die liückschrittler uud
Pedanten auch die Thür der Schule schließen vor den neuen Ideen, die EUnlass
begehren, — der Starm, der diesm die Gegenwart erobert, sprengt die PHorten.
Mögen die Philister, die nicht iUiig sind, das Nene zu beirrelftn, die perficken-
beschwerten Köpfd schütteln, — mögen die Zünftler in der Pädasrf^fTPnwelt,
die nichts Höheres kennen, als die hergebrachten Handwt rksbräuche einen, ihr
Gezeter anstimmen. Der Genius des Fortschrittes lachet ihrer. Frevel und
Thoihett Ist ee, dem Sad der Zeit in die Speichen sn greifinii; niemand ist im*
Stande, seinen Lauf zu hemmen; nnanfhSrlich rollt es weiter die ihm bestimmte
Bahn und zermalmt den Thoren. Aufgabe der bestellten Pfleger der Sfhule.
Aufgabe dei- Lehrerschaft aber ist es. an das Nene mit prüfendem Malislabe
heranznU'eten. ich verstehe darunter weder das hergebrachte Ellenmaß des
Zllnitten, aodr den Zollstock des Pedanten. Prüfen soll die Lehrerschaft das
Nene an dem Kleinod, das üir ▼ertrant ist seit den Tagen PestaloaBi's nnd
Biesterwegs, prüfen an dem hehren Ideal, dem jede echte Erziehung zustrebt.
Nur was die Schule diesem Ideal zu nähern fJlhis: ist. darf in ihrem Reiche
Aufnahme tinden; alles anden-, was von jenem Ziele abführt, ist verwernicli.
Wol ist auch jenes ideal nicht vollkommen unveränderlich. Nur wer auf des
Meisters Worte schwürt, kann dies behaupten. Ihm wird das lebenskräftige
Ideal zum Idol, zum todten Abgott. Aber bei allem Wandel in der Form
bleibt doch der Keni derselbe. Mögen die Ziele der Krziehung im einzelnen
sich ändern nach den Bedürfnissen des sieh entwickelnden Culturlebens: ihr
Wesen nimmt an diesem Wechsel keinen Theü. Echte Erziehung ist Bildung
— nicht Dressu'i EnillfHitlUtnng — nicht meehanisdie Überlieferung, leben-
diger Besits — nicht todtes Wissen. In diesem Sinne gilt noch hente für die
Schule: Diesterweg für inuner! Dem VUI. DentschMi Lehrertage ist dne
Fülle von -Aufgaben zugewiesen. An wichtige Forderungen, welche dt r Gegen-
wart entspriii^ren, soll er prüfend herantreten. Sein Unheil wird wiederklingen
in den deutschen Landen. Möge er den echten Maßstab anlegen 1 Möge er be-
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— 642 —
weisen, dass die deatielie Lehrerechaft imstande sei, was nnseie Q«(n lengnoi»
sich anfzQschwin^en ans; dem Bereiche kleinlicher Erwägungen und 6goifti8Cli6r
Interessen, dass ihr ein vulles \'erstiindnis der Aufgrabe innewohne, welche der
Schale aus der Cultarbeweg^ung der Gegenwart erwachse, und dass sie die aus
dienm Bewnntsebi entspringenden Ffliehten toU und ganz ni ivlidigeii yer-
t^elMt Die Angen des deBtaohen Volkes sind aaf euch gerichtet Dentsche
Lehrer, zeigt euch dieses Vertrauens würdig! Möge der VIII. Deutsche Lehrer-
ta^ einen Markst»'in bilden in der Entwickelung der deutBclien Volksschule, in
der Entwickelung des deutschen Lebrerstandes!" (Lebhafter Beifall.)
Die Hauptversammlnng wurde im festlich geschmückten Saale der
Pfailbarmonie abgelialten. Neben den Büsten der drei Kaiser fiel bestmders
die an barvorragender Stelle aufgestellte lebewgroOe Diesterweg-Bflste den
Theilnehmern in die Au^en. Viele Ehrengäste waren erschienen. Wir nennen
nur Herrn Cfoh. Eegierungsrath Dr. Schneider aus dem Ministerium der geist-
lichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, den Überbürgermeister der
Besidenzstadt, Herrn von Forkenbeclc, den Berliner Stadtscholmtli Hemi
Profieesor Dr. Bertram, den Decementen der Berliner Sehnldepatalioa, Henrn
Stadtrath Schreiner, sovie wol sammtliche Berliner Stadtschulinspectoren.
mehrereKeichs- und Landtagsabgeordnete, z. B. die Herren FreiheiT v. S c h e n ke n-
dorf, Prediger a. D. Knörcke, Dr. Otto Hermes u. a. Anüer diesen
Ehrengästen hatten sich auch noch andere Gäste eingestellt z. B. Herr Hof-
prediger StScker.
Begr&ßt wurde die Versammlung vom Vorsitzenden des Deutschen Lehrern
Vereins, vom Berliner ( »Lerbürsermeister*). vom Vorsitzenden des Curatoriums
der Diesterwef^-Stiftuug, vom Vorsitzenden des Berliner Lelirervereins, sowie
vom Geh. Oberregierungsrath Dr. Schneider, dem bekannten Verafsser der
unter dem Ministerium Falk Ittr die preuAisehe YoUcsBchnle erlassenen »All-
gemeinen Bestimmungen". Die Rede desselben wurde ersichtlich zum Fenster
hinansgesprochen. Wir geben sie nicht nur dieserlialb, sondern ihres wichtigen
Inhaltes wegen ausführlicher wieder. Sie lautete:
„Meine Herren! Es ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, ihueu den
Gruß Sr. Ezcellenz des Chei^ der prenßischen ünterrichtsvei'wattnng sn über-
bringen. Er ist persönlich verhindort durdi das ÜbermaB seiner AmtsgeadUUle,
das in der That nur jemand begreifen kann, der den Arbeiten ans der Nähe
zusieht. Er foljjt aber Ihren Verhandlungen mit lebhaftem Interesse und den-
selben W'iinsclien. die eben ausy-esproehen worden sind. Ich möchte hinzu-
setzen, dass ich mich freue, zu Urnen sprechen zu dürfen, uud möchte um Nach-
sidit bitten, wenn ich etwas ansfOhrlicher und Ubiger rede, und dann doppelt
um Nachsicht, da, wie Sie hören, meine Stimme heute zufällig unter dem
Drucke eines Schnupfens leidet^ Doch werde ich mich bemühen, deutlich an
sprechen.
Ich habe gesagt, ich freue mich, ausfüiiriicher i-edeu zu dürfen und zwar,
weil ich es für meine Pflicht halte, Dmen hi kurzen ümrisseB das Geblsde m
aelehnen, aa dem Sie an verachiedenen Stellen und unter Tetsohiedenmi Ver-
hSltnlssen mityuaibeiten berufm sind. Ich halte dies auch für eine Pflicht
Die Stadt Berlia hatte 10000 Wt. m den Kosten des Lehrertages bei-
gesteuert.
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g:egen die auswärtigen, nichtpi'euCisclien Gäste, amsomehr, als ich gefanden
habe, dass bei ähnliclien Versanirahingen Ähnliches geschah. Und wenn Sie
manches hören, was Sie längst wissen, so ist das ja kein Nachtheil; denn es
gibt Dinge, die man immer wieder gerne hört. Schon die eine Thataache be-
wegt dM Hen, dass wir den Umfloir miMrer Arbeit IcemieB.
Am 20. Hai 1886 sind unsere Schalkinder gezählt worden, und da hat
sich ergeben, dass von 508201X) Kindern schnlpflichtigen Alters 4838247 in
Volksschulen nntcniehtet werden und in solchen im eigentlichen Sinne, nicht
eingesdilossen die höheren Mädchenschalen, die Mittelschulen, die Taubstummen -
aehideD ilb.w. Wir begreifeii, wetcbea MaS toh Verantwortmig auf nneeren
Kmn liegt und jeder einzelne empfindet es. Die Himmel erz&hlea des Ewigen
Ehre. Unsere Pflicht ist es, dass es wahr wird: „Ans dem Monde der Kinder
hast du dir Lob zugerichtet."' Die preußische Unterrichtsverwaltung hat nun
die Autgabe, diesen nahezu fünf Millionen Kindern Unterricht zu besorgen,
Lehrer zu beschaffen, Schalräame herzurichten, Lehrpl&ne zn geben. Die
UntenielitBverwaltang hat den Hnth gebabt, in einer Beibe itatistiacher Be>.
lidite ganz offenr bis ins Innerste die Toriiandenen Mängel darzustellen, wie
anch das nicht zu vorschweigen, was gelungen ist. Wir müssen ermessen,
welche Kiesenaufgabe und welche Schwierigkeiten ihrer Lösung sich entgegen-
stellen. Ich nenne unter solchen zuerst die Jugend der Volksschule. \'on der
berttbmten Gabinetsordre Friedrieh Wühelms I., worin zun errtenmal der Ge-
danke einer allgemein Terbindliflibai Sehnle aasgesprochen wurde, bis za diesen
Tagen, wo die Schulpflicht Gesetz wurde, war ein weiter Weg. Als man den
Muth hatte, in dem Schulreglement nnd im Allgemeinen Landrecht die Schul-
pflicht gesetzlich zu tixiren, war man doch lange nicht so weit, sie auch durch«
zuführen. Welehe Znst&nde selbst in Berlin herrschten, wissen ans der
Deoksdirift zum Lehrertage. In anderm Gegenden gab es Wandorlehrer, nn-
versorgte Schnlstellen, in Ermland 150 Lehrer und 50() waren erforderlich.
Schritt für Schritt hat di ii Unterhaltungspflichtigen abgekämpft worden müssen,
was sie fiir die Scliule und, glauben Sie mir, was sie für die Lehrer getlian
haben. Eine andere Schwierigkeit liegt in der mannigfachen Gestaltung unseres
Landes. Wir haben weite Strecken am Heere, Inseln, HaUigeOt Gebirge,
D5rf(Br in Marschen, mitten in sehwer zugänglichem Boden gelegene Land-
schaften. Nicht überall war der Weg so. dass es leicht gewesen wäre, den
Kindern Unterricht zu verschaffen. l)as int eine Buntheit der Verhaltnisse,
auf welche die preußische üuterrichtsvei'waltung ihr besonderes Augenmerk
richten mnaste nnd richtete. Ist es nicht eine Freude, wenn wir sagen kSnnen,
wir haben 919 Sehnlen mit 44000 SchnUdndem, wo weniger als 30 Schiller
auf einen Lehrer kommen? Die Schulen gehen hinauf bis zn 1000 Meter
Höhe. So gibt es kein Kind, wie isolirt es anch wohne, wie schwer zngang-
lich der Weg zu ilim auch sei. dass (»hne t\\>' einem Christenmenschen nöthigste
Unterweisung bleibt. Wir haben noch andere Schwierigkeiten zu überwinden;
denken Sie an die, welehe sieh dnreh das Ansiedeln ergeben. Ganz pNMzliGh
tberlttllen sich Städte und Dorfer. In einem wichtigen Schulinspectionsbezirk
war 1842 eine eindassige Schule, jetzt deren 170. In meiner Zeit, in der '
ich in der Verwaltung thiitig bin. Iiabe ich mehrfach dergleichen Dinge ei-
ffthren, selbst in Dörfern, welche Berlin unmittelbar umgeben. Nach einem
Bericht ans Oberhauen — ein Frivatldirer wollte dort eine Sehnle eiariditen
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— gab es vor 17 Jahfen 100 Kinder ohne Schulnnterrieht. Wir prüften und
fanden, dass es 800 waren. Die Stadt f:ss<'n liatte vor 40 Jahren 8000 Ein-
wohner, Jetzt SOOnO. Ganze Bezirke entstanden neu. Vs trnh Gebenden, wo
mau den augenblicklichen liedarl nicht gleich bestreiten liouute. Aber man muss
sieh doch vor. Augen halten, waa ea bedentet» Anf Hillionen Kinder an beadmlen.
Daan kommt Unner die Ungleidiheit der Bechtarerhältniaae. Ea iat nicht recht,
wenn man verstimmt sagt: Wir haben kein Schulgesetz. Die allgemeinen
Linien sind in versc^hipdenrn Verordnungen vorgezeirlnut. \'erkennen Sie die
Schwierigkeiten nicht, welche darin liegen, dase wir fraiizöHiijche, lauenbnrgisclie,
hannovei-sche Gesetzgebung haben. In Schlesien haben Katlioliken eine andere
Schülgesetzgebong als die Evangeliaehen, Wenn Sie daa benrtheilen nnd 'die
Sonde anlegen an das. was wir vom Schulwesen erzählen können, so seien Sie
nachsiolitier und mild mit Ihrem Frtheil und erwilpen Sie, welche Schwierig-
keiten zu übt rwiiuien gewesen sind. Was die i'l)er\vindung derselben anbelangt,
so muss zugestanden werden, dass die preussische Unterriclitsverwaltnng sich
Jederzeit dämm bemftht hat Vom Jahre 1872 datirt die nene Bewegung und
der nene AufiHdiwnng, und alle Miniater, die aeitdem gearbeitet haben, warai
bemäht, unser \'olksschnlwe8en zu pflegen; und fast jedes halbe Jahrzehnt hat
nene Früchte getrae:en und jeder that es mit Freude, wenn er der Schule
nützen konnte. Im Jahre 1872 betrug die Ausgabe des Staates i'iir das üffent-
UcheElementarantejrrichUwesen 5000000 Mk., 1890 55000G00 Mk., nicht ein-
gerechnet die nenen 3000000Mk. Altemniagen. Wir hahen nnn nnsere4SS8247
Kinder itn Jahre 1886 in B30f50 Scholen untergebracht nnd hatten für diese
angestellt (iöOUO Lehrer in nnprefilhr 740(K) (Massen. Dass wir mehr Classen
haben als Lehrer, ist nur iiaturg'emJiß. Dies erklilrt sich daraus, dass die
Unterrichtsvorwaltung, und zwar aut allen (iebieten, den Grundsatz aufgegeben
liat: Viel hilft viel. Das Einpferchen dar Kinder in aechs- bis siebenstttndigen
Unterricht, nm ihnen eine Unterweisnng zn geben, die in vier Stunden ge-
geben werden k"«nnte. hat sich überlebt. Man ist der Meinung, dass es besser
ist, wenn 7<) zu unterrichtende Kinder in 4n oder 30 gesondert werden, und
die einen vielleicht 18 Stunden, die anderen 14 bekommen. Der Lehrer kann
einer geringen AniaU tob Kindern erzielilidi nnd gemllthlieh nSher treten.
Wir haben anch anf confsssionelle Untersdiiede mehr Rftdcsicbt genommen
nnd die Geschlechter auf der ObersÜlUR SBm Theil fretrennt. Das ist unter
ümstÄnden außerordentlich jrütisriir, in manfhcn \'<r)i:iltnissen. z. B. in In-
dustriepregenden sogar nöthi<r. W enn man ilem Lelirer die Walil stellt, ob er
lieber sechs Stunden 80 Kinder oder zweimal drei Stunden 40 Kinder unter-
richtet, nnd er mit seinem Halse Bath hUt, was wird er da sagen? Gerade die
jungen Lehrer geben an der numerischen Überbfirdnng leicht zugrunde. Das
sind die Gründe, weshalb die Unten'ichtsverwaltnnir 1<HMK» (Massen mehr als
Lehrer hat. Ks ist uns gelunpren trotz mancher Scliwieriafkeiten. trotz der
Armut der Bevölkerung in weiten Kreisen, trotz des Widerstandes an einzelnen
Stdlen dahin an kommen, dass 1886 2600000 Kinder nemudeB Unterricht
liatten, woranter wir «inen Bolchen verstehen, wo eine eindassige Schale nicht
ttber 80, eine mehrclassige nicht über 70 Schüler jiro Classe hat. Seit 1886,
wo diese Zalibui veröt^'entlicht wnrden sfnd, hat sich die Zahl <ler Lehrerstellen
um nahezu 5*M)<> vermehrt, und es ist der Unterrichtsverwaltung gelungen,
diese Stellen zu besetzen, obwol sie gleichzeitig zu sorgen hatte tür den £r-
Dlgitizea by LiOOgle
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*satz, den eine außerordentlich glückliche Füernnp: auferlegte. Ich konnnc auf
die Versorguntr dn- Lehrer. Es ist gelangen, das Alter der Lehrer sicher-
zustellen. Während bis dahin unbestimmte einzelne X'orsctiriiten es schwer
matihtoD, für die Xidirer genügend ni Bergen, baban mr jetzt in Fnatm eb
PensiooBgeietE, und jeder Lehrer bekennst» wenn er seinen Dienst antgeriehtet
hat und sagt: Ich büi milde, seine Pension. Als das nicht geschehen konnte,
war es natürlich, das« alte Lehrer ihren Pensionsantrag in der Hoffnung auf
ein baldiges Pensionsgesetz hinansschoben und dass Schulleiter, wenn sie einen
Lehrer alt nnd schwach fanden. Bedenken tragen, ihn aus der Schule zu weisen.
Warum? Weil aie Umi aeine Zukunft niclit ridiem konnten. I<di hStte daa
auch gethau und hätte mit dem Manne Geduld gehabt bis an die iluGei*ste
Grenze. Als das I'erisionsgesetz da war, kamen die Lehrer in hellen Haufen,
8(HHt mehr als bis dahin die Re^rel war. um ihre Pensii-nirunj^ ein. Dei Unter-
richtsverwaltung lag es nun ob, die Stelleu zu besetzen, und es ist in der
That andi gelangen. Wirklich unbeaetste Stellen gibt ea 264 im Anfimge
dieaes Jahres. Ich sagte, 1872 hat die eifrige S<»ge fBr daa Sehulweaen an-
geloben. Das Bestreben war darauf gerichtet, nene Bildungsstätten zu schaffen
und den Lehrermangel zu beseitigten. Wir .schafften Lehrer, und wie wir sie
hatten, war die Zahl der nnbebetzten Stellen größer als vorher. Jetzt kamen
wir dahinter, daas der größte Mangel die überfüllten Schulclassen waren. Wir
waren nun bemftbt» ihre Zahl an vermindern. Von 1882 bia 1886 aank aie von 919
anf ir)2. und sie wird heute keine 100 mehi- sein, vielleicht 40. Die zweite
Sorge der UnteiTichtsverwaltung, eine Sorge, die viel Zeit und Mühe erforderte,
war die Durclitühruji^' der \'erbesserung der (Tehillter. Ich versichere Sie, als
Semiuurdirector mit blutendem Herzen gesehen zu haben, wenn ein junger
Lehrer, der Mutter oder Sehweater nn veraorgen hatte, an eine Stelle mit
100 Tlialem geschickt wurde. Jetzt aind 17 Millionen zur Verbesaerang von
Schulstelleu, 20 Millionen für die Gemeindf ii ansg^eworfen. Den Lehrern sollen
Alterszulagen gewHhrt werden. Wir sind laliin k langt, dass wir den Lehrern
nach 10 Jahren 100 Mk., nach 15 Jahren 20U Mk., nach 20 Jahren 300 Mk., nach •
25 Jahren 400 Mk. nnd nach 30 Jahren 600 Mk. gew&hren, und zwar anf dem
* Lande undin Städten bian 10000 Binwohnem (Zwiaehenrnf: „Leider!"); dieZabl
der Lehrer in Städtm bis 1()( ) Hinwohnem ist doch veraehwindend klein gegen
die Zahl der Lehrer, anf welch»- sich die H Millionen vertheilen. Gönnen Sie
den Miiiineni. welche die H Millionen bekommen, den Antlieil. welchen sie daran
hüben. \V ir kommen ja oft in die Lage, dass wir zusehen müssen, wenn andere
etwaa bekommen, und ich meine, wir aind die lotsten, die einem etwaa miaa-
gfonen. Ich will den Herrn Oberfofirgermeiater, den Herrn Schulrath nachher
bitten, die Zahlen von den Lenten zn sa^en, die sich nach Stltdten über 10000
Einwohnern melden. Der Drang gebt dahin, weil die Stellen besser sind.
Darum gönnen Sie allen auf dem Laude im höhereu Alter die Zulage und denen
in den StSdten, die sie jetzt bekommen. Ich wiederhole alao: die preniUaehe
Unteniehtaverwaltang hat Sorge getragen, die ÜberflUlnng der CQaaaen su ver-
mindern, was ihr auch in weitem Maße gelangen ist. und die Zukunft der
Lehrer siclier>^ustellen, ihr Gehalt zu verbessern niul hat endlich auch die
Sorge tilr die W itwen und Waisen der Lehrer veiim lui. Auch die Kinführnng
der ständigen Kreisschulinspectoreu ist auf Kechnuug der neuereu Zeit zu
adireiben. Der Untenicht in unaoren Schulen wird nadi den allgemeinen Vor*
PadagogiuL ia.Jahrf. IMt X. 46
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646 -
Schriften vom Oetober 1872 ertheilt, und es wird Sorge getragen, dass die
Lehrer den Unterricht nach allen Seiten hin zu ertheilen vermögen. Nicht
blos die Seminare sind so ansgerÜBtet, daas sie den Unterrielit in den ixriaten-
achafllichea Fftchern an geben vermögen, wradern asoh in Besag aof Tarnen,
Obstbau n. 8. w. wird Sorge getragen, dass die Scholen an (^tarstätten im
Lande werden können. Es wird in unseren Sdnilen ^anz besondere Sorg-e
darauf verwendet, dass kein Kind ohne den Religionsunterricht stinea i^ekenur-
nines bleibt, und dass, wo sich die Gemeinden weigern, einzelnen Kindern Ke-
ligioDPintenricbt angedeihen an lanen, die Lehrer besondere honorirt werden,
and wir dürfen sagoi, es gibt nicht leicht ein Kind, nicht leicht einen Lehrer,
für den nicht Sorge getragen wird. Bei jilledein ist sich «iie Unterrichtsver-
waltiin^ der noch vorhandenen Mängel wol bewusst. Sie hat aber das \'er-
traueu, da^s Sie, meine Herren, beitragen werden, diese Mängel zu überwinden.
Die üntenrichtaverwaltong hat an kftmpfen gegen mtoeherlel VornrtheilA Ich
gestatte mir, Sie zu bitten, aeistrenen wir diese Vomrtheile, neigen wir in ge-
meinsamer Tlifttigkeit, dass es uns um das eine 7m thun ist, dass das Reicli
Gottes gebaut, dass der Staat Preußen, dass das Keich Deutschland innerlich
und äußerlich gekräftigt werde. Zeigen wir, dass uns vor allem am Herzen
liegt, was uiiseres Amtes ist, and dass ans unser Amt nnd ansere Kinder am
meisten am Heraen liegen nnd dass andere Dinge ons nicht so nahe berühren.
Sie gedenken, vor Ihren heutigen Verhandlungen das Andenken eines
großen Mannes zu feiern. Anch in Bezug darauf sind die ürtheile verschieden.
Aber Freund uiui Feind stellen iliiii ein Zeugnis aus: Er war ein Meister der
Unterrichtskunst, ein Mann vou uuermüdetem Fleü], der von frühester Jugeud
bis an seiner letaten Stande gearbeitet hat, soviel er nur konnte; dass der
Unterricht, die ünterrichtsform ihm viel verdankt; dass er nicht blos einen
Wegweiser gegeben, sondern in d^r Methode neue Bahnen gebrochen hat, dass
er groß war in dem Fleiß und in der Hingebung an sein Amt, im Ertrasren
von Mühen und Sorgen, im Wägen des eimselnen Wortes, im Festhalteu eines
bestimmten Flanea. Mtfne Herfen, Sie haben aich Ünrner die Frage vorgelegt:
Was kann die Schale thnn, nm der socialen Frage an begegnen, was ktanen
wir thun, dass die Liebe wachbleibe in unserm Volk, sowie Treue und FI. ii5
und Zucht und Ordnung? Was können wir thun? W*']. sehr viel! Wir haben
es in der Hand, dass wir das heranwachsende Kind stlbstständisf machen, das
heranwachsende W^eib zur ordentlichen Hausfrau erzieheu, das heranwachsende
dentsche Kind mit Liebe erfUlen anm dentsehoi Yateiiande, an Kaiser nnd
Boich. Uns liegt es ob, unseren Kindern zu erzählen von einer Oeschlchto
sondergleichen, wie kein Volk eine ähnliche hat; uns liegt es ob, ihnen zu er-
zählen von einem engeren preußischen Heiniatlande. wo die Hohenzollern g>'-
arbeitet haben und gerade anch für die Schule, denn unsere Schule ist Hoheu-
soffleiBsehnle; naa liegt es ob, den Kinden mm BewnssMa an Iningen, dass
sie dne Heimat, ein Vaterland haben, nnd dann iiaben sie etwas tSsstanhalton,
etwas zu verlieren, and wer das liat, afthlt seine Güter nnd läuft nicht unbe-
dacht in den Kampf. Vor allem lassen sie nns den innersten Grund des
Lebens pflegen, welchem Bekenntnis wir auch angehören. Es gibt mancherlei
Gaben, aber eiueu Geist, ein 2iiel, ein Bewosstsein unserer ganzen schweren
Verantwortung, aof dass üeilUge, tüchtige, tiene Kinder ans unserer Zucht
kmnmen. So lassen Sie uns pflegen die Liebe anm Herrn im ffimmel, aum
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— 647 —
Könige auf Erden, zui Heiiimt, zum Vatoilaiule und vor allem auch die Liebe
zu unßerm Amt und zu unseren Kindern. Dann wird manche Sorg'e weichen,
und wir werden bageu, wir haben ein glücklich und fröhlich Leben, und ich
niSehfte «m allfis tai dar Welt w nfclit hingeben, daas ich die Ehre und den
Stols gehabt habe, eindentacherLehrarsa wcrdeit Daaa, daaa dieae Geaumiuig,
ich brauche nicht zu sagen, wacbgemfen werde (sie lebt), dass sie sich erprobe,
bewähre und weitere Siege gewinne, dazn wolle Gott den VIII. Deutschen
Lehrertag segnen." (Lebhafter Beifall.) Nach einem ;ilf.diinn begeistert aus-
gebrachten Hoch anf den Kaiser wnrde folgendes Huldigungstelegramm an .
AllerhOehatdenaalben geaandt: „Der VIIL Dentsehe Lehrertag flberaendet Eiuer
Majestät die nnterthänigste Hnldignng nnd begleitet dieselbe mit der ehr-
furchtsvollen Bitte, die Fürsorge, welche Eure Majestät ans Herzensneignng
dem Wole der bedrängten Theile des \'olkes entgegenbrigeu, auch der ächole
oud ihren i'Üegeru allergnädigst bewahren zu wollen."
Herr Cnltoaminiater Dr. Oofiler aaadte dem Lehrertage aor iweiten
HanirfTTntammTimg üolgende BegrfiBiuig ni: „Besten Dank für frenndliehe Be-
grüßnng. Keicher Segen für treue Arbeit. Unermadlich vorwftrta für die
deutsche Volksschule, den Eckstein unseres Vaterlandes!*^
Die Gedenkrede auf Diesterweg von Dr. Fr. Dittes, welche den ersten
Punkt der Tagesordnong bildete, ist bereits im vorigen Hefte zum Abdruck
gelangt. Der aweite Vertrag yom eraten Tage bebandelte „Die Angabe der
Volksschule gegenüber der Bocialen Frage" nnd wurde gehalten T<m
. Lehrer L. Claus nitzer-Berlin.
In Verfolg der Besprechung desselben am zweiten Ta?e wurden folgende
Sätze zom Beschlüsse erhoben: „Ein directes Eingreifen in die socialen Kämpfe
der Gegenwart hat die Volkaachnle ala Stätte, welche die Kinder aller
Staatabüiger aller Parteien in fdedlicfaer Arbeit vereinigt, zu vermeiden.
Nur insoweit wirkt sie an der Lösung der socialen Frage mit, als sie eine
charaktervolle Jugend erziehen soll, welche, frei von Classenliass und erfüllt
von wahrer Religiosität und Vaterlandsliebe, betähigt ist, dereinst ein urtheils-
fähiges und thatkräftiges Glied der Nation zu werden.
„Da besonders die Zeit vom 14. bia 18. Lebensjahre ala Übergangazeit
die große Gefahr in sich birgt, dass die in der Volksschule gelegten und ge-
pflegten Keime zugrunde gehen und die .Tugend eine Beute der N'erfiihrnn^:
werden kann — somit die Thätig-keit der Schule einfiieh vernichtet würde —
Bo ist die Schulpflicht über das 14. Jahr hinaus mit beschränkter, von Stute
an Stnfe aleh mindernder Stnndenaahl bia smn 18. Lebensjahre (fQr Mädchen
bis zum 16.) anazaddmen. (Fortblldnngaaehule mit vermehrter Stunden-
zahl.) In den Lehrplänen dieser Fortbildungsschulen sind besonders auch
Volkswirtschaftslehre und Gesetzeskunde aufzunehmen, um so den an-
gehenden Bürger zu befähigen, mit Verständnis seinen socialen und politi-
schen Pflichten obzuliegen. In den Unterrichtsplan für Ifädchenfortbildnnga»
adinlen ist Hanahaltnngaknnde einzufllgen.
„Die Hindernisse, welche zur Zeit nueh die Yolkaschnle hemmen, ihren
aegenareichen Einflnss auf die Jugend voll nnd ganz auszuüben, sind l)esonders:
flberfÖllte Classen, vielfach StofFüberbürduiür. nirhtfachJ!i.'Siiiiis( lie Schulanfsicht,
nicht immer genügende materielle Sicherstellung des Lehrers und rechtliche
Unaicfaerfaeit deaadben in Bezug anf die Ausllbnng der Schnldiaciidin.'*
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Diiss eiü Vortrag wie der erste vom zweiten Versamiulungstagc im letzten
Jahrzehnt des neanzehateu Jaki-liunderts auf einem dentschen Lehrertage
möglich gewesen Ist, nein, dass er nStliig, dringend nStbig war, das gibt der
Oeringschätzang des Lehrerstandes einen so ebarakteristisohen Ansdnck, der
kommenden Geschlechtem schier nnierlanblich erscheinen mag. Dabei ist leider
die Befürchtung nicht einmal aiisgeschlossen, dass sich der nied«'re Küster-
dienst des Lehrers — darüber sprach nämlich Lehrer und Organist Kumm,
SteglltK bei Berlin — noch ins folgende Jahrhundert hinttber retten wird.
Der Beriehterstatter vermag nnr schwer der Versnehvng an widentelien, am
diesem Vortrage Proben von allr i lei Zamathniigen zn geben , wie sie von
kirchlicluT Seite an die Ei/.it'lu r der Jugend vüllig rechtlich gestellt werden
und wif sol( hi\ des Lellreransl•hen^ unwürdige Dienste auch venichtet werden
müssen. Allem der Kaum verbietet's. Wer sich für diese Culturl'iuge inter-
enirt, mag darttber nachloBen in Konnm Sduriftdien: „Die Befreiiing dea
Lehrers vom niedereii Efisterdienst" („Sammlung pädag<^cher Vortrlge* —
II, 12 — von Meyer-Markau. Bielefeld. Preis 60 Pfennig). Für diesen
Bericht muss es genfigen, den getassten Beschluss mitzntheilen. Derselbe
lautete: „Die Aufgaben, welclie die Übertragung der niederen Küsterdienste
an den Lehrer atollt, Btehen In kolBem Znsammenhange mit dem Wesen seines
Standes, sind entwfiMigend für seine SteUnng and erechweren ihm die ErIlUhmg
seiner Pflicht. Der VIII. Deutsche Lehrertag zn Berlin erneuert daher die
Forderang: ,Die niederen Kfisterdienste sind dem Lehrer nicht mehr so fiber-
tragen.***
Unter den nachfolgenden kleineren Berichten, Comenius-f^tiftuug in Leipzig,
Dr. Kehibachs Monnmenta paedagogiea Oermaniae, Dieaterweg-Hnaenm und
Kein -Denkmal, dürften die Hittheilnngen über das letztere, erstattet nameiw
des Leipzi<rci- Lehrervereins, von vielen Lesern des „Piedagogium" gern ge-
lesen werden. leh persönlich glaube daher einem Herzensbedürfnisse, meines
nnvergesslichen Lehrers (iedächtuis auch an dieser Stelle zu pflegen, Befriedi-
gung verleihen m dfiifto. Der Bericht lautete wörtlich: nDer Leipziger Ldiier'
verein ist in Hannover mit der Errichtung eines Eehr-Denkmals beauftragt
wordffli. Die Sammlungen durften nnnmelur aia beendet anzusehen sein, da seit
lllogerer Zeit Beiträge nicht mehr eingegangen sind. Wir richten aber doch
noch einmal au diejeuigeu Vereine, welche der Kehr-Stiftung bisher fern-
gestanden haben, die Bitte, auch durch ihre Gaben der guten Sache dienen zu
heUbn, damit das Kehr-Denkmal noch etwas würdiger ausgestattet werden
kann, als das bei den vorhandenen Mittdn mOglich ist. Allen den Vereinen,
welche unsBeitrU?»' zngesandt haben, sagen wir hierdurch noch riimial unsem
besten Dank! Die Einnahmen belaufen sich bis heute auf etwa Tl'OO Mk., ilie
Ausgaben auf 120 Mk., so dass uns für die Ausfiihrang des Denkmais rund
7100 Mk. zur Verfttgnng stehen. Angesichts dieser Summe konnten wir ein
Preisanssdireiben nieht veranstalten. Wir forderten mehrere Künstler mm Wett-
bewerb auf unter der Bedingung, dass der uns am meiateB zntagende Entwarf
durch den betrctVi'ndt'n Künstler zur Ausführung gelangen solle. Es wurden
sieben plastische Entwürfe und eine Anzahl Skizzen eingereicht. Die Com-
mission zur Benrtheiluug dieser Modelle holte für ihre Berathungen das ürtheil
SaehverstSadiger ein. So haben uu e.B. der Direefeor dea StidtiaGbeB MnaaiiniB,
Professor Schreiber, sowie der Zeicheninspeetor Clinaer scbatsenawerte Dienato
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geleistet. Als dor hostp Entwurf wnrde das iluilell des Bildhauers Karl ScffiuT
in Leipzig für die Ausrülirung tinstimmig aogenommen. Das Denkmal wird
durch seine große Einfachheit und Monumentalität, besoudei's abei- durcli seiue
lebenswahre, real gehaltene Bttato einen reeht guten £indmeic hervorbringen.
Es erreicht eine Höhe von 4,8 in. Die Stufen bestehen ans grauem Granit,
der Sockel ans polirteni schwedischen Granit, der an sich schon durch seine
spietjelnde Fläche eine grotie Wirkung hervorbring-t . und die Büste ans ear-
rari%cbem Marmor, sogenanntem clair blaue. Das Kubr-Deukmal soll unter
besonderer Berfteksichtignng der Wtnsehe der thttringisehen Lehrerteinft in
der Stadt Qotha seine Anfoteliong finden. Kehr war «in Gotliaer T4mdeakind,
in Gotha hat er seine Bedentang als pädagogischer Schriftsteller erlangt, in
<3k>tha hat er auch zu Füßen seiner Eltern seine letzte KuhestiUte gewonnen.
Da sich bekanntlich Marmor am besten im Grünen ausnimmt, so wird das
Denkmal in entsprechender Umgebung seine Anfistellong finden. Der Rath dei*
Stadt Gotha hat in dieser Hinsieht das wolwollendste Entgegenlcommen ver^
«prochen. Voraussichtlich soll das Denkmal in der Pfingstwoche 1891 feierlich
enthüllt werden und der J.ei|»/.ii:ei Lehrervereiu lässt Sie scIhmi heute ilazu ein-
laden. Wöge das Denkmal dem \'t rstorlienen zur Ehre, der Stadt Gotha zur
Zierde und der deutsclien Lelu'erschaft zur Freude gereichen!^
Den SchloBBTortrag der Versamminng hidt HanpUebrer Jnlins Gressler,
Barsen, Aber „Schnlsynoden". Von lebhaftem Beifalle empfangen — der
Vortragende hat sich bekanntlich durch seine mannhafte Rede auf dem evan-
gelischen Schnlcongress in Barmen in der deutschen Lehrerschaft einen ge-
achteten Namen erworben — führte Redner mit großer Spracligewandtheit
nnd ftafierst ' fesselnder Vortragsweise in gut anderthalb Stunden Zeit im
weaentUdien ans:
„Das Thema, das der geschäftsfQhrende Ansschnss des VIII. Deutschen
Lehrertatres zur Hearbeitnng für diese große Vejsammlung mir übertragen hat,
■wird wol tür die meisten deutschen Collegen n(»ch einen tremdartigen Klang
haben. Und doch dui ite es mit einem Schlage eine ganze Reihe von bekannten
Vorstellnngen, Godaaken nndWflnschen waehmfen, wenn ieh bemerke, dass es
im Grunde genommen nichts weiter bezweckt, als eine zeitgemäße Umgestaltang
der heutigen Schulverwaltung, dass es u. a. aucli die alte Forderung genauer
begründen und tormuliren will, bei der Organisation und Ansübuiiir der Schul-
verwaltung auch demjenigen Factor einen bescheidenen Platz einzuräumen, der bei
der Entscheidung wichtiger Schalfragen in erster Linie mit gehttoi werden tollte,
4en Lehrern.** Ein begründetes Interesse — so Aihr Redner fort — bitten
an der Schulerziehun? Staat, Familie, Kirche und Schule. Die Streitfrage
sei nur: Wie weit sollen die Grenzen jresteckt wonlt-n für die BethiitiErung des
Einflusses, der den einzelnen Factoreu einzuniniiini ist? Wer soll die Ent-
scheidung in streitigen Fällen haben';' Wem soll die oberste Leitung der Schule
aamtiaat werden? Auf der einen Seite sehwftrme man fBr die reine Staats-
Sehlde, lind namentlich seien es aneh viele Lehrer, die durch die trüben Er-
fahrungen, die sie etwa mit den A'ertretem der Schulgemeinde oder den geist-
lichen Schnlinspectoren gemacht hal)en, zu dieser einseitigen Auffassung ge-
drängt worden seien. Auf der anderen Seite sähen wir die Vertreter dei-
atreng kirchlichen Bichtnng, die immer nnd immer wieder das alte bekannte
Ifinfaen von „Hnttar nnd Toehter" anfTrlscbten, die die Lehrer möglichst ifinig
Digitizeü by Cjüügle
— 050 —
mit ihrpn sogenannten ..natürlichen Antoritilten" verknüpfen wollten. Des
natürlichen Rechtes der Familie und Schulgemeinde, der Schule und ihrer
Lehrer werde im «Ugemeiuen wenigrer gedacht Der Schnlgeiiieinde fiherlane
iDMi die Unterbaltnogr der Schale, während die Schale und ihre Lehrer aaf
diesem Gebiete so (rui wie rechtlos daständen. So eific.heine in der Trias
Staat, Kirche, Schule die Schule nur deshalb mit auffjeziihlt zu sein, am
das Gebiet zu bezeichnen, aul' dem Staat und Kirche sich furtdauernd am die
Hemchaft Btritteo. Um in der Frage klar ortheilen sn kOnnen, mfisate man
sich »niftchst m orientireii aochen über die Haaptanii^ben, velche Jenen Ge-
meinschaften im Leben des Volkes sofielen. Uber ihre gegenseitigen Beztehangeii
•/n einander und über ihr luitnrüremüßes Verhältnis zur Schule. Der Staat nun
sei für das Leben des \'ülkes die un.sireiiig' bedeutsamste (Jemeinschaft. Tlnt^r
Staat sei die Zusammenfassang einer meist nach vielen Millionen zählenden
Menge m einem <wganiadi gegliederten VolkskSrper an ▼erateheo. Das Hanpt
sei die Staatsregierung, der bei einer constitutionellen Verfassung in Gemein-
schaft mit di-r \'()lksvertretun^ die Aufpabe oblieg^e. die einzelnen Olieiler wie
die Gesauiratheit nach bestimmten Gesetzen zu leiten. Ihre vornehmste .Auf-
gabe werde es sein, die Aorbedingungen eines gesunden, frisch pulsii-endeu
Lebens an schaffen, dallta* Sorge, an tragen, daaa die einielnen Glieder des
Staates innerhalb ihres Wirkungskreises ihre Kräfte yoll und ganz entfUten
kSnnten. Allein die Zeit, wo die Förderung des gesammten Volkswoles einzig
und allein von der Staatsrepriening: erwartet wurde, sei iJlnerst vorüber. Selbst-
hilfe und Selbstverwaltung seien längst die gewaltigen Triebfedern in der
Bethätigung der Volkskräfte geworden. Soll der Staatsbürger seine Pflichten
im Staate erkennen nnd würdigen kennen', so müsse er vmi Jagend avf mit
einem mSgliehst hohen Maß allgemeiner Bildong ausgestattet, es müßten alle
Kräfte seines Geistes und Gemüthes entfaltet werden, es sei bei ihm folge-
l ichtiges Denken und sittliches Wollen sorgfältig zu schulen. Es sei klar, dass
die so manuigtach verschlungenen Beziehungen der Staatsbürger untereinander
znm Segen des Einaehien wie der Geaammtheit nur alch abspielen konnten anf
dem Boden einer festen sittlichen Welt- and Lebeaaaaaehannng, die den Ein-
zelnen zwingt, das eigene Interesse nur soweit zu fördern, als es mit den be-
rechtigten Interessen der Xebenmenschen . der Gesammtheit vereinbar sei.
Daraus er^'^ebe sich für den Staat das Ki'cht und die Ptlicht, von jedem seiner
Bürger ein bestimmtes Maß von Kenntnissen und Fertigkeiten, einen bestimmten
Grad allgemeiner Bfldnng an verlangen; die Pflicht, für die Begrttndong einer
ausreichenden Anzahl von Tjehr- und Erziehungsanstalten Sorge zu tragen, die
jene Bildung übermitteln könnten, und endlich das Recht und die Ptlirht,
darüber zu wachen, dass rlie so ins Lehen trerutVnen Bildungrsanstalten ihii'U
Aufgaben nach Maßgabe ihrer äußeren und iuneren Einrichtung gerecht würden.
Mit anderen Worten: Dem modernen StiMte nnd seiner Regierang sd daa
Recht der obersten Leitung nnd Verwaltung der Schulen, soweit sie die dem
ganzen Volke gemeinsame allgemeine Bildung übermitteln sollten, ohne jede
Frage zuzuerkennen, und kein Staat dürfe dieses Recht aus der Hand geben
und einer anderen Volksgemeinschaft, etwa der Kirche, anvertrauen, wenn er
nicht die Grundlagen der Entwickelung seiner eigenen Kräfte vernichten wolle.
Aber doch müsse der Binflnss des Staates anf das Schnlwesen natnrgemlfl da
seine Grenie finden, wo der Einflnsa der Sdinle, der pidagogisch» Wissen-
Digilizea by LiOOgle
— 661
Schaft und ihrer Datürlichen \'ertreter, der Lehrer, begijiuen sollte, das heiße
da, wo allein die endgUtige Eutscheidaog über Ziele und Mittel der Volks-
Bchnltliiligkeit gtlroffoi werden kÖBBten. Die Sehlde habe tan «eientlidien
nichts anderes zn thon, als dafür Sorge zu tragen, dass die Entwickelung des
Kindesjreistes in den von der Natur selbst vorgezeichneten Bahnen sich bewesfe.
Das Aultiiiden diesor Bahnen, die Mittt 1 uml Wofre anzugrchpii, die Entwickelung
des kindlichen Geistes in dieselbe hineiuzuleiteu und daiiu zu erhalten, das könne
nur die pftdagogische WiaaeoMhaft und die auf Ghnmd derselben heranageatal-
tele Scbnlprazia. Daraus fdge , dass die ntthere Festsfeelhmg and Beseieh-
nnng der Ziele, welche die Volksschnlthätigkeit im einzelnen zu verfolgen
habe, dass die Auswahl und Bestimmung der Glitte! und Wege, jene Ziele zn
erreichen, im Princ|p nur Aufgabe der Schule und der Lehrer, nicht aber einer
aoAerbalb der Sehide bestehenden Lebensgemeinschaft, des Staates, als solcher
sein kOnne. Selbst wenn wir annBhmen, alle Sdralanftlehtsbeamten efaies
Staates, von dem höchsten bis zn dem geringsten, seien Fachmänner in des
Wortes eigentlichster Bedeatung, so würde eine solche SchulvftwaltnnG: trotz-
dem an den vei-scliiedensten Stellen mit den gesunden Forderungen der Päda-
gogik in Widerstreit gerathen müssen, wenn sie nicht auch zugleich den
Lehrern als den natflrliehsten Vertretern der Interessen der Schule ein be>
sdieidenes Anreoht an der Pflege ond Leitong derselben ehiriamen, wenn sie
nicht zugleich auch den ans der lebendigen Praxis heraus geborenen Beirath
der Lehrer mit in Anspruch nehmen wollte. Bei einer rein staatlich organi-
sirten Schulverwaltung müsse nothwendig der bureaukratische Geist zur Herr-
schaft gelangen; es bestehe zudem die Gefahr, dass eine Staatsregierung die
Schule dasn beniltaen würde, auch gewisse politische Qmndsfttse auf dem Wege
des Schulnnterridktei in das Volk hineinsntragen, die Schule also, um mit
Maria Theresia zu sprechen, zu einem Politicnm heraltg-owürditrt \vürde. Da
liege denn auch die j^iolie liet;ilii- nalie, dass die unselige Afrquickung von
Politik und Pädagogik unter Luiständen sogar denioralisirend einwirken müsse
auf den Lehrerstand selbst Gressler gebe zn: 'die Lehrer sollten sich wie alle
Staatsbeamte der MBentUchen politischen Agitation, sowol fttr wie gegen
die Kegierung, grundsätzlich enthalten. Das sei eine Fordening-, der man
schon mit Rücksicht auf das gute Einvernehmen zwischen Lehrern und Kitern
zustimmen müsse. Im übrigen aber solle man dem Lehrer genau dasselbe Maß
freier Bewegung einrttomen, wie es jeder andere Staatsbfirger beritM. Die
Sehnle mflsse im Interesse des heüigoi Werkes, das sie anssabanen und zn
pflegen hat, den Einflüssen der Politik grundsätzlich eiitaogen werden; das
tranze Lehen und ^Virken derselben sollte vielmehr geregelt und ausgestaltet
weiden nach rein i);lda<;ogischen Kücksichten und UrundsUtzen. Der jahr-
hundertelange Kamj[jf zwischen Staat und Kirche um die Herrschaft der Schule
könne hente im Prindp ab entschieden betraehtet werden. Seit 1872 sei in
PreuBen die Schule gesetzlich als Staatsschole sanctionirt und die Schnlanf-
sicht ausschließlich der Staatsregiemng zuerkannt. Freilich sei schon unter
Friedrich Wilhelm I.. dem \ ater der preußischen Volksschule, der staatliche
Charakter der \'olksschule bereits in allgemeinen Umrissen bestimmt und unter
Friedlin dem 6ro8en im „AllgemeiDni Landschalreglement" und unter denen
Nachfolger im „AUgenminen Landrecht" der Omndsatz der Staatssehnle mit
unzweifelhafter Scfairfe zum Ausdruck gebracht Doch habe sich der BegrUf
Digitized by Coogle
662 —
der Staailmehiile im LanüB der Jahre Terdonlnlt, warum et 1872 bei Erlaas
des Schnlanfsicht&geset^es geradezu nothwendig war, das Anrecht des Staates
an der Sdiule mit voller Bestininitlieit noch einmal znm Ausdruck zu brinp-en.
Nun hiltten zwar die deutschen Reg-ieruni^en mit der geistlichen .Schulaufsicht
aucli heute noch nicht gebrochen; allein sie seien olieubar nicht gewillt, die
alten ZutSnde ideder dntreten und die onsweifbUiaflen Hechte des Staates an
dir Sdmle durch Idiichlidie Einfifiase wieder Terdmikelii n lassen. Dieses Ziel
unter Beibehaltung der geistlichen Schulaufsicht aber zu behaupten, gebe es
nur ein Mittel: die ganze Schulthfttigkeit, das ganze Leben und Wirken der
Schale bis in das kleinste hinein auf dem Wege der Verwaltungsmaßregelu zu
regtiüf auf klare und bestimmte Verordnungen der staatlichen Behdrden lU
stfitaen, so dass die geistlichen Sdmlinq^toren bei dar Ansttbiuig der Sdral-
aufsicht auf Schritt und Tritt an den sogenannten staatlichen Auftrag gemahnt
und in der BothStis^nnc: rein kirchlicher Einflüsse nach Möglichkeit beschrankt
würden. Wie (Um aber auch sei. Thatsache bleibe, dass das Volksschiihvesen
in den meisten deutscheu Staaten sich auf dem besten Wege belinde, bis in
seine letatenVertetelaiigeB liinein mifiormirt an worden, nnd die Lehrer in der
Ansfibnngr ihres schweren und wichtigen Erziehet bemfes je länger desto mehr
eine Einschnürung ihrer Tndividualitilt, der freien Bewegung in der Entfaltung
ihrer Kriifte erfuhren. Allerdings bedürfe auch die Volksschule der sorgtUltigen
Leitung und Überwachung, der einheitlichen (restaltun^ ihrer unterrichtlicheu
nnd erdeliU^n Thitigfcsit Allein in dem Bahmea dieser nothwendigen
Schranken sollte jedem Lehrer bei der Ansflbnng seines BemfBS ein mSgUohst
Tolles Maß der Freiheit in der Bethätigung seiner Individualität belassen
werden, und kein Schuldirigent sollte das Recht haben, dem gereift »ren und
gewissenhaften Lehrer bezüglich der methodischen T^ehandlnng der Lehrstotie
und der Gestaltung seiner Erziehnngsthätigkeit bis in das Kleinste hineiii-
gdiende nnd in jeder Hiinieht bindende Vorschriften an geben. Das Ibrtwäb«
rende Verfügen und Schablonisiren müsse dasn dem Unterrichte die zu einer
ruhigen Vertiefung in die Lehrstoffe nothwendige Stetigkeit und Ruhe benehmen
und den L» hrer zu einer Maschine oder zu einem Maschinentheile herab-
würdigen. Wie solle überdies von der Bildung sittlicher Charaktere die Kede
aefaiy wenn ea dem Lehivr aelbst Terwefart ist, seinen eigenen Oharakter fai
seinem Benfe znr Geltung zu bringen, der Eigenartigkeit seiner geistigen nnd
sittlichen yerfassung gemäß seine Lehr- und Erziehnngsthätigkeit zn gestalten?
Wir sähen: Soll die erzieliliche Wirksamkeit der Schule den wünschenswerten
Erifolg haben, so müsse mit dem bureaukratischen Geiste der Schul Verwaltung
gebrochen werden, so müsse jedem Lehrer ein möglichst volles Maß indivi-
dueller Freilieitf jeder Schule das QeprSge individueller Lehr- nnd Erziehing»>
thätigkeit mSfl^Uchst gewahrt bleiben. Dem Staate gebüre also das Recht der
obersten Leitung und \ei\valtung der Schule; aliei- der staatliche Einfluss
sollte da seine (Frenzen linden, wo naturgemäß der Eintlus.s der Schule beginne.
Mit anderen Worten: Der Staat solle sich begnügen mit der Zeichnung der
Gmndlinlen nnd aOgenelBea Gesichtspunkte, isBeriialb deren die Thttigfceii
der Schale sich m bewegen hMte, die Ansgestsltnng der Lehr- nnd Eniehugs-
thätigkeit im einzelneK aber der Schule und dem Lehrer überlassen. Nor so
werde es möirüch Kein, auf dem Gebiete des Schulwesens die Verqnickuns"
politische!' und pädagogischer Grundsätze ebenso zu vermeiden, wie die völlige
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11111/01111110108: der gesammten Schultliiltiirkeit. die das frische, individuelle Leben
der Schule im Laufe der Zeit ersticken müsse. — Kedner wendet sich zu einer
BeleuchtODg des Verhältnisses zwischen Schule und Kirche. Beide seien Bil-
dmigB- md EntehnngMtatteB des VoUcm. Die VoIkflMhDle wolle eftnnntliehe
Kräfte des Geistes und OemfiOies zu einer harmonischen Einheit entfalten und
damit den Grnnd legren zn jener sittlichen Charakterhildun?. die allein Uber
den wahren AVert des Menschen entscheide. Die Kirche dugegcn liabe es aus-
schließlich mit rdege der sittlich-religiösen Bildung zu thun. Beide, Schule
and Kirehe, eeien also in den eilMbenen Zielen, die ale verfolgen, Tenraodte
Aweteltiw. Die reUgUie Büdang dirfe ond solle mcfate anderes sein, als die
glänzende Spitze der Pyramide unseres Geisteslebens, zu deren Ausbau alle
übrigen Wissensgebiete die Bausteine jreliefert hätten. Von relig-iöser Bildung^
könne daher in Wirklichkeit nur bei dem die Rede sein, in dem der Wider-
streit Ewischen Glauben und Wissen, zwischen Beligion und Wissenschaft aos-
gefoditen, in dessen Gclrtes- vnd QeflUsleben die religiöse Seite mit der sitt>
liehen und intellectuellen zu einer harmonischen Einheit verschmolzen seL —
Ohne die Schule könnten weder Staat noch Fvirche ihren Auftraben gerecht
werden, und ohne die Kirche müsse das sittliche und religiöse Leben in den
breiten Scliichten des Volkes nothweudig verkümmern. Darum sei es in beider
ErzidrangBanstalten Interesse, wenn sie von dem Bande wahrer und aufrich-
tiger Freundschaft nmsftHlmigen wfirden, wenn Paatinen wie Ldirer als Diener
an ein und demselben Werke sich betrachten, wenn einer dem anderen freond-
SCbaftUche Achtuns: entg^egenbriuge.
Infolge der BeheiTschuug der Schule durcli die Kirche werde das Princip
der Harmonie des ganzen Unterrichtes gefährdet, da die Kirche bei der Schal-
beanfUehtlgmig der reUgiOsen Unterweisnng in Bezog auf den Vmliuig der
Lehrstoffe wie die Art ihrer Behandlung äußerlich eine Berttcksichtigong an-
gedeihen lasse, die das pädagogisch richtige Verhältnis zn und unter den
übrigen Lehrt'ächern aufliebe. Solle also die Schule imstande sein, ilireii Auf-
gaben zu genügen, so müsse sie fernerhin geschützt werden vor dem sie be-
hMrrsdMnden Einflnss d» Kirehe, der die Oltiehberechtigiug von Kirche nnd
Schnle als Bfldnngsfactoren aufhebe und damit das IBr beide gleich wUnschens-
werte vertrauensvolle Verhältnis zwischen Pastoren und Lehrern störe und der
anSerdem die Einheit und Harmonie des Unterrichtes als eine der wesent-
lichsten Voraussetzungen gedeihlicher Schultliätigkeit gefährde oder gar ver-
nichte. Dagegen solle anch fernerhin der Kirche jenes IfaA Ton Kinflus anf
das Leben nnd Wirken der Sdinle verbleiben, wie es zur Pflege der vermndt-
schaftlichen Beziehungen zvrischen Kirche und Schule nothwendig sei. Wir
wünschten daher, dass nicht blos im Ortsschulvorstande, sondern auch in der
von uns so wann euiptoliienen Schulsyuode Diener dci Kirche vertreten seien;
aber dieselben solieo auch nicht in etwa mit einem grüliereu Mali von Rechten
aomestattet sein als alle ttteigen Mitglieder dieser KSipersdiaften. Wie nun
stehe es endlich um das Anrecht der Familie nnd Schnlgemeinde an der
Schnle und Schul Verwaltung? Der hauptsächlichste Grund für die stets
wachsende Lockerung des Bandes zwisrhen Schule und Haus licire in der
Thatsache, dass die Schulgemeinde als solche kaum noch einen ucuuenswerten
Einflnss aif das Leben nnd Wirken der Schale besitze. Gewiss sei in dieBitaide
des Ortssdinlvontndes eine ganne Beihe widitIgerBechte gelegt worden, wie
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Lehrer wähl, Festsetzung der Lehrergehälter. Regelung der äußeren Verhält-
nisse der Schule. Alleiu bei der Zusamineusetzung des Schulvorstandes, bei
der Art, wie seine Hitglieder für dies bedentmne Ehrenamt bemÜBn würden,
kSünten jene Bechte nnmaglich yoll nnd gans nun Sagen der Sehale Qeltnng
erlangen. An der Spitze des Ortsschulvorstandes stehe ein Geistlicher, der den
Lehrern gegenüber mit den Rechten eines Vorgesetzten ausgestattet sei, obwol
er die zur Leitung der Schule nothwendige theoretische und praktische Be-
nihigung nicht besitzt, also anch nnniüglich des genaueren über die eigent-
lichen BedttrftiiBBe derSehnle onterriehtet aein kOnne; die Mitglieder deeSchnl-
vorstandes als die Vertreter der Schnlgemeinde ging^en nicht ana der freien
^^'ahl der Schulgemeinde hervor, wie etwa die Stadtverordneten ans der freien
Wahl der Bürger, sondern sie verdankten ihr^Amt einzig und allein dem Gut-
dünken und Wol wollen des Herrn Pfarrers, der schon dafür Sorge zu tragen
pflege, daaa er Lente in den Schnlvorstand bekomme, mit dmen er mnnigehen
wisse; die Sehnlvorstandsmitglieder h&tten darum auch keinerlei m<H*aIiBche
Verantwortnng gegenüber der Schulgemeinde bezfiglich der Art ihrer Amts-
tiihrung. Was aber das schlimmste sei: der eigentliche fachniiinnische Bei-
rath fehle in der Regel vollständig, da der Lehrer, der natürlichste Vertreter
der Schale, von der ESrpenehaft, der znn&ehet die Pflege der Litefenen der
Sehnle aayertrant eei, aoegeaehlossen werde. Wir mfleeten alte drittens die
Forderung aufstellen, auch der Schnlgemeinde als solcher den ihr gebfirenden
Einflusfi auf das Leben und Wirken der Schule einzuräumen. Das bisherige
Ergebnis laute also: f)er Kiiifluss des Staates und der Kirche auf die
, Schule muss eingeschränkt werden zu Gunsten des Einflusses, der
der Schnlgemeinde nnd Sehnle in Besag auf die Pflege und Ver«
waltnng der Schule anerkannt werden mnss. Wie das im einzelnen
durchzuführen sei? Erstens erscheine eine angemessene Umgestaltung der
bislang üblichen Scliul Verwaltung an sich geboten; zweitens sei eine Ergänzung
der staatlichen Schulverwaltung durch Errichtung von Schul syuoden noth-
wendig, das hdfle von Körperschaften, in denen die ans freier Wahl horor-
gegangenen Vertreter der Schale, Schnlgemeinde nnd Kirche, sowie Vertrater
der Staatsregierung zu gemeinsamer Berathang wichtiger Schulfragen zusammen-
träten. Im Ortssrlmlvorstand müssten Vertreter der Schnlgemeinde, der Kirche
and Lehrer gleiehe Pflichten nnd Hechte haben. Der Vorsitzende müsse frei
gewählt und die geistliche Lucalschulaufsicht gänzlich beseitigt werden. Die
Folgen einer derartigeii Neogestaltnng des Ortsschnlvorstandea Ilgen auf der
Hand. Die gance Wirksamkeit desselben werde sich sachgemäßer, zielbewusster
und gedeihlicher gestalten; das Interesse der Selmlcremeinde an der Arbeit und
Entwickelunt,'- der Schule werde dauernd lebendig erhalten, und besonders zur
Zeit der nach bestimmten Zeitabschnitten wiederkehrenden Neuwahlen würden
die eiuBsinen Glieder der SdudgemeiBde naehdrOeklioli an ihre Rechte und
Pflichten der Schule gegenttber gemahnt; die Lehrer endlich wilrden sneh ihrei^
seits bemüht sein, die freandschaftlichen and yertranensvollen Beziehungen
zwischen Sclinle nnrl ffaus mit Snrjrfalt zn pflegen nnd rlufiir Sorge tragen,
tlass diese lebendifcere ^\'eehsel^virkung zwischen Familie und Schule der ganzen
Erziehungsthätigkeit je länger desto mehr zum Segen gereiche. Abweichend
vom seitherigen Branche sd sodann der Kreisschnllnspeetor nicht von der Be-
giemng an bestellen, sondern 7on den Vertretern der Schnlgemeinde in wUden
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und TWl der Regiemng za bestallen. Diese Verwaltnngsbeaniten müssten so-
dann Fachmänner sein in des Wortes eigentlichster Bedeutung-, d. Ii. Schol-
luänner, die bei einer gründlichen allgemeinen Bildung eine ebenso vielseitige
wie tiefe pftdagogieefae BefUugung, «owol nach der theoreti8clie& wie prak'
tiMlien Seite hin beBitzen, die dee gnnie Leben nnd Wirken der Sehnle ans
eigener Anschauung und Erfahningr kennen gelernt haben, die imstande sind,
die Bedürfnisse der Schule richtis" zu beurtheilen und die T.f Vionsinterf'Ssen der-
selben nach allen Seiten hin zu iürdern. Dass solche Fachnüinner nur in den
Beihen der tfichtigsten Volksschullebrer zu finden seien, sei eigentlich selbst-
ventl&dlieh. — Wae Redner tnwr die Sehnlaynoden aledann eingehende an*-
führte, geben wir wörtlich wieder: „Es ist femer eine Ergänzung der staat-
lichen Scliulaufsiclit (limh solche Körperschaften der Schulptlege geboten, in
dt-nen frei gewühlte \ ei treter der Lehrerschaft, der Schulgemeinde und der
Kirche, sowie Vertreter der Staatsregierung zu gemeinsamer Berathung wich-
tiger SdinUhigen snaaainientreten, d.h. dnreh Schnlqmoden. AUerdinga würden
schon bei der Reorganieation der Schalverwaltung, wie ich sie Ihnen vorhin in
allgemeinen Umrissen gezeichnet habe, die Grenzen für die Bethätigung des
Einflusses, der den einzelnen bei der Jugenderziehung mit interessirten Volks-
gemeinschaften in Bezug auf PHege und Verwaltnng der Schule eingcräomt
werden loll, im allgemeinen natorgemftß nnd richtig gezogen sein. IMe Lei*
tnng dw einaelnoi Sehnle wie der an einem grOBeren Verbände vereinigten
Volksschulen im Kreise liegt danach in Händen eines wii klichen Fachmannes,
d. h. eines tüchtigen Vf>lkss( !inllf'hrer>;. Im Ortsschulvonstande hat auch ein
Vertreter der Schule und des Lehrerstaiulcs, gewöhnlich wol in der Person des
Hauptlehrers oder Rectors, Sitz und Stimme nnd ist in der Lage, die Angelegen-
heiten der Sehnle nnd seiner Ifitarbeiter nachdrSeklich an fSrdem. Die Hit- *
glieder des Schulvorstandes als die Vertreter der Schulgemeinde stehen unter
dem lebendigen Eindrucke der moralischen Verantwortlichkeit gegenüber der
Schulgemeinde, und namentlich zur Zeit der Neuwahlen füi' diese nntorste Stufe
der Schulverwaltaug wird auch den übrigen G^eiudegliederu dus allerdings
iehr geringe UaB von Beehten nnd PiUditen in Besng anf die Schale in Er-
innerung gebraeht und das Interesse an dem Leben nnd Wirken der Sehnle
allgemeiner und in grüOerem Umfange erregt, der heirschende Einflass der
Kirche auf die Schule ist crflMochen, und die Geistlichen haben nur noeh als
völlig gleichberechtigte Mitglieder des Schulvorslandes an der Pflege der \'ülks-
erziehang* mitzuwiiken. Der Schwerpunkt in der engeren und näheren Aas-
gestaltnng der Lehr- nnd Endehnngathltigkeit raht in der Sehnle nnd Sehnl-
gemeinde, nnd der Staat wflrde sich mit der höchsten Leitung des gesammten
Schulwesens nach allgemeinen, weiteren Gesichtspunkten zu begnügen haben.
Gewiss würde mit einer solchen h'etorm wahrhaft Uro ües erreicht sein und ein
reicher Segen davon dauernd auf das ganze Leben derScliule ausströmen. Und
dodi werden wir bei genauerer Prftfung flnden, dass aneh diese an deh gewiss
mnsteriiafte Sehvlvafhesnng an Mängeln leidet» die nur durch die Einrichtung
von Schulsynoden ihren Ausgleich finden können. Erstens kommen der Lehrer-
stand und die Sdntlirt nieinde als solche nicht genügend zur Geltung und zwei-
tens fehlt es an . im iii über den Urtsschul vorstand hinaus reichenden hamo-
nisdien Zusummeuwirkea von Schale, Gemeinde, Staat und Kirche im Dienste
der Volkaerziehang. Nach der neuen Gestaltnng der SchulverfiuBung sind die
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IjPit^r der Schule allerding^s FacliniSnner. die nach ihrer theoretischen wii^
praktischen Ausbildang die volle iktähigung zur technischen Leitung der Schule
besitzen. Aber anch mit den sogenannten Fachleuten habe(i die Lehrer schon
9ibst ndit eigrathfimliche ErfRhrtiiig«n maehen mflasen. Gar maaehe leben
sich aUailbli«3i in den Gedanken hinein, dass die Sehulthiitigkeit nur dann
segensreicli entfaltet werden könne, wenn sie fi:anz nach ihrem Willen, nach
ihren Ansichten über üntenidit und Kr/.ieliiiim^ ausgestattet werde, wenn das
ganze äußere and innere Leben der Schule nur das Gepräge ihrer pädagogischen
AnechavnDg ond Übersengung trage. Ein StSek fk«ier Bewegnng naeh dem
anderen wird den Lelitem abgenommen, und endüdi liat sich eine Paeehw*
Wirtschaft eingenistet, die selbst den Bureaukraten vom reinsten Wasser kanm
etwas zu wünschen übrig lässt. Dass unter den lähmenden Einflüssen solcher
Schulmouarclien oder richtiger Schultyrannen mauclieni Lehrer im stillen Ge-
mäthe die Überzeugung aufdämmert, daee unterm Kmmmstabe es sich doch
eigentUoh gemfithlicher leben lasse, darüber wollen wir nns wahriieh nieht ver-
wundern. Weisen Sie mich nicht liin auf den wirksamen Schutz, der doch
bei einer so frei gerichteten Schulveifassuntr schon von Seiten des Ortsschul-
vorstandes für die Lehrer mit Bestimmtheit zu erwarten sein dürfte. Nein,
meine Herren, je haruiouischer, gesetz- und regelmäßiger ein Bau äußerlich anf-
fpeführt ist, einen desto wolfhnenderen Eindmelc wird er auf das Ange desBe-
schaners ausüben , je schablonenhafter, nniformirfeer vnd bnreankratiieher die
Thitigkeit der Schule äußerlich ausgestattet wird, je mehr sie aus einem Guss
herau.«gearbeitet ist, desto größer wird das ilali der Anerkennung sein, das
man dem Leiter der Schule zutheil werden lässt. Ob das Recht der fremden
PersOnHelikeit als solcher, das Beeht der Individnalität bei Lehrern wie Schtl-
lern mit FttAen getreten nnd damit die eigentUehe Omndlage dar Volkssehnl-
endehnng noch so heftig erschüttert werde, dafür haben die Laien in der Regel
kein Verständnis. Wir haben daher alle Veranlassung, die Forderung zu stellen,
das-s auch den Lehrern als solchen, d. h. ganz unabhilngig von dem Dirigenten
der Schule, das ihnen gebürende Maß von Eintluss auf Pflege und \'erwaUuug
der Sehnle einger&nmt werde. Wie sollte das aber wirknmer gesehehen kSnnen,
als durch die Möglichkeit, auch ihre durch freie Wahl berufenen Abgeordneten
in die einzelnen Abtheilungen der Schulsynoden zu entsenden, wo sie nicht hlos
das Hecht, nein, die Pflicht hüben, ihre nnd ihrer Wühler Meinungen Olfen und
entschieden zu vertreten auch gegenüber den bureaukratisch angehauchten Lei-
tern derSeknld, soweit sie ttberbanpt in diesen Körperschaften Sita nndStine
haben. Sobald aber in einer gröfieren Versammlnng gebildeter Hinner eine
vorurtheilsfreie Beleuchtung von Schulfragen nach verschiedenen Richtungen
statttindet, dürft*» der starre Bureankratismns in den meisten Fällen doch wol
den kürzeren ziehen. Außerdem muss es darauf ankommen, dieTheilnahme der
Familie und Schulgemeinde an dem Werke der Volksbildung noch weiter zu
beleben, dieVoIksensiehnng womöglieh an einer Angelegenheit des allgem^en
öffentlichen Interesses zu erheben. Das wird aber nor möglich sein, indem man
der Schulgemeinde, d. Ii. di r Familie, noch eine über den Ortsschulvorstand
hinausreicliende ^litwiikting an dt-r Pflege und Vfrwaltunsr ermöglicht. Ks ist
ja keine Frage: kein Factor des gesammteu Volkslebeus hat ein su unmittel-
bares, ein so nahdiegendes Interesse an der Jngendereiehnng wie die Familie,
wie denn nach kein Fremder geneigt sein dürfte, die Verantwortang für die
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traurigen Folgen auf sich zu nehmen, die sieh aus der Vernachlässiicrniig der
Kinder in körperliciier oder geistiger Hinsicht, aus einer oftenbai' falschen oder
irre geleiteten Erziehung ergeben müssen. Und würden wir einen verhängnis-
volleB Fehler begehen, wolltaB vir «m dStmst Tltatseche die allerdings nahe-
liegende SehlniifolgeraDg sfaheii, daw damit der Familie oder der Sefantgeoieinde
aach der entscheidende, besthnmende Einflnss auf die AnngtintüHang derSehnl*
thHtigkeit gebüre, dass das ganze \V'erk der Schuler/.iehnng nur zu betrachten
sei als eine Privatangelegenheit der Familie und der Schule, die nur zwischen
diesen zunächst Betheiligten geregelt zu w erden brauche. Freilich gehurt das
Kind in erster Linie der Familie an; aber sein Zweck liegt nieht allein in der
Familie. Es soll auch vorgebildet und erzogen werden für das Leben in Staat
und Kirche, die beide ihren Aufgaben nicht gerecht werden können ohne die
durch die Schulthätigkeit begründete Bildung. Zudem liedarf es unter Fach-
genossen nur der Erwähnung, dass unter unseren heutigen Culturverhältuissen
eine allen berechtigten Anfordenmgen des Lebens in Familie, Staat nndKirohe
im allgemeinen entqireehende Vfdksfaildang nur dann taeMt werden kann,
wenn das g^mmte Schulwesen nach grofien, weiten Gesichtspunkten von einer
Centralstelle aus. dem Landcsschulcollegium oder dem llnterrielitsiuinisteriunK
einheitlich geleitet und überwacht wird. Endlich ist die reine Fuinilieiischule
* schon danun ein Unding, weil sie im allgemeinen noch der zu einer wahrhaft
gedeihliehen Entfldtong ihrer Thfttigkeit nothwendigen OrnndToraniMetzang, der
nüthigen Einsicht nnd Bildung der Familienväter, ermangelt. Eine richtige ond
umfassende Wüi dignng der Volksbildung kann selbstredend nur bei Leuten von
wirklicher Hildung erwartet werden, und selbst bei diesen auch dann nur, wenn
sie in der Volksbildung eine Quelle wahren Volksglückes erkennen; der Bohe
nnd Ungebildete dagegen pflegt die Wissenschaft entweder nnr als einen hSchst
äberflftssigen nnd darum leicht eutbehrliehen Lnznsartikel n betrachten oder
doch nnr das als echte Bildung anzoataonen, was sich ihm mit fremdländischen
Floskeln reich verbrämt zu prilsentiren weiß, ünd so ist es alsdann ganz na-
türlich, dass die Volksschulichrer selbst heute, wo der Familie und Schul-
gemeinde doch wahrlich kein sehr großes Maß von Eechten in Bezug aof die
Schnle elngerBnmt ist, in weiten Kreieen sieb zn beklagen haben flber Mangel
an Opferwilligkeit und Interesse sogar bei den sogenannten maßgebenden Per-
sönlichkeiten ihrer Schulgenieinden, dass sie kaum das Allernothw endigste für
Schulzwecke loseisen und niciit selten gezwungen sind, die Hilfe der vorgesetzten
Behörden in Anspruch zu nehmen. Wir werden uns daher woi zu hüten
haben, ans der Scylla der reinen Staatssehnle in dieCharybdis der reinen bunt«
seheckigen FamiUmisehnle mit voUen Segeln hinnberznAhsen. Der goldene
Weg liegt vielmehr auch hier in der Mitte. Wir erkennen das unzweifelhafte
Recht des Staates an der obersten Leitung der Schule in seinem ganzen Vu\-
fange an. Gleichzeitig aber wünschen wir, dass auch der Schule und Familie
als den bei der Jogenderziehimg zunächst Betheiligten soviel Einüass auf die
Oestaltnng der .Sehnlth&tigfceit eingeräumt werde, als das ohne Schädigung
dieser mOglich ist. Insbesondere halteii wir es Ar eine unabweisbare Pflicht,
alles zu thun, was geeignet erselieint. das Interesse der Familien an der Wirk-
samkeit der Schule zn beleben. ilitKecht sagt Ziller in seiner , Grundlegung ' :
,Aui; beiden Seiten, d. h. der Familie und der Schule, sollte das Bedürfnis des
Anstanschfls nnd ArngtoieheBS von Meinungen, Gedanken, Wflnschen lebendig
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Bein; beide sollten refrclniäßige Gele^jeiilieiteii begrrüuden, wie sie gegenseitig:
von ihrem inneren Leben Kenntnis nehmen und ihre ThJUigkeiten und Cber-
sengangen in Übereinstimmang bringen Icönnten; beide Theiie sollten, wie bei
der Begiernng und Zucht, to ancli hinalchtUch des Unterrichtee, theib in du-
seinen lUlen, theUa Aber ein grOfieres Ganzes von Einrichtnng^en einander be-
rathen und gemeinsame Entschließungen fassen.* Wie sollte das aber wirk-
samer und erfolgreicher g:eschehen können, als dorch die Begründung von
Scbolsynoden, iu der Fachmänner und Laien über Schulerziehongsfragen ein-
mutor sm belehren und m Terstlndigen micfaen. — DieOrganiaatkn derSelml*
■ynoden wftrde dch wie fblgt gestalten: Neben der einnelnen Sdinle steht der
Ortsschalvorstand, in dem die Vertreter der bei der Jngenderziehang mltinter-
essirteii \"o!l<sfr(>niein8chaften, Schule, Gemeinde, Kirche und Staat, in gemein-
• schaltlicher Arbeit die gesammten Interessen der Schule und des Lehrerstaudes
nach Kräften zn fördern bemüht sind. So sollte neben dem Kreissehulinspector
die Ereiseynode, neben der ProvinzialechiilbehOrde die ProTinaialichnl-
Synode and neben der höchsten Stufe der staatlichen Schnlverwaltung , neben
dem Unterrichtsministerium, die Landessch nlsynode ihren Platz finden.
Die Mitg;lieder der Kreisschulsynode gehen aus der unmittelbaren Wahl der
einzelnen Schulgemeinden und der in diesen Gemeinden amtireudeu Lehrer und
PCurer hervor. In die Provinzialtdiiüqnode werden einxelne MM^eder der '
Krelii^oden abgeordnet, «fthrend die lOftglieder der Landeaidinl^ynode ans
den einzelnen Provinztal^oden recnitiren. Als die wichtigsten Geschäfte der
Schulsynoden bezeichne ich im Ansclilusse an die treffliche und gründliche Ab-
handlung des Herrn Wigge- Coswig über denselben Gegenstand folgende:
1. Sie regelt die inneren Schnlangelegenheiten, soweit es dielndividnalität
der einieldeii Schule gestattet
2. Gleiche Aufgaben, wie für das Y(dksBchalwesen, hat die Synode bezüg-
lich der Fortbildiinps.schulen. der Fiettung-s- und Waisenhäuser.
3. Die Synode nimmt tlieil an der Regelung der Lehrerhesoldune:.
4. Die Synode besorgt die von der Ortsschulbehürde zu bestätigende Wahl
des Ereissehnlinspectors, der Fachmann sein und ansschliefiUch seinem Amte
leben mnss.
5. Die Synode erledigt Fragen der Schulhygiene und die in das Baufach
schlagenden Fragen von allgemeiner Bedeutung.
6. Bedürftigen Gemeinden gewährt die Synode auf Ansuchen Unter-
sttttzangen aus der Ereisschulcasse,
7. Die Synode wlUt eine Gommission, welche die Function eines Schieds-
gerichtes bei streitigen Angelegenheiten innerhalb derErei«chnlgemeinde wabr-
snnehmen hat.
Vielen von llinen werden diese der Schnlsynode übertragenen Befugnisse
zu weitgebend sein. Einige derselben, wie z. B. die Theilnahme an der Rege-
lung der Lehrerbesoldung, die UnterstHtnng hilftbedlirfliger Gemeinden ans
der Ereisschulcasse betreffend, würden dne völlige Umgestaltung der bisher
üblichen Unterhaltung: der Schulen voraussetzen. Wieder andere, die ReprelnnR'
der inneren Angelegenheiten, die Wahl des Kreis.schulinspectors betrertend.
geben der Synode offenbar den Charakter einer ausführenden Körperschal't,
während wir im allgemeinen schon gewiss damit zufrieden seüi können, warn
snnftchst nur Schnlsynoden mit dem Bechte, BathschUge sn ertheüen und An-
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trÄge zu stellen, ins Leben g-ernfen würden. Jedeiifiills wird den Sdiulsynoden
in erster Linie das Recht , bei der llegelnng siimmtlicher äußerlicher 8chal-
augelegeulieiten mitzurathen, zuerkannt werden müssen. Aber aucli das ganze
innere Leben der Schule mnss in den Kreis der Berathnng gezogen werden
dlbtilBn, und zwar eehon deshalb, am das VerstSodiiis der Ifitf^eder für allge-
meine Schnlfiragen zn wecken mid an lOrdem und daadt den Grand zn legen
für ein das g-esammte Schulwesen umfassendes Interesse. Der Schulsynode
aualoi^e Einrichtungen haben wir in den Ärztekammern und im Volkswirt-
schai'tsrathe."
Die Geschichte der Scbnl^yDode koBnte Gressler Zeitauuigels wegen nicht
geben. Er schloss darum mit Beantwortung der Frage, wie wir un^ zur Ein-
fUmmg' der Schulsynode stellen wollten, die er folgendermaßen gab:
. 1. Dem Staate gehört die oberste Leitung nach den weitereu und größeren
Gesichtspunkten.
2. Die engere Ausgestaltung der Schnlthfttigkeit moas der Sehnle in Ver^
bindnng mit .der Scbvigemeinde and Kirche liberlaasen bleiben.
3. Damit aber ein ersprießliches Zusammenwirken von Familie, Schale,
Kirche und Staat möglich sei, müssen Schulsynoden ins Leben gerufto werden,
die sich in Kreis-, Provinzial- und Landessynoilen scheiden.
4. Die Schulsyuoden sind berathende Körperschaften, die den staatlichen
Organen der Seholverwaltang mit ihram Bdrath aar Saite steheh sollen.
Meine Herren, eine derartige Aasgestaltnng der Schulverfassung, wie ich
sie Tliiu n in kurzen Zügen gezeichnet habe, würde eine weittragende Bedeu-
tung gewinnen für das Leben in Schule, Kirche und Staat. Die Schule ist
ebenso gesichert gegen die lähmenden £intlüsse der einseitigen Dureaukraten»
Yorwaltong, wie anf dar anderen Seite gegen die WUlkflr des Dorf- and Stadt-
Uagnateathnma. Wird sie in allem bestrebt sein, bei der Ansttbong ihrer
TbStigfceit von jenen bestimmten, unabänderlichen Gesetzen sich leiten zu lassen,
denen auch die geistige Entwickelnng des Kindes unterliegt, so wird sie doch
anderseits in der lebendigen Wechselwirkung mit der Familie, der Gemeinde,
der Kirche und dem Staate immer wieder von neuem darauf hingewiesen, dass
sie ihre Kinder auch Ittr das Leben innerhalb dieser Kreise voranbereiten nnd
den berechtigten Anforderungen, die auch dieae oorporativen Schulinteressenten
au die Schul*>rziehung stellen nmss, Rechnung: zn tragen hat. Mit dem ge-
steigerten Intei esse des Volkes an dem Leben und Wirken der Schule wird das
öffentliche Erziehuugsweseu je länger desto mehr zu einer Angelegenheit des
allgemeinen nnd SflbntUchen Interesses erhoben werdooi nnd damit naeh nnd
naoii aneh jene Volksthllmlichkeit erlangen, ohne weldie die Bethfttlgong einer
allgemeineren Theilnahme an der Schulthäligkdt nicht wul denkbar ist. Die
Schule erscheint nicht mehr als die niediisre. dienende Magd der Kirche und
des Staates, sondern neben der Kirche als der bedeutsamste Factor des Volks-
lebens, grundlegend und leitend für die Entwickelung der geistigen und sitt»
liehen Wolfahrt des gcsammten Volkes, ünd endlich wird anch dem Lehrer-
stande, der hente noch in so manchen Kreisen nicht ohne i \u '^'^ewisses Mitleid
und Bedauern angesehen nnd beliandelr wiid. das MaL5 der öö'entliclien Wert-
schätzung zutheil. das der holien Bedeutung seines Berufes in etwa entspricht;
er wird diejenige sociale Stellung erlangen, die thatsächlich in etwa den
Glans Jener hoehtüainden Bedewendnngen wiederstrahlt, in denen man bei fiest-
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— 660 —
liehen \'eranstalt untren Schule und Lehrer wol zu feiern ptleg-t. Und die Kirche?
Nun, der herrschende Eintlnss der Kirche als das historische Überbleibsel einer
längst abgestorbenen Zeit ist auf iuimer dahin. Aber dafür hat auch sie Vor-
theile von bleibendem Segen 1»ei der Neogestidtnng der SchnlTerÜMMing ein-
geheimst. Die unseligen Streitigkeiten zwischen den Geigtlichen und Lehrern,
die bislang: das natury-emäße Verhältnis zwischen Kirche und Schule versrifteten
iiml dii- frciuulscliaftliclien und vertruuiuiKSVollen Beziehniif^en zwisdieii den
i'farreru und Lehrern vielfach vernichteten, sind begraben, und bt^idc, Kirche
nnd Sehnte, werden je langer desto melir za der Erkenntnis gelangen, dass jede
nnr ihr eigenee Interesse fördert» wenn tie die Lebensbedingmigea der anderen
fester zu liegriinden nnd sie bei der Losimg: ihrer Aufgaben wirksam zu unter-
stützen sucht. Wahre Volksliildun^ ist die Grundlage nnd die Quellt' wahren
Volkswuleti. Das gilt zu keiner Zeit mehr als heute. Die gewalti^^en Aufgaben,
welche gei'ade in der gegenwärtigen Zeit an den Staat herantreten, setzen eine
Volksbildung vomns, wie sie niemals znVor bettenden hat Geistige fie-
schrSnktheit , gepaart mit sittlichem Stnmpftinn, kommt nur den Volksver- *
fdhrern zugute, deren hohle Schlagwörter nnr in dt-r Dummheit des Volkes
Wnr/t"l s< lila°:en und üppig eniporsinießen kihinen. iin Sunneulichte echter Bil-
dung des Kopfes und des Herzeus aber zerrinnen, müssen. Kein Factor des
Volkslebens kann daher unter den heutigen VeihiUtnissea von einer grilnd-
lioh«i Volksbildung nnd -Erziehung eine so gedeihliehe Fdrdemng seiner Le*
bensthätigkeit erfaliren, als der Staat. Gerade er wird darum in erster Linie
bestrebt sein müssen, alle Reformen auf dem Gebiete des Schulwesens, die das
Werk der Volkserziehung weiter auszubauen geeignet erscheinen, mit Freuden
zu begrUBen und vorurtheilsfrei zn prüfen nnd zur Verwirklichung derselben
seine starke Hand willig darznbieten. So wird das Leben in Schule, Kirche
und Staat gedeihlicher und segensreicher sich gestalten; so wird eine Volks-
erziehung begründet werden, auf der wahre Gottesfurcht. be;s:eisterte Liebe zu
Kaiser nnd Reich und Jene Biii'^crtug'enden erwachsen, die den Menschen
zieren und zur Ausübung seines Lebensbenifes geschickt machen; so werden
wir aihnfthlieh dem idealen fflele nfther kosunen, das uns mein T^andsmaan
Emil Rittershaus bei der Aafstellung einer Diesterweg-Bnste auf dem Kaisberge •
bei Herdecke in WesiCslen seineneit in den Versen ansdrfickte:
Dann werden wir ilii^ Znktnift frei sehn von der Pest der Lttge;
* I^u werden durch die Welt wehn der Gottheit Odemjsüge.
Dann steigen nicht mehr aus der Qnft dw flastem Zeit» Leichen;
Danu i|iiillt i]rr Freiheit Lebensluft vom Laub der (biilschen Eichen,
Duon wird des CrlUckes Mauim uiüd aufn Land hcruiedcrregueu,
Dann wird der Qeist Ton Diester weg die freien Volker segnen!*
(Brausender Beifollsjnbel und Rufe: „Gressler hoch!")
in der Besprechung erklären sich Lehrer Eies, Kedacteur der „Frauk-
ftirter Sehnlzeitung'' , Stadtsehnlinspeetor Scheerer, Worms (ist boMnders
gegen die Wald des Schulinspectors durcli die Synode), Schmitt, Darmstadt»
Redacteur der „Hessischen Schulzeitnna:'* und Lehrer Hunuld. T.nnsrenan.
geeren, Lehrer ScIn iM r. üeilin. Redacteur <ler ,, Fildagoffischen Zeitung", und
Lehrer Fricke, Hamburg, für die Schulsynode. Angenommen wurden
sflhUeAlich mit nicht besonders starker Mehrheit die gestellten Sitae Or esslers:
1. Zur gedeihlichen Entwickelung des Volksschnlwesens ist
Digitizeü by Cjüügle
es notli wendig, daBs neben den Schnlbehürden berathendft
Körperschaften, Sclxulsynoden, eingerichtet werden.
2. Die Sehn Isy HO den Betzen sich zusammen «os freigewfthlten
yertr«terB der Familie, der Eirehe nnd der Lelirersehnft,
sowie aas Beauftragten der staatlichen nnd oommnnalen
Schulbehörden.
Das Schlusswort der Versannulung sprach der zweite Vorsitzende, Ober-
lehrer Johann Baptist Schubert, Augsburg, Kedacteui- des „Pädagogischen
Arehiva*. Mit einem Hoch anf den Kaiser nnd die dente^Mn Bindeefttrsten
lehloBs der Vm. detteehe Lehrertag.
Nachmittags 4 Uhr fand am Grabe Diesterwegs eine Gedächtnisfefar
statt, bei der Sladtschnljnspector Berthold, Berlin, die Weiherede liielt.
Hein UrtheU tbor den YUL Dentadien Lehrertag?
Derselbe ist in groflon- Stile verlanfen; er hat bei allen Anwesenden sicher
einen t^naltigen Eindruck hervoifenfen und hat sich zndon die Boaehtimg
der gesammten gebildeten Bevölkerung des Deutschen Reiches zu erwerben ver-
standen, wie die politische Presse es hinreichend bewiesen hat. Seine Ver-
handlongsgegenstände wareu iu erster Liiiie zeitgemäß. Und das ist für große
allgemeine Lehrerrenaafflilnngen die Hinptbedingnng , ja, die Begrttndnng
ihrer Daseinsberechtigung. Eine längst anerkannte* Foldernng der pädagogi-
schen Wissenschaft sollte bei solchen Versammlungen nur nebenbei gestreift,
nicht aber an liervorragenden Platz zur eingehenden, wenn auch noch so geist-
reichen und von Belesenheit zeugenden Erörterung gestellt werden. Versamm-
longstage dieser Art sind gleichsam' Awühialeheii In der Entwickelungs-
gesohichte des Schul- und Lehrerweeens. Wer auf diese sehen geteanehten
Zeichen stdßt, boII nicht erst nachzugrübeln brauchen, wamm Sie getetit wurden.
Worüber hunderte von Fialen abgehandelt worden ist, was nur eines erneuten
Hinweises auf noch nachdrücklichere Bethätigung eines >vichtigen Grundsatzes
bedarf: das mag an kleine Versamoüuugen zur Behandlung verwiesen oder auf
grolen aUetbUehateiui in letite Beilie gerfteirt werden, lUla nichts Wicfatigena
mehr zu eriedigea ttbrig blieb. Wir treten mit den allgemeinen Massenver-
sammlnngen au.% dem stillen Wirkungskreise unseres Amtes vor die breiteste
()fifentlichkeit; wir wollen von dieser gehört, beachtet werden. Da müssoii wir
denn doch auch etwas zu sagen haben, das allgemeine Beachtung erheischt,
verdient, das aneh andere als Ftehkrelae auf unsere- Bestrebungen anflnerksam
zu maehen geeignet ist. Wenn dereinst fOr den Lehrerstand alles dasjenige
' erreicht ist, um das wir jetzt zu kämpfen haben, wenn also das goldene Zett-
alter der Schule anc:ohrorh< n ist, dann allenfalls können wir uns zusammen-
finden, um uns an einem formvollendeten Vortrag über Grundforderungen der
Pädagogik im Kreise von Schulmännern aus allen Gauen des weiten Vater-
hmdei an erbaneu. Wer aber in der einen Hand die Edle, in der anderen
daa Schwert zu führen gezwungen ist, der versündigt sich, wenn er eine Er-
bauungsstunde abhält, während er zum Kampfe rufen sollte. Ich verkenne
keineswegs, dass bei der Forderung der Zeit^emäßheit und Dringlichkeit von
Verhandlungsgegenständen eine gründliche und formvollendete Behandlung durch
den Vortragenden nur aohwer sn «Reichen sein wird. Der ZohOror gelangt
darum sehr oft nicht zu dem angenehmen GeflUd satter Befdedigung; es scheint
MSBOfiai' lS.J«]na. Htfl Z. 47
Digitizeo by CjOügle
— 662 —
ihm hier und da noch an Tiefe der Begründung zu mangeln; er glaubt nicht
Bieber zu sein, da8s das Gesagte sich gegen etwaige Einwürfe widerstandsftlhig
. erweisen werde; er kann Zweifel an die Müglichkeit der Verwirklichung des
Gefinderten nidit gliisUflli imterdrttckttii. WMe d«r Bedner oft betretene
Fußpfade windeln können; wire ihm die Möglichkeit gelten, sich auf die
Schultern von Vordermännern zu schwingen; hätte er seine Ansichten durch
jahrzehntelanges Studium allseitig erwogen, würde er alsdann eine schon auf
der Schulbank und ßpiiterliiu bei seinen Zuhörern oft angeschlagene Saite nur
•nft nene hu Sdiwingungen zn Mtnn nSthig haben: er wflrde um Lobredner
ob seines anqgeMiehneten Vortragee nicht Teriegen sn werden braoehen, wih-
rend ihm jetzt sicher der Tadler weit, weit mehr erwachsen werden. Zeit-
fragen sind Streitfragen; manche erweisen sich zudem als nnnöthigerweise
gestellt. Was Wunder, wenn sich darum um jede Zeitfrage ein lebhafter Streit
der Heiniingen erhebt! Aber ein ehrlicher Streit wirkt dalBr anch wie ein
Gewitter; wiefa er bat reinigende Kraft
Das Gesagte nunmehr angewandt auf den Berliner Lehrertag, so darf es
gar nicht wunder nehmen, wenn derselbe manchen seiner Theilnehmer keine
volle Befriedigung hat gewähren können, wenn er so vielen Widerspruch her-
vorgerufen hat. Mag man aber auch immerhin — ich greife zwei Verhand-
InngsgegenstBndfi boaiu — ClannitBen Bede als niebt erschöpfend genng
benrtbeüen; mag man Greaslers erwirkten Besdünss mit einem edribien Rahmen
ohne Bild darin vergleichen: in beiden Angelegenheiten soll auch das endgiltige
Wort noch nicht gesprochen sein. Jetzt ist's an der Lehrerschaft, die Sache
weiter zu prüfen und der Verwirküchong oder der Verwerfung — je nachdem —
entgegenzufuhren.
Einen-groBen Erfolg hat der Lehrertag aneb dadnrdi emngen, dass er
▼erstanden hat, allseitige Aufhierksamkeit auf sich zu lenken. Mögen sie anf
gewisser Seite anch ein wüstes Gezet«r über die bösen Schulmeister anheben,
es wäre schlimm, sehr schlimm um unseren Stand bestellt, wenn uns von dort-
her Lobpsalter gesungen würden. Auf jeden Fall aber ist's vortheiihafter,
dass anf eine Sadie gescholtm wird, denn dass man sie gSnalich todtsehweigt.
Wol dem Lehiertag, dais er sieh Feinde sebnf ! Denn:
So oft von der ganzen Linie der schwarzen nnd reactionären Gilde neues
Geseter über Dittes* Bede an mein Ohr eehllgt, wül's mir seheinen, ab habe
Digilizea by LiOOgle
— 668 —
dieser böse „Österreicher- der deutschen Lehrerschaft Pftng-sten 1890 doch
einen großen Dienst erwiesen. Leider sind wir aber noch nicht allerseits so
erstarkt, dass wir der großen Zielpunkte wegen über Sachen, die uns selber,
wwie hier und d» aneh udan nnaiigeiielim berUhren, IciolrteB Henent hlnwig^
■tMlieil vermSchteiL Dthin aber müssen wir um unserer selbst willen erst
gelangen, dass wir unseren Vorkämpfern nicht die Zwangsjacke des Ver-
schweigens solcher Ansichten, die den unsrigen schnurstracks zuwiderlaufen,
anlegen wollen. Heute freilich sind wir in der Vorurtheilslosigkeit noch nicht
M wdt vorgeschritten. Und die iet bot m natllriieh. Steeken iHr doch noeh
in den Eindenehahen dee Verefaisweeeni» eo deee wir taoeendeiiei Blh^iiehteii
haben obwalten zu lassen. Da müssen wir denn unsere Wortfdhrer scbtni
bitten, nach dem Paiilitüsclien Recept mit uns zu verfahren: „liilch habe ich
each zu trinken gegeben, denn ihr konntet noch nicht.
So groikirtig nun diese Berliner Versammlung in der Qeeanuntwirkung
Mcfa verlanfen ist, so «ngemtttUich, vnbeha^h wird sieh der EünselnA uf
denelben gefdhlt hahen. Ich besuche seit 1877 die groSeii Iiehferrenmiai-
lungen, bin also daran gewöhnt, mich unter großen Massen zu bewegen. Aber
in Berlin verlor man sich ja fast selber in dieser ungeheuren Menschenmenge.
Man gelangte zu keinem ruhigen Augenblicke; man fand keine ungestörte Ge-
legenheit snm gemttthliehen Aosspieehen mit idten Freunden; wen man einmal
aas den Angen verloren hatte, der war onwiederbringUch nntergetaacht in der
Flut der wogenden Menge; wen man anwesend wnsste und nun finden wollte,
den suchte man ebenso vergeblich wie eine Stecknadel in einem Fuder Heu.
Ich habe von Berlin, persönlich statt sachlich gesprochen, nur das eine
befriedigende Bewusstsein heimgenommen, eine der vielen Einsen gewesen zu
sein, welche in der Geeammtsahl so großartige Wirirnng hervorg«nibn haben;
denn nirgends mehr als im öffentlichen Leben gilt das Wort Goethe's:
„Die 5ra«ie könnt ihr nur durch Masse zwingen."
Aber trotz alledem f?eht mein einflussloser Wunsch dahin, dass Uber zwei
Jahre der nächste Lehrertag nur höchstens halb so viele Besucher iu Stutt-
gart sosammenlllhren mSge, als in Berlin anwesend waren.
Dasseldorf. Von dem Diensteifer der königlichen Begierang «iDilasel«
dorf liefert die folgende Verfügang eine Probe:
„DUsseldort, den 1. Mai 1890.
In Ergänzung der Vorschriften, welche bezüglich des Unterrichtes im
Schönschreiben mit Feder nnd Tinte anf Pikier in den für die einaelnen
Arten der Volksschulen von uns heramgegebenen LehridKnen enthalten sind,
bestimmen wir hierdurch, was folgt :
1. Der Unterricht im Schönschreiben anf Papier mit Feder und Tinte
beginnt in den drei- und vierclassigen Volksschulen mit dem zweiten
Halbjahr des zweiten Schuljahres, In den Scholen mit einem oder
zwei Lehrern jedoch erst mit dem dritten Sehn^ahre. Wo ei dla Verhilt-
nisse in den Volksschulen mit einem oder zwei Lehrern gestatten, kann
seitens des zn8tändis:en Kreisschulinspactors angeordnet werden, dass mit
dem Schönschreiben auf Papier ein halbes Jahr früher begonnen wird.
2. Einzuüben sind zonächst die kleinen nnd die großen Zeichen der
dentsdien Schretbaehrlft. Das BriemeiL der latoiniachen Sdiilft hat in den..
47*
Digltizeü by Cjüügle
— 664 —
drei- und mehrclassigen Schulen mit dem vierten, in den Schulen mit einem
oder zwei Lehrern mit dem füntten Schuljahre seinen Anfang zu nehmen.
8. In te M- imd »elirdMilgw ScÜiiiIbb eriialteii die Sehllkr ni
Sektteriimeii der Obentals der Begel nach keine besonderen SchOnacbreibe*
stunden mehr. Doch kann, wenn die Leistungen im Schönschreiben hicht
genügen, seitens des Kreisschulinspectors angeordnet werden, dass eine be-
stinuDte Zeit hindurcli wöchentlich eine Stunde auf Schönschreiben verwendet
wird. Anch iet, wo solches erforderlich encheint, die Obung im Schön-
•direiben mm Oegeoetand kaoiücher Avtgtlbttk m nuaehen.
4. Dem fraglichen Unterricht sind tewol anf der Unter-, wie auf der
Mittelstufe wöchentlich zwei Stunden zuzuweisen. In den Schulen mit einem
oder zwei L«-hrern erhält außerdem die Oberstufe wöchentlich noch eine
Stunde Schüuschreib-Unterricht.
6. Sobald die Einttbingr der lateinlaehMi SehrelbaBluift beginnt, lat ab-
weehaelnd die eine Schönsclireibstunde auf das „angewandte Schreiben der
deutschen Currentschrift", die anderen anf die Erhmnnp der lateinisdien
Schreibschrift, bezw, die Vervollkommnung in derselben zu verwenden.
Von vorstehender Anordnung ist den Lehrern und Lehrerinnen der
Volksscbulen Kenntnia zir Nacbachtung zu geben vnd fügen wir zn dem
Ende ftr jede VoUuaclinle je einen Abdmek dieaar Verflignnir bei, weLcher
von dem HaupHelirer, nachdem dieClaaseolehrer ond Classenlehrerinnen von
der Verfügung Einsicht genommen haben, bezw. bei eindaatigen Sdiolen
von dem Lehrer zu den Schulacten zu nehmen ist.
Königliche Kegierung.
AbtheQung ftr Eliehenverwaltnng and Schul weaen.
Y. Teivita/'
Trotzdem der preußische Cultnsminister erst jnngsthin den Regierungen
die "Weisniij;: ^ab, nicht zu eingehende VeifBgungen über Methodik u. dgl. zu
erlassen, konnte sich die Regierung zu Düsseldorf die obige Verordnung doch
nicht ersparen. Die Lehrer im BeairlGa D&meldoif aoheinen von Methodik
dea üntenriehtaa noeh Immer nieht mehr m Tentehen ala Ihn Teiglnger, dfe
15 — ISjihii^pan Lehrgehilfen, welche dort bis zum Jahre 1874 amtirten, da
die Regierung selbst über den — Schreibuntenicht eine so eing'fhende Ver-
fügung- erlassen niusste, die aiiK irgend einem ]iädagogischen Xioilfadeu fär den
SeminarunteiTicht abgeschrieben zu sein scheint. .
Ana Preußen. Die preußische Yolkaaehnle in finanzieller Hin-
sicht nach den Ergebnissen der letzten Statistik. Im Novemberheft
des Pädagogiums sind die inneren und Hußeren Verhältnisse der pnMißischen
Vollisschule an der Hand der voijährigen Statistik geschildert worden. Da
die finanziellen Yertilltniaaa daM nor eine knrse Behandlung erfthren haben,
dieae aber doch ym. hoher Wlehtigkait aind, kommen wir anf die Statiatik
noehmala zarfick nnd wollen ihre Ergebnisse in finanzieller Beaiebnng- zn-
sannnenstellen.
Im Jahre 188(3 war nur dit lläHU' der Lehrerstellen mit Schul vermögen
ausgestattet. Unter den ö4 750 Stellen für vollbeschäftigte Lehrkräfte gab
ea 82583, zn deren Dotation Schal- nnd StiftnngaTermOgen yorhaaden war.
Die deaaelben konnte nieht ermittelt werden. Dagegen lied aich aein
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— 606 —
ErttÄfttOgUchatgenaa featatelleii. Erbeziffertesich im ganzen auf 7 323 641 Mk.,
wovoü Äüf die Städte nur 883480 Mk., anf das platte Land aber 6440161 Mk.
entfielen. Im Vergleiche zu den Gesamintkosteu der öffentlichen Volksschulen
ist det Ertrag des Sohnlvermögens nicht erheblich. Derselbe deckte im
gwietf Hbr 0^28% «nttrai, «tf dMn LMde aU«rdiii«i 9,74<^/o, in den
Stftdten dagegen nur 1,75 ^^/q. Ber größte Theil des Schalvermögens besteht
in dei* Landdotation. Solche war für 1936 städtische und 25966 länd-
liche Lehrerstellen vorhanden und betrug ihr Flächeninhalt 72244 ha, wovon
69619 ha auf das platte Luid entfielen. Der Gesauuutertrag derselben wurde
Mf 8740507 Kk. bendmet
Die Getammtkosten der öffentlichen yolknohiüen in Prenftm
bezifferten sich 1886 auf 116 615 648 Mk., wovon auf das platte Land
66 134 918 Mk., auf die Städte 50480730 Mk. entfielen. Die Statistik
scheidet dieselben in sachliche (für Bauten, Feuerung, Wohnung etc.) und in
persönliche £oeten, nnd hetrogen hiernach die ersteren 33 ^2%'
teiw 64 V« 7s ^ Oeenamtaafradiiifen. Seit den Jahn 1861 elnd die
aachliflhen Xoeten des preußischen Volksschulwesens stark in die H5he ge-
orangen, von 24*/ 4 auf 35Vo"/o, während die persönlichen Kosten sich ver"
hältnismäßig um ebensoviel verringert haben, von 75^ 4 auf 64Vo"/o der ge'
sammten Schulkusten. lu den Städten des preußischen Staates betragen die
•ncMieheii Koeten Mgar eftwnt mehr ala 38^/«, nad !• B«Un imd in deii Fro*
▼luea Posen nnd Westfalen stiegen lie Iber 40^0* Oleee Vermehrung ist
hervorgerufen durch die zahlreichen Schalbauten. Von 1874 bis 1885, alse
in 11 Jahren sinil 9952 Schulhäuser erneuert und 6685 erweitert, mithin
die volle Hälfte der 1886 vorhandenen Schulgebäude erneuert oier vergrößert
worden. In den Jahren 1874 bis 1881 erforderten die preußischen Volks-
nehnllMMiteii darduKhBittUeh ftber 14V« l^OiMeiiMk., ntad Ton 1883 bto 1885
Steigerfee äidl diese jährliche Ausgabe sogar auf 18 837000 Mk. Die größten
Kosten verursachten in den letzten Jahren die Schalbanten in Rheinland und
Westfalen, nämlich 3^'.2 und 2 Millionen Mk. pro .lahr. Dann folgen die Pro-
vinzen Schlesien mit 1,8, Sachsen mit 1,5, Berlin mit 1,4 und Hannover mit
1,3 lOlIion. Am weiiig«feen worde fdr SehiIhMteB ausgegeben in Ponmem
nnd Weitprenflen, 769000 Mk. bezw. 7840X Mk., ivfthrend fBr Ostpreußen
die Aufwendung nahezu eine Million betrag. — Den welthilB größten Theil der
Volksschnlbankosten trugen die Gemeinden, nämlich von den 18 V4 erforder-
lichen Millionen lö'/^ Millionen Mk. Die staatlichen Aufwendungen fdr
Schalbanten waren verhältnismäßig unbedeutend. Sie beliefen sich von
1871 hie 1881 dnrehsohnittiieh anf ca. 400000 Mk., in den letaten Jahren aaf
750000 Mk. Nur für die zurückgebliebenen polnischen Landestheile wurden
besondere staatliehe Aufwendungen ni&thig, 1886 bie 1837 allein swei Mil-
lionen Mk.
Von den 75245144 Mk. persönlichen Kosten der öffentlichen Volks-
•ohnleii waiw^ 26826S9 Mk. Aafireodugen ftr Hilfilehrer nnd Hilfe-
lehrerinnen.' Letatere sind ganz überwiegend Handarbeiti- eler Indiitri^
lehrerinnen, erstere Hilfskr.lfte für den technischen and den Religionsunterricht.
Im Dorchschnitt erforderte eine Hilfslehrkraft 7 1 Mk. Ferner rechnet die Statistik
m dea persönlichen Kosten die Leistungen fUr die Lehrerwitwen- und
Waisencassen, sowie die Bnhegehalte für emeritirte Lehrkräfte.
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— 666
Die ereteren bezifferten sich auf 779059 Mk. oder dnrohsclinittlich für eine
Lehrerstelle auf 13,45 Mk, Diese AuBgaben haben sicli nach Aufnahme der
Statistik um ca. 1 228 000 11k. erhöht, da der Staat inzwischen die von den
LehrefB enttkbteiteD 'Belictenbeitrfige ttbernomineii hat über die Zahl der
Yorhuideneii Lehrerwitwen und -waisen nacht daa Tabellenwerk kebe An-
gaben. Indessen ist bekannt, dass jede "Witwe resp. die Waisen eines Volks-
schnllehrers 250 Mk. Jahrespenaion erhalten, gleichviel ob eine Waise oder
mehrere vorhanden sind.
Die Ausgaben für die pensionirten^Lehrkräfte betragen 2869154 Mk.
Diese worden an 3928 emeritirte Lehrer nnd an 288 emeritirte Lehrerinnen
gezahlt. Durchschnittlich stellte sich die Pension für einen Lehrer in den
Städten auf 1062 Mk,, auf dem Lande auf 508 Mk.. für eine Lehrerin in den
Stlidten auf 563 Mk., auf dorn Lande auf 456 Mk, Leider macht die Statistik
keine Angaben über das Dienstalter, das diese enieritirten Lehrkräfte zurück-
gelegt haboi. Eine Ermittdnng ans ftrfiheren Jahren ergab, daes Hut 20%
aller Volkf eohnlleifarer mehr als dO Dienstjahre hinter sieh hatten nnd dass bei
diesen das durchschnittlleha Dienstalter 38,3 Jahre betrug. Man wird daher
nicht zu liooh p^reifen, wenn man für die obigen 4211 Lehrkräfte im Durch-
schnitte Jt' 8(1 Dienstjahre annimmt. Und bei einer solchen Dienstzeit er-
scheinen die berechneten Pensionsbetrfige außerordentlich niedrig. Sie
sind kavm ansreiehend für den Unteihalt einer Person, geschweige denn eines
alten, oft kränklichen Ehepaares. — Nun bleiben abnr die Lebrerpensionen in
manohon Bezirken nocli beträclitlich hinter den angegebenen Dnrchschnitts-
gätzen zurück. Die 85 emeritirten Landlehrer "im Kegiernngsbeziikp Danzig
bezogen im Durchschnitt je 489 Mk., die 144 im Bezirke Marieuwerder je
487 Uk. ind mt 9 Eaeriten in den StSdten des letateren «ntflden nur je
650 Vk. Wie kirgUeh die Pension in banohen lUlen bemessen war, das
mögen folgende Beispide ans den Kreistshell«! der Statistik darlegen. Ib.
Stedten angestellt gewesene Lehreremoriten erhielten an "Ruhegehalt: je einer
im Kreise Marienburg 45t) Mk.. Thorn 403 Mk,, Flatow 20t) Mk., Deutsch-
Krone 298 Mk., Preußisch-Eylau 256 Mk., TUsit 300 Mk., Znin 251 Mk.,
Liegnite 180 Xk., Springe (Hannover) 75 Mk. nnd Halle 225 Hk., sowie ehe-
malige Landlelirer in den Kreisen Lissa 310 Mk., Wongrowitz 288 Mk., Kro-
toschin ] ()2 Mk,, Zellerfeld 230 Mk., Harburg 260 Mk. nnd Lfidingbaosen
(Westfalen) 150 Mk.
}iun wollen wir nicht unerwähnt lassen, da^s diese niedrigen Pensions-
sfttze meistens ans der 2ett stammen, da man bei Abmessung der Pension noch
Btcksicht anf daa FiiTatTermSgen der Lehrer nahm nnd a«^ danadi forschte,
ob etwa in gnten VermOgensverbSltnissen lebende Kinder den Emeriten unter-
stützen könnten. Denn von den bei Aufnahme der Statistik vorhandenen 8928
pensionirten Lehrern waren nur 88t), die anf Grund des neuen l^en&ionsgesetzes
vom 6. Juli 1885 ihr Buhegehalt bezogen. Jetzt dürften sich die Pensions-
▼whlltnine der y«dksschnllefarer schon vielfiidi gebessert haben. Aber jene
Zahlen sprechen sehr deutlich. Man erwilge: Am I.April 1886 tiut das neue
Pensionsgesetz in Kraft und bis zum 20. Mai desselben Jahres (dem Tage der
Aufnahme der Statistik), also in 1'-', Monaten, ließen sich schon 88*) Lehrer
pensioniren. Dies lässt erkennen, mit welcher Sehnsucht die altersschwachen
Lehrw das Bncheinen des PouioDsgeseties ei wartet halben. Es ist bekannt»
Digitizea by LiOOgle
— 667 —
da» anoh nach dem 20. Ifai 1886 noch zahlreiche Pensioiuningen unter den
VolkaBchnllehrem erM^ten — der Minister fühlte sich Tttulaaib» denaelben
dnrch eine besondere Verfögnng an die Regierungen Einhalt zu. gebieten — ,
nnd wird die Zahl der Emeriten heate erheblich größer sein als 1886. Da-
mals entfiel durchschnittlich im ganzen Staate auf lö active Lehrer ein Emerit,
in den Städten erst auf 19, auf dem Lande schon auf 13 im Amte stehende
Lehrer.
Besfiglich der Aufbringung der Bnhegehalte fhr die emerittrteil
Lehrer besteht zwischen Stadt und Land ein großer Unterschied. In den
StÄdten liegt die Fürsorge für die pensionirten Lehrer vorwiegend den Ge-
meinden ob. Sie trugen 06,8 ^'/o der Pensionen, während auf dem Lande
die Sohnl9odetftten nur 31,17« aufbrachten. Dementsprechend beziffer-
ioi lieh die StaAtsznachtLsBe sa den Bnhegehlltem auf dem Lande auf 61,
in den Städten nur auf 31%. Ein TheU der Pensionen, 5,27" ;,, auf den .
Lande sogar 1,7^/^, wurde dnrch Abgabe der Dienstnachfolger vom
Gehalte beschafft. Es ist nämlich auch nach dem nenen Pensionsgesetze
zulAssig, dass bei Peusionirungen das Einkommen der Lehrerstelle zur Deckung
der Penaioii bis auf denlffaiimaliatz gektbrzt wird. Dies ge8dialiüi616FS]leii,
laeistens auf dem Lande, und wurde dabei das Einkommen der Dienst-
nachfoiger im ganzen um 151263 Mk^ dnrohsehnittlieh nm24öllk.
vermindert.
Wir kommen nuiuuehr zu den persönlichen Volksschulkosten im engeren
Shuie: dem Diensteinkonmeii der TollbeschftftigtenLehrkrftfte. Daa-
aelbe betrog fOr die 64760 veiliandenen Stelleii 65686716 Ifk. Daven
entfielen auf die 57 902 Lehrer 59 404 613 Mk. nnd auf die 6848 Lehrerinnen
6182102 Mk. Außerdem bezogen 22 657 Lehrer (39% der Gesamratzahl)
und 930 Lehrerinnen (13**/o) persönliche oder staatliche Dienstaltcrszulagen
im Gesammtbetrage von 3 487 587 Mk. Mit diesen bezilferte sich das Dienst-
einkommen der ToUbeaehSfligten Lehrkrilte wt 69074802 Mk. und madite
dasselbe 583 ^ gesummten Volksschnlkosten und 91,7% der persönlichen
Aufwendungen aus. Ohne freie Wohnung und Feuerung, aber mit Hinzurechnung
der persönlichen und staatlichen Dienstalterszulagen ergab sich 188() für einen
Lehrer 1084, für eine Lelirerin 914 Mk. durchschnittliches Einkommen. Wie
aiek daaielbe ia frOkereB Jabien fSr die YelkMoliiillelirer geatalteto, darüber
maeht die Denktehiift snr Statistik auf Gnuid Uterer'Eiliebnngen interci'iaate
Angaben. Bs betrug das dnrehachnlttUehe Stelleneinkommen im preofiiseheB
Staatei
1820: 1861: 1871: 1878: 11886:
A. In den Stftdten: 638 Mk. 846 Mk. 1042 Mk. 1414 Mk. 1279 Mk.
B. Auf dem* Lande: 258 , 648 , 678 „ 964 » 964 „
Die dürftigen GdiUter der inrenßischen VolksKchnllehrer haben rieh also stetig,
wenn auch langsam, gehoben, bis die siebzig^er .Jahre mit ihrer liberalen Re-
gierung und dem Lehrerfreunde Dr. Falk an der Spitze des Unteirichts-
ministeriums einen plötzlichen Aufschwung brachten. Durch diesen erhöhte
sich das durchschnittliche Oehalt der städtischen Lehrer um S72 Mk. oder
86<>/o, das der llndUehen am 276 Mk. oder 41«/^ Li der Zelt von 1878
bis 1886 dagegen ist ein bedeutender Rückgang in der Besoldung der Volka*
KdmUebier eingetreten. Das Dnichschnittsgehalt der städtischen Lehrer iit
Digiiizea by Google
I
— 6Ö8 —
in allen, das der ländlichen in mehreren Provinien , zorückgegangeni was
lUgonde Übenloht zeigt. Es betrag dag DncbachaitliKvIialt:
•
In den
Städten
—
A
af dem Lande
gegen
WWW
In den ProTinsen
*
1878
1886
j AO iO
1886
wenii^er
1878
gegen
1878
Mk.
Mk.
Mk.
Mk
1 Mk.
Mk.
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OfetpiratBen
1164
1062
102
1 845
■ — ■ — • —
a37
— 8
WestorenBen
gtadtlieiB Bedin . . .
1150
991
\-,'.)
830
806
— 84
1998
1675
323
1144
196
1 979
+ 18
1423
1211
212
885
883
2
1121
1027
94 i
i 863
850
- 18
1866
1848
118
1 901
913
1845
113«
207 i
1033
1054
1861
1260
101 1
1079 ,
1044
— 36
Blieinland
1448
1865
78
1064 1
1048
— 15
Hohcnzollem
1119
1096
23
822
845
-f 23 •
ächleswig-Holsteia . . .
1329
1321
8
1066
1107
h
Hannover • . .
1414
1189
886
905
914
Heaeen-NaiBMi ....
1608
1878
235
936
909
- 87
lim gaami Staate . . .
1414
1279 1
136 II 954
964
Demnach Ut ftr die Landstellen dasDnrchBeluiittsgehalt iwar auf der gleidien
Höhe geblieben. Eis hat sich aber doch in der Hälfte der Provinzen vermin-
dert, was nur durch mäßige Verbessern no:en in den anderen Provinzen aus-
geglichen wird. Die Verechlechterung beträgt in Westfalen 37^%, inWest-
jurenßen 37o> bedeutender ist der BUckgang in der Lehrerbeeoldong in
StAdten alUr ProTinsen. Er eneiolit in Berlin die Hohe von 16,2 ^/q^
mm namentlich durch die AlwHIl^ng von Lehrerinnen erzeugt ist Dann
folg'en die Provinzen Hannover mit 16, Sachsen mit 15,4, Pommern mit 15,
Brandenburg und Hessen-Nassau mit je 14,6, Westpreußen mit 14, Ostpreulien
Bit 9, Posen mit 8,4, Schlesien mit 8,3, Westfalen mit 7,5 und Bbeinland
mit 5,4 o/o.
Dieaer Büokgaog d«r Lelinrgehälter ist mu in dnen Theile der Presse
bestritten worden. Uad beliaDptet, die Zahlen von 1878 seien nicht mit denen
von 1 886 vergleichbar, weil bei den damaligen Ermittelnngen die Mittelfcholen
mit zu den Volksschulen gezählt worden sind. Das ist jedoch eine leere Aus-
jwde. Die Denkschrift zur Statistik bietet nämlich zweierlei Tabellen. In
der Obersicht Nr. 24 anf Seite 09 sind die OorobsoltnittsiilllBnt -der CkMltsr
für Volks- nnd liittelschnUelner angegeben, während Tabelle 40 und 41
(Seite 84, 86 und 87) sich nur auf die Gehälter der Volksschullehrer erstrecken.
Und den letzteren sind die obigen Angaben entnommen. Zudem wird in der
Denkschrift, die namentlich aUes hervorhebt, was das Schulwesen in günstigem
Lfclite enelMiiieiL Uwt, nirgends der Verrooli gtnacht, jene ZaUsn m ter-
schleiem oder alisosdiwftcliea. Der Rückgang der VoUcssehnllehrergehllter
ist damit stillschweigend zugegeben. Unter welchen Umständen derselbe ef-
folgte, das ae^ aioe aeaerdings von der «PreoAischan Lehrerzeitnng" v^r*
Digitizeo by\jüügle
~ 669 —
öffentlichte BeiBpielsammInng aas den verschiedensten Landestlieilen. Danach
scheint der Höhepunkt der Abbesseriingen um das Jahr 1880 zu liegren, doch
sind sie viell'ach auch später, sogar nach 1886 ert'olgt. Welche bedeutenden
Yerinitd die Lehrenehtft dabei erfUmn hMt, seift fblgeodeübenldit ttber das
Lehrereinkommen in den Städten 1878 und 1886.
Am
uU
Vermeh-
1 Oesammtsteilea • Bin-
1
dar
Tungbezw.
kommen (einschl. per- '
Vermfhriincf oder
« roTIIlaOD
Vermin-
süuliche and Dienst-
Vermiodenmgder
Stelteii
derung dei
altanralacen)
{ anfgewendflien
Stellfln
Sunome am
1
1878
1886
vm
1878
Mk.
1886
11k.
Mk.
Ofltpreutoi ...
789
782
7
1 918646
1 * 881680
- 87066
^estprentoi . .
675
76ä
f- 87
I 77C 101»
754 748
21 361
Berlin
1567
2664
- 1097
1 3130619
4 461418
+ 1 330 799
Bnadnbaig. . .
1777
188^
-
- 61
2379808
2108089
— 878174
Pominen ....
1216
1232
. 16
1 730 088
1 491 372
- 238 716
Posen
1 983
1036
53
1101796
1063831
37 965
flAlMtoi .... 1
2040
2450
. 410
1 2766383
3 046147
-f 278 765
Sachsen . , , .
2009
2253
_ 244
2 697 056
2 564 264
- 132 802
Westfalen . . .
1295
17371
_ 442 1
1 1 748 925
2171714
h 422 819
Rheinland ...
3093
418^
-
. 1090
! 4 463 331
5 709 361
- 1246080
Hohenzollern
23
28!
5
25 720
. 30676
4 2*K)729|
4 956
Schleswig-Holstein, l
758
977
- 219
1007 700
- 283 0211
HiMeTOf . . . . 1
1034
1291
- 257
1462 318
15345831
1 -
- 72 265
BeiMD-Xasgau . . i
1040
11S6,
- 146
1672 438 i
1 ^'27 851)
44 f)H-i
Staat ul»2i)9j22418Si -f ^120 i|
2ÖÖ80330I
28 680339,
-f 3 399 809
Aus diesen Zahlen ergibt sich folgendes: von Ostpreußen abgesehen ist die
Zahl der städtischen Lehrer in der Zeit von 1878 bis 1886 in allen Pro-
vinzen gestiegen. Trotzdem ist das Gesammteinkommen in sieben Provinzen
herontergegangen, und zwar zusammen um 838 854 Mk. Die preußische Unter-
ilelitaTerwaltiiBg hal in den SOdten dtaMrPminsen (Ostpreni^n, WestprenBeo,
PoBen,Pomnieni,Bnadenbiifig, Saduen andHenen-NaaMn) sniammea 600 LelirOT
neu angestellt nnd trotzdem volle 838 854 Mk. zurückgezogen, während
nach dem Durchschnittsgehalte von 1878 zur Eirichtung dieser Stellen eine
Neuaufwendung von 848 400 Mk. erforderlich gewesen wäre. In
den anderen Provinzen: Schlesien, Westfalen, Rheinland, Schleswig -Holstein
imd Baonover, towie in Berlin und HoitauBoUern worden die LehrenteUen an
VoUcsBchuIen um 3520 vermehrt Nach dem GehaltsdurchieiUlitte TOn 1878
hätten dieselben eine Mehrausgabe von 4 977 280 Mk. verursachen müssen.
Sie betrug aber nur 4 238 663 Mk.. und trat also eine Gehaltsvermin-
derang von 738 617 Mk. ein. Im ganzen Staate wären für die 4120 neu-
gesdiafrenen Stellen erlinderUdi gewesen 4120 X 1414 Mk. = 5825680 Mk.
Statt denen lind melireingeatelH 3 899 809 Mk. Mithin haben die stftdti-
teilen Lehrer einen Gehaltsverlust von 2425871 Mk. zu beklagen.
Die Gehälter der ländlichen Volksschullehrer sind, wie bereits erwUhnt,
nur in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Posen, Westfalen,
Rheinland nnd Hessen-Nassau zurückgegangen. Die dortigen Gehaltsverlaste
wdait die Ünlfinde Tabelle naeh.
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— 670 —
Lehrereinkommen anf dem Lande 1878 und 1886.
-
Provinsen
•
. _ _
der
Stellen
1878 f 1886
1 Ver-
1 mehiong
der
Stellen
um
— .
GesammtstcUen - Ein-
konimon leinsihl. i)er-
sünJicher und Diuust-
altertncnlagen,
1878 j 1886
Mk. ' Mk.
1
!
V criii"iirui|K
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OmiuDO UDl
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Ostprenllen . . .
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3633
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2 869 928
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Westprenßen . . <
•2()74
2327
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1 1 721 356
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2046
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1 2 341 (ÜIC.
2 4H2 638
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Westfalen. . . .
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3211
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217001801
1 7ÖÖ104
Li den genannten Provinzen wnrden von 1878 bis 1886 im ganzen 2188
L«hrkrftfte auf dem Lande nea aDgeBtellt Nach dMiiDiireliMliiilttsgiehalte von
1878 hätten för dieselben 2188x954 Mk. = 2087 352 Mk. Gehalt ab-
geworfen werden müssen. Das Stelleneinkommen der lllndlichen Lehrer in
jenen sieben Provinzen vennehrte sich aber nur um 1 Tön 104 Mk.. und trat
deumach eine Gehaltsvermindernng von zusammen 332 248 Mk. ein.
Nach diesen Amfflhmngen beziffert ddi der GFchaltsrQckgang der
Vblksschnllehrer in Stadt und Land zuaammen auf 2 758119 Mk.
Die ang-eführten Durchschnittszahlen geben von den Gehältera derVolka-
schuUelirer ein nicht genügend anschanliclies Bild; denn sie werden von den
verhältnismäßig hohen Dirigentengehälteru vielfach beeinflusst, deren Inhaber
BW mm kleinsten Thefle dem VollaBdinUehrerstande angehlfiran. Bs Ist dahor
sehr dankenswert, daas die Statistik anch spedelle Übersichten darttber bietet»
wie vieleLehrer auf den ei nz einen Gehaltsstnfen stehen. Ans diesen
Tabellen theilen wir folgendes mit:
1. Von 18322 städtischen Lehrern hatten:
A. Ohne» £. Mit
Alterszulagen
ein Gehalt bis 750 Mk. 1814 Lehrer = 10,0 "/o 1780 Lelirer = 9,8%
„ 900 « 4925 „ = 23,5 „ 2996
, 1200 n 9280 , =60»7» 8560
flberllMX) 5084 „ = 27»4 , 5672
2. Von 39580 Landlehrern bezogen:
A. Ohne» B. Kit
Alterssalagen
ein Gelialt bis ÜUÜ Mk. 2924Lehrer= 7,4«/o 2844 Lehrer = 7,1 7o
»
ff
II
= 16,3
=46»?,
= 30,9,
ff
ff
ff
ff
= 32,0 „ 8852 „ = 22,3 „
= 66,4 „ 18611 , = 47,0 „
= 82,6 , 28246 , = 71.1 „
= 8,9 , Ö908 „ = 14,9 „
In Stadt nnd Land hatten (mii Altennilagen) 1^^% d«r Voikischnl-
9
ff
ff
n
» 7Ö0
ff 900
„ 1050
ttberl200
»
»
n
ff
12577
26267
32G83
3516
n
ff
ff
ff
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— 671 —
lehrer ein Einkommen bis 750 Mk., 39 "/o ein solches bis 900 Mk. und 73 '^/^
ein Gehalt bis 1200 Mk. Ein volles Sechstel, auf dorn Lande fast ein Viertel
der Lehrer lebt also bei einem Gehalte, das den Betrag von 750 Mk. nicht
oder nur eben erreicht and mehr als sieben Zehntel genie^n nicht ein Unter»
beamtengehalt Ym 1200 Mk. TTnter soIdieB Umflindeii tot es kflin Wandere
dAM tieb die prenfitochen LdumbUdugsanttalten trots aller Locknife mid
Matal nicht fUloi widlen.
Ans Sachsen. Vor kurzem erschien der vom königlichen Ministerium
des Cnltut und öffentUohen ünteniehtes mittele Bekaimtmachnng vom 5. No-
Tember 1878 vertMhntliebte und Twn Geheimen Sefaolnlh F. W. Koekel mit
erlluitemden Anmerkungen und Sachregister herausgegebene Lehrplan fflr
den Unterricht in einfachen Volksschnlen in 5., durchgesehener und
erweiterter Anflage. Wenn einerseits anerkannt werden mnss. dass der Ver-
fasser in den „ Anmerkungen seiner Schrift auf „die gutachtlichen Berichte
der Bediknehnlingpectcren dee Landee* (auf Chrnnd deren yorlieefender Lehr-
plan anfgeatellt worden iat) nnd auf die nTomebmlich inländische 8dinlTer>
hftltnisse behandelnden methodischen Schriften mehrerer Bezirksschulinspectoren*
Bezug nimmt, om die im Lehrplane getroffenen Bestimmungen zu begründen
und zu erläutern, so darf anderseits nicht verschwiegen werden, dass erstens nur
Schriften y<m Bezirkfischolinspectoren, nicht aber Bolcbe anderer bedeutender
•IdiaiadierSehnlmanner Berikdcdehtignnf geflmdm haben*), nnd daes sweltens
die jenen Schriften entnommenen Bemerkungen auch bei ganz und gar zuwider-
laufenden Ansichten fast durchgehends ohne jede Kritik nebeneinandergestellt
worden sind. Weiter mnss es jedem denkenden Leser auffallen . dass von den
den Lehrern zur Vorbereitung oder als Lehrmittel empfohleneu 24 Werken
9 von Bedrkaaehnlinepeetoren Terfaest nnd 1 4 in demeelben Verlage er-
schienen sind, dessen Eigenthnm der erschienene Lehrplan tat.
Nur 4 Bücher werden empfohlen, die weder einen Bezirkssclinlinspector znm
Verfasser, noch Alwin Huhle in Dresden zum Verleger haben. Und dabei er-
laubt sich ein gewisser A. P. seiner in Nr. 24 der „Säcbs. Schulzeitung ent-
haltenen Besprechung den Sats dunAgen: „Aneh der Hlnweia auf einaelne
dar neueren Sehnl- und Hilihbfieher ist recht willkommen.*^
Ans dem Großherznpthnm Baden. Die von uns früher schon er-
wähnte „ Einheit ssclmle '• in Karlsruhe wird, wenn sich keine unvorher-
gesehenen HindenÜBse erheben, bereits im Herbste dieses Jahres ins Leben
treten. Der Oberschnlrath hat, nachdem einige Vorsehlige ▼on demselben,
welche aber die von Professor Trentlein anllseBteilten Grundzflge in ihrem
Wepen nicht berühren, vom Stadtrathe angenommen wurden, nichts gegen die
Griindnn^'^ der zeitgemäßen Schule einzuwenden, — Eine weitere erfrenliche
Thatsache können wir aus Karlsruhe melden. Der Stadtrath daselbst ist dem
Beispiele der Mannheimer StadthehSrde gefolgt nnd hat die Besolduigen der
definltiT angestellten Lehrer der Volkssehnle in seitgeoAfter Weise so erhOht»
dass der Anüuigsgehalt 2000 Hark, der Hdchstgehalt 3200 Ifalk fortan be-
*■ Ein* Aiibnahme^iiuuhen die vom Scbuldixector Ueier in Zwickau verOlTent-
lichten „Lehrgäuge".
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— 672 —
trägt. Vom 12. Dienstjahre * an tritt nach je zwei Jahren eine Zulage von
100 Mark ein, so dass der Höchstgehalt nach 35 Dienstjahren, vom Serainar-
auBtritt an gerechnet, erreicht wird. — Lehrerinnen, welche eine defini-
tiv« Amtellaiiflr «riangt babco, 6r1iaUi«ii Ifis m 12 Dicomahrw 1600 llwk
nnd nach je drei Jahren eine Znlage von 100 Hark his zum H&chatgehalt von
1800 Mark. — Für provisorisch angestellte Lehrkräfte gelten die Sätze
1050, llnO lind 1200 Mark. — Die Vertreter der Sodalderaokratie in der
Stadtverordnetenverstttauulung traten sehr lebliaft für Erhöhung des Anfang»-
gflhallM dar LefaMrlnaeii di. Hiii IwaiiaiBC« ist Aanohai dnlt, daM
die LehrerimieD thdlweiie in kumr Zelt, inürif» Huer Verlieiretimirf
dem Dienste träten nnd eoUte Bum deneelben doch vor Uirem Abgange einen
größeren Bezog zuweisen; andere verzichteten „ans Liebe zu ihrem Bernfp"
auf die Versorgung darch Heirat und sollten dafür auch Anerkennung linden.
(Sehr eigenthümlich! Die Schale ist doch keine Ausstattongs* und einstweilige
VenorgongeeaBtett! D. B.) Dem Antngüeller wnrde von Bürgenneirter
Schnetzler XL a. bedeutet, daae ein Gehaltsbezug von 1500 Mark für eine
einzelne Dame wol mehr zn bedeuten habe, als 3000 Mark für eine ganze
Lehrersfamilie; dieSiitze seien vollst.lndig gerecht fertig-t; ferner glaubt Redner,
deas jede heiratsfähige Lehrehn eine ihr zusagende \'erheiratang dem
Wetterwirkea In ihren Bemfe voniehA. (OieErf&hmng beeMtigt dieae Worte
vIclftwiL D. E.) Endlieh bemerkte Bflfgermciiter SelmetBler, daae die Leh-
rerinnen mit ihren Besoldnngen zufrieden seien, womit diese Sache erledigt
war. — Von berechtigterem Interesse waren die Wünsche der Socialdemokraten
bei Berathung des „ Cxemeinde Voranschlages". Sie wünschten den Posten
für „AnStands- und Tanzanterricht in der höheren Mädchenschule^' gestrichen
nnd veriaagten den WegMl dar Atotarfbagen der veraohiedenen VolkaBoiinlen
und Verschmelzung in eine einheitliche Volksschule, wie sie in Mannlieim
bestehe, damit nicht die Kinder der Armen gegenüber denen der Reichen zu-
rückgesetzt erschienen. Diese Wünsche, respective Antrüge erlangten nicht
die Minorität. — Tiiatsächlich ist die Gliederung der Karlsruher Volksschule
an maanigftdCig; aie aarfiUit in eine dnMie, in eine erweiterte^ IneineBOrger-
nnd TSehtendiäe. — Anßer dieaen Volkaaelinlea beatehen noch Voraohnlen,
Seminarschnlen, eine höhere Bürger-, eine Beatoehnle« ein Eealgymnasinm, ein
Lyceum und mehrere Institute zur Auswahl fflr die Eltern. Wir kennen die
vielgestaltige Gliederung der Karlsruher Volksschule aus pädagogischen Grün-
den auch nicht gutheißen. — Der freisinnige Stadtverordnete Dieber trat gegen
einen aehr bedeoldiehen, an die erate Beaetionaperlode (1850) erinnenidea
Panna der aogenannten „Grundziige" der Gehaltsordnung auf. Im § 9 helBt
es nämlich, dass die von der Stadt gegebenen Zuschüsse widerruflich und von
befriedigender Dienstleistung und würdigem anßerdienstliclien Verhalten des
Betreffenden abhängig seien. Unter „würdigem außerdienstlichen Verhalten*'
fciSane, ao IBbfte derBedner aaa, gar laUht aneh die politiacheOealnnung einen
Lehren ventanden werden, nnd da aei der Strieh des betreffenden Paaaoa daa
beate Mittel der Verhinderung aoldhen Vorkommnisses. Trotzdmn deh Bürger-
meister Schnetzler gewaltig gegen eine derartige Insinuation verwahrte, hielt
der freisinnige Vertreter seinen Antrag aufrecht, der jedoch von der national-
liberalen Majorität der Stadtverordneten abgelehnt wurde. Die „ Grundzüge "
gelangten lohliefilich rar einstimmigen Annahme. — Daae der freisinnige Stadt*
Digilizea by LiOOgle
— 673 —
verordnete Dieber von Karlsrnhe nicht zu scliwarz g-eeehen, dürfte jedem ein-
leachten, der unsere Zeit versteht, in der selbst das Unmögliche möglich ist.
Der Hinweis, dass im „Beamtengesetz" und in der ,,6ebalt8ardniuig'' der
Stedt Mannheim eine Hut gletcUantende Bestünmong «atiMten mI, beweiit
nichts; gerade in Mannheim hätte man, wenn man einen fast bestimmt auf-
tretenden Gorüclite Glauben beimessen kann, erfahren können, dass der Ober-
schnlrath schon von diesor Bestimiunng-, djp erst seit Neujahr dieses Jahres in
Kraft ist, Gebrauch gemacht und ihr sogar eine „rückwirkende Kraft"*
gegeben haben aoIL Der Obersehnlraäi habe nlnlieh, so lastet das Gerdeht)
Henn Dr. Kenser, der tot JatareMi wegen einer FreanAdie gemaßregelt»
vom Oroßherzoge aber reactivirt nnd dessen Dienstentlassung in einen Vervveis
verwandelt worden ist, nachträglich um einige Jahre im Avancement zurück-
versetzt. Wir bemerken nochmals ausdrücklich, dass das Vorstehende in der
Form eines fast bestimmt auftretenden G^erüchtes im ganzen Lande bekannt
itt nnd flberall mit ünmvth empAmden wird. Wir behalten na vor, vns hier-
über authentische Gewissheit zu verschaffen, und werden nicht ermangeln, diese
dem „Ppedagogiuni" sofort zu melden. In dem eben erw.'llmten Falle handelt
es sich nm eine doppelte Bestrafung, die um so interessanter und beweis-
schwerer ist, als dadurch ein sogenannter Gnadenerlass eines Landesfürsten durch
eine von Ihm eingesetite nnd abliftngige Behörde nach ihiem eigenen ErmeiBeii
interpretirt wird. — Unserer Ansicht nnd der Anrieht ÜMt almmlilieher Übenden
Lehrer der Residenzstadt nach hfttte der (Ugenacdiwere I^Mns ans der Oe>
haltsordnung gestriclien werden sollen.
Über ein weiteres erfreuliches „Zeichen der Zeit" können wir aus Frei-
bnrg im Breisgau berichten. An der dortigen, in der Blüte stehenden Uni-
veraitSt Ueet Privatdocent Dr. Münsterberg über Oesehichte der Pädagogik.
Im Wintersemester beabsichtigt genannter Herr über allgemeine und specielle
Pitdagogik zu lesen. AVii freuen uns dieser Thatsacbe nnd sprechen Herrn
Dr. Münsterberg, der vorerst 12 Hörer — darunter 2 Lehrer — hat, unsere
Anerkennung dafür ans, dass er einer mehr als stiefmütterlich behandelten
Wiaaensehaft anf den dentaehen üniytfsititeD sn ihrem Bedite m Tcrhelftn
Hand ans Werk legt Wir wünschen ihm reichen Brfldg.
Interessant ist auch die aas reactionären Kreisen stammende, in der ersten
badischen Kammer erörterte Frage über die Aufhebung einer der drei
Hochschulen Badens. Geheimrath Dr. v. Holst-Freiburg bemerkte in der
ersten Kammer mit Recht, da^s sich niemand in Baden (mit Ansnahme der
reaedonären Dnniceiminner. D. 'B.) nnd ftberiNrapt In der dvilirirten Welt
des Westens finden werde, der dieser Sache das Wort reden könne. Er möchte,
so bemerkte Redner am Sclilusse seiner Austülu nngen, den Wunsch äußern,
dass für die Zukunft diese Frage nicht wieder in der Art. wie es geschehen,
zur Sprache komme. Aus der Rede des genannten Herrn Abgeordneten er-
wlhnen wir noch, dass Ton 112 ordentlichen ProÜBiaoren an den UniTersltateD
27 mit weniger ab 4000 nnd 11 mit weniger als 3000 Hark angestellt seien.
Wenn man das oben- Ende der Gehaltsscala dieser Professoren betrachte, so
finde man 10, die 8(KtO Mark nnd mehr beziehen. In keinem anderen Theile
der Staatsangestellten-Kategorie, bei denen nicht, wie bei dieser Angestellten-
Kategorie, Rang und Pflichten anf gleichen Stufen stünden, sei ein derartig
grokr Unterschied in den Besügen sn constatiren. Er bitte die Begiening
r
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«
— 674 —
einen Mittelweg zu sucheo, nach welchem, vielleicht nach dem Dienstalter, ein
Minimal, und Uazimalgebalt festgesetst wwde. Wir flndea diese Bitte lehr
{«rechtfertigt nnd halten eine AUgenein« BrhShnng der FMHanörengeiialte
geradSzn fiir geboten, wenn mit der Zeit nicht unsere Universitäten dnrdi den
bisherigen Besoldungsmodus der Professoren geschädigt werden sollen.
Ans den Kammerverhandlangen berichten wir femer, dass die Petition
der VolksBchnll ehrer um Gleichstellung ihrer Bezüge mit deigenigen Be-
amten, mit denen aie in Besag anf Vorbildnng nnd Stellung ebenbttrtig eraehtet
werden können, fdr den nächsten Landtag zurückgelegt worden ist. Einst-
weilen speiste man die Petenten mit schönen Worten und Versprechungen ab
und überwies die allseitig wolgefällig aufgenommene Petition empfehlend der
Begiernng. Wir nehmen au, dass diesmal es den Herren Abgeordneten UAd
der Begiernng emit mit dem Venf roelienen iat lud dieeelbea aneh ihr Ver-
apreohen einUtaen werden, wenn binnen zwei Jaliren, nach welcher Zeit der
Landtag wieder zusammentritt, nicht ein Krieg ausbricht oder ein neues Ge-
wehr eingeführt werden muss. Bei der Berathung des Beamtengesetzes ging
es rascher; es wurde damads mit „ Dampf kraft^ gearbeitet. „Warum? Darum,
aagte aeinerzeit ein bodiacheaSclralblatt oftmals. Ebenso rasch ging es in dieaer
Landtagiperlode, als es galt, 20000 Hark für die proteetantiKhen Geistlichen
zu genehmigen, trotzdem ein protestantischer Geistlicher jetzt schon nach
2 --3 Dienstjahren einen Gehalt bezieht, <l"!i -in I.ehrer nach 40 — 50 Dienst-
jahren nicht erhält. Betrachtet man dagegen die Arbeit eines Laudpfarrers
mit der eines Landlehi-ei's, so muss man wol sagen; „Das Pferd, das den Hafer
▼erdient ete.**
Endlich erwähnen wir noch ans unserem Landtage, dass die Ultramontanen
fUr Abschaffung des achten Schuljahres der Mädchen plädirten, aber keinen
Erfolg damit hatten. Dass diesen Herren jegliche Volksbildung verhasst ist,
die nicht von Rom ans sanctionirt wird, ist selbstverständlich) denn „Nacht
wm ea sein, wo Friedlanda Sterne strahlen*. ^ Zum Schinne onserea heutigen
Befbratea theUen wir noch mit, dasa last Zeitaagsootizen von den Mannheimer
Lehrern in Mannheim ein Dieaterwerg-Verein gegründet worden ist, der
die Weiterbildung, Förderung der modernen Schule und Wahrung der Stundes-
interessen zum Zwecke hat. Die Gründung solcher Vereine thut allenthalben
noth, um den reactionären Gelüsteu und vaterlandsloseu Bestrebuugeu schul-
nnd lehrerfBlndlioher Blemente belaeiten wirksam an begegnen. — Wie wir
dem ofBoiellen Berichte über eine der letzten Stadtrathssitznngen zn Mann-
heim entnehmen, hat sich der dorti^^c Stadtrath bereit erklärt, die „29. Allge-
meine Deutsche Lelirerversammluiig " in Mannheim Pfingsten 1891 auf-
zonehmeu. Möge dieselbe der 1863 dortselbst abgehaiteneu äimlich werden 1
Ana der Faehpreaae.
823. Geographisches (Schlesische Schulzeitung 1890, 11). Sobald
die Karte in den Mittelpunkt des Unterrichtes tritt, sind fdr die Kinder in der
Regel die Himmelsrichtungen nur noch auf der Karte vorhanden. Weitere
Folge: Länder u. s. w. nur bunte Flecke, Striche, l'unkte auf dem l'apier.
Zeigenlaaien der Biehtnng, naeh weleher ein genaantea Ol||ect liegt, das geeig-
n^ate Hittd, die Kinder davon zn flberzeogen, dass die Lftnder und Städte
nifllit nnr anf die Karte gemalt aind, aendem daaa aie wirklidb eziatiren.
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324. Über die Bedeutung der Wandkarte im g-eo^rapliischon
Unterricht (K. A. Schmidt, Zeitschrift für das Kealschulwesen, 1S90, IV).
2Sa sdoluwii, Mfem Zeit Toriiaiidaii: a) eüiftdie SUsnn to& Objecten, wddw
auf der Wandkarte nicht groß nnd deutlich genug hervortreten (Deltabüdmigi
Fjorde), h) am Schlüsse der ünteirichtsstunde eine schematische Skizze des
durchgenommenen Stoffes von der üand des Schülers. (Die Hauptsache bleibt
die Wandkarte selbst — worüber alle hervorragenden Schalmänner einig sind.)
325. Einiges ans dem Leben nnd Wirken dei Dr. Friedr. Otto
(0. Krilgel, DeatMshe Sdrals. 1890, 8—10). Otto's VesdkiiBte als Sehnk
mann überhaupt, um die Bürgersehöle zu Hühlhausen (Thüringen) und den
deutschen Unterricht im besonderen; seine Geistesschärfe, sein vorbildlicher
Charakter. — Dem Verfasser (Schüler Ötto's) gebürt Dank, dass er besonders
die jüngere Lehrerschait an einen unserer besten Schulmänner erinnert. (Wenig*
stenB Otto*8 gelBt- QndfgemftÜiToille SdirifteB Uber die Spraehbfldnngr soUten
fort und fort studirt werden — und wäre es nur um des Genusses willen.)
326. Über Herbert Spencers Pädagogik (K. Wehnnann, Frankf.
Schulz. 1890, 2. 3). Jede Erziehung will Spencer nur nach dem Maße be-
urtbeilt wissen, in welchem sie den Erfordernissen zu den fünf Lebensthätig-
katten genügt, becw. so BUIb kommt. Letsteie aind (in Sbnt JEtangordnuug
anilgefBhrt) solebe, welche direet cor SeUateiiialtaat dienen — die noth wendigen
BedttrikilMe zu befHedigen trachten — die Nachkommenschaft zu erziehen be*
zwecken — die socialen und politischen Verliiiltnisse aufrechterhalten wollen
— zur Erholung dienen und die Mußestuiidcn ausfüllen. Beim Durchschnitts-
menschen können nicht alle gleichmäßig, sollen aber die ersten am stärksten
augebüdet werden. Für Auaübnng aller fünf Thltigkeiten ist die ezacte
Wissenschaft die nothwendigste; deshalb hat sie unter allen .EenntniBMn den
höchsten Wert. (I. Capitel der Spencerschen „Edncation".)
327. Das Familienrecht an der öffentlichen Erziehung (J. Trüper,
Oentscbe Blätter 1890, 16—20). „Ein kritischer Überblick über die Fort-
entwi<Mang des Fanllteiq^indp« In der SdinlTaftsBangstheoiie der neueren
FIdagogik.* — EntnUediBa YerMer des FamiHwiprinclpee naoh Peitaloaai:
Diaaterweg, DSrpfeld, Stoy. Stoy und Dörpfeld ergänzen sich („Encyklepddie*
— „Die freie Schulgemeinde"). — Dadurch, dass dem Familienprincip inner-
halb der Schulverfassung zu seinem Rechte verhelfen wird, soll auch der Lehrer-
stand am besten erreichen, was ihm an Freiheit, Besoldung, Ansehen, socialer
Geltang gegenwärtig noch vorenthalten wird.
328. Über Lehren und Lernen (W. Jütting, Päd. Zeit 1890, 15).
Die sprachgescliichtlichc Entwickelung beider Begriffe, ihre ältesten cultur-
geschichtlichen Beziehungen, die in ihnen liegenden Fingerzeige für die Päda-
gogik. Letztere entspringen aus der Grundbedeutung: auf die Spur, ins Ohleis,
anf den reditm Weg bringen — gebraaht werden (in der Erwartung, dass der
Lehriing MÜMm Heister Folge leirte, gehorolie, im gewieaenen Gdeia^ aof ge-
bahntem, zum gewünschten Ziele führendem Wege nnbeirrt fortwandle: erat
geführt, dann allein, aelbstständig.)*)
*) Der erste Yertnch, a« der spiacUicheBBntwiekelung pädagogischer Grund-
begriffe etwelchen rJewinn für die Einsicht des Erziehres lierauszuschlagen, ist in
unserer Fachpresse vom Berichterstatter bereits 1888 veiOlfentUcht woiden. (VgL
DeatMslie »itter 1888, 4.)
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329. Fußpfade im Gebiete der Erziehungskunde (W. Walter,
Päd. Zeit. 1890, 19). V. Hinein and heraas. — „Arbeite dich mühsam
in doi Stoff fejndii und «rbeite SA dann mthtam wieder boraosl Dns Uin^t
sehr konstlm und sehr trottlos und wol auch ein wenig — geistlos. Nun —
versuche es nur, und dn wirst sehen, dass du all deinen Scharfsinn und deinen
Witz zasammennehmen musst. Aber trostlos, ja recht trostlos ist die Arbeit
zuweilen." — Kritik der Lehrbach- and Leitfadenfabricafcion. — Und wenn
anch dM Mnsterkhitaäi (mit einer voUitftndigen Sammhing von UntendchtB-
Torbüdem) eradiieneD ftrt^ wird „der Lehrer jenes mtUttaiBea Hisein-nnd-herans
nicht TOHig ledig. In jede nena Classe, in jeden neuen Schfiler mnss er seine
Seele versenken; nicht damit sie versinke, sondern auf dass sie mit klarem
Bewusstsein des in den Tiefen Geschaaten, und zugleich verjüngt und gestählt,
sich wieder emporringe. Und alle die großen, guten*, schönen Schöpfungen
erlauekter Geister moM der Enieher danshwaadam, zuweilen anf nodh reeht
nnbetretenen Fußpfaden in der Hoffnung, da« ar larttdduhre und heraas-
trete mit etlichen Kleinoden für die Schatzkammer seiner hehren Königin -
SSO. Zur Reform des Lehrplans der Primarschule (J. M. Gaader,
Schweiz. Blätter f. erz. ünt 1889/90, 5. 7). Verfasser schüeßt: „Das Volk
verlangt Eeligion, Lesen, Sobnlben, "Rftclww«. Und wir postoUran: ReUgions-
nnd Geilnnnngnintanieht, und aie unterstfitaend Schanplataknnde (statt ,Geo-
graphie') und Oesang — Lesen und Bereicherung des Gedankenkreises dnrch
das Lesen — Aufsatz, und ihn untei-stützend Grammatik und Schönschreiben
— Berechnung, und sie unterstützend Arbeitskunde (statt .Naturkunde* —
,Vertraatheit mit der menschlichen Arbeit, mit den Mitteln und iuilften,
watehe flrdemd oder hanmand aaf Jane einwirken'), Zatehnaa und BaadArtig^
keitsunterricht."
331. Über Schulausflnpo und Schulreifen (R. F., Schweiz. Schul-
archiv 1890, V). Ein anmuthig geschriebener Aufsatz, der besonders z:Nvpier-
lei betont: wie bei einem kürzeren Gange Longengymnastik getrieben werden
kann (beim langiamen OeiieB) and wie (bei Oeleganlielt grOlarar Anaflilga)
ein narfcar "Wink dai Lehrers genflgt, die Kinder n bewegen, „anf die liab-
liehste "Weise sodalistische Theorie in die Praxis umzusetzen" (indem Kinder
- Wolhabender ihren armen Mitschülern*) freiwillig von der Fülle ihre.s Pro-
viants mittheilen, für sie die Fahrkosten bestareiten. Verf. hat in dieser Be-
ziehung sehr Erfreulich^ erlebt.)
882. Hanaanfgaben oder nicht? (B. Hanrieh, Bair. Lahrais. 1890,
13^ — 15). Verf. kommt am Ende seiner sehr gründlichen Untersuchung an
dem Urtlieil: Unterricht und Erziehung erleiden durch Abschaffung der Hans-
aufgaben (Abbrechen einer bedeutsamen Verbindung zwischen Schnle und Haus)
eine wesentliche Einbuße. Der wachsame, geschickte, willensstarke Lehrer
walA alle penOnUehen und lanhUehen Schwierigkeiten , welche ans dem Er-
thaOen van HansaiiflBialMa fttr Eltern, Schüler und Ldirer erwachsen sollen,
zu Überwinden odar an Tariifiten. Folglich aind Haaaanfgaben pidagogiaeh
geboten.
333. über den Bedeutangswandel der Wörter in der deutschen
*) Es ist hier daran zu erinncra, dass in der Schweiz die öffentliche Tolks-
ichnle eine allgemeine i>t^ am und leidi also beiiannien shid.
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— 677 —
Sprache nnd seine Berücksichtigung in der VolkBSchiile (Allg.
Deutsche Lchrerz. 1890, 12. 13). Im rnterrichte zu berücksichtigen des
Verständnisses, der Auschaulichkoit wegen (z. B. Leuinnnd, Hifthorn) — der
verstandesmäßigen Aneignung gewisser Wurtformeu wegen (Damhirsch, Her-
lierge, NieBbmiicb) — MaAi Bsreichenuig des Wortschatzes (Qaecksilber,
Onedte» erqnickeii) — behnik Erweekanf einM lebendigen, liobienSpndigefiaila
md des wahren Patriotismns. (Des Deattchen Vaterland — patria — ist
loweit die deutsche Zunge klingt.)
334. Die Reform des neusprachliehen Unterrichtes (G. Schwai'z,
Schweiz. Lehrerz. 1890, 5 — 7. 15— lö). Verf. erörtert einlässlich die For-
derongen der Befomer (welehe er mit ihren Schriften am SoUnate anflllhit);
Lautlehre gesondert und mit größter Sorgfalt zn behandeln, unter directeroder
indirecter Verwertung der Phonetik — Lcctüre im Mittelpunkt des Unterrichtes
— Grammatik vorzugsweise inductiv — schriftliche und mündliche Übungen eng
an die-Lectüre anzuschließen. — Er steht auf Seiten der gemäßigten Reformer.
SelBe bemikiiiswertesten Auiehtea nnd Vondilftge: Lesen erst nach erlang-
tem Yentindnia (TorBprecheii — übenetaen — lesen). „Die Leetüre soll in
eehton, idiomatischem Französisch ein Bild (bescheidener Art) französischen
Lebens bieten. sp?lterhin aach geeignete Abschnitte aus der französischen Ge-
schichte und Geographie behandeln." Anwendung der indnctiven Methode
leicht bei Behandlung der Declinatiou, empfehlenswert auch beim Studium der
^jntaac, ichwieriir vnA &nfierrt aeitnnbend beim Gewinnen der Goigngationen.
Vennindamng des Lernstoffea (ftegeln). Yoeabeln zuerst im lebendigen Zu-
sammenhang des Satzes anzuschauen; später groppirende Pepetition. Möglich
früh Sprechübungen (mittels einfacher, leichter Fragen und Antworten, vor^
nehmlich um dem Schüler die Zunge zu lösen.)
335. Daa indnetive Verfahren Im Oeographiennterriclite (H.
Kenfeen, Lehieneitong f. Thflringen ete. 1890» 4-— 6). Handelt Ton der
Vergleidinng verwandter Objecte oder Erscheinungen behufs Auffindung all?
gemeiner Begriffe oder Gesetze, unter Bezugnahme auf Analogie im natur-
wissenschaftlichen und mathematischen Unterricht (zum Theil von soklieu aus-
gehend). Die Gesetze soUen alle in derselben Form, als Bedingungssätze aus-
gedrfickt werden (VoranaBetaang und Behanptnng enthalten). Beispiel: Ent-
Wickelung des Gesetzes über Entstehen und Gedeihen der FlflSBe, mit Hilfe T<m
Klima- nnd \'egetation8karten, welche für Schftleratlanten nothwendig sa
wünschen sind.
PudaioftaB. U. Jilar* Hett X.
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Literatur.
ileilriell Scherer, Scholinspector in Worms a. Hh., Adolf Diegterwegs Päda-
gogik. In 8y8tom;itisclier Anordnung nnd asor Einfülirnnp in das Studium
der wissenfichaftlichen Pädagogik bearbeitet, llit Porträt und Facnmüe
- Diesterwegs. Giei^en 1890, Emil Hoth. 186 8. 2 Mk.
„Dm Tinü«e«ite Workchen, bemerkt der Veifiunr, will dem Leeer in der
Hauptsache die pädagogischen Ansichten Diesterwegs in Hysteniatischer An-
ordnung und mit Diratenvegs eigenen Worten vorl'iUucu, iliu iu den Eingangs-
eapltdn mit der Stellung Diesterwegs zu der Pädagogik Tor ihm und zu seiner
lind nnscrcr Zeit und im Schlusscapitol zu dor in unserer Zeit besonders sich
entfaltenden Horbart-Zillerschen I'ädagügik bekannt machen." Hieraus iot Hchon
sn entnehmen, dasi dieees Buch auch für den gründlichsten KeuMT der Werke
IMesterwegs keineswegs überflüssig ist, indem es vieles bietet, was iu dm
letzteren theils gar nicht berührt, thcils nur nebenbei angedeutet ist. Oeht
man in das Werk näher ein, so lernt man es mehr und mehr als eine geradem
hervorragende Leistung auf dem (lobiete der jjädagogischen Literatur kennen
nnd sch&tzen. Ein uuiIiishcikIoh und gründliches Studium der einschlagcuden
Sehriften, eine vielseitige schulniiinnische Erfahrung, ein klares, auf fest aus-
geprägten Grundsätzen beruhendes Urthcil und eine lebhafte liegeisterung für
die Sache mussten zusammenwirken, um dieses Buch möglich zu machen und
herzustellen. Es wird alten wie jungen Pidagogen Belehmig bieten nnd
Freude bereiten.
Adoli' DiesterwegS ansjrt wäliltt! Srhriften, herausgegeben von Eduard Lan-
genberg. Vollständig iu 2U Lieferungen ^ 60 Pf. oder iu 4 Bänden d,
8 Mark. Ent« Llefenmg. Frankftirt n. H. 1890, Horits Dieeterweg.
Bedarf kt iner Empfehliini^. Wer sich ülior diese Austr;il«f' iiifnrniiron will,
erhält in jeder Buchhandlung die er^te Lieferung zur uucntgi ltlu iit-n I •un h.'-ii lit.
Edwin Wilke, DiesterM-eg und die Lehrerbildung. Ein Beitrag znr Gcscliichte
dea deatschen Volksachallehrerstandes. Von der Dieiterweg- Stiftung in
Berlin mit dfln ersten Preise nDsgeselehnet. Berlin 1890, Weidnuuin.
144 S. 2^Hk.
'Wilhelm Kreitz, Diesterweg nnd die Lehrerbildung. Eine Geschichte der
deutsclien Lehrerbildung mit besonderer Berncksiohtignng Diesterwegs.
Von der Diesterweg-Stiftung geki'önte Preisschrift. Mit dem Bildnis Diester-
wegs. Wittenberg 1890, Herros^. 131 S. 1.80 Mk.
Im Hinblick auf die Thatsache, dass diese beiden Schriften von der Diester-
weg-Stiftung mit Preisen gekrOnt worden aind, mOge die einfaehe Ameige
derstilhen genügen.
Emst Lllttge, Adolf Diesterweir In seiner Bedentong für die Hebmig dee
Volksschullehrerstandes. Ein Beitrag zur Gescliichte der Volksschule des
19. Jahrhunderts. Leipzig, Siegisniund & Volkening. 140 S. - Mk.
Einleitungs weise gibt dies Buch eine Skizze der Lehrenrerli<uisse bis zum
AnliuigB des 19. Jamiinnderts. Diesterwegs WiKkssmkdt sdlwt wird dann in
Digilizea by
— Ö79 —
dr^i Haii])tabschnittcn mit folgenden Titeln dai^cstellt: 1. Dirstorwr o; mul die
VulkAScüullehrerseminare; 2. Diestenvcg uad die Biidungabestrcbuageu des
Volksschallehrentandes; 3. Diesterweg und die EmaneipatioiMibe8trebiiiig«ii in
Volksscbullfhrprstandes. ^fan mu88 anerkennen, dnss dio canzc Monographie
mit Verstüudnis und Sorgtalt aufgeführt ist und als specielie Bcleuchtang einer
Hanptriehtmig der Lebomurbeit iHestenregs Tolle BenchtiiBg verdient.
3fax Pohlaudt, Diesterwegs Verdienste um die Lelirerbildung. Eine Jubi-
Iftunsgabe an die deutsche Lehrertebalt znm 29. October 1890. Ldpdg
1890, Österwitz Nachf. 99 S. 1 Mk.
Es ist natürlich, dnss, wenn ein nnd derselbe Gegenstand nach im iranzen
gleichen Quellea und von gleichem (hier meist zustimmeudem) Standpunkte aus
von verschiedenen Au torailMiandelt waA, in der Hauptsache ttbereinstinunende
Resultate zu Tac:e kommen und der Leser vielfachen Wiederholungen bogojrnet,
obwol die Verfasser unabhängig von einander gearbeitet haben. Duih tiudet
sich in jeder der angezeigten Schriften manrhes Eigcnthiimliche, so dass sie
sich gcttenseitig ergänzen. Und so verdient auch die Arbeit von Max Pohlanidt
neben den verwandten Monographien Beachtung und Würdigung.
J. LangemaDll , Die Fortbildung des Volksschulklirers. Ein Wort an die
freien liehrwymine Deotechlanda, zugleich ein Beitrag zur Diesterweg»
•Jubelfeier 1890. Vortrag, gehalten im Lelirerverein für Barmea tand Um-
gegend. Hilohenbacb, I.. Wiegand. 38 S. ßO Pf.
Eine im Geiste Diesterwegs und sehr anregend abgefasste Erörterung über
das angefShrte Thema, deren Kern sehlieSlieb in LeltsStsen nndAntrSgen sn-
s;\iiinioiigcfasst ist. Verfasser mahnt die Lclirer heztlglich des Zwrckrs seines
Vortrages liauptsftchlich zur Selbsthille, und zeigte wie dieselbe einzurichten
■d. Da er aelbetVolknchuUebrer ist und ans Ernnraag spricht, venlieiit ada
ifahnwort die Beachtung seiner rollcgen. besonders der jüngeren, und CS lei
daher diesen, namentlich auch den Lehrer-Vereinen l)esten.s empfohlen.
L. Hoffnieyer und W. Hering;, Erzählungen ans der "Weltgescliielite. Für
den Gebrauch in I^Iittelschulen bearbeitet. Ausgabe B. 'd Theüe. Hun-
nover 1890, Helwing. 108, 140 und 168 S. 90 Pf., 1 Ifk. n. 1.10 Uk.
OemU den „Allgemeinen BcstimmunL!:en für das preußische Volksschnl-
wosen sollen diese pErzählun^en" in den drei oberen Classen der gehobenen
Volksschule („Mittclächule" i N'erweiuluDi; finden, und es ist kein Zweifel, dass
de, ia drd eonoeatiischcn Kreisen bearbeitet, ihnm Zwecke recht wol ent-
sprechen werden, wenn tUchtige Lehrer dem gedruckten Worte das leehte
Leben einzuhauehen verstehen.
a, Kobmann und L. Schilffarth, Lehr- und Lesebuch für weibliche Sonn-
tags- mid FortiiildnBgsBdiidflB. Nttmberg 1890, Friedr. Xoni. 186 S.
Preis geb. 1.30 Hic.
Per Inhalt des Buches ist uuter folgende Überschi il'ten geordnet: Da.s Leben
in der Familie, die Haushaltung, Wohnung, Küchi-, Xahruugs- und (Jeuuss-
mittel, Pflege der Gesundheit und Krankeniiflege, Pflege nnd Erziehung der
Kinder. Wolthätiffkeit . Kleider und Wästhe, Wirtschaftslehre, Leben in der
Gemeinde, P^iuij^es aus der deutschen lieschichtej ein Anhang enthält Briefe,
Quittungen, Zeu<?ni>s(>, Schuldscheine und sonstige GesohiftBBdhxiftai, sowie
ein Verzeichnis der ^gebräuchlichsten Fremdwörter.
Neben gemüthbildcn(l( n l,esestüeken, den be.sten Schriftstellern unserer
Nation enuehnt, bringt (ia> r>uch, wie vorstehende Übersicht zeigt, ein reiches
nnd wertvolles Material zur Belehrung des weiblichen Geschlechtes (Iber alle
diejenigen Verhältnisse und Gegenstände, welche für dasselbe von praktischer
Bedeutung sind. Ilm kann also die Auswahl und Zusammenstellung des
Stoffes nur billigen; die Ausstattung des Buches (Papier, Druck und Einband)
ist lobenswert, der Preis sehr billig, das ganze Buch also empfehlenswert.
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— 680 —
Oskar Pache, Schnldirector in Leipzig-Lindenau, Deutsche Fortbildangsblätter
Nr. 1 und 2. April und Mai 1890. ^VittenbeJ■^^ Horrof,«^. ;l Heft 15 Pf.
Bereits seit mehreren Jahren bestehen in vcrächiedenen Ländern (Schweiz,
Badea, Östmeich ete.) Blätter für Fortbildung^schUler, und man kann aidi
nur freuen, dass nun auch in Norddcutschland ein derartiges T'ntemehmen
ins Leben getreten ist. Denn jungen Leuten eine gtistig und sittlich bildende
Leetüre für ihre Mußestunden sv oieten, ist um ho vcrdieni^tlicher, je dringen-
der die Gefahr ist, dass die sogenannte «Schund- und Schandliteratur" auch
den im getährlichsteu Lebensalter stehenden jungen Leuten in die Hände
falle. Daas Hott Director Fache der rechte Mann zur Leitung eines solchen
Unternehmens ist, bedarf im Hinblick auf seine längst bewährte Tüchtigkeit
keines Nachweisen, ersieht man übrigens auch aus den beiden bisher vorliegen-
den Nummern seiner ^FortbildTOgsUitter". X9ge ihm die Unteisttttmiig
seiner Coliegen zutheil werden!
Das „Protest. Familienblatt", herausgegeben von Dr. R. Weitbrecht
(Verlag von Karl Clausen in vStnttgart) reproducirt folgende zeitgemäße Aussprüche
des berühmten katholischen 'J'heologen Döllin erer (iMiinchen): „Wäre mir, wie das
in allen von den Jesuiten geleiteten Bildungsanstalten zu geschehen pflegt, von
frühester Jagend an der Satz eingeprägt worden, dass ich bereit sein mOsse,
weiß fSr schwarz zu erklären, sobald der Papst qprichtt dann freilich ^vHrde
ich es für mfiglich gefunden haben, mich den Decreten von 1870 zu unter-
werfen. Aber dann würde ich überhaupt ein ganz anders denkender und sehen-
der Mensch geworden sein ; meine Bücher wären entweder nie oder ganz andera
geschrieben worden, mein ganzes literarisches Sinnen und SU'ebea wftre nur
darauf geriehtet gewesen, mSgUchst gute Belege für gewisse, von Tomhevein
mir ftststehende Sitae ansammenznsnchen und alles diesen Sätze Widerlanfende
20 ignoriren oder, wenn dies nicht anging, abzuschwächen und zu verderben.
Die röiiiisch-kath<)li.sche Kirche hat dui-ch die Erhebung des Papstes zum
unfehlbaren Kichter über Glauben und Sitten eine Lehre als die ihrige erhal-
ten, die von allen anderen Kirehen verworfen wird, die Lehre, dass Anders-
gläubige nicht geduldet werden dürfen, nnd daas die Anwendung von Zwan;
nnd Gewalt gegen Andersgläubige nicht nur erlaubt, sondern geboten ist.
• Wir deutsche Theolorren haben früher immer behauptet, es sei nicht eine
Lehre der röuiisch-hathulischeu Kirche, dass Andersgläubige zu unterdrücken
seien, wenn aneh snsogeben sei, dass tbatsächlich Päpste nnd andere kirchliche
Haehtiiabw sieh solche ünterdrttcknngen haben zn Sebalden kommen lassen.
So habe ich 50 Jahre gelehrt. Jetzt aber müssen alle röniiscb-katholischen
Theologen es als eine Lehre ihrer Kirche vortragen, dass die Anwendung von
Gewalt gegen Andersgläubige «ilaubt nnd Pflicht sei; denn wa.s die Päpstr in
dieser Beziehung gelehrt haben, das ist seit dem 18. Juli 1870 als Glaubens-
lehre der rSmiseb-katholisehen Eirehe ansnselien.''
Vmatmfd. MbUkm Dr. Frltdrieb Dittts. Bncbdraekerd Jnl ina Klinkhardt, Leipzig.
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«
Lessing und Friedrieh der Grofie.
Eine Parallele.
(Vortrag zum 56. Stiftungsfeste des Danziger LehrervereinsO
as Ziel unseres Lelirervereins ist: „Anregung des Geistes
und Erhebung des Gemiithes zu segensreicher Lelirerwirk-
samkeit und Erstrebung alles dessen, wodurch wahre Volks-
und Menschenbildung gefordert werden kann." Wie der Verein
diesem Ziele im verflossenen Jahre näher gekommen ist, hat der
Htyr Voi*sitzende uns im heutigen Berichte mitgetheilt. Wie wir
weiter diesem Ziele eiitf^ec^ensteuern sollen, das verräth uns des Dichtei-s
Geist in folgendem Dicliterwurt: „Halte das Bild der Würdigen
fest! Wie leuchtende Sterne theilte sie aus die Natur durch
den unendlichen Raum." Unter den Würdigen bei zweien der
Würdigsten für einige Augenblicke zu verweilen, unseren Greist zu
unserer erhebenden und belebenden Erstarkong in ihren Geist hinein-
zayenenken, das Ist ei^ was ich mit meiner schwadien Kraft versachen
ivilL Die Edlen, m denen vir hinanftchaien woUea, sind so innig
miteinander yerwaadt, haben so viele bedeatsame Berührungspunkte
und im Verhftltnis dazu so wenig trennende Unterschiede, dass es wol
gerechtfertigt erscheint, sie auf einem Bilde vereint, auf einem Bilde
nebeneinandergestellt zu betrachten.
Die Wiege beider Heroen ist das erste Drittel des vorigen Jahr-
hunderts, ihre Zeit eine unaufhaltsame Periode der geistigen Gähmng
und ElArnng. Als deutsche Söhne auf deutschem Boden entsprossen,
begrüßten sie das Licht der Welt» um selbst hellstrahlendes Licht
für unseren G^eist und belebende Kraft für unser Herz zu
verbreiten, „um das in dumpfer Luft eingeengte geistige
Leben aus der Finsternis in frische Morgenluft zu führen,*
der eine vom Königsthrone herab, der andere aus schlichter Bfbgei^
FaliCOgioBi. lt.Jabri. Hdl XL 49
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— 682 —
hütte ins deutsche Volk hinein. — „Erkennen, was wahr ist,
fühlen, was schön ist, wollen, was gut ist", — das war ilir er-
habenes Ziel, die Wahrheit pflanzen nnd pflegen, die Freiheit
lieben und Liebe üben, — ihr unaufhörliches Leben und Streben»
Aufklärunj^, Humanität, Volkswol, Volksbildung, Pflege
der Kunst und Wissenschaft, — ihr bewunderungswürdiges Wirken
und Walten. Durcli diese Thätigkeit in solcher Mannigfaltigkeit ragt
der große König aus dem politischen, wie der große Lessing aus dem
literarischen Wirrwarr jener Zeit, einem festen, weithin sichtbaren
Leuchtthurme gleich, hervor, um niclit bloss seinen Zeitgenossen, sondern
aucli der ^egeuNvärtigen und zuküul'tigen Geistesarbeit bessere Wege
zu bleibenden Zielen zu weisen.
Wer hätte dem Königsspross anf seineni „Elistriner Patmos'' alle
die Glanz- und Ruhmesthaten voraussagen können, die er in der
Folirezeit so kraftvoll entwickelt und ent<et hat? Unbeirrt ist er
den eigenen, sicheren Weg gegangen, wenn man auch oft genug ver-
suclitt'. ihn auf andere Geleise zu bringen. Dasselbe Eigenthümliche
entdecken wir auch an dem Sohne des Kamenzer Pastors, der darum
dem Eltemhause entfloh, während „Fritzens Flucht" vereitelt wurde.
Offenherzigkeit, Wissensdurst, Ehi-geiz, Behendigkeit und schlagfertiges,
witziges und geistreiches Wesen waren schon früh die gemeinsamen
Eigenschaften unserer merkwürdigen Helden, die es nie verschmähten,
von Überlegenen zu h'riien, weil ihnen jedes höhere K<)nnen Ehrfurcht
einflößte. Waren sie darin übei- den gewölinlichen ^[enschengeist hinaus,
so offenbarte sich in ihnen auch der geniale Keim in der Fähigkeit,
„zwischen dem Ungleichartigen hin nnd her zu sj)ringen und doch
stets bei der Sache zu bleiben". Dieser Keim ti'oil)t seine Wurzel in
den fruchtbaren Boden des Wissens, und die Wissenscluift aller Wissen-
schaften, die Philosophie, führt ihm reicliliche Säfte zu, damit die
Wurzel immer stäiker wird, immer tiefer dringt, und so eine mächtige
Eiche aus ihrem Schöße em}>orstreht, die, in vei*scliiedenen Stürmen
ond Gefahren erprobt, dem vorübergehenden Wanderer verkündet:
aKag nlles Stürzen und Tergehen;
Mag sich die Welt kopftiber drehen:
Ich stehe fc:<t und wanke nicht!"
Die Philosophie war der feste Boden, welcher unseren beiden
gewaltigen Eichen den sicheren Halt verlieh ; sie war zugleich der
unversiegbare Horn, aus welchem diese Eichen Erquickong und Labung
schöpften, und beider Verhältnis zu derselben etwas genauer zu be-
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— 683 —
trachten, dürfte einerseits ebenso interessant und dankenswert, als
anderseits begründet sein; denn:
„Hab' ich des MenBchen Kern erst untcrsurht.
So weiß ich auch seiu Wollen uud sein Haudeln."
Lessing, der die philosophischen Ideen, die Früchte seiner denken-
den Betrachtang, durch eine allen Terst&ndliche Sprache zum Gemem-
gnt der deutschen Nation zu machen sieh hemOht, ist als der „Volks-
Philosoph" in des Wortes edelster Bedeutung hochgeschitst Friedrich
der Große, in wdchem seine Freunde schon mehrere Jahre Tor seiner
Thronbesteigung den Marc Aurel »eines Jahrhunderts erblickten, wird
als der „Philosoph yon Sanssouci" gefeiert. Der Tolksphilosoph
betrachtet »Selbsterkenntnis*' als die nächste Au^be der Phflo-
sophie, „thiUjges Schaffen und Wirken" oder Selbstthätigkeit als
die Folge jener und »SelbstTerTollkommnung" als die Frucht
beider. Die Bedingungen zur Selbsterkenntnis, Selbetthätigkeit und
Selbstvervollkommnung sind:
1. Inbrünstige Liebe zur Wahrheit,
2. Anhänglichkeit an eigene besondere Meinungen,
3. Dreistigkeit, zu sagen, was man denkt und wie man e9 denkt,
4. Wärme und Sinnlichkeit des Ausdrucks f&r den Gedanken,
5. stille Verbr&demng mit qrmpathisirenden Geeistem.
In diesen Aui|:aben und Bedingungen mit Lessing übereinstimmend,
£Bhrt der Denker von Sanssouci erwdtenid fort:
1. Die ^lilosophie bezweckt Aufklärung des Verstandes und ge-
winnt damit das wesentlichste Mittel zur Losung praktischer Aufgaben.
2. Sie lehrt ans:
,a) die Natur des Berufes erforschen,
b) die Erfiülung der Pflichten dieses Berufes zur herrschenden
Neigung seiner Seele machen,
c) dieser Neigung muthig alle übrigen unterwerfen und
d) unermfldet alle Kräfte nach dem Punkte der Vollkommenheit
richten.
3. Wenn man das Ziel der Vollkommenheit auch nicht erreichen
kann, so ist es doch eines denkenden Weseos würdig, üun so nahe
wie möglich zu sein.
Nach dem Ausspruche beider Philosoplien befindet sich auf dem
Wege zur Vollkommenheit, wer den Sinn auf das Große und Erliabene
richtet, sich stets an das Bleibende und Ewige hält, — und das
haben die tüchtigsten Menschen aller Zeiten gethuii. Die modtM ue
Philosophie ihrer Zeit wird von beiden Denkern als die nioderue
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verurtheflt, verachtet Sie halten ihr tolgende Warnung entgegen:
„Macht durch-s Geäffe weicher Auslandssitte erzne Knochen
nicht zu Marzipan!" Verlasst den Weg der Nachahmung, der
rückwärts führt! Schreitet vorwärts auf dem Wege selbst-
ständiger Hervorbringung! ^Schlürft aus der Quelle, daraus
Griechenland und Latium geschlürft!" damit es besser werde.
So warnend und ermunternd, schreiten sie auf der Kampfesbahn auch
schon voran, um ihre Gedanken durch ihr Thun zu verkörpern.
Lessings erste philosophische That war eine Kriegserklärung an
die damals herrschenden Modephilosophen. Mit folgenden Worten
wirft er ihnen den Fehdehandsdrah vor die Füße: Ihr fttllet den
Kopf, aber das Hers bleibt leer. Ibr' fahrt den Geist bis in .
die entferntesten Begrionen, wAbrend das Gemttth durcb seine
Leidenschaften bis anter das Yieb herabgesetzt wird. Ihr
seid anf Irrwegen, welche zur Einöde und Wflste fuhren.
Sachet andere, bessere Gefilde anf! Die Krebsschäden blofi-
legend, yerordnet er folgende Arzneimittel: Der Mensch ward znm
Thnn and nicht znm Vernflnfteln geschaffen. Thörichte
Sterbliche! Was Uber ench ist, ist nicht fttr each. Kehrt
den Blick in each selbst! In ench sind die anerforschten
Tiefen, worin ihr each mit Nutzen verlieren kOnnt In Each
richtet das Boich aaf, wo ihr ünterthan and EOnig seid!
In euch begreift and beherrscht das einzige, was ihr be-
greifen and beherrschen kOnnt, ench selbst! — Mit Waifen
des Spottes nnd der Ironie entfesselt er die Gefesselten, wie in folgen-
dem geharnischten Wort:
Ach, eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit, •
Der Klugen ZeitTortreib, der Stols der falschen Blindheitl
Dass Thaten und Gedanken nicht getrennt mai-schiren, sondern
auf einander wirken sollen, begründet er also: Wie Leib nnd Seele,
so sind Gedanke und That, Erkennen und Wollen, Wissen und Leben
antrennbar eins. Diese Lessinjj^sche Lehre liat niemand mehr als er
selbst durch sein eigenes Denken nnd Uandelji besiegelt, indem er als
unermüdeter Wahrheitsforscher, nach Geistesklarheit ringend nnd
kämpfend, die in Vorurtheilen befangene Welt mit der Fackel seines
Geistes erleuchtete. Er ist nicht blos der die Walirbeit Erstrebende,
sondern auch mit der ganzen Kraft tür sie eintretende Held.
Lessing folgte dem Grundsatze, nichts auf Treue und Glauben anzu-
nehmen, sondeiTi alles auf der Menge verborgenen Pfaden zu unter-
suchen. Dabei verkannte er nicht den großen Rinflnaa der Unab-
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bingigkeift fftr die freie Bewegnng und Entwiekelun^ des Geistes,
der Unabliängigkeit von änfierer Beeinflnssiuig imd in der Treae gegen
seine innere Übeneognng fand er das OHSaisk siaines Lebens,- wie ihm
des Stieben, Suchen nnd Bingen nsAh der Wahrheit als höchste
menschliche That erschien. Denn: „Nicht die Wahrheit, in deren
Besitz ein Mensch ist oder za sein yermeint, sondern die anfHchtige
Hthe, die er angewandt hat» hinter die Wahrheit am kramien, macht
den Wert des Henschen.** „Hass- der Knechtschaft des Geistes,
Math, Selbstvertrauen, Liebe zur Erkenntnis ans Gründen,
freie Bewegung im Denken und Handeln,** diese seine Kern-
e^enschaften markiren zugleich auch seinen stählernen Charakter, der
TOll und ganz befähigt ist, für die Ideale seines Kopfes und Heraens
einzutreten. Aber es ging ihm, wie allen großen Geistern: „£r war
rechtschaffen nnd freimüthig; er musste gehasst werden,**
gehasst von seinen Zeitgenossen, um der Nachwdt desto glanzvoller
nnd erhabener zu erscheinen. Zur Erfiillunjr ^^'uwv großen Au^aben
war er von der Vorsehung auch aufs glücklichste luit den erforderlichen
geistigen Mitteln ausgerüstet; denn wo der Kopf so hell und klar, der
A\'ille so stark und gut, das Herz so wann und weich entfaltet war,
da nmssten Heldenthaten vollbracht werden! Sein Verdienst bleibt es
dass er, „der durchdrin;2fendst e Verstand seiner Zeit," neues
deutsches Geistesleben, im deutschen Volke wurzelnd, neue
deutsche Innigkeit des Gefühls, mit frischen, starken Trieben
hervorzaubernd, zu neuer Kraft des Denkens ans))ornend
und hinführend, ^deni ei'uiatteten deutsclien (-ieist zu seiner
besseren Bildung und Vemlrluno: die verborgfuen iScliätze •
aufgetlian liat." Aus diesem Gi uiide kann man, wenn Immanuel Kaut
der bedeutendste Pliilosopli des vnii>ren .lalirhuuderts ist. Lessing mit
Fug und ßecht als seinen bedeutendsten Vorläufer bezeiclmeu. Denn
er nffenbai't durch sein Wollen und ^^'irken, wie er seineu Zeit-
genossen vorauseilt. Er ist, wie Schillers Posa, „eiu Bürger derer,
welche kommen werden". —
Aber auch der Kiinig ist seinen Zeitgenossen voraus, auch der
Pliilosopli von Sanssouei ist mehr ein Mann der Zukunft als der Ver-
ganjrenlieit. j,Jedes Siunen ein Kfinigsgedanke, jede Handluu;^
eine K<")nigsthat," lautet das ürtlieil eines seiner Biographen. In
dem Pliilosopbeii auf dem Throne erblickt der Monarch sein Ideal.
Ein Aristoteles, welcher Alexander den Großen zu dem schweren und
sorgenvollen Regentenberufe vorbereitete, fehlt ihm. Aber er schreitet
Torwärts, wie der Maic Aurel des Altei*thums, Indem er durch eigenes
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i^tudiuin, durch anhaltenden emsigen Fleiß, durch angestrengte Arbeit
mit den Wissensschätzen immer vertrauter wird, sich in ihnen immer
heimischer fühlt und so vorher gediegene Münzen prägt, die er später
im königlichen Berufe verwertet. Von seinen Gedanken seien nur
folgende als fiir die Denkweise des Kouigs besonders cbaraktenstiscli
hervorgehoben:
1. Es wird immer wahr bleiben, dass man nur dann glücklich
sein kann, wenn man einen guten Charakter hat, seine Aufgabe erfüllt,
mäßig lebt und sich aus dem Leben nicht zu viel macht,
2. Es ist auch nicht notliwendig, dass ich lebe, wol aber, dass
ich meine Pflicht thue. Mein Körper und mein Geist haben sich ihrer
Pflicht zu fügen.
3. Meinen Weg gehend, thue ich nichts gegen die Stimme des
Gewissens und kümmere midi niclit um das Gerede der ^lenschen.
4. Wir haben unser lieben nach klar erkannten Grundsätzen zu
regeln und an diesen unverbrüchlich festzuhalten, und jeder soll, was
er für gut erkannt, in seinem Wirkungskreise mit unerschütterlicher
Festigkeit erstreben. •
5. Die Philosophie lehrt uns unsere leidenschaftlichen Erregungen
beherrschen und gibt uns die Gemüthsruhe, die uns glücklich macht,
6. Der Schöpfer hat uns so viel Vernunft gegeben, als wir
branchen, um uns in der Welt zui'echtzufinden und für unsere Be-
dürfnisse zu sorgen; aber diese Yemanft reicht nicht aus, unsere
unerfüllte Wissbegierde zu befriedigen. In Wirklichkeit wissen wir
nnr sehr wenig nnd haben doch den Stolz, alles wissen zu wollen.
/ 7. Trotcdem ist die Pflege der Wissenschaft eine nnerlftsdiche
Fordemng ftr jedennann. Der grOftte Gdst ist ohne die Kenntnisse,
welche ihm die Wissenschaft Tendttelt, nichts mehr als ein nnge-
schliffener Edelstein. Erst die Bearbeitang gibt ihm seinen wehren
Wert Wer sidi dieser Arbeit unterzieht, wird dadurch jedenftOs von
zahlreichen Irrthllmem frei werden.
8. Die Wissenschaft schadet nnr den Betrügern, deren Schliche
sie aufdeckt; sie allein haben das Interesse, die Anfklümng des Volkes
in üblen Ruf zu bringen.
9. Jeder einsichtige Fürst wird sich die Mühe geben, die zu-
künftige Generation seines Volkes zu nützlichen, tugendhaften Bürgern
zu bilden. Nichts ist verkehrter als die Meinung, ein unwissendes
und dummes Volk sei leichter zu regier«! als ein an^jeUtotes. Je
unterrichteter und je gebildeter ein Volk ist« desto mehr fthige Diener
gewinnt der Staat, je roher es ist, um so schwerer ist die BDart-
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näckigkeit zu überwinden, die es vemünftigen Maßregeln entgegensetzt.
Ein Staat mit einer unwissenden Bevölkerung sieht aus wie das ver-
lorene Paradies der Genesis, das nur von Thieren bewohnt war. —
Sind das nicht königliche Gedanken, eines Herrschers würdig,
dessen Streben nur dem Höchsten galt?
Die Sehnsuclit des Jahrhunderts nacli freier Forschung fand unter
seiner Regierung ihre Befriedigung. Er war nicht der Unterdrücker,
sondern der Beschützer und Beschirmer der DenklVeiheit, für welche
Lessing kämpfte. Die Philosophie durfte unter des großen Königs
Obhut ungehindert die letzten Consequenzen ziehen. Er war es, der
einem Pousseau, einem Voltaire den Aufenthalt in seinem Lande ge-
stattete, als diese merkwürdigsten Geister Frankreichs in ihrem
eigenen Vaterlande verfolgt wurden. Er war es, der den vou seinem
Vater vertriebenen Philosophen Wolflf wiederzugewinnen, ilm zur
Bückkehr nach Preußen zu bewegen sich bemühte, seinen Wunsch
also begründend: Ein Mensch, der die Wahrheit sucht and sie
liebt, masB unter aller menschlichen Gesellschaft wertge-
halten werden. In seinem Dankschreiben an WoUf bemerkt der -
König, dass die Fürsten von den Philosophen in den Gmndsätaen
nnteniditet werden müssen, ddren prsktische Anwendung ihr Beruf
seL Im Begriff; den Thron zu besteigen, bekennt er, dass die Philosophie
für ihn einen größeren Beiz habe, als der Herrschersita, und einige
Jahre sp&ter sehnt er sich mitten anter dem Triumphe über den ent-
schiedenen Sieg bei Chotnsits nach der philosophischen Unterhaltung
in Bheinsberg und Gharlottenbuig znrftck. Der Monareh nennt die
Philosophie seine Mntter, den Hof seine StieAnutter, um damit auszn-
drftcken, wie in yerzweifdten Lebenslagen diese Wissenschaft allein
seine einzige Trflsterin wsr. So ist er ein Held wahrer Weisheit und
HerzeDsgüte, ehe wir den Kriegs- und Friedenshelden kennen lernen,
UDd soll nun einmal ein Unterschied zwischen dem Yolksphilosophen
und dem Philosophen Ton Sanssouci gemacht werden, so sei es dieses:
Da eine war vorherrschend philosophischer Held, der andere mehr
heldenmflthiger Phüosoph, das Leben beider, wenn auch nicht unmittel-
bar, so doch mittelbar eine sich erg&nzende, großartige und erhabene
That, als bleibendes Erbe der deutschen Nation segensreich wirkend
nnd schaffend, dem fruchtbaren Beg^ gleich, der auf dflrres Erd-
reich fällt
Lessing wie Friedlich dem Großen hat es nicht an Verdäch-
tigungen nnd Angritfen gefelilt. Beide Männer wäi'en irreligiös, sie
hätten keine Beligion, behauptete man. Aber Leute, die das sagten.
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verstanden den religiösen Geist nicht, der in diesen Gestalteu waltete,
oder sie wollten ihn nicht verstehen. Ihi*e Angriffe prallten an Lessin^
und dem großen Könige ab, und die Pfeile verwundeten meist die-
jenigen, von welchen sie ausgegangen waren. Unsere moralische Pflicht
ist es, die Philosophen auch in ihren religiösen Gedanken als den
unsichtbaren Thaten und in ihren religiösen Thaten als den sicht-
baren Gedanken kennen zu lernen. Das Wesen der Religion suchen und
finden beide im praktischen Christenthum. Beiden ist die edelste Blüte
der Tugend jene Liebe, welche über die endlichen Schranken der Völker,
Staaten imd Religionen hinweg die Menschen verbindet. Sie waren
von einer heiligen Ehrfurcht vor dem Bleibenden und Erhabenen er-
füllt, und das Dasein Gottes ist von ihnen nie bezweifelt worden. In
einem G^cht rühmt der König „die Gflte Gottes, dessen Weisheit
den Plan der Welt entirorfen, dessen Allmacht sie ans dem Nichts
geflehalTeii, dessen 6hiade den Ifensdien ins Dasein gemfen, ihm in der
Yenranft das hOehste ?on allen Gütern geschenkt und die ganze
Welteinrichtiing aof das heste berechnet habe." Aber anch in des
Königs späteren Jahren, als sein Optimismos dnrch seine Lebens-
erlUmingen tief herabgestimmt wurde, hielt er daran unwandelbar fest,
dass der letzte Grund der Welt nur in einem weisen, allgütigen Wesen
gesucht werden kOnne.** In seinem Testament erklirt er: Ich gebe
willig und ohne Klage den Lebenshanch, der mich beseelt, dem wol-
thAtigen Wesen, das mir denselben geliehen hat, und meinen Leib den
Elementen zurfick, aus denen ich gebildet bin. Mit dem. Könige stimmt
Lessing in folgendem Urtheile Qberein: „Nur die Vernunft erhebt
uns Aber die Thiere, nur die Herzensgflte nähert uns Gott.**
Vernunft und Herzensgftte, von Gott in uns gepflanzt, mahnen uns, das
Gottesieich hier auf Erden auszubauen, welches das Reich der Wahr*
hdt, der Freiheit und der Liebe ist Der duldsame König urtheUt
ferner: Da alle Menschen dem Irrthum unterworfen sind, so
darf keiner auch in religiösen Dingen seinen Weg für den
allein richtigen halten, am allerwenigsten dann, wenn er, von
falschem Glaubenseifer geblendet, zum verfolgungssüchtigen
Tyrannen ausartet Lessings religiöse Ansicht ist: In jeder Kirche
gibt es ehrenwerte Männer, die Gott dui'ch Gerechtigkeit und Menschen-
Hebe verehren. .Jede Keligion ist gut, wenn sie gute Menschen
erzieht, und diejenige Religion ist die beste, welche die
meisten besten Menschen erzieht. Die besten Mens< lien sind ihm
zugleich die Pfleger und Förderer der Aufklärung, der Toleranz, der
Humanität, der Aufklärung, ohne welche unsere Vernunft als gott-
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gegebene Kratt im Keime erstickt, der Toleranz, ohne welche das
gBte Herz der wesentlichsten , Eigenschaft entbehrt , der Humanität,
- olme welche wahre Liebe nicht denkbAr ist. — Wenn Handeln, Thätig-
sein die eigentliche Bestimmung- des Menschen ist, so war beiden
Philosophen tugendhaftes Handeln der einzige Prüfstein wahrer Reli-
giosität, und der gereifte Mann, der ohne Aussicht auf Lohn und Ehi-e
seine Pflicht thut, das sittliche Ideal. — Und nun das religiöse Wirken
.Iiessings und seines grossen Zeitgenossen?
Ihr ganzes Leben war ein Dienst im Tempel der Gerechtigkeit^
und wie der König die DenktVeiheit gestattete, so gewährte er die
Glaubens- und Gewissensfreiheit, welche TiPssing forderte. Auch in
religiösen Dingen durften sidi die Geister ohne Fesseln regen und
bewegen; denn in dem ,.Fiie(lcricianischen Staate" konnte jeder nach
seiner Facon selig werden. T>ie Duldsamkeit, welche Lessing auf
seine Fahue geschrieben, welche er in Woit und That vei'kUndigte,
hatte der Hensclier in dem weitesten mit dem Staatswol verträg-
lichen (^mfange geübt. Ja, er hatte sich, ehe Le.ssiug den Nathan,
sein Hohes Lied, von den Zinnen des Tempels herab in die Welt hinein-
gesungen, die Duldung, den Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit
zur Lebensaufgabe gemacht, und wenn irgend jemand, so durfte sich
Friedrich II. wie Lessing vor der chrisllicli- apostolischen Forderung:
„Zeige mir deinen Ghuiben in deinen Werken" nicht fürchten.
Friedrich der Große ist im Gegensatz zu Lessing als der pliilo-
sophische Held bezeichnet worden. Da wir den Helden der ^^'eisheit
und darauf den ebenso religiösen wie weisen K^inig betrachtet haben,
düi-fte die Beantwortung folgender Frage ;uu i'iatze sein: Wie zeigte
sich der Kriegs- und Friedensheld? Nicht wie Alexander der Große,
nicht wie Kaid XIL, aus Neigung, sondern aus Nothwendigkeit war
er Feldherr. Das Wol des Vaterlandes, die Ehre des Thrones rufen
ihn zu all den stfirmischen Schlachten. Ein ungleichei* Kampf ist's»
den er beginnt, und groB die OefUir des Kampfes fUi* ihn und sein
Reich. Aher es ist «ich Friedrichs GMBe, da» er in dieser OMa
nicht zorflckbebt und dass er den Kampf in dem Angenblieke auf-
nimmt, der für seine glflckliche ünrchfiUirung die günstigsten Aus-
sichten darbietet Stets gerOstet, stets bereit, das Schwert zur Ent-
scheidung zu fOhren, erkämpft er auch die dem Menschen unglaub-
lichsten glorreichen Siege, worOber ganz Europa erstaunt, und mit
Recht; denn oft sind es mehr Wunder der Gottheit als Wirkungen
menschlicher Erftfte. In unserem Helden schauen vir die Verkörperung
der geschichtlichen Wahrheit, „dass das Schicksal der Staaten weniger
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von ihren Kräften abhängt, als von wenigen großen Menschen, welche
dieselben zu brauchen, zu vermehren und Nationen eine Seele zu geben
wissen". Kühn und unerschrocken, wo er sdilägt, vorsiclitig, wo er
unterhandelt, mit Adlerblicken durchspähend, wo er erscheint und
entscheidet, genial rathend und thatend, iiiuthig anfeuernd, wo die
Masse kopflos und verzagt wird, ist Friedrich der Große einer der
tüchtigsten Feldherren aller Zeiten. In den schrecklichsten Augen-
blicken, da alles sich gegen ihn verschworen zu haben schien, in
welchen selbst römischer Muth verzagt und römi.sche Standhattigkeit
gewankt hätte, da war er es, der durch seine Entschlossenheit, Tapfer-
keit, Geistesgegenwart und unerschütterliche Festigkeit der Retter
seines Beiches wurde. Indem wir solche Größe des Geistes schauen,
bewnndem wir auch den Adel und die Stärke des Willens, der mit
soldiem Geiste war.
„Diese anscheinende Hitze, diese ungeduldige Eile, diese reißende
Gewalt, womit er in einem einzigen Feldzuge die feindliche Macht,
wie der Sturmwind die Wolken, vor sich triel) und, was das Schwert
nicht fral), in den Schnee der Gebirire jagte," was verräth sie anders,
als den entschiedensten Charakter eines Feldherrn, „der, wie selten
einer, so gefürchtet, so schrecklich — und doch so friedliebend war!"
Kr ist der große Vorkämj)f<'r einer tiefgehenden Bewegung im poli-
tischen Gebiete, der große Vorarbeiter jener gewaltigen Thatsachen,
die das Jahr 1871 entrollt, und dadurch einer der bedeutendsten
Schripfer und Mitbegründer des neuen Deutschen Kelches. Diese Helden-
griUie in seinem Urahnen erkennend, hat Kaiser Wilhelm IL kürzlich
bei einer Fahnenweihe in Berlin folgende denkwürdige Worte ge-
sprochen: ^M(»o;e er, der beinahe die ganze Welt ziiiii Feinde hat und
dennoch das Reich zusammensili miedet und aufbaut, stets unser leuch-
tendes Vorbild sein!" Fürwahr, kein besseres Vorbild für unsere
Truppen als dieser Feldherr I
Strebt der Kriegsheld nach dem Ziele, sein Volk groß und ge- •
achtet zu sehen, so ist es dar erhabene Gedanke des Friedenshelden,
seine Unterthanen glücklich zu machen, glücklicli dnrdi ,.die höchste
in der Verliindung mögliche Wolfahrt". Wo seine Pflichttreue,
seinHenschertulent und seine Thatkraft zur Enttaltung kommen, da ver-
ehren wir zugleich auch den weisen, milden, menschenfreundlichen, gefühl-
vollen und edelmüthigen Landesvater, der die schrecklichen Verirrungen
der Menschen kennt, im innersten Herzen Mitleid mit denselben
empÜDdet, und wir verstehen den großen Psychologen« w enn er schreibt:
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Der Wermut bleibt gleich bitter, mögen wir darüber klagen
oder nicht.
Duldet die Schlechten, weil sie einmal so sind! — Wie als Feld-
herr, so verbindet er als Staatsmann und Gesetzgeber mit dem Geiste
nnd der Einsicht desselben aucli die Gaben zur Ausführung, immer
nach dem Beifall der Weisesten strebend. Er war es, der dem Staate
eine verbesserte Rechts])He(^e zugrunde legte und die Unabhängigkeit
und Würde der Kicliter siclierte. Musterhafter Hanshalter seines
Reiches, weiß er die Spuren des Verderbens zu tilgen, indem er auf
Aschenhaufen und Trümmern Dörfer und Städte erbaut, bessere Ver-
kehrsstraßen einrichtet, die Landwirtschaft hebt, Handel und Gewerbe
fördert, das Heer verstärkt, die Zeughäuser anfüllt und dennoch die
Schatzkammer um Millionen vermehrt. Er unterstützt den Landmann,
dessen Kbigen zu seinem Throne dringen, hilft dem entkräfteten Adel,
der durch Krieg und Misswachs fast verniclitet ist, und gibt gern
Tonnen Goldes, um allen seinen Untertlianen aufzuhelfen. Wie groß
sein monarchisches Pflichtbewusstsein, wie ungelieuer seine Arbeitskraft
war, dafür sind die Tausende von Eingaben, Gesuchen und Bitt-
schriften, auf welchen die kurzen, witzigen und schlagenden Kand-
bemerkungen sicli befinden, der beste Beweis! Nirgends ist der Ver-
waltungsapparat vor dem gefürchteten scharfen Blicke des Königs
sicher, der überall auch den kleinsten Missstand entdeckt. Wo er er-
scheint uud sich überzeugt, wie man seine Anordnungen und Befehle er-
füllt, werden Lob und Tadel gleich streng abgewogen und ausgetheilt
In der kleinsten, wie in der größten Beschäftigung darf der Geist der
Ordnung nicht fehlen, welchem er selbst bis an sein Lebensende treu
blieb. Aber wamm die Anhörung jeder Klage, warum die Beant-
wortung jeder Frage, warum die ErlUlung so Tieler Bitten? Warum
alle die Arbeit in den durch ihr Einerlei peinigenden, oft gering-
fügigen Sachen seiner Unterthanen fSac einen Geist, der ganz andere,
schönere und bessere Arbeiten kannte? Nun, „so geliebt, geschmeichelt,
begünstigt von den Musen, sich ihnen entwinden, ihren so mftditigen,
durch Unschuld selbst so Teifthrerischen, immer schöneren nnd immer
gefiUn-licheren Selzen widerstehen, um freiwillig auch die klemsten,
reizlosesten Pflichten zn erfüllen und in dieser Denkungsart ein Leben
hindurch beharren**: darin eben zeigt sich die rechte HerrschergröBe,
darin offenbart sich der beste Landesvater, und er ist gewiss ebenso
sehr der Vater des Volkes/ wie er der Vertheidiger und Beschützer
seines Beiches ist Er bleibt einer der ersten Kriegs- und Staäts-
manner aller Zeiten. Ohne ihn wSre Preußen kerne Grofimacht ge-
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worden. In ihm erblicken wir das Ideal eines Monarchen, „der gleich
groß ist, wenn er im Rathe das Recht verwaltet, weun er im Felde
für die Unabhängigkeit seines Landes kämpft".
Haben die Kriegs- und Friedensthaten dieses Königs dem Volke
das Nationalbewusstsein eingeimpft, so waren es doch nicht minder
auch die Kampfesthaten eines Lessing, welrhe dieses Bewusstsein,
diese Zusammengeliürigkeit und den wahren Seelenadel erweckend, in
fruchtbarer Weise tV)iderten. In ihm gewann die Liebe zum deutschen
Vaterlande einen reinen und klaren Ausdruck. Namentlich veilieh er
der (letitsclien Prosa Kühnheit und Kraft, um so die letzten Fesseln
franzr»sischer Knechtschaft von deutscher Sprache abzuschütteln. Er
hat das deutsche Drama geschalten und sich dazu unmittelbar durch
Preußens Ruhm und Grüße begeistern lassen. Er ist das Spiegelbild
für Goethe's Urtheil, dass durch den gi-oßen Friedrich, dui'ch die ge-
schichtlichen Ereignisse des siebenjährigen Krieges der erste wahre,
höhere, eigentliche Lebensgehalt in die deutsche Poesie kam. Zu
Lessings Lebzeiten existirte ein deutsches Volk, aber wie? Einige
hundert l"'ürsten und Dynasten regierten und herrschten mit absoluter
Gewalt, nur zu oft durch Willkür. Deutsche Art und Sitte, deutsche
Sprache und Literatur wurden von den Großen und Vornehmen ver-
achtet; den deutschen Bürgern fehlte der Sinn für Nationalität nnd
Eigenthflndielikedt. liessing durfte in fleinem Jugenddnma einen Hann,
allerdings blos einoi Bediraten, sprechen lassen: „Ich hin nnr ein
Deatscher;** aber er fthlte tief diese Sehmadi, er yerachtete bitter die
Sacht nach fremdem Tand und die Ansländerei, und er setzte seine
ganze Kraft dn, diese zu yerdrftngen, die nationalen Eigenthttmlich-
keiten zn heben nnd za verstärken. Kein Schriftsteller hat wie er
die Bentschen „ans ihrer wissenschaftlichen SdbstgefiUligkeit, ans
dem Gelehrtendunkel und unfruchtbaren Literatortreiben" so gründ-
lich au^sierttttelt, keiner so wie er durch Wort nnd Beispiel daranf
hingearbeitet« dass unsere Literatur nnd mit ihr die Nation sich wieder
dem thätigen, handehiden Leben, den Interessen des Staates nnd der
Gesellschaft zuwandte. Er war Gottscheds Erbe, nm zugleich auch
der Vemichter der hemmenden Einflösse dieses Mannes zu werden,
und diese zn beseitigen, war ihm »kein Mittel zn gewaltsam, kein
Wort zn scharf kein ürtheil zn schroff^. — Von Lesslng, dem Wiedeiv
erwecker deutschen NationalgeftUds, deutscher Selbstachtung, deutscher
Literatnr und edler Sprache, können die Pädagogen die Idee der Er-
ziehung zu nationaler Eigenthflmlichkeit lernen. Er ist, ehe die Be-
freiungskriege Yon 1813 — 15 ansgefochten werden, ein Apostel der
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Freiheit und Befreiung auf literarischem Gebiete, indem sein Losungs-
wort: ..Aus der Nachahmung heraus, in die innere, selbst-
ständige Hervorbringung hinein!" auch hierin zur Geltung kommt.
Er allein ragt aus der stattlichen Zahl der Wasserpoeteu seijier Zeit
hervor, „ein Lernender, um schnell ein Lehrender zu werden". Er
räumt auf, um alte Richtungen zu verdrängen und in dem großen
Siegeszuge der selbstständigen deutschen Literatur die Fahne voran-
zutragen. Sein Lebenslauf bewegt sich, wie der des Königs, nicht
zerstreut, sondern vielseitig in überraschendem Fortschritt, indem er,
bald als Philosoph, bald als Diclit^r, bald als Literator, bald als
Scluiftsteller und Kritiker, immer neue Fähigkeiten seiner reichen
Natur entfaltete. „Tischgenosse des ersten Scliriftstellers in Europa,
Gast des l'reundes des ersten Königs von Preußen. Welche Ausj>icht
auf Belehrung und Fiirderung, auf Protection und Empfehlung!" Doch
war seine Aussicht ehie i^'ata Morgana, die ihm nur kurze Zeit ent-
gegenlächelte, um dann für immer zu versclnvinden. Denn Voltaire
hatte die Schrift „Siecle de Louis XIV'" verlksst. Lessing erhielt noch
vor ihrem Erscheinen ein Exemplar, das aber nicht sorglaliig genug
aufbewahrt wnrde. Der Verfasser witterte unredliche Absichten und
es kam zum Brache. Aber Voltaire wurde dadurch nur der Hebel,
welcher Lessing zur Selbstständigkeit trieb, damit dieser desto kräftiger
seine wichtige literariaehe Eede gegen seine Blnkesdimiede sehwingeu
konnte.
Welche StOime hat dieser gef&ichtete Kritiker heraofbeschworen,
nnd wie ittpkir wnsste er diesen Stürmen Trotz zn bieten! Sachsen
war sein Vaterland; dennoch stand er mit seinem Herzen auf Friedrichs
Seite, nnd wie dieser seine kriegsgeschichtlichen nnd politischen, so
hat er seine jonmalistischen FeldzOge geführt, jedoch, nm die Stümper
zn entmnthigen nnd die fihigen £öpfe auf würdige Ziele zn lenken.
Keinem Schriftsteller hatte das Zeitalter Friedrichs des Großen sein
Bpeciflsches Gewicht in so hohem Maße an^iedrflckt wie Leasing.
Kein Schriftsteller war dem innersten Geiste des Königs mehr ver-
wandt denn er. Zar Bestätigung dafür das folgende, die bisherige
Ansfllhmng theils znsammenilssBende, theils erweiternde Urtheil Wilhelm
Scherers: ,ibi beiden dieselbe Lebhaftigkeit, derselbe Ehrgeiz, dieselbe
Jagendliche Bnhmsacht, die den Gegner rücksichtslos niederwarf, die-
selbe Hftrte gegen das Schlechte, dasselbe Freundschaftsbedürfius bei
geringerer Empfindlichkeit gegen. Frauenliebe, dieselbe Mischung von
Lebenslust und PfüchtgefÜhl, derselbe Freisinn, dieselbe Toleranz, der-
selbe klare, rasche VerstandesstU: Lessing verlangte von dem Gescbicht-
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Schreiber, dass er die zeitfreiiüssischen Erei^isse erzähle, eine Forde-
rung, die Friedrich der (rroße erfiillte. Lessing* führte ein strammes
Regiment, wie Friedrich in Feld und Frieden. Lessing- führte die
nationale Sache gegen die Fremden, wie der große König. Nie waren
zwei Menschen mehr für einander geschaffen, als Lessing und Friedrich
der Große; nirgends hätte der Kfinig einen Unterthanen, einen Beamten
gefunden, der ihm mit gr(ißerer Treue und würdigerer Gesinnung ge-
dient, nie einen Schriftsteller, der ihm so völlig einsetzt hätte, was er
an den Franzosen liebte/' Aber es genügte jenes Missgeschickes
wegen die ungerechte, unbewiesene Anklage Voltaire's, um Lessiug für
immer aus des Königs Nähe zu verbannen.
Oiine Lessing wäre auch die deutsche Poesie und Literatur keine
Grofimacht geworden. Lessing ist der für alle Zeiten vorbildliclie
Kritiker, und dieser Kritiker und Dichter „begreift, was er thut und
erfüllt, was er fordert'*. Darin bestellt seine GrOfie. Die beiden
bedeutendsten Dichter, welche ihm gefolgt sind, haben eingedeok seiner
Kämpfe und Siege Lessing als den Achilles der dentsehen Literatur
Yerherrlicht Dieselben Dichter haben ihm nach seiiiem Hiiiacheiden
folgende Grabschxift gewidmet:
MVormals hn Leben ehxtea wir dich, wie einen der G9tter;
Nun da todt bist, ao henwht Uber die Geister dein Geist."
Diesem edlen Geiste licssings, wie dem groften Geiste des Königs
gleich zn werden, sind nur wenige Hensdien, oft nach Jafarhnnderten erst
Ton dem Weltengenins erkoren. Aber in ihrem Geiste den Ghaiakter
bilden, den sittlichen Wülen kräftigen; in ihrem Geiste Jede ver-
nfinfljge Seele «durch die Erkenntnis ewiger Wahriieit zn yeredehi,
aber auch durch die Wahrheit des Ewigen, Unendlichen und Heiligen**
zu weihen und zu erheben: das können wir mit nie Terlöschendem
Eifer erreichen; das wollen wir, „dem Vaterlande ergeben, uns selber
treu, dem Heiligen gehorsam*, in unserem Berufe erstreben! Denn:
^"Wer den Besten seiner Zeit genug gethan.
Der hat gelebt für alle Zeiten/
(Quellen: 1. Friedrichs II. hinterlassene Werko: 2. Zeller. Friedrich der Große
als Philosoph; 3. Du Bois-Rcymond, Friedrich 11. in der bildenden Kunst; 4. H. Tröhle,
Friedrich II. und die deutsche Literatur; 5. D. Maller, Geschichte des deutschen
Ydkes; 6. Lesaings Weite; 7. Dansd und Gubraner, Lessings Leben und Werke;
8. Erich Schmidt, Leasing, öeschichte seines Lebens und seiner Schriften: 9. Joh.
Jakoby, Le.ssin<r, der Philosoph: 10. Diesterw'eg, .lahrbu<li IS.'iS; 11. Kuim Fischer,
Lessing als Heformator; 12. Wilhelm Scherer, üeschichte der deutscheu Literatur u. a.
Dlgitizeü by Cjüügle
IK6 Bildug der ersten Yerstellugsreihei.
Von Alois Slexdk-Littau.
^^iemand hat so viel Gelegenheit und Ursache, Betrachtungen
über die Thätigkeit des menschlichen Geistes anzustellen, aber auch
die Lückenhaftigkeit unseres Wissens um den psychischen Organismus
zu bedauern, als wir Lehrer. Insbesondere ist es aber die Lelire vom
Gedächtnis, die für den Unterricht und infolgedessen für die Er-
ziehung von inaßjrebendster Bedeutung ist, und docli noch nicht jene
Stufe der Kntwickelnng und Klarheit erreicht hat, dass sie immer und
überall dem Lehier eine feste Stütze bei seiner Thätigkeit bilden
würde. Im ( Jec:entlieil: oft versajrt so manches Gesetz dieser Lehre,
wo man nachweisen kann, dass der (Tiund des Versagens nicht in der
Art der Anwendung, sondern in der Art der Abstraction dieses Ge-
setzes, also in dem Gesetze selbst liegt.
Das Gedächtnis ist für die Schule ein Mittel, ohne welches sie
ihre Tliätigkeit einstellen müsste; wenn sich die Schule dieses Mittels
bedienen will, muss sie dessen Art kennen. Nicht zum erstenmal werden
die Fragen aufgeworfen: Ist das Gedächtnis das „^falent" selbst oder
es ist nur ein Talent unter anderen? Ist das Gedächtnis eine An-
lage der Seele, oder ist diese Anlage schon mit der normalen Be-
ßchaflfenheit des leiblichen Organismus gegeben, also bei jedem normal
entwickelten Menschen vorhanden und nur abgestuft durch eine leichtere
oder minder leichte Erregbarkeit, beziehentlich Stumpfheit der Nerven?
Die Beobachtung der EindesentwickelaDg lehrt, dass das GedAchtnis
täatsaehlich keine orsprünglicbe Anlage der Seele sein kann (?D.H.),
nnd insofern es wirklich yererht za sein seheint, ist es dies nnr mit
Blicksicht auf die relative Vollkommenheit der Sinnesorgane nnd der
Nervenerregbarkeit
Biesen Satz angenommen, fragt es sich weiter: Wie kommt es,
dass es trotzdem Kinder mit besserem nnd solche mit minder gutem
GedAchtnisse gibt, ferner Kinder, in denen das Gedftchtnis in einer
bestimmten Bichtnng entwickelt ist, obwol nach den sonstigen Äofte-
rongen ihres Geistes nnd der Anfiiahme Von Empfindungen ihnen Ein
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Grad der Eutwickelung von Sinnesorganen und nach ihrem Tempera-
mente Ein Grad der Nervenerrejrbarkeit innewohnen mag. Eine voll-
kommen zufriedenstellende Antwort auf diese Fragen zu geben, wüi'de
uns nicht gelingen und liegt auch nicht in unserer Absicht Wir
wollen nur darauf liinweisen, dass alle die sogenannten Eigenschaften
des „Gedächtnisses" und auch der Reproductionsgesetze begründet
sind in der ersten, d. h. im Kindesalter geschehenden Ausbildung von
Vorstellungsreihen und deren Verknüpfung zu Vorstellungsmassen. Wie
diese Aasbildimg und Verknüpfung nach den siclitbai en Regungen der
Kleinen wol vor sich gehen mag, daraut sollen sich folgende Unter-
sndningen beziehen.
Wir ^rissen leider zu wenig von dem Grade der ersten AnfliAS-
simgsfilhigkeit der Kinder; nur so viel steht nach dem Gutachten im
Physiologen fest, dass die Kinder erst in ^er gewissen Zdt nach
der Geburt das AlIeranlMendste durch jeden der fünf Sbme ani^
nehmen imstande sind, wobd der Geschmadosinn allen den ftbrigen
TOianzngehen scheint und der Gemchsinn wol am spätesten seine
Thfttigkeit anfiiimmt Von den übrigen dflrfte sich das allgemeine
„Gefilhl'^ unmittelbar nach oder g^chadtig mit dem Geschmaeksinne
and dann der Gesichts- und Gehdrshin entwickebi.
Die erste Vorstellnngareihe wird sich also knfipfen an die Vor-
stellnng des Geschmacks, die au gleicher Zeit eine Complezion' bilden
muss mit der Yorstellung der Beseitigung eines Unangenehmen (Hunger, '
Durst). Dass dem thatsächlich so ist, sehen wir daran, dass, wenn
das Kind i^ter die Fähigkeit an sehen erlangt hat, es bestrebt ist,
alles ihm Sichtbare und Enreichbare zum Munde zu fOhren (und das
in einer Zeit, wo es noch nicht „zahnen^ kann), um es danach, ihlls
es ein Gegenstand war, der keinen Geschmack gab, nodmials zu be-
trachten.
Dass die so mittels des Geschmacks gebildeten Vorstellungen nur
schwach sein worden, ist wegen der geringen „Eindringlichkeit^ und
der „Unbestimmtbeif der bezüglichen Empfindungen anzunehmen. Dass
es also anderen eindringlicheren und bestimmteren Empfindungen ge-
lingen wird, Vorstellungen hervorzurufien, die jene ersten yerdrängen,
indem sie sich mit ihnen gleichzeitig verbinden, ist nur eine Folge.
Und welche sind die „eindringlichsten" und bestimmtesten Vorstellungen?
Gewiss die, welche durch den Gesichtssinn gewonnen werden. Fnd
so entwickelt sich später bei dem sehenden Kinde der Vorgang der
Sammlung von Vorstellungen nicht, wie man erwarten sollte, vom
Geschmackssinne, sondern vom Gesichtssinne aus; das Kind betastet,
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will die Wirkung auf den KJ^rpet erproben ete., wiU schmeckeB,
hören, riechen alles das, was es gesehen hat.
Alle infolge der Empfindungen der übrigen Sinne gewDimeiieii
Vorstellungen determiniren gleichsam die durch das Gesicht gewon-
nenen Vorstellungen. So „beherrschen" also gleich im Ursprünge diese
eindringlichsten aller Vorstellungen alle die übrigen und so bleibt es
auch. Auch der Erwachsene stellt sich mit der Vorstellung einer
Geruchsempflndung nicht zufrieden, sondern „sucht mit den Augen"
den diese Empfindung verursachenden Gegenstand. Es ist ihm also
die Geruchsempfindung zu unwesentlich, zu schwach; er sucht das
Wesentliclie hierzu, das er durch sein Gesicht gewinnen kann, und an
die so gewonnene Hauptvorstellung knüpft er die des Geruchs.
Der Ubergang aber zur Vorherrschaft der (Tesiclitsvorstellungen
ist ein allmählirlier und ilin vermittelt der Tastsinn (dass der Tast-
sinn tliat.^arhlioh das (Tesicht ersetzen kann, sehen wir an Blinden),
so dass wir scliließen können, dass das Kind, bevor es manche von
den dem Gesichtssinne zugänglichen Eigenschaften mit diesem Sinne
aufgefasst hatte, es schon die bezüglichen Vorstellungen durch den
freilich sehr unentwickelten Tastsinn gewonnen hatte.
Aber auch diese Empfindtmgen sind zu schwach und ihre Vor- !
Stellungen müssen sich jenen des Gesiclitssinnes unterordnen, werden
aber nicht zuiückjredrängt, sondern kräftigen je nach ihrer Gleich-
artigkeit die entsprechenden GesichtSTorstellungen.
Solange also die höheren Shme nidit entwiekdt sind, bilden sich
wol auch Yorstelliuigeii und Beflien im Geiste des Kindes, aber jdiese
sind so schwach, dass sie sich den späteren durch den Gesiehtssuin
gewmmenen YoUstSndig unterordnen mfissoi, also gleichsam eine Vor-
stnfe >ii der eigentlichen BOding von Yorstellnngen und deren Beihen
. snid. Das eme muss aber wahr sein, dass schon diese Entwickdmigs-
Torstnfe bei yerschiedenen Mensehen eine yerschiedene Klarheit bfr>
siteen mag nnd dass diese Klarheit ein Besnltat erblicher Eigen-
schaften ist
Nun ist das Kind so weit» dass es sehen kann. Welche Gegenstftnde
nnd welche Eigenschaften dieser Gegenstinde werden seinem Gesichts-
sinne zuerst anflhllen ? Sowol Ton den Personen nnd Gegenständen als
anch von den Eigenschaften mflssen ihm nmftchst die anfallen, von
denen es sieh schon während der Ycn-stufe „schwache yorstellnngen*^
gebildet hat: das werden G^egenstände nnd Personen seiner nächsten
Umgebung sein.
Welche Eigenschaften es an diesen bemerkt, dürfte schwerer m
FMlacocim> Akrg. Haft XL 60
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beurtheilen sein: gewiss aber auch zunäclist die, die es schon mit dem
Tastgefühl der Zunge und der Hand aufgefiisat hatte und von allen
den übrigen die eindringlichsten.
Was ist aber dem Gesichtssinne das eindringlichste? Zunäclist die
Bewe^'uii(^, dann das Licht als solches, dann das Licht als Beleoch-
tnng und Karbe. dann die Form.
Wir Wüllen die folgenden Untersuchungen über die Bilduns: von
Vorstellungen und Reihen mit dem bekannten Verlangen Fröbels er-
ölfnen, dass dem neug-eborenen Kinde eine einfache Holzku'jfcl von
Naturfarbe über das Bettchen beweglich an einer Schnur l)eti^stigt
werde. Die Kugel wird also gewiss eine Zeitlang unbeachtet hängen
bleiben, sowie auch die Mutter und der Vater eine Zeit warteil müs-
sen, bevor sie eine Äußerung der geschehenen Auffassung von Seite
des Kindes erhalten.
Das erste jedenfalKs, was dem Kinde an der Kugel auffallen wd,
ist deren vollkommene, d. h. nach allen Seiten hin ausführbare Be-
weglichkeit. Da die Kugel ferner keine Mannigfaltigkeit, sondern die
höchste Einfachheit zeigt, so bleibt auch das Augenmerk des Kindes
nur auf die Beweglichkeit gerichtet.
Die Vorstellung der Beweglichkeit wird die oberste und erste von
den dnreb das GMcht gewonnenen im BewoBsteein des Kindes sein,
bei nsturgemafier Entwickelung ungestört dvreh die sich allen&Qs
anfdrfiiigende Form, oder den Klang n. a.
Es drangen sich nim folgende Fragen auf: Wie geht die An-
reihnng der Vorstelluigen nach der wahrgenommenen Beweglichkeit
Tor sich, wenn dem Kinde FrObels Kngel als erstes Spielzeog gegeben
wird, wie, wenn dieses nidit geschieht?
Wir mfissen aber voranaschieken, dass wir annehmen, die „Be-
weglichkdt*' sei dem Kinde keine vom Gegenstande abstrahirte, son-
dern diesem ajihaftend, was keineswegs der olngen Bdiaaptong wider^
spricht, dass die Vorstelhing der Beweg^chkeit ^e durch die Form etc.
ungestörte sei; das Kind bekonunt eben den unbestimmten Eändmck
aller mit dem Gesichtssinne wahrzunehmenden Eigenschaften der Kugel,
aber so, dass die der Beweglichkeit sofort alle die sehwAcheren (oder
sagen wir: dem Eäitwickelnngsgrade des Auges noch niclit angemes-
senen) Yorstellnngen zurückdrftngt und allein die herrschende wird.
Erst nach und nach gelingt es den flbrigen darch entsprechende
„Hilfen", die um so zahli*eicher werden, je vielseitiger die Augen-
thätigkeit wird, also je entwickelter das Auge wird, sicli emporzuheben
und ihre Stellung im Bewusstsein gegen&ber der „Beweglichlceit'' ein-
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yimehinen. Dass aber die Beweglichkeit immer das Herrschende im
Gteiste bleibt, sehen wir deutlich an allen Erwaohsenen.
Für die Beweglichkeit bleibt nämlich mUMr ^Interesse" immer
nnd im höchsten Grade wach; ..Abweclislung muss sein", heißt ein
trivialer Ausdruck, der aber nur bedeutet, dass Unbeweglichkeit, ob
in Lebensweise oder in sonstiger Richtung, das Gegentheil dessen ist,
was im Geiste jedermanns das Herrschende ist, woraus jedermanns
„Intei esse" entsteht.
Wir sagten, dass die Vorstellung der Beweglichkeit keine vom
Gegenstande ahstrahirte ist; sie an sicli kann also das erste Glied
für die Am*eihung anderer Vor8tellung:en nicht abgeben: das tliut die
dunkle Complexion aller der übrigen Vorstelhiniren von dem G^en-
stand: also ein dunkler „Begritt^' des Gegenstandes allein.
Die Beweglichkeit wii'd deninacli nur da> ..Bindemittel" sein für
die gewonnenen Gesammtvorstellungeu, welche sicli aneinander reihen
werden nach dem Grade und der Art der ihnen innewohnenden Be-
wegliclikeit.
Dem Kinde wird es gewiss bald auffallen, dass, wenn sich die
Kugel bewegen soll, sie in diese Bew^i^ung versetzt werden muss;
weiter, dass gewisse Dinge nie in Beweorung gesetzt werden, sowie
dass ein dritter Theil seiner ünigebung sich bewegen kann, ohne von
einem fremden Körper hierzu veranlasst Wehrden zu sein. Nach diesen
drei Graden der Beweglichkeit reihen sich die Vorstellungen und gliedern
sich aneinander: 1. Vorstellungen von Gegenständen, die wie die Kugel
die mannigfaltigste, wenn auch nicht ursprüngliche Bewegung zeigen
(dunkle Xebenreihe der Causalität [Ursache der Bewegung]); diese Neben-
reihe bleibt so lange dunkel, bis das Kind durch entsprechende Be-
obachtung Gleichartiges gewinnt, was dann, als Hilfe wirkend, jene
klarer macht; 2. Vorstellungen Ton Gegenständen', welche wol eine
mehr oder weniger unyollkommene Bewegung besitzen, die ihnen aber
ursprünglich gehört (a. dunkle Nebenreihe der Vorstellung der Kraft
als bewegende ürsaehe, b. dunUe Nebenreihe des Banmes); 3. Vor-
BteUungen Ton Gegenständen, die nur selten oder nie ihren Standort
▼ertndeni, und wenn dies geschieiht, so nur durdi Einwirkung eines
anderen EQrpers.
Ist Im dieser dritten Gruppe doeh manchmal eine Bew^^g zu
bemericen, so verhalten sich die ihnen entsprechenden Vorstellungen
wie die bei 1. Bewegen de sieh nie, so lenken sie Torlftufig die Be.
obachtung des Kindes nieht auf sich. Geht die Gewinnung der ersten
Vorstellungen wirklich auf diese Art yor sich, ^ ist das ein natttr-
ßO*
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lieber Entwickelungsgang, der, wenn er niclit gewaltsam gestört wird,
zum „guten (Tedächtnisse" führen mnss, weil von allem Anfang das
was von Natur aus das Eindringlichste, odei- besser, der betreffenden
Fassungsstufe Angemessene ohne Hindernisse aufgefasst wird, und
alles, wozu die Sinnesentwickelung noch nicht „hoch" genug ist, als
dunkel unter seiner Herrschaft hält, um es nach und nach als Seiten-
reihen abzuzweigen. Einheit und Klarheit bleibt dem ersten Inhalte
des Geistes so erhalten.
Nun sind aber die wenigsten Kinder in der Lage, dass ihre
Eltern ihnen absichtlich ein so einfaches Spielzeug geben, und trotz-
dem ist eine große Anzahl von Kindern — also auch ohne das Spiel-
zeug — im Besitze eines guten Gedächtnisses und der geistigen Ein-
heit und Klarheit.
Wenn dem thatsächlich so ist, so ist der Erfolg dem Zwang der
zufölligen Verhältnisse zu verdanken.
Dass aber der Zwang der zufalligen Hausverhältnisse einen ebenso
großen Theil von Kindern im Anfang ihrer Enuvickelung zur .,(7e-
dankenlosigkeit" und Zerstieutheit fuhren muss, werden wir unten
beleuchten.
Durch einen Zufall kann das Kind sein Augenmerk auf einen in
der Ein&chhett jener Engel Terwandten Gegenstand riehten, der ihm
dann für immer das liebete „Spielzeug" bleiben wird nnd von dem ans
dann die Büdmig der ersten YoisteUungsreihen ausgehen wird.
Dass dies zn gleich gnten Besnltaten fthren kann wie bei der
Verwendong der Kugel, ist ansonehmen, da der Gegenstand so gleicher
Zeit anch beweglich sein wird; denn wie schon erwdlmt» ist das kind-
ttdie Auge Tor aUem anderen fttr die ^Beweglichkeit** empl3lnglich nnd
sacht also anter den yielen sidi ihm znr Beobaehtnng darbietenden
Gegenständen Jenen ans, der ihm wegen seiner sonstigen «iänfhchheit**
ungestörte Gelegenheit bietet^ die „B^eglichkeif zn beobachten. Nur
kann es durch die HansrerÜUtnisse geschehen, dass dem Kinde sich
ein Gegenstand zur Beobaehtnng darbietet, der eine besondere Art
Ton Bewegung ausführt Sagen wir: das kleine Kind mnss oft bei
der Mutter in der Kttobe verbldben nnd beobachtet hier die Bewegung
der vom Dampfe gehobenen und sich wieder niederlassenden Stttrze.
Die kreisfilmige, gewOhnlieh mattforbige, also nicht glftnzende Stürze,
ist ein zienüidi emfhcher Gegenstand, dessen Gesammteindruck den
der Bewegung nicht stören kann.
In einem solchen Falle muss aber auch jene dunkle Beihe der
Cansalität eine gan^ andere Ausbildung bekommen, als wenn das Kind
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an der Kugel MUie fieobachtnng maeht, weil diese von jemand ge- .
stoßen werden mnss, um sich zu bewegen. Hier sieht das Kind dBUtlieh
die die Bewegung hervorbringende £raft (Hand etc.), bei dem Ton uns
gewählten Beispiele nicht.
Da aber die Bewegung fortdauert, so bleibt auch der Reiz da,
jene Ursache der Bewegung herauszufinden: die Vorstellnngsreihe der
Causalität entwickelt sich vorherrschend.
Wenn diese Entwickehing nun nicht gestört wird, so muss aus
dem Kinde ein „Denker*' im aUgeineinen werden. Damit ist aber auch
schon oft dem Denken in einer bestimmten Richtung (Facheignung)
der Grund gelegt, ja dieses Denken in bestünmter Richtong gewinnt
sogai* die Oberhand. •
Diese beiden von uns angefülirten Fälle zeigen das Ideal der Entr
Wickelung der Geist esthätigkeit eines Kindes: im ersten Falle durch
Absicht, im zweiten Falle durch Zufall herbeigeführt.
Jene Angliedcrung nach Beweglichkeit erleidet aber oft große
Hemmung und Str»rung. Wir sagten, dass das Auge für die Beweg-
lichkeit zunächst entwickelt ist. Triebt, Gestalt und Farbe etc. werden .
nur wahrgenommen, wenn sie besonders eindringlich an und für sich
oder im Vergleich zu der Beweglichkeit des Beobachteten sind.
^^'enu z. B. statt der rohen Holzkugel eine glänzende Metallkugel
genommen würde, so müsste schon der .Glanz" hindern, dass die Be-
weglichkeit ungestört zur herrschenden Vorstellung in dem von uns
angeführten Sinne werde.
Dieses Stöi*en müsste Unlnstgefühle und schon im Uranfang Zer-
streuung zur Folge haben.
Dass ünlostgeflUüe entstehen, beweist der Umstand, dass das mit
einer sddien einfeehen Kugel spielende Kind lacht: ein Zeichen seiBee
Wolbefindens. Dass aber hier durch die ersten Gegenstände, mit denen
ndi das Kind befiisst, der Gnmd zur Zerstreanng gelegt wird« beweist
die Thatsache, dass die zerstreutesten Kinder ans jenen H&asem kom-
men, wo man dem kaum geborene^ Kinde allerhand und compli-
eirtes Spielzeug vorlegte. Gebe man demselben Kinde eines jener
Glockenspiele, wie solche verwendet werden, so wird man sehen, dass
das Spielzeug nach kürzester Zeit ans dem Bettchen fliegen und das
schOnsto Vcsklingeln mit dem Spielzeug das Kind nicht in gute Laune
bringen wird. Das Kind faast zunächst die Beweglichkeit der GlOck-
chen auf, wobei ihm schon die zweiftehe Bewegung (der Glocke und
des Klöppele) hemmend iSL
Die ruhige Auffiusung der Bewegung stört aber auch der gellende
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(also sehr eindringliche) Ton und der Glanz des schün polirten Spiel-
zeuges.
Diese Störung des Erfolges, dass das dem Auge Fassbars te'^ in
seiner vollen Stärke aufgenommen und zu herrschender Vorstellnng
des Geistes werde, ist auch die erste Ursache einerseits des Mangels
an Klarheit und Einheit in der Auffassung, also eine Ursache der
späteren Zerstreuung und mangelhaften Reproduction; anderseits ver-
ursacht diese Hemmung der lassharen Voi'stellungen durch andere, die
■wegen der geringen Entwickelung der nöthigen Nerven nur dunkel
sind, ein Unlustgefühl, das von nun an schwer ausrottbar sein wird,
ebenso wie jene Zerstreuung.
Wenn solche Störungen andauern, so ist die nächste Folge, dass
durch den fortwährenden Zwang, dieses der Entwickelung des körper-
lichen Organes nicht Angemessene aufzunehmen, zunächst jene beson-
deren Nebenorgane sich früher, als es beim natürlichen Gange der
Entwickelang der Fall gewesen wäre, ausbilden müssen: das £md
wird frühreif.
Beobachten wir ein frühreifes Eind und dessen Eigenflcliaften, so
bekommen wir thatsächlich einen Beweis aof umgekehrtem Wege, daae
nnsore obigen Behauptungen waJir sein mttssen: das frtUirejfe Kind
&Bst leicht aof in allen mOgUehen Gebieten (weil ja die Organe aus-
gebildet sind); es fiisst aber sehr oberflftcUich aof (weil ja diese Anf-
fusong doch nur wieder mit den Organen eines nnentwickelten Kör-
pers geschieht); es ist verstreut (weil von Jagend anf diese AnffasBong
oberflicUich geschehen mnsste; denn bei einem frühreifen Kinde ent-
wickehi ddi die Oigane, weil sie hierzu durch eindringliche Ehnpfln-
dvngen fönnlieh- geswtmgen werden, wogegen bei dem natüriich sich
entwiekehiden Kmde die Organe nur das anflhssen, wosa sie die Beife
h^ien).
Diese Zerstarentheit der frikhreifen Kinder ist aber anch eine Folge
dessen, dass wegen der Art nnd Zahl der gebotenen Empfindungen
nie Eme VorsteUimg imstande wa^ einigend auf die flbrigen an whrken.
Wiedeihden wollen wir, dass eine angeobte leibliche Be-
Bchaifenheit viel znr Milderong oder Yersehäifimg bei der besproch^en
Bildnng der Yorstellangsreihen beitragen kann. Ein leicht erregbares
Kind whrd sieher bei der größten Vorsicht dem natürlichen Ent-
wickelongsgange Toranseilen, ebenso wie ein schww erregbares Kind
hinter demselben zurückbleiben wird auch bei einer noch so großen
Zahl und einer noch so bedeuten4en Schärfe der Empfindungen.
Dieses gilt auch für die Bildung yon Vorstellungareihen, deren
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einzelne Vorstellungen infolge von Empfindungen entstanden sind, die
durch die übrigen Org^e des Körpei-s zur Seele den Eingang ge-
funden haben.
Wir haben oben die Behauptung aufgestellt, dass es drei Haupt-
reihen sind, die isich nach der Fassungsfiihigkeit des Gesichtsorganes
entwickeln: vollkommene Bewef^lichkeit (Nebenreihe Causalität); weniger
vollkommene Bewegliclikeit (Nebenreihen Kraft, Raum); Unbeweglich-
keit. Gegenstände, die unbeweglich sind, beachtet das Kind nicht,
ol)wol man doch annehmen muss, dass es eine dunkle Vorstellung ihres
Wesens habe. Die Vorstellungen dieser dritten Reihe müssen wegen
ihrer Dunkelheit, obwol sie durch den Gesichtssinn gewonnen sind,
auf der nämlichen Stufe des Bewusstseins bleiben, wie jene der Vor-
stufe, die oben dargestellt wurde. Sie bleiben hier so lange, bis das
Auge nach und nach mehr fassen kann.
Die infolge der vermehrten und verschärften Fassungsfähigkeit
entstandenen Emplindungen wecken dann Vorstellungen, zu denen der
„Untergrund" bereits durch jene dunkeln gegeben ist
Aber auch die Nebenreihen der Kraft, des Baumes und der Cau-
salit&t bleiben noch dunkel
In dieeer DimlEelheift aber bekommfln sie Nebeunihen zweiter
Ordnung. Ton der Reihe des BanmeB zweigt sieh die yorlftnfig noeh
weniger Uare Verstelkuigsreibe der Zeit ab. Die Engel Icaim durch
dieselbe Kraft Terschiedeiiaitig bewegt werden: Nebenreibe ModaHtit.
Alle diese NebenreUien zweiter Ordnnng nnterliagen in einem größeren
oder kleineren 0rade der Hemmung, je nach der Umgebung des Kindes
und nach den suftlügen Ereignissen, denen es unterworfen war.
Weehsel der umgebenden' Perstfneir, Verstellung der 2SimmennObel,
Wechsel des Zimmers u. a., alles das wiikt auf die Ausbildnng dieser
oder jener Beihe Yor der anderen ein, alles das kann aber zur Hem-
mung unter denVorstellnngen führen und Störungen in der natfirlichen
Bildung von Reiben veranlasaen, die von bleibenden Folgen fOr das
geistige Leben des Individnums sind, und die durch die Erziehung
nur dann behoben werden können, wenn der Erzieher in Kenntnis
ihrer GraBdürsaehen ist
Wann ist dies aber der Fall? Wann kann also die Schule erst
Ar das eventuelle Misdingen ihrer Bestrebungen bei einzelnen Schü-
lern verantwortlich gemacht werden?
Die zweite Hauptreihe von Vorstellungen erlangt die größte Aus-
bildung. Zwar den beobachteten Wesen fehlt es an einer vollkom-
menen Beweglichkeit, aber dafür haben sie diese ursprünglich. Diese
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Ursprünglichkeit muss dem Kinde auffallen. Denn, schreit es, so
kommt die Mutter, die Amme, der Vater etc.
Wenn es die Kugel in Bewegung gesetzt liabeu will, da nützt
das Anschreien der Kugel nichts. Die Vorstellungen dieser Gruppe
finden jedoch in den dunkeln Vorstellungen der Vorstufe eine bedeu-
tende Hille: das Erscheinen der Mutter bedeutet auch die Befriedigung
eines leiblichen Bedürfnisses, also die Beförderung eines Lust-, oder
die Beseitigung eines Unlustgetühls. So bildet sich auch hier eine
vol schon frtther vorhandene Reihe als Nebenreihe aus, die der M6-
(Uditftt (angenehm, uaangenehm). So hebt sich nach und nach der
dmilde Ishalt des Geistes, der sich während der Vorstufe bildete,
empor, um thdis als Veratlriamg des Neasrnpltandeiien, tfaeOs mr
Bfldung von Nebenreihen za dienen, die bei einer bestimmten Be-
obachtung steh von der Hanptreibe emporiiebeiid mit dieser In Ver^
bindnng btoiben und snmeist VorsteUnngen des leibliehen Woles ent-
hkltffli.
Ans ihnen mfissen dann jene Beihen hervorgehen, die aof das
eigene »Ich* Beeng haben nnd denen also anch die VorsteUnngen des
Unterschiedes zwischen dem eigenen »Ich** und der ümgehnng des-
selben innewohnen. Dass anch hier die angefahrten Thateachen der
Wahriieit entsprechen, zeigen ja dentlidi „verzogene" Kinder.
Bei diesen gewann eben die letzterwähnte Beihe die Herrschaft
im Geiste. Alles, was nm sie hemm sich bewegte, bewegte sieh auf
ihre Veranlassung. Diese Kinder sind also bald znr Eitenntnis ihres'
»Ich'' und ihrer „Macht** gekommen.
Da die Befriedigong des Strebens immer käxa, so wachs anch der
Beiz nach dieser Befiiiedighng. D^ Vorstellnneen blieb meist nur
das Streben, sich in einer dem »Ich" angenehmen Art zn beth&tigen.
Thatsächlich ist das Streben dieser charakteristisch ihr die „Verzogenen**
(Selbstsüchtigen).
Wenn das Auge SO weit entwickelt ist, dass ihm Licht als solches
und als Beleuchtung auffällt, d. h. wenn es die verschiedenen Wir-
kungen des Lichtes als Beleuchtung, Licht für sich, Farbe trennen
kann, so muss sich eine neue Yorstellungsreihe im Oeist« des Kindes
ausbilden, die sich aber an die der Beweglichkeit anschließen wird.
Nehmen wir an, das Kind sehe eine Kerze, die umliergetratren -wird:
vermöge der wahrgenommenen Beweglichkeit wird sich der Begriff
des Lichtes an jenen der Kugel knüpfen müssen; aber die Verbindunj?
nacli der Beweo'lirhkeit muss schwach ausfallen, weil die neue, mit
Kraft eindringende Vorstellung des Lichtes als eine Nichtbeweglichkeit
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erkannt werden muss. So bildet sich der Anfang einer Xebenreihe
von der Beweglichkeit: der Vorstellangareilien, deren VerknUpfoog die
Vorstellung „Licht" bildet.
Sieht das Kind das nächstemal eine brennende Lampe umher-
tragen, so wird sich die Vorstelbmpr hiervon nicht mehr an die ^Be-
weglichkeit", sondern an die Vorstellung des Lichtes vermöge des
aufgefassten stärkeren Orleicharti(>:en knüpfen.
Wie bei jeder einzelnen Kcihe werden sich auch hier Nebenreihen
bilden, insbesondere die der Modalität und Causalität, die mit ihren
vei-wandteu und schon früher gebildeten Modalitäts- und Causalitäts-
reihen in mannigfaltige Verbindung treten , sie heben und andere
^heterogene) verdunkeln: das geistige Leben des Kindes zeigt schon
Wogen und glatte Flächen. Wol dem Kinde, welches bei diesem an-
langenden psychischen Leben nicht zu viel an Emdriicken bekommt, .
das von allem Anfange nicht viel Neues zu „sehen" bekommt und Ge^
fegenheit und Zeit genug hat, jede einzelne Voratellung dem gewon-
nenen Vorrathe anzugliedern und mit dem Verwandten in Beziehung
zn bringen. Dem bleibt der einfache, „empföngliche** Q&at bewalirt!
Noch später aia die Reihe, deren Bind^lied „Licht" Ist, muss
■ich jene der Form ansbÜdin. Sieht das Kind dne l&ngere Zeit hin-
durch die sich bewegenden Personen, so moss sich die ihnen eat^
q^rechende TorlAoflg dunkle Yorstellong ebenfdls an die ändringlichere
der Beweglichkeit knüpfen, doch muss nach and nach die Mannig-
ftltigkeit an Formen im Vergleiche m der Engel henrortreten. Dass
die FormeDmannigfiiltlgkeit zumeist nur an der Thitigkeit oder an
sdiarf heryortretenden Eigenschaften zn erkennen ist, seigt auch die
SrlUunmg der firwachsenen. lüt dem Hervorlxeten jeder einaehun
«yKIchtbeweglichkeit' oder einer neuen Art der Beweglichkeit ist der
Anfimgspnnkt zur Bfldnng Ton Seitenreihen gegeben, die ihrerseits
wieder alles anfSülend Ungleichartige an ein Gleichartiges der ent-
sprechenden Beihe knikpfen oder nach Maßgabe der Beweglichkeit
doreh diese angliedern. — EHienso yerhSlt es sich mit den Farben. Da
diese nicht als lichtwirknngen, sondern als Eigenschaften Ton Oegen-
sOaden ailiseihsBt werden, so kann die Reihe jener VorsteUongen, die
ihre Yerknttpfiing nach Fube geAinden haben, nicht selbstständig anf-
•treten, sondern sie kann sich an das Verwandte jeder beliebigen Reihe
anknüpfen, was also dnrdi die Vorstellang eines fisrbigen Gegenstan-
des geschieht
Die weiteren Vorstellungen werden dann wol durch die der Farbe
aneinandergereiht Dass jedoch hier das Gehör dnrch das anfgefiosste
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Wort der Farbenbezeichnung sehr mitwirkt, ja oft die Farbenonter-
scheidong des Gegenstandes hervorruft, iodem das Augenmerk anf dtee
UnterscheiduDg gelenkt wd, zeigt die Eindfirbeobachtang täglidb.
Wenn wir nim den gfimmaom Stoff aberbttekfin, so finden wir,
dass der Kindesgeist zonäohst eine Yorstnfe durchmachen mnss, die
ans dner Anzahl sehr dunkler Vorstelliingen besteht, welche yermOge
des inneren Sinnes, sowie zonftchst des Geschmacks- nnd Tastsinnfls
gewonnen worden; die durch den Gesichtssinn gewonnenen Empfindungen
begründen die erste klare und herrschende Vorstellungsreihe: die diar
Beweglichkeit, von der sich natuigemftS Seitenreihen bilden, die sieh
mannigMtig durchdringen und durchkreuzen und so jenes „Gewebe'*
bilden, das wir Vorstellungsmassen nennen. Nach unserer Darstellung
w&re also die Vorstellung der Beweglichkeit das hauptsSchHchst^
Bindemittel'' der Vorstellnngen, nnd die an der Hand der Beweglichr
keit gebildeten Vorstellungsreihen der Mittelpunkt, von dem aus die
Reihen und Seitenreihen der Vorstellnngen, gebildet durch Verbindung
der Ursache, Art, Licht, Farbe etc, ausgingen, zu welchem jene Reihen
aber auch wieder — oft auf Umwegen, oft direct — zarttckkehren.
Es bleibt uns zu untersuchen, wie sich die ans den Empfindungen
des Gehörs und Geruchs hervorgehenden Vorstellnngen zu jenen frohere
verhalten.
Die aus den Gerachsempfindungen her\'orgehenden gehören zu
jenoi, die dem Geiste sehr dunkel sind ; ihre Angliedernng wird immer
eine sehr schwache sein und ihre Reproduction oft raisslingen.
Sie werden auch sehr nebensächliche Merkmale von den Gegen-
ständen ausmachen, an denen sie gewonnen wurden. Nur dort wird
die Vorstellang des Geruchs verbindend wirken können, wo der Geruch
verm^e seiner Stärke bei der Beobachtung des Gegenstandes eine so
eindringliche Vorstellung gebildet hat, dass alle die übrigen Theilvor-
stellungen, die mit jener eine Complexion bilden, in allem Anf&nge „im
Zustande der Hemmung in den Geist frelangen".
Solclier Keilicii gibt es aber wenicre. und sie stehen dann nur
durch den betreöenden Gegenstand, oder die Causaliliit oder Modalität
etc. in Verbindung mit den übrigen Vorst ellungsniassen. Anders steht
es um die ans den Euiptinduiigen des Geliürs hervorgehenden Vor-
st elhingen. Diese Knipfmduiif^t n entsprechen tlieils cliarakteristischen
Geräuschen, theils musikalisciieu, theils sprachlichen Gebikien.
Dieser dreifaclien Art müssen auL-li die gewonnenen Vorstellungen
sein. Es fragt sich nun, ob diese nach diesen drei liichtungcn aus-
laufenden Vorstellungsreiheu selbstötäudig auftreten (insofern als sie nur
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— 707 -
ira nebensächlichen Zasammenhange mit der ei*wähnten obersten Vor-
stellungsmasse sind), oder ob sie, sowie alle die übrigen Bdhen, von
jener theils ausgingen, theils sich ihr stark unterordneten.
Was die erste Reihe anbelangt, so leuchtet ein, dass die ihr zu-
grunde liegenden Eindrücke schwach und gewissen Wesen in einer
Art eigen sind, also als ein oft sehr ontergeordnetes Merkmal diesen
Wesen anhaften müssen.
Die durch die charakteristischen Geräusche entstandenen Reihen
werden also von den Vorstellungen des Wesens ausc^ehen. Diese Reihen
werden sonach eine geringe Selbstständigkeit aufweisen können.
Die aus ^'llrstellungen der musikalischen Gebilde entstandenen
Reihen werden schon selbstständiger, also stärker hervortreten-, aber
bilden werden sie sich doch nur von den früher gebildeten Vorstel-
lungsreihen und zwar immer von dem betreffenden, das musikalische
Gebilde hervorbringenden Wesen.
Wenn wir auch zugeben müssen, dass solche musikalische Gebilde
etwas sehr Eindringliches sind, so trägt doch die Eigenart der Stimme,
des Tones ( „Klangfarbe") dazu bei, dass dieses Gebüde vom Kinde als
etwas dem Wesen Eigenes angesehen wird.
Die Eindringlichkeit wird eben durch die „Klangfarbe" herab-
gemindert, d. h. die sich bildende Vorstellung des musikalischen Ge-
bildes wird gehemmt durch die gleichzeitig hervortretende „Klangfarbe",
insofern, als diese die übrigen an dem Wesen gemaehten Voistellmigen
als eine der ihrigen hervoriiolt Erat viel später entstehoi selbetstBn-
dige Bflähcn musikalisdier Gebilde, die thatsächlieh nnr eine sehr nn-
wesentlidie Yerbindnng mit dem übrigen geistigen Inhalte haben.
Eine noch höhere SeLbststftwdigkmt haben die Yorstellnngen von
SprachgebQden. Zwar mftssen nnteischeiden Jene Spraehgebilde,
die nnr in Beeng anf ein Wesen ihre Gdtnng haben, nnd solehe, die
thatsSddich fttr sieh d. h. infolge des ihnen anhaftenden H<irbann,
Beihen bilden nnd nnr in nnwesentliehem Znsunmenhange mit den
übrigen VorsteUnngsmassen stehen.
Jene ersten Sprachgebilde sind die Wörter, mit denen das Kind
alle OegenstAnde nnd Wesen beseichnen hört Da Jeder Gegenstand
* seinen eigenen Namen hat, so ist ersichtlich, dass das Eind anch den
Namen als eine Nebenreihe an das Wesen knüpft, aber diese Neben-
reihe ist eine sehr erzwungene, denn das Wort hat als Yorstollnng
einer Gchöraemplfaidnng (Elang) gar keinen Anknüpfungspnnkt mit
der Yorstellnng des Wesens, die hauptsächlich durchs Auge gewonnen
wurde.
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— 708 —
Daher können Namen nur durch fortwährende Wiederholung, also
rein „mechanisch'* behalten werden. Wesentlich anders ist es schon
bei Wörtern, die mehr oder weniger onomatopoetisch eine Thätigkeit,
Eigenschaft bezeichnen. Da besteht eine natürliche Verbindung durch
den Klang. Die Wörtervorstellungen haben also das Bestreben, ihre
eigenen Reihen einzugehen und diese nach dem Klange auszubilden.
Vollständig selbstständige Keilieu von Sprachgebilden bilden sich
erst bei der Erziehung: die ersten Sprüchlein and Gebete, wol auch
Beihen von Zahlwörtern, deren thatsächlicher ZosammenhaDg mit den
entsprechenden wesentlichen Vorstellungen erst später nnd leidir oft
gar nicht geschieht. Dass eine vernflnftige Enddrang dies thmdichst
wmflidan irird, kt siisber, aber immfir wird sie dkaer Thataache
Bedmnng tragen müssen.
Die letzterwähnten Yorstellnngsreihen stehen also nrsprOnglich
?oU8tändSg oder dodi relativ selbstetändig im Geiste. £b bedarf dämm
der fortdaaeniden Anstrengung, sie im Bewusstsein sa eriialten, denn
Diur geringe Hilfien sind es, die ihnen sa Gebote stehen.
Übersehen wir nun das Ganze, so finden wir, dass die vennittelst
der „Beweglichkeit" gebildeten Beihen die stäricsten nnd nrsprfltaig-
liehsten sind. Von ihnen ging die Bildung der anderen ans nach der
Entwickelnngsstofe der Sinnesorgane. Wir können also keinen Fehl-
sdilnss madien, wenn wir behaupten, dass, je einfisusher die ersten Ein-
drOeke beim SSnde waren, desto Idarer and einheitlicher die Vorstel-
langsmassen entwickdt werden, desto leichter femer diese behalten
nnd reprodocirt werden können. Eine Zerstreatheit kann dann nnr
in geringem Grade nnd nnr nebensächlich anfkommen. Wenn nun die
ganse Umgebang des Kindes die eribrderliehe Ein&chheit besitst, so
kcnmien immer nnr wenige Gegenstände in wenigen Bichtungen znr
Betrachtung; wenige Vorstellongmi treten an die vorhandenen heran,
ihre Anknüpfung kann also um so fester geschehen. Der Grund fOr
ein gates G^edächtnis, aber auch für ein ruhiges Gremüth, abgesehen
von einer etwaigen alles besiegenden physiolo^sclien Prädisposition,
ist gelegt Dass dem so ist, sdien wir an den in ein£Eu;hen Verhält-
nissen aufwachsenden Kindern vom Lande, die immer gründlicher em-
pfanglich, weniger oberflächlich, ruhigeren Gemüthes sind als viele»
Stadtkinder (natürlich solche, die unter einem Wust künstlicher Spie-
lereien, Bilderbücher, in überfüllten Salons ihi-e Jugend verbrnohttn).
Jede die momentane Fassungsfähigkeit übersteigende Mannigfaltig-
keit mu.^s eine vielseitige Schwächung unter den Empfindungen und
dann Hemmung unter den Vorstellungen hervorbringen. Wegen dieser
X
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fortwährenden Hemmnng entsteht auch im Kinde jene Lost nicht, die
eine Folge der Beth&tigimg des Strebens der VorsteUnngen nnd er-
rungener Erfolge ist
Etwas vom deutschen Sprachunterricht in der Volkssehnle.
Yon Armin SchwUdt-SüdburghaiueH,
Trotz der dritten Auflage, in der ilildtbrands Bach ^Vom
deutsclien Sprachuntemchte in der Schule" V(ir kurzem erschienen ist,
nehmen rein grammatische uml ortliofTrapliisclie Belehningen undl^bungen
immer noch einen breiten liaum in den meisten deutschen Schulen ein.
Jahraus jahrein verwendet man \iel Zeit auf die Betrachtung und Zer-
gliederung des Leibes der Sprache, auf die Kenntnis ihres buntscheckigen
Kleides, ( )rtli()gnii»hie genannt, und findet keine Muße, die Jugend
an den lebendigen Quell der Sprache zu tlihren, ihre Augen für das
Leben zu ötlnen, das sich unter jener tbippelten Decke in hunderterlei
Gestalten regt. Daher wollen auch die Klagen über die geringen,
ja geradezu negativen Ei-folge unseres Sprachunterrichtes nicht ver-
stummen: die Schüler bringen ihm kein freies Interesse entiregen, son-
dern müssen in der Regel unter Anwendung iiulJerer Mittel gezwungen
werden, bei der Sache zu bleiben, so dass von einer Betheiligung des
Gemüthes bei diesem Unterrichte nur selten die Rede sein kann. Das
hat aber zur Folge, dass die Schüler, wenn sie nicht geradezu mit Ab-
neigung nnd Widerwillen gegen alle Gegenstände auf dem Sprach-
gebiete erfüllt werden, höchstens in formaler Beziehung einigen Gewinn
ans dem linterrichte in der Muttersprache daTontragen, aber un den
Segen der Gemfltbsbfldnng, die gerade bei richtiger fiehandhing der
Muttersprache im Schnlnnterricfate mächtig gefördert werden kann,
betrogen werden. Ans der Tiefe des Gemftthes, nicht ans dem durch
Dedinations- nnd Co^jugations&bungen „gekUrten Sprachyerstand"
ist das herrliche LobÜed Seh^nkendorfe auf die deutsche Sprache
geAoBS^
So lange die amtlichen Lehrpläne noch ein so grofies Gewicht aaf
Grammatik nnd Orthographie, auf das Erlernen trockener Begeln
legen, wbd sich der auf lebendige Geistesbildung ausgehende Lehrer
vielfiich beengt fühlen. Eingedenk der reichen Bfldnngselemente, die
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unsere Mutterspraclie in sicli trägt, will er die Jugend an die Quellen
führen, an denen ihr so reine Genüsse geboten werden. Genüsse, die
für die ganze Lebensdauer vorhalten und sich jederzeit wieder enieuem
lassen. Und dalier kann er sich niclit damit zufrieden geben, die
Schüler mit Wort- und Satzarten, Declination und Conjugation, Rection
und Interpunction, worin für viele das Wesen der Sprache beschlossen
ist, bekannt gemacht zu haben. Es stehen ihm glücklicherweise Mittel
nfcnng zu Gebote, die Jn^'^end aus den Secirsälen der Grammatik in die
Gärten zu tiihren, wo es lustig wächst, grünt und blüht, wo uns
Laute, so „wonnesam und traut" umschwirren. Ich denke hier haupt^
sächlich an den Bilderschatz unserer Muttersprache und seine Aus-
beutung im Schulunterrichte. Verwertung in dem angedeuteten Sinne
kann dieser Bilderschatz in allen Unterrichtszweigen und zwar ohne
Benachtheiligung derselben linden.
Wenn gefordert wird, in allen Ünterrichtsstunden auch die Sprache
zu pflegen, durch alle Fächer den Sprachuntenicht zu unterstützen,
so denkt man gewöhnlich nur an Correctheit des Ausdruckes, an
WoUaut der Aussprache, an richtigen Satzbau, was ja selbBtrerttind-
lieh nicht getadelt werden soll. Wir fordern abö* zur Ergänzung
dieser Übungen Pflege und größere Beachtung der bildlichen Ans-
drttcke und Redensarten und ein Eingehen in die Bedeutiing gewisser
Ausdrucke nicht allein im Sprachunterricht, sondern auch in anderen
FScheni, namentlich in BeUgion und in den Bealien. Das gegen-
wärtige Geschlecht ist an ein so hastiges Lesen und Schreiben, an ein
so eilfertiges Verschlingen der Lesestofife gewöhnt, dass ihm die Muße
und das Verständnis abgeht, sich in den sprachlichen Ansdmck zu
vertiefen. Die plastische Schönheit vieler Ausdrücke, Bedewendungen,
Wortverbindungen wird von den meisten Lesem nicht beachtet, die
lebensvollsten Bilder sind ihnen zu bedeutungslosen Schemen geworden.
Sollen die Todten wieder Leben gewinnen, so mnss die Sehlde jene
Fehler vermeiden, die diesen beklagenswerten Zustand herbeigeführt
haben. An ihr ist es, dem heranwachsenden Geschlechte die Aigen
ftr die Schönheiten unserer brache wieder zu öfihen und es mit
Lust und Liebe zur Muttei-sprache zu erfüllen.
Es sei im Folgenden auf einige Mittel Iiingewiesen, die unserer
Meinung nach geeignet sind, den Schülern die Poesie unserer Mutter^
spräche zu erschließen.
1. Sc hüler vermehre seinen Wortvorrath, soviel wie möglich,
auf Grund lebendiger Anschaunng, sei diese sinnlicher oder geistiger Art.
An einigen Beispielen soU gezeigt werden, wie man dieser Forde-
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rwng im SprachimteiTicbte der Unterclasse gerecht werden kann. —
Es handle dch etwa nm die Vennschaiilichung und Eiottbimg der
Verkleineningssilben. Hier könnte man so verfahren, dass man die
8Uben ohne weiteres an die Stammwörter anhängen ließe. Dieses
rein mechanische Verfahren hat wol keine Stätte mehr im Schulunter-
richte. Es ist klar, dass bei demselben so wol die Silben, als auch die
neugebildeten Wörter Hast ganz inhaltslos bleiben; namentlich phan-
tasieärmere Kinder werden sich „nicht viel dabei denken", wenn sie
ans Tisch Tischchen, aus Ring Ringlein etc. bilden. Anschaulicher
schon verfährt der, der die Schüler bevor er die neuen Sprachformen
bilden lässt, an die entsprechende Sache erinnert. Das rechte Leben
erhalten aber die todten Formen erst, wenn der Lernende die Sache
unmittelbar vor Augen hat und mit dem Gesichtseindruck zugleich die
sprachliche Bezeichnung in sich aufnimmt. So eignet sich das Leute-
mannsche Bild ,.Gänse" ganz vorzüglich zu unserem Zweck. Nach
der Betrachtung der alten Gänse (im Anschauungsunterricht! lenke
man die Aufmerksamkeit der Kinder auf die jungen und entwickele
, etwa folgende Sätze: Auf dem Wasser schwimmen drei Gänschen.
Das Gänschen hat ein Köpfchen. Vorn am Köpfchen ist ein Schnäbel-
chen. Zu beiden Seiten des Köpfchens stehen zwei .Äuglein. Das
Köpfchen sitzt auf dem Hälschen. Am Leibe des (Tänschens sind zwei
Beinchen und zwei Flügelchen. Das Letzte am (Tünschen ist das
Schwänzchen. Man wird sehen, wie die Augen der kleinen Schar
aufleuchten und mit welchem Eifer sie dann zu Tafel und GriÖel
greift, um die Sätzchen niederzuschreiben. Da ist nicht bloße Ver-
standesthätigkeit , da wird die Sache mit ganzem GemUthe, mit dem
Herzen — par noeur — gelernt.
Auch bei der Einführung in das Yei-ständnis des Wesens der Wort-
arten sollte man an Dinge und Verhältnisse anknüpfen, die den Kindern
gemüthlich nahe stehen. Bekanntlich ist das bei unseren Kleinen
namentlich mit der Thierwelt der Fall. Man stelle etwa das Leute-
mannsche Bild „HUhner" vor die Augen der Classe hin und lasse
Eigenschaftsworter lu Hauptwörtern setzen, wie: Der Hahn ist bunt,
stols, wac^aam, munter, schön, seine Augen sind rund, der Xamm
fleiscUg, die lAppehen roth, der Schnabel gekrttnnnt, die SchnabebrSnder
scfaaif etc., so prägt sieh der Begriff des Eigenschaftswortes sicher
und ungeawungen ein; denn hier auch hilft das GemQth ihn er&ssen.
2. Macht der Lehrer im Vortrag oder in der UnteEiedung Gebranch
Tim bildlichen Ausdrtt<^en, oder kommen solche in einem Lesestftcke^
einem Oedichte Tor, so genOgt es häufig, durch sinngemftfie Betonung
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und Tonfarbung, durcli lanirsanieres oder beschleunigtes Tempo das Bild
aus seinem Rahmen hervoizuheben, um den Schülern die Schönheit, die
Innigkeit, das Treffende eines Ausdruckes zum Bewusstsein zu bringen.
Wenn nüthig, hilft der Lehrer durch Hinzufügung einiger, das Bild
ergänzender Züge nach. Denn darin besteht eben das Anregende und
Bildende bildlicher Ausdrücke, dass sie nur den charakteristischen
Zug einer Handlung, eines Vorganges hervorheben und es der Phan-
tasie des Hürei-s überlassen, das Büd zu vervoUstä^idigeu.
8. Der Lehrer benntee Jede Odegenbeit, den Bilderschmack der
Sprache zum Eigenthum der Kinder zu machen.
•
Damit ist zunächst nicht gemeint, die Kinder auf Kosten der
Klarheit der Vorst^illungen mit Bildern zu Uberschütten. Auf manchen
Wissensgebieten ist es erstes P^rfordernis, dass die Ausdrücke bundig,
bestimmt, treft'end sind, andere gestatten eine freiere und mannig-
faltigere Sprache. Wir halten namentlich die Stilübungen für geeignet,
in diesem Sinne (zur AoeigDong des BUderschmuckes der deutschen
Sprache) in Anspruch genommen zu werden. Doch müssen wir ans
dagegen aussprechen, dass das Erklären von bildlichen Aasdrftcken
geradezu zu einer besonderen Stofe d^ Stflübniigai gemaebt wird,
wie einige Leitfäden wollen. Das Bild mnss vielmehr in einem leben-
digen Znsammenbange stehen, es mnss zn einem relaliTen Oanzoi ge-
hören. Man verwendet häufig die Realien zn An&atzstolfen, um der
C!oncentration der üntetrrichtszweige zu dienen. Läset man aber Auf-
sätze dieser Art nur zu dem Zweck der Befestigung des Stoffe» aii>
fertigen, ohne Bfickaicht auf die sprachliche Fonn, so sind das^ebea
keine Stiltibungen, sie nützen dann hdchstens der Qrthogr^^, fSr-
dem aber die Sprachbildung nicht mehr als eben der Unterrichtszweig,
dem sie entnommen sind. Sollen sie in den Dienst der Sprachbildnng
gestellt werden, so müssen sie in einer edleren, doch volksthfindich
schlichten Form verab&sst werden. Gerade die Pflanzen- und die
Thierwelt bieten wegen der Poesie, die sich um viele ihrer Gestalten
webt, dem kindlichen Gemflthe viel Anregendes und dein Aofialz-
untenichte Gelegenheit in Hülle und FfiUe, spradi- und gdstii^ldinde
Übungen anzuknüpfen. Dazu gehört freilich, dass der Iiehrer selbst
Sinn und Verständnis für die Poesie der Natur besitzt Adhati-
Übungen aus dem Gebiete der Bealien im trockenen Leitfadentone mögen,
wie schon gesagt, Grammatik und Orthographie befestigen, einen
edleren geistigen Gewiim >^ erfen sie den Schülern nicht ab. Daher
hat eine Arbeit, die aus wenigen sprachlich gehaltvollen Sätzen be-
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steht, für die SpracliliilduiiG: mtlir Wert als eine aas Dutzenden yon
nach der Schablone gebildeten Sätzen bestehende.
Es seien einige Beispiele zur weiteren Illustration des Gesagten
. angefügt. Aufgabe ist, in einer Mittelclasse eine schriftliche Arbeit
über den Stachelbeerstrauch anzufertigen. An der Wandtafel steht
u. a. das Stichwort „Frühling". Die Schüler bilden den Satz: Der
Stachelbeerstrauch l)lüht im Frühling. Sie werden aufgefordert, auch
etwas von den Bliillern hinzuzufügen, und so erhält der Satz die
Form: Im Frühling bekommt der Stachelbeerstrauch Blätter und
Blüten. Lehrer: Wir können diesen Satz noch anders ausdrücken. In
welcher Jahreszeit geftillt euch der Stachelbeerstrauch besser, im Winter
oder im Frühling? Weshalb? Er sieht jetzt schöner aus als im W^inter.
Das ist ja mit euch auch manchmal der Fall. Wann seht ihr Mäd-
chen denn schöner aus als heute? An Sonn- und Festtagen, nament-
lich am Kinderfest. Wie kommt es, dass ihr da schöner ausseht?
Antwort: Wir sind gepatzt. Setzt ein anderes Wort für „geputzt"!
Geschmückt Womit gescbmitekt? Wer schmückt euch? Beim
Stadietbeerstraach irt es fthnUeli. Wann ist er geschmückt? Womit ist
ei* gescbmüekt We^ schmllekt ihn? Das thnt der Frühling. Wie soll
also nun unser Satz heißen? Der Frühling schmückt den Stachel-
heers tranch mit Bl&ttern nnd Blttt-en.
Ein anderes BdspieL Das An&atathema heißt: Der Herhet Wir
sind hei den Stichworten: »Binmcn, FeUl, Wald, Garten" angelangt
Es wird zonichst der Sate gehildet: Die Blnmen im Feld, Wald und
Garten sind verblüht Lassen wir den Gkuten vorllnflg noch weg, so
heißt der Sata: Die Blnmen in Feld nnd Wald sind Terblfiht Der
Lehrer weUit daranf hin, dass man dodi noch einige blühende Blnmen
findet Es mnss also noch ein Würtehen hinzngeftgt werden, damit
der Sats riditig wird. Von den verschiedenen Ansdirüoken, die von
den Schüleni angegeben werden, finden wir das Wort „meisten^ am
passendsten nnd bilden nnn den Satz: Die meisten Blnmen iqi
Feld und Wald sind Terhlfiht Whr wollen nnn den Satz mit
Garten bilden. Im Sommer blieben die Vorübergehenden oft an onserem
Garten stehen. Warum? Wanim bleibt jetzt niemand mehr am Blnmen-
garten stehen? Er sieht nicht mehr schön ans. Und woran liegt es,
dass er nicht mehr schön aassieht? Was thun denn die Menschen, damit
sie selber schön aussehen? Patzen, schmücken sich. Womit? Wie
nennt man alle diese Dinge, mit denen sich die ^Menschen schmücken,
mit einem Worte? Schmuck. Auch der Garten hat seinen Schmuck.
Was ist sein Schmnck? Warum sieht also der Garten jetzt nicht
Fadagogliiai. U. JMttg. Haft XI. 51
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mehr schon ans? Weil er seineD Schmuck nicht mehr hat. Wie
können wir nun unseren Satz vom Garten ausdrücken? Unter den
verschiedenen Sätzen, die die Schüler bilden, wählen wir den: Der
Garten hat seinen Schmuck verloren. Wir wollen diesen Satz
mit dem vorigen verbinden. Es entsteht die Satzverbindung: Die
Blumen in Feld und Wald sind verblüht, und der Garten hat seinen
Schmuck verloren. Es gilt nun noch, das Würtchen ..und" durch ein
. passenderes zu ersetzen, und so erhält der Satz schließlich die Form:
Die meisten Blumen in Feld und Wald sind verblüht, auch
der Garten hat seinen Sclimuck verloren.
Die Kinder folgen diesen t'bungen mit g:roßem Interesse, und die
Freude, die aus ihren Augen blitzt, wenn eine soldie tJbertragung
von Ausdrücken und Wendungen aus dem Menschenleben auf die Pllanzen-
oder die Thierwelt geglückt ist, i.^^t der beste Beweis dafür, dass der
Unterricht die Seele in ihrem Innersten angeregt und alle Sinne ^e-
Öffnet hat. Und wenn es feststeht, dass nur der Unterricht, der die
Seele von Grund aus erregt, walnliafte Bildung, Bildung von innen
heraus, nicht bloße Anleniuug, bewirkt, so ist der größere Aufwand
an Zeit, der sich durch die skizzirte umständlichere Behandlung der
Stilübungen nöthig macht, kein Verlust.
Die Stiliilnmgen bieten auch die beste Gelegenheit, die das Ver-
hältnis und die Beziehungen mehrerer Sätze zu und auf einander be-
zeichnenden Formwörter mit anschaulichein Inhalt zu versehen. Nach-
dem der Aufsatzstotl" (auf der Mittelstufe) in einfache Sätze gekleidet
worden ist, werden die Kinder aufgefordert, je zwei bestimmte Sätze
durch ein passendes Wörtchen zu verbinden In dieser Weise wird
sQLim auf difiser Stufe die sinngemäße Anwendung von Ck>i^nnctionen,
wie: nnd, denn, wenn, well, darum, deshalb, als und te Belativpro-
nomen yorbereitet Als Beispiel führe ich folgendes an: Jn einem
Anfsats über die Eidechse sind die Sätae festgestellt woidea: „Sie
kann geschickt klettern.'' „Ihre Zehen sind mit Krallen yeralÜmJ* Es
ergeht nun an die Sdifiler die Anffordenmg, beide Sätse durch ein
passendes Wort an yerbiaden. Ndthigen&Us hilft der Lehrer mit der
Frage: Warom kann sie geschickt klettern? nach, mn das gewünschte
Wort finden zn lassen und die endgiltige Fassung zn gewinnen: Sie
kann geschickt klettern, denn ihre Zehen sind mit Krallen
versehen.
Üigiiizea by LaOügle
Welche Stellaug hat die Lehrerschaft zn der Präparanden-
' bildiug za nehmen?*)
Cmftrmmertrag «on JB. ürmue- Wrimn u/O,
^iVenn wir hentigestags in die Fachpresse blicken und dabei
aneh die äußeren Verhältnisse im Schnlwes^ aufinerksam beobacht«i,
80 kann uns ein Übelstand nicht entgehen, der schon immer und immer
die Anfinerhsamkelt der Behörden und der Lehrerschaft aof sich ge-
zogen hat, der aber bisher noch nicht hat beseitigt werden kOnnen.
Es ist dies der Lehrermangel. Dass er thatsachlich besteht, wer wollte
es leugnen? Nimmt doch die Zahl der jungen Leute, die sich dem
VolksschuUM^e widmen, alUfthrlich ab; die Seminarien entlassen statt
der Normalzahl von 25 Abiturienten nur etwa zwanzig und noch
Tveniger, wie wir fast in jeder Nummer unserer Sclinlzeitungen lesen .
können. Dabei gibt es noch zahllose überfüllte Classen und circa
11000 Classen ohne eigene Lehi'er. Bei einer Aufstellung, die im
vorigen Jahre j^emarht Tvurde, ergab sicli. dass 10B47 VolksschuUelirer
fehlten. Die Zalil der Seminaristen tiel von 1876 bis 1888 von 9400
auf 8500, während die Zahl der schulpflichtigen Kinder in derselben
Zeit um 650000 stieg. Von 19 Seminarien, die vergangene Ostern
ihre Abiturienten entließen, blieben zwölf hintei' der durchschnittlichen
Zahl zurück, und nur fünf gingen um ein geringes darüber hinaus.
Aus vielen Anstalten wurden nur 17 bis 20 Seminaristen mit dem
Eeifezeu^jnis entlassen, und die Zahl der als Ersatz sich einstellenden
Präparaiidcii war in einzelnen Bezirken so ni*.Mlrig-, wie seir lange nicht.
Auch wenn die jetzt bestehenden 107 Lehrerseminare alle in der etats-
mäßigen Stärke besetzt wäien, könnten sie den laufenden Bedarf an
Lehrkräften bei weitem nicht decken. Man vei-suclit zwar hier und da,
die <,'esetZLr«'bende Kürperschaft über den vorliandenen Lelirermancfel
hinwegzutäuschen, aber bei dem lieiitii^en Stande der Statistik ist dies
nicht immer möglich. Verschiedene Mittelclien hat man denn auch
schon versucht, um dem inmier drohender werdenden Lelirermangel
abzuhelfen: Mau hat königliche Präparaudeuaustalteu eingerichtet,
*) TerCBner Iwt prent ische VeiliSItiiiflse im Ange. D. B.
61»
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man begünstigt die Privatvorbildung von Präparanden auf alle mög-
liche Weise, man errichtet neue Seminare, nimmt Doppeicurse auf,
versetzt von West nach Ost, vermehrt die Ijehreiinnenstellen, kürzt
die Seminarcurse ab etc. etc. Aber alles verg-ebens. „Die vorhandenen
Lücken im Lehrerpersonal," so schreibt das Berl. Tgbl., „sind auf
diese Weise nicht auszufüllen. Nimmt man an, wie von sachkundiger
Seite geschieht, dass durch Tod, Pensionining, Dienstaustritt etc. von
den vorhandenen Lehi'kriitten alljährlicli fünf Procent ausscheiden und
außerdem nur 1()(X) Stellen neu zu errichten sind — der Bedarf war
in den letzten Jaiiren erheblich größer — , so müssen nach Abrechnung
der weiblichen Lehrkräfte jährlich über 4(JÜÜ Schulamtscandidaten zur
Verfügung stehen, die Seniinarien mitliin stets mit mehr als 12000
Seminaristen besetzt sein. Auch bei dieser Zahl könnte eben nur der
laufende Bedarf gedeckt, also weder die ClassenüberfüUung beseitigt»
noch die mitverwalteten HOOG Classen mit eigenen Lehrkräften ver-
sorgt werden. Welchen Zuständen also die Volksschule entgegengeht,,
wenn z. Z. höchstens 2800 Seminaristen jähi'lich entlassen werden,,
bedaif keiner weiteren Beleuchtung."
In neuerer Zeit haben liie Behörden sich besonders darauf gelegt»
neuen Zuzug für die Seniinarien zu gewinnen, vielleicht in der niclit
unrichtigen Voraussetzimg, dass, wer erst einmal drei oder sechs Jahre
seines Lebens der speciellen Vorbildung zum Lehrerberufe geopfert hat,
nicht mehr zurück kann. Einen anderen Beruf zu ergreifen, dazu ist
es dann in den meisten Fällen zu spät; der Betreffende, oder, besser
der Betroffene mnss zeitlebens fllr einen Hnngerlohn seine Kritfite ein>
setzen. Der Wabn war kon,' die Beae ist lang. Man rührt jetzt
gar eifrig die Werbetrommel, nm Menschen zu ftngen. So hat bei-
spielsweise die EOnigl Regierung zu Liegnitz nntem 5. Mttrz 1889
eine Yerf&giing erlassen, in welcher die Lehrer mehrclassiger Schalen
an^iefordert werden, vielleieht unter Mithilfe der Schnlinspectoren sieh
zur gemeinsamen Arbeit für den bezeichneten Zweck za Teremigenu
t^Wir enmchen daher,*' so heißt es am Sehlnsse derselben, «die Herren
Ereisschnlinspectoren, die betreffenden Kreise fortgesetzt fifar die wichtige
Angelegenheit zu interessiren. Dorch die nns znr Verffigong gestellten
yermehrten Mittel sind wir in die günstige Lage Tcrsetzt, tfichtige
Leistnngen der Lehrer, wie bedOrftiger Zögh'nge, auch wenn sie sieh
im elterlichen Hanse aufhalten, mit Beihilfen zu bedenken.'* — Unter-
stützungen werden also für die FrJ^^aranden- und Seminaijahre ver-
sprochen, die Ausbildung wird den Beflectanten so leicbt als mOglieh.
gemacht, und zwar nicht blos in pecunifirer Hinsidit, was immerhin
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— 717 —
noch anzuerkennen ist, sondeni oft auch betreffs der Prüfungen, was
nichts weniger als lobenswert ist. Man gewährt den Eintretenden
späterhin ^Erleichterung bei Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht,
man zahlt den Präparandenbildnem Kopfgelder u. dgl. Die Kniffe,
womit die ai'men Seelen von den Präparandenjägern bethrirt werden,
sind ja hinlänglich bekannt; sie bedürfen kaum einer weiteren Aus-
einandersetzung. Ob es dadurch gelingen wird, dem Ijehrermangel
abzuhelfen? Wer möchte es verneinen? Es gibt noch immer solche,
die nicht alle werden; und wer will es bejahen? Glücklicherweise
gibt es auch noch einsichtsvolle Elten). Sei dem, wie ihm wolle;
jedenfalls ist die Angelegenheit wichtig genug, dass die Lehrerschaft
sich mit ihr eingehend beschäftige; und von dieser Ansirlit ging wol
auch der Vorstand des brandenburgischen Pro vinzial- Lehrer Vereins
aus, als er obiges Thema auf die Tagesordnung der diesjährigen
Provinzial -Versammlung setzte. Wir wollen nun in Folgendem unter-
suchen, welche Stellung wii* Lehi-er zur Präparandenbüdungsfrage ein-
zunehmen haben.
Es ist ein allgemein bekannter und auch allgemein anerkannter
y Satz: Der Preis einer Ware richtet sich nach Angebot und Nachfrage.
Wenden wir diesen Satz auf den Lehrerstand an — und warum sollten
wir das nicht thuu dürfen? — so stellt sich folgendes heraus: Je mehr
Lehrer zur Verfügung stehen, um so geringer wird der Preis sein,
den man pro Arbeitskraft zahlen will, und umgekehrt. Schon von
diesem Gedanken ans wäre fftr uns Lehrer das Näcbadiegttidei dalllr
zu sorgen, dan möglichst wenige Jünglinge sieh dem Lebrerstande
zuwenden. „Der Lehrermangel ist stets die unmittelbare Folge der
ungünstigen materiellen und sodalen Verhältnisse des Lehrerstandes
gewesen, und mit Beeht haben die Lehrer denselben von jeher ab
einen der wirksamsten Faotoren im Kampfe um die Hebmig ihrer
socialen Stellung betrachtet^ (Pr. L.-Ztg.) Und in der Thst, es ist
bei den heutig Besoldungsverhaitmssen, wo die sweiten Lehrerstellen
iuif dem Lande noch mit 640, 080 oder höchstens mit 760 Mark dotirt
smd, nur eine Änftersng des Selbsterfaaltangstriebea, wenn die Lehrer-
schaft geschlossen Stellung nimmt gegen das Qbliche Frftparandenr
Werbeqnstemi wenn sie durch Wort, und Schrift die Elterli, die aus
ihren S<fthnen gerne etwas machen möchten, deneh ihre Kinder stun
AiWter oder Handwerker zu gut dttnkftn, bdehrt und auf die Schatten-
seiten im Lehrerleben, auf die Domen, die die Bosenmeist überwuchern,
beizeiten aafitterksam macht, wenn sie sich mit allen Krflften gegen
neuäi Zndrang zum Lehrerberufe wehrt Ist es doch iSwt mir durch
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den Lehrermangel möglich, eine Stelle zu erlangen, die ein einiger-
maßen erträgliches Einkommen gewährt; und nur der dauernde und
steigende Lehrermangel ist die einzige Macht, welche imstande ist,
unsere Beliürden und die Schulunterhaltungspflichtigen zu zwingen, der
Lehrerschaft außer der Versicherung dauernden Wolwollens auch
noch ab und zu eine kleine Gehaltsaufbesserunci: angedeihen zu lassen,
allerdings auch meist erst dann, wenn die Schreier gar zu unbequem
werden und der etwas schwache Geduldsfaden zu reißen droht.
Im Stuttgarter „Lehrerheim" finden wir folgendes nützliche G^e-
schichtchen: „Vor kurzem sprach der Einsender dieses mit einem
alten Bekannten des Finanzdepartements über unsere Bitten und ihre
Aussichten. Der Herr ließ mich reden, ließ mich schildern, ließ mich
begründen und vergleichen, wie leb wollte — er saß mir stamm gegen-
über. Die Sitiution wmdfi mir oidlich peinlieh, so dass ich gerade
heraus fragte, was .denn seine Meinung sei. ,Nun,' meinte er, »wenn
Sie Arbeitgeber wären, und Ihre filteren Arbeiter würden Ihnen jahr^
aas, jahrein nicht nnr die eigenen Söhne, sondern auch die von
Bekannten in solcher Masse anfuhren, dass Sie diese nidit mehr
beschäftigen könnten; ja, wenn diese Znfbhr von überschüssigen Arbeits- .
krfiften anch dann nidit aofhSren wfirde^ wenn Sie schon einen Theil
der früher anfgenommen^ Arbeiter feiern lassen mttssten: was würden
Sie wol an dem Begehren einer Lohnanfbessening sagen? Sehen Sie,
andere St&nde warnen in den Zeitungen vor dem Betreten einer Laof-
bahn, in der an viele Yordermfinner sind; die Arbeiter thnn's in jedem
Fache; für diese oder jene Beamtenkategoiie geschah es schon von beater
Stelle ans, — Sie aber treiben noch immer neue Scharen von
Arbeitskräften in Ihren Beruf: in Ihrer eigenen Hand liegt
Ihr Schicksal, das sich allerdings in wenigen Jahren, die einen
Mangel an Lehrkräften bringen würden, nicht wenden wird nnd kann *
,Gat,* sagte ich dem Herrn, ,von meinen Sühnen, nnd soUte das
Dutzend voll werden, soll keiner seinem Vater folgen, nnd bei meinen
Schülern werde ich's halten wie seither; ich habe noch keinen geliefert'*
Wenn wir uns also gegen das beliebte Werben von Präparanden
aussprechen, wer wollte es uns verdenken! Anderseits aber birgt
anch der Lehreimangel eine Gefahr für unseren Stand in sich, die wir
uns nicht verlielilen dürfen. Nehmen wir an, der Mangel würde immer
größer, so würde man bald hinausgehen auf die Straße und an die
Zäune und zum Eintritt in die Präparande laden, wen man findet,
Böse und Gute, um nur die Tische möglichst voll zu bekommen. Dass
dann aber auch manche Elemente in den Lehrerstand hineingeratlien,
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die besser draußen geblieben wären, die dem Lehrerstand nicht zur
Zierde gereichen werden, das kann dann gar nicht ausbleiben. Und
wenn dann unter den vielen einmal einer sicli befindet, der kein hoch-
zeitlich Kleid anhat und hinausgewiesen werden muss. dann werden flugs
Aschermittwochsreden gehalten vom Minister bis zum Ortsschulinspector
hinab, und es wird constatirt, dass der gesammte Lehrerstand sittlich
verderbt sei. Das, meine Herren, muss uns einleuchten, dass der
Lehrermangel gerade dazu angethan ist, ungeeignetes ]\Iaterial in den
Lehrerstand hereinzubringen, und darum ist es hinwit^denim unsere
moralische Pflicht, den Lehrermangel zu bekämpfen. Wie d&s geschehen
soll, will ich des weiteren zeigen. *
Wenn ich ß:esagt habe, die Lehrerschaft sei es sich selbst schuldig,
den Lehrermangel zu bekämpfen, so will ich mich aber von vorn-
lierein dagegen verwahren, als ob ich nun doch dem Werbesystem das
Wort reden wollte. Nein, durchaus nicht. Wie ließe es sich auch
mit der Wahrhaftigkeit yereiiifoareii, wollte man einerseits junge Leute
bethören, den Lehrerberuf zu ergreifeiii während man anderseits fort-
während Jeremluton anttimmt üiMr das traurige Los des Lehren? Oder
sollte der, der nicht mit Freudeo, Mmdern mit Sea&en sehien Beruf
amAhti in anderen Lest erregen kQnnen, sein Los zu .theflen? „Httssten
Lehrer, die das thftten, nidit dereinst errOthen ond yor Scham yer-
gehen yor jenen ehemaligen Knaben nnd Jflnglingen, deren Yertranen
sie 80 arg getänscht, denen sie snr Zeit den Lehrerbemf nicht wahr-
heitsgetreu gekennaeichnet hatten?**
Aber da yrird mancher, der sich selbst mit Prftparandenansbfldnng
beschäftigt, entgegnen, das thne er nicht; er nehme nnr solche Knaben
anf , die ans eigenem Antriebe kämen, die fllr den Lehrerbemf be^
geistert seien. Kann man das wol bei einem 14jährigen Knaben yor^
anssetnn, nnd noch dazu Begeisternng Ar etwas, vas man noch gar
nicht keimt? Langermann schildert in ^er BroschOre recht drastisch,
wie so ein Junge für den Lehrerbemf begeistert wird.
«Da rückt in einer annien, mit Kindern reich gesegneten Familie
der Tag heran, dass wiedisr einer der yielen Knaben die Yolksschnle
yeriässt, nnd mit besoigtem Herzen stehen die Alten yor der schwierigen
Frage: Was nun aus dem Jungen machen? QiM für die Gründung
eines selbstständigen Geschäfts können wir ihm nicht mitgeben. Ob
er es aus eigener Kraft zur Selbstständigkeit bringt, ist zum mindesten
fraglich. Und ewig Fabrikarbeiter oder gar gewöhnlicher Arbeiter
sein, nein, dafür ist uns der Junge doch zu gut, und dafür bat er in
der Schnle auch znyiel gelemtl In der Schule gelemtl 0 das
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wäre vielleicht noch em PIul! Ja, wenn der Junge so ein ,HeiT
Ldirerf ▼erden könnte! Bas wäre schon beinahe so, als wenn er
«in Men Bastor würde. Freilich, besser wäre hesser, denn ein Herr
Pastor ist doeh noch ganz etwaa anderes! Wenn wir so dodi
nein, das geht nicht! — iMens das mle Qeld und dann anch
die vielen Kinder! — — Aber ein Lehrer sein, ist doch auch schon was.
ünd was für bequeme Tage hat er da nicht: braucht nnr die Kinder
ein idsBchen lesen und schreiben an lehren, hat all die schQnen Ferien,
jeden Mittwoch- nnd Samstagnachmlttag einen ganzen halboL Tag fid,
kann alle Werktage, wenn wir arbeiten müssen, spazieren gehen und
braucht nicht einmal Soldtt zn werden, denn Aber die zehn Wochen
kommt er wol hinweg.
„So reden sich die liebenden Herzen in helle, liebte Begeisterang
hinein. Wer wollte es ihnen wol rerdenken, sie bauen Ja am Neste
ihres Kindes. —
„Der Junge wird geiiifen. Man zeigt ihm an dem Rosenstock
des Gewerbestandes nur die Domen — die kennt man ja aus eigener
Erfahrung — und an dem Rosenstrauch des Lehrerstandes, den man
nicht kennt, eitel Blüten und schwellende Knospen und vergisst dabei,
dass keine Rose oline Dornen ist, und dass ein jeder Stand wol seinen
Frieden, aber auch seine Last hat. — So sagt der g'ute Junge ja,
weil's die Eltern so wünschen, die Mutter wendet sich an den Herrn
Pastor, der ja in den meisten Fällen Localschulinspector ist. Sie er-
zählt von der Be^'eisterung ihres Kindes für den Lehrerberuf, und
wie der Junge duixhaus nichts anderes werden wolle, und der Herr
Lehrer ihn ja auch immer gelobt habe, und wäre auch zwei Jahi-e
lang der ,Obei*ste' gewesen, und sie mochtens doch alle so gerne,
dass der Junge zu seinem Ziele käme etc. etc. — Aber sie wären nur
gar zu arm und hätten all die vielen lieben Kinder, ob der Herr
Pastor nicht daliir sorgen wolle, dass der Junge eine Freistelle in der
Präparandenanstalt des Herrn Soundso bekomme, dann würden sie es
mit Gottes Hilfe wol ermüglichen, dass und so geht es auf
dieser Bahn fort ohne P^nde. Und der Junge, der so mit allen mög-
lichen Raupennesteru im Hirn eines guten Tages seinen Einzug hält
in seine Präparaudenzt-lle das ist der fui" den Lehrerberuf geeignete
und begeisterte Jüii-liii^;. ' —
Also mit der Begeisterung ist es so weit nicht her, und wenn
dieselbe gai- von Lehrern gemacht wii'd, so ist es unsere Aufgabe,
«in solches Handeln bloßzustellen. Ja, gegen alle diejenigen, die theils
aus Eitelkeit, theils aas E^ennutz, nicht aber aus innerem Berufe,
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die handwerksmäßig, um nur möglichst viel Gteld zu verdienen, Scharen
von jungen Leuten ausbilden, gegen diejenigen, die von Straßen und
Zäuuen zusammenschleppen, wen sie finden, wollen wir uns wenden,
deren Treiben wollen wir bekämpfen um der Ehre unseres Standes willen.
Auf welche Weise aber können wir denn dann den Lehrermangel
bekämpfen? Nun, foi^chen wir nur nach den Ui'sachen, so werden
wir auch bald sein Heilmittel entdecken. Woher kommt es. dass zur
Zeit so wenige junge Leute den Lehrerberuf ergreifen? Ist denn
dieser Beruf weniger ehrenwert als jeder andere? O nein, das wird
wol niemand behaupten. Aber die Leiirerbesoldung ist es, die jeden ein-
sichtsvollen Vater abschrecken muss, seinen Sohn Lehrer werden zu
lassen, die vielen anderen Übelstände auf dem Gebiete des Scliul-
wesens sind es, welche die Ausübung gerade dieses Berufes vor allen
anderen erschweren. Soll ich Iliiien diese Übelstände erst einzeln
aufführen? Ich halte es nicht flii- nöthig. Lesen Sie doch nur einmal
die Themen durch, welche in den Lehrenwsamralungen behandelt
werden, so finden Sie sie selbst. Da lesen wir z. B.: ,.I)er Bureau-
ki-atismus auf dem Schulgebiete", — „Befreiung des Lehrers vom
niederen Küsterdienste"*, — „Die Schulinspectionsfrage", — „Die Frei-
heit des Lelirers im Amte^, — „Die sociale Stellung des Lehrers", —
„Die Relictenversorgung" etc. etc. Das alles sind Dinge, ganz dazu
angethan, den Zuzug zum Lehrerberufe hintanzuhalten. Ist es aach
BOD in erster Linie Aufgabe der Behörden und der Schnlonterhaltungs-
pflichtigen, diese Übebttnde m beaeitigen, so kaim aadendts doch
die Lehranchait gar viel mit dasa beitragen, daaa dieae Dinge ge-
beesert werden, und dass somit der Urgrund des Lehrermangds be-
seitigt wird, wenn sie geschlossen vorgeht imd nieht milde wird, in
Wort und Schrift, auf Versammlungen und in der Presse gegen diese
Mängel zu Felde zu ziehen, die Behörden und das Publicum aufiro-
kUtai Aber die ungeheuren Nachtheile, welche der gesammten Nation,
der ganzen bOrgerUchen Geaenacbaft durch eine mangelhafte Eniehung
und Bildung erwachsen. In diesem Sinne jden Lehrermangel beklmpfen
ist «nsere heilige Pflicht und Auf|gabe, und wer es redlich meint mit
dem Lehrerstande, mit der Schule und mit der Nation, der setxe seine
Erifte ftr dieses edle Ziel ein, der werde nicht mflde, unseren schönen
VorbÜdem, yor aBen unserem Altmeister Dieaterweg Eachzoeifenii
auch wenn er in den Geruch eines Schreiers kommen sollte. Lassen
wir uns nicht entmuthigen, wenn es auch biaweikn trfibe Zeiten gibt
„Es muss doch FrlhUng werden", und wenn die Zeichen der Zeit
nicht t&oschen, so steht auch unser Fr&hling vor der Thür,
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Die nächste Frage, die wir uns nun zur Beantwortung stellen
wollen, ist die: Wie steht es mit der derzeitigen Ausbildung der
Seminaraspiranten? Ist sie geeignet, die Anforderungen, welche im
Seminar an dieselben gestellt werden müssen, um sie dereinst als
tüchtige Bildner der Jugend zu entlassen, zu befriedigen? Ich für
meine Person beantworte diese Frage mit „nein" und will Iknen auch
die Gründe für diese Antwort auseinandersetzen.
Beobachten Sie den heutigen Volksschullehrerstand in seinem rast-
losen, emsigen Fortarbeiten an seiner Weiterbildung. Wie viele sind
es nicht, die ihre Mittelschal- tind Rectoratsprüfung absolviren, und
wie noch yiel mehr sind es, die so eifrig weiterarbeiten, ohne eine
Frflfbng abzulegen! Etwas Ähnliches hat kein anderer Stand av&a-
weisen. So erfreulich diese Erscheinung an und fftr sich ist, so kann
ich doch nicht umhin, dieselbe als etwas nieht Normales za beaeichnen«
Sobald der Lehrer im Amte ist, so gehören seine Exflfte der Sehnle,
und seine freie Zeit ist dam da, um sich einerseits die so nSthige
Erholung zn gOnnen, nnd anderseits, nm sich bezQgUdi dessen, was
seine Sehnle angeht, anf dem Laufenden sa erhalten. Die Schnlarbeit
mit ihren Vorbereitnngen nnd den nOthlgen Nacharbeiten, In ihrem
Fortschreiten bezüglich der Hethode, mit ihrer Literatur nnd mit aUe-
dem, was sonst nodk drnm nnd dian hfingt, ist wol geeignet, eine
volle Hanneskrait zn absorbiren. Daher ist dieForderong wolbereditigt)
dass das Seminar seine ZOgUnge so TOigebÜdet entlftsst, dass sie sowol
in allgemeiner Bildung, als auch in der specieUen Bemlhbüdung nieht
nöthig haben, Lücken, die sich nach der Entlassung noch herausstellen,
zn ergänzen und in einzelnen Fächern ihr Wissen zn vertiefen. Wenn
wir von einer Yertieftmg in einzelnen Wissensftchem sprechen, so
setzt dies doch nnbedfaigt voraus, dass vorher das Wissen nur ein
oberflächliches war, und das durfte sich die Seminarbildnng nicht nacli-
sagen lassen. Das Wissen, welches das Seminar vermittelt, muss ein
derartiges sein, dass die entlassenen Zöglinge auch ohne besondere
I'rüfung nicht nur an den Unterclasscn, sondern auch an den Mittel-
und Oberdassen von Mittelschulen, höheren Töchter- und Bürger-
schulen zu unterrichten befähigt sind. Man würde dann eben ffir
solche Schulen sich diejenigen Lehrkräfte der Volksschulen aussuchen
können, die in ihrer bisherigen Thätigkeit Außerordentliches oder doch
recht Tüchtiges geleistet haben, und das würde meiner Ansicht nach
ein Yortheil für die höheren Schulen sein, ohne dass dadurch die
Volksschulen geschädigt würden; denn das erhöhte Arbeiten in der
Schule und für dieselbe würde ihr ersprießlicher sein, als wenn, wie
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es bisher oft der Fall war, junge, strebsame Lelu'er bisweilen Tag- und
Nacht lUr ihre Prüfung arbeiten und so einen Theil ihrer Kraft der
Schule entziehen. Wie kann aber ein Seminar so viel leisten, wenn
ihm nicht geei^^net vorgebildete Zöglinge zu Gebote stehen? Ver-
gegenwärtigen wir uns zunächst einmal das Pensum, welches ein
Präparand in seiner gewöhnlich auf drei Jahre bemessenen Vor-
bereitungszeit zu bewältigen hat. Die Allgemeinen Bestimmungen
geben uns darüber Aufschluss. In Religion fordern sie: „Bekanntschaft
mit der heiligen Geschichte alten und neuen Testaments, einschließlich
der zum Verständnisse derselben erforderlichen Kenntnis des Schau-
platzes derselben. Der Aspirant muss befähigt sein, die bekanntesten
biblischen Geschichten frei, im Anschlüsse an die Ausdrucksweise der
Bibel zu erzählen und über den religiösen und sittlichen Inhalt der-
selben Auskunft zu ertheilen. Derselbe mu.ss ferner den dem Religions-
unterrichte im Seminar zugrunde liegenden Katechismus mit den Kr-
klärungen nach Wort- und Sachinhalt behen*schen, namentlich über
die BedeutuM«^^ der einzelnen Worte Kechenschaft geben können, auch
zu den Geboten, den Glaubensailikeln und den Bitten des Vaterunsers
die wichtigsten Belegstellen aus der heiligen Schrift, sowie passende
Liederverse auswendig wissen und Beispiele ans der biblischen Ge-
schichte zu denselben angeben kOnnen. Er mnss Aber den Inhalt der
'«nxebieii Bttcher der heiligen Schrift eine allgemeine, Aber das 1. Badi
Hosis, die Fäalmen, die Tier EyangeUen» die Apostelgeschiehte eine
etwas genaiiare Anakmift zu ertheileii imstande sein. Er mius die
Hauptsachen von der Beformationsgeschichte wissen und etwa 20 geist-
Uche Lieder inndiaben, in den Inhalt derselben eingeltUirt sein, sie
ndt guter Betonung nnd gntem Ansdmck TortrageUf sowie ttber ihre
Vevteer Bechenschaft geben kOnnen.* Dies wftre also das Pensom
fttr den Beligionsanterricfat, das innerhalb dreier Jahre geleistet werden
soll, wahriich kehie Kleinigkeit Gehen wir aber weiter nnd sehen
wir, was im Deutschen verlangt wird. Da lesen wir:
„1. Kenntnis der Wort-, Wortbüdmigs- nnd Satadehre. Präparand
mnss die einzelnen Begehi etc. an Sprichwörtern nnd an Mnstersfttaen
ans den Schriften der dentschen Dichter nnd YolkssehriftsteUer nach-
weisen können.
2. Er mnss laatrichtig, logisch richtig nnd fließend vom Blatte
lesen können nnd Uber das Gelesene Becfaenschaft zn geben, die
einzelnen Wörter zn bestimmen, die Satze zn bestimmen nnd zn analy-
siren vermögen.
3. Er mnss die Hanptarten der Poesie an Proben ans den dentschen
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Olassikt'in kennen gelernt haben und einige r4edichte erzählenden
Inhalts von Schiller, Uhland, Rückert etc.. die seinem Verständhisse
zugänglich sind, auswendig wissen, mit Verstä,ndnis und gutem Aus-
drucke sprechen und über ihren Inhalt Auskunft geben können."
Alles dies soll er auch in den drei .laliren erlernen, denn was er in
die Präparande mitbringt, ist in den meisten Fällen nur sehr wenig,
wie wir später noch sehen werden. Aber gehen wir weiter. Rechnen.
Raumlehre und (Geographie wollen wir hier übergehen, da in diesen
B^ä< hern die Anforderungen nicht viel über das Pensum einer guten
Volksschide hinausgehen. Aber nun Geschichte. Da soll der Präparand
„die Hauptsachen aus der alinü Geschichte (wie der trojanische Krieg,
die Perserkriege, die Blüte Griechenlands, Alexander der Große, die
Gründung Roms, die Könige, die Vertreibung der Tarquinier, Camillus,
die Gallier, die punischen Kriege u. s. f.), die Pflanznng und Aus-
breitung des Christenthums, die Völkerwanderung'* kennen, sowie ..nähere
Bekanntschaft mit den Hauptpersonen und Begebenheiten der deutscheu
und der brandenburgisch -preußischen Geschichte bis zur Gegenwart*
haben. Allerdings wird hierbei weder Verständnis des Zusanunen-
hanges, noch Vollständigkeit der Daten, dafOr aber Sicherheit des
Wissens, namentlich in Bezng aof die Baaptdate g«ford«rl. Dies
alles auch noch in denselben drei Jahren. Gehen wir weiter aar Natoiv
knnde. Da soll der Präparand die Natargeschiehte der drd Bdche
an hervorstehenden Typen nnd Familien kennen gelernt haben; des-
gleichen soll er nähere Bekanntschaft mit den Cnltnrpflanaent den
Giftpflanzen nnd 'mit der ^anna nnd Flora det Heimat haben. Was
das sagen wiU, nähere Bekanntschaft mit der Flora der Heimat an
besitaen, d. h. ca. 300-~400 yerschiedene Pflanzen anfinisnchen nnd
wä bestimmen, miteinander zu yergleichen nnd ihre wesentliohsten
UntersdMidnngsmeikmale zn erlenien, welchen Anfwsnd an Zeit nnd
Mflhe das erfordert, braucht wol nicht näher aosehiandergesetat m werden.
Dazu kommen aber noch die wichtigsten physikalischen Lehren und
die Elemente der Chemie, nnd zwar alles auf Grundlage des Experiments,
und alles das auch nodi in diesen drei Jahren. Nun aber, last not
leaat, die Musik. Wer you den Gollegen hat nicht schon Musikunter-
richt ertheilt? Daher whrd sich jeder einen Überschlag ma^en kamen,
wenn ich die Frage auf werfe: Wieviel Stunden Zeit sind wol wöchent-
lich erforderlich, um in drei Jahren fol^des zn erreichen?
Im Ciavierspiel sollen sämmtliehe Tonleitern in Dur und Moll mit
dem richtigen Fingersatze fest einstudirt sein, ebenso sollen einige
leichte memorirte Stacke, Etüden, Sonatinen vorgetragen werden, auch
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soll der Präparand leichte Claviersätze mit' einiger Siclierheit vom
Blatte spielen können. Im Violinspiel soll er die gebräaclilichstei^
Dur- und Molltonleitem in der ersten Lag'e und bei mäßigem Tempo
mit Reinheit ausführen, die aus dem Gedächtnisse zu singenden Choräle
und Volkslieder (je 20) auf der Violine vortragen und leiclite Melodien
ohne erhebliche Fehler gegen die Intonation von Noten unmittelbar
abspielen können, und bei beiden Instrumenten wird eine correcte
Technik verlangt. Außerdem soll Präparand Kenntnis der verschie-
denen Schlüssel, Takt- und Tonarten, der gewöhnlichen Fremdwörter
und Tempobezeichnungen, der Intervalllehre und der Ton Verwandt-
schaften zeigen. „In der Harmonielehre soll der Spieler den Dur-
und Molldreiklang, sowie den Hauptseptimenaccord in allen Lagen und
rmkehrungen nennen und spielen können. Im Orgelspiel muss Prä-
parand die elementaren Manual- und Pedalübungen innehaben, einen
ausgesetzten vierstimmigen Choral ohne Vorbereitung von Noten ab-
spielen und leichte Orgelstücke aus dem (iedächtnis vortragen können. '
Das sind die Forderungen der „Allgemeinen Bestimmungen,^*
und walirlich, wir müssen gestehen, sie sind hoch gestellt, so hoch
gestellt, dass, wenn sie voll und ganz erfüllt werden, die Semiuarien
wol imstande sein dürften, mit solchem Muit iial das vorhin von mir
bezeichnete Ziel zu erreichen. Nur in einem Tunkte zeigen sie einen
oöenbaren Mangel, das ist das Fehlen einer (oder auch zweier) fremden
Sprache. Der Lehrerstand zählt, oder muss zu den gebildeten Ständen
zäMen; von einem Gebildeten aber muss man heutzutage eine gewisse
KeimtBia wenigstens einer fremden Sprache fordern, und das bisohea
fremdspraGUieliir Ttotfirrielii in ta dni Saminaijahren genügt
daza nieht
Also abgesehen yon dem Mangel der firamden Spnehe amd die
Allibrdeningen an. einen Seininanuq^fanten sehr hohe. Alier seihen
■wir nns doch nun einmal um, woher sich denn der Lehrerstand
reemtirt? Der „berUhmte" Geheimrath Stiehl schrieb karz vor seinem
Sturz darüber: aAls die Begnlatire erschienen, und es ist seitdem
nicht anders geworden, widmeten sich dem Lehrerberufe and
suchten die Anftiahme in die Seminsnen sehr wenige SOhne von
Lehrern oder wolbabenden Handwerkern und Bauern, meistens nur
Söhne aus der armen Landbevölkerung, vielfiMdi aus Familien des
imtersten Subaltembeamtenstandes. Diese Präparanden waren mit
dem 14. Jahre ihst ohne Ausnahme ans der gewQlinlicfaen Elementar-
schule entlassen; der Ehitritt in die Seminarien kann erst mit dem
17. Lebeniiiahre erfolgen. Bis dahin waren diese Prftparanden in den
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meisten Fällen darauf angewiesen, sich in privater Weise und wesentlich
auf eigene Kosten die f&r den Eintritt in das Seminar erforderlichen
Kenntnisse zu verschaffen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass, wenn
auch die Vorkenntnisse mühsam in etwa ausreichendem Maße ange-
sammelt waren, die in die Seminarien eintretenden Präparanden nach
Maßgabe der geistigen Atmosphäre, in welcher sie bisher
gelebt, und nach Maßgabe des mangelhaften Unterrichtes,
den sie genossen, in keiner Weise die allgemeine geistige
Vorbildung l»esaßen, welche die Seminarien unbedingt voraussetzen
müssen, wenn sie in dem kurzen Zeitraum von drei Jahren das Aller-
not h wendigste leisten sollen.** Provinzialschulrath Wetzel schrieb in
demselben Jahre, 1872, dass in den Provinzen ] Brandenburg und
Pommern sich zur Aufnahme in die Seminare meist nur Söhne von
Tae:elr»hnei*n und kleinen Handwerkern, nur vorgebildet in den ge-
wiilinlichen Dorfschulen, meldeten. Und so wie es 1872 war, so ist
es mit wenigen Ausnahmen noch heute. Sühne von kleinen Handwerkern
und armen Landleuteu, die durch die Volksschule gegangen sind,
stellen das Hau|)tioiitingent. Und das sind meistens noch nicht die
schlechtesten. Gewöhnlich sind es begabte Schüler gewesen. Aber oft
genug kommt es vor. dass Schüler höherer Schulen, die dort nicht gut
thun wollten oder nicht mit fortkamen, noch schnell einer Präparanden-
anstalt zugeführt werden, um dort fürs Seminar zurechtgestutzt zu
werden. Der normale Weg zur Lehrerbildung wäre nun der, dass
diese 14jährigen Jünglinge in eine dreiclassige staatliche Präparanden*
anstalt gebracht würden. Dort haben sie ihre eigenen L^irer, die
ihnen ihre ganze Zeit widmen können; anch sind diese Anstalten in
der Begel mit Lehrmitteln aller Art gut ausgestattet; nnd wenn es
ttherhanpt mGglich ist, die ans den yerschiedensten Schulen, ans ein-
daaeigen Dorfischnlen, ans Halbtagsschnlen, ans Stadtschulen, ans
Mittel-, Beal- nnd anderen Schulen, wol gar auch aus Gymnasien zn-
^ Sammengelaufenen, mit der verschiedensten Vorbildung Tersehenen
Jflnglinge in drei Jahren so weit zu fördern, wie es die ,AUgemeinen
Bestimmungen* fordern, und wie es die Seminarien TOraussetzen müssen,
» um ihr hohes Ziel zu eneichen, dann ist es bei den jetzigen Verhftlt-
nissen nur in einer staatlichen Fi*äi»arandenanBtalt möglich. Aber das
ist zu bezweifeln; denn eben jenes Henrorgehen der Lehrer aus den
unteren Schichten des Volkes bringt ganz natuigemift eine geringe
Bildung mit So gering und dOrftlg vorbereitet, treten die allermeisten
Prftparanden ein, und nun sollen sie innerhalb dreier Jahre mit den
zur Aufbahme in das Seminar nOthigen Kenntnissen anegerllstet werden.
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„Was kann ihre Vorbildung, wenn sie wirklich gelingt, anderes seiii,
als eine mechanische, eine Einpaukerei, ein unverstandoier nnd unver-
dauter Ged&chtiii8ki*am. Bei den hohen Anfordenmgen , die das
Seminar zn stellen berechtigt wäre, wird den Prftparandenlehrem nnd
den Präparanden etwas zngemuthet, das über ihre Kräfte geht. Au
eine gründliche Durchbildung, an eine Vertiefung in die Unterrichts-
ge^renstände ist gar nicht zu denken." Und dann, wie viele solcher
Anstalten gibt es denn? Im ganzen preußischen Staate 34, die
natürlich auch im entferntesten nicht imstande sind, den nöthigen
Bedarf an Seminaraspiranten zu decken. Infolgedessen sieht mau
sich genüthigt, die private Vorbildung von Präparanden zu begünstigen.
So haben sich an vielen Seminarien auch Präparaudenanstalten auf-
getliau, die von den Seminarlehrern geführt werden, aber docli Privat -
unternehmen sind. Wol haben diese Anstalten auch gute und reichliche
Lehrmittel, da sie eventuell die des Seminars benützen können; auch
haben sie in den Seminarlelu-ern die denkbar besten Lehrkräfte; aber
sollten die Herren Seminarlehrer niclit vollauf in ihrem llauptamte
Beschäftigung finden, sollten sie nicht ihre volle Kraft für den
Seminardienst nöthig haben, statt sie auf diese Weise zu zersplittern?
Es mögen diese Einrichtungen einem Bedürfnisse entsprungen sein,
da die fui*s Seminar verfügbaren Schüler anderswo nicht genügend
vorgebildet wurden; das hindert aber nicht, sie als einen Nothbehelf
anzusehen, den baldigst zu beseitigen Pflicht der Behörden ist. Bisweilen
hat man an solchen Anstalten anch wol einen besonderen Präparanden-
lehrer, in der Regel einen eben Tom Seminar abgegangenen Ldirer,
der also noch m^rfiiluren ist und sich tadem meist mit Voiberdtimgeii
für weitere Kramina beschSitigt
In letster Zeit haben sich anch üi grOfteren Städten mehrere
Lehrer sosammengethan, welche sich die Angabe stellen, ans Abitn-
rienten der Volksschulen, ans AbgefoUenen der höheren Schnlen nnd
anderen Elementen Seminaraspiranten xn &bridren. Hierzu wird der
„Prenft. Lehrerztg.^ geschrieben: »Wdcheii Wert hat nun eine solche
«Lehranstalt^? Sie dürfte wol kaum diese Bezeichnung verdienen.
Die Präparandenbildner sind nAmlich YoUbeschftfdgte Lehrer, welche
nur ihre Freistunden der Präparandenbüdong zu widmen yermOgen.
Sie können, wenn sie in ihrer Classe ihrer -Pflicht genttgt haben, un-
möglich noch mit frischer Kraft junge Leute für em^ ebenso schweren
wie idealen Beruf in dem Grade vorbereiten und begeistern, wie es
in wirklichen, wol eingerichteten Präparandenanstalten möglich ist
Femer können die Zöglinge nur außer der Schulzeit unterrichtet
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werden und müssen daher die für neues, geistig-es Aufnehmen und
Durchdringen gerade j^^eeignetsten Tagesstunden zur Selbstbeschäftigung
verwenden, ein ähnliches Verhältnis, als wenn man am Tage zu
schlafen, in der Nacht zu arbeiten gezwungen ist. Außerdem aber
wird die infolgedessen im Verhältnis zur Unterrichtszeit viel zu lange
Arbeitszeit kaum immer zweckmäßig und genügend ausgefüllt werden
können. Solche Einiichtnngen müssen daher nicht nur als pädago-
gische Hissgriffe beEsidaiet wsrden, sondern sie eriimeni doch auch
gar za sehr an die Winkel- und Gelegenheitssdinlen firflherer Jahr-
hunderte nnd passen durchaus nicht mehr in die heutige Zeit
hinein. Wenn aber auf diese Weise die Kosten des Besaches einer
Präparandenanstalt verringert werden sollen, so ist dem gegenfiber za
bedenken, dass dort das erstrebte Ziel daftr ohne Frage schneller
und gründlicher erreicht wird als in solch einem Zwitterdhig yon
Lehranstalt und FriTatsastutaungscorsus für eine gewisse Pmftmg,
dessen Wirksamkeit nicht nur in pädagogischer Hinsicht, sondern
auch viel&ch mit Bttcksicht auf die in dieser Weise der Volksschule
zngeführten Lehrkräfte im allgemeinen weder der Schule, noch dem
Lehrerstande zu Nutz und Frommen gereichen kann." — Aufier den
bisher erwähnten Einiichtungen findet man auch noch hier und da in
DOrfem und kleinen Städten einzelne Lehrer, die sich privatim mit
V<Mrbildang von Prl^Muranden beschäftigen. Die Art und Weise einer
solchen Vorbildung schildert ein Correspondent der „Prenß. Lehrerztg."
recht treffend folgendermaßen: „Täglich fünf bis sechs Sttmden
niussten wir Präparanden mit dm Schttiem der 1. Classe einer
di-eiclassigen Volksschule in dem an, sich schon überfüllten Locale
verbringen. An den Religionsstunden der Kinder nahmen wir theil,
um über die Katechisation schriftlich zu referiren; während der anderen
Unterrichtsstunden wnrden wir still beschäftigt. Es bedaif wol keines
weiteren Beweises, dass die Vorbildung der Präparanden unter diesen
Verhältnissen eine gänzlich unzureichende war, da es doch zum
mindesten ein — Unding ist, neben etwa 100 Kindern der
1. Classe einer dreiclassigen Volksschule gleichzeitig auch noch Prä-
paranden- und Fortbildungsschüleni, welcli letztere aneli noch ver-
treten waren. Unterricht ertheilen zu wollen. Wenn wir daneben
auch noch im Sommer täglich zwei und im Winter täglich eine Stunde
besonders unterrichtet wurden, so vermochten diese wenigen Lectionen,
in denen es überdies auch noch sehr gemüthlich zuging, das T,"^nzu-
längliche und Mangelhafte des ganzen Betnebes nicht zu ersetzen.
Physikalischer, zoologischer und Turnunterricht wurde gai' nicht er-
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— 729 —
theüt, TOD orthographischen Begeln habe ich nichts, von Grammatik
nur sehr wenig vemommeD. Hinzufügen will ich noch, dass, wenn
noch freie Zeit verblieb^ wir Fräparanden Holz spalten, GartenMcbte
behacken, Heu trocknen, Eflstergeschlfte n. dergl DiDge mehr yer-
richten mussten."
Wenn ich auch anwkannt habe, dass die Vorbei-eitung m könig-
lichen Prftparandenanstalten gegenwärtig die einzig empfehlenswerte
ist, so muss ich doch auch gestehen, dass mir diese Art der Vor-
bildung des künftigen Jugenderziehem noch lange nicht als das Ideal
einer solchen erscheint* Ben einen Grand dafür habe ich schon er-
wähnt, nämlich das Zusammenwerfen der verscliiedenartigsten Elemente,
die dort nun nach einem Plane behandelt werden sollen. Ein anderer
Grund, weswegen ich mich dagegen erkläre, ist der: Das Seminar ist
eine Fachschule. Die Fachbildung aber, so ist es wenigstens bei
anderen Berufszweigen. kann immer erst dann eintreten, wenn die
allgemeine Bildung ihren Abschluss erreicht hat, also gewiss nicht
vor dem vollendeten 17. Lebensjahre. Die Präpai'andenanstalten aber,
obgleich in ihnen noch nicht gerade Pädagogik getrieben ^vi^l. sind
doch speciell nur darauf zugeschnitten, für den Kiuti ia ins Seminar vor-
zubereiten; sie geben also iu gewissem Sinnti vli»ch t-ine Bildung ad hoc,
eine Fachbildung; und eine solche ist verfrüht, wenn sie schon mit
dem 14. Lebensjalire eintritt. Diesem Umstände Laben wir es liaupt-
sächlich zuzuschreiben, dass man so vielen Lehrern, besonders den in
Internaten gi-oß gewordenen, den „.Scliulnieister'* auf Schritt und Tritt
ansieht, was ich niciit gerade für einen Vorzug halte. Und wenn in
den Präparandenanstalten auch nur allgemeine Bildung gewährt wird,
eine allgemeine Bilduugsanstalt ist sie darum doch nicht; denn welcher
Vater würde wol seine Kinder, um ihnen eine gute bürgerliche Aus-
bildung angedeihen zu lassen, in eine Präparandenanstalt schicken?
Dies führt mich auf den dritten Grund, waruui ich die Präpai anden-
anstalten verwerfe. Der Lehrerstand nimmt überall eine .Ausnähme-
st ellung ein; man will ihm nirgends die sociale Stellung zuerkennen,
die er seinem Bildungsstandpunkte nach zu beanspruchen hat. Ein
sdiwerwkgender Gnmd ist hier aieheriidi in seiner Ausnahmestellung
auch in der Vorbildung zu suchen. Würde er mit seinen Mitbürgern,
die ihn späterhin, Tielieicht in dlem stolzen Bewnsstsein, das „ESn-
jährigenzeugnis** in der Tasche zu haben, Uber die Schultern ansehen,
obwol sie an geistiger Bildung weit unter ihm stehen, anf derselben
Schulbank gesessen haben, denselben Bildnngsweg durchschritten und
das Seminar noch obendrem absolvirt haben: der wichtigste Grund
PiMtefogiui. lt. Jdirg. Haft XL ' 62
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— 730 —
Sil seiner niederen socialen SteUnng wftre hinweggerftnmt Und dämm
stelle ick die Forderung: Der snkOnftige Seminarist mnss anf einer
allgemeinen bOheren BUdnngsanstalt seine Vorbildung empiSragen haben.
Welche Anstalt dies sei, ist mir zunächst gleichgiltig; nur die Be-
dingung wftre zn stellen, dass diese Anstalt eine abgeschlossene
Bildung gewährt, dass man also nicht etwa ans der Secunda eines
Gjrmnasiums oder eines Realgymnasiums direct in? Seminar trete.
Am geeignetsten dürften von den jetzt bestehenden St huleinrichtnngen
die lateinlose sechsclassige höhere Bürgerschule, die Realschule und
die Oberrealschule sein. Ebenso müsste es Bedingung sein, dass der
Aspirant das Eit^&hrig-freiwüUgensengnis aufweisen kann, schon der
socialen Stellung wegen.
Ich weiß, dass sich der Realisirung dieser Forderung gar man-
cherlei Schwierigkeiten in den Weg stellen wurden; dieselben dürfen
uns aber nicht abhalten, einem Gedanken, den wir als richtig aner-
kannt haben, Ausdruck zu verleihen. Ich will nur einige dieser
Schwierigkeiten andeuten. Wo bleibt die Pflege der Musik? Nun,
nach meiner Meinung hat man bisher derselben zuviel Zeit gewidmet.
Von einem künftigen Lehrer hat man nur zu fordeni, dass er einen
gediegenen Gesansrunterricht ertheih'n könne, und dazu gehört weder
Orgel- noch Clavierspieh diese beiden Fächer könnten sehr wol facul-
tativ sein. Oder man dürfte mir die Frage entgegenhalten: Wer, der
eine solche höhere Schule durchgemacht hat, wird dann so thöricht
sein und Lehrer werden wollen? Darauf die Antwort: Sobald die
materielle und sociale Lage der Lehrer eine bessere sein wird,
werden sich auch Siihne der besseren Stände mit dieser Schulbildung
dem Lehrerberufe zuwenden; und diese Zeit mit herbeiführen zu helfen,
ist eben eine unserer Hauptaufgaben. Oder man wird fragen: Wie
sollen denn dann anno und wenig bemittelte Eltern ihre befähigten
Knaben durch solche Schulen bringen? Auf diese Frage antworte
ich mit Diesterweg: ..Wenn arme Knaben vom Lehrerstande zurück-
gehalten würden, so wäre das gar nicht so tibel; denn Armut drückt
und knickt Geist und Herz, und die vielen Krummbnckel und Feigen
im Schulstande rühren wahrlich vielfach von ihrem durch Armut ge-
drückten Jugendleben her." — Kurz und gut, ich lasse keinen Süi-
wand gelten ; denn „wo ein Wille ist, da ist aodi ein Weg". —
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f
Pädagagifiehe RiuidBehaii.
B. Vom deutschen Ostsees'trande. Li dM friedliche Schul- ondLehnr-
leben unseres heiraischf^n Strandes ist aus Westen ein jinfrei^ender Stnrm ge-
drnnfren. Als der Antaclier dieser nnlielmlichen Luft.strömung wird in weiten
Kreisen kein anderer als die kleine Excellenz einer großen Keicbstagspartei
«nfeselien, denn diese irt die eigeotUehe Seele des denteoliai Eaihelikentages
und letiterer wieder «if der yemunnilQnf n Bochnm der SchOpfsr des Ge-
dankens, die eenfessionelle Trennung der Lehrer Deutschlands ins
Work zu setzen. Nach den g:emacht»Mi Erfahrungen unterstützte nicht nur
die Geistlichkeit, sondern auch die ultraniontane Presse die Bestrebungen aufs
eifrigste. Immer deutlicher erschollen die Aufrufe zur Bildung „katholi-
scher Lehrer verbinde* nach den Ostseqifeivinsen, nnd es war nnTermeld-
lieh, dass anch hier nur neuen Idee in irgend einer Weise nettgemlBe Stelhing
genommon wnnl»\ Die Bctlieiligten selbst waren znwoilcn überrascht übfr
die Zumuthung, ihren alten Kreis- und Provinzial- Lehrer vereinen für immer
den Bücken kehren zu sollen. Sie sollten das Dach verlassen, unter dem sie
sieh so wol gefllhlt nnd das sie mit erbaat haftfesn? — Da neigte sieh bald
hier, bald dihrt ein Widerstand. Eine grSBere, sehr weit grOBwe Bedentang
hat die kurze nnd .bündige Erklftrong des „Ermländischen Gaulehrer-
yereins" erlangt, die auf Antrag ihres Vorsitzenden, Herrn Rectnr Fischer-
AUenstein, im December v. J, abgegeben wurde. Der \ ereiu erklärte: ,,Die
Ermländische Gaulehrerversammlfing nimmt von einem Anschlüsse an den
^alhoüsehea Ldirerverband' (Vorort Bochnm) Abstand, indem die Trennung
der Lehrervereine nach Confessionen im Widerspruch steht mit dem gegen-
wärtigen Stande der Pädagogik als einer selbststündigen und allgemein giltigen
Wissenschaft, aus der Verkennung der bisherigen Bestrebungen der Lehrer-
vereine hervorgegangen und nur zu sehr geeignet ist, die erfolgreiche Wirk-
samkeit der Lehrerveratne ni sehwtdmi.* Diese ErUftrung ist zwar bestimmti
aber friedlich nnd nur aagethaa, den Unfrieden von der eigenen Hansthfir^
schwelle abzuhalten. Die flberzengende nnd änflerst sacbgemftfle Begründung
der angenommenen Thesen war in einem Referate vorausgegangen. (S. Lelir.-
Ztg. f. Ost- u. Westpr. Jahrg. 21, Nr. 6.) Wir können nicht umhin, auch
hier zur Dlustration des Folgenden einige Stellen der erhebenden Fischer'schen
AnsflUimngen anznfBhren:
Die Erziehung erstreckt sich auf alle natürlichen Anlagen des Kindes,
und nicht blos auf die religiösen. Die natürlichen Anlagen sind aber von der
Confession nicht im sreringsten ablülngig. Ein katholisches Kind hat ganz die-
selben natürlichen Anlagen, wie ein evangelisches; die Entwickelnnf dieser
Anlagen mnss selbstredend anch nach gleichen Qesetaen erfolgen, (fiter ^
62*
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782 —
natürlichen Anlagen nnd die Gesetze ihrer Entwickelong aber belehrt nns die
Psychologie, die wir sonach als eine Grundsäule der PUdagogik betrachten nnd
in allen bezüglichen Fragen zurathe xielien müssen. Da es nun weder
eine katholische, noch eine evangelische, nar eine allgemeine
Psycbologie geben kann, to haben wir hier einen Boden, anf dem wir mit
den evangelischen GoUegen gemeinsam verhandeln können. Wer das Gegen-
theil bf'liaupten wollte, der niüsste auch zugeben, dass ein katholischer nnd
evangelischer Ai zt sich über anatomische und physinlogische Fnvgen nicht ver-
ständigen könnten, indem der Organismus des katholischen Menschen anders
eonstmirt tü nnd anders ftmctlonire als der des eTangellsehen. Bei der Er-
dehnng kommt es aber nicht allein anf die menschlichen Anlagen nnd die Ge-
setze ihrer Enti^'ickelnng an, sondern auch anf das Ziel, zu dem die Entwicke-
Inng führen soll. Pipses Ziel ist durch die sittliche Bestinimung des Mensclien
vorgezeichnet, die wiederum eine allgemein menschliche ist, denn alle Menschen
haben als gleiche Wesen auch dieselbe Bestimmung. Bie Erziehung hat als»
das Ziel, die Kinder zur Sittlichkeit an endehen, oder wie Herbart sagt, mr
Charakterstärke der Sittlif hkeit, d. h. zur Tugend. Die Lehre von der mensch-
lichen Bestimmung und den sittliclien l'fliditon heißt Ethik, und dieses ist
die zweite Grnndsiiule der pildagogischen Wissenschaft. Nun hat
man freilich verschiedene ethische Systeme aufgestellt. Ich erkläie hiermit,
dass wir dasjenige als Ziel der Erziehvng aufgestellt wissen wollen, das in den
Lehren des Christenfhnnis enthalten ist. Uns ist Christus selber der höchste
Lehrer und das verkörperte Ziel, dns uns bei der Eiziehung als Ideal vor-
schwebt. Dieses Ziel hat die Lehrerschaft zu allen Zeiten hoch-
gehalten, und zwar nicht blos die katholische, sondern auch die
evangelische. Wir können also auch fiber das Ziel der Erziehung in einem
conlbsslonell gemischten Ldnrerverehie ▼erbanddn. Ben Zell^nnkt des Frie-
dens zwischen Kirche nnd Schule, der auf Anerkennung der gegenseitigen Un-
abhängigkeit beruht, werden ^\ir herbeiführen helfen, wenn wir treu und fest
wie bi.xher zusammenhalten^ darum lasst uns sein und bleiben ein einig
Volk von Brüdern.
So nnd Shnlleh referirte Herr Fischer in sacbgemftter Weise ttber den
vorliegenden Gegenstand, nnd man wird kaum etwas Anstößiges entdeckoB
können. Nicht so die clericalen Blatter! — Sie fielen über F. her und
schrieben unter anderem: „Die Bestrebungen des Gauvereins sind die des Frei-
maurerthums, die unerhört anmaßende, die katholische Geistlichkeit rent-
meisfeemde Spraehe des Aliensteiner Psychologen, des AUensteiner Gangrafen.
Bald wird der ehigeldge Herr einsam anf den TMmmem seiner so sehSn ge-
trftnmten ermländischen Gangrnfiscbaft stehen und Gelegenheit haben, sich ganz
nnd gar den tiefen Problemen der anscheinend von ihm erst erfundenen specu-
lativen PsyclKdoe-j»- liiii/npcben. (niten Mor^jeti. Herr Fi.scher!" — Es ist doch
gut, dass die ir^cheiterhaufeu abgesclialit sind. Die Angelegenheit war mit
diesem Ansflnss von Hohn nnd Galle nicht abgethan, anch Se. Hochwtirden,
HeiT Bischof Dr. Thiel, nahm Stellung zu der einst so harmlosen Vereinsange-
lecrenheit und erließ einen Hirtenbrief, dessen Wortlaut wir in Anbetracht der
Sachlage unseren Lesern nicht vorenthalten wollen: ..Tn der Seelsorpe des Geist-
lichen für seine Gemeinde nimmt die religiöse Unterweisung der Jugend fast
die erste Stelle ein. Wol kann dersdbe bei der gegenwärtigen Einrich-
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— 733 —
tims- unseres Volkssclinlwesens sich dafür, namentlich in den größeren und aus-
gedehnteren Gemeinden, der Hilfe gehörig unterrichteter, kirchlicher Laien
bedieoeu, und dürfen zur Zeit noch im allgemeineu unsere katholischen Lehrer
als genägBtlt «rächtet werden. Aber stets trftgt er dafür die eigentUebeVenuitwor'
tung und hat darum dieser seiner Pflicht in jedem Falle dureh fortlaafende per-
sönliche Beaufsichtigung und Leitung jenes TTnterrichtcs zu genügen. Umso
dringender nud f(irmlich brennend wird diese VerpMichtung, wenn der welt-
liche Lehrer sich irgend als kirchlich unzuverlässig erweist. Ich habe in letzter
Zeit mdirfiush Gelegenheit gehabt, zn sehen, dass der G-eist in dem soge-
nannten freien Lehrerverein Ermlands ein nnkirehlioher ist. Die
neuliche Rede seines Vorsitzenden vertritt ganz offen die durch das kirchliche
Lehramt ver\V(»rfenen IiTtliümer des Liberalismus, Indifferentisiuus und Natu-
ralismus fast mit denselben Pliraseu und (iehässigkeiten, wie wir sie bis dahin
zwar von den modernen Culturkämpfern, nicht aber von den kathulischeu Leh-
reni Brmlaads «i h9ren gewohnt waren. Gldehwol ist dieselbe naeh Offent-
liehen Berichten von den anwesen d n, größtentheils activen katholischen Leh-
rern nicht blos un widerlegt geblieben, sondern, was midi bt simders geschmerzt
hat, sogar beitlillig- aufgenommen und damit gleichsam als Programm ihi^er
geistigen Anschauungen und Bestrebungen erklärt. Bei solcher Sachlage ver-
pflichte ich die hodigeehrten Herren Pfkrrer nnd Coraten der einzelnen Ge-
meinden, sich nach Mahnung des Apostels 2. Tün. 4, 2, ob gelegen oder un-
gelegen, alle Mühe zu geben, ihre Lehrer von einem Verein loszumachen oder
fernzuhalten, welcher derartigen Tendenzen huldigt, dadurch die Liebe und
Treue gegen die Kirche mit Füßen tritt und thatsächlich zu deren Gegnern
Stdit Sollten einige Lehrer hartnäckig bei demselben nnd jenen seinen Gruud-
stttzen verbleiben, nnd anch der VorsteUnng des Deeans bei der nächsten
Kirchenvisitation nicht Folge geben, so erwarte ich deren Namen in dem be-
treffenden Bericht mir speciell mitgetheilt, nm be/,ii;j^liclienfalls auch diesseits -
nach Möglichkeit f:<'t,'eii solch verderbliche Eintliisse einzutreten. Inzwischen
aber wollen die HochwUrdigen Brüder un jenen Orten um so sorgsamer darüber
wachen, dass die Herzen der KleLien nidit Schaden leiden, nicht stati des
Brotes des christlichen Glaubens unter aUerlei schillernden Redensarten den
Stein der Gleichgiltigkeit, des Hochmuthes und der Empßrung gegen unsere
heilige Kirche erhalten, welche die verderblichsten Folgen auch für Familie
und Staat nach sich ziehen. In Erinnerung an die vielen lieben, edlen Lehrer
Ermlsads nnd an aJuiUelie Versnchongen, die unser Lehrerstand in den Jahren
1848—50 nnd 1870—71 entschieden znriickwies, habe ich die HofEhnng,
dass auch jetzt seine kirchliche Treue nicht wanken, bei allen das Wort christ-
licher Liebe and besserer Erkenntnis eine bereite Stelle linden wird."
Aus Württemberg. Ein Kückblick aut den IV. Neuplülologeutag. Die
Festtage sind voMlber. Die Ansstellnng der schwäbischen Dichter im
Polytecbnicmn, welche dem IV. Nenphilologentag zn Ehren veranstaltet wurde,
ist geschlossen. Die Gäste aus nah und fern haben uns mit warmen, herz-
lichen Worten ihre Anerkennung ausgesprochen für alles Schöne, was sie in
Stuttgart genossen. Uns Schwaben aber ist mit dem entschiedenen Gelingen
des Festes, wir dürfen es jetzt wol gestehen, ein Sorgenstein vom Herzen ge-
Inommen. Denn als wir vor zwei Jahren veranlasst wnrden, nnsere Collegen
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— 734 —
aas ganz Deutschland für diestsmal nach Stuttgart einzuladen, nachdem sie
bisher in Hannover, in Frankfurt und Dresden getagt hatten, da gaben wir
misera Ziutlinmmig Dor saghaft und mit getheUtem Henen. Wol kann ja
anaer Stattgart, was die Schönheit seiner Lage und die GaatUchkeit «einer Be-
wohner betrifft, mit andoron Städt»ii getrost sich messen, wol kommen die
Gäste ans dem Norden stets mit Fretiden und mit besonderen Erwartungen
nach dem sangesreichen, gemütlUichen Schwaben, und so waren sie auch diesmal
dea Lobea toU, obwol aie die Belle nnaerer Heimat nur im Begensefamneke
admnrai durften. Allein die groBe Frage war die, ob die Erilfte nnserea jongen
wttrttemba^chen Vereines ausreichend seien, um auch in wissenachaftliclier
Hinsicht das zu bieten, was unsere GSste — zum Theil Männer von ganz her-
vorragendem Kufe auf dem Gebiete der modernen Philologie — -von uns er-
warten. Denn in Württemberg ist ja das wissenschaftliche Studium der
neneren Sprachen etwaa, daa aicfa erat langaam nnd mit Beseitiging vieler
HindemiaBe hat Bahn brechen mfiasen. Wir haben wol jederzeit eine Beihe
hervorragend tüchtiger Reallehrer besessen, allein Philologen, wie man sie
anderwärta schon lange besitzt, Fachmänner, welche auf der Universitiit dem
historischen Stadium der romanischen Sprachen und ilirer Literatur sieb
gewidmet und ihre wiiaeaadialtllelie facliblldnnir inaäk einen iSagena Antoit-
halt im Aodande yervollatftndigt lialMn, daa konnte ea ja, dank den eigenartigen
Yerhiltnissen, wie sie auf anserer Landesuniversität bestehen, nnd dank den
ebenso eigenartigen Vorschriften für unsere realistischen Lehramtsprüfungen
bis vor kurzem in Württemberg kaum geben. So war es denn durchaus am
Platze, wenn Profeaaor Ehrhart die Reihe der Vorträge damit eröffiiete, dasa
er den ananribtigen Gttsten in geachichtlicher Entwii^elnng die Bahnen nnd
Ziele des neusprachlichen Unterrichtes in unserem Lande darlegte. Mit gründ-
licher Sachkenntnis, aber auch mit maßvolk-r Besonnenheit im Urtheil führte er
ans, wie der Unterricht im Franziisischen fast ein Jahrhundert hindurch auf
die Universität beschränkt blieb, wo ihm Herzog Ludwig 1592 durch Errich-
tung dea Colleginm Ulnatre eine HelmaUtte gründete. Erst gegen Ende den
17. JahihnndertB nahm anch daa Stattgnrter Fidageginm, aeit 1686 zum Gym-
nasium ülustie «rhoben, daa Französische in seinen Lehrplan auf, der bisher
ganz den t^berlieferungen der alten Schola Latina gefolgt war. Die Lehrer
waren stets geborene Franzosen, meist Mümpelgarder, die zugleich als Geist-
liche der französischen Gemeinde in Stuttgart angestellt waren. Doch war die
Betheilignng am Unterileht den Sdifilem frdgeatellt nnd der Lehrer anf die
Naehmittagsstnnden von 1—2 Uhr angewiesen. Seit dem Anfang des 18. Jahr-
hunderts war dort auch für das Italienische, dagegen für das Englische erst
seit dem Ende des letzten Jahrhunderts Gelegenheit geboten. Umsomehr
erfreuten sich die neueren Sprachen einer hervorragenden Fliege in derjenigen
Anatalt, welche ttberliaapt daa BOdnngaideal dea 18. Jahrhonderta zum treneaten
Anadmok brachte, in der Hohen Karlaachnle. Dort war Ja' die ganae Lafb,
welche man athmete, französisch. Von der untersten bis zur obersten Stufe
waren diesem Fache zahlreiche Wochenstunden gewidmet und auch für andere
Fächer wurden theüweise französische Lehrbücher zugrunde gelegt. Dabei
huldigte man dem Grandsatz, dass zuerst das Ohr geübt werden müsse, data
der Anfkngannterricht mit Sfttsen an beginnen habe, welche der Umganga»
apraohe entnommen aden, nnd erat apftter die Grammatik hinzutreten dürfe:
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ein Beweis, das8 auch auf dem Gebiet der Methode nichts Neaes anter der
Sonne iit Zu den Spraehmeietern, welche den Anfeuigrsanterricht eiiheflten,
traten an den oberen Classen Professoren, welche die Zöglinge neben pfak-
tischen Übungen auch in die tVaiizösische Literatur einführten. Immerhin war
der praktische Zweck, Franzosisch spreclien und schreiben zu können, der be-
herrschende, und dank diesem Unterrichte war Schiller noch gegea das Ende
■eine« Lebens befähig, sich sieailich selSoilg mit Fnm von Statt n unter-
halten.' Damit lehlieftt die erate Periode dea nenqtraehlichen ünterrichtea in
Württemberg. Die Lehrer sind fast darchaas Sprachroeister und die SchfUw
gehören auH.«!chließlich den höheren Stünden an, dem Adel und den zukünftigen
weltlichen Beamten, für welciie die Kenntnis der modernen Sprachen ebenso
Bedürfnis als Modesache war.
Eine nene Zeit brach anch In W&rttemberiir fUr den nenapracblichcn Unter-
richt an mit den Umgestaltungen, welche die französische Kevolntion und daa
Napoleonische Zeitalter im Gefolge hatten. Das Französische hört auf, ein Vor-
reclit der Vornehmen zu sein. Man errichtet Keal- und Gewerbeschulen,
in welchen das Französische in den Mittelpunkt des sprachlichen Unterrichtes
tritt, wenn auch yielfeich daa Lateinische noch eine Zeitlang daneben beibehalten
wurde. Dieae Periode, wddie bei nna vom Ende dea yorigen Jahrhnnderta
bia in die Mitte der 60er Jahre sich erstreckt hat, können wir die bürgerlich-
gewerbliche nennen. An die Stelle der ausländisclien Sprachmeister traten
UBsere Reallehrer als einheimiäche Kräfte. Nur grüilere Anstalten besoldeten
ausländische Professoren, wie z. B. das Stuttgarter Gymnasium au Borel einen
herrorragenden Lebrer beaaB. Fflr die Yorbildnng der Lehrer in d«i neneren
Sprachen wurde 1808 Ton König Friedrich in Tübingen ein Lehrstuhl für
französische Sprache und T.iteratur errichtet, allein das Studium der
modernen Sprachen wollte nicht recht gedeilien. Wenn e.s neben manchen her-
vorragenden Kräften zeitweilig auch an geeigneten Lehrern fehlen mochte, so
lag dodi die Hanptachnld ateta an der Art der Stadenten, beziehnngaweiae an
dan Feaaeln, welche die Prüftmgaordnung dem realistischen Stodinm auferlegte.
Sie alle mussten ja die sogenannte Reallehrerprnfung erstehen und zu
diesem Zweck neben den neueren Sprachen die sämmtlichen mathematischen und
naturwissenschaftlichen Fächer, auch Zeichnen etc. in einem Umfange betreiben,
welcher jedes neusprachliche Fachstudium ausschloss, umsomehr als vielen
Gandidaten des realiatiachen Lehramtes von Hanse ans die Vorbedingnngen für
ein enprießlichea Studium der S|iradien fehlten. Unter 170 realistischen Leh-
rern und Lehramtseandidaten waren im Jahre 18r)4 nicht weniger als lir>
frühere VolksscIiuUehrer. Ein anderer Theil aber, diejenigen, welche ihren Weg
durch die theologischen Seminarien nahmen, ti'aten zwar mit einer sehr gründ-
liehen altsprachliehen Büdong, damit aber mit nm so sdilechtqrNi Vorlcenntp
niaaMi im FraaaOaiaehen an ihr Stndinm heran. Wenn es trotsdem nnserem
Lande nie an trefflichen ReaUehrem gefehlt hat, so sind sie es durch eigene
Kraft den ungünstigen äußeren Verhältnissen zum Trotz geworden. So war
es eine erlösende That, als unter der Regierung König Karls wenigstens für
die ProfesBoratsprüfang die langersehnte Trennong zwischen der Gipracblich-
historischen nnd mathematisch-natarwissenschaftliehen Bicfatnng eintrat, ala
weiterhin den Abiturienten der Gymnaaien und der Realgymnasien die Er-
atehnng der Bealiehrerprnfiing erlaaaen nnd ebenso die Zöglinge des Tübinger
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Stiftes vom Stodiain der Theologie entbunden werden konnten, um sicli aus-
teUittMich dem Stndiam der Phflologie oder der Matbenuttik zn widm«i. Dunit
war der erste Schritt in Wfirttemberer gethan, der efai wissenschaftlich es,
neu philologisch es Facbstndi um ermöglichte; der zweite Schritt, den wir
noch zu erwarten liaben . ist die Errichtung: eines ordentlichen Lehrstuhles für
romanische Philologie au unserer Landesuniversität, welche darin anderen deut*
sehen Hcehadmleii toh gleicher Bedeatuug bis beate noch mrflckstehea mim
Hit dem Oesagten hftagt es thdlw^se snsammen, weno auch an nnsereii Mittel-
schulen der französische Unterricht allezeit den praktischen Gesichtspunkt
in den Mittelpunkt js-fstellt hat. wilhrenl anderseits hin^iehtlich der Methode
die graniniatist he Lelirweise — abjreseheii von vorüheixehcnden Versuchen,
welche mau mit der Hamilton 'scheu Methode in der Stettener Erziehungs-
anstalt maehte — die vorherrschende war «id noeh ist. Zn einer Zeit, da
lingenm der Bof nach einer Reform des neasprachlichen Unterrichtes
erhoben wird, wandelt man in Württemberg einstweilen noch in den Bahnen
der Ploetzschen Grammatik und wartet ruhig ab. bis aus dem heißen Streite
der alten uud der neuen Schale, wie er in Preußt^n und anderwärts entbrannt
ist, eine neae Methode sich heraimUftrt und die Gegeosfttie der rein gramma-
tischen wie der »natfirliehen** Methode in eine h9here Einheit sieh aoflOeen.
So steht denn bis jetzt Württemberg ziemlich abseits vom Kampfplatze.
Wir sind mehr prüf'inle Heobachfer, als dass wir uns leideuschafrlich am
Streite der Parteien betheiligen würd< ii. Pass man aVier nichtsdestoweiiig-rr
auch bei uns über diese Frage sich sehr gründlich besinnt und über die Ziele
der Parteien genan unterrichtet ist, dass eine Bewegung der Geister im Sinne
des Fortschritts sich auch in Schwaben anbahnt, dafür waren ein Beweis zwei
weitere Vortrüge, welche gleichfalls von württemberg^iachen Lehrern gehalten
uud el)enso wie der erste von der Versammlnng mit lautem Beifall ao^euom-
men wui'den.
Bector JlBger-Gannstttt ipraeh über die Verwertnng des spraehge-
sehichtliehen Elementes in dem franxQsischen Unterricht der latein-
losen Realschule. Jäger hat ebenso wie Ehrhart seinen Weg durch unsere
theoloirisehen Seniinarien genommen und bei beiden Kednern dürfen wir die
tiefe philosophische Auffassung ihres Themas und die übersichtliche Klarheit,
mit welcher die Hauptpunkte herausgestellt wurden, die sichere Kuhe, mit
welcher das Ganze Torgetragen wurde, als Vorzüge anerkennen, welche die
anderen Redner nicht alle in gleichem MaBe besaßen, .lägers Vortrag war für
classische Philologen vielleicht noch interes-santer als für viele der realistischen
Lehrer. Es war ein Eingeständnis, dass der lateinlosen Realschule , wie sie
namentlich in Württemberg blüht, mit dem Lateinischen doch ein wesentliches
Moment zur historischen Bildung fehle. Will aber die Bealschnle ebenso idealen
Zwecken nachstreben, soll sie ebenso wissensehalUiche Bildung geben kOnnen,
wie Gymnasium und Realgymnasium, so muss sie nach .Tüger das sprach-
geschichtliche Element in sranz anderer Weise pflegen, als dies vielfach beim
neusprachlichen Unterricht geschieht. Nicht als ob systematische Sprachver-
gleicbuDg. getrieben werden sollte — dagegen verwahrt sich Redner ausdruck-
lich — , wol aber soll in der Leotflre und sonst durch gelegentliches Zu-
rückgehen auf das Mittel- und Altfranzösische, und wo es leicht zu
machen ist, auch auf das Lateinische dem Schiller der oberen Classen ein
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Blick iu die genetische Entwickelnng der Sprache geöffnet werden. Demselben
Zwecke einer wissenschaftlichen Vertiefaug des neusp rachlichen Unter-
richtM dient es, wenn Jäger z. B. auch den Bedeattmgswandel der Wörter
Innerhalb de« FransfetBehen, die Beobaditiuig der Tropen (Synekdoeheif Xeto-
D3'inie etc.), die Zusaninionstellung nnd Ordnung sinn- oder stammverwandter
Wttrter, die Gesetze des Lautwandpls pt<\ mehr als bisher in den Bereich des
französischen Unterrichtes liert'in/.u/it'htn wünscht. Ki- glaubt auf diesem
Wege daa Franzübische der liealächule zu einem spraahlicheu iJiidungsmittel
erheben zu kOnnen, welches andi ohne eigenen latetnlachen Unterrieht wenig
hinter dem der Latein treibenden Schnlen zurückstehen wfirde. — Die yorge-
sehrittene Zeit verstattete leider dem Vortragenden nicht, seinen Stoff in brei-
terer Weise zu behuiuleln. Aber auch in dieser abgekürzten, mehr anszugs-
weisen Vurführung enthielt der Vortrag gewiss eine Fülle von anregenden Ge-
danlcen. An den VonGhUgen des Bednm IKiitSk m ftben, lag freilich uhe,
und das meiste» was ihm, namentlich von norddeatschen OoUegen, entgegen-
gehalten wurde, hatte er selber im Vortrage schon angedeutet. So viel aller-
dins-s wild ein weiteres Naclidenken über die Ausführbarkeit der Jilgerschen
G»'ilanken ergeben, dass zu diesem Zwecke niclit nur die Vorbildung unserer
Beallehrer eine andere werden müsste, als sie es vielfach noch ist, sondern dass
wol anch die geistige BeifS» der Bealschttler im Dnrchsehnitt eine grSIIere sein
sollte, wenn ein frnehtbarer Unterricht in der gedaehten Weise möglich werden
sollte. Sonst würden wol die gt'legentlich beigezogenen, vom Lehrer mitge-
theilten lateinischen Formen und Constructiduen in den meisten Füllen, statt
wie im Gj'mnasialuuterricht die feüte Grundlage zu bildeu, dem Realschüler
nur als schattenhafte, halbverstandene OrOAen in der Luft schweben und za-
'sammen mit den mltt^- ond altfiraaaOsisohen Aosdr&cken bei vielen mehr mir
Yerwirnmg als zur Klarnng des sprachlichen Bewusstseins dienen, so dass über
dem idealen, wissonsrhaftlichen Streben der unmittelbar praktische Zweck, die
sichere Handhabung des modernen Französisch, leicht gefährdet werden konnte.
Endlicli gedenken wir noch eines dritten Schwaben, der auf einem ganz
anderen Gebiet sich den Stoff zu seinem Vortrag gdiolt nnd den Beweis ge-
liefert Isat, da-ss auch die neueste Blüte am Stamm der neuphilologischen Wis-
senschaft, die Phonetik, in Württemberg bereits einen sehr namhaften, eifri-
gen Vertreter gefunden hat. Professur Wagner- Reutlingen erwarb sich den
Dank der Versammlung durch Vorführung des Grützner-Marey'schen Appai'ates;
Uber dessen Verwertung namentlich auch zn genaner Beobachtung mundart-
licher oder firemder Idiome etc. gab der Vortngmide reichlich Anftdünss. Und
wenn auch manchem von den Anwesenden für die gewandten, von gründlichster
Sachkenntnis zeugenden Ausführungen Wagners das volle Verständnis fehlen
mochte, so war ihm dafür der Beifall der zalüreich vertretenen Phonetiker
unter den Neuphilologen um so gewisser.
Das Gelehrtenschulwesen Württembergs. Den soeben ausgegebenen
statistischen Nachrichten über ilcn Stand des Gelehrtenschulwesens in Württem-
berg auf 1. Januar 1890 entnehmen wir folgende Punkte. Die Zahl der
öffentlichen Gelehrteuschulen betrug im ganzen 92 an 87 Orten. Darunter
belknden sich auAer den 4 thedogiscben Seminariea 20 Anstalten mit Ober»
dassen, nftmlieh 13 Gyamaden, damnter 2 Bealgyrndasien nnd 1 Gjnmaalnm
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mit einer, einem Healgymnasinm entsprechenden, realisiisclieu Abtheiluüg,
7 Lyceen, danmter 3 B«allyceen; aoBerdem 68 Lateintchiaen, darnnter 2 Real-
lateinaehiilen. HanptlehntellMi beataadea an den (Mfontlichen Oelehrtenflchnlen
im ganzen 425, darnnter 27 provisorisch errichtete. Die Gesammtzahl der
Schüler belief sich anf 8425. Nach den 4 Kreisen des Landes vertheilen sich
dieselben folgendermaßen: es kommen auf den Neckarkreis 3882, Scbwarzwald-
kreia 1507, Jagstkreis 1224, Donankreis 1812. Nach dem fieligionabekeantaia
befiuiden sieh darmter eyanfeliselte 6068, kafhoUadie 1986, iaraelitlaohe 337,
andere 19. Von den 13 Gymnasien iftlüte das Kealgymnasioni In Stuttgart
844 Schüler, das Eberhard-Ludwigsgrymnasinm ()28, das Karlsgymnasium 611,
das Gymnasium in Ileilbronn 44U, das Realgymnasium in Ulm 314, das Gyin-
nasinm in Ulm 275, in Ravensburg 249, in Kottweil 220, in Tübingen 220,
in Ehingen 210, in Hall 209, in EUwaagen 198, in BentUngen 185. Der
Stand am 1. Januar 1890 er^^bt gegen daa Tojahr eine Abnahme von 206
Schülern. Am Turnunterricht haben theilgenoramen 5440 Schüler. Das Zeug--
nis bestandener Reifeprüfung an Classe X haben im Kalenderjahr 1889 er-
halten 327 Schüler; das Zeugnis wissenschaftlicher Befähigung für den eiiyäh-
lig^freiwilügen Militärdienst 716 Schfiler. Von den Lehrstellen kamen in dem
▼eargangenen Jahre in Erledigung 1 Oymnatialreetorat, 1 Seminaireetorat»
1 hamanistische Professorsstelle, 2 realistische Professorsstellen, 25 Prftceptors-
stellen, 1 Collaboratorstelle. Neu errichtet \\Tirdf' eine definitive Professors-
stelle. Auf Lebenszeit angestellt ^varen BSl Lthr«'r. Das Lebensalter, in
welchem die Staatsprülungen erstanden wurden, war bei der Professoratsprü-
fling 29 Jahre, bei der Prftceptoratsprflftmg 25,6 Jahre; daa Lebensalter, in
welchem die ersteren Oandidaten Anatellung auf Lebenszeit, gleiclivie] auf
welcher Stufe des Dienstes, erhielten, war 28 Jahre, bei den letzteren 27,2 Jahre.
Unstilndipe Lehrer waren im abgelaufenen Jahre 72 in Verwendung-. Die
Zahl der vollständig geprüften Professoratscandidaten, welche noch nicht anf
Lebenneit aageatellt waren, belief sich anf S3> der PMeeptontaeandidaten 54»
der CaUaboratarcandidaten 29. Von diesen 3 Kategorien hatten 8, xesp^ 21«
reap. 15 keine Verwendung.
Die Zahl der öffentlichen Realschulen bi tnig 77. Hauptlehrstellen
bestanden an denselben 27(), worunter 27 provisorisch errichtete. Von diesen
gehören 45 der Professoratsstufe, 174 der Reallebrerstufe und 57 der Colla^
boratnrstnfe an. Die Zahl der Schfiler belief sich anf 8593, welche Zahl eine
Zunahme von 235 Schülern gegen das Vorjahr ausweist. Auf den Necfcarkreis
entfallen 3778 evangelischer, 337 katholischer. 203 israelitischer, 7 eigenei- i'im-
fesfiiun, zusammen 4325 Schüler; auf den Schwarzwaldkrris 1.H79 pvang«'lis( her,
299 katholischer, 31 israelitischer, 1 eigener Confession, zubammcu 1710 Schiller;
anf den Jagstkreia 832 eTangeUseher, 135 katholischerf 94 ianelitiacheri m-
sammen 1061; anf den Donankreia 930 evaageliacher, 498 haiholiBdMr, 68 ia^
raelitischer, 1 eigener Confession, zusammen 1497 Schüler. Nach der Srhüler-
zahl ergibt sicli für die Ü-^ Kealanstalten folgende Reihenfolge: Stuttgart 1402,
Heilbronn 453, Cannstatt 40(), Esslingen 371, Reutlingen 368, Ulm 345,
Göppingen 2Üü, Ludwigsburg 270, Tübingen 240, Hall 233, Ravensburg 182,
Biberaeh 157, Bottweil 151. Am Tnrannterricht haben theilgenomnien 5322
Scliüh r. Das Zeugnis bestandener Reifeprüfung an Classe X haben 22 Schüler,
das Zengnia wissenschaftlicher BefiUügang für. den eiiütthrig-fteiwiUigen Hili-
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tÄrdienst 381 erhalten. Im abgelaufenen Kalenderjahr wurden im ganzen er-
ledigt 10 Lehrstellen, nämlich 1 Prufehsor-, 7 Eeallehrei-- und 2 Collaboratur-
stellen; nea errichtet wurde 1 Collaboratorstelle. Das Lebensalter, in welchem
die ProfeneratsprUftmir entanden wurde, beMgt 27,7 Jahre, bei der Beal-
lebrerprfifang 27 Jahre, wShrend das Lebensalter, in welcher die Candidaten
ihre erstmalige Anstellnr?? auf Lebenszeit, gleichviel auf welcher Stufe des
Dienstes, erhielten, für die Lehrer L Stufe 28,5. II. Stufe 28,8 Jahre beträgt.
Unständige Lehrer waren 73 Candidaten. Die Zahl der vollständig geprüften,
aber nieht auf Lebenszeit angeatellten Candidaten belief lieh auf 86 und zwar
34 Professorats« und 52 ReaUehramtBcandidaten; daan kommen dann noeh die^
jenigen Candidaten, welche die Dienstprüfnngen noch nicht vollständig erstan-
den haben, so dass die Zahl derer, welche noch auf definitive Anstellung harren,
127 ist! Wie oben gesagt, kamen im vergangenen Jahre im ganzen 11 Stellen
znr Besetzung; rechnet man mit dieser Zahl, so wird es noch gegen 12 Jahre
danem, bis die schon vorhandenen Candidaten eine definitive AnsteOong er-
halten haben. Insbesondere aber nngfinstig liegen die Verhältnisse fBr die
Professoratscandidaten der niatheniatisch-natnrwissenschaftlichen Richtung, von
welchen nämlich 21) voll.'itänilig- f^ciirüfte und 15 mit abgelegtem theoretischen
Theil der Prüfung vorhanden sind; der Bedarf au diesen Lehrern ist im ver-
HoBseneii Jahre, der Bedarf an den Gymnasien mit eingeschlossen, 3 gewesm.
An 18 Orten bestanden Elementarschulen, welche Knaben znm Ein-
tritt in die Gplthrtrn- und Realschulen vorbereiten. Die Schülerzahl belief
sich auf 2484, was gegen das Vorjahr eine Abnalinie von 5() Schülern bedeutet.
Unter diesen sind 2101 evangelischer, 223 katholischer, 99 israelitischer, öSchüler
eigener Cenfession. Im Jahre 1889 kam eine Lehrstelle in Erledigung, welche
wieder definitiv besetat wurde. P.
Ans der Schweiz. Auch in der Schweiz wirft die L at einfrage immer
noch ihre \Vell> n in berufenen, engeren und weiteren Kreisen, besonders seit-
dem Professor Maurer-St. ü allen dieselbe in einer Beilage zum ofticiellen Pro-
gramm der St. Gallischen Caatonsschnle in objectiver, grfindiicher Weise nnd
mit dem Scharfblick des erliihrenen Philologen erörtert hat. Gewiss mit Recht
sagt dieser Gewährsmann n. .a.: „Die Forderung einer Rt/fonn des Gymna-
siums ist niclit eine Frucht des Materialismus, wie i»hilnlogische Kurzsichtig-
keit sich und anderen einreden möchte. — Die Frage der Reform wird sich
dämm drelwn, ob von don traditienellen LdirstsAti des Gymnasimii das €lier^
illissige und Schlechte getilgt werde nnter Beihehaltnng des Goten mid üner^
setzbaren, oder ob, der Anschaunng des Blldnngsphilisters entsprechend, die
Schale das P.essere über Bord werfe nnd das „classi.'-che Studium" beschranke
auf das Latein. Eines von diesen wird früher oder 8]iätHr gt^schehen: die Philo-
logen haben es, wenn sie eine besonnene Selbstverleugnung üben mögen, zum
gnten Theil in ihrer Hand, die Entwickeinng aom besseren Ziele gedeihen m
lassen." Im gleichen Sinne dir Entlastung von onnfttsem, altsprachlichem
Ballast nnd intensiverer Ptlege der modernen Sprachen nnd naturwissenschaft-
lichen Fächer an Gymnasien sprachen sich der Reihe nach auch andere ge-
wiegte Philologen und Schulmänner der Schweiz aus. Ein nicht uninteres-
santes Discossionsobject hatte auch die Yolksschnle in der Frage einer wirk-
lichen Abschaffung oder Reorganisation der Examen. Selbst politische
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Blätter nalmieu in letzter Zeit längere Artikel über dieses Thema in ilire
Spalten auf. Übereinstimmend wurde der "Wert der Scklusfiprüfangen als Binde-
mittel zwischen Hau und Sehlde, Lehrer and Behörden hervorgehohoiy gleich*
zeitig und mit besondeMm Xachdrack aber aach die Schattenseite derselben,
das verwerf lirlie I^ennen and Jagen des Lehrers nach dem fliichtig^en Glück
der momentanen ^ Ij-hrplan- Leist ung-en" betont. DU' Muehr der Pi-esse übte
Bchon jetzt ihren günstigen Eiutiuäs auf die Behürdeti, be^uiiders der Städte,
am, indeni mehrere derMlbMi alluAhlich absahMi von der Bearthdlnng einer
Schale und ihret Lehrers nach den Seheinresnltaten der SchalprüAuig ond dieee
selbst 80 organisiren, dass sie weit eher als früher die Wirksamkeit des Leh-
rers und den Stand seiner Schule darzustellen vermag.
Als ein wesentliclier Fortschritt ist z, B. der nun in mehreren Städten
eingeführte Usus zu betrachten, wonach Parallelelassen der Anstalt anch gleich-
seitig und mit ganz gtelchen Anfordoimgen ins EzamenUraer genommen wer-
den. Oft gibt man Schülerabtheilungen desselben Altei'S die nämlichen (gC-
dnn kten) Aufgaben fürs Ki chnen und die Sprache und nimmt in Geirenwart
von Eltern und Schulfreunden erst nachher eine blos mündliche PriUung in den
Hauptfächern ab.
Seit karzer Zeit wird In Basel der Boden zur Aussaat eines gesonden
Samenkornes Torbereitet, ans dem in wenig Jahren ein kriftiger, stattlicher
Baom erwachsen dfirfte: diese Stadt will auch ihr eigenes Lehrerseminar
— allerdings mit einer ziemlich originellen Organisation — gründen. Schon •
jahi'zehu telang bezog sie nämlich ihre Lehrer der Primär- und Secnndar-
Bcbnlen zum grSBten Theil ans anderen Cantonen. Die hohen Gehalte nnd
andere Vorzttge lockten beim Vacantwerden einer Lehrstelle stets eine aoiler-
gewöhnlich große Zahl von Anmeldnngen herbei, so dass man jeweilen dia
besten, bevvilhrtesten Kräfte auswählen konnte. Allein ein Nachtheil hiervon
lag in der Verschiedenartigkeit der Vorbildnnir siiniratlicher Lehrkräfte nnd
ein anderei' iu dem Umstand, dass junge Leute in Basel keine Gelegenheit zur
YorbOdong auf den Bemf des VolkssehnUehrers fiuden; andere Gantone be-
klagten sich, wenn ihnen die bewährtesten Lehrer entzogen worden. Offenbar
Vf rtritt die vorberathende Commission, an deren Spitze Herr Professor Dr. Hin-
kelin stellt, einen principiell richtigen Standpunkt, wenn sie fin ihrem Be-
richt an die Erziehungsdirectiuu; sagt: Ein Staatswesen, das so viel für die
Bildung seiner Einwohner thnt, anfier den Primär- und Secondarschnlen stark
besnchte Oberschnlen nnd eine wol ansgestattete nnd gut freqnentirte üni?er-
sitftt nebst gewerblichen Bildungsanstalten unterhält, darf nicht anderen die
Sorere für die Erzielinng seiner Jugendbildner übertragon. darf sich des bestim-
menden Einflusses auf die Ausbildung der zukünftigen Leiirer nicht entsohlagen.
Ba:>el steht es wol an, selbststäudig vorzugehen nnd eine mustergiltige Eiuhch-
tnng SQ treffen." — Als wesentllchai Unterschied wird die zokttnltlge Anstalt •
weder eine Verbindung von Seminar mit Cantonsschnle, noch ein Convict auf*
weisen. Sie soll die Trennung der allgemein wissenschaftlichen von der spe-
ciell beruflichen Bilduntr realisireu. Deslialb muss der zukünftige Pimarlehrer
eine obere Mittelschule (Kealschule oder Gymnasium) absoivirt und ein Keife-
zengnis von einer dieser Anstalten erlangt haben, aladami die ünlTenlttt be>
suchen nnd deren henroiragende geistige HUftmittel nnd Anregnngen zu Nntzen
ziehen. Denuach wird die eigentliche pldagoglsdie BUdong des Lehramtsean-
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didaten nicht der Hochschnle, sondern einem Lehreneminar zng^ewiesen, dessen
Cnrse zusammen nur drei Semester danern und das neben der UniversitMt lier-
gelit. — Mit Vergnügen erselien wir ans dem sclion entworfenen l.fhrplan,
dass bedeatendes Gewicht gelegt wird auf Methodik , Ethik , Scholgesundheits-
lehre, wie anf Prilparationen und Übangen.
Dan diese angidienden Lehrer im Zeichnen (an der Gewerheschnle), im
Singen und Violin^^picl (an der Musiksdinle), sowie im Tomen (im Lelirertum-
verein) anßerEpewöhnliclif r Begünstif^nng-en sich erfienen würden sreo^pnüber
eigentlichen „Seminaristen", und dass sie ül*r(lies nach eif^^eiit-r Xfiirnng nnd
Aaswahl Colle^ien an der Universität zu ihrem allgemein wi^äenscliaitlichea
nnd bomf lich-pralctlBchen Nntsen besuchen ItSnnten, ist selbstTerständlich. An ge-
eigneten Schnlclassen fHr Lehrttbnngen fehlt es nattirlich in Basel am aller-
wenigsten. Ein .Tahresbuderet von fiCKK) Francs wird bei einer Besoldung von
200 Francs jicr .Tahresstmule als ausreichend erklilrt, so dass also der Reaü-
Binmg eines stadtbasleriscben Lehrerseminars keine beachtenswerten Hinder-
nisse mehr gegenlborstehen, vmsoweniger, da dasselbe als eigenartiges In-
' sUtnt ohne ZweiM bald eine bedeutende Frequenz aus der Stadt und vom
Lande her erhalten dürfte. Hoffentlich wird dieses fortschrittliche Project
einer akademischen Bildune: der zukünftieren Volkserzielit r recht bald auch in
anderen Städten mit Hochsciiulen auftauchen und reali.sirt werden!
Pen Recrutcniiriifuii^'pu wird in allen bcrufent n Kreiscu und dank
der journalistischen Ausbeutung ihrer Resultate auch in den niedersten Schich-
ten der BevSlkoning die ihnen gebfirrade Beachtung gesdienltt, nnd damit nidit
nur f^Idee und Wort im Flug der Zeit ans Bftumliche gebunden* sei, sollen
die schriftlichen Arbeiten der Recmtenprüfungen abwechselungsweise von fünf
zu fünf Jahrgängen bei den scliweizeiischen permanenten SchnlanBStellnngen
in Zürich und Bern dcj/nniit werden.
Die Actien der Bildung, welche die Akademiker an schweizerischen Uni-
versitäten holen, scheinen immer noch steigen zu wollen, indem nijcht nur die
neue üniverdtftt in Freibnrg^ sehr gut frequentirt ist, sondern auch di^enigen
in Basel, Bern, Genf, Zürich 1889 bedentend höhere Besnchszifft i n (409, 568,
563 nnd 507) aufweisen, als vor zwei Jahren (165, 282, 155, '624).
Auf dem Gebiete der Turnkunst herrscht reges, freies I.eben. Niclit
nur gedeihen die Lehrertnrnvereine der Städte (Basel, Zürich, St. Gallen etc.)
vorzfiglich; auch in den Landbezirken regt sich die Lust zur erfolgreichen
Pflege der auf EOrper nnd Geist so wolthätig einwirkenden Kunst, und in
mehreren Gantonen wurden seit dem Frftbjahre Turneurse abgehalten an
Gunsten des militärischen Vomnterrichtes sowol , als auch zur Beförderung
rationellerer Körperj'flege bei Lernenden nnd Lehrenden. Das.s dabei dem
Mädchenturnen weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als früher, ist eine
erfreuliche Thatsache, die sich auch in einer neu erscheinenden Fachzeitschrift,
der ^Mmiatsseluift ffirs Schulturnen", redigirt von Bieus und Bollinger — Auer
und Glatz in T^asel — bestätigt. Selbst die politischen BIfttter, wie s. B. die
Nene Züricher Zeitung und die Baseler Nachrichten, halten ihre Leser an con-
rant über die Fort^schritte des rationellen, praktischen Schul- nnd Frauentur-
nens und treif liehe Lehrbücher, welche das praktische Leben, also insbesondere
die Hausgymnastik berttcksichtigen , wie x. B. dasjenige von Dr. E. Anger-
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Rtoin und G. iv kler (Berlin. Th. Chr. Fr. Enalia) fiodMi in nnserein Lande je
lüuger, je inohr \'erbrcitiing.
Feiner entwickelt sich auch aaf wissenschaftlichen Gebieten efiM
leltene B^rBunkelt ond StrebiamMt; m beraeben die Lebrer der üniver-
•itätsstädte meistens recht zahlreich die akademischen Vorträge, imd
während sidi diejenigen auf dem Lande in Specialconferenzen und freien Za-
sammenkünlten fortbilden, hören ihre Collegen in kleinen Städten da und dort
einen Cyklos wissenschaftlicher Vorträge. So z, B. lassen sich in St. Gallen
ca. 80 Lehrerinnen und Lehrer von einem praküseh erfbbnnen nnd wiisen-
fldhaftlioh asf der Höhe stehenden Aizt (Herrn Dr. Fenrer) in die Ar die
Schule so wichtige Anatomie einführen, was nm so wertvoller ist, da z. B. die
Somatolog-ie an vielen Seminarien immer noch blos stiefmütterlich behandelt
wird. Der Leetor versteht es in vorzüglicher Weise, bei seinen Zuhörern das
Literesse am inneren Bau des menschlichen Körpers zu wecken, zu fördern nnd
sn krSftigai dnreh Hinweis anf die Anfordemnf«! der Gesundheitspflege an
die moderne Schule. Beachtenswert erscheint hier wol das Urtheil desselben,
nach welchem die Schule zwar z. B. die Scoliose i Rü(^kg:ratsverkrämmnng) be-
fördern kann, nie aber unbedingt und allein schuld ist an derselben.
Der Handfertigkeitsunterricht wird je liiuger je mehr gepflegt.
Für die Zeit Tom 20. Joli bis 15. Angnst findet hi Basel wieder ein Cnnos
statt» der ▼oranasichtUch sehr aablreicb besucht sein wird.
In Zfirich, Bern etc. finden die sehr beachtenswerten Ideen Herrn. Mol-
kenboors in Bonn a. Uh.*l allmählich mehr Anklang, nnd obwol die Zahl der
Adhärenten auch hier noch niinim(17) ist, werden jene d(»ch den fruchtbarsten
Boden finden, sobald sie einmal noch mehr in Fluss gekommen and die Adhft>
raiten aller LSnder, gut oiiganisirt, Holtke's neuesten AnsspTnch im deutschen
Beicfastag: „Die Völker und nicht die Fürsten machen die Kriege" beherzigent
nnd Tiwar als Lehrer der .Timi'nd. also besonders im Geschichts- und geogra-
phischen Unterrichte die Friedensidee und den allgemeineni internationalen
Patriotismus hochhalten.
Offenbar ist auch das anf den 27. bis 29. September festgesetzte schwei-
sttische Lehrerfest bemfBn, weitere, und zwar tonangebende Krftfte für die
gute Sache zu gewinnen, besonders dann, wenn die Discussionen der zwei znr
Behandlung kommenden Hauptthemata Scliuldisciplin und .\b8chlnss der Volks-
schulbildnng, resp. Anschlus.s des Lehrplans höherer Schulen an deigeuigen
der Vdksschnleo) nicht allzuviel Zeit absorbiren.
Gegenwärtig InAnselt ein allmählich immer stirker werdend«* Wind der
Keaction die sonst so mhige Obei^äche des Schullebens; seine nrsprUngliche
Richtung ist nicht leicht 7.n eiraitteln, da es auf die außergewöhnliche Kednc-
tion der Schulstunden nnd auf die gänzliche Verbannung der Hausaufgaben
abgesehen ist. Weil man wirklich — vielleicht da und dort auch in bester
Treue — yM. sündigt anf diesem Gebiete, wird oline ZweiÜBl der Sturm'
anch in sehul- nnd Ichrerfrenndlichen Kreisen nicht ansbleiben nnd manche ab-
solnt nothwendige Schulstunde mit der unnothigen wegfegen. Es ist indessen
^ erfreuliches Zeichen nnd ein gutes Omen, dase gerade berufene Oigane nnd
*) Vcrgl. Psedagogium Nr. 9, 1881, betitelt: „Ein bleibender, intcruatioaaler
EisishniigBntk.*'
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Persönlicbkeiten sich der Frag^ bemächtigen und ihr zur rechten Zeit ein ent-
schiedenes Halt zu bieten versprechen. So brinert die „Neue Züricher Zeitunpp"
einen gewappneten Artikel gegen die Überbürdung, und in der fdr weitere Um-
kreise jeweilen demlidi maßgebenden Schnlsynode ZHricha gab Herr Dr. Stadler
der Bednotion dee UnterriditBttofliBs Im allgemeinen und im besonderen im
Lehrerinnenseminar in beredtester Weise Aosdmek^ Dagegen betonte er die
Nothwendigkeit einer besseren I3em£ibildting bis nun Anstritt ans dem Seminar.
Ans der Fachpresse.
336. Ans dem Heimatlande Pestaloszi's (R. Dietrich, POd. Zeitnng
1890, 23). Die Entwickelnngsgeschichte der Volksscbnle. Beginn in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhnnderts, Verdienste der „helvetischen Gesell-
schaff — Leistungen des Einheitsstaates (helvetische Republik, 1798i durch
den Minister Stapfer (auch thatkrUftige Unterstiit^nng Pestalozzi's) — canto-
aale Bestrebungen 1803 bis 1815 — Fortschritt nnd.A]ibmch der neuen Zeit
1830: Seiinle als Staatsanstalt (Zttrieber SemiBardireefeer Thonai SdMir) —
seit 1874 Betbeilignng des Bundes an der Entwickelnng des Schnlwesens
(Recrutonprüfnn^cn , Turnunterricht. Fabrikgesetz, Unterstüt/nnp der gewerb-
lichen und landwirtschaftlichen Bildongsanstalten, der Schulmuseen und ge-
wisser literarischer Arbeiten).
337. Die Ansichten Diesterwegs über den Lehrerstand (Schles.
Schulz. 1890, 15)t folgendermaßen zusammengestellt: Ansehen, der Wichtig»
keit des Berufs entsprechend — Freiheit hinsiclitlich der Methode und der
Öchulver«'altungr — uneingeschrilnkte Ausübung der 8taat^;bürgerliclien Hechte
— ausreichendes Gehalt — gründliche, die Anforderungen des Lebens berück-
sichtigende Vorbildong — der Lehrer sei ein Cänlit, ein täubet Charakter,
sndie sieh den Idealismus zu erhalten, strebe nach Fortbildung, sei im -Amte
kein Parteimann — Nothwendigkeit freier Lehrervereinigungen.
H.SH, Dor Beruf CR. DietrirJi, (Vsterr. Schnlbotp 1M90, VI). Jnlrr Mensch
hat zwei IKrufe: einen besonderen („Brotberuf", der dem Einzelnen zum Unter-
haltserwerbe dient, „Haupt- und Nebenberuf im gewöhnlichen Sinne) und
cAnen allgemein«! (den alle erfUlen sollen, der dem Allgemeinen, GroBen,
Oanien, der Welt, dem Menschenthnme, der Menschlichkeit gilt) — oder:
einen realen und einen idealen. „Ist der besondere Beruf ein erwählter, so
ist der allgemeine ein für alle Zeiten und alle Personen sittenfj:e.setzlich be-
stimmter — ein ererbter, wenn man will. Übrigens verhält sich der reale
Beruf zum idealen wie das IQttel zum Ziveek. Letzterer muss in ertterem
Anknüpftmgspnnkte sudien und finden. Jeimi Hht der Fachmann ans, diesen
der Mann als solcher. — Gewisse Berufe (Künste) sind reich an Anknüpfungs-
punkten für den allgemeinen Beruf, wiUnvnd solche anderen fFabrikarbeit)
gänzlich zu fehlen scheinen: wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefor-
dert. — Auch der Lehrerberuf ist ein realer. Hört man ihn jemals so nennen?
Bezeichnet man ihn nicht vielmehr als einen idealeUt erhabenen, heiligen? Das
ist eben das Eigenthümliche, das ist allerdings das Außerordentliche an unserem
Berufe, dass er den besonderen und den allgemeinen in sieh verpiniert, das« er
seinem Wesen nach leal und ideal znjrleieh ist wie kein anderer und deshalb
als der edelste menschliche B^ruf anerkannt werden muss/
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Uteratar.
Dr. Volkmer. Johann Tg:naz von FplTiicer nnd seine Scliulreform. — Ein
Beitrag zur Geschichte der Pädagogik des 18. Jahrhunderts. 96 S. Habel-
schwerdt 1890. Verlag von J. Franke's Buchhandlung.
Vorliegend« Schrift, wenn audi keine < n legcnheitsschrift im engeren Sinne
des Worte«, verdankt ihr Entstehen der hundertjährigen Todesfeier Felbigers,
welche bt kanuilich vor zwei .Jahren stuttgetiiuden hat. Der Verlasser findet,
„dn.s8 bi8 jetzt eine besondere und einigermaßen ansfttbrlirhe Darstellung des
Lebens und Wirkens dieses Mannes in der pädagogischen Literatur nicht vor-
handen ist/ und sein Zweck ist, einen Beitrag zu liefern zur Behebung des
in dieser That-^siche enthaltenen Mangels.
Eine ansehnliche Zahl von Schriften werden als QueUen angeführt, und an
der Hand derselben ninimt die DamteUnng des Lebens vnd der* Thfttiriseit
Felbigers einen reeht anziehenden Lauf. Wir wollen und ki'mnen hier auf aUe
Einzelheiten nicht eingehen, heben nur einige, vielleicht nicht allgemein be-
kannte Thatsachen hervor. So b. B., dass Felbiger zu seiner Schvlrefbrm
eigentlich durch den Umstand bewogon wurde, dass die katholischen Kinder
die evangelischen Schulen, weä diese besser waren, besuchten (S. 9); dass Fcl-
Wgers Souiften die AttfinerkMiinkeit seiner Landenegiemng (Schlesiens) eigent-
lich ilurcli den Unnveg Uber Berlin, also durch eine evangelisclie Empfehlung
auf sich gezogou haben (S. 19). Ausführlich wurden wir Jahr tiir Jahr über
die Lebennchicksale nnd Thaten des ehrenwerten Refennators informirt nnd
lernen den edlen Sinn, den unerniildlichen Fleiß, das organisatorische Talent
demselben immer mehr und mehr schätzen. Es ist bekannt, da.«s aich seine
Thätigkcit hauptsächlich auf die Volki^scbulc concentrirte; alle Verordnungen
und Pläne, die er mit Be/ug auf dic'^e Anstalten erließ, wenli n kurz, -^kiz/irt,
nnd alle seine Schritten ihrem hauptMäohliehen fuhalte naeh ebenfalls kurz ge-
kennzeichnet. — Sehr interessant nnd lehrrciclt ist auch die Sehilderung der
östorreirhisclieu Interessen gewidmeten Thiititjkeit. unter anderem z. B. die
Statistik der >chulen bei seiner Ankunft und nach seinem Abtreten vom Schau-
platze der Thätigkcit.
Um die Darstellung kurz zu beurtheilen, so heben wir hervor, dass der Ver-
fasser wol voll Lobes filr die Verdienste Felbigers ist, aber auch die S >hattcn-
seitcn seiner Methode nicht übersieht. Er fasst die vier Vortheile derselben
in „das Zusammenunterrichten, das Katechisiren, die Buchstabenmethode und
das Tabellarisiren" fS. 42) zusammen, erwähnt aber öfters die Schiefheiten,
die bei der Anwendung dieser Methode besonders bei nachlässisferen Lehrern
entstehen. Auch die Charakteristik Felbigers als Menschen ersdifllst uns ge-
recht und nnbefangen, nnd indem er avsffllnrt: „Die vidseitige Bewunderung,
die ihm (nämlich Kelhiger) gezollt wurde, verleitet, ihn leider zu mancher
Eigenmächtigkeit. Er vertrug allmählich keinen Widert^pruch mehr und dul-
dete eigenen Wfflen bei anderen nmsoweniger, je mehr er selbst davon besaS**,
S. 76, gibt er auch den S(hinssel zur Erklärung der letzten Jahre von Ft 1-
bigcrs Thätigkcit. Durch diese Eigenschaft zog sich Felbiger die Feindschaft
vieler zu; Joseph, der Sohn M. Tlmesia^s, hatte schon als Hitregent entschie-
dene Abneigung gegen ihn, auch deshalb, weil er ein Ordenspriesicr war, und
so geschah es (wie dies in der Schrift noch aui^fiihrlicher dargelegt wird), dass
er «einer gllnzcndea Stelle enthoben nnd nach Presshuig geschidct wnide. —
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Rühmend höht der Vorfassor Felbigers milden Sinn in Bczuc; auf die confe»-
sionellen Strcitigfkcitcn hervor, weshalb er TOD seinen Glaubeusecouäüeu üttcra
und heftig angetrriffen wurde, ja, wie der Verfi^er zeigt, aa<^ heute ooch an-
gierriffen wird; und der Hinweis auf einige Verdienste um das praktische
Leben und auf seine Pflege der Naturwissenschaften ergänzt in willkommener
Weise die Reibe seiner Verdienste.
Tioti alledem ist die ächrift keine eigentliche wissenschaftliche Monographie.
Der VerfiMser gibt Uber die Benutzung seiner Quellen keine Aaslouift, ge-
schweige einen Bericht über dieselben i besonders über die handschriftliche Vita
von Leipelt hiltte er's thon sollea), aach ist dieEntwickelnn;; der f elbigenchea
Amehaniingeii und die auf dendben «ailirebmten Thäti^keit sebr lenlieBeiid
pc/f'ichnet, ebenso vermisst man ungern in einer ähnlichen Schrift eine biblio-
graphisohe Zusammenstellung, wenn eine solcho auch anderswo bereits er-
aehfeneii wixe.
Es mag aber sein, dass Vcrfa.'^ser mehr eine popnliir^ Sehrift im Auge hatte,
ohne die Ansprüche, diu eine wissen^aftUche Behandlungswcii^e stellt, und
wenn dtfls der Fall ist, gesteh«! wir getn, daw die kleine Sdirift, getragen
von einer lebhaften Betreisterung für den verdienstreichen Schulorganisator,
sehr gec^ignct ist, zur Würdigung seiner Thätigkeit und zur Wcekung dcd
seiner Persou gcbflienden Interesses recht viel beizutreges, weshalb dieselbe
auch hiermit bestens empfohlen wird. „Der Reinertrag wird als Zu-
schusH zu den Kosten der Errichtung eines Felbiger-Denkmuis
verwendet." J, K.
Dr. med. Paul Srhuhert, Augenarzt in Nflinberg. Über Heftlage und Sehiift-
richtung. Hamburg und Leipzig 1890.
Emanuel Bayr, Schulleiter iu Wien. Steile Lateiuschrift. Wien 1890. •
Eine Frage, welche immer dringender an die Schule hemntritt, ist die, wie
der Kurzsichtigkeit und der .schlechten Körperhaltung der Schulkinder, welch
letztere mituutcr zu Kttckgratüvcrkrümmuugen fiUirt, vorzubuugeu sei. Zur
Lösung derselben wurde zunBchst eine richtig conitrnirte Schulbank
gefordert. Seit einem Viertcljuhrhundert ist die Literiitiir darüber lawinen-
artig angeschwollen. Schulmänner und Ärzte, Handwerker und Techniker
wetteiferten iu der Erfindung von zweckmäßigen „Subsellien". In neuester
Zeit wurde die Aiifmcrk.sanikeit der Heftlage und Sehriftrichtunir zu-
gewendet, weil mau l'rsiichc zu der Annahme fand, diws durch die schiefe Lage
der Schreibhefte und die daraus hervorgeiu ndc rcebtsschiefe Lage der Schrirt-
zeiehen die schlechte Haltung der SchüU r veranlasst sei. Man stellte deshalb
die Forderung, dass statt der rechtüliegenden eine Steilschrift einzuführen und
demL^ciniii) eine gerade Hittenlage des Heft« > > in/uiiLilteu sei. Es gebürt das
Verdienst, diese Forderung zuerst (1880) aulj^cstelit uud begründet zu haben,
dem Augenarzte Dr. med. Paul Schubort in Nürnberg. Zunächst waren es
Arzte (Mayer, Schenk. Kocher etc.), welche in mcdicinischen Zeitschriften diese
Frage mit Hilfe wissenschaftlicher, physiologischer Untersuchungen itaten und
darlegten, da.<(s tbatsachlich die schiefe Loge des Heftes nnd der Sehrift die her*
vcrgehobenen Übelstände im Gefolge li;ibc. Insbc-i tuli re Imt Schubert in (träfe's
Archiv, 32. Jahrg. 1886 und zuletzt, 188^, iu Xotelmanns Zeitschrift filr
Schttlgemindheitspticge in streng wissenschaftlicher Weise die Bereditigung
.seiner Forderuiitren begründet: Ein erweiterter Abdruck der bei Kotelmann er-
schienenen Abhandlung ist die oben angeführte Broschüre. Aus derselben kann
deijenige, welcher die Frage der Steilschrift nicht oherillehUeh sn beurtheüen,
wie dies einzelne §«hulniänner in Jisterreichischen Zeitschriften thaten, .^'ondeni
gründlich zu studiren unternimmt, die streng wisseuschattlicheu Grundlagen
der neuen Sehreibmethode ersehen, denen dureh das Hemrhehen (ter geSnderten
Eit^en-ichaften unserer Federn und der infolge der Stahlfedern entstandenen
(.icwöhuiingen nicht beizukommen ist. Er ündet daselbst auch ein Verzeichnis
der wichtigsten iu dieser Fnige seit dem Jiüne 1870 enohienm, anneist medi-
cinischen Werke un<i Abhandlungen.
Es kounte nicht Ichieu, da^s auch ächulmanucr dieser für das physische
Gedeihen der Jugoid wichtigen Frage ihre Aufmerksamkeit mwaadten. Unter
Pcdacogiu. lt. Jabig. Heft ZL 68
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^esea ist Prot.Daibec in Stuttgart herronuhebon, weldier in soinsa Schtiften
^Di6 Körperhaltnng vstA Sdnile^, 1881, mä „Die flehnfb- und KSTperitaltinif^-
nage", 1889) auf < !rund lancjähriger Erfahrungen in der Schulpraxis für die
Mskredite Sclirü't bei gerader Winkeltage des Heftes eintrat, liua folgte der
Wiener Sohnlmann Bmannel Bnjt mit obigem Werke, in weldtem die Lite-
ratur über diese Frage vervollständigt und die bisher zu Gunsten der Steil-
flchrift angeführten Argumente durch HerbeiBiehunff reicher eigener Erfah-
rungen und nener Outaäiten naneaf^di ym eeiten aee Wiener Anatomie-Pio-
fessdrs Dr. K. ToMt erweitert erscheinen. Herr Bavr hat in der von ihm i^c-
I leiteten Schule berate die Steilschrift einffeftUurt, und es zeigt sich, wie der
ünteizeichncte aua der auf Angenidiein oemhenden ÜberEeugung beskfttigen
kaam, das« bei dieser Schritt- iiml Heftlage die Kinder gerade sitzon, sifh nicht
VWbeagen und auch die Brust nicht an den Rand der Bank andrücken. Zu-
gleicfa eiBcheint die Steilscbrift gefälliger als die schiefliegende, weil bei letz-
terer es den Kindern mehr Schwierigkeiten bereitet, den Paralleli.'smus der
einzelnen Schatten- und Haarstriche einzuhalten, als bei der senkrechten ächrift.
Auch zeigt die Eri'ahnmg, dass bei den meisten Kindern die Schattenstriche
nicht senkrecht, sondern vielmehr links srhicf erscheinen, so dass sie mit d*Mii
Haarstriche und der Linie gleichseitige Dreiecke bilden, deren Scheitelpunkte
■enkrecht Uber der Linie zu liegen kommen. Pien* ilun h die Erfahrung sich
eigebende Moment verdient noch eine genauere Beobachtung und Untersuchung.
Bin bisher noch nicht hervorgehobenes Argument zu Gunsten der Steilschrift
mag auch der Hinweis auf die Thatsache bieten, da^s in Enorland die Kurz-
•ichtigkeit so selten ist, dass man einen Mann, der Brillen trägt, sofort als
Deutschen bezeichnen zu können glaubt, und dass die Engländer fast durchwegs,
so weit meint) Erfahrung reicllt, eine eenkieehte oder nach links sicli neitreiäe
Handschrift schreiben. L>r. E. Hannak.
Des Pädagogen Traum. Festsjjiel von I'aul Risch, Musik von Paul Ziegler.
Aufgefühlt am 28. Mai 1890 bei der Diesterweg-Feier des \ III. deutschen
Lehrertages im Saale der FMlIiarmoBie m Berlin.
Die im Titel erwähnte Aufführung fand ungetheilten Beifall um! weckte in
vielen Hörem den Wunsch, das Werk allgemein zugänglich gemacht zu sehen.
Dies Teranlasste den Ortaanssdrass dee VIII. denteeben Lebrertages, einen
Claviorauszug der Coniposition zu veranstalten, welcher zum Preise v>»n 4 Mark
bei Herrn Kosenberg in Berlin SW., Qroßbeerenstrafe 56b, zu bezichen ist.
Ihunit das Festqiiel ancli in kleinerem Rahmen cur AnfftUming gebraelit
werden könne, ist der davierauszu;? mit den nöthigcn Angaben wichtiger
Orchestereins&tze versehen und so auch als Partitur verwendbar. Die Orcbester-
atimmen ist der Componist bereit zum Selbstkostenpreiie zu liefern. Die Zu-
sendung des Textes allein erfolgt gegen Einsendung Ton 90 Pfennig in
Briefmarken.
Allgemein emplelilenswert, besonders aber für Frieiliehkeiten ni Bbren
Diesterwegs ein nöchst schätzenswerter Beitrag.
Christian Harms, Zwei Abhandlungen über den Hechennnterriclit. 72 S.
Oldenburg 1889, G. Stalling. 80 Pf.
Der Verfasser, dessen viel Terbreitete Lehrbttcher sich eines sehr guten Rufes
erfreuen, darf wol unsere gespannte Aufmerksamkeit er>varten. wenn er uns
seine didaktischen Ansichten mittheilt Die erste Abhandlung über das
Rechnen mit Kahlen tou 1 bis 100 iHrd in vier »Stufen gcglie<lert, ntmlidi
in das Pu-clui- ri in den Zahlenkreisen ö, 10. 20 und 100. Der Verfasser er-
klärt sich gegen die Methode von Grube und will die alte, bewährt« Methode
gegen Orube in Scbuts ndunen. Es will uns aber fiut sdieinen, dass sieb der
Verfasser d:ibei eine nimrithiire AntVabe gestellt hat; zu einem vollständigen
Siege, das wäre die Betrachtuug jeder einzelnen Zahl bis 100 als Zahl-
InfflTidnnnif hat es ja Grube's HetMde ohnehin nieht gebracht, und ün Gebiete
von 10 bis 20 lässt ja der Verfasser selbst dieser Methode thats&chliche An-
erkennung widerfahren, während endlich ihr Wert fUr den Zahlenkreis unter
10 immenin als eine offene FMge au betraditen ist — Als Ldirbdulf
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empfiehlt der Verfasser sein Rechenbrett o<ler Quuilratnetz; wir ziehen einem
mit Stiften oder farbigen Punkten veRjeheneu Netze die russische Kugelreehen-
mascbine wegen ihrer größeren Bewegliehkcit jedenfalls vor. So Icäco 5vir
«. B. die Behauptung, 6 sei leichter ah 2 mal 3, denn als 3 mal 2 zu erfassen,
wir meinen aber, dass mit Hilfe der Kugelrecheumaschiue, wenn man 2 Kugeln
auf je 3 Stäben, oder 3 Kugeln aitf je 8 StibMi abeondert, beiie Vocrtellvngen
gleich leicht xu erfassen sind.
Eine Tiel "wEnncre Zustimmung als der ersten Abhandlung rorniögeu wir
dir zweiten über Rechenunterricht und Rechonbiicber zu widmen.
Hier schreibt sich der Verfasser das Verdienst zu, die Lehre von den Vechält-
niflsen und Proportionen als dner der ernten ans der Volksschule entfernt zu
haben, ü-o.-^teht jedorb zu, dass dies überhaupt nur in eiuer „fjewohnlii ben"
Schule uiüglich sei, uud eine -hühere** Schale der Proportionen nicht entrathen
ItBinie, womit wir durchaus «mrerstandeii sind. Oenan genommen steht aber
die eben gemachte AusfiÜining des Verfassers mit der folgenden im ^Vider•
Spruche, in welcher er nämlich sagt, dass es ja keine verschiedene Ket-hen-
kunde Ar niedere und hiAeve Schalen geben kSnne, sondern dass für beide,
wie fiir die Kinder übrrbaupt nach Goethe's Wort das beste nur gut Kcnuq; i>T,
Höeh'^t wichtig scheiut auch die Erkenntnis: „Nicht darauf ist das Haupt-
gewicht zu legen, ob die Schale ein- oder mehrclassig sei, sondern duauf, dass
ein tüchtiger, treuer Lehrer an ihr wirke unter nicht allzu ungünstigen Ver-
hältnissen, was Schulbeiäucb der Kiuder und Bilduuirs- und Vennögeui- tand der
Eltern betrifft." Dies stimmt wol mit unserer ott wiederholten Bemerkunfi^,
dass nicht dat» Lehrbuch, sondern der Lehrer das be<lcutendste Agens der Schule
sei, und zwar noch viel mehr für Volks- als für hühere Schulen.
Wenn der Verfasser endlich hervorhebt, dass er den Erfolg seiner LehrbBehw
hauptji&chlicb dem T'^mstande zuschreibt, dass er in denselben „Wissenschaft
und Leben möglichst gleichmäßig berücksichtigt" habe, so kann mau dieser
Äußerung nur zustinunen und wünschen, divss die didaktischen Überzeugungen
des Verfassers diehclbe Verbreitung tiiulen mügen wie seine Leiirbüeher. H. E.
a. Zaber, MittelschalleUrer in Ludwigsborg, Das Öpeciesreclinen und der
Brnehasts. LehilHidi so ntioiiAller Behandlnng de« BeehenimterrichtM in
den Oberdassen der Volks- und lüttelBcholen. Stattgart 1889, Bonz. Lehrer-
Ausgabe. lOß S. 2 Mk. 40 Pf. .Schiiler-Atisgabe. 52 S. 45 Pf.
Der Verfasser ^eht von der häufig zu machenden Erfahrung aus, dass Per-
sonen, welche keine Gewandtheit im Bedmen besitzen, sich der ZerflUlangs-
ni-.thcde Oller welsiben Praktik bedienen; das heißt, da sie die Rechnung in
ihrer Uesammtheit nicht zu übersehen TCnnOgen, so nehmen sie die uothwea-
digen Operationen im einseinen nnd nacheinander Tor. Die Auflösung jeder
Proiiortioii besteht in der Ausfühning einer Multipllcation und eimr IMvision;
die Auleiuauderlblge dieser Rechnungsarten kann nach Belieben geändert
werden und mnss nothwendigerweise f^ndert werden, wenn man nm das auf
die Eiuheit Entfallende fragt. Diesen Vorgang belolirt der Verfasser für Auf-
lösung der Proportion und leitet seineu Uuierricht sehr zweckmäßig durch
einen Abschnitt über den „Zweisatz" ein; unter Zwei.satz wird verstanden,
diiss eines der vier (ilicder der Proportion der Einheit gleich sei, wodurch dann
natürlich die Auflösung derselben nur in einer Multiplicatiun oder nur in einer
Division besteht. Der zweite Abschnitt handelt vom Dreisatz, welcher bei
gerade proportionirtcn rjrößen zu seiner Durchführung zuerst eine Pivision,
sodann eine Multiplication erfordert; bei verkehrt proportionirtcn (irößcn geht
die Multiplicatiun vorher uud die Division folgt. Im dritten Abschnitt werden
verschiedene Aufgaben de- tiiirgerlicben Rechnens hauptsächlich nach den t^irund-
sätzen der welschcu Praktik gelöst; in gleicher Weise wird im vierten Ab-
schnitt der Vielsatz behaaddt, wobei jedodi der Gang der Rechnung — wie
es kaum anders sein kann — ein schleppender wird; bündiger und daher zweck-
mäßiger zeigt sich im fünften und sechsten Abschnitt die Anwendung der
Grundsätze der welschen Praktik auf die Procent- und Zinsrechnung. Im
siebenten Abschnitt lässt der Verfasser die Aufgaben des zweiten und dritten
Abschnittes nach der Bruchsatzform lösen, was tttr die Aufgaben des Vielsatzea
6S»
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unbedingt eiulaciier i^t. Der achte Abschnitt endlich enthält Au^abeu Uber
Rftchen- und Vohnnsbaeehiraiig«!!.
Außer (lein ^lüeklichen Gedanken, wolflur den Terfa.sper bei Entwerfimg
und Ablassung des ganzen Buches leitete, finden wir in demselben noch viele
didaktinli hOeInt muidibtire Whike, m »m Bebpiel die Bemerirong, dnai
es zweckmäßig sei, das Ercrebnis einer schriftlich zn lösenden Aufgabe im vor-
hinein schätzen zu las.sen, ferner die Angtibe über die Aiizühl von Decimal»
stellen, welehe je nach der Sortenbeneunung berechnet werden mttnen.
Im Lehrerhefte findet man außer den didaktischon Bemerkune-on nnd den
Anleitungen für Lösung der Aufgaben, deren Anzahl gewiss tausend übersteigt,
auch noch die Antworten. Im SchfUerhefte Undet man nur die Daten tir
640 AutViiben, so daM also eine grttoe Anzahl derselben sich mir im Lehrar-
hefte alKin findet .
Die alltüiirliche ESrfiAmng von der Weise dei Itechnens nageBbt« Rechner
konnte jedermann machen, diese Erfahning aber ilidaktisch zu verwerten, ist
ein geuiahr (ledunki', welcher nicht nur alle Anerkennung verdient, sondern
aueli volle B<'achtung zum Zwecke der Verw* nunt; ;in ullen Volks-, Bürger-
und Mittelschulen, deren Anforderangen die vorliegende Sammlnng vollständig
genügt. H. E.
Verd. Heuer, Beditnbiicli für mehrdassige Sdinlen nnd für 1 bis Sclassige
Volksschulen. 1. Theil: Zahlengebiet bis 10(). Bearbeitet von K. H. L.
Magnus. Seminarlehrer in Wunstorf. Lehrerbeft, Ausgabe A und B. 199 S,
Hannover 1890, Karl Meyer. 1 Mk. 60 Pf."
Wir hatten in diesen BISttem schon biuflg Gelegenheit, die Lebr> tmd
Übungsbileher von Heu« r. welch» in ihrer Bearbeituntr durch Magnus ihren
guten Huf bewahrt, wenn nicht verbessert haben, empfehlend zu besprechen.
In der vorliegenden Ausgabe war der Verfiimer gleiehnuls bemtlbt, das in der
früheren Bearbeituntr überflüssig Gewordene auszuscheiden, obwol er, von d^r
Überzeugung ausgehend, dass nur eine große Sicherheit und Schlagfertigkeit
des Becnnens im Zahlenkrell bis 100 sv einem gedeihlichen Arbeiten anf
höherer Stufe führen könne, nndi einen sehr reichlichen T'hiinrrsstofr rrehoten
hat. l>ie erste Stufe des Rechnens im Zahlenkreise bis 10 unila:^.it 54 Seiten,
beinahe ebenso viel die Erweitening des Zahlenkreises bis 20, während
die zweite Hälfte des Bnelies d'u ('hnnrren im Zahlenkreise bis 100 ge-
widmet ist. Wir stimmen den\ Verfaaaier vollkommen bei in Bezug auf die
Wichtigkeit der gründliehen l>urcharbeitung der niederen Zahlenkreise, beson-
ders jenes bis 20: wir sind überzeugt von der Noth wendigkeit, dem Lehrer
in diesem (iebiete ein rciebes Übungsmaterial zur Verfütriin<r /u stellen. Der
Verfasser lässt es nicht fehlen an pädagogischen Winken iiWrr Voriihnng, Ver-
ansehanlii luinir, Verknüpfung, Einübung und Anwendung de- l.«'hrstoflfes nebst
mehrlachen Winken über die Verwendung seiner Kechonmaschine und seiner
ÜhuuL^stafelu. Die Beatdnmg swischcu Lehrer- und .Sehülerheft ist durch
üb«?reinstinimende Numerimng hergestellt. Die ansehnliche Verbreitung der
Bechenbücher von Heuer-Magnus ist eine wolbegrilndete, und können wir nicht
nmbin, das liier besprochene bestens an empfehlen. H. B.
Vwmntwoitl. Kedaetenr l>r. Friedrieb Ditte*. Bneladnickerei Julia« Klinkhärdt^ Lcipcif.
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Zorn fiedScktnis Adolf Diesterwegs.
Gesproebcn auf der drittes YoümwMiniilnng dee dentsdi^steReiefaieelieB
LehTerbimdee am 8. August 1890 in Saas.
Fo» J>r, rrUOrieh IHttesi
seine HanptTenamnilimg hielt, war er genOthigt, gegen einige Männer
SteUimg zu nehmen, welche mit EntwflrfBD zoin ümBturz nnserar Schul-
ordnung hervorgetreten waren. Nun sind sie still geworden, diese
Jttnner, und fiber ihre £ntwflr£s wichst Gras. Das Werk hoeh-
sinniger Ideen hat sich stftrker gezeigt als das Schanzzeug egoisti-
scher Interessen. Alle Ansdiläge der Thorhdt nnd Selbstsncht anf
das Leben der Ödster bergen in sich den Keim der SeLbstzerstOrnng,
nnd wer ihnen nacigagt, der reitet zum Tode. Bascher als er ge-
dacht, ist seine TJhr abgelaufen, nnd bald gleitet sein Name hhiab in
jenes stamme Schattenreich, dessen Eingangsthor die Inschrift trftgt:
„Versunken und yergessenl*'
Heute, geehrte Versammlung, wollen Sie vor allem einen Mann
feiern, welcher zum Aufbau der modernen Volksschule meisterhafte
Pläne entworfen und vorzügliches Material geliefert hat. Eüi Jahr-
hundert ist verflossen, seit Adolf Diesterweg ins Dasein trat, fast
ein Vierteljahrhundert, seit er von hinnen schied; aber sein Geist
lebt fort in voller Kraft, seine Ideen beleuchten nach wie vor die Bahnen
der Volkserziehung, und sein Vorbild wirkt wie ehedem stärkend und
erhebend auf jedes treue Lehrerherz. Noch ans seinem Grabe erschallt
seine berathende und ermuthigende Stimme durch alle Lande, soweit die
deutsche Zunge klingt, insbesondere auch durch die deutschen Gaue Öster-
reichs, wo sie den Lehreni und Freunden der Schule zuruft: Schart
euch in festgeschlossenen Reihen um euer rechtmäßif^ps und rulirn-
würdiges Baiiner mit dem glänzenden Datum vom 14. Mai 18(39, um
(las Banner, in dessen sinnvollen Denksprüchen ihr die Schrift züge
unvergesslirlipr Patrioten erkennt, um das Banner, welclies einer der
grüßten Herrscher dieses alten Heiches mit eigener Hand aufgerichtet
Fadacofinm. U. Jahrg. Haft XII. 64
der deutsch-Osterreidiisdie Lehrerbund vor zwei Jahren in Gra/.
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hat , um seine Völker einer höheren Stufe der Cultur und Ehre ent-
gegenzuführen. So redet lieute der Geist Diesterwegs zu uns, damit
wir niclit weichen nocli wanken, wenn die Feinde unserer Schule
immer neue Anläufe machen, um sie zu erschüttern, zu schmähen, zu
unt^ r^ralien. zu stürzen. Und so steht Adolf Diesterweg in unserem
Kreise als starker und wandelloser Mitkämpfer für die Bildung. Ge-
sittung und Wolfahrt des Volkes. Wer solchen Zielen sein Leben
gewidmet hat, um den Besten seiner Zeit geuugzuthun, der bleibt
auch unvergessen im Gedächtnis der Nachwelt „Nenut man die besten
Namen, wiid seiner auch genannt."
Aber, geehrte Versammlung, wollen Sie es noch wagen, den
Namen Diesterweg mit Achtung zu nennen? Man missgönnt es den
Lehrern, wenn sie sich an der leuchtenden Gestalt ihres grofien Vor-
gängers erfkreoiB wnA aoMehten; man zflrnt flmeii, xrenn de ihrem
WohHhftter efai Wort des Dankes in die Ewigkeit nachmfen; man
flocht ihnen, wenn sie pietätvoll sein grofies Verdienst anerkennen
nnd für die kommenden Geschlechter frnchtbar machen wollen. In
demselben Lager, ans welchem die gehässigsten Angriffe anf unsere
VolksBchnle hervorgehen, herrscht auch die bitterste Feindschaft gegen
Diesterweg nnd seine Freunde. Das fiekenntnis macht da keinen ünter^
schied: es gibt Fanatiker, welche sich katholisch nennen, nnd Fana-
tiker, welche sich evangelisch nennen; aber es sind nnr Spielarten
des gleichen Typus. Auch halten sie in allen entscheidenden Mo-
menten fest zusammen, verbunden durch gleiche Zwecke und gleiche
Mittel Wo sich ein Funke von Geistesfreiheit zeigt, da erseheinen
sie zuhanf, um ihn zu ei'sticken. Ihr Cultorideal ist ein unwissendes
und unmündiges, blindgläubiges nnd unterwürfiges Volk, das sie beliebig
gingein und commandiren, ausbeuten und missbrauchen können. Eigen»
nutz und Herrschsucht sind ihre stärksten Triebfedern, Heuchelei, Lüge,
Verleumdung ihre beliebtesten Werkzeuge. Und diese Waffen haben
sie denn auch an Diestcrwpof tausendfach erprobt. Sie nennen ihn
einen Feind der Kirche, des Christenthnms, der Religion; einen Ver«
führer der Lehrer zum Unglauben, zur UnzufHedenheit, zum Dün-
kel und Hochiiiiif Ii : d(^n geistigen Urheber der fluchwürdigen Neuschule,
wo die Jugend zur Gottlosigkeit und Zuclitlosigkeit, zu Sünden und
Verbrechen, zur Vfrachtung von Gesetz und Ordnung, ja zum Nihi-
lismus und Anarchismus, zum Umsturz der Altäre und Throne an-
geleitet wird. Und natürlich müssen dann alle, welche für den auf
diese Weise verlästerten und vei tVliniten Mann das Zeugnis der Wahr-
heit ablegen, iu gleicher Yerdammuis sein. Sie mögen tausendmal
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protestiren gegen böswillige Filttshimg, sie mOgen das entstellte Bfld
des groften P&dagogen immer anüB neae ans seinem Leben und seinen
Werken berichtigen und aatnigetieii vorf&hren, es hilft alles nichts:
der Mann hat dem Lichte, der Wahrheit, dem Rechte» der Geistes-
freiheit gedient, er hat der Unwissenheit, Verdammung und Irre-
fühiung des Volkes entgegengewirkt, und somit ist er dem Bann ver-
fallen und für vogelfrei erklärt. Das ist der arglistige Frevel, wel-
chen eine kleine aber mächtige Eotte verwegener Schurken an den
Manen eines der bebten deutsclien Männer Terfibt, und leider veiüben
kann, weU die große Menge der Gebildeten wie der Ungebildeten da^*
bei ebenso gleich giltig und müßig bleibt, wie vor fast 2000 Jahren,
als von einer gleichen Rotte daa Licht der Welt ans Kreoi geschhigen
•wurde.
Wenn man solclies erlebt, geehrte Damen und Herren, wenn man
es erlebt gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wenn man es erlebt auf
deutscher Erde: dann möchte mau verstummen in tlelster Seelenqoal
und an der Menschheit verzweifeln.
Doeli da gilt kein mutliloses Zagen und Klagen, soudeni nur un-
beugsame Entschlossenlieit und Thatkraft. Wir feiern die Gedenktage
bedeutender Männer nicht, um uns in eitler Selbstbespiegelung vorzu-
lügen, wir hätten alles erreicht und geleistet, was diese angestrebt
und gefordert, aber auch nicht, um uns in trostloser Resignation vor
Hindernissen und falschen Menschen zu beugen. Wir feiern sie nicht,
um uns in diese oder jene Stimmung zu versetzen und in derselben
leidend zu verhan-en, sondern um Weisungen und Antriebe für unser
Wirken zu empfangen. So will es Diesterweg selber, wenn er spricht:
„Wir ehren unsere großen Todten, um den Lebenden zu nützen. Man
erweiset seinen Dank gegen die Todten, wenn man ihre Lebenszwecke
fördert, wenn man fortsetzt, was sie begonnen, wenn man ausführt,
was sie gewollt haben.'
Aber ist es denn mit den Qrondsätsen der Moral yereinbar, dass wir
fortsetzen, was Diesterweg begonnen, ansfUiren', was er gewollt? Oder
haben seine Feinde recht, welche ihm jede wahre Sittlichkeit ab-
sprechen und der Welt vorspiegeln , sein Elrziehmigssystem^ verderbe
die Jugend und untergrabe die ethischen Fundamente der Gesellschaft?
Geehrte Versammlung! Ich möchte mich heute kurz ftssen, weil
Sie in einer einzigen Sitzung eine umfimgreiche und wichtige Tages-
ordnung zu erledigen haben, Ihre Zeit also sehr knapp bemessen ist
Gestatten Sie mir daher, mich bezüglich des Gesammtcharakters der
Diesterwegschen Pfidagogik auf Jenen Vortrag zu berufen, wekhen ich
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am 27. Mal d. J. ror Ihren GoUegen im DeutBchen Beidie zn halten
die Ehre hatte. Er dürfte keinem von Ihnen unbekannt geblieben
sein, und daher kann ich mich heute auf einige Ergftmningen be-
schränken, welche zunächst nnd Torzugsweise der soeben erwähnten
Anschnldigong begegnen ni<igen, womit ich ja anch dem Grondznge
Ihrer wateren Tagesordnung entsprechen werde.
War die alte Schule besser, war sie insbesondere tugendhafter
als die neue? — Wer in der Geschichte der Erziehung und des Unter-
richtes bewandert und zugleich ein Freund der Wahrheit ist, der
kann nur antworten: Nein, im Gegentheil, die alte Schule ist eben
deswegen abgescbalft und durch die neue ersetzt worden, weil sie
nicht nur in intellectueller, sondern auch in moralischer Hinsicht ein
höchst mangelliaftes Institut war. Die älteren Angehörigen der gegen-
w4irtigen Generation wissen dies noch aus eigener Erfahrung, aus
ihren Jugenderinuerungen; die jüngeren vernehmen es aus dem 3[unde
ihrer Eltern und Großeltern und erkennen es an den Früchten der
alten Erziehungsweise, welche noch heute genieinscliädlich fortwirken.
In der That: würden die schweren Gebrechen des socialen Lebens der
Gegenwart noch bestehen in ihrer bedi'ohlichen Ausdehnung, würde
es noch so viel Armut, Palend und sittliche Verkommenheit geben,
würden die redlichsten Bemühungen zur Herbeiführung besserer Zu-
stände noch mit so mächtigen Hindernissen zu kämpfen haben, würden
wir noch eine so große Anzahl von Polizei- und Sicherheitsorganen,
von Gerichtshöfen und Strafanstalten bedfirfen, würden noch so breite
Schichten der G^ellschaft sich von listigen Volksverführern betrügen
lassen nnd gegen Ihr eigenes Wol den Feinden des Foitacbrittes
Frohndienste leisten, würde die Unvernunft noch so oft in der Mi^orität^
die Yemnnft in der Hinoritftt sein, wflrden die politiadien Listitn-
tionen der Neuzeit, das Vereins- und Versammlungsrecht, die Press-
freiheit, die Autonomie der bOrgerlichen Verbftnde noch so Tielen Miss-
br&ncben und Fftlschungen unterliegen, würde die Lfige die erste
Oroflmacht unserer Ts^ sein und überall, im Bedeutsamen wie im
Oeringen, so viele Erfolge zu verzeichnen haben, würden die hta-
lichen Umtriebe dee Parteilebens, die rohen Ausbrüche mittelalter-
licher Verfolgungssucht und so viele andere beklagenswerte Erschei-
nungen heute noch mOgUch sein, wenn die alte Schule ein geistig
und sittlich tüchtigeres Geschlecht erzogen hfttte? — Wer, geehrte
Versammlung, diese Fragen mit gründlichem Ernste orwigt, der muss
begreifen, welch ruchloses Attentat an der Menschheit geplant wird,
wenn man die sogenannte gute alte Zeit wiederherstellen und zu
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diesem Behufe die (rrundscliule einer neuen Culturperiode vernichten
will. Kaum auf eigenen Füßen stehend, wird dieses Schmerzenskind
von einer heizlusen Meute umlauert, deren Denken und Trachten also
lautet; Es steckt ein Kiese in diesem Kindleiji, kommt, la.sst es uns
erwürgen, ehe es ^oß wird. Sie haben ihm ja schon so oft die
Lebensluft verkümmert und das Herz zug:eschnürt, dass seine Athem-
züge und Pulsscldäge kaum noch zu spüren waren. Der Geist, wel-
chen die giüüen Pädagogen der Vergangenheit in seinen Keim ge-
haucht hatten, jene Volksfreunde und Volksbildner, zu denen der
Österreicher mit gerechtem Stolze auch die Comenius, Felbiger, Kinder-
mann, Milde und manch anderen Wackeren zählt, indem er zugleich
mit patriotischer Begeistemng emporblickt zu dem stitüilenden Doppel-
gestirn Maria Theresia und Josef n. ^ diesen Geist edler Uensch-
liebkeit hatten seine geschworenen Fdnde immer wieder zn dimpfim
Teimoeht, weil er noch keinen gescUoflseaen und yon dem Bewnsst-
sein seiner hohen Ani^he erfOllten Stand hemfener Pfleger geftmden
hatte. Erst seit das Lebenswerk des unsterblichen Pestalozzi in
Adolf Diesterweg einen ebenso Terst&idnisyollen wie praktischen Ans-
leger nnd einen nnerschatteriichen Yertheidiger ftnd, erst seitdem ist
es gelungen, die Idee der echten Volksschule endgiltig zn begründen
und ihr in einem seine Zeit begreifenden Lehrerstande eine zielbewnsste
Pnrchf&hmng zu sichern. Erst seitdem ist die Volksschule, Tormals
— von rOhmlichen Ausnahmen abgesehen — ehie blofte Lern- und Drill-
«nstalt, zu einer Stätte der Bildung und Erziehung geworden: erst
seitdem erhebt sie sich ttber die mechanische Beibringung der noth-
dürfügsten Fertigkeiten, Uber das stumpfsinnige Auswendiglernen und
Hersagen unverstandener Glaubensformeln nnd die zwangsweise Ab-
rieb tung zu gedankenlosen Gebräuchen und fiußerem Werkdienste; er^
hebt sie sich zum Ideal ilirer ahnungsvollen Seher und Bahnbrecher,
um den Schein durch das Wesen, todte Worte durch lebendige Ge-
danken zu ersetzen, durch fruchtbare Stoffe und geistweckende Me-
thoden Verstand, (iemüth und Willen gleichmäßig und harmonisch zu
entfalten. Die Pestalozzi - Diesterwegsche Schule ist die Schule des
erziehenden Unterrichtes und der auf humaner Gesinnung und sitt-
licher Strenj^e beruhenden Disciplin. Sie ist auch die Schule echt
nationaler und patriotischer Gesinnuug, weil ihre ethischen und metho-
dischen Grundsätze nur im engsten Anschluss an die Cultur und die
Lebensl)edinf,nin<j:en des eigenen Volkes, an die gesammten Verhältnisse^
Interessen, bürgerlichen Ordnungen und Verbände der engeren und
weiteren Heimat durchgeführt werden können. Und so gilt für die
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moderne Volksschule, deren gnißter Werkmeister Diesterweg war,
ilurem ganzen Wesen nach der Spruch des Dicliters:
„Ans Vftterland, ans theure, schließ di(?h an,
Daa halte feüt mit üeioeiu giinzen Uorzen,
Hier irfod die ■tarken Wuneln deiner Kralk."
Man mfisste tagelang sprechen, wenn man dies alles aas dem
langjährigen Wirken nnd aus den saUrolelieii SehrifUa Diesterweg»
im i^Mrf«^ naehireiseii w<dlte. Ich nrass mich hier anf Aafthrang
einiger Kemsprfiche ans seinen Werken beschrftnken, nm den sittlichem
Geist seiner Scholendehnng za kennzeiehnen.
„Die sittliche Erziehnng", sagt Diesterweg, »ist ftherall die ewig
nnddie einsig wahre, also anch die stets nnd ftherall enltorgernftBe. Di»
i^ahre Cnltor der G^egenwart in sittlicher Beziehnng verlangt TORngs^
weise: Aasbüdong des sittlichen Bewnsstseins, klare Erk«nitnis der
Pflichten nnd Rechte, Entwickelnng minnlicher Kraft, unbedingte
Wahrheitsliebe nnd oftoen Geradsinn.*' — Ein rechtschaffener nnd kraft-
ToUer Charakter entsteht aber nnr unter der strengen Antoritftt von
Gesets nnd Ordnung. Dies hat niemand klarer erkannt nnd nadi-
drficklicher aasgesprochen als Diesterweg. „Ohne Gehorssm gegen
die Gesetze", sagt er, „ohne Bespect and Achtung der Gesetze kann
kein Staat bestehen. Der Gehorsam gegen die Gesetze mnss veiv
banden sein mit Bespect und Achtang gegen die Personen, welche
die Gesetze geben und in Vollzog setzen .... Wenn des Kind
den Eltern und Lehrern zu gehorchen gewöhnt ist, so gehorcht
es späterhin auch willig den Gresetzen des Staates, den Gesetzen
seiner eisrenen Vernunft, den Gesetzen Gottes. Aber ein den Ge-
boten der Eltern und Lehrer hohnsprechendes oder sie umgehendes
Kind umgeht später auch dorch List und Trug die bürgerlichen, durch
Sophismen die göttlichen nnd menschlichen Gesetze. Ich wollte, dass
ich wie Demosthenes sprechen könnte, um alle SchulvorstÄnde und
Lehrer von der unbedingten Nothwendigkeit der strengen Zucht und
von der absoluten Verderblichkeit der Zochtlosigkeit in den Schalen
za überzeugen!"
So Diesterweg. Geehrte Versammlung:: lieißt das die Jugend
verderben und die ethisclieii Fundamente der Gesellschaft untergraben?
Ist das die Anleitung zu Sünden und Verbrechen, zur Verachtung von
Gesetz und Ordnung, zum Nihilismus und Anarchismus, zum Umsturz
der Altäre und Throne? Ich halte dafiir, wir würden uns an dem
makellosen Charakterbilde Die.sterwegs versündigen und die Würde
einer Versammlung deutscher Lehrer verletzen, wenn wir diesen Läste-
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nmgeB ehrloser Buben noeh ein Wort der Polemik widmen wollten.
Fragen wir lieber, warum denn Diesterweg den größten Nach-
drack auf die sittliche Erziehung legte, wumm er in seiner persön-
lichen Berufsth&tigkeit mit unbeugsamer Strenge aaf Zucht und Ord-
nung hielt und in seinen Schriften diese Praxis so oft und eindring-
lich empfahl. Ich antworte: weil er ein i>eund edler Freiheit war.
In dem Ideenkreise eines ganzen Mannes, wie Diesterweg einer war,
sind alle Grundlagen mit einander aufs engste verbunden, sie bedingen
und stützen sich gegenseitijr. Es ist daher ein gedankenschwaches
oder charakterloses Unterfangen, einige Principien Diesterwegs zu bil-
ligen, andere zu verwerfen, etwa für die Abschaffung der geistlichen
Schulinspection zu stimmen, daneben aber für Beibehaltung der con-
fessionellen Schulvertassuiig einzustehen. Das ist ungefähr so logisch,
wie wenii man die Vorrechte des Adels beseitigen, das Feudalsystem
aber aufrecht erhalten wollte. Ähnlich hier. Volksfreiheit und Ver-
wahrlosung der Jugend sind nicht vereinbar. Wer ein liberales Staats-
system will, der muss auch das ihm entsprechende Erziehungssystem
wollen, das System, welches auf Heranbildung eines intellectuell mün-
digen und sittlich charaktenollen Geschlechtes gerichtet ist; er kann
also weder einen geistlosen Unterricht, noch eine schwankende, zwei-
deutige, schlatTe, libertinistische Moral dulden. Je liberaler die Staats-
verfassung ist, desto gediegener und strenger muss die Erziehung sein,
und umgekehrt: je gediegener und strenger die Erziehung ist, desto
liberaler kann die Staatsverfassung sein. Der Weg zur Freiheit der
Völker geht durch Anstrengung, Arbeit, Selbstbeherrschung, Bildung,
Oeliomm, GeBetdichkeit, Sittlichkeit £r ist lang und beschwerUeh,
nur durch die Kraft ttberwindbar, welche dem Heneehen das Gefilhl
seiner Wfirde nnd höheren BeBtiauniing Yerkifat; dämm scheut ihn die
große Menge, welche gemächlich ihrer Bequemlichkeit nnd ihren thie*
risehen Trieben frOhneo will Wie die Sage berichtet, konnte Moses
sein in der Knechtschaft verdorbenes Volk erst nach yierzigjähiiger
Wandemng durch die Wttste unter strenger Zucht an die Groize des
gelobten Landes fthren; und nach alltäglicher Wahrnehmung gibt es
noch heute große Menschenmassen, welche durch das alte Staats- und
BUdungssystem alles höheren Aufechwunges und aller nadihaltigen
Kraft dermaßen Terlnstig gegangen sbd, dass all ihre staatsbttrger-
lidien Anliegen ungefthr in folgenden Worten ausklingen: Gebt uns
nur die Ägyptischen FleischtOpfe, gern wollen wir uns dann die ägyp-
tische Finsteniis, die ägyptische Knechtschaft und die Igyptischen
Prügel gefUlen lassen. Weil nun mit derartigen Leuten niemsJs ein
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freier Staat gegründet werden kann, so sind alle diejenigen, welche
keinen freien Staat wollen, eifrig darauf bedacht, dieses imbrauch-
bare Material zu conservireu, dagegen mit allen Mitteln zu verhindern,
dass eine geistig und sittlich gehobene, also der Freiheit fähige und
würdige Generation heranwachse. Daher denn auch ihr grimmiger
Hass gegen Diesterweg und gegen jedeimann, der einer gi'ündlichen
Entwickelung der im Volke schlummernden Keime edler Menschlich-
keit das Wort redet. Die Ziele des geistlichen und weltlichen Ab-
solutismus sind eben ganz andere, und demgemäß ist auch seine Me-
thode eine ganz andere: an die Stelle der objectiven, unparteiischen,
genieingiltigen und unverbrüchlichen Gebote der Moral setzt er die sub-
jective Willkür und Laune, die bald als hochfahrender Zorn und Despo-
tismus, bald als herablassende Gunst und Gnade, bald als tyrannische
Härte, bald als deraoi-alisirende Laxheit auftritt, immer aber die knech-
tische Unterwürligkeil gegen Personen statt des freien Gehorsams gegen
die bürgerliche Ordnung und das Sittengesetz zum Endzwecke hat Der
Unterschied ist ein durchgreifender. Das eine Erziehungs- und Staats-
system verachtet die Menschheit und will die Niederhaltimg und Aus^
bentung der großen Mehrheit durch eine Uoiiie Minderiieit; das andere
ehrt in jedem Wesen, das MenaehflnanUftg trftgt» die persönliche WQrde,
das Ebenbild Gottes, und eAennt in der Endehnng zar sittlichen
SelbstbeBtimmnng die Grundbedingung der gemeinsamen OffentUehen
Wolfiidirt und aller Segnungen der Gnltor. Wir fblgen mit Diester-
weg der zweiten Bichtong nnd yerstehen daher seinen entschlossenen
Aussprach: „Ich kam nur wünschen, mit dem Fluch der Menschen-
feinde beladen in die Grube zu fahren."
Wer nun, geehrte Versammlung, diese Grundansdiauungen Diester-
wegs kennt, wer da weiß, welch hohe Auil^abe er der Yolkssefanle
nnd ihren Lehrern stellt, der begreift auch leicht, warum ihm seine
Feinde Sdiuld geben, er habe die Lehrer zum Hochmuth, zu eitler
Selbstttberhebung verfuhrt. Die Wahrheit ist, dass er sie mit dem
Bewusstsein der Wichtigkeit und Heiligkeit ihres Berufes erfüllt hat,
und so ist es recht Denn dieses Bewnsstsein ist unentbehrlich, wenn
der Lehrer immer aufs neue mit Demuth erkennen soll, dass er in
seiner menschlichen Schwachheit noch lange nicht hinanreicbt zur
Größe seiner Pflicht, und dass er unablässig an seiner Selbstvervoll-
kommnung zu arbeiten hat; wenn er aber auch die Kraft gewinnen
soll, trotz aller MOhen und Entbehrungen, trotz des Hohnes nnd
Spottes böser Zeitgenossen unerschütterlich auszuharren in der Hoff-
nung auf eine bessere and gerechtere Zukunft und in der Treue, die
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er seinem Dienste geschworen. Hören wir aoeh hier Diestervegs
eigene Worte: ^Die Schnle ist Ton nnermessharem Einfluss auf Ge-
sittung und Bildung der Einzelnen und der Völker. Ihr Ansehen
faeht sich mit dem Fortschritt der Humanität. Je mehr man diese
will und hat, desto höher schätzt man die Schule .... Will man die
ganze Wichtigkeit des Lehramtes beg^i-eifen, so denke man sich einmal
sämmtliche Volksschulen eines Landes geschlossen und die Jugend
ohne Unterricht aufwachsen. Eine völlige Barbarei würde über uns
hereinbrechen. Sind die höheren Schulen nnd Universitäten die Träger
der liöchsten Cultiir, so legen die Volksschulen zu dieser Cultur den
Grund. Die Volksschule ist das unentbehrlicliste, weil fundamentalste
Glied in dem Organismus der öffentlichen P^rziehung/"
Darum und aus keinem anderen Grunde suchte Diesterweg- das
Standesgefühl der Lehrer zu heben und ei wies er jedem von ihnen,
der seine Pflicht redlich erfüllte, aufrichtige Hochachtung. ,.Wer nach
den Zeugnissen der Mitwelt", sagt Diesterweg, ,.sein Schulamt mit
Treue verwaltet hat, der ist, als thätiger Theilnehmer an der Ent-
wickelung seiner Zeit zu einer höheren Stufe der Vollendung, ein
würdiges Glied der menschlichen Gesellschaft gewesen und hat nicht
umsonst gelebt .... Ich flehe zu Gutt, dass er den Lehrern den
Glauben an die Heiligkeit ihres Berufes erhalten möge."
Sie, geehrte Versammlung, werden ohne mein Zuthun diesen treff-
lichen Worten die sinngemäße Deutung zu geben wissen. Wer aber
meint, so hohe Ideale dflrfe man den „halbgebildeten*' Elementar-
lehrem nicht vorhalten, der möge nur wacker eintreten fQr eine ganze
und grOndÜeliare Durchblldnng^ deraelbeD. Damit hingegen, dass man
einen Stand niederbält, um ihn dann zn veriiOluien, gibt man seinem
Selbstgefühl niebt das rechte MaB nnd die rechte Ricbtnng. Yerargen
mOge man es doch keinem Manne, der die MenschenwOrde im Kinde
achten und pflegen soll, wenn er auch in sich selber diese Wflrde
fttUt nnd anerkannt wissen will. Der Lehrer im Sinn und Gdste
Diesterwegs ftgt sich bescheiden in die Schranken seiner Wiiksam-
keity aber er besteht anch mit mftnnlicher Entscbiedenheit anf seinem
guten Becfate. Er wa6, was er seinem Dienste, seinen Vorgesetzten,
der bOiigerlichen Ordnung, den Qewobnbeiten nnd selbst den Vor-
nrtheOen seiner Umgebung schuldig ist; aber er weift auch, was er
sich selbst, seinem Gewissen, seinen Überzeugungen, seiner Standes-
ehre schuldig ist Darum wird er es auch nicht dulden, dass man
das Andenken eines seiner ehrlichsten und hingebungsvollsten Freunde,
eines der verdientesten Vertreter seines Berufes in den Staub ziehe
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und moralisch vernichte. Diesterweg hätte es nicht nöthig gehabt, der
• scheinbar geringen Sache des Volksschulwesens sein Leben zu widmen;
kaum dem Jünglingsalter entwachsen, fand er an einer lateinischen
Schule eine ehrenvolle Stellung, und leicht hätte er auf den Kathe-
dern der Gelehrsamkeit Lorbeeren ptlücken können, wenn ihn nicht
sein tiefer Blick und sein edles Herz zur Arbeit am Fundamentalbau
des Bildungswerkes gerufen hätte. £r zog es vor, wie er selbst sagt,
Jn den niedrigen Dienst der Volksschule zu treten", ein Entschluss,
▼eksher flachen Köpfen als AiiM«fa»ji^ nnbedairtender Balähigung er-
acheineB mag, in der That aber dem Geiste und Chatakter Diester-
wegs zu gleicher Ehre gereicht Die YolksschnUehrer werden ihm
dies nie vergessen. Ihm gebfirt ein Gx^theil ihres .Dankes fllr die
Hebung ihrer Bfldong nnd Bem&tflditigkeit, für die Oiganisation nnd
höhere Aditong ihres Standes, ftr die BegrOndnng ihres Vereins- nnd
Versammlnngswesens» fOr die Veibesserong ihrer socialen, rechtlicben
nnd pecnniftren Stellnng, für die Yersorgug ihrer Witwen nnd Waisen,
Ar die Befreiung von drftckenden Nebenfimtern, fär die Betheiligong
an der Anfeicht nnd Leitung der Schnle, knrz fBr all die Erron^-
aehaiten, durch welche sich die neue Schule von der alten nnta>
scheidet Bald sind sie aufgezählt, diese Eimngenschaltea, und leicht
werden sie Ton dem jflngeren Oeschlechte unterschätzt, weil dasselbe
die Misören yergangener Zeiten nicht gekostet hat Wer aber weiß,
wie es ehedem stand und zuging, welch harte und langwierige Klm|ife
Schritt für Schritt gefUhrt werden mnssten, um nur ein vrenig vor-
wärts zu kommen, der wird zu schätzen wissen, was wir gewonnen,
und dankbar die Männer ehren, welche es gefördert, unter ihnen in
erster Linie Adolf Diesterweg, der dafür lebenslang gesonnen, gesorp^t,
gearbeitet, gestritten und gelitten hat Die Lehrer müssten sich des
schwärzesten Undankes schuldig machen und Verrath üben an ihrer
eigenen Sache, wenn sie diesen Mann vergessen oder verleugnen wollten.
Aber ist man einem Ketzer Treu und Glauben schuldig? Und
ist nicht Diesterweg ein arger Feind der Kirche und Religion ge-
wesen? Nun, geehrte Ver^inimhiug, diese dritte Hauptbeschuidigung
ist nicht gerecliter als die anderen, weiche ich isoeben beleuchtet, und
ich habe sie bereits in meiner Berliner Rede widerleg-t. Die Wahr-
heit ist, dass Diesterweg ein aufrichtiger und liegeisterter Freund des
unverfälschten, im neuen Testauientc iiie(lergelec,^ten Christenthums
war, und dass er dasselbe auch der Schuljugend, soweit sie es zu er-
fassen vermag, lebensvoll ins Herz pflanzen, sie aber mit confessio-
nellen Hadersachen verschonen wollte. Dieser Thatbestaud liegt im
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Leben, Wirken und in den Schriften Diesterwegs so klar und otfen-
kundig vor, dass ihn niemand widerlegen kann, und es ist auch von
keiner Seite der geringste Versuch gemacht worden, die Richtigkeit
meiner Darstellung zu bestreiten. Dafür aber hat das ganze schwarze
Consurtium beider Schattiningen unisono die heftigsten Anklagen, ja,
man kann es nicht anders nennen, ein wahres Wuthgeheul erhoben
über das angeblich gottlose Programm Diestei-wegs. Es sind noch die
sanftesten Ausdrücke, wenn man dasselbe als ^Feindschaft gegen das
Christenthunr\ als „Krieg gegen die christliche Pädagogik'* bezeichnet;
man geht weiter und behauptet, es habe die Tendenz, die Herzen der
Kinder zu „vergiften", in ihm „feiere der Unglaube wahre Orgien",
es sei „anticbristlich", „irreligiös" und „gotteslästerlich", eine „Schlamm-
flnt des Unglaubens und Aberwitzes", ja, man 1^ ihm Prftdicate bei,
die man Ift einer anstAndigen Gesellsdiaft gar nicht aussprechen kann,
man ihbelt vom „Ranch yerkohlter Tempel nnd yerbrannter Throne",
vom MÜmstois alles Bestehenden", von „greulicher Verwttstang", yon
„Nihiiismns", „Anarchisrnns" nnd Ihnlichen Schaaergeachichten. Wir
möchten es Ihr nmnö^^ich halten, dass Mensehen mit gesunden Sinnen
eine so einfiiche und hannlose, jedem Freud des Christenthnms ein-
lenehtende nnd sympathische Doctarin in so nngeheoerUdier Weise ent-
stellen nnd Terketaem könnten. Aber die Utheber der erwähnten
SduDähnngen glanben ihre Sprflehlein selber nicht, sie wollen damit
nnr schwache Köpfe bethören nnd ftnatislren, ihre sdbetsftchtigen
Bestrebnngen ftrdem nnd yor Hindemisaen scfa&taen. Und da sie sich
bewnsst sind, wie eiüHg sie bisher fOr die Yerdnmmnng der Menschen
gewirkt haben, so hoffen sie nun anch Ihr den tollsten Schwindel
gUnbige Seelen nnd willige Weikaenge sn finden. Doch das wird
ihnen nicht immer nnd überall gelingen. Es ist gut, dass sie in ihrem
blinden Grimme bisweilen jede Besonnenheit nnd Vorsicht verlieren
nnd nnverhällt ihre Falschheit offenbaren. Sie nennen sich Christen
und geben vor, die ti-euen Hüter der Eeligion Jesu zu sein. Nun aber
richten sie sich selbst Denn da Diesterweg aasdrück lieh und klar
das Christenthum und nichts anderes fordert, so sind die gegen ihn
gerichteten Verdammnngsurtheile gegen das Christenthum selbst ge-
richtet, and die ihm zugefügte Schmach ist eine Verwerfung und
Lästerung des Christenthums selbst. Wir haben da Leute vor uns,
die gar nicht sind und glauben, was sie zu sein und zu erlauben vor-
geben, Leute, welche, wie wir uns in bürfrerlicher Sprarlie ausdrücken,
sich der Falschmeldung und des betrügerischen Missbrauches einer
fremden i< irma schuldig machen; LeutCi welche Frömmigkeit heucheln
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und täglich Gottes Gebote übertreten, beim Namen des Höclisten
fluchen, lügen, trügen und falsches Zeugnis reden, gelegentlich auch
einen kleinen Meineid schwören, mit ihrem ganzen Treiben aber die
private und öffentliche Moral untergraben. WÄre die menschliche Ge-
rechtigkeit weise genug, um diese Wölfe im Schafskleide zu entlarven,
mächtig genug, um ihnen nach Verdienst zn lohnen: dann wfirden
idr sie nicht In Conratikeln nnd VolksversammUmgen, nicht auf
Parlamentstribflnen und in Zeitungsbnrenns, nicht auf Kanzeln nnd in
SniehungsstAtten der Jugend antreflfen, sondern in ZnchthtoBenit vo,
Dank unserer Neoschule, Baum ihr sie geworden ist
Dank unserer Neiischale, sage ich, und Dank all den ICftnneni,
die ihr Torgearheitetk und die ihr die Stfttte bereitet haben, Dank auch
dem erleuchteten und volksfreundlichen Herrscher, der sie ins Leben
gemfenl Ißt Stola und Befriedigung bückt der aufgeklftrte Öster^
reidier auf dieses Werk, durch welches ein so mächtiger Schritt zur
Verwirklichung der Ideen unserer besten Vorfohren und grOfiten Staats-
lenker geschehen ist Bereits In meiner Berliner Bede habe ich eine
Beihe der Vorzüge unserer Neusdiule aufgefthrt, und jeder Kenner
des Sachverhaltes, wenn er ee nicht für gut 'findet, die reine Wahr-
heit ein «Zerrbild'' zu nennen, um unter Wölfen mit zu heulen, wird
mir bezeugen, dass ich dabei streng der Wirklichkeit gem&fi berichtet
habe. Femer habe ich erst vor wenigen Minuten etliche wichtige
Errungenschaften genannt, welche die Lehrer Österreichs ihrer Neu-
schule verdanicen. Gestatten Sie mir nur noch, an einige leitende
Grundsätze zu erinnern, welche derselben als Fundamente dienen. „Die '
Wissenschaft und ihre Lehre ist frei,'* und demgemäß ist, bei aller
Achtung vor der Beligion nnd ihren Instituten, »der Unterricht in
den übrigen Lehrgegenständen unabhängig von dem Kinflnss jeder
Kirche oder Religionsgesellschaft.** „Dem Staate steht rücksichtlich
des gesammten Unterrichts- und Erziehungswesens das Kecht der
obersten Aufsicht und Leitung zu." Die öffentlichen Schulen sind
,.alleü Staatsbürgern ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses zu-
gänglich". ,J>as Ziel aller .Tugenderzieliung ist ein offener, edler
Charakter. Zur Anbalinung desselben hat (lt>r Lehrer auf ein wahr-
haft sittliches Verhalten der Jugend, auf Priiclit- und Ehrgefühl, auf
Gemeinsinn, Menschenfreundlichkeit und Vaterlaudsliebe unausgesetzt
hinzuwirken."
Das sind Normen, welche heute in Österreich zu Recht bestellen,
welche zu achten jeder Staatsbürger schuldi;? ist, und welche un-
verbrüchlich zu wahren jeder Schulmann das Recht und die Püicht
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hat. Wer sie often verletzt, begeht ein Verbrechen; und wer sie heim-
lich untergraben will, dem rufen wir zu: -Ein Kaiserwort soll man
nicht drelin noch deuteln!" Wer aber den Lehrern, welche unter
diesen Gesetzen an der Erziehung des heranwachsenden Gesclilechtes
im Geiste Diesterwegs arbeiten, Untergrabung der Religion und Moral
vorwirft, der ist ein Lügner und Verleumder. Und wenn, geehrte Ver-
sammlung, von derselben Seite aucli Ihre patriotische Gesinnung ver-
dächtiget wird, so seien Sie getrost: jeder Ehrenmann wird der deutsch-
österreichischen Lehrerschaft bezedgen, dass sie ihrem Volke, ihrem
Staate, ihrem Monarchen aufrichtig und mit ganzer Kraft ergeben ist,
und dass in ihrem Kreise Untreue und Felonie keine Stätte tinden
kann; jeder Ehrenmann wird bezeugen, dass die deutsch-üsterreichiische
Lehrerschaft das Dichterwort bewahrheitet:
„Der üäterreichcr hat ein Vaterland
ünd liebte and hat andi XJtaach*, es m liebm*' —
and mit Freuden lunznfügt:
Der Österreidier hat einen Kaiser
Und liebt ihn und hat anch Ursach', ihn zu lieben.
So ist es, nnd so sott es bleiben, trotz aller Yerhetsnng hinter^
listiger Menschen. Und so, geehrte Versamnüung, beharren Sie in
der Verehrang alles Großen und Edlen, in der Pflege alles Wahren,
Guten und Schönen, in der Hingebnng an Ihren Yerbrflderangsbnnd
zur Yertheidignng Ihrer Ideale, mit dem alten Wahlspruch:
„Wir wollen sein ein einig Volk von BiQdeni,
In keiner Noth uns trennen und Gefahr.
Wir wollen trnucn auf den hiiehsten Gott
Und um nicht fürchten vor der Macht der Menschen.'*
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BSuerlicher Mealisniis.
Daig«0teUt anf Grand nUieieher im •fldOitlidie& Niederttatemidi gesammelter
Brfidiniiigwi.
Von Dr. Wülibald Nagl-Grax.
w
V T ena wir aus uochiuulB vergegenwärtigen, dass die Bauern in einer
BkeptiBeben Oeriogaehätsiuiflr ftUee Geistigen befangen sind und nnr dai Greif-
bare als reell und wertvoll betrachten, dass sie meist einer aaMbendoi
Bäckerei und Sparsamkeit fröhuen, dass sie gerade die zarteren und edleren
Gefühle, auf denen sich ein hiiht rt s, idealeres Leben aufhauen sullte, unent-
wickelt lassen odei- gar unterdrücken, — dann werden wir wol einselien, dass
der Idealismns li«i dmi Banerslmtmi aolchen Hindernissen gegenüber nicht
in besonderem Qrade anfkommen kann..
Und wenn der Idealismns anf dem Üb ersehn sse der Kräfte beroht, anf
jenen Kräften, die im Kampfe um di<' Kxistenz nicht aufgezehrt und für die
nächsten und aliernothwendigsten Btdürfaisse des Geistes und Körpers nicht
beauäiirucht werden, — daim kann ja der Bauer bei seinem vielseitigen geistigen
nnd physisdien Deficit von innenherans kanm eine Anregung zum Idealismus
Ten^firen.
Trotzdem dürfen wir den letzteren aus unserer Darstellung des Bauem-
charakters nicht streichen: denn der Idealismus erwächst nicht aus dem Ge-
sa m m t überschuss der menschlichen Kräfte, — in diesem Falle würden wir
vielleicht in gar kii&er Menaehenclasse einen Idealismos finden, — aondem
wann nnd wo immer momentan ein KraftfiberscbniB vwhanden ist, sei es an
Willenskraft, Geisteskraft etc., dort ist man zn jenen idealen Dingen anliegt,
welche sich durch die eben überschüssig-e Kraft erfassen lassen.
A. Rücken wir uns nun die hervorragendsten Gebiete, auf denen sich der
Idealismns in productivem und receptivem Sinne bethätigen kann, der Reihe
naeh vor Angen nnd beginnen wir mit der Wissenschaft.
a) Der Pädagog Herbert Spencer erRflfnet eine pädafrogiidie Abhandlung
mit der interessanten Bemerkung, dass die Kleidung in denAnftine:rn mensclilicher
Cnltur ziMiächst als bloßer Putz auftrete und dass sich erst aus diesem die
nutz liehe Kleidung entwickle. Ähnlich sei es mit der meuschlicheu Cultur
fibeiiiaopt, nnd speciell anch mit der Pfl^ der Wissenschaft Zuerst kommt
der wissenschaftliche nPntz", d. i. alieilei Cniiositaten, Abentenerlichkeiten,
Seltsamkeiten aus frt nulen Spliären etc., erst nach und nach gewinnen die
Wissenschaften Systeuj, endlich lernt man dieselben auch für das Leben prak-
tiscli verwerten, nicht blos in Eisenbahnen, Telegraphen, Maschinenwerkeu
n. s. w,, sond^ amdi in Endehnng des Volkesi in Hebuig des Geisteslebens
einer Nation duch Schulen, Theater nnd sonstige Anstalten aller Art.
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Dem Bauer ist die Wissenschaft noch „Putz". Et ist kein Freund der
Seliale, er will keinen Wiasenszweig systematisch sich aneignen. Aber er
will docli gelegenUidk — n^tfirUeh „unsitt*^) — etwas Intereasantet hSren,
aber es muss wol recht was „Merkwürdiges" (Abenteuerliches, Seltsames) sein;
und da ist /. B. die Einleitung zu Cocliems ^ Leben und Leiden Christi"' bald
das Allerschönste, was man lesen oder anhören kann, über die ganze Welt-
kugel, die sieben riaueteu u. s. w. Da steht z. B. S. 12 dieses populären
Werkes: „Naeh der erden hat OoU das waaser gesetst» weldies ngrleicli mit
der erden eine Ingel machet: dannoch weit mehr plats einDimmt, als die erde.
Die höhe des raeeres ist gemeiniglich drey deutsche meilen: an etlichen orten
aber ist es vil grösser; ja an etlichen orten kan man gar keinen gnind finden.
In dem meer seynd berg und thäler, bäum, heckeo, wiesen and allerhand
gewSchs, wiewel einer andern art, als ttber der erden. Dan im wasser aejnd
sie Walch: so mans aber fiber das wasaer bringt, werden sie so hart wie stein.
Es seynd aneh allerley art der thier im meer, welche auff erden seynd: als meer*
hund , meer-wölflf, meer-ochsen, meer-mannlein und weiblein; welche am obem
leib dem menschen, und am untern den tischen gleichen. Warüber man sich
höchlich verwundern und die Allmacht Gottes loben muss. Damit auch das
meer dnreh sein stiUstehea nieht Aul werde, so hat Gott verordnet, dass
nicht allein durch die grausame wind, sonder anch durch die kraSt des
monds ab- und zulanffe. Ja das meer p-^jren mittemaoht, auff dem hfichf5ten
gipffei der erden, lauffet durch einen unsrelieuren grossen c;inal durch die erden,
und kommet auff dem andern gipffei der erden gegen mittag wider heraus:
also, daas wan sieh die sohunent nieht wol Arsehen, nnd etwas zu weit gegen
mittemadit fohren, sie tou der gewalt des waaaers in den nngehenren wflrbel
gesogen, und nimmer wider gesehen werden."
Auf Seite 27 u. f. ist m lesen: „§. 3. Nach der lieben sonnen") folget
der feurige planet, Mars genant, welchen Gott darum gerad über die sonn
gesetzt hat, damit er dieselbige mehr entzünden solle. Dieser planet bestehet
ana fdsen nnd wSssem, nnd ist nnmilligllch warm nnd trocken. Seine berg nnd
felsen seyn gelblecht wie schweffei, (dannoch ganz hart nnd vest) ans welchen
eine zähe und gifftige matery, gleich nl« ]>ecU heraus schwitzet, wie dan anch
auß uiiterschidlichen bergen und gnibcii, si» in disem planeten seynd, offtmahl
überaus grosse und stinkende teurflammen ausschlagen. Die wässer dieses
Btems seynd gante cfth nnd dick, nicht tü ungleich dem zerachmoltxnen pech
mit sehwelfel vermischt, gantz feurig nnd brennend, aoß welchen dunkele
Flammen und sch?ldliche dämjiff herauß schlagen. Der ]Mars wird theils von
seinem selbst eigenen, theils von dem liecht der sonnen erleuchtet. Wan er über
der sonnen stehet, ist er gar hell: so er aber unter der sonnen stehet, hat er
schier eine bfaitige färb. S^en jlhriidien vmkxtSB Terriditet er, gleichwIA
der Mercnrins, Venns, Jupiter nnd Satnnns nm die Sonn: dan die sonn ist das
centrnm oder mittelpnnct diaer ftnff planeteo. Wan die strahlen des Martia
allein in der lufft regieren, verursachen sie grosse hitz und truckenheit, hitzige
und schildliche wind, blitz und ungewitter, wie auch krankheiten nnd pestUentz :
sonderlich wan der Saturnus mit ihm einstimmet.
„Hie ist an wiaaen, dass der Mars dämm erschaffui sey, damit er alles
gifft, so auß dem einflnsa anderer schädlicher Sternen entstehet, zu sich ziehn,
lud fl^chaam sn aeiner tttgliclien nahmng gebrandie: gleichwie die krotten
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und spinnen auf erden das gifft zu. sieb ziehen und davun leben. Weil auch
die untere weit Utswcileii die wasienncbt bekomt, oiid mit vilen icfaSdlichea
fenchtigkeiten aii£;efUllet wird, so ist der Mars gleich als ein artzt, welcher
durdi seine anßtnicknende krafft die schädliche Feuchtigkeiten verzehret:
Also ist nichts in defgantzen weit so büß, welches nit zu etwas dienlich seye."^)
Wenn ich — zufällig in einen winterlichen Lesezirkel gerathen, wo diese
Capitel eben yorgetragen werden — bemerken, wollte, diese geographisdien
oder astronomiechen Ansichten seien ttngst als iirthfimlleh naehgewiesen, . ich
wolle den Anwesenden dagegen die hentigen Resultate der Wissenschaft kurz
darlegen, so würde jetzt ihr Interesse ffir meine Darlegung nicht mehr aus-
reichen; denn der Bauer will nur etwas „Merkwürdiges-' hören, abei- er mag
eich in keine nähere wissensdiaftliche Speculation oder Controverae einlassen,
anch nicht in die einftushste. ünd wenn ich ihm gar mit Bechnnngen kommen
und ihm auch nur durch gewöhnliche Additionen oder Multiplicationen ein astro-
nomisches Problem klar raachen wollte, — dann hätte ich von vornherein
alles Interesse verscherzt. Das Rechnen erinnert schon zu stark ans praktische
Leben, und daium interessirt es ihn nicht, — ihm ist die Wissenschaft eben
nnr »Patz*.
2. Wenn schon das reeeptlTe.Teriialten der Bauern gegen die Wisaen-
schaft ein so wenig günstiges ist, so kann von einer Producti vität auf wissen-
schaftlichem Boden natürlich keine Rede sein. Die besten Anlagen bleiben
meist unverwertet, denn die Wirtschaft zu Hause wird nicht rationell und
wiisenadiaftliob betrieben, und weni) ein junger Bnb etwa gar foitgeht „in die
Stadl*, so darf er nnr Geistlicher werden, in der alten weltsdienen Manier*
tngendsamkeit, wodurch die hervoiragendsten Talente der Banemdasse immer
Uos auf ein Gebiet geleitet werden.
b) Das verdient aber Erwlihnung, dass in unserer Landbevölkerung sich
mitunter tüchtige Mechaniker hnden, welche blos durch die eigene Begabung,
ohne weiteren üntenrieht, es so weit bringen, dass sie selbst eompUcirte
Arbeiten anzufertigen imstande sind. Im Jahre 1859 ist in meinem Heiraats-
orte ein Baner gestorben, der eine große Uhr fertigbrachte, sie auf dem Dach-
boden aufstellte nnd das Zifferblatt zum Giebelfenster hirarsschauen ließ.
Zwei Kuhglocken verkündeten unter dem Schlage der Lhrhämmer weit hinaus
bis anf dte Fdder regelmäßig die Standen nnd Vierteistnnden, die Zeiger der Uhr
wiesen anch die Hondesphasoi ans. Derselbe Baner oonstmirte eine Breech*
maschine, sog. „Windmühlen" u. dgl. Bei Kirchberg am W^echsel lebt^ noch
im Jahre 1868 ein Bauer, der sich selber ein ganz regelrechtes Ciavier an-
gefertigt hatte und auf demselben als Virtuose von Gottes Gnaden seine Nach-
barschaft entzttekte. Zimmerlente, die nur mit dem rohen Beile nnd der 0rob-
eige nmgehen gelernt, leisten oft die feinsten Tisehleratbeiten, machen Feniter-
rahmen, Schranbenbänke n. s. w. Und das Hüttenzimmem, Brückenmachen
n. 8. w. weiß jeder Bam r richtig anzustellen, als hätte er ein gut Stück
Pionierdienst gelernt. Freilich, die letzteren Dinge schlagen schon ganz ins
Praktische ein, aber sie sind doch ein Beweis, dass der Bauer Sinn und Ver-
ständnis fttr allerlei nnd selbst fbinere mechanische Arbeiten hätte. •
c) Wie steht es, fragen wir, mit den Efinsten?
Den Künsten gegenüber ist im ganzen wol nnr ein receptives Verhalten
der Bauern, und anch dieses nur in gewissen ifällen, zu verzeichnen. Für
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Malereieu und Zeichnungen hat der Bauer einigen Sinn; aber er will keinen
Kreuzer für dergleichen ausgeben. Indessen, einige religiöse Bilder muBS
er aich kaufen, denn es wäre gar bald der Segen des Uimutels verscherzt, wenn
mm. aieki eiuMl tfa HdUgoililId dir Stute hlttop mi di» Lrate, wtlclM
einem, dabac ksniBin» BOekte» einen» für gw keinen- Ghrietan heltiB.
Aber wie sehen diese Bilder ans? — Da haben wir z. B, eine hL MiiUer
Anna, auf Glas gemnlt. Sie hat ein zinnoberrotlies Kleid an, darüber einen
libnmelblaueu Mantel mit violetten Falten. Sie sitzt auf einem goldenen Stuhl,
dessen Lehne über den Achseln sichtbar wird, und auf den Knieen hat sie ein
geOfbetes Bveh liegen; nnd die swei anliBeiehlagenen Seiken seigen mit gnAer
Sjmmeteie eine jede drei Zeilen. Daneben steht die IL Ifuia als kleines Abc*
Mädchen, in grünem Kleide und hochrothen Wangen prangend, mit den langen
Haaren fast den Boden berührend, und hält einen Finger auf das Buch. Über
den Gesichtsausdruck der beiden Gestalten scheint der Maler mit sich selber
nicht recht einig gewesen n sein: man weiß nicht, will die hL Anna lachen
oder weiaeiL oAer nanken. Bs seheint aber das letstere der FaU an- sein, weil
ja die kleine hl. Karia mit ihren Angen gar nicht anf die Zeilen trifft und so-
gar ganz beiseite steht, damit wol der Zuschauer destö bt^quemer ins gerade
vorgehaltene Buch schauen und ihr die Hieroglyphen entziffern k<»nne. Die
ganze Sitiiatio& entspinnt sich in einer Luube von kopfgroßen rothen, gelben
nnd blanen Btaen.
Die Glasbilder kommen aber heute schon mehr nnd mehr ans der liede;
man bekommt ja Papierbilder viel wolfeiler auf dem Jahrmarkte, Und
auch die Papierbilder kann man so schön und hell gemalt hüben wie Glas-
bilder, es steht überdies der gedruckte Name darauf und manchmal sogar noch
ein. schöner heiliger Sprneh* — WolhabeadeBaaeni lassen sidi's 'aber mitanter
etUehe Onlden kosten and kaaflm sieh ein oder swei große ÖlgemUde in
Goldrahmen flir die Extrakammer, etwa einen krenztragenden Christus mit der
bluttriefenden Dornenkrone, die breite Schulterwnnde den Augen des erschüt-
terten Zuschauers vorhaltend, oder ein Ecce- Homo-Bild mit einem großen Nagel
doreh die Lippen, und eine hl. Maria mit sieben blanken Soh wertem im bloi-
gelegten Hessen.
Man muss sich aber stets gegenwtrtig halten, dara man diese Bilder nicht
aas Kunstliebe anschafft, sondern nur wegen deren religiöser Bedeutung. Und
was man hier, dureh die Religion g-leichsam gezwungen, über die eigentliche
KuQstliebc hinaus zu thun aich entschließt, das lässt man die weltlichen Bilder
dalBr entgelten. Bin weltliciies Bild im Hanse anikahangen, hilt der Baamr
nicht nnr für einen halben Abfidl von dem Glaoben, sonden nodi überdies flr
eine läppische Thorheit. Und wenn er in ein Zimmer kommt, wo nur weit- ,
liehe Bilder hängen, so ist er mit Misstrauen gegen dessen Bewohner ertüllt,
während ilrn das Vorhandensein religiöser Bilder von vornherein zum Ver-
tränen stimmt. Eine gut bekannte Banersfrau hatte ihren Sohn nach Wien
gegeben aar kaaftaSanisehen AasbUdong für ein Wareagesdütft. Sie mietete
ihm ein CSabinet um 9 fl. per )[onat. Als sie mir's enihlte, meinte sie: „Wir
könnten ganz daneben anoh eine Wohnung bekommen, um 1 t1. (>0 kr. billiger;
aber der Jetzige I'hitz i.st halt soviel nett: es sind lauter heilige Bilder drin,
nnd es brennt eine Ampel, auch sonst ist's reinlich, so zahl' ich lieber die
1 iL 60 kr. mehr."
Pnlatogitui. lt. Jahig. Heft XU. 66
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2. Nur im Wirtshaus dürfen weltliche Bilder hängen: natürlich, dort
würden ja die religiösen durch die gottlosen Räusche und Stänkereien nur
yerunelirt, und die papiereneu Ueiligen müssteu vor Entsetzen noch blässer,
die glftsemen vor EntrfistiiDg nocb rOther werdon. Übrigens ist ja der Bauer
im Wirttbavs ein ganz anderer, viel ecblediterer Uensdi als dah^ nnd in
der Kirche, somit braucht er dort auch keine Heiligenbilder. Die weltlichen
Wirtsliansbilder sind aber in der Kegel das Nonplusultra der Gosoliiiiaoklosig-
keit: rohe Litlio^'-raj»liien — Schlachten, Jagdscenen, namhafte rersönlichkeiten
etc. vorteilend, aber immer ohne künstlerische Wahl. Nuditäteu sind auch
ans dem eohten BanemXrirtsbans verpönt.
Auch im Kalender mag man weltliche Bilder Idden, man aleht die „Ka-
lendermanderl" sogar mit Vorliebe an. Wenn man tle gesehen hat, klappt
man ja das Buch wieder zu, und darum können sie einem nicht alleweil so ein
weltliches „Plärament'^'^) vor die Augen machen, als wenn man sie in Glas
und Bahmen an die Wand hinge.
3. Frodnetiv wagt es vd selten ein bluerlicbes IndiTidnnm auf dem
Gebi^ der ^Talerei and Zeiehenkunst aufltntreten; doch trifft man anf ein-
sameren Feld- oder Waldwegen nicht gar so selten ein Bild des gekreuzigten
Erlösers, welches augenscheinlich von keinem Rubens, sondern vielleicht von
dem biederen „Kirchenvater" oder einem Schneiderlein des nächstgelegenen
Ilorfes heiTAbrt. Solche Bilder sind meist anf Blech oder Holz gemalt, aus-
geschnitten und an den Kreuzstamm grcnagelt. Sie lassen an Correctheit nichts
zu wünschen übrig: die Seitenwnndf, die Hlutströnie aus den Nägelwunden,
die Domenkrone, der Heiligenschein, alles ist da und nichts ist vergessen;
nur die Kniebiegung, die Fiopurtion der Glieder u. s. w. lässt einiges zu
wflnschen fibri^f, und wenn das gesenkte Haupt im Profil geieiehnet ist, so ist's
ein Wunder, wenn der Haler nidit mit Gewissenhaftigkeit — beide Augen
anf derselben Seite der Nase ersichtlich gemacht hat.
d) Noch schwächer als die Malerei ist die Sculptur vertreten. Die Dorf-
kapelle ist in der Kegel mit einem grüßen geki'euzigten Christus, aus Holz
geschnitzt, versehen. Darunter strecken die armen Seelen, ebenfalls atis mas-
sivem Holz, flehend ihre Arme aus den bOhBemMi Fenerflammen empor, die
eher plumpen Ochsenhörnern als der „wabernden Lohe" gleichen. Was aber
diesen so künstlich geschnitzten Flammen an Naturwalirheit fehlt, soll indes
durch die rothbraune Ölfarbe ersetzt werden, mit dt-r sie dick überhtrichen
sind. Die armen Seelen sind gelbbraun angestrichen, wahrscheinlich, weil sie
Y<m dem — leider vom Holzschnitzer nkdit richtbar gemachten — Quatan des
F^efeuers so geriuchert werden; hingegen ist der Ober ihnen lAngende Leib
des Herrn schneeweiß getüncht, weißer, als irgend ein staubgebomes Menschen-
kind je sein kann. Um an dem Kunstwerke nichts zu versäumen, hat man sowol
die Gestalt des Heilands als die armen Seelen und das rothglüheude Feuer mit
glänzendem Firnis überzogen, und schon auf zehn Schritte Entfernung kann
■ man es aus dem zur Andadit stimmenden Terpentingwueh*) entndimen, dass
man jetzt dem Heiligthum des Dorfes näher tritt.
Oben im 'rhorho<;'( ii, in einer vergitterten Nische, ist (ifrer ein hl. Florian
aus Hr>lz oder Gips, friscli und In-ll bemalt, zu gewaliren, wie er mit weit ge-
öffneten Augen in die Weit lüiuiusstarrt, die so grol] und geräumig wäre,
wihrmd er in einem so engen Käfig ein ganz unbemerktes, todteneinsames
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Dasein fristen mass. Abei-, wenn auch alle Menschheit gleichspiitig an dem
heiligen ^Manderl" — extra geweiht ist es ja nicht — vorbeigeht, ein Ange
wacht darüber mit emsiger Sorgfalt: das Aage der Uausfnia. Sie weiß die
fWurlieUnifeea diesM Bildnisses aaf viele JalineliBt« sur&clc, und sie mag's
nur iileht sagen, wie oft der Heilige in versehiedeaMi heimlielien vnd offenbaren
Nöthen auch schon seine Schuldigkeit gethan hat. Sie hat ihn von einer weit-
schichtigen Muhme geerbt oder sonst zu Geschenk bekommen, — denn kaufen
kann sich ein Baaersleut so etwas natürlich nicht.
Halt, — ja doch! Fast in jedem Hanse findet sich ein geschnitztes Gm-
eillx, Berehtesgadner Gonstmetlon; es steht anf dem Hansaltare, nnd wenn
der Priester zu einem KrankciB kommt ins Haus, wird es herabgenommn Und
zwischen zwei brennende Kerzen auf den Tisch gestellt. So ein Kreuz muss
immer vorhanden sein; bricht es etwa durch einen unvorsichtigen Starz, so
muss unbedingt wieder ein neues gekauft werden.
,So ein Sachen, — kost't eben nur ein Sechserl nnd Ist langmEchtlg
ein' Andacht im Hans."
2. Productiv bethiUigen sich die Landlente auf dem Gebiete derScnlptnr
natürlich soviel wip f^ar nicht. Ich weiß in meiner Heimat weit und breit
nur ein einziges Wegkreuz, dessen Christustignr von einem Dorfbewohner ge-
aehnitit, im übrigen aber besser ist, als man Ton einem bftnerUchen Laien er-
warten sollte.
e) Von einer Architektur als einer edlen Kunst darf nnter dem Land»
Yolke gar nicht dio Rede soin. Für schöne Bauten haben sie keinen Sinn,
und es gefällt ihnen ihre Dorfkirche, welche ohne Geschmack und Stil im
Heustadeitypus ausgeführt, aber außen wie innen schön geweißt ist, viel besser
tjlB der „mnsige* Stefansdom mit seinem nftrrischen Ziekzaek- nnd SehnSrkelwerk.
f) An keiner Kunst hat (hxs Landvolk relativ mehr Gefallen, als an der
Musik. Es ist dies eigentlich selbstverständlich, denn die Musik wirkt auf
den Menschen, so lange nur dessen Sinne gesund sind, die anderen Künste — "
Malerei, Sculptar — setzen immerhin einige Vorbedingungen voraus: ich will
nicht etwa den Baaer mit dem Thiere vergleichen, wenn ich daran erinnere,
dass der Hnnd dnreb eine mit einem lanteren Instrumente gespielte Melodie
zum Heulen und Klagen gestimmt wird, dass er aber durch Bilder nnd Stand«
figuren in keiner Weise aftieirt wird, dieselben höchstens beschnuppert nnd
wenn sie nicht nach etwas für ihn Interessantem riechen, theilniahmslos vorüber-
liafL Allerdings darf man nicht glauben, dass der Bauer für. Opern und
gTo8e Kirchenmessea, oder andere grosse Musikanfltthrnngen Verstftodnis habe.
Er interessirt sich nur für Tanz- nnd Singmelodien, fttr Marsche, überhaupt
fär kürzere und einfachere Cnnipositionen. Von solchen Piei^en wird er aber
gewaltig ergriffen und seine }^an/e, duieh die Manier niedenrelmltene Xatur
kommt in Aufregung. In der Kegel ist die Manier wol stark genug, um ihn
auch in dieser Aufregung noch fSestsnhalten: er sdient sieh ja, seine lebhafteren
G«fahle nach außen in adftqnater Weise kundzugeben. Hat er aber die
Manierschranken einmal Überschritten nnter dem Hochdrucke seiner GefQble,
— dann geberdet er sich wie ein Narr. Er jauchzt in den schrillsten Tönen,
strampft unaufhörlich mit den Füßen nach dem Tacte der Musik, die Augen
rollen wie die eines Besessenen und ohne alle Scheu und Überlegung stftrzt er
von einer Dim zur andern, und das allgemeine Gellichter der Anwesenden.
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TBactit ihn hnin«r toller. Und solche Dlrge kann man anf den Tanzböden,
noter den rauschenden Tönen der BleolliliftnuieBt8f öfter AU dem BtLÜSten Süd'
aeoBt ruhigsten Barschen erleben.
8. Es finden sicfa aveh immer Bnrscbe und llftaner vnter <fea Bt^aerny
welehft 4le TendUedeneB BlMimlfuinente „BonlMriMi*, uTronpefte",
„Flügelhom", „Clarinette" gut znFammenf>pielen kfliinen. Weniger beliebt irt
die Geige: sie darf sich bei fpstlicheren Anlassen, z. B. auf Hochzeiten, gKt
nicht zeigen, und ein Bauernhursche würde sich schämen, einem größeren
Pnblicun etwas vorzugeigen, i*^ ist mir ganz unbekannt, warum die Fidel
Win de q^ttiMli genannt wird, eo in Mlieridtt fmtiien iit; wnhraeheinifah
knnnnt ü» dem lAnerlicben Ohr zn welch nnd weinerlicli ror, die Bleddnitn-
UMDtt rauschen viel kräftiger drein. — Ein beliebtes »•Saiteninstrument ist
aber die Zither: es g-ibt fast in jedem Orte einen oder zwei bessere Zither-
spieler, bei denen sich in der Winterzeit des Abends manchmal die Nachbars»
lente einfinden, nm sich etmt snibpielen zn laasen.
3. Wenn indeseen das WoIgeAtUen an der Mnailc ein sIeniUeh nUfeoMine»
ist, nndtelbetdiemanierbrayeren nnd betschwesterlichen GemQther, trotz äofier-
lich zur Schau getrag-ener Gleichgilti^keit. doch innerlich das Wojf^efallen an
moailtalischen Productionen nicht unterdrücken können, nnd wenn es ferner
amdi stets einzelne „ Musikanten " gibt, welche die landläufigen Walzer und
Liedl 8ch8n nnd lästig henpielen ktenen, — im ganzen lebt doch in der
Banernwelt weni^^ mnsikaliscbes GehOr, nnd es ist wahrhaft ohnerreifiend,
wie die Burschen Sonntatrs im Wirtshause in ihren Duetten und Terzetten
vielmehr auseinander- als zusamraensinf^en. l^ie Buben auf der Weide, die
Mftgde im Stall, wol die Bäuerin selber beim Milcheioschenken, — alle singen
vor Lnngnireile, spotten ah«r üiher uleier über ihnn Oeaang: „SMl iitPi.
nicht 'gangen, aber lant*
Das gilt allerdings mehr von den Bauern im Flachland. Tm Gebirge
dörften die Leute etwas besser singen, — ich kann aber nicht dafür bürgen.
In Älterer Zeit sclieint es auch bei uns auf dem Flachlande urUnstiger mit dem
Gesänge bestellt gewesen zu sein, denn die jetzigen alten Mütter singen, wenn
■ie mal dazu anf^legtsind, «vit bester als ihreTSchter nnd wissen anch mehr
nnd adlltaere Lieder nnd Arien.
B. a) Mit den Liedern sind wir nun bei dem Capitel über Unterhaltung
nnd Spiel angelangt. Von den ländlichen Liedem mnss vor allem bemerkt
werden, dass wir in ihnen jenem tieferen Widersprucli zwischen Banemmanier
nnd Natnr nicht begegnen, denn: die Manier hat keine Lieder. Sie ist
ja von anfien oetroyirt, nnd ktante liSdistens in epischen oder didaktischen
Dichtungen ihren Elnfluss seigen. Das Landvolk kennt aber fast nur die
' lyrische Poesie, die Lieder quellen aus dem tiefsten Innern, bis wohin die
Manier noch nicht bekehrend nnd verödend dringen konnte.
Selbst das religiöse Lied und das Kirchenlied stellt sich, eben weil
es Lied ist, nicht in den Dienst der Manier. Die gans manierbraven nnd bet^
schwesterlichen Seelen fühlen sieh kanm in der Kirche zam Singen gestimmt»
wo sie ja in tiefe Andacht und Separatverzückung versunken sein müssen,
und wer dulicr in oder anüer der Kirche ein religiö.ses Lied ertönen lilsst, ist
gewiss ein aufgeweckterer Geist, der seiner natürlichen inneren Stiromong
Ijrischen Ansdnck verleihen will. „Böse Menschen haben keine Lieder*! —
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ftber aach schlechte Geistes- uad GeaiimiiiigcriolitangeQ kaben, soweit sie ebea
schlecht sind, keine Lieder.
2. Wir koanen hier keine Übersicht über den Yallngeaaag geben, —
ein MlehM üntemehiiMii wflrde eiae nrnftogUehere Vorarbeit erbsiflchMi, ala
wir diesem speciellen Zwecke widmen konnten. Wir verweiaan nnr auf die
vorhandenen Sammlangen von Dialektsliedern (Ziaka und Schottky, 1819,
Pogatschnigg and Herrmann, 1879 o. a.), welche zum Theil recht übersichtlich
und verständig eingetheilt sind. Hier interessirt uns hauptsächlich nur der
Nachweia, daaa die ItndlicheB Lieder ulelit im Dianate der Manier, sondern
«oaselilieBIIeh in deai der Natur erttaen.
3. Die Freade an der Sateren uif^lieiMleii Natur nnterdrllekt der llaiiier-
aeoadi «ad lehainft aioh ihrer — Im Uede kUnct aie doato heller:
„T muass jo heint ah uoh am Gamsberg: geka,
Ist ja der Wind und das Wt-der ho sohfin,
Uiti 2ttucliieil, um dmu ju so heil uad klor
— So sohan wiid'i naamer dos J(üurl" — oder:
, In die Berg bin i gern,
Und da fri.Mit äi nieia GmUeth,
Wo die Ohnrosen woohst
ünd ikr Enzian btfleht." — oder:
jjSchaa schau, wia's reffna thuat,
Sdkau schau, wia's giait,
Schau schau, wiu's Waaierl
Vom Doch oberschiaßtl** — - oder in humonsUacher Färbung:
jJhobn auf der Olm
Do thuau die JsLUßh kolbn,
Do hab*B die FUh SUeÜBil ob,
Doa hat mer gf^faUa.**
Und wie oft wird da der grüne Wald, der hlane Bimmel, der hohe „Alpen-
apitz", die „hohe Schneid" u. s. w. gqiriesen md das Wassert liegt tief drunt
im Thal, der blaue See, über den zwei srhneeweisse Täaberl fliegen, odnr das
Hirscherl im Tanu und das Vögerl in den Lüften angerufen, damit sie gleich-
sam, wie denkende Wesen, theilnehmen sollen an der Freude des Jägers, des
Almkneehtea, des WUdaditttaen, — oder in was immer für Bollen der bftner-
äehe Singer oleh ehen Wtieft hat
4. Die Liebe ist von der Manier grin/ zum Schweieren vernrtheilt: sie
erficheint als die Haupt(iuelle juf^ondlicher 'l'horheit, als jenes im Grunde
freilich notliwendige Übel, Uber welches sich der Mensch erst hinauszuarbeiieu
hat, um zu den höheren Zielen des Maniersystems zu gelangen. Wer daher
dieoer Liebe achSnen Avadruck verleihen wollte, wfirde dadurch nur einen
Zostand feater attttaen nnd halten, der je ft-Uher desto besser beadtigt wird.
Im Liede aber erklingt hnndertstimmig das Lob der holden Maid, und das
Vmrlangen, aie an beaitaen, drückt sich in tausend verschiednen Wendungen aus:
„Mein Schot zcrl bot biaoni ▲og'a,
San Toila Liab,
Und i denk ollwal drauf, woaa i
Branai Aug'n siaohl*' — oder:
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..Su liil)»ch und BO fein
Wird nit bold onni seiil,
01s wia dös Dirndl is,
Wal's 80 schworzaufrad is" — oder:
.^wou Augirin bad s' wiu XiurscluikearQ,
De Zandin san schneeweiß,
De WaDg:orln de san rosrnroth,
Hob' h' recht betrocht't mit Fleiß.
In Loaboch und in Dres'n
Und in Bos'n kann i BOff*n,
Is koan !<() sclii'iii SoL« iKig^iin,
ünd de uiuatw üi no hubn.'*
5. Der manierbrave Darchschnittsbaner ist der Eackerei ergeben, in Ihr
fühlt er seine Tauglichkeit fiir die \Velt, und sein übertriebenes Sparen nnd
t'bersehJitzen des Geldes hat seinen Grund nur darin, dass der Bauer bei seiner
Plackerei sich von jeder Speculation oud ungewohnten Unternehmung dispensirt
glaubt und sieh nach keiner Seite hin Bedeutenderes sa erwerben weiA. Wia
ganz anders der Baoembonclie im Lied:*
„Jahe, ih hob kosji Oeld,
Ih hol) koans 'hroacht auf d'Wdt,
Mein Vpda gibt lua koans,
Ih schau nvt selber um oaas:
Ih nimm sein Stotzerl her,
* ScbiaÜ a (Janiserl frisch,
A Geld dos kriug' i schon
— Dos woaB i g'wiss." — oder;
,,Wonn i ß:or ka Geld him,
Schiaß i Wuldtäuhl /'sonim,
Und a Gaiusl dazua,
Hon i (leid wieder g'ana.*' — oder:
yjl 8:eh herein, i knia herein,
I treib a poor ungleiche Stier herein,
Ein'n junt^en und ein'n ölten,
Hein voda \vill nü nienier g'halten.
Er glaubt, i bin schon lang vcrdorb'n
— Und jetst bin i erst ein reicher Kaufinann word'n!"
Und 80 denkt man denn im Liede an keine Geldnoth, smidem ist Uuiig
und läast sich's wol ergehen :
,.T>t r Vuiln hot c'sogt,
Bucbnia seid h nur lusti,
Sonst wcr'n meine Tholer
In'n Kostn rusti!'* oder:
..Hob' mein Lebtog: nit gast ton,
jSon's uoh nit in Sinn,
Siacht ma's an iada in'n Federn on,
Woe f*r a Vogl i hin!'* — oder:
.,Lu^tic: ij^'s Lum[mlrhn,
'b Geld hat ma d' Muuda gebn,
*s Dbadl han i selber ghot,
Drin in da Stodt»' — oder:
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— 771 —
.,Hijitz hou i uoü sit't'hs Kraiza,
Dil i;'hörn nit meiu, uit dein —
Drall (Ii, Wcbcrl, druh di.
Vcr^offu mOnssen 's stiu", ii. w.
6. Die Manier schreibt vor, dass mau sich ärmer und „minder", d. i. be-
danenuwerter stellen soll, all man in der That ist. Die Manier nfthrt infolge-
deasen das Lamentiren, das gegeasiltig« Klagen, den traarigen Ton im gansen
äußeren Verkelir, — und schließlich wird diese grundlose, affectirte Tranrigkeit
habitnell und wird wahr. Dagegen macht nun das Lied Front:
„Wonn i aniol stirb, stirb, stirb,
Müassen mi d' Steirer trog'n
Uuil dabei Zitht^rii sclilog'n,
AlhvL-il liilrl. Hfi. l. fidrl.
• Traiiri sei kouu i "s uit, jo niciner 8cclM " — oder:
,,A lusti^rf T Biia
Bin i's oihvt'il fjwrs'n,
Und ban Wirt af der Thür
Stclit'ä zum oberles'n." — oder;
„Wenn i srhon, wenn i schon
A kloaus Witserl uiir bon,
Sein woi denna, woi denna
Viel HenscliSber dronf^* — oder:
„Bin a lustififcr Buu,
r.in a Olinahohla,
Hob silbcruu Knöpf
Ba da Hosnlbltar n. •. w.
7. Ja, die Lieder wenden sieh mit Spott oder Spa£ sogar direet gegen
jene, welche der froheren Jugend gegenüber die Haniersatanngen entweder
wirklich oder nur in der Vorstellung des Sängers vertreten, also gegen die
Eltern und den Pfarrer. Mar:olie Pfarrer sind auch in der Tliat so nnver-
stJlndig, sich in die berechtigten Freuden der Jugend einzumischen und sogar
die Tanznnterhaltuugen, das Schäkern der Burschen und Dirnen, das Singen
nnd Jabeln als eines Christen nnwOrdig nnd als sündhaft hinsastdlen. Solchen
Übergriffen eines Pfarrers folgen dann die ÜbergrUfo des Banemliedes nnd
die Fehde nimmt kein Ende.
„Och, Voda, geh, mocb koan
So närrisch'» Octöst,
Du gantfi^t (»elher zum Dirnderl,
Wonnst d' Muada nit häst!" — oder:
„Jo, jo, hol er f;";>o£rt
Da Hoehnegijer Pater.
Bein» Dirnderl därföt lieg'n
Über weg-gedrahter!'' — oder:
jJlet Pfoner thnat predig'n,
Dos Liab*n war a Sund,
Und die KOchin thuat's wundern,
Doos er oUi Nodit Ummt,"
nnd wenn der Pfarrer etwa sonstige Anknäpfnngspiuikte für den VoüuwitB
bietet» wenn er s. B. in der Sprache als Gieehe oder Slovalt sich vwrith, oder
in der Kleidung etwas AnltftUiges nnd Komisches hat, so ist bald ein Lledl
darauf fertig gebracht:
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— 772 —
mUhmt Ptter fldilewMk
BAt «ia*a cUnlongen Frack
Und „mm Angedenk'n"
LoMt «'s oWkenk'n/'
8. Unser Volkslied ist unstreitig älter als die heutig« Bauernmanier und
Banernmoral. Obwol es im einzelnen fortwährend umgedichtet und umgemodelt
wM, 80 darf der dg«iitlidie S«ni oder Stamm deoaelben doA in dia Zeit vor
dw Reftanatloii and Gegenreformation zuräckdatirt werden nnd reprlseoortirt
somit den von der geß^nwärtipen hünerliolion Manierdoctrin noch nnbenTOngPtiPn
Rest des Volkslebens. Ziska und Schottkj' sagen in der Einleitnns: zu iluer
obenerwähnten Samnüung, S. IX: „Es athmet in den Tönen der Volkslieder
ein kecken AilMrelMii nnd Janclizen, das nicfat im 16. od« 17. Jabrimndert,
vid weniger noeh ^iter gebaren werden konnte, in einer Zeit» wo der VoUka-
geist in Deatschland nicht mehr krüftig nnd selbstständig sidb heransznarbeiten
oder frisch zu verzweigen vermochte. Die Zeit der Begeisterung war da schon
gewesen; Religionsstreite wirkten mehr oder minder lastend aufs Volk, es
war mit dem Singen anSi oder dogmatische, eintönige Lieder verdrängten die
weltUdien.*
So lange die im Mittelalter so gllaaend bewährte natürliche Geisteslcraft
des Österreichischen Volkes, dt .s?pn angeborener Sinn für Lied und Dichtung,
unter dem Krücke des gegenwärtigen Maniersystems ohue neue Nahrung und
Hebung noch fortbestehen kann, so lange w ird auch das im Dienste derNatür-
liehkeit stehende YoUulied noeh fbrtklingen, immer sdiwicher nnd sehiriUdier.
Die aitergewordenen Banenlente, MSaner and Weiber, die schon IMer in
die Manier verschanzt sind, verabaehenen diese Liedl als „ Dummheiten als
„vonnäulige" fd. i. vorlaute) nnd „dalkerte G'schichtn", und je schwächer
sich im Laufe der Zeit das Geistesleben in der Jugend regt, desto leichter lässt
sich diese durch derlei abfällige Beden der Alten einschüchtern. Hente sind
die echt ländlichen Liedertezte thatsäehlieh immer mehr im Abnehmen be-
griffen , an ihre Stelle tritt, wo nicht z. B. durch die Fabrikbevölkenmg die
textreicheren „kecken" "Wiener Lieder importirt werden, ein textloses, leider
auch wenig harmonisches Gejohle und ,.Zusaramendudeln". Allerdings wird bei
diesem „Dudeln** nicht so viel durch Fiirwitz gesündigt wie bei den altüu Liedein.
So wirtschaftet der Unverstand mit einem koetbaren Erbetttek aas einer
Driseheren, froheren Epodie nnseres VoUtslebens. Anstatt das alte Volkslied,
wo es nothgethan hatte, zu verbessern, zu veredeln und es zu immer größerer
Bedeutung zu erhebon , war man froh , es absterljen zu sehen . ai-beitete sos:ar
an diesem Zerstürungsproceäse nocii eitrig mit. Aber Besseres haben die öden
Dnckmäoser, deren gehässiges Streben gegen das Volkslied gerichtet war, doch
nieht an dessen Stelle an setaen gewnsst, — und das arme Volk leidet die
Strafe dafür mit seinem immer größeren Stumpfsinn und seiner wachsenden
Unempftnglichkeit für Lebensfreude, für alles Schöne, Heitere und Frolie.
\)) Nach dem Liede spielt die Erziihlung die erste Stelle in drr l^aneni-
unterhaiiuug. Wie von den Bauernunterhaltungen überhaupt, so macht mau
tidi gewQhnlidi aiieh ^nm dem btnerlidien Interesse Ar EraSUnngen einen
aDaa idyllischen, optimistischen Begriff. Es ist in intelligenten Kreisen fiult
sehon zum Dogma geworden, dass sich an Winterabenden Bauerndirnen nnd
Knechte regelmäßig in der Spinnstnbe versammeln nnd hier mit einer &belr
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haften UnerscbSpflichkeit pieli frt'genseitig die riilirendsten Gescliicliten vor-
erzähleD. Ganze liüclier 8iud ja erschienen unter den Titeln „Spinustube^,
„EnXbSnBgm an liSinlklmi Eerde* «. «. w.» nid wie in soldieii BUdiem
anf eine volle Seite stets eine zweite folgt miA Icein leeres Blatt daswiadien
ist, so. g'lfiTibt man, folgt anch in der oTalig'aten wirklichen Spinnitobe beim
Schnurren des Spinnrades eine interessante Erzählung auf die andere.
Der Bauer kaoft heute seine Leinwand billiger and feiner im Kanfmanns-
IftdeOi als er sie selbst eneagen kann, nnd statt des nsAs baut er lidmr
Ktthflütter, im mäa Xfleh Tsricanftn m Unnen, oder Weinn, «m destomehr
BackbUirieln fir den Stadtmarkt berananzfichten. Die romantische Spinnstnbe
mit iliren Historien ist fast ganz in Vergessenheit gerathen, dafür geht der
Baner sammt (iesinde nm VgS Uhr abends schlafen, nm für die morgige Arbeit
und Bäckerei gut ausgerastet zu sein. Nur das „Kukuruz- Abplübschen", das
EatblMiteni des Halses, fVhrt in den HerbBtabeaden Sfter eine grMere Oesell-
schaft zusanmien, und wenn sich dabei die Hände fleißig regen, so wiU auch
„das Maul nicht feiern", wie der B.iner sich ausdrückt. Und da kann's wol
sein, dass die alte Kathl wieder einmal herausiückt mit einer ihrer schon
Itogst bekannten £&uber- und Gespenstergesckichten, und dass der lustige
WasÜ dranf «In pnsr „DuanlNitfln'* «nu besten gibt, danit die Wefberient'
▼or Angst nnd Grans» nieht «twa gar ibfctn Bdilaf ^bttBen aflssen.
2. Und was erzählt die Kathl? Nun, vom seligen Ranchbanern halt, wie
der auf dem Fußboden seiner Stube drei Blutstropfen gehabt hat, die mit
allem Reiben und Waschen nicht wegzubringen waren; wie sie dann den Laden
anfgerissen nnd in den Ofen gesteckt haben, — und wie jetzt auf einmal ober
dem Kachelofen ein „Wcrg^Wkld* gdegen Ist» ansircleheai der ff t —
soll ihn nicht nennen, aber er war's — heranageredet hat. Und iwganbringen
war der Werg-\Vickl nicht, weder mit Ansprechen noch mit Besprengen. Die
bravsten Geistlichen aus der graiizen Gegend sind gekommen, den Tnfug weg-
zuschaffen, aber einem jeden hat der böse Feind eine Einwendung machen
ktanen. .Dn hsnt als Sdralbnlb delneni Vseter einen PHanning gestohlen, anf
ains Sebre&feder", sagte er dem einen; „dn bast defaier Matter die Stndel')
abgezählt auf dem Tisch, wie viel anf dich kommen sollen**, hfJhnte ereinem anderen
entgegen. *) .\Vor kann dich heben", fragte man endlicli im Namen Gottes und
aHer Heiligen den bö&eu Feind. „Übern Annaberg geht ein Lackenpatscher, der
wird midi heben", war die Antwort. Und wirkltdi, der „Lackenpatscher", ein
recht demflthiger, „gmoaner** gdstUeber Herr ist gekennen nnd hirt ihn gcboben.
Und dann weiß die Katlil nodi sdireckliche Räubergeschichten. Aber
es sind ^te nnd edle Känber, von denen sie erzählt. Diespllu n rauben nnd
morden zwar wie die aiult^irii, — aber nnr Ijei den grossen Herrn, den Guts-
besitzern und \'erwaltern, und zwar lediglich zu dem Zwecke, um arme Baueru
«ttd mflbseUge Inwohner zn besiAenken. ünd mancber Yon dies» BBabem bat
sich wieder znr rechten IZelt einen ofdentUchen Leben ngewendet nnd seina'Tage
in "Wolhabenheit beschlossen, ein mancher freilich hat unter dem Beile des
Henkers hoch auf der Gerirhtstribüne endw Brössen, aber er hat sich bekelirt
nnd seine Seele ist gerettet worden.
8. „Jo, jo," sagt der Wastl draof, »so geht's: der R&uber bat nflssen
Unanlhtt%en nnd vir* gwiss gern bemnter HbUeben. — Und nandunsl dner
flMt^ wieder gern hlnanflAelgeni nnd es geht vät*
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Die Dimea idimatMii. Denn der Waitl ist ein Schelm, wer weiß, wae
der dronter sdioii wieder meint.
„Na," sag-t er dranf. iliren Zweifeln begegnend, ,kennt'e Hbr denn nidit
dieaelb' G'schicht von dem besofienen Reiter?"
„Nein, nein, ich nicht, ich auch nicht", sagen alle, nur dieXathl zwinkeri
halb schelmisch und halb geringschätzig uit den Augen. Sie wösste solcher
^Dummheiten'' auch genng von ihren jüngeren Jahren her, aber te etwa« wir'
ihr echon zu „leicht" zum Erzälilen.
„Das is so g'west," ftUirt der Wastl fdrt. r,Der besoffene Eeiter hat
nicht auf das Kos» liinauf können. Und weil's halt gar nit 'gangen is, so hat
er einen Ernst g'macht und hat die heiligen vierzehn Kothheifer^^j an-
gemfen, nnd richtig is er hinanfkommen. Aher gieieh ii er auf der andern
Seiten wieder hinunter 'pnnelt; und wfthrcnd des Fallena hat er g'ichrieen:
,Ö8 Tschappeln Ol,") — münt's denn all' vierzehn anf einer Seit' an-
tauchen?!*''
„Is irei ein Frevel,^ sagt die Kathl ernst, während alle anderen ein
heUes Gelächter anstimmen.
„Oh,** meint der Waid, „m Si^ Mhen m dnmme Lent', — nnd waa
wahr ii, kann man ja sagen. Wie war's denn mit dem Sehaflialterbaaben,
der schon sein zweitesmal zur österlichen Beiclit und Communiou '^anfren is.
Wie's zum Absjteisen g'läut't haben, klopft er auf sein' Brost and sagt an-
dächtig:
„Ooo, da Schaf Oottei, welchee*
„Qehit nit,* ichreit gleich der Messner, „wie kannst denn m waa in
der Kirchen sagen, auf der Stell schick ich dich weg!"
„Nau,'' meint der Schaflialter, .fert^') ii'i ein Lampl g'west, so kannt's ja
doch heuer schon ein Schaf sein!"
Und so weiß der Wastl, zum sichtlichen Verdron der alten Kathl, noch
allerhattd m enftUen vom Plhirer nnd aeinem Fido, vem WeidmanniMder
Herrgott u. s. f. ünd weil der Herr nnd die Fran lohon schlafen gegangen sind,
und keine Autorität da ist, der locker gewordenen Unterhaltung den noth-
wendigen Kadschuh anzulegen, so bringt heut der Wastl einmal alles vor,
was er weili. Und er ist ein uusbündiger Spitzbub, dem keine „Dummheit"
noeh entgangen ist, — iit com Glfiek kein loleher mehr in der gansen Gegend
weit and breit. Die ganz PÜur krieget' dorTeuel, wenn noeh ein paar Kdche
wftren im Ernst nnd Spaß!
Aber auch der Wastl erschöpft sich, — ist auch schon höchste Zeit, den
Dirnen thun schon die Wangen weh vor Lachen, und die alte Kathei ihrer-
idta hfttt'i auch nicht mehr länger aasgehalten, hätt' bald dem Wastl eln's
hinanl^^eacUendert, eine Engrohheit nftmlidi oder einen KnknrnznapfBn, waa
ihr eben zuerst zur Hand geweeoi wire. Nun ist sie aher crUM, und den
Wastl srlifiiit es selber zu reuen, dass er heut' wieder gar so ausgelassen war.
In so und sijvit 1 Wochen kommt die österliche Zeit, und beichten rauss man
so was, sonst ist mau ja ein (iottesschänder, ein Sacrameutsräuber, ein Mörder
nnd Gott weiB, waa noch aUei lonit.^*)
4. ünd wie der Maishaofen schon aaf die Neige geht, md die letzten
noch unenfhl'ifterten Frnclitzapfen aus den locker anfgethtirmten Hügeln ab-
gerissenen Kukorttzlaubes hervorgesacht werden, so sacht man nan, nachdem auch
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der geistige ünterhaltungfsvorrath fast gänzlich auf^t zolirf ist. die lotzton Piecen
hervor, um den Geist noch ein wenig zum Denken anzuregen und den Schlaf
za bauneu. Ks sind die Kätbsel, die jetzt, nachdem man sich schon müde
geUeht hat, mit Oacm Btoder aufregenden, spietandeD Lihalt gm wolthaend
wirken. — »Wer emlli't*? das ftagt eine Dira:
^8 ist ein Fasscrl ohne Wunden,
Hat kriirn Keif und in nit ^blinden,
Sein xweierlei Wein'l drein,
Was man des für ein Faswii eein?"
pDas Fasserl is ein Ei," sagt die Katlil gleicli drauf, „die zweierlei Weinl
sind der Dotter und das Eiweiß." „Was musst denn du gleich alles sagen,
Kathl,** trumpft die Dirn, „sie hätten vielldelit lang nachdenken mfieeoi, und
am End' hätt'a der Waatl aelher nit enathen. — Warfs,** fthrt sie fort, ,ieii
weiA noch eins:
„In nnserm Hof ist ein grosser Stein, nnd wenn der Hahn kräht, so
rfihrt er sich, — was ist denn das V"
Alle denken und denken, niemand könnt' halt dranfkomroen, — nnd die
Kathl sagt niehta. «1 sdion, i weiß schoni" fW>hloekt anf einmal der
Halterbnb, „das ist der Oroßknecht, weil er sieb in der Früh nur überdreht,
wann er den Hahn hört, nnd wir andern aufstehen müssen," nnd dabei fährt er
mit der Hand verlegen zum Mund, weil ei- erst in demselben Moment die
große Lästerung erkennt, die er ausgestoßen. „Wart Hallank," platzt der
mürrische GroiUtneeht, der Usher theihiahmslos neben demWastl gesessen nnd
langsam der Arbeit aufgewartet hatte, »hast mir jnst Finger und Schnabel
schön beinand," und streicht ihm mit der , umgekehrten Hand ein derbes
übers Gesicht, — was dieser schweigend hinnimmt nnd niemand zu bemerken
scheint
aAlsdaan was i^s/ mahnt wieder die Diru, „in mmerm Hof Hegt da
großer Stein, nnd wann der Hahn kräht, so rührt er sich!"
Aber niemand könnt's errathen und scbliefllieh muss es die Magd selber
erklären, dass im Hof ein Stein liegt und auch regungslos wie ein Stein liegen
bleibt, und dass nur der Hahn sich bewegt beim Krähen. ,Wann der
Hahn kräht, so rührt er sich.**
Mittlerweile ist man mit der bentigen Portion Arbelt fertig nnd erhebt
sich schläfrig ächaend,'nm das Na« htlager aufzusuchen. Der Großknecbt knüpft
noch die zwei let/.ten Frucht7.a]»fen und wirft sie unwirsch zu den anderen in
den Korb. Er ist heute beleidigt worden, nnd morgen beim Ackern wird's
der Halterbub noch entgelten.
So etwa sieht eine ländliche Unterhaltung mltEnählnngen, Witaen
nnd Bäthseln ans. Der Unterhaltuiigiatsff ist ein beschränkter, nnd mit
20 Jahren haben die meisten Landleute fast alles gehört, was nur irgend an
bäuerlichen Geschirliten , Anekdoten und Eilthseln etc. circulirt. Neues wird
nicht erfunden, und gegen den fremdartigen Unterhaltungsstotf anderer Stände
nnd Classen hat das Bauemvolk eine unbesiegbare Abneigung. Übrigens wird
ihm von anßen anch wenig geboten. Nnn mag man sich Torstdlen, wie lang-
weilig die freien Stunden der älteren Leute sind, wie diese Langweile cor
Stumpfheit nnd Hnrrischbeit fährt, welche sich schließlich sogar gegen die
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wenige geistigB AongOBg faindUch «od «btohiMBd vfliMlt, die alek atir«
noch böte.
5. £8 wären noch die SpftAe zu erwIiiMB, welche im Wiitahanee zum
httUm f^aytan 'wtHtaL- Wbt fUdt äA der Baner mätwäiüg dar FieiMiii,
welche Um au die Manier binden, gftadiob entledigt «nd er gibt sich, wie ibia
ist. Aber es ist in diesen Wirtshausspäßen leider so wenig Flug des Geistes,
80 wenig Erhebung des Gemüthes, so wenig Sinn, dass idi dm Leser hier
damit verschonen will; nur andeutungsweise beaierke ich, das« Zoten und Un-
flfttigkaiten, bodialte ud «rdialre Witea fiber Abweaende oder ftber andere
Stiade, Zänkardoi vnd gegenaeitige Foppereien, im besten Falle eine gans
unreife Häsonnirerei Uber sociale oder politische Zustände etc. in den lllnd-
lichen Gaststuben an der Tagesordung sind. Nur wenn gesungen wird, lässt
sich so eine Wirtshausunterhaltung noch hinnehmen. Höchste Zeit wäre es,
dass hier eine intelligente Kraft sichtend und veredelnd einwirken wfirde.
e) Wir haben jetat, in dem Capitel fiber die ünteihaltiuigen, noch daa
Spiel zu besprechen. Die Spiele der Kinder erwähnen wir nur im Vorüber-
geben: das ^0 — renna", das „Oninäuerln", das ,,Ver8teckalix", das „\h-
fangalix", das „Grüeberlscheibn" und „Xussschürgerln". das j.Hudlpelzen'',
das „Bämtreiben", das „Speckschneiden'', das ^G'vatter leih mir d Schar" sind
die beliebteren Spiele der Knaben; die Xädchen spielen lieber „Biindlmloal*
(Blindekuh), „Orttnes Oras, grünes Gras*, .Ringa-RiagapBeiha* n. Ihnliehe.
2. Diese Kinderspiele sind meist altttberlieferte. Eine zweite Gattung
von Spielen bildt ii flit it niiren, welche sich die Kinder ohne formelle Anleitung
selber erfinden, indem »ie das Treiben der großen Leute nachahmen: so spielen
die Knaben „Ackern", „Pferdhandeln'', „Sauschlacbten" (Abstechen), oder
ffthren wol gar ein Soldaten- oder Biaberqglel anf; die Itidchen spielen ^Motter
nnd Tochter" oder „Gräfin" u. s. w.
3. Die Eltern nehmen in den Spielen der Kinder keine leitende Stelle in
Anspiuch; das \v;lr' ja kindi-scb, wenn ein alter Meusch bei sukhem „Tschap«
perluerke" mitthun würde. Der kindliche Geist bleibt sich also hier selber
fibeiiassen, nnd bei der Verbfldang nnd Verkehrtheit der Alten ist es anch
ffir die Entwickelnng der Kinder so relativ am besten. Damit ist aber nicht
gesagt, dass die bäuerlichen Kinderspiele objectiv keiner Besserung fllhig
wären und die t^berwachUDg vernünftiger Kinderfreunde als überflüssig
gelten dürfte. Die Kinder verfallen, wenn mau sie allein Uisst, auf allerlei
nngeschiektes Zeug: da hMten zwei 3jährige Knaben einmal „Sauabstechen*
gespielt; als Messer diente ihnen ein Holzspan, nnd statt du* Schweine —
fingen sie die eben ausgekrochenen Küchlein aus dem Ilühnerkobel, um die-
selben durch die hintere Leibesöffnung abzustechen. Eben wollten sie das
dritte Schweinehen erlegen, — als die Mutter dazflkam und der Murkserei
ein Ende machte. Natürlich ist das Nachspiel solcher kindlicher Geschmacks-
Terimmgen eine tüchtige Tracht Prfigel; aber was kennen fSglich die Kleinen
dafür?
"NVenn aber die Eltern auch den Gang der Kinderspiele formell nicht
beeinflussen, so üben sie doch insoferne eine sehr empfindliche Einwirkung auf
diese Spiele, als sie dieselben gewaltthätig verkürzen. Nicht nur, wenn die
Kinder irgendwie dnrdi ihr Spielen nnbeqnem werden oder gar Sdiaden an-
richten kannten, Tenagt man ihnen die Erianbnis dazu: man will sie fibeibanpt
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zwinff«n, recht frühzeitig das Spielen panz beiseite zn lassen. Da der Baner
die Kinder von vornherein nnr spielen lilsst, wenn er vor ihnen eine Zeitlang
Rnhe haben, ilirer los sein will, and da er dieeelben anderseits schon früh-
nltig „einzaspaiineB* nsd llr Miiie WiiMMfl WMwiittiiBB miS, m trlMllt
▼ML Mlbit, dan dk ttüt Spielscit der BmerniJiigead in gansM genoniMii
fiat beacbrinkte ist. Am mdstan wird no^ geipielt beim Viehhtiten, — aber
auch hierbei wird es noch ungern gesehen, weil dadurch die Anfmerksamkeit
von dem Weidevieh zn viel abgelenkt wird, and wenn der Bauer seinen
„Halterbaben" beim Spielen erwischt, so schilt er ihn gründlich, ans, wenn
aidit mmIi li^jem gwdiiebt
d) Und doch lässt sich das Spielen nicht aasrotten. Aach die reifem
Jagend und selbst noch di*? Erwachsenen haben ja ihre Spiele. Da ist vor
allem das Kartenspiel her vorzn heben, welches einen großen Theil der freien
Zeit, über welche die Barschen and Männer verfügen, absorbirt. Namentlich
dir Somtag-Naehmittiff iit Uan uamt^my tm. Wlrtahnt grnppirtn lieh
di» Bnum and die „gBMffftei'* Banche und Kaidito la afanr Pr6f(6reiiee zn-
sammen, draußen am Anger unter dem Nassbanm ln»«m abends die Weid-
bnben nm ein Häuflein Nässe herum, die KartenbliUter in den Händen. Und
es ist noch gut, wenn man so ein Hilunein Nüsse als ausgesetzten Spiel»
preis erblickt: garoft verspielen schon diese Jungen ihr Tanbengeld and später
ale ftltere Borsoke ihm liiherh^, nad als Baaem so meoehen €Küdca vmn
KomerlDe. Es liegt gar nichts Ideales in diesem Spielen: nicht um den Geist
angenehm y.n beschäftigen, spielt man, sondern hauptsächlich, um sich etwa
cinifj^e Kreuzer oder „SecliserP zu verdienen. Zwanzig Kreuzer Gewinn,
was ist schon das tiir ein Herzensjubei, zwanzig Kreuzer, die man sich gar
niebt einninl smot verdieiit hati Und nuuichsr ha* aneh wAml 2, 3 (Calden
edcr noeh mehr anf einmal gewonnen! Es ist beseichnend fir den Haofiri aa
der eigentlichen Si)iilfrende, dass man mit Banernburschen ^ar nicht unent-
geltlich spielen kann: sie fang^en einem dabei zu pilhnen an, spielen ohne
Aafmerksamkeit, ja, sie schämen sich fast, umsonst zn spielen. Sogar die
SQbne eines reichen Baners gehen regelmäßig darauf ans, rieh Sonntag» bete
Kartenspiel oder anf der Kegelhnlin ihr Zehrgeld m verdienen!
Sollte man's glauben, dass bei diesem sonst so knickerisch-nüchtemen Volke-
ein 13j:lliris:er Knabe bei seinem Kameraden 10 Gulden Spielsdinlden ans-
stehen hat, die die.ser in Katen wirklich zahlt VI Dass die woliiabenden
Eltern des üewiunenden davon Kenntnis haben und die Sache gelten lassen,
sttnunt allerdings zu der Tenteekten Gddsnoht saldier manierhcfligen Schein-
frdnunler.
e) Von dem Kartenspiel, welches uns so stark an eine dü.stere Seite der
heimlichen, entarteten Bauernnatnr erinnert hat, wenden wir uns zu den mehr
dramatischen Spielen. In frühereu Decennien gab es eine beträchtliche Anzahl
sekher Spiele, theils weUUeher, theile religiSoer, Ih weleh leteteron die Ma-
nier zwar stark vertreten war, aber nicht die vnkesehrinkte AOeinhenrsekaft '
ausübte. Man erlaubte sieh nicht nur komische Einschaltungen in den kirch-
lichen Stoff, etwa einen sclia den frohen Dinner des Herodes oder die Gi"oßmatter
Lucifers, sondern nuMlelte überhaupt die tr»"^'iuiraten historischen nnd selbst die
überirdischen Erscheinungen nach bäurischem Muster am, so dass z. B. die
hethlehendtiBcheiL Hirten als »HaosI", »Hiasi', „Uoü'^ nnd »Jegl* anftreten
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und der heilige f etroa aof aeinen W«adenuig«a bei einem Baaer in der Scheane
übernaclitet.
Solche religiöse Spiele („Komödien'*) waren das „Adam> and Eva'G'spieP,
welebes nna Boeegger m vortrefflieh geediUdert hat; das «Krippwlgspiel**, die
herumziehenden „Heiligen drei Oitige" mit dem liölzernen Stern und das
„Passions^'spiel". An weltlichen Spielen haben wir die „Minkerlbursch" und
den „Fasrhititrszug", das „Kuscliinf^begrab.'n-' und etwa nocli das ^Sonnweud-
feaer*" und die verscliiedeueu Uochzeitsgebrauche za erwähaen. Auch der
„Haibanm" gehftrk hierher.
2) Beate hat anser Landvolk fast alle diese Spiele schon aafgegeben.
Man könnte glauben, dass das Aufstreben der Provinzstildtchen und -Märkte
dieses Abnehmen altbäuerlichen 'J'reibens. zunächst in den angrenzenden Bauern-
dörfern, bedinge. Allein die Bauern verhalten sich souht ganz ablehnend gegen
die «tldtlMhe Ciltnr, wenn sie aiuh nir eine Viartabtimde Weges vom Harkte
oder der Stadt abseits hausen: and fibrigeas leigt sich andi tiefisr im Qebirge
das gleiche Sehwinden der altot Spiele, und selbst ii den entlegenen Berg-
thälern Steiermarks hat Rosegger dieselbe Erseheinnng zu bedauern. Wir
müssen vielmehr den allgemeinen geistigen Niedergang, das Schwinden
der natürlichen Geisteskiaft unter dem Drucke des Mauierwesena als die Ur-
sache dieser VerMaog erkennen, einen Niedeigaagi fllr welchen das splrliche
Wnizelfauen unserer modernen Scholkenntnisse noch ein allan nngenOgender
Ersatz ist.
Es ist charakteristisch für die Quelle, aus welcher das Landvolk die geistige
Kraft für diese Spiele, auch für die religiüt>en, geschöpft hat, dass beim all-
m&liltgen Schwinden dieser Kraft nnd der Frende an der bftnerlichen Dramatik
nicht die kirehlidien EomOdioi, sondern die weltlichen Spiele sich am lingsten
behauptet haben, was doch sicherlich bei der Bigotterle der Bauern sehr be-
merkenswert ist. Das letzte Aufflackern des dramatischen Geistes zeigte
diesen wieder als eine natürliche Anlage des Volkes, die aber schon zu
schwach war, als dass sie noch hätte lebendig auf den Mauierboden hinüber-
maltr&tirt werden kVnnen.
In meiner Knabenzeit, zu Ao&ng der sedisiger Jahre, hatte ich denn
noch Gelegenheit. Faschingsspiele ZU Sehen, ond kann sie daher noch aas
eigener Anschauung schildern.
f) Der i;'asching ist die Zeit, in welcher die Manier zeitweilig suspeudirt
oder dMsh gans bedeatend gelüftet wird. JSs herrscht In diesen Tagmi die nn-
verfUschte Baoemnator, gaas wie sie sich heraosgebildet hat wfthrend der
jahrhundertelangen Vernachlässigung und Verwahrlosung: ausgelassene Frende
bis zum Unsinn und zur Schamlosis-keit. rohe Genusssucht in Speise und Trank,
diese beiden Factoren fallen dem teiiu r Gebildeten in den bäuerlichen Fascliings-
nnterhaltnngen zuerst auf. Es kommt einem rein vor, als hätten die geistlichen
nnd weltlichen EalenderheiVen mit dftmonischer Bmrächnang nur deshalb dem
unwissenden Volke etliche Tage die Zügel schießen lassen, damit es nach ver»
dorbenem Mairen desto besser die Schädlichkeit eines freien" Lebens einsehe
und hinterdrein desto gutwilliger sich wieder unter da« Manierjoch füge.
Aber so hässlich der Fasching nach dieser Hinsicht ist, so hat er doch
aoch Sehl Anregendes, seine sohSnere, ideale Seite.
1) Schon die Schnlknaben wollen ihren Fasching haben. Sie vereinigen
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sich m tina ^Kinktrlbiineh*'. Jedw rieht eine bestimmte StlndeflkleldaBg
an: einer istKtinr, einer Banchfangkehrer, einor i<!t Fleisclihaiier, einer wieder
Handwerksbnrsch, nnd einer im Weiberkittel, das Zeckerlweib, trägt den großen
Korb, welcher bestimmt ist, die Geschenke an Eiern, Fleisch u. s. w. auf-
zunehmen. Non gebt die „Barsch" von einem Haas in das andere, überall,
ihre Sprüchlein anftagend. Zuerst klopft der Kaiser an die Thilr, nnd wbrd
er willkommen geheiCm. 9.0 tritt er hinein in die Bauemstnbe mit seinem
weißen Hemd, das als Waifenrock gelten soll, nnd mit seinem hAlzemen Degen,
den er an die Seite gegürtet hat; er spricht:
-Kaiser Ferdinand bin ich gcaunnt,
idi bin der Herr im dentsehen Laad,**
nnd indem er seinen Degen zückt nnd gebieterisch von sich streckt:
,,Si-hwert mch der Seiten,
Mit dem Feind will ich streiten!
Herda Kamendt"
Der Baaehfkngkehrer springt herein, ein rolUger Bnb mit einem Hühnergitter
statt der Leiter, einer Trogschaire aof der Achsel und einem Bartwisch in der
Hand:
„Tri, tra, ho,
Der Bavehfangkehier is do;
Wann die Köchin is zu H;ui<.
So kehr' ich ihr den RauiLtang aus;
Jst die KUrhin nicht zu Haus.
So kehr' ich »l< n RaiH litane auch nicht aus.
Drob'n am lirrü; (io steht u Buu,
Dff schaut dem Rauchfiugkehier xua,
Mit tlcr Zeit wird',1 ah a Mann,
Das» CT Eauchfaug kcbrcn kann.
Herein, KamemdP
Und so gebt es fort. Znletät kommt das ^Zeckerlweib": es bittet nm die
Gabe und stellt sein Kommen auch für näelistes Jalir in Aussicht, wenn ihm
die Blluerin recht viel pibt. Nach der I^eschenkung folgt das Schlusslied.
Und schaa, — ist's deon noch nicht za Ende ? Dort schleicht jetzt der Baach-
fangkehrer znr BBnerin, die hinter dem Ofen sitst. Man sieht nicht, wie er
roth wird, denn er hat sich wolweisiich das Gesicht mit Rn6 gehSrig aberzogen;
die Bäuerin nickt nnd lacht ein wenig, und die kleine Lisi, efne 12Jftlirige
Schnldim, springt in sichtlicher Aufregung zur Tliür hinaus.
- Was war denn das? Der Eaachi'angkelirer hat sich die Lisi für abends
za seiner Tftnzerin erbeten.
Dann trollt die Schar yon dannett, nnd bis sie alle Htaser paasirt hat,
ist es Mittag. In einem beistimmten ^anemhanse, wo die Blnerin den „O'sln-
deln" nicht abhold ist, wird nun gesotten und probraten, gegessen und ge-
trunken, getanzt und gesungen bis in die tiefe Nacht liincin. Und mancher
Bub, dem bei Fleisch und Wein unwol geworden ist und der nicht warten will,
bis ihn in der Finsternis jemand abholt, füllt anl dem'Heimweg in einen Sehnee-
haafen nnd bleibt darin liegen, bis die nmnebdten Sinne wieder gehOrig dnrch-
frischt sind. Ist mir selber so gegangen.
Das war der Krnderball auf dem Lande.
2. Noch lanter ging's bei den Faschingt^spielen der Erwachsenen her,
Midi viel aasgelassener. Ich ttbei^ehe das „Kameeltreiben",die „Faschings-
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predig:!'*, das .Füheiichspiel", auch den „Nam nzng", und Twbalte niek mar
bei «bier einzigen FaschingserscheinuDg: dem Hanswurstl.
g) Der EauBwurst ist der Liebling des Baueruvolkes ia jeuea Stunden,
in wddieB die Natnr, angehindert to» der Manier, nach ihrem eigenen Be-
liebea denken., fühlen und. lidi bethltigpn kenn, aleo tot allem im Faeching.
Und wofär dem Hanswarst tft aolchen Zdkm. luter Beifall gezollt wird, das
mu88 der Bauemnatui' homogen Bein; denn was mir widersteht, das lobe ich
nicht, dafi gefällt mir nicht. Und so ist denn gerade der Hanswurst für uns
ein sehr bedeutongsvoller Maßstab tur den Entwickelungsgang, den die Bauern*
xmtur — beimlidi natSrlidi — eüunueblagen geiwimgen worden ist
1. Was treibt der Hansworat? Er that in allem das Gegentheil von
dem, was die Manier vorschreibt. Der manierbrave Bauer mnss steif und
„gesetzt" daherkommen, darf nicht viel umschauen, muss überall den gewJihn-
lichsten Weg gehen und in allem das than, was am wenigsten Aufsehen macht.
Der Hanawont naebt die tidtaten Fonelbäiime; will er vom Tbor in die Stabe
keBmea, lo Bnft er dm ükweg ttbec den DttngerbaiiftB, in dtf Btät» springt
er auf Bänke und Tische, und am aefoe ]!lixriMile& recht auffällig zn **^***"|
trägt er eine buntgeflickte Eleidang and wol gar etliche Schellen an den ler-
lumpten Ellbogen.
Der manierbrave Bauer muss besonders das weibliche Geschlecht voll-
BkSndig angesehoren lassen und sieh gegen dasselbe einer gewissen, Ehrftirebt
einflößenden Gleichgiltigkeit befleißen. Der Hanswurst springt fast athemloe
auf ( ine jede zn, die sich von ihm sehon läset, kfisat aie and balgt mit ihr so
lange herum, bis sie sich g:lücklich losreißt.
Die Manier hält so strenge darauf, dass man seine Gefühle nach außen
nicht Terratlie. Der Hanawunt weint, wenn ihm sein Stecken anf die Brde
lUlt, nnd lacht ond tSa^ and qjHringt Tor Frenden, wenn ihm etwa eine Dirne .
aiB Galanterie eine leere Eierschale zum Präsent macht.
2) Aber in diesem Streben, der Manier in allem Opposition zn machen,
läast aidi der Hauswurst bis zu den verwerflichsten Extremen hinreißen, und
— • was besondere Beachtung verdient — auch in diesen Extremen findet er
den Tollen Beifall seiner sonst in ihrem gannn Leben ond Treiben ao kieoa-
braven Zuschauer, eSfk Beweis, doas ancb sie durch den Manierdnek in den
heimlichsten Begoi^ien ibiei Bensens cn den gleichen Extremen gedringt
worden sind.
Oder wie wäre es sonst erklärlich, dass man lacht und sich lieut, wenn
der Hanswarst, der manlerriohtigen Klngthoerei entgegen, von einer Flanke
oder einem Dadie herab in einen tfsAn. Sebneebaalbn stirat, so dass er darin
halb begraben ist? Wenn er sich mit der Pfanne eine Portion Kraut ans der
aufgestellten Schüssel nimmt, damit unter den Tisch kriecht wie ein Hund, in
die Pfanne schneuzt und den Unrath mit dem Kraut wieder herauaisstV Oder
wenn er sich vollaugefressen und angeduselt, halbzweit mit einem nichtig
ahnenden Ander SimpHdas, aaf das Faachiiqjad binden Usat, welches im
Wirbel durch die Gassen gezogen wird, bis der VoUgefressene zu speien be-
ginnt nnd den anderen, der nicht weichen kann nnd vergeblich um Einhalt
bittet, in der unai»petitliclisten Weise besudelt? — Oder wie könnte man es
bunst dnldeu, dass der Hanswurst seine „schwaugei-e Frau~ — einen als Weib
angezogenen Borsebeo, der aleh rin Blbidel Stndi nnterfaalb dse Bockes ftbtf
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den Banch gebunden — MfentUch auf dem Anger, vor einer Sehar Kinder, tat
Enfbindong niederbettet; dann, wenn ele wiedor nnverricbteter Sache anlbtelit
und weitergeht, unter den Rock hinauflaagt, mn den herabgleiteaden Bond
Stroh wieder besser hinaufzuschieben!
3. Und das sind dieselben „christlichen" Landleute, die es sich niclit ver-
aeihen könnten, wenn sie des Sonntags einmal nicht zur Kirche kämen, die sich
f»t einem Selmrken nnd HQrder gldcbachten würden, sollten de einmal die
Qeterliche Beichte versäumen, die sogar an jenen anigelMienea Tngen selber das
regolmäßige dreimalige Tischgebet nicht unterlassen, um dann — gleich hin-
zugehen, der VfiTohung ihrer Natnr Zeugnis zu geben.
Der weniger bigotte Durchschnitts-StUdter würde, so gerne er eine lustige
Unterhaltung nnd aelbet mitonter eine toUe Hanswnrstiade mitmaeht, von aol-
• chen Geschmacksverirrangen sieh mit Entrüstung oder mit einem mitleidigen
Lächeln abwenden. Das Banornvolk bestärkt den Hanswurst darin mit ju-
belndem Beifall. Jeder von den Zuschauern möcht' es selber so machen, nur
getraut er sich's nicht auszuüben, weil es — unschön istV nein, sondern
weil die Manier so etwa* nicht dnldet Denn für allea nnd für alle ist auch
im Faeching die Manier nicht anfler Kraft geeetst Lnstlg nnd rar (angendim)
wär's, wenn die ganze Welt so eüie „Hanswurstg-audi^' wär', aber in Wirk-
lichkeit, wo seil, die Manier herrschen mnss, geht lialt das nicht an.
4) Nun, lieute ist der Hanswurst — zwar nicht verpessen, er spukt noch
in den Erinnerungen der Alten und in der Phantasie der Jungen, — aber er
liest sich nimmer sehen. Mit dem Hanswurst ist andi der letacte Best der
dramatisdien Banemspiele, aus meiner Heimatagegend wenigstens, Yarschwonden,
nnd man muss gestehen, dass das Finale ein sehr klägliches war.
Die jungen Twente sind jetzt mehr oder weniger der Langweile preis-
gegeben; zwar wird noch immer der Tanzboden cultivirt, werden noch immer
Liedl gesnngen, — aber allea hat etwas Epigonenhaftes, Schwaddiehes, hat
dw Gharalcter des Niederganges an d<A. Elnaelne Bnrsche gehen, wenn de
nicht weit in einen Markt oder eine Stadt haben, dorthin, um dch eine Dnter-
haltung zu verschaffen, besurlien ein falirendes Theater, einen Circns, oder was
sich in solchen Proviiizstüdtchen gerade lindet. Sogar auf „Bälle" wagen sie
sich, man mag sich aber leicht vorstellen, dass de dabd nicht mit der Elite
der stftdtiscben BevOlkernng in Berflhmng kommen. Dort lernen de vidldcht
neb-^it ein paar kecken Wiener Gonpletstrophen sogar eine Quadrille tanzen
und andere noble Tänze herstolpem, nnd es kann sich wol ereignen, dass ein
Banernburscli vom Tanzsani an die mitgekommenen Dirnen liinausinift: „Ment-
scher, kemmts eina, Damenwahl is!"
DranBen aber anf den Dörfern darf man nicht Tid davon erwihnen, dass
man dch im Markte unterhalten hat. Denn der Baner soll Bauer bleiben nnd
sich an das niclit kehren, was die „Herrischen" thun.
C. Wir hatten jetzt über den Idealismus, soweit er sich in Bezug
auf den Körper bethäUgt, zu handeln, das heißt zu untersuchen, wie sich
die Freode aa der Ansbildnng und dem Wolergehen des KlSrpem nodi
fiber die Beflriedigong von dessen dringendsten Bedürfblnen hinaus bethBr
tigt. Wir haben indessen schon gesehen , dass der Bauer für seinen Körper
kaum das N<itliwendlgste tlmt, dass er das Turnen nnd Springen nicht ein-
mal bti beineu Kindern dulden will, dass er in seiner Kleidung so wenig
Pädagogium, la. Jahrg. Heft XU. 66
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782 —
GeidmiMk bekundet, daea er aneh in seiner Behanrang gar keinen GHnn Ar
SdhOnheit entwickelt and höchstens daa traditionelle VorgSrtlein mit etlidien
Blnmenstcickon noch )mm Hause belässt. Eine Sommerpartei legte in einem
gar nicht weiter benützten Winkel des Hofes ein Zierfärtlein an: ein Blomea-
beet, von Küsen umsäumt und mit zwei symmetrischen Easentellern in der
Mitte, deren jedea im Centnim einen Ndkensloek liltte anlbehnien aoUen. Ea
war aber aelion q>lt im Herliate nnd snm Blmnenpianaen nioiht mehr die rechte
Zeit Die Sommerpartei ertheilte daher der Bäuerin den Auftrag, das Ein-
setzen der Blumenstöcke im nächsten Frühjahr zu besorgen. Im folgenden
Sommer kam die Partei wieder von der Stadt zurück, und was traf sie in den
Raaentellem an? Zwei riesige, prosaische Burgunderrüben. „Sind ja auch
■chdn, die Bnrfrvnder, nnd hat doch daa Vieh waa dav<m!"
D. Der Idealismus soll den Menseben aber nicht nur in seinen arbeits-
freien Stunden beseelen, ihn zu Unterhaltungen, znr T^abung und Erquickung
seines Geistes anregen, — er soll ihn auch in der Arbeit selber leiten.
Der Idealismus der Arbeit ist der höchste Idealismus. Der Mensch soll einem
Ziele, welches er in Begeisterung erfiwst, mit allen seinen Er&ften nsfcrehen,
alle seine Arbeiten diesem idealen Ziele nntenodnen; dann wird ihm die Ar-
beit selber angenehm, nnd alle Hindemisse werden leichter beseitigt.
Der Bauer ist bis zu dieser Höhe des Idealismus bei weitem noch nicht
emporgestiegen. Wie sollte dies auch der Fall sein können, wenn ihm sogar
der Idealiamns der UntertaltungT abhanden gekommen ist? Die Arbeit ist ihm
eine Last, an deren Ertragen man aieh gegen sein OefUlen sn gewOhnen hat
Daw er sich z. B. da^ fichöne Ziel stecken würde, fdr die Hebung eines be-
stimmten Zweites dei- Landwirtschaft, z. B. der Viehzucht, mit allem Eifer zu
wirken, um so die Gegend zu größerer Wolhabenheit zn fiihren und, wenn etwa
die gehobene Viehzucht eiue größere Anzahl von Käufern herbeizöge, dabei
Mch den eigenen Nntaeii nnd Vortheil an linden, daa fUlt ihm nicht etat Noch
weniger lässt er sich woa einer noch höheren Idee, etwa der Liebe zum Vater^
lande, leiten. Und wenn er auch hin und wieder hervorkehrt, dass „der Bauern-
stand allen Ständen das Brot herschalTen müsse'', so darf man dabei nicht
glauben, dass ihn dieser Gedanke etwa bei seiner Arbeit selber beseele und
amtachele. Er gebrancbt diese Phrase nnr gelegentlieh wa seiner Ver-
tbeidlging.
^ , Umsist ' =: umsonst^ gratis.
*) Hag sein, das« sich die biihericen NordpolfUmr dies hinter die Ohren ge-
gchricbeu haben. — Obfigens eeheint hier eine Venrechsdnag mit dem Kaistrom
vorzuliegen.
■) Die Sonne ist der vierte Planet von der Erde, ab dem Oentram, '"^eg ge-
rechnet. Der Capuziner Cochem bleibt, ein Säeulum nach Auürtldinng mueNB Welt-
systems durch Kopernikus, noch beim PtulüiniiischcD ^stem.
*) Diese Aoschauungen sind von der hcutifren Wisseimdiaft Itagst verworfen.
Aber es ist die populäre Sprache und Darstellung roehems anzuerkennen, und zu
wffnschcQ wäre es nur, da^s die heutige Tolkentfrcmdcto Intelligenz mit gleichem
Eifer sich bemlUien niSehtc, dem Volke die richtigen Resultate der WisscaiBchaft
znt^änclich zu machen, wie sich die alten Cochenis und Abrahams« SS Idrolllidien
Zwecken natürlich, mit ialsehen Resultaten bemüht haben.
„Pläramcnt" = großer Lärm, Aufsehen.
*) Ich will hier nicht etwa einen rohen Spaß machen. Die fromme Einfalt
bringt in Wahrheit öfter eine sinnliche Empäadiuig, einen Geruch, Gesdimack etc.
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der an heiligen Orten oder Gegenständen wahrgenommen wird, mit der Weihe dieses
Ortes oder (f('f;i>ii>t;iade3 in innerliche Vcrbinduns: und fiililt sich durch einen der-
artigen Geruch oder Geschmick zur Andacht t;e:stiiuint. Da ging einmal ein Bäuer-
lein am Ostermorgon in den Markt Neunkirchen, um Fleinch und Rrot in der Üblichen
Weise weihen zu lassen. Der gute Sshöckl Toni — so heifit das Bäuerlein — kam
sur Weihceremonie noch viel su früh, stellte seinen Korb daher in Ucssner« Wohnung
ab und suchte unter dem Meiuchengcwühlc draußen auf dem Hauptplatzo eini-n wol-
feilen Zeitvertreib und — kommt zur Ceremonie su ap&t. Der Me^saer iiat seine
Wohnung gesperrt, ent nach dem Hochsmte hekommt der SehBekl Ton! sein noch
ungeweihtcs Fleisch vom Measncr heraus. Angsterfailt eilt er nach H.iuse, — was
soll er jetzt zu Hiuse der strengen „Alten" sasea? Die Alte reilit ihm hastig
den Koro ans der Hand, steokt die Nase in denselben nnd meint: „Ahhh, — hat
aber d(5s Saclicn cin'n schön'n (l'ruih von der liob'n heiligen Weih!"
Ftlr die Wahrheit dieses Vorfdlies kann ich garantireu. Der Schöckl Toni, seit*
her zum sweitenmale Tvrhdratet, lebt nooh lüs rflstig^r Drescher nnd benutzt all-
jährlich wacker dir (Ti lcnrrnlicit . sich von dem schienen (titiicU der lieben heiligen
Weih am Ostcrßeisch uud -Brot zu überzeugen. Der verewigten leioschmeckenden
Alten dürfte aber die elysi^chc Ambro.^ia fanm 80 ^t mnndea, wie das irdische
Osterflei^^ch mit dem schönen Weihtr-Tur-li.
Ein Pseudo-Silberätück, tur 10 kr. anzunchmea.
Das Strudel ist eine langgozoi^eno MehUpeii^e, die in NiedsvBsterreieh in
fingerlange Stili-ke zerschnitten und geko:'ht wird. Jeder H lusgenosse erhält din
ihm auf Grund einer gewissenhafte a Division zukommende Anzahl solcher Stiicke.
Die Bftneiiiuiea IKfimen es nicht leiden, weaa ihnen die Kinder beim Stradelwalken
anschauen.
") „Mein Gott, und was könnte der .andere* erst nnsereinem vorwerfen! So ein
geistlicher Herr iät ohnehin so unschuldig, dass ihm der Böse nur solche Kleinig-
keiten vorhalten kann, — und doch ist das schon zu viel!!"
Die Dü maiorum gentium unserer Bauenlente.
j- >') Ihr Laffen ihr!
**i Fert = voriges Jahr.
Rose gg er Mmeikt in seinem „Yolksleben in Steiermark", dass die Land-
Icnte nur deshalb in ihren Witzen so gerne auf religiöse Dinge sp<ltti- h anspi' lett,
in ihren Spielen so oft kirchliche Einrichtungen (Predigten, Litaneien, Wallfahrte-
gesloge) parodiren, weil sie gar keine andere Form kennen, als die Urchlidie»
um ihren Ideen Ausdruck zu verleihen, und — dass es ihnen dabei trotzdem gar
nicht beifiele, über die Heligioa oder das Kirchliche zu spotten. Es ist unstreuig
etwas Wahree an dieser Bemerkung: aber man darf nicht vergessen, dass die
Beligion, w^ie sie der Bauer auffasst und fp«thält, indem er sie mit seinem Manier-
ejrsteiu verquickt und identihcirt, zu der Natur in argem Widerspruche steht. Die
Natur macht sich dadier in diesen, gegen kirchUohe oder religiöse Dinge g.-richtoten
Witzen zeitweilig T^nft. und der Liehreiz, den gerade solche an sich und filr einen
Städter ganz unbed* Utende Spaüc fdr die ländliche Zuhörerschaft haben, lässt er>
kennen, dass die stille Auflehnung der Natnr gegen die mit der Manier verquiekte
Banemreligion eine allgemeinere und tiefer gewurzclte ist.
Nur so wird die Beue oder, besser gesagt, das ängstliche Unbehagen erklärlich,
welches der Witzmacher lünterdrein verspürt: das Manierjoch ganz abzuschütteln ist
nicht möglich, weil einem das ewige Verderben drohen würde, — und so bleibt
nichta übrig, als diese als Vergehen empfundenen Witze su bereuen und zu
beiehten, nm wieder die Haaivgeiechtigknit norBokinerlaagen.
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Yerscliiedeiie ABsichten über den pädagogischen Wert der
ekssiflehen Sprsehei.
(Dft (iic^es Thema noch immer zu den päduLrorrischcn Streitfragen gehört, so mögea
wieder einige neuerdings veröffentlichte Äußerungen Uber dasselbe liier zusammen-
gestellt werden. D. E.)
W enn die Unterrichtspolitik die griechischen Studien, wenn sie die
antike Welt hinauswirft aus der Mittelschule'*'), hinaus also aus der allgemeinen
DAtioiialeii BQdang, dann benwbt sie die Nation denen, waa nichta anderea
enetien kann, dann wird heute, wo aaeh die religiösen Ideen enchttttert sind,
eine Oesellschaft erstehen, die den Znsammenhang mit der Vergangenheit ver>
loren hat. in welcher es die Mensclien als annütz betrachten werden, 8icli darum
zu kümmern, wo ihr Großvater begraben liegt, und noch unnützer, daian zu
denken, wofür er lebte, wof&r er starb. Eine Gesellschaft wird eiateken, ge-
ehrtes Hans, die tob der Spitae ihrer fiber alte Vomrtheile boch eriiabenen
Anfklftrung nur spöttisch anf die Fietät für die Ahnen herabblidct, und mit
streng logischer Folge frnlier oder später zu der Erkenntnis gelangen mnss,
dass auch die Pietät gegen die Eltern nur insolange eine praktische Be-
rechtigung besitzt, als uns die Eltern unmittelbar nützlich sein können. Eine
Oeaellsehaft wird entstehen, die gleiehgilti«r gegen die Vergangenheit, ^oh-
giltig auch für die Zukunft sein wird ; die kein anderes Interesse mehr Icennen
wird, als den Genuss, die Bequeniliehkeit und den einsackbaren Gewinn.
Und wenn dann dieser AnierikanLsmus, dieses Extrem des westlichen
Geistes zusammentriöt mit dem Geiste des Ostens, wenn diese westliche Genuss-
nnd Gtowinnancht nioht mit der fieberhaften TbBtigkeit des Westens, wenn die
orientalische Indolena nicht mit der orientalischen IfSBie^t nnd Anspruchs-
losiglceit, sondern die Genuss- nnd Gewinnsucht mit der orientalischen Indolenz,
mit der üngewohnlieit ernster Arbeit zusammentrifft — wie sie bei uns zu-
sammentreffen werden — dann kann aus dieser Paarung, geelu*tes Haus, nur
eine verkommene und sinkende Oesellschaft geboren worden, anter deren
Fihmng wir nor mehr eine yerkonunende Basse, nimmermehr aber eine Nation
sein werden.
Die ungarische Nation, geehrtes Hans, bei ihrem Zahlenverhältnisse, ge-
paart mit ihrem stolzen Geistp, ist nicht in der La;^e, sicli auf eine geringe
Kolle zu beschränken. Meiner Überzeugung nacli wäie für die ungarische
Kation einer der verhüngnisvollsteii Irrthftmer Jene ülnshm, dass wiz mit dem
Yerh<nisse unserer Anzahl, in diesem Oebiete Europas, wo wir leben und
sterben müssen, zwischen nnseran geographischen nnd ethnographischen Ver-
*^ In Ungarn ebcuso wie in Österreich und SUddeutschland wird unter , Mittel-
schule*' in erster Linie das Gymnasium ventanden. D. R.
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baltniiMD, ttidg wlrcn, dnen Staat iweitoi oder dritten Banges anflicht an
erhalten, der sich um andere nicht zn kttmmem hätte und nm den andere sich
nicht kömmern würden. Solch ein Bos-fnanntpr neutraler Mitt^lstaat hat sicli
im Südosten Europas nie dauernd erhalten können. Die ungarische Nation
wird entweder in einem durch sie aufrecht erhaltenen großen ßeiche eine
naUgebende SteUang einnehmen^ and das war die Politik der Arpaden, der
Anjon's und der Hnnvady's, und es war, ich wage es zu sagen, der Grund-
gredanke der Politik Franz DeAks, oder sie wird nichts anderes sein, als eine
unterdrückte und verkommende Nationalität, (reistige Höhe, geehrtes Haus,
die äußerste Anspannung auf diese gerichtet, das ist es, womit wir das un-
günstige Verhlttnis unserer Anaahl enetien müssen.
Mit dieser Hission, geehrtes Hans, stimmt es aber keineswegs aasanmen,
dass wir ans unserer nationalen Bildung jene StAdien hinauswerfen sollen, in
denen geistige Höhe sich am glänzendsten offenbart, die in nie erreichter Art
die Kenntnis des Menschenherzens und der menschlichen Seele, die FühruDg
und Begiemng der Menschen lehren.
Qeeiirtes Hansl Wir branehen unsere eigene Zeit niebt herabansetsen,
diese Zeit hat ihre bewunderungswärdigen Eimngenschaften, mit ihren Er-
findungen, welche die materielle Existenz sozusagen von Tatr zn Tag umwülzen.
mit ihrem fielifiliaften Thatondrange ist diese Zeit eine grosse zu nennen.
AugeniUllig ist es aber, dass das Zeitalter der Elektricität, der Blitzzüge, des
Zonsntarifes nnd des nerrenattaqnirenden Telephons, nicht die Zeit der geistigen
Goncentration sein kann. Sie kann nicht die Zeit einer harmonischen Be-
trachtung des Menschen nnd der Welt sein. Die antike Welt, mit ihren viel
einfacheren Lebensbedingungen, ihren unverhiiitnismäßig geringeren Complica-
tionen, war viel beföhigter als wir, dass sich der Mensch mit dem Menschen
selbst befbsse. Daber kommt es, geehrtes Haus, dass die Quellen der Weisheit»
des Bechtes und der Kunst in erster Beibe aus dem Orieehenthume flieOen, neben
weldiem auch die lateinische nnr eine Imitation, eine Second-Hand-CiviUsation
war. Aus diesen Quellen nährt sich auch heute noch selbst unsere materielle
Entwickelnng, denn Kenntnisse haben wir viele neue errungen und erringen
neue jeden Tag, neue Ideen kaum. Dorch diese geistige Goncentration wurde
die Oesehiehte, die Oesetsgebung, die Kunst der Alten so lebrreidi nnd er-
haben, durch sie wurde, geehrtes Haus, die Kenntnis des MrasehenhenMns und
der Seele so tief und walir. All das kann aber nnr solange anereeignet werden,
bevor der Kampf des Lebens uns der Fähigkeit tiefer Eindrücke beraubt liat
and die geistige Goncentration nicht mehr aufkommen lässt. Kommt dann das
feifere Jünglingsalter mit dem Fiebern der Leldensohaften, mit dem heiflen
Wallen des Blutes, kommt dann der Kampf ums Dasein, das tagtlgliche awei
mal zwei ist vier, die schroffe Nüchternheit des einsackbaren Gewinnes, dann
ist es zu spät, um sich all das zu eigen zu machen, und wer es doch ei-st dann
versuchen wollte, der könnte es nur mit um so größerer Mühe, Anstrengung
nnd Zeitverlust, oder nnr durch die Vermittelnng bleicher, unzulänglicher
Übersetaungen Teisuohen. Das aber, geehrtes Haus, ist ein geradesu demorali-
sirendes, die nationale Ambition sdmn in der Jugend untergrabendes Argument,
dass wir diese Stndien . an denen kleine und große Nationen gleichermaßen
festhalten, hinau.swerfen sollen, weil die geistige Anstrengung für ans Ungarn
eine übermUtiige wäre.
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Das wäre nicht die Pioclamation der geistigen Höhe, sondern die der
geistigen Inferioriat» 4ie AbdicatioD, oieht nur von der Misdos andere ro
fmuren^ sondern die Abdieatkm in der Beibe der eivilisirten Nationen. (Jobann
von AsViütli. Reden gegen die Anflassnng des griechischen Unterrichtes. [Au
den Verhandlungen des Ungarischen Reichstages.! Budapest 1890.)
Oberlehrer Horst (TromsöJ: „Die hühere Schule kann als eine Schule
für die allgemeine Bildung keineswegs ala angeMessen betrachtet werden. Es
mag einem ein wenig wvnderlich Torkominen, dass ein Hann, der seHist üdlolog
and folglich wahrend seiner Kindhdt ganz und gar in der classischen Bflinng
erzogen ist und seitdem noch weiter versucht hat. in dieselle einzudringen, n
einem solchen Standpunkte gekcmimen ist. ich bemerke aber dazu nur, dasa
eine zwanzigjährige Beschäftigung mit dem Unterricht in gerade
diesen Fftehern bewirkt hat, dass ich an diesem Resultat gekommen
bin. Gleichzeitig habe ich eine reiche Gelegenheit gehabt, zu
beobachten, wie wenig diese sogenannte classische Bildung im
Leben geholfen hat. Unter .. allgemeiner Bildung " verstand der Redner
solche Studien, die für das spätere Leben nothwendig seien, und er meinte,
dass das Stadium des Lateinischen and Oiiechisefaen In dieser Hinsicht von
keiner wesentlichen Bedeotong sein kffnne für andere als soldie, die be-
absichtigen, ihr Leben mit Studien derselben Art zu verbringen.
Was das Griechische betreffe, wovon man zu wenig lese, um die Sprache zu
lernen und zu viel im Verhältnis zur Kostspieligkeit der Zeit, glaube
er nicht, dass er Worte finden könnte, stark genug, um seine
Meinung anszudrückenT wie nnnfitzlich jene Arbeit sei."
Dennoch wollte der Redner nicht auf einmal die classischen Sprachen
al schatten; „das würde eine Revolution s^ein. und in Schulsachen müsse man
refurmatorisch, nicht revolutionär zu Werke gehen. £r wollte vorläufig nur
das Griechische weggeschafft sehen."
„Kieht-FachmSnner werden gewiss nicht wenig erstaunt sein, wenn Ich
erz&ble, dass diese Aufbssung im Erdee der jingeren Philologen sehr ya-
breitet ist. Es ist mir auffallend gewesen, dafs, wo ich mit jüngeren Collegen
diese Sache besprochen, sie wanne Zustimmung gefunden hat. So ist der Fall
ringsum im Lande, das heißt in den kleinereu Städten. In der Hauptstadt habe
ich weniger Gelegenheit gehabt, die Stimmung zu untersnchen.**
Oberldirer Echt (Skien) war „auch durch sein Schulleben dahin ge-
kommeUf dass die classische Bildung nicht gebe, was sie denjenigen geben
sollte, die aus der Schule zu einer praktischen Thätigkeit Ubergehen." ..Die
Entwickelung geht mit unerbittlicher Logik vorwärts, und es kann nicht fehl-
schlagen, dass sie ein Ausscheiden dessen, was man die classische Bildung
nennt, herbeifBhren wwde." — »Was wir bedürfen, idnd Büdnngsanstalteni
die im Dienste der Jetztzeit nnd nicht in dem der Vergangenheit stehen."
Oberpflurrer Wexelsen wollte sowol das Lateinische als das Griechische
verbannt wissen. ,,Da8 Lateinische gehört nicht in eine Schule für die allge-
meine Bildung. Es muss an die Universität gewiesen werden, um dort von
solchen gesncht m werden» die es für ihre Faehbüdang bedtbUBn.** Es sei
kein Grondi warum man es behalten solle. Seine Literatur sei ▼eraltet; nadi
der Meinung des Redners nicht allein nicht gut, sie kOnne sogar gefährlich
sein. Die Bedeutongi die man der formalistischen Bildung zuschreibe, kOnne
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man in andenn Disciplinen finden. Er glaubte, dase es mn das Latebiiaehe
alt dnen nothwendigen BestandtheU nnaeier hSheren Bildung geschehen seL
Caltusminister Jacob Sverdrnp meinte auch, dass der Weg zur höheren
allgreraeinen Bildung: für die meisten künftig durch die modernen Bildungs-
elemente gehen werde. Nur das Griechische abzuschaffen, hatte seiner
Udanng nach keinen Sinn. „Warum die Axt an die Wurzel des griechischen
Banmea lefsn nnd nidit an die des latdnischen? Eine Einheltssdinle mit einer
ziemlich starken Betonung des Lateinischen, das halte ich für einen reactionllrea
Schritt.*' Als eine gemeinsame Grnndlap:e für die höhere Bildung glaubte der
Redner die Muttersprache mit Cieschichte nennen zu kimnen. Indessen glaubte
er nicht^ dass die Zeit schon gekommen wäre, so mit eiuemmale die classische
Büdnng nun Tfaote binanszntniben.
üllmann (Bratsbergs Amt). „Ich bin völlig übenengt, dasi das einzig
Rechte wäre, gerade durch zu gehen; das Griechische ganz und gar zu ver-
bannen, und das Lateinische nur facultativ in den obei-sten C'Iassen beizu-
behalten; dass folglich Latein künftig nicht die Grundlage für die hühere
mdnng sei, sondeam nir eine Nehenaadhe ftr diejenigen, die ans praktiiehen
Unaehen lateinische Vocabeln bedibrfen; denn für den Angenhlick ist dies das
einzige, was die Mehrzahl der Menschen vom Lateinischen nöthig hat."
,,Wenn sie soviel wipsen, dass sie ein wenig Recept- und AjjotlK-kerlatein
und ein wenig lateinische Sprichwörter verstehen, so ist dies im Grunde alles,
was das Lateinische heutzut^ige bei den Menöcheu abgesetzt hat, wenn mau
nicht Gelehrter in besonderem Sinne ist Bei der Behandlung dieser Sache be-
gegnet uns immer die Eigenthtkmliohkeit, dass die Vertheidiger der classischen
Sprachen die Gegenstände, um die es sich handelt, ynllstUndig verwechseln.
Man spricht, als ob die Abscliaft'ung des Lateinischen heilie, das Volk in die
Zeiten der Barbarei wieder hiueinführen. Mau irrt sich dariu. W enn mau
das Lateinische abeehaflt, sdiädigt man damit nicht die Bildung. Man spricht
TOm Lateinischen wie von einem grofien BUdnngsndttel nnd irrt sich, indem
man sich einbildet» es sei das besondere Fach Latdn, das diese Bedeutung
habe, während es dagegen andere Fächer sind, die viel mehr als das Lateinische
und in derselben Zeit dieselbe formale Ausbeute wie das Latein geben können.
Es ist ein großes Miss Verständnis, dass es eigentlich das Lateinische sei, das
die Hnmanifxra bfld^ nnd das die hnmane Bildung zaitthren solle. Mit lAtdn
kann man in der Sache (im Wesen) in Bund und Grund roh sein. Was aber
die humane Bildnns- gibt, das ist, der großen Culturgedanken der Menschheit
theilhaft zu sein, und das kann man durch das Lateinische als Hauptfach
nicht werden. Man muss wegen des Lateins eine große Menge Sachen liegen
lassen, die gerade für die Bildnng. befrachtend sind. Ich sage dies, weil ich
Anspielmgen gehOrti dass möglicherweise ein direoter Antrag gestellt wird,
zu einer neuen Schulordnung überzugehen, nnd zwar einer solchen, die auf eine
einzige Linie basirt und ohne anderes I-Atein als das wahlfreie. Einem solchen
Antrag werde ich, was mich betrifi't, mit der größten Freude beistimmen,
indem ich, kraft des bisschen philologischen Oewissens, dass ich
noch von meinen Prüfungen Übrig habe, gestehe, dass, falls es
irgend etwas Unfruchtbares und Unsinniges in der Welt für uns
Germanen zu treiben gibt, dies vor allen dies Fach (Latein) ist,
dessen Ausbeute nichts ist als eine gewisse formale Bildung, die
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man auch dareh andere Fftcher erhalten kann, w&hrend gleich-
zeitig Leben nnd Wirklichkeit keinen Nutzen von dietem Fache
haben."
Hertzberg (aus Christiania, ehemaliger Ciiltusminister, Tlieologe). „Was
die zwei Herren Oberlehrer betrifft, die so angesehene^ Stellangen an unseren
hlHierai Schalen haben, nra» ich geeteheo, dass ihre Äntorangen mich nicht
wenig in Verwunderung setzten. Sie lind alle beide, soweit mir bekannt^
Männer, die nicht allein mit rnteresse im Dienste der höheren Schule arbeiten,
und dies gerade als Lehrer in den classischen Sprachen, sondeni auch ver-
stehen, Literesse für diese Fächer unter ihren Schülern zu wecken. Sie müssen
daher entweder sich lelbat ganz missTeratehen, oder ich mnas sagen, sie be-
finden lieh in einer nicht wenig bedaaemiwötn Stellnng» indem lie eine
Aufgabe haben , an deren Wert und Bedentong sie so stark zweifeln, wie sie
heute an den Tag gelegt haben .... Als im Gegensatz zu diesem Standpunkt
sei es mir erlaubt, auszusprechen, dass ich glaube, die ciassische Bildung hat
manche Probe und manchen Storm bestanden, viel stärker und schwerer als
heate hier, nnd ich g^be, dass sie anch künftig eine Probe werde be-
stehen können, ohne erschüttert zu werden. Die ciassische Bildung bat so
tiefe Wurzeln in der europ;Usclien allgemeinen Bildung geschlagen , dass sie
sozusagen ein Glied derselben g-ewoiilen ist. Es geht darum nicht an, sich
anzustellen, als wäre diese ciassische Bildung etwas Veraltetes^ nein, diese
Bildong kann nicht Teraltet werden; sie kann nicht steihen, denn sie ist mit
der (beschichte der Menschheit v<m ihrer Kindheit an rasammengewaohsen.
Die classischen Sprachen bezeichnen den Bildungsweg, den die Geschlechter
betreten müssen, falls sie den Höhepnnkt der Bildung der Zeiten erreichen
wollen; falls sie sich nicht von der gemeinsamen großeu Culturarbeit, die jetzt
in den dvilisirten Ländern vorgeht, ansschlieflen wollen. Namentlich sei es
mir erlanbt, darauf anfinorksam m machen, weldie Bedeutung die clasitschfin
Studien für unsere Kirche haben. Falls man das Griechische in nnseren
höheren Schulen, die zur Universität führen, striche, oder falls man es bis zu
den Universitätsjaliren aufsclx'ilie, fürchte ich, dass man der protestantischen
Kirche eine tödliche Wunde versetzt
ÜUmann. „Wenn der Abgeordnete ans Christiania, Herr Hertsbergi
nns enUdte, dass die ciassische Bildung so manche Probe bestanden habe
und gewiss auch diese Probe bestehen werde , so leugne ich aufs bestimmteste
die Voraussetzung, von welcher Hr. Hertzberg ausgeht. Die ciassische Bildung
hat keine einzige Probe bestanden. Alle Angriffe, die auf diese Bildung
gemacht wenden sind, haben nnr bewirkt» dasi die Philologen den F<ndeningen
der Zeit die Thttre ge9ifiiet, dadurch, dass sie erst ein Fach nnd dann dn,
anderes der modernen Fächer aufgenommen und denselbeu einen Plata neben
ihrem lieben Lateinischen und Griechischen gegeben haben nnd zwar unter
stetigem Kampfe und der stetigen Befürchtung, dass sie (die Philologen) ilir
Lateinisch und Griechisch verlieren müssten, weil die Zeit so gottlos geworden
wäre, dsss sie anf etwas anderem als den dceronisnisehen Fddem ni wandern
w ünscht. Nein, die ciassische Bildung hat keine Probe bestanden ; die ciassische
Bildung hat aber verstanden — nnd in dieser Hinsicht ist sie sehr geschickt
gewesen — sich zu accomodiren. Sie hat verstanden, die Schule mit einer
solchen Menge Fächer neben Latein und Griechisch zu füllen, dass sie die
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driDgeadsteD AnsprUehe befriedigt hat, nad dadnreh hAben inr -endlieh eine
Schnlwdnong erliaUen mit einer so großen ÜberfüUang, mit einem solchen
Vielerlei wie die jetzige. Dies Verhältnis bezeugt am klarsten, dass die
classische Bildung äus dem letzten Loche pfeift. Was noch übrig bleibt, ist,
den letzten entscheidenden Stoß gegen sie zu richten, so dass die Hicbtung, in
weither die leisten Yermdeningen geecihehen sind, jetet die aUeln honeheode
wird» indem die modernen Fächer, die sich hineingedrängt haben, stehen bleiben
und erweitert werden, und indem die übrigen, die man trotz der Einfdbmng
moderner Fächer beibehalten liat, einen untergeordneten Platz bekommen."
(Debatte im norwegischen Stortiug. Referat von K. Malm, veröftentlicht von
Pirot Sehmeding^Dniebnrg. 1890.)
Die Giieehea verdankten der orientalisehen Cnltnr mindeetena ebeneeviel
wie wir der griechlBch-römischen ; aber es fiel ihnen nicht ein , von jedem
Gentleman {xalog xat «ya^^oc) die Kenntnis der orientalischen Sprachen zu
verlangen. Viele Stellen des Alten Testamentes sind schöner und wichtiger
als alle griechisch-römischen Classiker zasammengenommen; aherdeelialbzwfaigt
man die Gymnaaiaateii doeh niefat nun Erlernen der hebrUiaehen Sprache (ab>
gesehen etwa von künftigen Tlieologen). Man darf femer nicht vergessen, was
alle europäischen Völker, einschließlich der Alten, den Ägyptern, den Indiern
und niuiientlicli den Assyriern verdanken. Sollen die Gymnasiasten deshalb
Ägyptisch, Sanskrit und Assy lisch treiben? Es ist sehr beachtenswert, dass
ein phOolegiachw Faebmann yon politiaeh oeneenratiTer Biehtong, der be-
rühmte NationalSkwom W. BoBoheTi mit Becht behauptet, man kOnne die
Classiker durch gpttte Übersetzungen kennen lernen (ähnlich wie die meisten
Gelehrten und Gebildeten die Bibel ans der Lntlieisclit-n Übersetzung kennen).
Selbst künftige Theologen, Philosophen, nichtclassische Philologen, Juristen,
NationaMftfloomeii, Hedietnw brancte die alten Sprachen nicht in der Weise
kfiUiftiger Profeiaoren nnd Gymnasiallehrer fBr alte Sprachen sn treiben.
Lateinische und griechische Scripta sind fOr sie nicht nSthig. Lateinisch hat
länpst aufgehört, die internationale Gelehrtenspi-nclie zu sein. Zur internatio-
nalen Verständigung braucht man heutzutage Englisch und Französisch. Der
Berliner Arbeiterschutz • Congress von 1890 verhandelte z. B. französisch.
Meines Wissens machen kflnMge christliche Theologen, aneh ansgeseiehnete
Kenner des Hebräischen, niemals hebräische Scripta. Es wäre banausisch, m
beluiuiiteit, ein Landpfarrer brauche keinEngliscli, die assyriolog-ischen Forschungen
der Engländer und andere englisch-amerikanische Werke und Zeitschriften
hätten für ihn kein Interesse. Jeder Gebildete muss überhaupt mindestens
soviel Englisch verstehen, wie dentsche Gymnasiasten dnrohschnittUeh FranaS-
siseh verstehen. Das Englische ist anf den dentsehen Gymnaden leider nicht
obligatorisch. Infolgedessen verstehen 95 bis 99 Procent der anf classischen
GjTnnasien vorgebildeten deutschen Studenten der Rechte und der National-
ökonomie kein Englisch. Sie machen Fehler bei der Aussprache der sehr ge-
wöhnlichsten Wörter, und sie können nicht einmal kurze, leichte englische
Sfttse ftbersetcen. Fflr Philosophen, NationalSkonomen, Juristen, Natur-
forscher u. s. w. ist die Kenntnis des Englischen unentbehrlich. (Dr. Karl
Walcker, Politik der cr>nstitutionellen Staaten. Karlsruhe 1890.)
Dass die alten Sprachen in Zukunft einen viel geringeren Zeitaufwand
beanspruchen werden als jetzt, steht ganz fest. Im Mittelalter waren Latein
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md Grieohiteh gus am Flatse; heate staid die Details denelben recht ttber-
flUssig geworden. Kan hat berechnet, dass (Ier6ymnasialabitarient4066 S t u n den
ohne Hansarbeit nnr in der Schule für Latein nnd Griechisch, der Mediciner
dagegen, srlbst wenn er fünf Semester lang tUglich vier Stnnden die Kliniken
besacht, zur Vorbereitung für die verantwortungsvolle Praxis nur 2 löü Stunden
yerwendet. Und vnm bat jener Abitnrient yoii aelnen 4066 Stondeii eneielit?
Er kann schlecht Latein, das er mit wahrer Wonne an vergessen sich bestrebt,
und er kann wenig Griechisch, das er gar bald von selbst vergisst.
Die Grammatokraten, wie sie Prof. Esmarch so schön nennt, be-
hanpten freilich, die grammatischen Übungen seien eine geistige Gymnastik,
welche nur die alten Sprachen gewähren. Ich glaube aber nicht, dass
Jemand beweisea kann, die geistig« Gymnastik sei grSlIer» wenn der Sortaner
„amo, amas, amat" sich einlernt, als wenn er ,J'iüme, tn aimes, 11 aime" oder
„I love, thon lovest, he loves" lernt. Virchow sa^te mit Recht: „Dass die
alten Sprachen etwa einen idealen Zweck hiitten, ist doch nur eine Einbildung
verstockter Philologen." Diese natürlich müssen den wie eine ewige Krank-
heit fortgepflanston Sata: „Die alten Spraehoi schufen den Geist mehr als
die nenen" immer weiter starr vertheidigen; denn sie leben ja von der Lehre
der alten .Sprachen. Der grammatische Unterricht ist aber überhaupt in gar
keiner Sprache ein» geistige Gymnastik, wie in der Schritt von Professor
Loewenthal glänzend uacltgewiesen wird; denn Auswendiglernen gram-
malladier Begeln ist keine Deidtarbeit, sondern nnr Mnfaiiken Ton WertMi
ohne Sinn, welches dorchans kdnem bei dem Kinde vorhaadenen Bedfirihia
entqpridit.
Fem sei es von mir, die Schfinlieiten der lateinischen und griechischen
Classiker leugnen zu wollen; aber wer wollte nicht zugestehen, dass auch im
Sanskrit und in hebräischen Büchern sehr viele Schönheiten enthalten
seien? Und doch begnflgen wir nos mit gntoi Übersetsnngen. So tet es anch
mit den alten Classikern; nnr wer die Sprache völlig beherrscht, kann ihre
Schönheiten würdigen . nnd so weit kommen eben die Gymnasiasten nielit.
Gutzkow hat ganz recht mit seinem Satze: ..Man wird den Schatz des
Alterthums erst heben, wenn mau auf den Schuleu die alten Classiker in guteu
Übersetznngen liest nnd das Stndinm des Urtextes den Gelehrten ftbwUast."
Aber mit den grammatiseh-philologischen Qnilereien der todten Sprachen
nnd namentlich mit dem ganz überflüssigen Rückübersetzen ans dem
Deutschen ins Lateinische oder Griechische wird jetzt die Hauptzeit vergeudet,
die in der Zukunftsschule meist wichtigeren Gebieten überlassen werden wird,
den lebenden Sprachen, Französisch und Englisch, die der Staatsbürger
des XIX. nnd XX. Jahrhunderts nothwendig für das Leben braachti ftmer
der Ilathematik, Geschichte. Cnltni ge.'-chichte, Geographie, Physik, Chemie, die
für die Schulung des Geistes ungleich wichtiger sind als alle todten Sprachen
zusammen. Auch dem Zeichnen, dem Turnen und dem Ilaiidfei tigkeitsunterricht
wird mehr Platz vergönnt werden als bisher. Denn bei einer harmonischen
Ansbildnng mvss anch die Hand mehr Berflcksichtigung erfthren. (Prof.
Dr. Herrn. Cohn, Breslau. Die Schule der Znkanft. Hamburg 1890.)
Denjenigen Z(>glingen, welche die Universität besuchen, wii*d es (im Sinne
der Zukunfts.schule. I>. R.) an vielen Kenntnissen gebrechen, welche jetzt den
Abiturienten geläuüg sind ; sie werden weder die griechische noch die lateinische
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Grammatik beheiTi>chen , Doch auch imstaude sein , die classiscben Schrift-
tUHlet im Original zn lesen. In enter Linie trifft da» die Philologen, in
sweiter die Juristen, Historiker und Theologen. Ebenso wie letzteren schon
jetzt das HebrHische auf der ünivensitilt gelehrt wird, so miiss nun auch jenen das
Griechische und Lateinische daselbst gelehrt werden. Dazn dient am hesten
ein Seminar, welches der Universität unterstellt ist. Dieses wird nun aber,
im Gegensatz an der heutigen Schnle, nur Ton solchen Studenten besneht
werden, die ein vitales Aiteresse an dem Erlemen der claaaisGhen Sprachen
haben. Der Fleiß wird deshalb größer sein; der Fortschritt schon dfldialb
schneller, weil die Grammatik, infolge der allgemeinen Geisteabiidnng, viel
schneller verstanden werden rauss.
Diejenige fremde moderne Sprache, welche als Büdungsmittel und als
Ersatz fBr das Griechische nnd Lateinische yw allen anderen Berttekaiehtigang
verdient, ist die franzSsische.
Die Vorzüge derselben liegen in erster Linie in ihrer Grammatik, welche
einem Gesetzbuch von der Dnrchsichtigkeit des Code Napoleon gleicht. Ihre
Begeln sind streng und klar; mau wagt nicht, sie zu übei'treten, aber man
empAndet Frende, sie zu befiolgen. Dieser Zug geht durch die ganze fr«ni5-
sisdh« literatnr, und keine Beyolntion hat daran etwas zn Indem vemocht.
Es gibt nichts Heiliges noch Erhabenes, das nicht von der ehien oder
anderen Partei in Frankreich verspottet oder in den Schmutz gezogen worden
wäre: an die Sprache hat niemand zu riihren gewagt. Die Achtung vor ihr
zeigt sich überall, von den Annoncen der Geschäftshäuser bis zu den Reden in
der französischen Akademie, und auf jeder Übertretung stdit die harte Strafe
des ridicule. Der Willkür im Satzbau ist kein Spielraum gelassen, wie ihn
sich im Deutschen und im Lateinischen ein jeder selbst schaffen zu dürfen
glaubt. Dafür aber herrscht ein solcher Keichthum an Wörtern, welche sehr
Ähnliches bedeuten, dass der feinen Nuancirung im Ausdruck viel Freilieit
gewShrt ist VnA so eignet dch die Sprache ebenso sehr zur Darstellnng
mathematischer Theorien, wie zn dem Ansdrack anmuthiger Gedankenspiele.
Eine solche Sprache so zu beherrschen, dass man sich fließend in ihr ans-
zudrficken vermag, ohne ihre Grammatik, noch den Sinn ihrer Wörter zn ver-
letzen, das ist ein schönes Ziel für den lutellect und den Geschmack. Der
Weg zu ihm hat außerdem das fOr sich, dass er durch die bald heiteren, bald
groBartigen, fsst immer schönen Gefilde der franzSrisehen Literatnr fBhrt.
"Wer in letzterer nur eine Ansammlung von Ehebruchsrumaneii sieht, der
straft sich selbst durch sein ungerechtes, einseitiges rrtheil. Auch brauchen
wir für die Schule nicht die französische Literatur der Gegenwart zu berück-
sichtigen; es bleiben dann immer noch die Werke mehrerer Jahrhunderte zur
Auswahl. (PanlGfissfeldt, Die Erziehung der deutschen Jugend. Berlin 1890.)
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Pidagogiselie Rndseliaii.
Berlin. — (Lose Hliitter vom Lelirortage und anderes.) — Der gewal-
tige Beifalisstorm nach der Festrede hatte sich gelegt, die Erregnng zitterte
in Tiden Oemtltiieni nachi w dass eich natanKeniäß grolle Chrappen im Saale
bildeten und lebhafte Aoaebiandersetznngen eintraten. Ihr Correspondent wollte
sicli einen We^ zum Ausgang- suchen, als ihm von befrenndotor Seite niitpretlieilt
wurde, Stöcker sei in einer jener Gruppen und {j^reife den Festredner lebhaft an.
Sofort lenkte ich meine Schritte dahin und stand bald dem „neuen Luther^' gegen-
ttber, dem gerade der dnutiadie Aussprach entaehlfipfte, es sei „purer BlOd»
ainn**, allgemeinen Beligionannterricht m fbrdem. Ea entatand nnn folgende
kurze Unterredung unter Gegenwart von 100 Zeugen, die dem theologischen
Rüstzeug des Herrn Hofpredigers kein lieaondera gOnatigea Zengnia anaateUen
dürfte.
„Warum aoU ein aligemeiner Beligionsunterricht nnmOglich sein?"
„Weil ea nichta gibt, worfiber aieh die Terachiedenen Ohriatoi vereinigen
würden.**
„Gar nichts dergleichen aoll ea geben, nicht die drei Artikel des christ-
lichen Glaubens?"
„Nein, denn es gibt viele, die sich Christen nennen, aber beispielsweise
die Gottheit Christi leugnen.** ,
„Zugegeben, so tot doeh allen der Qlanbe an einen Oott gemein.''
.,Xein f !), denn CS gibt aogar Professoren der Theologie, die das Dasein
Gottes leug-nen.*'
„Was für Professoren der Theologie mögen das sein?'^
„Daa aittd paatheistlsche Theologen."
„Für mich beateht hierin ein strenger Unteiachied; ein Christ kann nicht
Pantheist und ein Psantheist nicht Christ sein."
„Die Herren nennen sich aber doch Christen; es verhillt sich mit dem
Christenthume wie mit dem Obst. Es gibt Apfel, Birnen, Priauraen etc., zu-
sammen Obst, so auch Katholiken, Protestanten, Methodisten etc., zusammen
Chriaten.«
„Das kann nicht emstUch gemeint sein. Daa Christenthum soll für seine
Bekenner nicht mehr Gemeinsames bieten als etwa ein Apfel mit einer Birne?
Wenn der Mann, dem eben die Mausende zugejubelt haben, diese Behauptung
aufgestellt hätte, wie würden die Herren zetern, er uegirt das ganze Christeu-
thnm, er ist ein Antichrist! Wenn aber solche Überzengnngen aelbat bei
Ihnen, Herr Hofjprediger, m ihiden sind, so ist es eben hSehste Zeit, oonfessiona-
losen Religionsunterricht za ertheilen , damit der Christenheit wieder daa Ge-
meinsame znm Bewosstsein gebracht wird."
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Die Unterrednngr fand hiermit ein Ende» da die Pause sich endete und
die Verhandlungen bald ihren Anfang nahmen.
^Vie sehr die Hitze des Gpfeclites den Herrn hingerisßen, beweist der
Vergleich des Christentimms mit dem Obst! 0, Adolf! Adolf!! Adolf!!!
"Was er weiter geleistet hat, «m einen Skandal m erregen, weiß jeder.
Sein Zorn iit beaondert dadnreh gestiegen, dass ihm in OffentUdier Versamm-
Inng die MIDgjiehkeit nicht gegeben war, Ärgernis an erwecken, obwol ich
glanbe, es wSren wenig Lorbeeren zu holen gewesen.
Einige Tage nach den Verhandlungen hatte ich Gelegenheit, einen ge-
heimen Regieningsrath zu sprechen, der die große Sachlichkeit lobte, mit der
diese gefBhrt seien. Nur war er sehr befremdet, dass eine eingehende Debatte
über den Vwtrag Clansuitzers nicht stattgefunden hatte. Gerade weil der
Vortrag gegen soviel Widers])rnch auf die Tagesordnung gesetzt und weil
man besonders in maßgebenden Kreisen viel Gewicht auf dieses Thema gelegt,
sei man verwundert über das etwas dürftige Ergebnis. Es ist ja auch gai*
nieht an bestreitea, dass der Sache noch manch anderer Gesichtspnnlit absa-
gewinnen wftre. Die Sdinld liegt wol an der FfiUe des Ifaterials für den
Lehrertag, das zu bewältigen war. Man wird nicht fehlgreifen, wenn man ea
als die Meinung der Mehrzahl bezeichnet, dass es des Guten zu viel war.
Für jede Hauptversammlung ein Thema, dieses aber gründlich wird wol
das Ideal der Znknnft werd^K.
Allgemein hat es anch Verwnnderang erregt, dass dw Hidster von Oosder
in der bekannten Abgeordnetensitzung die Darlegungen des Festredners ftber
die Punkte, in welcher Ostern ichs SclmlweKen dem Preußens überlegen sei,
einfach als unrichtig bezeichnete, oline doch eine Widerlegung zu unternehmen.
Bei der sonstigen Sachlichkeit des Henn ist es allerdings überraschend.
Der 2. wie Torher der 1. von den 8 städtischen hSheren Bttrgersdinlen
der Stadt Berlin ist soeben dif Ii* rechtigung ertheilt, Abgangszeugnisse aus-
zustellen, die für den Einjährig - Freiwilligendienst Anspruch geben. Pioses
Recht ist um .so wirlitifrer, als für unsere Verbilltnisse die Lebensfähigkeit
dieser Schulen davon ubiiangt; leider ist eben ein großer Theil unseres Schul-
wesens anf den einjährigen Dienst angeschnitten, eine wirkliche Vorbildung
jfir das Lehen haben dämm wenig Schüler der h5heren Anstalten. Befremd-
lich ist es und bedauerlich zugleich, dass man mit dem Plane umgeht, für diese
Bürgerschulen Unterclassen einzurichten. Sie sollten nach dem (iründungs-
plane Schulen sein, die dem 12jährigen Schüler der Elementaischule eine
Fortsetzung und Ergänzung seines Unterrichtes ermöglichten. Richtet BUtn nnn
Unterclassen ein, so wird diese Wolthat in vielen F&llen illnsorisch gemacht;
denn jeder Vater wird aus begreiflichen Gründen seinen Sohn so früh als
möglich in die S'chnlo scliicken. die <'i- absolviren soll. Dadurcli wird sie wieder
zu einer Institution der Wdlliabendt.n. Auch die \'olks.scbul(' leidet darunter,
da ihr auf diese Weise die Kinder besserer Stände, die sie sich in den letzten
swei Jahrceluiten hier erobert hat, wieder verloren gehen.
Eine Nachricht von höchster Wichtigkeit für Preußens Schule dnrchlftnft
soeben die Presse. F.'i soll im Cultusministerinm da.'i beinahe zur Seoschlange
gewordene rnteiriciitsgesetz ausgearbeitet st in und in nächster Sitzung des
Hauses der Abgeordneten vorgelegt werden. Die Sache scheint diesmal ernst»
kalter m sein als sonst. Der Bttcktritt ]^mareks, nnter dessen Hemcfaafk
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Hilter iimerpolitiscIiM Leben fast stockte, scheint andi hier Bewegung gebntcbt
zn liaVien. Was von der augenblicklichen Strömung oben für uns zu hoflFen
ist, gestelien wir es offen, dürfte nicht allzn viel sein. Wo ist jetzt ein Falk?
Es ist das herbe Gesclück der preußischen Schule, dass sie jahrzehntelang
Aschenbrödel mr, und jetzt, wo ihr ein Frübroth anfisngeben scheint, fehlt er,
den ä» nie vefigeeMo lumn.
Vielleicht yerSffenÜicht man vorher den Bntworf, nm dar VAmtUeliea
Meinnng Gelegenheit za geben, Kritik y.n üben.
Aus Württemberg. Pleuarversammlung des Württemb. Volks-
eebnllehreryereint in Esslingen. Als Festetadt war Esslingen gewftUt
worden, weil in ihren Mauern vor 50 Jabren dw Verein gegründet wurde.
Am 6. August fand daselbst die VorverBamnilung im Traubensaal statt,
welche über 40<J Theilnebmer zählte, darunter Gäste und Vertreter der
Brudervereine aus Baden, Bayern, Hessen und Preußen. Es wurden verschie*
desi Aatrlg» der FOlalTereine besproehen nnd die Tagsaordaong IBr den fol-
genden Tag, den Haopttag, festgestellt. Nnn folgte man einer Einladung aei>
tena der städtischen Behörden anf die Burg, wo Stadtpfleger Weith die Fest-
gäste in freundlicher Ansprache namens der Fest- und Seminarstadt willkommen
hieB. Abends gesellige Unterhaltung im Kugel'schen Festsaal, bei der die
sti&dtiBCben Gesangvereine nnd der „pädagogische Kranz" mitwiricten, wosn
aieb anch viele Bürger der Stadt mit Familie eingeftinden batten nnd die ttb-
lldien Begrüßungsreden etc. vom Stapd getassen wurden.
Am 7. August tagte die Vollversammlung im Kugel'schen Saale, mit
welcher zugleich die Jubelfeier des .ÖO jilhrigen Bestehens des Vereins und eine
Diesterwegfeier verbunden war. Eröffnet wurde die X'ersamiuluug nach An-
bOrung einen OrgelconeerCa In der Liebfranenldrehe mit dem yientimmigea
Cbnral: Nun lob, mein' Seel', den Herren^ und der Begrüßungsrede des betagten
Vor?5tande8, Oberlehrer Laistner-Stuttgart. Daranf richtete Pürgeransschnss-
obmann Brintzing-er im Auftrage der bürgerlichen Collegien freundliche Worte
an die Versauuulung, in denen er hervorhob, dass man hier erkenne, welch
greSea Verdienst der Verein für Hebung der Volkaediule, die das Fundament
des Staatswesens bilde, habe. Dun folgte Mittelschnllehrer Aner- Eselingen
namens des Beiirkslehrervereins. Mit allgremeiner Zustimmung wurden dessen
??chlu88worte aufgenommen: Lehrer, seid treu dem Amt, treu dem Stand, treu
dem Verein. In diesem Zeichen werdet ihr siegen!" Nun ertheilte der Vor-
stand den fremden Gästen das Wort. Lehrer Schröer-Berlin führte aus, dass
unter den deutschen Lehrern die Wflrttemberger die ersten waren, die sieh m
einem größeren Verbände /.nsammenfanden nnd die in ihrem Vereine ziel-
bewusst nnd in besonnener \Vt'ise .sich um die Hebung der Volksschule und
um die Förderung der Lehreriiitere.ssen bemüht^'n. Er wies sie anf die Zu-
sammengehörigkeit der deutschen Stämme und der deutschen Lehrer und bezog
sieb, freudig bewegt, auf den an der Wand aagebraditenDeabq^rueh: «Ein Geist
durehdring* um alle und eine Liebe mache uns stark ! * Lehrer Heid-Pfonbeim rvt-
breitet sich über die Verhältnisse der hadiscben Volksschnllehrer, die durch Einig-
keit und festes Znsammenhalten in den letzten Jahren manches erreichten, das
sie erstrebten. Lehrer Backes-Darmstadt bezeugt, dass die gesammte deutsche
Lehrerschaft einig sei im Ringen um Hebung der Volksbildung nnd nm Beaser-
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— 795 —
stdlimg der Lehrer. Die heniecheii Lehrer haben ihrer wolwollenden Begie-
mng manches zn danken, namentlich die Gehaltoanfbessernng' vnd die fiMdi*
männische Schulaufsicht. Oberlehrer Srlmbert- Anf^sborg führt n. fi. an, dass
die bayerischen Lehrer den wtirttemberger Lflirern Dank schuldig seien, inso-
fern sie bei Gründung ihres Vereins 1861 die Statuten und die Grundsätze des
Würfetemherger Vereins sieh snm Haster nahmen. Aach die hajerischen Lehrer
k&mpfen nnter der Derise: Hebnng des VolksschnlweBens und Kräftigung des
Lehrerstandes. Zuletzt sprachen noch Oberlehrer Str idle-Gmünd, Vorstand des
Württemberger katholisclien Volk.sschullehrervereins, und Oberlehrer Stern-Ess-
ÜDgen, Vorstand des Württemberger israelitischen Lehrervereins. Vorstand
Laistner dankt dm Vonednem nnd hoflfk, dass die freandUchen BedehnDgen,
die seither swisehen der Stadt Esslingen, der Oeibnrtsstitte des Vereins, nnd
dem Verein sieh neigten, aach fernerhin und für immerdar erhalten bleiben.
Ein Telegramm an Seine Majestät den König Karl wird abgesandt und von
demselben später huldvoll beantwortet. Nun kommen die eingelaufenen Glück-
wunschtelegramme zur Verlesung. Solche hatten überscbickt: der Bremer
Leluervereln, der Vorort der allgemdnen deatsdien Lehrsnrersanunlang, Getha»
der Hannoversche Lehrerverein, der Anhaltisehe Lehrerverband, der Berliner
Lehrerverein, der Rheinische Provinziallehrerverein, der Birkenfelder (Olden-
burg) Landeslehrerverein. Nach diesen Mittheilungen sang der Esslinger
Lehrerverein den Chor: „Ich suche dich, o Unerforschlicher!'' und dann hielt
Laistner die Festrede, die in warmer Begeisternng nnd tiefer Verehrnng die
Wirksamkeit nnd hohe Bedeutung des vor 100 Jahren geborenen groBen Päda-
gogen Diesterweg hervorhoh nnd die dann imAnschlnss nnd mit steter Bezie-
hung auf diesen Meister in ihrer Fortsetzung eine Rückschau auf die oOjiUirige
Vereinsthätigkeit gewährte. £r scbloss mit Worten des Dankes gegen alle,
die den Zwecken des Vereins fltederlich und helfend entgegenkamen. Er dankte
den noeh lehendm Grttndem des Vereins, von doien über ein Dntaend derVer^
sanunlung anwohnten, er gedachte der Todten, die sich um den Verein bemühten
(Dr. Riecke, Karl Hartniann, Dr. Eisenlohr n. a.\ der Agenten und Mitarbeiter
an der Wreinszeitschritt; er dankte der Oberschulbehörde, dem Ministerium,
der Stände Versammlung, denen viele Wünsche durch den Verein vorgetragen
(aber Irider nnr snm kldnstm Tbeil erfBllt — Perstaliehe B«nerfcnng des Be*
ferenten) wurden nnd die manche Wolthaten der Schule und ihren Lehrern za-
fließen ließen, er dankte Sr. Maj. dem Könige, der dem Verein und der Volks-
schale stets mit königlicher Huld in Gnaden gewogen war. Allerdings bleibe
d«n Verein noch viel Arbeit, er bitte daher die älteren und jüngeren Vereins-
mitglieder, in ihrem BIfer nicht sa ermatten, sondern trenlleh welter zn ar-
beiten som Wol des Volkes nnd des Vaterlandes, nnd wenn Volk nnd Begle-
mng die Bestrebungen des Vereins nntersttttzen und flMeni, so wmlen Schale
und Lelirerstand sich heben. Lange anhaltender Beifall folgte dem Vortrag.
Der Schriftführer Honold-Langenau trug nun die Geschichte des Vereins vor,
woraus nor erwfthnt sein möge, dass in den letzten 10 Jahren die Mitglieder-
BaU nm 800, d. h. nm 64 Pncent, iagen<munen hat Eän wdterer Haopt-
gegenstand für die Verhandlangen: „Die EinschrSokODg oder Erweiterung des
Normallehrplans** wurde der vorgerückten Zeit wegen auf allseitigen Wunsch
zurückgestellt. Die Zahl der Festtheilnehmer, eine viel größere als in den
Vorjahren, mag cii'ca löOO betragen haben.
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— 7üü —
SchUenieh Mi noch bemerkt, da« der Semtaianreetoir von Bnliiigea (ein
Theologe) nnd die äbrigen Seminarlehrer (mit einer darigen Aunahme), sowie
die Stadtp:eiBtlichkeit (vermutblich nach vorangegung-ener geheimer Verab-
redung infolge eines Winks von der Obei'schnlbehörde) der ganzen Versanun-
lung fem blieben. —
Der pftdagogisclie, eelialteeliniiehe Lehrenre von eedwwSchiger
Daner, der hener erstmals am E. Lehrerseminar in Esslingen gehalten wnrde,
nnd an dem 12 jünprere Geistliche theilnahmen, ist bereits znm Abschluss ge-
kommen mit einer kurzen — Prüfung-, bei welcher Prälat v. Bieder und die
Oberconsistorialräthe Wittich und Kömer zugegen waren. Diese im letzten
Laadtag dnieligedrildkte moiene Binilelitaag iat die Antwort der Obenehal*
' behOide anf den Antrag einiger Abgeordneten, welcher faehwteniiche Solittl-
nniUeht verlangte. Zugegeben ist damit, dass die Geistlichen in Wahrheit
doch keine geborenen Schulmänner seien, aber die Absicht kundgegeben, die
Schule um allen Preis in geistlicher Hand festzuhalten. In kurzer Zeit wird
im Lande Württemberg kein Mangel an (in sechs Wochen!) pädagogisch ge-
bildeten Pfturem melur Beia. Uad daaa wehe dem Lehrer, der aich noch er-
dreistet, einen Wunsch nach Belteinng von geistlicher Schnlaufsicht über seine
unbescheidenen Lippen gleiten zu lassen. In diesem Lande des Fortschritts ist
die Regierung auch im Bcgrifle, die Lebenslänglichkeit der ( )rtsvorsteher —
meist aufgeblasene, blasirte Schreiber, einfache Handwerker oder beschränkte
Banem! — noch mehr m befieatigen. Ein nafehlbarer, hochtnbeader Plhmr
nnd ein sich lebenslänglich allmächtig dfinkender Schultheiß, diete swel KUil-
steine, gehörig ,,scharf" erhalten, Rind sie nicht hinreichend, einen unter dem
pietistischen Joch aufgewachsenen Lehrer zu zermalmen? Möchte doch Qoethe'a
Ausruf mehr zur Wirklichkeit werden, welcher lautet: „Mehr Licht!**
Aus Österreich. Am 7. und 8. Angnst d. J. tagte in Saas der dentsoh-
Haterreichische Lehrerbund.
Die reizend gelegene Stadt Saaz hatte sieh zum Elmpfange ihrer Gaste
festlich geschmückt. Von allen Häusern wehten Fahnen in den Landes- und
BeichiAffben. Dass andi die aehwan-roth- goldene darantor nicht fddte,
brancht kaum besonders erwähnt zu werden.
GegiMi tausend Tlieilnehmer hatten sich eingefunden, und war der reich-
gesclimiickte Saal des Schießhanses nicht imstande, alle in sich aufzunehmen.
Dicht gedrängt, Kopf an Kopf standen die Lehrer, und trotzdem alle Neben-
rftnme geOffliet waren, masate ein Thell der Bemeber warten, bis wieder einem
anderen Tlieile derselben die Luft in dem Saale sn schwfil geworden.
Der Bundesobmann Oberlehrer Katschinka, von den Versammelten mit
lebhaftem Beifalle begrüßt, eröffnete die dritte Hauptversammlung mit einer
gefühlswarmen Begrüßung der Theilnehmer. Diese Begrüßung klang in ein
mit Begeisterung aufgenommenes Hoch auf Se. Majestät den Kaiser, den
Sdiirmherm nnd Schütser dw Nenschnle ans. Die Vorsammlaag besdiloss
die Absendung eines Telegrammes an den Kaiser, in welchem der Huldigung
der deutsch - österreichischen Lehrerschaft Ausdruck gegeben wurde. Xarli
Erledigung des Berichtes über die Thiltigkeit dos Bundesausscliusses ergriff
Dr. Friedrich Dittes das Wort, um das Andenken Diesterwegs zu ehren.
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— 797 —
Von miautenlang:erä bransenden Beifalle empfangen, hielt Dr. Dittes
Steine Getlilchtnisrede auf Diesterweg, in welcher er uiiltr mehrfacher Be-
zugnahme auf seine Berliner Kede den Charakter des gefeierten I'ädagogen
ond die Idtenden Qnnditttn denelbeii in Besog auf dieSehnle, denUDterriolit,
dieLdmrbildang n. a. eingelieiid beleachtete und die einstigen wie die lientigen
Gegner und Feinde Diesterwegs in ihrer waliren Gestalt zeigte und so treflfend
charakterisirte, duss er oft und oft von den nicht zurückzuhaltenden Beifalls-
AaAemngen unterbrochen wurde. Dr. Dittes sprach mit einem jugendlichen
Fescr und mit patriotiidier Begeisterung, die alle liinrin. Br befl^ück-
wünsohteOstmeieli, in denen Sehntweaen einGroBtheil der Diester weg'adien
Ideen verwirklicht ist.
Unbeschreiblich war der Beifall, welchen die Rede Dr. Dittes' hervor-
rief. Dr. Dittes sprach mit Freude. Er fiililte sich sichtlich heimisch in-
mitten der deutsch-österreichischen Lehrer, die ihm noch nie ein Mi^iä Verständnis
«ntgegeabracliten. Hier io diesem Kreise brandite er nicht n IBrehten, dass
auf den Jubel, der ihn nmbranste, Betheneningen folgen wQrden, dass die
^Vahrheit nicht die Wahrheit sei, oder dass' man sie als solche nicht an er-
kennen vermöge.
Über den zweiten Gegenstand der Tagesordnung bezüglich des gegeu>
wftrtigen Standes der Sehalfrage erstattete der Bnndesobmaan Herr Oberlehrer •
Katsehinka namens des Anssehnsses Bericht In dnteeher Webe legte dar
Berichterstatter dar, dass die zur Annahme vorgeschlagene Resolution nichts
anderes aus.spreche, als dass sich die deutsch-österreichische Lehrerschaft zu
den Grundsiltzen des Reichsvolksschulgeset/eä bekenne und dass dies gegen-
über den in der bekannten Erklärung der Bischöfe in der Gommission des
Henreohanses anli^tdlten Fordornngen ansgesprochen werde. Nach knno*
Begründung wnrde die Besolotion von der Versammlnng einstimmig ange-
nommen.
Herr .1. W. Holczabek aus Wien führte das Referat über die Frage:
„Trägt die Schule an der Verwahrlosung eines Theiles der Jugend Schuld y
Der Beferent fllbrte in seinen Darlegungen ans, dass die Verwahrlosnng eines
Theiles der Jagend keineewegs eine neue Erseheinnng, kein charakterisirendes
Zeiclipii unserer Zeit sei; eine verwahrloste Jugend habe es allezeit gegeben,
auch zur Ztiit der Concordatsschnle. Mit der Zu- oder Abnahme des materiellen
Elendes der Massen steigt und fällt dieses Übel, welches die Schule allein zu
beklmpfen nicht in der Lage sei. Damm müssen die Gememde, das Land und
der Staat, die Lehrerschaft nnd die SchnlbehOrden zusammenwirken, nm Er-
aprleAUches in dieser Beziehung zu leisten. Der Berichterstatter legte zum
Schlnsse seinei* mit großem BeifiJle aufgenommenen Bede die folgenden
Thesen vor:
1. Die Verwalirlusung dnes Theiles der Jugend ist nicht ein besonderes
Zeichen unserer Zeit, sondern es bat verwahiloste Kinder Jederzeit in Stadt
nnd Land gegeben.
2. Die Verwahrlosung der Jugend wächst im allgemeinen in dem Maße,
als das materielle p]lend der Massen zunimmt. Im besonderen wurzelt die
Verwahrlosung wesentlich theils im Leichtsinne, theils im Unverstände des
betreffenden Theiles der Jugend, sowie der Eltern oder Pfleger desselben, and
es wird die Aosbrdtnng des Übds Insbesondere durch das Dulden sitUieh ver-
PtoltCOfhiB. 19. Jabiy. Haft 301. Ö7
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— 798 —
walirloster Kinder unter den ährigen noch unverdorbenen nicht onerheblicb
begünstigt.
3. Um der Verwahrlosung der Jagend entgegenzuwirken, müssen 80W<d
die Gemeinde wie dat Land und der Staat thitig etagreifea:.
ai die Gemeinde, indem sie für die Erzlehiing veilaMener oder dar
Verwähl losnng entgegengehender Kinder sorgt;
b) das Land, indem es die bestehenden nnd ilirem Zwecke entsprechen-
den Besserungsanstalten materiell und moralisch uuterätützt und indem es
selbst naeh Bedarf SffmtUehe Endehnngeanstalten für verlassene oder lllr
nachgewiesen bereits sittlich verdorbene Kinder sowie Zwangaarbeltsanstalten
für die der Schule entwachsene Jugend beiderlei Geschlechtes errichtet;
c) der Staat, indem er das Verbot der Fabriksarbeit der Kinder bis zu
deren vollendetem 14. Lebenejahre grundsätzlich und ausnahmslus aufrecht
erbftlt, und indem er dnrch die Schule nnd seine Schnlbehordeo, also den Orts-,
Betirks- nnd Laodeaschnlrath, der Verwahrlosmig der Jngrad planmItMg ent-
g^en wirkt:
1. durch die Schule, indem diese bei aller Rücksichtnahme auf den
Unterricht vorzngfvwt isi in der Kr/.icliunp: der Jugend eine ihrer Hauptauf-
gaben erblickt und indem der Religionsunterricht ebenso wie der UnteiTicjit iu
• allen anderen hiezn besonders geeigneten Lehrgegenständen das innerste 0e>
mfithsleben des Kindes erfust und dieses dadurch wahrhaft bildet;
2. durcli den Ortsschnlrath, indem er die Gemeinde unterstützt oder
gegebenenfalls ihre Thätigkeit im übertragenen Wirkungskreise za über*
nehmen hat;
3. dnrch den Bezirkschulrath, der insbesondere Ittr die Gründung
nnd Erhaltung von Volkskindergftrten für Kinder von 3 bis 6 Jahren zu
soigen hat;
4. dnrch den Landesschnlrath, indem er die bereits bestehenden oder
die neu enichteteu Erziehungsanstalten für verlassene oder Uesseruntr-saii-
stalten tür verwahrloste Kinder, sowie Knaben- oder Mädchenhorte im ganzen
Lande nach einheitlichen Grundsätzen organisirt und durch seine Organe
Überwacht.
Nach kurzer Debatte einstimmig angenommen. „Volksschule."
Ana der Fachpresse.
339. Die-dentsehen Lehrervereinignngen nnd die Fortbildangs-
schale (0. Fache, Die Fortbildungsschule 1890^ 9/10). Gegenwärtig verhält-
nismäßig nur ein kleiner Kreis tapferer Männer, zielbewusst für den Ausban
der nationalen Fortbildungsschule thiltig. Wesentliche ^'crptlichtung aller
Lehrervereinigungen — in Anbetracht der hohen sachlichen Wichtigkeit —
bei ihren Mitgliedern ein lebhaftes Interesse für die Fortbildnngsschnle zu er-
wecken. Jede Lehrerconferenz, in deren Bereich sich Fortbildungsschulen be-
linden, soll für die Angelegenheiten der letzteren einen besonderen Aus.schuss
haben. Dieser hätte auch Handwerker, Kaufleute, Landwirte etc. als Mitglie-
der oder Gäste heranzuziehen.
340. Pädagogische Mahnworte (F. Frank, Päd. Rundschau 1890, VI).
Vit viel Emst und Wftrme geschriebene, recht beherzigenswerte AuMtze tber:
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— 799
KlefaddBdernntern'cht — Lehrer, besinDe dich! — Festina lente! — Praktiiscbe
Vorschlage für den Lclirplan. — - Gute Worte: Der Lehrer rauss die kleinen
Kindpr gleich als kleine Geister behandeln. Das ist eine d«T errößteu Aufgaben
des Lehrers: die Schüler ztxr wahren Besinnung zu fühlen. Jahrealehrplan erst
anflniBfedleii, wenn Slrar-den materiellen, geistigen ond littUchen Zoetend der
(neuen) Classe im reinen. '
341. Fußpfade im Gebiete der Erziehungskunde (\V. Walter,
Päd. Zeit. 1890, 22). VL Conflicte: Linie und Punkt in der Geometrie —
in der Scbreibstunde; der Himmel in der Kircheuiehre — in der Natui'kande;
Onunmitlk, Logik, Stil, Poede, OeMluBaok im läXM^ und Dogmennnterrieht
(„GeMBgbQch") — im denteehen ünteiricht. „Wlre es vielleieht dw bette,
•wenn die Kinder sich dieser Conflicte ttberhanpt nicht bewnsst würden, d. h.
wenn es der Lelirer verhindert, wenn er sie in süßen Scliluf lullt? Beruhigen
wir uns damit, dass wir sagen: es wird schon einmal einer kommen, der sie
aufweckt, wie weiland das Dormöscheu! Nur möchte der Kass so sanft nicht
sein — und das Erwacben noch bei weitem weniger.*
842. Dae Resultat (R. Rieimann, Hessiedie Schnls. 1890, 19. 20 des
Kampfes zwisolien den Herbart ianern und ihren Gegnern. — Die „formalen
Stufen" sind niclit erst anerkannt worden, denn „so lange die Welt steht, hat
niemand anders unterrichtet als nach den Formalstofen'^ ; Widerstand nur gegen
die Terminolegie und gewisses Beiwerk SUerseher Herininft („Analyse" und
Anwendong des yolUftandigen Schemas anch aaf das kleinste nnterrichtUche
Pensum). Ebenso ist die „Concentrationsidee**, die Verbindung des Verwandten,
nicht ledifrlich der Herbartschen Schule zu verdanken. Die „Idee der Cultur-
stufen aber ist der Sumpf, in welchem der Herbartianismus stecken geblieben." —
„Dass der Traum der Jünger Herbart«, die Lehre ihres Meisters werde zur
kwrsdhenden PSdagogik werden, niemals in ErftQlnng gehen kSnne, liat jeder
Einsichtige voraoSgesehen. Dennoch hat der Herbartianismus als Sauerteig
gewirkt und eine segensreiche Gälirung^ im pädagogischen Leben hervorgerufen."
343. Die Schulbildung der Stotterer (Schweiz. Lehrerzeit. 1890.24).
Hsndelt wesentlich von den persönlichen Pflichten des Volkssehullehrers: äußerste
Wachsamkeit und Anibpferangsfähigkeit von Aniluig an (Entdeckong der Stot-
terer) — Privat- oder Nachbilfestanden neben dem Glassennnterricht so iHih
als möglich (Aoflnudiea der Symptome des Stottems) — sorgsamste Pflege des
mündlichen Gedankenansdnicks überhaupt (zugleich das beste Mittel, Rückfillle
und Nachahmung oder Ansteckung zu verhüten). — Bezugnahme auf die Unter-
suchungen des Berliner Arztes Oatzmann (n. a. anf seine Schrift: Die Ver-
hitnng md Beklmpfong des Stotterns in der Schale, Lmprig 1889).
344. Die Recrutenprüfungen (K. Hauser, Schweiz. Lehrerzeitung
1890, 19— 2;i). 'Wrfasser g:ibt eine klare Übersicht über die geschichtliche
Entwickelung dieser Prüfungen in der Schweiz und über ihre gegenwJlrtig-e
Einrichtung. Letztere zu vervollkommnen, im besonderen eine gerechte lieur-
fheilnng sowol der PrttfUage als der Schalen, ans dmien sie hervorgegangen,
zn erzielen, ist das eidgentasische statistische Bnrean nnansgesetst bemüht.
Ihre Zweckmäßigkeit wird auch von militärischem Standpunkte aus anerkannt —
Vergleichende Blicke auf Bel?ien. Frankreich. Italien, Deutschland.
345. Eigenthümliche Beschlüsse und Maßregeln über die Stel-
ling des deutschen Unterrichtes in den höheren Schalen (L.Viereck,
bl*
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— 800 —
Zeitschr. f. d. deutsch, ünterr. 1890, III). Württenibergische Regierung 1883
bezüglich der Gymuasien: eine UDgeDÜgtnde Leistung im deutEchen Aufsatz
(oder im Deutschen überhaapt?) soll die Ertheilnog des BeifezecgBißses künftig
nieht annchlieBcn. — DirectoreiiTenainiiding der Provins HumoTer 1888:
Deutsch als Hauptfach erst von Olersecnnda an! — Deutsche Stunden im
Gyttinasinm nach den (preußischen?) Lehrplänen von 1816: 40 — 1837: 22 —
1856: 20 — 1882: 21 (eine ganze Stunde mehr! Latein und Griechiscli zu-
rammen 117 Stunden!!).
846. Die Pflege de> Fonuentlnnes (M. HoteaoB, Schale und Haue
1890/ V^. «"Wie in der menschlichen Entwidcelsng das Sehen dem Denken
vorausgeht, so niiiss in der Erziehung das Sehen und Ersehen der schönen For-
men dem Fassen und Erfassen der schönen Gedanken vorhergehen. Man lasse
die Kinder weniger musiziren, dafür jedoch mehr zeicimen und malen. Nur •
die FUiigkeit, ans den Gestalten nnd Formen der Umgebung das Schöne and
WolgeftlUge mit Genäse heranssdinden nnd es vllrdigen, soll im Ktaide ge^
weckt werden."
347. Betrachtungen über das Zählen (W. Tanck, Päd. Reform
1890, 14 — 17): philosophische, historische, psychologische, didaktische. —
Zählen ist ein Fortscbreiten an den zu zählenden Gegenständen nach Haügabe
einer heitannten festen Reihe. Wo die Zahlanflluaiug flbor 4 hinausgeht, iat
die Stufe des Zahlens erklommen. — Fäden der Zahlentwickelung beim Kinde
klarzulegen (durch möglichst viele Einzelbeol achtungen) nooh Angabe der Zu-
kunft. — Finger die denkbar beste Reeheninaschine.
348. Moderne Verirrungen auf dem Gebiete des Turnunter-
richtes (Allg. Dentaehe Lehrerzeit 1890, 21. 22). Eine der beaten „Prela-
arbelten'* dieaea Jahrea. — Vom nTnmmonopol" der TnnlehrerfaUdnngs-
anst alten nnd aefaien Answächsen, besonders gefordert durch die Schulbeh5rden
größerer Städte — vom „Tnmhallencnltns" (Gfldverscliwendtiiig', Turnen im
Freien verkümmert, das Streben nach fleißiger Uf - und Ausnutzung der „schönen**
Hallen von gesundheitsschädlichen Folgeu lur die Schüler: Staab) — vom
„Tnmdrill'' („höhere** Lelatmigen, SchaosteDnngen — daa Schvltomen hat
nidit auf den Militärdienst YonnWeiten). Im ganzen: Der bekannte Turnei^
spmch passt nicht auf da."? gegenwllrtige Schulturnen (in größeren Städten).
349. Zur Reform unserer Facliiiresse (E. Haiife, Freie Scliulzeitniig
1888/90, 31). Wesentlich ^Kritik, und eine Kritik, die auf viele pädagogische
Zettongen passt. (Eine groBe Zahl bringt monatdang niohta Beaditen» wertes
— davon weiß der Berichterstatter dca „Fmdagoginm*' ein Lied an singen t
Immerhin ist ansdrQcklich zn betonen: es wird im ganzen viel Qotea ge-
schrieben, nur — hilft es wenig, weil es alliibtr.ill an Thatkraft mangelt.)
Uauptheilmittel der gegenwärtigen Mängel und Gebresten nach Haufe s t'ber-
zengnng: Unabhängigkeit; d. h. die Presse nicht Eigenthom des Buchhändlers,
sondern der Lehrerschalt — Ähnlichen InhnltB ein Artikel in der Schles.
Schnkeitnng" (1890, 19). (Verf. rechnet ftr den pädagogischen Schriftsteller
anf 20 Mark Honorar 30 Arbeitsstunden — richtiger wiie 60 oder 100
Stunden!)
350. Samuel Heinicke (J.Heidsiek, Schles. Schals. 1890, 20). Lebens-
gang, Eigenart und refonnatoriacheTh&tigkeit (unter besonderer Henrorhebnng
der heldenhaften Streitbarkeit) ttberdchtUdi dargestellt und genllgend gewilr- ■
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801 —
digt. — Über den Taubstnmmenunterriclit vur Heinicke. Dessen Vorfahr and
Oewlhnnaiiii: der Schweiler Änt Ammaii in Amsterdam.
3ßl. Darwin and die Pädagogik (B. Freund, Päd.Rund8chaal890,VII).
„Darwins Theorie darf zur Grundlage der Sclmle g:eniacht werden. Darwin
zeigt die Welt am besten als Einheit. Wenn sie Gott so geschaflen zur Ein-
heit, bleiben wir bei der Einheit: sie zu erkennen ist ein wichtigei- Gottesdienst.
Der Aiaban dar Lehrgegenstaade snm Organismiu fiodet in Darwina Baft-
wiekelQngstlkeorie den ^atlgaten Boden. Indem die Natur nnd die Menaeli-
beit in \h\r-m Werdeprocess, in ihrer Weltarbeit, also die Organisation der
Welt in ihrem Nach- nnd Miteinander das Lehrplansystem der Schule ordnen,
stehen die Lehren des religiös -sittlichen Unterrichtes mit denen der Natur-
wissenschatlt and Geschichte in organischem Zusammenhang.^ — Versuch, die
* Pädagogik anf den Darwinitmiu an grfinden: „IHe natVriiche Eniehnng'' von
B. Hanfe (M. ran, 1889).
352. Was ist philosophische Pädagogik? (AUg. Deutsche Lehrerz.
1890, 17. 18). Eine Wissenschaft, die ihr ki-itisch ge.sichtetes Material
mit anderen Wissensgebieten in Verbindung bringt, an den logischen, ethischen
nnd lathetitdien Ide^ nM nnd hiedmeli Tlieil bat an dar Gestaltung einer
aUgeaMlnea nnd denknetbvendigen Weltanadiannny eine Knaat, deren
Zweck die Daratellong logischer, ethischer nnd ästhetischer Ideen im mensch-
liehen Bewnsstsein ist. (Wichtigkeit der ^ Methodenlehre''.) — MitErfirtemng
dar Begriffe: Wissenschaft, Philosophie, empirische Pädagogik.)
353. Der Stillstand der Schalpädagogik nnd aeine Ursachen
fPid. Zdtnng 1890, 19). HaaiitQnadie: Jeder IndividnaUamna ana den
Scholen Terschwunden , daffir militärischer Gleichschritt. Nothwendige For^
dpruns-en: Lehrplan von der staatlichen Oberbeliörde und von praktischen
Pildagogen nelist localen Schulbehörden aufzustellen. Für den Lehrer: Frei-
heit and Selbstständigkeit in der methodischen Gestaltung des Stoffes.
354. Gegen wnrt nnd Sehnle (J. Eoschmieder, BcUea. Schnls. 1890, 22).
Unter den II ftngeln der gegenwärtig fiblichen Lehiarbelt wird mit Beeht die
elende Fragerei gegelBelt: „Die* übermäßige Anwendung der Frage erinnert
an das bekannte Verfahren bei einer Pumpe, die kein Wasser geben will.
Motto der Fragfanatiker: gut gefragt, gut erzogen. Wii- sind neugierig, ob
aie niebt mit dem Mittel der Frage die socialen Schäden werden beseitigen
wollen. — Der Kern nnd die HfiUe dieser Pädagogik beatebt in der Gliedemag,
Beschreibung nnd Beispielsaramlnng der Fragarten. Die Fragenpädagogik ist
der Todfeind jener Wärme, die von üerzen kommt and au Hwaen gebt nnd
das beste Teil des Unterrichtes bildet.
355. Ein wunder Punkt am Schulorganismus (Päd.Reforml890,19).
VerftwN' beaeicbnet eine mangelhaft gebandbabte Veraetznugspraxia als den
gröBten Erebnebaden am Gesammtorganismns der Scbnle (im engeren Sinne)
und wünscht nicht besondere Schulen, nur besondere Claasen fttr die Schwachen
und Zurückgebliebenen. Für die Arbeit an solchen sucht er den Lehrer mit
warmen W^orten zu gewinnen. Die Classe für Schwachbegabte sei ,.eine
wahre Fnndgnibe für den Psychologen, eine Fnndgrube erneuter Schaffen»-
frendlgkeit*.
356. Ist unser Lehrplan der Grundclasse reformbedürftig?
(J. Oroppler, Pttd. Zeitung 1890, 27. 28). Von dem Branche, die nnterate
— 802
Classe den jängsten Lehrkräften zu fibertragen, ist abzugehen. Der Unter-
richt Iflr IwideB entoi Jahrgänge iat ia eine Hand an legen, damit sein
Schwerpunkt ins aweite Schnljahr vexiegt werden kann (besonders im Interease
der Eingewöhnnng nnd rahigen Entwiekelinig). — Veilhawr geht aof die
Berliner Verhältnisse näher ein.
357. Vielfächerei und Conoentrat ionsbetrebungcn (G. Stucki,
Schweiz. Lehrerzeitang 1890, 25 — 28;. Innerlialb der letzteren fünf liichtangeu :
Abiittang — BehandlangderTenehledeiieiiFIcher nacheinander (welche „Plda-
gogm*' der Gegenwart vertreten diese Biebtong?) — scheinbare Vereinigong
der großen Filclierzalil in wenige Gruppen — ein Fach als Mittelpunkt —
„Concentrationsidee" der Zillerschen Schule. Alle diese Richtungen seien ver-
kehrt. „Der Lehrer sei die oberste (and einzige?) Concentraüon in der Er-
liflhnBgndknle.'*
858. Unterriehte Ittekenloa! (E. Hense^ Dentsehe Schnlaeit 1800, 28).
^Der Maßstab des lückenlosen Fcrtachrittea liegt vielmehr im geistigen Wachs-
thnm des Zöglings als in der objectiven Reihenfolge der Gegenstände, obwol
auch durch diese, durch die Steigerung der Aufgabe jenes Wachsthum selbst
wieder bedingt ist." — Nachweis, wie sich jeuer Grundsatz in der Geschichte
der FSdagogik hemnagebüdet hat
359, Über den Unterricht in der Hnttersprache (H. Sommert,
Päd. Rundschau 1890, VI. VII). Verfasser dieser vortreftlichen Arbeit ist
Schüler Hildebrands: Beweise: die Muttersprache ist als das den gesammten
Unterricht durchdringende und beherrschende Erziehungsmittel aufzufassen,
nnd swtr für alle SehabtataL nnd Sehnlarteo. Die I^ehrer vOm&a die Mund-
art nnd den Stammeharakter der Schfiler genau Icennea. Das Haupl«ewieht
ist auf das gesprochene, nicht aaf das geschriebene Wort zu legen, die über-
mäßige Betonung der Lese&biuigen vor den Sprechübungen schädlich. Die
ürsprünglichkeit, Natürlichkeit, Geradheit der Volkssprache ist hinüberzurett«n
in die Schriftsprache. — Die Grammatik wird nur dort zu Hilfe gerufen, wo
sie unmittelbar gute Dienste leisten kann.
360. Der Brief (R. Dietrich, Schule und Hans 1890, VII). Tritt for
naturgemäßes Briefschreilen (dem eigentlichen Zwecke des Briefes entsprechend)
ein. Von den Verstößen gegen die Wahrhaftigkeit („Anrede", „Einleitung-.
„Schluss''). Die Eltern vornehmlich sollen die Jugend (natürliche, wirkliche,
enste) Briefe schreiben lehren — wenn ea Zeit ist — Der gesehftftliche Brief-
wechsel ist etlicher Formen nnd Fonnehi wegen in der Ergänzongs- oder Fortx
bildungsschnle zu üben; die eigentliche Kinderschule bringt den brieflichen
Verkehr überhaupt nur in einer heimatkundlichen Unterredung über die Poet
auf die Tagesorduung.
S61. Über die Beziehungen zwischen der Erd- und Henschen-
knnde HI. (F. Benfl, Bepert. d. Päd. 1889/90, VII). SeUusswort: „Wir
glauben die Aufmerksamkeit auf drei wichtige Wahrheiten gelenkt zu haben:
dass niinilicli erstens die Erdkunde einer der erhabensten Zweige der Nator-
wissensclial't; dass zweitens die Menschenkunde zugleich Natur- und Ideal-
wissenschatt ist; dass drittens beide Wissenschaften zu den vorzüglichsten
Trtgem der modenen Bildung gehSren." — nNatflrlichea EndddL'' fttrThaten
und Schicksale der Völker: „Bewohnnng und Beherrschung der gansen Erde,
sodann (nachher?) höchste Sittlichkeit und höchstes Glttck."
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(
Literatiir.
Karl Richter, Adolf Diesterweg. Naell adnem Leben und Wirken zur Jabel-
feier seines luindcrtjälirigen Oebortatages dargestellt. 260 S. 3 Mk. =
1,50 ti. Wien 1890, PicUler.
Wir erhalten liier ein treues und in allem wesentlichen crschöitfendes Bild
von dem Lebenslaufe, dem Wirken und dem Verdienste des großen Pädagogeu,
dem In diesen Tagen von ollen strebsamen Lehrern Deutschlands anfs neue
gehuldigt wird. Es wftre überflüssig, dieses Buch, in welchem sich das hervor*
ragende Talent des altbewährten Verfassers abetmals im besten Lichte zeigt,
im einzelnen su beleuchten und zu rtthmen; wer es liest, wird linden: diu Werk
lobt d«i Meister.
.Pädagogiaehes Jahrbnek 1889. Der Pädagogischen Jahrbacher zwölfter
Band. Herausgegeben von der Wiener Päda^'^^i^isohen GeseUscbaft. Bedi-
girt von M. Zens. 1H2 S. Wien 1890, Maiiz.
Dieses Jahrbuch eines der angesehensten pädagogischen Vereine hat sich
schon längüt einen ehrenvollen Ruf erworben, weshalb wir uns hier darauf be-
schränken, den Inhalt des vorliegenden Bandes in Kürze anzuführen. Ks bringt
acht Vortrüge und Abhandlungen unter fol^^enden Titeln: Das österreichische
Volksschulwescn unter Kaisrr Franz Josef I. illannak); Bilder aus der dster-
reichischen Schul^eschichte längst vergangener Zeit (Tomberger); Bede aar
PestaloBsifbier (Siegert): Der Oesehiditsimterricht, ein Ufttef snr sittüdieii
Bildung der Jugend ( Kraft i; die concentriachc llethode an der Bürgerschule im
Lichte ib r Schlüpraxis (Simon); Über ein neues Lehrmittel für den Unterricht
im pt r>{M ctivisehen Zdchnen (Hofer); Über die Erriehnng warn Gehorsam vnd
ihre lircu/rn 'Mohanjjt': Ilriliiädagojri-ichr Bc.strf'l)mi£!:("'n, blinde und geistig
abnorme Kinder ^Heiler). Sehr wertvoll sind auch die hierauf fulgeudcu Thesen
ZV 62 pftdagogiscben Themen, als Embnisse tob Beratbancoi in Lehreroon-
ferenzon; den Schln<!^ bihb t eine ioteressante Übersieht des pidagogischea
Vereinswcseus in Oätcrreirh- Ungarn.
Otto Ernst, OlfeBea Yiaiert Oesammelte Essays ans Llterator, Pädagogik
and öffentlichem Leben. 280 S. Hamburg 1890, Konrad KloB.
Ein Sammelwerk, welches iiber durchaus den einheitlichen, klaren und freien
Geist des glt iclien Verfassers zeigt, wie ver.-clii' ileuarti^' auch die beleuchteten
* Themata üi ml. nii ^. llM U lauten: Uluuben und Wissen; Religion ode^Literatur
als Centrnm des Volksschuluutcrrichtes':' Der Lehrer und die Literatur; Ein
Parasit der Seele (Ehrgeiz und sein (jclolge': Censtantc .Mujorititten; Eine
PhriusC der Geistig-Armen : Das Elend der modernen Lyrik; Der literarische
l'ilettantismus und seine BekSmpfuni;: Poetische An.schaulichkeit: Literarische
Allotria; Die nioderue Literaturspaltung und Zola; Die (ieschlechtsliebe und
ihre literariticbe Bedeutung; Lessing's ^Nathan" und das ästhetische Phrasen-
thnm; Die Charaktere in Goethe's „Egmont"'; Der Uamerlingüche „Aha^iTer'
und sein Ideengehalt. — Wie man hieraus ernicht, erstreckt sieh der Inhalt
nicht blos auf i'iidagogik im engeren Sinne, >ondern auch auf Politik und
überwiegend auf die sdiöne Literatur. lnde«tien bringt es nichts, das außer
Beziehung stftode aa- dea Bildungs- und Cnltttzfragen überhaupt und der Gegen-
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— 804 —
wart besonders, nichts also, was einem ganzen Pädagogfen fremd bleiben darf.
Für beschränkte und ängstliche Schablonenmenschcn, welche gern in den ihnen
angewiesenen Geleisen bleibt n wollen, passt das Buch allerdings nicht; tUr
solche ist es zu aufredend, zu kUhn, zu gedankenschwer, zu revolatioii&r. Für
gute EOpfe aber und nreie Charaktere ist es eine Quelle wahren Qenusses und
eine Fundstätte der fruchtbarsten (Jedunken. Dem Gehalte eutspricht in wür-
digster Weise die Form : der Stil de» Buches ist ebentto Irisch und treffend, wie
eofzect und fdufBldig, geradesn muBteiliaft.
J. PHwlecki, Anaf&hrileher Informator Aber das VolkMehnlwewa too Altona-
Ottanten, Berlin, Bremen, BresUn, Chemnitz, Danzig, Dresden, Dfisseldorf,
Elberfeld, Frankfurt a/ll., Kambarg, Hannover, Köln. K^uii^^sberg i/Pr.,
Leipzig, Magdebuig, ^fünchen, Nürnberg, Stettin, Stntlgart. Nebst einem
Anhange über die (iehaltsverhältnisse der Volksscbullehrer in üCKJ größeren
Städten AUdeutschlands. Zweite vermehrte Auflage. 291 S. Laugen-
salza 1890, Sehnlbachhandlong.
Bas Buch ist vorzugsweise für solche Lehrer bestimmt, welche die AVibicht
haben, sieb um eine Stelle im Volksschuldieoste einer größereu deutschen ötadt
zu bewerben nnd gibt ihnen die zu diesem Belrafe gewttosehten Ärnkfinlte.
Dieselben beziehen sich auf die Einwohnerzahl, auf die ortsübliche Art der
Meldung (Bewerbung) um den Schuldienst, die Modalitäten der Anstelluug, auf
die GehaltsverhSltnisse, die Pemioiiimig, die Versorgung der Witwen oad
Waisen, auf das Lehrer- Vcreinswesen, auf die I'rcise der Wuhnunffen, Lebens-
mittel und son8tiß:eu Be^lürfnisse in den angetührtcn Slädteu. l>ii.s Buch luuss
als ein sehr srhiU/.enswerter praktischer Rathgeber bezeichnet werden, und
seine Auskünfte sind selbst fUr s'.lche I>ehrer interessant, welche nicht den
eigentlichen Zweck desselbeu im Auge haben. Es verdient, durch allseitige
Uaterstlltnng tob Seiten der Lehrefsehaft immer mehr yervoUkommnet «i
werden. *
Das Absehen der Schwerhörigen. Leitfaden zur Erlernung der Kunst,
das Gesprochene vom Munde abzusehen. Nach den Grundsätzen seiner
eigenen, den Bedürfnissen der SchwerhSrigen angepassten Lehrmethode be*
arbeitet nnd h«raiisgegeb«i von Jnliäs HflUer, Leiter der Unterrichts-
Anstalt für Schwerhörige in Hambnrg. Selbstverlsg des Verfassers. Adresse:
Haosaplatz 2.
Durch die Herausgabe dus vurlicgeuden, ganz einzig in seiner Art dastehenden
Werkes dürfte der AnstoB gegeben sein, dass nun auch in weit umfassenderem
Hate als seitlier crsehcbcn . den schlimmen Folgen der Schwerhörigkeit durch
Eileruung der Aü.sehfertigkeit energisch eutgegengetreten werde. Durch den
Oebranch des Hührrohres wurde das Übel iUr gewohnlich immer mehr ver-
schlimmert. Bei Aneignung der Kunst aber, das Gesprorheno vom Munde ab-
zusehen, wird dus kranke Organ, das Ohr, entlastet, dafür aber das gesunde,
das Auge, belastet. Das heißt in der That Teraunftgenttfi verfahren. Der
Herr Verfasser, ein früherer Taubstiimraenlehrer, hat es sich zur Lebens-
aufgabe gemacht, Schwerliöriiren diese Fertigkeit anzueignen; die erfolgreichen
Beniltate seiner längeren Erfahrung bietet derselbe ia uneigranützigster Weise
in Torstchendem Buche offen dar. Da.s.selbe zertUIlt in einen theoretischeii und
einen praktischen Thcil, welch letzterer aus 86 höchst instructiven, bis ins
einzelne ausgearbeiteten Lectionen besteht, deren Anordnung nach der .\bseh-
Schwierigkeit der Wörter vollzogen ist. Nicht nur der Taubstummenlehrer,
sondern flberhaupt jeder tüchtige Lehrer kaun sich nun an der Hand dieser
Schrift bti Fleiß, Ausdauer und genügendem ("-Mhick in den .Stand setzen,
diesen Unterricht za erthoUen. Üo ist hiermit die Vorbedingung für eine größere
Verbreitung dtesör TTnterriehtsweisc gegeben. Mochten recht viele Lehrer wie
Leidende sich dieser .\rbeit nnt. rw. rfcn : es wird sich dann je länger desto
uchr das Wort an dem :;chwerhürigen bewahrheiten: Wol schwerhörig, aber
nicht sehwermfltbig! F. 8ch.
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Theodor Seemanil, Allp:empinf» Gittt<>rlehrp. Zum Gebrauch für hJiher»' Lehr-
ani^talten, Kunstschulen, sowie zum Selbstanterrichte. Mit zahlreichen Ab-
bildungen. 208 S. Hannover 1890, Karl Xaaz. 3 Mk.
Das Werk beschränkt sich nicht auf die Mythologie der Griechen und BSmer
(welche iillünJinffs, wie natürlich, den größten Raum einnimmt), sondern um-
la.«-Äi auch die Gotterlehreu der übrigen Culturvülker: der Ägypter, Semiten,
Perser, Inder. ( hinesen and Japanesen, Mexikaner und Peruaner, sovrie nament-
lich auch der Gennaneii: in einem Anhange kommen selbst die religiösen An-
schauungen der halbwilden heidnischen Völker zur Darstellung, so dass sich
schließlich ein Gesammtbild der Entwickelung des Gottgedankens in der Meusch-
beit ergibt. Ein beigefügtes Sftcihregi*tet dient xuc jSileichterang des Nach-
nUngens. Zahlrdehe AmlMoiigea TtfaiiBdunilidieB den friedi und eorreet
geaeluiabenen Text.
M. Asmiis, Cours abr6g6 de la litteratnre franraise depuis son origine jnsqn'ä
uns jours. Oavrag-e redige dapres Bougcault, Paris, Albert, Demogeot.
Troibieme Edition, revue et completee. 165 S. Leipzig 1890. F. A. Brock-
haiis. 1,80 Mk.
Das Buch hält die criucklichc Mitte swischen gelehrter OrflndUchkeit und
dilettantischer Ubeifläciilichkoit, indem es in grolen Zfigen eine Muchaalicbe
Skiue der widitigsten Epochen und Hanpterscheinnngen der ftpaMBrirohett
Literatur von den ältesten Zeiten his zur Gegenwart entwirft. E^ hütet sich
gleichseiir vor t'herladong mit nebensächlichen Notizen, wie Tor vagen All«
gemdaheften und phrawnmiften Raisonnements, bietet Tieimehr fn einem klaren,
abgerundeten und wol zuHarnmenbilns^cndf n Vortrage alle jene literarhistorischen
AnftehlOiie, welche geeignet sind, fUr die Leot£re fraaaöeiacher Schriiteteller
an intereesirai und ue in eileiehten. Eib reeht CBpfehleMwerten Bach.
Oeschlckte der rSmischen Kaiserseit von Victor D«riiy. Aw dem
FranzSdseheii ibenetet von G. Heitxberg. FflnfterBand. Lelpsig, Sohmidt &
Günther.
Mit dem vorliegenden fünften Rand (Lief. 8<) — lOG) schließt das bedeutende
Werk ah. Die dargestellte Epoche ist die (Te«chichte des römischen Reiche»
iiTi IV. Jalirliiindcrt :W)<i ;{!>:>), eine Periode, in der ins]»o«cinderc für die eigen-
thüiiiiahe Entwickelune: der mittelalterlieh-ehristlicheu Kirche der (Trandstein
gelegt worden ist. Dementsprechend ist neben der politischen und Kriegs-
geschichte das Hauptf^wicht auf die Klan^tr llung: der kirchlichen Verhältnisse
gelegt und die Zeit ( 'unstantins, .lulians und i heodosius „des Großen" am aus-
führlichsten behandelt. Es mr keine leichte Anfj^^e, einem Laienpuhlicum
die zahllosen, den Anschauungen unserer Zeit so ganz und gar fern liegenden
theologischen Streitfiragen so darzustellen, dass selbst die ausführliche Behand-
lung nieht ermüdet, ja im Gegentheil ins Detail gehende Interesse einflößt.
Dies ist Duruy vollauf gelungen. Die Darstellung des Eindringens des Christen-
tbiana in alle Verhältnisse den Staates, des siegreichen Kampfes mit dem er-
schlafften IfeidenthuMi, dun seihst ein .luliamis keine Widerstandsfähigkeit
mehr einhauchen konnte, die Sciüklerung, wie die ehristliche Weltanüohauung
den antiken Oeiit aHmiMiek ^«rdrlBgte and eine neoe Konstepoehe b^rnn-
dete. wie die Kirche seit dem Concil zu Nicäa sich neben und ttnld über den
Staat stellte und so eine neue Zeit, das Uittelalter, herausbildete, ist fassiich,
Uar, saehgemiC, rationdl, so dasa man dem YerfiiMer mit gespanntester Anf-
merksamkeit folgt. Nicht wcnip trafen dazu bei die in reicher Zahl heran-
Sezogencn Citate aus den Qttellenschiiften (Kirchenv&tem und heidnischen
utoren) in den FaBnoten, lo ansehaalicli wirinn, ifk die nidit mbder
zahlreichen Text -Illustrationen (keine Phantasiebilder): Münzen, Mosaiken,
geschnittene Steine, Diptychen, Statuetten, Sarkophage, Ruinen und deren
Restanrationoi etc. Ein Sach- und Namenregister Uber die fünf Bände und
ein Illustratioiisvoncichniss V S. niö— B14 erleichtern den Gebrauch und die
raschere Orientirung. Der Keiereut, der das Werk wiederholt gelegen, glaubt
nicht stt Tiel au sagen, wenn er bemerkt, dais leiten ein Bueb enoheiBt, in
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dem die Foncbungeu der Gelehrten in so aamuLhiger i'om niedergelegt sind,
wie es hier im Dimiy'scheD Werke gesdidm ist. Bern Lehrer der GeMhidite, '
der Relip;!')!! und der Kunstge>rhi(:lite, wie jedem, der sich über eine der folgcn-
Bchwerdten Epochen des MenHchcngescblechtcä aufklären will, unter deren £in-
wirknng VBser ffcsammtes Denken und Ftthlen noch stehen, den meisten freilidi
unbewiTsst, empfehlen wir die fUuf Bände der nnDischpii Kaisendt snr TiOftUro
und ihre 200 lUastrationea zur eingehenden Betrachtung. J "W.
Jllicke, Lehrbuch der Geschichte für die oberen Classeu höherer -
Lehrftn stalten. Zwd ThtOe. Bredan 1890, Trewendt
Dem Buche wird man zweierlei nachrühmen müssen: Klarheit und gute Stili-
sirunff was die Form, und, was den Inhalt betrifft, stete Ettcksichtnahme auf
die Ergebnisse der Feflsehmig. Viel Krinukianis, der in Form interessanter
Anekdoten, Aussprüche u. dsfl. in anderen Lehrbüchern der Geschichte noch
immer der Jugend mit behaglicher Breite mitgetheilt wird, trotzdem daa (^anze
ab nnhistorisoh Hingst widerlegt ist, ist auf diese Weise in das Buch .Tänieke's
nicht gekommen. Wie genau der Autor mit dem Stande der Forschung ver-
traut ist, siebt man am deutlichätcu und öftesten aus .seiner Danitellung der
römischen Geschichte. Die Ge-schichto der classischen Volker sowie der Deutechcn
und die innere oder Culturgcachiohte hat er in den Vordergrund gestellt und
pragmatisch behandelt. Ulustrutionen zur Culturgeschicbte, wie sie z. B.
Gindely oder Junge u. a. bieten, sind dem Buche leider nicht beigefügt; da-
durch wird das Verständnis besonders mancher Abschuitte des I. Theiles sehr
erschwert, z. B. das Capitel über griechische I'la.stik. Auf tjccuiann.-i Bilder-
bogen hätte da wenigstens verwiesen wenlm sollen. , W.
Dopenwell, Der deutsche Aufsatz in den unteren und mittleren
Classen höherer Lehranstalten, sowie in Mittel- und Bürger-
schulen. I. Theii. Zweite Aufl. Hannover, Karl Meyer (Gustav Prior),
1890. 8*. 804 S. Pr«lB: 3 lOc. 50 Pf
]»iescs Hilfshncli enthält, cceordnet nach zwei Stufen, 275 Aufsätze, deren
Stoff zum Zwecke der Beproduction Fabeln, Sagen des dassiachen Alterthums
und der dentseben Heldensdt, sowie der OeMhidite und SebwSnken entlehnt
ist und die theils als Erzählungen, thcils als Beschreibungen (im Anbang auch
einige In BnefÜoun) gehalten sind. Mehreres ist an dem Buche zu iobui: die
Dantellnng, waa den Satsban betrifft, sowie der Inhalt, ist der Altenatoie an-
gemessen und der Umfang jeder Arbeit hält das ri( htitjc ^^luß ein : der Inhalt jeder
lässt sich darum leicht übersehen, prägt sich bald ein und die 2s'achbildung muthet
dem Schiller nicht .zu viel Arbeitsdaner an. Dem Lehrer ist dnreh das Bneh
jcdesfalls ein Dienst erwiesen, weil er genug Stoffe zur bequemen Auswahl vor-
gelegt erhält; der jüngere Lehrer wird das Buch außerdem mit Nutzen ge-
brauchen, weil es ihm Winke gibt, wie er Anlbatiübungen betreiben rousa.
Auch da loben wir den Inhalt des Gebotenen — es sind Beobachtungen eines
denkenden Lehrers, wie er sie an einem großen Schülennaterial gemacht hat —
ond die Form. Nichts unangenehmer, als wenn pädagogische liatbschläge breit-
spurifc mit. d'^r sattr;ani bekannten Geschwätzigkeit mitgctheilt werden. Das
ist hier durchauä uiclil der Fall. Eiues mochten wir aber doch Doreuwell
empüshlen, daai ev nämlich bei einer neuen Auflage die geschichtliehen Auf-
sätze einer genauen Durchsicht unterzieht und alles beseitigt, was mit der
beglaubigten Geschichte im Widerspruch steht. (Vergl, z. B. das Lesestück:
Nero.) W.
CIräve, Präparationen zur Behandlung deutscher Musterstücke in
der Volksschule. Mittelstufe (IIL u. IV. Schuljahr) Preis 1 Mk. 20 Pf.
Oberstufe: L Thcil {\. u. VL Schuljahr) Preis 1 Mk. 60 Pf. IL Theil:
(Vn. Q. Vm. Schuljahr) PreiB 8 Mk. Supplement: Lebrasbilder deutscher
Dichter (Preis 1 Mk. 20 Pf.) Bielefeld und Leipzig, Velhagen & Klasing.
Das Buch ist nach dem bekannten Herbart-Zilier'sehen Verfahren (Vorberei-
tung, Darbietung, Verglcicbung, Zusammenfassung, Anwendung) bearbeitet und
Mhltolt lieh an das Leeebneh von Gabriel und Snpprian an, nnn aber auch
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dort gebraucht worden, wo man sich an daa genannte Schenui nicht strcnj^
halten will, oder wo dos genannte Lesebuch nicht im (iebrauche steht; dcuu
die (Thiuterti-n LcsestUrke finden rieh beinahe sämmtlicb auch in jedem anderen
Lesebuch. Du-s Werk ist Anfüngern zu empfehlen und jedem, dem die Zeit
mangelt, sich längere Zeit auf ein Stück vorzubereiten; beide finden hier be-
quem zusammengestellt, was sie einem Schüler der betreffenden Altersstufe an
einem Lesestttck erläutern mQssen, der erstere außerdem, wie er erläutern
mus3 und wie er das Gelesene für die Ausbildung der sprachlichen Fertigkeit
seiner Zöglinge verwerten kann. In dieser Hinsicht kann er da.s Buch mit
Erfolg bentttsen, cerade so wie die ^Lebensbilder", die ihm zeigen, wie er eine
Biographie einet nditeis vor Kindern behandeln mtm^ Kilebraaeh in seiner
..Vorschule der Literaturgeschichte^ (die Grave unter drii Hilfsbüchem S: 106
nicht nennt) hat in derselben Weise gelehrt. Unter den zahlreichen Aufgaben,
die rieh an die Leeeetttcke anaeblieBen, gefallen nns nur zwei Arten nicht,
weil .sie nii lit gelingen oder nicht t^ut liiii^en k"iiinen. Die eine Art ist die;*
der ächiUer spll im Sinne, im Ueiüte eines anderen erzählen, also z. B. im An-
iddVM an GiamiaM'a „iMe alte WascUirau'' eine Unterredung Chamisao's
mit der Wasebfrau, in welchen latfttcrc ihre Leben.sschieks;ile erzählt, oder:
Gedanken eines Försters beim Anblick altes Bäume (im An^cliluisä au Gribels
Gedicht „AuB dem Walde"). Die zweite Art Aufgaben, die einem Schttler
nicht gut oder gar nieht gelinj^cn ki'mnen, ist die: eine Schilderun!? zu liefern
von Dingen und Erscheinungen, die er nicht gescheu, erlebt hat und zu deren
DarsteUvng'der Phantasie. alle und jede Anhaltspunkte fehlen. Als sulchc Auf-
gaben nenne jrh z. B. die S. IHO (der Oberstufe Hl verlanfjten Nuelihildungcn
der „Feuersbrunst" in der Schillerschen ülocke: Schilderung eines Gruben-
«ttglttdcet, einea Stvimei auf dem Heere, einer Übenehwammnig. W.
Wrobel, Dr. E., Gymlehr. in Rostock: Übungsbuch zur Arithmetik und
Algebra tür höhere Lehranstalten. L Theil. 291 S. 2 Mk. 60 Pf. Uiersu
die Resultate 82 S. 1 Mk. Rostock, Werther, 1889.
Dieses Übungsbuch beschränkt sich nicht auf eine Sammlung von AnfJi^ben,
sondern enthiilt auch die dazu nöthigen Formeln, Lehrsätze und Lösungs-
Methoden nebst einer Anzahl einschl^iger Fragen. £s war dem Verfasser
nicht nnr dämm zu thnn, neue Aufgaben zu bieten, sondern er hat Tomflglieh
Wert darauf gelegt, in der didaktischen .Vin/rduung einen Fi rt.'^i hrirt zu mk han.
Wir können seiner Bemerkung nur zustimmen, daas au iieichhaltigkcit die vor*
liegende Sammlung von keiner anderen ObertoolPen wird; anen mllssen wir
hinzufügen, da.ss da.sselbe auch in T'czuij der StofTvertiefiini,' trilt. Der Inhalt er-
streckt sich auf den Lchrstuft bis L nter-Secunda, umfasst alsu die sieben Rech-
nungsarten, Proportionen und Gleichungen ersten Grades mit einer und mehreren
Unlickanntcn ; wilhrend der f'hungsstotY für die übrigen Tln ile der Algebra
einem zweiten demnächst zu veröffentlichenden Theile des Werkes vorbehalten
. ist. Wir glauben, es wird zur Kennzeichnung des Buches am dienlichsten sein,
wenn wir bemerken, dass dasselbe der rühmlich bekannten Sammlunur von Heia
ebenbürtig zur Seite gestellt werden kann; so dass der Lehrer hiermit in die
Lage gebracht ist, die eine oder die andere Sammlung abwechselnd oder gleich*
zeitiir hcniitzen zu k<>nnen, indem dioselhen nach Umfan": und StoflVertiefung
nahe parallel laufen, mit dem Vorzuge für das neue IJuch, dass dasselbe denn
doch sehr viele neue Übuugen bietet.
An Einzelheiten möchten wir hervorheben; Die Anführung einer Reihe von
Brüchen, wobei sich Vcrtauschbarkcit von Grundzahl uud Exponent ergibt
(nach Ueugel im Programm -Aufsätze des Gymnasiums zu Emmerich 1888).
bezüglich des Gebrauches der Klammem wäre zu erinnern, dass dieselben
dienen, um irgend eine Rechnungsart anzuzeigen; allerdings treten sie zum
. erstenmale bei der Subtraction auf, gerade deshalb niuss aber vermieden werden,
daas der Schttler alle Klammern, welche ihm in Hinkunft begegnen, fUr Sub-
tractions-Klammera halte.
Der Verfasser hat sich als ein sehr erfahrener Lehrer gezeigt, welcher die
didaktische Anordnung des Stoffes meisterhaft versteht und sich auf der Hübe
der wiBBenaefaaftlichen Entwiekelung seines Gegenstand hril»let. Wir glauben
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nickt zo viel zu bagen, wenn wir die Yermotbung aussprechen, dasä dieses
Buch sich alsbald einer großen Verbreitung erfreuen und mit den gcbräuch-
lichi'n Piiminlungeu in erfolgreichen Wettbewerb eintreten wird. II. E.
Adam, W., .Seminarlebrer in Neiiroppin. 1500 Aufgaben aus der Bnch-
stabenrecbnuDg und Algebra mit vollständigen Berecbuungen zum Selbst-
ontenicht. 2. verb. Aufl. 292 S. Gera, 1890, Hoftnaim.. 4 Hk. 40 Pf.
Diese Sammlung enthält Aufgaben tlber die sieben Ilcchnungsart* n . xMlann
über Gleichungen bis zum vierten und fUnften ürade, nebst Diuphantiächen
Oleicbüngen, ftber Profressionen, Kettenbrlldie und CombinatioiMlefare. Wie
(Irr Titel riclititr angi^it. ist diese Sammlung vermöge der vollstämliüfen
rechnung der aufgestellten Aufgaben fttr den Sclbtituntcrricbt ToUkummen ge-
eignet; fttr. den Sehalunterricbt kann sie wol nur Verwendung finden, wenn
ein .*^chiller eine versÄurntt; Partie nachzuholen hat. Per größte Theil des In-
haltes ist der Algebra zugewendet, wä^irend die Beispiele t'ttr die Hieben ^ch*
nvngsarten nur etwa deu sechsten .TbNl des Raumes einnehmen, besondeni
wenig Beispiele sind der I'iviäion zugemessen. Das Ko(hnen mit ima<;iniiren
Zahlen geht ganz leer aus. Deninadi ist eine erfolgreiche Verweudung dieses
Lehnnitteb besonders zu erwarten, wenn es sich darum handelt, zu erlernen,
wie man gegebene ^^'ortgleichungen in der mathemati.schen Zeichensjirai he
ausdniikt, und für diese Verwendung vermögen wir es auch besten» zu
empfehlen. H. E.
Bieler, Dr. Albert, Rector in Gräfenthal. Raumlehre in Bürger- und
Mittelschulen. 9(3 Figuren im Text bii S. Jena, Mauke, 1890. 80 Pf.
Der Vorgang des Verfassers ist abweichend von» gewöhnlichen; er beginnt
mit der Erklärung der Winkel, der Dreiecke, Vierecke und des Kreises und
feht dann erst auf die Betrachtung der KOrper iiber, dies macht zusammen
4 Seiten als einleitenden Theil, dann folgen LehrsStze, namentlich Uber Con-
gruenz und Fl&chengleichheit. Den .Schlui-s machen vier Seiten über K"'rii< r-
. berecbuungen. — Jedenfalls kommt man dem Abstractioosvennögen der Schiller
besser su Hilfe, wenn man ihnen erst EOrper Torlegt und ihnen an denselben
die ebenon Ttebilde weiset, aI-~ mit dem Vorgange des Verfassers, besonders
wenn man so mangelhafte Figuren gebraucht, als seine 18. Was get>eheu
werden soll — nimbdi die OlelcUieit von Gegen- und Weehflelwinkeln — iit
nicht da; und WBS da ist — BAmUch nn^^eiehe Winkel — soll Ja nleht ge-
sehen werden.
Wir wollen nicht bestreiten, dass der Verfeaser bei neinen Sehlllem' ausge-
zeichnete Erfolge erzielt; die T^sache davon liegt aber gewiss nur in seiner
jKTsönlichen Lehrthätigkeit und nicht in seinem Lehrbuche; schon nicht wegen
dessen aufterordentlich gedrängter Kürze; wird doch die Ellipse auf einer
halben Seite abgetlian, da muss denn doch gesagt werden, dass dies t'iir die
zw^eit wichtigste Curve, welche der Schüler kennen lernt, außerordentlich
wenig i^t. H. E.
Venntwoitl. fiedccteu Dr. friedtiob Dittei. BaelidnicJtoKi Jslias Klinkhkrdt, Lcipsig.
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