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Full text of "Neue Jahrbücher für Philologie und Paedogogik"

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NEUE JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE UND PAEDAGOGIK. 

GEGENWÄRTIG HEKAUSGEGKBEN 

VON 

ALFRED FL£C££IS£N und HERHANN HASIUS 




SECHZIGSTSB JAHEiQANGt. 
EINHUNDERTÜNB^WEIUNDVIERZIOSTER BAND. 



LEIPZIG 

DRÜCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER. 

1890. 



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JAHRBÜCHER 

FÜB 

PHILO1.0GIE UND PAEDAGOGIK. 



ZWEITE ABTEILUNG. 



HEBAU86EO£B£lt 
VOK 

HEBMANV HASIV8. 




ä£C!IiSUNDDREISZI&ST£B JAHE0AN6 im 

ODSR 

i 

DER JAI»i80H£M JAHKBÜCHS& FÜR PHU^OLOOIE liUD PAEOAaOaiK 
BXNHUMDBRTOMDZWBIUirDyiXBSIOSTBE BAND. 



LEIPZIG 

. I>RUOK UND VERLAG TON B. G. TEUBNES, 



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ZWEITE ABTEILUiNÖ 

FÜE GYMNASIALPiDAGOGIK UND DIE ÜBÜIGEN 

LEH&FÄGHEft 

MIT ADSSCBIiUSZ DSR CLASSIflCHEB PHILOLOaU 

HBBAU80BOBBBN VON PBOF. DB. HbBMABN MA8IU8. 



1- 

DAS ZWETTE JAHR DES GBIECHISGHEN ÜNTEBBICHT8 

AN EINEM GYMNASIUM RÜSZLANDS. 

Nachdem ich im Schuljahre 1887/88 4ie Ille classe aufgrund 
meines Übungsbuches heft I s. 1 — 68 unterrichtet hatte (eingehen- 
den hericht darüber habe ich in diesen Jahrbüchern 1888 heft 10 
und 1 1 erstattet)^ übernahm ich mit beginn des nächsten Schuljahres 
die IVe classe, um die schüler, welche in der Illn von mir nach der 
neuen methode unterrichtet worden waren, selbst weiterzuführen, 
obgleich seit dem griechischen examentage (18 mai) his zam Wieder- 
beginn des Unterrichts (mitte august) eine sehr lange zeit verflossen 
war, genügten doch wenige lectionen, um die schüler in der deoli- 
nation und in dem teile der conjugation , den sie in der IIüi elasse 
kennen gelernt hatten, wieder heimisch zu machen; schon am 
Schlüsse der 3n lection begann der Übergang zu etwas neuem; nach 
der 22n lection begann das, was man in jeder spräche jetzt möglichst 
bald zu erreichen strebt — die lectüre zusammenhängender 
lesestücke, auf die einzelnen stunden verteilten sich gramma* 
tische ttbongen imd lectüre in folgender weise. 

Erstes halbjahr. 

Leot. 1* repetition von LXXYJII und 78 (sStza mit fiitur- 
formen) und von XLVI (Ehodopis). 

Aufgabe: lerne nochmals auswendig XLVI (Bhodopis). 

Lect. 3. stück XLVI wurde aufgesagt und aus dem köpfe an 
die tafel geschrieben, dann die darin vorkommenden verben mit 
ihren aoriat- und futurformen an die tafel und in die kladde ge- 
sdirieben. 

R. jibrt. f. plui. a.pi<t IL ibU 1800 hft. 1. 1 



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Das zweite jabr des griechischeo Unterrichts 



Aufgabe: lerne auswendig s. 97 dKOuuJ — CTpaieuoiuai mit 
aorist- und futurformen, bereite LXXTX nocbmals zum mUndlicben 
übersetzen vor. 

Lect. 3. nach überbörung der anfgegebenen verba wurde 
LXXlX repetiert und dabei die darin vorkommenden verba mit 
ihren tempusformen besprochen, die letzten minuten aber ver- 
wendete ich darauf^ die comi)aration auf -lepoc -Taroc an die 
tafel zu schreiben und dabei auf den quantitötsunterschied von 
öiKaiöiepoc und C0(paJT6p0C aufmerksam zu machen. 

Aufgabe: lerne auswendig s, 98 qpoveOuj — TdiTUJ mit 
aorist- und futurformen, lies durch kurzgefaszte grammatik § 38, 1 
nebst anm. 1 und 2. 

Lect. 4. nach überiiörung dur aufgegebenen verba wurde stück 79 
(futurfonrieu) repe tiert, darauf die comparation nochm;ds besprochen 
und an der tafel anschaulich gemacht, endlicli auch iiocb lAXXlII 
1 — 6 übersetzt, wo sich die formen oHiiiepov, TexviKUJTaia , rrpec- 
ßuT€poc, i]cuxLuTepöc, cui^povecTtpoc, x^J^P^^^TcxTi], iKavuiTaTa, 
TuXouciiJüTepoc finden. 

Aufgabe: lerne auswendig s. 9ü cpeufiu — vo/iicuj mit 
aorist- und futurformen , bereite LXXX (futurformen) nochmals 
zum mündlichen übersetzen vor. 

Lect. 5. nach überhörnng der aufgegebenen verba wurde stück 
LXXX (futurformen) repetiert, darauf wieder zur comparation über- 
gegangen, indem LXXXIII 1 — 6 repetiert und 7 — 12 übersetzt 
wurden. 

Aufgabe: lerne auswendig s. 100 6v€ibi2!uu — KaXuirru) mit 
aorist* und futurformen, Übersetze in die Idadde das ganze stttek 83 
(die niebsten zwei tage waren feiertage). 
Lect 6. nacb flberbOrung der aufgegebenen verba wurden die 
Uadden genauer als gewdbnlicb Ton mir besiobtigt» endlieb 83, 1 — 5 
yon scbOlem an die tafel gesehrieben. 

Aufgabe: lerne s. 101 kX^ictu» — ^pxo^ai mit aori&t> und 
futurformen, bereite LXXXI (futurformen) nocbmals zum münd- 
lichen übersetzen Tor. 

Lect. 7. zuerst wurden 83, 6 — 9 yon scbttlem an die tafel ge- 
schrieben, dann Ton mir die comparation anfiiuv an der tafel an- 
sohaulich gemacht, hierauf die im stück LXXXIV vorkommenden 
oomparationsformen besprochen, endlich das aufgegebene stück 
TiXxxT (futurformen) repetiert. 

Lect. 8 (an demselben tage, Vertretungsstunde), sttmtliche 
flezionssilben der conjugation (w, eic, €i — Ofiai, t|, etai, — Ojuinv, 
ou, CTO USW.) wurden an die tafel und in die kladden geschrieben, 
daaui stück 80 (futurformen) mündlieh repetiert .....^ 
Aufgabe: bereite mit hilfe der grammatik stück LXXXIV 
(oomparationsformen) zum mündl ichen übersetzen vor. 
Lect. 9. zuerst wurden LXXXIV und 84, 1 — 3 (comparation) 
mündlich übersetzt, dann 81 (futurformen) mündlich repetiert. 



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an einem gymnasium fiuszlauds. 



3 



Aufgabe: übersetze in die kladde 84^ 1 — 3, lerne aus der 
grammatik die comparation von dfCiOöc — TToXuc. 

Lect. 10. zuerst wurden 84, 1 — 3 und 84, 4 — 8 an die tafel 
geschrieben, dann LXXXV 1 — 5 mündlich übersetzt. 

Aufgabe : bereite LXXXV 6 — 8 zum müüdiichen übersetzen 
vor, schreibe in die kiaddo die s. 69 nr. 1* und ^ geforderten 40 
formen von rrauofiai — cpeibopai. 

Lect. 11. ziieiöt wurden die aufgegebenen 40 formen an die 
tafal geschrieben, dann LXXXV 6 — b und 85, 1 — 6 mündlich über- 
setzt. 

Aufgabe: übersetze in die kladdc 85^ 1 — 6. 
Lect. 12. zuerst wurden 85, 1 — t» und 85, 7 — 9 an die tafel 
gCbcLrieben, dann LXXXII (das letzte btück uiiL futurformenj münd- 
lich repetiert. 

Aufgabe; schreibe in die kladde die s. 69 nr. 2 geforderten 
80 formen von itauojLiai — (peibojLiai. 

Die comparation des adjectivs und zugleich die 
repetition des futurs waren somit absolviert. 

Lect. 13. von den aufgegebenen 80 formen wurde die hälfte 
an die tafel geschrieben, dann 78 (fotnrformen) abermals repetiert. 
Aufgabe : schreibe in die kladde die s. 68 nr. 4 und 8 ge- 
forderten 80 formen von ku)XOu) — Ätu). 
Lect. 14. von den aufgegebenen 80 formen wnrde die bälfte 
an die tafel geschrieben , dann 79 abermals repetiert. 

Anfgabe; schreibe in die kladde die s. 68 unter 1*^ und 5^ 
geforderten 60 formen 70n 2It|)yiiöu) — däimu. 

Lect, 15. die aufgegebenen 60 formen worden teils vorgelesen, 
teils Yon den scbfilem an die tafel geschrieben , dann von mir die 
bildang des ad Verbs an der tafel veranschanlicht» endlieh im an* 
schlüBS daran LXXXVI und 86^ 1 — 2 mündlich ttbersetzt. 
Anfgabe: ttbersetze 86, 1 — 6« 
Lect 16. znerst wnrden 86, 1—- 6 an die tafel, dann 86, 7—9 
nnd LXXXVli mflndlich übersetzt 

Anfgabe: ttbersetze 86, 7— 9 und 87, 1 — 6; lies durch kurz-, 
gefaszte grammatik § 41. 

Lect 17. zuerst wurden 86, 7 — 9 und 87^ 1—5, dann auch 
noch 87, 6—12 an die tafel geschrieben^ darauf LXXXYm 1—5 
mflndlich übersetzt 

Aufgabe: repetiere die bildung des futurs, des comparativs 
und Superlativs, des adverbs (Vorbereitung zum ezercitium). 
Das adverb war somit absolviert 
Lect 18. erstes ezercitium: 12 stttze aus den abschnitten 
von der comparation und vom adverb, nemlich 86, 4—9. 87, 7 — 9. 
84, 6 — 8, also (wie in der vorigen classe) nur reproduction bespro- 
chener sfttze. von den 27 schülem der classe lieferten 7 alle 12 stttze, 
2 besonders langsame schüler nur 7 bzw. 8, alle übrigen 9 — 11. die 
meisten arbeiten konnte ich mit genügend, zwei mit gut, eine mit 

1« 



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4 



Das zweite jähr des griechischen Unterrichts 



vorzüglich (in 10 Sätzen V2 ^ti^iler) censieren; sieben arbeiten 
(darunter zwei von sitzengebliebenen schtilem, die iu die neue 
methode sich noch nicht eingearbeitet hatten) erschienen mir un- 
genügend. * 

Aufgabe: übersetze in die kladde stück 67 (repetition der 
verba contracta). 

Lect. 19. zuerst wurde stück 67 von schtilem an die tafel ge- 
schrieben ^ dann gieng ich zu dem abschnitte verba liquida über, in- 
dem ich das Schema 

CT^XXui ^cT€iXa dcrdXnv CTeXuk 

(CTCX-j-Ul) (^TCX-Ca) (CT€X-€C-Ul) 

an der tafel erklärte und im anschlusz daran das stück LXXXIX 
müiidlich übersetzen liesz, m welchem 6 verschiedene formen gerade 
von dem einen werte cieXXuj sich vorfinden; /am schlusz wurden 
die im stück XC vorkommenden verba liquida im verzeiciims s. 108 
bis III aufgesucht und dort angestrichen. 

Aufgabe: bereite XC zum mündlichen, überaelzön vor, lerne 
die aiig ü 5 Lri dienen verba aufwendig. 

Lect. 20. die büLze deo eialen exercitiunisi wui'deu an die tatel 
geschrieben. 

Aufgabe: emendatum aller 12 sätze. 
Lect 21. die in XC vorkommenden verba liquida wurden nach 
dem oben erwähnten Schema an die tafel geschrieben, dann LXXXIX 
(formen von ctäXXu;) repetiert, endlich XC selbst mündlich über- 
setzt. 

Aufgabe: übersetze 90, 1 — 5. 
Lect. 22. nach besprechung der emendata, wobei den Imperativ- 
formen besondere beachtong zuzuwenden war, wurden 90, 1 — 5 an 
die tafel geschrieben. 

Aufgabe: präpariere im lesebnohe B. 1 'rabe*, *holz- 
hacker', b« 2 'der badende knabe*« im ganseoi 10 zeikn. 

Leet. 23, die yocabeUiefte wurden coniroliert, die aufgegebenen 
Btücke des lefiebuebs übersetzt und von den darin Torkommenden 
yerben aoriste und f utnra an die tafel geschrieben^, dann wurde noch 
8. 2 'froBch* ttbersetst, ein stück, welches schon im Übungsbudie 
Torgekommen war. 

Aufgabe: lesebuch s. 3 'bSr*, s* 5 'nirgends rettung*, im 
ganzen 10 Zeilen. 
Lect 24. die aufgegebenen stücke wurden übersetzt, die darin 
vorkommenden verba mit aorist und fntur an die tafel gesdirieben, 
dann s. 1 'ranzen', s. 3 'löwenmutter' übersetzt , stttd^e, welche 
schon im ttbungsbudie vorgekommen waren. 

Aufgabe: lesebuch s. 8 'vater und tdchter', 11 seilen. 



* correctur und censierung erwähne ich g^leich hier, obgleich sie 
erat später erfolgten. 



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aa einem gjmnauum BoBzlaiidfl. 



5 



Lect. 25. das aufgegebene stück wurde übersetzt , die daritt 
vorkommenden verba mit aorist und fatur an die tafel geschriebell, 
dann das ganze stück griechisch dictiert. 

Aufgabe: fibungsbuch 90, 6—8 sehriftlicb, XCI mündlich. 
Lect. 26. zuerst wurden 90, 6—8 an die tafel geschrieben, 
dann XCI 1 und 2 übersetzt und von den darin vorkommenden 
verba liquida aoriste und futura gebildet. 

Aufgabe: lern e auswendig XCI 2 (3 Zeilen) , lies durch 
knrzgefaszte grammatik § 54, 1—3. 

Lect. 27. zuerst wurde XCI 2 überhört und aus dem köpfe an 
die tafel geschrieben, dann XCI 3 — 7 und XCII 1 — 3 übersetzt, 
dabei die tempusbildung der verba liquida besprochen und auf den 
unterschied der vocale in ^qpaivov, l(pr]va, dqpdviiv — <paCvu), (pir\vm 
— atpuli äpw — cr^XAoi, creiXui, mXu), ^adXtiv, cröXoc aufmerk- 
sam gemacht. 

Aufgabe: lesebuch s. 9—10 cxoXacTiKifi — dbeXcpöc cou 
20 Zeilen 9 wovon die hälfte schon im ttbungsbuche vorgekommen 
war, 

Lect. 28. zuerst wurden die aufgegebenen 20 zeilen übersetzt» 
dann im anschlusz an darin vorkommende contrahierte verbalformen 
die ausgänge der verba contraeta (u», 4^C, f — tl), eic, €i — ij), oiC, 
Ol) an der tafel repetiert. 

Aufgabe: lesebuch s. 11 cxoXacTiKÖc €lc Xdiocov iTp€q)€V 
12 Zeilen. 

Lect. 29. zuerst wurden die aufgegebenen 11 zeilen Übersetzt, 
dann lesebuch s. 11 cxoXacT. vocOuv bis herunter, s. 12 die ersten 
vier anekdoten, s. 13 ZeOHic, im ganzen 30 zeilen extemporiert, 
dabei schwerfällige schüier angeleitet, die betreffenden verba im 
lexikon aufzufinden. 

Aufgabe (über densonntag): lerne aus wendig lesebuch 
8. 8 *vater und töchter' 7 — 11 zeilen. 

Lect. 30. sämtliche schültM- hatten das ganze stück Water und 
töchter* 11 zeilen gelernt; es wurde aufgesagt nnd aus dem köpfe 
an die iafel geschrieben, dann wendete ich mich wieder zur be- 
sprechiing der verba liquida und Hesz Übungsbuch 92» 1 — 8 an die 
tafel und in die kladde übersetzen. 

Aulgabe: Übungsbuch 92, 9 — 11 und 94, 1 — 3 schriftlich 
(als Vorbereitung zum exercitium). 

Lect. 31. zweites exercitium: sätze über die verba liquida, 
nemlich 92, 7 — 11. 90, 5 — 7, auszerdem repetition früherer ab- 
schnitte, nemlich 85, 1 — 4 und 87, 1 — 2, im ganzen 14 sätze. fragen 
nach vergessenen vocabeln beantwortete ich mit angäbe des ab- 
schnitte«, unter welchem sie im Übungsbuche zu tinden wären (z. b. 
anzünden? — suche es unter den p stammen), von den 26 an- 
wesenden Schülern waren 5 so bald fertig, dasz ich 73, 7 — 11 (ein 
im vorigen jähre durchgenommenes stück) zur aufgäbe hinzufügen 
konnte, der langsamste schüier lieferte nur 7, die meisten 12 — 14, 



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Das zweite jaihr des grieehisclieii Unterrichts 



einer sogar 19 s&tze. mit 5 (vorzüglich) censierte ich zwei, mit 
4 (gut) sieben, mit 3 (genttgend) nenit, mit 2 (uDgenttgend) acht 
arbeiten. 

Aufgabe: Übungsbuch XCII 4—8 und XCIII mündlich. 
Lect. 32. die beiden stücke XCII imd XCIII wurden über- 
setzt, dann die tempus- und modusformen mehrerer verba liquida 
nachfolgendem Schema an die tafel geschrieben: 

cqHUlXui ^cqpaXXov cqpdXXtiJ c(pdXXoiMi ccpdXXe cqpdXXctv cqpdXXujv 

fcqprjXa cqprjXu) cq)r)Xal^l ccpfiXov cq)f]Xai C(pr]Kac 
i(.q>äXr\v cqpaXo) ccpaXcdiv cgdArjüi cqpaXf^vai ccpaXcic. 

Aufgabe: lesebuch s. 13 'AXc^avbpoc 6 ^foc und ''Ißuicoc 

14 Zeilen. 

Lect. 33. die aufgegebenen 14 zeilen wurden übersetzt und 

im aaschlusz daran die modusformen der beiden medialen aoriste 

lQ£ac&}ir\v GedcwiJai eeacaipTiv 64acat eedcacGai eeacduFvoc 
^Tevö|i»iv Y^viufnai t^voinriv y^voO Y^v^cOai ftvöjievoc 

besprochen und an die tafel geschrieben. 

Aufgabe: lesebuch s. 15,-16 AiOT^vric — AaKebaijiovi 
20 Zeilen (ein drittel dayon war schon im Übungsbuche vorge- 
kommen). 

Lect. 34. die aufgegebenen 20 zeilen wurden Übersetzt und 
im anscblusz daran die contracta auf duj (Tl|LlÄjiiai, Tl|iqi, Tl^ärat — 
XPUifi^^i X9^j XP^lTöi) an der tafel repetiert. 

Aufgabe : lesebuch s. 16 — 17 (Diogenes) TTXdiUJva — iioi- 

eiiai 13 Zeilen. 

Lect. 35. die aufgegebenen 13 zeilen wurden ohne weitere be- 
sprechung einfach übersetzt, dann die ersten 12 Sätze des zweiten 
exercitiums an der tafel durchgegangen. 

Aufgabe : schreibe in die kladde die Übungsbuch s. 81 A 1* 
und 1^ geforderten 72 formen von d^T^XKu» — d^lÖU); auszer- 
dem emendatum der ungenügenden arbeiten. 

Iject. 36. die aufgegebenen formen wurden an die tafel ge- 
schrieben, dann Übungsbuch XCIV mündlich übersetzt. 
Aufgabe: Übungsbuch 94, 1 — 7 schriftlieh. 
Lect. 37. stück 94 wurde an der tafel, XCV 1—7 mündlich 
durchgegangen. 

Aufgabe: Übungsbuch 95, 1 — 6 schriftlich. 
Lect. 38. nach besprechung der emendata wurden 95, 1 — 10 
an die tafel geschrieben und die modusformen des pass. aorists 
^cpdvrjV repetiert. 

Aufgabe: lesebuch s. 17 (Diogenes) Tf|V dauTüO — X)]CTeu£i 
12 Zeilen; die dort vorkommende, den schülern noch unverständ- 
liche form KeKXoqpoia wurde durch KXajjavta ersetzt. 

Lect. 39. nach Übersetzung der autgegebenen 12 zeilen wurden 
von s. 1 — 5 des lesebuchs die bereits gelesenen stücke cursorisch 
repetiert, darunter auch einige, die schon un Ubungsbuche in leich- 
terer fassung vorgekommen waren. 



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au einem gymuasium Buszlauds. 



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Aufgabe : lesebuch fi. 18 (Diogeuea) ITXdTUJVOC — dnXdc6i)cav 

13 Zeilen. 

Lect. 40. die aufgegebenen 13 Zeilen wurden übersetzt und 
die darin vorkommenden verbal formen besprochen, 

Aufgabe : Übungsbuch 95, 11 und 96, 1 — 4 (als Vorbereitung 
auf das exercitium). 

Lect. 41. drittes exercitium: lauter sätze über die verba 
liquida, nemlicb 96, 4. 95, 7—11. 94, 5—13 und 92, 1 fif. von den 
26 anweseDclca scbülern liefeilen 4 nicht weniger als 21 Sätze, der 
langsamste nur 9. mit 5 cen^ierte ich eine, mit 4 zehn, mit 3 zwölf, 
mit 2 (ungenügend) drei arlieilen. 

Aufgabe: schreibe in die kladde die Übungsbuch 8« 81 A 2^ 
und 2 ^ geforderten 72 formen von cf^fiKXijj — dEiöuj. 

Lect. 42. die aufgegebenen formen wurden an die tafel ge- 
ßchneben, dann XCV 8—10 und XCVl 1—8 mündlich übersetzt. 
Aufgabe; Übungsbuch 96, ö — 11 schriftlich, 
Lect. 43. die sätze 96, 1 — 11 und 95, 11 (in lect. 40 auf- 
g^eben) wurden an die tafel geschrieben. 

Aufgabe: lerne auswendig auä dergrammatik die coordinaiia 
und ordinalia von 1 — 100. 

Die verba liquida waren somit absolviert. 
Lect. 44. das dritte exercitium wurde diesmal nicht wort für 
wort an die tafel geschrieben; ich begnügte mich bei rückgabe der 
einzelnen hefte nach den betreffenden schwereren fehlem zu fragen* 
dann wurden die aufgegebenen Zahlwörter besprochen. 

Aufgabe: bereite XCVII (zahlwörter) zum mündlichen über- 
setzen vor.* 

Lect. 45. stück XCVII ^ wurde übersetzt und besprochen, dann 

97, 1 — 2 an die tafel geschrieben. 

Aufgabe: schreibe in die kladde die Übungsbuch s. 81 A 3* 
und 3*^ geforderten 7 J foimen von df fcXXuj — dElÖUJ, lerne aus 
der grammatik die zahl we rter 100 — 1000. 

Lect. 45. zuerst wurden die aufgegebenen verbalformen, dann 
97, 3 — 9 an die tafel geschrieben. 

Aufgabe: bchreibe die ülaingsbuch s. 81 A 4* und 5^ gefor- 
derten 72 formen von u.^i^fi\\^^ — dEiöiiJ. 

Lect. 47. zuerst wurden die aufgegeljenen verbalformen an die 
tafel gescbiiebün, dann XC Vlii und XCIX 1 — 3 mündlich übersetzt. 

* die letzten tage der woche, auf welche ich die snsammeiibängende 
leetfire gelegt hatte, worden diesmal freigegeben, weil der kaiser and 

seine ^anzc familip nach Mc^^^rin gekommen waren, um in der ehr- 
würdigen hauptkutliedi 'ilo dos Krt-ml gott für wunderbare errettung aus 
augenscheinlicher todesgefahr zu. danken. 

* den stücken XCyil— GXLIV (zweites beft des übnngsbnolies) habe 
ick alphabetische Wörterverzeichnisse beigegeben; ein recensent nennt 
lie iinvonstandig^, und er Imt rv clit, abor er hat meine absieht ganz 
ver!. ainit: wörter, die dem Schüler nun bekannt sein müssen, wollte ich 
nicht antuhren« 



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Das zweite jabr des grieckischeu Unterrichts 



Aufgabe: lesebuch s. 20 AuKoupYOC — unüöviicKOJCiv, 8. 21 
CoqpiCToO — ßouX6|Li€VOV, zusammen IG zeilen. 

Lect. 48. die aufgegebenen 16 zeilen wurden übersetzt und 
im aiibclilusz daran die comparatiün repetiert. 

Aufgabe: lesebuch s. 22 spartanische frauen, wenigstens 
8 Zeilen. 

Lect. 49. diü Iiallje classe Latte das ganze stück von den spar- 
tanischen fruueu, 18 zeikn, präparkrt; es wLirde dahür auch ganz 
tibersetzt und dann die schwächeren scliüler zum üaciiüberbtUen der 
"von ihnen nicht präparierten zeilen verunlaszt. 

Aufgabe: leaebuch s. 24 Prometheus und JJeukaiion bia 
^Xucev, 13 Zeilen. 

Lect. 50. zuerst wurden die aufgegebenen 13 zeilen übersetzt, 
dann die andere, nicht präparierte hälfte des stücks (16 zeilen) 
extemporiert, darauf das ganze nochmals durchübersetzt, end- 
lich aus der zweiten hälfte 6 zeilen dtrei be dqpavicai — öprj grie- 
chisch in die kladde dictiert. 

Aufgabe: lies in der graxnmatik den ganzen § von den zahl* 
w($rteni durch ; schreibe in die kladde die ttbiingsbocb s. 81 B 1 ^ 
geforderten 36 formen von TeKTaivojiiai — dnc^XdiTOfiai. 
Lect. 51. die aufgegebenen formen wnrden an die tafel ge- 
schrieben, dann XCIX mflndlich flbersetst. 

Aufgabe: scbrmbe die ttbungabuch s. 81 B 4* und 4^ gefor- 
dertem 72 formen von TCieraivo^at — änaXUdTTOfiai. 

Lect. 52, die aufgegebenen formen wurden Torgeleaen und die 
kladden teilweise angesehen, dann stttok 99 (das letzte Von den zabl- 
Wörtern) an die tafel geschrieben. 

Aufgabe: sehreibe die Übungsbuch s. 81 B 3* und ge« 
forderten 72 formen von T€icTa(vo|Mii — drroXXdTTOjiim. 
Die Zahlwörter waren somit absolviert. 
Lect. 53. die aufgegebenen formen wurden vorgelesen ^ zum 
teil auch an die tafel geschrieben, dann liesz ich in der grammatik 
die regeln von der perfectreduplication lesen und besprach 
die Paradigmata ireirafbeu/aai , X^Xct^fxai, T^TaTfim, IcxeOoc^ait 
also zunttchst nnr passives perfect. zum schlusz wurden aus dem 
tlbungdbuche C 1 — 5 übersetzt. 

Aufgabe: repetiere die bildnng des passiven perfects, pi^ 
pariere lesebuch s* 12 'gar zu dürr* und s. 14 öpOuv 6 Cuixpocrnc 
€i€iv (in beiden stttcken erscheinen passive perfectformen), im 
ganzen 11 zeilen. 

Lect. 54. die aufgegebenen 11 zeilen wurden übersetzt, die 
perfectbildung repetiert (Unterscheidung von tenuls, media und 
aspirata), endlich s. 14 des lesebuchs 'AxdOuiV — dpiOjülEiC, 16 zeilen, 
extemporiert. 

Aufgabe: lesebuch s. 9 Cyrus 16 zeilen. 
Lect. 55. zuerst wurden die aufgegebenen 16 zeilen übersetzt, 
dann allerhand passive perfectformen an die tafel geschrieben. 



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J 



an einem gjmnaßiiun Kuazlands. 



9 



Aufgabe: lesebuch s. 26 Alkestis, s. 27 Salmoneus, 17 Zeilen. 
Lect. ö6. zuerst wurden die aufgegebenen 17 Zeilen übersetzt, 
dann s. 27 Niobe, 10 zeilen, extemporiert. 

Aulgabe: schreibe die Übungsbuch II s. 9 A 1 und 2 gefor- 
derten 72 formen von oiKobüjaeuj — TrapayfeXXiü. 

Lect. 57. die aufgegebenen formen wurden vorgelesen, dann 
C 6 — 8 mündlich übersetzt, endlich 100, 1 — ö an die taiei ge- 
Si^ieben. 

Aufgabe: Übungsbuch 101, 1 — 4 schriftlich. 
Lect. 68. zuerst wurden 100, 6 — 8, dann die aufgeerebenen 
sStze 101, 1 — 4 an die tafel geschrieben, endlich von den ülnings- 
buch s. 9 A verzeichneten verben OiKOöOjaeuJ — itapafT^XAiu das 
partic. perf. pass. gebildet. 

Aufgabe: Übungsbuch 101, 5 — 8 schriftlich. 
Lect, 59. zuerst wurden 101, 5 — 8 an die tafel geschrieben, 
dann CI 1 — 4 mündlich übersetzt, endlich von oiKOboj-itiw — Tiap- 
aYTtXXuj (s. 9 A) die 3e sing, plusq. pass. gebildet. 

Aufgabe: Übungsbuch CI 5 — G und CXI 1 — 2 uiuadlich. 
Lect. 60. zuerst wurden die aufgegebenen sätze des Übungs- 
buches übersetzt, dann nus dem lesebuche s. 80 — 31 'AXe'HavbpOC 
tXacppoc — ^eT0tXoTIpaTMOCLlV^v , zeilen, extemporiert. 

Aufgabe: lesebuch s. 31 6u)imjVTl — aTToßdXujj 11 zeilen. 
Lect. 61. zuerst wurden die aufgegebenen 11 z( ilen übersetzt, 
dann die bildimg des activun perfects erklärt und schlieszlicli 
7 zeilijn aus dem lescbuch s. 30 £Yevvri9r| — ececöai (mii den for- 
men i^pi]KÖTi und veviK^Kevai) extemporiert. 

Aufgabe: schreibe von oiKObo^^UJ — TrapaTT^XXuj 9 A 
des Übungsbuches) die 3e sing. perf. pass. und die 2e sing. imp. 
aor. act. , zusammen 72 formen. 

Lect. 62. viertes exercitium: ein formenextemporale, und 
zwar 1) inf. aor. act., 2) inf. aor. pass., 3) inf. perf. pass., 4) part. 
fut. act. — von den 24 verben oiKObOjüieuj , fpaqpuu, dtTiTdccuj, 
TiapaGKeudZu) , CT€<pav6uj, Kpunru), dHoTtXiZuj, biacTreipw, Ti/aduu, 
XeiiTUi, Teixi2!uj, tp^ttuj, Tpdqpui, cTp^cpw, x^fivuj, leivuj, TtXripöuj, 
änTüu, TreiGuj, Kpivuj, TiopG^uj, TrapaYT^XXw, xp^coo», TiXdiTiu. von 
den anwesenden 23 scbülem i)ewältigten zwölf die ganze aufgäbe, 
Bcbrieben also 96 formen ; die geringste zahl war 57 formen ; der 
langsamste sobüler fehlte, mit 5 censierte ich eine arbeit, mit 4 
fünfzehn , mit 3 fünf, mit 2 (ungenügend) zwei* 

Aufgabe: lesebuch 0. 23—34 Sybariten^ 17 zeilen« 
Lect. 62. zuerst wnrde das aufgegebene atttck des lesebuchs, 
dann aas dem ttbnngsbnche OII 3 — 8 übersetzt nnd dabei von 
kX^htdu, tt^m^u), TpeTTW, Tpi<pWf cTp^cpu) das passive perfect an die 
tafel gesehrieben« 

Aufgabe: Übungsbuch 102, 1 — 4 schriftlich. 
Lect. 64. zuerst wurden die aufgegebenen sfttze durchgegangen, 
dann yon Xeinuiy kX^ittw, tt^ilittuu, Tpenuj, rpicpm, cTpccpu), kötttui 



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10 



Das zweite jähr des griechisoheu Unterrichts 



dp7Td2u) auszer deni passiven auch das active perfect an die tafei 
geschrieben, endlich CHI 1 — 4 (sätze mit activen perfectformen) 
tibersetzt. 

Aufgabe: Übungsbuch 104, 1 — 4 schriftlich. 
Lei t. 65. zuerst wurden die aufgegeljtjiien sätze an die tafel 
gesc hrieben, dann im lesebuche S. 31 — 32 jiAeXAlüV — Kp0CK€<paXail|l, 
Iii zeiieu, extemporiert. 

Aufgabe; lesebuch s. 34 *€Tnjuevibi]c — ipÖTTOU, 15 zeilen. 
Lect. 66. zuerst wurden die aufgegebenen 15 zeilen übersetzt, 
dann die andere hälfte des stücks, 17 zeilen, und endlich auch noch 
8« 32 Tf|V *l\ldba — ^TToXiopKOUV, 13 zeilen, extemporiert. 

Aufgabe; lesebuch s. 35 'sitte den könig zu beschenken', 
7 Zeilen. 

Lect. 67. von den im vierten exercitium geforderten formen 
wurden die ersten drei reihen, die infinitive, an die tafel geschrieben 
(zur vierten reichte die zeit nicht aus) , dann erst die hefte zurück- 
gegeben. 

Aufgabe; schreibe in die kladde von denselben 24 verben je 
folgende drei formen: 1) die le sing, plusq. pass., 2) die 3e sing, 
opt. aor, pass., 3) die 2e plur. fut. act. 

Lect. 68. die aufgegebenen formen wurden vorgelesen, dann 
im Übungsbuche CHI 5 — ö und CIV 1 — 4 tlbersetzt. 
Aufgabe: Übungsbuch 101, 5 — 6. 
Lect. 69. zuerst wurden die beiden aufcfcgebenen sätze an die 
tafel geschrieben, dann CIV 6 — 8 (M€)uvr]Cü|aai, XcAei^^eiai) gelesen, 
wobei bildung und bedeutung des pa^civen fut. exacti zur bespre- 
chung kamen, endlich 104, 7 übersetzt. 

Aufsfabe: lesebucli a. Ii cxüXacTiKOC dTTOÖavövTOC — TO- 
CouToi £LCLV, IG Zeilen. 

Lect. 70. zLier,-t wurde die aufgäbe von lect. 66^ dann die von 
der vorigen lection erledigt, schlieszlich noch der reat von 11 
(4 Zeilen) extemporiert. 

Aufgabe: lesebuch s. 1 löwe, s. 2 schwein, wer ist sl irker, 
s. 4 böckchen, lauter leichte Stückchen, zusammen 24 zuikn. 
Lect. 71. die aufgegebenen 24 zeilen wurden übersetzt, dann 
8. 4 strafe des andanks, s. 7 trompeter^ s. 12 künstlerstolz , zusam- 
men 20 Zeilen, extemporiert. 

Aufgabe: lesebuch s. 32—33 *ApiCTOT^Xnc — KaXiic Zifjv, 
16 Zeilen. 

Lect. 72* die aufgegebenen 16 zeilen wurden Ubersetzt, dann 
s. 24 Prometheus und Denkalion repetiert 

Aufgabe: schreibe in die kladde die s. 10 B 1 — 2 (Übungsbuch 
28 heft) geforderten 32 perfeetformen von dcK^ui — t^TVOfiai. 
Lect 73« die aufgegebenen perfeetformen wurden an die ta&l 
geschrieben^ dann CV übersetzt und die darin vorkommenden perfect* 
formen besprochen. 

Aufgabe: Übungsbuch 105, 1 — 7. 



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an einem g^mnaeium Ünszlanda, 



11 



"Lect. 74. zuerst wurde 105, 1 — 8 an die tafel geschrieben, 

dann 100 tind 101 mündlich repetiert. 

Aufgabe : bereite CVI zum mündlichen übersetzen vor. 
Tiect. 75. zuerst wurde CVI übersetst, dann 102 und 104 
mündlich repetiert. 

Aufgabe: repetiere 105. 
Lect. 76. fünftes exercitium: sätze über das perfectum, 
nemlich 102, 1 — 3. 104, 1—7. 105, 2. 4. 6, also 13 sStze oder 24 
druckzeilen im deutschen texte, von 20 anwesenden schüiern be- 
wältigten drei die ganze aufgäbe, der langsamste scbüler lieferte 
nur em drittel, mit 5 censierte ich eine arbeit '24 druckzeilen mit 
1 fehler), mit 4 zwei, mit 3 acht, mit 2 neun arbeiten. 

Aufgabe : lesebuoh s. 36 Aefouciv äybpa TTepcnv — bujpoiC| 
14 Zeilen. 

Die perfecta waren somit absolviert. 
Lect. 77. das aufgegebene siücV war den schüiern sehr schwer 
gefalleii , es wurde daher die ganze stunde auf das durchgehen deä- 
selben verwendet. 

Aufgabe: lesebucb s. 36 weiter bis Obaioc, 15 Zeilen. 
Lect. 78. die aufgegebenen Zeilen wurden übersetzt und dann 
der ganze abschnitt von Civairric repetiert. 

Aufgabe : lesebuoh s. 36 'PöaV| 8 zeilen, repetition von s. 35 
örav — ibpaia. 

Lect. 79. die aufgegebenen stücke wurden übersetzt, dann 
8. 34 'EiTifievibric repetiert. 

Aufgabe: lerne auswendig lesebucb s. 34 *€TrijLtevi5T]C — 
dX^Geiav, 10 zeilen. 

Lect. 80. das aufgegebene stück wurde überhört und aus dem 
köpfe an die tafel geschrieben, dann s. 36 die geschichte vom CivaiTr]C 
nochmals repetiert. 

Auigabe: tibersetze CVI schriftlich in die kladde. 
Lect. 81. das fünfte exercitium wurde durchgegangen. 

Aufgabe: lerne aus der grammatik das paradigma bibujjUU 
Lect. 82. die bildung und bedeutung der verbalad] ectiva 
wurde besprochen und der dazu gehörige abschnitt CVIl übcij^etzt, 
dann die büdung von biöuifii, tbibouv, töuJKa, eboSnv an der tafel 
erklärt. 

Aufgabe: übersetze aus dem Übungsbuche 107, 1—4 (verbal- 
adjectiva), repetiere bibuj)Ui. 

Lect. 83. zaerst wurde der ganze auf die verbaladjectiva be- 
zügliche aböcLüitt 107 an die tafel geschrieben, dann CVIU (bei- 
spiele von bibm/ii*) durchübeiöctzt. 

Aufgabe: Übungsbuch 108, 1 — 6. 



* absichtlich habe ich dort neben ^b^boTO die form IhibtTO (6euj) 
zur anwendong gebracht, ebenso wie anderwärts 4Xif|(p9t)v neben 4Xe(- 
tpörjv uäw. 



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12 



Das zweite jähr des griechischen Unterrichts 



Lect. 84. zuerst wurden 108, 1 — 6 an die tafei geschrieben, 
dann TiOrmi, tTiGriV , tÖtiKa, eTe6r|V neben bibwjai, ^bibouv, ebuJKCC, 
dböörjv an der tafel entwickelt, schlieszUch CIX 1 — 14 (beißpiele 
von Ti9r]!Lii) durchübei setzt. 

Aufgabe: übersetze schriftlich Übungsbuch 108, V — 10 und 
109, 1 — 2, lerne auswendig den hexameter CIX 13 Tf\c dp€- 
tfic ibpiöta usw. 

Lect. 85. (die ulnsse war mit der nächst höhem combiniert.) 
die aufgegebenen sätze wurden (von schülern der höhern classe) an 
die tafel geschrieben und dabei die verba biöUDfil und TiOYiJLli nach 
allen richtungen geübt. 

Aufgabe: Übungsbuch 109, 3 — 9. 
Lect. 86. zuerst wurde 109, 3 — 9 an die tsfel gescbrieben, 
dann iripn besprochen und im anschlusz daran CX du roh übersetzt. 

Aufgabe: übun^^sbuch HO, 1 — 4; repetiere TfÖTim ^^ll. 
Lect. 87. zuerst wurde CX repetiert, <Umu 110, 1 — 4 an die 
tafel geschrieben, dann biöuujui, TiBryjii, infii neben einander nach 
allen richtungen geübt. 

Aufgabe: Übungsbuch 110, ö — 10. 
Lect. 88, zuerst wurden 110,5 — 10 und repetierend 110,1 — 4 
an die tafel geschrieben, dann CXI durchübersetzt. 
Aufgabe: Übungsbuch III, 1 — 5. 
Lect. 89. fdie classe war wieder mit der nächst höhern com- 
biniert.) zuerst wurden die aufgegebenen sätze (von den .scbülem 
der höhern classe) an die tafel geschrieben , dann von den 8 verben 
dcKeuJ, KXenTUj, idcciu, KaiacKeudcuj, bibiupi, dcpiq^ai, KaiaKXu^uu, 
oiKObOjLieuJ je vier formen gel)ildet , und zwar 1) part. perf. pass., 
2) part. aor. pass., 3) part. perf. act., 1) part. aor. aut. 
Aufgabe: Übungsbuch III, 6 — 8. 
Lect. 90. sechstes exercitium: perfectformen , verbal- 
adjectiva und verba auf jai, nemlich 101, 1. 3. 4. 107, 6. 7. 108, 
6 — 10. HO, 3—10, also im ganzen 18 sätze oder 24 druckzeilen. 
von 20 anwesenden schülern bewältigten zwei die ganze aufgäbe, 
zwei nur ein drittel ^ die andern im durchschnitt 17 seilen, ioli 
censierte mit 5 keine arbeit, mit 4 fünf, mit 3 acht, mit 2 sieben 
arbeiten. 

Aufgabe über die weibniMsbtsferien^: lesebuch 8. 25 — 26 
Dionysos, Achills groszvater, Acbills kindbeit, im ganzen 34 seilen, 
lerne auswendig davon das erste und das dritte stttck, im 
ganzen 16 zeilen. 

Zweites balbjabr. 
Leot. 1. Ton den über die weibnaebtsferien aufgegebenen 
stflcken des lesebncbs worden die ersten beiden Übersetzt und das 
erste aus dem gedttobtnis an die tafel gescbrieben. dann gieng ich 

^ wegen groBzer kälte wurde die schule zwei tage früher als ge- 
wöhnlich geschlossen. 



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an emem gymnosiiiiii fiasilaodfl. 



13 



zu dem verbum Tcnijilt über, beBprach die formen Tctti|lii, tcT!)V> 
Icniv , €cTnca , IcTdOnv nach bildiug nnd bedeutnng*' und lieaz im 
ftbnngsbucbe CXII 1—5 ttbmetzeik 
Aufgabe: lerne Icnmu 
Lecfc. 2. von den über die weihnacbtsferien aafgegebenen 
stücken wurde das dritte übersetst und ans dem gedSchtnis an die 
tofel geaebrieben; dann wurden in der grammatik die vorbemer- 
knogen zq den verbis auf gelesen und besprodieni endlich CXH 
1—5 repetiert. 

Aufgabe: schriftlich 112, 1—4. 
Lect. 3. zuerst wurden 112, 1 — 4 an die tafel geschrieben, 
dann CXII 1 — 5 nochmals repetiert, hierauf CXII 6 — 9 und CXIII 
1 — 6 übersetzt, endlich die tempora von ictt])lii (dq)iCTTi)Lii) nach 
transitiver und intransitiver bedeutnng in zwei reihmi an die tafel 
geschrieben. 

Aufgabe (über ein^ feiertag): schriftlich CII ganz, CXIII 
1—5, 112, 5—10. 

Lect. 4. die deutsche Übersetzung wurde vorgelesen, die grie* 
ehische an die tafel geschrieben, dann CXUI 6 — 10 übersetzt* 

Aufgabe: schriftlich 113, 1 — 4. 
Lect. 5. die aufgegebenen sätze wurden diesmal nur vor- 
gelesen , dann das letzte exercitium des vorigen halbjahrs durch- 
gegangen. 

Aufgabe: emend all! m. 
Lect. 6. ^ueryt wurden 113, 5 — 8 mündiicii übersetzt, dann 
über ^crdvai, xeBvdvai, ßfjvai, airobpdvai das nötige an der tafel 
bemerkt, endlich ÜXiV sowie auch noch 114, 1—2 mündlich Uber- 

Aufgabe: schriftlich 113, 5—8 und 114, 1—2. 
Lect, 7. das ganze stück 113 wurde an die tafel geschrieben 
und dabei immer wieder der unterschied von CTtlvai und CTTjcai be- 
sprochen, dann wurde 114 mündlich übersetzt. 
Aufgabe: schriftlich 114, 3 — ^9. 
Lect. 8. das ganze stück 114 wurde an die tafel geschrieben, 
dann CXY mündiicii ül orsetzt und dabei über övivdvai, Kp^^ac8ai 
usw. das nötige bemerkt. 

Aufgabe: leaebuoh s. 46^ knabe, ziege, greis, zusanunen 
13 zeileD. 

Lect. 9. die aufgegebönun ütücke wurden zweimal übersetzt, 
dann s. 48 wolf und löwe, s. 49 wolf und schaf , zusammen 9 zeüen 
extemporiert. 



^ ich halte es für richtio-, vom ersten ang-enblicke an den schUler 
übör den bedeutungsunterschied von IcTrjv, £cTr)ca| ^CTr](.üfir}v, icTddr\v 
wo. belehren und im fortgangc des cnrsiu recht oft diese formen smr 
uiwendaog zu bringen. 

7 init 8. 46 beginnt die sammlang deijenigen leseBtücke, in denen 
formen auf fU Torkommen, 



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14 



Das zweite jähr des griecliischen auterrichts 



Aufgabe: lesebudi 8. 50 biene, 8. 52 eitelkeiti snsammeii 
18 Zeilen. 

Lect. 10. die aufgegebenen stücke worden Übersetzt und die 
darin Torkommenden formen auf mi besprochen. 

Aufgabe : Übungsbuch CXYI schriftlich ins deotscbe. 
Lect. 11. die deutsche Übersetzung von CXVI wurde vorge- 
lesen, dann 116 mündlich Übersetzt und alle darin vorkommenden 
formen auf pn besprochen. 

Aufgabe (über den Sonntag) : lerne auswendig lef?ebucb 
s. 46 erstes und drittes stück, zusammen 8 Zeilen (darin iniCTdx,at 
dvdcTriGi, dTreGeio, eTTicidvioc, eTriGrjc). 

Lect. 12. die aufgegebenen stücke des lesebuchs wurden über- 
hört und aus dem gedächtnis an die tafel geschrieben , dann einige 
Sätze aus CVIII, CIX, CX des Übungsbuches griechisch dictiert. 

Aufgabe: repetiere die bis jetzt vorgekommpnen verba auf jui. 
Lect. 13. siebentes exercitium: sätze mit verben auf jiil, 
nemlich Iii, 6—8; 112, 5 — 8; 113, 3—7; 114. 3—4; 116, 1—2, 
im ganzen 25 drockzeilen. von den anwesenden schülern tiber- 
setzten zwei nicht mehr als 11 Zeilen, die meisten über 17, zwei be- 
wältigten mehr als aufgegeben war und erreichten die zahl 31, resp. 
37. mit 5 censierte ich zwei arbeiten, mit 4 vier, mit 3 acht, mit 
2 (ungenügend) neun arbeiten. 

Aufgabe: übersetze CXVII schriftlich ins deutsche, lerne 
q)T|jLli aus der graramatik. 

Lect. 14. die deutsche Übersetzung wurde vorgelesen, 117 
((prmi) mündlich übersetzt, die bildung von ^eiKvOvai und öüvai an 
der tafel erläutert und noch CXVIII 1 — 3 übersetzt. 
Aufgabe: 117 ((pT]jai) schriftlich. 
Lect. 15. stück 117 wurde an die tafel geschrieben, dann 
CXVIII und 118,1 übersetzt und dabei die bildung von bciKVUVai 
imd bOvoti repetiert. 

Aufgabe: CXVIII 8—11 und 118, 1 — 2 schriftlich. 
Lect. IG. die Übersetzung von CXVIII 8 — 11 wurde vorge- 
lesen, H8, 1 — 2 an die tafel geschrieben, endlich das System 
Icxriv CTu» cxainv CTfi0i cTfjvai cxdc 
Ibuv hvB\ buvai buc 

^Tvujv TVUJ Tvoinv fvu^öi Yvwvai fvoxic 
an der tafel entwickelt. 

Aufgabe: 118, 3 — 9 schriftlich. 
Lect. 17. (die classe war mit der nächst höhern combiniert.) 
die aufgegebenen bätze wurden an die tafel geschrieben, dann CXIX 
(XVUJVai, dXujvai, ßiijüvai) übersetzt. 

Aufgabe (über den sonntag): lerne aus wendig CXIX 4, 6 
(darin dveTvin, dmb€iKvOjievoc, Kai^TVwcav, ßiiivai, dXdivai, 
TTpiuujuai, npirj). 

Lect. 18. die aufgegebenen sätze wurden überhört und ange- 
schrieben, dann CXX und 120, 1 — 3 übersetzt. 



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an einem gymnasiam Buszlands. 



15 



Aufgabe: 120, 1—3 schriftlich. 
Lect. 19. -nach erlcdig-ung der aufgäbe wurde das siebente 
exercitium durchgcgani^in und zwar 111} 6 — 8 und 113| 3 — 7 an 
der tafel, 112, 5 — 8 nur mündlich. 

Autgabe: emendatum dpr besprochenen Sätze. 
Lect. 20. die aoriste aTTtcßT]V, eppurjV, ^XöpTlV wurden kurz 
erklärt, dann das dazu gehöi igt> sttick CXXI^ zweimal Übersetzt und 
CÜY (dcTOtvai, ßf]vaO repetiert. 

Aufgabe (über einen feierlag): üb ersetze flchriftiicli 120,4 — 8, 
lerne auswendig CXXI 7 (acht znilon), 

Lect. 21. die tibersetzten sStze und die auswendig gelernte 
kleine erzählung wurden an die tafel geschrieben, darauf die conju- 
gation von eijuii an der tafel entwickelt, endlich das dazu gehörige 
stück CXXIT übersetzt. 

Aufgabe: lerne auswendig CXXIT 2 und 3 (nenn Zeilen). 
Lect. 22. (die classe war mit der nächst Iiölieren combiniert.) 
CXXTI wurde (von den Schülern der höheni classe) tibersetzt, dann 
alle formen von eijiii an die tafel geschrieben, endlich 122, 1-— 7 
mündlich Übersetzt. 

Aufgabe: 122, 1—7 ?^chriftlicb. 
Lect. 23. zuerat wurden die zwei in lect)v 21 zum auswendig- 
lernen aufgegebenen sätze, dann 122, 1 — 7 an die tafel geschrieben, 
endlich noch 122, 8—10 mündlich tibersetzt. 

Aufgabe; 122, 8 — 10 und 123, 1 schriftlich. 
Lect. 24. zuerst wurden die aufgegebenen sätze , dann sämt- 
liche formen von eijai und eijUi in zwei reihen neben einander an die 
tafel geschrieben, endlich CXXIII mündlich übersetzt« 
Aufgabe: 123, 2 — 5 schriftlich. 
Lect. 26. die sätze 123, 2 — 5 und 6 — 8 wurden an die tafel 
geschrieben, dann mündlich eine repetition der bisher vorgekommenen 
verba auf veranstaltet. 

Aufgabe: repetiere verba auf jii (Vorbereitung zum ezer- 
citium). 

Lect. 26. achtes exercitium: sätze mit verben auf jit, 
nemlich 117, 5—7. 118, 4—6, 120, 1—3. 122, 9. 123, 2tf. 118, 7ff. 
von 24 anwesenden schülern übersetzten 5 nur 16 — 18 druckzeilen. 
18 dagegen 23 — 33, einer sogar 54 druckzeilen. mit 5 censierte ich 
vier arbeiten (darunter die von 54 druckzeilen mit nur 5 fehlem), 
mit 4 acht, mit 3 acht, mit 2 (ungenügend) vier arbeiten. 
Aufgabe: lesebuch b. 61 die drei äxte (18 zeilen). 

Lect. 27. zuerst wurde das aufgegebene sttick übersetzt, dann 
s. 60 bund und wolf , s. 59 löwe und maus (zusammen 20 Zeilen) 
extemp or iert. 

Aufgabe: lesebuch s. 63 CxoXaciiKÖC — pr|TOpa (13 zeilen). 

® gleich neben ^x^^P^lM^'^ habe ich dort y\cQy] und fjcöriTt angewendet, 
tim an f]&o)iai 2U erinnern, das bei Xenophon viel häufiger vorkommt 
als ^aipuj. 



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16 



Das zweite jähr des gneohischen unterrichte 



Leot. 28. (die classe war mit der nächst höheren combiniert.) 
das aafgegebene sttlck wurde griediisoh in die kladden und an die 
tafel dictiert. 

Aufgabe (über sonntag): lerne answendig leaebueh s. 59 
löwe und maus (10 zeilen). 

Lect. 29. das aufgegebene etück wurde aufgesagt und ange- 
schrieben, dann die conjugation von olöa besproehen und die formen 
TOn €l^t| ci^i, olba in drei reihen neben einander an die tafel ge* 
schrieben , endlich noch aus dem übungsbnche OXXIV 4 münd- 
lich übersetzt. 

Aufgabe: CXXIY 1—4 und 125, 1-3 schriftlich. 
Lect. 30. zuerst wurde 125, 1--3 an die tafel geschrieben, 
dann die Übersetzung von CXXIV 1 — 4 vorgelesen, hierauf CXXIV 
5 — 13 und CXXV 1 — 4 mündlich übersetzt und dabei auf die drei 
futura eTjui, ?co^al, etcojLiai geachtet. 

Aufgabe: 125, 4 — 9 schriftlich. 
Lect. 31. zuerst wurde 125, 4 — 9 an die tafel f^epchrieben, 
dann in der grammatik das nötige über xp^l, ecxriKa, beöia, Kei^ai, 
KdenMOCi nachgelesen, dann CXXV 5—13. 126, 10--13. 126, 1—2 
mündlich übersetzt. 

Aufgabe: tibersetze schriftlich 1?5, 10 — 13 und 126, 1 — 2; 
repetiere in der grammatik xpn, ecTTiKa, öebia, Keijuai, KaOrjuai. 
Lect. 32. zuerst wurden die aufgegebenen sätze, dann die 
s. 27 A unter 1 und 2, und B unter 1 geforderten formen (von Ver- 
ben auf und andern) an die tafel geschrieben. 

Aufgabe von donnerstag bis montag (bulterwoche): schreibe 
die s. 27 A 3 — 7 und B 1—2 geforderten 208 formen. 

Lect. ,33. die im achten exercitium gemachten fehler wurden 
mit den einzelnen schülcrn besprcM hen, auch einige Sätze, sowie ein- 
zelne formen an die tafel gescbrielien. 

Aufgabe: 126, 3—6 scbrittlieh. 
Lect. 34. zuerst wurden 12B, 3—6 an die tafel geschrieben, 
dann die zur butterwoche aufgegebeuen formen vorgeleseUi schliesz- 
lich noch die formen von s. 27 B 3 gebildet. 

Aufgabe: schreibe die s. 27 B 5 — 6 geforderten 64 formen. 
Lect. 35. die aufgegebenen formen wurden vorgelesen , dann 
CXXYI und 126, 7 — 9 mündlich übersetzt, schlieszlich die formen 
s. 27B 7—8 und C 1 gebildet. 

Aufgabe: schreibe die s. 27 0 1 — 2 gefordürien 64 formen. 
Lect. 36. die aufgegebenen formen wurden vorgelesen , dann 
125 und 126 mündlich repetiert und dabei ganze reihen von formen 
auf jUi aufgesagt. 

Aufgabe: repetiere sämtliche verba auf /it. 
Lect. 37. neuntes exercitium: sätze mit verben auf 
nemlich 117, 1 — 1. 120, 4—8. 125, l--i3. 126, 4—9. von 25 an- 
wesenden Schülern übersetzten acht 40 druckzeilen, drei nur 15. mit 
5 censierte ich drei, mit 4 neun, mit 3 neun, mit 2 vier arbeiten. 



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an einem gymnasium Buszlauds« 



17 



♦ Aufgabe: lesebuch 8. 81 — 82 TTpccßÜTnc — TnP<i^CKeiV 

(20 Zeilen). 

Die verba auf fii waren somit absolviert. 
Lect. 38. das aufgegubene stück des lescbucbs wurde übersetzt, 
dacn b. 63— () 1 CxoXacTiKÖc eic oiKiav — iipecev zusammen 12 zeilen 
eitemp or i e rt. 

Aufgabe (über den sonn tag): lerne auswendig leseb* 
8. 81 — 82 TTpecßuTTic — ou TTpdccouci be (18 zeilen). 
Lect. 39. das aufgegebene stück des iesebuchs wurde überhört 
and angeschrieben, dann s. 82 Zevoc — ctpxovTi und s. 78 AuKOOp- 
tOC — bi aiOuvoc zusammen 27 zeilen extemporiert. 

Aulgabe: lesebnch 79 Toö E^pSou — KTac6ai x^P<^v 
(19 Zeilen). 

Lect. 40. das aufgegebene stück des lesebuchs wurde über- 
setzt, dann s. 79—80 '0 bi ßaciXeuc — uq)OU znsammen 34 zeilen 
extemporier t. 

Aufgabe (über zwei feiertage) : lesebuch s. 64 — 65 CxoXa- 
CrtKOl buo — auTOV oi 6uo (zusammen 48 zeilen). 
Lect. 41. die auigegebenen stücke wurden übersetzt und be- 
sprochen. 

Aufgabe: lesebuch s. 65 — 66 Aiovucioc — Tfjc ttöXciuc 
16 Zeilen. 

Lect. 42. die auforegebenen stücke wurden übersetzt, dann 
S.67 npecßeic dpKoüjutvoc 8 zeilen extemporiert, schlieszlich das 
nemite exercitium® kurz besprochen. 

Aufgabe (über den sonntag): lerne auswendig das extem- 
porierte stück TTpecßeic — dpKOujmevoc 8 zeilen; anszerdem 
emeudatum. 

Lect. 43. das aufgegebene stück wurde aufgesagt und ange- 
schrieben , dann lesebuch s. 66 — 67 Auo eiKOVCC — ITOXefiiOV zu- 
sammen 26 Zeilen extemporiert. 

Aufgabe: schreibe die s. 27 des Übungsbuches C 3 und D ge- 
forderten 52 perfect- und futurforoien. 

Lect. 44. die aufgegebenen perfectformen wurden angeschrie- 
ben, die futurformen nur vorgelesen, dann die in der kurzgefaszten 
grammatik § (i3, 8 angeführten verbalformen Tiap^V — i^Cie ge- 
deutet endlich im übungöbuche CXXVII 1 — 6 (augment und redu- 
plicaUonj übersetzt. 

Aufgabe: übersetze 127, 1 — 3; repetiere die besprochenen 
formen irapcv — rjcTC. 

Lect. 45. die formen napev — fjcTC wurden repetieri, 127, 1 — 3 
Ml die tafel geschrieben, CXXVII 7 — 13 mündlich übersetzt und von 
den betreffenden vei ben [^ö.v, ep^dCectiai usw.) sämtliche augment- 
/ormen an die taiei geschrieben. * 



* ein 8chüler hatte in erionerong an das franaösische icpio|iai C€ 

gcBcUrieben (statt bio^ai cou) 

jfthrb. f. phil. a. päd. 11. abu 1890 hft. 1. 2 



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18 



Bas zweite jähr des griechischen Unterrichts 



Aufgabe; übersetze 127, 4 — 9. , 
Lect. 46. zuerst wurden die aufgetj^ebenen sätze an die tafel 
geschrieben , dann CXXVIII und CXXIX 1 — 2 mündlich tibersetat 
und dazu die betreffenden abschnitte der grammatik gelesen. 

Aufgabe : übersetze schriftlich 127, 10; bereite CXXIX 3— 10 
zum mündlichen übersetzen vor, lerne auswendig aus der gram- 
matik die mit €i- anlautenden perfecta (eiXrjqpa usw.). 

Lect. 47. der satz 127, 10 wurde an die tafel geschrieben, dann 
CXXIX und CXXX mündlich übersetzt und dabei die perfecta eiXr)(pa 
usw. besprochen. 

Aufgabe: übersetze 129, 1 — 5. 
Lect. 48. zuerst wurden 129, 1 — 5 an die tafel geschrieben, 
dann in der grammatik der abschnitt von der attischen reduplication 
gelesen, endlich CXXXI und CXXXII 1 — 2 mündlich übersetzt. 
Aufgabe: übersetze 129, 6—8 und 1.31, 1—2. 
Lect. 49. zuerst wurden 129, 6 — 8 und 131, 1 — 2 an die tafel 
geschrieben und dabei stets auf die formen desselben verbums im 
vorhergehenden griechischen stücke aufmerksam gemacht, dann 
CXXXII übersetzt und die bildung der perfecta mit attischer redupli- 
cation an der tafel veranschaulicht. 

Aufgabe: tibersetze 131, 3 —6. 
Lect. 50. die aufgegebenen sätze wurden an die tafel geschrie- 
ben, dann 131, 7 — 10 mündlich übersetzt und CXXXII repetiert. 
Aufgabe: übersetze 131, 7—10 und 132, 1—4. 
Lect. 51. die aufgegebenen sätze wurden an die tafel geschrie- 
ben, dann CXXXiii mündlieh übersetzt, hierauf in der grummaük 
der abschnitt von %augment und reduplication in den compositis' 
gelesen, endlich die in der kurzgtfasztLii grammatik § 63, 8 aufge- 
führten verbalformen ecie — ficSriGecOai gedeutet. 
Aufgabe: übersei zu 132. 5 — 10. 
Lect. 52. zuerst wurden 132, 5 — lü an die tafel gescbrieben, 
dann dio s. 33 A geforderten je 5 formen von eöiliu — c»jXAfc(ua 
gebildet, 

Aufgabe: übersetze 132, 11 — 12 und schreibe die s. 33 A 
geforderten 60 formen von xaTaXajußdvuu — dKieivoj. 

Lect. 53. die aufgegebenen sätze und formen wurden an die 
tafel geschrieben, dann CXXXIV übersetzt und die darin vorkom- 
menden medialen futura an der tafel notiert. 

Aufgabe : repetiere in der grammatik den abschnitt 'augment 
und reduplication*. 

Ltct. 54. zehntes exercitium: sätze Über augment und 
reduplication, voran einige noch nicht durchgegangene sStze vom 
medialen futur, nemlich 134, 3—10, 132, 1—8, 131, 1—6, 127, 7 



es war mein bestreben bei abfassung des übnn^sbiiches, die not- 
wendij^sten verba immer und immer wieder and zwar in den verschie- 
densten formen im satze zur anwendimg zu briugeu. 



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au einem gymnafiium BuBslaiidB. 



19 



— 10. von den 26 anwesenden scliülem übersetzten acht 30 — 37 
druckzeüen, einer sogar 61, die drei langsamsten schüler nur 18 — 15. 
mit 5 cerisierte ich drei arbeiten (37 Zeilen mit 4, 61 Zeilen mit 
12 iehlern), mit 4 sieben, mit 3 neun^ mit 2 sieben. 

Aufgabe: schreibe die s. 33 Bund V getorderten 2x12 und 
3X16 = 72 formen. 

Lect. 55. die aufgegebenen formen wurden angeschrieben und 
da manche davon den Schülern noch nicht geläufig waren, so ver- 
gieng damit der gröste teil der stunde , dann wurde noch CXXXV 
1—4 übersetzt und im anschlusz daran das tempuss^ötem von 
Ö^VUJii an die tafel ge>ch rieben. 

Aufgabe: überheize 134, 1 — 2 und 11 — 12 ins gnechiscbe, 
CXXXV 1 — 4 inR rleutsche. 
Die einzelheilen der augmentation und redupli- 
cation waren somit absolviert. 

Lect. 56. die aufi^pc^ebenen siif /e wurden an die tafel geschrie- 
ben, dann in der grannnatiii: der abschnitt von dem medialen futur 
in activer bedeutung und von den deponentibus gelesen, hierauf im 
anschlusz daran CXXXV durchübersetzt. 
Aufgabe: 135, 1—5 scbriftlicb. 
Lect. 57. das ganze stück 135 wurde an die tafel geschrieben. 

Aufgabe: lesebuch s. 84 AiovOcioc — )Lif| ic6i 20 zeilen. 
Lect. 58. der aufgegebene abschnitt des lesebuchs wurde über- 
setzt nnd fragen über die vielerlei darin vorkommenden verba auf 
daran geknüpft, dann noch s. 93 öie AiOY^vnc — uiT€pT]CTrdcaTO 
auTÖV (zubammen 16 Zeilen) extemporiert. 

Aufgabe: lesebuch r. 93 — 94 aiiOuv — pivac 20 zeilen. 
Lect. 59. der aufgegebene abschnitt des lesebuchs wurde (Iber- 
setzt, dann s. 94 — 9ü rrpoc tuv XtTOVia — XP^to und ixXeuüV — 
dlTClBou zusammen 30 Zeilen extemporiert. 

Aufgabe (über zwei feiertage): lerne auswendig lesebuch 
8. 94 — 95 7T>^uüv — eneiOou 14 zeilen. 

Lect. 60. zuerst wurde das aufgegebene stück überhört und 
angeschrieben, dann CXXXV des Übungsbuches deutsch dictiert und 
griechisch an die tafel und in die kladden geschrieben. 
Aufgabe: 136, 1 — 5 schriftlich. 
Lect. 61. zuerst wurde in der grammatik der abschnitt von 
den medialen passiven gelesen, dann CXXXVI durchUbersetzt, end- 
lieh 136, 1 — 5 an die tafel geschrieben. 
Aufgabe: 136, 6 — 10 schriftlich. 
Lect. 62. zuerst wurde 136, 6 — 10 an die tafel geschrieben, 
dann CXXXVII mündlich übersetzt, endlich die beiden schon früher 
durchgegangenen sätze CXXXVI 7 und 8 griechisch dictiert. 

Aufgabe: übersetze 136, 11 — 12 ins griechische, CXXXVII 
7 — 9 ins deutsche. 

Lect. 63. bespreehung des zehnten exercitiums satz 1 — 18. 
Aufgabe: emendatum. 

2» 



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20 



Bas zweite jähr des griecJoischea uaterrichta 



Lect. 64. im le^L'buche wurden s. 94 n. 6 und s, 95 inei 7roT€ 
— 8. 96 ^KTTVOUV övia, im ganzen 42 zeilen, extemporiert. 

Aufgabe für die osterferien: lies in der grammatik den ab- 
schnitt von transitiver und intransitiver bedöutung, übersetze ins 
deutsche CXXXVIII und CXXXTX. 

Lect. 65. zuei'st wurden die tem|)üra von icrrjui , ihrer drei- 
fachen bedeutung entsprechend, in drei reilien an die tafei geschrie- 
ben (repetition von lection 1 — 3 dieses zweiten haibjahrs), dann die 
deutsche Übersetzung von CXXXVIII und CXXXIX 1— -5 vorgelesen 
und besprochen , auch anleitung zum richtigeu lesen des distichous 
CXXXIX 5 gegeben. 

Aufgabe: repetiere in der grammatik die verba ICTHJH bÜUI 
q)üuj drrocßevvujii e^eipuj dnöXXujui. 

Lect. 66. zuerst wurden CXXXIX 6 — 8 durchgegangen, dann 
139, 1— S an die tafei geschrieben und dabei die aufgegebenen verba 
repetiert. 

Aufgabe; schreibe in die kladde die s. 43 des iLbungs- 
bucbes von dvaßaivu) bis dTToAXu^iai unter 1 und 2 geforderten 
24 formen. 

Lect. 67. zuerst wurden die aufgegebenen formen, dann 139, 9 
— 11 an die tafei geschrieben, endlich CXL mündüch übersetzt. 
Aufgabe: 140, 1 — 5 schriftlich. 
Lect. 68. zuerst wurden 140, 1 — 6, dann 6 — 9 an die tafei 
geschrieben, endlich aus dem lesebuche 8. 95 n. 8 (Diogenes) grie- 
chisch dictiert, vorgelesen und ins deutsche übersetzt. 

Aufgabe: lesebuch s. 96 ^T<i<pr| — tiujötv f| Tuxn 
(20 Zeilen). 

Lect. 69. zuerst wurden die aufgegebenen stücke des lesebuchs 
übersetzt (darunter auch die metrische grabschrift auf Diogenes), 
dann s. 97 — diTÖ toö fiXiou |ueTotCTri0i (28 zeilen) extemporiert. 
Aufgabe: lesebuch s. lili nr. 6 (17 zeilen). 

Lect. 70. zuerst wurde das aufgegebene stück des lesebuchs 
übersetzt, dann s. 97 |ji€TdcTi]6i — s. 98 zu ende (34 zeilen) ex- 
temporiert. 

Aufgabe: lerne auswendig die metrische -grabschrift auf 
Diogenes, übersetze aus dem Übungsbuche 141, 1 — 3 (p?]YVU^i, 
Kaiacßevvujui). 

Lect. 71. nach überhören der aufgegebenen verse wurde 141, 
1 — 3 an die tafei geschrieben, dann CXLl durchübersetzt, 
Aufgabe: 11 1 , 4 — 8. 
Lect. 72. zuerst wurde 141, 4 — 8 an die tafei geschrieben, 
dann CXLIT durchübeibetzt , dabei auch das verbum ndcxuj bespro- 
chen endlich von den verben C9dXXofiai — jaavödvuj s. 44 einige 
formen gebildet. 

Aufgabe: 142, 1 — 4 scliriftlicb. 



anlasz dazu bot die einübuog von iT€i6o|Ltai, fat. ireicofiai. 



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an einem gymnasium BuBzlands. 



Lect. 73« die aufgegebenen sötze wurden an die tafel geschrie- 
ben, dann CXLI 6—7 (qpuiw) und CXIl 1 — 2 (KaOiCTHMO griechisch 
in die kladden dictiert. 

Aufgabe : 142, 5 — 8 schriftlich. 

Lect. 74. zuerst wurde 142, Ö — 8, da die schüler diese sätze 
auf verschiedene und dabei doch richtige art übersetzt hatten, aus- 
fBhrlich besprochen und an die tafel geschrieben, dann CXII 3 — 8 
(icTi^^i) und CXLI 4 (KaTacßevvujii) griechisch dictiert. 
Aufgabe: lesebuch s. 101 n. 13 — 15 (22 Zeilen). 

Lect. 75. zuerst wurden die aufgegebenen stücke übersetzt, 
dann das schwere stück s. 99 n. 7 (schlacht am Granikus) extem- 
poriert. 

Aufgabe: lesebuch s. 102. u. 16 und 17 (20 Zeilen). 
Lect. 76. zuerst wurden die aufgegebenen stücke übersetzt, 
dann s. 100—101 n. 9—12 und s. 102 n. 18 (36 zeilen) extem- 
poriert. 

Aufgabe (über sonntag) ; lerne auswendig lesebuch s. 100 
m*. 9 und s. 101 nr. 12 (14 zeilen). 

Lect. 77. zuerst wurden die aufgegebenen stücke überhört 
und an die tafel geschrieben^ dann die biilete zum mündlichen 
examen (siehe weiter unten) dictiert. 

Aufgabe : üchreibe die s. 44 B unter 1 — 4 geforderten 48 for- 
men von beiKVum — eupicKW. 

Lect. 78. zuerst wurden die aufgegebenen formen an die tafel 
geschrieben, dann CXLIII 1 — 7 mündlich übersetzt. 
Aufgabe: 143, 1 — 3 schriftlich. 
Lect. 79. zuerst wurden 143, 1 — 3 an die tafel geschrieben, 
dann CXlillf 8 — 10 und 143, 4 — 9 mündlich übersetzt und dabei 
die betretenden verba in der grammatik nachgesehen. 

Aufgabe: repetiere in der grammatik den abschnitt über 
transitive und intransitive bedeiitung. 

Lect. 80. die intransitiven perfecta activi wurden an die tafel 
geschrieben, die präsentia und aoriste dazu mündlich angegeben, dann 
143, 4 — 9 an di(; tafel geschrieben, endlich GXLIV(daö letzte stück 
des Übungsbuches ) durchübersetzt. 

Aufgabe wurde nicht gestellt, weil für den folgenden tag 
mathematische classenarbeit angesetzt war. 

Lect. 81. folgende sätze aus durchgenommenen stücken wur- 
den deutsch dictiert und griechisch niedergeschrieben: C XXXIX 8, 
CXL 5, CXLTI 1, CXLIV 6, GXXXV 9, CXLI 6, CXXXV 4. 

Mit dem tage, an welchem diese 81e lection gegeben wurde, 
dem 5 mai , endigte der Unterricht in der IV classe. es folgte die 
Woche der schriftlichen examina 8 — 13 mai: montag 8 — 12 
lihr mathematik, dienstag kirchlicher feiertag, mittwoch 9 — 12 uhr 
russisch (dictat und aufsatz), donnerstag 10 — 12 nhr französisch 
(Übersetzung), 2 — 5 deutsch (dictat und aufsatz), freitag 9 — 12 grie- 
chisch, Sonnabend 9 — 12 lateinisch, zu den ezaminibus waren von 



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22 



Das zweite jähr des griechuchen unterriohtä 



27 Schülern der classe 23 zugelassen; die andern wurden im voraus 
verständigt, dasz eine beteiligung am examen für sie ganz aussichtsios 
sei und sie durchaus ein zweites jähr in der classe verbleiben müsten. 

Zum schrittlichen examen im griechischen wurden 20 sätze des 
Übungsbuches = 40 druckzeilen aufgegeben, doch so, da^z nur die 
ersten 13 sätze = 24 druckzeilen für alle verbindlich waren: es 
wurde erst in das concept, dann ins reine ^escbric'ben. keiner der 
23 Schüler begnügte sich mit den ersten 13 siitzt n , J6 scliüler be- 
wältigten öogar sämtliche 20 salze, es waren die bätze 143, 2 — 6. 
142, 2--6. 140, 6—9. 139, 8— 136, 8 — 9. 135, 6 — 7. 123, 1. 
vier arbeiten censierte ich mit 5 (in sämtlichen 20 sätzen nur 2 — 4 
fehler), sieben mit 4, zwölf mit 3; der s(jln\acliste schüler i ccn^ur 
3 — ) hatte in 15 sätzen zwar 16 fehler gemacht, doch waren da 
auch ganze &ätze teils ganz ohne fehler, teils nur mit wegla^sung voa 
accenten und andern lesezeichen. da das 1 e x i k o u d e s ii b u n s - 
bucbes absichtlich nur die selteneren w ort er enthält , so 
bewiesen die schüler mit dieser examenleistung, da>z sie durch die 
vorausijetrangenen übun^nju de-, jahres cmen ganz beträchtlichen 
WOrtSuhaLz sich ?ui^cei*^fnel baUeii. 

Auf die wüciie der schriiLlichen examina fülgLeu in der zeit 
vom IG mai bis 2 juni die mündlichen examina. es besteht 
nemlioh in Kuszland die einrichtung, dasz nicht nur die schüler 
der Vllln claose i^abiLuncuien) , sondern auch die der IVn und VIn 
ein mündliches examen in allen fächern und zwar vor einer com- 
missi o n zu bestehen haben, die mündlichen examina der IVn classe 
fanden statt: religion am 17 mai, deutsch am 20 mai, geschichte am 
23 mai, lateinisch am 24 mai, geographie am 26 mai, russisch am 
30 mai, griechisch am 31 mai, matbematik am 2 juni; an den nicht 
besetzten tagen blieben die schüler zu bause und repetierten, das 
griechische mündliche examen der IVn classe bezieht sich teils auf 
die grammatik , teil auf die lectüre. damit nun die repetition der 
grammatik einerseits nach einheitlichem plane vor sich gehe, ander- 
seits ftlr gewissenhafte schttler nicht eine allzu grosse beschwerde 
sei, pflegt man einige wochen vor dem examen *billete' zu dictieren. 
die meinigen lauteten diesmal folgendermaszen : 

1. indic. praes. imperf. TiOriM^ jiAiceui 

aor. fufc. perf. oiKobojLi^w ypa<p\u dmTdTTUi 

2. indic praes. imperf. bibiujai bn^oui 

aor. fut. perf. napacKeudi^ui cTecpavöui KpOiiTUi 

3. indio. praes. imperf. fcrrmi Tijiidui 

aon faU perf. dloTrXiZiuj biacireipu) viKdui 

4. indie, praes, imperf. ir^i nMiu 

aor. fat. perf. xaToXciiru} KaraXajLißdvw (peufuj 
6. indic praes. imperf. beiKVUjLti xpdojiai 

aor. fat. perf. leixilix) xpucöuj (puXdrFUi 
6. indic aor. fut. TiQr\^i nicim 

aor. fut. perf. Tpenuj rp^cpui t^^vui 



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an einem gymnasiam ftasslanda. 23 

7. indic. aor. fat. Uöujjlii hr\\6a) 

Bor. fut. perf. irapariOriMi CTp^9Ui KXeiui 

8. Indio, aor. fat. tcTtmi Tifiduj 

aor. fut. perf. KaOaCpiu nXr)pöui &trm $ 
d« indic* aor. fat. iimi nX^ui 

aor. fdt. perf, biapirdi^ui Kcrraicxövui ßXdiTTUi 
10. indio. aor. fat. öciKVUfii xpdo|biat 

aor. fbt. perf. KaraxXdu) it€i6u> Kpivui 
11« cünj. opt. praes. aor. riOiijbii 

aor. fat. p«rf. 6pi£ui öqpaivoi dcK^ui 
18. conj. opt praes. aor. bibuijüii bfiXöui 

aor. fut. perf. kX^ictu) irXdTTUi diroKT€(vui 

15. conj. opt. praee. aor. Yctt|]UII Tipidu} 

aor. fat. perf. eupicKui ditOCT^XXoi itiirrui 
14. conj. opt. praes. aor. inpa. itkiw 

aor. fut. perf. Tcivui TiTVOfiCU Kpobitui|At 

16. eonj. opt. praes. aor. belxvviii XP<iofiat 
aor. fut. perf. ^iraipui mpdiCKUi ßdXXui 

16. imp. inf. part. praes. aor. TiOf|fit jLitc^u» 

aor. faU perf. dnobelicvuiuit b^uj (binde) b^Ofiat 

17. imp. inf. part. praes. aor. bibtu^t biiXöui 
aor. fat. perf. koX^ui cuXX^tui i^VCm 

18. imp. inf. pari praes. aor. Tcnmt Ttfiiduj 
aor. fat. perf. btocndu) atp^ui cuvdrui 

19. imp. inf. part. praes. aor. fi)fii it\4w 

aor. fat. perf. cujitcp^pui CTpUiwupi dTT^XXui 

20. imp. inf. part. praes. aor. beiicvu^t xp<io|;iai 
aor. fat perf. xarop^ccui ireiOo^ot frdcxu) 

31. eifii elfii oTba 

aor. fat perf. ^CTidu) dvoitui KaraTeXdu» 

32. eijiti €lfii oTba 

aor. fat perf. biaßciivui dKoüui TiTV(i(»CKtti 

23. KcfjLiat icdOiiMai IcrriKa 

aor. fnt. perf. tcTOfiai intr., tcX^ui 9imt 

24. dirobpdvat irpiacOai ßftvai 

aor. fot perf. i^iwu^i (purcOu» Topdrrui 

25. TviSbvai dXdivai bövai 

aor. fat perf. dcptKV^Ofiai diroOvt^CKtu d7röXXu|it. 

Im ezamen hatte nun jeder schttler einen der vor ihm liegenden, 
mit einer nommer aaf der andern Seite versehenen zettel oder billete 
la stehen and gemäsz der von ihm gesogenen nommer su antworten, 
reap* an die Wandtafel zu schreiben, zu jeder nummer hatte ich mir 
ein im zweiten halbjahr gelesenes stück aus dem lesebuche notiert; 
ish liesz den betreffenden schüler, während ein anderer vor der com- 
mission stand, auf eine seitenbank sich setzen, damit er das stflck, 
^ nicht Aber 7 seilen betrug ^ noch einmal für sich darchlese, and 
lief ihn dann erst an den tisch der commission. die censareni die 



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24 Das iweite jähr des griecliischen untemdits 

Ton der commisdon fftr diese mfindlieheii leistnngen aas grammatik 
und lectilre gestellt worden, fielen im dnrelisolmitt noch günstiger 
ans als die yon mir allein für die sdhrifUichen arbeiten gestellten 
eensttren. es erhielten fttof sobttler eensar 5, fünfzehn eensor 4, drei 
censur 3 (darunter einer 3—)* die knaben hatten aach wirklidi diese 
eensnren verdient; sie antworteten so sidier und übersetzten so glatt, 
dass wir binnen 3 stunden fertig wnrden» 

In der am 3 jnni stattfindenden versetz an gsconf er ena 
Warden die ^mittel eensnren' gestellt, d. L es wnrde ans den drei 
fiustoren — jahrescensar, sehrifliHdies eiamen, mündliches ezamen 
— der darohiBchnitt gezogen, dabei kam der foU vor, dasz ein schttler 
in der jahrescensar wegen seiner sehr nachlftssigen schriftlichen 
arbeiten nur 2% («s 3—), dagegen im schriftlichen examen 3, im 
mündlichen sogar 5 erhalten batto • die conferenz beschlosz als mittel- 
Goasnr ihm nur 3 711 stellen, das rei^ultat der conferenz war, dasz 
im griechischen fünf schüler 6, nenn schtiler 4, acht Schüler 3, einer 
3— erhielt, versetzt war4en von diesen 23 schülem — 20; von den 
nicht versetzten waren ungenügend: der eine im lateinischen und 
deutschen , der zweite im russischen und der mathematik, der dritte 
im lateinischen (dazu schwach im griechischen, censnr 3 — ), 

Bückblick. 

Die zahl der lectionen in der IVn classe betrag also 90 81 
s 171; es wurden durchgearbeitet die abschnitte: comparation der 
adjectiva, adverbiom, verba liqaida, Zahlwörter, perfectformen^ 
verbaladjectiva, verba auf |jt, augment und reduplication, anomalie 
der bedeatong, d. h. im ttbongsbuche heft I s. 69—81, heft II 
8. 1 — 44 == 57 Seiten; es wurden im lesebuche (von den 171 stunden 
fielen 28 24 » 52 der zusammenhftngenden lectüre zu) nach 
vorausgegangener hftaslicher Vorbereitung gelesen 660^ extemporiert 
503; also im ganzen gelesen 1163 drackzeilen (das sind ungefähr 
36 Seiten Teubnerscher tezt), davon auswendig gelernt und aus dem 
gedächtnis an die tafe) geschrieben 113 drackzeilen. 

Das erste unterneb tsjahr, über welches ich in diesen jabrbttchem 
1888 heft 10 und 11 berichtet habe, zählte 158 lectionen. somit ist 
der stofE, welchen mein Übungsbuch heft I und II enthält^ nebst der 
angegebenen lectüre in 158 + 171 « 329 lectionen bewftltigt 
worden. 

In Deutschland sind auf Untertertia und obertertia etwa je 
40 X 7 i= je 280 lectionen zu rechnen, es würde also mCglich sein^ 
den Stoff, welchen beide hefte des Übungsbuches enthalten^ 
nebst dem angegebenen lesestoffe bis zu den sommerferien 
der obertertia (lectionen bis dahin circa 280 -|- 80 «=■ 360) ohne 
Übereilung und mit wünschenswerter berücksichtigung der schwachen 
schüler vollständig durchzunehmen, um dann sofort flott anabasis 
lesen zu können, dasz die neue methode zu einer solchen flotten 
lectüre führen kann, glaube ich jetzt, wo ich diesen bericht ab* 



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an einem gynrnasinm Rnsslanda, 



25 



scbliesze (5 october) versichern zu können, die schüler unserer 
Yd classe (ungefähr dem zweiten halbjahr der dentschen Obertertia 
entsprechend)) welche im vorigen Schuljahr von mir in der IVn olasse 
unterrichtet worden sind, haben nemlich in den 6 wochen seit beginn 
des neuen Schuljahres in 21 lectttrestnnden (von den 6 wöchentlidien 
standen der Vn classe werden 4 auf lectOre, 2 auf grammatisiAe 
Übungen nach Dihles materiaHen verwendet) bereits 15 selten ana- 
basis (Teubnerscher text) gelesen, nemlich in 1, 1 — lA, III 3, m 4, 
ni 5, 1 — 12 und zwar in der weise, daai immer ein stttok anvor 
•ztsmporiert nnd dann erst zn sorgfifltiger präparati<»i (oder 
vielmehr repetition) Air die nttchste stunde aufgegeben wurde ; dia 
nhl dar voeabeln, welehe die sefafller dabei antesditeiben batte&i 
war sehr gering, dank dem umstände, dasz in den beiden Torber» 
gehandeii elassen der Tocabelsohatz gerade der anabatis immer und 
Immer wieder zur anwendung kam. 

Moskau. Ebmst Kooh. 



2. 

ZÜB LATEINISCHEN SCHUL GRAMMATIK. 
(8. Jahrgang 1886 s. 225->249. 1887 8. 252—269.) 



Wtthre&d die meisten grommatiken darin flbereinstlmmeni dasz 
in indireoten fragen num und ne'ohne untersohied gebraucht 
werde, nonne aber nur in ganz besehrftnkter ansdehnung zulässig 
sei, hat GlOekner in dieser Zeitschrift (1886 s. 616) in einem kurzen 
srtikel nachzuweisen Torsucbt, dasz jene drei w6rtcben auch in 
diesem Calle ihre ursprOngliehe bedeutung bewahren^ namentlich 
m abhfingigkeit vonverben des frag ms. seiner ansieht tritt auch 
Behmalz im antibarbarus II 120 s. ne bei mit den Worten: 'im 
flbrigen hat neuerdings G. nadigewiesen, dasz ne und num nicht 
Bor in direoten, sondern auch in indirecten fragen, jedenfalls nach 
den T. quaereodi, genau geschieden werden; dies ist fflr die schul- 
prsads von grosser bedeutung, unsere schulgrammatiken sind danach 
SU bessern.' 

Li der that hat diese theotie für das natürliche gefühl etwas 
bestechendes; weshalb sollte die bedeutung jener wdrter in indirecter 
frage eine andere sein als in direoter? auch stimmen die yon 0. 
bdgebmhten beispiele vollkommen zu seiner tbeorie. aber stutzig 
machen musz es doäi von vorn herein, dasz er bei einer so abweichen* 
den anlstelluDg sich alles in' allem auf zwölf aus den ftblidien 
grammatiken entnommene beispiele stfltzt, von denen noch dazu 
die Snetonatelle für die schule wenigstens kaum in betracht kom- 
men dürfte; und wSbrend Cicero etwa 70 indirecte fragen mit num 



nir)iti7Pd by 



26 



Zur lateinischen scbulgrammatiii. 



oder uonne hat, sind bi(;r davon f ün f herangezogen, bei so geringem 
beweismaterial kann diu sache keinenfalls als ausgemacht angesehen 
werden, sondern btidai f eibl üincr gümiuein ijntersuciiuDg die führt 
dann aber zu einem etwas andern resoltate. 

Leicht erledigt sich die Sache bei no und nonne. ne kann ja be- 
kanntlich schon in directer frage sowohl für nonne wie für num ein- 
treten , wenn der redende aus irgend einem gründe über den Cha- 
rakter der antwort keine nähere aiidtuitung geben will (vgl. Kühner 
ausführl. gramm. II 1002 ff. Schmalz antib. s. v. ne II 119); die- 
selbe freiheit bleibt natürlich auch iür die indirecte frage bestehen, 
nur dasz hier nu noch büLiügcr ist. denn nonne behält allei'Umgs 
ebenfalls seine ursprüngliche bedeutung auch in abhängiger frage 
bei 5 aber die an Wendung desselben ist hier so auszerordentlich selten, 
dasz man dern Schüler diesen gebrauch kaum empfehlen kann, jeden- 
falls nicht so allgemein, wie G. , wenn er bagt: ^man wendet nonne 
an (in indirecten fragen), wenn die anivvort bejahend ausfallen soll.' 
denn bekanntlich findet sich nonne so nur bei Cicero an seehs 
stellen (Phil, 12, 15. acad. 2, 76. ßn. 2, 58. 3, 13. Tusc. 5, 34. 
orat. 2l4) und zwar nur in abhängigkeit von quaero. m den meibten 
fällen dagegen tritt für nonne das allgemeinere ne ein; ich verweise 
nur auf Cic. Vatin. 11. 12. 19. 22. 23. 24. 27. 29. 33. 36 (auch nach 
quaero z. b. Vat. 34. 41. Clu. 105). schwieriger liegt die sache bei 
num; dessen gebrauch ist schlieszlich der einzig fragliche, weshalb 
Schmalz diesen punkt a. o. auch mit recht hervorhebt, es fragt; sich, 
ob num auch in indirecter frage immer eine negative antwort an- 
deutet oder ob es auch ohne solche nebenbedeutung einfach im 
fiinne Yon ne stehen kann. 

Zunächst läszt sich nicht leugnen^ dasz num sehr häußg den 
nrsprönglioben sinn beibehält, z. b. Cat mai. 22 tum senex dicitur 
qnaesisse , num ülud earmen desipientis Tideretnr. Vatin. 5 quaero 
a te, cur ComeHttm non defendemA, nam legem aliquam Cornelius 
contra anspida talerit, num Aeliam, num Fufiam legem neglexerit, 
num usw., wo der sinn des num aus dem folgenden: tua sunt haec 
onmia, Comelio eins modi nihil obiectum est klar genug wird, de 
or. 1, 60 quaero num possit aut contra imperatorem ant pro impe- 
ratore dici sine rei militaris usu. ofL 3, 59 qnaerit ex proximo 
YicinOi num feriae quaedam piscatorum essent fiosc. Am. 69 quae> 
Bisse, num ille aut ille defensurus esset« Sest. 78 quaero num illo 
die foerit; cerie non fnit. in demselben sinne findet sich quaero 
num (den Wortlaut aller stellen anzuführen, würde hier su weit 
führen ; wer nachprüfen will , wird doch jede einzelne stelle im su* 
sammenhange betrachten müssen) Yerr. 3, 40. 4, 27. Yat. 15. 22« 
84 (zweimal). 4K Piano. 62. 70. Phil 2, 110. Clu. 62. 105. 137. 
SuU. 36. 39. 78. dorn. 35. 77. acad. 2, 11. fin. 2, 115. Tusc 5, 42. 



^ in den folgenden Untersuchungen sind diesmal alle Schriften 
Gioeros, auch die briefe, herangezogen. 



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Zur lateiniftolieii Bohttlgnunmatik 



27 



&i 6. parad. 10. Att 2, 1, 5. ebenso findet sioli nom abhängig 
YOD exqniro Deiot. 42. Att 8, 12, 6 ; interrogo ac. 2, 80. pari. 133; 
MBsnlo dorn. ISO; Yelim scire Att 4, 9, 1. 12, 8. 14, 5, 3; audire 
enpio Tat. 87; respondeo Tat 17. 18; attendite Phü 12, 23.' be- 
aonders beaehtanawert erscheinen darunter drei stellen, in denen ne 
imd nnm sieh in ibrer bedeutong denUiob sebeiden, nemliob Claent» 
lOd a quibna si qui quaereret, sedissentne indiees in 0. Fabrieiunii 
sedisee ee dioerent; si interrogarentor, nnm quo crimine is esset 

SMnsatna negarent* Vat. 34 qnaero ex te, nnm quis nnd dann 

wiasne, wo ne offenbar nonne ist, ebenso Vat. 41 f. boe qnaero 
mun — pntes oportere aut — dizerisne naw. 

Dasz indes diese sirenge scbeidnngdarebans nicbt überall dnreb- 
gefilhrt ist, seigt s. b. die sebon oben angelUbrte stelle acad. 2, 11 
■t ille qnaerere ex eo , 'riderentome illa Pbilonis aut ea nnm vel e 
Piiilone vel ex nllo Academieo aodivisset aliquando; denn wenn 
nom hier anoh seine eigentliche bedeutung beibehält, so steht ne 
dech in ganz gleichem sinne, das beweist freilich nodi wenig, da 
ja ne ohne bedenken = num gesetzt werden kann; es kommt daranf 
an, ob nnm geradezu » ne gesetzt wird. dafGür ist nun ein be- 
seichnendea beispiel off. 8, 64 qnaero, si haec emptoribus yenditor 
aoa dixerit aedesqne vendiderit pluris, quam se venditurum putarit, 
nun id ininate aut improbe fecerit: denn wenn Cicero fibrnrhaupt 
dk von ihm erwartete antwort andeuten wollte, so muste er nicht 
imm, sondern nonne setzen (vgl. § 57 non igitur videtur — aediom 
Ten^tor celare emptores debuisae); num kann also nur ne sein, 
da die obige frage hier zunttchst nur zur discussion gestellt, aber noch 
heme andeutung ttber die antwort gegeben werden durfte, femer 
Att. 13, 8 yelim alicui negotium des, qui quaerat, Qu. Staberii fun* 
das nnm quis Tenalis sit. inv. 2, 113 wo von dem zu ergänzenden 
qoaeritur eine ganze reihe firagen mit num ■« ne abhSngt. part. 99 
BOlet esse contentio, cum aut sitne actio illi qui agit aut iamne sit 
aut nnm esse desierit aut illane lege hisne verbis sit actio quaeritur, 
wo der nnterschiedslose gebrauch von num und ne bemerkenswert 
ist dasselbe findet sieh inv. 1, 11 potest quaeri, oecideritne — 
bonone animo sint — num quid sit incommodi perventurnm, 
sowie off. 1, 7 omniane officia pe^ecta sint, num quod officium aliud 
alio maiua sit usw. (als verb. reg. ergibt sich aus dem zusammen* 
bang ein quaeritur). femer steht quaeritur num ■= qoaeritur ne 
fin. 4, 12. Tose. 3, 80. inv. 2, 44. de or. 1, 182; quaestio est de or. 
2, 134. Lael. 67 (denn wenn an dieser stelle die antwort schlieez- 
lieh auch eine negative ist, so wäre es doch Tcrkehrt gewesen, wenn 
Cioero sie durch das nom hfttte vorher andeuten wollen); quaeren- 
dam est Verr. 4, 11. off. 1, 159. femer nach disputatur de or. 3, 114 
anm interire virtns in homine possit; disseritur de or. 3, 116 ex- 



* das von 61. angeführte yidete num Man. 19 ist nicht berück - 
lichtigt, da C. F. W. Malier hier videte ne non liest. 



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28 



Zur lateioischen sohulgrammatik. 



petendine honores sint, num fugienda paupertas; considero inv. 1, 87 ; 
attendendam est inv. 1, 43. 2, 68. 2, 119j rogo ac. 2, 43 quid enim 
agant, si, cum aliquid definierint, roget eos quispiam, num liia de- 
finitio posBit in aliam rem transferri quamiubet, wo die folgende 
erörterung der beiden möglichen antworten mit si posse dixerint 
usw. nnd si negaverint usw. deutlich zeigt, dasz num keine be- 
stimmte antwort andeuten sollte har. 31 videbo, num mihi necesse 
Sit; Att. 7, 9, 2 videbis-, num quid fuerit; 2, 5, 2 expecto tuas lit- 

teras, quid Arrius narret, et num quae novae leges et num 

quid novi omuinoj ebd. 3 rescribe, num quLs paretur; 11, 14, 3 ad . 
te scribam, num quid egerim; 12, 22, 2 scribes ad me, num Clodia 
D. Bruto consulari filio suo mortuo vixerit; 6, 7, 2 mitte mihi ob- 
yiam litteras, num putes, Att. 7, 32, 1 addubito, num. 

Nach alledem ergibt sich, dasz allerdings num sich etwas häu- 
figer im eigentlichen sinne findet als in dem von ne (für ersteres 
sind 42, für letzteres 29 stellen gegeben), dasz aber der letztere 
gebrauch durchaus nicht zu verwerfen ist. ferner ist klar, dasz auch 
nach den verba quaerendi sich num = ne findet, nemlich bei rogo 
ac. 2,43, bei quaero 12mal, ebenso 2 mal bei dem verwandten 
quaestio est. nun musz man allerdings bei quacrere, rogare und 
verwandten begriffen unterscheiden; heiszt quaerere nicht eigentlich 
'fragen', sondern so viel wie untersuchen (quaeritur = disputatur, 
disseritur), so tritt die eigentliche bedeutung des num fa^t immer 
zurück; ist aber quaero — interrogo 'ich stelle an jemand eine be- 
stimmte frage*, so behält num fast immer seinen ursprünglichen sinn, 
es ist das ja leicht erklärlich, denn in stellen wie z. b. Vat. 34 quaero 
ex te, Yatini, num quis deturbarit hat die mdirecte frage in leb- 
hafter rede trotz ihrer ahhängigkeit noch einen viel selbständigem 
Charakter und wird in ihrem eran/en tone sich wenig von der directen 
unterscheiden, dasz aber auch in diesem falle, wenn auch seltener, 
liuin ™ ue vorkommt, zeigen oö'. 3, 54. Att. 13, 8. ac. 2, 43. die 
regel ist letzteres endlich nach verben des mitteilens wie scribo, lit- 
teras mitte usw. wollte man nach alledem die regel über diesen ge- 
brauch der fragesätze in abhängiger frage ausführlich und genau 
festsetzen, so wäre etwa zu sagen: 

1) ne und nonne werden in derselben bedeutung gebraucht, 
wie in directer frage ; doch findet sich nonne nur vereinzelt in der 
Verbindung quaero nonne, gewöhnlich wird es durch ne ersetzt. 

2) num behält vielfach seine ursprüngliche bedeutung, so 
namentlich nach den verba quaero, rogo, interrogo usw. in der 
eigentlichen bedeutung des fragens ; doch findet es sich einzeln auch 
hier im sinne von ne, ganz gewöhnlich steht es so in abbängigkeit 
von quaero — untersuche und allen andern verben. 

* weniger beweiskräftig dürften die stellen mit num quid vellem 
(nach quaero Quint, fr. 2, 2, 1 , nach rogo Att. 5, 2, 2 6, 3, 6. Qu. 
fr. 2, 2, 1. 3, 1, 22) sein, da es auch schon direct in dieser formel 
num quid vis heiszt. 



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Zur lateioischeu schulgrammatik. 



29 



Für die schule wird diese regel aber zu umständlichi und zwar 
obnö not, da doch kein grund ist, bei dem scbüler ein quaero num 
■= ich frage ob irgendwie zu beanstanden, meiner ansieht nach ge- 
nügt demnach die fassung , die ich in der letzten (vierten) aufläge 
meiner lat. grammatik gewählt habe: 'indireete satzfragen werden 
durch num und ne ohne unterschied eingeleitet; für nenne tritt ge- 
wöhnlich ne ein.' dazu die anm. : nenne findet sich in indirecten 
fragen nur in der Verbindung quaero nonne ich frage, ob nicht. 

Die lehre vom gen. pretii bietet vielfach noch ungenaue an- 
gaben, oft auch Seltenheiten, die, wenn irgendwo, bei dieser ftlr 
den gebrauch des schülers doch immerhin nicht allzu häufigen con- 
stmetion zu entbehren sind, in der bedeutung des scbätsens sind 
Im weitem die häufigsten verba aestimo und fiftdo ; bplde finden sich 
m Uber je 60 stellen, denn wir lesen aestimo magni Mnr. 10. 
fin. 2, 55. 3, 43. Tusc. 4, 79. 5, 20. fam. 13, 16, 3. Qu. fr. 2, 14, 1. 
Att. 2, 4, 7. 7, 15, 2. 12, 28, 1. 13, 19, 3. Br. 1, 9, 1 ; pluris Verr. 
d, m. ac. 1, 37. fin. 3, 21. 39. 43. 47 (2 mal). 5, 90. 96. off. 3, 62. 
per. 48 (2 mal), or. 224. fam. 10, 5, 1 ; plarimi fin. 3, 34. Qu. fr. 
3, 13, 1. Att. 5, 12, 3; parvi inv. 1, 83; minoiiaae. 1, 37. fin. 4, 57. 
Att 9, 9, 4 ; tanti Yerr. 3, 174. 221. 225. Mnr. 34. ac 2, 28. fin. 
2, 91. hm. 7, 23, 4. 15, 4, 13. 21, 2. Att. 1, 18, 8; tuitidem Yerr. 
3, 215; quanti Verr. 3, 194. 215. 221. 4, 10. 13. 14. 22. L a. 2,40. 
•e. 2, 120. Tq8c. 1, 98. 5, 109. n. d. 1, 55. par. 51. fam. 3, 9, 1. 
7, 23, 2. 15, 21, 2. Att 1, 8, 1. 9, 15, 5. 12, 47, 2; permagni Atfc. 
10, 1, 1; mmmi dnent. 159« ebenso facio magni fSun* 13, 16, 1. 
Qu. fr. 1, 27; plnris fin. 3, 28. Tusc. 1, 90. fam. 1, 9, 15. 2, 13, 2. 
3, i, 2. 13, 55, 1. 64, 1. 67, 1. Ati 3, 10, 2. 5, 9, 3. 7, 1, 3. 8, 2, 4; 
jknmi B. A. 47. &m. 3, 4, 2. 3, 10, 2. 6, 6, 4. 15, 14, 2. 16, 9, 2. 
Att. 16, 16, 14; minoiis B. A. 46; mimmi fin. 2, 42; quanti B. A. 
115. Yerr. 4, 54. Mil. 99. fin. 3, 8. Tuse. 1, 39. Lael. 56. 69. fiun. 
2, 16, 5. 3, 3, 2. 3, 10, 1. 2. 3, 10, 10. 3, 13, 2. 4, 6, 1. 6, 10, 1. 
11, 16, 3. 18, 8; 1 (3 mal). 13; 10, 4. 19, 3. 29, 1. 29, 3. 13, 61. 
63, 1. 67, 2. 79. 15, 10, 2. Att 6, 1, 10. 12, 37,2. 13,1,8. 16, 16, 10 
(Sinai), fragm. A. 9, 9. fi. 3, 2^; tanti Plane. 28. PhiL 11, 35. 
lieL 37. hm. 3, 10, 1. 3, 10, 10. 3, 13, 2. 11, 16, 3. 13, 10, 4. 
55, 1. Att 4, 12. 12, 87, 2. frgm. a.*» 16.; taatidem B. A. 115$ 
Bihfli fin. 2) 88; maadmi hm, 16, 15, 1 ; flooei Att 1, 16, 13. 4, 15; 4. 
13, 50, 3. 

leh habe diese beispiele alle in extenso angefahrt, um zu 
wie aosserordentlioli diese beiden verba in der olassischen 
spräche in diesem sinne vorhersofaen^ gegenflber allen den andern, 
wdehe die gramraatihen noeb anKofOhren pflegen, denn es findet 
ndi anezerdem pnto magni Flaoc. 10, 4; pluris n. d. 3, 26. off« 

* die fragmente Bind naob der ansgabe von C. F. W. Müller IV 8 

citiert. 

^ Nepos kennt nur aestimo und facio in diesem sinne, vgl. Köhler, 
^ spradigebraiioh das Com. Nepos in der easnssyntax 7. 



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30 



Zur lateinischen echulgrammatik, 



3, 18. Att. 12, 21, 5; minimi fam. 1, 9, 5; tanti fam. 7, 23, 2. Att. 
1, 11, 1 ; quanti n. d. 3, 78; duco pluris Att. 7, 3, 8; parvi Arch. 14. 
fin. 2, 24; tanti Rab. Post. 41; habeo nur mit nauci div. 1, 132^; 
pendo wird classisch gar nicht so gebraucht, daraus dürfte sich 
von selbst ergeben, dasz pendo und habeo c. gen. pretii anf alle 
föUe, ebenso auch duco ohne bedenken aus der schulgrammatik zu 
streichen sind; selbst puto wäre vielleicht entbehrlich, ferner für 
'wert sein' ist esse dnrchans gebräuchlich^, ich finde dafür gegen 
90 stellen (ich rechne dahin auch fin. 4, 62 pluris videri), auf deren 
anfühmng ich verzichte; nicht selten ist aneh fieri (plurimi fam. 
3, 4, 1. 7, 31, 1. 13, 4, 1. Qu. fr. 2, 4, 7 ; tanti Lael. 66. 69. fara. 10, 
1, 4. 13, Ö5, 1. 16, 4, 4; quanti Verr, 4, 19. fam. 6, 9, 2. 6, 10, 1. 
Att. 1, 20, 3), wenn es auch, fthnlieh wie dss aotive facere, von 
Cicero hauptüSchlich im briefstile angewandt ist. dem gegenüber 
ist ganz entbehrlich fttr den schttler das im ganzen in diesem sinne 
nnr dreimal vorkommende baberi (magni b. g. 4, 21, 7; plnris 
Phil. 6, 10; quanti Verr. 4, 19 « wovon dem scbfller meistens nur 
die Caesarstelle zu gesiebte kommen wird); trotzdem fehlt es wohl 
kaum noch in einem lat. lehrbuche, und auch ich habe es leider aus 
verseben noch in der letzten aufläge meiner lat. schulgrammatik 
stehen lassen, also aestimo facio puto, sum und fio genügen auf 
alle fftUe. 

Unter den allgemeinen wertbezeiebnnngen sodann werden 
mazimi und plurimi als gleiehbedeutend angeführt, letzteres findet 
sieb nun an 17 stellen, denn zu den schon in den obigen Zusammen- 
stellungen angeführten beispielen kommt noeh fin. 3, 47* n. d. 2, 18. 
Br. 1, 12, 1 mit esse plurimi. dagegen ist mazimi ganz vereinzelt 
und zum teil kritisch unsicher. Verr. 4, 44 lesen Eberhard , Halm, 
C. F. W. Müller qui Q. Maximi fuerant statt quiqne mazimi foerant; 
Att. 1, 14, 2 hat Wesenberg mazimam (statt mazimi) videri auf- 
genommen, es bleiben somit nur.Gluent 169 mazimi aestimare und 
fam. 16, 16, 1 m. facere. da der schÜler diese stellen kaum je lesen 
wird ) da ausserdem plurimi allein das gewöhnliche ist , so habe ich 
mich fttr berechtigt gehalten, mazimi dbs der regel zu entfernen. ^ 
man wird mir nicht im ernst einwenden wollen, dasz nach diesem 
grundsatz auch das nnr fin« 2, 42 (mit iacio) und fam. 1, 9, 5 (mit 
puto) vorkommende minimi gestrichen werden mfiste; hier steht 
eben kein anderer häufigerer ausdruck zur Verfügung, so dasz dieses 
seltenere vorkommen als zufall betrachtet werden mnsz; dasz das 



" also sagt Sclimalz aiitib. II 587 zu viel, wenn er habere c. gen, 
pretii für Cic. und Caes. ganz und gar leugnet. 

^ Nepos kennt ebenfalls nur dieses, vgl. Köhler a* o. 

® auch Nepos kennt nur plurimi, nicht maximi, vgl. Köhler a. o., 
bei Sallust findet sifli beides nicht. Matius bei Cic. fam. 11, 23, 1 
niaximi aestimo kommt natürlich nicht in betracbt, — • Aucli bei iuterest 
steht dieser gen. pret. nur Brut. 208 und wird det>halb hier iu den 
meisten scbulgrammatiken schon Iftogst mit reebt forlgelassen. 



Zur iatuimscben BchQlgrammatik. 



31 



aber bei maximi nicht der fall ist, beweist das viel häufigere 
plurimi.® — Ein fraglicher punkt ist ferner die behandlung von 
uihili oder pro nihilo. letzteres iintlet sich häufig in Verbindung 
mit puto, nomlieh div. 24. Caec. 56. Vat. 23. Mil. 64. Phil. 10, 6. 
13, 21. fin. 3, 29. 37. 5, 72. Tusc. 3, ;5Ö. 5, 73. leg. 1, 61. off. 
1, 28. 71. Lael. 86. de or. 2, 344. fam. 10, 2Ü, 3; nicht selten bei 
habeo: dorn. 38. Phil. 1, 14. 16. fin. 4, 37. Tusc. 5, 9. div. 1, 57. 
leg. 2, 12. frgm. E. 3, 10 (^activ und passiv machen hier keinen unter- 
schied); viermal bei duco: Verr. 2,40. Tusc. 5,30. 90. off. 3, 24. da- 
gegen kommt für nihili in diosem sinne nur fin. 2, 88 n. facere in be- 
tracht, sowie n. putaru Sest. 114; denn n. acstimo (z. b. von Neitzert 
lat. c^^ramm. § 54 als das gewöhnliclie hingrestcUtj finde ich nur Tusc. 
1,15 in einem poetischen citat. daniich ist keine frage, dasz die schul- 
grammatik lehren mUöZ, dasz 41ir nichts achten' beiszt pro nibilo putare 
habere ducere (letzteres ist übrigens auch entbehrlich, indes mag die 
entscheidung hier schwanken), der genet. m diesen Wendungen ist 
gar nicht zu erwähnen, auch nicht in anmerkungen oder fusznutcn. 
zweifeln kann man, ob man nihüi esse oder pro nibilo esse lehren 
will; jenes steht Tusc. 4, 74. Qu. fr. 1, 2, 14. Att. 1, 19, 4, dieses 
Marc. 27. Phil. 2, 66. Att. 14, 9, 1, wozu auch wohl noch fin. 2^ 43 
pro nihilo videri zu stellen ist, man sieht, dasz die grammatik keinen 
grund hat, die eine oder andere Wendung zu verpönen oder zu ver- 
langen, indes der einfachheit wegen halte ich es für passend zu 
lehren pro nihilo esse entsprechend dem pro n. putare usw.; so 
dasz nihili dem schüler ganz erspart bleibt; ich denke damit keine 
grosze Unterlassungssünde zu begeben. — Entbehrlich für den schüler 
sind ferner die — übrigens auch schon vielfach gestrichenen — Ver- 
bindungen von aestimare mit den ablativen magno fin. 3, 11. 5, 90. 
Tusc. 3, 8. parad. 61; permagno Verr. 4, 13; minimo Verr. 3, 221; 
nonnihilo fin. 4^ 62 sowie mit adverbien wie tenuissüne Verr. 4, 35; 
graviter b. g. 7, 14, 10; Jeviter b. c. 3^ 26, 4. denn einmal finden 
sie sich nur ganz vereinzelt; sodann wirken diese ab weichungen 
iaszerst störend für den schüler, der vor allem an den regelmäszigen 
gebranefa des gen. pretü zn gewöhnen ist. anch tantidem (Verr. * 
3, 215. R. A. 115) nnd permagni (Att 10, 1, 1, häufiger bei interest 
und ref ert) sind selten ; idi streiche sie um so lieber, als ihr gebranch 
neben tanti und magni für den schttler eigentlicli selbstverstftnd- 
lieb sein mnsz. sonst müste man aach qnantivis fam* 6, 20, 1 er- 
wShnen. es genügt also magni pluris plurimi, parvi minoris minimi» 
tanti 80 wie qoanti nnd Ülr die anm. pro nihilo esse putare habere 
(ducere). 

Sebr yerw&iedenartig sind noch die anuditen, wann naeb den 
▼erben der sinnlichen wahmebmung wie audio video usw. der acc 



* ans derselben erwUcriiDg behalte ich auch parvi bei refert nnd 
interest bei, obwohl es sich nur bei ersterein Qu. fr. 1, 1, 20 findet; 
acusserdem ist dieser genet. bei den verben des schätzens usw. häufiger. 



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Zur lateinischen schulgrammatik. 



c. inf., wann der acc. c. part. zu setzen sei. EUendt-Seyffert, Heraeus 
und Holzweissig stellen noch immer das part. als mustergültige con- 
struction bin, und ihnen schlieszt sich auch Schmalz antib. I 198 
(unter audio) mit ganz geringer einschrfinkung an; dagegen lassen 
z. b. G. T. A. Krttger und Menge (repetitorium § 431) beide con- 
structionen mit gewissem unterschiede des sinnes zu, ebenso einige 
neuere grammatiken ; endlich v. Kobilinski meint (zeitschr. f. gym- 
nasialwesen 1884 s. 437)^ dasz *der Ciceronische gebrauch dafür 
spreche , bei audio animadverto cemo video in jedem faDe den acc. 
c. inf. za setzen'. 

Dasz y. Kobilinski indes in dieser annähme zu weit geht , läszt 
siob leicht erkennnn, wenn man alle hierher gehörigen stellen aus 
Ciceio nnd Caesar vergleicht zunächst finde ich video c. part , 
B. A. 24 iactsatem se ao dominantem. 98 redetmtem. Yerr. 2, 158 
iaeentes revolsasqne. 5, 27 sedentem« Cat. 1, 5 molientem. 4, 11 
ooncidentem. Mnr. 88 deformatam Ingentemqne. 89 lugentem mae- 
rentem. Macc 88 srdentem. sen. 7 volitantis. dorn. 59 laeriman- 
iem eonfeetnmqne. har. 17 mnrmiuranteni. 33 fadentem. 45 ietnm 
et famantem. 59 mandantes. Sest 85 iacentem moribondnmque* 
144 intnentem. Yat 16 sedentis. Pis« 54 errantem. 99 abiecfoun 
— adulantem. Cael, 27 litigantem. Plane. 56 pugnantem. 94 tenen- 
tem« Ifil. B intnentes — exspectantes. 54 egredientem. Maro. 16 
extimesoentem. Dei. 26 saltantem ant ebrinm. Phil 2, 108 regnan- 
tem, Phil. 9, 8 ezcnsantem. 10, 8 cogitantem, ebd. oedentem. 
14, 27 fagientem. acad. 1, 1 ve&ientem. acad. pr. fir. 13 eznltantea. 
fin. 3, 7 sedentem. 16 haerentem. Tnsc 1, 89 cadentis. 2, 19 
eialantem. 46 exdpientes — ferentes. 3, 31 exeuntem et rever- 
tentem. 66 conoidentem. 4, 49 progredientem. 53 fnrentem. 5, 77 
certantes. n. d* 1, 106 oontionaniem. div. 1, 54 dicentem. 69 fla* 
grantis. 2, 129 stertentem. 145 exnltantis. rep. 2, 30 progredientem, 
leg. 2, 43 ardentis nsw. off. 3^ 50 petentei;^ Cat mai. 26 gloriantem. 
27 exeroentes. 44 redeuntem. 50 flagrantie, parad. 37 intnentem. 
38 tractantem. ebd. exceptantem. de or. 2^ 190 flagrantem. 3, 8 
id. 133 ambulantem. Br. 181 dicentis. 200 oooitantem usw. 326 
iiridentem usw. or. 26 ardentis. üom. 7, 26, 2 nanseantem. 15, 12, 
2 gereutem. Att. 2, 21, 3 condonantem. 6, 3, 8 conturbatum. 
8, 9, 2 gratnlantes. 11, 24, 4 adeuntem. frgm. A. 6, 1 (Müller) 
intrantis usw. diesen 70 stellen gegenüber findet sich der acc. o. 
inf, bei video 34 mal, nemlich div. 13 adesse. 57 admirarL Verr. 
1, 58 collucere. 3, 28 lambere. 160 ÜBteere. 211 id. 4, 14 veniio* 
18 fiicere. 5, 107 sedere et insusurrare. Toll. 29 interdicere. Man. 
69 adesse. Cat. 2, 5 volitare. Mur. 49 inquirere. Areb. 18 dicere. 

25 inbere. Tai 32 accnmbere. Balb. 51 facere. Plane. 20 gloriari* 
71 versari. Mil. 15 fateri. 85 cadere. Quinct 33 accosare. 98 do- 
minari. B. A. 1 adesse. 17 sedere, 147 id. 149 &cere. acad. 
1, 35 significare. Tose. 2, 57 tangere. n. d. 2, 25 fumare. Cat mai. 

26 uti. de or. 2, 23 effiringere volitare. or. 168 exclamare. 228 



Zar lateinisclieii ächulgrammatik. SS 

lacere. ähnlich steht die sache bei den andern verben des sebens; 
so findet sich bei animadverto Tusc. 3, 48 stantem. inv. 2, 78 
laborantem. 153 natantem neben Quinct. 36 facere. R. A. 60 iocari. 
B.C. 20 imitari; bei intueor Sest. 1 wechselt dimicantes miL 
Yolitare; nur c. part. 6nde ich aspicio rep. 1, 17 venientem. 6, 14 
id. Brut 200 intuentes und conspicio Mur. 88 spoliatam. b. g. 
5, 36, 1 cohortantem. b. 3, 70, 1 fugientes. 

Dagegen läszt sich bei audio das part. verhftltnismäszig in 
wemgen fftUen nachweisen, denn stelle wie Phil. 2, 10 me pro me 
dicentem aadiatis. Mon 78 eogitantem gehören nieht hierher, wie 
schon T. Kobilinski richtig erwäint; ebenso wenig auch Ati 7, 1, 2 
Tellern a principio te aadim monentem, denn hier ist aadire hdren 
anf, beistimmen, folgen, und tthnlidi erklttrt sieb aaeh wohl fin. 2, 90 
Soeiatem audio dioentem. indes bleiben immerhin folgende stellen : 
acad. 2, 11 cum quo dispntantem saepe andiebam. 12 disserentem. 
fin. 2, 21 oonfitentem. 4, 80 refellentem. n. d. 8, 5 dieentem. div. 
2, 141 non andivit draeonem loquentem. or. 148 respondentes. opt. 
gen. or. 28 dioentem. Att. 7; 8, 4 disserentem. dieseft 9 stellen 
gegenüber ist der infin. weit häufiger, und swar nicht bloss bei 
2SQgenaus8ageu sondern auch sonst allerdings findet sich bei 
leogenaussagen der inf. besonders oft oder vielmehr regelmäszig, 
so dicere Yerr. 1, 52. 2, 18. 108. 119. 4, 50. 53. 62. 70. 84. 86. 
102. 118. 114. 5, 101. 116. 120. 147. Caeo. 22. Oael.56 und recitare 
Torr. 3, 120; aber ausserdem steht B. A. 138 praeoonem enuntiare 
todiebant Mur. 58 maiores natu dicere audivL Qu. fr. 1, 2, 4 quos- 
ennque de te queri andivi und ebenso dicere Verr. 8, 153. Quir. 
17. 20. fin. 5, 7. rep. 6, 15. Lael. 76. de or. 1, 99. 182. 2, 224. 
oommemorare Lael, 88 — also im ganzen 88 stellen." 

Belbstyerat&ndlich sind fttr die«verbindung von video audio 
oaw. e. inf. nur die stellen beräcksichtigt, in denen die fraglichen 
▼erba eine unmittelbare sinnliche Wahrnehmung bezeichneni 
da nur in diesem falle auch die Setzung des part in betracht kommen 
bam. freilich meint v. Eobilinski (zeitschr. f. gjmnasialwesen 1886 
8. 17), das part. stehe bei yidere auch bei einer nicht unmittelbar 
nnnlidien Wahrnehmung, aber die von ihm angeführten beispiele 
vermögen mich nicht zu seiner ansieht zu bekehren. Oat. 1, 5 im- 
peratorem ducemque hostium intra moenia atque adeo in senatu 
videmus — pemidem reipnblicae molientem besagt, dasz man den 



"* wie Schmalz a. o, I 198 meint, 

dazu kommen bei audio noch die nicht seltenen umschreibenden 
Wendungen wie audivi ex eo cum dicerei Verr. 1, 157. 3, 3. fin. 5, ö4. 
parad. 46. de or. % 22. 144. 156. Brut. 86. 206; ebenso mit de Balb. Ii. 
n&t. d. 1, 58, a fam. 3, 7, 4; daza audivi eum c. d. div. 1, 104. de or. 
1, 129. 2, 365, und einfach audivi cum diceret Cael. 45. dorn. 93. ich 
bemerke bei dieser gelep^enheit, dasz nach meinen beobachtungen 
andire ex überhaupt viel häufiger ist ala audire de oder a; nach der 
«Urstellang im antib. I 198 kömite audire a als das gewöhnliche er- 
tdieiaeo, 

II« jthrb. r. ^hil, u. pid. II. abu 2880 hfl. 1. d 



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34 



Zar lateinischen Bchnlgrammatik, 



Catilina mit eignen angen sich Überall in Rom bewegen und an 
seinen verderblieben pl^en arbeiten sehen konnte, nicht etwa, daaz 
man das einsah; durch diese aoffassung wttrde die stelle an krafb 
und lebendigkeit verlieren, ganz ttbnlich ist Phil. 2, 108 modo Caesa^ 
rem regnantem videramus, und gar Mil. 3 ezitnm indicii ezpectantis 
videtis vermag ich nur von einer sinnlichen Wahrnehmung zu ver- 
stehen, eher hfttte v.Kobilinski schon Oat. mai. 26 Solonem versibos 
gloriantem videmus für seine ansieht anführen können; aber auch 
hier liegt noch eine sinnliohejvahmehmung ku gründe : *wir sehen es 
in seinen Schriften mit unsem eignen äugen.' ebenso wenig möchte 
ich demselben gelehrten beistimmen^ wenn er (zeitsehr. f. gymnaeial- 
wesen 1884 s. 437) meint, bei audio te maledicentem könne nicht 
mehr von einer sinnlichen Wahrnehmung die rede sein als bei audio 
te maledicere, wenn hier auch audice « erfahren sei. allerdings liegt 
auch im letzten falle eine sinnliche Wahrnehmung vor» aber gegen- 
ständ derselben ist nicht das maledicere selbst, sondern nur die mit- 
teilung dessen, durch den man über die sache erß&hrt* 

Fttr die schulgrammatik ergibt sieb aus den oben zusammen* 
gestellten beispielen, dasz bei den verben der sinnlichen Wahrneh- 
mung, namentlich bei video und audio, beide constructionen gleich- 
berechtigt sind, denn mag auch bei video das particip (71 stellen 
gegen 34), dagegen bei audio der infinitiv (33 stellen gegen 9) vor» 
wiegen , immerhin ist die seltenere construction noch hftufig genug, 
um den scbülero ebne bedenken empfohlen werden su können, auch 
halte ich es nicht für angemessen, wie das neuerdings auch geschieht» 
in einem Schulbuch genau zu registrieren, welche von den verschie- 
denen constructionen sehr häufig, welche etwa weniger häufig, welcbe 
selten und welche ganz selten vorkommt; solche philologische akribie 
kann auf den schUler nur verwirrend einwirken, ganz vereinzelte 
constructionen lasse man ganz bei seite, alle übrigen, die man über- 
haupt als berechtigt zulassen will, stelle man als gleichwertig neben 
einander, ohne rtLcksicht darauf, ob die eine zufällig etwas häufiger 
ist als die andere» demnach würde ich auch hier gleichstellen die 
Sätze: 

vidi te fugientem vidi te fugere 

audivi te dicentem » audivi te dicere audivi (ex) te cum 
diceres. 

selbstverständlich beruht die anwendung der einen oder andern con- 
struction auf verschiedenartiger auffassungsweise (wohl schon richtig 
von G. T. A. Krüger lat. gramm. § 496 anm. 1 erklärt), aber beide 
auffassungen werden so ziemlich in allen lallen gleichberechtigt oder 
doch zulässig sein. 

Hieran werden in der grammatik naturgemäsz die vcrba facio 
finge induco mit prädicativem particip angeschlossen, davon findet 
sich induco c. part. har. 39 furentes. Tusc. 1,51 disserentem. 2, 27 
lamentantis. 5, 115 deplorantem. div. 2, 25 querentem. Lael. 3 
loquentes. 4 disputantem. Brut. 138 loquentia; bei facio Tusc 



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Zar lateinischen üchulgrammatik 



1, 21 loqaentem. 97 usnm. Cat. mai. 3 admirantes. 54 colentem — 
stercorantem. Brut. 218 exeuntem et colloquentem. orat. 85 loquen- 
tem. AU. 13, 19, 3 disputantem. weil seltener ist hier die construc- 
tion c. inf, ; abgesehen von dem notwendigen inf, pass. bei facio 
(so n. d. 1,19 construi. 3, 41 conveniri. opt. gen. or. 17 lau 1 iri. 
Brut. 142 videri) findet sich bei demselben verbum Tusc. 4, 36 im- 
pendere. 5, 115 colioquentem — laudare. nat. deor. 1, 31 disputan- 
tem — dicere. verdienen somit facio und induco angeführt zu wer- 
den, 80 habe ich dagegen fingo aus dieser regel geglaubt streichen 
zu müssen, denn einmal finde ich c. pari, nur Att. 9, 5, 2 finge 
me ferentem, habe auch sonst nirgends ein weiteres beispiel für diese 
Terbindung aufzutreiben vermocht; auf diese eine stelle hin es auf- 
zunehmen, halte ich nicht für gerechtfertigt, ei, kommt dazu, dasz 
auch hier gar iiicbt emmal = iacio induco = lasse steht, sondern 
«= denke mir, stelle mir tiinmal vor. m dieser bedeutung dürfte 
aber ein abhängiger sat/, der regel nach im acc. c. inf. .-leben, dahin 
gehören auch diu beideu stellen, wo das passiv tingor c. nom. c. inf. 
steht, nemlicb Tusc. 3, 63 Hecubam putant fingi in canem esse con- 
versam. n. d. 2, 64 Saturnus comesse fingitur solitus (sc. esse), 
fecio wird ja in dieser bedeutung regelrecht mit acc. c. inf. con- 
itriiiert. 

Fttr die lehre vom acc. c. inf. wird in den Stilistiken und gram- 
natiken vielfach die regel aufgestellt, daaz von einem Substantiv 
ktin acc. c. inf. abhängen dürfe, so bei Menge rupetitorium 434, 
H«S8ner 349, Berger Stilistik*' § 70, Holzweissig 328, Schultz- 
WeUel 307 anm, 2. bei letzterem ersebrät die regel wohl in der 
mildesten form, wSlirend Holzweissig geradeza behauptet: 'die ver- 
Inndung eines snbst. mit aoe. c inf. meidet der Lateiner selbst bei 
Substantiven« welehe den hegnff einer geistigen thätigkeit enthalten; 
er schiebt nach solchen snbst. regelmässig ein verbum sent, oder 
(Iselar. ein' (ftbnlicb Menge), letztere fassung ist jedenfalls zn scharf, 
dfiim Substantive, welehe eine geistige thätigkeit bezeichnen, werden 
?0B Cicero oft genug so oonstraiert. selbstverstBndliob sehe ich dabei 
TOD allen den stellen ab, in draen das fragliche snbst. mit einem ver- 
bum in der weise zu einer phrase verschmolzen ist, dasz diese dem 
aimie nach einem verb. sent. oder die. gleidhstebt, so spem affero 
Tose. 1, 24. PL 104 inducor in spem. fam. 2, 16, 5 hac oblectabar 
specala. 7, 28, 3 spes relinqaitur. Att. 11, 11, 1 spes ostenditur. 
' Tsrr. 4, 30 in suspicionem venio. Caec. 97 religionem inicio. fin. 
5^38 faoilis est coniectura. fam. 1, 4, 2 haec opinio est populi. div. 
2, 105 Dieaearchi magnns Uber est (» magno libro exponit). Plane* 
88 in eo creber fnisti;' dahin mag man auch noch rechnen stellen 
wie Caec. 80 cum mnltis uterer ezemplis ('durch viele beispiele be- 
wies'). Bose. A. 83 id erit signi me facere. Terr. 2, 68 hoc solnm 
argamentum est nihil isto imprudente factum (sc* esse) und tthnlich 
Qtiinct. 41, fin. 5, 31. Tusc. l^ 33. 4, 7, obgleich an manchen dieser 
ttellen es zweifelhaft erscheinen kann, ob der acc. c. inf. nicht direet 

8* 



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36 



Zur lateitiischea äcliulgramiaaük. 



zum bubst, zu ziehen ist. aber aui alle fälle bleiben folgende stellen : 
ün. 1, 50 spes nihil defuturum. off. 2, 22 !>pe nihil uUIü futurum. 
Pis. 16 iudicium nihil interfuisse. Quinct. 34 ista suspicio me noUe. 
VeiT. 3, 61 argumentum istum esse abu&um. Tuse. 3, 74 esperimen- 
tam hanc vim non esse. acad. 2, 95 illa definitio ecfatum esse. 
2, 148 illa sententia nihil interesse. fin. 2, 99 testimonium esse 
optabilia. Tusc. 3, 34 cogitatio nihil esse. 3, 74 ebenso. 3, 61 illa 
opinio oportere. 68 illa opinio rectum esse. 4, 27 opinio esse fugien- 
dum. Sest. 89 opinio eum facturam. de or. 2, 7 illa opinio alteram 
fbisse. Tuso. 4, 26 indicatio se sdra. fat* 17 haue quaestionem nihil 
fieri. parad. 29 conseieiitia stare rempablieam. de or. 2, 339 pro- 
missio probatoroB. part. 116- illa dispatatio non fnisse. 119 infir- 
matio non fuisse. proT. oons. Id hac eonsolatione hnnc ordinem 
denegasse. div. 2, 73 deeretnm vetus coUegii non posse. freier noch 
sind folgende Verbindungen : ac 2, 96 illainitia ('grundfitttze') maibe- 
maticorum punctum esse usw. Clu. 60 accusabat tribua yerbis vene- 
num esse deprebensum, denn den acc« o. inf. Ton aceuso abbSngen 
zu lassen, verbietet der umstand, dasz sieb diese construction das- 
siscb nie findet, n. deor. 1, 66 illa flagitia (^scbandbare Suszerungeu* 
Georges) Demoeriti corpuseula esse quaedam. Tusc. 3, 82 ad eundem 
fontem revertendum est aegritudinem abesse, rep. 1, 5 binc illa 
exempla Miltiadem profudisse. leg. 2, 33 ezemplorum nostra est 
plena respublica — multa yera cecidisse. 62 fuisse cupiditatem 
multa extant exempla. dazu gehOrt aucb endlicb das neutr, des pron« 
mit abbängigem acc. c. inf. Tusc. 2, 61 narrabat grayiter et copiose 
de boc (^tbema') ipso nibil esse bonum. Plane 62 illud (*jene be- 
bauptung') me fingere, acad. 2, 78 illud nuUi rei esse adsensurum 
sapientem. 4, 61 boc (anssprucb) Stoicorum nnnquam privatum 
esse sapientem. 3, 62 illud Bionis c. acc c* inf. de or. 2, 248 illud 
Keronianum yetus solum esse usw. wir sehen also, dasz bei sub- 
stantiyen, in denen der begriff einer geistigen tbfttigkeit liegt, diese 
construction gar nicbt selten ist, dasz sie sieb sogar, wenn auch 
seltener, auf Substantive ausdehnt, in denen an sieh nichts von 
geistiger thätigkeit ausgedruckt ist und die eine derartige bedeu- 
tung nur durch den Zusammenhang gewinnen, in dem sie gerade 
stehen, wie z. b. initia flagitia fons exemplnm, endlich auch das ein- 
lache neutr. pron. mit verliebe führt man fOr die übliche regel das 
beispiel an Cat. mai. 50 illud Solonis quod ait versiculo quodam 
ßenescere se multa in dies addiscentem; aber dasz gerade in diesem * 
falle solche vermittelnde Umschreibungen wie das quod ait der an* 
geführten stelle durchaus nicht notwendig sind, zeigen die oben an- 
geführten stellen zur genüge, am wenigsten auffallen kann diese con- 
struction , wo das regierende wort ein Verbalsubstantiv ist; Wörter 
wie iudicium suspicio spes cogitatio iudicatio promissio opinio u.a.m. 
behalten eben einfach die construction des Stammverbs bei. und 

" sueh andere satEconstractionen Idingen ja in dieser weise, wenn 
auch seltener, von einem einfaeben snbet« ab, s. b. pari. 117 postulatio 



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Zur lateimachen schulgrammatik. 



37 



wenn endlich behauptet wird, mindebtens müsse zu dem regieren- 
den stubst. ein pron. demonstr. gesetzt werden, das auf den folgen- 
den satz mit dasz hinweise '"^ so wird diese behauptung ebenfalls 
durch die obigen beispiele widerlegt, wo der text ein derartiges 
pronomen hat, habe ich es überall zugefügt; demnach steht es 
(wenn wir von illud Bionis usw. absehen, wo das pron. überhaupt 
Diciit fehlen konnte) nur an 12 stellen von 31. 

Zum schlusz möchte ich noch bemerken, dasz es mir gänzlich 
unklar ist, weshalb die grammatik von Ellendt-Seyffert seit der 30n 
aufläge und ebenso Hohweissig in der lehre von der consecutio 
temporum fälle wie dico eum bene feoisse quod manserit gar nicht 
be^ück^ichtigen. denn wenn z. b. E.-8. § 224, 2 sagt 'nach dem inf. 
perf. folgt stets der coni. imperf. oder plusquampf/, so genügt diese 
regel gewis noch für den tertianer, denn in der historischen daistel- 
lung Caesars kommt im wesentlichen nur dieser fall zur geltnng. 
da-^z aber jene regel durchaus nicht allgemein gültig ist, dasz neben 
einem regierenden haupttempus das von einem ml. (coni.) perf. ab- 
hängige verbiim in bestimmten fallen im coni. praes. oder perf. 
stehen m u s z , ist bekannt genug, und da meines wissens diese aus- 
nähme sich mit b linderten von beispielen aus Cicero belegen läszt, 
auch für den eignen gebrauch des schülers in excrcitien und freien 
aafsätzen oft genug in betiacht kommt, bO kann sie jedenfalls dem 
secondaner nicht erspart werden. 

«t habeantiir. off« 3, 87 iUa sententia nt — essent. Phil. 11, 81 illa 
senteotia ut sortiantDr. 14, 2 ista sententia ni mntetnr. off. 1. 186 

cnra illa nt probemnr. Lael. 27 cogitationo quantnm esset habitura. 
es ist sehr leicht möglieh, dasz sich noch mehr beispiele derart finden. 

^ 80 bei Menge, Berger, Ilaacke Stilistik § 103, 3, Müller zum 
Ladina p. 90. 194 n. a. m. 

GbkSTBMOndS. CabL STSaifAMH. 



8. 

CICEßOS SOMNIUM SCIFIONIS ALS SCHÜLL£CTÜ£E. 



Das somniam Seipionia gehört zu denjenigen philosophischen 
sehriften Oiceros, welche auf den gjmnasieit nur anniahmsweise ge- 
lesen werden« ancfa von den prenssischen directorenversammlnngen, 
die sich im Tcrlanfe des leisten Jahrzehnts mehrfach mit dem lateini- 
schen nnterrieht heschftftigt hahen, ist dem bttchlein nur geringe be* 
•ehtmig geschenkt worden, in dem bericht Aber die nennte pom* 
mersche d^rectorenTersammlnng (1886), welche Uber die answahl der 
sof den gymnaaien zu lesenden lateinischen sehrifteteller sehr ein- 
gebend verhandelt hat^ wird von dem referenten (s. 216) kurz be- 
merkt, dasz das somninm Soipionis von einem gy mnasinm der provinz 
fOat extemporierte oderprivattectflre empfohlen werde, in dem bericht 



38 



Ciceros sdluuium Scipionis aU üchuUectüre. 



über die elfte directorenver^ammluiig der provinzen Ost- und West- 
preuäzen (1886) erwähnt der referierende director gleichfalls nur 
das eine, dasz das buch in dem refeiat eines ostpreuszischen gymna- 
siums für geeignet erklärt werde, das altertum auch von Seiten der 
naturanschauung kennen und achten zu lernen, die referate der 
dritten directoren Versammlung der Bheinprovinz (1887) und der 
vierten der provinz Sachsen (1883) übergehen das somnium Scipio* 
nis mit stillschweigen, in den debatten Uber den festzustellendeii 
leotürelcanon geschieht desselben gleichfalls keine erwtthnnng, wäh- 
rend doch selbst weniger wichtige reden Ciceros einer eingehenden 
erörternng för würdig erachtet werden (vgl. besonders den berieht 
Aber dieyerhandlangen der neunten pommersehen direetorenversamm- 
long), ebensowenig hat Eckstein (lateinischer und griechischer unter- 
rieht, herausgegeben von Heyden, s. 260. 264) für dieses buch ein 
Wort der empfehlung; er eonstatiert einfach, dasx es * von der schale 
verschwunden' sei. 

Diese geringe beaehtung, welche dem somnium Scipionis im all- 
gemeinen geschenkt wird, ist um so auffallender, als ttber den be- 
deutenden litterarischen und didaktischen wert desselben ein zweifei 
kaum zulftssig ist hat doch eine autoritKt wie Nägelsbach (gjm- 
nasialpädagogik s. 130) das somnium Scipionis das sehOnste unter 
allen philosophischen stücken Ciceros genannt femer hat Lehrs in 
seinen populären aufB&tzen aus dem altertum (s* 349) es als ein be- 
sonderes glflck gepriesen , dasz dieses stück aus den trümmem des 
buches über den Staat uns vollständig überliefert sei, und hat es 
rühmend anerkannt, dasz Cicero darin die Platonische unsterbUch- 
keitslehre 'sehr schOn und glänzend' zur darstellung gebracht habe, 
mit groszer wärme hat zuletzt Meissner in der einleitung zu seiner 
oommentierten Schulausgabe auf den hohen ethischen gehalt der 
sehrift und auf die in derselben ausgesprochenen erhabenen ideen 
hingewiesen und mit recht behauptet, dasz diese Vorzüge neben der 
Schönheit der spräche dem buche eine hervorragende stelle unter, 
den philosopbisäien Schriften Cicaros sichern. 

Die bedentung des somnium Scipionis für die schule liegt nun 
zunächst darin, dasz dasselbe mit einem gegenstände von allgemein- 
stem interesse sich beschäftigt die f^age nach der Unsterblichkeit 
der Seele gehört zu den uralten rätselfragen des daseins und ist der 
menschheit zu allen zeiten so bedeutsam erschienen, dasz sie der- 
selben ihr sinnen und denken immer wieder mit besonderer Vorliebe 
zugewendet hat. und auch heute musz ein jeder, wenn er nicht wie 
ein blinder durch dieses leben geben will, zu derselben Stellung 
nehmen: denn die auffassung von der bestimmung und dem werte 
des lebens hängt wesentlich davon ab , welche antwort man sich auf 
diese frage gibt, grund genug für die schale, sich auch auszerhalb 
des religionsunterricbts , wenn sich die gelegenheit dazu bietet , mit 
derselben zu beschäftigen, besonders dürfte sich ein vergleich zwi- 
schen dem antiken und dem christliehen Unsterblichkeitsglauben em- 



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Ciceros somDium Scipionis eis schullectüre. 



39 



pfehlen. übrigens liegt dem gymnasium als einer auf altclassiscber 
basis ruhenden bildungsanstalt an sich die aufgäbe nahe genug, 
seine scbtiler auch mit dem Unsterblichkeitsglauben der alten be- 
kannt zu machen, wollen wir mit unsern schülern nicht blosz auf 
der penpberie des altertums uns bewegen, sondern sie in den mittel- 
puükt desselben einführen, so diiri^n wir ihnen seine religiösen und 
ethischen grundanschauungen nicht vorenthalten, zur kenntnis und 
Würdigung der antiken unblerbiichkeit^hoÜnung liefert nun aber das 
somnium Scipionis einen wesentlichen beitrag. die darstellung, 
welche dieser gegenständ gerade hier gefunden hat, ist nicht nur 
für Ciceros eigne, sondern für die griecbisch-römische kbt nsaii;--ch;iu- 
ung überhaupt so charakteristisch, dasz der schäler in dieser be- 
ziehuDg^mauigfache anregung und belehrung empfangen musz. 

Die anläge des büchleins ist bekannt, wir wiederhulen daher 
Bur die kurze inhaltsangabe aus Lehrs populären aufsätzen s. 349: 
*der jüngere Scipio erzählt einen traum^ den er als junger mann ge- 
habt, wie der ältere Scipio ihn^mporführt auf eine sternumstrahlte 
hXShe des faimmels und von dort ihm gezeigt und erklärt habe die 
v&eDdliche grösze und eehönheit und harmonische Ordnung des welt- 
geb&ndes ond wie ▼on dort m und anter allen den weltkörpem 
diese ansere erde als ein kleiner pnnkt verschwinde, er ermahnt ihn 
nun, auf dor ihm beTorstehenden bahn als Staatsmann u]iennfldli<^ 
fortznsehreiten in gereehtigkeit nnd pietSt, durch keine bindemisse 
uid Widerwärtigkeiten abgeschreckt, im bewustsein, dast irdische 
feindselige nachrede oder rühm gegenflber der daner und grosse 
dieses weltgebäudes von Terrohwindend beschränkter nnd kurzer 
daoer sei; ebenso im bewnstsein, dasz hingegen andi ihn der lohn 
srwsrte, wie er ihm selbst geworden, in diesen regionen weiter zu 
leben und erhöhter ansehanung und erkenntois zu genieszen. 

Es ist anfMIig, dasz sich bei Lehrs ebensowenig wie bei Meissner 
«ine andentung darüber findet, in welchen wid^sprQdien sich Cicero 
hier bewegt: iam ipsa terra ita mihi parva visa est, ut me imperii 
nostri, quo qnasi punctum eins attingimns, paeniterst — sagt der 
jfingere Scipio, als im anschaoen des weltgebändes sein blick sich 
d«r erde zuwendet, von dem Standpunkt des jenseitigen betrachters 
encheint die erde als ein verschwindender teil des alte und das 
rSmische reich fast als ein nichts, folgerichtig wird daher Scipio 
Ton seinem groszvater zur pflicht gemacht, das irdische, weil es 
sichtig ist, an verachtm, dagegen das himmlische immer im auge 
zu behalten: sentio te sedem etiam nunc hominum ac domum con* 
templsri. qnae si tibi parva, ut est, ita videtur, haec caelestia Semper 
spsetato, iUa bmnsaa contemnito. ist es nun aber Cicero mit dieser 
fordemng wirklich ernst? bestimmt er die lebensaufgabe des men- 
schen Qberall so, dasz er schon hier auf <9rden sich ganz der betrach- 
tong der himmlischen dinge weihen und sich so zu der Seligkeit *er- 
wstterter nnd erhöhter ansehanung und erkenntnis' im jenseits ihn- 
Stessen vorbereiten solle? mit nichtenl vielmehr läszt er am 



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40 Oiceros Bommuin Scipionis als Bcbnllectflre. 

anfange des dritten oapitels den ältern Scipio zu seinem enkel fol* 
gendes sagen: sed quo sis, Africane, alaerior ad tntandam rem 
pnblioam sie habeto: omnibns, qui patriam eonservayerint, adiaye- 
rint, anzerinti certnm esse in eaelo, definitum locum, nbi beati aevo 
sempiterno fruantur. nihil est enim Uli principi deo, qui omnem 
mnndnm regit, quod quidem in terris fiat, acceptins quam coneilia 
eoetusque hominum iure sociati , quae dvitates appellantnr. barum 
reetores et conseryatores hinc profecti buc rerertuntur, die bimm- 
liscbe Seligkeit Tollkommenen scbauens ist also denen gewis, welcb» 
bier fttr den Staat gelebt und gearbeitet baben : denn in den augea 
des weltlenkenden gottes sind die staatlicb geordneten gemein- 
scbaften gegenständ besondern woblge&llens. wie reimt es sich 
nun, fragen wir, dasz das rOmisobe reich von dem b($beren und allein 
richtigen Standpunkt der jenseitigen betraobtnng als ein nichts er* 
scheint und doch die arbeit an demselben als eigentliche lebensanf- 
gabe des Börners bezeichnet wird, die zugleich bei dem bdchsten 
gott sich Yorzttglicber wertsohfttzung erfreue? wie reimt es sich 
femer, dasz den Staatsmännern und gerade ihnen im jenseits als 
höchster lohn die Seligkeit vollkommener einsiebt vorbehalten ist, 
wfthrend im diesseits nicht die erkenntnis des wesens der dinge, son« 
dem die arbeit fttr den Staat das letzte ziel ihres strebens und der 
eigentliche inbalt ihres lebens war? zwischen diesseits und jenseits 
gfthnt eine tiefe kluft, die zu ttberbrtlcken Cicero nicht einmal ver- 
aneht hat. 

Es ist in dieser beziehung bedeutungslos, dasz die beiden seligen^ 
welche Scipio im träume begrttszen darf, sein adoptivgroszvater und 
sein leiblicher vater, in diesem leben fireunde griecbischer bildung 
gewesen sind und so dem erkennen neben dem bandeln ein gewisses 
recht eingerftumt haben : denn dieser umstand wird nicht einmal ange* 
deutet, die vorausäetzung auch fttr ihre teilnähme an der himmlischen 
Seligkeit ist allein ehre hervorragende und fruchtbare beteiligung 
am staatsieben, wenn sich aber sonst in der sohrift ttuszerungen 
finden, in denen ttber die aufgäbe dieses lebens anders geurteilt wird, 
so dienen sie nur dazu die Widersprüche, in denen Cicero sich be- 
wegt, greller zu beleuchten, wie sollen wir z. b. mit rttcksicht auf 
die oben citierte stelle jenes wort beurteilen : homines sunt hac lege 
generaü, qui tuerentur illum globum, quem in hoc templo medium 
vides, quae terra dicitur? was wäre aus Rom geworden, wenn seine 
btlrger nach diesem gmndsatze gelebt hätten? besonders merk- 
würdig sind folgende sfttze am schlusz des ganzen: banc (naturam 
animi atque vim) tu ezerce optimis in rebus; sunt autem optimae 
curae de salute patriae, quibus agitatus et exercitatns animus velo- 
cius in hanc sedem et domum suam pervolabit. idque eo ocius faciet, 
si iam tum, cum ent inclosns in corpore, eminebit foras et ea, qui 
extra erunt, eontemplans quam maxime se a corpore abstrahet. der 
letztere satz klingt Platonisch, der erstere römisch, der widersprach 
ist augenscheinlich. 



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Ciceros somnium Scipionis als schuUectüre. 41 

Gewiä würden wir es folgerichtiger und der römischen iebeua- 
anseiiaDaDg angemessener finden, wenn die Staatsmänner auch im 
jenseits noch anteil nehmen dürften an dem Wohlergehen des Staates, 
ftlr dessen grösze zu arbeiten ihr eigentlicher beruf auf erden war, 
und wenn sie nach einem dem dienste des Vaterlandes geweihten 
leben auch dort noch an dem fortgange ihres Werkes sich erfreuen 
und in dem genusz des ruhms, den sie im gedächtnis ihrer mitbürger 
sich gestiftet, ihre Seligkeit finden dürften, und in der that bat 
Cicero anderwärts das Verhältnis in dieser weise dargestellt, man. 
vergleiche nur die behandlung der Unsterblichkeitsfrage im somnium 
Scipionis mit den äuszerungen, welche sich über denselben gegen- 
ständ im Cato maior, in dem ersten buche der Tusculanen und in. 
der rede pro Archia finden, den alten Cato iäszt er am Schlüsse des 
nach ihm benannten buches etwa folgendes sagen : niemand werde 
ihn überzeugen, dasz ein Scipio, Paulus, vater und söhn, und viele 
andere ausgezeichnete männer, so groszes unternommen haben wür- 
den ^ was in dem gedächtnis der nachweit fortleben sollte, ohne die 
bestimmte voransaicht, dasz sie davon in einem andern leben eine 
erapündung luiben würden, anch er selbst hätte so grosze mühen 
bei tage und bei nacht, zu hause und im leide nicht auf sich genom- 
men, wenn er des glaubeus gewesen wäre, dasz der so >;i;cwonnene 
rühm sich auf die grenzen dieses lebens beschränken sollte, es wäre 
ja in diesem falle besser für ihn gewesen, sein leben iu unthätiger 
musze ohne alle mühe und anstrengung zuzubringen; aber: optimi 
cuiusque animus maxime ad immortalitatem gloriae nititur, und 
dieses ist ein beweis für die Unsterblichkeit der seele. ganz ähnlich 
toszert sich Cicero Tascul. I 15. etwas problematischer drückt er 
sich in der rede für Archias ans: zwar erklärt er auch hier den rühm 
ftr den allein würdigen lohn aller zum besten des Staates tlber- 
Bommenen rnttben nnd gefahren, er Ittszt es indessen dahin gestellt, 
ob es ihm vergönnt sein werde, denselben in einem jenseitigen leben 
zu genieszen. nadi dem Torgange der weisen ist er jedoMi geneigt 
dieses zn hoffen. 

Wie ganz anders klingen diese ftnszemngen ttber die Seligkeit 
des jenseits, wie echt römisoh sind sie und wie so ganz frei von 
jenem widersprach , der das somninm Scipionis kennzeichnet, dort 
erndielnt dieselbe wirklich als vollendender abschliftz des diesseitSf 
hier aber werden die römischen staatsmfianer in den bimmel der 
grieolliBchen pbilosophen versetzt, wo sie eigentlich nichts zn snehen 
haben, weil dieser ihnen anf erden ganz gleichgültig war. zwischen 
diesseits nnd jenseits ist dort ein organischer Zusammenhang, hier 
nur eine mechüuiische Verbindung. 

Es wohnen eben zwei seelen in Ciceros brüst« eine römische 
vnä eine griechische, die nur finszerlich verbunden sich von einander 
trennen wollen : so aufrichtig und warm seine begeisterung für die 
griechische philosophie ist, sie vermag doch nicht die römische grund- 
Isge seines wesens zn ttndern. so ist es gekommen, dasz er es zu einer 



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42 Ciceros Bomaium Scipionis als schullectüre. 

einheitlichen und zusammenliLingenden auffassung weder in dieser 
frage, noch überhaupt in den letzten fragen des lebens gebracht hat. 
aub dem unvermittelten nebeneinander römischer und griechischer 
lebensanschauung flieszen die zahlreichen inconsequenzen und Wider- 
sprüche in den philosophischen Schriften Ciceros überhaupt , welche 
eine gedeihliche lectüre derselben in der schule in erheblichem masze 
zu beeintrScbtigen yermögeu , wenn dem scbttler nicht zum bewust- 
sein gebracht wird , dasz der letzte grnnd dieser eraebeinong nicht 
in der mangelhaften beanlagung Ciceros für die pbilosophie« scmdem 
in den sehrtuaken gesudit werden müsse, welche der rdaiischeii eigen- 
art als solcher gezogen waren« Cicero ist uns »somit ein typus des 
griecbiscb gebildeten Bömertnms überhaupt. 

Zur richtigen benrteilnng des somnium Scipionis ist es nOtig 
die Schüler aus dem Phaedon — wenn sie denselben nicht schon ge- 
lesen haben — mit der Platonischen nnsterblicfakeitBlehre knrz be- 
kannt zu machen, es genügt, sie auf besonders bezeichnende stellen 
ans cap.Yin bis XII, dann aas cap. XXVn ond XXXIY hinzuweisen« 
aus diesen wird der schttler leicht erkennen , in einem wie innigen 
zusammenhange bei Plate diesseits und jenseits stehen: derphilosoph 
lebt hier schon im geiste in jener weit, in die er nach dem tode ganz 
eingehen soll, nachdem die seele den leib, der sie an der erkennints 
des Wesens der dinge hindert, verlassen hat« freudig sdieidet er aus 
diesem leben in der festen zuTersicht, in einer höheren daseins- 
form zum schauen dessen zu gelangen, was ihm hier noch dunkel 
und verborgen war. sehr schön sagt E. Curtius in seiner rede über 
die idee der Unsterblichkeit bei den alten (altertum und gegenwart 
I 8. 236): ^Socrates freute sich auf den tod, weil er ihn erlösen 
würde von dem, was ihn in s«nen betraehtungen störte; sein eigen- 
stes leben wollte er also nur fortsetzen unter günstigeren verhttlt* 
nissen und in höherem luftkreise die flflgel der seele, die hier ge- 
bundenen, regen.' * 

So widerspruchsvoll aber Oiceros auffassung von dem wesen 
der Unsterblichkeit und so einheitlich und in sich geschlossen die Pla- 
tonische ist, eine gewisse parallele lassen sie doch zu : vollkommene 
Seligkeit wird nach Cicero den Staatsmännern, nach Plate den Philo- 
sophen zu teil, die übrigen menschen , mögen sie auch sonst redlich 
gewesen sein, erscheinen von derselben ausgeschlossen. Cicero wür- 
digt sie überhaupt keiner beachtung; Plate gesteht ihnen wenig- 
stens eine niedere existenzform zu; 'zu dem geschlechte der götter 
aber zu gelangen, das dürfte keinem andern als dem wiszbegierig 
der Wahrheit nachstrebenden und durch sie geläutert vom leben 
scheidenden gestattet sein' (Phaedon cap. XXXII)« dasz so die weit 
überwiegende mehrzahl der menschen von der anwartschaft auf die 
Seligkeit des jenseits ausgeschlossen ist, kümmert den antiken Staats» 
mann oder philosophen nicht: die masse hat für ihn eben keinen 
wert, es ist dieses ein so charakteristisches merkmal antiker lebens- 
anschauung, dasz der schüler unter allen umständen darauf hin- 



Ciceros somniam Scipiouis als schullectüre 



43 



gewiesen werden musz. zum rechten verstfindnis wird er allerdings 
nur dann gelangen, wenn das Christentum zum vergleich heran- 
gezogen wird, dasz dieses überhaupt überall da, wo es sich um die 
höchsten lebensfragen handelt, mit dem alterum in parallele ge- 
stellt werden müsse, wird niemandem zweifelhaft sein, der sich 
über das letzte ziel unserer höheren schuibUdung wirklich klar ge- 
worden ist. 

Was lehrt nun das Christentum im unterschiede vori dem 
altertinii übor die unsterltlichkeii oder richtiLrer über die Selig- 
keit eines jenscitigon Icbens? an welche büdmgungen knüpft es 
die erlangung derselben und welchen wert raiszt es m dieser be- 
ziehung der teilnähme am staatsleben und der beschäftigung mit der 
Philosophie bei? 

Das neue testament ist durchaus nicht staatsfeindlich ; auch im 
heidnischen Staate achtet es eine göttliche einrichtung. nicht nur 
bat Christus geboten^ dem kaiser zu geben, was des kaisers ist, son- 
dern auch der apostel Paulus bat im XIII cap. des briefes an die 
Römer kein bedenken getragen, die heidnische obrigkeit für eine 
göttlich verordnete zu erklären und gehorsam gegen dieselbe um 
gottes nnd des gewissens willen zu for^m. indessen ist dasohristen- 
tnm weit entfernt, den Staat als die ToUkommenste darstellung sitt> 
lieher gemeinsohaft und die erflUlung der bürgerlieken pfliekten als 
die hO^te aufgäbe des menseken zu bezeichnen, das Christentum 
kennt ein reich ^ das grösser und kerlicker ist als das rOmiscke und 
sb alle räche dieser weit, das reick gottes, in welckem alle Völker 
aad alle menseken gleiches bürgerreokt zu erwerbeii berufen sind, 
wenn im somnium Scipionis dem jüngemScipio zur pflicht gemacht 
wird: iustitiam cole et»pietatem, quae cum magna in parentibus et 
pTopinquis , tum in patria mazima est, so verlangt dieses auch das 
ehiistfflitam^ aber es stellt dem^ menschen noch andere und kökere 
aofgaben. zur erfiülung derselben gelangt er indessen nickt auf dem 
Wege pkilosopkiscker forsokung, die ckrisÜicke tugend beruht nicht 
«of dem wissen, yiefanehr sagt Christus: ^lasset die kindlein zu mir 
kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das reich gottes.' 
ja er preist den vater ^ dasz er das wesen seines reiches den weisen 
und klugen verboi^n und den unmündigen geoffenbäret habe, der 
sjMitel Paulus aber setzt sich in den ersten beiden capiteln des 
mUia briefes an die Eorinther gemdezu mit der grieohis^en Philo- 
sophie auseinander, welche trotz ihrer Weisheit gott nidit habe fin- 
den kitnsien; und gerade darum *weil die weit durck ikre weiskeit 
gott in seiner weiskeit nickt erkannte, gefiel es gott wohl durch 
tb5rickte predigt selig zu machen die, so daran glauben', mit 
diesem worte hat Paulus zugleich das unterscheidende merkmal des 
Christentums bezeichnet, das evangeUum ist Offenbarung göttlicher 
g&ade, welche als solche für den forschenden menschengeist uner- 
grttndlieh, allein im glauben, in der vertrauensvollen hingäbe des 
herzens, erfaszt und erfahren werden kann. 



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44 



CiceroB somaiuiu Scipiouis als ecbullectüre. 



Die natürliche frucht do6 glaubens aber ist die liebe (iricTlC bl* 
dtotTTric evepTüuuevTi) , sie ist zuf^leith das band, welches die orUui- 
bigen zu L'inur gemeinscljaft der gotteskinder vereinigt, dem an- 
fange bier auf erden entspricht die Vollendung im himmel, wo gott, 
der die liebe ist, 'alles sein wird in allen'. 

Wenn aus dem gesagten hervorgeht, dasz in dem somnium 
Scipionis durchaus nicht, wie Meissner meint, alle teile sich zu 
einem ganzen zusammenfügen, so fragt es sich doch, ob es ratsam 
ist, die Schrift vor den äugen des Schülers in ihre heterogenen be- 
standteile aufzulösen und diese gewissermaszen als handhaben za 
80 weitgehenden erörterungen zu benutzen, kann das fordernd sein? 
wir meinen, doch I znnSebst lese man die sobriit im zneammeiibange 
nnd lasse sie als ganzes wirken^ dann erst behandle man sie in der 
angegebenen wasOi indem man die sehfller anldtet, die hauptsacben 
selber zn finden, dabei vermeide es der lebrer ja, mit einer gewissen 
absiditlicbkeit auf sie religiOs einwirken an wollen; damit kannte 
er leicht alles verderben, pädagogischen takt bat er bier vor allem 
nStig. besonders sei er gerecht gegen das altertnm und erkenne in 
vollem masze an, was der anerkennung würdig ist« und dessen ist 
gerade in dem somnium Scipionis , wie auch Meissner am Schlüsse 
der einleitung zu seiner ausgäbe hervorgehoben hat, eine reiche fttlle. 
es schwebt über dem ganzen baobe ein so hoher sittlicber ernst, und 
die darstellung ist tiberall von einer solchen erbabenbeit und feier* 
liebkeit, dasz der leser unwillkttrlicb davon ergriffen wird, diese 
Vorzüge dürfen uns indessen nicht bindern, auf die mftngel der zu 
gründe liegenden lebensanscbauung hinzuweisen, vor allem darum^ 
weil nur so ein wirkliches Verständnis des bucbes mdglicb wird, wer 
freilich der meinung ist, dasz die altclassiseben litteraturwerke auf 
Schüler nur dann ihre Wirkung üben kdnnen, wenn sie ihnen als 
absolut vollkommene erzeugnisse des menschengeistes dargestellt 
werden, der wird sich mit einem solchen verfebren nicht einverstan- 
den erklären, unseres eracbtens jedodi sind jene werke nur relativ 
vollkommen und können auch in der schule erst dann recht gewür- 
digt werden, wenn sie vom culturbistoriscben gesicbtspnnkt aus be- 
trachtet und bebandelt werden« nur so wird es möglich, den wirk- 
lichen idealgebalt des altertums festzustellen und dem bewustsein 
des Schülers zu vermitteln und ihn zugleich zu befiihigen, ein auf 
kenntnis antiker lebensanscbauung gegründetes Werturteil über den 
religiösen und ethischen gebalt des Christentums zu fSllen. 

Mbmbl. Paul Salkowski. 



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Der gjmnasialunterricht in Spanien. 



45 



4- 

BEB, GYMJSASlALüNTEßBICHT IN SPANIEN. 



Eine gedrängte, aber auf eigner anschauung und erfahrung ge- 
gründete nachricht von dem höhem , unseren gjmnasien und real- 
schulen entsprechenden Schulwesen Spaniens darf eine zwiefache 
teilnähme beanspruchen: die der lehrer, welchen in dieser zeit neu 
enthrannteii kämpf es zwischen der antiken und modernen bildung 
der für beide parteien lehrreiche, aber tramrige anblick der folgen 
einer völlig mislnngeiien anadOhnung dieser widerstrebenden rieh- 
taugen yorgefflhrt wird; und die der vielen freunde des spanischen 
Volkes, weläes im begriffe steht, sich durch annähme des aUgemeinm 
Stimmrechts auf einen weg zu begeben, den nur eine in ernster arbeit 
ideal erzogene nation ohne jene gefahren wandeln kann , welche seit 
hundert jähren das dasein des leichtsinnigen Frankreichs bedrohen« 

Ein wort vorher von der spanischen Volksschule, sie ist selbst* 
verstttndlich nicht verbindlich; jedermann hat in Spanien unter 
anderm auch die freiheit, wie der wilde im busoh au&uwachsen. im 
übrigen ist die spanische Volksschule, sei sie von den gemeinden 
oder von der kirche oder von sonstigen genossenchaften eingerichteti 
ttidit so schlecht wie man als Deutscher auf den ersten anblick 
glauben möchte* das spanische kind, im aQgemeinen weit lebhafter, 
firagelnstiger, kurz geweckter als das deutsche, lernt lesen und 
schreiben in äusserst kurzer zeit, nicht belastet wie dieses mit zwei 
oder vier alphabeten, beglückt ausserdem mit einer rechtschreibung, 
deren regeln unverbesserlich einfach und klar sind^ und endlich von 
hause aus gut vorbereitet durch den fleiszigen gebrauch der mutter- 
spradie, die den hindern nicht wie in unserm von mundarten wim- 
melnden Deutschland, in der schule als etwas fremdes, neu zu er* 
lernendes erscheint, der deutsche lehrer bezeuge den unschfitzbaren 
wert dieser vorteile, welche es möglich machen, die Schwierigkeiten 
der lese- und schreibekunst in wenigen monaten sjuelend zu über- 
winden, bald f&hig, flieszend zu lesen, nehmen die kleinen schÜler 
mit leichtigkeit die notwendigsten begriffe und anschauungen der 
spanischen und allgemeinen erdbeschreibnng, der vaterlflndischen 
gesehichtOf der naturgeschichte und naturlehre, die lehren der religion 
and die gangbaren Vorschriften der — höflichkeit aus vortrefflich ab- 
gefaszten handbüchlein zu einer zeit in sich auf, da der deutsche magi- 
ster noch im schweisze seines angesichtes sich abmüht , seine buhen 
durch die disteln und dornen eines sogenannten lesebuchs zu lavieren, 
daneben bleibt in den zwei oder drei jäbrchen — höchstens — volks* 
Schulunterrichtes noch übrig zeit für die einttbung der wichtigsten 
regeln der rechnenkunst. es gibt auch einen sogenannten höbern 
elementarunterricht, wo dieses alles vertieft und befestigt, auch wohl 
etwas französisch gelernt wird, aber die eitern | welche ihre jungen 
gern schon mit zwölf jähren in die lehre thun, lassen sich insgemein 
nicht darauf ein. > 



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46 



Der gymnasialunterricht in Spanien. 



Jene dürftigere, aber vermöge der eigenart des spanischen und 
der leichtern fassungsgabe des Spaniers nicht so sehr in der Wirklich- 
keit wie dem anschein nach mangelhafte elementarschulbildung ge- 
nügt als Vorbereitung anf den besuch der institutos (staatliche) oder 
colegios (privatgjmnasien), die wir in diesen zeilen betrachten, es 
gibt keine a&stäten, die man den deutschen realgjmnasien an die 
Seite stellen könnte; yielmohr soll die spaniscke höhere schule 
(segunda ensenausa, 8w«ter nnterricht) die vorteile des gynmasinma 
nnd der realschnle veremigen. mit welchem gesefaiek dies in Spanien 
yersucht worden ist, ahnt man schon mit bangen, wenn man erffthrt^ 
dasz diese mnsteranstalten nach aosschlusz des griechischen — wel- 
ches man an den omyersitttten etwa bis zam verstftndnis eines alt- 
grieohiscben lesebnchs erlernen kann — alle fftoher des deutschen 
gjmnasinms und realgymnasinrns in ffinf jähren bewttltigt, das jähr 
8U 37 Wochen und die woche su durcbscbnittlicb 26 lehrstanden ge- 
rechnet, so dasz ein spanischer junge mit ordentlicher begabung mit 
14 jähren abiturient (bachiller) sein kann nnd dies siel auch in der 
that mit 14 — 16 jähren erreicht 

Nach dieser ersten ttberraschung sehen wir lu, wie solche wun- 
der im einseinen zn stände kommen, der nachstehende Stundenplan 
tiberhebt uns langer auseinandersetsungen. folgendes ist die lebr- 
ordnung spanischer gymnasien. 

L jähr. 

wSchentl. Stundenzahl 
9 

> ^V2 

jede woche 13V2 stunden» 

n. jähr. 

. 9 



jede woche 137^ stunden.. 



in. jähr. 

rhetorik und poetik 9 

rechnen und algebra • 9 

weltgescbichte 4V2 

französisch oder englisch 4^2 

jede woche 27 stunden. 

IV. jähr. 

geometrie und trigonometrie 9 

Psychologie, logik und moral 9 

französisch oder englisch 



jede woche 22 stunden.. 



latmnisch und spanisch 
erdbeschreibung. . . 



lateinisch und spuüibcb 
gü^ckichte Spaniens . 

I 



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Der gjumatiiaiuüterricbt iu Spaoien. 



47 



V. jähr, 

fach wöchentl. Stundenzahl 

naturlehre und chemie 9 

naturgeschichte , pbysiologie und gesundheitslehre . 9 
&c kerb au (sie) 9 

jede wocbe 27 Biundeu. 

Der leser sieht, dasz die mitgeteilte lebrordnung, welcher der 
unterzeichnete lehrer sich wohl oder übel mit seinen schülein hat 
nnterwerfen müssen, weit entfernt, die wunder, welche das spanische 
gymnasiam in der Vereinigung realer und idealer arbeit wirkt, zu 
erklären, nur noch unbegreiflicher macht, griechisch lernt der 
spanische jüngling nicht, und lateinisch oberflächlich, dafür aber 
lernt er anszer allem, was Deutschlands weisheittriefende anstalten 
lehren, reden halten und verse machen oder wenigstens beides nach 
den gesetzen der knsst beorteilen, die donkeln tiefen der mensch- 
Uehen eeele erforschen, seinen leih nach den Torsehriften Hippo* 
krateas bdiandehi und gar — getreide bauen und reben siehoi, 
dieses letztere üftcb klmgt so unwahrscheinlich , dass ich mich iQr 
versttclit halte , dessen dasein mit öfma juiaKpd zu hekrftftigen* das 
lefarbudi der agricultnra kostet 20 franos, ich babs erfahren, da 
k<tome doeh einer und verlange mehr! die Staats- und schnlmfinner, 
die vor 30 jähren diesen lehrplan eingerichtet haben, wollten jeden- 
falls ihren 8((hnen aller erfasidichen — und un&ssbaren — Weisheit 
thttren sperrangelweit Sffiien und Spanien in einem vierteljahr- 
hundert zum gelehrtesten und gescheitesten lande der weit machen« 
wenn die beutigen Spanier von ihrem wissen und können eine be» 
scheidene meinung hegen , und nach dem urteil der gelehrten weit 
die fortsebritte in ders^ben sieh auch ohne die beihilfe der spanischen 
weisen vollziehen wflrden, so mnsz die absiebt jener berren sich dort 
nicht verwirkliebt haben« 

Vielleiebt bat die saehe doeh ihre haken. Ton fremden sprachen 
lernt der spanische gymnasiast zumeist nur das lateinische oder 
InuttQsbcfae. es ist selbstverstttndlieh, dasz er, einer so ausgezeichnet 
wie das spanische erhaltenen neulateinischen spräche mttchtig, auf 
die aneignnng jener zu der seinigen im Verhältnis von mutter und 
sdiwester stehenden sprachen weit weniger arbeit und zeit zu wenden 
braucht, als der dentsdie schfiler, der wort um wort, form um form 
sich mObsam einprSgen musz. er gebraucht zwei jähre, um lateinisch 
so lernen — was sage ich? um declinleren und oonjngieren, einige 
dntzend bei dem mangel jeglicher ttbersetzungsttbungen unverdau- 
liche sjntazregeln zu lernen und aus einem ungeschickt aus der bibel 
nad den spanischen schriftsteilem der sinkenden latinitftt zusammen- 
gssloi^lten lesebuch einige stflcke ins spanische zu tibertragen, ob 
die kenntnisse und fthigkeiten, die der scbüler in diesen zwei jähren 
erwirkt, hinreichen, um in die lateinische litteratur, in das geistes* 
leben der alten Bdmer einzufahren, ist mehr denn fraglich, zweifei- 



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48 



Der gymnasialunterricht in Spanien, 



haft ist sogar, ob sie genügen, um dem scbüler zu einer tiefern 
kenntnis seiner muttersprache zu verhelfen, ein zweck, um dessen 
willen eigentlich das lateinische noch nicht wie das griechische aus 
dem lehrplan gestrichen worden ist. gleichwohl ist eine grosze Ver- 
trautheit mit dem lateinischen durchaus notwendig, um nicht etwa 
das Tolksspanisch, so doch das litterarische, insbesondere wissen- 
schaftliche spanisch grflndlich zu verstehen und fehlerlos zu schreiben, 
dieses spankdi, dessen verstBitdnis don nicht hoher gebildeten 
Spanier mehr oder weniger dunkel ist» empf&ngt seinen eigentflm- 
lichen Charakter durch die tansende ?on werten , Wendungen und 
Satzbildungen , die nicht in ununterbrochener ttberlieferung aus der 
zeit römischer berschaft in Iberien stammen, sondern von den 
schriftstdlem und gelehrten zu allen zeiten, besonders aber seit den 
Jahrhunderten der renaissance aus dem lateinischen unmittelbar und 
ohne grosze lautliche Snderung auf das spanische aufgepfropft worden 
sind, es sind die gelehrten demente in der spräche, volksttlmlich 
sind estreoho (eng), que (dasz) mit dem indicativ ; gelehrt sind 
estricto, das mit estreoho von demselben lateinischen strictus 
kommt, und der accusativns cum Infinitive statt der analytischen 
satzform mit que. diese gelehrten elemente des spanischen über- 
wiegen natürlich in allen wissenschaftlichen arbeiten, die daher ftlr 
den Spanier, der sich nicht mtthsam deren technioismus angeeignet 
hat, noch weit unverstandlicher sind, als unsere mit fremd werten 
gespickten lehrbtlcher dem deutschen schtller, der nicht griechisch 
und lateinisch kann, um so überraschender ist es also, dasz die 
schule, welche gerade auf das gelehrte Studium vorbereitet, dem 
lateinischen nur zwei schlecht benutzte Jahre widmet, ja nicht ein* 
mal emstlich daran denkt, die lateinischen Unterrichtsstunden, ob- 
wohl derselbe lehrer beide sprachen zu lehren hat, für das spanische 
nutzbar zu mijphen. nach den spanischen grammatiken, die hier auf 
den gy mnasien gebraucht werden, zu urteilen, scheint der spanischen 
lebrerscbaft im allgemeinen nicht nur der wille, sondern sogar die 
ffthigkeit abzugehen, wo diese ausnahmsweise schlechten lehrbttcher 
einmal auf das Verhältnis zwischen lateinisch und spanisch zu spre* 
chen kommen, fördern dieselben einen unsinn zu tage, der den jungen 
romanischen philologen einer deutsehen Universität im ersten Seme- 
ster stutzig machen würde, mit welcher gewandtheit diese gelehrten 
berren über die spracbentwicklung verfügen, zeige ein beispiel für 
viele, der gjmnasiallebrer Commeleran, der vor einem monat wegen 
seiner sogenannten Verdienste in die akademie eingetreten ist, leitet 
in seiner spanischen grammatik, die hundert jabre vor Diez' roma- 
nischer grammatik geschrieben zu sein scheint, den spanischen inf. 
ser (sein), folgendermaszen von esse ab: esse, durch metatbesis 
sees, durch Verwandlung des schlusz-s in r seer, endlich ser. 
ziemlich alles ist so gehalten. 

Die dem lateinischen gewidmete zeit ist unter diesen umständen 
als gänzlich verloren anzusehen« am schwersten fällt zur beurteilung 



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Der gymnasialaiiterricht in Spanien. 49^ 



dieseB restes dassisclieT Studien ins gewicht, dasz, wtthrend das latei-^ 
Buche dem deutseben gjmnasiasten die ganze weit der romanischen 
spnehen öfihet^ der Spanier natürlich durch die oberflSchliche kennt- 
DiB des lateinischen nicht mehr fSrderung zum eindringen in fremdes 
sprach- und geistesleben empfängt , als ihm schon seine romanische 
mutterspracbe gibt» eine wirkliche erweitemng seines horizontes 
wfirde der Spanier nur durch gründliches Studium einer germani- 
fldien spräche erlangen, davon ist aber nicht die rede auf spsnisehen 
Ubem schulen, deutsch versteh«i ist in Spanien der gipfel alles 
«issens. würden wir in Deutschland nicht auch auf eine tiefere 
sfaife sinken, wenn das lateinische beschränkt oder gar unterdrückt 
wfirde? 

Man übersehe nicht, dasz in den beiden ersten jähren die schüler 
aor 1372 stunden wöchentlich haben, es ist unerfindlich, weshalb 
man die zeit so vergeudet und im dritten plötzlich von den schülem 
die doppelte arbeit verlangt, man könnte glauben, dasz dabei an 
eine rttcksiehtnahme auf die körperliche entwicklung gedacht worden 
wire» die absieht wftre dann in der that zu loben, aber sehr zweifel- 
haft, ob das faullenzen in gewissen jähren der physischen und sitt- 
fiehen gesondheit zutrSglicher ist als die regelmSszige , nicht über- 
triebene geistesarbeii die nicht staatlichen coUegien füllen dann die 
uii auch auf ihre weise aus. 

Geographie und die geschichte von Spanien können je in einem 
jihre in 180 lehrstunden schon studiert werden, was aber be- 
greifen die knaben von der geschichte Spaniens und der astrono- 
mischen geographie in einem alter von 9 — 11 jähren? wieviel be- 
halten sie davon, wenn nach diesen einzigen cursen die beiden fäeher 
ToUstftndig vemachlfissigt werden? ganz sicher müssen wir auch 
dio ihnen gewidmete zeit als verloren und somit die ganzen beiden 
«rsten jabre dieser merkwürdig geordneten gymnasialstudien als 
zwecklos verschwendet ansehen, die knaben gewöhnen sich wfthrend 
derselben ans bummeln und, der völligen Unfruchtbarkeit der in 
ihrem verlauf gemaditen Studien bald sich selbst bewust, an eine ver- 
hingnisvoUe geringschätzung wissenschaftlicher thittigkeit im allge- 
meinen, aber so haben es die gegner der elassischen Studien ja ge- 
wollt: ein zngestttndnis von einigen lehrstunden an dieselben gemacht 
und alle übrige zeit und kraft den realien gewidmet^ ohne zu be- 
denken, dasz die verachtungy mit der man ehrwürdige Überlieferungen 
behandelt, der nenerung, die an ihre stelle tritt, den schwersten 
aehaden zufügt, so sehen wir denn auch in den weiteren jähren sich 
die fehler der ersten wiederholen, unter dem verwände, ein fach in 
kurzer zeit und wöchentlich vielen lehrstunden abzumachen , mutet 
man den schülern zu, in einem jabre die fragwtlrdigsten Vorschriften 
der guten Schreibart, der wohlredenheit und versemacherei zu ver- 
dauen, in gleicher zeit den ganzen, reifen verstand erheischenden 
sofban der zififer- und budistabenrechnung bis zum binomischen lehr* 
Mtz ZU studieren, sich in neun monaten die lehre vom ackerbau aus 

K. Jthf^ f. phll. a. päd. lU ftbl. 1S90 hft, 1. 4 



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50 



Der gymnasialiintemcht in Spanien. 



einem dickleibigen bandbach anzueignen und nebenher noch, jedes- 
mal in ein oder zwei jähren, sich einiger dinge zu befleiszigen, die 
mit den hanptfUchern ganz grundlos zusammengeworfen werden, 
um für jedes studienjalur einen sogenannten fachcydus zu bilden, 
alle erprobten grundsfitze der erziehang sind in diesem studienplan 
bei Seite gesetzt worden, nachdem man einmal von der seele der 
alten lehrordnnng, dem fortgesetzten, eindringlichen und zu erfassung 
schwieriger ideenbildungen und gedankenreihen vorbereitenden 
Studium des lateinischen nichts mehr hat wissen wollen, der ge* 
Schichtslehrer beklagt sich, dasz die knaben noch nicht genug spa- 
nisch verstehen, um seinem vertrag mit vollem verstSndnis zu folgen, 
der Professor der philosophischen Unterrichtszweige findet, dasz seine 
hOrer keine Übung darin haben, eine längere reihe von sützen zu 
ttberschauen und die eingehende entwicklnng einer idee bis zum 
schlusz zu verfolgen, alle andern stimmen darin aberein, dasz nur die 
eigens dazu begabten schttler am ende der gjmnasialzeit eine selb- 
ständige und nicht allzu oberflftchliche darstellung eines abschnittes 
irgend einer der bis dahin gelehrten Wissenschaften liefern können, 
es ist das sehr natflrlich. nach einer beschneid ang des lateinischen, 
die völliger ausscfaeidung fast gleich kommt, und einer zu gunsten 
des kampfes ums leben gemachten Verkürzung der lemzeit auf fünf 
jähre küin der lehrer sein fach in der zugemessenen zeit wohl 
erklftren — dies ist denn auch die amtliche bezeichnung seiner 
thfttigkeit: explicar la asignatura — nicht aber hat er gelegen- 
heit oder zeit, die theorie durch reichliche tlbungen zu befestigen und 
nutzbar zu machen, was schule sein sollte, ist zum hörsaal, der 
lehrer zum eatedr&tico, der schtller zum hörer geworden, regel- 
mässige schriftliche Übungen, planmäszig geordnete lösung von auf- 
gaben , erklfirung vollständiger stücke hervorragender Schriftsteller, 
anfertigung von spanischen aufsfitzen sind längst aus diesen akade- 
mischen schulzimmem verwiesen, und an ihre stelle ist die herschaft 
der theorie getreten. 

Da auf diese weise die belebende arbeltsgemeinscbaft der lehrer 
und Schüler aufgehoben ist, sind jene auch nicht in der lage^ am 
ende des jabres zu sagen, welche von ihren börern befriedigende 
kenntnisse erlangt haben, und um dies festzustellen, finden vor be- 
sonderen tribunalen prQfnngen statt, welche noch ihr übriges thun, 
um die staatlichen gymnasien und den gjmnasiallebrerstand um 
ihren guten ruf zu bringen, die regierungsanstalten sind gezwungen, 
sich durch milde beurteilung der leistungen die wenigen ihnen von 
den privaten collegien noch nicht entzogenen besucher zu erhalten, 
übrigens flieszen ihnen noch reichliche gebühren von den Schülern 
anderer anstalten zU; welche vermittels ablegung eines ezamens vor 
einer amtlichen, aus den lehrern der staatlichen schule gebil leten 
commission ihren Studien gesetzlich anerkennung verschaffen wollen, 
hier aber beginnt erst das ärgernis und die verrottung. die öffent- 
lichkeit dieser prüfungen setzt das verfahren und die beschlüsse der 



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Der gjrmiiAsialuiitemcht in Spanien. 



51 



tnbanale der krittk ans und besehrKnki die fireiheit ihres Urteils, 
selbst der wohlgemeinte versnch durch ^ratsetzung amtlicher prür 
fimgsprogramme und anslosnng einer gewissen sabl von fragen aus 
denselben dem Vorwurf der Parteilichkeit su begegnen, bat natürlich 
die nnabhibigigkeit der prflfenden lebrer noch mehr gehemmt und 
den schalem die geistloseste , aber sicherste Vorbereitung auf das 
examen leicht , oft kinderleicht gemadit. so sind diese gymnasial* 
examina für ausw&rtige schttler zum gespött des Tolkes geworden, 
ille drei monate — so oft finden dieselben statt — findet man in 
den tagesbl&ttem sablreiche anzeigen Ton privatlehrern, die ver- 
sprechen in 3 — 6 monaten auf das bachillerezamen vorzubereiten, 
man traut seinen äugen nicht; aber es ist so, und mit dieser einzigen 
tbatsache ist das spanische gymnasium — ohne griechischi mit wenig 
latein und einer fttlle von realien — gerichtet« 

So ist denn auch das instituto in der anschauung des volkes 
em humbug , der stand seiner lehrer gering geachtet und schlecht 
besoldet, and die bildung , welche es gibt, als schein und flitter ver- 
schrieen, diese anstalt aber bereitet zur hochschule, und zu d«i 
Tersehiedenartigsten laufbahnen vor. welch ungeheuren schaden 
muBS sie also im laufe von drdszig jähren angerichtet, wie viel 
halbwissen und hohlhelt erzeugt, wie viel unfähige menschen zu amt 
und würde gebracht ^ welche Öde in den Wissenschaften geschaffen 
beben I man suche nicht immer im Charakter und in der geschichte 
der Spanier die erklfimng und beschOnigung fftr die mlingel ihres 
Isndes. eine gute mittelschule würde binnen 25 jähren aus dieser 
hoch veranlagten nation, die sich jetzt als eine der letzten betrachtet, 
eine der ersten Europas machen. 

Die spanischen lehrbflcher sind — mit ausnähme der spanischen 
grammatiken — vorzüglich, aber dieses Zugeständnis , welches die 
g«rechtigkeit verlangt, verurteilt das spanische gymnasium vollends, 
wenn trotz so ausgezeichneter Schulbücher die ergebnisse nach dem 
Zugeständnis aller parteien — und der schulmänner selbst so ganz 
unsagbar gering sind, so tdigt eben die schule die schuld. 

Madrid. £. VoasL. 



5. 

UBÜTSCH - LATEINISCHES ÜBUNGSBUCH FÜR QUARTA IM ANSCHLUZ 
AN DIE LEOTÜRB DES CORNELIUS KEPOS VON DR. NeTZKER, 
OBERLEiiRER IN FORST, UND R ADEMANN, GYMNASIALLERER IN 

COTTBUS. Gotha, i' . A. Ir'ürtbes. 1889. VI u. 243 b. 8. 

Das Netskersche Übungsbuch fttr IV ist nach folgendem Schema 
SQ%ebaut: 1) dass-sfttse, 2) participien und conjunctionen, 3) gerun* 
dium und snpinum, 4) conjunotiv in relativ- und abhängigen frage* 
sfttzen, 5) rectionslehre, 6) Ortsbestimmungen; 7) accusativ, 8) datir, 

4* 



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52 Netzker u. Rademann: detttsch-latemisclieB Übungsbuch für quarta. 

9) genetiv , 10) ablativ. mit dieser reibenfolge der pensen werden 
sich die meisten fachgenossen einverstanden erklSren, denn es ist 
durchaus nOtig, Tor der casnslehre, schon wegen derlectüre, die 
demente der satzsyntax vorwegsnnehmen und zwar in solchem um- 
fange, dasz der sehttler mit acc. e. inf., abl. abs., gemndium, partic, 
nt und ne gewandt und mit gewissem sicherheitsgefUhl umgehen 
können masz, ehe er zu den casusregeln geführt wird, ich habe von 
jeber einer stttrkeren betonung des satz- syntaktischen vor der 
casuslehre in IV das wort geredet, und bin stets der meinung ge- 
wesen > dasz* man letzterer zu yiel wert beilegt und zn viel zeit 
widmet, vieles aus ihr läszt sich in III gelegentlich der zweiten 
durchnähme ergänzend hinzufügen, ich halte es noch heute für viel 
bedenklicher^ wenn ein schfiler in IV die Verwendung des acc c. inf« 
nicht genügend gelernt hat, als wenn er sequi einmal mit dem dativ 
verbindet, darum habe ich auch an dem umfange des satzsyntakti- 
schen teils in Netzkers ttbungsbuch (71 Seiten) an sich weniger 
einzuwenden, obwohl es mir scheint, dasz er manche regel nicht 
hätte zu berficksichtigen brauchen | z. b. quo, quominus, quin, die 
eonjunktivxschen relativsStze und die supina. von gewissen dingen, 
wie vom abL abs« , lassen sich nicht leicht zu viele beispiele dar* 
bieten, von andern genügen ein paar mustersätze. nicht zusammen- 
geworfen h&tte ich die beispiele fttr ut consec* und ut finale, sondern 
es emp&hl sich wohl, ut und ut non als gruppe zuerst einzuüben, 
dann ut — ne als gegensätzliche; ein dritter abschnitt konnte dann 
vermischte beispiele bringen. 

In der rections- und casnslehre ^It mir folgendes auf : 
die rectionslehre ist zu ausfllhrlieh; man m5ge doch bedenken, dasz 
das mdste von dem, was in diesem capitel als hochtrabende regel ein* 
herstolziert, schon seit der sexta praktisch vozgekommen ist^ und dasz 
anderes gar nicht so wichtig ist, wie es sich in einer systematischen 
grammatik ausnimmt, in der casuslehre verdient der ablativ nicht den 
letzten, sondern den ersten platz, gleich nach den Ortsbestimmungen, 
denn er ist der wichtigste, schwierigste, zeitraubendste casus, hebt 
man sidi diesen könlgsbissen bis zum schlusz auf, so kannte es sich 
leicht ereignen, dasz man ihn übers knie bricht, weil das Schuljahr 
zu ende geht, der ablativ erfordert entsprechend seiner Wichtigkeit 
so viel zeit, wie die übrigen casus zusammen. 

Die beispiele sind nach meinem dafürhalten reichlich genug 
und mit Sorgfalt behandelt, die spräche derselben ist allerdings nicht 
ganz frei von latinismen, unterscheidet sich aber doch vorteilhaft von 
dem deutsch, das sich z. b. bei Ostermann findet, ich glaube freilich, 
dasz die Verfasser sich der latinismen ganz enthalten konnten, ohne 
dem Schüler dadurch unüberwindliche hindernisse zn bereiten, wozu 
ist denn der lehrer da? weshalb erst darbieten z. b. *er verbot, dasz 
die brücke geschlagen würde', statt: ^er verbot die brücke zu schla- 
gen'? damit die schüler später, wenn die richtige deutsche ausdruckst 
weise vorkommt, sich nicht auf die entsprechende, stark abweichende 



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Hetiker n. Bademann: dentsch-latemisclies Abuugsbuch für quarta. 53 

lateinische besinnen? es sollte mich freuen, wenn die verf* sich ent- 
BdilÖ8seD|Ton anfang an unerbittlich nur das richtige zu setzen. 0 Ster- 
in ann mit seinen fortwährenden krtlcken und wegw^sem läszt die 
küaben nie znr Selbständigkeit gelangen« fehlt dann einmal der wink, 
so sehen sie sich ratlos um. die klammerwinke sind im vorliegenden 
buche auf das notwendigste beschränkt, die beispiele sind meist dem 
Comel entnommen und nur, wo derselbe nichts bot, griffen die verf. 
weiter, namentlich nach Caesar, dasz dies das richtige princip ist» 
kognet honte kaum noch jemand, aber freilich eine strenge abhängig- 
keitdes grammatischen lehrstoffes von der jedesmaligen lectüre, wie 
Fries und Wezel diese nicht ebne lehn*eiches geschick für III zuwege 
gebracht haben, ist weder erreicht noch beabsiclitigt. es ist klar, dasz 
die erftillung dieses wichtigen methodischen gebotes für die IV noch 
weit schwieriger ist als für III, und anerkennen wollen wir mit 
dank, dasz die verf. sich redliche mühe gegeben haben, auch in lY 
den lat. Unterricht concentrisch zu gestalten, vielleicht hätten sie 
hier und da noch glücklicher operiert, wenn sie schon Köhlers casus- 
Statistik und Böhmes Nepossätze hätten benutzen können, eine 
zweite aufläge würde diesen büchlein , namentlich dem ersten, man- 
cherlei verdanken können, es sind reichlich einzelsätze geboten, 
mehr als ich sie geben würde, aber ich weisz wohl, dasz sehr viele 
anders darüber denken, die beispiele sind namentlich im anfange 
nicht gerade leicht, aber ich halte das durchaus nicht für einen 
fehler, wenn man dem schüler etwas zumutet, und, wie gesagt, 
wozu ist denn der lehrer da? es ist ein fehler so vieler Übungs- 
bücher, dasz sie den lehrer in die ecke drücken, der schüler musz 
btctfs den eindruck behalten, dasz sein lehrer über dem buche steht, 
nicht neben oder gar unter ihm. noch eine bitte wegen der bei- 
spiele: es ist mir so vorgekommen, als werde das pensum sagen wir 
von cap. 4 in cap. 5 nicht genügend berücksichtigt; nachdem z. b. 
videri auf s. 78 f. in lünt beispielen vorgekommen ist, ündc ich ein 
SL'( h-tes erst auf s. 82. sind jenes schon wenig beispiele zur ein- 
übung eines ausgemacht schwierigen wortes, so genügen noch weni- 
ger die spätem, um das knapp errungene über der schwelle des 
hewustseins zu erhalten, ich glaube, das ist einer der schwierig- 
sten, aber auch wichtigsten nnd frucbtreichsten punkte, auf die 
ein Übungsbuch achten miisz: Svas dagewesen ist, musz gegen- 
wärtig erhalten werden, und zwar musz die '/ahl der beispiele, in 
denen dargeboten wird, der .Schwierigkeit der erstmaligen an- 
eignung cutsprechen.* 

Die anorduung der einzelnen capitel ist: 1) phrasen 
und ev. stilistisches, 2) §§ der syntax in selbständiger regelgebimg, 
3) loci, 4) deutsche beispiele. die berücksichtigung der phrasen und 
der Stilistik ist sehr zu billigen, aber im übrigen würde ich erst den 
mnsterBatz bieten und dann die regel: praecedant exempla! das 
geht so weit, dasz ich behaupte, an manchen sfellen genügt ein locus 
memorialis auch ohne regel. die regeln selbst bitte ich den herrn 



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54 l^etzker u. Bademann: deutsch-lateinisclies Übungsbuch für qaaria. 

verf. an der band der Harreschen syntax, die das yerlässigste bietet, 
was wir haben, noch einmal durchzugehen; er wird mancherlei zu 
ändern finden, z. b. § 10 auf &. 22. übrigens würde ich die regel 
über die congruenz des prädicats bei mehreren subjecten verschie- 
denen geschlechts oder numerus so fassen , dasz in erster linie ge- 
lehrt wird : das prädicat richtet sich nach dem subjecte , dem es zu- 
nächst steht , und es tritt allemal zu dem wichtigsten, das ist nach 
meinen beobachtungen das regelmäszige. mancher wird gramma- 
tische regeln überhaupt nicht in dem Übungsbuche suchen; wer aber 
Netzkers meinung ist, dasz man dem quartaner noch keine gram- 
matik in die band geben solle, musz sich mit ihrer existenz abfinden, 
erleichtert hat N. ihre benutzung durch die als anhang gegebene 
tabelle, in denen die §§ seines Übungsbuches mit den gebräuchlich- 
sten grammatiken zusammengestellt sind ; es fehlt die rasch beliebt 
gewordene Stogmannsche. das vocabolar i&t recht reichhaltig und, 
soweit ich sehe, zuverlässig. 

So haben wir im vorstehenden «gesehen, dasz das Netzkersche 
übun,L^^,buch zwar noch mancherlei wünsche leben läszt, aber gerade, 
weil Wir es einer strengen kritik unterworfen herben, können wir es 
mit der anerkennung den fachgenossen zur wohlwollenden prüfung 
empfehlen: es ist ein sorgfältiges und bis auf einige schwächen 
braiiehbares buch, das im schwärme der concurrenten hoffentlich 
nicht veröchwindet. will man nicht mit Willrns den quartanern die 
ausgäbe für ein Übungsbuch ersparen, und ich fürchte, es geht dies 
beim besten willen unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch 
nicht, dann wird man gut thnn, ihnen ein solches in die bände zu 
geben, das sie selbständig zu machen bestrebt ist, ihnen nieht zu 
leichte, aber verdauliche speise liefert und sie vor allem befähigt, 
ihrer classenlectüre gerecht zu worden, solches aber scheint mir das 
Netzkersche Übungsbuch zu gewährleisten. 

NxENBU&a AN W£S£&. FÜGNSB, 



6. 

ZUB BEBIGHTiaUNa UND ABWEHR. 



Der lehr plan des Altonaer realprymnasiumsfürden 
Unterricht im lateinischen ist in dem neuesten jähr gange der 
Jahresberichte über das höhere Schulwesen von ßeth- 
wisch s. 66 zum gegenstände einer ^prüfung' gemacht worden, bei 
dem weit verbreiteten interesse , welches die in diesem lehrplane 
verwirklichte reformidee in »den letzten jähren c^efunden hat, wäre 
diese besprechung sehr dankenswert, wenn sie nur nicht statt einer 
prüfong ein wunderliches misverständnis und auf grund desselben 



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1 



Zar berielktigung uud abwehr. 55 

eine reihe ebenso unzutreffender als unliebsamer liemerkimgeu ent- 
hielte, nun ist mir freilich in entgegenkommeudäter wciso von dem 
herausgeber eine berichtigung in dem nächsten Jahrgang bereits zu- 
gesagt, aber bei der Wichtigkeit, welche die sache gerade jetzt hat, 
halte ich micb für verpflichtet nicht blosz um unserer anstalt willen, 
der Verbreitung und befestigung einer unrichtigen auffassung als- 
hald zu begegnen. 

In dem mit dem vorjährigen osterprogramm veröflPentlichten 
lateinischen lehrplan der anstalt sind nemlich auch die Schriftsteller 
nnd die einzelnen werke bezeichnet, welche überhaupt zur lectOre 
dienen sollen, der berichteratatter, in der meinung statt eines grund- 
lehrplanes ein pensenverzeichnis vor sich zu haben, findet darin eine 
unmögliche massenlectüre und läszt nun solches unpädagogische ge- 
bahren seine überlegene Weisheit gewaltig fühlen : von ;:(rQndlichkeit 
köüüu da nicbt die rede sein, die angaben Über das verfahren bei der 
lectüre seien unglaublich, einem teil der abiturienten möchte die un- 
geheure anstrengung wohl nicht geschadet haben, wie viele aber 
möchten zur entlassungsprüfung nicht zugelassen sein usw. ; schliesz- 
lich ermahnt er uns, lehrer und schüler zu schonen, mau kann doch 
mit thatsächlichen Verhältnissen nicht ebenso umgehen wie mit 
gegnerischen ansichten! ein blick m die Jahresberichte der anstalt 
würde herrn dr. Ziemer sofort gezeigt haben, dasz wir das pädago- 
gische ungeheuer nicbt sind, welches er sich vorstellt, sondern nur 
eme gewöhnliche mühle. wenn wir auch bei unserm lateinischen 
Unterricht in den obern classen, so weit wir darin freiheit haben, 
alleo gewicht auf die lectüre legen , so treiben wir doch keineswegs 
multa statt multum, und der umfang unserer lateinischen lectüre 
hij wenn auch nicht kleinm , bo doch auch nicht wesentlich gröszer 
als auf andern rüalgymnasien. wir haben nicht 'den ehrgeiz, zu. 
i^L'igen, dasz wir mit der halben Stundenzahl ebenso weit kommen, 
wie das gymnasium'; wir haben Überhaupt nicbt die meinung, dasz 
wir etwas auszerordentliches erstreben oder leisten, sondern viel- 
mehr die ül)erzeupiing , dasz unsere einrichtung naturgemäsz und 
tiberall ausführbar ist. durch eine zehnjährige erfahrung glauben 
wir zu wissen, dasz man auf unserm wege — anfang des französi- 
öüben unterrieb ts m sexta,, des biteinischen in tertia — das ziel nicbt 
weniger sicher erreicht, aU auf dem allgemein begangenen, das von 
herrn dr. Z. geforderte zweite jabrzebnt wird nichts anderes ergeben, 
soweit uns durch den austauseh von scbülcrn eine vergleiebung mit 
andern realgymnasien möglich war, haben wir jedenfalls nicht be- 
merkt , dasz unsere anstalt bezügh'ch der b^istungen auf dem ganzen 
gebiet des sprachlichen Unterrichts hinter denselben zurückstünde, 
die Voraussetzung des herrn dr. Z. aber, dasz nicht wenige abitu- 
rienten wegen ungenügender leistungsfähigkeit von der prüfung 
möchten zurückgehalten sein , ist ebenso grundlos wie die von der 
nngeheureu anstrengung. jenes war bisher nur bei zwei Ober- 
primanern der fall; diese waren aber erst in unsere prima ein« 



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56 



Zur berichtigUDg uud abwehr. 



getreten, nachdem sie die entlassnngsprüiuiig an einem real- 
progymnasium bestanden, latein aido schon von sexta an gelernt 
hatten. 

Alles drängt jetzt mit macht dazu, die reallehranstalten in den 
untern classen vom latein zu befreien, niemand aber, der die Schul- 
politik nicht blosz dialektisch und abstract behandelt, sondern die 
wirklichen Verhältnisse des lebens und der schule kennt und beachtet, 
kann im ernst der meinung sein, die bchiiler der hohem schulen Heszen 
Sich noch in unserer zeit in ihrem zehnten lebensjahre definitiv in zwei 
ableilungen für die höhere bürgerschule oder iüi da© gymnabium 
teilen, eine schuleinrichtung , welche wie die unsere diese entschei- 
dung ohne schaden für den knaben hinaubschiebt, ist daher ein drin- 
gendes bedürfnis uiisiies Volkes, ob sich dieselbe auch didaktisch 
mii erfolg durchführen lasse, wai nur durch die probe zu entscheiden, 
die.'ie probe ist bei uns in 6o weit gelungen, dasz noch imiiier aner- 
kannt wurdü, die lei^tungen im lateinischen entsprächen bereits in 
der untersecunda den gesetzlichen anforderungen , und dasz schon 
einer an zahl unserer abiiurienten es keine besondere Schwierigkeit 
machte, nach einem halben jähre, eigentlich nach vier monaten, auch 
noch die reifuprüfung am gymnasium zu bestehen, entsprechende 
erfahrungen hat man angefangen an dem realgymnasium zu Güstrow 
und an der Guerikeschule in Halle zu machen, ich erwarte davon 
eine allmähliche reform des gesamten realschulwesens und erkenne 
einen schritt in dieser richtung auch in der förderung der 1 öhern 
bürgerschule ohne latein. das gymnasium, zumal wenn es gelingt, 
ihm die durch die preuszische Schulpolitik aufgeladene aufgäbe, ihr 
die mehrzahl der schüler zugleich als höhere bürgerschule zu dienen, 
wieder abzunehmen , mag von dieser reform unberührt bleiben, auf 
grund unserer erfahrungen aber zweifle ich darchaus nicht, dasz 
auch gymnasialclassen , welche in tertia erst das latein , in secunda 
das griechische beginnen, dann aber 16 — 18 stunden wöchentlich 
beiden sprachen widmen und die in der neneaten seit immer mehr 
anerkannten riditigen gesichtspunkte festhalten, in keiner hinsieht 
hinter den andern zorflckstehen werden, man nnterschAtzt meist 
das geistige interesse, mit dem ein im Jünglingsalter aielbewnst er- 
griffener nener nnd rasch fortschreitender Unterricht hetriehen wird 
oder dodi hetriehen werden kann , und ttherschätst unhegreiflicher- 
weise den wert, welchen die grossen stundensahlen in den untern 
classen Ittr den sdiliesalichen erfolg haben. 

AlTOMA. SCHEiliE. 



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Bericht ub. d. 40e Yersammlaog deutscher philologen u« schulxnäimer. 57 

7. 

BERICHT ÜBER DIE VEEHAN ÖLUNGEN DER VIERZIGSTEN 
VEßÖAMMLÜNG DEUTSCHER PHILOLOGEN UND SGHÜL- 

MÄNNEB ZU GÖBLITZ. 



Gemäsz der vor zwei jähren in Zürich getroffenen abmachung hielt 
üs vierzigste yenammlang deutscher philoIogen UDd sdrahiiftnner im 

rerwichenen jähre in der zeit vom 2 bis zam 6 october in Görlitz ihre 
Sitzungen ah , zum ersten male wieder seit der Versammlung' in Breslau 
(1857) auf schiesischem boden. obgleich die Witterung der unmittelbar 
vorausgehenden tage keineswegs zum reisen einlud, erschien doch eine 
ststtliche anzahl Ton teilnehmem — die gesamtaahl betrag S12 — nicht 
nur aus Schlesien und dem benachbarten Sachsen und Brandenburg, eon- 
dern auch aus den entfernteren teilen des reichs, .sowie aus Österreich 
und der Schweiz, um gerne! usam einige tage ernster, wissenschaftlicher 
arbeit und heiterem*, geselligem yerkcbr zu widmen, im festorte selbst 
hatten monatelang die ▼erschiedenen eomit^, die aus ndtgUcdem der 
collegien der höheren schulanstalten und angesehenen bürgern der stadt 
bestanden, eine rührige thätigkeit entfaltet, um den seitens der teil- 
nehmer an sie herantretenden forderungeu in jeder hinsieht genügen zu 
kSmien. am «hend des 1 october fksd im fesUidi erlenchtcten Baal des 
Wilhelmtheaters die Vereinigung zn gegenseitiger begrüsztmg statt, hei 
welcher der zweite präsident, herr gymnasialdirector dr. Eitner die teil- 
aehmer in herzlicher anspräche in Görlitz willkommen hiesz. 

Im laufe des tages waren den mitgliedern im auskunftsbureau (hotel 
Tier jabreszeiten) folgende festgaben tthexreioht worden: 

1) festschriften des gymnasinns nnd des realgymnasinms zu Görlitz 
zur heg^rüsziing' der 40. versaramlunf»' deutscher philoIogen und Schul- 
männer, enthaltend sechs wissenschaftliche abhandluugen von mitgliedern 
dea lehrercoUegiums der vereinigten anstalten. 

2) dr. Blau, enropäische wanderbilder, bd. iae/137 « Görlitz* mit 
dem plane von Gtörlitz. 

3) achter jabresbericht des Görlitj^er vprnins für handfertigkeit und 
jagendspiele, enthaltend eine arbeit des herrn gymnasialdirectors dr. Kitner 
über die entwicklung des jugendspiels in Görlitz. 

4] 900 kataloge der griechischen handschriften der Breslaner etadt- 
Mbüotbah:, geschenk des magistrats zu Breslau. 

5) festgabe des königl. archäologischen Instituts in Berlin durch 
berm professor dr. Conze. 

d) griechische antiken des archäologischen museums der königl. uni- 
Verität in Breslan, der 40. Tersammlnng dentscher philoIogen nnd schal- 
■Maner in Görlitz dai^bracht von Otto Rossbach. 

Altem brauche folgend wird referent zuerst über die in flen allge- 
meinen Bitzungen gehaltenen vortrüge bericht erstatten, sodann über die 
Verhandlungen der eiuzeliien sectioaen. 

Erate aligemeine Sitzung, mittwoch den 2 october, 

vormittags 10 uhr. 

Der ertite präsident, herr geh. re^ierungsrat prof. dr. Hertz aus 
Breslan eröffnete die rersammlnng, indem er die erschienenen teilnehmer 

anfs herzlichste begrüszte. auf die tbatsache hinweisend^ dasz die ver- 

sanunluTio- deutscher philolop^en und scImlmUnner zum vierzigsten mfile 
zusamrnenj/e treten sei und somit ein kleines jubiläum begehe, betonte er 
mit nachdxuek, dasz dies ein beweis sei für die gesunde grundlage, auf 



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58 



Bericht über die Verhandlungen der 40u Tersammiuug 



w«Ie]ier der organismiis nihe. danlcbar darf man an einem solchen tage 
auf die Teri^aDgenheit zurückblicken und mit Zuversicht in die zukunft 

schauen, redner gedachte darauf der gründuug des verein« durch Otfried 
Müller, Jacob und Wil h e 1 m (irimra, Ewald, Dahlmann, Lach - 
mann und Ritschl, um sod&nu über den zweck des Vereins zu sprechen, 
der Wunsch gegenseitiger annftherang und anregung war es, dem man 
in der Stiftung desselbtti ansdmck gab. mSnoer der theorie und der 
praxis wollten sieh r.n ^»^emeinsamem wirken stUrken und verbinden 
und durch austauscli der gedanken klärung und Verständigung in fragen 
der Wissenschaft anstreben, der wünsch, specialfragen in engerem kreise 
SU erörtern, führte sur gründnog der secttonen, deren wir jetst sieben 
besitzen, als den gesamtzweck des Vereins bezeichnen die Gtöttinger 
Statuten ^beförderung des stndiums der philologie in allen ihren teilen', 
bethätigen soll sich der verein ferner durch förderung grösserer wissen- 
schaftlicher unternehmungenf welche vereinigte kraft erfordern, der me- 
thode des Unterrichts in den höheren schulen soll und will derselbe 
ebenfalls seine aufmerksamkeit schenken. 

Diesen ausführungen folg-t eine vergleichende bctrachtung zwischen 
dem einst und jetzt der philologischen Vereinigungen, in welcher redner 
hervorhebt, dass die erste 1888 in Nürnberg abgehaltene ▼ersammlung 
von 81 teilnehmern besucht war, von denen nur noch zwei unter den 
lebenden weilen: Alwin Baier, professor der philosophie in Greifswald 
und Christian Cron, oberstudienrat in Augsburg, 158 besucher zählte 
die Versammlung in Mannheim 1839, während in Wiesbaden auf der 
88 Versammlung sieh 810, vier jähre vorher (1878) 980 mitgliedsr doh 
in liOipzig einzeichneten, die Züricher Tereammlung vor zwei jähren 
war von nur 240 teilnehmern besucht; wenn die Züricher sich über ver- 
hältnismüszig geringen zuzug aus Deutschland beklagen, so thun sie 
unrecht, da eine reise nach Zürich aus den entfernteren gegenden unseres 
Taterlandes für einen schulmaiin, der mit der kun bemessenen ferienxeit 
und vielfach auch mit erwägungen materieller art sn rechnen hat, gewis 
keine kleinigkeit ist. 

Das gedeihen des Vereins zeigt sich auch in der immer zunehmenden 
ausdehuung der veröffentlichten verhandiuugen, die inhaltlich mit den 
besten seitschriften den vergleich nicht sn scheuen brauchen. Ton hohem 
werte aber ist die förderung des gedankenaustausches im persönlidieii 
verkehr; gleichstrebende genossen finden sich, die gegner werden ru 
eammengeführt und die verscliiedenen altersstufen treten hier ungezwungen 
nebeueiuauder. nie ielilic an leuchtenden nameu älterer meister; 
einige hochstehende ÜAchgenosaen bleiben jedoch grnndsfttslich oder ge- 
wohnheitsmässig der Versammlung fem, eine thatsaohe, die redner ^ir 
bedauerte namentlich im interesse der jüngeren aufstrebenden genossen* 

Anknüpfend au den paragraphen, beti < Iii nd die beratung über ar- 
beiten, welclie zu unierueiimeu den zwecken des Vereins forderlich ist, 
legt redner eingehend dar, wie nachdem die Ton Halm angeregte ans- 
arbeitung eines thesaurus lingnae latinae nicht cur ausfuhmng gekommen 
war, Wölfflin diesen gfdfinkeTi wieder aufgenommen hat und denselben 
zur durchführung zu bringen sucht, da es jedoch der hilfe vieler fach- 
genossen bedarf, dieses werk zum abschlus^ zu führen, so bringt redner 
die angelegenheit nochmals aur spräche und bittet eindringlieh um den 
schuta der akademien und gesellschaften der Wissenschaften des deutschen 
reichs wie des befreundeten nachbarstnats ö.sterreii h. 

Mit einer aufzählung der seit der letzten Versammlung verstorbenen 
Philologen und Schulmänner, zu deren ehrandem gedSchtnis die Versamm- 
lung sich von den sitzen erhob, schloss redner seine anspräche. 

Der vorstand wird durch ernennung der Schriftführer in folgender 
weise ergänzt: Oberlehrer dr. Caner aus Kiel, Oberlehrer dr, Michael 
aus Breslau, Oberlehrer Nietsache aus Görlitz, privatdocent dr. tiittl 
aus München. 



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deutscher pbilologcn und sckulmänaer zu Görlitz. 



59 



Die reihe der offieiellen begrfissungen eröffnete herr prorinzial- 
acbolrat Hoppe aus Breslau. 

Als niitg-lied der Versammlung;- und im auftrag- sr. excellenz des herrn 
Oberpräsidenten sowie des schulcollegiums begrüszt derselbe die ver- 
sammloog. die schulyerwaltung nimmt ein hohes interesse an dieser 
Tersaminliuigf deutscher schnlmilniier, da hier deutschtnm allzeit gehegt 
nnd gepflegt worden ist. diese aufgäbe ist aber noch nicht erschöpft; 
auch den männern, die dem engeren politischen verbände nicht ano:e- 
höreu, wollen wir die hand reichen zur pflege deutscher Wissenschaft, 
deutscher sitte und gesittong. wichtig ist auch der umstand, dasz auf 
dieMi Tersammlangen mftnner der theorie und praxis sich vereimgen. 
dtrana ergibt sich die aufgäbe zu prüfen, ob Stoff und methode in der 
schule schritt halten mit den forderungen der Universität, sowie ander- 
seits zu untersuelien , ob nicht auch die Universität hier und da der er- 
fiebong und heranbildung der lehrkräfte entgegen kommen könnte, da 
die wiri»«mkeit der schule unserem volke & erziehnng gegeben hat, 
die ihm die siegeserfolge ermöglichte, gilt es die mit arbeit und blut 
erworbenen güter festzuhalten, aufgäbe der Versammlung ist es au be« 
raten und festzusetzen, ob die bisherig-e schule die grosze n-itionale auf- 
gäbe noch weiter zu lösen imätaude int, oder ob etwas neues an die 
stelle treten soll. 

Sodann bewillkommnete herr hürgermeister Heyne namens der stadt 
Görlitz die Versammlung und dankte namens des magistrats und der 
städtischen hehörden für die ehre, die der stadt dadurch zu teil gewor- 
den, dasz sie zum orte der diesjährigen Versammlung gewählt worden, 
dieser ebre sei jedoch Görlitz nicht unwürdig, da der boden nicht ganz 
iioclassisch sei; werde do<^ die Stadt geschmückt durch zwei bedeutende 
Twd berühmte gesellschaften . die oberiausitzer gesellschaft der v. issen- 
«chaften und die natnrforsciiende gesellschaft. redner schlosz mit dem 
wansche, dasz die Verhandlungen den mitgliedern zur freude, der wissen- 
Mihsft zum segen und gott zur ehre gereichen möchten. 

Hierauf begrüszt prof. dr. Putzler-Görlitz die Versammlung im 
namen der oberlausitzer ge^^GlI>ch;ift der Wissenschaften, füe als eine 
hiätorisicher forschung gewidmete gesellschaft sich mit den bestrebungen 
der Versammlung verloiüpft fühlt; beide streben ja nach demselben ziele, 
issofem sie auf dem wege historischer forschung das ringen des mensch- 
lichen geistes nach selbstbethätigungf sein thuu und leiden inmitten 
der vielfach beengenden dinge der natur zu ergründen suchen. 

•Sanitätsrat dr. Kleef eld -Görlitz begrüszt die Versammlung im 
namen der naturforschenden gesellschaft; er betont, dasz die zelten längst 
vorüber seien, wo die naturwissenschaft tou der philoIogie durch einen 
breiten, brückenlosen Strom getrennt erschien; sie bilde längst einen 
notwendig erkannten teil der erziehungswissenschaft. 

Jostizrat B e t h e - Görlitz dankt zugleich im namen des beurlaubten 
Iismi Oberbürgermeisters Reichert für die ihnen durch emennung zu 
ehremnitgliedem erwiesene ehre und sieht in dem umstände, dasz die 
Tersammlung laienelemente mit eintreten lasse, den beweis dafür, dasz 
dieselbe ihre aufgäbe nicht nnr in der pflege abstractt r Wissenschaft 
£ade, sondern dasz sie auch fühiung mit den lebendigen verkehrsverhält- 
Sitten bebalten wolle, dasz das wincen der ndtgUeder nicht der schule, 
sondern dem leben gelte. 

Der Vorsitzende macht hierauf mitteiluno^ über eiup^cgangene ges^ lierike 
und festschriften. nach einer kurzen Erholungspause erhält herr prof. 
dr. 0. Bichter-Berlin das wort zu seinem vortrage: ^über die mo> 
dernen Zerstörungen Boms und ihren einflusz auf die erfor- 
Bchung der antiken stadt.' 

Vor etwa vier jähren erhoben Gregoroviu? nnd II rmann Grimm 
mahnend ihre stimmen und bezeichneten die ueugestaitung Roms als eine 
grosse gefahr; das urteil der gebildeten lautete verschieden, jenachdem 



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60 



Bericlit über die yerhaudlungen der 40n Versammlung 



man Kom als ein historiscli unantastbares heiligtnm ansah, oder als einen 

lebendigen entwicklungsfähigen organismns. obgleich der streit sieh, 
allmählich verlief, blieb doch der gedanke zurück, man führe in Rom 
einen schonung.sloRen vernichtungskainpf p^egi n das altertnm. dasz diese 
auffassung jedoch uicht richtig ist, lehrt ein bück aut die thatsachen. 

Der 20 September 1870, an welchem die italienischen trappen ein- 
sogen, bezeichnet einen Wendepunkt in der gesehichte Horns, insofern als 
in unmittelbarer folge der eroberung die frage entstand, wie das neue 
Italien sich auf dem altehrwürdigen boden einrichten solle, zunächst 
wurde die gegend zwischen bahuhot uud Quirinal besiedelt, sodaun die 
nmgegend des bahnhofs naeh süden nnd osten sn. schon im jähre 1874 
stellte sieh das bedürfnis heraus, einen festen bauplan zu entwerfen, der 
fast d is ^anze gebiet innorh;ilb der Aurelianischen mauer umfaszte und 
zum teil schon über dieselbe hinausging, infolge der rapiden Vermehrung 
der bevölkerung stieg der preis für grund und boden in unerhörter weise, 
bald stellte es sieh auch heraus, dafs das pApstUehe Rom mit seinen 
alten, ungesunden, engen straszen den anf orderungen der neuzeit nicht 
mehr genüge, dasz man violmelir das häusergewirr durch gröszere com- 
municationsadern durchschneiden müsse, diese aufgäbe wurde in ge- 
schicktester weise gelöst, grosze Umwälzungen veranlasste auch die er- 
weitemng der nfer des Tiber, der wenige wocheo nach der occnpation 
eine furchtbare überscbwemmnng verursachte: statt malerischer häuser 
nnd romantischer ufer entstand ein hoher quai, eingefaszt von breiten 
straszen mit prächtigen palästen und einförmigen mietskasernen. wäh- 
rend diese neuerungen von den anhängern der neuen zeit gelobt wnrdm, 
erregten sie den ftrger derer, die das alte Rom mit heiliger scheu als 
unantastbar ansahen, drei punkte namentlich waren es, welche Grego- 
rovius und seinen anhang erbitterten, zunächst die hebaunn^^ der Prati 
di Castello und der Umgebung des Yatican mit modernen bauten, fast 
unter den fenstem desselben, wodurch die sch5ne aussieht Tom Pineio 
auf St. Peter gestört sei. sodann beaeichnet es Grimm als ungehörig, 
dasz infolge der daselbst errichteten ziegelöfen die luft verdorben und 
durch den trommelschlag in den nahen kasernen die ruhe des Yatican 
gestört seL 

DemnSehst erregt den groll der für das alte schwärmenden knnst* 
freunde die errichtung des nationaldenkmals für Victor Eroanuel ßm 

nördlichen abhang des capitolinischen hügels. der wünsch des Volkes 
jedoch, das nationaldenkmal auf einem platze zu errichten, der symbo- 
lisch die besitzergreifung ßoms urbi et orbi verkündete, war so bren- 
nend,- dasa alle andern rücksichten hintenan gestellt wurden, übrigens 
haben die Römer gerade bei dieser gelegenheit zu erkennen gegeben, 
welche hohe ac-htung sie vor dem altcrtum haben; denn beim ausschreiben 
der »leukmalsconcurrcn^'; wurde ausdrücklieh die bediu^j-ung gestellt, dasz 
das noch aus der republikanischen zeit staiumunde grahmal des liibulus 
erhalten werde, die gewaltigste erregung rief die yemichtung der röml« 
sehen Tillen, namentlich der villa LudoYiei hervor, der römische adel 
aber, der aufs entschiedenste gegen die neue zeit protestiert hatte, ergriff 
mit freudcn die gelegenheit seine villen für hohe summen an speculanteii 
zu verkaufen uud scheute sich nicht den glauz uud stolz der familio 
für geld loszuschlagen, der yemichtung entzogen sich nur wenige villen, 
▼or allem die YÜla Sorghese, die die stelle eines stadtparks vertritt; diese 
konnte nicht veräuszert werden, weil sie nach dem wortlaut eines päpst- 
lichen breve dem fürsten unter der bedinguug geschenkt war, dasz sie 
der bevölkerung von Kom zur erholung geöffnet sei. 

Wenn Gregorovius behauptet, das cllsafische Rom habe eine voIkS' 
zahl umfaszt, die das moderne in Jahrhunderten nicht erreichen werde 
und dennoch habe es in jenem ausgedehnte strecken mit schönen monn- 
menten, säulenhalieo, theriueu und theatern gegeben, so ist dies nicht völlig 
richtig, auf dem esquiliniscben felde z. b. ist kaum eine stelle gefunden, 



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deutscher pbüologen und sclralm&tmer za Gdrlitz, 



61 



die frei von antiken Rtraszenanlagen wir. flir^ hevölkornnp-'^^nlil des 
kaiserlichen Korns läszt sich übrij^ens aucli nicht annähernd erinrssen; 
auch waren die wohnuugsbediDguugeu im alten Horn offenbar andere 
all im heutigen. 

Hit recht konnte der sindieo, liersogr von Torlonia, einem vorwürfe 

einer enpflischen zeitung gegenüber ausspreclien, das^ he\ rler neu- 
c-estaltungf nicht ein einzig-es denkmal geopfert sei, dag'egeu eine grosze 
&ü2ahl neuer aufgedeckt sei. aas allen klagen, so erkennt man aus der 
lielemik, islingt (üe forderang heratiB, Rom liätte bleiben müssen wie es 
vir, es hätte nieht bnnptstadt von Italien werden dürfen, jedoch auch 
der zustand vom Rom im jähre 1870 int r!o<-h nnr eine zufällige entwiolc* 
bfi^form; Rom hat nie aufgehört zu leben. 

Alles leben aber ist Umbildung, diesen procesz hat gerade das 
nitteUlter am nnffttnetigsten vollzogen, welches aus der ehemaligen 
gebieterin der weit eine Stadt von 20 000 einwohnern machte, das 
mittelalter hat das antike Rom zerstört, nicht der nnsturm der barH?\r<^n; 
letztere haben Rom verödet, seiner schätze beraubt, jedoch nicht zer- 
stört, die Zerstörung Roms im mittelalter ist jedoch notwendig gewesen, 
denn jede generatlon zerstört und bildet, in die ruinen der tempel, 
theater und thermen nisteten sich allmählich kirchen und klöster ein; 
vomeliTTie wandelten antike gebäude in bürgen um. die pflicht der Relbst- 
erhahuDg war es schlieszlich, die den Römern selbst den mauerbrecher 
in die band drückte, da vielfach die ruinen zufluchtsetätteu des gefähr- 
liehtten geeindels wurden, das Zeitalter der renausance hingegen ging 
^gen die noch vorhandenen reste mit bewiister brutalität vor. eine 
frosze anzahl von bauwerken dieser zeit sind ms den trümmem antiker 
gebäude errichtet; Steingräber durchwühlten den boden des forums, um 
Bfttezial I8r nenbanten zu gewinnen, ein trost aber iet ez, dasz aus 
kä Zerstörungen, namentlich von Seiten der päpste, prachtbauten her^ 
Tor^ingen, denen niemand die existenzbereehtignng absprechen kann; 
€ut;standen doch damals die palazzi Borghese und Barberini, die villen 
Lodovici, Medici u. a. _ 

Seit dem a&fang dieses Jahrhunderts erwachte der historische sinn 
der Italiener mftchtig; päpste wie Gregor XYl und Pius IX lieszen ihn 
nicht verkümmern; Tornehmlieli aber ist es die archäologische comTrsi: sion 
gewesen, die sich die erhaltung der bestehenden monuniente znr aufgäbe 
gemacht hat; die erfolge derselben sind groszartig, wie redner im ein- 
nhien genauer nachweist, von besonderem interesse sind die aus- 
grahongen auf dem forum, der via sacra und dem Palatin; eine fülle 
einzelner fnnde ergab sich anch bei 'ion regnlierungen und anlagen der 
straszen; reste des agger des Servius Tuliius kamen zum vorsehein; 
unter dem agger fanden sich gräber, die neue gesichtspuukte eröifneten; 
die arbeiten des Ingenieurs Narducci führten zu einer gründlichen unter- 
enchong der cloaca maxima sowie des circus FUuulnius; antike straszen- 
gänge kamen gelegentlich der pflasternngen zum Vorschein, wcdui cli dio 
topographische kenntnis Roms auf ein ganz neues fcld gerückt ist; 
Mich den Tiberregulierungen verdanken wir unzählige funde und über- 
itflchende entdeckungen. 

Aus dem gesagten geht deutlich hervor, dasz die altertumswissen- 
Schaft am allerwenigsten sich über die moderne zerstörnn^- Roms be- 
klagen darf; g^anz anders liegen die Verhältnisse in Athen; würde auch 
nur eine strasze im Keraineikos abgerissen, so würde der Wissenschaft 
Bchen hierdurch unendlicher gewinn erwachsen. 

Hiernach hielt herr prof. dr. Crusius-Tübingen einen vertrag über: 
'märchenreminiscenzen im antiken Sprichwort.' 

Während mythen, sagen und legenden aus der religion und der ge- 
scIüehtUchen eriunerung hervorwacbsen , schlägt das märchen keine 
tiefere wurzeln; wie vom wind getrieben, fliegt sein same über das 
lud. ohne rttcksicht auf die Wirklichkeit schafft es sich eine bessere 



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62 



Bericht dber die verhaadlnngen der 40n Teraammlimg 



oder wenigstens eine «ndere weit, in der der wiinsch und der tranm 
regiert. 

Die reiche weit Tolketfimlichw Ueiiikunst hat erst unser Jahrhundert 
hei den modernen völkem entdeckt, während hinsichtlich der elaseisehen 

nationen noch Wel cker meinte, dasz die.ser niedrigen poesie im ultertum 
der rechte nährboden gefehlt habe, hat bereits mancbor tiichtijr^ forscher 
die entgegengesetzte ansieht zur geltung gebracht, bahnbrechend wirkten 
die gebrttder Grimm; ausser Sfannhardt hahen grfindliehe kenner 
der inärchenpoesie wie Liebreoht, K. KHhler, Joh. Pöachel, C. 
Müller mit groszem glück die Gleichartigkeit antiker und Tnoderner 
nnschaunngen in diesem punkte nachgewiesen, eine systematische be- 
haudlung der trage ist aufgäbe der claesischen philologie; angenommen 
haben sich der sache £. Rhode, K,8ehenkl, B. Sehmidi £. Fried- 
lä&der und neuerdings Zielinski; letzterer nntersochte die attische 
komödie auf mUrchenreste hin. 

Dap Tni?fraTien, welches von gelehrten dem versuche einer classi- 
schen niärcheukuude entgegengebracht wird, erklärt öich aus dem um- 
stände, dasz die mSrchentypen nur dareh hjpothese gewonnen werden 
können, die ahnlichkeiten zwischen antiker Überlieferung und modernen 
volk<=;märchen sind aber in vielen fällen so zahlreich nn I frappant, dasz 
von freier schöpferthHtigkeit und diciiterischer phantnsir allein nicht gilt 
die rede sein kann, in den märchenreminiscenzeu, in dun echten Sprich- 
wörtern 4ätiert das voIk sich selbst. 

Bas alte Sprichwort ist oft ein Stichwort, dem lange vorstellongi- 
reihen, ganze erz'ähhmgen mituntnr r.n gnmde liegen: das Sündenregister 
(KÜßoi und öiqpOepa) des Zen?, der Hiulc^liphn, das horn der Auiaithca u. ä. 

Zahlreiche Sprichwörter klingen au ^iiLuaLiuuen und t^'pen der tier- 
fahel an nnd tragen Torwiegend eine märchenhafte färbe. Kav6dpou CO- 
(pdiTCpoc, gesagt von einem schlauen mann, der seinen zweck anter allen 
umständen zu erreichen wei -z, läszt sich auf ein in den Aesopea nach- 
weisbares märchen zurücktiiiiien. der wottlauf zwischen dem hasen und 
einem ungleichen gegncr wird in mehteren Sprüchen vorausgesetzt, au 
die von Babrios ers&hlte geschiehte von der wieselhochseit winnert die 
redensart: 'ein brantkleid passt nicht für das wiesei', die wolffthütte 
(XOkou CT^r)) stellt einfm ärmlichen haushält dar: dem seh wf-rfälligen 
geht es wie dem raben beim wasserholen: KÖXaE üöpeuei. dieser mensch- 
liche haushält der tiere weist uns in das wunschlaud des märchens, in 
jene 'bessere weit', die allgemein bekannt ist durch das m&rchen vom 
Schlaraffenland, dem ^zauberschloss am roten meere' im deutschen mär- 
chen entspricht ^die selige stadt am roten meere' hei A ristophanes. das 
rote meer, ursprünglich dem märchen eigentümlich, ist wohl erst nach- 
träglich localisiert worden wie das Kyklopeuland, das Phaakenland nnd 
ähnliche yorstellungen. 

Das reich der wunder befindet sich nach andrer version unter der 
erde; sprichwörtlich finden wir die MoKOpia In der wendung: ßdXX'elc 
MuKupiav 'geh zum henker». 

Gross ist die sahl derjenigen Sprichwörter, welche ein sinnlich- 
behagliches leben preisen, das wnnschdasein des Schlaraffenlandes, sa 
dieser kategorie gehören die Wendungen: ßioc dXriXec|i^voc xai uruaT- 
ILi^voc, das leben wie gemahlen und gebacken, ^cuo'. oivo^», "fdXa öpviOoiv, 
öpaxfAi^ X^^^^w'ca, ji€5ijiv(p dnofiETpeiv TdptOpiov, XP^^^ öpr) u. ä. dasz 
von arbeit nicht die rede ist, veranschaulicht auch das bisher misyer- 
standene 'ipsa olera oUa legit', 'der topf selbst holt sich sein gemüse'. 
aus dem 'fabelhaften wunschUmde' wird durcli parodie 'die verkehrte 
weit', die weit des dbuvdTOU, dvor|TOU, auf die sich unzählige Sprich- 
wörter beziehen, bei denen es sich nicht etwa um leere rhetorische 
figuren handelt; beispielsweise führt redner die Wendungen an: v^Pp^M 
i-TTTrc^civ« b\ä baKTOXou Ö€i ce ^XKucGi^vai, dvw TroTo^oi, Uibtvet öpoc» 
XÖKOU irrcpd, 6voc XOpav; sie alle haben nachweislich mttrchen sur vor- 



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deutscher philologen and Bchnlm&imer sg GOrlits. 



63 



anssetmng^. in diese weit gehören anch die sprichwörtliclii ri (Inn m'köpfe 
Koroibos Melitites, Akko «. a., die nicht erst von der dorischen komödie 
geschaffen sind, interessant ist die heobachtung, dasz wir in unserem 
gdiUds dieser pausen narrengeBellschaft wieder begegnen; im gegensats 
sn diesen fi^uren stehen die Bchlaumeier und pfiffigen wie '6|UißapOC. 

Das imtrlnnbliche de? wrinderlaTidps wird in das diesseit verfjetzt 
durch die kraft des zaubers, der wundergabe und des zauberkrättigen 
Wunsches, 'tö TTuticriToc J^jüiiiüßöXiov' besitzt derjenige, der viel ausgibt, 
ohne das« man über aeine einkttnfte etwas weiss; der heckepfsnaig war 
den alten ebenfalls bekannt. 

Auch die vielen märcben eigentümliche Steigerung menschlicher 
gaben begegnet nns in sprichwörtlichen redensarten: z. b. iä öfiö Tfjc 
öp&v; auf das märchen vom meisterdiebe bezieht sich das griechische 
Sprichwort 'cikpußorcikcai iv\ Td>v irovripeuoiii^vuiv*. an die in thörichter 
oder gottloser weise angewandte wunschkraft mag wohl Bf artlals äqualem 
noluerit ferre (von einer nase ist die rede) roerMtns Atlas' erinnern, ein 
märcbenzug liegt offenbar dem 'ola Tdiri XapitCvr^C zu gründe, die 
'fremdenfrohe' nahm die götter in ihre schlichte behausung auf, wie 
Philemon und Baneis die götter bewirteten. 

Gespenster, spnk und geister sind dem alten Sprichwort ebenfalls 
nicht fremd. Gello begegnet uns in der redensart RXXouc traiboqpiXu)- 
T^pa; so sagte man von eitern, die aus liebe schwach und blind waren ; 
die ^pui€C des Sprichworts sind spukgeister ; daher die redensart: oOie 
cl^l TOÜTUiv tÖv rjpi6iuv 'ich gehöre nicht sn diesen qnAlgeistcrn 
reminiscenzen an "hrxon und liexenraeister lassen sich erkennen in den 
Wendungen ^ttI cauTiu xr^v ceXi^vr|v KaOaipeic (du schadest dir selbst) 
dcKiu ^op)AoXuTT€cdai (vor einem schlauch erschrecken), vom enttäuschten 
tagte man im aueehlnfls an ein altes attisches märchen ^ou xP^^o- 
)PmI|CCIV* oder *XP^^°XO£tv d«p1x8m'; dieselbe Vorstellung liegt wohl auch 
tier redensart dYa0^"v |iUpar|Kid zti q-nmdc; glf^ichfalls an ein märchen 
klingt an: fiv9pax€C ö er]caupöc f ftvexo. an die zahlreichen märchen 
TOD verwunschenen menschen wie Lucius oder die psycheepisode erin- 
aerfc vteUeielit der sprnch; 'gerettet wirst dn, wenn du eme s^ebel 
iiiniiist*; an den prinzen im psychemärohen lehnt sieb das auf einen 
eirporl'iömmling beziirfliche wort Petrons an: ''amicus vester, qni fidt 
raua, nunc est rex'; unwillkürlich denkt man hierbei an das märchen 
Tom froschköni^. 

Sedner aohliesst seine ansfiihningen , indem er darauf hinweist, wie 
Idurreicb und anziehend das Studium der alten mftrchenknnde ist. sehen 

wir (loch , wie preist und phantasic flnr Griechen vor jnhrt.insicnrloTi die- 
selbe jugendnahrung empting wie wir selbst, wir fühl in uns dadurch 
ihnen geistig verwandt und lernen ihre unvergänglichen iiberlieferungen 
siehr mid mehr achten. 

Der Präsident dankte den rednem anfs wärmste nnd schlosz sodann 
flie erste sitzong. die Versammlung trennte sich zur constituierung der 
sectionen in den für sie bestimmten localen und vereinigte sich um 
ä uhr wieder zuin ofücielien lestmahi im äaaie des Wilhelmtheaters. 

Abends fand im Stadttheater eine festvorstellunif statt, bei welcher 
nach dem vertrag eines vom gymnasialoberlehrer dr. van der Velde 
gedichteten prologs das Instspiel Ton L. Fulda 'die wilde jagd'aur 
aaiiuhrung kam. 

Zweite allgemeine sitzunri:, dounerstag den 3 october, 

vormittags 10 uhr. 

Der zweite präsident, director dr. Ritner eröffnete dieselbe mit 
■litteilungen geschäftlicher natur. der sitzuug liegt es ob, die coni- 
■Uon aar bastimmnng des orts, an dem die nSeliste Tersammlung ab- 
lekalten werden soll, snsaounensiisteUen. mitgUeder sind ausser geb. 



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64 Bericht über die Terhandlungen der 40n TerBammlang 



rat Hertz und director dr. Eimer, dir, dr. W ei ck er -Stettin, dir. 
dr. Ötier-Zerbst» prof. dr. B lUmuer-Zürichj cooptiert werden hofrat 
T. Härtel-Wien, oberschulrat Albreeht-Straasbnrg, prof. Christ- 
München, prof. Püschel-Halle. 

Hierauf erteilt der präsident liorrn prof. dr. Z acher-Broslau das 
wort zu seinem vortripc über 'griechische Wortforschung*. 

liedner definiert im eingange Beines Vortrags die philologie als eine 
kvBst. wie die aufgäbe der kirnst im allgemeinen darin besteht« durch 
nachahmnng sa schaffen, so fXUt der philologie als kanst im besondem 
die aufg^^^^e zu, den gesamten process der geistigen entwickUmp: eines 
Volkes aus seiner spräche zu reconstmieren. da jede kunst des hand- 
werks bedarf, so kann auch die piiilologie des philologischen handwerks 
nicht entraten. von den drei elementen, welche die spräche aasmachen 
(lanti wort und satz), ist es in erster linie das wort, welches noch 
eine sortrfriltTg-ore ergründung verlangt, auf die von dr. Hecht- Gum- 
binnen in seim r 'gr i e o b i s? c h e n b e d e u t n d g «; 1 e hr e' entwickelten an- 
sichteu hiuweiseud, betuiit der vortrageude, aa.&z gerade das gebiet der 
Wortforschung noch viele arbeitslose erfordere, nach seiner ansieht 
kommt aber der philologe anf dem von Ueclit eingeschlagenen wege 
nicht zum ziel, vor allem musz die etymologisch- sprachvergleichende 
betrachtuug des Wortes hinzutreten, da mehrfach worte in den uns 
überkommeneu litteraturdenkmälern zu vereinzelt vorkommen, als dasz 
aus dem jedesmaligen zusammenhange ein sicherer schlusz anf ihre be- 
deutnng im allgemeinen gezogen werden könnte, als charakteristisches 
beispiel in dieser hinsieht hebt redner das Homerische firraE eiprju^vov 
«dirdAajivoc» (11. V 597) hervor, die in den griechischen Wörterbüchern 
gemeiniglich angegebene Übersetzung 'hilflos» ratlos, sich nicht zu helfen 
wissend', welche sich volksetymoiogisch an «iraXdfiri^ anlehnt, weist 
redner zurück, da sie mit den einfachsten gesetzen der griechischen 
wortbildungslehre nicht in einklang zu bringen ist. da das suffix -|iVOC 
offenbar auf eine participialendung -^evoc hinweist, so empüehlt er 
mit bezuguahme auf die auch in irXaväc6ai (umherschweifen) enthaltene 
Wurzel «itXa, ixaX> die Interpretation ^sehr wandernd', indem er a als 
a intensivum auffaszt. demnach ist die Homerstelle zu übersetzen: ^wie 
wenn ein mann nach langer Wanderung stehen bleibt am schnellströmen- 
den flusse.' 

Mit rücksicht anf die weite ausdehnung des arbeitsfeldes empfiehlt 
sich teilung der arbeit, da nur durch gemeinsames wirken ein befrie- 
digendes resultat erzielt werden kann, die methode selbst musz eine 
zwiefache sein: oinersfits ist, da es leider immer noch an wissenschaft- 
lichen speciaiwörterbüchern zu den bedeutendsten Schriftstellern fehlt, 
der Sprachgebrauch eines jeden einzelnen autors genau festzustellen, 
anderseits musz die historische entwicklung des wertes an sich durch 
die verschiedenen perioden der cultur und litteratur hindurch von dem 
spätesten bis zum frühsten gebrauch gewissenhaft verfolgt werden, die 
aus einer derartigen behandlung der spräche für die beurteilang des 
geisteslebens eines yolkes sich ergebenden resultate sind äusserst lehr- 
reich und geradezu überraschend, da also das gebiet der Wortforschung 
reichlich gelegenheit zu nutzbringender arbeit bietet, schlieszt redner 
mit dem wünsche, flasz entsprechend dem thesaurus linguae Latinae ffir 
die griechische Wortforschung ein neuer, dem jetzigen stand der wissen- 
sehut entsprechender Stephanus ins leben gerufen werde als ein organ, 
in dem die auf diesem felde arbeitenden gelehrten die resultate ilirer 
sonst vielleicht sich zersplitternden forschungen niederlegen können. 

Hiernach spricht herr prof. dr. Förster'Kiel über 'die ent- 
stehungszeit des Laokoon'. 

Bedner knüpft an eine jüngst erschienene recension des italienisehMi 
archäologen Brizio an, der es als einen glänzenden erfolg bezeichnet 
hatte, dasz man zur erkenntnis gekommen sei, dass der Laokoon nicht 



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deutäclier phüologeu und schulmänner zu Görlitz. 



65 



ein werk der zeit des Titus, sondern der hellenistiftchen zeit, wenig 

junger als der fries des Zeusaltars za Pergamos sei. im schärfsten 
gfegensatz zu dieser aiiffassung steht die atjsiclit J^ybels, dasz die bild- 
h&uer keine andere poetische quelle benutzt haben könnten, als Yergils 
Aeneis. gegen das nersehende dogmB war früher schon Stephani und 
in der letzten zeit Robert aufg^etreten , der auf bedenken gramma^ 
tischer und ep i q-r a phis ch er, mythologischer nnd kttnzthisto* 
rischer art hingewiesen hatte. 

Kedner nimmt somit den streit als eine ^pic qpiXr) wieder auf, indem 
ff die gründe in erwKgung zieht, die für entstehnng der Tatieanizehen 
graj^ unter Titnz und nicht in hellenistischer zeit geltend gemacht 
woraen sind. 

1. Was zunächst die gr ;i in matisch- c xegetischen gründe, ange- 
scliloäsen an die stelle des Piiuius 36, 37 betrifft, so läszt sich die quelle, 
ans der Plinins schöpfte, mit Sicherheit nicht ermitteln; nmr vermuten 
k&mteman, dasz Licinius Mucianus der gewfthrsmann sei. wenn Lach* 
matiii f\nnahm, die künstler hätten die gnippe auf bestoll f!n<r des Titus ge- 
bildet, so beruht diese auffassung auf unrichtiger Übersetzung der worte ^de 
consiiii seutentia', die derselbe wiedergibt durch : ^auf entscheidung des ge- 
heimen rats'; denn als Plinins das S6e buch schrieb, war Titas noch nicht 
prinoeps, sondern nur Imperator und mitregent; irg^deinzasatz wäre un- 
bedingt erforderlich gewesen. Lachmanns erklärung musz auch in gram- 
matischer hinsieht bedenken erregen, da die forme! nnr in dem sinne 
gtbraacht wird, dasz das handelnde Subjekt glied des consilium ist. die 
nmatler würden also handeln nach dem entscheid • . . einer commlssion, 
der sie jedoch in keiner weise angehören, wenn die künstler überhaupt 
nach dem entscheid einer commission handelten, so konnte diese doch 
nar aus sachverständigen zusammengesetzt sein, die tormel 'de consiiii 
fcotentia' kann, wie eine beobachtnng des Sprachgebrauchs ergibt, bei 
Plioias nur in der bedeutnng: ^beratende Versammlung' gefaszt werden. 
■h las subject aus einer mebrhelt besteht, so können diese, die künstler, 
nur aach der sententia des von ihnen selbst gebildeten consilium handeln, 
diesen umstand betonte Plinius nicht mit unrecht; denn in seinen Worten 
lit noch nicht der gedanke enthalten, dasz sie das werk anch gemeinsam 
ersonnen haben, dasz die meister des Laokoon einer früheren zeit und 
nicht der des Plinins angehören, geht zur genüge ans den Worten 'non 
faisse tum auctoritatem' hervor; auch an andern stellen betont Plinius, 
dasz es der kunst seiner zeit an ansehen und innerem wert fehle, im 
gegensatz zur summa claritas jener alten zeit. 

2. My thographische und litterarhistorische erwägungen 
ftibren zu demselben resultate. 

Dasz, wie Lessing und Robert raeinen, erst Vergil es war, wel- 
cher vater und söhne zusanmien umkommen liesz, bestreitet redner aufs 
entschiedenste. Vergil folgte yielmehr in der Laokoonepisode einer 
alten (]uelle; dieselbe läszt slcll nachweisen in Euphorions von Chalcis 
einer einheitlichen erzählung, welche die schul 1 des Laokoon 
genügend motivierte. Euphorien lag Vergil vor, als er ijaokoon mit 
lemen Leiden söhnen umkommen liesz, während er in der Verknüpfung 
der Laokoonepisode mit dem rosse Tielleicht dem alten epos des Arktinos 
folgte, wenn auch nur durch Termittlung einer aus diesem abgeleiteten 
quelle, der Laokoon der gruppe kann somit ohne kenntnis des Euphorien 
überhaupt nicht gewürdigt werden, mit dieser auffassung stimmt auch 
tis besdireibung Sadolets völlig überein ; an ein abhängigkeitsverhUltats 
von Arktinos ist nicht zu denken. 

Dasz Vergil die gruppe gekannt und dieselbe bei seiner Schilderung 
^rücksichtigt habe, ist nicht unmöglich; sehr einfach erklärt sich bei 
dieser annähme der umstand, dasz der dichter das eigentliche sterben 
des Laokoon nicht erwtthnt. wiehüg ist auch Hir die beurteilnng unserer 
die thatsache, dasz bei Vergil die katastrophe am gestade des 

n. jehrb. f. pbil« u. pid, Ii. tbt. 1880 Ul. i. ^ 



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66 



Beficbt über die Verhandlungen der 40n TereatnmluDg 



meeres stattfindet, in der grnppe dage^i^en innerhalb des T^jicvoc eineS" 
heiligtums, ent^prfcbpnd Avv alexandrini^clien dichtung. auch die srenerie 
eines auf die episocie bezüf:^Hchen ponipejanischen gemäldes weist auf 
abiiäugigkeit vou der griippe bia; mithio kann Vergil nicht g etaeinsajne- 
queUe für ^ruppe und bild gewesen sein. 

3. Bei der erwägung der epigraphisch-paläographischen- 
gründe fragt es sich ^nnachst, wir es mit dem alter der inschriften stehe, 
alle Inschriften äind echt; mit ausnähme einer einzigen, der 1867 in 
Trastevere gefundenen, sind sie originale, der im allgemeinen übereiu- 
stimmende schrifteharakter derselben läszt eine auffällige ähnlicbkeit 
mit pergamenischen inschriften -aus der zeit des königs Attalos erkennen, 
auch ein auf Rhodos gefundenes ehrendecrct wird einstimmig in die 
hellenistische zeit gesetzt; dasselbe weist den schrifteharakter der zeit 
anf , in welche die kunstblftte ▼on Rhodos fftllti die etwa von 220" 150' 
V. Chr. sich erstreckt, der Laokoon fügt sich auch sehr passend in die- 
reihe der licllrnistisehcn dcnkmUler, wrlche gebildet wird durch den 
kolosz des Chares, den reuigen Athamas uiid die grnppe dos farnesischen 
Stiers, aus dieser datierung erklärt sich unter anderm auch die imver» 
kennbare Terwandtschaft zwischen dem Laokoon xmd dem Atheuagegner 
auf dem fries des Zcusaltars zu Pergamos. verglichen mit den übrigei^ 
wer1-en der hellenistischen periode musz der T;arkoon an das ende der 
rhodischen kunstblüte gesetzt werden, da er den Jammer menschlichen 
elends auf seiner höchsten hübe zeigt; er kann nicht wohl vor der mitte 
des sweiten Jahrhunderts y. Chr. entstanden sein. 

An dritter stelle folgt sodann noch der Tortrag des herm prlvat- 
docenten dr. C o h n - Breslan: 'Über die von der königlichen 
bibliothek in Berlin erworbenen griechisehen Codices Meer» 

manniani'. 

Die von der küniglichen hibliothek erworbenen Meermannschen band- 
Schriften stammen aus der bibliotbck von Sir Thomas Philipps, die 
gegenwärtig in Thirlestaine*Honse in Cheltenbam aufgestellt ist. die 
zahl der erworbenen griechischen handschriften, groszenteils ahschriften 
ans dem l<in Jahrhundert, beträgt 241; dieselben bilfleten ehemals einen 
bestandteil der hibliothek des hollanders Meermann und wurden 1824 
Ton Philipps angekauft, die Codices Ueermanniani stammen zum grösten 
teil ans der hibliothek des jesuitencollegs Clermont zu Paris, die bis 
zum Jahre 17G3 hestaiid; ein groszcr teil der griechischen handschriften 
des collefriTtm (^Inromontaiuim stammt aus der hibliothek des Guillaume 
Pelicier, bischotä von Montpellier; vorher befanden sich dieselben aber 
noch einige seit im besitze von Claude Naulst ans Ayallon, einem freunde 
Feliciers. 

In der griechischen Sammlung sind fast alle litteraturgattungen 
vertreten; ein drittel derselben bilden die kirchlichen imd theolügisohen 
liaii lsc liriften. die noch manche inedita enthalten, neben ihnen erscheinen 
eimge handschriiten juristischen, philosophischen, naturwissenschaft- 
lichen und medieiniscben Inhalts, die kostbarste ist wohl cod. Phill. 
1638 1 welche die Ilippiatrica enthält und bei einer künftigen textes- 
reconsion zn gründe gelegt werden musz. während die mathematiker 
und ijiusiker ziemlieh vollständig vorbanden sind, ist die poetische lit- 
teratur nur schwach vertreten; von den attischen redncrn finden wir 
nur DemostheneSy von den historikern nur Xenophon (Cyropaedie, Ana- 
basis, Oeconomicus)| zahlreicher sind dagegen die byzantinischen hiato- 
riker vertreten. 

"Weniger bedeutend sind die handschriften grammatischen Inhalts, 
der bauptwert der neuen erwerbung liegt wohl in den lateinischen Co- 
dices Meermanniani, während die philologische Wissenschaft aus den 
griechischen Philippsschen handschriften hinsicbtlicb der kritik der alten 
Schriftsteller keinen groszen nutzen su erwarten hat. 



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deutscher pbilologen und bciiuliiiäüiier zu Görlitz. G7 

Abends fand in den festlich erleuchteten räumen des Wilhelmtheaters 

für die teilnehiner der ver5?ainmlung der festball statt, zu dem damen 
und benren der besten geseliscbaft geladen and erschienen waren. 

Dritte allgemeine Sitzung, freitag den Ö october, 

vormittags 10* ^ uhr. 

Der Vorsitzende, geheimrat prof. dr. Hertz erteilt zunächst Herrn 
gymaasialdirector dr. Eitner das wort zu einigen geschättlichcn mit- 
tdlnngen; sodann berichtet er über das resultat der Verhandlungen be- 
züglich der wähl des uäclisten Yersammlnngsorts nnd teilt mit» dasa 
München als ort der nächsten ver^fimmlung gewählt worden sei und 
daj^z magistrat und regierung in liebenswürdigster weise bereit seien, 
die Versammlung empfangen, beworben haben sich augzerdem Wien 
nnd Straszburg; diese stHdte sollen für die nächsten congresae im ange 
behalten werden, für das prSsidlum werden vorgeschlagen hofrat prof* 
dr. y. Christ nnd dr. Arnhold, rector des Wilhelmgynmasinms in 
München. 

Y. Christ dankt für die ihm erwiesene ehre nnd heiszt die Ter* 
ssnmlnng von selten der Stadt Milnchen nnd der kdoiglichen staats- 

regierung willkommen. 

Nach einigen geschäftlichen mitteilnnnen folgt sodann der vertrag 
d»s herrn dr. Friedrich Cauer-Freieuwalde a. O. über: 'Drakons 
gcsetzgeb ung'. 

Die notiz bei PoUnz III 125, nach der das amt der epheten dorch 
Drakon, der Arcopag durch ^olon eingesetzt ist, hat bisher niemand 
in ihrem ganzen umfang flir richtig gehalten. 

Die einen halten die epheten für älter als Drakon, die andern den 
Areopag für älter als Selon nnd Braken, andere wieder beide gerichts- 
böfe für älter als die genannten gesetageber. dasz in der attischen 
blntgerTchtsbnrlvcit sich ein stück granen altertnms erhalten habe, ist 
nicht wahrsclieinlich, wie ein vergleich mit andern griechischen land- 
schaften lehrt, in denen eine gerichtliche verfolguiig des mörders noch 
unbeiumnt war, als die gesellschaftliche entwickltmg schon weit fort- 
gesdirltten war. belegt wird diese behauptung durch stellen aus der 
Odyssee tmd Tlias. (Theoklymenos und schild des Achill.) in der gc- 
ri''ht?verhandiiir)g , die auf letzterem dargestellt ist, haben die richter 
nur ieätzuätelleu, ob die busze gezahlt worden ist. obgleich hier das 
princip der blntrache gemildert erscheint, insofern es üblich ist, dasa 
die verwandten des erschlagenen sich mit einer geldbusze begnügen, so 
besteht doch die thatsache, dasz bei den loniern noch zu anfang des 
7n Jahrhunderts die Staatsgewalt nicht daran dachte, die Verfolgung des 
mörders in die band su nehmen, deswegen ist es nicht wahrscheinlich, 
dssi man im mutterlande, welches namentlich in der entwieklong städti- 
scher cultnr zurückgeblieben war, schon in früherer seit 2U einer ge- 
richtlichen verfidgimg des mörders fortgeschritten sei. eine anschauung 
von der entwickiuug der attischen blutgerichtsbarkeit kann man ge- 
winnen ans den übeiresten der Drakontisohen gesetze, die meist nicht 
nach gebühr gewürdigt worden sind; namentlich muste dieses alte 
leognis ohne Voraussetzung erklärt werden. 

Hierauf erörtert redner die beschaffenheit der Überlieferung, auf 
welcher uusre kenntnis der gesetzgebung Drakons beruht, die inschrift 
C. I. A. I 61 (in trümmerhaftem anstände erhalten) bietet brnchstüeke 
der ursprünglichen fassung. eine jüngere redaction benutzte Demosthenes 
fgegen Aristocrates und an andern orten), die wohl entstand, als nach 
Eukleides das attische gosamtrecht einer revision unterworfen wurde, 
ebenso wie die nacheukleidische bearbeituug des attischen rechts bei 
4ea rednem den namen Bolons trägt, gilt ihnen Drakon als nrheber des 
abidinitts über die blutgerichtsbarkeit. 

6* 



68 Bericht über die verliandiLmgeu Uer 40ü veröaümiiung 



Sodann snoht redner die frage zu beantworten, was nach Drakons 

anordnnn^ zn g^eschehen hatte, wenn in Athen jemand ermordnt worden 
war. wem lag" die verfolgiinof obV beim morde eines freien den ver- 
wandten, beim morde eine» skiaven dem herrn des getöteten, Schwierig- 
keiten erwachsen, wenn die beschütser den mörder nicht kannten, da 
niemand verpflichtet oder auch nur berechtigt war, denselben anzuzeigen, 
ödipns bei Sophoklog f Hd, tyr. 254 fl^.) verlanc^t auch nur, dasz der mijr- 
der sich selbst nenne, wenn er ein biirger sei, dasz er nnsrezeig't werde, 
falls er ein ausländer sei. den angehörigeu blieb nichu übrig, ala eiue 
meidung im Prytaneion su machen, sei es bei den prytanen der nankra- 
rien oder den archonten oder den phjlobaaileis; die waffe wnrde ev. 
abgeliefert nnd über die grenze geschafft, wie dies auch zu g-epchehen 
pflegte, wenn der mörder bekannt war. die phylobagileis hatten viel- 
leicht auch die aufgäbe, den unbekannten mörder feierlich zu verüuchen 
und von der gemdnschaft der bürger ausanstoasen; nachgebildet ist 
dieses Verhältnis von Soph. Od. tyr. 236 ff. nach Weckleins Vermutung 
wurden vom prytaneion auch solche mörder verflacht, die bekannt waren, 
aber sich versteckt hielten, dieses verfahren sank aber später zu einer 
leeren formalität herab, epheten am prytaneion erscheinen später; 
ihre aufgäbe war nach Drakons gesetz zu 'entscheiden' (öiaTVÜCtvai}. wenn 
das prytaneion bei Poilux zu den seitDrahon ephetischen gerichtSSttttten 
gerechnet wird, so ist dies eia anachronismns. 

War der thäter bekannt, so wurde er von den verwandten des er- 
schlagenen auf dem markte aufgesucht und aufgefordert, sich Ton allen 
öffentlichen orten und handlungen fem zu halten (trpöppncic). diese 
irpöppiicic ist zur i'< it (Trr rr dnor nur eine ceremoniöse Vorladung vor 
geriebt, die abfr nicht verhinderte, dasz der ang-eklaf^tc nlle bürger- 
lichen rechte ausübte; der ausscblusz erfolgte wahrbchciniicli erst, wenn 
der basileus die rrpöppricic nach entgegennähme der anklage wiederholte. 

Es lassen sich also drei Stadien untersdieiden: die unmittelbare 
Selbsthilfe, die go^otzlich geregelte, das gerichtliche ver- 
fahren, auf Drako möchte redner das stadhnn der gesetzlich g"! regelten 
Selbsthilfe zurückführen, das dritte Stadium eulüält noch spuren der 
beiden älteren, sur seit der redner Iknden drei irpobtKacCot statt in 
drei aufeinander folgenden monaten, bei denen ßaciXeOc und Ared^ag zu- 
gegen waren, die künstliche Verzögerung vprrUt don zustand der un- 
mittelbaren Selbsthilfe; der geregelten Selbsthilfe entsprechen die Ver- 
handlungen zwischen den parteien. zu besprechungen konnte es auch 
schon im ersten Btadium, in dem der regellosen blutrache kommen, die 
gerichtssprache bekundet in den werten 2)itjbKU)v und q>€UTUJV, dasz die 
gerichtliche anklage ans einem bewaffneten angriff, die gerichtliche Ver- 
teidigung ans einer flucht hervorgegangen war. als Zufluchtsort bot sich 
* dem thäter nur das heiligtum der Eumeniden auf dem areopag ('stein 
des frerels und der unTorsöhnlichkeit'}. daselbst konnte der thäter 
in der sich bietenden ruhepause durch bitten und vorötellungen seine 
Verfolger zu besänftigen versuchen. Drakon machte die Verhandlungen 
auf dem Areopag obligatorisch und verteilte sie auf drei je durch einen 
monat getrennte Zusammenkünfte, diese trennung der yerhandlungen 
von der eröffnung des Terfahrens enthielt für die Verfolger eine gefSahr, 
da sie nicht sicher ivnreii, ob der thäter sich auch stellen werde, des- 
halb muste die schuld förmlich constatiert werden. Drakon gestattete 
zwaugsmaszregeln gegen die angehörigeu; erschienen nemlich dieselben 
in dem termin nicht mit dem angeklagten, so stand den angehörigeu des 
ermordeten das recht der dvÖpoXr)ipia zu; sie durfteod drei von den ver- 
wandte ri <:refangen nehmen, (den siim dieses gesetaes yerstnui weder 
Demosthenea noch die lexicograpljcu; auch neuere nehmen fälschlich an, 
es richte sich dieses gesetz gegen einwohner eines fremden Staates.} war 
die schuld^age zweifelhaft oder schien sie es su sein, so mnste eine 
rechtskräftige entscheidang getroffen werden, diese hing davon ab, wie 



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deutscher pbilologeu und schulmäaner zu Görlitz. 



69 



angeklagte die befcbnldigung seiner gegner snrfiekwies; er konnte 
loQgnen oder rechtfertigende umstände geltend maclicn. Drakons be- 
Btimimnif^en binsichtlich des ersten falls sind nicht überliefert; ein von 
Demostiieiies beschriebenes verfahren ist jüno-er als Drakon. das So- 
lonische amne stiege setz anderseits beweist, dasz schon vor Selon ein 
ferfehren in blntaachen auf dem Areopag stattfand nnd zwar nieht in 
gegenwart der epheten. dieses ▼erfahren spielte sieh wohl ab ohne jede 
mitwirkuDg eines gerichtshofes. 

Wnfl;:rfh wurde die entscLeidiing lierbeigeführt? der eid, mit dem 
beide pait« icii am schlusz de'-' ersten plaiiloyer« die Wahrheit ihrer aus- 
sage bekräf tigeu , ist eine sinnwidrige formaiität; denn unter allen um- 
Blöden wird ein meineid geschworen, es gab wohl eine seit, in der 
der eid die aussage des schwörenden ohne beweis rechtskräftig machte; 
wenn der angeklagte seine unsclnild beschwor, hörte die verfolf^nng auf; 
wenn die kläger ihre nnklagen beschworen, so wurde der mör<1<r von 
seinen verwandten der räche preisgegeben, die zeugen auf dem Areopag 
waren nrspriinglich nichts als eidesbelfer, die denselben eid leisten 
mästen wie die parteien. dieselben mästen sich als verwandte oder 
angeliörirre der partei, der sie zeugnis leisteten, ausweisen, wider- 
sprechende eide beider parteien waren vor einführung der gerichtlichen 
entscheidnng ausgeschlossen. Terrnntlicb machten es die Athener wie 
die Kreter, die den klftger meist nnr dann zum eide zuliessen, wenn er 
ihm vom beklagten zugeschoben wurde, behielten die kläger die Ober- 
hand, so galt absichtlicher totschlag als erwiesen, der mörder muste 
aaf lebenszeit das land verlassen; auch muste er sich vom grenzmarkt 
nnd allen panhellenischen festen fernhalten, wer ihn tötete, wnrde 
ebenso bestraft, als ob er einen athenisehen bnrger getötet hätte, scbtt^ 
digung des vermögen« des mörders war nicht gestattet, während vor 
Drakon der mörder sich loskaufen konnte. Drakou n/ihm bei abscliaf- 
fang dieses brauches namentlich rücksicht auf die armen, deren leben 
unter solchen Verhältnissen in beständiger gefahr schwebte, leugnete 
der angeklagte den mord, so verlief das verfahren ohne jede mitwirhung 
eKiMMi gerichtshofes. 

Für den fall, dasz der verfolgte seine that gestand und behaup- 
tete, er habe ohne absieht gehandelt, machte Drakon Untersuchung und 
entächeidung seitens der 51 epheten obligatorisch, den Angehörigen 
des ermordeten stand es nicht frei, ihre klage von vornherein auf nnfrei- 
willigen totschlag zu formulieren, der begriff dKoOcioc (pövOC ist nicht 
identisch mit fahrlässiger tötung; derselbe entspricht eher unsrer ''körper- 
verletzung mit tödlichem ansgang*. die Versuchung zum meineid war 
ungemein grosz, wenn der angeklagte, der im zustande leidenschaftlicher 
erregung gehandelt hatte, sn einem eide aufgefordert wnrde* um dem 
meineide vorzubeugen, verlangte Drakon gerichtliche Untersuchung, das 
urteil der epheten war nicht ohne weiteres rechtskräftig; die partei, zu 
deren gunsteu entschieden war, muste erst eidlich die gerechtigkeit des 
Urteils beschwören. 

Verwarfen die epheten die einrede des angeklagten, so galt, wie 
beim Areopag, mord oder totschlag als erwiesen, wurde auf 'unfrei- 
willigen totschlag' entschieden, so muste der thäter nur auf beschränkte 
*eit Attika verlassen; er genosz aber die rechte eines Atheners im aus- 
lände, den angehörigen des ermordeten stand es jedoch frei, sich mit 
dem mörder su versöhnen; hierbei sahen sie jedoch auf ihren vorteil. 
Braken erschwerte die Versöhnung, da er seine landsleute kannte; auch 
h><;z er es nicht SU, dass von vornherein die klage auf 9ÖVOC dKoOctoc 
gericlitet wurde. 

Die epheten saszeu auch zu gericht, wenn es sicli um anstiftang 
nicht nur zu einer handlang mit tödlichem ausgaug, sondern auch zu 
tbsiehtlicher tötung handelte, der anstifter und der thäter wurden 



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70 



Bericht über die verhaudluDgen der 40ii versammlaug 



spSter gleichmSssfir Itestraft. ursprünglich war aber die sache für den 
mörder günstiarer, wenn er nachweisen konnte, dasz er angestiftet wor- 
den sei. denkbar ist, dasz die intellektuelle Urheberschaft eines andern 
als milderLing.sgrimd angeführt wer<len durfte. 

Welches verfahren beobachtet wurde, wenn der angeklagte die that 
einräumte, aber Straflosigkeit (dieselbe wurde in gewissen fällen suge- 
standen) für sich in anspruch nahm, steht nicht fest, was die Örtlich- 
keiten betrifft, an denen die verhcandlungen stattfanden, so werden die 
fünf attischen malstätten Areopag^, Palladion, Delphiuiou, Phreatto, Pry- 
taueion in den Drakontischen gesetzen nirgends genannt, die Verteilung 
der eompetensen beruht wohl kaum auf einmaliger gesetslieher anord- 
iiung. der Areopag war zu Drakons seit noeh kein gerichtslokali am 
Prytaneion wurde der fluch ausgesprochen, zu Phrcatto 3ns7. man zu 
gericht über verbannte, die während ilirer Verbannung eines andern mor- 
des angeklagt wurden, die blutgerichtsbarkeit beim Palladion und Del- 
phinion stand im susammenhang mit religiösen reinignngen, die ihre 
heimat in Eleusis haben. 

Auf dem von Drakon vorgezeichneten wege ist Selon weitergegangen, 
als er die Selbsthilfe abschaffte, die entscbeidung der fälle, in welchen 
der angeklagte leugnete, übertrug er dem rate auf dem Areopng, dem 
auch die rechtsprechung anstand in fällen der Vergiftung, brandstiftung 
lind versuchten mordes. zu seiner coropetenz gehörte es auch, festzu- 
stellen, ob ein absichtlicher mord geschehen sei oder nicht, die c})heten 
behielten im wesentlicheo nur die rechtsprechung in processen, in wel- 
chen die anklage auf unfreiwilligen totschlag oder anstiftung sum mord 
formuliert war. 

Die Drakontische gesetzfrebung" bezeichnet den übercr-anj»" von der 
Selbsthilfe zum gerichtlichen verfabreu. wenn im gfegcnsatz hierzu die 
handbücher lehren, Drakon habe sich darauf beschränkt, das bestehende 
recht aufzunehmen, um ihn von dem Vorwurf sinnloser härte zu befreien, 
so beruht dieser Vorwurf auf einem misverständnis; ihm liegt zu gründe 
die behauptung, Drakon habe auch auf die kleinsten vergehen die todes- 
strafc gesetzt, in Drakons g-esetzen wurden die fälle aufgezählt, in denen 
tötung erlaubt war. als mau den zustand erlaubter »elbsthilfe nicht 
mehr verstand, nahm man an, Drako habe auf den diebstahl, der unter 
umständen ein kleines verbrechen ist, die todesstrafc gesetzt, ob Dra- 
kon in seinen gesetzen einen andern gegenständ als die Verfolgung 
des mördcrs behandelt hat, musz zweifelhaft erscheinen, bestrafung der 
arbeitslosigkeit wird von Herodot II 177 Solon zugeschrieben, von den 
gewährsmännern Plutarchs (Sei. 17) teils auf Drakon teils auf Pisistra- 
tus zurückgeführt, da die begriffe Drakon und todesstrafe für unzer' 
trennlich schienen, mag wohl diese auffassung entstanden sein; wie man 
an Pisistratus denken kann, ist nicht ersichtlich, wenn nicht ein be- 
stimmtes gesetz desselben sksh nachweisen läszt 

In der that hat Pisistratus in wirksamer weise das recht auf arbeit 
anerkannt; er konnte also auch die pflloht zur arbeit aufstollen; ihm, 
der der attischen industrie einen bedeutenden absatz verschaffte, iat es 
zu verdanken, dasz es iu Athen keine unbeschäftigten leute gab. 

Zur zeit der redner stand auf arbeitslosigkeit nur noch ekrlosigkeit, 
aber auch erst na( h dreimaliger Verurteilung, wenn man dieses gesetz 
auf äolon zurückführte, schob man naturgemäsz jenes ältere dem Dra- 
kon zu. 

Das schuldrecht lag jedenfalls auszor der spliüre der Drakontischen 
gesetzgebong; dieselbe bezweckte nur blutige fehden abzustellen, indem 
sie hinderte, dasz durch regellose ausübung der blutrache ein totschlag 

den aiidorn nach sich zog. Drakon hat unter günstigen bedin jungen 
groszcs geleistet ? er hat misstände abgestellt und die bürger innerlich 
veredelt, ohne die hergebrachten gebrauche gewaltsam zu andern. 

In der an den vertrag sich anschliessenden discussion bezeichnet 



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ddütscher phüologen und fMshnlzn&nner zu Oörlits. 



71 



4r. Schenkl den vom redner eing-esclilagenen weg als nicht zuverlässig; 
der vortrag-ende verteidigt jedoch ihm gegenüber seine anschauungen. 

Hierauf erhält herr professor dr. Gönz e -Berlin das wort za seinem 
vortrage über das sreliliologisehe iastitut nnd das gymna- 
sinm'. 

Kd. Gerhards im jähre 1850 ausgesprochener wünsch, dasz die 
archäolo^isehen Studien auch von seilen der philologenvereine rcgel- 
mäszlg beachtet werden möchten, hat sich vollauf erfüllt, gegenüber der 
weiterentwieketniig der arehäologie und den anforderungen, die an den 
gymnasialnnterricht gestellt werden, ist das bedürfnis unabweisbar, dass 
beim zcicliennnterricht tind namentlich bei f?pr lectüre sowie beim ge- 
schichtsuiit crricht verwertet werde, wa« die ;ir( li iologie an die hand 
gibt, die äprachtitudien büäzen dadurch noch nicht ihre vornehme 
BteUang ein. in nene bahnen ist die von Welcker, O, Jabn n. a. be- 
gonnene arbeit eingelenkt dareh Bntim. jUngeren methodisch vorge- 
büdpten gelehrten ist Her unmittelbare zngan<r 7A^m studinm der denk- 
mäler eröffnet, die deutsche archäologie hat die groszartigeu errungen- 
schaften Englands in Olymnia und Pergamos nachholen dürlen. dieselben 
wege gehen Frankreich , Österreich nnd Italien, die denkmftler treten 
schon in ursprünglicher Zusammengehörigkeit ganzer mittelpunkte an- 
tiker civilisation wieder hervor, auch Amerika, wetteifernd mit der 
deutschen forschung, möchte gern seine hand ausstrecken nach dem 
kränze einer ansgrabung von Delphi, die so erweiterte archäologie kann 
fortbin nicht isoliert ihren weg gehen, sondern sie berührt sieh in vielen 
punkten mit der altertumswissenschaft ; die Untersuchung und forschung 
auf beiden gebieten schmilzt vielfach zusammen, darum ist es nötige 
dasz auch der schuimann, dessen aufgäbe es ist, das antike leben 
dem geiste der jugend en erschliessen, den wa&dinngen in der arclüEo* 
logie seinen blickf zuwendet; er mnss in Bom sn banse sein, dem 
gange der wissensohaft zn folgen, ist man auch sonst in unterrichts- 
kreisen lebhaft bestrebt, wie die arbeiten von Lunitz, Seemann, Menge, 
haumeister, Eugelaiaun u. a. beweisen, die genannten bestrebuugen 
erhalten dnrch das archHologisehe institnt hervorragende forderung; 
d%8Mlbe wirkt befrachtend auf die Universität und 80 indirect auf die 
VArhilfhing des gymnn «i.tllehrers. Schweden und Norwegen streben die 
gründung eines nluilirlien insfitnts in Rom an. anch Amerika, das land 
des eminent modernen, welchem iu AUiea ein institut errichtet hat, wen- 
det seine anfmerksamkeit anf die allgemeinere belebung der dassischen 
Studien durch direote berührung mit den Überresten des altertums. die 
zahl der jüngeren und älteren gymnasiallehrer , die Studien h?\lbor mif 
einige monate nach Rom kommen, ist nach den berichten der secretare 
des archäologischen Instituts im wachsen begriffen, die Stipendien des 
institats sind aueh jungen schnlmännem snglinglieh. anerkennenswert ist 
namentlich die munificenz der bayr. regierung. die kaiserliche reichsan- 
stalt gewährt, soweit der raiim gestattet, Jüngern der Wissenschaft nnter- 
konft, gewährt die litterarischen hiitsmittei und steht ihnen mit rat und 
that cur seite. bewShrte forscher leiten die führang durch rninen nnd 
iDQseen ; auch die kenntnis Pompejis wird erschlossen durdi prof. Mau. 
prof. Dörpfeld hat mit jungem der Wissenschaft von Athen aus ausflüge 
oacli Olynijda, Sparta, Myc-enae, Epidaurus unternommen, redner wünscht, 
dasz der auscblusz der schulmänner an die archäologischen Studien ein 
noch engerer werde; denn nicht nnr fftr specialgenossen, sondern auch 
ftr praktische schulmänner arbeitet das institut. 

Im nnschlusz an diese ausluhrimgen empfiehlt redner die Verbreitung 
der institntsschriften (p.ntilro denkraäler, jahrhnch , rijmische und athe- 
oische mitte ilungen) an gjmnasien. die erhobenen bedenken, besagte 
lebriflen seien sa^peciell faehwissenschaftlidi nnd an kostspielig, sucht 
redner zurückzuweisen, die bestrebungen des Instituts — von einem 
istitnto dei vasi ist nicht mehr die rede — sind nicht engherzig» sondern 



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72 



Bericbt über die TerbandlaDgen der 40o Tersammlimg 



eie gehen aufs grosze nnd ^anze. da die bescbnffnng von vier Zeit- 
schriften nur für 'jfüii-tig- sitiiierte anstalten inöplü Ii ist, musz eine iins- 
>vaLl gcUüiieu werden; redner empüciilt als geeignet und die anscliau- 
ung am meisten fördernd ^die antiken denkm&Ier'. damit die teilnehmer 
der Versammlung selbst die probe machen können, sind einige tafeln 
ausgehängt: Inlfler aus dem Pisi<?trn tidischen Athen, grundrisz und auf- 
riöz eines tempels, an dem der begriff von einem dorischen bau sich 
klar machen läüzt, zwei tafeln mit kapitelen der »äulen, welche weih- 

fssckenke tragen, ein männlicher köpf ans einer giebelgrnppe ; ferner 
as innenbild der Berliner Sosiasschale und die tafel mit der bronze- 
gtatue des fatistkämpfers in Rom. der korinthische stil läszt sich erläu- 
tern am mausoleum der JuUer zu iSt. Kemy in der Provence. 

Im auscblusz an den vertrag wurde unter dem vorsitse des gjmna- 
sialdireetors dr. A. Mttller-Flensborg im engeren kreise beraten, welche 
schritte zu thnn seien, um die im vorstehenden entwickelten ansichten 
zu realisieren, das Institut erbietet sich die Zeitschriften zu ermäszigtcra 
preise bei directer bestellung zu überlassen, eine preisermäszigung auch 
für die römischen nnd athenischen mitteilungen des institnts wnrde ge- 
wünscht, dem wünsche nach einer Auswahl der denkmälert afein, die für 
den Unterricht besonders geeignet sind, stellte prof. Conse sich sym- 
pathisch gepfenüber. 

Die zuläbHigkeit eines individuell verschiedenartigen Verfahrens in 
der art der Vorführung der altertümer werde sugegeben; stark betont 
wnrde, dasz es nötig sei, die lehrer in laufender kenntnis der wichtig- 
sten ergebnisse arcbäoloo-ischen forschens zu erhalten, mit beifall auf- 
genommen wurde sodann der gedanke, das?: es den regierungen ge- 
fallen möge, demonstrationen neuer erscheiuungen auf dem gebiete 
der altertumsknnst in gestalt von feriencnrsen einzurichten. 

Den letsten gegenständ der tagesordnung bild^e der vertrag des 
herrn musenmsbibliothekars B e ck er- Hrrslmi über L i %m u s - b il d n i « f? e. 
da derselbe durch Unwohlsein veriiindert war persönlich äu eröcheinen, 
verlas herr dr. üaier aus 13 res lau die vom Verfasser entworfene dar- 
stellnng. 

Als Livius starb (17 n. Chr.), war sicher mehr als ein plastisches 

abbild Keiner nnszeren erscheinnng vorhanden, die zeiten des mittel - 
alters trugen nicht Sehnsucht nach plastischen bildnissen, auch konnte 
die kunst solcher Sehnsucht nicht belViedigung schaffen, dies geschah 
erst im seitalter der Wiederbelebung des classiächen altertnms. porträts 
der autoren vor ihren werken sind nach Maitial in der kaiserzeit ge- 
bräucbHcb gewesen; anlebnun» an dieselben darf in den uns erhaltenejn 
Liviuähandschriften, soweit sie miniaiuren aufweisen, angenommen wer- 
den, denkbar ist auch, dasz ein bildniskopf in der miniatur einer hand- 
sohiiffc sich als abbild einer jetzt noch vorhandenen büste erwiese« 
vortragender bat selbst in den bil)liothcken zu Florenz, Bologna, Pfulua 
und Venedig die Liviusbandschrifteu auf ihre mini. innren liin durch- 
mustert« das resultat lautet so: nur in einer beschränkten anzahl fin- 
den sieh bildnlsse nnd swar meist in zu kleinem maszstabe, als dass 
eine genaue ausprägung der gesichtszüge möglieh wäre; bald ist Livius 
stehend, bald sitzend, hier lesend, dort schreibend dargestellt; baupt 
trägt meist vollen haarsebmuck ; gelegentlich erscheint der scheiiel kahl, 
das gesiebt ist bald bärtig, bald bartlos, ein bestimmtes urbild läszt 
sieh nicht erkennen, trotz dieses negativen resultates darf das gebiet 
der miniaturbildnisse nicht unbeachtet bleiben. 

Tni Idoster der bt il. Justina zu Padua lebte der glaube, das« das 
grundstück die grabstätte des Livius berge. 

Um die mitte der 14n Jahrhunderts soll ein stein ausgegraben wor- 
den sein, dessen inschrift man auf den hlstoriker Livius bezog; die 
tradition z.v pflegen liesz der abt sich angelegen sein. 1413 fand man 
in demselben kloster einen bleiernen sarg mit vollständig erhaltenen 



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deutscher philologen und scliulmäDuer zu Görlitz. 



73 



memehliclieii g^bein«!!. daas diei die sterblichen Überreste des LMns 

seien, glaubte man sofort, in der daraulfolgenden zeit trug man sieb 
mit dem gedanken der erriclitung eines wiirdipfen denkmals; aus nnbe- 
kannten gründen tmterblieb jedoch die austülirung. die gebeine des 
Liyius wurden in den salone des palasso della Ragione übergeführt in- 
Mfarift und reliefbildnis kennzeichnen die beisetsungsstätte. 

Auch das nächste bildnis ist über einer tliUr des »alone angebracht, 
du relief zei^rt die sitzende halbligur eines mannes in älteren jähren; 
eine faltige kopfbedeckung verhüllt die haare, das gesicht ist bartlos; 
io der rediten band robt das kinn des denkers, während die linke be- 
qnem in einem aufgeschlagenen buche liegt, die entstehnng dieses bild- 
nisses ist vielleicht in Verbindung ssn briug-en mit den arbeiten, welche 
juu:h dem brande des salone 1420 ausgeführt wurden. 

Inschriftlich vom jabre 1547 datiert ist das im innern des salone 
befindliebe denkmal. dasselbe sebUeszt oben mit einer nisehe ab, in 
welcher eine als T. LIV beseichnete bfiste steht. 

Die büste stellt einen mann in vorgerücktem alter dar. flach an- 
liegend gearbeitetes haar bedeckt deu köpf, die ohn u sind auffallend 
lang; die lange ns.ac zeigt an der spitze eine charaiiteriäti.sche fast un- 
meAdiche vertiefang. die Unterlippe trägt in der mitte drei falten; 
Oberlippe, kinn und wangen sind mit bartspuren bedeckt, der sehnige 
hsls hat einen starken gurgelkooten. unter dem linken obre stehen am 
halse die buclistaüen P. T. L. £. der schöpfer des denkmals ist nicht 
bekannt; der Verfasser der denkmalsinschrift ist Lazarus Bonamicus 
(f 1662}. die bfiste schenkte Alessandro Bassane, €axk kunstsinniger 
altertumsfreund, der Stadt, die provenienz derselben geht auf die samm- 
imv^ desjenigen hanses zurück, welches in der öffentlichen meinung als 
das alte haus des Livius galt« 

Obgleich die gründe, aus denen der in der büste dargestellte mann 
dem Bassano als Livius galt, urkundlich nicht angegeben sind, darf 
man doch nicht behaupten, Baflsano habe die tradition gnnaobt; ge» 
wis wird er durch bestimmte gründe geleitet worden sein. 

Die beurteilung der büste, der inschrifttafel und der aufgefundenen 
gebeine sind drei scharf ku trennende dinge. 

Welches ist die über die Paduaner büste herschende raeinung? 
dieselbe hat Bernoulli (Rom. ieono^^raphie I Stuttgart 1882 S, 287) aus- 
gesprochen, seine worte sind nicht frei von irrtum, insofern <Ue pebeine 
60 jähre uacii der iuschrift aufgefunden sind, „grämlich" ist der go- 
sicbtsausdmek nicht, von einem 'kahlkopf ist auch nicht die rede. 

Die tafel stammt aus S. Giustina, die büste aus dem hause des 
Bassano. die Vermutungen, dasz die büste die des Claud. Marcellus 
oder des Lentulus Marcellitius sei, entbehren der begrimrlnnfr. 

Uic einwände gegt^ix die uezeichnuiig der büste mit dem uaujtn des 
IdTius lassen sieb widerlegen* 

Auffallend ist es« da.«iz man früher nicht auch an dem antiken ur- 
i^rung der büste gezweifelt hat. 

Prof. Öchmarsow bezeichnet sie als ein geringes werk eines renais- 
s&nceküustlers , welches gleichzeitig mit deu übrigen figuren des denk- 
mals entstanden ist. mit diesem urteil vereinigt sich .das, was vor- 
tragender aus litterarischen angaben entnommen, eine notiz bei Scar- 
deonius ^de antiquitate urbis Patavii' besagt, dasz auf dem denkmal das 
abbüd eines köpf es aufgestellt wurde, der in höchster Wertschätzung 
noch vorhanden ist im besitxe Bassanos. Schräder erwfihnt in seinen 
moanmenta Italiae das denkmal und die büste; auch er erwähnt zwei 
porträts, von denen das eine dem denkmal zug-ehört, das andere nach 
erriditnng des letzteren sich in der Sammlung Bassanos befindet (aos- 
driicklich als Caput bezeichnet). 

Damns folgt, dass wir die marmoreopie eines antiken Liviuskupfos 
vor uns haben. 



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74 Beriebt Aber die yerbandlungeii der 40ii Tersammlang 



Der antike Liviuskopf sollist ist vernichtet oder verscliollen ; an 
seiner stelle hat sich erhalten ein abbild, welches ihn penan wiedergibt 
und ihm an künstlerischem wert näher kommt als die Faduaner büste; 
das ist der broniekopf der stadtbibliotbek sn Breslau, derselbe ist eia 
wachsgusz; die Daeb dem gass ciselierte oberflftcbe ist mit olivfarbener 
pstina bedeckt. 

Der köpf stammt aus dem nachlaR?; des Thomas v. RehdiprrT (f 1576), 
der selbst längere zeit in Padua geweilt hat, wie aus brieüicbeu mit- 
teilongen bervorgebt. leider ist in den briefen von der erwerbung des 
kopfes nicbt die rede, anf draselben niminf zuerst bezug Job. Gebhard 
in seiner rede, mit der er am 4n octoVer 1661 die bibliothek eröffnete. 

Bronzekopf und marmorbüste — eine photoprraphie des letzteren ist 
leider noch nicht ert>chieuen — stellen denselben mann dar. 

Die sieb zeigenden versebiedenbeiten erscbeinen wie variierende les« 
arten, die auf der grundlage einer gemeinschaftlichen quelle entstanden 
sind, an ein abbiingigkeitsverhältnis des Brcslauer bronzekopfes von 
dem niarmorwerk ist nicht zu denken, jedoch kann man auch nicht 
behaupten, der Breslauer köpf sei jenes capnt aus dem besitz Bassanos, 
das yorbild für die marmorbüste; denn nomöglich kann angenommen 
werden, dasz der bildner des marmorkopfes die charakteristische Ver- 
tiefung an der spitze des nasenrückens aus eigener conjectur seiner 
Schöpfung zugefügt habe; dasselbe gilt von den drei strichen, die der 
Unterlippe des marmorkopfos eigen sind, dieselben fehlen jedoch am 
bronaekopfe nicht ganz, vielmehr treten sie in matten spuren hervor, 
diese äuszerlichkeiten müssen am köpfe im besitz des Bassano scharf 
ausgeprägt gewesen sein. 

Jene spuren beweisen, dasz die Paduaner büste nicbt auf den Bres- 
lauer köpf als directes rorbild zurückgeben kann. 

Man darf annehmen, dasa der bronaekopf nach einer über dem ori- 
ginal hergestellten wachsform gegossen ist. wann und wie kam man 
auf den pedankeu, den bronzekopf herstellen zu lassen? man beabsich- 
tigte von vornherein wolii kaum auf dem denkmai diu marmorbüste auf- 
Bustellen, sondern hegte ganz andere absichten. als dieselben sich nicht 
verwirklichten, nahm man hocherfreut das geschenk Bassanos an. die 
schluszzeilen der in^^chrift lassen erkennen, d.if^x mm steh iriit dem p^c- 
danken trufr, den Livius Hotus' bildlich zu verewigen, vielleicht in der 
bronze, in der die übrigen ügürlichen bestandteile hergesteilt sind, der 
köpf war nach der antike des Bassano geformt und gegossen; da muste 
man aufhören: non licuit maiora dare. der bronzekopf blieb bestin- 
mungslos zurück und fand wohl einen platz im hause Rassanos. Reh- 
diger, der 20 jähre nach errichtung des denkmals persünlich in Padua 
mit Bassano zusammentraf, kaufte ihn vermutlich au. 

Zum sohlnsz weist der vortragende noch hin auf die übrigen LiWus- • 
bildnisse, die ihm bekannt geworden sind, (statuen und büsten in Bologna, 
Padua, Venedig', sHmtlich jüngeren Ursprungs.) auch das suchen r!?ich 
gemmen mit Liviusporträts ist nicht erfolglos gewesen, die graphischen 
künste haben die frage des wirklichen Lirlasporträts jedoch nicht ge- 
fördert. 

An die Vorlesung dos Vortrags knüpfte pmf dr. Förster einige 
bemerknngen , worauf der versitzende mit herzlichen dankesworten an 
die vortragenden die Versammlung schlosz. 

Der nachmittag wurde Ton den mitgliedern der yersammluog zu 
einem ausflng nach der Landeskrone verwandt; an die vom schönsten 
herbstwetter In^^'ünstig-te partie ^^rlilosz sich abends der festtrunk in 
der A c t ien br a u e re i m\. dpu glanzjmnkt des abends bildete die fest- 
trunk-galavorsteliung: dr. lausts extrafahrt zur philologeu- Ver- 
sammlung, grosses congresz^schenerfest- spiel in zweien aeten aus 
Goethes und einiger epigonen werken zusammengest. .ohlen Ton N. E. 
M. O. (der yerfasser ist oberl. dr. y. d. Velde -Görlitz.) 



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deutscher philologen und schulmäuuer zu. Görlitz, 



75 



Vierte allgemeine Sitzung, sonnabend den 5 october 

vormittaf^s 10*', uhr. 

Der zweite Vorsitzende, dircctor dr. Eitner oi tYiiot flieselbe mit 
geschäftlichen mitteil ungen, die jugendspiele betreffend, zu dieser sache 
erhlH herr direetionsrat Scbenekeiidorff das wort, um das eharak- 
teristische und wesentlicbe der jugendspiele kurz zu beleuchten; nament- 
lich betont er die aus^erordentliclie liingnbe der schttler und die freond- 
Uehe teilnähme der 1jev<)lkeruiig an deu spielen. 

Nach weiteren geschäftlichen mitteilungen spricht dr. O. Ross» 
baeh-Breslau über das Dianabeiligtnm in Nemi. 

Das Städtchen Neml mit gleichnamigem see, die perle des Albaner- 
gl birg», besasz einen alten, sehr gefeierten < nlt der Diana, der mit 
merkwürdigen brauchen verbunden war. zuui nemus Dianae oder n. Ari- 
cinum zogen processlonen von bekränzten freuen mit fackeln in den 
bänden; daaelbet war aneb das bündeehailigtam einer grossen ansabl 
latinischer gemeinden; der priester der göttin (rex Nemorensis) war 
ein flüchtiger sklave, der seinen Vorgänger im Zweikampf erleo^t hatte. 

Antiken wurden in der gegend von Kemi schon früh gefunden, die 
fandsmente einea tempels wurden bei einer aosgrabung entdeebt, die 
im an&ng dea 17n jabrbnnderta dureb den cardinal Lelio BiBcia an- 
geregt worden war. neue ausgrabunpcen wurden in d< ji jaln t u 1787 — 96 
an«,^estellt , bei denen namentlich statuen und refiefs entdeckt wurden; 
eines der bekanntesten stücke int ein archaisches marmorrelief mit der 
*t5tnng des Aigistbos nnd der Kljtaimnestra durch Orestes, fast hun- 
dert jähre spätor (1884) wurde man durch entdeckung einiger heidnischer 
and altchriBtlicher gräber auf der ostseite des sees wieder auf Nemi 
aufmerksam, obgleich man jedoch bei den ausorrabiin-jj^arbeittiu nicht 
recht systematisch zu werke gieng und die fuude teilweise verätieut 
ond in engliscbe nnd amerlkaDiscbe Sammlungen übergegangen süid, 
kann man sieb doeb jetat ein alemlicb ansebauliohes büd von dem 
nemus Dianae machen. 

Eingehend beschreibt sodann redner die läge des sees uud des tief 
Quten an demselben liegeudeu heiligtums, die tempelarea hat eine 
ansdebnnng yon 46000 Quadratmetern und die gestalt eines recbtecka; 
XU ihr führte am westlichen ufer das sees eine 6,10 m breite strasze 
herab, die area wird im nordoster) und nordwesten durch mächtige 
substractiuuen mit 26 nischen in gestalt von rundbogen begrenzt; an 
diese substructionen lehnt sich eine reihe von neun nischenförmigen 
btuten an, die wir als alae an beseicbnen haben; dies sind die baupt* 
fundorte der bei der jüngsten ansgrabun^: entdeckten gegenstände, 
von den alae ist namentlich bemerkenswert die des M. ^Se^viHus 
i^uartus, deren fuszboden ein sorgfältig ausgeführtes musaik mit in- 
lebiift schmückt, von den in der ala aufgestellten gegenständen sind 
Tier fiberlebensgTosze marmorhermen und zwei statuen wiedergefunden 
norden, gut erhaltene leistungen der römischen porträtplastik. die herme 
der einen frau stellt vermutlich eine priesterin der gi>ttin dar in der ihr 
sukommeuden tracht. nahe der rechten ecke der ruck wand war eine 
1»16 m bobe mftnnliche statue aufgestellt, die einen nnbärtigen mit der 
tega bekleideten mann in der baltung eines sprechenden erkennen läszt. 
die ganze reihe der alae musr wohl in repTihlikanischer zeit cin^crichtrt 
worden sein; während dnr bürgerkriecre vertiel sie und wurde in der 
ersten kaiserzeit — darauf weist die statae des Tiberius — wiederher- 
geütellt. in welchem Terbältnis die personen, die in der ala ihre bermen 
and statuen weihten, zum cult der Diana standen, lässt sich nicht 
sa^en. südwestlich von den nlin He^nn die grundmauern des tempels 
der Diana, der bis rrerfen den auf^n^ in^' d^^f» altcrtnms bestanden haben 
musz; die nordweätiiche längsfrout liegt der oÜ'enen seile dci area 
parallel, wShrend der eingang dureb die süddstlicbe sebmalseite gegen» 



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76 Bericht über die verbandluDgen der 40n Versammlung 



Ober dem see hindnrclifülirte. der tempel misst in der län^e 30 m, in 

der breite 15,9 m und zerfällt in drei durch quermauern von einander 
getrennte teile: Vorraum, eig^entliches heiligtum und hintcrraum. 

In den tempel scheint eine anzahl von architektnrstücken aus marmor 
sn gehören; gut erhalten ist ein stSek eines soekels, das mit teielieiii 
ornamentechmuck versehen ist, sowie vier grosse Iragmente eines geison. 
andere stücke sind aus terracotta; unter denselben verdienen nament- 
lich vier mit reliefschrauck verseliene stirnziegeln vom dache des tempels 
erwäbnung, die im einzelnen genauer vom redner erläutert werden, auch 
deeoratire scnlpturen ans thon waren an dem tempel angebracht, wie 
die aaffindnng einer grossen anxahl terracottareltefs der sog. eampana- 

SChon ^attung beweist. 

Hinter der uordwestseito des tempels sieht man eine runde basis, 
zu der drei stufen iünauiiuhren; an der Westseite sind die basea von 
swei sSnlen gefangen worden; vor der sQdseite haben sich regte einer 
banlichkeit aus opus qnadratnm erhalten; Sstlieh hieryon sog sieh eine 
lange Säulenhalle bin. 

Bei der freileguug der area ist eine ausaerordentlicb grosze anzahl 
der verschiedenartigsten kunstgegenstäude ans licht gefordert worden, 
die saht der grösseren marmorseniptaren ist Terhältnisrnftsstg gering: 
hervorzuheben ist die in manehen partien aerstörte statue des Tiberins, 
die den kaifier überlebensgrosz in noch jugendlichem alter zeif^t. besser 
erhalten ist die duppelherme zweier männlicher wassergottheiten, ein 
Weihgeschenk der Diana, die herme selbst scheint eine decorative 
scnlptnr ohne besondere besiehung anf den cultus zu sein, erw ahnen s* 
wert ist ferner ein bärtiger männlicher idealkopf, der einige ähnlichkeit 
mit gewissen nachlysippischen Zeustypen zeigt; von geringerer arbeit 
dagegen ist der verwitterte portiätkopf eines altern uubärtigen maunes 
sowie die torsen sweier weiblicher statnen. 

Dass in Nemi die simulacra Hctilia zur anssebmScknng der bauten 
verwendet wurden, beweist eine beträchtliche anzahl von bruchstücken 
überlebensgroszer thoustatuen. am besten ist erhalten ein weiblicher 
idealkopf, der dott und geschickt ausgeführt ist. in andern fragmenten 
liegen mis vielleicht reste ron wagengrnppen oder reiterstatnen vor. 

Grosz ist die sabi kleinerer terracotten^ die nach matenal und 
technik in zwei elassen s^rfallen. die stücke der ersteren, die ziemlich 
groben dunkelroten oder braunen thon und wenig sorgfältige ausfüh- 
rung zeigen, stehen nn eugsten Zusammenhang mit dem cultus der 
Diana; sie sind sämtlich prodncte loealer technik. die stftcke der andern 
classe sind entweder ans Campanien eingeführt oder mit anlebnung an 
von dort stammende Vorbilder gearbeitet; das material dieser meist 
kleineren stücke bildet feinerer bräunlicher oder rötlicher thon. auch 
kleinere hrouzestatuetten sind durch die ausgrabungen ans licht gebracht 
worden, deren höhen swisohen 0,16 und 0,076 m schwanken, am bSnfig- 
sten ist in dieser gattung Diana dargestellt, einmal kommt Minerva 
vor, ziomlich hänfisr begegnet die darstellung eines Jünglings, der mit 
tierfeli oder chlamys bekleidet ist. in diesem typus hat man wohl 
nicht den altitaliseben Virbins sn erkennen, sondern einfach einen ado- 
ranten. auch bronzegerät, sehalen, krfige, beschlftge nnd henkel von 
▼asen, würfe! n. ä. sind in menge ausgegraben worden. 

Bezeugt ist, dasz das nenius Dianae zu den reichsten heiligtümern 
ganz Italiens gehörte, bestätigt wird diese thatsache durch die grosze 
ansahl von mthisen, die daselbst gefanden worden siiid. fast alle arten 
des aes mde und von republikanischen geldstücken sind vertreten, auch 
münzen campanischer prfic^nng sowie endlich mfinaen ans der kaiserseit 
von Aufjustus bis ConstMuiin. 

Nachdem redner sodann noch der zahlreichen, für genauere kenntnis 
des nemns und seines heiligtnms so wichtigen insehriften erwfthnnng 
gethan, schloss er seine anregenden ansfilhrungen, die der versammlang 



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deutaclier philologeu und schulmäuner zu Görlite. 



77 



durch eine reihe von InsiractiTen abbüdnngen erläutert wurden, mit der 
bemerkuap, dae« der tempel in Nemi nicht nur ein heiligtnm von localer 
bedeutung gewesen sei, sondern vielmehr ein religiöser mittelpunkt llir 
ganz Italien, in spaterer zeit sogar für das ganze römische reich« 

Hierauf erhält lierr ubeilehrer dr. O. E. Schmidt aus Dresden 
das wort SU seinem Tortrage: 'H. luniua Brutus der Gisarmörder'. 

Die biographiaPlutarcli8,eiiiparteili6ricbt der verwandten und freunde 
des Brutus, ist von der modernen Wissenschaft nicht mit der nötigen 
kritischen vorsieht benutzt worden; namentlich ist der politische Cha- 
rakter des Brutus zu günstig beurteilt worden, die bezeichuung eines 
'ehrenwerten mamiee* verdankt er Sbalcespeare. aber auch an wider* 
sprechenden angaben zeitgenössischer römischer Schriftsteller fehlt es 
aieht, die dem idealen bilde des mannen Rbbrnch thun; ein ausgleich 
der entgegenstehenden ausichten ist ein noch ungelöstes problem. 

Brutus y der plebejischen nobilität entstammend, verlor im zarten 
ilter den Tater; die mutter Serrilia, eine Iclugberecbnende mlttressen- 
iiatur, leitete seine erzlehung. zum hoffnungsvollen jungen Cäsar stand 
sie. in zweiter ehe mit lunius Silanus vermählt, in intimem verkehr, 
die der ehe entsprossenen zwei töchter gerieten nach der mutter, die 
ganze Sphäre des hanses war also dem gedeihen einer idealen gesinnnng 
nicht günstig, dem gerächt, dasa Brutus ein söhn Casars gewesen sei, 
ist iiictit ^lanhen zu schenken; es ist dies vielmebr eine legende von 
politischer t» ndenz. 

In eine öÜ'entliche augeiegenheit war Ürutus zuerst im coasulats- 
jilire CSsars verwickelt, indem er eines mordplaaes gegen Pompeius be- 
^ditigt war. darauf studierte er in Athen und Rhodos, den grund an 
einem einträg^lichen ■micherg'e schälte lehrte er in Cypern, beauftragt die 
eiiiziehiine' der Rchjit7;e des könifrs Pt olemaeus zu überwaclien. nnmittel- 
bar daraul bürgte er, nach Korn zurückgekehrt, deu balaminiern auf 
Cypern 60 Talente gegen 48% jahresains. 53 betrieb er sein geschält 
in COicien, als Cicero 52 zum nadlfolger des Appius Claudius Pulcher 
designiert wnrde, strebte Brutus nach der freundschaft mit ihm aus 
egoistischen motiven, um die asiatischen Schuldner weiter aubzubeuten. 
Brutuä schob stets agenten vor, um sich nicht zu compromittieren. die- 
selben hatte er sogar als officiere im römischen beere eingeschmuggelt, 
den scheusziichkeiten in Cilicien machte Cicero energisch ein ende. 
Brutus scheute sich jedoch nicht, als Cicero über das ^ebareni des 
agenten Scaphius gerechten Unwillen äuszerte, sich selbst als den unter- 
neluaer au bekennen; mit dem gebieterisehen tone des aristokraten trat 
er dem bürgerlichen redner gegenfiber. als im jähre 50 Brutus Ton 
neuem Cicero in unverschämter weise verlefjenheiteu bereitete, saarte 
'lieser sich von ihm los; ein glück, wenn er bei dieser ansieht geblie- 
ben wäre! — Im sommer oder herbst desselben Jahres finden wir Brutus 
inCilicieB mit wueher beschäftigt; auf denmahnruf seines oheims Cato 
kam er in das Pompejanische lager, kurz vor der sch lacht bei Pharsa- 
las. an Pompejus schlosz er sich an in der hoffnnng, dasz dieser siegen 
werde und er unter ihm, dem inhaber des grösten provinzialen Wucher- 
geschäfts, dann sein geschäft schwunghafter betreiben könne als unter 
dem ▼plksfrenndlichen Cttsar. seine Selbstsucht ISsst die gemeine art 
des Übertritts zu^^Cäsar erkennen; ihm Torriet er auch, dasz Pompejus 
vermutlich nach Aprypten sich wenden werde, der scharfblickende Cäsar 
erkannte in Rrutu^^ eine braiichbaro pereöulichkeit; namentlich wies er 
ihm die aulgabe zu, mit den republikauibcii-aristokratischen kreisen in 
fiüiluDg %n bleiben und auf die Stimmung derselben au gnnsten CSsars 
einzuwirken, in den handlungen und Suszerungen des Hrutus vor seinem 
übertritt bis zur Verschwörung macht sich ein auffallender Widerspruch 
geltend, einerseits war Brutus eng verbunden mit männern von echt 
republikanischer gesinnung, anderseits hielt er sich, so lange Cato noch 
l«ble, Ton diesem fem. diws er zu den günstlingen Cttsars aählte, liesa er 



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78 



Bericht über die verhaudluDgeu der 40a Teraammlung 



gelegentlich merken; auch schriftstellerisch trat er für iiiii auf. war nun 
Bratus republikaner oder Cäsariaoer? seine repabliksniscbe gfesinniiiig 
bAt er offen znr schau getragen; unmöglicb konnte ihm aber Cäsar das 
verblei! en bei der republikanischen partei verstatten, da der Cäsaris- 
mu6 keine abweichende Staatslehren neben sich dulden kann, im ein- 
yerst&ndnis mit Cäsar also musz Bratiis die republikanische maske ge- 
tragen baben, als ^beriehteratatter' und 'Temiitler'. die richtigkeit 
dieser annähme läszt sich einigermasaen erweisen ans dem yerbiUtnis 
des Brutus zu Cicero. 

Vermutlich auf Casars veranlassung schrieb Brutus im sept. 47 ai> 
Cicero jenen brief, in dem er in der form eines programms der repnblika- 
nischen mittelpartel, nm sie zu gewinnen, gewisse aussiebten eröffnete, 
in Cicero erkannte nemlich Cäsar mit recht die Inntnrste und einflusz- 
reichste Persönlichkeit dieser kreise, den Brutus betrachtete Cicero seit- 
dem als den wiedererwecker seiner schlummernden muse und widmete 
ihm dankbar den besten teil seiner neuen sebrifle'ni abgefasat im stolseft 
freimut des republikaners, durchdruni^en von traner um die entsidiwun- 
dene staatsforra; aber anch so gab man Cicero noch nicht auf. ver- 
gebens bemühte man sich Cicero nach Catos tod zu gewinnen; aber 
trotz des Brutus brieflicher niahnung und warimug vor republikanischen 
gefüblsänasernngen geriet auch sein Cato durebans republikanisch« so* 
mit war es klar, dasa Ciceros publieistisches talent für Cäsar nicht zu 
gewinnen war. deswegen begann gegen Ciceros Cato ein preszfeldzag 
der Cäsaristischen publicistcn. da die herabsetzung Ciceros in der 
öffentlichen meinung einer Persönlichkeit übertragen werden muste, die 
niebt als von Cäsar beeinflusat gelten konnte, wählte man Brutus, 
dessen Cato ist weniger eine lobschrift auf den mttrtyrer der republika- 
nischen Sache als eine tendenzschrift ge^en Cicero, in der seine staats- 
männische thätigkeit misgünstig besprochen istj gleichzeitig wurde 
auch Cäsar von dem verdachte der teilnähme an der Catilinarischen Ver- 
schwörung gereinigt, diese sebrift kann nur auf Cäsars Tcranlassung 
veröffentlicht sein. Ciceros Verstimmung hob sich, als Brutus sich, nach- 
dem er sich von Claudia geschieden, mit Catos toehter Porcia in zweiter 
ehe vermählte; diese ehe erschien dem beweglichen Cicero als eine 
republikanische, die er sogar in ^ner lobsMdirift auf Catos 'Schwester 
Porcia feierte, die ernüchterung erfolgte jedoch bald, als Brutus von 
neuem im fabrwasser des Cäsarismus segelte; Cicero verkannte jedoch 
das {gemeine Strebertum des rnannes und entschuldigte ihn harmlos mit 
der Ungunst der zeit; schlieszlich wurde er an dem republikaner Brutus- 
doch irre. 

Zu den Verschwörern wider seinen herrn kam Brutus, der Tieraig- 

jährige mann, wohl nicht iufo^p^e rines plötzlichen iiraschwunnfs zu einer 
idealen denkweise (kaum wnnlen iu ihm die stimmen der ahnherrn leben- 
dig, wie iianku meint); schwerlich hat ihn lediglich Cassius verfülirt. 
da Cäsar ohne leibeserben war, richtete Brutus Ittstern seine äugen auf den 
thron, bestärkt durch seine muttcr Servilia; aus diesem kreise stammt 
wohl anch die legende, dasz Brutus Cäsars söhn j:^pwesen sei. 

Die pliine des Brutus und der Servilia wurden aber im herbst 46 
durch die erscheinung Octaviaus durchkreuzt, den Cäsar nach der heim- 
kehr aus Spanien in seinem testamente adoptierte. 

Cäsars Wille trat auch sonst deutlich hervor, trotz der geheimhal- 
tung des testaments. in dieser ?:eit majT Hrtitus auf den gedanken ge- 
kommen sein, die Zerstörung seiner hoüuuugen durch blut zu rächen, 
in diesen planen begegnete er sich mit seinem unzufriedenen und mis- 
gestimmten Schwager Cassius; fiber sechsig unanfriedene beamte und 
generale schlössen sich ihrem bunde an. das haupt der Verschwörung 
wurde Brutus, der wegen seiner persönlichen Verhältnisse, seiner höheren 
bildung', seines namens und seiner beziehungen zu Cato am ehesten 
zum republikanischen ausbängescbÜde geeignet war« nach Toliführter 



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deutscher pbilologen und scbulmänner zu Görlitz. 



79 



creaelthat eilte Brntna im herbst 44 nach Macedonien, Cassius nach 
ijrieD. Cicero, der einigte zeit in das nnvenn^dliohe der bereebaft 

Casars sich gefügt und sogar die groszen und edlen eigcDSchaften Cäsars 
bewundert hatte, beschlich nach der ermordung Ciisars eine fast fana- 
tische begeisteruDff für die ^befreier'; aber auch hier folgte bald die 
emfiehterang, als die miKtiLrdespotie des Antonius sich geltend machte, 
m Yelia (Unteritalien) kam Cicero Ton neuem mit M. Bmtns susammen; 
in Cicero erkannte jetzt dieser ein treffliches rüstzeug gegen Antonius, 
der es verschmäht hatte, mit Casars niördern zu pactieren: er suchte 
ihm tinzureden, dasz er geeignet sei, den widerstand gegen Antonius 
Hl erganisiereii. Cieero sah nicht ein, dass er nur fttr seinen verföhrer 
die kastanien ans dem feaer holen sollte; er fühlte sieh bernfen, noch 
einmal die ''ropiiblik der anständigen leute' ant'znrichten. am 2 sept. 
hielt er seine erste philippiscbe redp, weniger gegen als an Antonius, 
ohne irgend welchen einfiusz auf denselben Zugewinnen; von seilen des 
Antonios erfolgte am- 19 September eine rede toII g/ift nnd galle. durch 
■eine sweite philippiscbe rede gewann Cicero den jungen Cäsar Octa- 
rianos als Schützer der aristokratie nnd des sennts. al? darauf M. Bru- 
tus bestätignng seiner heischaft in Illyrien, Mucedoiüen und Griechen- 
land, nach besiegung des C. Antonius, wünschte, warf Cicero für ihn 
sich in der glttnsenden sehnten philippiseben rede mit grossem erfolg 
in die bresche. zum danke für diese bemübnngen liesz ihn Brutus, den 
es nicht nach dem westen zopr, durch dessen wesen überhaupt ein auf- 
falieoder gräcismus gieng, schnöde im stich, nur vor einem angriff von 
Westen wollte er sich sichern durch ein abkommen mit den Imperatoren ' 
des Westens; möglicherweise war eine Torlftnfli^e viermännerhersebaft — 
Antonius nnd Lepidus im westen, Brutus und Cassius im osten — ge- 
plant, diese vermutnng stützt sich auf einen von einem gev/issen Qu, 
PiUos Ceier dem Senate uberreichten brief, den man aber, um die 
Htatteh der fahnenflocht von Brutns absuwenden, für gefälscht erklärte 
and für ein manöver der gegenpartei hielt, seit dieser seit beginnt der 
zusammenhält zwischen Cicero und Brutus sich zu lösen, dadurch aber, 
dasz Cicero , iramer noch fügsam gegen Brutus, alle hebel in bewegung" 
setzte, um Uctavians bewerbung um das consulat zu verhindern, be« 
nabte «r sieb seiner letstm stütse. dieser setate mit macht seine ab- 
siebten dnrcb. Bmtns, in dringmdster form aufgefordert, mit einem 
beere zu erscheinen, versns-te seine hilfe, obgleich er mit erfolg die 
sacbe des Senats hätte vertreten können; er liesz Cicero, ein opfer seiner 
treulosigkeit, kalten bluten sterben. Brutus zog nach Asien und hauste 
dsselbst mit unerhörter Willkür, nicht minder wütete sein genösse Cassins 
in Syrien tind auf Rhodos. Cassius fiel in der ersten schlacht bei Phi- 
lippi, Brutus endete nach der zweiten im gebirge durch Selbstmord, 
seiüe asche wurde seiner mutter Heryilia übersandt; das vom riu!ii>fe 
getrennte haupL aber, weiciies zur bühue neben Casars bildääule uuä- 
gestellt werden sollte, entrisz eine welle dem fahrseug. 

Brutns war ein anmaszender, habgieriger aristokrat ohne politische 
prägun^i;; er diente Pompojng un«! Cäsar ledip-lich uns egoistischen iiioti- 
ven ; die groszartigen eigeiischaften, der umfassende bliclv seines mei.->ter8, 
sein Verständnis für sociale reform geht ihm völlig ab. nicht unter 
die groszen Cüsaren des altertnms gehört er, sondern nnter die kleinen 
italienischen försten der renaissance, mit denen er viele züge gemeilL 
hat. mit unrecht feierte ihn Griechenland nnd das kaiserliche Rom als 
einen republikaner; nicht ihn selbst, sondern einen 'wesenlosen begriff' 
feierte auch Petrarca und Michel Angelo; dichterisch verklärt wurde er 
durch Shakespeare, in Wahrheit verdient jedoch diese truggestalt, dasa. 
der Schleier ihr vom angesicht gerissen werde. — 

Der Vorsitzende dankt für die prächtige darstellung des gewählten 
gegenstands, die unzweifelhaft neue anschauungen über den charakter 
des Brutus ergeben habe, darauf spricht derselbe den bexren rednera 



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80 Bericht üb. d. 40e versammluog deutscher pbiloiogen u. schulmäuner. 



insi^esamt aafriebtigtten und innigsten dank ans ffir die reiche mannig- 
faltigkeit sowie füur die Tortrefflichkeit des Inhalts ihrer vortrage. 

Nachdem sodann die sectionsvorstände ihre berichte erstattet haben, 
ergreift der zweite präsident herr director, dr. Eitner das wort zu einer 
ächluszan^^prache : 

Eöstliebe tage nnd stunden geistigen genxisses nnd geselligen Ver- 
kehrs liegen hinter uns; manche frage von wissenschaftlichem interesse 
und päd ag-ogischer bedeiitnnfr ist besprochen und gefordert worden, 
mit freuden constatiert rediicr, dasz die erörterung gewisser brennenden 
fragen des socialen lebens, wie 'einheitsschule', 'gleichstellung der real- 
gymnasien mit den hnmanistisdien gymnasien', 'reform des höheren 
Schulwesens' von den Verhandlungen ferngeblieben ist; derartige fragen 
erhitzen nur die pfemüter, ohne die sache selbst zu fördern. 

Besorgnis erregen mu6z aber die Wahrnehmung, dasz die sogen, ge- 
lehrten fftcher übemillt sind, hei allen, denen das ansehen nnd die hehong 
der gelehrten bernfskreise am herzen liegt, anknüpfend an die statisti- 
sehen Untersuchungen von prof. Lexis- Göttinnen und an die schrift von 
Conrad 'die Universitätsstudien in Deutschland während der letzten 
50 jähre', wies redner auf den ungesunden, den natürlichen Verhältnissen 
nieht entsprechenden andrang snr Universität hin und heseiehnete die 
besorgnis vor einem gebildeten Proletariat als durchaus berechtigt, im 
gegensatz zu der von prof. G erhard - Berlin in sein^^r rectoratsrede ent- 
wickelten anffasbung. die dadurch erwachsende gefaiir läszt sich nirht 
lediglich tiieoretisch beseitigeu; die lösung dieser frage steht vielmehr 
' im innigsten Zusammenhang mit einer reform des gesamten höheren 
Bchulwoscns, 

N;ii h ^em sodann redner den teilnehmern ein inniges Icbewohl zu- 
gerufen und dem wünsche, d&az allen die in Görlitz verlebten tage in 
freundlicher erinnerung bleiben möchten, in herzliehen Worten ausdruck 
verliehen hatte, erklärte er die vierzigste Versammlung deutscher philo* 
logen und Schulmänner für geschlossen. 

Herr dir. dr. Stier- Zerbst dankt allen, die 711 dem glänzenden er- 
folge der Versammlung beigetragen haben, voiuehmlich aber den beiden 
herren Präsidenten, redner, beinahe seit 40 Jahren besucher der Ver- 
sammlungen, weisz die mühen dieses amtes durchaus zu ermessen; «r 
schHeszt mit dem wünsche, es möge den herren präsidwten noch lange 
vergönnt sein, in frische und rüstigkeit zu wirken. 

Die Versammlung gibt im anschlusz an die worte des redoers ihrem 
dank ausdruck duroh erheben von den platzen. 

Am nachmittag fand auf dem groszen städtischen tumplatze an der 
heilip"on - !3rabstrnszf' nüter zahlreicher Vioteiliiinng von Seiten der mit- 
gliedor rler Versammlung die Vorführung der jngendspielo »tatt, welche 
ein glänzendes zeugnis ablegte von der gewissenhaften pflege, die man 
hierorts diesem zweige der jugendbtldnng zu teil werden Itet. 

(fortsetznng folgt.) 

Görlitz. Houi^EMANN. 



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ZWEITE ABTEILUNG 

fCB &YM^ASIALPiJ)AÖOäIK MD DIE ÜBmEN 

LEHETÄCHEß 

HIT AÜSSCHLtTBB DXR CliAMlSOHSa PHILOLO«n 

HSRAUSGEQEBEN VON PROF. DB. HeKMANN MASIUS. 



8. 

JOHN MILTON ÜBER EBZIEHUNG. 

aas dem englischen übersetzt uud mit lebensskisze Miltons 
sowie ftnmerkungen Tertehen« 



Vorwort des heraasgebers. 

Der im fo^p^enrlen dem piihlirnm vorgelegte klninp tr.ictat MHtonB 
hat einen berechtigten anspruch auf interp5?pe aus mehrfachen gründen: 
erstens weil er im Zeitalter der realphüosophie der erste vorstoss 
•ttiteas der ersiehungstheoreHker gegen den mittelalterlichen die sehnlen 
noch beherscbenden nominaliämas und formalismus war, nnd zweitens 
weil er deutlich verrät, wo Locke später seine irlecn nng-okniipft hat; 
aüszerdem noch wegen seiner persönlichen beziige auf öamu:] Hartlieb 
und Arnos Comenius. und wäre alles dies nicht zu gunsteu unseres 
schrifkebens vorhanden, so mOste es doeh als ein gewinn erseheinen» 
einmal wieder einem charakter zu begegnen, der furchtlos und nnent^ 
wegt der charakterlos! o^keit den krieg erklärt, wo immer und in wel- 
cher form auch immer er ihr begegnet, und dessen höchstes ziel in der 
erziehung ihm nun auch ist, eharaktere zu bilden, dasz unser schritt^ 
eben In seiner befKrwortnng der yerkofipfong ron spraeh* nnd saoh- 
iinterricht, in seiner betonung der leibestibungen u. a. m. ein actaelles 
Interesse hat, sollte für die geschichte der pädagogik nicht allein Tnas.-^- 
gebend sein, bis jetzt scheint die letztere aber mehr eine f^eschichte 
der Pädagogen, als der pädagogischen ideeu zu sein, und hinter dem 
dichter MUton sneht natttriieh niemand den ersieher. nnd so kennt 
demi K. T. Banmers geschichte der pädagogik Miltons reformgeduiken 
gar nicht , K. Schmidts grosse gescbichte der pädagogik dieselben nur 
ans zweiter band. 

So kam es, dasz ich vor nunmehr zehn Jahren eine herausgäbe des 
weikehens plante nnd die arbeit anch begann, dann aber dnroh persSn« 
liehe Verhältnisse und ganz heterogene arbeiten davon abkam, bis ich 
sie vor drei jähren bei gegebener ninsze zum abschlusz brachte, schon 
im Jahre 1858 hatte dr. Zelle in einem Cösliner gymnasialprogramme 
eine offenbar mit liebe gefertigte Übersetzung gegeben, die aber ~* das 
gewöhnliche Schicksal derartiger arbeiten — unbekannt geblieben war. 
sodann hat sie aufnähme gefunden in die gesamtübersetzung der pro* 
•aischen Schriften Miltons von W. Bernhard! (Berlin 1874— 1879. 3 bdej. 
N. jdirb. f. pbU. a. pid. II. «bt. 180O hfl. %, 6 



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82 



John Mütou über erziebnng. 



Ich habe meine Vorgänger gebührend benutzt, aber eine reihe meiner 
•ninerkiiDg«! ihut| wie ich b<we, sweifelloe du*, dus mir viele stellen 
den sian verfehlt sn haben scheinen, meine nbereetsitnif bebanptet 
trotz ihnen eine volle Selbständigkeit. Miltons prosa ist zuweilen so 
dunkel, so reich an g^raeisraen, latinismen, acakoliithen usw., dasz sie 
dem Übersetzer manche nusz zu knacken gibt, ich hoffe, dasz es mir 
reltiBgen ist, die gedanken uaseret sehriftsteQers In einem wirUiehea 
dentseh wiederzugeben, ich habe den text, da eine kritische ausgabd 
der proBBScbriften Miltons nicht ezistierti von folgenden drei aasgaben 
benutzt: 

1) a complete coilection of the historical, poiitical and miscellaneous 
works of John Milton, both englisb and latin. witb some papers never 
before pnblished. Amsterdam 1698. 8 vols. folio. 

2) Milton. I. prose works. II. poetical works. (with an intro- 
ductory review by Robert Fletcher.) London, Westley and Davis, 
titationers' court. 1835. lex. 8. 

3) the seboolmaster: essays on praotieal edneation, seleeted from 
tbe works of Ascham, Müton, Locke and Butler; from the quarterly 
Journal of education and from lectures delivered before the American 
institute of instructioii. 2 vols. 8. London, Charles Knight. 1830. 

Für die lebensskizzu Miltons bin ich dem schönen werke von Ahred 
Stern 'MUton und seine zeit. Leisig, Dnneker und Hnmblot. 1877'— 1879. 
2 teile in 4 bSnden' an dank verpflichtet, vgl. auszerdem die sehr lesens- 
werte darstellunt*' von G. Liebert ''Müton. Studien zur geschichte des 
englischen geiötes. Hamburg, O. Meissner. 1860. 8.' 

Eine Würdigung von Miltons prosaschriften hat der historiker Georg 
Weber gegeben in Baumers historischem taschenbueh fSr 1862 und 1868. 

Miltons Pädagogik speciell ist in den letzten jähren in zwei gym- 
nasialprogrammen behandelt worden: von Dadelsen (Gebweiler 1886) 
nnd von Faulde (Hatibor 1887). 

Miltonfl leben und scdiriften, 

im besondem seine abhandlnng über ersiehnng. 

John Milton wurde geboren am 9 december 1608 zu London, 
als söhn eines puritiLui.-chen notars, der wegen austntts aus dem 
katholischen bekennmi.s von Lseiiu'n eltoin verstoszen und enterbt 
worden war. der junge Milton erhielt inmitten eines frommen, aber 
den geistigen freuden der poesie und nuisik durchaus nicht abge- 
neigten familienlebens eine vortrefflichü erziehung , die von einem 
bauslehrer begonnen und auf der St. Paulsschule vollendet wurde, 
im jabre 1624 bezog er die Universität Cambridge und verliesz die- 
selbe 1632 mit dem titel eines magisters der sieben freien künste, 
die in diesen acht jähren gemachten erfahrungen über die Verrohung 
der geistlichkeit , nach der seite ihrer religiösen, wie ihrer huma- 
nistischen bildung, hatten den Jüngling Milton seinem entschlusz, 
die predigerlaufbahn zu wählen, entfremdet, er kehrte deshalb zu 
seinen eitern znrOck, die sich einen landsitz erworben hatten und 
teilte dort fftr eine reihe von jähren seine zeit zwischen dem ernsten 
Stadium der classiscben Schriftsteller und ritterlichen leibesübungen. 

Das poetische tälent Miltons, schon während der nniversitttts« 
jähre hervorgetreten und in ansprach genommen für gelegenheits- 
gedichte, zeitigte aaf dem landgate des vaters^ in Horton, wtthrend 



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^John Müton Über erziehung« 



dieser stillen zurückgezogenheit Miltons, die beiden gedichte l'allegra 
nnd il penseroso, sowie das maskenspiel Comus. — Obwohl der 
dichter während der Studienzeit und während des sechsjährige^ 
aufenthalts in Horton kenntnisse gesammell hatte, die sowohl be- 
züglich ihres umtangs, als auch bezüglich ihrer grtindlichkeit da* 
damals übliche masz erheblich überstiegen, und zwar nicht nur 
im gebiete der alten und neueren sprachen und der theologie, son- 
dern auch — abweichend von der damaligen gepflogenheit — iiv 
den realien, glaubte er doch seine bildung nicht abgeschloas^ n , be- 
?or er nicht das land gesehen und bereist hätte, von wo einu neue 
blQtezeit der classischen bildung ausgegangen war, nemlich Italien. 
?on seinem verständigen vater, der seiner lebensgestaltung keinen 
zwang auferlegen wollte, mit den nicht unbeträchtlichen geldmitteln, 
sowie von den verschiedensten Seiten mit empfehlungen an lands- 
leute und gelehrte von ruf versehen, begab sich Milton zunächst nach 
Pariö, wo er unter anderm den berühmten Hugo Grotius kennen 
lernte, von da über Nizza, Genua, Livomo, Pisa nach Florenz, von 
da nach zweimonatlichem aufenthalte nach Rom, wo er die gleiche 
zeit verweilte, machte einen ausflug nach Neapel, hielt sich aber- 
mals zwei monate in Rom, auf der rüekreise wieder in Florenz, 
dann m Bologna und Venedig auf, um über Genf in die heimat zu- 
rückzukehren, wo er nach einer ab Wesenheit von fünfzehn monaten 
wieder eintraf, sowohl in Florenz, wie in Kom und Neapel trat er 
mit berühmten männern auf dem gebiete der litteratur und gelehr- 
üamkeit in Verbindung oder lernte sie doch kennen, nahm teil an 
den damals florierenden litterarischen akademien oder gesellschaften 
und wurde wiederholt vve^-en seiner bedeutenden sprachkcnntni^se, 
überhaupt seiner gelehrsainkeit gefeiert, blieb auch mit einigen der- 
selben noch lange jähre nachher im briefwechsel. was ihn von Ita- 
lien lurttrieb, waren die unterdessen in seinem vaterlande ausge- 
brochenen Unruhen, er sagt darüber selbst in einer seiner spätem 
Schriften*: 'ich hielt es für schlecht, zum vergnügen im auslande 
Qmher zu reisen , während meine mitbUrger daheim für die freiheit 
fochten.' 

Kaum in der heimat angelangt , trat er mit einer schrift gegen 
die bischOfe in die politische arena ein, und sein bestes mannesalter 
ist der teilnähme an den politischen kämpfen gewidmet gewesen. 

Eine im jähre 1643 geschlossene ehe wurde für Miltons leben 
T0& entscheidender bedeutung. der umstand nemlich, dasz bereits 
mr Wochen nach der eheschlieszung seine firaa ihn rertiesz nnd 
toots wiederholter mahnungen nicht zu ihm zorflekkebrie (erst 1645 
ftad die wiederversdhnung statt), veranlassten Milton zu seinen yier 
berafenen Schriften tLber die ehesoheidung, in welchen er eine reform 
4ttr darauf bezüglichen gesetze anstrebte, derarti dass der mann be- 
fogt sein sollte | eine ihm nicht zosagende fran zu entlassen nnd an 



* 'zweite verteidigang des engÜBchen volkei.' 

6* 



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84 

r • 



John Milton über erzieliimg. 



ihrer stelle eine andere zu wäbleii. jene schritten erweckten ihm 
viele gegner titid sind von geringer positiver wirkling gewesen, da 
sie nnr die eignen Schicksale des Verfassers zum rückhalte hatten, 
im jähre JB39 war Milton nach London übergesiedelt, wo sich aus 
dem unterrichte seiner neffen eine privatscbule entwickelte, die zu- 
nächst die mittel zur bestreitung des lebensunterhaltcs zu liefern 
hatte. — Obgleich in dem kämpfe zwischen könig und parlament 
auf der seite des letztern stehend, trat er doch der mächtigen korper- 
schaft im jähre 1644 mit seiner schrift: 'Areopagitika. eine rede 
für die freiheit der presse* entgegen, dem besten, was je für die auf- 
hebung der censur geschrieben worden ist. allerdings machte er auf 
das Parlament keinen eindruck und wie ironie des Schicksals scheint 
es, dasz er später eine zeit lang das nebenaint eines censors auszu- 
üben gezwungen war, — Kurz nach seiner rückkehr nach London 
mag Milton auch mit Samuel Hartlieb bekannt geworden sein, dem 
adresbaten seines kleinen tractats 'über erziehung', welcher letztere 
1644 im druck erschien, das folgende jahr brachte eine Sammlung 
seiner gedichte. 

Infolge einer sclirift 'über das lehnsbesitztum der könige und 
Obrigkeiten', die wührend Karls I gefangeuscliaft guacbriebeu , aber 
erst nach dessen hinrichtung (1649) veröffentlicht wurde, wurde 
Milton in den dienst der republjk gezogen, indem ihn das parlament, 
das sich im diplomatischen verkehr der lateinischen spräche bediente, 
zum staatssecretär des auswärtigen ernannte, nun folgten rascli 
hinter einander diejenigen politiflohen Schriften^ die ihres gegen- 
ständes wegen im auslande das gröste aufsehen herroniefen. kars 
nach Karls I tode nemlich erschien ein dem könige selbst zugeschrie* 
benes buch: 'Eikon Basüike. das abbUd seiner migestSt In ibrer yer* 
lassenheit and ihren leiden.* sofort gab Hilten eine Widerlegung 
desselben in seinem ^fiikonoklastes. aatwort aof ein back anter dem 
titel: Eikon Basilike.* 

Als dann 1649 Ton dem Fransosen Salmasios, professor an der 
nniversitttt Leyden, ein bneb anter dem titel: ^defensio OaroliP 
(Verteidigung Karls I) erschien, glaubte das parlament eine Wider- 
legung desselben veranlassen su müssen and beanftragte damit 
Milton. seine scbrift, die den titel fdhrt Verteidigung des eng- 
lisoben volkes' (defensio popali Anglioani), ist ein wenig rühm* 
liebes Zeugnis für seine fiUiigkeit, anch dem gegner achtung zu teQ 
werden zu lassen, denn sie besteht za einem gnten teil ans anszer- 
ordentlich heftigen angriffen anf den Charakter, die gelehrsamkeit 
und persönliche verhätnisse des gegners. — Im jähre 1652 er- 
blindet, wurde er doch in seiner Stellung belassen und bekleidete 
dieselbe bis zum ende des protectoiats. im jähre 1662 wurde ihm 
seine erste fran, die ihm mehrere kinder geboren hatte, durch den 
tod entrissen. 

Eine zweite ehe wurde gleichfalls, nach kaum zwegShriger 
dauer, durch den tod gelöst. — Der durch eine neue schrift zu 



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John Miltou über erziebung. 



85 



gunsten Karls I wieder erneute streit wurde seinerseits in zwei 
weiteren Schriften aafgenommen. in den jähren 1659 und 1660 
erschienen hingegen zwei rein publicistische Schriften: ^von der 
weltlichen macht in kirchlichen angelegenheiten' und 'der gerade 
mid leichte weg zur herstellung einer freien republik und deren vor- 
trefiFlichkeit im vergleich mit den nachteilen und gefahren der wieder- 
zulassung des königtums*. die letztere vermochte die restauration 
der Stuarts nicht zu hintertreiben , welche wenige Jahre später mit 
dem einzug Karls II in London erfolgte. 

Nachdem Milton hatte erleben müssen, dasz seine zwei haupt- 
schriften gegen das königtum öffentlich verbrannt wurden und er 
anch für einige monate gefangen gesessen hatte , lebte er hinfort in 
gcinzlicher zurückgezogenheit und nahm in dieser ihm aufgezwun- 
genen musze die dichterischen pläne seiner Jugendzeit, unter anderm 
den eines epos wieder auf. so erbchienen denn 1667 *das verlorene 
paradies', und 1671 die fortsetzung 'das wiedergewonnene paradies', 
letzteres zugleich mit der nach antiken mustern angelegten tragödie: 
'Sam-on Agonistes', welche letztere den groszen Händel zu seinem 
gleichnamigen Oratorium begeisterte, nachdem er noch mehrere 
wisse nbchaftliche schriften , unter anderm (otTenbar im an^^ehlusz an 
seine über den Sprachunterricht früher gemachten andeatungen ) eine 
lateinische grammatik in gedrängter lassuug herau.sgegelieu hatte, 
starb er am 8 november 1674, mit hinterlassung einer dritten trau, 
mit der er äich 1663 verbunden hatte. 

Miltons tractat über erziehung, obgleich dem umfang nach die 
geringste seiner schriften, birgt doch eine ftQle noch heute beher- 
zigenswerter gedanken. wenngleich der impuls zur Veröffentlichung 
desselben auf Hartlieb zurückzuführen ist, so ist doch das thatsäch- 
lieh neue darin eine frucht der eignen lemzeit und der eignen jahre- 
lang ausgeübten lebrth&tigkeit Miltons. wie in allen schriften des 
letitem steckt auch in dem kleinen tractat zunächst eine reiche 
polemik gegen veraltete und verrottete Unterrichtsmethoden , gegen 
die unwissende und trotzdem zelotische geistlichkeit, gegen käuf- 
lidie etaaismiiiner, untaugliche lieerealeiter und unfilhige redner. 
hei seinen poslÜTen ausfUhrungen gibt er — abgesehen von der rein 
ittsierlielien gestaltung des Unterrichts — nur das, was er an seiner 
eignen persoii exfahren, und fordert nur daSf was er aus seinem 
Bignen selbst au macben gewust bat« und das ist allerdings ein 
bOebstes, nicbt awar in dem sinne, wie es Goethe gelang, aber dodh 
ein bOcbates Innerbalb der schranken der puritanischen weltanscbau- 
Bug* schon aus seiner hiograpbie erfahren wir, wie sehr es sieb 
Milton bat angelegen sein lassen , seine persönlicbkeit im sinne der 
alten hannoniscb auszubilden« 

Dasz ibm bei diesem inneren dränge nach ¥erTollkommnnng 
der geistlose formalismus des damaligen Unterrichts — bei welchem, 
Hieb seinem ausdruck, ^entweder leere werte oder aber solche tbat- 



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86 John Milton über ersieliuug. 

Sachen gelernt werdeu, die besser ungelernt blieben', imd weiter 
'auf das blosze zusammenscharren von so viel elendem latein und 
griechisch sieben oder acht jähre verwendet werden, was sonst mit 
leichtigkeit und Freudigkeit in einem einzigen zu lernen wäre' — 
nicht entfernt genügen konnte, ist erklärlich, so sehen wir ihn denn 
auf dem Christ-Church-College sowohl , wie in Horton dem Studium 
der realien nicht minder eifrig ergeben, als dem Sprachstudium, 
denn 'die spräche ist blosz das Werkzeug, welches uns der erkennir 
nis werte dinge zuführt', und sehen ihn endlich die freizeit mit 
ritterlichen leibesübungen ausfüllen, denn diese werden die jungen 
leute 'gesund, gewandt und bei guter brüst erhallen, sie grosz und 
schlank machen und sie mit einem ritterlichen furchtlosen mute er- 
füllen, der mit der zeit wohl zu einer gediegenen, heroischen gesin- 
nung werden und sie zum hasz gegen unrechtthuu aus feigheit führen 
wird'. Milton war mit seiner betonung des Studiums der realien 
nicht der erste gewesen, das Zeitalter der entdeckungen und erfin- 
dungen war noch nicht vorüber und Francis Cacon, der grosze 
philosoph dieses Zeitalters, brauchte nur zusammenzufassen, was 
alle erleuchteten geibter jener zeit erfüllte oder doch ahnungsvoll 
beschäftigte. 

Wie das ziel der Baconschen philosophie ein durchaus prak- 
tisches ist ('wissen ist macht') , wie er 'nur fttr den nutzen und die 
grösze der menschheit neue grundlagen sucht', so ist bei Milton 
'eine vollendete und edle erziehnng nur diejenige , dio einen mann 
in stand setzt, alle seine häuslichen nnd Offimtiichen pflichten im 
krieg nnd frieden auf gehörige , gewandte nnd hoohhearzige weise zn 
erftUlen*. um den schülem diese kenntnis der realen dinge, die aber 
die gmndlage bilden, nm *znr klaren erkenntnis gottee nnd der an» 
sioktbaren dinge' zu gelangen, za verscbaffen, mäste bei dem da- 
mals im spraebnnterriobte herschenden system ranm erst gesebaffen 
werden nnd dies soll, nach Milton» dnrdh einen zweekmiszigen an- 
fangsnnterricbt geschehen, der nnr die banpisachen ins ange fassen 
soll, nm scblennigst snr lectttre dnes znsammenbKngenden Schrift- 
stellers fortzuschreiten. 

Milton, der selbst die kenntnis von fUnf bis sechs sprachen be- 
sasz, verstieg sich freilich nicht bis zn der geringsohStsnng und 
kürze , mit welcher 50 jähre spftter der grosse philosoph Locke in 
seinen 'gedanken über die erziehung* die Sprachstudien abthnt, wohl 
aber Ifiszt er sich dnreh seine fordemng eines sprach- nnd realien- 
nnterrichts zu der bei dem jetzigen stände der Wissenschaften sonder- 
bar erscheinenden forderang verleiten, nicht ein nebeneinander dieser 
nnterrichtsföcher, sondern ein beiderseitiges durchdringen derselben 
zn' fordern, deigestalt, dasz beispielsweise die naturwissenscbaften 
ans Aristoteles, Theophrast, Plinius n, a. , die poetik nnd rhetorik 
ans den einschUigigen Schriften der Griechen und BOmer erlernt wer- 
den. *onser Zeitalter, welches den gmndsatz der arbeitsteilnng anf 
seine fishne geschrieben hat • « • wird die trftome des reformlnstigeii 



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Sohn Milton über emebmig. 



87 



dichten belftcbeln. aber es sollte niobt ungerecht in der bearieilang 
eines «pSdagogiecben idjlle» sein, dessen anior in dner seit lebte, 
die so viele zweige der Wissenschaft, welche beute hoch entwickelt 
sind, erst im ansats sah. es sollte femer erwSgen, dass das sShe fest- 
hslten am hergebrachten auf der einen seite den ersfimten schrift- 
steiler anderseits dasn trieb, seine forderangen anfberttcksichtigung 
der realien so weit als nnr denkbar zu fossen. es sollte seinen be- 
geisterten Worten dasjenige entnehmen, was noch heate nach mehr 
ak zweihundert jähren nichts an Wahrheit Terloren hat, und das* 
jenige entschuldigen, was auf reehnung der unvermeidlichen ab- 
hSngigkeit des autors von dem geiste seiner zeit zu setzen ist.'* in 
diesem punkte — Verbindung der real- und sprachkenntnis — be- 
rührt sich Milton unbewust mit Comenius, dessen Schriften er nur 
dem titel nach kannte, wie seine eignen ftuszerungen, sicherlich nicht 
zur groszen genugthuung J[artliebs, verraten, an dem gleichen 
punkte setzte später der dichter Abraham Cowlej ein, als er sich 
zur forderung einer bessern Unterrichtsmethode erhob.** eine folge 
der oben erlSuterten Miltonschen forderung ist es nun auch, dasz in 
seinem studienplan kein räum bleibt fOr die groszen poetischen 
Schöpfungen der Griechen und BOmer, sowie seiner eignen lands- 
leuto (nur ganz vereinzelt wird die lectflre je einer trag5die des 
Sophokles und Euripides, sowie diejenige von italienischen lust- 
spielen empfohlen, aber nnr um als belege fär ntUiche conflicte 
zwischen familienmitgliedem zu dienen), und dasz sie offenbar der 
privatthätigkeit der scbüler überlassen bleiben. 

hk der energischen heryorhebung der Wichtigkeit der leibes- 
tbungen berührt sich Milton mit allen groszen pädagogen , beson* 
ders mit Montaigne, Locke, Rousseau. Milton eigentfiinlich — 
aber bei seiner tücbtigkeit in der kunst des orgelspiels, die er bis 
an sein lebensende gepflegt hat, durchaus erklärlich, ist die heran- 
Ziehung der musik für pädagogische zwecke, seinen in beziebung 
hierauf ausgesprochenen begeisterten werten wird wohl jeder pttda- 
goge freudig zustimmen. 

Vor allem aber kam bei Milton das bestreben in betraoht, *zwi- 
schen dem nützlichen und dem guten eine brücke zu schlagen; das 
glühende verlangen | nach dem muster der renaissanceheroen , den 
ganzen menschen voll und frei auszubilden, leitet seine feder, wie 
es seinem eignen leben von früh auf die richtung gegeben hatte. 
Locke hat es nicht verschmäht, sich in vielem bewust oder unbe- 
wust Milton anznschlieszen ; die bahnbrechenden pädagogischen 
reformatoren des achtzehnten jahrhunderts nehmen jenen grund- 
gedanken wieder auf, und ein gröszerer dichter, als er war, hat den 
folgenden generationen ein leuchtendes beispiel der Verwirklichung 
jenes menschheitsideals hinterlassen' (Stern a^ a. o« s« 298). 



* Stera s. a. o. I 2 s. 297. 
Stein a. a. o. 898* 



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88 



John Milton über erziehung, 



Über erglahnng. 

An berrn 8iimoel~Hartli6b.^ 

Seit lange hege ich die Überzeugung, dasz keine absiebt oder 
rücksicht uns mehr antreiben sollten, etwas des andenkens und der 
naLhahmung würdiges zu tbun, als einfach die liebe zu gott und mm 
menschengeschlecbt. trotzdem habe ich mich nur durch Eure ernst- 
lichen au f lorder ungen und Euer dringendes ersuchen — obscbon es 
eine der erhabensten und edelsten absiebten ist, die gedacht werden 
können und obschon an ihrem mangelhaften zustand «nser volk zu 
gründe geht — ^ verleiten lassen, über die Umgestaltung der crziehung 
zu schreiben^ denn augenblicklich ist meine aufmerksamkeit zum teil 
der Verfolgung einiger andern gegenstände^ zugewandt, deren er- 
kenntnis und behandlung für die bereicherung der Wahrheit sowohl 
wie auch für ein rechtschaffenes und friedlicheres leben nur höchst 
förderlich sein können, und selbst dann würden die geböte irgend 
einer persönlichen frenndscbaft mich nicht bestimmt haben, mich so 
zu zersplittern oder meine früheren plttne hinauszuschieben, begriffe 
ich nicht auch meinerseits jene Eure ziele und Eure thätigkeit, 
welche Euch mit der meinigeu euch die achtung einer persönlich- 
keit' eingetragen haben, die von einer gütigen Torsehung aus fernem 
lande hieot^ier gesandt ist^ um für unwre insel der anlasz und die an- 
regung zu groszem heile zu werden, und^ wie ich hüre, habt Ihr 

^ Samuel Hardieb, aüs einer beg^üterten UDd Tornehmen Elbinger 

kaufmannsfamilie stammend, brachte den prrösten teil seines thätigen 
lebens iu England, besonders in London zu, von wo aus er einen über 
ganz Europa ausgebreiteten briefwechsel mit den bedeutendsten män- 
nern seiner seit unterhielt und snr klärang sahlreieber Wissenschaft« 
lieber fragen nnd zur förderunfi^ humanitärer interessen in ttneigen- 
nützinrster weise und in wahrhaft idealem sinne beizutragen bestrebt 
war. dieser wissenstrieb und sein lebendicres bedürfnis, gutes zu thun, 
hatte seine aufmerksamkeit u. a. aueh auf den groszen reformator der 
erziehung Arnos Oomenius gelenkt; diesem hatte er, in der absichti den 
reformgedanken desselben in England einen boden zu bereiten, sdtens 
des engliscben Parlamentes einen rn( nach England auszuwirken ge- 
wust, welciiem folgend Comenius denn auch in London erschienen war. 
da aber neu ausbrechende politische wirren die Verwirklichung seiner 
gedanken In weite ferne su rücken drohten, so kehrte Comenius sofort 
ns4^ Deutschland surfick. Hartlieb war auch mit Milton befreundet 
geworden und hat, wie es scheint, versucht, den dichter und Staatsmann 
für die retormpläue des Comenius zu gewinnen. Die bei diesen mUnd> 
liehen erörterungen zu tage getretenen originellen ansichten Miltcns 
haben Hartlxeb Teranlasält, Milton um niederschrxft derselben zu er- 
suchen, so dasz demnach wie Miltons schriftchcn, welches 1644 im druck 
erschien, deutlich ausweist, Hartlieb der geistiorc nrheber desselben ist. 
was über Hartliebs leben hat ermittelt werden iiüuuen, findet sich zu- 
sammengestellt in einem leBenswerten aufsetze yon Fr. Altbans (histo- 
risches taschenbneh, begründet von F. Raumer, herausgeg* In n von 
W. Manrcnbrecher. 6e fol^'^o, 3r Jahrgang. Leipzig 1884. s. 278). 

* geniLiiit ist Miltons Zweite schrift über ehesoheidung* 

> Comenius. 



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MüioB fib«r eniehang. 



89 



dfiii8elb«n ruf bei mttnneni Ton durehans bewflbrter einsiciht und bei 
emjgen tob hQcbstem einflnst unter nns erlangt; nicbt zu erwShnen 
die gelebrte correspondens, die Ihr in frmden Iftndem nnterbaltet 
und die anszerordeniliche mühe un4 Sorgfalt, die Ihr anf diesen 
gegenständ sowohl hier bei uns, als jenseits des kanals Terwendet 
habt, sei es, getrieben von dem bestimmten willen gottes^ der es so 
fügte , oder infolge der Euch eigentttmliohen natnianlage, was ja 
gleichfalls gottes werk sein würde, und ich kann mir aaoh nieht 
TersteUen, dass Ihr bertthmt und gesehfttsti wie Ihr seid, mir mit 
preisgebnng Eures dgenen Scharfsinnes, einen unpassenden und Über« 
schweren gegenständ aufdringen würdet, wenn nieht die genng- 
thuung, welehe Ihr aus jenen gelegentlichen Unterhaltungen, in denen 
wir uns ergangen haben, gefichöpft zu haben bekennt, Euch zu der 
Überzeugung gedrängt, ja beinahe genötigt hätte, dasz ich das, was 
Ihr mir bezüglich dieses gegenständes ansinnt, über den gegen- 
wärtigen Zeitpunkt hinaus — der dessen so sehr bedarf und gleich* 
leitig für einen versuch, was gott beschlossen hat, so günstig ist — 
mit gutem gewissen weder verschieben darf noch kann« wie es sieh 
damit auch verhalten mag, ich will mich der göttlichen oder mensch* 
liehen Verpflichtung, die Ihr mir auferlegt, nicht entsiehen, sondern 
will Eurer anfforderong entsprechend jenen entwurf einer besseren 
erziehung, wie er mir seit länge im stillen vorgeschwebt hat, so* 
gleich schriftlich aufsetzen, einer erziehung, an ausdehnung und um< 
fang unendlich reicher und doeh der zeit nach viel kürzer und den 
fortschritten naoh viel zuverlässiger, als sie bis jetzt üblich gewesen 
iBt kürze aoU mein bestreben sein, denn zuverlftseig hat es unsere 
nation äuszerst nötig , dasz das , was ich zu sagen habe , eher aus- 
geführt, als ausgesprochen wird, ich werde Euch deshalb mit dem 
vortrage dessen , was ich in diesem punkte alten berühmten Schrift- 
stellern verdanke, verschonen, aber auch das zu untersuchen, was 
liele neueren januas und didacticas^ aufgestellt haben — mehr als 
ich jemals lesen werde — fühle ich mich durch keine neigung ver- 
anlaszt. wenn Ihr aber diese wenigen bemerkungen, die einer pflanze 
gleich aufgeschossen und f:,^ewisserma?zen der Fruchtansatz vieler ar- 
beitsvoller und betrachtun^'sreicher, der erkeuntnis sowohl religiöser, 
als staatsbürgerlicher Verhältnisse gewidmeten jähre sind, als das 
umehmen wollt, was Euch bei mündliebLi erörterungßO wohl gefiel, 
80 stelle ich sie hiermit Euch zur Verfügung. 

Der endzweck der erziehung besteht nun darin, den fall unserer 
ßtammeitern dadurch wieder gut zu machen , dasz wir lernen gott 
recht erkennen und ihn infolge dieser erkenntnis zu lieben, ihm nach- 
zueifern, ihm so ähnlich wie möglich zu werden, dadurch, dasz wir 
Uksere seelen mit wahrer tugend erfüllen, was, im verein mit dem 

* swei hauptschriften des Gomenltis. die genaueren titel sind: lanna 
Bognanini reserata. *das thor der spra( lien geöffnete 1631; — Didactica 
ma^na gen omnes omnia docendi artiüoiuni. * *gr<Mse didaktik oder die 
kami alle alles 2u lebieu.' 



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90 



John Milion über drziehnng* 



bimiiiUsolien gnadengeschenk des glanbeiu, die hOchste ToUkommen- 
hett auemaoht. da non aber unsere erkenntnis, weU an unsern kOrper 
gebunden, sieh nur auf wahrnehmbare dinge gründen und wir aar 
klaren erkenntnis gottes nnd der nnsiebthioren dinge nnr dadnrch 
gelangen kOnnen, dasz wir der reihe nach die sichtbaren nnd niederen 
wesen erforschen, so mosz notwendigerweise dieselbe methode bei 
jeder yemOnftigen endehnng befolgt werden« und weil wir seheui 
dass nicht jedee Tolk er&hning nnd flberlieferang in einer fllr jede 
art Wissenschaft genttgenden weise gewährt, so werden wir haupt- 
sSchlioh in den sprachen deijenigen Völker unterrichtet, die sa 
irgend einer seit am eifrigsten sieb der erforsehung der Weisheit ge- 
widmet haben; sodass die spräche blosz das Werkzeug wäre, welches 
uns der erkenntnis werte dinge znftihrt. und ob auch ein Sprach- 
forscher seinen stolz darein setzte, alle sprachen inne zu haben, in die 
durch die babylonische spracbverwirrong die weit zerfiel und er hätte 
nicht die ihnen zu gründe liegenden wirklichen dinge ebenso gründ- 
lich kennen gelernt, wie ihre sprachlichen bezeichnnngen und die 
Sammlungen dieser bezeichnungen, die Wörterbücher, so wSre er als 
gelehrter nicht so hoch zu achten ^ wie irgend ein freisasse oder ein 
bandwerker, der nur in seiner muttersprache bescheid weisz. hieraus 
erkl&ren sich die vielen misgriffe, welche den Unterricht im allge- 
meinen so unerfreulich und so erfolglos gemacht haben ; erstlich be» 
gehen wir den misgriff, auf das blosze zusammenscharren Ton so 
viel elendem latein und griechisch sieben oder acht jähre zu ver- 
wenden, als sonst mit leiditigkeit und freudigkeit in einem einsigen 
gelernt werden könnte, und was unser fortschreiten hierin so sdir 
verhindert, ist der Zeitverlust, der — an schulen wie an universi« 
tftten — teils durch allzu oft unnötige ferien verursacht wird , teils 
aus der widersinnigen anforderung an die noch leeren köpfe der 
kinder erwächst, derzufolge sie gezwungen werden, aufsätze, verse, 
reden abzufassen , die nur resultate reifster einsieht und die schlusz- 
aufgabe eines kopfes sein können, der durch lange lectüre und be- 
obachtung gewählte maximen in sich aufgenommen und eine i'ciche 
erfind ungskraft sich erworben hat. das sind keine dinge , die man 
aus jungen gelbscbnäbein herauspressen kann, wie man bhit aus der 
nase preszt oder unreife frncbt vom bäume pflückt; ganz abgesehen 
von der schlimmen ange wobnheit, die j'cne annehmen, sich in jämmer- 
licher weise gegen die griechische und lateinische spräche mit groben 
anglicismen zu versündigen, die abscheulich zu lesen, aber nicht zu 
vermeiden sind, auszer nach einem regelmäszig fortgesetzten, ver- 
ständigen, wohlgeordneten verkehr mit classischen antoren, an denen 
jene nur nippen; wohingegen, wenn, nachdem einige grundlegende 
elemente der spräche in gestalt ihrer sicheren formen ihrem ge- 
dächtni-^ eingeprägt worden sind, jene zur anwendung derselben an 
einigen kurzen gutgewählten büchern, die ihnen ihrem ganzen um- 
fange nach vorgelegt werden mtisten, geführt würden, sie dann so- 
fort zur kenntnis des wesens nützlicher dinge und zur fertigkeit und 



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John IfUton über emehung. 



91 



iwar m der riebiigesk reilien folge fortsdireiieii kltoten» wm aie bald 
inr Tdlligen bebmehnng der sprMbe bringen mflste. dies balta ieb 
ftr den Tenifiiiftigateii und dankbareten weg der epracherlemimg, 
nad tOx den, bei welchem wir hoffen dOrfen, gott am besten reohen* 
lebaft Uber die derselben gewidmete jogendseit abzulegen* 

Und was die ttbHdie methode des nnterriehts in den freien 
kOnsien betrillt, so halte ich es fOr einen alten misgriff der nniTer- 
Bitäten, die sieh nooh nidit recht erholt haben von der scholastischen 
diuipfbeit barbarischer seitalter, dass sie, anstatt mit den leiditesten 
kttnsten za beginnen — nemlich denjenigen, welche für die sinne 
am fassUehsten sind — ihren jangen, gänalich uneingeweihten' s^- 
lingen gleidi beim ersten eintritt die abstractesten lehren der lo^ 
und metaphysik darbieten, so dass jene, die eben erst die untiefen 
md saiidblnke der grammatik hinter sich gelassen haben^ wo sie un« 
Temflnftiger weise fotsteckten, nm ein paar werte in jämmerlicher 
wortsteUong sieh ausaeignen, nm nun, mit einem male unter einen 
gstts anderen bimmelsstridi Tersetst^ mit ihren ballastloBen köpfen 
in den oneigrOndlichen und ruhdosen tiefen wissenschaftlicher Streit- 
fragen umhergesehleudert su werden und sich absnquSlen — dass 
jene sum allergrOsten teil hasz und yefachtung gegen den unterriciht 
einsangen, weil wihrend dieser ganaen seit gettfiFt und genarrt von 
bettelhaften begriffen und armseligem geschwftta, wo sie eine würde-» 
ToUe und anmutende Wissenschaft su finden erwarteten; bis denn 
annut oder jugendliche unreife sie ungestüm in manigfaltige 
lebenswege drängen oder sie mit der beihülfe yon freunden einer 
ehrgeizigen, kttufliofaen und bei aller Unwissenheit zelotischen geist- 
licbkeit in die arme treiben; einige lassen sich zu dem juristischen 
berufe verlocken , aber indem sie ihre absieht nicht auf eine kluge 
und gottergebene betrachtnng von recht und billigkeit, zu der sie 
ja nie angewiesen worden sind, sondern auf vielverbeiszende und 
streitige rechtsansdrttcke, fette processe und reichlich zuflieszende 
sportein richten, andere schlagen die staatscarriere ein, aber mit 
lünsiehtlich tugendhafter grundstttze und einer wahrhaft edeln er- 
tiehong so haltlosem Charakter, dasz Schmeichelei, höfische kniffe 
und die aussprüche eines despoten ihnen als der höchste gipfel 
dir Weisheit erscheinen, indem sie ihren ausgedörrten geistern eine 
gewissenhaft getiagrae knechtschaft au&ötigen, wenn die letztere 
aii^t wie ich lieber annehmen mikshte, eine erheuchelte ist. andere 
sdiliesslioh von zarterer, weniger plumper denknngsart nehmen, da 
sie nichts besseres wissen, ihre Zuflucht zu den ergötzlichkeiten 
des Wohllebens und der schwelgerei y indem sie ihre tage mit 



* die Ton mir benutzten ausgaben lesen: rjnmatricnlated. Zelle 
seheint nach seiner Übersetzung 'neu aufgenommen', wie auch Bern- 
kardi, wenn er übersetzt 'die jungen immatriculierteu neuliuge^ imma- 
trienUted su lesen, was, wenn es nicht den sinn Töllig verschieben 
mU, nur anf den rein Snsserlteben aet der aufhahme in die sehnte be- 
sogen werden kann. 



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92 



John Milton fiber etMmng. 



festen und luBibarkeiten Terbringen, was ja in der tbai noch der 
vernttnftigttte und glQckli(^8te lebenslanf von «11 den geDannien sein 
würde, wenn er ninr mit mehr lanterkeit deg charakterB verbimden 
wäre. daB sind die frttchte daFon, dass wir die blttte unserer jngend, 
wie ja ifaatettchlioh der fall, auf den schnlen nnd oniTersitftten zu- 
bringen, indem wir entweder leere worte oder aber hanptsftchUch 
solche thatsaohen lernen, wie sie besser nicht gelernt würden. 

leb werde Eueb nicht weiter mit der darlegung dessen bebd- 
ligen, was wir niebt tbun sollten, vielmehr Endi nun sn einem bflgel 
führen, von wo icb Eueb den rechten weg sn einer der tagend ge- 
mSszen ersiehung zeigen will, der beim ersten betreten zwar mtth- 
sam, aber weiterhin so eben, sogrtln, so reich an yortrefflichen fem« 
siebten und melodischen kiftngen ist^ dass Orpheus' leier nicht be« 
zaubernder sein konnte, mir ist nicht zweifelhaft, dasz Ihr mehr 
mühe haben werdet, unsere stumpfsinnigsten und trägsten Jüng- 
linge, die klotze und stöcke, von ihrer auszerordentlichen begier nach 
solcher geistesnahrung zurückzuhalten , als wir jetzt haben , unsere 
erlesensten und hoffnungsvollsten köpfe zn jener eselsmablzeit von 
brombeeren und saudisteln heranzuziehen und zn schleppen, die ihnen 
gewöhnlich als alleinige nahrung und speise ihres zartesten und bil- 
dung? fähigsten alters vorgesetzt wird, ich nenne also eine vollendete 
und edle erziehung diejenige, die einen mann in den stand setzt, alle 
seine häuslioben und öffentlichen pflichten im krieg und im frieden auf 
gehörige, gewandte und hochherzige weise zu erfüllen, und damit dies 
zwischen dem zwölften und einundzwanzigsten lebensjahre geschehen 
könne — einer kürzeren zeit als jetzt auf grammi^ischen und sophisti- 
schen tand verwandt wird musz folgendermaszen verfahren werden. 

Zunftchst gilt es, ein gerftnmiges haus ausfindig zumachen, von 
einem platz mnd umgeben , welches sich für eine akademie eignet 
und grosz genug ist^ hundertundfünfzig menseben zu beherbergen, 
von denen etliche zwanzig die dienerschaft zu bilden hätten, alle 
aber müsten unter der leitung eines einzigen stehen, der von hin- 
reichender ttichtigkeit und mit der fähigkeit ausgestattet gedacht 
wird, entweder alles selbst auszuführen oder auf verständige weise 
die aust'tihrung zu leiten und zu überwachen, diese anstalt müste 
gleichzeitig schule und Universität sein und keine Übersiedelung nach 
einer andern iehranstalt nötig machen; auszunehmen wären nur 
einige besondere rechts- und medicinische schulen, wo die schüler 
beabsichtigen, sieh in ihrer Wissenschaft praktisch auszubilden, aber 
was jene allgemeinen studien betrifft, die unsere ganze zeit von der 
grammatikschule' bis zur erlau^L^ung der sogenannten magisterwürde 
in anspruch nehmen, so mü-te die anstalt völlig ausreichen, nach 
ihrem muster müsten so viele gebäude als in jeder stadt des landes 

* im original; from Lilly to the eommencing maater of tat, Lilj 
(Lilins 1468—1522) war ein berühmter eoglischer humanist, lehrte an 
der grammatischen schule von St. Paul in London Und verfassteein viel- 
gebrauchtes grammatisches lehrbuch. 



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John Milton Über erziehoug. 



daför nötig sein sollten , zu diesem zwecke umgebaut werden, was 
allerorten gar sehr zur Verbreitung der bildung und cultur beitragen 
würde, wenn jene schülerzahl mehr oder weniger auf diese art auf 
die einer fuszcompagnie oder abwechselnd zwei cavallerietrupps ent- 
sprechende zahl gebracht wäre, müste sie, wie es der Ordnung ge- 
mSsz sein würde, ihr tagewerk in drei abschnitte teilen: die Stu- 
dien, dieleibesübungen und die m ahlzeiten. 

Ihre Studien betretend, üü öüUten die schüler mit den wich- 
tigsten und notwendigsten regeln irgend einer guten graiamLitik' 
beginnen, sei es irgend einer von denen, die jetzt im gebrauche smd, 
sei es einer besseren: und während dies geschieht, soll ihre rede zu 
einer deutlichen und klaren ausspräche gebildet werden, die besonders 
bei den vocalen der italienischen so nahe wie möglich zu kommen 
hätte, denn wir Engländer, die wir weit nördlicher wohnen, öfihen 
bei der kalten luft den mund nicht weit genug, um eine sttdliehe 
anssprache zu begünstigen, sondern sprechen nach der beobachtung 
liier andern Völker mit auszerordentlich enger mundöffnung und 
imerordentlich nach innen, so dasz lateinischreden aus englisofaem 
munde sich ebenso abscheulich anhört, wie plattfranzösiscK^ — Dans 
güt es, um sie mit den nützlichsten pankten der grammaük ver- 
traut sa maidien und sie zugleich frühzeitig ftlr die liehe zur tugend 
end für treae arbeit lu gewinnen und reif zu machen, bevor sohmei- 
chekde verftthrong oder leichtsinnige gmndstttze sich ihrer in ihrer 
balÜosigkeit bemSchtigen, irgend eine leichte nnd unterhaltende 
pädagogische schrift ihnen vorzulesen, deren ja die Griechen eine 
reiche menge besitzen, wie Cebes', Plutareh"^ und andere Sokratische 
«fOrternngen. im lateinischen freilich sind keine von classischem 
ansehen vorhanden, mit ausnähme der ersten zwei oder drei büeher 
dtt Quintilian^' und einiger anderswoher ausgehobenen sttteke. hier 



' Milton telbst hat spttter (1669) eine olTenbar au seiner eignen 
lehrtfaätigkeit hervorgregangene kursgefasste lateiniedi« grammatik ver- 
öffentlicht unter dem titel: accedence commenced grrammar, suppHed 
with sufficient rnles for the use of such as, younLrt r or eider, are aesi- 
roas, withüut more tiuable thau iieeds, to attaiu the Latin tongue; the 
«Ider Bort especially, with little teaebing, and their own indoetry. 

" viele ausgaben, darunter aaeh die von mir beautaten, haben das 
nnverstflndliche lawFrench; die von Zelle benutzte ausgäbe der prosa- 
schritten Miltons herausgegeben von G. Burnett. London 1819} dafür 
d&8 allein mögliche low French. 

* Cebes aus Theben, der Slteven Pythagoreischen achnle angehörig, 
schrieb mehrere philosophische dialoge , von denen aber nur einer, be- 
titelt: irfva? (dns f^emälde) erhalten ist, aher freilich auch zuweilen 
einem jüngeren Cebes unter Marc Aurel, aus der schule der Stoiker, zu- 
geschrieben wird. 

1* Platareh, griechischer Schriftsteller (60—120 b. Chr.)» schrieb be- 
rühmte biographien (parallele lebensbeschreibungen hervorragender Grie- 
chen und Römer), auszerdem eine grosze reihe moralphilosophiscber, anti- 
quarischer und litterarhistorischer Schriften. 

Qaiatttian, der gefl^ertote rSmisehe lehrer der heredtsamkeit 
(86->e5 n. Obr.); verfasste das berühmte werk institatio eratoria (unter- 



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94 



John Müton über erziehung. 



aber besteht die hauptkunst und die grundlegende thStigkeit darin, 
iboen bei jeder günstig scbeinenden gelegenheit diejenige lecttlre 
und derartige erläuterungen zuzuführen, welche geeignet sind, sie 
zu einem willigen gehorsam anzuleiten und anzutreiben, einem ge- 
horsam, der von lerneifer und der bewunderung der tugend beseelt 
und von der erhabenen hoffmmg, dereinst als wackere männer und 
würdige patrioten, von gott geliebt und in allen menschenaltern be- 
rühmt zu leben angefeuert sein soll, damit sie ihre kindischen und 
zu ihrem schaden angenommenen eigenschaften verachten und ablegen 
lernen , dafür aber an männlichen und edlen leibesübungen gefallen 
finden, wer die kunst besitzt und die entbprechende redegabe, sie 
dafür einzunehmen, teils durch sanfte und doch wirksame Über- 
redung, teils auch, wo nötig, duieh die androhung einer strafe, vor 
allem aber durch sein eigenes beispiel, der könnte sie in kurzer zeit 
für einen unglaublichen ileisz und mut gewinnen, indem er ihrem 
jugendlichen geiste einen solchen edlen eiier einflöszte, dasz er 
unfehlbar manche von ihnen zu berühmten und unvergleichlichen 
männem machen würde, gleichzeitig sollen ihnen zu irgend einer 
andern tagesstunde die regeln der arithmetik und bald nachher die 
elemente der geometrie, nach der alten lehrweise selbst spielend bei- 
gebracht werden, nach der abendmahlzeit bis zum Schlafengehen 
wttrden ihre gedanken am besten zu den leichten grnndlagen der re- 
ligion und den erz&hlungen der heiligen schrift erhoben. — Dann 
wtlrde fortsusdireiten sein za den sdurifbitollm des landbanes: 
Cato'*, Varro" und Colunkella*^ denn der etoff ist ansserordentlich 
leieht verständlich, und wenn die spräche sich als schwer erweisen 
sollte, dann um so besser: die Schwierigkeit übersteigt nicht ihre 
jähre, und hier wird auch der passende ort sein, sie anzuspornen 
und zu befähigen , späterhin den landbau ihres Vaterlandes zu rer* 
bessern, den schlechten boden zurftckzugewinnen und der Verwüstung 
des guten abzuhelfen, denn dies war eine der ruhmesthaten des Her- 
cules. — Bevor noch die hSlfte dieser Schriftsteller gelesen ist, was 
bald geschehen ist, wenn man die schttler tSglich scharf dazu anh&lt, 



Weisung in der kunst der beredtsamkeit) in 18 bÜehem, das eine falle 

von gesammelten erfahrangen and umfasseadtte Studien entbftlt. 

1* Oato (Marcus Porcius), init dem beinamen: der censor, oder znm 
unterschiede von seinem neffen der ältere genannt, lebt© von der mitte 
des dritten bis zur mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr., verfaszte ein 
berübmteB gesehichtswerk und die nne hier besonders angehende sehrift: 
de re rostica. 

*' Varro, römischer schriftsteiler von auszerordentlichem umfanjy 
des Wissens, lebte 116—26 v. Chr. und hinteriiesz eine grosse menge 
wertvoller Schriften, von welchen bervorzoheben: 1) eine rBmiache alter- 
tnmskunde; 2) eine eueydopftdie der freien künste; 3) eine sehrift über 
die lateinische spräche; 4) eine Schrift über civilrecht; 5) eine sehrift 
über den landbau; 6) eint^ reibe poetischer werke, von allen diesen ist 
nur die sehrift über den iandbau vollständig auf uns gekommen. 

^* Golumella, Hämischer aobiifUteller im ersten Jahrhundert n. Chr. 
sehrieb: de re mstica* 



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Jolm Hiltou über erzieh uug. 



mfissen sie unfehlbar jeder gewöbnliciien prosalectüre gewachsen 
sein, nun wird es an dar zeit für sie sein, in irgend einem neueren 
Bchriftsteller die handhabung des globus und aller landkarten zu er- 
lemoDi zuerst mit den alten und dann mit den neueren namen, oder 
sie dürften dann wohl auch im stände sein, einen kurzgefaszten ab- 
riflz der nsturgescbichte zu lesen, und zu gleicher zeit konnte der 
anfang mit der griechischen bprache gemacht werden, und zwar nach 
derselben methode, wie vorher für das lateinische vorgeschrieben, 
so dasz, sobald erst die gram raatischen Schwierigkeiten überwunden 
sind, die ganze naturgeschichie des Aristoteles und die des Tbeo- 
phrastas" ihnen offen steht und, so zu sagen, von ihnen nur aus- 
gebeutet zu werden braucht, gleich zugänglich werden ihnen Vitru- 
vius'', Senecas quaestlünes naturales Mela'®, Celsus**, Plmius'^' 
öder Solinus sein, und nachdem sie so die anfangsgründe der arith- 
metik, geometrie, astronomie und geogriiphie, verbunden mit einem 
allgemeinen abrisz der naturwis^enschaft durcbgemacbl haben, 
können sie in die tiefen der malhematik zu der hilfs Wissenschaft^' 



Aristoteles, neben Plato der gröste piiilosoph des altertums tiod 
l»«k«nntlieh ersieher Alexanders des grossen; vorher als sehtiler Piatos 

bis tu dessen tod in Athen thätig; später ebenda als etifter und haupt 
der peripntetischen schale wirkend, lebte von 384 bis 322 v. Chr. die 
von Milton besonders ins aup'e ßrefaszten sctiriften sind: die rhetorik, 
die puetik und die uaturgeächiciitiiciibn äciiriiLen. 

** Theopbrastus, der gelehrteste sehüler des Aristoteles nod sein 
ssehfolger im lehramte, lebte ungefähr 372 — 287 Chr. von ihm be- 
sitzen wir Tl. a. dreiszig lebensvolle charalcter Schilderungen (xapaKTfjpf c), 
die der Franzose La Bruyere, unter beitügung geistvoller Schilderungen 
der Sitten seiner zeit, in vollendeter weise übersetzt hat. 

Vitrarins, lebte gegen 300 Chr., bedeutender römiseher arehl- 
teet und Verfasser des wichtigen werkes: de architectura. 

Seneca lebte ungefähr 4 — 65 n. Chr., nächst Cicero der bedeu- 
tendste philosophische Schriftsteller der Körner; unter seinen zahlreichen 
sehriften sind besonders zu erwiUmen, weil liierher gehörig: naturales 
quaestiones. 

Pomportiiis Mela, bedeutender geographischer Schriftsteller, lebte 
unter den römischen kaisern Claudius und Caligula und schrieb ein geo« 
graphisches werk unter dem titel: de chorographia. 

* Celans lebte im zweiten Jahrzehnt n. Chr. ond behandelte In 
tiaem grösseren encyklopädischen werke, betitelt: de artibus, den land- 
bau, die philosophie und die medicin. nur der letzte toil ist uns erhalten. 

Plinius (Cajus Piiuius Secundus der ;iltorcj, militär uud staats- 
mauQ unter den römischen kaisern Claudius uud Vespasian, ein manu 
Ton nmfassendem wissen, selirieb, als fmeht vieljähriger stndien, eine 
naturalis historia. 

Solinus, römischer Schriftsteller, lebte um 300 n. Chr. und ver- 
faszte, grösteuteils nach Plinius, ein Sammelwerk zur uaturkunde, be- 
titelt: collectanea rerum memorabilium. 

** im original: , • a general eompaet of Physies* was in diesem 
nsammenbange kanm anders als geschehen wiedergegeben werden kann. 

** im ori<3^inal : . . thp instrumental science of Trigonometry. Zelle 
gibt: 'praktische (augewandte) Wissenschaft', was nicht zu instrumental 
passt; Bernhardi gibt: 'organische Wissenschaft', was vollkommen un- 
TefstKndUeh ist. 



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96 



John Milton über erziehung. 



der trigonometrie vordrintren , und von da znr fortificationslehre, 
zur baukunst, artiiienekunst oder schifffabrtcikunst. und in der 
naturgeschichte können sie gemächlich von der beschreibung der 
steine*'", minerale, pflanzen und lebenden wesen bis zur anatomie 
fortschreiten, sodann mag ihnen auch später nach einem autor, der 
für sie passt, eine einführung in die arzneikunde vorgetragen werden, 
auf dasz sie die leibesbescbaflfenheit, die säfte, die Stadien der körper- 
lichen entwicklung'* und wie eine unverdaulichkeit zu heben ist, 
verstehen lernen: denn wer das mit verstand und bei zeiten zu thun 
vermag, ist nicht nur für sich und seine freunde ein tüchtiger arzt, 
sondiin mag wohl gar einmal ein beer durch derartige einfache und 
kostenlose mittel wiederherstellen und braucht nicht, weil ihm die 
kenntnis dieses gegenständes abgeht, vorher gesunde und blühende 
menschen vor seinen äugen dahiiiöiecben zu sehen, was recht be- 
klaguiiRwert und nicht weniger beschämend für einen beerfübrer ist. 
um diese niethode in nature^eschiciite und mathematik noch zu ver- 
bessern, was sollte sie ablißlten, sich, so oft als geboten, die er- 
fahrungen von jagern , Vogelstellern, fischern, Schäfern, gärtnern, 
apothekern zu nutze zu niLicben, und, m den andern Wissenschaften, 
diejenigen von arcliitecteu , Ingenieuren, seeleuten und anatomen, 
die, sei es für geld, sei es um eine hoffnungsvolle pflanzschule der 
jugend zu unterstützen, zweifellos dazu bereit sein würden? und 
alles das wird ihnen einen so soliden anstrich von naturkennt- 
niesen geben, dasz sie dieselben niemals vergessen, sondern die- 
selben yielmehr täglich gern zu vermehren trachten werden, dann 
werden aneh jene dichter, welche jetzt für schwer gelten, nemlich 
Orpheus", Hesiod* Theokrit", Aratns^ Nicander^', Oppian**, 

im original I — History of Meteors, ich kann weder Zelles: dar- • 
Stellung der witterun^serscheiDUDgen', noch Bemhardis 'geachiohte der 
meteore' für richtig halten. 

im original: . . the tempers, the hnmoiirB, the aeasons. Zelle 
gibt: ^diätetische Vorschriften*; Bemhardi das hier gana verfehlte 'Jahres- 
aeiten'. 

27 Orpheus, dichter der griechischen sagenzeit, unter dessen namen 
mehrere dicbtungen über theogonie, über die magische kraft gewisser 
steine n. a. gehen. 

*^ Hesiod, griechischer dichter, ungefähr ein jahrh. nach Homer, 
yerfaszte ein landwirtschaftliches lehrgedicht 'werke und tage', sowie 
eine ^theogonie'. 

Theokrit» gegen 260 v. Chr., der berühmteste dichter der grie- 
chischen bnkolik; hinterliess 30 idyllen. 

Aratos, gegen 270 v. Chr., schüIer und freund des philosophen 
Zeno, freund des diohters Tkeokrit, schrieb ein astronomiscliea lehr- 
gedicht: (paivö|Li€va. 

Nikander, gelehrter urzi, grammatiker nud dichter, lebte um 
160 T. Chr., schrieb mythologische and natorgesebichtliche lehrgediehte 
(über den landbau; von den giften; gegen den bisz schädlicher tiere), 
die von römischeu dichtem vielfach benutzt worden sind 

anter diesem verfassernamen gehen zwei lehrgediehte, betitelt: 
balientika und kjnegetika, gehören aber wohl verschiedenen Verfassern 
an, die um SOO n. Chr. lebten. 



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John Milton über emehong. 



97 



Dionysius*", und im lateinischen Lucretius", Maniliua*^ und die 
georgika des Vergil* ihnen eine leichte und angenehme lecttire sein. 

Während dieser zeit wird der einflusz der jähre und werden 
gute allgemeine Vorschriften sie deutlicher mit jenem vernunft- 
?ermögen ausgerüstet haben, weiches in der ethik Tipoaipecic" ge- 
nannt wird und darin besteht, dasz sie mit einer gewissen Urteils« 
kraft über das sittlich gute und böse nachdenken können, nun wird 
eine besondere kräftigung eines zielbewusten und gesunden Unter- 
richts darin bestehen, sie aufzuklären und cbarakt erbest zu machen, 
indem man öie ausführlicher zur kenutnis der tugend und zum hasse 
gecren das laster anleitet, und zwar, indem ihr junges und bildsames ge- 
müt durch alle moralischen werke eines Plato^^ Xenophon^^ Cicero^, 



Dionysins, zum unterschied von g^leichnamigen Schriftstellern: 'der 
ßamier' genannt, verfasaer eines mythographiscben handbnchs (kukXoc). 

" Lucretius (Titus Lucretins Carus), römischer dichter(98 — 65 v.Chr.) 
vorfMwte ein lehrgedicht: de reram natura anf der graadlage der Bpi* 
drei sehen pbilosophie. 

^ Manilins, röTni«fcher dichter, lebte karz Yor und karse zeit nach 
Chr., verfaszte astroaomicön libri V. 

* Vergil (Pablins Vergilins Maro), hochgepriesener rSmiseher dichter, 
▼OB 70—19 ▼. Chr., vesfaezte bekanntlich neben des bokolika oder 
eclogen (hirtengedichten nach dem mnster des Theokrit) und neben der 
vielg^efeierten Aeneis, auch die vier bticher der georgica, ein gedieht Über 
den laudbau (bei Milton: the rural part of Vergil). 

irpoaipccic, ein ansdraek der Aristoteliaeben philosophie. ihr sn* 
folge gehört zum tugendhaften handeln eine gewisse mit Überlegung 
verknöpfte wähl (irpcafpecic) , die sich hauptsächlich auf die mittel an 
einem zwecke, welcher gegenständ des woilens iht, bezieht. 

S8 Plato (427 — 347), der bedeutendste Schüler des Sokrates, bereiste 
Bach des letsteren tode (399) Ägypten, Unteritalien, Sieilien, in welehem 
letsteren lande er längere zeit am hofe des älteren und des jüngeren 
Dionysias lebte, und begraadcte, später nach Athen aurtlekgekebrt', die 
sogenannte akademie. 

^ Xenonhon (444— Ö5ö v. Chr.), freund und achüler des Sokrates, 
]ier?orragenaer heerflifarer (rScking der von ihm geführten 10000 Grie- 
chen nach der für den jüngeren Eyros anglücklichen Schlacht bei 
Kanaxa). srinn hauptschriften sind: Ij anabasis (meisterhafte beschreib 
bung des so eben erwähnten rückzuges der griechischen soldner- 
trappen); 2) Cyropaedia (ideale erziehungsgeschichte des Kyros); 3) Hel- 
leaika (grieehisidie gesehiehte, fortsetsnng des gesohiehtswerkes des 
Tfaakydidies); 4) apomnemonenmata Soeratis (erinnerunffen anSocrates); 

5) apologia Socrntis (verteidigunp: des Sokrates); 6) zwei ??chrlftcn 
über die staaisvertassung der Athener und Spartaner; 7) kleinere 
sdiriften über die Jagd, über die reitkunst, über verwaltang des haus* 
Wesens. 

^ Cicero (Marcus TuIIius Cicero), 106 — 43 v. Chr. von seinen zahl» 
reichen Schriften interessieren hier, weil von Milton ins auge gefaszt, 
die die rhetorik und die die philosophie betroffenden, von der ersteren 
efawse nennen wir: 1) de oratore; 2) rhetorica; 3) Brutus de claris 
oratoribus; 4) orator ad M. Brutum; — von der letateren elassej 1) de 
finibus bonorum et raalorum (die lehre vom höchsten gut und vom end- 
»week des iebens); 2) de legibus; 3) academica; 4) de] deorura nntnra; 

6) Cato maior sive de senectute; 6) Laelins sive de amicitia; 7) Xuscu- 
iaaae dispntationes ; 8) de offietis. 

H. Jalub. f. phfl. D. pid. n. al»t. U80 hfu S. 7 



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98 



John Miitüu über erzieh ung, 



Plutarch, Lafe*rtius^' und diu lokrischen fragmente^^ geführt wird, 
aber immer wieder sollen sie in ihren abendlichen Studien, mit 
denen sie ihr tagewerk beschlieszeii , zu der kategorischen spruch- 
weisheit^ eines David oder Salome oder den evangelien und aposto- 
Ibcben Schriften zurückkehren, wenn sie die kenntnis der persüu- 
lioben pflichten eines menschen vollkommen inne haben ^ so mü^jen 
sie dann d%8 Studium der staatswirtschaft beginnen, und sie können 
auch entweder jetzt oder aber schon vorher in einer müszigen stunde 
die italienisdie spräche erlernen, und späterhin würde es — aber 
nur mit vorsieht und mit guten gegenmitteln — recht heilsam fftr 
sie sein, sie von einigen ausgewählten lustspielen der griechischen, 
lateinischen oder itaUoiiselien spräche naschen xu lassen , sowie von 
jenen tragOdien, welche familienconflicte^ behandeln» wie die Trachi- 



LaSrtias (DiogeooB LaSrtius) aas Laerte in Kleinasien, blähte 
gegen 200 n. Chr., ist Verfasser einer wertvollen schrift in sehn büchem 
Qber das leben und die I liren berühmter philosophen. 

^* Lokrische fragmente. zu der schale der älteren Pythagoreer 

Sehörte angeblich ein gewisser Timaeus aus dem in Siciiien gegrün- 
eten Lokri. ihn, den angebliehen Verfasser einer schrift über 'die 
seele der weit nnd der natnr', soll Plato in Siciiien aufg-c8uclit und 
nach ihm seinen also betitelten rlinlogf gennmit haben, die forsclmng 
hat indesseu nachgewiesen, dasz umuekehrt jene schrift des anp-eb- 
lichen Timaeus von einem JSeupythagoreer erst aus dem Platonischen 
dialog herausgearbeitet worden ist. und diese schrift hat wohl Milton 
gemeint. 

im original; tho f^eterminate aentence of David or Salomon, 
Zelle übersetzt ^ bestimmter spruch', Beruhardi 'entschiedener spruch', 
was beideis unverständlich ist. ich verstehe den a'nin folgendermassen : 
im gegensats sn den moral worlts eines Plato, Cicero, Platarch n. a., 
die sittliche lehren mehr untersuchend vortragen, erscheint die biblische 
Fiprnchweisheit mit ihrem einfachen 'du sr.l!'?t' nnd 'du SoUst nicht* als 
determiuate oder, mit Kant zu reden, als kategorisch. 

** im original: Economics. die Übersetzungen von Zelle (Landwirt- 
schaft') und Bernhardi ('öconomie') erscheinen mir als nnsatreffend, 
denn von landwirtschaft ist in abschlieszender weise bereits die rede ge- 
wesen, ich fasse das wort als gegensatz zu dem vorausfjegangenen 
«personal duties' und glanbe, Milton will sa^en: nachdem die Zöglinge 
über den kreis der pflichten des menschen gegenüber sieh selbst belehrt 
worden sind, ist es seit, ihnen das ganze des staatsorganismus su aeigen, 
in welchem nnr dann gedeihen stattfinden kann, wenn der einzelne nicht 
nur die pflichten gegen sich und gegen gott, sondern auch gegenüber 
dem nebenmenschen, also gegen die staatliche gemeinschatt treu er- 
füllt* mit der weiter unten genannte» ^poJitik' meint dann der dichter 
mehr das entstehen und Tergehen und die grundlagen staatlicher gemein- 
wesen. 

•*ä im original: . . household matters. wegen des sinnes , den wir 
mit ^häusliche angelegenheiten' (Zelle und Bernhardi) verbinden, halte 
ich diese ttbersetftusg för rerfeblt. unser Terfasser will doch offenbar 
attische tragödien nur als praktische beispiele von sittlichen conflicten 
zulassen, deshalb verlangt er, dasz die betreflV'udcn tragödien house- 
hold matters behandeln d. h. confliete zwischen fHmi]iPTjmitgliedern# 
unter dieser Voraussetzung und mit dem vorbehält einer strengen be- 
anfiiehtignng seitens des Uhlers, empfiehlt er kurx Forber sogar grie- 
ehisehe, lateinische nnd italienische eomödien. * 



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John MUton über emehaug. 



nierinnen Alkestis'*'' und ähnlichen, ein weiterer schritt werde 
gethan zu dem Studium der poiitik, um das entstehen, den ausgang 
und die vernünftigen crruudlagen politischer gemeinwesen kennen za 
lernen , damit sie in gefährlicher läge des Staates nicht als ein kläg- 
liches, gebrochenes und schwankendes röhr daatehen und sich von 
so schwankender gesinnuiig erweisen, wie viele unserer groszen 
Staatsräte sich kürzlich erwiesen haben , sondern als feste Staats- 
slulen. hierauf m5gen sie in die grnndlagen des rechts und der ge- 
setzgebung eindringen, wie dieselben mit nachhaltigster Wirkung 
zuerst von Moses und nachher, soweit menschliche Weisheit ver- 
trauenswürdig erscheint, in jenen hoch gepriesenen Überbleibseln 
griechischer gesetzgeber, wie Lycurg^, Solon*', Zaleukus*^, Cha- 
roüdas'^' überliefert worden sind, und darauf übergehen zu den rö- 
mischen edicten und gesetzestafeln und dem Justinian'' und so 
weiter herab zu dem altsächsibchen und dem gemeinen englischen 
recht und den parlamentdsatzungen. die Sonntage, sowie die abend- 
stunden jeden tages, mögen jetzt auch einer verständigen behand- 
lung' der höchsten theologischen i.'-egenstände , sowie der alten und 
neuen kircbengeschichte gewidmet werden, und schon vorher kann 
die kenntnis der hebräischen aprache in einer t'e.st bestimmten stunde 
erworben w^orden sein, damit die heilige schritt jetzt m der urspracho 
gelesen werden kann, und nieht unmöglich dürfte es sein^ das chal- 
dftische und das syrische noch hinzu zu nehmen, wären alle diebö 
Studien glücklich Oberwunden, dann würden sich ihnen ausgewählte 
bilder aus der geschichte, heldengedichte und attische tragödieu von 
erhabenstem imd wahrhaft königlichem Inhalt, sowie alle die be- 
rfihmten politischen reden zur lectüre darbieten, was, wenn sie nicht 
nur gelesen , sondern auch teilweise auswendig gelernt und mit an- 
mnttind richtigem ausdruok vorge tragen würden — was ihnen ge- 
lehrt werden mfista — sie f)lr das yerständnis des gelstes und der 
Tednerischen kraft eines Demosthenes'* oder Cicero, eines Enri- 

^<]ie Tracbinierinn en', tranerspiel des Sophokles* 

'Alkestis', berübmteH tranerspiel des Euripides. 
*^ Lykurg, gegen dOO v. Chr., der berühmte gesetzgeber des spar- 
Umitolieii stoates. 

Soloo, gegen 694 t. Chr., der herflhmte gesetsgeber des athenischen 
•taates. 

^ Zaleukns berühmter Gesetzgeber der nach Unteritaiien aasge- 
wsnderteu (epizephyrischen) Lokrer, im 7. jahrh. v. Chr. 

Oharondas, schaler des Pythagoras, später gesetzgeber der Stadt 
Rhegiam In Unteritalien und als solcher weit über Italien hinaas be- 
rühmt, ungefrihr 600 v. Ohr, 

JnstiniHn, byzantinischer kaiser (527 — 665 n. Clir ). unter seiner 
re|ierung wurde das gesamte gebiet des civilrechts durch werke ge- 
sraiiet, die mehr oder weniger für das reehtsleben aller ySIker and 
Miten bestimmend geworden sind, diese werke, von einer commission 
▼on recbtsgelebrten nnter vorsitz des Tribonias zusammeng-estellt, sind: 
l)der codex Justinianus; 2) die digesten (pandekten); 3) die institutiones. 

" Demosthenes (385 — 322 v. Chr.), bekämpfte besonders die wach- 
•eade maekt Philipps von Makedonien und dessen gegen Oriechenlands 

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John MiltoD über erziehung. 



pides^* oder Sophokles befähigen würde, und jetzt endlich wird öS 
an der zeit sein, mit ihnen jL'ne organischen klinkte zu treihen, welche 
die menschen befiihigon, sich klar, geschmackvoll und der botretfenden 
&tilart — der erhabenen, gewöhniichen und niederen — entsprechend 
schriftlich oder mündlich auszudrücken, deshalb nausz frau logika, 
soweit als nützlich , mit allen ihren richtig gestellten hauptpunkten 
und Paragraphen in diese ihr gebührende stelle eingesetzt werden, 
bis sie ihre verschränkten arme der anmatigen und geschmückten 
frau rhetorika öfben musz, welche nach den Vorschriften eines Plate, 
Aristoteles, Phalerens^, Cicero, Hermogene8^^ Longinus^ zu lehren 
wftre. ihr hfttie die poetik za folgen oder vielmehr voranzugehen, 
da sie weniger subtil tad spitsfindlg, vielmehr einfacher und sian- 
lieh greifbarer and packender iat. ich meine damit nicht die pro« 
sodße dee Terses, worauf sie ausberlich ecbon Torber bei den anfaBga- 
grttnden der grammatik gestoszen sein mflsseD, sondern jene erhabene 
kirnst, welche in der poetik des Aristoteles, im Horaz^ und den er* 
Vrtcrungen der Italiener Castelvetro**, Tasso^'^ Mazaoni*V und an- 
derer, darttbw belehrt^ weldie konstgesetse bei einem wahren epos, 
welche bei einem dramatischen, weldie bei einem lyrischen gedieht 
zu beobaohten sind, endlich was dichterisch erlaubt ist, welches 
letztere £n beobachten als das gröste meisterstfick gilt, das würde 



selbstHndigkeit gerichtete betirebungeD ; er foeht persönlich in der die 

freiheit seines Vaterlandes vernichtenden tchlacht bei Chaeronea. 

Euripides (480— 40fi v. Chr.). von seinen tragödien sind 17 er- 
halten; eine der berühmtesten die von Milton citierte ^Aikestis*. 

*^ Sophokles, vielleicht der gröste tragische dichter der Griechen 
(496—406 T. Chr.). von seinen tragödien sind nar 7 erhalten. MUton 
erwähnt die * Trachinierinnen'. 

Phalereus (DemotriuR Ph-ilerens). berühmter Staatsmann, redner, 
Philosoph und polyhistor, schüler des Theophrast , lebte ungefähr 346 
bis 288 V. Chr. von seineu werken sind nur erhalten: fragmente der 
reden; femer eine sammlmi^ der sprüebe der sieben weisen. 

Hermogenes aus Rleinasien, lebte gegen 160 n. Chr., berfibmter 
redner und Verfasser eines geschätzten lehrbnohs der rhetorik. 

Longinas (213 — 278 n. Chr.), lehrer der philosophie und rhetoriii 
SU Athen, schrieb eine schrift: nepl (ii^JOUC. 

Milton nelt hier offenbar besonders anf die epistola ad Pisones 
oder de arte poetiea Über. 

^ Cnstelvetro (Lodovico Castelvetro) , g;elehrter, als ketzer ver- 
folgter Italiener, lebte 1606 — 1571 und schrieb eine 'Volgarizzazione e 
Sposisione della Poetiea dl Aristotele. Vienna 1676. ('ttbersetaang und 
erklärung der poetik des Aristoteles'.) 

^' Tasso (Torqiinto Tasso, 1544— 1595\ schrieb das berühmte epos: 
Geriisalerame liberata. Milton meint fol^'^cnde schritt: 'discorsi dflT 
arte poetiea et in particolare del poemo heroico'. (Venezia 1687; 
('gespräcbe Uber dls diebtkanst, besonders über das heldengedicht'.) 

Mazzoni (Marc* Antonio Mazzoni), Italiener, welcher im anfang^ 
des 17n jahrh. lehte und schrieb. Milton spielt höchst wahrscheinlich 
auf fole^pTide schrift Mazzonis an: Fiori della poeBia dichiriati e r;i.c- 
cüUi da tutte le opere di Virgiiio, Uvidio et Oratio-. ^Venezia 15^3.) 
('binnen der dicbtung, ans allen werken Yergils, Ovids and Horas* ge- 
Bammelt*.) 



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J<^D Milton über etiiehung. 



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ihDeri bald zum Verständnis vürhelfen, wie verächtliche gesellen un- 
sere tagesreimer und schauspielschreiber sind^ und sie belehren, 
weich religiöser , erhabeiK^r und herlicher gebrauch von der dicbt- 
künst in göttlichen sowohl, wie menschlichen angele^^euheilen zu 
machen ist. hier erst und nicht früher als jetzt, wird es der richtige 
Zeitpunkt sein, sie zu der tähigkeit auszubilden, über jede ausgezeich- 
nete materie sieb in geordneter daratellung zu äuszem, jetzt erst 
nemlich, wo sie, wie beschrieben, mit einer allgemeinen einsieht in 
cÜL' dinge der weit ausgerüstet sind, ob sie dann im parlameut oder 
im ratö als Sprecher auftreten, wird alles ehrerbietig und achtungs- 
voll an ihren lippen hängen, dann würden auch auf den kanzeln 
andere gesiebter, andere rednerische gesten und ein anders durch- 
gearbeiteter Vortragsstoff zum Vorschein kommen, als die, die wir 
jetzt anzuhören haben, und die zu einer ebenso groszen gedulds- 
probe für una werden, als irgend eine, von der man uns vorpredigt, 
das sind die Studien, auf welche unsere adelige und vornehme jugend 
in methodischer weise ihre zeit vom zwrjlften bis zum einundzwan- 
zigsten jähre verwenden sollte, sofern sie nicht auf dem abgestorbenen 
geschlecht ihrer vorfahren vielmehr als auf sich selbst, dem lebenden 
geschlecht, ihr leben aufbauen will, bei diesem methudiächen lehr- 
Terfahren ist Vorauszusetzen, dasz es in einem btetigen tempo vor- 
wärtsschreite, hingegen auch zu zeiten, der Wiederholung wegen, auf 
4en mittleren , zeitweilig wohl auch auf den anfangscursus dessen, 
was ihnen gelehrt worden ist, zurückgreifen werde, bis sie die summe 
ihres vollendeten wissens , gleich der fertigen Schlachtordnung einer 
üSmischen legion , befestigt und zu einem einheitlichen ganzen ver- 
Inaiden haben weärden. 

Jetzt wird es der mfllie wert sein, zn untennchen, wdohe 
kISrperliobeii ttbnngen nad erholungen sicli diesen Studien am 
besten einfügen ond ilinen entsprediend Bein mögen, also dieleibes- 
tbnngen. 

Der bis hieriwr in kfine beschriebene stadiengang ist, wie ich 
ml grand meiner leotttre annehme , dengenigen jener kiten be* 
ittbmten Scholen eines Pythagoras**» Plato, Isokrates^ und Aristo* 
telss nnd anderer solcher dorohaiis Ühnlieh, schnlen, aus denen so 
nUreiche berühmte Philosophen, redner, geschiehtschieiber, dichter 
md herscher in gaas Chiech^and, Italien mid Asien heryorgegangen 



Pythagoras (gegen 510 v. Chr.) wurde durch seine mächtige 
Persönlichkeit der Stifter eines lebcnsbunrJcs mit eipfentnitilichen sitt- 
lichen und diäteÜBcbeii grundsätzen, der öecte der sot^^enauutcn Py- 
tbagoreer. hauptsächlich io Orotou (Unteritaiien; iebeod hat er 
dtn bedeutendsten einfluss auf die pflege der matbematik und Philo- 
sophie geQbt nnd wurde nach sdnem tode in sage nnd diobtnng Ter* 
herlicht. 

Isokrates, gefeierter lehrer der beredsamkeit und nicht min- 
gefeierter redner in Atheu (436— ?. Chr.). erhalten sind aus 
ti reden. 



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102 



John Miltoa über erzlehung.' 



sind, abgesehen von den in Cyrene** und Alexandria'* blühenden 
Studien, aber in dem folgenden punkte soll unsere schule alle jene 
übertreffen, und eine lücke, wie die, welche Plate in dem Gemein- 
wesen von Sparta als eine grosze bezeichnete, ausfüllen: während 
nemlich diese stadt ihre münnliche jugend hauptsSchlich für den 
krieg aubbildete, jene städte hingegen in ihren akademicn und lyceen 
nur für den friedlichen beruf, soll unsere erzieliungsanstalt , wie ich 
sie biLr schildere, gleichermaszen geeignet sein sowohl für den fried- 
lichen wie für den ki ieG(;i'ischen beruf. deshEÜb sollte den Zöglingen, 
bevor sie zu mittag speisen., etwa eine und eine halbe stunde zeit 
für leibestibungen gewährt werden und nachher die gehörige zeit der 
ruhe, doch mag diese Stundenzahl, wenn sie am morgen früher auf- 
stehen, erhöht werden, die leibesübung, die ich an erster steile 
empfehle, ist die sorgföltige Übung in der handhabung ihrer waffe, 
um sich sicher za sohtttzen und auf hieb und stosz angreifen zu 
können, dies wird sie gesund, gewandt und bei kräftiger brüst er- 
halten, ist auch das angenehmste mittel, sie grosz und schlank zu 
machen und mit einem ritterlichen^ furchtlosen mute zu erfüllen, 
der^ wenn passende lectfbre und belehrungen über wahrhafte un- 
^rscbroekraheit und anadaner dasa kommen, zu einer gediegenen 
berokehen gesinnung werden und sie zum baaz geg^n unreohtüran 
aus feiger gesin&ung führen wird, ebenso mÜBSen ta» geübt werden 
in allen Wendungen nnd griffen des ringkampfes, in welchem wir 
Ünglflnder so bervorragend tttehtig sind, da im gefeebt es ja wobl 
einmal nötig werden mag, zn ringen nnd zu raufen und mann gegen 
mann zu kBmpfen* nnd das wird vieUeicbt binreidien, um darin 
ibre persönliche kraft zu beweisen und noch anzafeaem. die pausen, 
in denen sie sieb ordentlich abkühlen, sowie eine angemessene nibe- 
zeit vor tisch, können innüizlicber nnd angenebmer weise verwendet 
werden auf eine erbolung und bembigung ihres ermüdeten geisies 
dnrcb die feierlichen und göttlichen weisen der mnsik, die entweder 
nnr angehört oder auch eingeübt werden ; entweder indem der ge- 
sobickte Orgelspieler seine ernste nnd geliebte polyphone kunst in 
erhabenen fugen entfaltet*', oder indem er auf vollem werk mit 
knnstreicbem aascblag kaum börbar die wobl einstudierten weisen 
eines hervorragenden oomponisten anmutig und reizvoll zum vor^ 
trag bringt; zuweilen mag auch die laute oder die sanfte orgelstimme 



<& Cyrene in Nordafrika, wo Aristippus, schüler des Sokrates, eine 

von des letzteren philosophie betrachtlich verschiedene lehre vortrug« 
die schule heiaat daher in der geachichte der philosopbie: die cjrre- 

naisühe. 

•* Alexandria hatte eine unter den Ptolemäern gestiftete akademie, 
ao welcher eine reihe berühmter philosophen lehrten. 

im orig'inal: whilst the skilfal organist plies bis prnvo and fan- 
cied descant in lofty fng'Ties, was von jedem Übersetzer anders auf- 
gefaszt wird, ich fasse descant, auf welches wort es hier wesentlich 
ankommt, aU die kftnat der poljphonie, wie sie ja in den fngen aar 
anwendang kommt. 



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John Müton über erziehung, 



103 



schön vorgetragene geibtliche, kriegerische oder gesellige '^'^ lieder be- 
gleiten — was alles — wenn weise männer und propbeten nicht 
gSnzlich im irrtum sind — einen groszen einflusz auf natürliche an- 
jagen und Sitten hat und geeignet ist; sie abzuschleifen und aus 
bftnrisch abstoszenden und maszlos leidenschaftlichen zu edlen zu ge* 
Btalten. das nemliche würde auch nach tisch nicht unangemessen 
Bein, um der natur bei der ersten Verdauung beizustehen und freund- 
fit^ m bilfe zu kommen, und um die jugendlichen geister bei guter 
Btimmung tmd safriedenbeit zu ihren stndien zurttckzusenden. wenn 
sie diesen unter «yebsamer an&ioiit bis etwa zwei stunden vor dem 
abendessen soharf obgelegen haben, so kOnnen sie etwa dnreh einen 
plötiliehen alarm oder düreh eine gegebene losong zu ihren mili- 
ilrisehen ttbnngen abgerufen werden, die, wie es bei den Römern ttb- 
ficb war, je naeh der Jahreszeit unter freiem himmel oder in einem 
llberdachten räume stattzufinden bftttm^ und zwar zuerst zu fasz, 
spiter, wofern es ihr slter erlaubt , zu pferd, bis zur ausbildnng in 
dien reiterkUnsten, damit sie^ wenn sie im spiel zwar, aber mit 
ganzer Pünktlichkeit und bei töglich stattfindender musterung, die 
Ishrzeit ihres soldatenlebens durchgemacht und sich geschickt zur 
formierong einer Schlachtordnung, zum marschieren, lagern, be- 
festigen, bc>tegem und blockieren mit allen hilfsmitteln alter und 
neuer kriegskunst, taktik und kriegslehrstttze gemacht haben ^ aus 
derselben gleichsam wie aus einem Isagen kriege, als berfihmte und 
fertige befehlshaber im dienste ihres landes herrorgehen kennen, 
dann würden sie nicht, wenn sie mit der leitung tflchiiger und hoff- 
BongSToIler beere betraut wfirden, dulden , dasz die trappen, wenn 
aach noch so oft ergänzt, aus msngel an einer richtigen und Ter- 
stindigen discspHn von ihnen, wie das kranke gefieder eines Tegels, 
abfallen; nicht dulden, dasz ihre unwissenden und zu recrutieruDgen 
mifittiigen" Unterbefehlshaber Aber nur zwanzig mann in einer com- 
psgnie die löhsung einer nur in der liste stehenden mannschaft ver- 
zeehen oder in einen geheimen fonds abfahren, so dasz nur ein klttg- 
licher rest bleibt^, und nicht dulden, dasz gleichzeitig dn oder zwei 
hlnflein trunkenbolde^ als die einzige ihnen gebliebene mannschaft^ 
sie meisterten oder zwSngen, ihnen ihre rftubcareien und gewaltthaten 
nscfaznsehen. nein, sicherlich, falls sie auch nur etwas von jener 
tllchtigkeit, die wackeren menschen und guten heeresleitem eigen 
ist, besftszen, würden sie derartige Vorkommnisse nicht dulden« 
aber, um zu unserer eigenen schuluistalt znrtlckzukehren, es gibt 

im original: . . civil ditties. Zelles übersetzunof ' volkstüraliehe 
lieder' scheint mir nicht zu civil ssu passen; Beruhardis 'weltliche lieder' 

S'bt zwar einen guten gegensats tn dem yoraasgcgangeaen ^religiooa', 
ir aber kaam in 'clviP enthalten ist. 

im original: . . nnrecrutible eoloncls. 

Miltons Worte '^and a miserable remnant' ist grammatisch ein ana- 
koluth. auch diese worte und die ganze vorausgehende stelle ist eine 
harte nosi far den überaetser and ein jeder versucht anf versehiedenem 
wage EU dem kern darchzndringen. 



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104 



John Miltoa über eraehiuig. 



ausser diesen feststehcndeii hänslichen leibesflbiuigeii anoih sonst 
noch gelegesheit, mh mit deaselbea yertraot zn maohen, nem- 
lieb die ttbimgen, die mn des reinen Vergnügens willen ausserbslb 
des baases aii%esiiebt werden: in der frfibüngsseit des jahzes» 
wo die Inft rubig und beiter ist, würde es der natur gegenflber 
ein nnrecfat und trotz sein, wenn man niebt binaoswandom nnd ibre 
berlicbkeiten anscbaaen und nicht, in gem«nsebaft mit bimmel nnd 
erdoi an ihrer Inst teilnehmen wollte, darum wOrde ich ihnen nicht 
sureden, um diese zeit ?iel zu studieren, nachdem sie swei oder drei 
jähre hindnreh die grundlagen ihres Wissens gut gelegt haben, son- 
deni wfirde raten, sie unter fttbmng verstibidiger und gesetzter 
mfinner compagnieweise in allen richtungen das land durchreiten zu, 
lassen, unter fortwährender kenntaisnahme und beobaehtnng aller 
festen plätze, aller baulichen und natürlichen yorteile, sowohl fbr 
stftdteaalagen und bodenbewirtsehaftung, als fUr handels- und kriega- 
bftfen; zuweilen konnten sie auch unserer flotte wegen unsere ge- 
wisser besuchen, um daselbst an praktischer tdchtigkeit iin segeln 
und Seegefechte zu gewinneni soviel davon mSglich ist. dieses ver- 
fahren wttrde alle ihre besonderen naturanlagen auf die probe stellen^ 
und wo irgend eine besondere begabung verborgen in ihnen schlum- 
mern sollte , dieselbe hervorlocken und ihr eine schön» gelegenheit 
geben, sich dabei hervorzuthnn, was unfehlbar in hohem grade zum 
besten unseres volkes ausschlagen und jene bewunderten vorzttge 
der vorzeit wieder lebendig machen würde , jetzt aber , in folge der 
gröszeren reinheit christlicher erkenntnis, mit weit gröszerem vor- 
teil, als früher, und dann werden wir auch nicht mehr jene Pariser 
berchea nötig haben, unsere hoffiiungsvoUe jugend in ihre laxe und 
verschwenderische erziebung zu geben, um sie dann in Schauspieler» 
äffen und possenreiszer verwandelt, von ihnen zurückzuerhalten, 
sondern, wenn sie im alter von 23 oder 24 jähren darnach verlangen 
sollten, fremde UUider zu sehen — nicht etwa, um neue grondafttze 
in sich aufzunehmen, sondern nur, um ihre er&hrung zu bereichem 
und verständige beobachtungen anzustellen -—dann werden sie solche 
mftnner sein, die die aohtung und Wertschätzung aller menschen, 
denen sie begegnen , verdienen und der gemeinschaft und freund- 
Schaft aller derer , die die besten und hervorragendsten sind , aller 
orten teilhaftig werden* und dann werden vielleicht andere Völker 
ihrer erziebung wegen gern za uns herüberkommen oder aber in 
ihrem eigenen lande uns nachzuahmen bestrebt sein. 

Was nun endlich ihre mahlzeiten betrifft, so ist darüber 
nicht viel mehr zu sagen, als dasz dieselben am besten in einem nnd 
demselben hause stattfinden müsten; denn sonst würde auszer- 
ordentlich viel zeit deswegen verloren gehen und manche üble ge- 
wohnheit angenommen werden; dasz endlich das essen einfach, ge- 
sund und mäszig sei, ist, glaube ich, selbstverständlich. 

Hier, lieber Hartlieb, habt Ihr Eurem wünsche gemäsz, einen 
allgemeinen schriftlichen Überblick über das, was ich zu verschiedenen 



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Zu Lucas 15, 18. 



105 



Zeiten mit Euch hinsichtlich des besten und edelsten Verfahrens in 
der erziehung besprochen habe, ich habe nicht wie einige getban, 
mit dem s&uglmgsalter begonnen , was gleichwohl manche betrach- 
tongen yerdienen möchte, wenn nicht kürze mein bestreben gewesen 
wire; viele andere nmstän^e hätte ich auszerdem erwähnen könuen, 
doch mag dies für dioi die in sich das zeug fühlen, einen versuch za 
machen, als leuchte und Wegweiser genügen, freilich glaube ich, 
dam dies kein b<^en ist, den jeder, der fdch vi den lehrern rechnet, 
gpaanan kaim» soadeni es wird dun der sehnen bedürfen, die fast 
teen gleichen^ die Homer seiiasm Ulysses" gab; aber daneben bin 
isb mdi ttberxeugti dass «s sioh bei der probe als weit leichter er- 
niissii wird| als es jetst Ton weitem ersebeinti und sadem viel rühm* 
HoliOT, und jedenfalls niobt sehwieriger, als leb es mir vorstelle, 
dieae YOrsiellnng aber leigt mir alles in einem glü^lieboi liebte ond 
sneb — entspredieiid meinen benliehen wfflnseben — * als durobaos 
BÖgliob, sofon gott es so will uid unser seitalter geist und fUiig- 
ksii genug besitst» es tu begreifen. 



Ti Homer, Odyssee XXI 404— 4S8. 

Chbhuits« HsBiiAnH ülluoh. 



9. 

ZU LUCAS 15, 18. 



Hidii mn sufUliger umstand, sondern ein beweglieher anlasa 
wir es, was jtingst mir wieder die eingebende betraehtong des tief- 
«rgreilsnden gleidmisses vom verlorenen und wiedeigefnndenen 
sobne, dem die oben angeführte stelle angefaiSrt, nahe legte, zu- 
aicbst ist es nur eine frage der worterklärnng, die sieb mir sobon 
Mäm anfgedrflngt hatte und mir nun bei gegebener gelegenbeit 
wieder su sinne kam, webhe i«^ mir hier rar spraohe su bringen 
eriauben mödite^ und swar bandelt es sieh nicht um ein seltenes 
und sdiwer zu entritselndes, sondern um ein ganz gemeines kleines 
wort, nemlieb um die prttpi36ition eic. doch so wenig die kleinen 
und armen leute unter den menschen schon darum die verachteten 
sind, wenn es sich um den wert für das reiob gottes handelt, ebenso 
wenig sind disee leibarmen und sogar mehrfach des eignen tones 
entbehrenden wOrÜein für die bedeutong der rede und das Verständ- 
nis des sinnes-gleicbgültlg oder auch nur von geringem werte* stehen 
tts doeh in nächster beziebung zu den casnsendnngen , in welchen 
neben anderen bildnngsformen sich das innere geistige leben der 
tprache am ausdrucksvollsten bethätigt. 

Nach dieser befdrwortnng der folgenden erlJrtemng sei es ver- 
gönnt den Wortlaut von v. 18 f. hier anzugeben» der durch die 



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106 



Zu LaeM 15, 18. 



Snszenite leibesnot zvar xwe und selbsierkamtiuB gebrachte söhn 
sagt infolge davon va sieb selbst: dvacrdc nope^o^at irpöc TÖv 
TTOTcpa Mou Kai aurdi' Trdrep, n/iapTov €ic t6v oöpavdv Kod 
ividmöv cou, oök^ti eifil oSioc KXt)6f)vai uUk cou* irofficöv jyie die 
Iva Tdhr fiic6{uiv cou. hier bandelt es sieb also um die werte fiftiap- 
TOV €ic TÖV oöpavöv. dasB die anffaesung dieser werte nicht ganz 
sweifellos ist, mag eine vergleichung der mir zu banden stehenden 
ttbersetzungen datthnn. Luther — ich halte midi dabei an die 
sweispraobige ausgäbe von Oskar von Gebhardt, Leipsig 1881 — 
schreibt: Mch habe gesllndig^t in den himmel'*| Bansen>Holts- 
mann: *icb habe gesttndiget wider den himmel% Weissftcker 
(Freiborg i* B. 1888): 4ch habe gefehlt gegen den himmeL' Luther 
hält sieh streng an den griechischen ausdirnck, den sieh der leaer 
etwa so zurechÜegen mag: meine sflnde ist so gross, dasi sie bis in 
in den himmel reieht. man könnte den ausdniek vergleichen mit 
X Mos* 4, 10: 'die stimme deines bmders bluts schreiet su mir von 
der erde/ Bunsen^Holtzmann fttgt der fibersetsung folgende erklJU 
rang bei: *wider den himmel: gegen das gesetz der geister, wel- 
ches da ist das aus gott stammende sittengesets« Matth. 3, 2.* ob 
WeissScker, dessen ttbersetsnng trotz der Verschiedenheit des wort* 
lautes doch dem sinn naeh mit jener (Ibereinznstimmen scheint, sich 
auch der angefahrten erklärung anschlieszt, lasse ich dahingestellt» 
mit der Verweisung auf Matth« 3, 2 weisz leb wenigstens nichts an- 
zufangen, das dritte capitel des ersten evangeliums lantet bei 
Bunsen in den beiden ersten versoi folgendermaszen: *zu der zeit 
aber kam Johannes der täufer und predigte in der wttste Judäas, 
und sprach, bekehret euch, denn das bimmelreicb ist nahe herbei« 
gekommen.' auch die bemerkung zu dem ausdruck ^himmelreich' 
bietet nichts, was für die zu der fraglichen stelle bei Lucas gegebene 
erkllrung irgendwie beweiskräftig oder belehrend wäre, wir wen- 
den uns daher zu der erklärung, welche der kritisch exegetische 
eommentar von Meyer, siebente aufläge neu bearbeitet von dn 
Bernhard Weiss bietet, hier lesen wir s. 512 zu eic t6v oupa- 
vöv: *gegen den himmel. vgl. Matth. 18, 21 al. eic tö Oeiov, Plat. 
Phaedr. p. 243 C. der himmel beseichnet nicht gott, sondern ist als 
sitz der gottbeit und der reinen geister personificiert, so dasz diese 
heilige himmlische weit als durch die sflnde verletzt und beleidigt 
erscheint.' hier reicht zunächst die anftthrung aus Mattbäns^ voll- 
stftndig aus, um darzuthun, dasz in der neutestamentlichen spräche 
der ausdruck dfüuxprdveiv eic Tiva ebenso gebräuchlich ist wie in 
der classischen. da Wörterbücher und Sprachlehren darüber reich- 
lieh auskunft geben, bedarf es kaum der richtigstellung der weiter 
beigefügten aiätthrung, in der 242 statt 243 zu setzen ist. eher 



1 die iclireibane *in dem himmel*, welche sich in ungenauen 
drucken findet aud bei Gebhardt nicht berficksichtigt wird, verdient 
keine beachtang. 



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Zu Lucas 16, 18, 



107 



erliebt sich ein bedenkeB gegen das, was ttber die iMdeniuiig deB 
Wortes 'himmel' bemerkt wird. *der himmel bezeicbnei nicht gott.' 
gBwis aieht im aUgemeinen ; denn oOpavöc ist im N. T« weder der 
Hirne eines gottes, wie in der griechischen iheogonie, noch der 
mane des gottes. letzteres wird man auch nicht in der Offen- 
barung 18, 20 finden, wo es beiszt: CÖqipaivou ilt* aÖT^, oOpavt 
xai ol ättoi Kai ol ävöctoXoi xal ol irpoqpflrau denn so schwer es 
sieh sein mag zu sagen, wer oder was hier anter dem angeredeten 
odpavöc zu denken ist; einfach gott zu denken, verbietet schon das 
immitielbar darauf folgende: ÖTi Ixpivev 6 Ococ t6 Kpifia (KpijiKx) 
äyii&V d£ auTf^c. doch kommen aach stellen im N. T. vor , die wohl 
sa vergleichen sind mit solchen ausdrücken, wie sie auch uns ge- 
iSnfig sind: nms himmels willen I dem himmel sei dank! der himmel 
erbarme sich deiner! hier wird man doch wohl geneigt sein, die bei 
Jaden und Griechen und Christen vorkommende, wohl begreifliche 
oad gereohtfertigte scheu vor dem unbeschränkten aussprechen des 
Bsmens gottes als den tiefsten | wenn auch nicht immer bewasten 
gmnd der worivertauschong ansnnehmen. ob non in dem vorliegen- 
den falle es so gänzlich unzulässig ist bei der erwähnong des him- 
mels zunächst an gott zu denken, und ob man dem reumütigen Sün- 
der lieber zutrauen soll, das gefuhl zu baben^ dasz er sieh 'gegen das 
gesetz der geister' oder 'den sitz der gottheit und der reinen geister' 
verfehlt und Miese heilige himmlische weit durch die sÜnde verletzt 
und beleidigt' hat, dürfte doch sehr fraglich sein, einfacher und 
natürlicher erscheint es immerhin anzunehmen, dasz er sich bewust 
geworden ist, durch sein verhalten zunächst gegen seinen vater und 
damit zugleich gegen gott und sein gebot sich versündigt zu haben« 
Somit scheint die auffassung des ausdrucks fifuapTOV €ic TÖV 
oupavöv, wie sie sich bisher ergeben hat, sowohl sprachlich als sach- 
lich hinreichend ticbergestellt. und doch bleibt noch ein bedenken 
übrig, dieses knüptt sich an die folgenden werte Kai evluttiÖV COU 
(^viuTTiov cou)^ bekanntlich ist dieses adverbiale neutrum, das vor 
dem genetiv die kraft einer präposition hat, ein lieblingsausdruck 
des Lucas, zu der vorliegenden stelle bemerkt Meyer- Weiss: 'sinn; 
ich habe so gesündigt, dasz ich vor dir, d. i, im Verhältnis zu dir 
mich vergieng, vor dir als Sünder zi^ stehen komme, das ethische 
Verhältnis der that zum beleidigten subjecte ist so versinnlicht , als 
ob dies subject bei der that zugesehen hätte; die sittliche beziebung 
ist als sichtliche veranschaulicht.' die letzten worte scheinen mir 
den Sachverhalt vollkommen richtig zu bezeichnen, während ich mir 
die unmittelbar vorhergehende n ('als ob . . . zugesehen hätte') in 
dieser modalen form nicht anzueignen vermag, sie scheinen mir den 
Standpunkt zu verrücken, indem sie die beiden personen raumlich 
getrennt erscheinen lassen i während der Vorgang von anfang au die 



* icli ziehe die^o Schreibweise mit Lnchmann und Battmann imd 
Tiachendorf in früheren aosgaben jener ietztUändigea vor. 



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108 



Zu Lucas 15, 18. 



Ulimittelbare gegen wart des vaters voraussetzt und wirklich vor 
dessen äugen geschieht, denn sein verhalten gegen den vater wird 
nicht dadurch erst ein beleidigendes, dasz er sein gut in der fremde 
yerpraszt; sondern schon und hauptsächlich da^ als er vor den vater 
tritt und barsch und schnöde das ihm zufallende teil des Vermögens 
verlangt, womit er za erkennen gibt, daez er sieh der lebens- und 
liebesgemeinsobaft mit dem vater za entziehen gedenkt, um in der 
fremde ganz als sein eigner herr zn leben, blicken wir non von 
diesem gesichtspunkt aas aaf die vorhergehenden werte £k t6v 
oöpavdv zoxflck , 80 könnte es uns wander nehmen , wenn hier sieh 
das gepräge der sinnlichen anschanlichkeit ganz verleugnete , was 
am so weniger anzanehmen ist, ab schon die wähl des aosdracks 
jener förderlich ist. zwar drückt anch die präposition ^gegen' im 
deutschen •arsprünglicb eine sinnlich anschaaliche beziehung aas» 
wie dies noch in ausdrttcken der läge 'gegen sflden, norden' zum 
Vorschein kommt, di^egen tritt diese ansehaunng zortlck in sol- 
chen ausdrficken des sittlichen Verhaltens, wie *ich habe gesttndigt 
gegen dich*, dies ist nun wohl auch im griechischen dMaprdvetv 
€lc Tiva gemeiniglich der IUI. aber nicht alle föUe dürfen gana 
gleich angesehen werden ; auch der besonderheit gebohrt ihr redit. 
ein solch besonderer &11 scheint mir hier gegeben, nnd zwar in 
doppelter hinsieht, einmal wegen des ausdrncks ctc TÖv odpavdv 
selbst, als aach wegen seiner verbindong mit dvlimtov coO. beide 
umstftnde sprechen dafür, dasz auch in ersterem ausdmok Mie sitt* 
liehe beziehung als sichtliche veranschaulicht ist*, dasz auch die 
griechische prttposition dieser aufftussang räum gibt, davon zeugen 
ausdrücke wie: oök ftv alcxOvoto cic touc "CXXtivac cauröv coqn- 
crf^v irap^xu^ (^^^^ ^i^^* 312 a) oder IXXdtiMOC T^TOVe xal ck 
ToOc dXXouc "€XXT|vac 'AptCT€ibt)C (Plat. Gorg. d36b). hier kann 
nur gemeint sein, dasz ijristides auch in den äugen der übrigen 
Hellenen, nicht blosz der Athener hochangesehen war, wie an erstorer 
stelle, dasz der vornehme jüngling Hippokrates sich doch woU 
sdiftmen würde, sich vor den Hellenen als weisheitslehrer auesa* 
geben, diese ausdrucksweise düxfen wir auch auf die vorliegende 
stelle des evangelinms Übertragen, die dann in wörtlicher über« 
Setzung lauten würde: vater, ich habe gesündigt vor dem himmel 
und angesichts deiner, d. h. vor deinem angesichte, oder, wenn man 
die Verschiedenheit des wertes bei ziemlich gleicher bedeutung weni- 
ger in anschlag bringt, ich habe gesttndigt vor dem himmel und vor 
dir. diese letztere fassung wäre der deutschen spräche, die auf den 
Wechsel des ausdrucks bei gleichem Verhältnis weniger wert le^ 
die natürlichste, der griechische Schriftsteller wiederholte nicht eic, 
weil die sinnlich anschauliche bedeutung dann weniger augenfKllig 
geworden wäre als durch das beliebte ivdmwv, das an dieser stelle 
auch besonders ¥rirksam erscheinen muste, wfthrend es an erster 
stelle weniger passend gewesen wäre nnd die Wiederholung eines so 
absonderlichen ausdrucks sich Oberhaupt weniger empfahl, dasz so* 



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Zu Lucas 15, 18. 



109 



wohl der classisobe als der neutestamentlicbe Sprachgebrauch bei- 
«piele aufweist fttr den Wechsel im gebrauch der präpositionen bei 
wesentlich gleichen beziehungsverfaftltnissen, ist bekannt, namentlich 
liebt aneb Panliis den Wechsel, ich begnüge mich in dieser hinsieht 
auf Meyer*Heinricx zu II Gor. d, 11 und bezüglich des classischen 
spnebgebniiohB aaf Rehdanis sn Demosfb» Fbil. II 10 zu verweisen. 

In einer zeitscbrift für gymnasiaLpSdagogik darf ich vielleicht 
auoii mit einem worte noch des beweglichen anlasses gedmken, 
dessen ich eingangs erwShnung tbat es ist nemlicb hier 2U lande 
gerade jetzt die zeit, in weldier die Jünglinge, die eine reibe Ym 
jähren an unsem gjmnasien zugebradit haben, sieb naeh bestan- 
dener sebluszprfifong zum abgang von diesen anstalten bereit halten* 
es mag wohl manehen von ihnen ein gewisses gefOhl der wehmut 
besehleiehen, wenn er im begriffe ist von der anstalt zu scheiden, 
die ihm viele jähre lang eine treue pflegerin und wohlthäterin ge- 
wesen ist. ttberwiegend aber ist doch wohl bei allen das gefUhl der 
firende, daea sie das erstrebte ziel nunmehr erreicht haben und ihnen 
jetzt die goldene freiheit der hochsohule mit allen ihren voraus- 
geahnten reiaen winkt noch bietet sich kein punkt der vergleicbung 
dar mit dem jUngling, den uns das oben erwiümte gleichnis im evan- 
gdium vor äugen führt, denn nicht trotziger eigenwille im wider* 
Spruch geg^ den willen des vaters ist es, was unsere jünglinge fort» 
treibt von dem orte, wo sie bisher in sucht und oridnung gelebt; 
vielmehr vereinigen sieh mit ihren wünschen die ihrer eitern und 
hkeWf die sich zu Segenswünschen gestalten, um sie an den neuen 
ort ihrer bestimmung zu geleiten, gott sei dank dürfen diese auch 
bei der mehrzahl der scheidenden jünglinge hoffen, dasz die erlangte 
grössere freiheit ihnen eine schule weiterer sittlicher ausbildung 
werde; dasz der Wissensdurst, der in ihnen geweckt und genährt 
worden iat^ sie zu ersprieszlichem eifer in benutzung der ihnen jetzt 
erschlossenen reichen wissensschfttze antreiben wird, doch aus- 
nahmen gab es auch jederzeit und wird es auch fernerhin geben, 
ttn und der andere dieser jünglinge mag wohl dem im gleidmisse 
darin gleichen, dasz er sein gut mit prassen umbringt, und zwar 
nicht bloea das ftuszere« das geld, das so mancher vater, unfthnlich 
dem im gleiohniese» mit mühen und opfern aller art zu beschaffen 
genötigt war, sondern das unendlich wertvollere, ja unersetzliche 
gut der zeit, durch dessen Vergeudung er sich untüchtig macht sein 
eignes leben würdig zu gestalten und dem vaterlande in irgend einem 
httrufe nützliche dienste zu leisten, und noch mehrl pflegt sich nicht 
aneh ein solcher prasser und Verschwender an solche anzuschlieszen, 
deren es leider wohl auf allen hochschulen gibt , die geeignet sind 
wahre Vorbilder der gemeinheit den minder geübten zu werden? in 
dem umgange mit solchen sinkt mancher von stufe zu stufe tiefer 
bis zu dieser stufe der niedrigsten gemeinheit berab ^ die im gleich- 
Bisse mit so kräftigen strichen und stark aufgetragenen färben ge- 
sehild^ wird, möchte doch jeder jüngling, der etwa in eine solche 



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110 



Zu LucuB ^bf 18. 

I 



löge geraten ist, wie der im gleichnisse in sich gehen un<i sich auf- 
raffen zu dem entschlusse*, mit reumütigem geständnisse vor seinen 
vater zu treten, und möge er dann einen gleichermaszen mildherzigen 
und gütigen vater finden, wie jener im gleichnisse ist. freilich nicht 
jeder vater kann auch bei dem besten willen alle Schäden wieder 
gutmachen, die der söhn in seinem sträflichen leichtsinne sich selbst 
zugefügt hat. mancher hat ja nicht blosz geld und zeit verthan, son- 
den hei seinem prassen aaeh seine geenndheit nnd jugendkraft ver* 
geadet nnd dafür unheilbares siechiam eingetauscht, yon welehem 
ihn nur der leiste ant fttr alle krankheiten befreien kann, doch nook 
elender selbst als ein solcher ist derjenige, der nicht mehr die sitt- 
liche kraft 2ur reue und umkehr in sich findet nnd lieber xedit 
eigentlich ins elend geht, d. h. in die fremde, wo er in unwürdigem 
thun und leiden , vielleicht sogar als feind seines Vaterlandes Yer- 
kommt. möchte doch keiner von denen > die jetzt wieder den weg 
zur hochschnle und zur akademischen freiheit antreten , veigesseni 
was er gott nnd sich selbst und seinen angehörigen und seinem 
vaterlande schuldig ist. dieses bedarf vielleicht mehr als je aller 
seiner sOhne, die vor gott nnd der weit verpflichtet sind, ihm ihre 
dienste mit dem aufwand aller leiblichen und geistigen kraft, ttber 
die sie verfügen , zu weihen. 

Es sei verstattet hier noch die bespreohnng einer andern stelle 
anzusehiieszen^ die ursprünglich zwar ittr einen andern Zusammen- 
hang bestimmt war, aber, da alter und gesundheitsverhttltnisse mir 
nicht erlauben auf viel weitere arbeit und Ittngere lebensdauer hinaus* 
zusehen, bei dieser gelegenheit veröffentlicht werden mag. die stelle 
ist II Cor. 6, 11—13. 

Sie lautet: t6 CTÖjyia fmiSiv dv^ifiYev irpdc i^fiAc, Kopivdioi, i\ 
KQtpbia f|^v ireirXdxuvTat' od crevoxuipctcOc iv fifttv, ctcvoxiu- 
petcOc b^ dv Toic CTrXdrxvotc ^Cjiv' t^v b^ adTfjv dvniLiicOiav, die 
T^KVOtc X^Tuft nXaTOvOr|T€ koI öjLictc. 

Zu dem letzten absatz wird in Meyers commentar, 'sechste auf- 
läge, neu bearbeitet von dr. G^rg Heinrici' s. 198 f. bemerkt: 'der 
accus. Tf|v auTf|V dvn|yuc6. ist weder durch habentes (vulg.) noch 
durch €ic€V^TKaT€ (Oecum. Theophyl.) zu ergSnzen, noch mit kif\ja 
zu verbinden (Chrys. Beza u. a.), sondern er ist anakoluthisch (accus, 
absol.) , so dasz er frei und brachylogisch ein object der rede nach- 
drücklich hinstellt, ohne die weitere structur grammatisch anzu- 
knüpfen, tthnlich 3, 18. nicht Unterbrechung , sondern rhetorische 
abbreehung der structur. diese sonst durch Kard erklärten accusat. 
werden wohl am einfachsten als der anfang einer nicht fortgesetzten 
construction angesehen.' dann zu aOrriv heiszt es: Taulus hat die 
zwei Vorstellungen t6 auTÖ und Tf)v dVTijutcdiav attractionsmäszig 
verschmolzen, s. Eritasche diss. II s. 114 f. Winer § 50 s. 493: TÖ 
auTO 6 dCTiv dvTijLitcGia. willkürlich Bückert: Paulus habe schreiben 
wollen: dicoOwc bk m\ O^eTc TTXaTÜvdr|T€, Tf|v dfuif)v dvTijUicdCav, 
habe aber, indem er das letztere vorangestellt, den begriff des 



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Zu Lucaa 15, 18. 



III 



dicauTUJC mit ins erste glied gebracht, wo er nun als adjectiv habe 
erscheinen müssen, er hat gewis if^v dvTijLiicGiav nicht blosz voran- 
gestellt, sondern auch vorangedacht, zugleich schwebte ihm auch t6 
auTÖ vor.' diese letztere bemerkung Inü't allerdings das richtige, 
obwohl die Zurechtweisung ßückerts darum noch nicht gerechtfer- 
tigt ist. denn ohne zweifei betrachtete auch er die voraustellung 
des Substantivs als im gedankengang des apostels begründet, und 
dan anoh der adverbiale ausdruck, der unserm Sprachgefühle und 
sprachgebraucbe mehr entspräche , möglich wäre, ist auch nicht zu 
bintraiteii. gleiohwobl aber ist es auch richtig, dasz die in unserer 
stelle vorliegende ansdracksweise in dem griechischen sprach- 
gebraoehe woUbegrfindet ist, ja diesem ganz besonders zusagt es 
ist dies der gebranch des sc^nannteD inbaltsaooiisativs , der so ge- 
BHint wird, weil die griecäsclie spraebe es liebt, einem verbam 
dessen begrifiliehen inbalt in einem Substantiv mit einer neben- 
bestimmimg beisnfttgen, und zwar sowobl intnoisitiven als an<^ 
trsasitiven y erben, in letzterm faXie gebt bei dem Übergang in die 
passive ausdra^weise der transitive accnsatiT in den nominatiT 
Uber, während der inhaltsaceosativ, den man daher auch den intran- 
sitiven nennen kOnnte, nnverttndert beibehalten wird, als beispiel 
msg die stelle in Piatons Gorgias 476 od dienen: toioOtov Tiiif)fia 
T^vcrai TÖ T€jLiv6fi€vov, olov Td T^jüivov T^jiivei (nemlich ti). statt 
des stamm- und sinn- oder nnr sinnverwandten ansdmeks kann aber 
Bii^ ein anderer eintreten, der eine kennzeichnende nebenbestim- 
miing enthält, z. b. 6 rfjV TOtaOniv biKriv r]Txr]Qeic, weil man auch 
in einer schlecht oder einem wettibunpf besiegt werden kann; daher 
ist biici|V bei fkTTckOat eine genauere bestimmung als fjrrav, an 
dessen stelle es tritt ein tthnlleher fall liegt nun auch in der frag- 
lichen stelle unseres Sendschreibens vor. der apostel wfinscht, dasz 
die Corinther ebenso von herzlicher liebe gegen ihn erfallt wttrden, 
vne er es gegen sie ist diese letztere Versicherung spricht er ans 
mit den vrorten: fj Kopbia fjjuuikv ireirXdruvrat, unser herz ist weit 
geworden, nemlich während ich zu euch spreche, mit dem gleichen 
Mudrudk richtet er seine mahnung an die Corinther : werdet auch 
ilir weit, d. h. lasset auch ihr euer herz weit werden (in liebe zu 
mir), damit würden sie das gleiche thun, was er zuerst gethan. 
daher xfjv aCiTriv, was mit dem stammverwandten Substantiv irXo- 
TUTTfia zu wXaTt)v6f|T€ hinzutreten kSnnte. da aber die zunähme 
ihrer Hebe doch nur eine erwiderung und Vergeltung der ihnen von 
ihm dargebrachten liebe wäre, so tritt die kennzeichnende neben- 
bestimmung statt des stammverwandten , aber in diesem sinn ohne* 
dies ungebräuchlichen wertes, dvTijiiicOiav statt tcXaiOrnTa ein* 
wenn diese auffassnng richtig ist, so braucht auch von accusativua 
absolutns und anakoluthie nicht weiter die rede zu sein, diese 
erkhbrungsweise ist eigentlich schon durch die oben angefahrten 
Bchluszworte Heinricis beseitigt 

Gelegentlich sei noch bemei^, dasz auch der spraehgebrauch| 



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112 



Za LoGM 16| 18. 



«af welehen zn S, 18 hingewiesen wird, auf der gleioben grund» 
aaaohauung rubt; wie der eben besproebene die worte lantea: 
T^v adTf|v €iKÖva|ui€TajLiopq)ou)ui€6o. H. bemerkt dasn: Miestraeiiir 
|yi£TO|Ltop(poCv mit aocus. i|t völlig so formiert wie die gangbare 
Verbindung von ^€TapdXX€lv mit aoens. in dem sinne: cdureb ge* 
troffene yerKndenmg oder irerwandlung eine gestalt annehmen*» 
s. Stallb. wa Plat. Bep. s* 4240.* die passinsobe wendung, bei 
welcher der aocas. onverindert bleibt^ ergibt daher: <wir werden so 
verwandelt, dass wir dadurch dasselbe bUd bekommen, welches wir 
sehen.»' die passivische wendong zeigt aber dentlioh, dass pCTtt- 
fiopqpoGv eines doppelten accusativs fthig ist, eines transitiven nnd 
eines intransitiven, ganz ebenso, wie das in der oben angefahrten 
stelle ans Piatons Oorgias sum vorsehein kommt, mit dem es also 
wohl auch seine erkl8mng teilt, es versteht sich von selbst, dasa dieee 
ganz in den bereich der zergliedeinden nnd vergleichenden wissen- 
scbaffc fKllt and die frei schaffende thfttigkeit des gedankenansdra^s 
unberührt liest 



^ die stelle lautet: €lboc Y^p Kaiv6v |IOuciicf)c ^CTaßdXXciv edXofIi|- 
T^OV \hc iv ÖXix) KiVÖUVeuovra. Davis Cic. de lefTg-. III 14, 32 wollte 
iraXaiöv, Görenz koivÖV statt Kaivöv. beide verlnngten zu dem transi- 
tiveo verbum ein transitives object. allein dies wird uicht varmiszt, 
da 6B dardi den snsanimeiibaiig ohnodies an die band gegeben wird 
und ttberdice aas fiouciKf^C entnommen werden kann, es genügte also 
anzugeben, welche änderun^ gemeint ist. dasz sie eine schädliche sei, 
zei^t €ÖXaßriT^ov uebst den folgenden worten. es könnte dies also 
durch einen inhaltsaccusativ ausgedrückt werden, etwa durch )iLTaßoXi^v 
ßXapcpdv. an dessen stdle tritt nnn die genanere beseicbnang dessen, 
worin die änderung besteht oder das ergebnis der ftnderong, nemliek 

Auas£u&a. Gh&istian Cbok. 

10. 

NOCH EINMAL ÜBEB CTTIOYCIOC 



Die erörterung, welcher Ch. Cron in dieser Zeitschrift 1889 
B. 109 — 113 das vielberufene SttoH clprifievov des ünservaters (Matth. 
6, 11. Luk. 11,3) unterzieht, liefert mir den beweis, dasz die überaus 
gründliche, allseitige und meines bedünkens im wesentlichen ab- 
8chlieszende Untersuchung über die ableitung und bedeutung jenes 
Wortes, welche auf der von Leo Meyer (in Kuhns Zeitschrift für ver- 
gleichende Sprachforschung bd. 7, Berlin 1858, s. 401 — 430) ge- 
lejTten grundlage A. Kamphausen ^das gebet des herin, erklärt', 
Elberfeld 1866, s. 86 —102) angestellt hat, in weitern krei^eu noch 
nicht genügend bekannt f^^eworden ist. es ist dort 1) naehge wiesen, 
dasz der hinter dm stat tfinrh nde hiatus angesichts zahlreicher bei- 
spiele nicht blosz der Homerischen, sondern auch der atti^hen und 



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Koch einmal über imoOcioc. 



113 



insbesondere der netitestamentlichen spräche (namentlich ^meiKnc 
und ^TtiOpKeiv mit den ableitungen) durchaus keinen zwingenden 
grund für dit3 hei leitiing des fraglichen Wortes von ie'vai statt von 
€ivai abgibt, zumal da der bei der bildun^ (Jr^seli^en liöch^^t wahr- 
scheinlich vorschwebende gegensatz Tiepioucioc die bewahrung des 
l nahe legte. 2) wird dargothan, dasz der aus der abieitung von 
liTievai , tmouca sich eri^ebende zeitliche sinn des wortes weder zu 
dem text des Matth, nocli zu dem des Luk. passt^ da das iii beiden 
mit emotjciov verbundene r])iüuv dabei neben dem dativ desselben 
pronomens, welcher dem verbnm beigefügt ist, völlig überflüssig er- 
scheint und überdies das crmepov des Matth., erst recht aber das Td 
KQÖ' f)|iepav des Luk. mit jeder möglichen zeitlichen fassung ent- 
weder einen nn erträglichen contrast (zumal gegenüber der wamung 
Matth. 6, 34) oder eine lästige tautologie hervorbringt, das letztere 
wQrde insbesondere auch dann eintreten, wenn man mit Cron das 
Unservater — was übrigens weder bei Matth, noch bei Luk. durch 
irgend eine andeutuner gerechtfertigt wird — als morgengebet* 
betrachten und dadurcli das ^mouciov dem smn von 'heutig' an- 
näheru wollte. 3) zeigt Kamphausen, dasz das subsfcantivum ouda 
vermöge seiner nachweislichen bedeutungen (wesen, vermögen) als 
ßcblüssel für den sinn von €7T10UC10C ungeeignet sei, dasz dieses da- 
gegen als ableitung von dem participialstamm eiri-ovr einen ganz 
angemessenen gegensatz zu dem gleichartig gebildeten Tiepioucioc 
darstelle, das bitztere wort kommt nicht blosz bei den LXX mehr- 
mals und im N. T. Tit. 2, 14 allerdmos in einer übertragenen be- 
deutung vor, sondern wird auch von Hesyehius angeführt und mit 
irepiccöc gleichgesetzt, wie also jenes = 'übergrosz, überflüssig, 
reichlich' ist, so wird ^irioucioc 'zugehörig, gehörig, ausreichend' 
bedeuten, wenn Kamphausen nach L. Meyer nepiouciuc mit rrepi- 
fiCTpoc und dmoucioc mit dq>6btOV zusammenstellt, so möchte ich 
fttr letztere bildong noch auf dmT/|Ö€ioc als nächstverwandtes gegen- 
atOek hinweisen, endlich 4) stützt der gelehrte mitarbeiter von 
Bonaens bibelwerk seine dentnng durch den hinweis auf eine stelle 
des iu T., nemlioh Sprüche 30, 8, deren gedanke sich mit der brot- 
bitte das ünseiraters so nahe berührt, dasz es überaus wahrschein- 
lich ist, Jesus habe dieselbe bei der fassung jener im gedächtnis ge- 
habt nnd wobl gar gerade den nacbher grieehisch durch t6v dpTOV 
^tftu^V rdv imoOaov wiedergegebenen ansdrnck daraus entiehnt. 
dsnn würde %^%n Dnb das hebrftische original für die dunkele grie- 
ebisobe wortTerbmdimg sein, und da die LXX dafür die dem sinne 
nach siemlieb antreffende Umschreibung lä b^ovra ical rä a^dpicii 
baben, so würde hiermit einerseits die Toriier entwickelte erkUlrang 
▼OB Imo^ioc als ricbtiig erwiesen und anderseits auch eine ein- 

' mit demselben rechte oder vielmehr unrechte hat Erasmus das 
U. V. umgekehrt als abend gebet angesehen, um dadurch das 'mor- 
gende' brot als unverfänglich erscheinen zu lassen, vgl. Kamphausen 
ft' o. «. 90 a. e. 

N.j«lirb. f. iihiU n. pid. IL abt. 1890 hiY. 2. 8 



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114 



NoQk einmal über iinoOcioc 



leuchteude veranlassuiig für den gebrauch des ungewöhalichen und 
vielleicht ganz neu gebildeten griechischen adjectivs, welches den 
begriff des angemessenen und zugemessenen dem hebräischen au8- 
druck entsprechend vereinigen üollte, in der Übersetzung der werte 
Jetiu gefunden sein. 

Die im vorstehenden kurz, doch den bauptpunkten nach voll- 
ständig zusammengefaszte beweisfühning hat mich vollständig über- 
zeugt und mir das frohe gefühl der befreiung von dem banne des 
^morgenden' brotes, unter welchem ich früher selbst aus philologi- 
scher gewissenhaftigkeit lange zeit gestanden hatte, verschafft, ich 
^be auch die genugthuung gehabt, dass mm oheim, der Verfasser des 
aafsatses jahrb. 1888 s. 440 woloher Cron den anstosz zu seiner 
erSrterung gegeboi hat) auf mtmid llBgst erfolgte kurze briefliche 
mitteilung hin gofoxt meiner ansielit zustimmte , und gebe midi da- 
her der hofGamig bin, es werde noch mancher religionslehver, wel- 
obem bisher die untersashung Eamphaossns onbelouint war, in glei- 
chem sinne Mr deren wiedergäbe dankbar sein. 

Übrigens ist mit der ^age nach der richtigen erkUtenng tca 
imoüctoc, welche nns bis jetzt beschäftigt bat^ die nach der treffend- 
sten und zweckmässigsten übersetznng des wertes noch nicht ohne 
weiteres erledigt, wollen wir den wirklichen sinn dem zusammen* 
hang gemSsz mdglichst genau deatgdi ansdrflcken, so bieten sich 
znr auswahl dar ^unser nötiges' (Weizsäcker), 'unser ausreichendes'^ 
(L. Meyer) oder wohl lieber 'hinreichendes brot% auch 'das brot 
f&r unsere notdurfl' oder im ansohlusz an Luthers ttbersetsung zu 
Sprttche 30, 8 'unser bescheidenes brot' (zwischen diesen beiden 
Wendungen schwankt Kamphausen), mir wttrde 'unser genttgen* 
des brot' noch besser gefiEÜlen, weil ea den eiiforderlichen sinn am 
treuesten ohne irgend weichen störenden nebengedanken zu ent- 
halten und ganz wohl zu klingen scheint — r Daraus folgt nun i^ber 
noch nicht, dasz auch die gemeindcibibel und der katteehisrnns, Uber 
haupt der kirdhHche gebrauch sich diesen ausdrock aneignen mOsae* 
ich bin vielmehr darin mit Cron völlig einverstwiden, dasz Luthers 
'täglich brot'* seine Stellung bchaupteäi darf, weil die darin ur- 
sprönglieh liegende* an und für sich nicht passende zeitliche bedeu- 
tung durch den steh^den gebrauch der formel ganz in den hinter- 
grund getreten, ja in unserm bewustsein verwischt ist und wir 
d^her den richtigen sinn leicht damit verbinden können, insgemein 
wohl auch nach anleitung der erklSrnng Luthers 'alles, was zur 



* es beruht auf dem cotidianam der alteu Itala, welches die Valgata 
Lek. 11, 3 beibehalten bat, wZhrend Matth, 6, 11 Hieronymus mit dem 
seltsamen 'supersubstantialem' den versuoh gemacht zu haben scheint, 

das griechische äira^ etpT)fidvov durch ein gleichartiges lateinisches wort 
wiederzugeben, der siun, welchen er damit auszudrücken beabsichtigte, 
war gewis der richtige ^zum lebeu&uiiterhalt oütig', wenn er auch wohl 
mit Origenes die spraobUeh anfeehtbare herlutnng von oöcia in grande 
legte. 



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Zur hebräischen ajotax. 



116 



leibes nahrung und notdurft gehört^ wirklich verbinden, und je 
diiogender wir verbessenmgen des textes von bibel und katechis- 
mus wünschten müssen, wo solche zur Sicherung des richtigen ver- 
stfindnisses oder zur befriedigung unseres Sprachgefühls notwendige 
eneheinen, um so weniger wollen wir ohne goiche notigung der ge- 
meinde ein umlernen zumuten. 



11. 

ZUK ÜEBßÄXSUHEN SOTAX. 



Wa» bei einem blick auf den bebritischea eato sofort in die 
flogen Wltf ist die elnftebbeit seines gefüges im gegeneati sn der 
Mfatbildnng der indogermanieeben »{HPacben. von dem Teraohlnngenen 
pwiedenbnii dieser weiss die bebräsebe syntsz nisbts. ein gedenke 
raht. sieh kunstlos sn den andern und nur hier und da tritt ein 
sstsTBebied tos baii{it* und nebengedsnken sacb in der fbcrn bervor. 
fis semitiaefae satsfÜgung zeigt noeb den ursprangliGberen, sinn« 
bdMcen ehaKskter der spraebe, ibr feblt die mebrirergeistigte-bU* 
dnngsweise unserer spnudien, so seigt das bebrKiacfae die paratasey 
wo wir die hypotaxe baben. bat das bebxSiscbe ttberbanpt neben- 
iltis aosgebüdet? als solofae ttberseizen wir in onsere spracbe die 
dnrdi die partikehi and ^i^^ und deren snsammensetsungen ein* 
Istteten sfitse sowie finalsätie, an deren ^itse ein i^nb oder ^n stebi, 
cndlidi die bedingungsvordezsfitse mit and 9b« 

Inr folgenden, soil der nadiweis versnebt werden, daes aoeh in 
dm genannten kategorien-Ton sfttimt das bebraisebe dem ihm (wie 
dem semitjpeben ttbnrbaapt) eignenden cbarakter der syntaktiseben 
sebenordnuag tren bleibt, dass von nebensStsen aacb bei ibnen niobt 
gMproobeiL werden darf , bOebstens von einem ansats derartiger bü- 
daagen. 

Wir begbineB mit. den «id "n^fit-sttseni, welebe in den 
gnynnatiken in der rnbrik der nebensUse so eisebeinen pflegen« 
ia der tluit aber bat die spraebforsebimg den demonstrativen eba** 
nfcter bnder partikeltt^aasser frsge gesteUt. zonttehst fSk dasselbe, 
yerwsndter berknnft mit den demonstratirai ISi, aucb ÜKszt 
mb durdigttngig w>eb in seiner ursprflnglieben bedeutong, ent- 
sprechend etwa anserm ^so', ^das' erkennen, so vor allem im be« 
ginn der directen rede« aosserordentUcb beliebt ist bier ein ein- 
leitendes "^bfilV., daneben erscheint das hinweisende z. b. Rath 
1) 10 suxif **9 'and sie sprachen zu ihr: mit dir 

werden wir ziirtlekkebren', ist zu verstehen als : 'und sie sprachen 
n ihr des (so) : mit dir' nsw» nichts vereobiedenes von diesem ge> 



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116 



Zur hebräischen syutax. 



brauch den "^3 ist der zur einleitung von objectssätzen , bos. nach 
den verbis sentiendi und declarandi. hier enUprichl im deuLschea 
•daaz', im griechischen 'ÖTi*. z. b. Jos. 3, 7 »jjT^y . . . . "»Ä 

'sie sollen wissen, dasz ich mit dir sein werde', ist eigentlich: 'sie 
sollen wissen das — ich werde mit dir sein.' wir wollen hier gleich 
einem etwaigen misyerstttndnis vorbeugen, freilich ist auch das 
deutsche Masz' wie das griechische '6ti' von hause aus demonstrativ, 
und der satz Mass ich mit dir sein werde' ist nur eine spätere Um- 
formung eines 'das — ieh werde mit dir sein*, d. h. die eonjunction 
'dasz' ist nidits anderes als das demonatratiye pronomen 'daa'« nur 
liegt die sacbe fttr das dentsdie (ond dasselbe gilt fOr das griechische 
Q8W.) insofern wesentlieh anders, als fCbr nnser Sprachgefühl der sats 
mit Masz' die geltung eines nebensataes hat| wirrend dies für einen 
**a*satz zu leugnen ist. — Wir gehen zu dem umfangreichen gebrauch 
des versichemden *)d 'ja, gewis ist, dasz' über, welcher namentlich 
in anschlusz an gewisse andere partiheln beliebt ist so findet sich 
*id b}q^ , t)« u. a. ; eine restringierende kraft zeigt in der hSn* 
figen Verbindung eigentlich ^ja wenn*, dann 'nur wenn', oft 

geradezu unser 'sondern', so Genes. 32, 27 '^anD'nin dm "^r^V.^t^ 
s «ich lasse dich nicht, nur, es sei denn, dasz du mich segnest'; 
ebenso » 'vielmehr wenn' in Psalm 1, 2 nSiSQn '^'^ n'iina DM 'ja 
vielmehr, wenn am gesetz Jahves sein Wohlgefallen', endlidi wird 
Dfi^ schon formelhfä als adversativpartikel» 'sondern' gebraudit, 
z. b. Josua 23, 8 npam D^'^rr^b^ rr'm'^a dm 'sondern Jahveh 
eurem gotte sollt ihr anhangen', wie sich nun ein lat. quod und ein 
griech. ÖTt von der bedeutung des objectiven 'dasz' zum causalen 
'da' fortentwickelt, so leitet auch im hebriiischen **a causalsfttze eiui 
wir übersetzen es dann durch 'denn'; die bedeutung unseres 'weil' 
anzunehmen , d. h. nebenstttze einzuleiten ist es auch da nicht im 
Stande, so pflegen wir zwar einen satz tänjrr'bM ü'^lrf^ rr'in^ ^Tjat*»! 
üi^K "nhf^ nett r}'^:if usw. Genes. 3, 14:''da^du dies gethan hast' 
usw. zu Übersetzen, diese Übersetzung ist aber ungenau, vielmehr 
ist eigentlich zu sagen: 'du hast ja dies gethan, so' usw. , d. h. der 
grund erscheint dem hauptgedanken voraQgestellt, ähnlich wie im 
griechischen sich in der lebhaften erzählungsweise des Herodot z. b« 
VI 102 Ktti fjv Totp ö MapaBuiv diriTiibetiiTaTOV xtupiov ^vmTreOcai 
Kttl dTXOTdruj xfjc '€p€Tpiiic, de toötö ccpi KaTr|T^€TO 'iTririnc 6 
nctCiCTpdToO findet, damit haben wir den gebrauch des in seinen 
wesentlichen erscbeinungen erschöpft und gesehen, dasz durch- 
gehends seine demonstrative bedeutung bewahrt hat , niemals sub- 
ordiniert, sondern nur parataktisch den neuen gedanken anreiht, 
selbst der noch nicht berührte seltene temporale gebrauch dieser 
Partikel zeigt dieselbe nicht gleich dem deutschen ^als', lateinischen 
'cum' usw., sondern wir werden auch in derartigen fällen ihren 
demonstrativen Charakter als gewahrt ansehen mUssen und sie eher 
mit 'dann', als mit *wann' wiedergeben dürfen, also die id-sStze 
sind nicht als nebensfttze im sinne unserer sprachen, sondern als. 



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Zur liebrSischen sjntax. 



117 



seibständige öäize aufzufassen; daran können auch verbindongen wie 
122 j ^sw. nichts ändern. 

Wir gehen über auf ^'ISn. die grammatiken nennen ^'<2i^, uota 
relationis, gar relativpronomen. nachgewiesen ist, dasz das wort 
eine demonstrativbildung ist, vgl. Philippi ^wesen und Ursprung des 
Status constructus' usw. 8. 72 ff. wir pflegen nun durch unser 
relativum zu übersetzen, doch entspricht ein satz wie z. b, '^^"u3;? 3N 
f: n::*^^ "i^N m5» Ruth 3, 1 durchaus nicht unserm: *ich wilTdir 
ruhe suchen, welche dir trut thun wird', sondern ist wörtlich wieder- 
ZDgeben: ^icb will dir ruhe suchen die — gut wird sie dir thun', 
d. h, durch wird der satz 'ib It^"''' an das voranfrobende nomen 
tllSTtJ derart angelehnt, dasz er dasselbe /um suljject erhält, weun 
wir eben das *1XD^ durch 'die' übersetzten, so ist dasselbe doch nicht 
ids pronomen anzusehen, sondern bleibt partikel (vgl. tiT 'da', wel- 
ches freilich ein femininum nNT aus sich heraus gebildet hat), 
genauer würden wir also etwa sagen : 'ruhe da — gut wird sie dir 
ihnn'. um die grammatische beziehung des durch ^^i^ in den satz 
ittfgenommenen nomens in eben diesem satz zu bezeichnen, musz 
die spräche ja zu besondem mittein greifen, so D'ipn^b^ 
*a d5b^:j*n-r|3 't^y^. Josua 1, 3 : 'jeder ort der — 66 wird treten die 
sollte wteB fii8z68 auf ihn', oder nNS ^rt^fcj nijr; ü:fTS, 

ntil^ rhOt^ Btttii 2, 12: ^Yon äern^^gott Israiels dein — unter 
Minen flügeln bist du gekommeii znflucht zu suehen', und selbst 
"ni*«?^ "iiDK to^T-V^ Gen. 9, 3: *alles kriechende das — lebendig 
iii 68*. Yemag weder numerus- noch casusverliftltnisse an sieh 
tn bezeichnen, nun kennt die bebiSisebe spradie aber die Verbin- 
dungen ^iDfit-n^, ^^J^^' ^tam,^ dieselben yertreten jedoch 
keineswegs eme flexion un siime' von quem, eni, in quo usw. wenn 
68 Butb 1, 17 beisst nnne{ '«n^^^n "n^l^ä, so ist zu übersetzen: *an * 
dem orte — du wirst sterben , ich werde sterben'. Gen. 27, 45 
n^fer ^'«r NTifi} ny^i ist *er vergesse das — du hast gethan', d. lu 
das PK dient nicht '^u das object zu t^''^,y einzuleiten, sondern 
daijenige zu t\'yo. deutlicher wird die beideutung des ^^t|*T»K ans 
Cknu 44, 1 *in'»a-S:? *niöN-ntj i^^i *und er befiehl dem — übe/sein 
hios (sc geeetzten)'. '&n/27,"8 "Jibs-i^itT: "^sn ^tt5«b iVipa yttttS: 
liSre auf meine stimme für das — ich lieisze (es) äiif'. Gen. 31, 1 
w^Sfijb "n^Km liöK'Vs dn npy^ n]?^ usw.: 'genom* 
men bat Jafcob'ejles das unserm' vater (sc. gehörige) und von 
dem — unserm vater (sc. gehörigen) bat er gemacht' usw. auch hier 
soll dureh ^^(^73 doch nicht 'e qnibns', 'wovon' gesagt sein, im 
gegenteü wird aus diesem beispiel ebenso wie aus dem zu Gen. 44, 1 
citierten der demonstrative Charakter des ivj^ recht klar. 

Im bebrSiscfaen ist nemlich neben dem stat. cstr.'VerhSltnis 
die detenmnation eines nomens durch ein anderes mittels IXDn 
lasierst beliebt, die grammatiken sprechen in einem falle wie Jud. 
6, 11 n'^p^S} ^v» ^bMSi nnn 3t$«l von einer Umschreibung des 
•tat Gstr.'verlitttnisses' durch einen relativsatz. aber nichts ist nn- 



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118 



Zur hebräi&chea syutaz. 



berechtigter als hier durch einen relatiysatz: 'unter der eiche, welche 
zu Ophra ist' zu übersetzen, vielmehr ist es : 'unter der eiche der — 
zu Ophra'. hier entspricht das ^'i^:;t geradezu dem griechischen attri- 
butiven artikel; so ist ein ^li Yina n'^ii y^T] Gen. 3, 3 = TÖ 
bevöpov TO nicw usw., so vgl. man auch Gen. 12, 10 ib "lUSöt-b^ 
= TtdvTa TU aÖToO. ebenso wenig wie wir es für richtig hielten in 
diesen beispielen von relativsätzen zu sprechen, sehen wir ims im 
stände eine Verbindung wie "r^^b "IT^JIZ 'ein psalm Davids' durch 
auslassung eines zu erklären , wir verstehen vielmehr : ein 

psalm David (augehörig), das hebräische bedarf eben, um die 
innige logische beziehung eines nomens auf ein zweites (mit einer 
pruposition versehenes) anzudeuten, gar nicht des rückweisenden 
und verknüpfenden ^IIJ^^j man vgl. auch beispiele wie Vtb "J^^J^SS 
ürf^ Gen. 15, 13. 

Damit gehen wir wieder auf die ^^K-stttze über, evident wird 
die grammatische Selbständigkeit dieser sog. relativsätze durch den 
vergleich entsprechender sätze, denen das ^"ä» überhaupt fehlt 
nicht blosz anf die poeeie beschränkt sich ein Sprachgebrauch wie 
^^5"^ nnba bfe«l Psalm 7, 16: *er fällt in eine grübe — er gräbt 
sie') oder ini« rrirt"; b'^^tn D'ra Psalm 18, 1 : *aa dem tege — Jiiive 
errettete ihn', wo wir nacih äem sonstigen sprachgebnuich ^i^k er- 
wartet hätten, ich erirtiae bei dieser gelegenbeit, dass das »nbisclie 
in bestimmter regel sein 'ellazi (m 1^^) allein nach einem determi- 
nierten nomen setst, es dagegen nach einem indeterminierteu nemen 
fortlSszt: da tritt Ümr die determinierende kraft des sog. relativ* 
Pronomens hervor. 

Jetst noch ein paar werte ttber den sog. conjnnctionalen ge- 
branch des ^i^M. nach den verbis sentiendi nnd deolarandi wird es 
parallel mit verwandt and ist ebenso wie dies zn verstehen, s. b. 
rr'iti'] u3*>3m 'n^M DK m7ys5 Josna 9, 10: Srir haben gehört das 
(man beachte aneh das n^ !) — ansgetrocknet bat Jahve'. nicht 
anders zu erklären sind die viel&chen Verbindungen wie ^'^i^ -jy;^, 
htrfc* i^Tab, z. b. Josna 8, 4, -itök 2. b. Josna 9, 16, nfe« "t? , 

Josna 3, 17, daneben abeVjosQa 2, 32 ?iiD ohne 

hiD^t, nnd ausser andern besonders welches wie die übrigen 

als snbordinierende oonjnnotion anfgefassi wird nnd als sicnt^ dkrrcp 
angesehen wird^ während es ohne frage gleichfolls demonstrativ ist 
nnd s. b* ein sats n'ir-nsl ti^rfbsj( n^x ^^MS Gen. 7, 9: 'naeh dem 
— Gott hatte dem Koah befohlen' zu verstehen ist. ti^^^ kann 
nattlrlioh ebensowohl temporal wie comparativ zu verstehen sein, 
so 4)an Josna 4, 1 *nach dem — vollendet hatten sie'. 

Wir fassen das gewonnene resultat so. die dentewursel htbi^ ist- 
kein relativiHronomen, llberhaupt kein relativnm. sie dient dazu, 
eine person oder sache, an die ein setz angeschlossen werden soll, 
no^ einmal kriUEtig hervorzuheben, bzw. was seltener ist, das fol- 
gende nachdmcksvoU anzukttndigen. unterzuordnen vermag 
-den sats, welchen es einleitet, ^ehi] dieser ist grammatisch selb- 



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Zw liebfÜielieiL ejnUau 



119 



•Miidig imd flksiit als a^beiiattsi im siime imserer apneliMi m W 
inditeB. 

Als neboBsBtM werdMi im M>xXie<iliMi wdter die finalflStse mit 
^»b und anfgeftUurl« was die Atze, welche dnreh *)^)ab, ein- 
geleitet werden, betrifft, so ist es an sich klar i dasi dieselben selb* 
stindiger srt sind, da die grundbedentung von ^yü^ *tn dem sweoke* 
Uar liegt and diese verbhidung ja sonst dm in&itiT za sidi nimmt. 
B. b. -»TbEja VJ^\ "^sa ^''^tTa ft^^&i 6öft. 97, -115: *kk will 

essen von dem *wildpret' meines scibttes zu dein sWeoke — segnen 
soll dich meine Seele*, dm sStie mit "^rü^ snweilen dnreh 
Tsmitteit wofd^» ist dbBn gesagt ist der finsiLBSts n0gattv, so 
tritt 1« nnf) weldies wir wie cU» latslniscbe ne tfnd das grie* 
dDScfae''|nl| dninh Mamit nioht' übersetien, das jedoch nichts weniger 
als nnterordaende eoignnetion ist, sondern eine blosse negatlon im 
abwehrenden, abmahnenden sinne *nnr nicht'* sfttse mit )^ sind 
also genau eo zn beattetten wie griechiaehe finalsBtse mit die 
dnrdhans nnabhttngige lAtse, nemlich negati?e b^ehnmgestttse sind; 
besonders naeh den verben des fttrchtens ist die selbsttndigkeit sol- 
cher sätie, welche wir als nebensftixe ttberBetaen, Uar: £^6lO} 
vodiq) 'ieh bin in fbroht — mag er nnr nicht krank werden'« 

Wir reihen die etttze mit D*;^ an, welche natirlich nnr schein- 
bar nebensStse rind, da üyj das 'nocbniehtsein' (in beziehnng anf 
eine andere handlnng) besenohnet; man vgl. niuf die pUtallele von 
tiyy^ mit i-^Kä Pr07. 8, 24 f. so ist s. b. ein 1*^99^ D*iu^ 
^^Vr>^ Enth*8, 14 'noch nicht erkannte einer dm tuidem'. so 
Uriben nnr noch die hjpotbetischen sStze mit W, Venn' als neben» 
dttie nbrig. doch anch sie lassen sidi ohne Schwierigkeit als selb- 
stindige sfttse Tcrstehen. z. b. wp, ^TA.Q ^""lirT &N Jnd. 15, 12: 
*fCLr den fall ansagen wevdet ihr, äann will ich geben', die ei'n- 
leitmig des ^naehsatzes' dnreh l oonsec gibt die auffasenng des ersten 
eatses als eines selbständigen an die l^d. übrigens steht der de- 
Sumfitrative nrsprnng des dk , verwandt mit 1^. *8iebe', auszer faäg^* 
anch dessen etymologischer Ursprung strittig ist, ist keine nnter* 
ordnende conjunction und entspridit dnrehaus nicht nnserm 'wenn'. 

Wir haben die kategorien von sfttzen , welche man als neben* 
rittM zu bezeichnen pflegt, nntersucbt; hoffentlich ist uns nichts 
wesentliches entgangen, es hat sich gezeigt, dasz das bebriÜSohe 
weder relativstttze besitzt noch conjunctionale nebensätaei min- 
destens lassen sich diese sSmtlich als selbständige stttse ansehen, 
wir wollen nicht leagnen, dasz hier und da ein ansatz zur nnter- 
erdnvng von sitzen gemacht ist (besonders haben wir die Btl- nnd 
^n^Stse im auge), doch da von eigentlichen nebensätzen zn spre- 
chen, Terwehrt einmal die lockerheit des verhttltnisses des nach- 
tstses mm voransgehenden ^nebensatze', man vgl. nur das beliebte 
*) oonsec., welches den nachsatz einfach an den bedingungs- usw. 
Vordersatz anreiht, vor allem aber ist der schlagende beweis der 
Charakter der hebrftischen syntaz ttberhanpt dieselbe kennt ttber> 



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120 



Zar hebfüschen «yntox. 



lurapt kaue oratio obliqua* weder die abhK&gige rede noch die in- 
direete frage im besondem vennag sie Ton der directeu zu unter* 
seheiden. sodann yerwendet das hebrSisolie ganz andere mittel, tun 
nebenbeatinunnngen als soldie amaadrackett. auf diese mfissen wir 
noch karz hinweisen. 

ErklSrende bestimmnngen eines nomens, denen unsere relativen 
attributivsfttse entsprechen, setzt das hebrttische mit Vorliebe ins 
pariidp. z. b. 3^*31 ntDV Gen. 1, 11: *gewftehs, welche» samen 
hervorbringt*^ tj^D'V"]^"^? ri^. «'5^ C^en. 2, 13: 'er ist ea« 

welcher das ganze land Kusch umgibt'; ''fii.atb'bs Gen. 4, 14: 

*jeder, der mich findet, wird mich töten' ; ri^.^n '^'i^Cjin • 
*die Amoriter, welche wohnen*. — Eine objecÜTe verbale ergttnzung 
tritt gern in den infinitiv, so "^rib^b D^-i^sn^n^ '^n'^^Ä üfyTi 
Bnth 2, 9 : 'habe ich nicht den Schnittern befohlen, dich nicht anza* 
rtthren?' — Zum ausdruck von Zeitbestimmungen dienen nonünal- 
bilduDgen mit dem abstracten infinitiv, so D'^pc'cih Dbip Kath 
1, 1: 'in den tagen, da die richter richteten'« sehr häufig werden 
zur angäbe von Zeitbestimmungen prttpositionen mit dem inf. catr. 
verwandt, so ä, nm die gleichzeitigkeit auszudrücken, entsprechend 
nnsern Sätzen mit 'indem*, 'während', 'als', z.b. bN'^iö";2i rhy^B yht)^ 
Jud. 5, 2: 'in dem herschen des fürsten, d. h. als fürsten herschten 
in Israel', die Vorzeitigkeit wird mit Vorliebe durch 2) bezeichnet, 
so r^bujs Josua 9, 1: 'nach dem hören aller könige, 

d. h. nachdem alle könige gehört hatten', man vgl. auch Josua 
8, 22 DS^lj-^'^iluj?! "»rj^Sj n?, wofür wir einen satz mit 'bis dass 
nicht' haben. — Um die absieht auszudrücken, gebraucht der 
Hebräer mit Vorliebe die präposition b (negativ ''znli^^b) 0. inf. 
cstr,, so Gen. 1, 14 daneben yf'q)} c. ini llieser ge- 

brauch des infinitivs hat bekanntlich im griechischen seine parallele, 
erwähnt sei auch die localbestimmung ^Kia^:^ 'bis man kommt'. 

Im übrigen hat das hebräische die nebenordnung. hier mag 
nur hingewiesen werden auf die unsern temporalsätzen mit 'während' 
entsprechen den zustandssätze , gebildet durch t und das particip, 
z. b. C'nnr bJS.'ipi-bD'i Josua 3, 17: 'und ganz Israel war hinüber* 
ziehend', d. h. 'während ganz Israel hinüberzog'. 

Ersetzt wird der mangel an grammatischer Unterordnung des 
logisch untergeordneten gedankens einigermaszen durch das 1 con- 
secutivum, freilich entspricht diese formation nicht unserer weise 
der Unterordnung, es wird die erste handlung als selbständig hin- 
gestellt und nun werden diu folgenden als von dieser abhängig, 
nemlich als in dieser im keim schon vorhanden, sich aus ihr ent- 
wickelnd (1 consec. impf.) oder als in ihr schon als vollendet ent- 
halten (i conbec. verf.) ausgedrückt, so kommt es, dasz Sätze mit 
1 consec. häufig unsem consecutiven, finalen usw. nebensätzen ent- 
sprechen. 

Zum schlusz mag noch ein instructives beispiel hergesetzt wer- 
den, nemiich ßuth 2, 9 nTittjj D'^^j^.fi'b^ 2Tl ^^^'i'» ^^"^ 



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fiber die definition der dtenr. 



121 



da dmt, denn geluai dn' usw. bier ist auf den versoofa, die band* 
limg dei dttnttenB als bedingung fttr die des bingebens zu beseiobnen, 
Tsnicbtet: anstatt dessen TöUige parataxel 

Wir steben am ende unserer nntersncbimg. es lag niebt In 
uiserm plan die anfgeworfene frage ins einxehie binein za verfolgen 
oder etwaige besonderbeiten einselner büober des alten testaments 
sn berfieksicbtigen , sondern es kam uns nnr daraof an, die in frage 
stabende syntaktiscbe eigenart des bebrSisoben in wenig strioiben za 
teiebnen« wie weit die berttbrten fragen sieb fbr eine bebandltmg 
im bebxäiseben nntenicbt eignen , iiit eine aaebe für sieb« binzn« 
weisen anf die grandlegenden antersebiede der bebrüscben sjmtaz 
von deijenigen unserer spraoben bat sieber der lebrer den schttler, 
dessen bHok ja von selbst auf diese ersebeinong iHllt, and bei einem 
allgemeinen eindraok desselben darf er es niebt belassen « vielmebr 
ist der ebsralcter der bebiSiscben syntax klar zu entwickeln, da es 
doch niebt aufgäbe des spnusbuntenicbts ist, eine gewisse summe 
▼on regeln lernen zu lassen ^ sondern den scbttler zum yerstlndnis 
der ihuaideii spräche zu fahren. 

Oblau. Paul Dobbwald. 



12. 

ÜBEE DIE DEFINITION DEE CÄSüE. 



Mit Sicherheit läszt sich behaupten, dasz die art und weise, nach 
weldier der anfönger, z. b. der tertianer, ttber die bedentung des 
ihm bisher unbekannten wertes cSsnr belehrt wird, ungefKbr diese 
ist es wird ihm etwa gesagt: cSsur ist ein einschnitt des verses, 
der innerhalb eines yersfuszes durch ein wortende gemacht wird« 
in der begriffsbestimmung kommt jedenfalls das wort einschneiden 
oder einschnitt vor^ und der scbüler merkt sich in der defiuition 
gsiade dieses wort sehr gexn, da er doch blosz an das ihm bekannte 
eaedo zu denken und caesura zu Übersetzen braucht, zum bessern 
wst&ndnis wird noch der begriff yerauscbaulicbt, indem der lebrer 
auf die iafel das schema eines hezameters oder eines andern Ittugem 
VSfSos schreibt, und in diesem doroh striche die stelle, wo eine cäsur 
Bosanebmen ist, bezeichnet, zu hause ahmt der schüler das nach, in- 
dem er s. b. das schema von 50 hexametem aufzeichnet und in diesen 
BOigflUtig auch die efisur kenntlich macht, wird nach einiger zeit 
der schüler wieder nach dem gelernten gefragt, so antwortet er 
sieber und selbstbefriedigt: ^cäsur ist ein einscbnitt im Tcrsfusze/ 
zu bemerken ist jedoch, dasz der anflinger sehr schwer zum richti- 
gen ?erständni8 der cäsur auch deswegen kommt, weil er beim er- 
lernen der elemente der antiken versknnst noch viel anderes zu thun 
ha^und zur cäsur zuletzt gelangt, er musz nemlich die quantitftt 



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Ober die definitioii der dksiir» 



der «üben lernen , dann stellt er mit gröüer mttbe die einiehwa 
flOtai ut vmStmai tiuaaiiuen, wobei er bei jedear vetee «ndeve 
eombinationen maohen mius; aooh dae teotmftasigtt keen gelingt 
ihm nur äUniShlioli« eo kommt ee» dass an die oMr anletet gar 
mxkt mebr gedadit irM cmd der icbttler eieh mit ihr dncch obijga 
dedkiitien abfindet» 

An dieser obeorfllehHobheit aind hanptflSdilich die lttrdie sohillar 
besternten leinbttoher aohold. die grandbegrüb der metrik werden 
Bemliflh in einem anhange oder Torworte der acbnlgraDBrnatilmi vmI 
olasBikeransgaben flir die eebfUer dargestellt ^ und iaat überall kt in 
diesen obige definitioti der o&snr an finden, s, K in Ellendt*Sqhfot 
lat gnuMB. anbang I § 10; Siberti*Meiring § 885; Berger griedi. 
gramm, anhang § 2. La Boche ein!, za Homers Dias § If ; fiemi. 
Schttti einL zu den oden des Horaz s. XVII. bei Leimbaeh *anisge« 
wKhlte dentsehe diohtongen' IV s. 929 heiszt es: 'ferner ist bei 
einem heautmeter notwendig, dasa er einschnitte im verse hart, nnd 
awar gute einschnitte' usw. sehr wahrseheinlioh ist diese art defini» 
tion in unzähligen andern handbücbem verbreitet, allerdings ist in 
einigen ein schwacher yersuöh, auf das wesen der cäsur einzagehen, 
gemacht durch benutzung des Wortes *pause* oder 'ruhepause* (z, b. 
in Ferd. Schults kleine lat. Sprachlehre § 298, 4), doeh fehlt anoh 
dabei nicht das unglückliche wort ^einschnitt'. 

Die definition, die sich auf das wort 'einschnitt' sttttst, ist ver- 
fehlt"^ denn die metrik handelt immer nur von lauten, nicht vom 
körperlichen and sichtbaren, nnn wird aber sonst der begriff ein- 
schneiden nur vom sichtbaren oder im übertragenen sinne von 
empfindungen, niemals aber vom hörbaren gebraucht, daher ist 
die besiehung der beiden begriffe 'einschneiden' nnd 'laut' auf ein- 
ander schief, unklar and besonders dem anfilnger unverstHndlicb. 
daher ist schon in den beiden alten sprachen die von den griecbi- 
aehen meirikem eingeführte bezeichnnng T0|iifi und die lateinische 
ttbersetzong eaesnxa, incisio , Sectio a]a eine verfehlte zu rügen, es 
hindert uns somit nichts, dasz wir ein passendes deutsches wort in 
unsere definition einführen und nicht biosz die ansdrttoke der alten 
gedankenlos übersetzen. 

Auch bei der erklänmg der cäsur wird der lehrer wie in andern 
fällen des sprachlichen Unterrichts vom concreten ausgehen müssen 
und den schüier selbst an beispielen das wesen der cäsur bemerken 
lehren und die definition finden lassen, der lehrer liest also eine an* 
zahl hexameter mit berück^ichtigung der cäsur vor. es ergibt sich 
dabei nun , dasz der Vortrag des verses eine Unterbrechung erleide!^ 
wie es ähnlich in der musik ist beim abspiolcm einiger tacte. über- 
haupt ist darauf aufmerksam zu macheu ^ «iasz die deelamatioii der 



prüft man den faft immer in der definition der casnr vorfcommea- 
den ffatz: 'das wortende macht einen einschnitt in den versfusz* in be- 
jrag auf •eiae klarheit, eo wird man das ungereimte deweibea iniefi. 



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G. Coordee: ächulgeographischee naxneubucli. 123 

verse und musik dieselbe künstlerische thätigkeit ist, nemlich das 
hervorbringen rhythmischer töne, also nenne man wie in der musik 
so auch in der metrik die Unterbrechung der rhythmischen tonreihe 
'pause' und deüniere den üblichen terminus cftsnr mit diesem be- 
griffe, nicht mit ^einschnitt', der auch in der mnsik nirgends ge- 
brancbt wird. 

Zuletzt sei noch bemerkt , dasz die bestimmong der cäsur fttr 
jeden einzelnen hexameter mit vorsidit gesehefaen mnsz und über* 
faanpt nicht leicht ist. es zeigt sich sowohl bei den grieelusobett 
hexametem des Homer wie bei den ImiciMSohm des 0?idy Vergil, 
Horaz, daes der tonfall mandies wses gar keine praflei «nandier 
meiuwre Terlangt, oder .dasz man beliebig die eiaa oder die andere 
eianr annelimoB katm^ dasz wir fevner auch darüber im nnklami 
and, ob sie melff den ^iwAlidi-logischen oder rhjihmiseben teil 
das maea borllhrt 

GsoflB-SniaBLiTfc JoBAmas Outkre. 



18. 

6, COOBDBSi SOHDLGEOGRAPHISCHES NAMENBUCH. ÜBERSETZUNG 
UND BBORÜNDUNG DER WICHTIGSTEN GEOGRAPHISCHEN NAMEN 
UND BEZEICHNUNGEN. ALS ANHANGT 1. NAMEN DER VORZÜGLICH- 
STEN STERKE UND STERNBILDER, 2. VOLLSTÄNDIGES BIBUSOH- 
QBOGBAFJaaOHBa BAMBNBUOH. Mets 1888. Lang. 144 S. 

Dia ^lage Uber die wwendang nud befaa&dliiBg der namen im 
geograpbiacben unterriclite bSDgt mit der nengaetaltmig deaaelban 
doreh Bitter aufa «agata «vaamBieii. nicibt die regimeDtar yan namen, 
die jemaa4 in aaiBom kopia eiDqnaitiert, entadieiden gigenwSrtig 
ibar die tttokt^init das geogrftplien tmd geographieklureray aondem 
das geographiaäe denken, bzw. die knnat, daaselbe an oxr^gen; der 
erdlrandliebe nntatrioht ist ebenso aelir ein denk^ als ein mer^ffOHseaa. 
mit der beadiritnknng in der nnmennnBwafal ist ea jedoeb nodi nudit 
gattian, aondem eine neue bilfswiasenachaft der erdkmide, die Bamen«- 
bmde oder ioponomaatik, sncbt in den namen einen sion, in den 
aekalen einen kam^ nm ilm genieasbar an machen, ^ sieht in den 
namen etwaia mehr ab ein znftUiges zeichen, nemlieh eine gaag» 
pkiadie, gaaehichtiicke, cnltorgesdiiehtliclie thataacbo, die ihn kep» 
mrief , nnf die er anrlUikweist, so daaa sieb in dton gaographtscben 
eigennamen cdaea landes, z. b. Kanaans, ein gat tdl landesnatnr, 
kndaaealtar nnd -geschicbte widers^egelt. 

Vor zwei jähren liesz prof. Egli-Ztlrich, nachdem er in seinem 
grundlegenden werke 'nomina geographica' (1872) daa namen- 
material gesammelt, die 'gesebichte der geographischen namen- 
kimde' (Leipzig, Anmdstetter, 1886) erscheinen, er behandelt darin 
die namen forschung (die von den ältesten bezeugten formen ans* 
iskt, den sinn deraettNHi leststeUt, die entwicklnng bis zur gogmh 



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124 G.GooxdM: •ehulgeographkehM iiameiibiioh« 



wXftigen focm mfolgt und »ie mit Sbnliehen formen zusammen- 
Biellt), die namenselireibang und •aasspracbe und endlich die 
namen lehre (welehe die geographische nomenclatnr anf geseize m- 
rfickltthrt) ; so seist er der toponomastik gewissermaszen wegweisen 
— Ptof. Umlanft-Wien fUurte in seinem werke 'geographisches 
namenbach für Österreich-Ungarn, eine erklftrung der iSnder*, T0lker-, 
gau-, berg-, flasz* und Ortsnamen* (Wien 1885) die namenknnde in 
die präzis des geographischen unterridits ein^ indem er die ergeb* 
nisse derselben zanlchst für die vaterlandakmide der Osterreiehiseh- 
tingarisdien monarchie Ycrwertete* 

Einen wesentlichen schritt weiter geht nun das schnlgeogra- 
phische namenbneh von Coordes, sofern es das geeamtgebiet der 
geographie in seinen haoptorten, -flüssen, »gebirgen nsw« in betracht 
zieht, der landeskonde der einzelnen Staaten aber noch viel dankens- 
werte arbeit ttbrig 4Sszt« yerf. hat mit grossem fleisze anf grand 
reichen materials gearbeitet, sich aber nicht verleiten lassen, viel 
wissenschaftliches beiwerk in dies dem anmittelbaren Unterrichts- 
bedürütiis dienende buch hineinzutragen; er gibt nur resultate und 
eine kurze begrttndung, nicht den weg der entwickluug; also er gibt 
das, was man bei der prSparation unbedingt braucht und bewahrt 
als getreuer Eckart vor den unholdigen Schwestern philologischer 
und historischer abirrnngen, die in die geographiestunde nicht ge- 
boren, so hilft der verf. in Wirklichkeit einem bedttrfhisse ab (denn 
die toponomastischen randbemerkungen mancher neuen lehrbOcher 
sind durchaus nicht aasreichend) und liefert einen wichtigen beltrag 
zur bdebung des bis jetzt sprödesten, dttrreeten zweigs am bäume 
des geographischen Unterrichts. 

In welchem umfange die namenerklSrung aasuwenden, in wal- 
chen verhttltnissen man auf die herkunft des namens -aus älteren 
deutschen oder fremdsprachlichen formen hinweisen, in welchen 
fällen man von der namenerklärung ausgehen und von hier aus 
auf physische, geschichtliche, culturelle nmslSnde sehliessen oder 
aber, wann man die genannten Verhältnisse mit einem bezeichnen- 
den namen krönen, erhärten, bestätigen soll: dies bleiben auf- 
gaben ftlr den denkenden lehrer. 

Lassen wir nun einige proben von Coerdes' namenerklärongen 
folgen: Aachen, althocbd. Ah6m dat. plur. von aha » an den 
wassern (d. h« den heilquellen und teichen in den tbalgrfinden) ; 
Heia, dän. schwänz, schweif (des festlandes), landzange, fek, 
klippe; Hardt, Hard, Hart (genitiv » Harz) althd. bergwald, 
eigentlich eicbwald auf der höhe; Kabul, arab. » warenniederlage 
(handelsweg von Indien nac^ Europa über Kabul); KoUin« slaw. 
mm gepföhl, verpallisadierung, bürg, oder: pfahlhütten im wnaser 
(dieselbe bedeutnng hat der name Köln an der Spree); Malaie — ■ 
der wandernde, nnstäte usw. 

Die wenigen Beispiele genügen, um zu zeigen, welch« bedeu- 
tungsvolle reproductionsfailfen die namenerklärung für das namen- 



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L. Schmidt: Gudrun. 



125 



btibälten bietet , wenn sich der name aus der stellang eines leeren 
Schalles erhebt; ja noch mehr: er erscheint nicht mehr als etwas 
zufälliges, beiläufiges, lästiges, sondern als etwas wohl überlegtes, 
sinniges, als eine inschritt, die zu entziffern freude verursacht, kurz 
als ein neues moment der yergleichenden erdkonde. 

BoszwBiN. L. Gableb. 



14. 

ftUDKUN. EINE ÜMDICHTUNG DES MITTELHOCHDEUTSCHEN GuDRUN- 

LiEDEs VON Leonha&j» Sohmijot. Wittenberg, yerlag von 
Herroaä. 1888. 

Die dichtung ruht auf gründlichen Studien und verrät einen 
sdiarfen kritischen blick; sie bekundet 'liebe- und verständnisvolle 
hingäbe an den gegenständ sowie ein sehr entwickeltes poetisches 
onpfiiiden und poetische gestftltnngskraft. 

Die sehwierige aufgäbe, die der ver&sser sich gestellt, unter 
fegtbalfeiing der wesentliehen stige der mittelhoobdeotsolien diditnng, 
in darsteUong der liaiidlung und der diaraktere dem entwickelter^ 
geachmaek nnd den gesteigerten ILsthetiscben anforderungen unserer 
seit gerecht zn werden^ bat er rlllimliolist gelSst. fiberall spflxt man 
mit befriedigung eine 'fromme sehen' vor dem Überlieferten nnd das 
von feinem takt geleitete bestreben, dem ererbten kleinod dentschen 
geistes eine solche ÜMSung zu geben, dasz, wer ttberbanpt sinn hat 
ftr den schlichten nnd ernsten geist des Gadmnliedes und für die 
stille einfalt sittlicher reinheit nnd grösze , sich sicher herzlich er- 
freuen wird an dieser anch in der spräche die überkommene ein&ch* 
hat mit einem reicheren dichterischen ansdrack glücklich paarenden 
undiohtung. 

So ist das alte lied| welches Schmidt sich nadi inhalt nnd cha* 
rskter vüUig sn eigen gemacht, so sind die in ihm anftretenden per- 
Bönen, die er in ihrem vollen leben nnd sein krftftig erfasst hat, aus 
einem an def dichtersprache und der knnstform der neueren seit ge- 
nährten nnd wirklich dichterischen sinn und gemüt neu geboren, 
haben dabei von ihrer wesentlichen eigenart nichts eingebüszt und 
smd uns doch in solcher gestalt vertraulich nnd anmutend nahe 
gerückt» 

Dass bei einer umdicbtnng solcher art gar manches ansau<* 
scheiden oder sn kürzen, anderes weiter anssufilhren oder sn er- 
glitten, wieder anderes umzustellen war, ist selbstverstündlich. aber 
wo und wie dies geschebn, ist nirgends der ehrwürdige nnd edle 
ehsraktw des alten liedes gesobftdigti wohl aber manches verbotgene 
gold desselben für die äugen des lebenden gesehlechts erst sichtbar 
gemacht nnd Me und da einiges den regeln und mittein epischer 
kanst und iMycbologisofaer begrttndung entsprechender geetaltet. 



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126 L. Schmidt: Gudrun« 

Die expoäition ist bei Schmidt sehr zum vorteil der dichtung 
verkürzt, in die bandlung ist ein frischer und schneller fortschritt, 
in die verschiedenen stufen von Gudruns leiden klaie Ordnung ge- 
bracht, mit recht ist die scene aufgegeben, in welcher könig Ludwig 
vor der landung die Gudrun ins wasser wirft und sie von Hartmut 
gurettet wird, mit recht tritt die figar der Hergard nicht auf, der 
einsigen von den jungfranen Qndmns, die dieser nicht treu bleibti 
da sie sieh mit Ludwigs schenken vennShlt. mit recht iBsst Sebnudt 
Gadrnn am abend Tor der befreinng nicht mehr mit Hartmut oder 
Ortmn, sondern nur nodi mit ihren mOdehen xusammenkommeni 
denn, so verliert Gudruns list die gehässige consequens, die sie im 
alten liede hat. 

Die wichtigste verfinderung ist die behandlung des Hildenliedos 
als episode der Gudmndiohtung. die bmchtigung zu dieser episodo 
weist der Verfasser in dem grosseren teile des sehr gut gesohriebenen 
'yorworts* (s. VI— XIX) mit einleuchtenden gründen nach, in dar 
that ist die episodisehe Verwertung des HildeikUedes echt episch und 
psychologisch gut begründet, die episode selbst -obwohl viel- 
leicht etwas su weit ausgesponaen? — mutet sehr an«, sie ist in die 
trttbste leidensieit der Gudrun eingefügt, der abschnitt trägt die 
ttberschrift ^erinnerung'. er zeigt nach des tagee mfibea und elend 
Gudrun und Hildburg am abend im traulichen gesprSoh und im be^ 
glückenden gedenken an *einst erlebte tage' : 

^Doch fi^PTif^R, wenn sie Bassen 
im eofifen schiafgemach, 
weuQ um der türme ecken 
der wind sich drauisen braehs 
dann flüsterten sie lei«e 
von einst erlebten tapen, 
die fern von ihrem jammer 
in holdem Sonnenlichte lagen. 

Was sie daheim vernommen 

von Zeiten, längst entflohn, 

es klang in ihren ktunmer 

wie ferner glockenton, 

wenn dann die alten mären • 

sie wanderbar umschwebten, 

dann war*8, als ob sie wieder 

im alten kSnigsgUnae lebten.' 

und nun folgt der inhalt des Hildenliedes , gehalten in einem na&T* 
heitern, toh freudiger erinnerung an glücldiche kindheitstage be- 
lebten ton — * ein sehr willkommener und wirksamer gegensats an 
der durchweg ernsten Stimmung des eigentlichen GudmnliedeB und 
insonderheit su den kummerreiehen aeiten« mitten aus denen er 
herausklingt. 

Schmidts Gudrunlied umfaszt 9 gesänge. den Überschriften der- 
selben, die sehr bezeichnend gewählt sind und schon allein eine 
Torstellung von dem einfachen, raschen und sicheni gaag der haadr» 



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L. Schmidt: Gudrun. 127 

lang geben, ftlge ich hier kleine proben bei, die den Inhalt der ein- 
zelnen geeänge einigermaszen andeuten und zugleich die art der 
ganzen dichtong in etwas yeraubchaulichen mOgen, 

I. Der raub. 

"Meinen gross, ihr königinnenf 
mit gewalt weiss sa gewinnen 
Normann, wenn man stolz TersehmlUitet 
was durch bitten er erflehte. 
Gadrun, bist nun mein, ja mein! 
Herwig mag wo anders Mnl' 

II. Die eolilaebt 

Blutigen Scheines im fernen westea 

tauchte die herbstliche sonne znr see^ 
laut beklagten der könige besten 
mannen und magen in wildern weh« 
Gndran, hBrst da es aehanrig sefaaUen? 
Hettely der Tster, ist dir gefaUen! 

III. Heimweh. 

^Das ist , Hartmnt , meine heimat» 
aber wäre meine heimat 
nichts als eine dürre lieide, 
nadi der dfirren beide wfirde 
sieh Ten hier mein bnsen sehnen/ 

IV. Erniedrigung. 

Schön Gndrnn säsz in eingamkeitf 
von ihren frauen geschieden; 
sie sasz und S|>ann und sann und spaun, 
Ton aller weit gemieden. 

AI^ noch die heimat sie ^imfiqg , 
da war ihr junges leben 
wie sonnighelte blamenau, 
▼en goldnem glans umgeben« 

Nun war ihr, fern von Heb und lost, 
die einsamkeit beschieden, 
sie sasa und spann and sann und spann, 
Ton aller weit gemieden. 

y. In enger kammer. 

Hwit kehrt herr Hartmat wieder 
als sieggekrönter Iield, 
schön Gudrun stand am ienster 
und sah die sehSne weit. 

Da sprach sie leise wortej 
^mag alles fröhlich sein 
in jauchzender erwartung. 
ieb harre, Herwig, deini' 

71» Erinnerung, iprobe sehen anf s. IM. 



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128 



lu Schmidt: Gudrun. 



yil. .Hoffnong. 

«Kommt naV heran, ditss ich es flüeterad saget 

ich habe meinen Herwifir heut geküszt, 

auch Ortwiu , memon bnider, und der bruder 

hat Yon der matter Hilde mich gegrüsfit. 

Selion morgen kommen sie und viele heldea, 
herr Watp ist und Horand auch d.ibei, 
Irold und Frute, ja sie kouimen allö, 
und morgen wird dar märzeiitag zum mal/ 

TUL Erlösung. 

*EQt, ihr heldea, von hier und sendet 

allen den friedensgrusz. geendet 
sei nun dea kampfes ungemachl 
lasset die blutigen wunden verbinden, 
sorgt, dass ein grab die toten finden, 
schaffet erqnicknng dem müden mann. 
lasKt von der zinne die falinen wehen, 
dass es das meer und die lande sehen, 
wer hier blutigen sieg gewann!' 

IX. Heimat. 

«Mutter, edle kon*gin Hilde, 
alles hat sn gutem ziele 

sifh ^efüg't, es ]enchtet strahlend 
sonne uns nach langer nacht, 
deine tucbter hast du wieder, 
heimgekehrt mit siegesstolsen 
Waffen sind, die du entsandtest, 
deine beiden und dein beer. 
WHM dip feinde leides brachten, 
iät gbsühul. ü laaz uns sübnen 
auch den hasa, den laaggehegtenl* 

man sieht aus yorstehenden proben : die dichtuDg ist nicht in einer 
gleich mäszigen verBform abgefaszt, sondern zeigt Wechsel im metrum 
und im rhjthmus; auch wendet sie, auszer im letzten gesang, über- 
all den reim an. und ich denke, Schmidts dichtung ist ein neuer 
beleg für die berechtigung derartiger bebandlung epischer stoffep 

Die verse sind ttbrigens sehr sorgsam gebaut und leicht fliesssend, 
die reime Snszerst gewandt gewählt nnd ohne ktlnsielei. die Wort- 
wahl und Wortstellung ist reich an klangmalerei und oft überaus 
eindracksvoU, ebenso wie der Wechsel des rbythmus mitten in einem 
gesang. doch sind jähe und rein willkürliche Übergänge des metrums 
nnd des rbythmus nirgends zu finden , sie sind lediglich dem inhalt, 
der Stimmung angepasst und machen selbst Stimmung, zudem mutet 
der Wechsel der versform gerade in diesem liede an, in welchem nun 
die handlung von wechselnden rhythmen getragen wird wie von den 
ewig wechselnden wellen der see, in deren bereich sie sich abspielt. 

Nach meiner meinung sind auch andere unserer alten epen ge- 
eignet und wert, in ähnlicher weise wie hier das Gudrunlied erneuert 
ZU werden, denn biosze Übersetzungen werden das interesse des 



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L. Schmidt: Qodran. 



129 



jetzigen geschlechts leider nicht wieder für dieselben erwecken, wie 
wäre es, wenn Schmidt sieb nunmehr weiter zunächst au eine um- 
dichtung des Nibelungenliedes wagte'? 

Seine Gudrundichtung bat meines erachtens bleibenden wert, 
schule und haus werden gut tbun, sie zu beachten, der lehrer des 
deutschen an gymnasien und realgjranasien wird, wenn er sie kennt, 
sicher nicht verfehlen , die schüler darauf aufmerksam zu machen, 
wenn auch natürlich diese anstalten die aufgäbe festhalten müssen, 
ihre zöglinge auch und zunächst mit der alten dichtung (hoffentlich 
bald wieder im alten gewande!) bekannt zu machen, in höheren 
mädchenscbulen aber (vielleicht auch in «eminarien ?j könnte die 
umdichtung geradezu in den kanon der lectüre aufgenommen werden, 
am besten übrigens ist es, sie laut zu lesen, und deshalb verdient 
sie gerade auch dem hause empfohlen zu werden: ein traulicher 
deutscher familienabend, und die Schmidtsche Gudrun gut vorge- 
lesen, das bringt reichen cfenusz und gewinn für jung und alt. sie 
würde aber die probe kunstvoller recitation vor einem gröszeren 
gebildeten hörerkreise sicherlich auch rühmlich bestehn. 

Zum schlusz noch einige geringfügige ausstellungen ledi^rlich 
ftlr den geehrten Verfasser, falls er sie etwa bei einer neuen aufläge 
benutzen will, im Worwort' s. VII, z. 2 musz das 'und' wohl einem 
'aber' weichen, z. 9 bedarf es hinter 'gewonnen' vor 'während' 
eines punktes , ebenso s. VIII, z. 11 v. u. hinter 'armen', s. VII, 
z. 14 würde ich raten, vor 'vergeblich' ein 'früher' einzufügen, auf 
der nächsten zeilo empfehle ich, 'zur* zu vertauschen mit 'nach der', 
in der dichtung selbst wird in I, s. 4 zuerst und mit emeiii uiuzigen 
verse erwähnt, da.-^z Gudrun Herwigs braut ist, es würde sich doch 
empfehlen, schon !2 anzugebcD, das/. Hetiul dem Herwig als Ä-einem 
eidam za biiic zieht, s. 6 will mir das bild von dun 'zarten lilien' 
nicht gefallen, warum nicht einfacher: 'die zarten frauen'? s. 9, 
V. 10 V. u. müste 'sie' wohl gesperrt gedruckt sein. II s. 12 'thränen 
melden sich' scheint mir nicht poetisch, s. 14 'in helfender schnelle' 
etwas gesucht. III, s. 25 würde mein gefübl statt 'mein busen' vor- 
liehn 'mein herze', oder mit geringer Umstellung den vers so bauen: 
'doch von hier mein berz sich sehnen'. VII 8. 12, le str. 'der er- 
IflSQfig mai' und s. 91 'der erlösung stem wird dir ersobeinen* sind 
nur nicht einfach und natttrUch genug. 

Papier, draek und attsstattung überhaupt sind sehr gut und 
geftllig. drnckfebler stoszen sonst gar nicht auf. doch ist s. 37, 
Str. 3 V. n* das erste komma eine seile zn tief gestellt , s. 63, letzte 
isile, sollte wohl statt eines panktes hinter Ueise' ein doppelpunkt 
atehn, s. 101 findet sieb 'fenter* statt 'fenster* und s. 105, 6 ist 
der punkt sehr störend. 

EbVUBT* LBUOBTBNBBBaEB. 



R.Jah«h, f. pMU a. pid. II. abt. 1880 hfl. 8. 9 



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130 Beiicht über die Terhandlangen der 40n Versammlung 

r 



(7.) 

BERICHT ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER VIERZIGSTEN 
YBRSAMMLÜNG D£UTSCH£B PHILOLOGBK UND SCHUL- 

MiNNEB Zü G0BLITZ. 
(forteetsnng und schlnsB.) 



Pädagogische s e c t i o n. 

Vorsitzende: gynan-dir. dr. 31 o 1 1 o r- Breslau und gymn.-dir. dr. 
Ki eb er di ng - Sagau. Schriftführer: dr. Fisch er- Laubao und gjrmn.- 
lehrer Starits-Breslan. 

Erste Sitzung, donnerstag den 3 october 1889. 

Herr Oberlehrer dr. Paul Cauer aus Kiel spricht über das thema* 
'der Unterricht in prima, ein a b s c h 1 u s z u n ein a n t a n g. ' 

Gewichtige stimmen iiabeii »ich in neuerer zeit erhoben für die 
absohaifniig aas abitorientenexamens, einer einrichtung, die ostern 1789 
ins leben gerufen wturde; selbst die Terteidiger derselben wissen kaam 
etwas besseres zu sap^en, als flasz sie ein notwendipi-es übel sei. die 
Dotwendtgkeit des abiturieutenexamens lä^zt sich bestreiten, wenn man 
erwägt, dasz darsselbe für die sichere erreichung des zwecken nicht 
recht wirksam sich erwiesen hat. durch diese einrichlung sollte unter 
anderm verhütet werden, dasz viele Jünglinge unreif und unwissend 
zur univorsität kämen; wenn man an die klagen von Seiten angesehener 
univeräitätblehrer über mangelhafte Vorbereitung denkt, so kann mau 
zweifeln, ob das abiturientenezamen etwas wesentliches nütze, der 
energische verschlag des dr. Richter -Breslau, die reifeprüfang gaas 
abzuschaffen, läazt sich jedoch zur zeit schwerlich verwirklichen, ein- 
mal weil dnrcli den plötzlicheti wegfall dem schulhetrieb schaden er- 
wächst und sodann weil störende consequeuzeu für ausgedehnte gebiete 
des öfFentlicben leben« sich ergehen« 

Worin liegt denn eigentlich die wursel der beobachteten fibeK 
stände? 

Nach des redners ansieht ist zwisclien dem ende der gymnasial- 
laufbahn und dem aufang des universitätstitudiums eine unnatürlich tiefe | 
kinft befestigt, der continuierlichen geistigen entwioklnng wird in deo | 
einzelnen classen durch die pensenverteilung rechnnng getragen, in- 
dem das pensnm jeder classe zug-leich vorwärts und rückwärts blickt, 
nur in prima überwiest die rctrospcctive tendenz, wührund an die be- 
vorstehenden groözeu aufgaben nicht gedacht wird, der unterschied 
in der art geistigen arbeitens, der den primaner vom Studenten trenntf 
ISsst sieb in keiner weise rechtfertigen, in früherer zeit war der über- 
♦rang: ein allmählicher, die philosophische facultät, welche die auff^'aVe 
hatte , auf den besuch der Vorlesungen in den drei andern facultäteu 
vorzubereiten, schlosz uaturgemäsz an den Unterricht der obersten classe . 
an; Tide höhere lehranstalten , die sog. gymnasia academica oder | 
illnstria gaben selbst ihren Schülern einen teil der academischen curse; i 
manche von ihnen sind zu vollst'ändig^en Universitäten angewachsen, bei j 
einigen haben sich die reste der ursprünglichen Organisation noch lange 
erhalten, der wünsch, zwischen schule und Universität einen gewissen 
susammenhang herzustellen, der in der Organisation derartiger institute 
sich aussprach, ist durchaus begründet, demselben steht nichts so sehr 
im weg« wio die reifeprüfung. derselben sind tinerseits dit jenijjen 
eigenschafteu zu neiimeu, welche den unvermeidlichen einschnitt un- 
nötig versehlirfen, anderseits musz nach mittein gesucht werden, dnich . 



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« deataeher philologen und sehiiliiiftimer zn GörliU 



131 



deren anwendung der primaner zum verstÄDdms der aafgabeo, die seiner 
warten , angeleitet werden kann. 

Der freie «nsblick wird am meisten gehemmt dnreh die leidigen 
repetitiouen ^ die vielfach nicht 2U omgelieti sind, auffallend ist, dass 

replt'ineut für die mündliche prüfung aus den jähren 1812, 34, 56, 
82 niiHltl 'ssiges versuchen und schwanken zeigt, nach den bestim- 
mangeu des reglements von 1812 bezieht »ich das mündliche examen 
yornebmlieh auf positive kenntoisse, die in den letstea monaten nstnr^ 
gem&ss durch besondere bemtlbüngen befestigt werden müssen, das 
ref]^leraent von 1834 dagegen spricht eine ernste mahnung aus, indem 
es vor zweckwidrigem, auf blusze ostentation berechnetem sich abrichten 
IBr die prüfnng warnt, wodurch die echüler sich und die bebörde täu- 
schen. d«r miniater Ton Aitensteia bat merkwfirdi^rweise wenige 
monate später in einem reseript die nfiUIicbkeit der repetitionen an^ 
erkannt. 

Den gegenständ vielfacher beschwerde hinsichtlich ermüdender 
lepetitienen bilden beute gesobiebte, geographie nnd religion. 
es wird sich nicht vermeiden lassen, dass aneb diese fächer »fallen. 

Die anforderungen in der geschichte waren nach dum reglement 
von 1834 nicht übertrieben; gar zu. sehr ins einzelne gehende sach- 
uud Zahlenkenntnis wurde untersagt, dieser modus scheint sich nicht 
bewährt an haben, da 1866 der ansammenhftngende vertrag Über eine 
aQ%abe ans der griechischen oder römischen oder deutschen geschichte 
eingeführt wird, nachdem man auch mit dieser einriclitung schlechte 
erfahrungcn gemacht, kehrte man 1882 zu dem verfahren von 1834 zu- 
rück, der fehler liegt in der sache selbst, die versucht wird, kennt- 
nisse haben inr benrteilung der geistigen reife ja doch nur dann wert» 
wenn sie den unwillkürlichen niederschlag eingehender besebftftigong 
bilden, durch wegfall der prüfung kann der Unterricht nur gewinnen, 
insofern das hauptgewicht auf das gelogt werden kann, was not ist, auf 
Veredlung des sinnes und klärung des urtcils. — Prüfung in der reli- 

fion schreibt erst das reglement von 1834 vor, während dieselbe vor* 
er als etwas von den weltlichen Wissenschaften zu verschiedenartiges 
nicht berücksichtigt worden war. der memorierstotT dieses fach es lastet 
schwer auf den schülern. verkehrt ist der einwand, die würde des 
gegenständes erfordere einen plats in der prüfung. im gegenteilf be- 
TÜcksiehttgt man die fordening des lehrplans von 188S, nach welcher 
der nnterricht der Sammlung und Vertiefung des gemüts dienen soll, 
80 wird man die entgegengesetzte auffassung für richtig halten müssen, 
die auszerung religiösen sinnes vor fremden obren abzufragen« ist eine 
harte fordernng; das ganse leben des mannes ist eine pr&rang in reli- 
gion. bei abschaffong des examens würde nach des ledners ansieht der 
religionsunterricht rnclir befähigt werden, die jungen loute auf eine 
liefer eindringende art geiatiger arbeit vorzubereiten; er würde wirlieii 
als bundesgenosse des deutschen Unterrichts bzw. der philosuphiäciica 
Propädeutik. — Facnitativ eingeführt ist letsterer gegenständ 1825 wegen 
mangels an geeigneten lehrkräften. 1834 bildete Propädeutik bereits 
einen wichtigen bestandteil des examens; aber trotz aller bcmühungen 
der bthr»rde gelang es niclit, dem treirenstande eine gPRii'Uerte Stellung 
im rahmen des Unterrichts zu vcrschalicjj ; seit 1856 suiiie piopadeutik 
aieht mehr als besonderer Unterrichts gegenständ angesetst werden, der- 
selbe vielmehr mit dem deutschen unterrichte verbunden werden, dessen 
Slundensahl auf drei erhöht wurde, dem unwürdigen zustande, der 
durch die Zwangsbestimmung v. Muhlers hervorgerufen war, nach wei- 
cher eine bemerkung hinsichtlich der philosophischen Propädeutik in 
das reifeaengnis aufgenommen werden sollte — viele sehfiler hatten nie 
etwas von diesem gegenstände gehört — machten die Verordnungen von 
1882 ein ende, der Unterricht wurde wieder facnitativ, als solcher aber 
empfohlen. 



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182 Bericht über die YerhttndLang«ii der 40n verBammlmifr 



Ein blick auf die geschilderte cntwicklung der dinge läszt uns zwei 
feste punkte erkennen: die Überzeugung yon der notwendig- 
keit der aache und die eehwierigkeit sie durchzuführen, ef 
empfiehlt sich, den primanern leichtexe daratellungen, einzelne in sich 

g-nschlossene abhandlungen vorzulegen, die unter anleitnng- des lehrera 
studiert worden, dieses ziel verfolgen Jonas und Wondt; höliere an- 
forderuiigcu stellt Goidscii eider in seiner schritt ^die erklär uug 
deutscher Schriftwerke in den oberen classen höherer lehx^ 
anstalten'. des redners deutsches lesebuch für prima nimmt 
etwa die mitte zwischen beiden ein. die daselbst gobofonen stücke dienen 
der Propädeutik in dreifacher hinsieht: wichtige begrid'e wie: taleut, 
Charakter, geuie n. ä. sind zusammenhängend erörtert; eine zweite 
groppe bereitet das Tcrständnis für die verschiedenen zweige der be» 
rufsthätigkeit und gelehrten forscbung vor. durch besprechung der- 
artiger gegenstände wird der Universität in keiner weise vorgegriffen, 
insofern dieselbe nur orientierend wirken soll, drittens läszt sich durch 
geeignete proben zeigen, wie Terschiedene auffassung ein gegenständ 
auläszt und wie ein wissenschaftliches problem sich allmählich weiter* 
entwickelt, derartige bescliäftigung dürfte vor einseitigkeit und vor- 
schnellem urteil schützen und zu ehrlichem Studium anleiten, dasz der 
7on ihm so angedeutete weg kein erfolgloser ist, glaubt vortragender 
aus der präzis versichern zu können, sein vorsehlag zielt dahin, den 
druck zu mildern, der infolge des abiturientenexamens auf den Schülern 
lastet; auch ist zn erwägen, dasz der aufenthalt in prima der anfang 
freierer entwicklung ist, 

Thesen : 

1, Zwischen der arbeitsweise des gymnasiasten im letzten und 
der des Studenten im ersten jähre besteht gegenwärtig eine un- 
natürlich grosse und deshalb schädliche ▼ersohiedenheit. 

2. Dieser übelstand wird verstärkt durch die ▼orbereitungen 
auf einen teil des mündlichen abiturientenexamens. 

8. Es ist wünschenswert, dasz das abiturientenexamen auf die 
Tier hauptfächer (deutsch, latein, griechisch, mathematik) beschränkt 
werde. 

4. Eine wissenschaftliche Propädeutik kann in zwecknmsziger 
weise durch besprechung der stücke in einem geeigneten lesebuch 
gegeben werden. 

6. Solche beschftftigung würde sich in den bestehenden rahmen 
des deutseben unterrichte nach art und umfang zwanglos einfügen 
lassen. 

In der auf den Vortrag folgenden generaldiscussion entwickelt zu- 
nächst provinzialschulrat II op pe-Breslau seine anslchten, die zu denen 
des vortragenden mehrfach im gegensatz stehen. 

Oh ein abiturientenexamen erfolgt oder nicht, kann einen verstän- 
digen lehrer in prima nicht beeinflussen, der primaner musz in seiner 
ganzen thätigkeit mehr dahin gedrängt werden, sich ein eignes urteU 
zu bilden; er d.irf nicht einfach wiedergeben, was ihm vorgesagt ist. 
der strebsame schüler findet auch, dasz für ihn eine ehre «inrin liegt, 
wenn ihm zugetraut wird, ein eignes urteil zu fällen, und tuhit seine 
ganze Persönlichkeit gehoben. 

Dadurch, dasz der schüler genötigt wird, zu den vorgelegten ob» 
jecten eine eigne Stellung einzunehmen, wird am besten der ül)ergang 
aus der prima zur Universität vermittelt, bei dieser auffassuug der 
aufgäbe kann die prüfung nicht schaden« die schule musz vielmehr 
das Votum, der zu entlassende sei reif, irgendwie feststellen; auch 
niöchte doch jerler votierende lehrer sehen, wie der prüfling sich in 
andern fächern zeigt; eine art prüfung nach analogie der abiturienten- 
prüiung wird also stets stattfinden müssen, die staatliche prüfung kann 



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defaiseher phüologen and schiüm&nner sn Görlitz. 



vom übel sein, weil dieser oder jener lehrer die sacho falsch auffaszt 
und das bestreben der sehüler, sich eine gewisse suujiiie von wissen 
in den köpf zu pfropfen unterstützt, die repetitiou musz eiue imma- 
nente lein und den gansen unteniebt bef^leiten. besSg^Iich der ein- 
selnen gegenstände der prüfnng bemerkt Hoppe, dass es binsicbtlieh 
der geschichte vor zeiten schlimm bestellt gewesen sei. in der prüfung 
masz man ersehen, dasz der sehüler die geschiciite verstauden hat, 
dtss er den Zusammenhang, die causalität der thatsachen 
erfaezt hat; gleichgültig ist es, ob die eine oder die andere sah! fehlt, 
trotz berechtigter erhobener bedenken hält noppe es für angezeigt, 
in reiigion auch eine prüfung- vorzunehmen, da doch ein gewisses com- 
pactes wissen nach so langer Vorbereitung vorhanden sein musz und 
•ffahniugsmäszig Tiele sieh nichts vom pensum augeeignet haben, der 
nntemclit in philosophischer Propädeutik erfcfdert sehr •geschickte 
Iphrer; mit recht hat das reglement diesen gegenständ als obligatorisch 
fallen lassen, nach Hoppes ansieht musz auf der Universität etwas ge- 
schehen, damit die lehrer auf derselben dahin gebracht werden, dasz 
jeder, der in prima deutsch gibt, auch geschickt ist, diesen gegenständ 
m behandeln, dasz von diesem Unterricht durch das reglement abstand 
genommen ist, bedauert redner. 

Dr. Kl in gh ardt- Reichenbach tni])findet das examen als einen 
druck auf die eigne unterrichtsthätigkeit und aitht in eaicr vermiude- 
rang der sur prtifung kommenden fächer eine gewisse erleichterung. 

Dir. dr. Hasper-GIogau bemerkt, dasz die provinsialschulvertretung 
und der director verhindern kann, dasz das examen gemisHrJuicht wird; 
es kann darauf hingearbeitet werden , dasz der druck vermieden wird, 
die pröfung in religion richtet Hasper geradezu so ein, dasz auswendig- 
lernen den sehülern nichts nütst; ein kurzes susammenfassen in ge- 
wissen Zeiträumen kann aber nur nützen. 

Dir. dr. Fries- Halle hält dafür, dasz die Icluft zwischen prima 
* und Universität nicht so grosz sei, wenn der Unterricht in verständiger 
weise geleitet werde und, wie Hoppe iMrelts betonte, auf bildung des ur- 
teile rücksicht nähme; namentlich geeignet erscheint die deutsche lectftre« 
religion möchte Fries beseitigt sehen; die prüfung in der geschichte 
kann zeigen, dasz der sehüler eine übersieht über das ganze gebiet 
des erlernten sich verschafft hat. 

Dir. dr. 8 teinm ey er- Aschersleben weist auf die dispensation Ton 
, der mündli<dien prüfung hin; die priifung selbst trifft also nur die 
ßchwächeren; es empfiehlt sich, diese auf die facher hin zu prüten, 
wodurch sie ihro geistige thätigkeit darlegen sollen, und wenig auf 
solche zu geben, in denen gedächtnismäsziges einpauken befürchtet wer- 
den mosB. ^ 

Dir. dr. Jänicke-Ereuzborg befürwortet eine prüfung in der ge- 
Bcliichte; im imterrichte selbst musz schon d?irauf gesehen werden, dasz 
die grundbegriöe in das Verständnis übergehen und in den köpfen sitzen. 

Hofrat dir. dr. Weniger-Weimar ist im wesentlichen mit Caucr 
sinyerstanden, empfiehlt jedoch hinsichtlich der geschichte heschrftn- 
keag des Stoffs und abschaffung des geographischen Unterrichts in den 
oberen classen. in der prüfung soll man sich beschränken auf das 
pensum der prima; Wiederholung und prüfung in alter geschichte ist 
wegzulassen, die prüfung in religion kann füglich unterbleiben aus 
den Ton Cauer bereits angedeuteten gründen; aach hinsichtlich des 
deutschen schlieszt sich Weniger in den wesentlichsten punkten an 
CHTier an; schon vor dem examen musz das Votum festgestellt scin^ da 
Zufälligkeit beim examen eine grosse rolle spielt. 

1^ der debatte antwortet Cauer hinsichtlich einiger punkte herm 
dir. dr. Fries und schulrat Hoppe. 

Nach schlusz der allgemeinen discussion beginnt die abstimmung 
über die dritte these. 



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134 Bericht über die verhaadlungen der 40n Tersammltmg 



Dir. dr. We i ck e r- Stettin weist zunHcTiPt darauf hin, dasz die 
these nur vom gymnasiiim handle, nicht aber vom realgymnasiiim ; auch 
inhaltlich bedürfe sie einer erwäguug wegen beseitiguug dea franzö- 
siflcheo. die TorgeschlHgenen ftteher seien iioeh nicnt reif enr eHmi- 
nation, wobl aber könne anf eine. mildere handhabnnp bedacht genom- 
men wcrflon. 

Ks liegen zwei thesen vor, die von F ritsche und Mol 1 e r (C a u er 
hatte die eignen ge^en Fritsche zurückgezogen); diesen fügt Weniger 
noeh hinzu: 1) soll die prttfnng in religion wegfallen; 2) soll die hiato» 
rieche prüfung sich nur beschränken auf den TehrstoflF der prima. 

Rector dr. S c Ii u p e r- Nauen stellt die these: 'bei fortfall der prüfnng 
in religion ist dafür zu sorg'en, dasz die von oberöccunda nach prima 
zu versetzenden Schüler ein gewisses aiasz von positiven kenntuissen 
fest im gedäditnis haben/ 

Fritsches these wird mit 36 gegen 80 stimmen angenommen; die 
thesen Schapers und Mollers werden abgelehnt; Wenig ers erste- 
these ist erledigt; die zweite wird mit 35 gegen 32 stimmen abgelehnt. 

Der Vorsitzende spricht dem redner für den interessanten and an- 
regenden Vortrag seinen dank ans; die versammlnng dankt darch er- 
heben von den pIStsen. 

Zweite sitsaog, freitag den 4. oetober Yormittags 9 nhr. 

Herr prof. dr. Uhle -Dresden spricht fiber *die Wichtigkeit dei^ 

wortbildungsieh ro für den griechischen uftterricht'. 

T^io bedcntung der worthildungslehre , die in der praxis des untei^ 
richte im groszen und ganzen noch beiseite g'elassen wird, ist eine 
doppelte: sie ist zu betrachten nach den gesichtspunkteu des sprach« 
▼ erständnisses nnd der wortaneignung. 

Verschiedene stnfen des Sprachverständnisses sind an untersehMden: 
das sinn- oder gedankenverständnis im p-anzen, das Ter- 
standnis der einzelnen worte und das so^. grammatische 
Verständnis, welches auf kcnntnis der üexionen und satziLiguugea 
beraht. aiel des Unterrichts ist» die schUler bis au dieser dritten Stalls 
an führen. 

Neben der p^rammatik, dem gesetzbuch der Spruche, ^ibt es aber 
auch ein lexikou, welches gleichsam der volkvskorper ist. deswegen 
musz zum grammatischen Verständnis auch das lexikalische kommen, 
welches somit die vierte stufe des sprachlichen Verständnisses darstellt. > 

Da durch. Übersetzung vielfach ein wort nicht genügend wieder« 
gegeben werden kann, musz die etymologie hilfe leisten, welche die 
grund Vorstellung und die wege und stufen zeigt, durch die die spräche 
Ton der sinnlichen anschaunng an einem abgeleiteten oder anearmiDeii* 
gesetzten begriff gelangte, mehrfach abgeleitete begriffe sind wie afttze 
zu betrachten, denn muli liir-r I rsteht eine veroinigunpf mehrerer be- 
griffe; an dem worte döujpoöÖKr|TOC erläutert rcdnor eingehend seine 
ansieht, namentlich die dichtersprache ist ohne keuntuis der Wortbil- 
dung und ohne einblick In die werkstätte des spraehmeisters nlidit ver- 
ständlich, spraehvergleichende wortdeutung stellt eine noch höhere stafe 
des verstiindri^^'es dar, die des sprach wisse nsrliaftHchen; von einer 
berücksiclitlLning dieser stufe sieht aber redner ab. für die erkenntnis 
der Wortbedeutung sind drei punkte von Wichtigkeit: 1) richtiger 
begriff von ableitung überhaupt, 2) einhalten der richtigen 
reihenfolge beim ableiten, 3) festhalten an den eigent* 
liehen bedeutungen ohne unnötige Übertragungen förf^in- 
zelne stellen der s c Ii r i f ts t e 1 1 e r. von ableitunpf kann nur dann 
die rede sein, wenn der fragliche wortstamm den andern wortstaaim 
in sich enthält, von einfacher ableitung ist zu unterscheiden die za« 
sammcnsetzung und die ableitung von dieser, besonders zu beaobtea 
ist Lobeoks praeceptum regium, dasz verba nur mit {^äposttionen ma" 



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deatficher pfaflologen und sdhuimaDner za 65rlitB. 



sammcrt^rPfip'tJ^t worrlon dürfen, am beispiele «KaK0\5pYr|Mft'^ ^eist re<1ner 
die wiciititjkeit der beobachtun^ einer richtigeu reiheotoige nach und 
zeigt, wie verkehrt und nachteilig os ist/zwisuhenstufen zu ilberspringen. 
die fehlerhaftigkeit und Schädlichkeit ungenauer angaben wird beleuchtet 
durch das beispiel «öveipoiröXoo (nöXoc ist nicht von iroX^u) abzuleiten, 
fondern das umgekehrte Verhältnis findet statt), bei der worterklärang 
ist also zu verlangen strenges festhalten des richtigen be~ 
griffe der ahleitnng and klare unterseheidang der ans- 
drücke: abgeleitet, zasammengeeetzt, von zasammeDeetsnng 
■^Vi^eloitet nnrl 2) stüfcnwciso?; etymologisieren, so wird auch 
am sicliersten Sprachgefühl erzeugt, welches oft das lexikon ent- 
behrlich macht, ein fehler der Wörterbücher ist, dasz nicht genug an 
den wirkliehen bedentiingeti der wdrter festgehaltea wird, s. b. 6p06> 
Kpatpoc von rindern 'gradhornig', von schiffen ^krom ms ch näb Ii g'; 
'.in f w ilr t p-crirhtct' ymcst für beide begriffe, verwerflich ist fli'o 
aufstelliing besonderer, (iem nrbofrriflf*» fernliegender bcdeutunpfen für 
einzelne »telleni die schuld iiierau Uageu iu uratur iinie die erklärer. 
ilbenetsuBgen flir ganze redeneartea sind für den lernenden Tielfach 
ungonstig, da er oft die entstehnng nicht darchschaut. 

Die zeit, die auf iintorweisnn^ in der Wortbildung, dem sichersten 
Gegenmittel gegen die p:enanuten {Schädlichkeiten, verwandt wird, ist 
keineswegs verloren; kenntoiä der Wortbildung ist vielmehr ein er- 
leichtecBngsmittel für aneignnng des wortschatses. die wortbUdang 
lernt sidi aber nicht von selbst; ohne Unterweisung wird keine Sicher- 
heit erreicht, die sache in der gchtile zu behandeln, ist gar nicht so 
schwer oder zeitraubend, bei einübung der declination und conjugation 
bedarf es oft nur eines leisen Winkes, um das Verständnis in dieser 
hinsieht za wecken; weiteres wird bei der leetttre gelernt, sohliesalieh 
erfolgt einmal, vielleicht in nnterseconda eine syitematisebe Wieder- 
holung dieses ganzen capitels. 

Die von prof. dr. Uhle aufgestellte these lautet: die wortbil- 
dnngslehre ist aU ein wichtiges fördernngsmittel des wirk- 
lichen saehverständnisses nnd als ein erleichterungs mittel 
für He aneignung des Wortschatzes in den lehrplan des 
gymnasiums aufzunehmen. 

Nach einer eingehenden discussxon, an der sich die herren Ober- 
lehrer Ca n er- Kiel, dir. Weiekert, Stahlmann, reetor dr. Schap or, 
prof. dr. Imelraann, dir* dr. Thiele, prof. Stier und der vortragende 
betnilic-en, wird din these in veränderter form 'die wor t b ildungs- 
lehre ist als ein ^vichtiges förderuugsmittel des wirklichen 
sachverstuudiiitities und als erleich teruugsmittel für die 
aneignang des wortsehatses im nnterricht gelegentlich zu 
herGeksielitigen' angenommen. 

Der versitzende «spricht sodann dem redner den dank der secfion 
SQt für seincu interessanten vertrag. 

Es folgt die gedächtnisrede auf Eckstein, gehalten von herrn 
Oberlehrer dr. Heyden •Zittau. 

Pietät zu üben gegen tüchtige männer ist immer eine aufgäbe der 
Versammlung der philoTog:en p;^ewesen. vier jnlire schon deckt die erde 
Eckstein, zn dessen andenken in Zürich nur kurze ehrende worte ge- 
sproeben wnrden. die pflicht, dem verewigten einen eingehenderen 
nachrnf zu widmen, erfüllt die 40e Versammlung, vortragender, der in 
den letzten lebensjahren Ecksteins fast täglich mit ihm zusammen war, 
beschränkt sich darauf, nur ein verdienst, eine seite seineö wirkens 
hervorzuheben, seine bedeutung nnd seine thätigkeit in dem 
vereine dentseher philologen nnd schnlmlinnev* 

Ecksteins beteilignng an den philologenversammhtngen fftUt in die 
zeit srinrs HallpRcbeu rectorats und in die Leipziger zeit, die erste ver- 
MiDinlung, die Eckstein besuchte, war die siebente in Dresden (1S44), 



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136 Bericht über die verbancUaDgen der 40ii ▼ergammlppg 



1884 besuchte er die siebenunddrei szigste in Dessau; vierzig 
jähre lang beäuchte er die Tersammlungeu regelmässig mit ausnähme 
der Sin hi Tübingen; in ihm war die §b«r1ieferang des Tereins yer- 
körpert; er war aer luittelpunkt und die secle des ganzen, nie ver- 
fehlte man, ganz besonders ihn zu hören; in den commissioneu lag- da- 
her ein teil seiner besten thätigkeit. in der commission für die wähl 
des nächsten Versammlungsortes war er seit 1846 ständiges mitglied; 
acbtsehnmal referierte er, meist in feiner, witslger weise, an der 
revision der Statuten nahm er regen anteil; die Berliner Statuten 
redigierte er wesentli^'h ; fripich beteilipfto er sich auch an der debatte 
und g-ern hörte man ihn. im gegensntz zu Firnhabers Vorschlag' 
(namentlich eine dauernde mitgliedschait betreffend) erklärte er, er 
könne sieh nicht entsebliesxen, die freie wanderrersammlnng dadurch 
za fixieren, dasz eine förmliche mitgliedsehaft constituiert werde, nur 
eine Änderung' des bisheritren verfahren« wurde beschlossen, versuchs- 
weise den ersten und vierten tag zu allgemeinen Sitzungen zu verwen- 
den, den zweiten und dritten aber den sectionen ausschliesziich zu über- 
lassen, um die mitglieder bis xum sehlnsz der yersammlung festsnhalten» 
für aufrechterhaltang der Statuten trat Eckstein auch in Heidelberg 
ein, wo es sich um die sectionen handelte, mit rücksicht auf die Sta- 
tuten war er gegen gründung einer archäologischen section; die vor- 
bereitenden schritte für endgültige bildung derselben that erst 1862 
prof. Urlichs in Augsburg, nachdem die bildung einer germanistischen 
gutgehciszcn war. Eckstein strebte vor allem nach Vereinigung-; durch 
bildung einer gröszern anzahl von sectionen befürchtete er mit recht 
sooderung. auch die revidierten Würzburger Statuten (1868) hat er im 
wesentlichen besorgt, ab hervorragende neuerung bezeichnete er als 
referent selbst die grossere freiheit in bezug auf bildung der sectionen; 
von ihm stammt aber auch die forderung, fl isz eine section nur zu- 
sammentreten dürfe, wenn sich 20 teilnehraer tiindcn, und dasz die 
section erst dann vollberechtigt sei, wenn sie in drei auf einander fol- 
genden Versammlungen su stände gekommen sei» hinsichtlich einer 
grossem thätigkeit in den sectionen bestimmte er genauer die für die- 
selben geeignetste arbeitszeit. im interesse der Statuten wirkte Eck- 
stein noch in Rostock und zuletzt in Dessau, wo er als referent 
beantragte, dasz der verein sich in ein- oder zweijährigem Zeiträume 
versammeln sollte. 

Nicht nur als commissionsmitglied , sondern auch als secretär der 
allgemeinen Verhandlungen widmete er dem vereine seine kräfte; der 
pädagogischen section präsidierte er achtmal; dreimal lehnte er ab; als 
zweiter prisident fungierte er in Altenburg und Leipzig, auch 
wenn er nicht prSsident war, unterstützte er die, welche geringere er- 
fahning hatten, mit sicherem blick verstand er es aus einer groszen 
zahl von thesen die nutzbringendsten herauszugreifen; mit frischen be- 
merkuugen belebte er die besprecbnngen; mit witzigem worte führte 
er redner, die sieh von der Sache entfernt hatten, zurück, üi allen 
föllen wirkte er anregend und beiehrend, da ihm namentlich eine er- 
Staunliclie kf nntnij; alter und neuer schuleinrichtnnpen zu geböte stand. 

Eckstein w ir von unbegrenzter Verehrung für die groszen mcister 
der wissenschait und der schule beseelt und zeigte aufrichtige dank- 
barkeit für alles, was ihn erfreute und beglückte, nicht nur gedächtnis- 
reden hielt er — auf Thiersch, Rost, Ddderlein und Kitsehl — 
sondern auch lebende wurden auf seinen antrag* durch anerkennungs- 
schreiben geehrt, dankbarkeit bewog ihn auch bei vielen Versammlungen 
das schluszwort zu reden; dankbarkeit leitete ihn auch, als er sich 
entsehloss, Johannes Sturm gegen den tadel Karl von Räumers 
in schütz zu nehmen, so oft er sprach, erntete er reichUehea beifall* 
während er den allfremeinen sitzung-en im wesentlichen nur als zu- 
höret seine aufmerksatukeit widmete, beteiligte er sich aufs regste an 



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deutscher philologen und Bchulmänner zu GOrUtae. 



187 



den Terlsandlnngen der pädagogisehen seetion. die meisten seiner 
theeen bezogen sich auf die unterrichtsföcher des gymnasinms ; man 
verhandelte über den lateinischen elemeritnninterricht, vocabularien, 
lateinische Orthographie, Uber die these 'JSepos ist hIb koabenlectüre 
beizubehalten', über ausgaben mit anmerkungen verglichen mit text- 
ansgaben, über den lateinischen anfiats nnd das lateinsprecheo n, a. 
auf Ecksteins anregung gab die preuszische Unterrichtsbehörde den 
plan, den lateinischen aufsatz für die maturitätsprüfimg abzuschaffen^ 
auf. die absiebten, von denen er sich bei der beteiligung an der debatte 
Hier den lateiniselien und grieeliiflchen nnterrielit leiten Itesz, ergeben 
sich aus seinem buche 'der lateinische unterriebt' und der un- 
vollendeten Schrift 'über den griechischen Unterricht', nicht 
minder brachte Eckstein den thesen über den Unterricht in der deutschen 
spräche, der matbematik, pbjsik, der geschichte, sowie dem Unterricht 
im tnmen reges Interesse entgegen, viele von seinen Snsaernngen sind 
perlen pädagogischer erfahrung; alle wichtigeren fragen des scbmlebens, 
'die mündliche abiturientenprüfung', 'die allgemeine anerkennung der 
Zeugnisse in den verschiedenen deutschen sta iteu', 'überbürdung*, 'schul- 
reform' u. ä. , berührten ihn lebhaft, anziehend und belehrend sind 
famer Eekstelns ftnssenmgen Qber die wissensebaftlicbe nnd praktische 
aasbildung der sobnlamtseandidaten; immer nnd immer betonte er die 
notwendigkeit des Studiums dor päda^ogik. in warmen werten empfahl 
er zuletzt noch in Dessau Kehrbachs ''monumenta Germaniae paeda- 
gogica' als bausteine zu einer geschichte des gesamten deutscheu uuter- 
riebtS' nnd ersiebnngswesens. 

Neben dem cufiqnXoXoT€lv scbätste Eckstein aber auch den manig- 
fachen verkehr, zu dem die Versammlungen gelegenheit bieten; die be- 
dentung desselben faszte er in schönen, begeisterten worteo zusammen 
in der jnbilänmsrede in Halle, wie er beim cujiqpiXoXoYetv noter den 
ersten war, so war er beim convivinm nnd cu|itcöciov nicht der letste» 
in späteren jähren war er immer der mittelpunkt kleinerer conventicula, 
weiche der Wissenschaft und schule oft mehr »ewinn getragen haben 
als die gelehrtesten vortrage und die eingehendste discussion. auch 
die freaden der festfahrten nnd der festtafel verscbmühte er nicht; bei 
letsteren war w besonders beliebt als redner. 

Eckstein vereinip-te in vollendeter weise in seiner person die beiden 
zwecke der versammlunfifen : wissenschaftliche anregungen ZU geben 
nnd persönliche bekanutschafteu zu vermitteln. 

Sedner sehlosz seine von inniffer pietSt getragene rede mit der 
mabonag, die Eckstein in Halle an die jüngere generation richtete, ala 
«r alle seine wünsche für den verein in der aufforderung zusammen- 
faszte, die erbschaft der älteren anzutreten, statt der g-ebenden 
empfangende zu werden zur ehre des Vaterlandes, zur förderuug deut- 
scher Wissenschaft nnd tficbtiger hnmanistascber jugendfaildung. 

Der vorsitsende spriebt dem redner den dank der Versammlung ans 
und bittet die anwesenden, das andenken Ecksteins durch erhoben von 
den sitzen zu ehren, nachdem dies geschehen, schlieszt^ er die zweite 
Sitzung der pädagogischen section. 

Dritte sttsnng, Sonnabend den 6 october vormittags 8 nbr. 

Herr dr. Lehm ann- Berlin spricht über das theraas ^was soll 
nnd was kann der deutsche Unterricht leisten?' 

Seine in freiem vortrage über ziel, aufgäbe und methode dieses 
naterrichtsgegenstandes entwickelten an»chten faisste der redner in 
folgenden tbesen snsamment 

1. Drei stufen des Verständnisses können der schal- 
mftszigen Interpretation elasaischer litteratttrwerke als 
lehrxiel vorsebweben: a) das nnmittelbare oder anscban- 



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188 Bericht über die verhandlimgen der iOn Tawammlang 

liehe, b) das historiseh^genetisohe, c) das kriiiselie ▼er* 
Ständiiis. 

2. Das anschauliche Verständnis hat für den deut- 
schen lectüreunterricht in den anteren und mittleren 
elassen, das historische für den der oberen olassen den 
massgebenden g^esichtspunkt zu bilden, das kritische 
Verständnis liegt ausserhalb des bereiohs des gym- 
uasialu n t errichts. 

3. Eine entsprechende dreiteilnng Ittsst sieh anoh 
auf den betrieb des deutschen aufsatzes und der gram- 
matik anwenden, auch liier bezeichnet die mittlere 
stufe das ziel des gymnasialnnterrichts, so dasz in dem 
gesamten deutschen Unterricht eine zweifache abstu- 
fung der lehrsiele und methoden durohsaführen ist. 

In der sich anschlieszf nden discussion befürwortet rector S ch a p e r 
die berücksichtifl^ung der prosaischen lertiire, namentlich der schrift- 
steiler des vorigen Jahrhunderts; wünscheuäwert erscheint es ihm auch^ 
die sahl der stunden für das deutsche eu vermehren und das mittel- 
hochdeutsche wieder anfsnnebmen. 

Director dr. Fries macht einige bedenken gegen den vortraonenden 
geltend; derselbe habe den ästhetischen Standpunkt völlip; austjeschloasen; 
conceulriöche kreitie für die lectüre vorzuschlagen erscheine bedenklich 
wegen der menge des Stoffs, der dadurch beschränkt werden mttsse, und 
wegen des mangels an zeit. 

Oherlehror dr. Bottich er wünscht wiedereinrührung des mittel- 
hochdeutschen, wenigstens lectüre des Nibelungenliedes und Walthers 
von der Vogel weide im urtext; auch die ältesten werke sind womög- 
lich in den Unterricht aufsunehmen. aus diesem gesichtspunkte ist die 
Zusammenstellung von Kinzel und Bötticher hervorgegangen > deren 
prospect znr Icenntnisnulime empfohlen wird. 

Dr. Lehmann erwidert auf die entgegnungen des herrn dir. Fries 
einiges zur begründung und reehtfertigung seiner aasführungen. 

Nachdem der Vorsitzende dem redner den gebührenden dank aus- 
gesprochen hat, folf^t der Vortrag; des herrn dr, D r a Ii e i m -Berlin über 
^dio notwendigkeit des richtig behandelten lateinischen 
auf s atz es'. 

Die angriffe auf den lateinischen anfsats, obwohl längst widerlegt« 
haben sich immer wiederholt, weil sie nicht unberechtigt waren; die 
vorschlage cur abhilfe haben wenig genUtst, weil sie nicht ausgeführt 

wurden. 

Die vorwürfe: überbürduug, zwecklose dressur, piirascnmacherei^ 
erfolglosigkeit treffen nicht den lateinischen aufsats, sondern nur das 
Zerrbild desselbeUi dasz dieses Zerrbild auch heute noch existiert trots 
der lehrplUne von 1882, lehrt ein blick in die selmlpropframme, in denen 
sich thematu liuden, die in form und Inhalt au den Schüler forderuiifrea 
stelleni die weit über das hinausgehen, was von einem abiturienlen ver- 
langt werden darf. 

Die misgriffe entspringen einerseits dem eifer, alles aufs beste sa 
machen, anderseits dem streben, dem wirklichen oder vermeintlichen 
ziele des deutschen aufsatzes gleichzukommen, der lateinische aufsatz 
soll und musz bescheidener sein, mehrfach machen sich auch die nach* 
Wirkungen der zeit geltend, in der die üluu^ im gebrauch der spräche 
noch eine umf;iiigrcicherc war. die lateinische freie arbeit musz in 
orpranischem zusammenhange stehen mit der entwieklnng des schülers, 
mit dem lateinischen Unterricht und mit dem ziele des gjmuasiums, 
schon auf der untern stufe darf der schfiler nieht durch grammatische 
Quälereien, durch inhaltlose, nur der grammatischen Übung gewidmete 
sätie verbittert werden, das übersetsen aus Caesar wird ihm eine 



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deatBcher philologen and schalmännev ta GOrlits, 



1^9 



freade sein, wenn er das in der woche gelesene gewissermaszen selb- 
sündig anwenden kann, wenn ein entsprechender tezt für diese an- 
Wendung ihm geboten wird, das extemporale, auf diese weise einge* 

richtet, bnfestifft g-leichzeitig die lectüre. nur die methodo, die lehr- 
principien sind t?s, die einer reform bedürfen, für den secundaner, der 
eine verständige Inhaltsangabe aus Caesar oder Livios zu machen ver- 
slebt, mnaa das eztemporale ein Icleiner anfsato sein, den der lelunr 
entwirft; derselbe mnsz ein ganzes bilden mit einleitung* hanptteil, der 
in zwei oder flrnt abschnitte fzerrlHwlert ist, iirifl schln«:^. r!nsz dem 
Schiller bis zur oberprima nur gestattet sein sollte am giinj^elband eines 
deutschen textes zu gehen, yerstöszt gegen die grnndregeln aller päda- 
gogik. tttlistisahe ttbnngen dürfen jedoch nicht anf hören; die freie 
. arbeit ist aber das leichtere, was der schüIcr weisz, kann er in dieser 
zeigen, während er durch die stilübnng leicht genötigt wird, zn be- 
kenn<«n , was er nicht weisz. 

Die freien lateinischen arbeiten der obersecundaner sind im wesent« 
lieben wiedergaben dea gelesenen, die eine angenehme abwecbslnng 
gegenüber den ezercitien und extemporalien bilden und bei methodi- 
scher anleitang nicht mehr zeit als jede andere h'ausliche Schreibarbeit 
zu zwei Schulstunden erfordern, in der prima wird selbstverständlich 
der nrafang der arbeiten grösser werden, da mehr gelesen wird und die 
geeiehtspnnkte allgemeiner werden* bei diesen arbeiten mnsa der sohfiler 
seine eigne kraft, seine erworbenen kenntnisse verwerten, er darf sich 
nicht auf hilismittel verlassen — ein solches ist auch namentlich das 
deutsch-lateinische lexikon — ; wenn er von vorn herein gewöhnt ist, 
seine krilfte richtig ansnwenden, bedarf er der stütsen nidit. 

Der nutzen der freien arbeiten ist für-«den schfiler ein doppelter: 
der Schüler lernt seine kräfte g-rbr;iuchen und vertieft sich in den 
Inhalt des gelesenen. «^gleichzeitig befestigt er sich im gebrauche 
der spräche und vergroszert seine fähigkeit für das Verständnis der 
lectüre. 

Entsprechend der abstufung, die zwischen den sprachen: deutsch, 
lateinisch, griechisch, französisch, htturiisch besteht, die redner des 
genauem darlegt, ergibt sich für das examen die forderung: im deutschen 
ein aufsatz, nu lateinischen eine freie arbeit im engäten anschlusz an 
die lectüre des leisten eemestere, im griechischen eine schriftliche Über- 
setzung, im französischen eine mündliobe, wKhrend die hebrüsobe arbeit 
fteultativ bleibt. 

Der lateinische aufsatz geht über das ziel des gjmnasiums hinaus, 
wenn man aus einem andern gebiet, dem geschichtlichen oder philo- 
sophischen oder ans einer andern litteratnr einen gegenständ lateinisch 
behandeln läszt, da es an einem wertschätze fehlt, der dafür zu geböte 
stehen mtisz. der fortschritt des Schülers in prima darf gegen den an* 
fänger in obersecunda nur ein intensiver sein, nicht ein extensiver. 

Der einwand, die saehe werde anf diese weise su leicht, ist nicht 
berechtigt, wenn man auf den durchschnitt der sohüler rücksieht 
ninimt. durch beseitigung der freien lateinischen arbeit glaubt man 
die klag^en abzuschneiden; man will sogar dem lateinischen Unterricht 
ein paar stunden nehmen, um sie auf andere fächer angeblich besser 
siTcrwenden. das lateinische kann aber keine stnnde abgeben; grössere 
fsrtiefiing in die lectüre ist untiin^riich, wenn man das sicherste mittel 
ssn dereelhon wegninunt. aufir ^le der lateinlehrer und der directorcn 
ist es, dafür zu sorgen, dasz klay^en über misgriflFe hinsichtlich dieses 
regenstandes vorgebeugt werde und dasz durch verständige anleitung 
die schlier dahin gebracht werden, befriedigendes sn leisten; nnbefügten 
sber steht das recht nicht sn, Torscblitge sur ▼erbeseemng des nnter- 
ricbts zu machen. 

Das resultat seiner erörterungen faszt redner zusammen iu die 
Worte: ^die freie lateinische arbeit ist notwendig, weil sie dem fort- 



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140 Berieht Aber die Yerhandlimgen der 40ii yersammiung 



Bohreiten äw sclialers, dem sweeke des firymaasiams und der aatnr- 
gvmätsen Stellung des lateinischen in demselben entspricht»' 

An der dt l .itte beteiligt sich zuuächst dir. dr. Fries; seiner ansieht 
nach ist darauf hinzuarbeiten, dasz ein gewisser flusz in die darstel- 
long kommt; der lateinische aufsatz will aber auch yorbereitet sein; 
diese Torbereitunges bestehen im lateinischen sprechen und schreiben 
(extemporalien mit gewissem Zusammenhang). 

Rector dr. Sc ha per legt protest ein gegen die an grosae herab- 
Setzung des lateinischen scriptnras. 

Dir. dr. Haäper niüchte, was den stoff der lateinischen arbeit betrifft», 
aneh den griedxischen Unterricht und den Unterricht der alten gesehichte 
verwendet wissen, in tthnlichem sinne Üusaert sich Oberlehrer prof» 
Stier- Wernigerode. 

Oberlehrer Cauer hält es, im interesse der Schulung des geistes^ 
für angemessen ) dasz zuletzt auch ein aufsatz gemacht werde fu»er ein 
thema, das nicht gelesen ist. 

Prof. dr. Im el mann bezeichnet als kernpunkt die frage^ ob der 
lateinische aufsatz in das abiturientenexamen gehört. 

Dir. Bühl teilt im wesentlichen die an sichten von Fries; erweist 
aber darauf hin, wie schwer es sei dieselben durchaufUhren, 

Dir. Weiker und Oberlehrer Cauer halten das Vorhandensein 
zweier lateiniecher arbeiten beim nbiturientenexamen , schon im inter- 
esse der compensatio!), für wesentlich; auch der sohüler kann hierdurch 
nur gewinnen. 

Für das eztemporale tritt entschieden ein dir. Fries; darauf au 
sehen, dasz im lateinsprechen Übungen angestellt werden, ist seiner 
ansieht nach aufg-abe der directoren. 

Nachdem schlieszlich noch dir. Fritsche der beibehaltung des 
lateinischen aufsatzes das wort geredet hat, spricht der Vorsitzende 
dem vortragenden für die anregung und belehrung den geziemenden 
dank aus. 

Zum schlnsz dankt dir. Fries den herren Präsidenten in herslichen 
Worten für ihre mühewaitung. 

Philologische section. 

Zu Vorsitzenden der section wurden in der constituierenden Versamm- 
lung am 3 october die vom präsidium bestimmten herren director dr. 
Müller-Breslau und director dr. Ob er dick- Breslau gewXhIt; das 
Schriftführeramt übernahmen dr. Bossbach^Breslau und dr. Baier- 
Sagan. 

Nach einigen kurzen mitteiiungen über mehrere Schriftstücke, die 
als gcschcnke eingegangen waren, erteilte der Vorsitzende herru prüf, 
dr. Hilberg aus Caernowitz das wort zu seinem vortrage 'über eine 
sprachliche eigentümlichkeit in Giceros sehrift de inven- 
tlone *. 

Dil sonst Cicero so geläufige bindepartikel 'que' findet sich nur 
in wenigen stellen der sehrift de inventioue; auch diese wenigen stellen 
sind zum teil su eliminieren, die stelle 1, 19, S7 kommt als dtat aus 
Terenz nicht in betracht, ebenso wenig 2, 50 148, als entlehnung aus 
Coriiiticius. auf dieselbe quelle geht auch die stelle 1,64,104 zurück; 
aus fingierten reden entlehnt sind die worte 1, 34, 60 und 2, 32, 98. 
falsche lesart liegt vor l, 18, 26, wo statt 'proptereaque^ ^propterea 
quod* zu lesen ist. somit bleiben nur 6 belege für que übrig: 2,63, 160 
'rernm bonarum et raalarum neutrarumqne scientia', wo neutrarumque 
nach ansieht des redners als einachiebsel zu streichen ist; in der stelle 
2, 7, 24 wird que als dittographie des folgenden quae aufgefaszt; in 
den Worten 2, 5, 19 ist aflPectionemque vielleicht nur eine erUKrung 
des ansdrucks commotio. das vierte und fünfte que steht &S, 161; 



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deutscher pliilologen und schalm&nner zu GOrlitat. 141 



an (\en lesarten ^patrlaeqtie^ und 'eaerimoniatnqiie* wagt jedoch redaer 
nicht eine änderun^ vorzunehmen. 

In der sich anschlieszenden debatte macht dir. dr. Heine-firanden- 
bütg darauf aafinerksam, dass die cneammenstelluDg von bona, mala 
und neatra (oöbdrepo) der etoiBoben lehre gemäsz sei und dass die 
empfohlene ^^treichnng des ncutraniinqne 2,63, 160 mit rüeksicht hierauf 
nicht zu billiireii sei. 

Kedner eriilärt sich dankbar hiermit einverstanden. 

Hieraa seblieast sieh der Vortrag des berrn dr. Immisch aus 
Leipzig über ^den Ursprung der elegie'. 

Nachdem re<lner in der einloitnnfr finf die litteratur dieser frage 
hingewiesen, bs tont er, dasz die elegie nicht erfunden, sondern ge- 
worden sei, daä2^ die notizeu der alten über die eupcxai nur ein versuch 
•den, tinen festen und bequemen ausgangspunkt zu gewinnen, 

Ist es erweislich, dasz die elegie nicht erfunden, sondern geworden 
ist? gegen Cäsar, den hauptvertreter der erfundenen elegif', Ii r das 
distichon als eine bildung des Arcbilochos auffaszt, ist einzuwenden, 
dasz der pentameter durch Verdoppelung der volkstümlichen daktylischen 
penthemimeres entstanden ist. der pentameter kommt als selbständiger 
vers vor z, b. bei Stesichoros und auf den hermen des Hipparchos; 
auch die ionica des Fanyasis waren irevTafi^Tpiij verfaszt, sowie der 
bymnus auf Thetis, welcher in Heliodurs roman eingelegt ist. 

Der pentameter als selbstSndiger lang\ ei s gieng verbindnngen freier 
•it mit dem hexameter ein; durch Ordnung und einfiihrung eines festen 
und regelmäszigen wechseis entstand das elegische distichon 

Der pentameter ist der eigentliche träger des iXcTCiov; hinsicht- 
lich der Sphäre, in der er entstanden, besagt eine alte bypothese, dasz 
er seine wuraeln im 6pf)voc habe; im altertum ist dieselbe Tertreten 
durch Horas und Didymos. in der guten zeit bedeutet ^XeYOC in Attica 
einen klagegesang ohne rücksicht auf die ^'er'?form. die elegie ist nach 
der hellenistischen hypothese aus den ^Aexoi entstanden; ^\6yoi von 
^Aefe'iu zu trennen ist unmöglich und unnatürlich, der helleuiötischeu 
bypothese entspricht auch durchaus der Sprachgebrauch der hellenisti- 
schen difditer und der Römer, ^die elegische gedichte tbrenodischer wie 
nichtthrenodischer art fiXcTOi, elegi nennen, der gewährsmann jener 
hypothese ist Euripides; vgl. Iph. Taur. 143 ff., Troad. 119 ff. derselbe 
bietet auch das erste sichere beispiel einer threnodischen elegie in der 
klage der Andromache (108 ff.), das wort IXCYOC gehört, der alten 
aolodie an, die im innigen Zusammenhang mit dem Gpf^voC steht, wie 
am beispiel des Pallashymnos des Kallimachos und am mythos von der 
Alcestis nachgewiesen wird, unter den alten vöjiAOl müssen einige den 
Hamen des Pbrygiers Olympos getragen babeu, der auch als elegischer 
dichter erscheint, und dies weist nach Asien, wo schon die alten in 
den totenklagen den Ursprung der elegie suchten, diesem erklärungs- 
versiirlj stehen aber zwei schwere bedcnkeu entgegen: dem Inhalte 
uacli Ktebt der düsteren gattuug schon früh eine frohe oder leiden- 
sehaflHehe gegenüber; auch hinsichtlich der form zeigt sich die doppelheit. 

iHt es nun möglich, die beiden g^etrennten Strömungen bis an eine 
qnt-'le /n verroliren? dieselbe entdecken wir in der Vermischung wilder 
traucr mit üppigem sinnrausch, wie sie dem semitischen culte eigen 
i»t uud im äfpaviC^öc und der eupecic des Adoniscults zum ausdruck 
kam. der erfinder des iXet^ov, Theokies aus Cbalcis (nach Suidas), 
hatte beziehungen zu den Opf^voi des phönizischen Lines (aus Chalcis) 
und zu dem unzüchtigen cult der phönizischen Aphrodite als oikist 
▼on Naxos. die obige auffassung findet auch ihre bestätigung durch 
die sage von der raserei der Proitidinueu (Kelainis und Elege); auch 
ist SU erwühnen, dass die karischen m^T) — in Alezandrai am Latmon 
war ein gefeiertes Adonion — für threnodisch galten. 

Der weitverbreitete betrieb des Adoniscultus läszt denselben ge- 



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142 Bericht über die Terhandlnngen der 4Qsl yerBamnilimg 



eignet erscheinen, träger (ler ele^ie sn sein, samsl da »ach die metri- 
Bchen Voraussetzungen zutreten. 

Mit der erklärang der sache stimmt auch die worterklärang in er- 
freulicher weise. Usener liat bereits mvf die etymologische verwandt* 
Schaft zwischen ^Kefoc und cdXaYOC, caXatetv, CaXaßaKX^ü hingewiesen; 
diircli eine p;lo88ographischc notiz wissen wir, das'/ Annkreou das wort 
caAaiC£iv (von caXafetv: stuprare nicht zu trenneu) im sinne von 
«6piiv€iv» gebraucht 

Das resultat seiner betrachtuDg faaet redner zuBamioen in dem 
scbluszsatz: ^Im aulodischcn vöjuoc setzte sich die threnodieohe, in der 
elegie des Arehilochos die frohe seite des cultus fort.' 

Zum schlusz behandelt herr privatdoc. dr. 81 ttl- München die fmge: 
*wa6 ist Tol^ärlatein?' 

Dem Vulgärlatein (eermo vulgaris, s. Tolgi), der spräche der g^e- 
meinen leute , steht frefr^^nüber die latinitas; ersterc hatte mafiigffnche 
ahstuftinnren , je nachdem der Sprecher mit 8'p''il'l'"t eii leuten in beruh- 
rung kam. zwischen dem seruio vulgaris und der »pracbe der bauern 
(rusticitae) steht die spräche der kleiostädter, das oppidannm dieendi 
genas, unter TuIgärlHtein hat man also nur die Ton solöcismen nsd 
barhArismen wimmelnde grammatiklose spräche des unert-Mldeten volkes 
zn verstehen, die gebildete Umgangssprache heiszt sermo cotidianus, 
consuetudo (cuviF)6ei(i). die groszo masse der provinsialen lernte latei- 
nSsch dareh den täglichen yerkehr mit krftmern, Soldaten, knechten nnd 
hirten ; mit der rusticitas dieser leute vereinigte sieh noch die peregii* 
nitas der nationalität, die sich im sonns verriet. 

Das Vulgärlatein entzieht sich der directen beobachtung, da es 
durch die schritt nicht festgehalten wurde, grammatiker wie nicht* 
Philologen verhielten sich im allgemeinen feindlich gegen dasselbe, da 
jedoch der sermo vulgaris in den romanischen sprachen fortlebt, kann 
man aus deren übereinstimmiinj^ mittels der laatgesetze erschlieszen, 
welche lateinischen Spracherscheinungen die heutige gestalt voraus- 
setzt, inachriften können nicht als völkersttmmen gelten, da nicht der 
beeteller sehrieb» sondern der Steinmetz; aneh ist zu erwägen, dasz der 
gemeine mfinri am wenigfSten zn schreiben vermag, wie er spricht. 

Eigcntiiclie quellen des Vulgärlateins kennt die römische litteratur 
nicht; auch Petrouius darf als solche nicht gelten, da er das Vulgär- 
latein nicht schildert, sondern verspottet, der sermo eotidianas dagegen 
beherscht, in verfeinerter gestalt die satire, das lustspiel, den romau 
und den bfief ; namentlieh in kaiserbincrraphien sind wertvolle auszüge 
aus vertraulichen briefen enthalten; auch protokolle von synoden und 
religionsgesprächeu dienen zur verauschaulichuug dieser redeweise. die 
sog. fachlitteratur dagegen Ist weder im gebildeten noch im volkstüm- 
lichen latein verfaszt, sondern einfach im schlechten latein. halb- 
gebildete wurden für gewölmlicli durch die rücksichtslose kritik der 
gebildeten von der schriftstellerei abgeschreckt. 

Obgleich der grundsatz der Volkstümlichkeit von rednern zur seit 
Oiceros und Quintilians aufgestellt wurde, trat doch erst mit dem 
Christentum eine Wandlung der anschauungen ein. die heiligen Schriften 
wurden von unberufenen wort für wort übersetzt und selbst männer 
wie Augustinus und Hieronymus förderten diese barbarei, indem sie ihr 
stilgefQhl unterdrückten, perikope, predigt und psalmengesang waren 
somit allgemein verständlich; die liturgie dagegen ist, entsprechend der 
weihevollen Stimmung, stets hoehlateinisch gewesen, erst durch die 
Synode von Tours (81o) wurde die predigt in der Volkssprache gefordert, 
während das schriftlateiu für das concept der predigt in geltuug blieb. 

Redner schlieszt seine ausfÜhrungen, indem er hervorhebt, dass wir 
von dem sermo vulgaris und dem unbefangenen sermo cotidianus weni^r 
wissen, zum srii aden der Sprachgeschichte sowie der objcctiven erkennt- 
nis des römischen lebeus« 



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deutscher philologeu und schulmäimer zu Görlitz. 



14a 



Zweite sitzang*, freitag den 4 ootober vormittags 8 ubr. 

Herr Oberlehrer dr. Ilberg-Leipxig spricht über 'das Hippo» 

kratiöche corpus'. 

Der erforschung der antiken heilkunde ist einerseits die abwen- 
dnng der medieiner von historischen Stadien, anderseits sofftlliges nn- 

glück, welches grosz angelegte pläne nicht zur erfüllung gelangen liesz, 
hinderlich gewesen, hinsichtlich der Überlieferung des Hippokratischen 
corpns stehen weder die namen der personeUi die an demselben mit- 
gearbeitet haben, noch zeit und ort der entstehuog der einzelnen par- 
tien fest, den Sltesten alexandrinischen commentatoren nnd glosso* 
graphen hat die Sammlung vermutlicli schon in der ausdehnting vor- 
gelegen, in der wir sie besitzen, der wert der einzelnen bücher ist ein 
sehr verschiedener i neben gefeilten arbeiten finden wir hingeworfene 
eoneepte. 

Um herstellung des textes machten sich im altertam Artemidoras 
Kapiton und Dioakurifles* verdient, welche in der Hadrianischen zeit 
zwei verschiedene ausgaben veranstalteten; eigenmächtige abiinderungeu 
des textes wirft ihnen Galen vor. üas^ die lesarten der beiden, wie 
Christ rermutet, auf unsere bandschriftUcbe tradition von bemerkens* 
wertem einflusz gevresen sind, bezweifelt reduer auf grand sorgfältiger 
prüfung der frage. 

Hierauf erörtert derselbe das Verhältnis des Hippokratesti xt« s ies 
Galen zu dem uusrigeu. ein endgültiges urteil läszt biub zur zeit nucii 
nlefat fftUen, da die sahireichen, umfänglichen commentare erst noch 
auf diplomaUscher grandlage herausgegeben werden mfissen. aus einer 
verjrleichung' einiger Hippokratischer bücher mit venezianischen band- 
Bchritten glaubt jedoch redner den schlusz ziehen zu dürfen, dasz der 
Galensche Hippokratestext unserer relativ besten tradition sehr nahe 
Stand. 

Hippokrates* werke wurden, wie alle bücher von praktischem werte 
früh schon ins lateinische übersetzt; eine anzahl dieser Übersetzungen 
ist erhalten , wie z. b. irepi ^|ido|i(i(öuiv, für Constitution des griechischen 
textes sind sie jedoch nur mit ▼ersieht an verwenden, die mehrsahl 
der oft schwer verständlichen bücher des Hippokrates wurde später in 
schatten gestellt durch die faszlichere darstelhmg Galens, die geradesu 
medicinischen lehrbüchern zu gründe gelegt wurde. 

Durch die vermittelung des arabischen ist eine kleine auswahi aus 
Hippokrates im abendland bekannt geworden; im seitalter der renaiesance 
war es Fabius Calvus von Gavenna, der das corpus ins lateinische iiber- 
1mg; die copierto n-riG* liisclie handscbrift liegt nnf rlor Vaticana. 

Unsere überiietemn j: geht bis ins lOe jalulnmdt rl ziiriifk; der 
Yindobonensis und Pansiuus bieten jedoch kaum die haitte aller iiippo- 
eratica. die übrigen handsehriften zerfallen in swei durch inhalt und 
Anordnung v« rschiedcne classen: die eine ist namentlich vertreten durch 
Vatieanus 276 V, die andere durch Marcianus 269 M; der Vaticanus 
ist vermutlieh der ältere: verwandt mit demselben ist die Niketashand- 
schritt der J^aurentiana Ii. dieue fünf mauuscripte müssen als grund- 
lago einer recensioo des corpus angesehen werden. 

Der dialekt der einzelnen bücher wird in der hauptsacbe nach 
maszgabe der besten hand«chriften herzustellen sein; nach Inschriften 
zu ändern musz als unmethodiscb angesehen werden. 

Dir. dr. Ober dick hebt im anschlusz an den vertrag die Wichtigkeit 
der Hippokratischen Schriften hervor. 

Hierauf hält herr dr. Heitz c nstein-fireslau einen Tortrag über 
'das echte *€TUjaoXo Yi>«öv judya*. 

Nachdem der redner in der einleitung eine Übersicht über die ge- 
schi^te der griechischen Etymologica von der ausgäbe des Zacharias 
Calliergos und Marcus Musuras (1499) bis su der pnbUcatioa E. Millers 



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144 Bericht über die Terhaadlungen der 40& Teruunaalniig 



(in den sechziger jähren dieses jahrliiinderts) n^ej^eben halte, berichtete 
er eingehender über den von ihm vor zwei jähren in der bibliothek des 
V&tican gefundenen codex (Vatic. graee. 1B18). derselbe stimmt mit dem 
▼OD Müler benatsten Florentinu« in der abfolge der glossen und auch 
hin ichtlioll des textes vielfach oberein; in der ersten hälfte ist jedoch 
der Vaticp.nns weit reicher, während in der zwf itcn hälfte das verliiilt- 
nis ftieh umk* hrt. nach der ansieht de"^ ininei s ist jede der beiden 
bandschrilteu von zwei Schreibern und zwa.v von ebendenselben ange- 
fertigt, Toti denen der eine ungebildet war und getrenlich eopierte, 
während der andere gelehrt war und seine vorläge zu bessern suchte 
und kürzte; letzterer hnt im Vat. dio zweite, im Flor, dio erste hälfte 
geschrieben, das urspriiu^^liche werk ist daher ans beiden zusammen- 
zuarbeiten, die entstehung desselben fällt vermutlich in die zweite 
b&lfte des lOn Jahrhunderts. 

Dieses werk ist die hauptquelle des sog. Etymologieura raagnum 
gewesen, wie schon die erste Betrachtung ergibt; nebenbei ist jedoch 
noch ein dem Gudianum ähnliches Etymologicum benatzt, das £tym. 
des Calliergos fährt seinen titel mit unrecht; denn an mehreren stellen 
desselben wird als hauptquelle ein ^T. fit^a und ein 4t. dXXo genannt, 
alle dt m ^t. ^i^ci zngt schriebeuen abschnitte stammen aus dem im Vat. 
nn l Flor, enthaltenen werke, alle dem dXXo zuc^-eschrieiieuen linden sich 
im GudiHUum wieder, das neu gefundene werk darf also mit bestimmt- 
heit als das eebte Etym. beseiehnet werden, in diesem werke, in dem 
die glossen nach ihren verschiedenen quellen gesondert neben einander 
stehen, scheine!! unmittelbar benutzt zu sein: von Herodian das werk 
Tiepi TTaOüüv X^teoiv, grammatische arbeiter» des Piiiloxeuos aus Alexan- 
dria, da« Etym. des Orion, des Milesiers Orus uepi öpOoxpaqpiac u. a. 
von dichtereommentaren sind banntet ein IHaseommentar, ähnlich dem 
Yenetus A, Scholien su Hesiod, ein commentar zu Lycophron u. a.; 
seltener finden süh s holien au Theocrit» Kicander, Aristophanes, 
Sophocles und Calliraaclios. 

Unbedeutender ist das sog. ^T. dXXo, welches redner in etwa 20 
handsehriften gefunden bat, welche erheblich mehr bieten als das 
Gudianum. 

Das Verhältnis des ^x. ^iWo zu dem jiifCi läszt sich schwer bestim- 
men; ein teil der quellen des echten ^^T^ scheint benutzt zu sein, 
während ein anderer teil nicht beachtet ist; jedenfalls Ist das äXKo 
später als das M^Tttf nicht vor beginn des lln Jahrhunderts anzusetzen. 

Das sog. Etym. magnura musz später als das echte und das fiXXo, 
jedoch nocli vor der mitte des 13n jahrhiaiflerts entstanden sein, der 
Verfasser benutzte neben dem p^iya und dXXo ein kürzeres £tym., von 
dem nur ein auszug erhalten ist; in den susammenhängenden reihen 
von glossen der ersten vier buchstaben besitzen wir nach des i^dners 
ansieht anszüge aus dem Irxicon Diogenian'?. 

Eine weitere überarbei t luig des echten Etym. liegt vor m den hand- 
schriiten Florentiuus, i'armeusis, Viudobonensis und Vossianus (aus der 
wende des Idn und 14n Jahrhunderts), desgleichen in dem sog. Zonaras, 
in dem noch ein Cyrillglossar und andere lexica benutst sindt und end- 
lich im Etym. Hauniense. 

Für die kritik und sonderung der quellen sind folgende sammlaugen 
von Wichtigkeit: 

11 die aussüge aus dem Etym. Orions. 

2) das sog. aluwöelv Etym. 

8) das Hitschisehe Etym. Anglicanum. 

4) das im Florentiuus erhaltene Etym. parvum, 

5) die in einem Bodleianus und in einem vom redner in Messina 
entdeckten codex erhaltenen brnchstüeke eines Etym. 

6) einige etymoTorricu in den rasten der schrift des Timotheus von 
Gaxa 4:nepl öpeotpaq)iac>. 



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deutscher pbilologen und scbulmäniiex zu Görliis. 



145 



Dritte Bitsung, sonxiabeiid den 6 october TormittagB 8 uhr. 

Herr prof. dr. Förster>Kiel bespricht im anschlnax an den in der 
allgemdnen sitzun^ gehaltenen Tortracf Über Laokoon einige dort nnr 

aD|;edeutete punkte genauer. 

1) Hinsichtlich der Athanadoros-inschrift von Capr i teilt redner 
mit, dasz in den pnbUoationen Ton Gnarinl and Manxoni AO (statt 

AQ) auf falscher lesart beruhe, wie bereits Stephani angedeutet hatte, 
die iDSchrift befindet sich in Privatbesitz auf Capri; der g^ipsabg-nsz der 
inschrift, den redner selbst benutzt hat, schUeszt jeden gedanken an 
fXIsehnng ant ; in Ibrem sehriftcharakter erinnert die inschnft deutlieh 
an den der inscbriften des königs Attalos II. 

2) Pisander und die L a o k o o n e p iso d e in der Aeneis. das 
Zeugnis des Maciobius war als auf irrtum beruhend in der allgemeinen 
sitzang bereits abgethan worden, wenn dieser recht hätte, konnte nur 
Pisander von Kameiros gemeint sein, die angäbe des Macrobins bernbt 
eher auf einem irrtum. Pisander von Laranda verfaszte ein werk 
fi'lpuJtKal 6€0Taf-i{ar->, iu dem für die erzälilung von Laokoon recht gut 
platz war im aiischlus/. an die Vermählung von Aphrodite und Auchises; 
vielleicht folgte Pis. derselben quelle wie die Aeneis. die übereinstim- 
maiig wurde von einem Vergtleommentator dann fftlscblieh als abhängig- 
keit des Vergil von Pisander ausgelegt, die spur dieses Pisander glaubt 
redner entdeckt zu haben und zwar in den werten des commentars (des 
Danielischeu .Servius) zu II 211, wo 'Thessandrus' verderbt ist und leicht 
in 'Pisandrus' verbessert werden kann. 

8) Zum Laokoon des Sophokles. Robert hatte behauptet, 
dasz die Laokoonfabel des Hjgin in interpolierter gestalt uns Torliege; 
sprachliche und sachliche hedenken bestimmten ihn zu dieser ansieht, 
die von Robert geäusserten bedenken weist redner als unbegründet zu- 
rück, ebenso wie die ansieht, dasz der interpolator die fabel des Hjgin 
mit der Aeneis habe in einklang bringen wollen, an der einhettlieh- 
keit und echtheit der fabel des Hygin zu zweifeln liegt kein grund vor. 

Der gedanke an Sophokles als quelle kann nur dann aufrecht er- 
' halten werden, wenn es gelingt den Inhalt der tragödie des Sophokles 
mit der stelle des Bionysios von Halikarnassos in elnklang eu bringen, 
die Worte: tä irepl TOOC AaOKOuivri&ac cr]|LieTa 'die seichen, welche an 
Laokoon uu<l seinen söhnen geschahen' finden eine analogie in dem 
hUufip^en gebrauch von Aeneadae im sinne von ''Aeneas und seine ge- 
Qosäen', Priamidae 'Priamus und sein geschlecht'; bei Dionys. Hai. 1,46 
ist iTpobod<]( TiDv 'AvTr)vopi6<S)v offenbar zu fibersetsen: «Antenore 
und seines geschlechta', da er selbst der hauptbeteiligte am verrate ist. 

Für die fabel des Hygiu knnn iiicht a!s qnelle anp'esrhpn werden 
Arktinos, da Laokoon bei ihm mit nur einem söhne umkomuit, ebenso 
weüig Bacchylides, der den auflallenden der erzählung des Ilygin frem- 
den sng der Verwandlung der seblangen in mensehen enthält. 

Da auch Euphorien in einigen punkten abweicht — von einer an- 
dern poetischen bearbeitung wissen wir nichts — ho bleibt Sophokles 
allein als quelle übrig, eine annähme, bei der sich alles wohl zu« 
sammenfügt. 

Hierauf bült berr dir. Devantier-Königsberg i. N. einen vertrag 
tber 'die lautliche besehaf fenbeit des digamma*. 

Für die beurteilnng der frage nach der lautlichen beschaffenheit 
des digamma kommen auszer den labialen (bilabialen und labiodentalen) 
Spiranten, über die redner im anschlusz an Sievers ^grundzüge der 
Phonetik zur elnftthrnng in des stndium der lautlehre' einige 
bemerkungen vorausschickt, das englische w (double u) und das con- 
sonantische u in betracht. nachdem redner die natur dieser laute be- 
leuchtet hat, knüpft er seine weiteren ausführungen an die ansieht von 
Curtius ('grundzüge der griechischen etymologie') an, die 

H.Jabrb. f. ptiil. u. päd. II. abt. 1890 hft. 2. 10 



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146 Bericht über die verhandiuDgeu der 40ii TersammluDg 



ihm in wesentlichen punkten unrichtig^ erscheint, die von Bentley ans- 

gesprochene ansieht, das digamma sei dem eog^lischen w Identisch, wird 

dTirch die lautphysiologischR thatsache, dasz w vocalischen anlaut hnt^ 
zur genüge widerlegt, gegen die annähme vocalischen anlauts spriclit 
auch das zahlenverhältnis in den Homerischen gedichten, in denen nach 
Harteis sählang 3B6i flUIe wirknng eines consonanten Terlangen» 617 
dagegen Tocalischen anlant bzw. völligen schwand des F erfordern. 

Im anscblusz hieran prüft redner vergleichend das lautgewicht der 
bilabialen und labiodentalen Spiranten und gelangt zu dem resultat, dasz 
das labiodentale w schwerer als das bilabiale genannt werden müsse, 
da mit dieser thatsaehe nach Cnrtins die frage nach der prioritftt aafe 
engste zusammenhängt, so folgt, dasz labiodentales w der ftltere laut 
sei. Curtius* ansieht von der lautschwächung erkennt Sievers nicht 
an; ^der lautwandel beruht vielmehr auf allmählich fortschreitender 
Verschiebung, durch welche kräftigere laute an die stelle der schwächeren 
treten können*, dnrcb diese ansiebt erhält die frage nach der prioritäi 
ein anderes aussehen; um dem ziele näher zu kommen, musz man histo- 
risch bezeugte sprachliche thatsachen anfsiichen, als sengen für oder 
gegen die eine oder die andere entwicklungsweise. 

Die lautliche beschafiPenheit der labialen spirans ist einem ver- 
wittemngsprocesse verfallen gewesen; für den schwund des digamma 
ist eine entwicklungsreihe anzunehmen, bei der labiodentales w an die 
spitze tritt, diese annähme wird geßtützt durch die vor ursprünglichem F 
sich findenden prothetischen laute, über deren uatur redner eingehender 
spricht, die priifong der von Cortins beigebrachten beispiele für pro- 
these eigibt, dass im ganzen 82 sichere und 46 zweifelhafte fälle dieser 
erscheinung anzuehmcn sind; von nrsprünfjlichem F 26 sichern, 8 zweifel- 
hafte, hinsichtlich der klano:farbe ist zu bemerken, dasz F nicht selten 
Vorschlag von a, noch öfter von €, niemals von o bewirkt, daraus folgt, 
dass dieses F niebt bilabiales w gewesen sein kann, dem n nnd o rer- 
wandt sind; mit labiodentalem w vertragen sich aber a und c recht gut. 
für labiodentale articulation, also gegen die ähnlicbkeit des F mit engl, 
w spricht ferner die gemination der labialen spirans; engfl. w läszt 
sich nimmermehr verdoppeln, wohl aber labiodentales v i^vgi. plattd. 
*hewwen'). 

Nachdem sodann an einer reihe Yon beispielen (aÖ€pi^uj, KaudSmc, 

KüFFdEmc) die gemination des F nachgewiesen ist, wird im schlusz ge- 
zeigt, wie von der annähme einer labiodentalen ausspräche aus der 
lautschwund sowie die Verschiebung der articulation bei dem digamma 
lantphysiologisch sieh darstellt. 

Zum schlusz spricht herr dir. Guhraner-Lauban über den vö^oc 
iroXuKdcpaXoc. 

Redner führt Pindars zwölfte pythische ode in deutscher Übersetzung 
vor, um im aoschlass daran den begriff «vöjiioc iroXuK£(paXoc» zu er> 
läntem. der vöjnoc, mit welchem der aulet Midas siegte, war ein aulos- 

solostück und stellte vermutlich den kämpf des Perseus mit der Oorgo 
dar; derselbe wird vom diohtor als älteste kunstform gefeiert, aualog 
dem 6&ovTiC|Liöc des vöfioc TTutiiKÖc gebildet, bezeichnet unser vöjytoc 
demjenigen teil, in -welchem das zischen der sohlangenköpfe (iroXXAv 
Ke<pa\dv) tonmaterisch dargestellt w n I. . wir erkennen aus dieser that- 
sache, dasz schon frühzeiti»' in Delphi auszer dem vöfxoc TTuGiKÖC noch 
andere stücke von don aiilf^ten geblasen wurden nachdem redner so- 
dann einige Vermutungen iiber die compositiou der uichtung ausgespro- 
chen, weist er den snsammenhang nach, der «wischen dem Gorgomythns 
nnd Delphi besteht, indem er daran erinnert, dasz Athene zum flelphi- 
sehen götterkreise gehöre, die form dt^r sage ist argivisch ; tuich Üelphi 
zu den Pythien kam sie durch Vermittlung der argivischen auletenschule. 
wenn der Verfasser des tractats de musica denselben einen vöfjioc cic 
'AiröXXuiva nennt, so mag er wohl dorch die thatsache, dass dieser 



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deutscher philologeu und scbulmäuDer zu Güiliti^. 



147 



vdfioc 2a den pythischen festnoinen gehörte , zn dieser ansieht g«laagt 

»ein. der an^etischs vöjLIOC ist vielleicht einem Idtharodischen nach- 
gebildet, wie der vöfioc TTuOikoc. derselbe mag das schemn geliefert 
und die hörer über den iaiiait der musikalischen maierei aufgeklärt 
hftbeo. 

Gegen die ansfülirtingen des redners erhebt prof. v. Christ be- 
denken, indem er auf den threnorli'^chen charakter des vöfxoc iroKu- 
K^<paXoc hinweist i redner wendet sich aber entsohieden gegen diese 
aaffassung. 

Mit dem ^ank gegen alte herren, die die eection dareh Tortrftge er- 
freut haben, schlieszt dir. Mttller die sitzungf. 

Der dank r!er teilnehmer für dio leitung der Verhandlungen wird 
deu beiden Vorsitzenden durch prof. v. Christ ausgesprochen. 

Orient alieclie seetioD. 

Da die Verhandlungen der deutschen morgenlSadischen ge- 
Seilschaft und des Palästinavereins, welche in die stelle der 
orientalischen section eingetreten sind, nach einer mitteilu&g von 
prof. dr. Hillebrand- Breslau in deren Zeitschriften herkÖnunUch 
jrablioiert werden, begnügt deb der referent damit, auf die genannten 
-seittchriften sn verweisen. 

Archüologisehe seetion. 
In der constituierenden sitsnng werden geb. regiemngsrat prof. 

dr. Kossbnrh TRreslau zum Vorsitzenden, prof. dr. Förster-Kiel zum 
Stellvertreter des Vorsitzenden, dr. Eogelman n - Herlin zum ersten, 
dr. H. ürlich 8 - Wlirzburg zum zweiten Schriftführer gewählt. 

Erste Sitzung, donnerstag den 3 october. 

Vorsitzendpr prof. dr. Rossbach. 

Herr prof. dr. Conze- Berlin macht miiteilungen über antiken 
vou Üruomhall (Schottland) und legt Photographien von Skulpturen 
dsr Elgin sehen Sammlung vor, welebe mit gütiger erlaubnls des be- 
litters, des Earl of Elgin, genommen zum ersten mal eine anseban- 
nnf dieser altertümer gewähren, von welchen Michaelis im jonrnal 
of Hellen! c st n dies V 143 flf. nachricht gegeben hatte, es sind iiaupt- 
sächlich attiäche grabreliefs und -malereiei), ein attischer Sarkophag, 
femer von den Yon Miehaelis niebt erwähnten werken der kleinkunst 
eine bronzestatnette im stile des fünften Jahrhunderts v. Chr., Athena 
rtehend mit der eti^c auf dor n;ehobenen rechten hand darstellend, von 
anderen werken der kleinkunst derselben Sammlung legte der vortra> 
gende skizzen vor und zwar von gemalten vasen geometrischen Stils 
und goldspangen derselben kanstperiode. 

Sodann spricht berr dr. Wernieke-Halle a. S« über stiersagen 
der Griechen. 

Nachdem redner in der einleitung des genaueren dargelegt^ in weleh 
•ngem zusammenhange die Heraklessage mit dem dorischen stamme 
Itsht, betraohtet er eingehender die sage Tom Stierkampf des beiden, 

der mit den gleichen kämpfen des Theseus und Jason manigfache be- 
riihrungspunkte aufweist, die heimat dieser parallelsagen ist Kreta, wo 
wir eine grosze anzahl derartiger sagen localisiert finden, wie die er- 
■iUongen von Europa, Minos, Pasiplute und Uinotaaras znr genüge er- 
kttmen lassen. 

Aus diesen sagen nehmen wir nicht mir das hinüber- und herüber- 
äuten der sage wahr, sondern auch die auffällige art der identifieatioD 
verschiedenartiger mythologischer ideen. neben der trojanisehön stier- 
Mge steht die ihr verwandte sage des Eponymos von Argolis, Argos, 
der dorebaus als eine dem Herakles ähnliche figur erscheint, vier 
thaten werden von ihm gemeldet: der kämpf mit dem arkadischen stier, 

10» 



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148 Bericht ilbdr die verhandlongen der 40n yerBammliing 



die beeiegrung des Satyrs, die tötonp der EcMdna, die räche we^en er- 

mordTing" des Apis, in Arg-os wie in Apis haben wir, wieredner eingehend 
nachweiüt, zwei mythologische ügureui die in der ganzen ostbälfte de« 
Pelopounes weithin verbreitet waren. 

Die vordorischen süge der peloponnesischen sage lassen eich aber 
nicht nar durch litterarische belege, sondern auch durch ein monnmen- 
tales zengnis, ein Wandgemälde von der bürg in Tiryns, nachweisen, 
in ausführlicher betrachtung weist redner nach, wie die durchaus ver- 
aebiedenen deutu ngsy ersuche von £. Fabricins und Fr. Marx völlig 
in der luft schweben, wie aueb die ansieht Wolters, obgleich sie in 
mancher hin8i<-]it das richtige trifft, doch den thatsächlit hen Verhält- 
nissen nicht gerecht wird; schlieszlich entscheidet er picb tür die an- 
sieht, dasz auf dem gemälde die fahrt eines landeshelden auf dem stier 
übers meer dargestellt sei; auch der nmstand, dasi der held am bome 
des Stiers sicli hält, läszt sich dnreb eine der Qeryonenesage entnommene 
stelle bei Dloilor (IV, 22' beletifen. 

Hierauf hält herr dr. E n pj-e 1 m ,h n n - Berlin einen vertrag über: 
Neoptolemos' abschied vou Bkyros. (Mon. deii'. mat. XI T 33). 

Die dentung, wercbe Körte in besag auf die in Corneto ausge- 
grabene vase aufgestellt bat, scheint dem redner nur snm teil richtig, 
n^ep^en Körtes auffassnng-, f^er in der weiblichen fignr mit dem bofren 
Artemis, in dem jüogling Meleager erkennt, spricht zunächst die jugend 
des angeblichen Meleager; sodann hätte der jüngling, weil die frau ihn 
bittet, der frau gegenüber seine bereitwilligkeit zum ausdmck bringen 
müssen; endlich kann die handbewegung der Artemis keine drohung 
bedenton. mRrnVfache hcziehnni^en bestehen zwischen der vase von 
Corneto A und einer in den comptes rendus de St. P^tersbourg 1874 T 3 
von Stepbani besprochenen vase B; wegen einer ähnlichen von dem- 
selben künstler bemalten vase, auf welcher die tötung des Minotanms 
durch Theseus dargestellt seheint, glaubt Stepbani aucli unsere vase 
auf den Theseusmythus beziehen zu müssen, da jedoch auch diese er- 
klärung den thatsachcu nicht gerecht wird, musz eine andere deatung 
versnobt werden, dieselbe ergibt sieb dnrdi snhilfenahme einer vase 
der ehemaligen sammlnng Campana, die als eine abkürzung der beiden 
vasen zu erkennen ist. glücklicherweise sind den figuren die namen bei- 
gosciirieben: AuKojxr|öric, N60'rtTÖX6^oc, Am (zn ergänzen in Aaibdjjieia); 
der abschied des Neoptolemos von mutter und groszvater ist also dar- 
gestellt, diese deatnng wird auch dem Petersburger und dem Gornetaner 
vasenbUde in jeder hinsiebt gerecht, wie redner hinsichtlich der ein- 
zelnen fignren des ^^enaueren nachweist. Artemis crTheint aTif dem 
bilde in der eigen.sehaft als TraibOTpöqpoc und steht dem jugendlichen 
Neoptolemos hilfreich zur seite; sie ist es auch, die den tragischen 
knoten, der durch den widersprach der Deidameia unlösbar zn werden 
droht, geschickt löst. 

Die abholnng des Neoptolemos behandelte verrnntln b Sopliokles in 
den CKl3ptäi; auch der dichter wird den tragischen knoten wie im 
Fhiloktet durch das dazwischentreten einer gottheit gelöst haben. 

Die beaiehung sur Artemis wird anszerdem noch durch eine andere 
Version der sage nahe gelegt, nach der Neoptolemos der söhn des AchilleuB 
und der Iphigeneia war; Artemis und Ipbigeneia aber stehen in en^er 
beziehung zu einander. 

Zum schlusz spricht redner die Vermutung aus, dass auf den drai 
yasen drei verschiedene momente der tragödie dargestellt werden, indem 
in der Cornetanischen die höchste errcgting, in der St. Petersburg-er 
die seene nach dein stürm, in der der Sammlung von Campana ent- 
stammenden der friedliche ausgang zum ausdruck gebracht wird. 

An den Vortrag knüpfte sich eine lebhafte diseussion, in der mehr- 
fach zweifei über die richtigkeit der deutung geftussert wurden« 



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deuteciiex philologen und scbulmäzmer zu GOrütz. 



149 



Zweite sitsang, freitag den 4 october. 

Herr prof. dr. Förster »Kiel macht mitteilangen über denk- 
nftler, welche sieh auf Laokooa beuehen oder besogen worden eind. 

Die Yoraussetznngf dasz die Vaticanische gruppe das von Plinius 
erwähnte im hause des Tib^rius befindliche originalwerk der drei künstler 
Ages&ndros, Athenodorus und Polydoros gewesen sei, gründet sich nicht 
«u den fnndort; an dem denkmel febU lemer die kfinetlerinsobrift, die 
nea bei der öberfnhrung naeh Born vielleieht liegen liesz. die gmppe 
ist anch nicht aus einem stein, sondern aus 6 blöcken; in diesem leis- 
teren punkte niag Plinius sich j;eirrt haben. 

Man hat zweifei an der Originalität der gruppe erhoben; diejenigen, 
velefae von einem anderen originale reden, eeben jedoeb im Vatieani- 
MhenLaokooD nicht eine eigentliche copie, sondern die Umarbeitung einea 
Älteren org-inals, welches sie bald nach Alezander oder ins dritte jahr- 
buodert »et^en. dasz es dieser annähme an sicherer gruudlage fehlt, 
erweist redner dadurch, daäz er das abhängigkeitsverhaltnis schildert, 
in welchem alle antiken daratellangen sur Vatieaniscben stehen. 

Der reihe nach werden sodann folgende denkmftler besprochen: 

1) der A hrerabergsche köpf. 2) das fragment aus der villa Lainata 
bei Tarin, 3) der köpf im palazzo Spada in Korn. 4) der köpf in der 
eremitage zu St. Petersburg, ö; der köpf im museo eivico zu Bologna, 
ft) der coloeeale torso in Neapel. 7) der von Aldroandi erwllhnte pieoo- 
liiiiao torso 8) die bei der Wiederherstellung der knppel yoii S. Paden- 
«iana erefimdenen stücke (arm und beine). 9) die von Flamlnio Vaccn 
in einem tundament unter dem hospital Öt. Giovanni gefundenen teile 
(knie nnd ellbogen). 10) der köpf des Laokoon an einem bronzegewicht 
(im oberamtsbesirk Calw gefunden). 11) die bronEestatnette von Belfttre 
im Louvre. 12) eine einst in Paris in Privatbesitz befindliche gruppe, 
13) der marmorkopf im mnsee Fol zu Genf. 14) eine von Aldroandi 
erwähnte statue eines Laokoontiden, bei der man eher an einen Niobiden 
denken möchte. 15) ein Wiener köpf (offenbar geflllscht). 16) die 
tifraeotiefragmente im Lonvre. 17) das Wittmersche relief» welches 
kenntnis der Vatieaniscben gruppe voraussetzt and auch zweifel hin- 
sichtlich der echtheit aufkommen iäszt. 19) das Madrider reiief. 19) die 
TOD Überarbeitung nicht ganz freie darsteliung auf einem etruskischen 
Sktrabins. 20) ue iweiralles anf das vorbild des Vaticanlschen denk- 
mals zurückgehenden Contorniaten und 21) die miniatar des cod. Vat. 
Ist. 3325 fol 18 des Vergil. 

Aus dLi- znhl der Tjaokooudenkmäler streicht redner: das reliet' der 
Chiusiuer urue im Üritiächeu museum, den Kautharoä desuelbeu museums 
Qad die darstellnng einer schwarsfigiirigen LekythosTase von Eretria* 

Keines der genannten werke kann der Vatieaniscben gmppe den 
rsofr streiti}^ machen; dieselben sind vielmehr teils nnecht, teils modernen 
orsprimirs, teils mit unrecht mit Laokoon m beziehung gesetzt. 

Öodauu spricht prof. dr. Schreib er -Leipzig über die religiöse 
Politik der Ptolemfter, ihre systematische ordnnng der hellenischen 
coltoreinrichttingen , welche in der einführung eines die parltät der 
Ägypter nnd Hellenen in reliccionsdingen sanctionierenden landescultus, 
des dienstes des iäerapis gipfelte, redner betonte, dasz hier ein noch 
fest unberührtes arbeitsgebiet vorliege, dessen bearbeitung ebenso sehr 
von philologischer, wie von archftologiscber seite in angriff genommen 
werden müsse, zahlreiche der Versammlung vorgelegte monnmente 
dienten dem vertrag zur erläuterong. 

Dritte sitznng, Sonnabend der H october. 

Vorsitzender prof. dr. Förster. 

Vor eintritt in die tng'cRoninuiip^ wurde prof. v Tyrann in München 
lam Vorsitzenden der archäologischen section der nächätcn veruammlung 
gewlUt. 



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150 Bericht über die Verhandlungen der 40n Yereammlnng 



Hierauf hält dr. Urlieha^Wfirsbnrg einen yortrag über einige 
werke des kfinstlert Pythagorae. 

Ausgebend von der stelle des Plinius nat. bist. 84, 69 weiet redner 

zunäclist nacb, dasz Pythagoras der Samier und der Kheginer nur eine 
persou seien; bei Panfüinias wie bei Plinius werden stücke des meistere 
gemeinsam erwähnt und dem Rheginer gemeinsam beigelegt, dieser 
umstand IKsst aaf eine gemeinsame gmndqnelle sehliessen: Pansaniaa 
enrfthnt 7 werke des Rbeginers Pytbagoras; mit ihm stimmen die ann 
gaben des Plinius hinsichtlich der erwähnnng des Leontiskos und 
Astylos. der Libyer des Plinius ist identisch mit dem Mnaseas des 
Pausanias. der Libyer stand zu Olympia; 'eodem loco' gehört nach 
dem spraebgebraueh des Plinius, über den redner eingehender spricht, 
zu 'mala ferentem nudum*. demnach ist auch dieses werk nach Olympia 
711 verweisen, die deutung desselben ist noch nicht versucht, ob^i^Ieich 
sie sehr nahe liegt: Herakles mit den Hesperidenäpfelu bildet eine den 
Worten darchans entsprechende darstellnng. wir wissen aber auch, dasz 
Pythagoras sieben athletenstatuen nach Olympia geliefert hat. oaeh 
Lucian waren juifjXa der siegespreis in Delphi; da es sitte war, gleich- 
sam die g^anze athletenlaufbahn des äiegers in der weihinschrift anzn- 
geben, wie am beispiel der Theognetosstatue nachgewiesen wird, so 
fftllt dnreb letstere angäbe die besiehung zu Olympia keineswegs, äpfel 
als siegespreis für Olympia sind niebt beseugt; der preis bestand viel- 
mehr im ölkranze. vielleicht kann man eine münze aus Tralles heran- 
zuziehen versuchen: ein liicl^Mhlusz auf Olympia erscheint jedncli dem 
redner gewagt, da aber der mala fereas nudus sicher in Olympia stand 
und Pansanias das werk eines insehriftlich beseiehneten berühmten 
künstlers kaum ausgelassen hat, sind wir berechtigt bei Pausanias um«« 
5^ch?\n 711 haltrn und das werk in andrer form hei ihm wiederzuerkennen. 
Kratisthenes, Euthyuos, Protolaos kommen nicht in betracht ; mög- 
licherweise hat der künstler dem Dromeus den siegespreis von Delphi 
in die band gegeben, im Protelaos dagegen entdecken wir leicht den; 
Plinianiseben 'pner tenens tabellam'; derselbe hielt diese in der band, wie 
Nike auf münzen von Syracns und Katana aos dem fünften jahrhim« 
dert ein ähnliches mvckKiov trägt. 

Wenn bei Pausanias zwei statueu zu viel erwähnt sind, so kann 
man vermuten, dasz Plinius in der eile, mit der er die letzten bUcber 
abfasste, diese beiden werke weggelassen hat. 

Sodann spridit redner Uber den im besitz des v« Wagnerschen knnst- 
instituts der Universität Würiburg befindliehen Heraklestorso. 

Der von dem vortragenden bekannt gemachte torso ist stark zer- 
stört, hinsichtlich der arbeit erhebt sich das werk nicht über die 
mittelmäszigkeit des römischen kunsthandwerks. die höhe desselben, 
beträgt 0,35 m ; das material bildet marmor von Paros oder Naxos, der 
an verschiedenen stellen farbenreste trägt, von besonderem interesse 
ist die darstellnng: der Hydra als eines s c hl an gen w e i bes. von den 
haaren des jugendlichen kopfes g'ehen acht schlangen aus, die sich zum 
teil nicht unmittelbar aus den haaren entwickeln, dieser typus der 
Hydra ersoheint niebt vereinselt, sondern kehrt in sahlreiehen denk« 
mälern, namentlich in Sarkophagen wieder. Verwandtschaft mit Lesern 
Würzburger torso, welcher den beiden in ruhe darstellt mit den attri- 
buten seiner beiden ersten siege, des löwen- imd Hydrakampfes, zeigt 
eine gruppe des alten capitolinischen museums, die redner unter beriick- 
sicbtigung der einschlägigen litteratur eingehender erläutert und durch 
eine skisze veranschaulicht, an diese ausführungen schlieszt sich sodann , 
eine umfangreiche auf elf dcnkraäler sich erstreckende aufzählunc^ römi- 
scher Sarkophage, in denen der nemliche typus sich zeigt, aucii auf 
mosuken begegnen wir derselben vorstellnng, wie redner au ;<:wei bei- 
spielen des genaueren nachweist. 



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dantadier philologen und lolniliiilimer ta OSrlitc 



151 



Hierauf spricht prof. dr. Richter-Berlin über die orientie- 
rang des capitd in I sehen «tAdt plana. 

Bedner macht mitteiluug Uber daä älteste stadttetuplum Borns, das 
MatiDiscbe; er weist mit Ulfe doee planes oacfa, dess dies teioplum, 
welches nnzweifelhaft quadratische form gehabt habe, sich aaeb den 
nns'fiHen bei Tacitus ann. XII 24 reconstruieren lasse, als beweis der 
richtigkeit rler recouätructioQ kann gelten, dasz der mundus an die 
sicher überlieferte stelle auf der Area ApoUinis (villa Mills) fällt, 
orientiert ist dieses- qoadrat nach 8. O., sodass die südostseite parallel 
dem Circusthal Ittnft. die oemliche Orientierung hatte, wie Hülsen 
junp-st in den mittpilnngr^ß des inRtitnts röm. abt. 18^9 s. 79 nachge- 
wiesen hat, der capitoiinische Stadtplan, redner zieht daraus den schiusz, 
dasz der Stadtplan nach dem alten stadttemplnm orientiert gewesen sei. 

Sodann hSlt herr dr. M. Mayer- Berlin einen vertrag Über die 
Terwandtschaft heidnischer nnd christlicher draehentöter. 

Von dem ausgang des beidentums bis zu den krenzzügen besitzen 
wir im aligemeinen keine bildwerke, die den kämpf eines ritters mit 
einem nngetttm darstellen, der reiterkampf gegen ein reptil stellt sieh 
erst im aeitalter der krenzzüge mit dem heiligen Qeorg ein. merk- 
würdigerweise findet ^h Ii ahor dieser typus bereits auf einem Naba- 
täischen siegelstein aus km In nachchristlichen jahrhundert , dessen 
aafschrift redner auf Baaltars, den herrn von Tarsus bezieht; als sol- 
eben haben wir nicbt etwa Triptolemos oder Beleropbon anfsnfassen, 
sondern einaig^ nnd allein Persens, welcher nach der in Kleinasien er- 
haltenen Version eine grosze schlänge überwanrl. die vermengurtfr der 
heidnischen und christlichen vorstellung-en mar^ wohl in Syrien stattge- 
funden haben; Lydda ist die eigentliche Sphäre des heiligen Georg, der 
in Diospolis seine beröbmteste nnd Slteste kirehe hatte, dase die Yet' 
ehmng dieses heiligen tief im ▼olksglanbeu gewurzelt habe, gebt auch 
dürnns liorvnr, dasz die Muhamedaner, die doch sonst bei ihren erobe- 
ruDgen sich im höchsten grade umiulilsam zeigten, gerade die statten 
dieses heiligen verschonten, dem christlichen Georg entöpnchi iu der 
fhat der arabische £1 Khonder, der ein ähnliches Schicksal hatte wie 
Georg. 

Die von Jncobus n Voran^inf» (an «5 der ersten hälfte des 13n 
jahrhuiidertsj über Georg berichtete legende zeigt autfallende äbnlich- 
keit mit der sage von Perseus und Andromeda. der Perseusroman lebte, 
wie der Gorgonenmythns noch jabrbonderte lang an. der kttste von 
Joppe fort nnd localisierte sich im Zeitalter der krenzzüge in Lydda, 
der classischen statte Geor^rs. die frau, welche in den geschichten des 
märtyrers beständig in variierter form wiederkehrt, ist die in eine 
Christin umgewandelte Andromeda. 

Bedner sebliesBt seine ausführungen mit einer kritischen belencktiing 
der von Schiller in seinem 'kämpf mit dem drachen' benutzten alten 
Bhodi^prlegende; sie ist nach seiner ansieht *"eine antike frucht, die auf 
diesem boden seit zwei Jahrtausenden bereits wuchs', auch das motiv 
▼om draebenbilde nnd den Torfibungen daran bat sein vorbild in dem 
Perseusroman; denn auch der griediisehe held wird durch seine be- 
geh ützerin Athene in vorbereitenden fibnngen an den anbliok des fein- 
des gewöhnt. 

Zuletzt spricht herr dr. Schneider-Leipzig über 'die archai- 
sehen marmorsenlptnren anf der akropolis sn Athen*. 

Bedner geht davon aus, die aus der sog. poroskunst erwachsene 

Slte'^te marmorsculptur ZU charal< t orisieren. raaszgebend für die henr- 
teilung der stilistischen auffassunp- des nackten körpers sind die maim- 
Ucben gestalten, von denen einige, wie die reiterügur, der Hippalektryon- 
rdter nnd der kalbtrftger eingehend analysiert werden, die art der 
gewandbebandlnng wird veranschaulicht durch die sehreiberfignren, die 
eine weitere stufe der entwicklang bezeichnen, anf gnmd genauer 



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152 Bericht über die YerbBadlnngen der 40n ▼eramnnilung 



analyse weist redner rlie Zusammengehörigkeit mehrerer monnmente 
dieser gruppe nach, das materiai der 'besprochenen denkmäler ist pen- 
telischer marmor; in ihnen erblickt redner werke der ältesten attischen 
marmoniealptnr. i^ewisee neoemn^en läszt die gruppe weiblicher, stehen- 
der figuren erkennen; neben stilistischen abweichungen zeigt sich be- 
reits das eintreten stilisierten pflanz enoruameuts und die materielle ver- 
Bcbiedenheit des marmors. einige glieder dieser gruppe, für die mehrere 
herolnenfigrtira» oharakterittieeh sind, werden eingehenderer betrachtnng 
Untersöln, die organische Weiterbildung dieser periode attischer kunst» 
die sog. stilisierende, hat die directen Vorläufer der Phidiasischen kunst 
gezeitigt, in der stilisierenden kunst haben wir eine von auszen an 
die attische konstentwicklung herangebrachte invasionskunst zu er- 
kennen, woher die ansserattiBohe kirnet stammt, Ittest sich mit sicher* 
heit nicht ermitteln; nicht unwahrscheinlich ist jedoch die annähme, 
dasz dieselbe ans einer gröszeren cnlturströmung henror^egangen ist^ 
die sich auch auf anderen gebieten erkennen iHszt, wie e, b. in der 
keramik» hier folgt auf den ^geometrischen 6tiV der ^dipylonütil', viel- 
leicht nnter einwirkung ägyptischer knnst; auch rhodischen einflnes 
auf attische keramik darf man annehmen, an die rhodieche kunst 
scblieszt sich die mykenisiche eng an. der Zusammenhang zwischen 
attischer und orientalischer cultnr läszt sich also nicht bestreiten, 
möglich ist es, dasz Argos das griechische centrum ist, in dem grie- 
chisch*orientalische nnd mykenische demente sich vereinigen. 

Zum schlusz besichtigen die mitglieder der section die Sammlungen 
der gesellschaft für anthropoloirio und Urgeschichte der Oberlausitz unter 
der lübrung des herrn gymnasialiehrer Feyerabend. 

Germanistisch-romani 8 tische section* 

In der constitnierenden sitznng wurde (Hc loitung der Verhandlungen 
herrn prof. dr. O. Erdmann -Kiel auf antrag des herrn prof. dr. Gas- 

Sary übertragen; zu Schriftführern wurden die herrn dr. Siels und 
r. Weingärtner gewählt. 

Erste Sitzung, donnerstag den 3 october vormittags 8* 2 uhr. 

Der Vorsitzende gedenkt mit warmen Worten der seit 1887 der 
Wissenschaft durcii den tod entrissenen fachgeuossen und fordert die 
TCrsammlang auf, das andenken der entschlafenen durch erheben von 
den sitzen zu ehren. 

Hierauf erteilt derselbe lirrrn dr. M arol d • Könii:-her<r das wort zu 
seinem Vortrag: über den aiisdruck des naturgef ühis im minue- 
sang und der Vagantendichtung. 

In der einleitung setste der vortragende auseiossder, dass die 
Vaganten von der lateinischen schulpoesie des mittelalters hinsichtlich des 
ausdrucks und der ideen vielfach abhängig sind, die der schulpoesie 
eigentümliche idee von der personihcation der natur als summe der in ihr 
wirkenden krttfte läszt sich mehrfach in den vagantenliedern nachweisen, 
der gelehrte Charakter dieser diohtung findet sich bei den classikem dee 
minnesangs durchaus nicht; erst um die mitte des 13u Jahrhunderts 
wurden infolge persönlichen Verkehrs bilder und Vorstellungen der 
Vaganten, wie die metaphern von der schlafenden natur und der 
schwangeren erde, in den mSnnesang eingeführt, nicht minder lassen die 
winterschilderungen, die darstellung des winters als eines tyrannen, 
unholdes, verwüstpr? , den einflnsz der vagantenliedf r erkennen; denn 
ursprünglicli war dem minuesanf^- nui die innipi;e teiliiab nie au dnn Ver- 
änderungen in der natur eigentümlich, der Vagantendichtung sind auch 
die physikalischen seioben dee winters, die kalten nSchte und winde, 
entlehnt, die im ältem minnesang noch nicht vorhanden sind, schon 
bei Neidhart zeigt sich mehrfach die persönliche auffassung des winters 
in dem sinne der Vagantendichtung im gebrauch der beiwörter, die er 



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deotscher philoIogen und schiümäimer zu GOrUts. 153 



«lern Winter gibt (der leide winter, diu swaere zit n. a.). die abbängig- 
keit dieses dichtere gebt ancb ans der erwftbnnng gewisser pbysilLaU- 

Bcher erscbeinungen (wind, wetter, trübe tap;e , eis) herynr; aas der- 
selben quelle stammt auch wohl die dem miriiiesang seitene erwähnang 
des baumesschatteos. der spätere ininnesang ist durch Neidbarts vor- 
MM stark beelnflnsat; er bat unter anderm aneh dessen art der winter* 
Schilderung aufgenommen, wie vortragender an einer reibe von bei- 
fielen (Gottfried von Neifen, Konrad von Landeck u. a.) nachwies. 

An der debatte beteiligen sich die herren prof. Gaspary, prof. 
Kolbing, prof. Roschwitz, dr. Stier, dr. Siele, dr. Wolf f. Gas- 
pary weist avf das allgemeine Torkommen der anffassong von sonmer 
und Winter in der romaniseben litteratur hin, Kolbing macht auf die 
jüngst erschienene abhandlung von K. Th. Walther ^über den Ur- 
sprung des höfischen minn eg-e sangs und s ein v erhaltui a z ur 
Volksdichtung' aufmerksam; Ko schwitz bebt den internationalen 
skarakter der earmina bnrana hervor, Siels verweist anf die vdlks- 
tSmlieben elemente des Volkslieds. Marold leg^ in bestimmter weise 
gewicht auf die in beiden dicbtungsarten vorkommenden einaelnen 
Wendungen. 

Anf wünsch der Versammlung trug sodann herr dr. Karl Kinael 
einige gediobte Walthers von der Yogelweide in neuer Über- 
tragung: vor, nachdem er den plan einer auswahl für den schul j;el) rauch 
dargelegt, welche demnächst als drittes heft der von ihm und dr. 
Bötticber in der bnchhaudlung des Waisenhauses zu Halle a. S. heraus- 
gegebenen MenkmKler der Siteren dentseben litteratnr für 
den litteraturgescbiebtliohen unterriebt an höheren lehr- 
an st alten' erscheinen soll, zup^leich richtete flersclbe den blick der 
facbgenossen auf den 'jahresberi^jht für germanische philo- 
logie% dessen zehnter Jahrgang eben erschienen ist und bat, das schwie- 
rige, im reinen Interesse der Wissenschaft unternommene werk dnreb 
lat'nnd tbat sn nnterstiitsen. 

Zweite Sitzung, freitag den 4 octuber vormittags S^g uhr. 

Herr dr. Wolff-Kicl spricht ^übcr den £»til des Nibelungen» 
lieds'. 

Um festzustellen» welcher entwicklungstufe des epos das Nibelungen- 
lied ;mg;chört, sucht redner zunächst die tVaore zu beantworten, ob das- 
selbe eine Volksdichtung sei. zwar weist das Nibelungenlied eine grosze 
reihe von eigenschaften auf, welche als merkmale der volkspoesie 
ansnseben sind; diese fasst man jedoeb richtiger als elemente der 
volkstümlichen poesie, der spielmannspoesie auf. charakteristische 
eigentümlichkeiten dieser dichtungsgattung sind im Nibelungenlied nicht 
ZU verkennen, wie eine eingehendere betrachtung des Stils lehrt, das 
Kbelnngenlied erhebt sich aber über die Sphäre der ebengenannten 
dichtung, indem die darstellnng» wie anIFassung der sage einen ausge- 
prägt höfischen Charakter verrät, wie namentlich aus dem ceremoniellen 
benehmen und der höfischen gesinnung zu ersehen ist. auch die Cha- 
raktere and die sceuerie ist in höfischem sinne umgestaltet, das ge- 
präge der nationalen bofdiebtnng Iftsat sieb ancb nach ansscbeidnng 
unechter stücke nicht verkennen. 

Obgleich das Nibelungenlied, was plastik und dramatik betrifft, die 
stilistischen eigentümlichkeiten des liedes erfüllt , so treten doch auch 
bereits unverkennbar keunzeichen des iitterarischen gepräges hervor, ab- 
sebweifting von der banpthandlnng, ansgeführte seelenscbilderungen n. a. 

FragUcb ist es, ob das Nibelungenlied ein von vornherein susammen- 
bängendes epos oder eine zusammenschweiszung kleinerer epischer fje- 
dichte sei. tli(; an ein epos zu stellenden torderungen, wie iiickf-nlos 
fortlaufende haudiung, ethisch- dramatische einheit, ästhetisch-lyrisches 
gnindmotiv» sind nach jeder ricbtung hin erffillt; Widersprüche finden 



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154 Bericht über die Yerhandlungen der 40n rersamnilaag 



sicli niclit 80 zahlreich, wie man anfangs annahm and audi diese lassen 

sich vielfach auf ganz natürliche weise erklären, die Ursachen schad- 
hafter stellen hat die forschuiig der letzten fahre immer mehr aufge- 
deckt. Lachmanns lieder können noch weniger abgeschlot^äenheit der 
handlang för sieh In ansprach nehmen, da einige der episoden, ans dem 
sosammenhang herausgerissen« geradezu grauenerregend wirken. 

Im Nibelungenlied besitzen wir also ein nationales hofepos, wel- 
ches stilistisch in mehrfacher hinsieht mit dem (höhscheu) romantischen 
hofepos verwandt ist. 

Was endlich die entstehungsselt des Hedes hetiifffc, so möchte redner 
an der datterung um 1200 zweifeln, stilistische eigentümlichkeiten deu- 
ten nnf eine frühere periode zurück; möglicherweise wurde dasselbe 
im dritten viertel des Jahrhunderts (am 1166) abgefaszt, wo histohscbe 
ereigniase (1156 Friedlich Barbarossas yermfthlang mit Beatrix von Bar* 
gnnd, 1165 die heirat der tochter des österreichischen hersogs mit dem 
Ungarnkünigl die thatsachen des Nibelungenlieds fast nnwillkttrlich in 
die erinnerung zurückriefen. 

An der discussion beteiligen sich auszer dem vortragenden die 
herren dr. Bötticher, dr. Kinzel, dr. Rost, dr. Uhle, dr« Siels 
nnd prof. dr. Erdmann. 

Von dr. Ftötticher wird soflann folgerrler antrag gestellt: 

Die deutsch -rcmnnische section des 4ün phllologentafxes schlieszt 
auch ihrerseits sich den bereits 1884 von der pädagogischen section in 
Dessau gestellten nnd jüngst in der Tersammlnng rheinischer schul« 
männer neu begründeten forderungen hinsichtlich der wiederlMvsteltnng 
der mittelhochdeutschen lectüre in den obersten classen der gymnasien 
und realgymnasien an, indem sie in den immer häufiger und dringender 
laut gewordeneu äuszerungen dieser art ein unverkennbares zeichen 
eines unabweislichen hedüi^iisses sieht. 

Die resolution wird ohne widersprach angenommen. 

Hierauf macht prof. Erdmann mitteihmgen über eine saromlung 
von briei'en an liamler, die dr. Wilhelm-Breslau autgefunden hat. 
dir. Fritsche berichtet von der auffindung eines briefes Goethes an 
Karl Augast, dr. Siels teilt einiges mit über eine auf der stadthibliothek 
an Breslau befindliche Gl eimh an d scli r if t. 

Zum Schlüsse trägt dr. Kinzel noch einige seiner übersetsangen 
Waltherscher gedichte vor. 

Dritte Sitzung, Sonnabend der 5 october 9% nhr. 

Herr prof. dr. Ko seh vv i t z - Greifswald hält einen vertrag über 
die not wendigkeit bei syntaktischen Untersuchungen auch 
die lauthistorischen Veränderungen nicht unbeachtet ^u 
lassen. 

Einen versuch, das Verhältnis der gesprochenen zur geschriebenen, 
formenlehre klar zu leg-en, hat redner selbst gemacht in seiner schrift: 
*die neu französische formenlehre nacli ihrem lautbestand.* 
denselben ergänzend und erweiternd führt derselbe aus, dasz aus den 
regeln der sdiriftgrammatik sich TerhSltnismUssig leicht die regeln der 
lautgrammatik ableiten lassen, nicht aber umgekehrt, sodann wird hin- 
sichtlich der Syntax hinpfewiefien auf die manigfachen abweirhungen 
zwischen geschriebener und gesprochener spräche, die auch früher schon 
bestanden, lautliche Veränderungen haben syntaktische amwälzongen 
im gefolge gehabt, wie der Übergang ans dem latein ins romanische 
erkennen läszt. eingehender beschäftigt sich redner namentlich mit 
der verstummung des auslautenden s und e, aus der uns manche syn- 
taktische erscheinung klar wird, die regel 'na*pieds, pieds aus' ist 
erst modernen Ursprungs und besteht nur in der scmrift; ähnlich verhält 
es sich mit dem grammatikeronterschiede bei demi, fea, ezcepttf n. a.; 
auch die regel von mil und mille (milles) ist nur dadurch entstanden, 



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deutscher philologen und schulmänner zu Görlitz. 



155 



dats ^ und t TerBtniBinfaii. die reg^eln, welche hinsiehtlieh des part. 
perf. paiB. beim reflexiven verb von theoretikern formuliert Warden, 

sind der spräche selbst fremd, nicht minder die modernen Vorschriften 
über unVeränderlichkeit bzw. veründerliebkeit des part. perf. pass., 
wenn dasselbe von einem infinitiv gefolgt ist. auch in der regel über 
die «nsdHIde für maes nnd-i^wiebt, die im accue. stehen^ zeigen eieh 
die folgen der Teratummiing des auslautenden s und e. 

Aus dem jifesftf^ten erpfibt sich die wichtijjkeit der kenntnis des je- 
weiligen lautbestandes für die beurteilung syntaktischer fragen; alte 
durch den damaligen lautbestand bedingte erscheinungen werden in der 
sehrift noch festgehalten, nachdem die lantrerbftltnisse längst seboB. 
andere geworden sind, derartige erscheinungen treten in gr^isserem oder 
geringerem umfange auch in andern sprachen anf. 

An der disenssion beteiligen sich auszer dem redner die herren 
ptot Erdmanni Gasparj und Brugmann. 

Zum sohlnss der sitsimg werden die herren prof. Hof mann and 
Brenner als sectionsForsitsende für die Münchner yersammlong gewXhlt. 

HAthematiseh-natnrwissensehaftHohe section. 

In der constitnierenden sitsung wurde herr prof, dr. Pntzler- 
QSrlita nitm Torsitcenden, herr gymnasiallehrer Fried rieh- Görlits zum. 
scliriftfnhrer gewählt. 

Erste sitsang, donnerstag den 3 octoher, Tormittags 8Va ubr. 
Herr prof. dr. Erler-Zülliobau spricht fiher das tbema: inwie- 
weit ist der ersatz wissenschaftlicher mathematischer 

fremdworter durch deutsche wünschenswert? 

Das }>estreben, unsere Sprache von fremd Wörtern zu reinigen ist von 
gro32em erfulge gewesen auf dem gebiete des rechts, des Verkehrs und 
hl der tage sprosse, wenn man einwendet, dass die Wissenschaft inter- 
national sein müsse und diesen bestrebnngen nicht rechnnng zu tragen 
habe, so ist dies doch nicht einwurfsfrei, an einer reihe von beispie len 
weist redner nach, dasz die Franzosen in vielen fällen wörter ihrer 
eigenen spräche gebrauchen, wo wir uns noch im gebrauche der fremd- 
wOrter gefiülen. anch der von Kallias erhobene einwand, dem aar nni- 
TersitSt übergebenden schüIer falle es dann schwer, an stelle der in der 
schule eing-eprägten begriffe sich neue anzueignen, ist nicht stichhaltio;'. 
es empfiehlt sich jedoch maszvoU vorangehen, um nicht der guten sache 
so schaden; auch hüte man sich vor nngescblacbten wortj^ildungen. 
jedoch hrancbt man auch nicht sn bldde und au ängstlich bei der hil- 
dang zu verfahren, im anschloss an diese aasfttfamngett stellt redner 
folgende sätze zur discussion : 

1) fremdworter, welche entweder bei uns allgemein angewandt oder 
in lehrbüDhern der meisten andern sprachen gebraucht werden, sind bei- 
nbehalten. hierher rechnet redner begriffe wie: Quadrat, parallel, 
Parallelogramm, 'eongment, addieren, subtrahieren usw. divisor, divi- 
dend u. ä. 

8) fremdworter, für welche bereits deutsche wörter vielfach ge« 
brancht werden, sind au Termeiden; dies gilt von den bezeichnungen : 
radiuB, centrum^ peripherie, sector, segment, basis, regulär u. a. 

3) fremdworter, welche nicht allzu häufig gebraucht werden, sind 
durch kurze einfach zusammengesetzte wörter zn ersetzen, demgeraäsz 
wird für 'transversale' vorgeschlagen ^mitteliiuie, querlinie, ecklinie* 
für'rotatlon' 'omdrehung', für 'normalschnitt' «bauptschnitt*, für *potens 
ehies kreises für einen punkt', 'kreisrechteck für einen punkt', für 
*cylinder' wird 'walze' empfohlen. 

4) bei der bildung neuer wörter ist darauf zu sehen, dasz sie mög- 
lichst kurz, einfach ohne mittelsilben zusammengesetzt den hauptpunkt 
ingeken«. redner empfiehlt in diesem sinne die Wörter: umkreis, inkreis. 



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156 Bericht über die yerhandlungeu der 40n Versammlung 



ankrei«; inwinbel und mittelwinkd ; 'lagehend' und ^atugfehend* for 
'conTergieiend' und *di▼ergierend^ 

Mit den ausfiibrungen des herrn vortrafrenden erklaren sich director 
dr. Ilamdorff und prof. dr. Futzler einverstanden; an der discussion, 
die hinsichtlich einiger ausdrücke sich anschlieszt, beteiligen sich 
AQSserdein nooh Oberlehrer 8 a n e r , gy mnasiallebrer KSeler, dr. Krüger, 
dr. Karrass und dr. Zeitzschel. 

Herr director Hamdorff fügt den angeführten afttaen als fünfte 
these hinzu: 

'es empÜeblL sich die Verdeutschung der fachausdriicke den fach- 
mSnnem zu überlassen.' 

Darauf werden die fünf thesen einstimndg angenommen. 

Znm schhisz führt herr prof, dr. Pntzler einige physikalische Ter» 
snche vor. derselbe zeigt eine zweckmäszige eiurichtung des Versuchs, 
durch welchen die existenz der schwingungsknoten wahrnehmbar gemacht 
irird. ^eselbe einrichtnng dient daaa die interfeiena yon sebwingimgen 
naehsQweisen. 

Zweite sitanng, freitag den 4 oetober 8V, uhr. 

Herr prof. Pntsler führt einen nenen Tersneh Ton Pnli^ vor, be* 
treffend die kreisförmige bewegnng einer hohlen knpferkngel um einen 

elektromagnetischen pol. 

Hierauf hält herr dr. Z eitz sehe 1- Görlitz einen Vortrag über den 
mineralogischen Unterricht in der Obertertia. 

In der einleitung weist redner darauf hin, dass die yon den lehr- 
plänen vom jähre 1882 hinsichtlich des mineralogischen unterrichte ge- 
stellten forflfrungen im Unterricht nur schwer erfüllt werden können, 
das Verständnis der bedeutunpr der inineralien für den bau der erdober- 
fläche beispielsweise erfordert nacii ansieht des redneis chemiäche Vor- 
kenntnisse; erst auf grund derselben kann der sebüler sieb eine klare 
▼orstellnng bilden von dem wegführen der mineralischen snbstanB an 
der einen und der Wiederabsetzung an einer andern stelle, von dem 
entstehen und vergehen der miueralieo. im weiteren verlaufe seines 
Vortrags erinnert redner an die wichtige eigenschaft des isomorphismus, 
deren verstiindniB doeh ebenfalls nur auf grund chemiseher ▼orkennt- 
nisse möglich sei. darauf weist redner auf die thatsache hin, dasz 
selbst solche verfapser von lehrbüchern , die sich der Vorschriften des 
reglements bewußt zu sein scheinen | doch mitunter das zulässige masz 
der anford^rungeu überschreiten, im mineralogischen unterrieht in der 
Obertertia musz in erster linie auf krystallographie rücksicht genommen 
werden; dasz jedoch das resultat der aufgewandten mühe und zeit nicht 
entspricht, liegt klar zu tage; mangeln doch dem schüler, selbst wenn 
der lehrer gute modelle vorzeigt, die unerläszlichen stereometrischen 
grnndbegrifPe. als das günstigste resultat des unterriehts beseiehnet 
redner es, wenn die schüler die kenntnis von 12 bis 15 einfachen 
krystallfnrTnen sich aneignen, die überschwenglichen äuszornn^en eini- 
ger für die Sache begeisterter fachgenos.sen verdienen eine kritischere 
Betrachtung; vor allem aber erklärt sich redner gegen die übertriebenen 
fordwungeu, welehe in dem aufsatie 'Über siel und methode des 
gjmnasialunterrichts in der mineralogie* gestellt worden sind, 
wünschenswert erseheint es, dasz fler mineralogische Unterricht einer 
classe zugewiesen werde, deren schüler mit den eiementen der chemie 
vertraut sind. 

Im ansobluBB an diese ausffihrungen stellt redner folgende these 

cur discussion: 

*im gymnn'^inra ist der mineralogische Unterricht aus der Obertertia 
au entfernen und der seconda im anschlosz an den chemischen unter* 
sieht EUBUweisen'. 

Naeh einer kumen debatte, an der sieh ausser dem redner pief« 



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deutscher phüologea und Bchalmftiiner zu Görlitz. 



157 



Erler, prof. Putsler und dr. Earrass beteiliiren, wird dJe these 

durch den znsatz: 

'statt dessen hat eiu propädeatischer uuterricht in der physik in 
der Obertertia zu beginnen' 
erweitert und in dieser form entnommen. 

Sodann spricht herr gjmnasiallehrer Rö sie r-Hannoyer Uber *die 
Stellnng der mathematik an den p^ymnasien*. 

Im anscblnsz an den mahnrof prof. Öchellbachs, für eine bessere 
stellnng der mathematik an den humanistisch eu gymnasien zu sorgen, 
fordert redner seine faebgenossen auf, mit begeistemng auf eine bessere 
sukunft der mathematischen Wissenschaft hinzuarbeiten. 

Was die Stellung der mathematik an den gymnasien betrifft, so 
sind trotz der nicht unwesentlichen Umgestaltung, die durch den lehr- 
plan von 1882 her?orgerufen ist, doch noch nicht alle ubelstSnde be^ 
•eitigt. da eine plötzliche reformation des höheren Bcbniwesens nicht 
zn erhoffen ist, so o-ilt es, in geduld abzuwarten; jeder mathematiker 
nnisz aber bestrebt sein, die interesseu seiner Wissenschaft zu wahren 
und zu fördern. 

Das bild, welches Sohellbaeh von der Stellung 'der mathematik an 

den gymnasien entwirft» ist kein erfreuliches; durch thatsachen wird 
auch bewiesen, dasz dio schildenTng nicht übertrieben ist. die grosze 
mebrheit der «lymnasialabiturieuien erwirbt sich ein aut'taiieii l f^eringes 
masz matiiemaliäciier kenntnisse, weiches zu der auf den uuterricht ver- 
wendeten seit in keinem Terhältnia steht, die schuld fUr dieses ungünstige 
resnltat glaubt redner einerseits in der noch immer ungünstigen und 
unteffjeordneten Stellung der mathematik p'ej:;-pniiber den alten sprachen, 
anderseits in der noch immer unzureichenden vor- und ausbildung der 
lehrer für ihren specielleu beruf üuden zu müssen. 

Ungünstig für die Stellung der mathematik ist der umstand, dau 
die behÖrden und die unmittelbaren leiter der gymnasien den wert der 
Wissenschaft mangels gründlicher wissenschaftlicher durehbildung nicht 
?oll SU würdigen verstehen, das Verhältnis würde ein anderes werden, 
wenn mathematiker sur leituug der gymnasien herangezogen werden. 

Die allgemeine Stimmung der pbilologen gegenüber den mathema* 
tikern läszt nach der auffassung des redners noch sehr viel zu wünschen 
übrig; derselbe ghmbt vielfach miszgünstige , ja sogar feindselige ge- 
sinnung bemerkt zu haben, gegenüber dem einflusz einseitiger philo- 
logen soll der mathematik durch gesettliche bestimmungen ein ruekhalt 
gewährt werden; auch die ältte^ dasz mathematiker im allgemeinen nicht 
zum Ordinariat Ii erangezogen werden, schadet dem fache gegenüber den 
lebreru der übrigen dic;cip]inen sowie gegenüber den Schülern. 

Schlieszhch bekämpft redner den weitverbreiteten abergiauben, die 
mathematik erfordere besondere beanlagung und tritt aufs entschiedenste 
der ansieht entgegen, dasz die mathematik fQr das leben keinen zwe<^ 
habe und darum ein unnützer ballast sei. im gcgonsatz SU solch irrigen 
anschauuugen musz das publicum über inhalt und 1 edeutung der mathe- 
matik aufgeklärt werden; wünschenswert erscheint es aber auch, dasz 
die ausbildung der lehrer auf der univerntKt eine ToUkommnere werde. 

Dritte Sitzung, s(jnn;ibend den 5 octuber vormittags ö'/^ uhr. 

Herr prof. dr. Putzier-Ciörlitz maclit einige physikalische ver- 
suche über resonanz und die obertöue von Stimmgabeln, darauf werden 
einige der naturforschenden gesellschaft su Qdriits gehörende musik- 
instrumente mit resonanzvorrichtungen vorgezeigt: eine marimba (Instru- 
ment aus Angola) und ein tiampu (instrument der Neger des Loemboflusses). 

Im anscblnsz hieran besuchen die mitglieder der section die samm- 
Inngen der naturforschenden gesellschaft. 

Zum Torsitsenden für die nächste Versammlung in München wird 
prof. Siegmund Günther -Manchen gewählt. 



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158 Bericht über die Terbandiungen der 40n Versammlung 



N e u p h i 1 o 1 o g i 8 c h e ö c c t i o n. 

Xu der coQBtituiereuden Versammlung am 2 octuber wurde zum ersten 
▼orsitsenden prof. dr. Sachs- Brandenbarg, snm «weiten Torsitseiklen 
prof. dr. Stengel- Marburg und zum Schriftführer dr. Pil z- Görlitz ge* 

wählt, die privatim angeregte Verschmelzung der neuphilologischen mit 
der germanisch-roraanischen section wurde, weil der geschichtlichen 
entwicklung und den interesseu der mitglieder der üectiou zuwider- 
Ubufendi abgelehnt. 

Erste Sitzung, donnerstag den 3 october vormittags 9 uhr. 

Prof. dr. Sachs spricht über den «nsammenhang von engliecb 

nnd französisch. 

Wenn von selten eiuiger universitätsprofessoren eine trennung daa 
franzSsischen vom englischen als wünschenswert bezeichnet wird, eo 
kann diese fortlernng zunächst doch nur auf die zukünftigen Universitäts- 
lehrer sich beziehen. zwisc!ien diesen und den einstigen lehrern der 
lebenden sprachen ist ein uuteischied zu machen, während die ersteren. 
nicht genug specialkenntnisse sich aneignen kdimen, ist es für die 
letzteren wichtiger das moderne französisch imd engliseh gründlich 
kennen /u lernen nnd sich fliVszend in diesen sprachen aasdrücken zu 
können; behcrschung der jetzigen idiome musz als höchstes ziel des 
praktischen pädagogeu bezeichnet werden, englisch und französisch 
sind anfs innigste mit einander verwachsen nnd dnrch politische und 
litterarische beziehungen der beiden nationen in ein "ähnliches zu- 
sammengehörigkeitsverhältnis getreten wie griechisch und latein, mit 
recht ist daher auch von der behörde bei der prüfung auf diesen nm- 
Btand rücksicht genommen, da die fac. iu frauzcisisüh und englisch tur 
den sohalmann wichtiger ist als die vom idealen Standpunkt mehr be« 
rechtigte Vereinigung von latein und französisch oder englisch and 
deutsch, im anschlnsz an diese einleiten len hemerknngen zeigt redner 
durch eine betrachtuug der beiderseitigen beziehungen zwischen den 
Franzosen and Engländern, in welch innigem Zusammenhang das geistes- 
leben nnd die spräche dieser wichtigen cnltnrvölker im geschichtlichen 
Terlaufe gestanden haben. 

Das englische entwickelte sich allmählich, bis es in der zweiten 
hälfte des 13a jahrh. mehr zur geltung kam and auch schon in Volks- 
liedern sich als lebensfShig erwies; im 14n jahrhnndert warde es zur 
rechtssprache erhobea und das parlament in englischer spräche er> 
öffnet (1362). das nationalbewnstsein der Engländer wurde durcli ihre 
siege gehoben und gekräftigt, wie wenig das englische selbst Frtmzosen, 
die jenseit des canals gelebt hatten, bekannt war, zeigt iu auttaileuder 
weise das beispiel Proissarts. bis zum ende des jahrh. war das fran- 
zösische in England eine fremde spräche, der Sieger von Azincoart 
(1416) heiratete eine französische prinzossin, ebenso wie s}i Iter sein 
söhn TTeinrirh VI. dem bedürfnis. die französische spräche J<ennen zu 
lernen, entsprachen die werke von Barciay, Palsgrave u. a. die franzö- 
sischen antoren dagegen kümmerten sich wenig nm das langsam sich 
entwickelnde englisch. 

Um 1531 wurde in Fncflmd die französische Schreibschrift mode; 
in Schottland war die kenntnis des französischen ziemlich verbreitet. 
Shakespeare versteht diese spräche, wenn er auch vielfach einen be- 
schr&nkten englischen standpankt einnimmt, im 17n jahrh. wurde das 
franz^sisohe mehr und mehr Weltsprache und auch in England viel ge- 
trieben, viele Engländer wie z. b. Milton hielten sich in Frankreicli 
auf, wie auch bedeutendere Frauzosen England besuchten, die bezie- 
hungen blieben aber doch nur mehr äuszerlich. auch im i8n jahr- 
hnndert war der verkehr zwischen Franzosen und Engländern trotz des 
fast andauernden kriegssnstands ein reger. Diderot war ein gründlicher 



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deutscher philologen und schulmauuer za Görlitz, 



159 



kenner des eni^lliohen, d'AIembert hegieng pk^at an Baeon. ron 
gfOHwm einflnsz auf die entern beziehangen Frankreichs zur englisohea 

Bpracbe waren Liifayette nnd frau von Stael, be^j^eisterte anhänger der eng- 
lischen Sache; tiefgreifenden einflnsz übten üsöian und Byron auf das 
französische aus; Sandeaa und Y, Hugo ebneten dem englischen die 
wege, das anoh durch Shakespeareiibersetsttngeii bekannter werde. 

Besonders trag Napoleon III durch seine allianz mit England für 
den Krimkrieg dazu bei, den alten hasz der beiden nationen zu mildern 
und einen näheren verkehr anzubahnen; seit der ersten hälfte unseres 
jahriinnderte begmnn man in Frankreich sich mit englischer geschiohte 
SQ beschäftigen; bald entwickelte sich anch eine bedeutende hinnoignng 
2U englischem wcscn und englischer mode; en^rlische Schauspieler ernteten 
reichen beifall in Faris, während Pariser in England auf der bühne 
enthusiastisch begrüszt wurden, jedoch hört man auch schon klagen 
Iber aagloraanie, die namentlich in der Vic Parisienne svm ansdraek 
kommen; die ahneignng gegen englisches wesen verrUt sich in einer 
reihe von wendangen gehässiger art, wie maladic anglaisc (spieen) 
qnitter h Tanglaise (sich jiolnisch drücken) n. ä. 

Das englisch der Franzosen ist wie daa frauzüäisch der Engländer 
vielfach sehr schlecht. 

Das resnltat der lautren wediselbeziehungen aber ist, dass England 
vielmehr von Frankreich empfanfren hat als umgekehrt; aber auch die 
französische spräche hat, viel cii|„'-liseln' wrwter HuffrenomiiK'ii tt'ila schon 
früher, teils erst iu ucuerer zeit; eiue bodüuteude auk^ahl hat verau- 
laisoog sa fransSsischer Weiterbildung gegeben, wie redner an einer 
relehen answahl znm schlusz nachwies. 

Die an den Vortrag der redners ?^icb anschlieszende debatte, an der 
sich die herreo Oberlehrer Perle, Kiingbardt, prof. Stengel, dir. 
Fritsche, obeil. Deutschbein, dir. Beneke und prof. Sternberg 
beteiligen, ftthrt snr einstimmigen annähme folgender thesdt 

«die bisherige vereinig uug der frans^sischen und englischen 
faenltas in derselben band bat sich erfahmngsmässig als den anter- 
richtlichen zwecken förderlich erwiesen.' 

Hieraaf hlllt herr prof. dr. Stengel-Marburg einen vertrag über die 

abfassiing einer geschieh te der französischen grammatik. 

Anknüpfend an die auf dem dritten neuphiiologentage in Dresden 
von ihm angeregte idee der abfassung einer geschlchte der irauzösi- 
fehea grammatik teilt redner mit, dass das von ihm aufgestellte ver* 
zeichnis französischer grammatikeu mehr als 600 werke ailhle mit an- 
gäbe der fundorte aller auflagen jedes Werkes. 

Wenn dasselbe auch noch lückenhaft sei, so erfülle es doch wenig- 
stens den zweck, für die geschichte der französischen gramaiatik in 
Deotsehland ansreichendes material zn liefern, ans gewissenhafter er- 
forscbung des historischen Zusammenhangs dieser werke lasse sich auch 
gleichzeitig der entwicklungsgang, den der Unterricht im französischen 
genommen, ermitteln, die resultate werden füe aufgewandte mühe reich- 
Uch lohnen, da dieselben auch dazu beitrugeu werden, die ansichten 
ftber die reformbestrebongen an klären. *los Yon der Schablone der 
lateinischen grammatik* ist das losungswort, welches die gesamtent- 
wicklung der französischen grammatik am besten charakterisiert, diese 
geschichte der grammatiic begreift iu gewisser hinsieht auch die ge- 
•ehichte der beim Unterricht befolgten lehrraethode in sich; von gröster 
wiektigkeit aber ist dieselbe selbstTciständlich für die geschiohte dei 
£raas5^scben spräche selbst. 

Durch einen längeren excurs über die regeln vom circnmflex sucht 
redner das interesse der fachgenossen für eine Sammlung grammatischer 
werke anzuregen; er scblieszt mit der bitte, ihn in dem geplanten 
mitemehmen nach kräften sn unterstützen. 



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160 Bexidit üb. d. 4lto TerBammliiDg deutscher philologen a. flehulm&imer. 



Zweite sitimig, fireitegf den 4 oetober rormittage nbr. 

Dr. Schäfer-Hambarg hält einen Yortrag über den formalen 

bildurigswert des französischen. 

^^aclidem redner yorausgeschickt, dasz unter formaler bilduog Mie 
planmüssige übnng ond entwicklang der aolag-en nnd krÜte des geistes 
an Terttehen sei', wie sie durch spräche nnd litteratnr gefordert werde, 

wendet er sich dem eigentlichen gefifen stände des vortrug-s zn, indem er 
UDtersncht, ob der französische grammatische Unterricht auch der 
grammatisch-logischen Schulung fähig sei, die durch den lateinunter- 
ricbt enielt wird. 

Um den sehfiler an bef&hlgen, fremdsprachliche werke ordentlieh 
losen und verstehen za könnm, müssen demselben griiniiliche gram- 
matische kenntnisse beigebracht werden, jedoch so, dasz das Verständnis 
der uotwendigkeit der formalen und syntaktischen erscheinuogen im 
nnterrieht geweckt nnd gefördert wird« an die stelle des mechanischen 
erlernens mu3z mehr und mehr verstandesmftssiges erfassen^ verstehen 
von innen heraus, treten. wie dies zn mHc)ien sei, weist redner an 
beispielen, die er der cuujugationslehre entlehnt, im einzelnen genauer 
nach, was die syat&x der beiden sprachen betrifift, so erhebt redner 
den Torwnrf, dasa im lateinischen Unterricht nirgends der versach 
gemacht werde« die syntaktischen erscheinungen aus einem logischen 
princip Itprnns zu erklären, wälirend man im französischen den logischen 
satzbau, die gcsetzmaszigkeit der spräche auch in der sjntax dem scbüler 
anr anschauung bringen könne; letzteres wird durch beispiele genauer 
erl&ntert. 

Der französische Unterricht, in der vom redner geschilderten weise 
betrieben, eignet sich nach der Überzeugung desselben ganz besonders 
als formales biiduugsnüttel und ist dem lateinischen ebenbürtig, gibt 
man dies an, so muss man anch dem fransösischen den Vorrang geben. 

Für die Priorität des fransSsischen spricht der umstand, dasz es 
nnsercr mnttersprache nahe genug steht, um vergleiche zu ermöglichen 
nnd analogien herlicizuziehen; ferner ist zu bedenken, dasz dasselbe 
als eine analytische spräche viel leichter ist als das lateinische, drittens 
verdient auch nach der lantlicben seite das französische den ▼orzug. 
während das latein nach den nationalitäten nnd dialekten verschieden 
ausgesprochen wird, kann im französischen von vornherein auf correcte 
ausspräche gehalten und das organ früh schon phonetisch geschult 
werden. 

Wird das lateinische von der aufgäbe eines formalen bildnngs« 
mittels entlastet, so kann dies nur von nutzen für die spräche selbst 
Bein, da datin die litteratnr nnd onlturbedentung eingehendere wttrdi* 
gnng erfahren kann. 

Die lehrbücher des französischen Unterrichts bedürfen aber, ehe 
derselbe die erbschaft des lateinisch«! hinsichtlich der formalen aas- 
bilduug antreten kann, noch einer gründlichen methodischen durch- 
arbeitung. 

Die ausführungen des redners fanden lebhafte Zustimmung; die an- 
nähme der im laiue der diseussaon formulierten these; *die erklämng 
der formen nnd regeln von innen heraus soll überall da im Unterricht 

verwandt werden, wo es das mechanisclie lernen erleichtern kann' 
wurde jedoch, weil selbstverständlich, mit groszer majorität abgelehnt. 

Zum schlusz gedenkt der Vorsitzende der zahlreichen verlustOi 
welche die neuphilologie seit der letzten Versammlung erlitten hat und 
fordert die anwesenden auf, sich zu ehren der verstorbenen von ihren 
sitzen zu erheben. 

Görlitz. Hodbbmann. 



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ZWEITE ABTEILUNG 

FÜB GYMNASIALPlDAGOeiK UND DIB ÜBRIGEN 

LEHILFÄGHE& 

MIT AD88CBLU8E DKB CLA88ISCUBN PHILOLOOIS 

HBRAU8OB0BBSN VOK PROF. DB« HbBICAKN MASIUS. 



15. 

ÜBER DI£ GEWÖHNUNG IN 80HULEN. 



Motto: toOtö \io\ &OK€t koXöv etvat, 

et TIC otöc T* €lii mu&eöetv dv6pi(iirouc 
Plato apolog. Soor. oap. IV. 

Die erziehung umfaszt alle planraäszigon cinwirkimgen auf den * 
jungen menschen, durch welche er zu einem wesen herangcblldüfc 
werden soll, das von seinen anlagen denjenigea gebrEiucb macht, der 
EU seinem uad seiner mitmenschen wahrem wohl dient, die disciplin, 
ein teil der erziebang, sucbt alle Veranstaltungen zu treffen, durch 
welche die von der schule bezweckte bildung leicht erreicht wird, 
sie schlieszt auch die absichtliche gevvöhnung an ein thun , das den 
zwecken der Vervollkommnung aller menschlichen kräfte entspricht, 
in 8icb, und kann darum sowohl in der schale als im hause erfolgen, 
beide arten der disciplin müssen möglichst hand in band geben, und 
dft die gesetze für beide wegen ihres gemeinsamen endziels sehr ähn- 
lieli sind, wollen wir hier vorzagsweise znr besseren einsieht die eine 
srt der diisciplin, nemlich die der gewQhnung in schalen im auge be- 
halten. 

Die gewShnnng will das rechte und gnte erzeogen nnd das 
gegenteil Terdrttngen und damit snnBohst der mondisohen erziehung 
Torberntend nnd nntersttttcend an die hand zo gehm. sie smrftllt 
daher m dne mehr positive nnd eine mehr negative. 

Jene gewOhnnng ftthrt gelegenheiten zu lebenserweknngen her» 
hM, wie sie sein sollen, wShrend diese^ die ent^ oder abgewGhnnngy 
den keim zom.bQsen erstickt, indem sie Veranlassungen zu demselben 
antfemt und der hinneigung dazu den nötigen widerstand leistet, 
alles was recht und gut ist, legt die gewöhnende erziehung den Zög- 
lingen entweder in schriftlichen gesetzen oder in mttndlichen anora« 

II. Jahrb. t phn. a. pSd. IL «bt. 18B0 hit 8. 11 



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162 



Über die gewdhuuug in schulen. 



nungen und einzelnen befehlen vor, sorgt für ihr Verständnis und 
hält streng anf die befolgiing derselben, gehorsam, Unterwerfung 
der sinnliclieii neigniigen unter <Mnen höheren willen und unter die 
notwendigkeit ist endziel aller gewöhnung. die Übungen im augen- 
blicklichen und bereitwilligen erfüllen des gebotenen selbst unter 
schwierigeren Verhältnissen gehören auch in das gebiet der ge- 
öhnung. diese Übungen werden mit dem frühesten kindesalter be- 
gonnen und müssen in der schule bis zum erwachen des selbst- 
denkens sowie noch in dem wirksamen regen des moralischen gefühls 
fortgesetzt werden, sie erneuern sich also täglich im kindes-, knaben- 
und Jünglingsalter und in diesem erneuem des recht- und guthan- 
delns liegt das verfahren und die macht der gewöhnung. das, was 
wir jähre lang beinahe täglich und stündlich thun , wird fast zur 
anderen natur, zu einer liebgewordenen lebenserweisung , welche 
auch unserem begehrungsvermögen eine schwer zu überwältigende 
richtung verleiht, die gewöhnung übt zw^ar nicht einen directen ein- 
flusz auf die sittliche bildung durch verstandesgrOnde und moralisch- 
religiöse getühle, woraus sittliche lioweggründe zum handeln ent- 
spriiigen, aber sie hat das er/klon eines thuns im auge, welches den 
in der menschenbrubt lief begründeten keim des guten entwickeln 
soll, dem durch sie erzeugten handeln gibt man den namen des le- 
galen, hieraus geht der unterschied zwischen dem gewöhnen und 
eigentlich moralischen bilden hervor, die gewöhnung ist kein ab- 
richten oder ein der moralischen erziehung fremdes, sondern der 
naturgemäsze stufenweise anfang und die unentbehrliche grundlage 
derselben, welche daher immer den inneren menschen fest im auge 
behält. 

Die gewölnumg ans rechte und gute erstreckt sich auf alle 
Bclitlleri die entwöbnung dagegen mehr auf einzelne, fehlerhaftes in 
folge yerkebrter httuslicher ersiehung oder anderer nachteiliger ein- 
flösse yon aussen musz bei manchem zögling vermindert oder getilgt 
worden sein, ehe die gewöhnung ihr werk mit erfolg beginnen kann, 
für die entwObnung arbeitet swar im allgemeinen die gewöhnung, 
aber gleichen schritt im befolgen des gebotenen und unterlassen des 
Terbotenen mit gut gewöhnten schfilem werden vemachlftssigte nur 
durch eine besondere entwöbnung machen können, welche üble ge- 
wohnbeiten überwacht und beseitigt« hieraus ergibt sieb die schul- 
gewöhnung im besonderen« sie will zunächst die thBtigkeitea der 
Schüler, Ton welchen vorzüglich das gedeihen der intellectuellen 
bildung abhängt, in bewegung setzen und sucht darum die so- 
genannten Schultugenden gehorsam, fleisz, ausdaner, aufmerksam« 
keit^ Ordnung, ruhe, streng recbtlicbes yerbalten der Zöglinge unter 
einander vor jedem weiteren erziefaungsgesohäft zu yerwirklicbeo. 
gehorsam und fleisz stehen unter diesen tugenden obenan, die er« 
Zeugung der scbultugenden geschiebt jedoch nicht allein um des 
Unterrichts willen, dieselben sollen yielmehr für jede schule ihren 
eigenen Zielpunkt bilden, ohne besondere rücksicht auf vorteile fttr 



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über die gewöhnung in fidiulen. 



163 



erkpuntnis und verstandesbildnng, da ja die schule die moraliscbe 
ebensowohl als die intellectuelle entwicklung ihrer Zöglinge erstrebt, 
das erwähnte streng rechtliche verhalten der schüler unter einander 
erscheint jedoch als ein zwangvolles, die freie bewegnng derselben 
lahmendes, deshalb erregt die gewöhnung in den schulen das ent- 
stehen der nachgiebigkeit, Verträglichkeit, Zuneigung, dienstfertig- 
keit, der frenndlichkeit , artigkeit gegen mitsciiüler, mitmenschen 
hdcI lehrer, sowie auch teilweise desjenigen anstandes, den das ge- 
sellige leben von jerUm glied desselben fordert, und sucht diese 
eigenschaft nach und nach in wirkliche tugenden zu verwandeln, 
noch weiter läszt -ieh der umfang der gewöhnung in schulen sogar 
auf eigentliche d. h. aus der gcsinnung hervorgehende tugenden aus- 
dehnen, da das zusammenleben hierzu reichlichen anlasz gibt. 

Zu nennen sind unter diesen besonders liebe, freundschaft, ver- 
trauen, dankbarkeit, teilnehmende und opferwillige hilfeleistung, 
Offenheit, mäszigkeit, entsagung, ruhiges ertragen des unangenehmen, 
misfallen an allem häsziichen und schlechten , also eine grosze an- 
zabl, auf welche die gewöhnung in ihrer ersten entwicklung bedacht 
nehmen d. h. sie schützen und pflegen kann, das verhSltnis indessen, 
in welchem gewöhnong cnm entwicklungsgang der ktndesnfttnr sich 
befindet, wird die folgende anseinAndersetsung erSrtem« 

Dos ganze geistige nnd körperliche lehen des kindes befindet 
nah im snetande der echwftche und unmttaidigkeit. im e&twicklnngs- 
process begriffen strebt es jedoch sich ans dieser natnrbefangenheit 
beransznarbeiten^ m einem Tollkommeneren gebrauch seiner krfifte 
zu gelangen, der wille insbesondere, der neh in dOrftigen anföngen 
laaiert, gibt aber noch nicht den lenker des jungen menschen ab, 
sondern folgt den begeh rungen der physischen triebe, der herTor- 
tretende fireiheitstrieb beweist swar das dasein des willens, aber zu- 
gleich auch seine regellosigkeit, mangelhaftigkeit und das abhftngig< 
sein vom leiblichen leben, weshalb man ihn nur fttr einen sinnlichen, 
schwachen, nicht gebildeten, folglich ftlr eine blosse anläge in ihrem 
beginnen und werden halten darf, das verlangen den eingebungen 
des augenblicks zu folgen, zukünftiges als reizenden genusz zu hoffen, 
Buswren eindrücken sich oft ganz zu überlassen, sowie mangelhafte 
Tersnche den begehrungen widerstand zu leisten , sind ohne zweifei 
ofEenbarungen des kindes- und knabenwillens. aber sie bleiben 
msngelhaft , weil in dieser altersperiode das physische leben meist 
dem psychischen vorauseilt und sogar als mittel zum gedeihen des 
letzteren vom erzieher absichtlich neben den ersten schwachen ein- 
wirkungen auf den geist gepflegt werden musz. das dunkle gefühl 
für das gute, der aboofaeu Yor dem schlechten und die vor, bei, wie 
nach der that sich äuszemden stimmen des gewissens sind während 
dieses alters zwar in ihrem einfiusz auf den willen nicht zu ver- 
kennen , aber sie sind auch in ihrer stfirke nicht zu überschfttzeilj 
weil sie hftufig den leiblichen trieben unterliegen müssen, da nun 
verstand, vemunft und gefühl im kindes» und knabenalter nur als 



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164 



Ober die gewOhnnng in schuleiL 



anlagen vorhanden sind , und nur einen geringen einflusz auf den 
willen ausüben^ so kann dia moraliaeha bUdnng also nicht yon be- 
gnffitantwioUnngen, gründen nnd gefühlsemgungen ausgehon. 

Die erste aaturgemftsze einwirkung auf die kindeflOAtor mnss 
daber eine unmittelbar dem villensvennQgen augewendete sei», also 
eine solciie, die sich den begierden durch gesets und seine hand* 
habung entgegensetzt; ohne die übrigen geiatesanlagen in ihrem 
lortscfaritt su hemmeni damit der wille des kindes geri<ätet| und der 
erste grund zum Tersucfaeni das gute aus eignem antrieb zu wShlen, 
gelegt werde» gewOhnung übernimmt diesen wesentlichen teil der 
monJisohen erxiehung. die mittel der gewöhnungeUf welche sich 
von denen der erziehung nicht ganz scheiden lassen , sind vorerst 
einrichtnngen. unter den schuleinrichtungen verdienen folgende er* 
wttbnung. Stundenpläne, regelmttszigkeit im anfang am scUusse der 
schule sowie der einzelnen stunden, beaufsichtig ung der schüler vor, 
nach dem Unterricht und in den pausen, strenge aber einsichtsvolle 
disciplin wfthrend der lehrstnnden^ mündliche oder schriftliche eom- 
mnnication zwischen schule und haus nebst möglichst genauer con- 
trolle über das betragen und den umgang der schüler, damit wo- 
möglich keine andere wähl übrig bleibt, lüs das rechte zu ergreifen 
und sich immer mehr daran zu gewöhnen, auch diarien, condniten- 
bücher, Versetzungen und Zeugnisse können, falls der lehrer die ehr- 
liebe nie in ehrgeiz ausarten iSszt, zu den vorteilhaften einrichtungen 
für die gewöhnnng an die schultugenden gerechnet werden, je näher 
diese schaleinricbtungen mit denen des hauses verwandt sind, desto 
erfolgreicher sind sie. diese Wirkung ist vorbanden, wenn alle schul** 
einrichtnngen vertrauen sowohl der Zöglinge als der eitern erwecken, 
dies vertrauen musz um so mehr voriianden sein, da das schulleben 
wegen der gröszeren anzahl der zu erziehenden Individuen strenger 
sein musz als das häusliche, obgleich die schule nie ohne not die 
freiheit des Schülers einschränken soll, das vertrauen gegen die 
schule wird dadurch befestigt, dasz der lehrer nicht allein die in- 
tellectuelle, sondern auch die moralisch religiöse bildung bei der ge- 
wöhnung des scbfllers im auge behalten musz. — In schulen, welche 
allein oder auch nur vorzugsweise nach dem fachsystem eingerichtet 
sind, geht vielen dieser einrichtungen ein festes princip und in der 
*ausführttng einheit ab, da die kurze zeit, welche den einzelnen 
lehrem zur kenntnis und behandlung der einzelnen schüler zu- 
gemessen ist, ihnen nicht einen tieferen einblick in ihre natur ge- 
stattet. 

Darum musz stets ein hauptlehrer jeder classe vorgesetzt sein, 
welcher nicht allein die wesentlichsten und die meiste zeit erfor- 
dernden lehrgegenstände in ihr behandelt, sondern auch ihre er« 
Ziehung im engeren sinn leitet, dasz dies nur möglich ist bei an- 
staltcii, welche gewisse hauptfächer haben, um welche sich die andern 
fächer als nebenfächer gruppieren, ist selbstverständlich, deshalb 
allein kann schon wie auch aus anderen gründen nicht genug ge- 



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über die gewOhauug iu schuieu, 



165 



warnt werden vor schulen, welche eine zu grosze anzahl von lehr- 
gegenständen in ihren Stundenplan aufnehmen, dies gilt sowohl 
filr die niederen als ganz besonders für die höheren lehranstalten. 
der hauptlehrer einer classe vermag sich allein einsieht in die zu- 
stände und bedürfnisse der einzelnen wie der gesamtheit zu erwerben, 
um daran gerade die einrichtungen wie die richtige bebandliing der 
gewöhnung zu bemessen, zu dem ende stehe ihm aber auch gesetz- 
lich die befugnis zu, die anliegen der schüler zuerst zu vernehmen 
und ihnen verbaltungsmaszregeln oder rat zu erteilen, zwischen dem 
classenlehrer und seinen collegen, besonders aber dem Vorsteher der 
schule musz ein möglichst groszes einvernehmen herschen, damit 
nicht, was leider oft vorkommt, mit mühe begonnenes wieder zer- 
stört wird, zu dem ende müsten über die befugnisse des classen- 
lehrers im Verhältnis zu den rechten des schulvorstehers hinsichtlich 
seines einschreitens in die disciplin und erziehung der classen durch- 
aus bestimmte Vorschriften gegeben werden, damit mcht üllein jeder 
conflict vermieden wird, sondern, was das wichtigste ist, die er- 
ziehung nach festen maximen mit rüchsicht auf die Individualität der 
schüler vor sich gehen kann, gewöhnung will nun die Übereinstim- 
mung mit den schuleinrichtungen so erzielen, dasz der zögling sich 
mit limen mehr und mehr bufieundet und ihm jede Übertretung der- 
selben ein gcfübl der Unzufriedenheit zuzieht, ja dasz es ihm schwer 
oder unmöglich werde, ilmen seine folgsamkeit zu vers^igen. zu den 
hauptmitteln der gewöhnung in schulen gehören nutzer einrichtungen 
gesetze. hierhin gehören regel, Vorschrift, gebot und verbot, sie 
sollen das begehrungsvermögen des kindes zu einer festen richtung 
mit beseitigung der blinden wähl befähigen, denn, ein gebildeter 
verstand und charakterfester wille musz, da im kindesalter das be- 
gehrungsvermögen hauptsächlich den willen leitet, dem kinde den 
weg zeigen, damit es zu dem legalen und tugendhaften handeln die 
erste annftherung versnchen könne, das verhalten des kindes musz 
in der schale natnrgemäsz ein beengteres sein als in der familie, 
daher müssen ihm die regeln nnd gesetze bekannt gemaebt werden, 
naeh denen es in der sdinle leben soU, und dies musz in einer weise 
geschehen, dasz es sieb heiter in das neue leben findet da in der 
schale das bind in ein verbftltnis za anderen altersgenossen tritt, so 
mnsz die schule die willkfir der einzelnen gegen einander ein- 
sohrBnken, das recht des einzelnen' scbfltzen nnd einen fireandlichen 
Terbebr pflegen, was ebenfalls durch gesetze und yorscbriften be- 
wirkt wird, gesetze sind aber auch darum nOtig, weil durch sie erst 
diejenige macht erlangt wird, welche der gewöhnung ans rechte zur 
einheit, zur festigkeit und zur Verwahrung gegen den schein der Un- 
gerechtigkeit sowie der ganzen Schulordnung zur nötigen autoritftt 
varhilft. von der bescbaffenbeit der gesetze nach Inhalt nnd form 
muBZ aber wesentlich dasgelingen oder nicbtgelingen der gewöhnung, 
welcbersieals mittel dienen, abhängen, an alle Vorschriften der schule 
ist rficksichtlicb ihres inhalts zuerst die forderung zu stellen, dasz sie 



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166 



Über die gewöhuung lu gchuleu. 



im geiste des Christentums gegeben sind, denn dieses bat sich, in 
seinem wesen erfaszt, trotz aller Verschiedenheit der ansichten über 
seine besonderbeiten und trotz des Unterschieds wie des wechseis 
seiner formen als das kräftigste bildungsmittel Jahrhunderte lang 
erprobt. nichtChristen gegenüber ist es ja auch der geist der liebe 
und der humanität. gesetze müssen ferner der geistigen entwick- 
lungsstufe, den anlagen , dem temperament, den lebens- und schul- 
verhältnissen der mehrheit der Zöglinge angemessen sein, da alle 
Schulgesetze nur aus einsieht in die beschaffenheit der zoglinge her- 
vorgehen soll, so müssen sie auch den charaklcr der not wendigkeit 
rücksichtlich ihres inhalts in ^ich tragen, dätten also nicht nach 
Willkür Vorschriften, deren vorbandenyein für die erziebung gleicb- 
giltig oder gar schädlich sind, zm-ammunLäufon , sondern sieh nur 
mit dem Ijefa^sen , was, Jeu forLscliritt zum besserwurden be- 
günstigt, der natur als führerin folgend dürfen die gesetze das ein- 
fache leben des zöglings nie in ein gekünsteltes verwandeln, auch 
dtLrfon sie nicht für jede einzelne richtung des thuns bestimmte 
normen aufstellen, denn je einfacher, klarer und inhaltsreicher die 
gesetze sind, desto leichter werden sie sich der seele des erziehenden 
einprägen nnd den willen desselben an die beobaohtung derselben 
gewöhnen, wenn nur für das notwendigste geböte erlassen werden, 
so wird aneh der selbstbestimmungsteieb nicht vwkilmmert und 
kann sieh so nach nnd nach zur wahrhaft freien Selbstbestimmung 
entwickeln« eine gewisse freiheit erregt freadigkeitnnd eine frischere 
entfaltnng der kräfte , wShrend ein zu groszes einengen durch ge- 
setze den schtQer oft gerade zum tibertreten derselben reist, indem 
auch hinter dem verbot etwas angenehmes geahnt und die begierde 
darnach erregt wird, d^er dQrfen auch die gesetze die Zöglinge nie 
auf vergehungen aufmerksam machen, welche ihnen unbekiumt sind. 

Fttr die erfolgreiche gewöhnung kommt inzwischen auch noch 
die form der gesetze in betracht, von ihrer form ist zu verlangen, 
dasz sie wie der Inhalt dem grade des auffiassungsvermögens ent- 
sprechend seien, sie musz daher sprachlich klar, bestimmt und ein- 
fach sein und denjenigen grundton in der ausdrucksweise anschlagen, 
welcher fUr die beschafiPenheit der schOler passt. auch die beant* 
.wortung der frage, ob schriftliche oder mOndliche form der gesetze, 
ist für die gewöhnung der schtUer von grosser Wichtigkeit ge* 
druckte gesetee erleichtem die aufgäbe des lehrers die sdhttler über 
ihre Obliegenheit zu unterrichten, auch sind sie leichter zu behalten 
nnd bringen einheit und nachdruck in das disciplinariseh gewöhnende 
verfahren vieler lehrer, indem sie alles unbestimmte und schwan- 
kende ans der gewöhnung entfernen, gegen die schriftliche ab- 
fassung der gesetze besonders bei vielclassigen anstalten liesze sich 
einwenden, dasz bei der Verschiedenheit der altersstufen in den ver- 
schiedenen classen unmöglich für alle gleiche gesetze gelten können, 
dies ist allerdings richtig und man musz deshalb darauf sehen , dasz 
die für alle classen giltigen gesetze nur die allgemeinen normen der 



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■Ober die gewOhnang in Bohulen. 



167 



eefanlordnung anfsielleii, indem man alsdann für gewisse dessen be- 
sonders flHLr die oberen ansnahmebestimmangen eintreten lassen kann, 
kerne gesetse, auch wenn sie noeh so eorgfältig abgefaszt nud, 
kennen ansprach anf vollstftndigkeit erheben, deshalb mnsz not- 
wendig die mttndliehe gesetzgebung als ergSnzung eintreten, welche 
Ton ganz besonderer Wichtigkeit fttr die unteren classen, d. h. fUr 
die onmfindigeren schttler ist, weil ihr noch sn schwankender wille 
durch Öftere mflndliche wiederholong der geböte am leichtesten die 
gewflnsehte richtnng erhält 

Kaehdem so die wichtigsten mittel, deren sich die gewdhnnng 
bedient, angbfOhrt worden sind, handelt ea sich jetzt dämm, in 
welcher weise gesetze und einxichtnngen yom erzieher zu verwenden 
sind, oder wie gew^nt werden soll, einrichtungen wie gesetze 
werden im allgememeu richtig angewandt, wenn sie zum voll- 
ständigen und bereitwilligen gehorsam des zOglings, dem nächsten 
siel der gewOhnung und der grundbedingung des moralischen lebens, 
auf sicherem und leichtem weg führen, besprechen wir nun die art, 
in welcher gehorsam bewirkt werden musz, so erledigen wir damit 
grSstenteils die frage, wie die mittel der gewOhnung zu verwende 
sind, denn der gehorsam ist die grundlage der moralischen bildung, 
weil durch ihn erst die möglichkeit gegeben ist den willen an das 
gute zu gewöhnen, durch bestimmen zum fügen in die getroffenen 
einrichtungen, wie durch consequenUs anhalten zur ausübung der 
gesetze leitet man im allgemeinen zum gehorsam, wie auch zur 
rechten gewöhnung, da diese das legale thun, welche in der folgsam* 
keit gegen die gesetze besteht, und durch dasselbe das leichte über- 
gehen desselben ins sittliche verwirklichen will, das gewöhnen zum 
gehorsam, welches somit vor allem unerläaalich ist, zerfällt in ein 
mehr negatives und ein mehr positives verfahren, vorerst sucht ge- 
wdhnung alle den zOgling zor Übertretung der gesetze reizende an- 
ISsse möglichst zu entfernen, hierzu ist eine angestrengte Wachsam- 
keit des erziehers über das leben der zöglinge in und auszer der 
schule, so weit es möglich ist, durchaus notwendig, zwar kann der 
lehrer nicht immer auf das verhalten der schüler auszerhalb der 
schule direct einwirken, aber er kann sich meist diejenige kenntnis 
von demselben verschaffen, welche ihm über manche er»cbeinung im 
verhalten seines Zöglings aufschlnsz gibt und ihm die richtung seiner 
behandlung vorzoichnet; ja er kann versuchen, ob seine ratschläge 
nicht bei eitern und Vormündern eingang finden, hat sich der er- 
zieher auch des guten willens des hauses versichert , so wird es ihm 
nicht schwer fallen bei der kenntnis der etwaigen bü^en neigungen 
seines Zöglings dieselben im bunde mit der häuslichen erziehung 
nach und nach zu beseitigen, indem er den zrtgling zu einem freu- 
digen und vollständigen gehorsam gegen alle seine geböte gewöhnt, 
versagt jedoch dem lehrer die häusliche erziehung ihre mitwirkung, 
so musz er seine beniühungen die bösen lockungen zu beseitigen^ 
Terdoppeln. die art und weise, wie diese bösen reize entfernt werden 



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168 Über die gewdhDiuig in schulen« 



sollen, musz jedoch durchaas der natur des Zöglings entspre^en, 
.deshalb musz sich der lebrer eine gründliche kenntnia derselben ver- 
schaffen, auch ein tadelnswertes benehmen der mitgenossen in und 
auszer der schule schwächt entweder durch das häufige bemerken 
desselben das gefühl für das rechte oder fordert direct zu versuchen 
gleicher art auf. naturgemttsze und tactvolle behandlung der schttler 
ist daher die erste bedingung« welche an den lehrer gestellt wird, 
bei stark gewordenen bdsen neigungen musz er jedoch sn Terweis, 
tadel, drohnngen und sogar zu strafen schreiten, jedoch nur dann« 
weon alle sonstigen antriebe zur lust am guten, zur frohen teilnähme 
am Unterricht vergebens waren, das erregen der lust znm guten 
bleibt jedoch immer das stärkste Schutzmittel gegen verwerfliche 
reize zur gesetzesttbertretung. dasselbe findet seine glücklichste lösung 
in dem guten beispiel. deshalb gebt die erziehende gewöhnung von 
der erfahrung aus, dasz der nachabmungstrieb auf das tbun und 
lassen des zöglings eine fast un^Tiderstehliche gewalt übt. nach dem 
anschaulichen handeln anderer perboncn richtet der zögling mehr 
sein verbnlten ein, ah nach cinrichtungen undgesetzen, weil ersteres 
eine unrnitlelbare Wirkung ausübt. 

Dem nun zu besprechenden mehr positiven verfahren der ge- 
wöhnung liegt daher auch die berücksichtigung des nachahmungs- 
triebs zu gründe, dieses sucht vor allem einen guten freist in der 
schule wach zu rufen, bestehend in einem bei'^der mehrheit der 
Schüler sich zeigenden offenen , heitern sinn, der von den get'tiblen 
der achtung und liebe gegen lebrer und altersgenossen getragen ist. 
diese geftthle geben sich kund in dem freudigen befolgen aller ge- 
böte, in ausdauernder thätigkeit und Ordnungsliebe, sowie in dem 
nicht blosz rechtlichen und anständigen, sondern auch liebe gegen 
lehrer und mitschüler beweisenden betragen, sobald die größte zahl 
der Zöglinge von solchem geist durchdrungen ist, wird sich die macht 
des guten auch auf die zum widerstreben geneigten geltend machen, 
da sie in ihren unrechten handlungen keine Unterstützung üuden, 
sondern nur absehen erregen, sowie der gute geist edler familien 
zwar niemals alles anstuszige von Seiten sämtlicher glieder oder 
mit ihr in Verbindung kommender personen durchaus zu entfernen 
vermag; und wie er dennoch bei den kindern solcher dem sinn fürs 
gute die überwiegende herscbaft über die neigung zum bösen ver- 
schafft, so verhält es sich mit dem guten geist der schule und einer 
jeden classe derselben, der gute geist in schulen leistet somit die 
ersprieszlichsten dienste ftirs erzeugen und erhalten des gehorsams, 
der grundbedingung aller gewöhnung. dieser gute geist musz aber 
vorzugsweise vom lehrer ausgehen, da sein beispiel, sein verhalten 
den nachabmungstrieb der zöglinge unmittelb.Lr wacbruten. einem 
günstigen resultat seiner erziebungibeniübungen darf der leber daher 
nur sichüi entgegen sehen, im Mle er in iämtbichen anforderungen, 
die er an den zöglmg htullt, ihm als muster in ihrer befolgung voran- 
geht, ihm also ein vorbild der thätigkeit, Ordnungsliebe ; Sanftmut, 



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über die gewöhnuug in schulea« 



geduld und überhaupt aller tugenden täglich vtjrgügenwärtigt, und 
im falie er ein gemüt, das von ungeheuchelter frömmigkeit erwärmt 
ist, kund werden läszt. auszer dem zur nacbabmuug auffordernden 
muäter, das der lehrer als mensch gibt, nimmt nicht minder auch die 
art, wie er in der erziehung und gewöbnuDg verfährt, eine wichtige 
stelle ein, eine mit bestimmtem bewustsein gewählte und päda- 
gogisch richtige bebandlung der zSglinge ueben der moralität und 
religiositftt des lehrers ist daher ein notwentdiges erfordeiniä für den 
gewöhnenden erzieber. die erste und wichtigste quelle, aus welcher 
titb lehrers rechtes verfahren beim gewöhnen entspringt, ist die liebe, 
des freundlichen und liebenden crziehers Vorschriften wit; raasz- 
regeln sprechen unmittelbar das herz des zoglings an und dieses be- 
stimmt seinen willen weit mächtiger als sonstige einwirkimgen auf 
denselben, liebe reicht jedoch für sich nicht durchgebends aus, son- 
dern es wird neben ihr auch ernst und strenge erforderlich bleiben, 
die sinnliche natur überwiegt im früheren lebensalter selbst bei gut 
mogenen kindeni den einflusz der geistigen nnd verlangt deswegen 
vom erzieber neben dem liebevollen zugleich ein ernstes und strenges 
verfabren» damit der gewalt der Binnliebkeit bestimmte grenzen ge- 
tetst worden« ernst nnd eonseqnente strenge treten dem verwerf- 
liehen begehren hemmend in den weg« kommen der ohnmacht in der 
Selbstbestimmung za hilfe^ erleiehtem durch die nnabweisliche not- 
wf&digkeit den sieg Uber die wUlkthrlichen gelöste des physischen 
lebens and bereiten so in rechter art ein ans innerer entschiedenheit 
IQis gute hervorgehendes handeln vor. der nicht nach feststehenden 
gnmdflStsen ver&hrende erzieber vermag daram nie den awisehen 
dem guten nnd bösen schwankenden Zögling zum legalen und noch 
wsniger znm moralischen thun heranzubilden. — Ein consequent 
stnages ver&hren im gewöhnen ans gute und im abgewöhnen vom 
boten ergreift auch absiehtliche erregungen angenehmer und unan« 
genehmer empfindungen, das ist lohn und strafoi um dem gesetz, das 
aonst bei manchen Zöglingen zwecklos sein wttrde» durchgebends 
folgeleistnng zu verschaffen, um von künftigen Qbertretnngen abzu*« 
lialteft, und um durch erfreuen zu noch grösserer anstrengung im 
nebttbun za ermuntern, mehr ab geschenke verdienen unter den 
bdobnnngen liebvolle worte, freundlicher blick, anerkennung der 
Isistangen, gestatten grösserer freibeit und nachsieht bei Obereilten 
gesetsesverietcongen fOr gewöbnung empfohlen zu werden, weil 
Istster» weniger als erstera ein sinnlich eigenntttKiges thun hervor^ 
rufen, da das belohnen, selbst mit gröster vorsieht angewendet, 
venig bildende kraft in sich trilgt, und gerade für gehorsam, den 
man eigentlich nie belohnen sollte, von geringer bedeutung ist, so 
woIImi wir zu einem andern mittel der gewöbnung, den strafen, Ober* 
geben, welche leider oft unentbehrlich sind, da nun die art und 
Weise, wie der erzieber die strafe anwendet, oder wie er vor, bei und 
nach derselben verfährt, das resultat, welches sie für die gewöbnung 
liefern kann und soll, geradezu bedingt, so musz der lehrer zuerst 



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170 



Über die gewoiinung iu aciiuleü. 



vollkommen im klaren sein, welche zUbtLinde und äuszerungen die 
strafe erlieischeu. diese zuständti und äuszerungen sind nur dann 
als gar für strafen geeignet zu betrachten , Wünn sich alle übrigen 
mittel der gewöhnung als unzureichend erwiesen haben, also nament- 
lich bei einer andauernden fehlerhaften beschaffenheit und richtung 
des willens, wer von seinem Strafverfahren für die rechte gewöhnung 
wirklichen erfolg haben will, der mu&z in jedem falle gerade die 
passendste und eindringendste strafe in anwendung bringen» kennt- 
nie der zöglingsnatur nebst eigner erfahrnng Aber die Wirksamkeit 
4er strafen leisten kierza die erspriesslidisten dienste. sie leiten Ton 
selbst auf natttrlicke strafen hin, db. anf solche, welche als not« 
wendige folgen ohne alles znthnn des -erziehers an die yergehnngen 
geknttpft sind, oder anek auf solche, welche mehr durch sein zuthon 
als notwendige an dieselben Terknttpft erscheinen, diese strafen sind 
«hne zweifei die wirksamsten, weil die erkenntnis des Zöglings yon 
der notwendigkeit der unangenehmen folgen einer flbertretnng der 
Wiederholung derselben am krftftigsten vorbeugt und den gewünschten 
gehorsam in natürlicher und leichtester weise herbeifflhrt« da je- 
doch an manche fehler entweder gar keine oder nur ganz schwache 
natfirliche folgen gekettet sind, und da andere oft erst, nachdem 
wiederholt das vergehen erfolgt ist, eintreten, so reichen für ge- und 
entwöhnang, welche dieses eintreten der folgen nicht abwarten und 
das festwurzeln des bOsen nicht zugeben kann , leider h&ußg natür- 
liche strafen nicht aus und nötigen auch künstliche strafen zu er- 
greifen, an künstliche strafmittel musz die gewöhnung, wiefern das 
verfahren des lehrers durch sie nicht bloss das gehorchrai erzwingen, 
sondern auf die moralische natur eindruck machen und den willen 
zum freiwilligen unterlassen des verbotenen nach und nach beflKhigen 
will, folgende allgemeine anforderungen stellen: jede strafe stehe 
in Übereinstimmung mit der natur des Schülers; jede strafe werde 
mit sorgfältiger Überlegung der durch sie zu erreichenden zwecke 
gegeben, jede strafe richte sich mehr nach dem ermittelten Ursprung 
als nach dem äuszeren schein der that. auch das verhalten des 
lehrers bei der erteilung von strafen ist nicht gleichgültig, weil der 
unmittelbar durch die strafe beabsichtigte eindruck, mithin auch ihre 
spätere Wirkung teils durch dasselbe begünstigt^ teils gehemmt wird, 
würdevoller ernst, herzliche teilnähme, leidenschaftslosigkeit sind 
unbedingte erfordernisse, sie vermehren bei dem gestraften die eigne 
Unzufriedenheit, die reue und den vorsatz zur besserung, während 
bei einem unpassenden verhalten des lehrers durch das strafen nur 
Widersetzlichkeit, trotz und gefühllosigkeit wachgerufen werden« 
nach vollzogener strafe ist es pflicht des erziehers seine beobachtungs- 
gabe dem blick, den geberden und dem seelenzustand des gestraften 
zuzuwenden, um den grad, in welchem die strafe gewirkt oder nicht 
gewirkt hat, genau zu erforschen, damit er die weitere behandlung 
des Zöglings so einrichten kann, dasz sie in Übereinstimmung mit 
seinem inneren leben besserung bewirkt. 



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über die gewöhuung ia schulen. 



171 



Durchaus unnatürlich und zweckwidrig erscheint das verbieten 
des Weinens nach der strafe, da dieses die unwillkürliche Offenbarung 
des inneren gefühls ist; ebenso verwerflich erscheint es dem ge- 
straften noch längere zeit mit Unfreundlichkeit zu begegnen, ihm 
kein vertrauen auf besserung zu zeigen und ihm bei jeder gelegen- 
heifc sein vergehen wieder vorzurücken, da hierdurch an die stelle 
der erkenntnis, reue und besserung nur hasz gepflanzt wird, sobald 
der gewöhnende lehrer von der strafe gebrauch macht , musz er also 
darauf sehen, dasz sein verfahren vor, bei und nach derselben in der 
weise, die soeben bezeichnet worden ist, vor sich geht, weil nur so 
auch durch diese sein zweck, das legale thun zu erzeugen und das 
frühzeitige erwählen des guten aus innerem antrieb anzuregen , er- 
reicht werden kann, die strafe musz jedoch unter allen umstanden 
das möglichät selten zu ergreifende mittel zur gewöhnung ans 
gute betrachtet werden, da sie bei zu häufiger an Wendung ihren 
zweck nicht allein verfehlt, sondern geradezu verderblich wirkt, dh. 
die gewöhnung ans scblechte herbeiführt. — Die strafe ist also nur 
letztes mittel der i^^ewölinung überhaupt. 

Nach dem emfiusz, welchen gewöbnungen auf die vervollkomni- 
nuDg des willens in meinem natürlichen entwicklungsgang ausüben, 
ist vorzüglich ihr wert zu bemessen, darum müssen wir uns zuerst 
diesen in seinen allgemeinen zügen vergegenwärtigen: das kind be- 
gehrt zuerst das, was die rein sinnliche empfindung verlangt, wendet 
sich das begehren einem bestimmten objecto zu, so entsteht die be- 
gierde. 

Nach den gegenständen, die sich dem kinde zum erreichen dar« 
bieten, richtet sich ihr wesen, ihre manigfaltigkeit and oft aach 
ihre etSrke« Vorstellungen ron der annehmlichkeit des zn erringenden 
ud Ton der onAnnefamliebkeit des zn entfernenden sind nur ganz 
dunkel ?orliandaii. jo mehr die physieebe kraft zunimmt, desto mekr 
ngt zieh der drang, dem begehren nach eignem belieben zu folgen. 
t8 ist das allmibliebe erwachen der willezuBfifeibeit» hier schon güt 
68 fttr den erzieber anstatt der willkflr das gesetz als ricbtscbnnr 
hmzoBtellcn. mit znnebmenden phjsiscben nnd geistigen krSften 
gesellen sieb Torstellangen von gonnsz znm trieb, verstärken ibn 
and bewirken oft schon n^ignng, hang nnd leidensebaft. der ge- 
wöhnende erzieber mnsz daher vorerst alle triebe in ihrem hervor- 
treten wie in ihrem zunehmen mit gröster Sorgfalt beobachten und 
flberwacben. er musz das erstarken der triebe zu neigungen und 
nun bang im keime ersticken, dies geschieht bauptsSchlicb dadurch, 
dasz die gewöhnung die rechten objecto des begebrens anschaulich 
vorhfilt nnd diejenigen entfernt, welche nachteilig wirken können, 
wird hierdurch allein der zweck nicht erreicht, so müssen ein* 
riehtnngen, gesetze und strafen die mangelnde selbstbebersebung 
herstellen. 

Gewöhnung ist hierbei durchaus davon entfernt, natttrHohe und 
Tortolhaft zu benutzende triebe erdrücken zu wollen, im gegenteil 



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172 



Über die gewöhn ung in schulen. 



müssen alle naturgemäszen triebe und ueigungen erhalten, verstärkt 
und so benutzt werden, dasz sie bei der ibiiRn abgehenden Stetigkeit 
und festigkeit zum erwecken anderer edleren neigungen erspriesz- 
liche dienste leibten, so verwandelt die gewöhiiung neigung zur 
lebendigkeit, zur tbätigkeit und aufrichtiger liebe zur reciiten arbeit, 
anf diese weise wird der wille des zu erziehenden gestärkt und in 
die richtigen bahnen geleitet, die Stärkung des willena iat bei der 
erziehung ein sehr wesentliches moment, weil nur durch energie das 
ziel eneicht werden kann, welches der zögling erreichen soll, jede 
schwäche wirkt lähmend und hemmend auf jede entwicklung. die 
gewöhnung musz also den zu erziehenden mit berücksichtigung 
seiner individualität anspornen zur vollen anstrengung seines willens 
im bändigen aeiner IQste, im überwinden Auszerer bindemisse , im 
versagen des angenebmen, im ertragen des unangenehmen, hier 
dnrcb ersengt die gewOhnung im zögling mut, kraft , entbindet den 
wiUoi mehr nnd mehr von naturbe&ngenheit und eraengt zuweilen 
schon festigkeit und energie, welches die wichtigsten Vorbedingungen 
eines moralischen woUens sind, da die gew9hnung durch alle ihre 
bontthongen direct das thun in bewegung setzt, da sie onablSssig 
im wiederholten befolgen des gesetzes flbt, und da sie diese flbungen, 
SU welchen sie ausser den von selbst sich darbietenden noch absicht- 
lich herbeigeführte gelegenheiten hinzuftigt, von der kindheit bis 
zum Jünglingsalter fortsetst, so kann ihr als lesultat ihrer be* 
mtthungen auch die Wirkung, den tOgling zur fertigkeit im rechttfaun 
oder zur leichten, schnellen und steten erfflllnng des gebotenoi zu 
befähigen, nidit ausbleiben, jede ausdauernde und sich wieder- 
holende Übung im handeln geht notwendig in gewandtheit und 
fertigkeit Über, das gewohnheitBmttssige thun des rechten bewirkt 
aber auch im inneren des zu erziehenden das gefflhl der zufrieden^ 
heit> des Wohlgefallens an jeder rechtmSszigen handlung und ist so« 
mit ein mSchtiger hebe! zur erlangung der wahren Willensfreiheit, 
zur tugend, welche das gute nicht biossaus gew6hnung, sondern um 
seines selbst willen Vollbringt. 

Durch alle diese Wirkungen der gewöhnung ist mithin der boden, 
in welchem die tugend gedeihen kann, in jeder art subereitet. 

Das werk der gewShnung kann hiermit also noch nicht seinen 
abscfalusz gefunden haben, der gewöhnung fehlt ihre kröne , wenn 
sie nicht von vorn herein ihre gmndsätze dem princip der rein 
moralischen erziehung entlehnt, wenn sie nicht alle ihre maszregeln 
in vollste abhängigkeit von derselben setet, und wenn sie nicht dem* 
gemäsz vom beginn ihres wirkens bis zu seiner Vollendung sorge 
trttgt| das leichte fibergehen des gesetzlichen thuns in ein moralisches 
zu bewerkstelligen, denn dem rein legalen thun fehlt noch der 
geistige gehalt, weil ihm weder eigne gefühle und gedenken, noch 
auch das höhere selbstbe wustsein zu gründe liegen. 

Das moralische bandeln dagegen bat diese rein geistigen ele- 
mente zu seinem Inhalt, es ist das product und der ausdrnck des- 



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über die gewöhcaiig in schalen. 



173 



selben, erst wenn das bewustsein des bedingtseins im dasein über- 
haupt, sowie im wollen insbesondere durch einen urgrund , debsea 
ToUkommenster wille als norm des menschlichen sich kund gibt, zur 
klarheit gekommen ist, und wenn hiernach der mensch deutlich ein- 
sieht und tief ftihlt, wie rein der wille des urgrundes ist, und wie 
•r seiaen willen nnr nach diasem gesUlten kann, falls er sich nicht 
sunemTerhttltnis zu demselbeii und selneiD wahren weaen entfremden 
will, dann handelt er in ttbereinstiminung mit aeiner Teninnlt; mit 
Bttnem höheren menaehenweaen, oder moralisch im eigentliehen sinne 
des Wortes, nicht fhreht vor strafe, hoffimng anf helohnong bilden 
dann den grond des Inndekis , sondem das dnreh den Yerstand ge- 
rate, durch die gewShnnng in seiner reinheit erhaltene und ver* 
närte ^ftlhl fttr alles der höheren mensehennatulr würdige. 

Zu erwSgen ist also vorerst kurs, ob und wie die gewOhnung 
durch einwirkung auf das gefbhl das Übergehen des legalen thnn in 
das sittliche su bewirken im stände ist. unter gefttU ist das be- 
wosiwerden des physischen und psjehisdien lebens nebst der hieran 
g«knttpflen sustlnde dw behaglielikeit und nichtbehaglichkeit zu 
Terstehen. die einzelnen geftthle sind nach dem grund ihres ent- 
stefaens teils mehr geistiger, teils mehr leiblicher art aus dem ver- 
bftlims des menschoilebens zu seinem urgrund, zur auszenwelt und 
m sich selbst erklttrt sidi die grosse anzahl und yerschiedenheit der 
geftthle. alle geftthle aber üben auf den willen weit früher als der 
Tcrstand grosse macht aus und werden darum von der ersten 
mondisehen erziehung als ein wichtiges mittel zum hervorrufen 
moralisoher motive planmSszig vervollkommnet moralisches und 
xdigiösee gefühl nehmen unter denselben hier vorzugsweise unsere 
sofinierksamkeit in ansprach, sie ttuszem sidi im wohlgefidlen am 
guten und im misfiUlen am bösen, in Zufriedenheit und nichts 
snfriedenheit mit sich selbst; femer in dem bewustsein der ab- 
bfingigkeit von einem höheren wesen, wodurch die besonderen ge- 
fable des gehorsams^ der demnt, des vertrau^s, der liebe und der 
dankbarkeit hervorgerufen werden sollen, werden diese geftthle im 
menschen lebendig und vrirken sie in inniger Verbindung unter ein* 
ander, dann entsagt der mensch selbst beliebigen lebensstimmungen 
und erwählt die forderungen semes höheren wesens zur richiscbnur 
seines thunSi um in Übereinstimmung mit seinem klar gewordenen 
selbstbewustsein, über sein Verhältnis zur auszenwelt und zu seinem 
urgrund die erweisungen seiner kraft in erscheinung übergehen zu 
lassen, jeder rerstosz gegen das moralische und religiöse gefttbl 
leigt sich schon in der frühesten zeit des menschenlebens in dem ge- 
wissen, dem dunklen gefühle für das gute, schon die kinder schwan- 
ken oft vor ihrem thun, sie wünschen durcb blick, rat und gebot der 
erzieher ricbtschnur zu erhalten, und nach der ausUbung des guten 
legen sie rein kindlichen frohsinn und Selbstzufriedenheit an den tag. 
alle diese fingerzeige der natur mnsz die gewöhnung beachten. 

Sie Überwacht diese geftthle in ihrem entstehen, in ihrem 



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174 



Über die gev/^hnniig in selralexi. 



wacbsen, in ihrer bscbaffenheii und in ihrem einflnss auf das ^wollen» 
weckt, nKhrti acbtttit sie vor jeder yerleUnng in ihrer Zartheit nnd 
benutst alla ihr zu gebot stehenden ssahlreichen mittel und gelegen- 
heilen, nm im Herten des zCgünga die edleren geftthle so weit za 
gründen, daaz sie bestimmnngsgrande des tiinns abgeben können, 
nnter den moralischen geftthlen, welche dorck gewOhnang besonders 
der pflege bedürfen, ist das wichtigste das geftthl der liebe zu eltem 
nnd erziehem. täglich bieten sich der gewöhnenden erziehung in 
schule und bans gelegenbeiten dar zu zeigen, dasz es nur liebe zu 
dem Zögling ist, auch wenn der erzieher tadelt und straft* eine in 
diesem geiste yerfabrende gewöhnung vergiszt auch niemals auf die 
absichtliche entfemung aller eigennfltiigen gefUhle hinzuarbeiten, 
weil erst dadurch dem entstehen der liebe zum guten um seines 
selbst willen die bedeutendstoi hindemisse aus dem weg gerftumt 
werden, leider sieht man jedoch oft, wie censuren, locationen uaw« 
das streben nach bei fall, nach lob, nach rang ttber die gebtthr be- 
günstigen, und 80 in nicht geringem masz das reine gefUhl des Zög- 
lings trttben. auch körperliche Züchtigungen sind oft nur dazu ge- 
eignet die edleren gefühle des Zöglings zu verletzen, sie dürfen daher 
nur mit der grösten vorsieht und möglichst selten angewandt 
werden, gute gewöbnung, gutes beispiel thut mehr als alle strafen 
und alle die Sinnlichkeit reizende lohnmittel. 

Ausser der pflege moralischer gefÜhle unternimmt die ge- 
wöhnung femer die der religiösen und wagt den versuch ihrer 
heranbildung. die kindesnatur, in welcher empfönglichkeit für 
religiöse geftthle in reichem masze vorhanden ist, schreibt der 
naturgemäszen gewöhnung diese versuche war. das höchste liegt 
dem kinde näher als das niedrigste, wann könnte auch das heiligste 
schöner einwurzeln, als in der zeit der heiligsten Unschuld? die ge- 
wöbnung strebt daher von frühester kindheit an, alle in der kindes- 
brust schlummernden religiösen ahnungen und gefühle zu einem 
helleren bewustsein zu^ führen, ein verlangen nach einem dem 
höchsten wesen wohlgefälligen thun anzuregen und hieraus entsprin- 
gende entscblüsse mehr und mehr zu stärken , damit eine dauernde 
und das ganze leben durcbdringende gemütsstimmung als kräftiger 
antrieb zur tugend hierdurch hervorgerufen; und damit zugleich ein 
fast nicht zu vertilfjender dämm dem bösen frühzeitig entgegen- 
gesetzt werde, gewöhnung rechnet bei ihrem einwirken auf religiöse 
gefühle stets auf die gleichzeitig erfolgende beihilfe derjenigen er- 
ziebungsmittel, welche direct hierzu bestimmt sind, und namentlich 
auf einen die gefühle des Zöglings tief ergreifenden religionsunter- 
richt, indem sie sich gern bescheidet, das bezeichnete ziel nicht er- 
reichen, sondern nur anfange zu demselben liefern zu können, die 
religiösen gefühle bedürfen ebenso wie alle übrigen geistesan lagen 
der weiteren ausbildung, da sie in dem kindes- und knabenaiter 
noch ganz unvollTvommen sind, und weil sie nicht so früh zum be- 
wustsein kommen als die übrigen gefühle, welche meist durch sinn- 



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über die gewöbnung in schulen. 



175 



liehe objecte unterhalten werden, die macht der gewöbnung in bezug 
auf das religiöse geftlhl besteht nun zunächst darin, dasz sie dem zu 
erziehenden ßinnliche objecte vorführt, an welchen die den religiösen 
zu grand liegen^pn gefühle sieb entzünden, und durch welche sie 
neb yennebren können , dann aber bestrebt sie sich , diese auf ein 
VbersbuiliebeB object zn richten, von ihm beleben zu lassen und 
dnreb enienernng dieses belebens ihre zunabme an tiefe zu ver* 
ittrbeB. da, wie gesagt, der gewÖbiMiide enieher die liebe zu eitern 
md lebrern in ibfttigkeit Teraetit, so kann ee ibm aueh nicht schwer 
fidles dieses gefttbl aof das höchste wesen hinzulenken, dem ja alle 
menschen das gute, was sie besitzen , allein rerdanken. doch nicht 
allein liebe zu gott soll die gewöbnnng bewirken, sondern auch ehr- 
forehU wie sie achtnng vor dem gesetz und seinen nrhebem gepflegt, 
so rnnss die gewOhnnng in noch höherem grade die ehrfdrcht vor 
dem pflegen, welcher der gesetzgeber für alle menschen nnd der in* 
begriff aller Vollkommenheiten ist. dies geschieht hanptsttchÜch da- 
diireh, dasz man das kind oder den knaben in einfadister spräche 
snf ein wesen aufmerksam macht, dessen eigenschaften die des besten 
menschen weit Überragen nnd dessen gesetz anch das wollen und 
tbnn der erzieher unterworfen ist. 

Des kindes erstes gehorchen aus dem gründe, weil es von ihm 
verlangt oder gar erzwungen wurde, kann so von der gewöbnung in 
ein solches verwandelt werden, bei welchem moralische und religiöse 
gefthle als motive seines thuns zu wirken anfangen, zudem ist diese 
eniebende gewöhnung noch darauf bedacht, di^enigen mittel, welche 
nach ihrem gnmdzweok auf die religiösen geähle einwirken sollen, 
soweit ihre sphSre es zuläszt, zu unterstfltzen. 

Die fromme 'gewöhnung hllt den zögling zum gebet an, er- 
mnntert ihn nachdrücklich zum kirchengang, aber womöglich, ohne 
zwang anzuwenden, damit dadurch die Selbstbestimmung hierzu nicht 
im keime erstickt werde, da indessen nicht blosz ein einwirken auf 
das gefühls-, sondern zugleich auf das denkvermögen zum übergehen 
des legalen in das sittlich-religiöse thun erforderlich ist , weil durch 
dasselbe alle bestimmungsgründe des woUens erst ihre bestimmtheit 
erhalten, so fragt es sich , ob der gewöhnung auch ein einflusz auf 
letzteres zustehe, da die gewöhnung die eignen erfahrungen des 
Zöglings über die Wirkungen seines thuns fast täglich erneuert, da 
sie dieselben in deutlichkeit des wissens, wie in ihrem einflusz aula 
begehren und verabscheuen verstärkt, und da sie zum bewustwerden 
der tadelns* oder lobenswürdigkeit des verhaltene führt, so ist es 
nicht zu verkennen, dasz sie den verstand über dienotwendigkeit er- 
teilter geböte aufklärt, und dasz sie demnach zur rechten selbst* 
bestimmung nach gründen nicht unwesentliche dienste leistet* 
während sämtliche onterrichtsgegenstände den verstand nach allen 
richtungen ausbilden, und während die Unterweisung in der religion 
denselben für ihre zwecke aufklärt, musz die gewöbnung gründe, 
welche hieraus für die Selbstbestimmung entspringen, nicht allein 



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176 f^. Pidixker: der sndrang zu den gelehrien bernfsarten ww, 

beachten nnd in ihrer deuÜichkeit vermehren, sondern ihnen auch 
ZOT prafctifiohen bewtfhrnng, vrtSk ihr Ittuptgesdilft im verrdU" 
kommnen dee ihnna besteht, behilflich sein« dies geschieht, wenn 
erlangte einsieht vor, bei nnd nach dem thnn in regsamkett versetzt 
nnd ihr die benrteilnng desselben allein sngernntet wird* das end- 
ziel der rechten gewObnnng im hans sowohl wie in der schnle ist 
also dieherstellong einer wdbren selbstbestimmnng. diese gewöhnung 
richtet sich ganz nach dem entwicklnngsgang der natnr, daram er> 
teilt sie immer mehr nnd mehr je nach dem fossnngsvermQgen und 
dem heranreifen des Verstandes anfiwhlasz über die notwendigknt 
der gesetze und einrichtungen und macht so ans dem zu erziehenden 
ein über alle seine handlangen selbständig nrteQendes wesen, welches 
als höchste norm seiner handlungen die ewigen gesetze gottes aner- 
kennt, und somit die wahre, sittlich*-religi5se £eiheit| so weit sie 
bei der nnvollkommenheit des menschen vorhanden sein kann, er* 
langt hat» 

WlBSBADBN. EbHST SOHHIDTBOBN. 



16. 

DLR ZÜDiLA2^G ZU DEN OELEHRTKN BERUFSARTEN, SEINB URSACHEN 
UND ETWAiÜKN UElLMi i Tii^L, VO^i i<\ti. PlETZKER. 

Auch die gegner des realschnlmSnneryereins mttssen zugeben, 
da&z derselbe sich ein verdienst erworben hat durch die Stellung der 
preisanfgabe , welche zu einer gründlichen erörterung der Ursachen 
des zudrangs zn den gelehrten berufsarten anffordnrtc dasz diese 
Untersuchungen nicht einseitiger natur gewesen, geht sdion aus der 
thatsache hervor, dasz die ver£w8er der beiden arbeiten, welche das 
Preisgericht als die besten lösungen ausgezeichnet hat^ Treutlein in 
Karlsruhe und Pietaker in Nordhansen, Vertreter des gymnasiums 
sind und dasz beide, weit über das program m jenes Vereins hinaus» 
gebend, die sociale und volkswirtschaftliche bedeutung des höhem 
Schulwesens mit bemerkenswertem Verständnis für die geechichtliche 
entwicklung und die bedttrfhisse des gesellschaftlichen und staat- 
lichen lebens behandelt haben. 

Beide in demselben verlag (Braunschweig bei Salle) veröffent- 
lichten Schriften ergänzen sich in mehrfacher hinsieht, während die 
erstere, sich mit den allgemein deutschen Verhältnissen beschäf- 
tigend, sehr beachtenswerte, auf mühevollen, selbständigen berech- 
nungen beruhende Statistik enthält, behandelt die letztere in knappem 
rahmen, gedrängter fülle das preuszische Schulwesen und bietet richt- 
linien für eine Verbesserung desselben, bei dieser bescbrSnkung auf 
Preuszen, dessen Schulwesen ja für das übrige Deutschland von mehr 
oder weniger typischer bedentimg gewesen, ist es Picfzker vortrefT- 
lieh gelungen, in zwingender folgerung zu zeigen, wie dio n-cgcn- 
wärtige Verfassung des Schulwesens das ergebnis gewisser natürlicher 



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Fr.Pieizker: der zu^raug zu den gelehrten beruftsarteu usw. 177 

faotoren ist, denen die eigeutümliebe entwicklang unseres öffentlichen 
lebens eine ganz besondere gestait gegeben; wie in diesen den Cha- 
rakter unseres staatslebens in eigenartiger weise bedingenden um- 
ständen der Ursprung der herschenden 8chulziistände liegt; wie 
scblieszHch die entwicklnng dieser letzteren ihrerseits auf die ihnen 
za gründe liegenden Verhältnisse eingewirkt bat. 

Die allgemeinen gründe für die Überfüllung (das dem menschen 
iunewobnende berechtigte streben nach dem höheren, das an- 
gehen, die gesicherte btellung und die Unabhängigkeit dey bcaaiteu- 
standes, die durchdringung der staatseinrichtungen mit einem ge- 
wissen militärischen znge\ deren Wirkungen hier nicht erörtert wer- 
den sollen, reichen nicht am zur erklärung des thatsächlichen zu- 
btanJes. von viel gröszerer tragweite für die beurteilung der frage 
ist nach Pietzkers aj;isicht die rolle, welche das Schulwesen stets in 
der eniwicklung des preuszicchen Staates gespielt hat. ein Symptom 
der das ganze öffentliche leben durchdringenden staatsidee, meint 
Pietzker, ist die auffassung der schule als ein dem Staate zufallendes, 
mindestens seiner aufsieht bedürfendes gebiet, das höhere Schul- 
wesen war ursprünglich nicht staatlich und ist es heute nicht ganz, 
aber der zuschnitt desselben kam der idee der staatsschule entgegen, 
diese idee ruht auf der erwägung, dasz zu der anspannung aller dem 
Staate zu geböte stehenden krttfte die sohnlung durch öffentliche 
lehranstalten eins der wichtigsten hilfsmittel sei. wie sehr der 
Charakter unseres Staatswesens sich auf dem gebiete der schule gel- 
tend macht, wird am deutlichsten beaeidmet durch die rolle, welche 
die frage nach erlangung des rechtes der verkürzten militftrpflicht 
erhalten hat. so hat das Schulwesen durch den geschi^tlich ent* 
widralten oharakter des Staates sein gepräge erhalten, aber umge- 
kehrt hat es auf diese entwicklung einen grossen einflusz ausgeübt 
die höhere schule hatte für die heranbildung der beamten zu sorgen, 
aber der umstand, dass der durehgang durch sie einem jeden nach 
bdherer bildung strebenden aufgezwungen wurde, wirkte zurück auf 
die Steigerung des unser öffentliches leben durchdringenden geistes, 
welchem dadurch eine schulmitszige ^trinSre fftrbung gegeben wor- 
den ist. alle andern an der entwiclduBg des nationalgeistes betei- 
ligten fsetcnren sind wenig faszbar, sind ausflttsse der herschenden 
Überlieferung, nur bei der schule Iftszt sich der einflusz einer pl«i- 
missig gestalteten Ordnung yerfolgen, daher kann nur durch sie 
der auf ergreilung der gelehrten berufsarten geriditete sinn des 
▼olkes in eine andere richtung gelenkt werden. 

Begünstigung der Überfüllung durch den herschenden 

schulzustand. 

Die hauptarbeii unserer schulen, entwickelt Pietzker, ist 
schreib tis ch arb eit es wird gelesen, das gelesene zergliedert und 
zum gegenständ zusammenhttngender auseinandersetzung gemadit. 
dadurch ist die hühere schule eine Torschule flttr den hüheren beamten- 

a. Jahtk. r. phU. a. pid. U. abt. 1S90 htU 9, 18 



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178 Fr. Fietcker: der sudrang zu den gelehrten berufsarten u&w. 

stand (was ja das gymnasium von anfang an gewesen), de ^eu 
wesentliche thätigkeit besteht im lesen von Verfügungen und be- 
richten und im abfassen von neuen berichten und Verfügungen, beide 
tyitigkeiten, in schule und amt, erfordern einen aufwand von Scharf- 
sinn und .umsieht, aber leicht wird innere hohlheit und dürftig keit 
durch «nen den schein der Sachlichkeit wahrenden wortschwaU er- 
setzt, anch wo dies nicht der fall, ist anffassnng und darstellung oft 
eine eintdtige, bei den durch das leboi gegebenen ftllen versagende, 
die in der schale nnd im beamtenlehen zu lösenden aufgaben sind 
meist einigermaszen fttr die anffassnng Yorbereitet, logisch geordnet, 
die wege sind gewiesen ; aber der stol^ den das leben bietet, ist selten 
bequem geordnet, oder wo er es ist, da ist die Ordnung ganz ver- 
schieden von der aus der schule gewohnten, das praktische be- 
rufsieben erfordert nicht nachträgliche schriftlich^ belenchtung, son* 
dem raschen blick, schnelles auffassen concreter yerhSltnisse und 
rasdien entschlusz, dessen Verkehrtheit sich oft sofort rftcht. hier- 
für thut die höhere schule fast nichts vor lauter btt eher Studium. 

Als beamtenschule zeigt sie sich auch in der pflege des doetri* 
narismns, der ohnehin ein zug unseres nationalcharakters ist. die 
Deutschen ziehen gern die theoretische beleuchtung der erreiohung 
des greifbaren resultats vor, sie handeln nicht gern selbst, sondern 
setzen auseinander, wie zu handeln sei. diese neigung wird durch 
den unterrichtsbekieb und spKter durch die logische begrQndung 
von schriftsStzen begftnsiigt. 

Den stftrksten anteil an diesem doctrinttren zuge in der Schul- 
bildung hat das vorwi^;en der spraehlichen Unterrichtsfächer in dem 
lehrplan des gjmnasinins. dazu wird in dem grösten teil der sprach- 
stunden ein saehstoff behandelt, der mit dem leben der gegenwart 
zu wenig beziehungen hat, um ein gegengewicht zu bilden für die 
blosz formelle behandlung des Unterrichts, aber auch in den ezacten 
f Sehern findet die bis zu einem gewissen grade mögliche ausbildung 
des praktischen Verstandes meist nicht ihr recht, im mathematischen 
Unterricht spielt die anwcndung der erworbenen kenntnisse auf die 
realen Verhältnisse eine viel zu geringe rolle> und bei der behandlung 
der naturwissenschaften wird weniger gewicht gelegt auf die selb- 
ständige erfassung als auf geläufige darstellung des im unterrichte 
mitgeteilten, 'einen ganz unverkennbaren anteil an der be- 
gflnstigung dieser zweck widrigen richtung im betriebe 
der exactwiss enschaftlichen fächer hat die praxis, die 
leitenden stellen im schulfache vorzugsweise, bei den 
gymnasien fast ausschlieszlicb, mit männern von histo- 
risch-philologischer universitätsbildnng zu besetzen.' 
es darf nicht behauptet werden, dasz bei diesem Unterrichtsverfahren 
der wissenschaftliche sinn gepflegt werde, im gegenteil : die Urteils- 
fähigkeit wird unter gelehrtem bailast erstickt, auf kosten des ge- 
sunden menschenverstandes wird ein fragwürdiger schein von gelehr- 
samkeit erzielt. 



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Fr. Pietsfiker: der zudrang zu den gelehrten berufsarten ubw. 179 

So ist unsere höhere schule eine anstalt, die eine einseitige, nur 
f\ir einzelne stände verwendbare und selbst ftlr diese nicht unbedenk- 
licbe biidung gewährt, diese einseitigkeit potenziert sich fortwährend, 
da die künftigen lehrer dieselbe auf die zu bildende jugend über- 
tragen. 

Daher ist es ganz natürlich, das^ beamtensöhne einen andern 
beruf als den des beamten oder officiers selten wählen, denn ihre 
eraebuüg treibt sie dazu. 

Der einflusz der schule reicht aber noch viel weiter, durch die 
an ihren besuch geknüpften berech tigungen , besonders durch die 
des einjährigen militSrdienstes wird dem gelehrten Unterricht eine 
menge von schülern zugeführt, von denen ein groszer teil weder an- 
läge noch neigung zu diesem unterrichte besitzt, diuse treten dann 
in ilie gelehrten fächer über, obgleich sie nach ihrer geistesrichtung 
und nach den ihnen von hau> aus geläufigen an^chauungen mehr für 
einen praklischen beruf geeignet sind, es sind jene aus Verlegenheit 
über die berufswahl auf der bchule bleibenden ersilzt^r des reifezeug- 
nisses, bei denen die ihnen innerlich fi'emd gebliebene bildung eino 
unberechtigte geringschätzung der praktischen thätigkeit erzeugt hat. 

Dasz die neigung zum eintritt in den höhern beamtenstand durch 
die pflege der schreibtischarbeit gefördert wird, zeigt sich am deut- 
lichsten in der entwicklung des realschulwesens. schon vor Jahr- 
zehnten hatten einsichtige mKnner erkannt, dasz die gjmnasien den 
bedttrfnissen des aufstrebenden bürgerstandes nicht mehr entspre- 
dien und hatten realschulen und höhere bürgerschulen gegründet, 
aber gerade der bessere bürgerstand trug bedenken, seine söhne 
diesen schalen anzuvertrauen , deren besuch den zugang zu den 
höchsten berufsarten verschlosz. und noch jetzt; nachdem diese 
schulen, dem dränge des publicoms folgend, sich zu gelehrtenschuleo, 
m rcalgymnasien entwickelt haben, stehen ihre schüler auf einer 
merklieh tiefem geistigen stnfe als die des gymnasinms. big in die 
miiersten schichten herscht eine hOherschftknng der gymnasialen 
hildnng und zwar rein ans Sosaem grttnden. wenn ein knabe fflr be- 
sonders klug gilt, ftlhrt man ihn dem gymnasinm zu als der schule, 
welche das monopol, d. h. alle bereditigungen besitzt, 'esistohne 
aweifel berechtigt, wenn die Vertreter der realschnl- 
ansprfiche jeden fttr ihre anstalten nachteiligen ver- 
gleich mit dem hinweis anf das so viel ungünstigere 
schMermaterial derselben von vorn herein abweisen/ 

Die folge ist, dasz die besten köpfe in der mehrzahl dem bürger- 
lichen leben verloren gehen und dasz in der Süssem Vertretung wie 
m der innem entfaltung das nivean der erwerbenden berafsarten 
unter das ihm zukommende masz hinabgedrflckt wird, eine thatsache, 
die Klr den nationalen Wohlstand wie fOr das bestehen des inter> 
nationalen Wettbewerbes in handel und Industrie fttr unser volk 
geradezu veriittngnisvoll ist» das was ursprflnglich mittel zum zweck 
sein sollte ist im bewustsein eines grossen tefls der bevölkemng auf 

12* 



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180 Fr. Fietzker: der zudraag zu den gelehitea barafgarten osw. 

kosten des eigentlichen zwecks in den Vordergrund gedrängt worden, 
und obgleich es gelegenheit genug gibt, die krSfto auf den Ter- 
Bchiedensten gebieten der praktiaehen arbeit zu beihätigen, wird diese 
arbeit von den mit unserer gelehrten sohnlbildmig aosgerflsteten 
mitgliedem der sogenannten bessern stände mittuiTerdienter gering- 
schätzung angesehen. 

Vorsohlftge zur bekSmpfong der ttberfttllnng darek 
eine geeignete reform des sehulwesens« 

Wenn es sieh um beseitigung des die jugendbüdnng in falsoke 
bahnen drängenden ftaszeren zwanges handelt, so ist vor allem die 
frage der berecbtigung zum einjährigen militibrdienst zu erörtenu 
dieses prinleg ist an sieh dorohaus nicht unanfeehtbar, da es den 
gnmdsatz der allgemeinen Wehrpflicht durchbricht und in jeder dem- 
selben praktisoh zu gebenden gestalt mehr eine begflnstigimg der 
Wohlhabenheit als der bildung ist aber freilich ist es nor ein ans^ 
fluBz der vorhandenen und durch keine gesetzgebung zu beseitigenden 
socialen Ungleichheit, an eine abschaffung oder wesentliche ftnderong 
dieser einrichtung kann daher nicht gedacht werden, die vielfach 
yorgeschlagene Verleihung dieser berecbtigung nach bestehen einer 
besonderen prüfung ist zu verwerfen, das auf mehijähriger erfahmng 
beruhende urteil der lehrer ist höher zu schätzen als das von einer 
prflfungsbehörde verliehene zeugnis. die entsdisidung dieser frage 
kann nur im Zusammenhang mit den bei der Schulreform Überhaupt 
ins auge zu fassenden gesichtspunkten erledigt werden, es ist zu 
untersuchen, inwieweit diese reform unter anlehnung an die be- 
stehenden Verhältnisse bewirkt werden kann, sehr nahe liegt die oft 
empfohlene entfesselung des realsdinlwesens aus den ihm äuszerlich 
auferlegten beschränkungen oder wenigstens die völlige gleichstel^ 
Inng des realgymnasiums mit dem humanistisohen gjmnasium. die 
befärchtung des herm von Gossler, dasz durch diese maszregel der 
zudrang zu den gelehrten fächern vermehrt werde, teilt Pietsker 
nicht; die folgemngen, welche der minister aus den dem realgym- 
nasium bereits gewährten berechtigungen für einzelne facultttts- 
studien gezogen, sind seines erachtens von den Vertretern dieser 
schule widerlegt, er nimmt an, dasz die gleichberechtigung beider 
schulen gerade umgekehrt wirken werde: die besseren stände wtür- 
den dann ihre söhne ohne bedenken dem realgjmnasium anvertrauen, 
und unter dem einflusz des dort erteilten Unterrichts würden letztere 
dem gelehrten beamtenberuf eine praktische laufbahn vorziehen, 
denn die berührungs punkte mit dem modernen praktischen leben 
werden zweifellos auf dem realgjmnasium mehr gepflegt als auf dem 
humanistischen. 

Aber diese maszregel wäre doch nur ein schritt auf dem wage 
zum ziele, nicht eine befriedigende lösung der bestehenden Schwierig- 
keiten. 

Von viel gröszerer bedeutung sind zwei andere punkte: 1) der 



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Fr. PieUker: der zudraug zu den gelehiten berofsarten usw. 181 

übelstand dasz die wabl der zu büsnchenden höheren 
schule 80 früh getroffen werden musz; 2) die existenz 
TOD schulen mit einem neunjährigen lehrplan. 

Auch bei völliger gleichstellung der realgj'mnasien mit den 
gymnasien würde ein sehr groszer teil der schüler die letzteren be- 
suchen — denn es sind ihrer mehr vorhanden — und so den er- 
wähnten einwirkungen weiter unterliegen, bei dem frühen Zeit- 
punkt, wo die wähl der Schulart getroffen werden musz, kann über 
beanlagung und nei^niDg nicht entschieden werden, und so ent- 
scheidet bei der wähl die Vorliebe der vSter für die von ihnen be- 
suchte schule oder andere äus/X'i'e gründe, zwar besteht seit 1882 
eine annäherung der 3 untersten cla^sen^ aber dieser zeit{)unkt ist zu 
früh für die wähl, so lange die bei d e n Schularten von unten 
herauf neben einander bestehen, ist ausgibige beseiti- 
gung der die herschende ungesunde berufswahl begün- 
stigenden umstände nicht zu erwarten. 

Aber selbst wenn es gelänge , allen durch die höhere schule zu 
befriedigenden bildung6bedüi*fnis8en durch eine Schulart gerecht zu 
werden, so bliebe noch die frage: sind schulen mit einem so lange 
Mit mnspannenden lehrplan zweckmäszig? die grosze mehrzahl der 
fldilller hat yoii yom herein nicht die absieht, die sohnle zn dnrch- 
lanfen, für die weilatts gröste menge handelt es sich um die berech- 
iigimg zam eiiytthrigen militttrdienst, ein kleiner teil erstrebt die fttr 
doL eintritt in yeischiedene beamtenberafe erforderliche rei£d fttr 
prixna« die meobanische art, in der zn rein ftuszerlicben 
xweeken ein sebnitt in eine ihrer ganzen gestaltnng 
nach anf ein weiter gesteckte« ziel angelegte bildong 
gemacht wird, ist der grdste fehler in nnserem ganzen 
gegenwärtigen schulwesenj diesen fehler kann auch 
keine einheitssehnle beseitigen, wenn sie die bildnng 
der jugend vom nennten bis achtsehnten jähre he* 
wirken will nach einem in sich geschlossenen plane. 

Wer das gymnasinm vor der reifbprfifang verllls^» tritt ins 
leben mit nnvollstfindiger hildnng, deren positiver Inhalt für ihn 
wertlos ist nnd die wegen ihrer nnvollstKndigkeit auch ftkr die pflege 
des Charakters, fllr die erziehnng zn idealer gesinnung nicht wirk- 
sam sein kann« allerdings wird bei einem iäi der sehlller die yer* 
Bftmuiis der scfanle durch den zwang des praktischen lebens ausge- 
glichen, dann aber werden diese nicht durch die schule sondern ohne 
sie und oft gerade im gegensatz zu ihr zu tflchtigen, praktisch schaf- 
fanden menschen. 

Es gibt aber auch eine nicht kleine zahl junger lente, die zwar 



' Die mit dem freiwilligenseiignis ins bürgerliche leben übergebenden 
tchüler des realgymnasiums erlialten keinen Unterricht in der chemfe. 
— Für die grosze menge der aus II beider schulen abgebenden sollte 
der gescbicbtBunterricht mit dem Jahre 1871 schlieszen, statt dessen 
werden sie mitten ans der alten gesehicbte herausgerissen* 



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182 Fr. Pietzker: der zudrang za dm gelehrten bernfsarten usw. 

den Yorzeitigen abbrocb des bildungsgangs yermeideD, aber mit dem 
Zeugnis der reife nur den äuszem schein der bildung erwerben, 
weil ihnen die natürliche anläge znr erwerbang eines solchen 
inneren besitzes fehlt* *axiB diesen exsitzern des abiturientenzeug- 
nisses geht eine zahlreiche, ihren posten auch nor unter dem gesichts- 
pnnkt der sidber^ brotstelle ansehende, ihre dimstliehe thtttigkeit 
handwerlcsmttszig absoMerende gattung von beamten hervor, die 
reprSsentanten der kleinlichen , engherzigen , dabei von einem nieht 
geringen dünkel erfüllten, auch in den höheren stellangen den snbal* 
temen geist nicht verleugnenden bureaukratie, wie nicht minder die 
Vertreter eines in kleinlicher winkelforsehung sich noch fflr gross 
und nützlieh haltenden scheingelehrtentums. gerade diese elemente 
sind es, an denen sich die geiUhrlichk^t des unserem hdheren Unter- 
richt von unten auf beigelegten scheine der wissenschaftlichkeit so 
recht deutlich zeigt/ 

Dem bedür£ais dieser beiden arten von sohttlem kann nur ge- 
nügt werden durch Schaffung einer mittelsohule mit in sich abge- 
schlossener praktischer bildung. diese mittelsehule mttste, um die 
mOgliehkeit ihrer Umgebung von vorn herein abzu* 
schneiden, die gesamte hühere Schulbildung bis zu dem für die 
mehrzahl das endziel bildenden punkte Übernehmen, d. h. bis zur 
^erreichung des militttrzeugnisses. früher oder spSter wird man sich 
zu dem grundsatze bekennen müssen: Zerschlagung der höheren 
«chulen mit ihrem neunjfthrigen gange in zwei untergeordnete cüten, 
deren unterer die 6 ersten, der oberer die 3 letzten jahrescnrse zu 
umfassen hfttte. 

Das ziel des untergymnasiums würde sein neben der Zulassung 
zum Antritt in eine reihe von beamtenlaufbahnen die gewührung 
des fireiwilligenzeugnisses. « 

Die unter dem schein der wissenschaftlichkeit sich bergende 
Überladung mit gelehrtem material kann durch diese trennung ver* 
mieden , der Unterricht des untergymnasiums kann praktischer ge- 
staltet werden, es würde zeit gewonnen für zeichnen , reebnen und 
den handarbeitsunterricht, der sich immer mehr als ein unabweis- 
liohes bedürfnis herausstellt, den körperlichen Übungen könnte mehr 
räum gegeben werden , schulausflttge könnten als directes lehrmittel 
in den nnterrichtsplan au^enommen werden, freilich mttste man 
eich hüten, von der positiven Wirksamkeit der schule nach dieser 
richtung hin zu viel zu erwarten; im besten falle würde die er- 
-aeugung einer gewissen empfftnglichkeit für die aus 
dem praktischen leben zu gewinnenden eindrücke sich 
ergeben, denn eine gewisse begünstigung des doctrinarismus und 
der federthätigkeit ist mit dem wesen des Unterrichts überhaupt ver- 
bunden; gerade darum ist es nötig , den scbttlern zeit und müsse zu 
lassen, um manigfache auszerhalb des kreises der planmttszigen er- 
Ziehung liegende eindrücke in sich aufzunehmen. 

'Verminderung der schulmSszigen einwirkung auf 



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Fr. Pietzker: der zudrang zu den gelehrten berufsarteu uuw. 183 

unsere j u g e n d , das ist die (3 r s t e b e d i n g u n g e i n e r j e d e n 
gesunden r e f o r m i m u n t e r ri c Ii t s w e s e n , e i n e b e d i n g u u g , 
die allein schon im Interesse der erhaltung einer kräf- 
tigen originalitStbei dem heranwachsenden geschlecht 
mit allem nachdruck gestellt werden musz.' 

Die gröszere freibeit der aufnähme von unmittelbar aus dem 
leben stammenden eindrücken wird die persönliche Selbständigkeit 
fördern und so ein weiteres gegengewiebt schaffen gegen die neigung 
fam eintritt in die beamtenstellung mit ihrer auf gewiesenen wegen 
im bewnstsein gesicherter ezbtenz zu erledigenden thätigkeit. 

Neben jenen anf erhöhong der praktieehen 1)efiUiigung gerich- 
teten lehrflUdiem mUaten manigfaclie rein liieoretiaehe nnterriebts- 
gegenstftnde anfiiahme im nntergymnasiam finden, sie mfleten sogar 
den gröeten t^ der nnterriebtmit beanspniölieii: in gesebiolite nnd 
erdknnde taittste der uns nach ael und räum nttber liegende stoff den 
kern des nnterricfats bilden, in matbematik wftre statt allerband 
algebraiecber nnd geometriseber formein nnd sfttae, die für den 
Bcbfller nnr den reiz der Tereinzelten merkwttrdigkeit bedtsen, die 
ftlugkeit der anwendung auf passend gewSblte eonorete aufgaben zu 
pflegen« die besobreibeoiden naturwissenscbafben nebst den grund- 
begriflfen der pbjsik und cbemie wftren so zu lehren^ dasz die anläge 
und neigung zu eigner tbätigkeit auf diesen gebieten bei den scbtt«- 
lem anregnng erhielte, dazu kSme neben dem unterriobt in der 
rnnttersfiraohe eine neuere spraehe, welche nach den gegenwärtigen 
▼erfaSltnissen das französische sein mttste. die schwierigste frage fSr 
die gestaltung des untergymnasiums wBre die nach der aufnähme 
des latein, welchem ein groszer, durch keine lebende spräche zu er- 
setzender wert für die grammatische und logische bildung beizulegen 
ist. aber der gewaltige dem lateinischen Unterricht gewidmete auf- 
wand an kraft und Stundenzahl wSre nicht nötig, wenn man auf die 
sichere oinprttgung Tieler einselheiten namentlich in der formenlehre 
Yerzichten woUte, die nur den faohpbilologen interessieren, dadurch 
würde man entg^enarbeiten jener bis in die oberste classe hinauf 
herschenden neigung, auch den an das yerstttudnis appellierenden 
inhalt der grammatik sich mechanisch anzueignen. 

Pietzker meint, es sei nicht zu fürchten, dasz unter der sorge 
für die mit dem reifezeugnis des uniergjmnasiums abgehsnden 
schuler diejenigen yerkflrzt werden, welche den drang fühlen zu einer 
auf wissenschaftlichem gmnd liegenden erweiterung ihrer bildung. 
denn der wissenschaftliche sinn ist angeboren , er wird aber durch 
^en praktischen unterriebt des untergymnasiums vor dem wahne 
hewahrt, dasz der begriff der Wissenschaft an sich einen gegensatz 
bedinge zu dem praktisch schaffenden leben. wissenscfaafÜicbe bil- 
dung soll nicht dem leben entfremden, sie soll lehren es zu yeredelU; 
soll zu einem idealismus erziehen, der nicht der gegensatz, sondern 
die ergänzung des realismus ist. zur orwerbung solcher wissen- 
schaftlichen bildung, welche notwendig ist ftlr alle, die an der er- 



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184 Fr. Fietsker: der sndrang za den gelehrten bernfBurten nsw. 

balinng und erböbung des geiBtigen itandpunkiee der nation mitsn- 
wirken berafen eaad, würde das die oberen elassen der gegenwärtigen 
höheren sehulen um&ssende obergjmnasinm bestiDunt sein, da der 
hauptgenchtspiinkt fttr den lehrphui desselben pflege des wissen« 
schaftlichen Charakters im nnterrioht ist, so mfiste diese schule gegen 
die oberen classeH unserer gegenwSrtigen schulen etwas gehoben 
werden , um so den Ubergaog zur wissenschaftlichen thfttigkeit der 
hochsohiile besser su yermittän. die Schüler mfisten dem lehrstoffB 
gegenttber nicht blosz eine receptive nnd reprodncierende baltong 
einnehmeni vielmehr mfisten sie sn eigner, snsammenhlnge&der, ai^ 
die quellen des Wissens and der erkenntnis wenigstens bis zu einem 
gewissen grade snrftckgehender geistesarbeit angeleitet werden« 

Daraus ergibt sich ein directer gegensatz zu den 
Vertretern des gedankens, dasz, weil es nur eine allge- 
meine bildung gebe, auch nur eine zur 'Verabreichung* 
dieser bildnng bestimmte hOhere schule aulttssig sei 
an dem ttbelstande, dasz diebildung ftuszerlich yerab- 
reicht wird, krankt eben unser ganzes Schulwesen, 
ohne'^doch dabei die erstrebte Vollständigkeit in dieser 
Verabreichung irgendwie praktisch zu erreichen. 

Bei der angedeuteten anleitung zu selbständiger geistesarbeit 
ist die eigentttmliche geistesrichtung der schüler zu berflcksichtigen« 
es lassen sich für die wissenschaftliche thätigkeit zwei hauptiich-» 
tungen unterscheiden : eine, welche die in den dingen selbst liegen- 
den gründe zu erforschen bestrebt ist, eine zweite, welche das ver<» 
hältnis des menschen zu den gegenständen seines interesses znm 
ausgangspunkt der betrachtung nimmt da in der regel die geistige 
anläge der einzelnen menschen in der hauptsache nach einer dieser 
beiden richtungen entwickelt ist, so musz bei der erziehung zu selb- 
ständiger wissenschaftlicher arbeit diesem in der menschlichen nito 
wurzelnden dualismus rechnung getragen werden, das obergjmnar 
sinm musz sich also in zwei sehulformen gliedern^ eine humanistiscbe 
und eine realistische. 

Die «itwickelte änderung würde die nachbildung eines pro- 
cesses sein, der sich in unserm öffentlichen leben überhaupt vollzieht, 
es würde damit angebahnt der Übergang unseres Schulwesens aus 
dem zustande der beamtenschule in den der vor allem für .den ge- 
bildeten bttrgerstand Überhaupt bestimmten lehranstalt. sicberlioh 
war das hervoigehobene wesen des preuszischen Staates als eines 
militärisch organisierten beamtenstamtes eine geschichtliche notwen* 
digkeit| nur dadurch konnte Preuszen seinen deutschen beruf er- 
füllen, sicherlich musz auch die durobtränkung des volksgeistes 
mit dem bewustsein, dasz die existenz eines jeden einzelnen mit der 
des staatsganzen yerknüpft ist, für alle zukunft erhalten werden, 
aber die gestalt, in welcher dieses bewustsein bisher seinen ausdruck 
gefunden, fängt an sich zu tiberleben, der zustand des die besten 
kräfte in seinen unmittelbaren dienst zwingenden beamtenstaates 



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Fr. Hetzker: der zudrang zu den gelehrten berufsarten usw. 185 

Wird zur Unmöglichkeit, die von dem Staate zu bewältigenden wich- 
tigen cultur aufgaben , die Wissenschaft und die von ihr getragene 
technik haben in unser öffentliches leben eine fülle yon problemen 
geworfen, die nur durch Vereinigung von geist und Charakter, durch 
eine glückliche mischung von überlegender vemunft und wagendem 
mute za lösen sind und darum das Interesse aller mit diesen eigen- 
schaften ausgerüsteten persönlichkeiten auf sich ziehen müssen. 
dieBe aufgaben, wdche wegen ihrer znnSohst nioht unmittelbaren 
besiehung zur allgemeiiiheit nicht in das bereich der von den Staats- 
beamten xn ^edigendm arbait &Uen , spielen eben darum bei uns 
nicht dia rolle, dia ihnan an sieh zukommt, aber je gröszer dia in 
ümen rohande natttrlieha macht ist, um so notwandigar ist as, dan 
Zwiespalt zwiadban der haraaMehandan neuen zeit und den mit ihr 
licht mahr in ainklang stahandan überliafaningan unseres baamten- 
stsaias durch aina beeonnana, den berechtigten fordemngen der 
gegenwart zachnung tragende ftndemng zu beseitigen, dia neu- 
gsstaltuag des Off entlieben lebens an ateUe des alten baamtenstaaies 
ist ein mit natuigewalt eich ToUztehender process , dem sich keine 
OifentliiAe einricfatung entziehen kann, am wenigsten die schule, der 
vermöge ihres einflusses aaf das hennwachsende geschlecht die auf- 
gäbe zufitilt, das die schrafiheiten des ttbergangs abgleichende Cle- 
ment abzugeben, je früher sie sich den un?anneidlich^ reformea 
antersieht, desto leichter wird sie ans den alten verhttltnissen das 
wirklich gute in die neuen sustfinde hinflberretten können: die 
pflege dea berechtigten, wahren idealismus, und damit wird dia 
continuitSt der geistigen entwicUung unseres Tolkes innerlich wie 
imserUch gewahrt werden. 

'Ein thOrichtes widerstreben gegen den mit so deutlichen 
Zeichen sich ankflndigenden geist der neuen zeit könnte den sieg 
dieses geistes nicht ▼erhindem, nur die gafahr vergrOszem, dasz die 
tmbedachter weise surftefcgestaute flnt bei dem einmal unyermeid- 
lidwn durchbrach axiszer dem wirklich abgestorbenen und ttber- 
lebtoi auch so manches hinwegschwemmen würde, an dessen erhal«- 
tong allen dnaichtigen minnem gelegen sein musz/ 

Bei der hohen Wichtigkeit des gegenständes haben wir uns diese 
weitläufige darlegung der ausfOhrungen Pietzkers gestattet, soweit 
sie das höhere schalweaen bertthren, znmal er für die beurteilung 
des zusammenhange dieses letztern mit der hauptfrage sehr wert- 
volle grundlinien Torzeichnet möge des hier gebotene der gehalt- 
ToUen Schrift recht viele leser gewinnen, der Verfasser hat ihr das 
motto gegeben : 'die rechten schritte zur rechten zeit.' uns erscheint 
sie in mehrfacher hinsieht wie eine begründung und auslegung der 
sitze des altmeisters Wiese: 'der geist der schule musz sich nähren 
von dem uns alle umgebenden leben, mit dessen wechselnden zeit- 
strömungen die principien der bildung andere werden.' — 'Die ent- 
wieklung des untarrichtswesens wird überwiegend durch innm, im 



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186 Fr. Fietiker: der sndnmg sn den gelebrteii beraftarten usw. 

leben der nation wirkBame krSfli« bestimmt» die yerwaltimg ttbt Ter- 
bttltnismäszig geringen einflusz darauf ans, sie bat aber die pflicht, 
auf die seidien der zeit zu acbten.* — 

Unsere gegenwärtigen scbulzustände werden durch folgende 
von Treu tiein mitgeteilte thatsacben gekennzeichnet: 

1) nicht einmal die hftlfte aller sextaner des gymnanums er* 
reicht II""; 

2) nur 27 procent der den griechiscben Unterricht beginnen- 
den Schüler führen ihn bis zum ende der gymnasiallau fbfibn durch. 

Dapz diese den iehrgang des gymnasiums abbrechenden schiller 
eine ungeeignete und ungenügende bildung mit ins leben nehmen, 
bestreitet heutzutage wohl nur noch director Jäger.* hr. v. Gossler 
beklagt die Verkrüppelte und verkümmerte bildu n g' sol- 
cher jungen leute, provinzialschulrat Kruse sagt: *je classischer die 
bildung ist, desto wertloser wird sie, wenn sie mit II oder noch früher 
abgebrochen wird', und in den Verhandlungen der directorenversamm- 
lungen bricht sich mehr und mehr die ansieht bahn, dasz das gymna- 
sium für jene schüler durchaus nicht sorge und nicht sori^en könne, 
und doch wurde in ri:euszen dereinst verfügt: 'das gjmnasium solle 
in kleineren sLädten die höhere btirgeröchuie irgendwie mit um- 
fassen.' bis zum jähre 1882 galten die gjmnasien amtlich als 
schulen, welche aneh die ins erwerbsieben übertretenden schtüer 
mit zu bertleknditigen hStten. durch die lehrpline toh 1862 ist 
die höhere bflrgerschule neu eingerichtet und als ^Jfingste Schwester* 
(nach unserer ansieht als Aschenbrödel) unter die höheren schulen 
eingereiht worden, diejenigen, welche Yon einem emporblflheu der- 
selben eine art panacee, eine mtlastang der gymnasien erhoffen, 
geben sich einer gröndüchen tSuschung bin. dasz in stftdten wie 
Berlin, Breslau, Gbariott«iburg, wo die bevölkerung jfthrlieh sieh 
um tansende vermehrt, die höheren bttrgerschulen lebensfilbig sind, 
ist selbstverstttudlicfa, in den mittleren und kleineren stltdten, wo sie 
am dringendsten notwendig sind, werden sie bei dem mangel an 
berechtignngen und ohne anschlnsz an vollberechtigte anstalten 
nicht lebensfiUiig sein oder doch lange nicht in hinreichender zahl 
TOrhanden sein, in seinem sehr beachtenswerten aufsatz über die 
läge dieser schulen (pädag. arcbiv 1889 nr. 8) hat Viereck nach- 
gewiesen , da?z bei der jetzigen Sachlage dieselben in mittleren und 
kleineren Städten schon bei der gründung meist den todeskeim in 
sich trageu, imd die vorginge in Bonn, Papenburg, Lübben, Watten- 
scheid bestätigen diese bchauptung. experto credas! der rector des 
realprogymnasiums in Boun, welcher unter dieser notlage zu leiden 
hatte und die Umwandlung der dortigen höheren bürgerschule in 

* vgl. 8. 38 seiner nicht bluäz iu diesem punkte rückständigen streit- 
flohrift Mas humsnistische gymnasiiim' usw., welche übrigent in ihrem 

grundlegenden safze über das latein glänzend widerlegt worden ist von 
Neudecker: 'der classische Unterricht und die erziehnng zu. wisBenscbaft- 
liebem denken.* 



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Ar. FifltBker: der sodrang zn den gelebrien beniftarten usw. 187 

ein realprogymnasiiim zu Tolkieben hatte , sagt in dem progranun 
Ottern 1888: *68 mosz die einriclitang dieser scbnlgattung (der 
hQheien bttrgersolinle) in mittleren und kleinen Städten als ein febl- 
griff beseiebnet werden.' 

Da in Preuszen neben 483 sog. gelehrten ecbnlen (lateinsohnlen) 
nor 55 lateinlose (realschnlen, oberrealsehnlen, höhere btirgerschalen) 
bestehen; so kann von einer freibeit der wähl der zu besachenden 
edinle kaum (etwa nur fttr mne miUion einwobner) die rede sein, 
da es femer in 305 städten nur gymnasien oder realgymnasien gibt, 
so mflssen sämtliche eitern, welche ihren söhnen eine bessere als die 
elementarscbulbildnng gew&bren wollen, dort lateinsohnlen wShlen, 
— Der Vorschlag, eine anzahl gymnasien in höhere bürgerschulen um- 
zuwandeln, ist nicht durchführbar, denn jede stadt würde sieb der Um- 
wandlung ihres gymnasiums mit allen berechtigungen in eine schule 
mil nur einer, der 'freiwilligenberechtigung', mit allen kräften wider- 
setzen, wollte man überall neben den bestehenden lateinschulen 
höhere bürgt rscbulen mit Staatsmitteln gründen, so würden sich un- 
überwindlicLe finaDzielle Schwierigkeiten entgegenstellen : im jähre 
1887/88 wurden von den lateinschulen Preuszens 4090 schüler mit 
dem reifezeugnib entlassen, 12869 giengen vorher zu bürgerlichen 
berufen ab. wenn nun entsprechend dieser groszen mehrheit, welche 
man vorsorglich den 'bailast' zu nennen beliebt, höhere bürger- 
schulen gegründet würden, so würde neben den bedeutenden kosten 
derselben noch ein ganz auszerordentlicber ausfall an Schulgeld in 
dcü tinnabmen der gymnasien und realgymnadien enUtehen , falls 
68 wirklich gelänge, die schüler nach ihrer beanlagung in die ihnen 
passende scholform zu verteilen, in der that ist dies aber unmög- 
lich, denn man kann die eitern nioht davon abhalten, ihre s^hne 
derjenigen schule sn ttbergeben, welehe im alleinbesiis aller berech- 
tigungen ist; man wllrde sie aber dasn veranlassen, den geeigneten 
bildnngsgang zu wihlen, wenn dio entsobeidnng nicht schon bei 
dem eintritt in sezta stattfinden müste.' 

Die gesdiichte der 1832 anerkannten ttlteren höheren bttrger- 
sebnlen (mit latein) ist sehr lehrreich, das von ihnen aosgestellte 
leognis der reife berechtigte nicht nur znm eiigShrigen mUit^rdienst, 



* die neuerdings an gynmasien gelichtete amtliche aufforderung, 
die f&r das stndiuin ungeeigneten sehSler snm fibertritt In elementar* 
schalen und mittelschnlen za veranlassen, Ist praktisch wirkungslos, 
IQ pädag^ogischer hinsieht schädlich, man kann den hochstehenden 
beamten ebenso wenig dazu bringen, seinen unbegabten söhn herab- 
steigen ta lasaen, als den haadwerker davon abhalten, seinen begabtui 
lohn dem gymnasiimi an übergeben, wer soU die unfXhigkeit erkennen? 
das wprflpn mit unfehlbarer Sicherheit die oft recht unerfahrenen lehrer 
der untern classen nach den fehlem der lateinischen extemporalien be- 
sorgen, bekanntlich kommen begabuug und neigung erst mit eintritt 
der pnbextat snm darehbmch. fSr die lehrer liegt darin die nnpäda* 
gogische anfforderung, sich nur mit den besten köpfen an besehXlÜgen, 
die andern verkümmern zu lassen. 



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188 Fr. Pietxker: der sodrang zu den gelehrten bera^Hurkeii tiiw. 



sondern auch tarn eintritt in das post-, forst* und banfaeh nnd zam 
subaltemdienst bei den proyinzialbebOrden, und dennoch waren sie 
20 jähre spSter fast sSmtlioh in gymnasien und realgymnasien yer- 
wandelt worden, wenn zwei sehulformen neben einander bestehen, 
70n denen die eine vor der andern durch berecbtignngen, Staats- 
znscbflsse n. a. begOnstigt ist, so kann die letztere nnr aosnahms- 
weise, in gans beeondem fiülen bestehen, das nebeneinander 
von sehnlen mit ganz yerschiedenen lebrplänen und 
verschiedenen berecbtigungen bat sich nicht bewShrt, 
darin ist Pietzker durchaus beizupflichten . dasz dieses nebeneinander 
— die Scheidung in humanistische nnd realistische snhnlen — auch 
theoretisch und ^rnndsätzlich unhaltbar ist, hat l^ietzker nachge- 
wiesen in beincr iieuc-tLii schrift 'humanisiuus und schul* 
zweck', welche die aligemeinste beachtung verdient. — Bei der 
gegenwärtigen Sachlage sind gewissenhafte eitern geradezu ver- 
pflichtet, ihre sühne in diejenige schule zu schicken, welche ihnen 
die meisten yorteile bietet, d. b. ihnen den zutritt zu allen berufs- 
arten gestattet. — Aus den angeführten gründen wird es den 
jüngeren höheren bürgerschulen nicht besser gehen als den filteren, 
sie werden im allgemeinen nur bestehen können in groszen städten, 
wo es vielö eitern gibt, welchen es nur auf die berechtigung zinu 
einjährigen militärdieuät ankommt, sollen diese so dringend not- 
wendigen schulen nach dem ganzen umfang des bedürfnisses lebens- 
fthig werden, so müssen ihre lefarer in gehalt nnd rang denen an 
den nennjftbrigen sehnlen gleichgestellt werdm; ferner mflsaen sie 
organisch mit den Tollberechtigten neniyftbrigen sehnlen Terbun* 
den sein, d. h« die lehrpline beider mflssen wenigstens in den 
unteren classen gleichförmig sein, so dass die drei unteren dessen 
aller höheren sehnlen gleich wSren, was provindalscholrst Erose 
als die anfgabe der suhonftspftdagogik beseichnet bat diese ein- 
riohtnng Uesse sich ermöglichen durch einen spätem beginn des 
latein, fbr welchen unzweifelhaft sehr wichtige pftdagogische gründe 
sprechen, den drei neunstufigen schulformen mfiste freilieh Tolle 
gleichberechtigung gewSbrt werden, was aueh Cauer in seiner treff* 
liehen schrift 'suum cuique' fordert im eigensten Interesse des gym- 
nasinms. alsdann brauchte die entscheidung über die art der zu be- 
suchenden schule nicht schon im neunten lebensjahre stattzufinden, 
sie könnte ohne den druck der berecbtigungen als eine wirklich freie 
erst im zwölften lebensjahre erfolgen, und das wäre immerbin eine 
sehr bedeutsame errnngenschaft. denn dasz das geforderte unter- 
gy mnasinm alsbald ins leben treten werde, wird auch Pietzker nicht 
annehmen.* 

Wollen wir für die vielen gymnasien, welche den dienst der 
höheren bürgerschule in der denkbar unpassendsten weise thun, er- 

* es bedarf kaum der erwähnim^, dass alsdann die zahl der gym- 
nasien Bich vennindem, di« sabl der sog, realistiBcbea sohaUn sa- 
uebmen würde. 



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Fr. Pietzker : der zudrang zu den gelckrten berufsarten usw. 189 



lösung finden, so dürfen wir sie nicht von der Weiterentwicklung 
der isolierten höheren bUrgerechule erhoffen, denn nach dem seit- 
herigen gang dieBeir eniwicklung würden wir in etwa 100 jähren 
200 floliäer sdiiilen besitBeii. es bedarf kaum der erwüloinng, dasz 
die lon Caner von dem Terbamn bei dem gegenwftrtigen System be- 
fBzohiete 'innere Zerstörung des gjmnasiums' schon Ifingst 
vor dieser seit eingetreten sein wttrde. 

Die freunde des gymnasioms erisnsm wir an die werte, welobe 
der Yerstorbene Bonits am 21 januar 1879 im abgeordnetenbause 
gesprochen bat: *die Tertreter «tieser ansieht (dass es ohne kenntnis 
der alten sprachen keine höhere allgemeine bildnng gebe) mttssen 
dshin gelangen : ausschliesslich das gymcasium iet die Torbereitmig 
ftlr alle, welche zu höheren Stadien sieh vorbereiten wollen, und 
sie fuhren damit in consequenz zum ruin unserer gym« 
nasien und zur yerachtung der classisohen bildung,' 

Die entwioklung des höheren Schulwesens und die gegenwärtige 
Terfassung desselben zeigen, dasz man der ratgegengesetzten ansieht 
gehuldigt hat. denn von sämtlichen höheren schulen Preuszens sind 
mehr als '/iq, nemlicb 480, so eingerichtet, dasz auf ihnen '/s des 
Schulwegs, der zur Universität führt, zurückgelegt werden musz 
und dasz in ^/j jener 480 schulen (in den gymnasien und progym- 
nasien) dieser weg noch weiter fortgesetzt werden musz. kann 
man sich da noch wundern, wenn dieser fast ausschlieszlich inög- 
iiche weg des gymnasiums , der auf sehr vielen Stationen prämiiert 
ist, die übertuUung der gelehrten berufe veranlaszt? 

Möge man endlich einmal mit jenem einseitigen doctrinarismus 
brechen, der eine schule theoretisch und a priori aufbauen zu müssen 
glaubt, während doch jede schule ihren Ursprung in praktischen be- 
tiilrfuisspü bat. unter dem l'obler des einseitigen tLuüretisierens bat 
das gymnasium schwer gelitten, indem es dem phantom einer ganz 
allgemeinen bildung nachjagte, so lange es vorbereitangs- 
sehnle für die Universität war, vermittelte es in der tbat die höhere 
allgemeine bildung, an der die leitenden kreise teilnahmen ^ denn 
infolge der vemiditung unserer nationalen gosellschaft durch den 
draiszigjährigen krieg war unser 'studierter' beamtenstand das, was 
der groszhandelsstand, der waffen- und gerichtaadel, die gentrj fOr 
Italien, Frankreich und England waren, die höhere allgemeine 
bildung war also nur eine, sie war eine gelehrte, wesentlich 
antik-elassische. als allm&hlich der unabhängige ksufinann und 
industrielle neben dem beamten der tonangebende yertreter der 
deutschen gesellschaffc wurde^ erhob sich ein moderner begriff 
der allgemeinen bildung« diesem geschichtlichen dualismus 
gegenüber hätte das gjmnasium eine klare Stellung einnehmen und 
sich auf seinen ursprünglichen beruf beschränken mttssen. statt 
dessen wollte es beide arten der bildung vereinigen und verlor so 
seinen historischen und einheitlichen Charakter, aber das bewust- 
Bein, dasx man doch nicht zweien herren dienen könne, brachte die 



190 Fr. Pietzker: der zadrang zu den gelehrten berufearteu o&v« 

gjrmnasialpädagogen dazu, das Schlagwort ^formale bildnng' 
desto stftrker zn betonen nnd gegenttber der nnsufriedenheit des 
publicums auszuspielen« die banptfiftober des gymnasinmsi die beiden 
alten spraehen, galten als tbeoretiscb die besten ftlr alle böbere ans- 
bildung, den andern spraob man eine formal bildende kraft ab, sie 
sollten nnr ^ntilitaristiscbe kenntnisse* yermittebi nnd dm 
materialismns befördern, nun sollten die gymnasien nieht mebr ge- 
lehrtenschnlen sein, sondern sobnien einer lediglicb allgemeinen 
bildong und zwar einer 'formalen', welche allen, studierenden 
und nichtstndierenden, snteil werden sollte, dadurch verfiel diese 
im weitesten nmfange allgemein bildende schule in einen immer 
stSrkem eneydopttdisrnns, der die bildnng des nrteils wie des eha* 
rakters aufs änszerste erschwert. ^ 

Schon im jähre 1828 klagte Fr. v. Baumer über diesen von 
J. Schulze inventarisierten encyclopSdismus , vermöge dessen alles 
für jeden gleich wichtig und kein fortschritt in einer höheren schule 
erlaubt sei, so lange nicht das wissen in allen gegenständen gleich- 
mäszig gewachsen sei. 'diese mechanik, vom Standpunkt unter- 
geordneter, negativer abstraction f ür die höchste Weisheit ausgegeben, 
ertütet in Wahrheit lust, liebe, geist, Individualität und verschafft in 
der legei denjenigen das höchste lob, die sich zu allen gegenständen 
des menschlichen wissens gleichmfiazig verhalten, d. h. den geborenen 
Philistern.* 

Das treibende moment dieses entwicklungsganges ist der grund- 
gedanke : das gymnasium equsz die dem jeweiligen culturzustaude 
entbprechendü höchste rillireineine bildung vermitteln, bat es diese 
aufgäbe stets erfüllt V achou eine äuszere betrachtung der geschichte 
des Schulwesens zeigt uns , dasz es dies bereits im vorigen Jahrhun- 
dert nicht mebr yermocht hat: die vernachlftssigung der matbematik, 
natufwissensebaft nnd der neneren sprachen führte znr grttndnng 
der ritterakademien nnd der realscbnlen. nnd wenn wir gerecht 
Sern wollen, mttssen wir sagen, dasz das gymnasium allein anc£ bente 



* im jähre 1871 hatte director Jäger in seiner äcliriit ^gj'muasium 
und realschnle erster ordnmig' die behanptong aufgestellt, dass allent- 
halben das ntilitarisclio princip, das dem erlernen der neueren sprachen 
mit itotwendigkeit anhaftet, durch alle poren dringt und rein wissen- 
Bcbaitliches interesse an diesen sprachen nicht aufkommen läszt. es 
ist wie eine irente der gesehiehte nnd ein selchen der zeit, dass im 
jähre 1889 Jäger in seiner achrift '^das humauistische gymnasiam* usw. 
zn felde ziehen mnsz ^egen die einführung des englischen in d^n lehr- 
plau des gymnasiums, mit welcher sich die sächsische directorenver- 
Sammlung 1889 zn beschäftigen hatte, der berichterstatter gymnasial- 
director Röhl empfahl dieselbe n. a. ans folgenden utilitarischen grttnden: 
1) 86 sei ein unrecht, den gymnasiasten eni bilflirriirsmittel vorzu- 
enthalten, dessen die vettern an den realanstalten und die Schwestern 
an den höheren töebterschulen sich erfreuen; 2) es sei wünschens- 
wert, dass die gymuaiiasten die in englischer spräche Terfaasten anf* 
Schriften und gebrauchsanweisungen anf geritten nnd spielsengen ver- 
stehen können, ^sic!) 



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Fr. Pietzker : der zudrang zu den gelehrten berufaarten usw. 191 

nicht die höchste allgemeine bildung vermittelt, sehen wir von dem 
spitem beruf ganz ab nnd nehmen wir an, es sei nioht blosz für 
philologeii und theologen die geeignete bildnngsaastalt« der viel 
gerQbmte ^wissenscbaftliclie sinn% den naSi der ansieht pbilo- 
logiacfaer pädagogik das gymnasinm allein anenieben kann, dürfte 

doch eigentlieb nicbt begnügen mit der dogmatiseben annähme 
der ergebnisse natnrwissensehaftlieber forsebung. es ist ein offen- 
bsrer widwspraeb unserer gymnseialpBdagogik, an dem spracbliob* 
geschiehtUeben lebrstofie die bis an den quellen fahrende *biB to- 
rische bildnng' pflegen zu wollen und auf naturwissenschaftliobem 
gebiete mit unwissensdbaftlichem dogmenglauben sich zu begnügen, 
die gründe unserer gegenwärtigen astronomischen Weltanschauung 
zu kennen müste doch für jeden gebildeten ebenso wichtig sein als 
die bekannteohaft mit Homer ^ Sophokles, Horas und Cicero, wie 
viele unserer gebildeten wissen, worin das wesen der Ptolemäiseben 
und der Eopernikanischen lehre bestebt nnd was der letztem sur 
berechaft verbolfen bat? 

Unsere leitenden stände müssen eine geistige ansröstung er- 
halten, die sie befähigt, nicbt blosz das gescbicbtliche werden tbeo- 
retisch zu erkennen, sondern auch an der Weiterentwicklung 
höherer menschlicher bildung mit Schaffenslust und Schaffensfreudig- 
keit mitzuwirken, sie müssen nicht blosz gelernt haben, wie die 
dinge vor uns gewesen, sondern Bie müssen auch erkennen, wie die 
dinge nm uns sind und warum sie so sind, denn als leitende 
stände müssen sie bestimmen , wie die dinge in znkunft sein sollen, 
es ist ein grundirrtum unserer gj'mnasirilpädagogik zu meinen, dasz 
die möglichst eingehende kenntnis der Vergangenheit an sich die 
schallunöfähigkeit bewirke, ein irrtum, der bchlieszlich zur cr£uduüg 
des sog, *bio logischen' gesetzes geführt hat, dasz der erziehungs- 
gang des einzelnen ein verktLrzter wiederholungscursus der erziehung 
der gattung in der geschichte seL* die fttbigkeit des naeberlebenden 
ventSndnisses menscblicb -.geistiger dinge ist nur ein factor der 
böheren bildungi nicbt ibr endzweck. diesen kann man niobt besser 
bestimmen als es Pietzker gethan in seiner scbrift ^bnmanismns 
und sebnlaweck': 'nicht die fSbigkeit, die menscblicben 
dinge nacbzuerleben an sieb, vielmehr die fäbigkeit« 
an der Weiterbildung dieser dinge sieb lebendig schaf- 
fend zu beteiligen, maebt das wesen der bOberen bil- 
dung aus. das naeberleben des vor uns liegenden ist nur 
insofern von wesentlicbkeit, als es die befftbigung zum 
nitschaf fen in der gegenwart zu steigern geeignet ist.*^ 

Also die bildung seiner zeit kann nur der fördern und weiter« 
fitbren, der sie ttberscbaut, der die dinge um sieb her bis zu ibren- 



* die haltloBigkeit dieses 'geseUM* ist a. a» trefflieb nachgewiesen, 
worden ?on Rosenthal ia seinem aufeats 'natarforsehung und sehuleV 
pU. arehiv 1889 s. 22&— 60. 



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192 Fr. Pietoker: der zudrang zu den gelehrten beroftarten nsw. 

gründen erfasst bat. daan gehört aber ein am^biger uatenicht in 
den neneren apradien, nicht nomendator, sondern wirUkh bilden* 
der Unterricht in den naturwissenschaften nnd in der mathematik. 
man wird nicht behaupten dtlrfen, dass das gymnasinm der höheren 
modernen bildong viel räum gönne , da es den eprachlich-geBchiofat- 
lichen fachern 187 wöchentliche stunden widmet, worunter dem 
französischen allein nur 21, den mathematisoh-naturwissensehaft- 
Uchen fiUshem 52 atonden. 

Da das gymnasinm die aufgäbe, die dem heutigen coltur- 
zustande entsprechende höchste allgemeine bildung zu vermitteln, 
nicht erfüllen kann, so musz es einen teil derselben den sogenannten 
realistischen schulen überlassen, man sollte aber dann auch den 
irrtum aufgeben, dasz die sprachlich - gcricbichtliche bildung die 
edlere, vornehmere sei, das? mir sie die ^humanistische' sei. die 
erziehung- zu wissenschaftlicliem auf die quellen der erkenntnis zu- 
rückgehbüdem arbeiten ist die aufgäbe aller neunstufigen höheren 
schulen, aber die erfüllung dieser aufgäbe ist eine verschiedenartige, 
sie besteht in der einen Schulart vorwiegend in der mitteilung der 
werke , in denen die gedankenweit bedeutender männer der nach- 
weit überliefert ist, in der andern vorwiegend in dem clnblick in 
den Zusammenhang der naturerscheinungen und in die geistesarbeit, 
die uns die kenntnis dieses Zusammenhangs ersclilosüen. 

Auch in Frankreich, dem classischen lande der uniformität, hat 
man der notwendigkeit der teilung der arbeit in der neozeit rech* 
nung getragen, nachdem schon tot 40 jähren Saini-Marc Gixardin 
geraten hatte : *die zeit ist gekommen, um in den schulen besondere 
abteilnngen zu grttnden, deren unterrichte die scfalller je nach ihrem 
kllnftigcn berufe folgen können.' 

V. 



17. 

PROF. DR. HERMANN RIEMANN, 
director des gjmnasiams zu Greifenberg, 



Am 27 januar starb in Greifenberg dr. Riemann, nachdem 
er zu michaelis 1888 sein amt niedergelegt und zum nachfolger den 
prof. Conrad aus Stettin erhalten hatte, der tod hat ihn überrascht, 
denn er gedachte in seiner musze noch manche pläue, die er gehegt, 
die aber bei der anstrengenden lehrthätigkeit, auf die er hingewiesen 
war^ nicht zur ausfuhrung gebracht werden konnten, zu verwirk- 
lichen, in dem letzten jähre seines lebens hatte er den schmerz 
seine treue, ihn sorgsam pflegende iebensgenossin zu verlieren, seine 
beiden von ihm innig geliebten töchter, welche in Greifenberg ver- 
heiratet sind } suchten dem vereinsamten yater den verlast^ den er 



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Ftof. dr. Hermaiiii Rlemaim. 



193 



editten , zu ersetzen und eine nabe yerwandte waHete ea der stelle 
der heimgegangenen lel^ensgefftbrthi in dem trauten Mm, das er 
siefa vor einem jahrsehnt selbst geschaffen und an dem er eine 
bersensfrende batte. dem garten^ den er angelegt, wandte er seine 
besondere Sorgfalt za, er freute sich, wie die bftume und sirftucher 
MbUcfa emporwuchsen und schatten und obst spendeten, die sebOnen 
bflhner brachten leben auf den hof und gewährten ihm, wenn er 
hinaustrat, nm sie zu beobachten und tu flittem, immer neues ver* 
gnUgen. mit stolz setzte er seinen gSsten eier von seinen btlbnem, 
Spargel und andere gemttse aus sdnem garten yor. mit dem gymna- 
aiom, dem er seit seiner gründung angehörte, war er innig ver- 
wachsen, seine ganse kraft hat er der anstalt gewidmet, die arbeit 
ist nicht vergebens gewesen« viele schüler verdanken den anregun- 
gen, welche sie durch seinen geschichtlichen , deutschen und latei- 
nischen unterriebt empfiengen, ihr bestes, als am 15 october 1877 
das 25jährige bestehen der anstalt gefeiert wurde, war es insbeson- 
dere der Professor R. , dem dfinkhare schüler ihre holdigiingen dar- 
brachten, der unterzeichnete hat mit dem verewigten jähre fröh- 
licher jugend in Jena und Berlin verlebt und ist immer durch bände 
der freundschaft seit jenen tagen mit ihm verknüpft geblieben. 
R. war ein ganz prächtiger genösse, immer aufgelegt zu lustigen 
streichen und fröhlichen fahrten, von allen gliedern unserer Verbin- 
dung heis2 geliebt, überall gern gesehen, aufgesucht und zu fest- 
lichkeiten und kaffees herangezogen, weil er immer zu scherz und 
lust genei^ w;ir. mit dem besuch der collegien hielt er es nicht so 
btreng, als man wünschen muste , so lange er auf der thüringischen 
hochschule verblieb, aber in Berlin nahm er lebendigen anteil an 
den Eankeschen Vorlesungen und namentlich beteiligte er sich eifrig 
an dem von dem groszen historiker geleiteten historischen seminar, 
in dem so viele eine für ihre Studienrichtung wichtige anregung 
empfiengen.* der treffliche professor Trendeinburg, ein freund seines 
Taters, nahm interessean der entwicklungdes liebenswOrdigen jttng- 
lings und tröstete den vater, der manchmal mit dem lebensgang, 
den der söhn genommen, nicht recht zufrieden sein mochte, mit dem 
hinweis auf den guten fbnd, der in dem lebensfrohen studiosns yor* 
banden war. nachdem B. seine Stadien beendigt hatte, nahm er in 
der nShe Berlins eine hauslehrerBtelle an, machte dann unter Meineke 
sein Staatsexamen, in dem er die lehrbef&higung fttr latein, ge- 
schicbte und deutsch für alle classen erhielt, und leistete sein 
probcrfabr an dem gymnasium in Anclam ab, das sich unter der 
leitung des director Gottschick (geb. 1807, gest. 1871) eines guten 
rufes erfrottte. von dort wurde er michaelis 1852 an das neu ge- 
gründete gymnasium in Greifenberg berufen, diese anstalt nahm 
unter der leitung des ausgezeichneten director Campe und unter der 



* auch B* hat in dem Raokesehen seminar die metiiode der foradmng 
gelernt. 

N. Jahrb. f. phil. a. pid. Ii.abt. 1880 hfl. 3. 18 



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194 



Prof, dr. Hermaiui BiemaniL 



mitarbeit tliclitiger lehrkräfte wie Pitann, des spKtern directors de» 
gymnasiums yon GösliQ^ des dr. Carl Friedr. Peter, spätem directors 
des gymnasiums in Saarbrücken, des dr. G. Wendt, der gegenwärtig 
als oberschulrat und director des gymnasiums in Karlsruhe thätig 
ist, und anderer tüchtiger männer, einen groszen aufschwang, als 
dr. Wendt, welcher 1856 seine lehithätigkeit in Greifenberg auf- 
gegeben hatte, um die leitung des gymnasiiims in Hamm in West- 
taien zu übernehmen, eine berufung nach Karl-iulie angenommen 
hatte; wurde bei R. angefragt, ob er nachlolger Wendts werden 
wollte, er lehnte das anerbieten ab, weil er sich nicht von seinem 
lieben Pommern trennen mochte, mit Greifenberg verwuchs er immer 
mehr, zum 600jährigen jubiläum der stadt Greifenberg gab er eine 
auf guter quellenforschung beruhende geschichte der stadt Greifen- 
berg heraus (GreÜenberg 1862). elf jahrü später erschien die ge- 
schichtü der stadt Colberg. aus den quellen dargestellt von H. Rie- 
mann, mit Urkunden, plänen der belagerung Oelbergs und einer 
ansieht. (Colberg 1873.) in beiden sobriften zeigt aiob, daez der 
verewigte in der scbule Sankes die methode der forscbung gelernt 
batte. bereits im jabre 1868 wurde ibm der titel professor ver- 
lieben nnd 1875 ebrte ibn die nniTersit&t Greifswalde wegen seiner 
Verdienste um die pommersebe gescbicbtsebreibnng dnrcb das diplom 
der pbilosopbiscben doetorwflrde. als director Campe in den rabe- 
stand getreten war, wurde B. durcb das curatorium der anstalt zu 
dessen naebfolger gewftblt. es kostete viel zuredoi ibn zu bewegen 
dieses bescbwerlicbe^ w^gen allerlei bericbterstattnngen lästig scbei* 
nende amt zu fibernehmen, gewissenbaft und treu hat R. aucb dieses 
directoramt verwaltet, ein reiches leben hat der tod zum abschlusz 
gebracht, viel liebe und dankbarkeit folgt dem verewigten fiber das 
grab binaus, insbesondere aber werden den treuen genossen die- 
jenigen vermissen , die durch eine lange reibe von jähren mit ihm 
verbunden waren, die seinen edlen Charakter, seinen guten humor, 
seine tüchtigen kenntnisse und seine in vielen anszorordentlich 
netten gedichten hervortretende dichterische anläge zu würdigen 
wüsten, schlieszlich erwähne ich, dasz R. am 4 october 1822 zu 
Eutin geboren wurde, seine akademische vorbildunpr erhielt er auf 
dem gymnasium zu Priedland, das damals unter der treffiiciien 
leitung des director Herrn. Schmidt in ansehen stand und der später 
von 1842 bis 1868 in Wittenberg eine ausgezeichnete, weithin an- 
erkannte thätigkeit entwickelte, der vater Kiemanns war mecklen- 
burgiocher geistlicher, der in der Jenaer burschenschaft seiner zeit 
eine wicLtige rolle geapielt hat. 

Halle a. S. G. Lotuholz. 



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Benchi über die 26e versammlimg des vereinB iheiu, scbulm&tmer. 195 



18. 

BERICHT ÜBER DIE SECHSÜNDZWANZIGSTE VERSAMM- 
LUNG DES VEEBINS BH£INI8CHEB SCHULMÄNNER (1889). 

Für die alljUhrlicho Zusammenkunft des Vereins rheinischer Schul- 
männer hat sich im laufe der Jahre die bezeicbuuug 'osterdienstags- 
Tersammiung' eingebürgert; in diesem jähre jedoch veranlaszte die ver* 
•etaiebnng der oaterferien, dass yon dem Bonit Üblichen und auch sc 
pMsenden tage abgesehen and gleich der aweite freie tag, der 11 april, 
rar die Zusammenkunft bestimmt wurde, da ein solches abweichen 
von gewohuheiten für eine Versammlung , deren teilnehmer sich ans 
der ganzen provins sasammensnfinden haben, immerhin etwas bedenk* 
liebes hat, hü ist es nns diesmal besonders er£renlich die stattliche zahl 
Ton 96 teilnehmern verzeichnen zn können, von verschiedenen Seiten 
waren schreiben an die Versammlung eingelaufen, so bekundete ge- 
heimrat Ilöpfner, der bis zu seiner berufung ins miuisterium ein stän- 
diger, stets fördernder teilnehmer dieser znsammenkflnfte gewesen ist, 
anch noch jetzt ans der ferne seine rege anteilnahme: ihm seien diese 
jahresversammlungeu immer eine art fest gewesen; prov. -schulrat dr. 
Deiters drückte sein bedauern aus durch auszergewohnliche dienst- 
liehe Inanspmcbnahme ferngehalten an sein. — Die snm vortrage an- 
gemeldeten gegenstände waren; 

1) thesen über berücksichtig'ung gewisser politischer nnd wirtschaft- 
licher elementarbegritfe im Unterrichts gymnasiallebrer Moldenhaaer 
(Köln Friedr. Wilh.-gymn.). 

2) die behandlung des Nibelnngenliedes im gymnasialen nnterricht: ' 
rector Becker (Dfirt n realprofryiTin.y 

3) einige bemerkungcn zum capitel 'schule nnd elteruhans': dir, 
Jäger (Köln i'riedr. Wilh.-gymn.). 

Kachdem die Tcrsammlnng begriisst nnd eingeleitet war, erteilte 
äer Vorsitzende, gymnasialdirector a. d. Kiesel (Düsseldorf) das wort 
SQ Moldenhaner. derselbe hatte folgende thesen aufgestellt: 

1) man hat die f orderung aufgestellt, dasz entsprechend den 
hentigen politischen nnd socialen verhftltnissen die wirtschaftslelupe 
und gesetaesknnde in den nntenricht der höheren schulen anfitu- 
nebmen seien. 

2) dem gegenüber ist zu bemerken, dasz diese gegenstände 
allerdings mehr als bisher berücksichtigt werden müssen, dasz sie 
aber nur propädeutisch an behandeln sind, so dasz sie zum nach- 
denken über volkswirtschaftliche dinge nnd zu spätem selbstän- 
digen Studien anregen können, eine in besondern stunden dar- 
zubietende wirtsühaftsiehre und gesetzeskunde ist dagegen auszer 
frage. 

3) alle Unterrichtsgegenstände bieten gelegenheit, hervorragend 
wichtige punkte der Volkswirtschaftslehre zu berück^^iehtigen. 

4) in der geschichte ist die zeit von 1815—71 genauer zu be- 
handeln, Tolkswirtsehaftliche dinge sind hervorsnheben, ebenso ist 
die gesetzeskunde zu berücksichtigen, dem entsprechend sind min- 
der wichtige abschnitte kürzer zu behandeln. 

5) in der geographie ist eine übersieht über die hauptverkehrs- 
wege usw. zu Terlangen (vgl. lehrplan von 1882). fundamentale 
begriffe der Tolkswirtschaftslehre sind hervorzuheben. 

6) in den dentscben lesebüohem sind Stflcke ttber Tolkswirt- 
sehaftliche stofie aufzunelimen. 

Moldenhauer führte aus: in irischer erinnerung ständen wohl allen an- 
wssenden die Terhandlnngen des abgeordnetenlianses , bei denen der 
enltnsmiaister in so klarer weise die bereohtigoog des gymnasiums 

19* 



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196 Bericht über die 26e veräammluag des yereins rheio. schulmäuuer. 



dar^elefft habe, in diesen selben ▼erbandlangen aber sei so reebi au 

tage getreten, wie vielfach man Reinen Antipathien gegen das gjmna- 
sinm ansdruck gebe ohne das vorli;iM<leiie vvirklichgate anzuerkennen, 
dieser ersciieiuung gegenüber aber dürie von deu verteidigem. deü 
gymnasinms, die ätih Überhaupt mehr mitten ins leben stellten als die 
reformstreber, behauptet werden , dasz dieselben nicht von vorn herein 
allen reformvorschläp^en feindlich entgegenträten; wohl aber wollten 
dieselben historisch berechtigtes festhalten, und solcher forderangen, die 
sie niebt für gat hielten, nach allen krSIten sich erwehren, in diesem 
sinne trete er in die besprechung seiner theseti ein, und zwar werde 
er zur vereinfacliung der discnssion gleich die dr- I ersten punkte 7;n- 
sammenhängend erörtern, wenn die grlindung und entwicklung des 
deutschen reiches von bestand bleiben und nicht die socialdemokratie 
anm siege gelangen solle, dann müsse jedermann dazu helfen; letzteres 
aber sei nur möglich anf gruud richtiger anschauungen nnd sicherer 
kenntnigse, und die schule sei berufen das funrlnment cIhzu zu lopen. 
von einem jungen manne, der die schale durchgemacht habe, müsse 
man verlangen, dass er die verfassnng unseres reiehes kenne, die ele- 
mentarbeg^iffe des wirtschaftlichen lebens verstehe, aber wenn man 
nachfrage, so kannten wenige aucli nur die hestimmiingen einer wähl! 
besser wüsten die schüler über consuln, archonten, Satrapen auskunft 
SU geben, als Über die eigne proTinzialverwaltungl genauer kllonten 
sie die zahl der mannschaft eines lochos, einer cohorte, als die eia- 
richtung und gliederung des deutschen heeres, das sei ein misstand, 
auf welchen provinzialschulrat Münch schon in einem seiner ^gesam- 
melten aufsätze* hingewiesen habe, was den ausdruck 'gesetzeskunde', 
der sich in der ersten these finde , anlange, so gebe er selbst gern su, 
dasz derselbe hesser durch 'verfaasungskunde* zu ersetzen sei; von 
juristischen kenutnissen sei nicht die rede, gleiche Unwissenheit ferner 
zeige sich bei den Jünglingen, wenn mau auf volkswirtsuhatt komme: 
überall nur unklare, Tersehwommene begriffe I diesem notstande gegen- 
über verlange er, dasz die schule die fundamentalbegriffe von eigen- 
tum, arbeitsteilnng, die kenntnis der begriffe steuern, zolle, münzen 
usw. vermittele, erfahrene schulmänner verträten diese ansieht} auf 
einen von ihm in der Kölnischen aeitung veröffentliehtea anfsats seien 
ihm von verschiedenen geiten anstimmende äuszerungen angegangen, 
sei aber demnach die forderang nach solcher belehrung unabweisbar, 
so habe dieser unterriebt doch nicht in besondern stunden zu erfolc'en. 
da die fassung des letzten saUes seiner zweiten these ein rniäveiätand- 
nis in dieser besiehung nicht ganz und gar ansschliesse, so wolle er 
dies hiermit noch ausdrücklich betont haben; die üherbürdung der 
Bchüler sei schon grosz genug, selbstverständlich müsse der schule 
auch das alles fernbleiben, was noch völlig im äusse sei, wie dies mit 
den Tolkswirtschaflliehen theorien der fall sei. qrstematische behand- 
lang sei (wie jede jaristische Unterweisung) aasgeschlossen, allein 
ohne ein eingehen des Unterrichts auf die ohen genannten gegen- 
stände sei seines erachtens kein Verständnis der gegeuwart möglich, 
anderseits böten alle unterrichtsflcher gelegenheit snr besprechung 
der elemente der wirtschaftslehre, als z. b. da seien tausch, eigen- 
tum, credit, capital, m?in'/:e, Verteilung der guter, arheiterfürsorge, 
Staatshaushalt, Staatseinnahmen und -ausgaben, steuern, zölle n. a. 
dabei gelte es allerdings in den ausführuugen deu kern zu tredeu und 
niehit in langatmigen anseinandersetsnngen sidb su ergehen* aussu- 
gchen sei dabei von den dem schüler schon bekannten erscheinungen 
des wirtschaftlichen lebens: die mathematik habe es mit zinsfusz, 
capital, rente zu than; im deutschen lesebuch für sexta biete z. b. das 
Ghamissosehe gedieht *da8 riesenspielseug' gelegenheit und yeranlas- 
sung auch dem sextaner die bedentung der landwirtschaft ohne viele 
Worte klar su machen, nach dieser eiaieitnng wünsche er die meinnng 



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Beriebt über die 26e Versammlung dea Vereins rbein. scbalmiäDner. 197 



der ▼ersammhiD^ in bören. dir. Uppenkamp (Düsseldorf gymn.): den 
ftiufülurangen des Vorredners stimme er niebt bei. woUtbuend berfibre 

der amstatir!, dasz keine besondern sturtden für diese nnterweisnng-en 
verlangt würden, aber es sei anch nicht gut den unterriciit mit allerlei 
gelegeutiiciiem zu belasten, der schule aafgabe sei die allgemeine 
▼orbildnog: soweit sieb Bim die miUeüniigen im imterrlobt von telbtt 
ergäben — und zu manchem, so zur besprechung der deutschen reich»- 
Verfassung führe der geschicbtsnnterricht — seien dieselben ^ntza- 
heiszen, gesetzeskande aber und vieles andere von dem, was eben auf- 
gezählt worden sei, eigne sich gar nicbt fQr die jugend; diese eibalte 
sndem dnreb seitnogslectfire, durch besprechung innerhalb der familie 
geniipfpnfle awregung. wälirend der Schulunterricht aüfremeine gesicbts- 
punkte habeu müsse, liefen die Vorschläge des Vorredners darauf hinaus, 
nötigen, einzelheiten, heterogene dinge, wozu kein sjstem, keine theorie 
▼orbanden sei, an «Heu eeken und enden eininfliekeii« diese mitteilun* 
gen aber störten und zerstückelten in ihrer zusammenhangslosigkeit 
den Unterricht, man möge sich ja hüten, den lehrer mit gelegentlichen 
debatteu der tagesfragen zu belasten, zumal die notwendigkeit nicht 
eburaseben sei. die bedentmii^ des aekerbans, die Holdenbaner in 
sexta an einem gediebt Mitwickeln wolle, gehöre gar nicht vor diese 
altersstufe: die se^taner verständen die snche, da sie zu hoch für ihr 
begriffs vermögen sei, nicht, während spater sich das Verständnis von 
selbst ergebe, der grossen meinungsversebiedenheiten und Streitig- 
keiten übrigens, die unter den agrariem selbst herschten, wolle er 
hier nicht p^edenken. dasz iinsere schüler von athenischer Verfassung 
mehr kännton als von (iontsclifr . könne eiiunal kein Vorwurf sein, sei 
aber aucii zum andern nicht zutreüendj denn einerseits lernten die 
sebilsr won atbeniseber Torfassnng und beereseinricbtnng keine spe- 
clalltäten, anderseits lernten sie von deutscher reichsverfassung und 
deutschem heerwesen vieles und zwar das notwendige, es sei aber für 
die schule geradezu geboten, heterogene dinge möglichst von sich ab- 
snldinen; thne sie das niobt, dann wSrden bald noeb weitere andere 
forderungen an sie erbeben werden, von selten der mediciner sei schon 
mehrfach fresundheitslehre gTforflert worden; oblijratn rintiihrung der 
Stenographie, handwerksfertigkeit und noch manches andere lieszen 
nicht auf sich warten, man möge sich wohl bewust bleiben, dasz 
nnsere sebnle sebon binlänglicb belastet sei; mädcben fttr alles dfirfe 
sie nicht werden, dem leben und der familie komme es zu, zu ihrem 
teile an fier ansbildnng der jugend mitzuhelfen, die schule habe die 
allgemeine biidung zu gewähren, nicht aber allen Verhältnissen rech- 
nung zn tragen. Jftger: Indem er von anderm Standpunkte ausgebe, 
begrfisae er es freudig, dasz der gegenständ überhaupt an dieser stelle 
zur spräche gebracht worden sei. eine recht allgemeine discnssion sei 
schon ans dem gründe wünschenswert, weil man dem gjmnasium vor- 
werfe, es bewege stob in g^nsHob dem leben abgewandten regionen 
nnd weil man bei allen Verhandlungen das *mitten im leben stehen' in 
gegensatz bringe zur schule, womit dann vor nllem das humanistische 
gymnasium gemeint sei. das humanistische gymnasium aber betrachte 
es gerade als seine aufgäbe, die schüler ins leben einzuführen, sie die 
seit Terstoben sn lebren. nnn babe aber jede seit gewisse banft^ 
factoren, kräfte, begpriffe, und wenn diese sich änderten, dann müsse 
die schule mit dieser änderung rechnen, mit dem Vorredner sei er mit 
der modiücation einverstanden, dasz man die Verfassung des persischen 
oder römiseben relebes lerne, damit man die Verfassung Dentseblands 
oder Frankreichs verstebe; der thesensteller nun meine, dasz da, wo 
sich gelegenheit dazu er<Tobe , die eins ch Tri f:^i gen begrifife den Schülern 
deutlich gemacht werden sollten, somit künne man sich wohl für das 
piincip erklären, ^gesetzeskunde' sei allerdings ein unglücklicher ans- 
dnek, ^Torbftltnisse des politischen nnd sociales lebens* würde passen* 



19Ö Berickt über die 26e Versammlung des vereius rhein. schulmänner. 



der sein, weiter sei daraii festsnhalten, dau dem unterrieht ein realisii» 
seber charakter zu geben sei, durch welches verfahren übrigens der 
ideale charakter desselben nicht gestört werde, mehr als früher mtisse 
man die Wirklichkeit der dinge deutlich machen, beziehungsweise die 
ächüler auf dieselbe vorbereiten, zu dieser richtung dränge ja auch 
der linterrieht von selbst, die vierte VerriDisobe rede s* b. entbalts 
viele realistische dinge: je deutlicher man sie mache, um so besser sei 
es. wir läsen die classiker als geschichtsquelien, als mederscblapr r» aler 
dinge, und da man den schülern die sachliche erklärung gleichwie die 
spraebliehe scbuldig sei, so ergebe sieb ancb die pflicbt fttr den lebrer, 
diese realen dinge sich und dann den schülern klar zu machen, auf 
den geschichtlichen Unterricht wolle er hier nicht eingehen und nur das 
eine bemerken, dasz in denselben der rcaiismus eingedrungen sei, dasz 
man siidli sobon gewöhnt habe, die dinge realSstiscber an betracbten, 
und swar mit recbt» man babe eben fortschritte gemaebt. die ausgäbe 
des gescbichtlichen unterricbts sei doch die dinge so darzustellen, wie 
sie wirklich cTP^cbehon seien, im aTulern falle sei es eben keinr» ofe- 
schichte. demgemääz dürfe man sich nicht darauf beschränken mitzu- 
teilen, im jabre 1719, unter der regentscbaft nacb dem tode Ludwigs XIY, 
sei ein Schwindler Law aufgetreten, sondern man müsse die verhält» 
nisse 80 darlegen, wie sie wirklich gewesen seien, dies sei aber nicht 
möglich, ohne dass mau den schüler darüber aufkläre, was geld sei, 
eine erkUrung, die zwar schwer sebeine, es aber nicbt sei. in diesem 
ainne fasse er die thesen auf nicht als ein nenes moment, niebt als 
Zerstreuung, sondern als berücksicbtigiing dessen, was für die gegen- 
wart von bedeutung sei. namentlich sei es wünschenswert, dasz die 
lebrer sieb für diese dinge interessierten, sich die kenntnlsse verscbafften, 
die zu scharfer und klarer darstellnng dieser Verhältnisse befäbigten. 
prof. Kocks (Köln, Friotir. Wilh.-gymn.^ : besonders anatosz nehme er 
an den ausdrücken ^ wirtschaftslehre' und 'verfassnngskunde'. in der 
wirtschattBlchre handle eä sich nicht allein um steuern, zölle, reuten 
usw., sondern um ibre verbältnisse sn einander, verbältnisse so sebwie« 
riger art, dasz selbst akademisch gebildete, reife männer dieselben 
kaum verständen; der begriflF der Verfassungskunde erfordere, dasz nicht 
nur vom kaiser, buudesrat und reichstag gehandelt werde, sondern dasz 
aucb eniwiekelt werde, wie diese verscbiedenen elemente susammen* 
wirkten, und eben das Verständnis dieses letatem sei auch für primaner 
zu hoch, bei hehandlung solcher fragen werde nur ein leeres disputieren 
herauskommen, tumulte, wie sie in diesen tagen in Fest von halb- 
wfichsigen jungen, schülern und Studenten, in scene gesetzt worden 
seien, seien frScbte solch verkehrten hineinziebens politischer erörteruugen 
in die schiilo. 'nrbeitgeber und arbeitnebmer' sei unter den vielen in der 
schule zu erörternden Verhältnissen so nebenbei mit aufgeführt worden: 
er für seine persou gestehe offen, dasz er sich selbst augenblicklich 
des Urteils über die versebiedenen dabin gehörigen theorien, Hancbester^ 
theorie z. b., enthalten zu müssen glaube, und doch mache erst das 
zusammenwirken aller dieser äuszerst schwierigen dinge wirtsehafts- 
lehre und Verfassungskunde aus. Uppenkamp: mit dem, was Jäger 
ausgeführt habe, sei er im wesentlieben einverstanden; er babe aus deii 
tbesen berauszulesen gemeint, dasz etwas in die schule hineingetragen 
werde, was sieb nicht von selbst ergebe, dasz durch verp;leicbuno^ der 
persischen, griechischen usw. Verfassungen auch unsere Verfassung dem 
schüler verständlich werden, dasz überhaupt aus der Vergangenheit 
beraos die gsgenwart begriffen werden solle, damit sei er gewis ein- 
verstanden, ßo werde er beispielsweise nie versäumen hervorzuheben, 
dasz es im römischen altertum die idee einer repräsentativverfassung 
nicht gebe, sei aber der Wortlaut der Moldenhauerscheu thesen von 
▼orn berein so anfiufassen gewesen, wie er nunmehr von Jäger inter- 
pretiert worden sei? Moldenbauer: auf widerspracb sei er sebon 



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Bericht über die 26e Teraammlung des Vereins rhein« achulmänaer, 199 



Mialb gofasst gevresen, weil leine fordenmgen neu seien, aber aUe 
dergleichen Sachen müsten einmal angefangen werden, seit dem jähre 

1866 sei das leben ein andercfi geworden, und zam Verständnis der 
heutigen zeit sei es nötig die socialen Verhältnisse zu verstehen, oh 
die ausdrücke gerade alle richtig von ihm gewählt worden seien, dar- 
über wolle er nicht atreiten; gesetzesknnde habe er selbst ja schon ver- 
bessert. T^ppenkamp habe auf das zeitiing"5lesen hingewiesen, gewis 
«PI das zeitungslesen eine macht, mit der man rechuen müsse; wenn 
aber der sectmdaner oder primaner keine Vorstellungen habe, dann 
sänge er ans den seitangen falsche Vorstellungen nnd begriffe ein. 
wenn ferner Ton demselben gesagt worden sei, ein System sei nötig, so 
halte er ihm entgegen, dasz ein volkswirtschaftliches System vorbanden 
sei; die lebrer mästen sich dasselbe ansehen, hinsichtlich des ange- 
zogenen gediebtes *das riesenspielaeng' sei er mit Uppenkamp einver- 
standen; doch behaupte er, auch der Sextaner könne verstehen, welche 
bedcntnng" der baner im heutigen leben b;ibe. was endlich die befürch- 
tunfj; angebe, es möchte mit der zq'^I noch die einftihrung der cesnndheits- 
lehre verlaugt werden, SO erwidere er, solche sei schon eingelülirl, in- 
dem ja in dem natnrgesehichtliehen nntenricht die kenntnis des menschen 
dem Schüler beigebracht werde; seiner meinnng nach müsten alle dinge, 
die unser leben bewegten, in der schule erklärt werden, ein Vorredner 
habe mit recht auf die vierte Verrinische rede hingewiesen, er erinnere 
daran, dass die Gatiliaarisohen reden ohne kenntnis der soeialistiscben 
Verhältnisse nicht an verstehen seien, man dürfe steh tlidit sehenen, 
in der sehiile das wort soeifildomokratie in den mund zu nehmen; wir 
müsten mit realen Verhältnissen rechnen, sonst würden wir von den- 
selben noch fortgerissen werden. Kocks gegenüber verharre er auf 
seiner forderung der Tcrfassnngsknnde. der primaner, seeundaner und 
anch schon der tertianer sollten und könnten den ^nsammenhang der 
dabei wirkenden factorcn verstehen lernen, in der fainilin eines jeden 
Schülers würden steuern gezahlt; da solle auch der knabe wissen, wozu 
Stenern und sSlle da seien, wenn die läge Korinths an einem west- 
liehen und östlichen meere gezeigt werde, begreife auch der quartaner 
recht wohl, dasz die Korinther sich diese läge zu nutze gemacht und 
eingangs- und durchgangszölle erhoben hätten, ein anderes momenfc 
sei ni^t unwichtig, prof. Schiller In Glessen habe in den jabrb. f. 
phil. u. päd. ausgeführt, wie solche gelegentliche bemerkungen ans der 
Fcbnic in die familie hineinp-etras'en würden und damit richtige vor- 
bteiiuii/en und begriife in diese aeibst einzögen. Uppenkamp: wenn 
er vorher gesagt habe, es müsse System da sein, so sei es ein misver- 
stSndnis, wenn der Vorredner das wort System auf die sache selbst be- 
ziehe; die Worte seien natürlich darauf geprangen, dasz alles, was der 
iehrer vorzutragen habe, systematisch betrieben werden müsse. Molden- 
hauer aber habe eben noch selbst den grundsaiz aufgestellt, dasz jene 
begriffe nicht systematisch gelehrt werden sollten, wo der nnterrlcht 
auf Horns stadtverfassniig oder anf modernes repräsentativsystem rähre, 
da sei natürlich zu sagen, was es sei, nicht aber dürften alle jene vor- 
her angeführten aahlreichen Verhältnisse an den haaren herbeigezogen 
werden, nm die notisen anzubringen, dir. Zahn (Moers, gymn.): er 
rechne sich auch zu den lehrem, die schon vor 66 so gearbeitet hätten, 
^ip Jä<Ter, der thesenstellcr nnd auch Uppenkamp wolil es wollten, des 
letztern expectoration sei angesichts der tbegen zu wann geraten; die- 
selben seien ja gut zu nennen, man müäse sie nur anders autfassen, 
nemlidi ab einen wichtigen versuch in der riehtnng, dass mit denselben 
unberechtigten forderungen entgegengetreten und solche auf ein rich- 
tiges masz zurückgeführt werden sollten, ein behaglicher ton sei am 
platze, da man im gründe einig sei. Jäger sage, der lehrer müsse ein 
poUtis^ gebildeter mann sein; füge man hinsu, dass derselbe auch 
ein religiös gabüdeter mann sein solle, und lasse mau dann noch etwa 



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200 Berieht über die 26e TereammlaDg d^s yereinB rbein. schubn&nner. 



hinzutreten, dasB er kSnstlerisch veranlagt und g^escbiiU sei, dann werde 

der lehrer diesen schätz gewis aus allen poren flieszen lassen und zu 
allen gegenständen anregane gehen 1 darum sei die forderung Jägers 
wohlhereehtigt, dasz ,der lehrer «ieh für diese nationalokonomie^en 
fragen interessieren möge und dass dies in einer weise gesehehe, die 
Ton bierbankpolitik weitab sei. wer in der schule Demostbenes , Thn» 
kydides, Tacitus, Cicero lese, müsse natürlich die grundbeg^riffe des 
Tolkswirtschaftlichen lebens kennen und werde beim unterrichten zur 
vergleichnng des altertams mit der gegenwart sehon von selbst geführt; 
dabei aber liege die gefahr nahe, dasz des guten zu viel geschehe; 
besser sei es sich in der schule ganz und gar in das altertum zu ver- 
senken, er wiederhole: bemühten sich die lehrer selbständig denkende 

Solitiscbe mXnner su sein, zeigten sie ein warmes ben fürs Vaterland, 
ann werde die rÜekwirkung auf die jagend nicht fehlen, doch sei 
nicht zu vergessen, dasz man hier auf einem gebiete sei, wo ^^ie familie 
in erster reibe pflichten habe. Moldenhauer: damals als Zahn scbüler 

Sewesen sei, habe es noeb keine Terfassong gegeben (Zabn: oho!) und 
emnach sei auch keine verfassungskunde nötig gewesen, er habe mit 
seinen thesen front p:cmn.cht S'egen die bestreln:n2:eTi des liberalen schul- 
vereins, der dif forilcrun«^ eines besondern Unterrichts in der Verfassung 
aufgestellt habe; er wünsche dem gegenüber nur, dasz jene Irageu mehr 
als bisher im nnterrleht berücksiebtigt würden. Kiesel: man könne 
auf verlauf und ergebnis der discussion mit befriedigung zurückblicken, 
denn in den äuszerungen der verschiedenen herren lägen eleraente, wo- 
durch immer einer dem andern näher gekommen sei. die schärfe des 
gegeosatses sei wohl nnr noch eine scheinbare, seine vennatang dieser- 
halb seil wer etwas vermisse, wem etwas notwendig, nnentbebrlioh er- 
scheine, der empfehle das neue oft zu stark, steigere seine fordennigeu 

Sewöhnlich über das richtige masz hinaus, und umgekehrt entstehe bei 
em hörer scheu dem urheber auf dem neuen wege zu folgen und da- 
durch werde die abwehr eine allsn geflissentUcbe. so sei es wohl auch 
hier, dem urteile Moldenliauers über den geographischen und geschieht- 
lieben Unterricht vor 66 sei von mehreren Seiten widersprochnn worden^ 
Zahu habe »einen lehrer Döderleiu entgegenhalten kömieu. dem Wider- 
spruche sehliesse er sich an: anch ihm wie seinen lehrem sei es immer 
als natürliche fordemog ersdiienen, in dem erw&hnten sinne sa nnter- 
richten, weiter aber teile er auch die meinung, dasz man sich durch 
die wechselreden nur genähert und eleichmäszig vor dem zu viel oder 
SU wenig geschütst habe, was sein könne, dürfe man nicht gleich ala 
das betrachten, was sein müsse, der thesensteller werde einräumen, 
dasz Rieb die besprechung jener begriffe und Verhältnisse nicht immer 
anbringen lasse, (sonst sei die gefahr des ablenkens vom Unterrichts- 
ziele da. derselbe habe ferner behauptet, alle Unterrichtsgebiete böten 
anknüpfnng für die besprechung jener fragen; dem entgegen nenne er 
eins, wo das nicht sein sollte: es sei das gebiet der poesie. hier würde 
man dem nerv des gedichtes, das man znr erklärung bringe, schaden 
und darum müäse hier der lehrer sich äauüg damit begnügen ein ahnen* 
des yerstündnis su ersielen. indem er den gang und das ergebnis 
der bisherigen discussion als ein erfreuliehes beseichnen dürfe, bitte er 
BUr these 4 überzugehen. Moldenbauer: er wolle durchaus nicht, 
dasz der poetische hauch und duft bei der erkläruug abgestreü't werde, 
doch erinnere er daran, das* der 'Spaziergang' a. b. ohne korae Tolke- 
wirtschaftliche bemerkungen nicht in Terstehen sei. anr vierten theae 
iibcrn'chcnrl erinnere er darrin, dasz der cnltusminister noch im vorigen 
jähre Veranlassung genommen habe, beziifrlicli der behaodlung der ge- 
schichte von 1S15 — 1Ö71 einen erlasz zu veröffentlichen, in vielen an« 
stalten würde die geschichte Yon 1816 an nnr kurs dnrehgenommen, 
wenn überhaupt, wir hinkten darin hinter andern Völkern her. man 
möge nur die instruoUonen für die österreichischen gymnaaien nach- 



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Berioht über die 266 versamiulimg des Vereins riiein. bciiuliiiikiner. 20i 

when. Yor allem ^elte es, diese neneste geschiobte auf der grnnclla^e 
genauer kenntnis der socialen verbältnisse darzastelleii. die zeit d&zn 
jDUflse sich finden, wie im lateinischen und griechischen Unterricht 
jetat manche regel gegen früher weggelassen werde, so sei auch in der 
gesehiohta mancliea, was wegbleiben kSnnet. er verweise dieserhalb 
M-Tpdcrum auf die österreichischen Instructionen: die Merowinger, die 
Karoling-er nach Karl dem groszen , die Verhältnisse von 1713 — 1740 
seien dort als solche partien bezeichnet, an denen zeit für die ge- 
•dikslite TOn 1815 an gewonnen Werden könne, auf nnsem aohaien 
aber werde diese neueste periode noch immer nicht behandelt; man 
komme meist nur bis 1793, höchstens bis 1815. Uppenkamp: mit dem 
gesagten sei er zufrieden; dasselbe sei aber inaotern irrtümlich, all 
einmal die weglassung der nenesten geschiehte gegen das prensiiaehe 
reglement Verstössen würde und zum andern bei nnserm abitorlenten- 

examen der krieg- von 70/71 gefragt zu werden pflpg-e. die heranziehung 
der oaterrcichirfchen Instructionen sei also nicht nötig. Kiesel: keines- 
wegs komme die gerügte uuteriüstsung oft vor. Jäger: doch sei die 
klage nicht gans ohne: er selbst habe nicht immer in der wSnschens* 
werten weise die zeit bis 1871 durchnehmen können, in den Pro- 
grammen stehe die durchnähme angejrebeu, und die ethische forderung 
werde überall anerkannt, allein es sei ausserordentlich schwer die zeit 
lllr die jähre ISld-^Tl zu gewinnen » namentlich an grossen anstalten, 
wo der oxganisohe unterridht sehen sechs wochen vorher durchs abi- 
turientenexamen abgebrochen werde, aber die frag-e halie noch groszere 
tragweite. er spreche ungern von groszen reformen, doch eine wich* 
tige reform könne noch geleistet werden dadurch, dasz man in der ge* 
seichte die Stoffe sichte nnd sich klar werde, welche periode verdtene 
ausführlich beharidelt zu werden und welche minder, wir seien noch 
leidlich daran, aber a. 2888, was würde dann alles an geschiehte zu. 
bewältigen sein ; die nachkommen würden es uns danken, dasz wir den 
sloff TOreinfacht hSttea. auch die vorgesetste behörde beschäftige sich 
mit der fra|;e. auf der iweiteB rheinischen directorenversammlong sei 
die frage anf der tag:e8ordnung^ gewesen, Kiesel habe ein schönes 
referat geliefert, es sei darüber gesprochen worden, allein in den paar 
stunden ael der gegenständ nicht mi erschöpfen, nicht einmal ein be^ 
rtlmmter weg sa betreten gewesen, dann sei die frage von der näch- 
sten tan^esordnung verschwunden, statt dasz das provinzialschulcollegitim 
sie 7.um g( <,renstande der zweiten, dritten, vierten conferenz gemacht hatte, 
mit der tradition alles gleichmäszig zu behandeln müsse man brechen, 
es seien efai i>aar perioden, die ansgesehieden werden könnten, nicht 
aber dürfe die alte geschiehte die kosten tragen, in dieser sei alles 
einfach, typisch, objectiv, von kühlem wissenschaftlichen charakter, 
dem tageskumpf entrückt, wohl aber seien in der neuem geschiehte 
die kriege Ludwigs XIV in einer halben oder in einer stunde kurs ab- 
zumachen, damit man breitern räum ffir die revolution, auch für die 
Napoleonischen kriege gewinne, vorzugsweise werde das mittelalter die 
kosten .tragen müssen, dasselbe sei auszerordentlich schwierig; der 
lehrer selbst habe in der regel kein Tolles verst&ndnis davon, ja auch 
die gelehrten selbst nicht, ohne die all ereingehendsten Studien, darum 
sollten die lehrbiicher da« mittelalter kürzen imd auf so kleinen räum 
ZQSamm endrängen, dasz es in einem halben jalir i rler^ipt werden könne, 
lieldenhauer: zur these 5: die lehrpiüue von 166'^ schrieben eine 
Übersieht fiber die hauptrerkehrswege lür die realgymnasien, aber nicht 
für die gymnasien vor; fUr diese aber sei solche Vorschrift ebenso nötig, 
bei dem heutigen Standpunkte der geographie sei es nicht länger mög- 
lich blosze namen anzugeben, bei Köln beispielsweise müsse gezeigt 
.werden, wie es durch seine läge zu seiner bedeutung habe kommen 
können, aolehes geschähe jedenfalls vielfach nicht. Kocks: Molden* 
hsaer mache die frühere seit sn schlecht. ?or 40 jähren sei schon 



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202 Beriebt über die 29e TenMnmlaDg dee Tereins rbem. Bebalm&nner« 



ebenso gut iu das innere wesen der gcograpbie eingeführt worden, wie 
jetzt. Verkehrsverhältnisse, ackerbRii, viehzacht, handel, indnstrie seien 
auch damals schon berücksichtigt worden, er könne nicht zugeben, 
dsBS man bis jetat so siim> und verstandlos Torfähren babe, wie Molden* 
bauer es mache. Zahn: er bitte seioea ^ter^^nossen Kocks zu bs- 
denken ■jugend hnt keine tilgend', schon vom Vorsitzenden ??e? dar- 
gethaa worden, dasz es so schlimm vom thesensteller nicht gemeint sei, 
als es scheine, übrigens sehe er in der fünften und sechsten these nur 
beispiele sq den früheren, da sei eine beliebige weitere ausdehnung 
möglich, ner da wolle, könne in der biblischen geschichte z. b. aus 
der abneiguiip: ^'^ottcR perlen die königswahl für repnblicaniscbe ideen 
Propaganda machen; ein anderer könne an die poesie anknüpfen und. 
das OÖK dta66v icoVuKOipenriTi . . . sum ansgangspankt seiner poUtisehea 
betraxshtung nehmen, die thesen 4—6 seien passend herausgegriffene 
beispiele, böten aber allen anwesenden absolut nichts neues, die lese- 
bücher hätten schon geeignete Stoffe, er beantrage also den schlusz der 
debatte. Jä^er: bei these 6 denke er an Kiesels wort, dass das 
poetische gebiet von den realen yerhältnissen frei bleiben müsse; die 
these fei in der that misHch; der zusatz 'cum grano salis' möchte wohl 
geboten sein. Moldenbauer: so dankbar er auch den belehrungeu 
von Zahn und Kocks sei, so wünsche er seinen sechsten satz doch nicht 
ad acta gelegt, unsere lesebiicber boten von volkswirtschaftlichem gar 
nichts, fast gar nichts oder nur anszerordentlich geringes; nun habe 
Mormeister in einer broschüre auf ein lesebuch von Wendt aufmerksam 

gemacht, wo sich aufsätze über natural- und mercantilsystem, über 
mith, die engliscbe kombill asw. fXnden. wenn Kiesel sage, lese- 
bücher sollten stilistisch vervollkommnen, so hätten doch andere ge- 
eichtspunkte auch ihre berechtifrunpr. Kiesel: da der schhiszantrag 
schon von der Versammlung angenommen sei, erübrige ihm noch dem 
thesensteiler den dank derselben anssaspreohen. 

'Das Nibelungenlied im gymnasialen nnterricbt' biess der Vortrag, 
welchen rector Becker (Düren, realprogymn.) übernommen hatte, der 
vortragende führte zunächst in eingehender weise aus, wie kein Unter- 
richt bis 1882 so verschiedenartig erteilt worden sei wie das deutäche, 
seichnete dann insbesondere die phasen, welche die bebaadlnng des 
mittelhochdeutschen auf den schulen durchgemacht habe, bis durch die 
lehr]il:tne von 1882 die kenntnis der mittelhochdeutschen grammatik und 
schriitwerke voilstäudig gestrichen und bestimmt worden sei, dasz statt 
dessen der schiiler ans guten Qbersetsnngen einen eindmek Ton der 
eigentümlichkeit der frUbem classiscben periode gewinnen möge, da es 
nun Hir dpn schüIer in erster linie auf die kenntnis des Nibelnnpfen- 
liedes ankomme, so werfe er die frage auf, wie eine Übersetzung des 
Kibelongenlledes besehaffen sein müsse, um der gedachten voraossetsang 
der nnterrichtspläne zu genügen, unter welchen bedingiingen man sie 
ut nennen könne, die itlcale forderung, die übersetsang müsse auf 
en leser ungefähr densollten eindruck machen, wie seiner zeit das 
original auf die Zeitgenossen, sei von vornherein natürlich unmügiich 
wegen der verscbiedenbeit der seit«' nnd enltnrverhiUtnisse. so leUiafl 
auch manches in unserer brüst anklinge, so berühre doch wieder vieles 
andere uns fremdartig, wer aber all dies letztere verwischen nnd auf 
den ton unserer zeit herabstimmen wollte, würde der dichtung ans leben 
greifen nnd damit Begleich nnsem sehfilern nm so weniger dienen, weil 
diesen gerade ein gefühl davon beigebraeht werden sollte, wie trots 
allor vprschipdenheit im äuszerlichen die grundstimmnnp^, das ethos des 
Volkes im wesentlichen sich unverändert erhalten habe, wenn es auch 
im elnselDen nicht an fortbildungen fehle, was dagegen den künst- 
lerischen eindmek der diehtnng anlange, so komme hierin jener idealen 
forderang ein grösserer wert zu, j;i dios Ilic könne dem Übersetzer eine 
art leitstern sein, ans ihr ergebe sich zunächst mit zweifelloser gevris- 



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Bericht über die 2ße yersammlung des Tereius rhein. schulmäimer. 203 



faeit der grundsatz, da«! die daratellnng uns weder auf spraehlielieiii 

noch auf metrischem gebiet fremdartige berühren dürfe, eine neuhoch- 
dentschp nber8et/.ung müsse ebenso völlig neuhochdeutsch sein, Wiedas 
ongiual mittel hochdeatsch sei, und nicht etwa altdeutsche brocken aus 
der seit der ▼ölkerwanderang mit der spräche und metrik des fSnjahr* 
hnnderts verquickt darbieten, bezüglich der spräche sei dies jetzt ziem- 
lich allrremf-in anerkannt, währenri noch der altmeister der Übersetzer, 
Karl Simrock, viel echtes mittelhochdeutsch zugelassen habe, strebten 
jetst die meisten neuern übersetser nack echtem neuhochdeutsch, um 
so soud erbarer sei es, dasz uns in dieser neuhochdeutschen spraokform 
mittelhochdeutsche, auf ganz abgestorbenen prineipien brriihrnf^e raetrik 
Zügemntet werde, während 'sicher verschont' 'recken gewann' im nen- 
hochdeutschen nicht anders als je mit zwei Senkungen gelesen werden 
könne, mute Bimrock uns so, bei den wdrtem sicher nnd recken auch 
je die zweite silbe in die hebung su setzen, wenn sich nun auch die 
neuem bearbeiter mehr beschränknn^en auferlegten und nnr in znsam- 
mensetsnngen und eigennamen die Senkung ausfallen lieszen, wie in 
markgraf, Qriwein, so sei dies swar eher erträglich, aber doch noch 
der nenern metrik zuwider, das fehlen der Senkungen müsse in der 
üherspt^llng vermieden werden, wofern sie nicht einen unnatürlichen, 
gesuchten eindruck machen sollte, weiter sei es der regelhaftigkeit 
heutiger knnstform nicht gemäsz, wenn die Übersetzer nach der weise 
des altdeutschen gedicktes beständig s wischen jamben und trochäen * 
hin- und herschwankten; an zweisilbigen auftact seien wir durch die 
jambendramen unserer classiker gewöhnt, aber ein vers ganz ohne auf- 
tact erscheine wie ein maugel an kunst. durchaus zu verwerfen in 
oenhockdentscber fib«rsetzung sei endlich die yierte hebang der letzten 
halbseile, die fast atte fiberseiser als ein besonderes cbarakteristicum 
pietätsvoll festhielten; uns aber sei von den beiden formen des strophen- 
abschlusses, die die ältere periode des nüttelalters angewandt habe, 
gerade die, welche in der aehnung der letsten cefle nm eine hebung 
bestehe, ganz und gar fremd geworden und mache anf uns einen ganz 
andorn eindrnck als auf unsere vorfahren; es werde darum auch niemand 
einfalloTj , In dieser echten Nihelungenstroplic zu dichten, da man so- 
mit wescutiiches aufgeben müsse, sei es doppelt wünschenswert, das, 
was von knnstmitteln für uns verwendbar sei, au erhalten, nemlich den 
gegensatz von klingender weise, d. h. der reimlosen halbzeile und 
stnmpfem reim, für uns sei die ausscbliesizlichkeit der stumpfen reime 
eine lästige fessel, und wo es nicht anders gehe, würde er lieber einen 
klingenden reim in den kauf nehmen als eine geschraubte wendung. 
stimme man diesen ausfBhrungen bei« dann sei man dahin gelangt, 
wohin der competenteste riobter in diesen dinp-en, T^ndwig Uhland, auch 
gekommen sei: zur modernen Nibelungenstrophe, wie sie allen aus seinem 
graf Eberhard der rauschebart bekannt sei. — Wenn nun die erläute* 
Tangen unserer lehrplXne Toraussetzten, dasz der schüler aus guten über* 
ietzun5::on einen eindrnck von der eiofentümlichkeit der originale erhalten 
solle, so sei es nach dem gesagten klar, dasz dies von der rhythmischen 
Schönheit der alten dichtersprache nicht gelten könne, diese müsse mit 
der alten spracbform rettungslos preisgegeben werden, dieser umstand 
aber sei von grSszerer bedeutung, als vielleicht mancher glauben möge, 
warum Beien denn f-ist fille Übersetzer so hartnäckig auf die alte form 
mit ans lassung von Senkungen usw. versessen.'' wahrlich, nicht zum 
▼mrgnügen, sondern deshalb, weil im altdeutschen Kibelungenlied die 
metrisch 'rbjrihmiseke form mit dem inkalt oder wenigstens der darstel- 
lung 80 verwachsen sei, dasz wer dem neuhochdeutschen zu liebe jene 
form verlasse, entweder auch in der darstellung vielfach abweichen 
müsse oder notwendig holprig und gezwungen werde, wenn er anders 
dem original nahe bleiben wolle, diese tbataache würde man im ein- 
seinen leicht nachweisen können, die Qbersetser selbst klagten darfiber 



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204 Bericht ttber die 86e ▼enammlimg des Terdne rhein. eohnlm&imer. 



und Gast. Freytag habe es ausgesprochen, dasz dir- künstlichen verse 
eines modernen dichters, Oehlenschlägers oder Teguers, Tmehzubüden 
eine kleinigkeit sei, eine umdicbtang der Nibeluugeuuut oder dur Kudruu 
da« origfinal nie »ach nur annähernd ersetien könne, naeh einer naeli- 
prüfnng von sechs Übersetzungen schliesze er sich diesem arteil an : wo 
im alten {^edichtp rhythmische kunst, schlichthoit und oft anziehende 
uaivetüt hergehe, zeige sich in den bearbeitungea au allen ecken nnd 
enden geqaältheit, zwang, vielfach holprigkeit der Yerae. aber damit 
sei es noch nicht genug, noch einen andern Übelstaad hätten nenhoch* 
deutsche Übersetzungen, wenn sie treu feipn, im gefolge: sie legten 
Bciionnnrrslos auch die wirklichen schwächen des Originals blosz und 
veriührtiiu uns durch die lorm unserer heutigen spräche sie auch mit 
dem maMstab su meesen, den wir an die nendentschen «dasalker an legen 
gewohnt seien, es sei keine frage, dasz das Nibelungenlied in vielen 
teilen nicht auf der höhe mittelalterlicher erzählungskuust sei, dasz es 
vielfach noch auf einer kindlichen stufe stehe, lese man nun das gedieht 
im original, so Tersetse uns der ungewohnte, aber tranlieh sehSae klaii|f 
der Worte in alte zeit zurfiek , die mSngel der darstellung, wenn wir 
überhaupt darauf achteten, erschienen al^ selbstverständliche beip:abe 
einer frühern bildungsstufe. zwar büsze der groszartige zug der sage 
auch im neuhochdeutschen seine Wirkung nicht ein, aber wir Termisstea 
in der modernen form die farbenfülle, den glänz der ausgebildeten 
• dichtersprache , den : leoireichtnm nnd die harmonische formgebung, 
wie wir sie an den werken unserer classiker gewohnt seien, so bleibe 
wahr, was Jakob Grimm längst gesagt habe: diese ausdrücke einer kind- 
lidken spräche erlauben sohleehtbin keine Übertragung in die ansgebil- 
detef ihr höchster reiz würde verloren gehen, was aber sei unter solchen 
Verhältnissen zu tbun? die nntwort sei sehr schwierig, am besten 
scheine es noch an sein, wenn man zunächst eine Übersetzung nehme, 
die weder in der form noch in der darstellung so eelaviseh sieh an das 
Ori^nal binde und dafür unserem heutigen geschmack leidlich zusage, 
also etwa die bearbeitnng von Engelmann. nachdem dann trp^end einer 
der bedeutenderen gesäugt neuhochdeutsch gelesen and besprochen sei, 
solle der lebrer den schülern auch ein stück vom original vorlesen und 
erläutern, um ihnen von der klangschönheit, dem rhythmischen reiz und 
der naivetät desselben einen eindruck zu verschaffen, so flüchtig ein 
solcher eindruck auch Fcin würde, so wäre er doch g'eeio^net, einen o-t;- 
wissen respect für die alle dichtuug eiiizuüöüzen und den lei^^, diuseibe 
genauer kennen sn lernen, in dem schüler wachiornfen» allein sollte es 
ihm wirklich verwehrt sein, in aller bescheidenheit bedenken zur spräche 
zu bringen und vorschlagen, die besserunfif versprächen, ausdruck zu 
geben V nachdem durch die lehrpläne von lö62 der grammatische unter- 
rieht im deutsehen stark in den Vordergrund geruokt sei, berücksichtigten 
unsere neueren grammatiken nicht mehr blosz die sogenannte spräche 
der gebildeten, sondern auch die mundarten, indem sie wenigstens die 
richtige Stellung zu denselben der heranwachsenden Jugend zu vermitteln 
strebten, die grammatiken wollten weiter nicht die spräche willkürlich 
meistern, sondern aneh in ihren scheinbar regelwidrigen bildungen Ter- 
stehen lehren, wie sehr aber durch diese beiden gesichtspunkte die 
grammatiken genötip-t würden, immer und immer wieder auf di« ältere 
spräche, also das mitieihochdeutsche, zurückzugreifen, zeige die schul- 

Sammatik Ton Wilmanns, wo sich solche bssiehnngen von vorn bis 
aten fänden, nicht aus irgendwelchem antiquarischen interesse, son- 
dern weil die alte spräche noch heute fortlebe in ihren wirkun<r''n, ja 
oft noch in der form, so in den mundarten, in Volksliedern, sprüch- 
Wörtern und formelhaften Wendungen, die Luthersche bibel nieht su 
vergessen, beispiele böten sich ja unzählige dar. sollte die dentsche 
jupffMid wirklich glauben dürfen, dasz die mundarten des volkeS nildltS 
als rohe Verderbnis des hochdeutschen seien V dasz in 'wie die alten 



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BetiiBlit ttber die SMe ▼enMfcmmlqng des verehis rfaeiii« Bobnlrnftniier. 205 



snngen» oder ^ao dir geschenkt ein röslein was' die betreffenden formen 
bloss des reimes willen willkürlich <rebildet seien? er stimme demnach 
vollständig den Ausführungen des prov.-schulrats Münch bei, der die 
kenntail« dei wetdens oder gewordenteinB als ein treffliehes mittd bot 
begriindung der anhSnglichkeit an die mattersprache bezeichne, wie 
aber sei es möglich zu machen, dasz der scbiiler alle diese wipsena- 
werten einzelbeiten bekalte? müsse man denselben nicht einen festen 
iftekkalt gebea? gewie. IfSnch edilege deelutlb vor, an einem stück 
atBS Freidttnk oder lan einem geseng de« Nibelungenliedes dem schüler 
eine anschanang von der dichtcrsprache zu geben, der Vorschlag sei 
gewis gut. wenn man aber so weit gehe, dann dürfe man auch fragen: 
warum nicht einen schritt weiter? wenn einmal an einem gesang die 
ipnekliobe Schwierigkeit dee Kibelungenliedes überwunden sei, könne 
man auch gleich weiter lesen, da nach dem gesagten es einerseits um 
der vollen Wirkung der dicbtung willen ebenso wie zum abschlusz der 
erammatischen belehrung hocherwtinscht sei, zum betrieb der mittel- 
beekdentscfaen grammatik and des Nibelaagenliedes sarfteksnkebren, niid 
da «aderseits die lehrplXae selbst hervorhöbenf 'in der regel' sei man 
beim mittelhochdeutschen Unterricht gescheitert, also die erzielung der 
nnerläszlichon Sicherheit rloch nicht ganz verneinten, so möchte es p^o- 
fltAttet sein, den Vorschlag zu einem neuen versuch zu machen, dabei 
fnge es sich zunächst« wie viel zeit für das mittelbochdentsehe gewfthrt 
werden könne, selbstverständlich ohne? Vermehrung der deutschen stunden, 
in dieser beziebung- nehme er den Vorschlag des rcferenten der säch- 
sischen direetoreucoufereuz von 1880 auf, die mittelhochdeutsche iectüre 
sif das Wintersemester der oberseennda und bier aaf die Nibelniifpeii 
zu beschränken, in prima aber bei besprechung der älteren litteratur die 
charaktervollsten Heder Walthers und vielleicht sonst geeignete Rtelleü 
anderer dichter im original zu lesenj bei diesem vorschlage sei man 
nemUch lücht genötigt» die nenbocbdeatsehe Iectüre in obersecunda ganz 
SV unterbrechen, reebne man einige stunden für besprechnng der anf* 
Sätze ah, PO ]i;ibe mnu in nhersecunda 46 bis 48 stnrtrien zur Verfügung, 
freilich könne man in 24 stunden in einer übers tzung' viel mehr lesen 
als in 48 stunden im original, doch sei aadeisciis nicht zu vergesäen, 
dass 400 Strophen der alten diehtong nnvergleiehlich packender wirkten, 
als 1000 der Übersetzung, dazu komme noch die grosze bedeutung, 
welche dieser unterricbt für die deutsche grammatik haben werde, man 
pflege in den voilaustalten sechs bis acht gröszere classiscbe werke su 
lesen; lasse man nur eins derselben fallen, so brauche man keine andere 
Seite des deutschen Unterrichts irgendwie zu besobrSnken. die lectüne 
Walthers in prima aber würde nicht mehr zeit in anppruch nehmen, als 
man jetzt für die Übersetzungen brauche, die oft genug noch der sinnes- 
^erklSmng bedürftig seien, wenn man ihm entgegenhalte, dasz dem 
mittelhochdeutschen Unterricht immer grosse gefi^ren, nemlieh ober- 
flächliclikeit und rateii , drohton, sn g-ehe er zu, dasz es in der that 
schwer sei, diesen gefahren zu ent^reheu, wenn man nicht vor dem be- 
ginn der Iectüre eine feste grauimatische grundlage schatfe. man könne 
sieb Bwar aneh in das Nibelungenlied bineinraten» aber diese methode 
koste nicht weniger zeit, nötige beständig zu störender unterbreefaung 
der Iectüre und befriedige, soweit seine persönliche erfahrtmg^ reiche, 
nicht; die nebel, welche an dem grammatischen wissen der schüler 
hiengen» liessen sieb dabei »nr für knrse seit Tertreiben. sloherer 
scheine es ihm, vorher eine grammatische basis sn schaffen; dabei künne 
man auch die bezichnn^ren znr neuhochdeutschen grammatik besser und 
planmäsziger beachten, übrigens gehe an der band eines knappen und 
Usren leitfadens dieser Unterricht wunderbar rasch und unter dem grösten 
Interesse der schüler vor sieh, weil ja überall Terdnnkelte Vorstellungen 
in denselben aufwachten; er denke an sechs bis acht stunden; der neu- 
hochdeutschen gxanunatik wegen könnte man noch einige stunden zu- 



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206 Berieht Aber die 26e venammlung de« TereinB rheio, Bohnlrnftaner. 



geben, von jener Übeln rÄtemcthode könne man dann aber nic^it mehr 
sprechen; es bleibe dann nur jenes gesunde masa von divination übrig, 
welches kein Unterricht entbehren könne, falls er nicht eine geistige 
wüstenfahrt werden solle, notwendig eei nnr die eichere gremmetieehe 
basis; aber mich die mittelhochdeiitschc motrik und ftussprache'möge man 
consequent beachten, damit der eigentümliche eindruek rein zum Vor- 
schein komme, dasz die erreichung des ziuies in der angegebenen zeit 
ohne besondere didaetlsehe künste möglieh sei, das sei die Qberxeugnng, 
die er zum schlösse nachdrücklich ansspreche. wohl kenne er genug 
stofte, deren gedankenfrehalt tiefer, deren kunstform vollendeter, deren 
wert für die gesamtbilduug gröszer sei, aber abgesehen von der preuszi- 
sehen gesehichte kenne er keinen, an dem man jugendliche begeisterong 
für deutsches empfinden und deutsche kraft ohne chauvinistische bei- 
miscbung kräftiger entwickeln könnte, als am mittelhochdeutschen Nibe- 
lungenlied, darum halte er es für eine fördernng der nationalen er- 
siehung, wenn es uns wieder möglich werde, die alte märe in ihrer 
ursprttngiiehen sestalt und daneben den heldendichter Walther unsern 
SehUlem VOrsnfünren, eingedenk des dic!iterwortes: 

Wohl df»m, der seiiK r väter gern gedenkt, 
der froh von ihren thaten, ihrer grösze 
den hSrer unterhalt und still sieh freuend 
ans ende dieser schönen reihe sieh 
geschlossen sieht. 
An diesen Vortrag, der von der versammltmg äuszerst beifällig auf» 
genommen wurde, schloss sieh nur eine kurze weitere besprechung, in 
der namentlich Jäger für die deutsche Jugend die wahren Nibelungen 
in der gestalt, wie sie gott habe wachsen lassen, anstatt der ange- 
strichenen, getirniszten , wie n>an sie in der Übersetzung ihr darbiete, 
Eurückforderte. die modernisieruug sei nur ein notbehelf für solche, 
deren Vorbildung niebt weit genug reiche, da eine fibersetsung, wie 
eben gesagt, die schaden und mängel der aus der frühzeit unseres Volkes 
stammenden dichtung in grelle beleuchtung rücke und stelle, so sei eine 
solche für den schüler fast eine entweihung des Originals; der naive 
schmelz, überhaupt alles, was uns aus der alten seit poetiseh anwehe, 
weil es nicht moderne Wirklichkeit sei, gehe verloren, die beffirchtung, 
dasz der schÜler durch allerlei analof^ien zu falschem geführt, zum raten 
verleitet werden möchte, sei nicht ^h.üz unbegründet, allein das raten 
sei hier weniger schlimm als auf jedem andern gebiet; auch seien die 
analogien. die sich dem schüler böten, nicht mit notwendigkeit falsch 
und gerade im mittelhochdeutschen führe dng raten nicht immer zum 
falschen, er selbst möchte den tiefen eindnick von dem Nihclmijjen- 
liede, wie überhaupt der alten liiteratur, trotz aller irrlümer mclit. für 
die beste übersetsung, tät die beste analyse des kunstwerkes hingeben* 
wie helfe man sich unter den jetzigen Verhältnissen, um sich so gut als 
möglich herauszuziehen? die vorschlage von Becker und Münch hätten 
wir gehört; er thue einen weitern: man solle sich nicht zufrieden geben, 
bis man das mittelhochdeutsche, soweit es nötig sei, den gymnasien 
zurückgegeben habe, wir bfttten vorhin vernommen, dass die gesehichte 
bis 1871 manchmal, ans not f-n zeit vielleicht, nur auf dem propframm stehe, 
wir sollten Nibelungen, Walther von der Vogeiweide in ihrer eignen spräche, 
ob nun diese mittelhochdeutsch oder wie sonst immer genannt werde, 
lesen, er freue sich gelegenheit zu haben, es auszusprechen, dasz maa 
sich seihst und den schüleru, die doch die Odyssee im original läsen, 
ein recht nehme, wenn man sie hindere unser uationalepos in seiner 
Ursprache zu lesen, gyiunasiali. Gloel (Wesel): so sehr auch er das 
mittelbochdentsehe schätse und liebe, sei er doch anderer melnnng. 
sollten wir bei nur zwei stunden deutsch in der woche wirklich mittel- 
hochdeutsch treiben? er frage, worauf es bei dem Unterricht ankomme, 
und antworte gleich, auf den Zusammenhang und darauf, dasz der schüler 



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Berieht dber die 26e Yersammlnag dee Tereins rhein. ftohalmSBner. 207 



(ien ganzen inhalt kennen lerne. 80 lange dem deutschen zwei stnnden 
sugewieseu seieu, müsse man eicli mit den jetsigeu zuständen begnügen 
oad sich darauf beschränken, mittelhochdeutache verse vorzalesen. Zahn: 
er w&rde es für groszen schaden halten, wenn die schule znm mittel« 
hochdeutschen Unterricht znrik-l^kelire. nnch olne diesen lerne der 
Schüler das lied so kennen, dasz es panz und ^;\r vor ihm stehe, bei 
solchem anuturm bleibe iur griechisch und iateiu nichts übrig. Becker: 
er letie TorAos, daes der eiäfiler den ganzen sneammenbang dee liedea 
kennen lerne, etwa ausVilmar; es sei erfahrung, dasa maneHer, der den 
anfang des mittelhochdentschen liedes gelesen habe, es später g-anz durch- 
etndiert habe. Jäger: als er ein 16 jähriger gewesen sei, habe ein 
daeeiecber philologe, Karl Ludwig Roth, der berühmte pXdagoge, den 
deutschen Unterricht, zwei stunden die woche, erteilt; benutzt worden 
stl dabei das lesebuch von Wackernagel mit den nach jahrhunclcrten 
geordneten sprachprobeo. Roth habe den Unterricht eröffnet mit dem 
bekenntnis, er habe keine gelehrten Studien über das deutsche altertum 
gemaeht. man bebe dann proben ans dem 16n Jahrhundert, weiter eolche 
aus dem 14u vorgenommen und sich so g^anz auf nataralistische weise in 
die mittelhochdentsche spräche rückwärts schreitend hineingelesen, man 
sei zum IMibelungenlied gekommen, als der plan geändert worden sei^ 
aber da men In der sebuTe niebt weiter gelesen bebe, hätten sie ihrer 
40 fast sKmtUeh die Nibelungen sn hause gelesen, sieh sasammensehlep- 
pend, was an material darüber zu finden gewesen eei. 

Trotzdem die für die sitzung in aussieht genommene zeit nahezu 
Torüber war und damit die bebandlnng des 3n punktes der tagesordnung 
'einige bemerkungen sum capitel: schule und eltemhans' ansgesehlossei» 
war, wünschte die Versammlung einmütig wenigstens eine skizze des 
gegenständes zu bekommen. Jäger legte eine skizze vor: wer das Verhält- 
nis von schule und eiternhaus fruchtbar behandeln wolle, müsse aus dem 
abstracten heraustreten, das eine elternhans sei so, das andere so, es 
gebe aar versohiedene eltembäuser, die man allerdings sortieren kVnne^ 
aber wenn man von dem elternhans in abstracto spreche, verbaue man 
•ich den weg zu einem practischen ergebnis. wo auch in der pädago- 
gischen lltteratnr Yon eltemhans die lede sei, da sei es mehr phraseo* 
logiteh als mit eingehen anf die Wirklichkeit besprochen, concrete fas« 
snng sei geboten, vom gymnasinra könne man wohl abstract sprechen^ 
weil alle pymnasien, anf ffleicln n einrichtnnp;-en aut [^eltaiit, sich unter- 
eiuauder giicbeu. weiter; die kruft der trzieiiuug des eiteruhauses be- 
stehe in dem indiyidnellen, in dem eingehen anf die sonderart des kindes, 
die kraft der schule liege aber nicht in diesem individuellen, sonderu 
darin, dasz sie alle kinder, reich und arm, vornehm und gering, an 
gleiche Ordnung und gesetze gewöhne, also gleichmäszig erziehe, dann 
mfisse man front machen gegen die reformphrase, als ob der lehrer IHhig 
Ukd verpflichtet sei, die individnaUtät von seinen 40 sestanem aufs ge- 
naueste zu kennen nnd zu pflegen, es sei noch abzugrensen, wieweit 
der lehrer im stände sei, die individualität der einzelnen zu beobachten 
und entsprechend in der schule zu behandeln, ferner sei wichtig der 
sata, daSB unsere pädagogischen erörtemngen meist von dem gedanken 
ausgiengen, dasz diejenigen menschen, die vater oder mutter srif n, die 
ein elternhans bilden, direct eigentlich von selbst schon tof^emiiiaft und 
etwas gutes seien; weil das Verhältnis von eitern zu kiiidern ein so 
heiliges sei, berühre man die misstSnde nicht, obwohl gerade das Ter> 
hältnis des vaters oder der mutter zu den kindern mit vielen fehlem 
nnd schwächen behaftet sei. naturgcmäsz entwickele sich daraus eine- 
reihe von irriümern. nicht als ob unserer nation nicht ein genügender 
ernst der erziehnng innewohne, im gegenteil. wir könnten das thema 
also fruchtbar nur dann bebandeln, wenn wir nns bewust blieben, wie 
häufig elternhäusi r iii mangelhafter vcrfn^^sung seien, selbst da, wo der 
beste wiUe ?orhanden sei, trete manchmal schwäche hervor, ein wei-^ 



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^8 



Peitonalnotuen« 



terer piinkt, der aasznführen sein würde, sei der verkehr von eitern und 
lebrern, z. b. das yerhaltea von vater oder matter, wenn sie den söhn für 
die sexta prftsdntierteD; weiter: welche fehler der flbereehfttsiing:, welche 
der nnterschätzung vorkftmen« viele eitern zeigten za wenig interesse 

für den 8chuluntern>!)t, j^iiweilen sei das umgekehrte der fall, dasz eitern 
zu viel und daljci regelloses interesse zeigten und in die arbeit der schule 
dilettantisch eiugritfen. häufig komme es vor, dasz eitern, die die er- 
xtehnDg ernst nlUnnen, doppelt straften: der von den lehrern gestrafte 
flcbüler wordo zu hause, wenn die benaohrichtig^ini'::;' darüber einlaufe, 
noch einmal gezüebtip t. dies würde uns auf das Institut der strafzettei, auf 
die formen, wie man eitern benachrichtigen solle und anderes führen, wei* 
tere bespreehnng verdiene die versetsnngsseit, die seit, wo die sitaatioa 
der eitern am gefährlichsten sei, der Privatunterricht, der dann gesucht 
werde, das verhalten, wenn ein Schüler die anstatt verlassen oder länger 
bleiben solle, und manches andere, mit diesen lose aneinander gereihten 
hemerlningen habe er bei der kthfze der seit nur eine skiise geben 
können ; es wurde ihn sehr frenen, wenn ein anderer den gvnndgedaaken 
auf^Meifen und ausführen wolle. Kiesel: indem er dem aHg-emeinen 
wünsche ausdruck verleihe, der gegeustand möchte von demselben redner 
auf der nächsten Versammlung in ausführlicherer weise behandelt werden, 
schliesze er die diesmaligen Verhandlungen. 

Zu erwähnen bleibt nur noch, dagz an stelle der satzungsgemäsz 
aus dem vorstände ausscheidenden herren, des prof. Crecelius (Elber- 
feld, gymn.) und des rectors a. d. Götz (Neuwied), die herren Jäger 
und Zahn gewühlt worden sind, wie stets seblosi sieh ein gemein- 
samee mahl an die verhandtongen an. 

KdLM. Fbbb. Stbut. 



19. 

P£BSONALNOTIZ£K. 



Ernennungen, befSrtler versetzungent mm«Mibui 

Dieck, (Ir., ob rlchrer frymn. in Wilhelmshaven, mm direetor des 

domgymu. in \ ei den ernannt. 
Heiner, Wilhelm, Oberlehrer am realgymn. in Essen, als 'professor' 
prädiciert. 

Hintzmann, dr. , Oberlehrer am realgymn. in Uagdebnrg, sum reetor 

der höh. bürgerschule daselbst ernannt. 
Masberg, Oberlehrer an der höh. bürgerscbule in Düsseldorf, als 'pro- 
fessor* prSdiciert. 

Iffenge, dr., Oberlehrer am kaiser-Karls-gymn, in Aachen, smn rector 
des progymn. in Boppard ernannt. 

Gestorbent 

Boxberge r, Robert, dr., em. Oberlehrer, als Htterarhistoriker bekannt, 

ende märz, 64 jabr alt, zu Stadt Sulza. 
Oaspari, Anp-ast, prof«, schulrat, dir. em. des realgymn. in Ghemniti, 

am 29 in.'irz. 

Gebauer, Guätav Adolf, dr. prof., conrector em. des gymn. in Zwickau, 
am 80 m&ra. 

Zahn, Franz Ludwig, em. seminardirector, auf seinem gute Fild bei 
Mörs, am 20 m&rz. 



Diqitized bv Coo<^le 



ZWEITE ABTEILUNG 

FÜB GYMNASIALPlDAGOGIK UND DIE ÜBRIÖBN 

LEHRFÄCHER 

MIT ▲USSCHI.USS DB£ CLASSI80HBR PHXLOLOaXf 

HBBAÜSOBOEBBII VON PROF. DB. HfiBMAllM HASIüS. 



20. 

DIE CASUS XmD DIE PJ&ÄPOSITIOKEN. 



Die casus und die präpositioaeu gdhoreu lieide zu den geberden- 
artigen oleiueuten oder bestaudLeilen der spraclie. wir n^uauu ge- 
berdenartig alles dasjenige an der spräche, was in ge^Lalt eines 
bloszen Zeichens für einen bestimmten begriff oder ein allgemeines 
logisch syntaktisches Terhttltnis fanetioniert das wori oder die laut- 
gruppe, welche einen sonstigen gewShnlicben oder regalmSsEigen be- 
griff fttr OBS anzeigt oder vertritt i ist allerdings aneh ein darch ge* 
wobnheit oder zufall festgestelltes oonTcntionelles zeieben fdr d!en- 
selben. von allen diesen gewöhnlichen werten oder begriffen aber 
nntersebeiden sich die geberdenartigen bestandteile der spräche da* 
dnrch, dasz es immer bestimmte allgemeine and regelmSsdg wieder- 
kehrende oder sogenannte formale kategorien und verhttltnisbestim- 
mtiagen des denkens sind, welche sie in sich vertreten* der ganze 
allgemeine oder formale Organismus der spräche beruht an sich auf 
einem system derartiger zeichen oder geberden, alle fiexionen der 
Worte sind geberden, welche gleichsam von ihnen selbst zur bezeich- 
nung gewisser allgemeiner Stellungen und Verhältnisse aasgestreckt 
und gemacht werden, ebenso sind der accent und die Wortstellung 
geberdenartige zeichen oder mittel der spräche, um die gewichte« 
Verhältnisse der silben des Wortes und der glieder des satzes hervor- 
zuheben und anzuzeigen, alles dieses gehört an sich nicht zu dem 
sonstigen gewöhnlichen und wechselnden materiellen oder logischen 
inhalt des denkens, sondern bildet einen allgemeinen und feststehen- 
den rahmen, in welchen die einzelnen begriffe immer nur wie andere 
und abwechselnde bilder emgeschoben werden, diese ganze ge- 
berdensprache in der rede aber hat auch immer einen bestimmten 
geistigen oder logischen Charakter und wert, üexion, accent und 

jahrb. L phlL a. pftd. lU abt. 18»U bft. 4 u. 5. 14 



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210 



Die ca£uä und die präpositionen, 



Wortstellung sind immer die drei allgemeinen formalen hauptmiitel 
zur bezeichnong der ganzen ordnnngeu nnd Verhältnisse des denkens 
m der rede, das lebnn der spraelie ist fortwährend erfüllt von ge- 
berden nnd es bat dieses elemeni oft auch noch me weitere ans* 
debnang als es znnBcbst fftr uns scheint. 

Die spräche hat znnftchst die doppelte fiectierende wortolasse 
des nomen und des verbum erschaffen , aus deren yereinigung aller 
satz oder alle geordnete rede entspringt, eine jede dieser wort- 
olassen ist ansgerttstet mit einem apparat Ton flestionen oder allge* 
meinen geberdenartigen zeichen der modifieation ihrer steliimg in 
der rede* jeder setz oder jeder \&fOC der spräche kann an sich nur 
bestehen aus der Verbindung eines substantivischen subjectes mit 
einem verbalen prädicat, und es ist philologisch genommen streng 
daran festzuhalten , dasz alle sonstigen formen oder erweitemngen 
des Satzes nur auf diese einfache grundform desselben znrttckgeführt 
werden müssen, eine erweiterung dieser grundform aber tritt zuerst 
insbesondere ein durch die casae , inwiefern hierdurch mehrere sub- 
stantivbegriffe zugleich in verschiedener weise an einer und dersel- 
ben verbalen band hing oder beziehung anteil haben können, was 
aber die erklärung oder den Ursprung der casus betrifft, so läszt uns 
hierbei die neuere historische etymologie so gut wie vollständig im 
stich, es ist kaum irgendwie mit bestimmtheiL auszumachen, wel- 
ches die reine oder ursprüngliche bedeutung der casuszeichen ge- 
wesen sei. man bat sich statt der frühern localen lehre mehr für 
einen allgemein pronominalen bedeutungswert derselben entschie- 
den, auf alle fUlle aber wird aiu h hierdurch nicht erkltirt, wie sich 
ein solches zeichen in die gegenwärtig von ihm in der spraelie ein- 
genommene function oder bedeutung hineingefunden habe, diese 
ganze frage ist insofern überhaupt nicht von etymologischer oder 
linguistischer, sondern nur von rein und eigentlich philologischer 
natnr. die aufgäbe ist die, zu wissen oder zu sagen, was eine casuB- 
form in dem gegenwärtigen oder lebendigen gebranche der spräche 
anzeigt oder bedentet, während auf das blosse sinnliche zeichen der- 
selben zuletzt nichts ankommt, der philolog mnsz sich hierbei und 
in allen andern ähnlichen dingen selbst h^en und darf sich nicht 
auf die unsichere und schwankende hilfe jener seiner sinnlichen 
schwesterwissenschaft von der spräche verlassen, für den philologen 
ist das sinnliche wort- oder lautelement einfach ein gegebenes und 
historisch festgestelltes zeichen, mit dem sich durch Convention oder 
gewohnheit ein bestimmter inhalt oder eine geistige bedeutung ver- 
bindet, nicht wie und wo diese ganze sinnliehe münze der spräche 
geprägt worden sei, sondern nur welches der wert oder gehalt sei, 
für den sie jetzt in der rede ausgegeben wird, kann für ihn ein Inter- 
esse besitzen, das ganze sinnliche oder glottische dement der spräche 
bildet ein abgesondertes und selbstfindiges feld des forschens für 
sich, neben welchem der Charakter der philologie durchaus in seiner 
Unabhängigkeit und eigenart aufrecht erhalten werden musz. 



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Die CMOS und die präpontioiieD. 



211 



Wir sehen auf der andern seite auch in jeder sogenannten 
psyebologisolien erklSrungsweise der spräche und ihrer erschei* 
Billigen einen abweg oder eine fölsdie und sielloae richtnng des 
gegenwSrtigen forsehens. wie der menschliche geist es überhaupt 
fertig gebracht hat die spräche za erscha£Fen, dieses wird durch 
honen grübelnden sehar&inn jemals genau nadigewiesen und dar- 
gelegt werden können, das actuelle dieses psychischen Vorganges 
etwa mit hüfe der Herbartschen oder einer andern seelenlebre er- 
U8ren an wollen» ist ein schlechthin nnmögliches nnd verfehltes be- 
ginnen, man kann im menschlichen geist ebenso wenig wie in der 
Baiur das gras wachsen hören wollen , sondern musz sieb begnügen 
mit den vorliegenden Früchten oder producten alles wirklieben Wer- 
dens, der philolog musz es durchaus vermeiden, sich in die unsicbern 
tiefen der erkünstelten psycholog-ischeu speculation zu %Mjrsenken, 
da er es nur rait dem begreifen der gegebenen erscheimmgen der 
spräche rein als solcher zu thun hat. es ist aber überall auch gar 
nicht wahr, dasz der menschliche geeist ganz allein und als solcher 
der Urheber und schöpier der spräche bei , sondern es liegt allem 
leben der spräche zunächf^t und vor allem ein aufnehmender und 
erkennender anschlusz an die gegebene Wirklichkeit oder die weit 
der äuszern Sachen zum gründe, die spräche ist so wie die kunst 
und die wissenächafi zuerst und insbesouderr' ein bild der weit oder 
eine nachahmende darstellung des auszer uns gegebenen im iiiucru 
des menschlichen geistes. die einzelnen grammatischen wortclassea 
schlieszen sieb unmittelbar an an die allgemeinen elemente, bescbaffen- 
heiten oder kategorien der wirklichen weit die spräche unterscheidet 
laBbesondero immer im snbstantiv mid verbnm die beiden kategorien 
des dinges als solchen und der an ihm hervortretenden zeitlichen er- 
sebeinnng oder inhftrens. alles dieses ist nur von aussen her oder 
snalytisch dnieh den sprachgeist aufgenommen und abgeleitet wor« 
den. es war eine gans fidsche und unhaltbare meinung der frUhem 
rationalen grammatik oder philologie, dasz der menschliche geist 
gleichsam a priori in den allgemeinen kategorien der logik ein be- 
stimmtes feststehendes System von auffassungsformen alles wirk- 
lichen mit binzogebracht haben sollte, von denen auch die gram- 
matiscben formen oder Sprachkategorien nur eine art von abdruck 
zu Bein schienen, das einzige, was der geist an sich besitzt, ist nur 
das vermögen der Unterscheidung des gegebenen in seine eignen 
allgemeinen Sphären, bestandteile oder kategorien. aUes sprachliche 
hat an sich nur einen objectivcn oder auszer uns liegenden grund, 
inbalt oder Ursprung gehabt, man musz die weit ansehen, wie sie 
ist, um die spräche in ihrer innern Ordnung und einrichtung zu be- 
greifen, der snbjective faetor oder der geist fils solcher ist in seinem 
ganzen schaffen überall bestimmt gewesen diii cli die allgemeine natur 
der Wirklichkeit, der er sich gegenülier Ijefinidfii. hat. 

Die ganze erkiärung der casus i^t an sich eine sehr einfache, 
wenn mau sich nur von allen unnatürlichen und erkünstelten 

U* 



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212 



Die CMOS Qod die präpositionen, 



sohwierigkeiten liierbei befreit, der einzige casus, welcher über* 
hanpt gar keiner erklttrang bedarf, ist der nominatiT, weil dieser 
der aiisdmck der allgemeinen und naittrlichen stellnng des snb- . 
stantivbegriffes als des snbjectes oder des aasgangspimktes der 
handlang im satze ist. auf diese grundform rnttssen an sieb auch 
alle andern abgeleiteten oder irgend ein modificiertes ▼erhältnis 
ausdrückenden casus zurückgeführt werden, zu jedem aabstantiv- 
begriff im satze gehört an sich immer ein seine stelliing oder be 
Ziehung zu den andern redeteilen ausdrückendes yerbalea prädicat 
hinzu, ist aber dieses prädicat von einer ganz allgemeinen oder 
formalen natur, so kann dasselbe auch ausfallen und es nimmt nan* 
mehr der substantivbegriff in einem bestimmten casus gleichsam 
eine diese leere stelle vertretende und anzeigende miene oder ge- 
berde an. was hierbei das casuszeichen an sich vielleicht gewesen 
sei oder bedeutet habe, ist für die sache selbst vollkommen in- 
different, der Sprachgeist legt mit innerer Freiheit oder wiilkür 
irgend einem unbestimmten pronominalzeichen eine weitere con- 
ventionelle bedeutung bei oder drückt dasselbe zu einer geberden- 
artigen Vertretung einer gewissen allgemeinen grammatischen Stel- 
lung oder Situation des Substantivs im satze empor, die casus 
entstehen rem aus einem inueru odor syntaktiäcbün bedürfnis der 
Sprache nach erweiterung des einfachen satzes heraus und es wird 
das lautelement hierzu nur in einer freien und willkürlichen weise 
benutzt, das bedürfnis nach den casusformen ist an sich im denken 
da und es md dieselben allein hieraus und nicht aus dem blossen 
sinnlichen lautelement als solchem abzuleiten nnd zu erklttren« 

Das System der gewöhnlichen oder regelmSszigen syntaktischen 
casus besteht aus den vier formen des nominativ» genetiv, dativ und 
accnsativ. unter ihnen vertritt der aocusativ die allgemeine Stellung 
oder kategorie des grammatischen objects, d. i. dei^enigen begriffee, 
auf welchen die von dem subject ausgebende handlung hingeht oder 
sich als auf ihren endpunkt bezieht, wir nennen den accnsativ un- 
geschickt den anklagefall , während er nach der ursprünglichen be-* 
Zeichnung, iTTurcic ainoTiKr), eigentlich der fall der die handlung 
bestimmenden und zu sich heranziehenden end- oder sweokursache 
ist* dieses war ganz im sinne nnd der auffassungsweise des Aristo« 
teles gedacht, während wir ihn einfacher und richtiger als den fall 
oder die Vertretung des objeetes oder gegenständlichen Zielpunktes 
einer handlung bezeichnen dürfen, der accusativ ist insofern immer 
als das subject oder der tr;iger einer zu ihm hingehenden, aufnehmeu- 
den oder passiven thätigkeitsbeziehnncf zu denken, in dem satze 
z. b.: *A sclilägt den B' ist an sich immer zugleich der aufgehobene 
passiviselie satzt 'B wird geschlagen' enthalten, die »prache läszt 
hier dieses passivische prädicat fallen und bezeichnet durch den 
casus die allgemeine nnfnehraende oder passivische Stellung des Sub- 
stantivs zum verbum oder zur handlung des satzes. an und für sich 
ist aku auch der accusativ immer als der nominativ oder subjects- 



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Die casus und die piftpoutiouen* 



213 



casus einer andern aufgehobenen und unter vcrlnst ihres verbalen 
prädicates in den gegenwärtigen satz hereingezogenen passlyischen 
aussage oder beziebung zu denken. 

Die spräche bat sodann als eine weitere ergänzimg den genetiv 
oder den sogenannteii uraprungsfali erschaffen, diese bezeichnung 
ist darum nicht streng richtig oder zutreffend, weil die kategorie 
des Ursprungs einer handlung an und für sieb immer nur durch den 
nominativ oder subjectscasus vertreten wird, der genetiv hat ebenso 
wie der dativ immer nur in einer entfernteren oder rniltelbaren weise 
an der baudlung des satzes anteii und eis bilden diese überhaupt die 
gruppe der beiden nebencasus , welche sich in zweiter linie an die 
beiden an der handlimg des satzes direct beteiligten hauptcasus, den 
nominativ und aeoosativ, anschlieszen« der geneÜT tritt an Bidk zu- 
nlclist immer in begleitung oder im gefolge eines andern aubstantiv- 
bsgriffee auf, welcher sieb zu ibm in einem bestimmten verbBltnisae 
der abbSngigkeit oder Zugehörigkeit zu befinden scbeint. in den 
werten: 'das dach dea baoaea' zieht der begriff des daches den des 
hauset als eine weitere ergänzende nebenbeatimmung mit in den satz 
herein* dieses Verhältnis darf an sich überall so au^efaezt werden, 
dasz der zweite oder hereingezogene begriff den erstern in der eigen- 
Schaft eines teiles oder einer zugehörigen dependenz mit in steh ent- 
hält, z« b. hier: ^das haus hat das dach.' der gegenwärtige genetiv 
ist also an sich immer zu denken als das subject einer sich auf jenen 
andern begriff erstreckenden allgemeinen verbalen beziehung des 
habens, einscblieszens oder in sich enthaltens. es vertritt also auch 
hier der casus an sich immer ein zu supponierendes ausgefallenes 
verbales prädicat an einem substantivischen subject. 

Ganz analoc a^^er ist auch die erklärung der natur und Stellung 
des dativ. dieser bezeichnet oder vertritt an sich immer ein zweites 
oder entfernteres object der beziehung des satzes näcbst dem ersten 
oder näheren des accusativ. kein verbalbegriff wird an sich direct oder 
unmittelbar mit dem dativ, bumlern nur unter dem zvvisclientreteu 
oder stillschweigenden hinzudenken einea accusativ conalruierl, z. b. 
invidere alicui, wo an sich immer aliquid zu supplieren ist. das nächste 
oder unmittelbare object, der accusativ, wird also hierbei immer auf 
das zweite oder entferntere object, den dativ, hingeschoben und mit 
diesem vereinigt, so dasz sich hieraus die an sich nicht unpassende 
bezeicbnung des gebefalles erklärt, der erfolg einer solchen hand- 
lung ist also immer der, dasz der jetzt im dativ sehende begriff den 
auf ihn zugeschobenen oder mit ihm vereinigten accusativ enthält, 
dnsdblieszt oder besitzt. A gibt das ding dem B ; jetzt also hat B 
das ding, auch beim dativ also ist ebenso wie beim genetiv ein sol- 
ches ausgefallenes aUgemeines prltdieat der beziehung des haben« auf 
den mit ihm verbundenen andern begriff zu supplieren^ nur dasz 
dieses Verhältnis nidit wie dort als ein an sich schon bestehendes, son* 
dern als ein erst durch die handlung oder das geschehen des gegen- 
wSrtigen satzes herbeigeffihrtes erscheint, der genetiv ist an sich 



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214 



Die casus und die präpoBitionen, 



immer ein begriflf, der einen andern begriff mit in sich einscblieszt, 
hat oder enthält, der dativ aber em solcher, dem jetzt ein anderer 
begriflf gegeben oder zugeschoben wird, so dasz er ihn mit in sich 
einscblieszt oder enthält, der genetiv steht gleichsam an sich 8chon 
hinter dem andern begriffe, der ihn jetzt mit in den satz hereinzieht, 
während der dativ hinter dem nächsten object, dem accusativ, steht 
und diesen Jetzt ala ein zu ihm. gehörendes eii^rentum empfängt, der 
begriff des habens aber ist an sich der einfachste verbale ausdruck 
dieses doppelten Verhältnisses, der accusativ ist ein begriff, der jetzt 
eine Tom sabject ausgehende beziebung aufjummt oder empfängt, 
der genetiv ein begriff, der einen andern BubstantiTbegriff mii in 
sich einscblieszt und enthlüt oder durch eine objectsbeziehung des 
babens mit ibm yerbunden ist, der dativ aber ein begriff I dem jetzt 
ein anderer substantivbegriff gegeben wird, so dasz er mit diesem 
in der gleichen weise durch eine objectsbeziehung des habens ver- 
bunden ist. es sind dieses die vier regelmäszigen syntaktischen 
casus, deren die spräche bedarf, der nominativ steht am anfang, der 
accusativ am ende der bewegung des einfachen satzes, wtthrend der 
genetiv als ein zweiter begleitender oder entfernterer neben casus 
der Stellung des subjectes, der dativ aber als ein solcher derjenigen 
des objectes erscheint, alle diese andern casus ausser dem nominativ 
sind also an sich zn denken als die subjectscasus eines ander weiten 
sich mit ihnen verbindenden allgemeinen oder formal grammatischen 
verbalen prädicates, der accusativ des einfachen leidens, aufhebmens 
oder passivischen empfangene, der genetiv des bereits bestehenden 
und der dativ des durch die jetzige handlung erst herbeigeführten 
habens, besitzens oder enthaltens eines andern begriffes. alle diese 
ausgefallenen prädicate aber werden durch die willkürlich ge- 
stempelten gebcrdenartigen zeichen der casus an den bubstantiven 
vertret-en. die spräche bedarf dieser formen und greift nach einem 
sich gerade darbietenden lautlichen dement oder mittel, welches 
also nur conventioneil, nicht aber innerlich notwendig sich in diese 
function oder bedeutung hineingefunden hat. 

Die meinung oder Vorstellung von einer ursprünglich localen 
bedeutung der casus hat sich zunächst immer au die Verbindung 
derselben mit den präpositionen angeschlossen, die bedeutung oder 
function von diesen ist allerdings im allgemeinen immer von einer 
localen beschaffenheit oder natur. jede präposition sucht sich in der 
regel auch einen bestimmten casus heraus, mit dem sie sieh vermöge 
ihres localen Charakters zu verbinden pflegt, nichtsdestoweniger 
sind die casus doch an sich von rein syntaktischer und nicht von 
eigentlich oder unmittelbar localer natur. der casus wird im satze 
gesetzt auch ohne die prftposition, nicht aber die prttposition ohne 
den casus , oder es treten die prftpositionen an sich immer nur in 
ftuszerlicher oder accessürischer weise zu den casus hinzu, auch die 
Präpositionen aber haben ihrem allgemeinen logisch-syntaktischen 
Charakter nach die eigenschaft von geberden an sich und sie dürfen 



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Die east» und die präpositionen. 



215 



deswegen ebenso wie die partikeln fiberbaupt nicht mit den eigent> 
liehen oder regelmttssigen flectierten haaptbestandteilen des wort- 
materiales, dem nomen nnd dem verbum zusammengeworfen werden* 
alle Partikeln sind etymologisch genommen reste des nrsprttngliehen 
der erschAffbng des flexionsapparates vorausgegangenen xastandes 
oder materiales der spräche, sie stehen «n nnd für sich genommen 
als blosse, gleichsam rohe und onbehauene bruehsttteke ausserhalb 
des regelmäszigen, durch die Vereinigung Ton nomen und verbam 
gebildeten logisch-sjntaktischen Zusammenhanges der rede, nichts- 
destoweniger müssen auch sie ihrer allgemeinen Stellung nach in 
die idee des XÖTOC oder des grammatischen aus subject und prädicat 
bestehenden satzes eingeordnet und hierauf zurückgeführt werden, 
inhaltlich genommen sind alle partikeln auch als prädicatsbestim- 
mungen anderer p^egcbener demente oder teile der rede aufzufassen, 
der logische Inhalt der pröpositionen sind an sich immer die allge- 
meinen localen eigenschaften oder Stellungen des Substantivs als 
eines gegebenen anscbaulicben dinges im räume, die präposition in 
z. b. vertritt an sich die eigeüöchaft oder kategorie der muerlicbkeit 
oder innenseite, die präposition an die der auszenseite eines dmges 
usw. alle diese gegebenen prädicatsbestimmungen aber uebmon hier 
die eigenscbaft von geberdeu u.a, durch welche dieselben den dingeu 
in röcksicht ihrer sonstigen logisch- syntaktischen Stellung zugeteilt 
werden, sie sind in^ofürn immer eine Yerbmdende und brnweiseode 
brücke vou emem redeteil zu einem andern, das gleiche aber gilt 
auch yon den beiden wortclassen der conjunctionen und der inter- 
jectionen. jene sind an sich bestimmungen ganzer sätze oder 
grosserer redeteile, wie s. b. wenn ein geberdenartiger ausdrack 
für den begriff oder das verbttltnis der bedingung ist. diese aber 
sind ebenso eigentlich prädicate des redenden subjeetes , welche in 
gsstalt einer geberde irgend ein yerhttltnis desselben nach aussen 
siueigen. alles was sur spräche gehOrt» muss streng genommen auf 
die idee des XÖTOC oder die Vereinigung von subject und prftdicat 
surUcl^efllhrt werden, alle geberden der Sprache aber sind verein- 
iachsnde abbroTiaturen » welche an der stelle von eigentlichen be* 
griflfen oder logischen teilen der rede eintreten, die flexionen aber 
sind etymologische geberden am worte selbst, während die prS» 
posiüonen und partikeln syntaktische geberden, d. h. seihständige 
Worte aber in Vertretung allgemeiner logischer elemente oder ver- 
hftltnisae sind, auch die präpositionen aber gehören eben deswegen 
ebenso wie die flexionen zu dem allgemeinen oder formellen gram- 
matischen apparat und aufbau der spräche hinzu, die flexionen sind 
gleichsam wie halbinseln, welche aus dem selbständigen bauptkür per 
des wertes hervortreLen, während die präpositionen sich wie abge- 
sonderte und zugehörige inseln in der unmittelbaren nähe desselben 
befinden. 

In den neuern sprachen ptiegen die casus zuui teil, iub beson- 
dere der genetiv und der dativ, durch präpositionen ersetzt oder 



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216 



Die casus wid die pr&positipnen. 



umBchrieben sn werden, das eystem der s yntaktieehen casus stebt 
in den alten spxacben ttberall noeb reiner und nnveraebrier da als 
in den nenem. jedenfalls ist die grenze des anwendungsgebietes der 
easns nnd der prKpodtionen zum teil eine sdiwankende und es kann 
ein und dasselbe verbälinis oft ebenso wobl dnrcb eine casnsflezion 
als dnrcb eine prttposiüon ausgedruckt werden, in den unvoll- 
kommenen oder agglutinierenden spracben findet bierin fast gar 
kein unterscbied statt, indem beinahe ans jeder präposition ein 
wenigstens anscbeinender oder unecbter casus abgeleitet zu werden 
pflegt, der echte geist der li^hem sprachen aber bat doch an sieb 
immer beide demente bestimmt von einander unterschieden, das 
ganze gefühl für den wert und die bedeutung der casus aber ist in 
den alten sprachen immer noch ein weit feineres und lebhafteres ge- 
wesen als in den neuern. es bat an sich immer etwas grobes und 
ungeschicktes, wenn diese letztern den genetiv und den dativ durch 
eine präposition zu ersetzen versuchen, es schlieszt sich allerdinifs 
an die syntaktische Stellung oder function der casus naturgemü-/: 
immer zugleich eine bestimmte locale anschauung oder Vorstel- 
lung an. es hat an und für sich immer eine gewisse natürliche 
Wahrheit oder berechtig ung, dasz von den drei localen kategorien 
des woher, des wo und des wohin die erste im genetiv, die zweite 
im dativ , die dritte im accubativ ihre Vertretung finde, auf dea 
wirklichen gebrauch der präpositionen allerdings darf diese lehre 
nicht unmittelbar und ebne weiteres in anwoidnng gebracht wer- 
d&u in den nenera spradien namentlicb bat sieb das yerstftndnis 
fttr den wert der casus vielfeoh abgestumpft und Terscboben. dieses 
gilt namentlicb vom genetiv, der ancb bei uns in der popttlttrra rede 
gern umgangen oder umscbrieben wird, der genetiv ist an eicb 
immer ein ort oder ein begriff, der gleichsam hinter uns oder dem 
redenden zu stehen scheint und dessen Verständnis daher leicbt einer 
gewissen abscbwSchung oder Verdunkelung unterliegt, der aceusativ 
aber stebt als casns des objectes eigentlich immer direct vor uns und 
ist insofern der Vertretung der richtung wohin adäquat, der dativ 
aber ist an sich ein entfernterer ort, auf den etwas bingescboben 
wird , und es ist insofern die allgemeine Vorstellung eines ruhenden 
wo, die sich mit ihm verbindet, der dativ zieht im deutsoben w^gen 
dieser seiner unbestimmten neutralen Stellung leicht gewisse andere 
präpositionen zu sich heran, die sich eigentlich und richtiger mit 
dem genetiv oder dem aceusativ verbinden, der ganze gebrauch der 
casus und der prfipositionen ist in den alten sprachen noch ein mehr 
nornmler und naturgemSszer , wahrend in den neuern bierin schon 
eine beträchtliche decomjjosition und Zerrüttung- eing-ctrrten ist. 

Dieses ganze gebiet von erscheinungen der spr^icbe verdient 
jedenfalls noch in einer genauem und mehr vergleichend systemati- 
schen weise durchforscht zu werden, es kommen auch zuweilen neben 
den vier gewöhnlichen noch gewisse andere casusformen vor, wie 
der lateimäche ablativ, der sogenannte locativ oder dai' laitrumental. 



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Die cabus uud die präpoRitioueu. 



217 



wir mochten insofern den ganzen kanon der möglichen casosformen 
noob in gewisBer weise sn erweitern Teroadieii, ak es an und für 
tkk noch bestimmte feinere und modifieieriere stellangen des snb- 
staaÜTS im Satze gibt, die in der rege! zwar dnrdi die gewöhnlichen 
casus mit vertreten werden nnd sich an die function oder bedeutnng 
▼on diesen ansehliessen» die aber doch immer als eigne geberden- 
artige erseheinntigen oder ansdmcksformen angesehen werden dürfen, 
etymologisch genommen ist hier nicht alles dnrch eigne seichen ans- 
geprttgt worden, was an und für sich den sioff oder die basis für 
einen besondem casus hStte abgeben können, der lateinische ablativ 
ist eine form, die zuweilen die function des griechischen genetiv und 
auch die des dativ ersetzt, zunächst möchte wohl der instrumental 
als eine dieser an nnd für sich möglichen oder natnrgemäsz ange« 
zeigten weitem easnsformen anzusehen sein, dieser yertritt die Stel- 
lung des Substantivs als eines mittels oder Werkzeugs für ein be- 
stimmtes gescheben. diese ganze function wird im lateinischen durch 
den ablativ und im griechischen durch den dativ und f:^cnetiv mit 
vertreten, während wir dieselben mit den präpositionen durch oder 
mit zu umschreiben genötigt sind, es ist dieses aber immer ein 
ganz einfaches syntaktisches Verhältnis, welches insofern richtiger 
durch eine casustlexion als durch eine präposition seine Vertretung 
findet, das mittel, wodurch etwas geschieht, ist immer ein zweites 
entfernteres subject oder eine andere mitwirkende Ursache neben 
dem ersten eigentlichen subject oder der im nominativ stehenden 
wirkenden hauptursacbe selbst, auch der instrumental alio kann 
ebenso wie der genetiv als ein weiterer ergänzender oder begleiten- 
der nebencasus der subjectsbeziehang im satze aufgefaszt werden, 
ihm aber steht auf der andern aeite als eine entsprediende neben- 
form des aoeusatir oder disr synittktischen objectsbeziehang die- 
jenige des die kategorie einer end- oder zwecknrsache Tcrtrefonden 
final gegenüber, auch dkser scheint im unterschied T<m dem regel- 
mttszigen gebrauche des acensativ an sich als eine besondere casns- 
form angesehen werden zn dOrfen. der acensativ ak reiner objects- 
oasns Terbindet sich überall mit dem transitiven verbalbegriff, indem 
er den ort oder den gegenständ bezeichnet, anf den sich die band« 
Inng von diesem als solche mtreckt. wenn aber im lateinischen 
z. b. gesagt werden kann: domum oder Bomam ire, so ftmctioniert 
hier vielmehr blosz der acensativ für diese fernere oder eine näher 
modificierte objectsstellang anzeigende form des final, denn die be- 
aihung des intransitiven yerbalbegriifes hat hier als solche nicht 
sowohl diesen substantivbegriflf selbst zn ihrem Ji^egenstand , als sie 
vielmehr nur durch denselben in der eigenschaft des zicdes oder 
Zweckes bedingt wird, die Aristotelische definition der tttujciC 
ainaTiKr] hat daher nicht sowohl den eigentlichen accusativ als 
vielmehr den von ihm mit vertretenen final zum gegenständ gehabt, 
es werden in ähnlicher weibe wohl noch gewisse weitere casubformen 
sowohl auf Seite der subjects- wie auf der der objectsbeziehung unter- 



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218 



Die caBtts tind die prftpoeitioneii. 



Bcbieden werden dürfen, hierzu m^bte auf der letztern seite wohl 
auch der gebrauch des sogenannten accusativ des entfernten objectea 
im griechischen gehören, z, b. "Gpoic dviKare jLidxav« man half sich 
früher hierbei mit der ungeschickten annähme^ dass die präposition 
Kard ausgelassen sei. hier bezeichnet der accusatiy nicht das object 
der handlung oder des verbalbegriffes im satze selbst, sondern nur 
einen substantivbegriff, welcher einen allgemeinen rieht- oder be- 
ziehungspunkt für das ganze geschehen des letztern überhaupt in 
sich enbält. man könnte daher hierfür vielleicht die bezoichnung des 
directional feststellen, ferner bezeichnen die sogenannten genetivi 
und ablativi absoluti im griechischen und lateinischen an und für 
sich diejenige Stellung eines ganzen selbständigen satzes, nach wel- 
cher derselbe in das Verhältnis einer begleitenden bedingung zu 
einem andern satze eingetreten ist. die worte : multis praesentibus 
usw. sind an sich zurückzuführen auf den selbständigen satz: multi 
praesentes sunt, oder es tritt hier ein ganzer satz mit subject und 
piädicat in ein bülcliüs Verhältnis der begleitenden bedingung zu 
einem andern satze ein, dieses ist wohl auch zuweilen bei einem 
einzelnen begriffe der fall und es könnte dieser ganze fall daher als 
dar conditional bezeichnet werden, ala ein eigner casus aber möchte 
auch der looativ in der Tertretonff der allgemeinen kategorie des 
wo eines gesch^ens in Romae, oiKOi usw. amusehen sein, anch 
hier bezeichnet ein casus an sich dieses yerhSltnis einfacher und 
richtiger, als dasselbe durch eine prSposition in« zu u. dgl. doch 
immer mit einer gewissen indifferenten nebenbedeutnng geschieht, 
auch der vocatiT endlich , welcher an sich kein sjmtaktisdier casus 
ist, musz doch auch immer logisch oder syntaktis^^ anfgefaszt und 
erklärt werden, sage ich : Marce, so setzt dieses eigentlich den satz 
voraus : voco Marcum, und es ist der vocativ insofern an sich immer 
das object oder der Zielpunkt einer handlung des rafens des reden- 
den subjectes , welches hier in gestalt einer abkürzenden geberde in 
die rede eingeführt wird, es können also an sich immer noch ge- 
wisse weitere abgeleitete casusformen oder geberdenartige Vertre- 
tungen einzelner Stellungen des Substantivs angenommen und unter- 
schieden werden, wenn auch die spräche dieselben teils durch die 
gewöhnlichen casus, teils auch mit hilfe der präpositionen vertreten 
zu lassen für gut befunden hat. 

Alles was zur spräche gehört ist an sich ein gedanke oder doch 
ausdruck und folge einer gedankenbewegung der seele. daher kann 
dasselbe auch überall mir denkend erkannt und begriffen werden, 
dieses denken der phiioiogie aber musz sich streng anschlieszen an 
die gegebene Wirklichkeit der erscheinungen des sprachlichen den- 
kens selbst, alle diese erscheinungen baftm zwar am sinnlichen laut- 
element der bprache, könnuii aber aus dieseui allem nicbl abgeleitet 
oder erklärt werden, die phiioiogie ist also wesentlich immer ein 
ganz eignes, unabhängiges und selbständiges Wissensgebiet neben 
der ganzen neuem historischen linguistik oder etjmologie. aUes 



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Die GMus und die präpositioueo. 



219 



denkeii der spraelie aber ist an sich «^geleitet oder kommt her ana 
dem geistigen inbalt oder den allgemeinen Ordnungen nnd beecbafiEni- 
beit^ der wirkliehen weit, jede einzelne spräche aber ist ein an- 
deres bild oder eine andere darsteUnngsform dieses gemeinsamen 
gegebenen Inhaltes oder gedankenstoffos der ganzen nnsem geist 
nmsehliessenden Süssem objectivittttb die einselnen sprachen können 
daher philologisch oder in rttcksieht der art ihres gedankenansdrackes 
ebensowohl mit einander verglichen werden als dieses in rUcksicht 
der abstammung ihres lautmatäaales durch die jetzige historiscbe etj- 
mologie geschieht, jene erstere vergleiehungaber ist, wie uns scheint} 
die fiQr die Wissenschaft und den menschUoben geist zuletst wich- 
tigere und fraobtbarere als diese Jetstere* es ueht sich hier nament- 
lich zwischen den alten und den neuem sprachen eine wichtige und 
für den ganzen fortschritt der geschichte bedeutsame grenze, die 
denkform der alten sprachen ist an sieb eine schönere, reichhaltig 
vollkommenere und mit gröszerer Wahrheit und feinbeit ausgebildete 
als diejenige der neuern. für den etandpimkt und das int'^resse der 
Philologie werden daher die erstem immer uinen ganz hcrvorrai^on- 
den und entscheidenden wert beanspruchen dürfen, bei dem gegen- 
wärtigen stand der schul- und bilduugbirage wird auch die Philo- 
logie ihre Stellung nur durch eine erneute Stärkung und befestigung 
ihres eigentümlichen wissenschaftlichen princips und Charakters auf- 
recht zu halten vermögen, die natürliche gosundheit des denkens 
ZU pflegen aber musz immer als die pädagogische hauptaufgabe der 
philologiü erscheinen und sie wird dieser aufgäbe nur durch die 
strenge betonung und fortbildung ihrer besondern specifischen eigen- 
tümlichkeit nachkommen können. 

liBIPZia. COMBAO HnSHANV. 



21. 

AUS Dm LEBEN UND D£B PRAXIS. 



Ea ist besondeirs in den lotsten jshren nnendlich viel darüber 
gesprochen nnd geschrieben worden, dasz das gymnasialwesen in 
sräen nnterrichtszweigen und seiner lebrmethode einer grttndliohen 

refbrm mehr als bedürftig sei. 

Yorsohlttge sind dasn .von verschiedenen selten , teils von he* 
rufenen, mehr noch von unberufenen gemacht worden, ans den 
meisten kHngt der grundton heraus : das humanistische gymnasiom 
habe seinen zweck erfttUt und müsse als veraltetes Institut nunmehr 
den Schularten platz machen, die dem zeitgeiste und den wünschen 
der eitern mehr entsprächen; welche mehr befähigten, das daselbst 
gelernte mÖLrlichst bald in klingende münze umzusetzen. 

Dasz es hierbei an hämischen bemerkungen zuweilen nicht ge- 
fthlt, liegt auf der band; selbstverstttudlich mischte sich auch die 



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220 



Aus dem leben und der praxis. 



tagespresse m diese frage, und wie ein weitverbreitete« familienbUtt 
, tüSn den beMeb des gymnasialnnterriehts, Aber den höbem lehr- 
stand mit sttnen leitem irrige , abnehüich geftlsdite meinungen in 
weitem kreisen zu verbreiten suebte^ davon hat mein in den blättern 
für höheres seholwesen erschienener nnd 'aar ab wehr* betitelter auf- 
sats ein siemlieh fiirbenreiches bild entworfen. 

Wie diese schnlart, so erfreut sich auch der gymnasiallehrer 
selbst keiner aUzn groszen belieb tbeit und achtnng bei der bevölke- 
rung , sei es weil er in der gesellschaft zu wenig gewandtheit be* 
sitzen soll, sei es weil er den söhnen und indirect den eitern zu 
viel zusetzt, womöglich gar absichtlich die Versetzung der kinder 
verhindert. 

Wer im fache selbst steht, wird das letztere einfach als unwahr 
abweisen können , bezüglich des erstem je nach seinen erfahrungen 
mehr oder weniger davon einräumen, freilich tritt der lehrer, soinem 
berufe völlig entsprechend, weniger m das gesellschaftliche leben 
hinein, wer strebsam ist und sich in seinem fache auf dem laufen- 
den erhalten will, musz eben niif einen weiter ausgedehnten geselli- 
gen verkehr verzichteu; beirie musxezeit nimmt ein zur auftrischung 
seiner körpei liehen und geistigen kräfte nötiger Spaziergang oder 
die familie in anspruch, ohne dasz dieser hierbei gerade im philiste- 
rium der kinderstube aufzugehen braucht, obschon der biertisch oder 
die gutbesetzte tafel — das heiszt doch wohl heutzutage in der regel 
geselliger verkehr — wt-it schädlicher eiuvärkt aU die kmdcrbtube, 
ob man aber wirklich viel anregung durch den heutigen geselligen 
verkehr erhalt, ja erhalten kann, darüber kann der nur recht ent- 
scheiden, der seltner sich daran beteiligt fades gerede, auskramerw 
des in der neuesten zeitung oder sonstwo gelesenen, natfirli<^ seich- 
tester gattung, triviale oder zotige witze bilden neben der politik 
die Signatur der hierbei gepflogenen gesprttchei selten genug ent- 
spinnt sich, wenigstens in kleineni städten, ein wirklich anregendes, 
belehrendes gesprKch, in den seltensten fllUen eins« wofür sich der 
deutsche gymnasiallehrer besonders begeiBteni könnte, kommt man 
gar aufs thema 'schule' zu sprechen, dann dtlrfte dieser gewis nicht 
selten verstimmt die gesellschaft verlassen, denn die unbegründet- 
sten behauptnngen werden dabei zuweilen mit einem solchen selbst- 
bewustsein ausgesprochen, dasz man genötigt wird, entweder ener- 
gisch Protest zu erheben — und dies wird dem lehrer womöglich 
übelgenommen und als mangel an lebensart ausgelegt — oder zu 
schweigen, um sich verstimmt mehr und mehr zurückzuziehen. 

Ein gutes buch entschädigt leicht für das verzichten auf ge- 
selligen verkehr, der verheiratete wird, sobald er ein seinem bildnngs- 
grade nur einigermaszen entsprechendes weib gefunden, die durch 
ihren Umgang und verkehr manche abw echslunfj: ins haus bringt, 
sicher nicht die nötigen Umgangsformen vtülernen, vielmehr man* 
ches gute daraus lernen, auch gibt es naturen genug, die sich ihres 
eignen wertes nicht mit unrecht bevvust sind und kein besonderes 



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Aus lieiu leben uud der präxis. 



221 



verlangen danach tragen, sich womöglich blosz dalden zu lasäen iu 
einer gesellschaft , die zwar an geistiger bildung nicht höher steht« 
die abw Ton der weit als bevonugter «rächtet wird. 

Das bekannte epricfawort: wie man in den wald schreit, so 
ballt es wider, oder: wie man sich selbst benimmt, so wird man be- 
handelti beeitit in gesellschaftliolier besiehnng keine absolute Wahr- 
heit, auch ist es nicht besonders wünschenswert, mit den YKtem 
nnserer sehtUer in der gesellschaft zusammen zu kommen; denn 
mancher ist so plump, sich bei dieser gelegenheit nach dem stände 
seiner kinder in der schule zu erkundigen, zu einem besuche in dar 
Wohnung des lehrers hat er freilich weder lust noch zeit, andere 
suchen durch beleidigendes tractieren das objectiTO urteil der lehrer 
ihrer kinder zu beeinflussen, einem manne mit verhältnismässig 
geringem einkommen, so glaubt wohl mancher, könne man schon 
etwas bieten, lehnt man derartige Zumutungen entschieden ab, so 
erwirbt man sich sicher nicht die gunst des zurückgewiesenen. 

Und doch musz gerade der lehrer in jeder beziehung intact zu 
bleiben j^ucben. das kann er in erster linie freilich nm besten durch 
das verzichten auf derartigen verkehr^ wer dies aber als feigheit und 
schwäch« des Charakters betrachtet, der mag versuchen, sich durch 
taktvolles verhalten alles seiner ehre zuwiderlaiüeiide vom halse zu 
halten, manchem, ja vielen wird es glücken, allen voraussichtlich 
nicht. 

Demnach müste sich unser verkehr in erster linie auf das coUe- 
gium beschränken, doch wenn wir ehrlich sein wollen, so haben 
wohl die meisten kein besondLies verlangen danach, auch noch 
auszer den dienstötunden mit einünder intimer zu verkehren, auch 
ist die arbeitslast nicht immer gleichmSszig verteilt und die auf- 
fassung der arbeitspflicht oft sehr verschieden, in solchen fällen 
stSrt der verkebr mehr, als er bisweilen fördert, dasz hierbei in den 
seltensten fällen wissenschafttiebe dinge aur bespreohung gelangen, 
läszt sich leicht voraussetzen, cfi genug sind leider die lebensbltlten 
schon im yertrocknen , ebe sie noch recht zom blttben gekommen, 
das ist das loos vieler von uns in kleinen städten, die wenig er- 
fiisehnng gewähren, wo konstsammlungen nicht vorbanden, die 
bibliotbeken* nur das notdürftigste enthalten und wahrhaft an- 
regende Persönlichkeiten sich nur selten finden, diese mängel aber 
durch gröszere reisen auszugleichen, ist nur recht wenigen vergönnt. 

Soll also ein wirklich anregender verkehr unter den collegen 
geschaffen werden, so mttste ein wissenschaftliches kränzchen ge- 
gründet werden, wo jeder teilnehmer sein thema so einrichten müste, 
dasz es auch nicht&chmännem eine quelle der belehrung würde, 
dasz es früher derartige Vereinigungen gab, ist mir wohlbekannt; 
selbstverständlich trat nach der arbeit auch die relaxatio animi in 
ihre reeVite. doch würden sich auch p^enng- teilnehmer daran finden? 
ich fürchte: auch an uns lelirern ist der Zeitgeist nicht ganz ^pur- 
los vorübergezogen; auch wir neigen zum teil dazu, uns das zu 



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222 



Aus dem leben und der praxie. 



leisten , was andere berufsclassen als zum modernen leben gehörig 
betracbten. was aber die allgemeine Strömung berührt, das wird 
je nach der Widerstandsfähigkeit des objectes mehr oder weniger 
mit in den strudtjl hineingezogen, und doch ist es gerade unsere 
erste aufgäbe, den Idealismus hoch zu halten als bollwerk gegen 
den materialismus , der unsere schttler leider aehon reeht stark er- 
griffen bat. 

Von dem lehrer wird oft und yiel gesprochen, ihre sehfller aher 
werden nur selten einer aUgemeinen charakteristih unterworfen, und 
doch Yerlohnt es sich der mähe, sieh diese einmal etwas genauer an- 
zusehen. 

Die mensehennatur mag ja an sich hinsichtlich ihrer anlagen 
und krftfte aher auch schwächen zu allen Zeiten dieselbe bleiben, 
doch ist sie abbSngig von den jedesmaligen bestrebungen, zielen, 
geschmacksrichtungen und sittlichen Schädigungen der augenblick- 
lichen zeitperiode. hierdurch wird natürlich auch die seele der kinder 
mächtig beeinfluszt. was man der heutigen weit zum Vorwurf macht: 
abnähme des religiösen sinnes^ zunähme der materialistischen lebens- 
anschanung, abnähme der arbeitslust, zunähme des genuszbedürf- 
nisses und neigting zur auflehnung gegen das bestehende, von all 
diesen erscheinimn-en sind auch unsere schüler teils durch die familiej 
teils durch das im leben beobachtete beispiel, teils durch gegen- 
seitige beeinflnssung , teils durch die lecttire der Zeitungen zum teil 
stark ergriffen, denn dasz durch diese nicht blosz gutes, sondern 
auch manch schlechtes Samenkorn in die unreiieu geister gestreut 
wird, unterliegt keinem zweifei. 

Die trüber übliche gottesfürchtigkeit der deutschen familie ist 
heutzutage sehr geschwunden, das gemeinschaftliche beten in der- 
selben sehr zurückgegangen, die strenge zucht und liebevolle be- 
sorg Lhüit um die kinder ist bei vielen eitern infolge des harten 
ringens um die lebensbedfirfnisse in gleichgültigkeit umgeschlagen, 
kinder erscheinen nicht mehr durchweg als segen der familie , oft 
sogar als last für die eitern, so schwindet natllrlieh auch der sinn 
für die sorgfältige erziehung der Jugend im elterlichen hause, 
zumal auch die mOtter zum teil infolge des betriebes von allerlei 
schnicksehnaeks mehr und mehr ungeeignet oder soll ich sagen ab* 
geneigt werden, sich voll und ganz ihrer naturbestimmung hinzu- 
geben, je höher hinauf, desto mehr macht sich dieser Übelstaad be- 
merkbar, die natürliche rückwirkung ist dann zerfahrenheii und 
ungehorsam der kinder gegen die anordnungen der eitern, wer seine 
kinder nicht erziehen will oder kann, weil ihm das Verständnis der 
erziehungsprincipien eine unbekannte weit geblieben , der darf sich 
auch nicht wundem, dasz die unbeschnittenen triebe der kinder sich 
gegen die eignen eitern richten; von ihnen bis zu den lehrem ists 
nur ein kleiner schritt. 

Ist aber ein kind wirklich sorgfältig erzogen der schule über- 
geben worden, dann macht sich der schädigende einfiuaz der gemein- 



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Aus dem leben und der praxis. 



223 



scbaft mit altersgenossen zuweilen auf sittlichem gebiete ebenso be- 
merkbar wie die förderung auf intellectoellem. 

Stimme ich auch nicht ohne weiteres der erklärung mancher 
eitern bei, dasz ihre kinder sieb zu hause ganz anders zeigen, als es 
diü beurteilung seitens der lehrer erwarten liuöze,' ao iöt die^c er- 
scbeinung doch nicht ganz in abrede zu stellen, selbst in den ober- 
sten dassen habe ich an einigen mir nSher stehenden schülern die 
erfahrnng gemaebt, dasz ihr benehmen in der familie ein dnidiana 
snfriedenBtellendes gewesen, wShrend sie in der schule znweilen min- 
destens ungezogen genannt zu werden verdienten, es l8ezi sieh also 
der schttdliche einflnsz einer grOszem gemeinschaft nicht ohne wei» 
terez ableugnen. ■ 

Je mehr nun aber die schale auch als erziehungsanstalt Seiten» 
dar eitern betrachtet wird, desto schwieriger wird auch die anfrecht- 
erhaltnng der diseiplin. es musz der lehrer aber ein wahrer jünger 
ChriBti sein, will er nicht seines berufes, auch ein erzieher der ihm 
anvertrauten jugend zn sein, vergessen, was er in der schule heute 
wirkt, ist freilich morgen schon wieder vom unkrant erstickt; doch 
durch stetige gewöhnung läszt sich oft viel gutes erreichen. 

Ist nun der lehrer selbst eine in jeder beziehnng dnrehgebildete 
Persönlichkeit, so wird er auch ohne zu häufige anwendung von 
Strafmitteln seine autorität und somit die diseiplin zu wahren wissen^ 
wenn auch selbst dem besten nicht jede auflehnung seitens der 
pchüler erspart bleibt, wer dies durchweg Ton seiner pei soii zu be- 
haupten wagt, der dürfte dies gewis eher durch seine eigne schwäche 
und nachgibigkeit, als durch sein erziehungsgeschick erreicht haben, 
unsere heutigen schüler aber sehnen sich am meisten nach solchen 
Charakteren, sie lieben den. lehrer, der bei schwachen leistungen zur 
Ter^^etzung berechtigende censuren gibt, der fällige arbeiten willig 
auf einen spätem, womöglich von den schülern selbst bestimmten 
termin verlegt, der in den stunden plaudern, den Unterricht ohne 
rüge durch üOeies hinausgehen stören läiäzt, das fehlen in der classe 
einfach ignoriert, kurz alles zuläszt, was der jugend gerade recht 
ist sein lob wird ansposannt. 

Der andere sucht nach bestem wissen die jugend zu erziehen,, 
verfielt dabei wohl aber in einen starren rigorismus; er greift zu 
strafinitteln jeder art, ohne dasz diese die beabsichtigte Wirkung 
hätten, sein guter wille wird verkannt, weil er verbittert bald nicht 
mehr die rechte mitte zu finden weisz. ein Spitzname wird ihm an- 
gehSngt, er whrd gefttrchtet und bald genug gehaszt, auflehnungen 
der 8<£lller hat er noch mehr zu fürchten als der erstere. diese ver- 
mag eben nur eine gründliche kenntnis der kindernatur und eine 
stetige Selbstschulung zu verhindern, da nun seitens der eitern den 
hindern sehr oft recht gegeben wird, womöglich herabsetzende be- 
merkuAgen über die lehrer in deren gegenwart fallen , der Zeitgeist 
aber zur humanität hindrängt, 80 erwachsen neue Schwierigkeiten; 
für die aufrechterhaltung der diseiplin. 



224 



Aus dem leben und der präzis. 



Selbstyerstfindlich passt schon manclier nicht mehr fär die 
schule, abgestandene gesellen, die sich schon manchen lebens- 
genusz geleistet, drücken die bUnke; mancher, der daheim als 
junger herr tituliert wird, soll sich in der schule einen dummen 
jungen an den köpf werfen lassen; drausten geniesst er, hier soll er 
arbeiten y das ist doch gewis zu yiel verlangt! trotz der schlechten 
Seiten wird ja selbst der jüngere schfller in die restaurationen mit* 
genommen, ins theater geschickt , von der tanzstunde mit ihren 
schädlichen einwirkungen will ich lieber schweigen. 

Genieszen ist die losung auch unserer jugend, die beacbäftigung 
besonders mit den alten sprachen fast zur last geworden, die fireude 
an der arbeit um ihrer selbst willen geschwunden , die gewissens- 
Skrupel wegen yerbummelter stunden bei vielen fast erstickt, die 
erfolge sind trotz der verbesserten lehrmethode, trotz der herab- 
minderung des zu leistenden nicht gröszer geworden, einfach weil 
bei der jut^end das interessc an geistiger arbeit geschwächt ist. früh- 
zeitiger genusz von nikotin und alkohol stimmen die geistigen kräfte 
sehr herab und das reichbewegte öffentliche leben lenkt die geden- 
ken von dem ab, was den schillern am nächsten liegen tülUe. 

Wie ein märchen aus allen zeiten klingt es, wenn der lehrer 
einmal ein bild von seiner eignen Schulzeit entwirft, von überbür- 
dung keine rede , die privatstudien emsig betrieben j vieles gelesen, 
was dem unterrichte wirklich zu gute kam. heute werden auf» 
regende romane fast verschlungen, heute sträubt sich der schüler 
der obern classen gegen die ihm empfohlene privatlectüre , ja man- 
cher lehrer ist schon dahin gekommen, überhaupt nichts mehr in 
dieser beziehnng zu verlangen; hat er sich doch davon überzeugt, in 
welcher weise sie betrieben zu werden pÜegt. es war eben früher 
das Interesse an den lehrgegenstSnden um ihrer selbst willen lebendig, 
während heute die schule nur als mittel zu höheren oder besser mate« 
xieUen zwecken betrachtet wird, nur das ezamen bestehen, dann 
weg mit dem schulplunder, unter dessen last man so hSufig geseu&t, 
80 denkt mancher unserer heutigen primaner, wie ich es geradezu 
habe aussprechen hören, glücklich, wer in der schule wenigstens 
hat arbeiten gelernt, er wirds in seinem fache dann wohl zu etwas 
bringen, oft genug ertönt nun aber die klage , dasz auch die Stu- 
dentenzeit nicht richtig ausgenützt wird und die erfolge zurück* 
gehen, läszt sich hierbei nicht der rückschlusz ziehen, dasz das ver- 
halten der Studenten nur eine comparation des unserer schüler sei? 
aus diesen zügen wird man den schwierigen stand der lehrer im all- 
gemeinen und im besondem den der in den obersten classen unter- 
richtenden begreifen. 

Wer unten steht, der hegt den wünsch, nach oben zu kommen, 
wie ja der mensch meist wünscht, was er nicht hat, nicht kennt, 
erklärlich und berechtigt ist ja wohl der wünsch, ans der tretmühle 
der untern classen, wo man sich körperlich müde gearbeitet, mit der 
disciplin berumgeärgert bat, hinaufzurücken in das gelobte land der 



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Ans dem leben und der praads. 



225 



obern olassen. doch wie bald dürfte bei manebem der wnnsoh rege 
werden» wieder binabsusteigen zu den kleinen, kommt man doeh 
schnell genug zur einalobt, daaz es so sdilimm daselbst nicbt ge- 
wesen, Ida wie es einem vorgekommen, ja der unterriebt in den 
untern olaasen ist und bleibt der sebOnste. denn liebe gewinnt in 
bohem masze, wer sie selbst zu spenden weisz, die aufrechterhaltung 
der diseipüii maobt dem lebrer, der ist, wie er sein soll, keine Schwie- 
rigkeit, die aufmerksamkeit ist leicht rege zu machen und lebendig 
zu erkalten, wenn man es eben versteht, sich in die kinderseele zu 
versetzen, doob die liebe zum lehrer ist daselbst die banptsache. aus 
ihr zunttchst erwächst der erfolg im Unterricht, schon um des lehrers 
willen wird so manches unterlassen, wozu die gtthrende jngend 
drängt, und was das glück des lehrers ausmacht, was ihn mit neuer 
t arbeitslust erfüllt: die fort^ehritte seiner schüler: sie sind bei den 
meisten sichtbar, besonders aber^ wenn ein tUchtiger mann einen 
neuen gegenständ zuerst zu behandeln hat. 

Oben sieht es doch ganz anders aus, aus dem leicht lenkbaren 
kinde ist ein jüngling geworden, der, besonders in die prima ver- 
setzt, ein ziemlich stark ausgeprägtes Selbstgefühl in sich trägt, das 
eitern und bekannte vielfach noch steigern, es entwickelt sich all- 
mählich ein gewisser chorgeist, der durchaus nicht in erster linie 
auf das gute gerichtet ist, oft genug dagegen als geschlossene plialans 
gegen einen nicht gerade beliebten lehrer lobgeht. auch tritt dor 
ehrbegriff nicht selten iu falsche bahnen, der früher noch geduldig 
hmgeuonamene tadel wird bezüglich seiner berechtigung in sub- 
jectiver auffosBung geprüft und oft genug als unberechtigt erachtet, 
gute kameraden teilen die aasiobt des betreffenden und ab und zu 
macht sich ein gerttusch bemerkbar, das einer demonstration im 
kleinen nicht ganz unttbnlicb siebt, glfleklidierweise verbindert die 
furcht vor den naohwirkungen grössere ezoesse. ist der lebrer 
schwach, so wird er in den obem classen noch eher ein spi^ball 
seiner scbtller als in den untern; hier kann schlieszlich noch der 
stock die autoritttt anfreoht erhalten , dort ist dieses mittel unan- 
wendbar. 

Wenn ich auch der ansieht bin, dasz in erster linie die Persön- 
lichkeit des lehrers selbst seine autorität und die disciplin aufrecht 
zu erhalten habe und auch im ganzen könne, so musz ich anderseits' 
auch einräumen, dasz Mle eintreten können , wo er des beistandes 
seines directors nicht entbehren kann, er allein also nicht imstande 
ist, seine autorität zu wahren; steht er doch als einheit einer menge 
von Schülern gegenüber, die nur zu geneigt sind, sich gegen den 
lehrer zu erklären, es gehört nicht nur ein taktvolles benehmen 
zum lebrer, der in den obern classen unterrichtet, sondern auch die 
nötige energie, die auf dem besteht, was sie für recht und billig hfi!t. 
wird doch zuweilen ein wort der rüge nicht ohne weiteres ruhig hin- 
genomraüD, höchstens von dem lehrer, von dessen Unparteilichkeit 
und regem eifer für sein fach man sich überzeugt hat« 

M. jalurb. f. phil. u. päd. U. abU IfidO hfi, 4 u. 5. 15 



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226 



Aus dem leben und der präzis. 



Wie oft wird aber ein wort der rüge selbst in den obersten 
olassen nOtig 1 denn die primaner bentigen datnms glauben die be- 
recbtigung zu baben, in den stunden sich mit ibren nachbam ge* 
legentlich zu nnterbolten oder sieb mit einem fremden gegenstände 
an beschäftigen, nicbt minder den nnterricbt durcb das binansgeben 
IQ stOren. appelliert man selbst bei classenaafsfttsen an das ebr- 
gefllbl, die festgesetste zeit ebne nnterbreebnng zn arbeiten^ so kann 
maus doob erleben | dasz sieb mebrere die erlanbnis erbitten hinaus- 
zugehen, ob ein wirkliches bedflrfßis vorliegt, läszt sich nicht ent- 
scheiden, naofa eigner erfahrang m<Sobte ich dies oft sehr bezweifeln, 
doch wozu noch anderes anfObren« was sich im -scbnlleben in dis- 
eiplinarischer beziehung oben ereignen kann ! 

Und die frftcbte des nnterricbts in den obem dassen? sie sind 
gering! zuweilen musz man sich im stillen sagen, dasz man in man- « 
eher stunde eigentlich allein der ordentlich vorbereitete gewesen« 
selbst die aufmerksamkeit ist nicht so, wie mm sie erwarten müste. 
die Horaz-, Jlomer- und Sophoklesstunden z. b. werden ja, sobald 
der lehrer selbst der begeisteruDp; fähig ist, die aufmerksam keit der 
classe zu erregen vormügen, doch in den stunden, die die volle 
thätigkeit des Verstandes in anspruch nehmen, sieht man so manchen, 
um mich so auszudrücken, ausspannen und von langer weile er- 
griffen, weil er dem Unterricht nichL folgen will oder kann, entweder 
ist er bereits abgehetzt, weil er seinen geistigen fähigkeiten nach 
gar nicbt für die obern classen geeignet ist und nur durch die eitel- 
keit der eitern und die aussieht, auf diesem wege einmal zu amt und 
würden zu kommen, bestimmt die schule ganz zu durchlaufen sucht, 
oder die extravaganzen des vorhergehenden abends machen sich am 
nttcbsten tage geltend, dasz manchem aucb bereits gescblecbtlicbe 
Terimmgen die geistea- und willenskrKfte iSbmen, darf man wobl 
mit sieherbeit annehmen, wenigstens möchte ich die fehle gesiohts- 
farbe manches scbfilers; dessen lebensweise mir nicbt unbekannt ist, 
auch zum teil darauf zurückfahren. 

So bietet also aucb der unterriebt in den obem classen der 
dornen genug, so dasz wobl mancher, falls er ehrlich seine ansiebt 
Suszern wollte, nicht ungern wieder nach unten stiege. 

Doch musz man allzeit beherzigen , dasz nur das wenigste aus 
boshafter absieht von den scholem getban wird« es ist eben die 
jugend, die da überschäumt, ehe sie sich klärt, mancher sucht sein 
bestes zu thun, ohne jedoch den gewünschten erfolg zu erreichen, 
suchen wir auch aus solchen brauchbare menschen zu bilden, das 
spätere leben wird sie ja an die stelle bringen, wohin sie gehören, 
auch das kleinste arbeitsfeld mit treuem fleisz bestellt, ehrt den 
menschen, wir lehrer also mugen nie vergessen, dasz wir es mit 
werdenden männern zu thiin haben, mit der jugend, die, wie drauszcn 
der bäum beschnitten, gestützt, gerade gebeugt werden musz, ehe 
er durch w^nd und wetter gekräftigt, frucht bringt zu seiner zeit, 
wer als lehrer diesen gedanken nicht festhält, wird der unglück- 



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Aus dem leben und der praxie 



227 



seligste mensch , während dem rechten lehrer reicher lohn auch im 
jeuaeits yerheiBzen ist. 

Wer ausserdem noch immer andere stände mit ihrem einkom"> 
men ond ftnsseni efaren and vielleicht gerlDgern arbeitslasten zur 
vergleichnng mit dem seinigen hmnsieht, der mnsz mttrriseh wer* 
deo; dem wird die frendigkeit des wirkens geraubt, ohne die sich er- 
folge nnr schwer erzielen lassen* 

Mag ein soldier vergleich an sich berechtigt sein, so darf er 
doch niät zur berschenden Vorstellung werden, wie soll man mit 
last an die arbeit gehen, wenn der neid im herzen wohnt? frisch 
ond freudig musz der geist des Schulmannes sein, will er seine 
pflichten an der jugend erfüllen. 

Ist das einkommen klein und ein schnelles aufrücken in höhere 
gehillter nicht möglich, so entschädigt meist die zukunft für das, 
was die gegenwart versagte, der stille, freudige arbeiter bleibt 
nicht verborgen, und föUt ihm äuszerlicher lohn auch nicht so reich- 
lich zu, wie vielleicht manch anderm, so hat er doch den höhem 
lohn voraus. 

Wün. cht nun der eine erhöhung seines einkommens, der andere 
titel und erden , der dritte berabminderung seiner arbeitBlasfc , ein 
vierter woTnöglich alles vereint, so dürfte auch ich meiDt wünsuho 
äüszeru können, die augenbiicklich mir am nächsten liegen, sie sind 
gerichtet auf die erteilung der bereehtigung zum einjährigen dienste 
im beere, auf die trennung der priiua in zwei besondere jahrescurse 
und auf die nur einmalige abiiaitung des abiturientenexamens im 
jähre. 

Wünschü kann ja freilich jeder hegen; ob sie erfüllt werden, 
hängt von andern ab ; jedenfalls müssen sie begründet werden können, 
soll ihnen nicht jede hoffnung aaf erfüllung von vorn herein ge- 
nommen sein. 

Der Unterricht in der untersecunda kann nach meiaai erfah- 
rangen nicht als der für die lehrer erfirenliehste betrachtet werden« 
ein grosserer teil der schttler besucht eben diese classe nur in der 
absieht, am ende des Schuljahres das berecfatigungszeugnis zum ein- 
jBbrigeii dienst zu erhalten, von wissenschaftlidien interessen ist 
nnr bei recht wenigen die rede; die gedanken der meisten schweifen 
ISngst jenseits der grenzpfUüe der schule umher, hinsichtlioh des 
fleiszes ist es nicht besser als wie um die aufmerksamkeit bestellt, 
es erbt sich aber durch lange beobachtung erprobt gleichsam die 
tradition fort, dasz die lehrer meist sehr milde urteilen, sobald man 
die absieht ausspricht ins praktische leben überzugehen , wozu eben 
das berechtigungsseugnis — wofOr mir der kürze wegen fortab 'das 
einjährige' zu sagen gestattet sein möge — die brücke schlagen soll. 

Sie irren sich im ganzen wohl nicht, einpauken läszt sich eben 
nicht alles, und versagt man einem und dem andern wirklich das 
einjährige, so sitzt er schlic97.1ieh so lange, bis er sich dasselbe that- 
^hlkh ersessen hat. viel mehr hat er nicht gelernt, wohl aber die 

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228 



Ans dem leben und der praxis. 



fortscbritic derer gehommt, die die acliule zu durchlaufou streben, 
ist so mancher schüler schon in den untern classen als ballast zu be- 
trachten , so sind es diese sobüler für die untersecunda im höchsten 
masze. denn soll d«r Unterricht eben alle schfller gleietunliezig be- 
rtteksiolitigen , so musz each diesen die nötige sorg&lt geschenkt 
werdm, wenn sie auch nicht gerade aufs bereitwilligste den absichten 
des lehrers entgegenkommen. 

Die gesetKliehen Torsehriften sind zwar vorhanden , dwk sie 
sind dehnbar, denn was will das bedeuten, der schlller musz an dem 
unterrichte der untersecunda ein jähr mit erfolg teilgenommen haben, 
wenn man damit nicht durchweg die Tersetcnngsreife für die ober- 
secunda yerknttpft. oder sollte es etwa su den Unmöglichkeiten ge- 
hören , dasz man einem untersecundaner zwar das einjährige erteilt, 
sich aber wohl hütet, ihm zugleich ein zum besuch der obersecnnda 
auf einer andern anstalt berechtigendes zeugnis auszustellen ? psycho- 
logisch ist dies wohl denkbar, wo das ius und die aequitas in col- 
lision geraten, neigt wohl der lebrer am meisten zur letztem, be- 
sonders wenn die persönlichen Verhältnisse des betreffenden schülers 
zur milde gleichsam drängen, auch ist es ganz erklärlich, dasz der 
lehrer zuweilen froh ist, abgestandene gesellen endlich los zu werden 
und mit einem gott sei dank, dasz diese eudiich gehen, die aequitas 
berscben läszt, wo das ius sein veto einlegen müste. 

So ist beiden geholfen; jene aber brtlsten sich wohl noch damit, 
dasz sie das einjährige erhalten, ohne sieb besondere angestrengt zu 
haben, nachahmer finden bie gewis. den schaden aber tragen die 
übrigen schüler, weil die stumpfe masse den Standpunkt der classe 
merklieb herabdrückt, auch wirkt das häufige fehlen gerade dieser 
schüler nicht ganz vorteilhaft auf manchen an lütu ein; dasz aber 
besonders in der uutersecuuda rtjciil viel gefelilL wird, ja man kann 
wohl besser den üblichen terminus 'geschwänzt' anwenden, habe ich 
durch eine ganze reihe von jähren zur genüge beobachtet. 

Diesen Übelständen kann nach meiner meinung einzig und allein 
durch eine ÜBrmliche entiassungsprüfung, die schriftlich und mflnd- 
lich in allen obligatorischen lehrittchem stettfinden mflste und swar 
womöglich unter dem Torsitse eines königlichen commissariuB, ab- 
geholfen werden« von diesem augenblicke an wfirde der eifer gerade 
dieser classe wesentlich gesteigert werden und der Unterricht bessere 
erfolge aufweisen, wer da behauptet, eine solche prttfimg sei ganz 
Oberfltlssig, da ja die fachlehrer sich bereite ihr urteil gebildet und 
die classenarbeiten zur controle fftr den berechtigten vorlägen , den 
bitte ich^ sich an das zu erinnern, was ich bezüglich der aequitas 
gesagt; auch möge er bedenken, dasz gerade an den tagen, wo classen- 
arbeiten geschrieben werden , so mancher fehlt nnd dasz denn doch 
ein gewaltiger unterschied zwischen classen- nnd Prüfungsarbeiten 
besteht, und die mündliche prÜfung gibt gewis ein klareres büd von 
dem wissen der zu prüfenden als der classenunterricbt, wo man sich 
jetzt naturgemfisz lieber mit denen befaszt, welche die anstelt zu 



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Aot dem leben ond der praads. 



229 



dorcUanleB trachten, als mit denen, deren ganzer sebnlzweck nur 

die erlanguDg des einjährigen ist. 

So würde tbatsächlich die übliche redensart *8ich das einjährige 
ersitzen' aus der weit geschafft und die berechtigung zum einjährigen 
dienste der lohn für den eifer und fleisz während der ganzen Schul- 
zeit und nicht nur ein Vorrecht der schüler, deren eitern es ermög- 
lichen können, ihre kinder so lange auf der schule zulassen, bis 
diese ihren zweck erreicht haben, auch dtirfte der moralische ein- 
flusz, den eine reguläre entlassungsprüfung auf diese schüler aus- 
übte, nicht ganz p-ering geschätzt werden, während sie jetzt mit 
emer nicht ohne gutes recht yer&chneenen halbbildung ohne sang 
und klang die schule verlassen. 

Dies mein wünsch bezüglich des einjährigen; mein zweiter be- 
zieht sich auf die teilung der prima in zwei gesonderte jahre.scurse 
und auf die nur einmalige ubhrdtung des abiturientenexamens an an- 
staltcn geringem umfangü und mit jalirescurijen. denn nach meinei' 
ansieht ist bei jahrescursen jedes michaelisexamen eigentlich nur für 
die bestimmt, die ihre Schuldigkeit nicht voll und ganz gethan haben, 
recht selten Bind ja anm glück die flüle, wo strelMnune schüler dnrch 
längere kvankheit in ihren fortsehritten gehemmt werden, wer aber 
nach prinM Tersetst worden ist, von dem mfiste man aneh mlangen, 
. dam er bei swe^fthrigem dassendta in der prima rechtseitlg das- 
examen mit erfolg bestehe, kann ers nicht, weil er es eben an dam 
dasn nOÜgen hat fehlen lassen, so mag er mcht mit einem halben, 
sondern mit einem gansen jähre dalQr bttssen. 

Wird non an mittelanstalten nnd an kleinen bei jahresonrsen 
doch 80 hftnfig ein sweites examen zn miohaelis nötig, so hängt dies 
nach meiner- memnng in erster linie mit der combinaüon der beiden 
primen zusammen. 

Es liegt in der natur der sache, dasz man sich am meisten mit 
denen beschäfligt, die zunächst das examen ablegen wollen, die an* 
dem also zwar nicht vernachlässigt, aber dochmicht so vornehmen 
kann, als es nötig ist. dies merkt der Unterprimaner sehr wohl nnd 
glaubt nun in seiner arbeit nachlassen zu dürfen. 

Auch bestärkt die schüler in ihrem fleiszo gewis nicht die aus- 
sieht, daez sie ja noch bei ablauf des dritten Semesters in die Ober- 
prima versetzt werden und am ende des vierten das abiturienten- 
examen machen können, anders verhielte sich die Sache gewis, wenn 
beide primen gesondert unterrichtet würden, wobei also für mangel- 
haften fleisz ein ganzes jahr die strafe wäre, man setze aber ja nicht 
eine solche willeubkrait bei allen primanern voraus, dasz sie, auch 
wenn sie nur seltener darankommen — und bei starken combinierten 
primen ist dies sicher der fall — unentwegt all ihre kräfte aufbieten, 
um ihr ziel zu erreichen. 

Auf den mittlem und unteni stufen ist es geradezu unerläbz- * 
lieh, selbst in starken classen, in lebendiger umfrage möglichst viele 
schüler, wenn auch manchen nur bei geringfügigen dingen, in den 



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230 



Aue dem leben Ttnd der praxifl. 



standen zar antwort anfsurafen, oben stehts doch wobl etwas anders, 
hier musz man den schfllem gelegenbeit geben , sich ansführlicher 
Uber die yorliegende stelle anszusprechen, ihnen zeit lassen, ihre 
meinnng zn begründen, um ihre geistige reife und iktea fleiss 
genauer zu controlieren. mit einzelfnigen ist daselbst nicht alles 
gethan, diese wird man zur ergSnzong nnd berichtignng des vom 
anfgerofenen ge&oszerten an dessen mitschüler, nm die ganze classe 
znr mitarbeit zn zwingen, richten; bauptperson bleibt jedoch wohl 
jener in einem gröszern teile der stunde. 

So dürfte also bei einer combinierten starken prima, zumal 
wenn das qnartal ein kurzes ist , ein jeder nicht allzu häufig dran- 
genommen werden können ; wSren die primen aber geteilt, so würde 
dies ein leichtes sein, beide coeten würden gewis mehr leisten, als 
es jetzt der fall ist; in jedem falle fiele das ausruhen der nach prima 
versetzten, was man recht häutig bemerken kann, weg und das dres- 
sieren der abiturienten vor dem examen würde überflüssig., denn 
das examen ist nach meiner ansieht wenigstens nicht dazu da, in 
erster linie ein gewibseö quantum positiver Kenntnisse, das vom 
fleiszigeu techüler, selbst wenn er beachraakteD geisles ist, recht 
wobl erreicht werden kann, aufzuweisen, sondern der schüler soll 
in erster linie zeigen, dasz die geistige ausbildung wälnend seiner 
ganzen Schulzeit zu einer reife geführt hat, von der man annehmen . 
kann, dasz sie verbunden mit den positiven kenntnissen einu solide 
grundlage bilden werde für die liun folgendon ötudien. 

Von diesem resultate kann sich der prtifungscommissar sehr 
leicht durch selbst gestellte fragen überzeugen, er ist ja erfahren 
genug, um bei noch mangelhaften antworten nnter berOeksichtigung 
der augenblicklichen läge der abiturienten das gute daran su er- 
kennen, und milde genag dem einigermassen guten die reife nicht 
zu versagen. 

Gans besonders aber geeignet, die geistige reife der abiturienten 
zu ermitteln, erscheint mir neben der religion die geschichte. diese 
beiden gegenstAnde kennen in erster linie bekunden, ob die sehttler 
mit Ycrstaad und gemllt dem unterrichte gefolgt, beides gehörig 
ausgebildet und veredelt haben* besteht die prüfung aber in diesen 
gegenständen nur in einem abfragen mechanisch eingelernter thai» 
Sachen, so dflrfte doch so manches am unterrichte selbst nicht so 
sein, als es sein sollte. 

Positives wissen ist ja an sich recht anerkennenswert, doch von 
geringem bestände, um so eher verflogen, je schwächer das gedfioht- 
nis ist und je weniger zeit man gebraucht, sich jenes einzupauken, 
die klare erkenntnis des causalen Zusammenhanges der weltgeschicht- 
lichen ereignisse aber und das Verständnis der glaubensdogmen und 
die gemütstiefe auffassung der biblischen lehren : dies bildet in erster 
*• linie den compass , nach dem sich richtend der ms leben hinaus- 
tretende jOnglinfT sich nnfrefährdet hindurchwinden wird durch die 
klippen und stürme der zeitverhältnisse. 



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Aas dem leben und der prasia. 



231 



Die antiken sprachen, die in erster linie den Terstand nnd die 
Urteilskraft so weit sckalen sollen, dass es dem sobfller erleichtert 
werde^ sich auch in allen andern fftchem ein klares urteil sn bilden, 
kOnn^ beim mflndlichen examen meist nnr em gewisses quantnm 
von spraohkenntnissen belßgen, wenn auch Ycrstandesfingen nicht 
jians ausgeschlossen bleiben. 

Doch ich schwelle sn weit ab von der weitem begrilndung meine« 
Wunsches. 

Die combination beider primen also hat nach meiner meinung 

viele Schattenseiten, nnd die zweimalige prüfung bei jabrescnrsen 
stört den gleichmSszigen betrieb des scbulunterrichts überhaupt, die 
melirzalil der scbüler erfährt vieles mehr stückweise als in gehöriger 
Ordnung und kann dasselbe nicht gehörig zum daoernrlen besitz ver- 
arbeiten, auch der lebrer selbst kommt nie zur ruhe; denn kaum ist 
das eine examen abgehalten, so musz er schon wieder das nächste 
ins nugo fassen, selbstverständlich in erster linie auf die künftigen 
abiturienien bedacht, auch dürfte die frage nicht ganz überflüssig 
sein, ob denn nur wenige abiturienten, zumal sie ja ihre Schuldig- 
keit nicht getban, berechtigt sind, den ganzen prüfungsapparat in 
bewegung zu setzen, wird diese frage verneint, so erwächst für die 
zur prütungscommission gebörii^cn lebrer geradezu die pflicbt, un- 
Züitgumäsze uxaiuiua zu veriiiiiduru. doch da spricht wieder die milde 
ihr mächtiges wort, und was man der theorie nach für richtig hält, 
läszt man aus bumanitätsrücksichten in der praxis ungeschehen. 

Sollte m^n zweiter wünsch : die trennung der prima in zwei 
besondere ooeten, in erfttUong geben , so mOste allerdings der an* 
atalteetat bedeatend erhöht werden, was nicht sa erlM>fiiHL is^ so lange 
eben noch widitigere bedttrfnisse za befriedigen sind, dodi dttrfte 
es nicht ganz libarfitlSBig sein, den hier erörterten fragen näher zn: 
treten. 

Sollte dieser aofsats, der aus liebe zum fach entsprungen ist| 
hierzu anregen ^ so ist dessen zweck vollauf erfüllt. 

EsMPBN iK PoanN. Paul Mahn. 



22. 

DIE ALTBN SPRACHEN IK DER PÄDAGOGIK HERBABTS. 

Die Yorliegende arbeit will nicht mehr bieten als eine Zusammen- 
stellung der ansiebten Herbarts über den altsprachlichen Unterricht; 

es ist mir dabei weit mehr auf eine möglichst vollständige, über- 
sichtliche und klare darlegung dieser ansiebten, als auf eine ein- 
gebende beurteiiung derselben angekommen, sollte es mir gelungen 
sein , die in solcher weise begrenzte aufgäbe zur Zufriedenheit zu 
l()öen, 80 wird diese kleine studie vielleicht manchem, der nn päda- 
gogischen fragen auteil nimmt, nicht unwillkommen sein, denn ein- 
mal steht die frage selbst, über welche wir das urteil des groszen 



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232 



Die alten epraelien in der pädagogik Herbavts. 



denken hSren w<^eii, beute mehr als sonst im mittelpunkte des 
pidagogi sehen interesses, und dann hat ja gerade auch die gymnasial- 
pidagogik unserer zeit damit begonnen ^ die ideen des pSdagogen 
fierlwrt fttr die metbodtk des unterriohts auf den gymnasien su ver- 
werten, wenn erst diese letstem bestrehungen in immer weitem 
kreisen der gymnasialpttdagogen bekannt werden, so wird sich wohl 
auch eine grOssere anzabl von angehenden gymnasialiehrem veran- 
laszi sehen den pädagogischen Schriften Herbarts mehr aufmerksam- 
keit za widmen, ioh meine freilich, dasz jeder künftige lebrer, der zu- 
gleich auch ein erzieher sein will^ die haaptsäohlichsien pKdagogischen 
anschaunngen Herbarts kennen lernen sollte ; sei es auch nur, um zu er^ 
fahren, mit welch heiligem ernste dieser mann den beruf des erziehen- 
den lebrers aiifgefaszt hat. um diesen ernst pfanz anf sich wirken zu 
lassen, wie er sich in den schönsten und oft von einem i'euer echter he- 
geistenmg durchdrungenen Worten kund gibt, musz man freilich zur 
quelle steigen, die pad;if^ogischen schriffen Herbarts selbst lesen, aber 
im alle^eraeinen i.st der kreis derer, weiche sieb während der univer- 
sitätszeit oder zu aufang ihrer lehrerlauf bahn mit Herbarts padagogik 
beschäftigen, noch ein sehr enger; und wir irren vielleicht nicht in 
der annähme, dasz eine grosze zahl der diesen stndien noch fern 
stehenden sich durch die überschätzte bedeutung zurückschrecken 
läszt, w^clche von gewisser seitö den Herbartschen lehren auch für 
den gymnasialunterricht beigelegt wird, oder auch durch die uner- 
freulichen Streitigkeiten, welche innerhalb der eignen schule des 
grossen pftdagogen ansgebrodien sind, beide er8ch<^ungen sind 
zwar bedauerlicfai aber wir seboi sie fast immer in der sntwicklungs- 
gesefaidite dar ideen eines balinbreebaiden geistes auftreten; am 
allerwenigsten darf man sie Herbart selbst zum yorwurf machen 
wollen und sich darum von ihm abwenden, noch ehe man ihn kennt. 

Oberhaupt kQnnen wir gerade bei Herhart, wenn wir den er« 
folg seiner neuen ideen bei ihrem bekanntwerden mit den bedeuten- 
den nachwirkungen yergleichen , die sie in unsem tagen ausüben^ 
dieselbe beobachtung machen, welche sich uns in der geschichte jeder 
Wissenschaft und kunst so oft aufdrttngt: dasz nemlich die bahn- 
brechenden ideen eines groszen mannes zunächst eine noch nicht 
genügend zugerüstete menschheit vorfinden , dasz sie nur von weni- 
gen einsichtigen beachtet und in ihrer ganzen bedeutung erkannt 
werden, bis sich im laufe der zeit das Verständnis für dieselben 
immer weiter ausdehnt, und sich ganze schulen bilden, welche des 
meisters ideen in fruchtbringender weise verarbeiten, bisweilen frei- 
lich Liuch durch die einseitige art ihrer behandiung fast verkümmern 
lassen, wenn Eberh. Gottl. Grafp im jähre 1817 — also 11 jähre 
nach dem erscheinen der 'allgemeinen pädagogik' Herbarts — in 
seiner schrift 'die für die eiuführung eines erziehenden Unterrichts 
notwendige Umwandlung der schulen' usw. von Herbart als einem 
manne sprach , der erst nach Jahrhunderten ganz gewürdigt werden 
würde, so hatte er gewis insofern recht, als die Herbartschen ideen 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 



233 



in jener zeit noch nicht genügend beachtet wurden; getäuscht hat 
er sich aber in seiner seitbeeänmung. denn es ist thatsache, dasz 
Boeh dasselbe Jabrhnndert» in welches Herbarts wirken fiel, nemlich 
das unsere, den Herbartscben Ideen die vollste anerkennang gezollt 
bat; Ja nocb mehr: wir dürfen wob! mit recbt bebanpten, dasz man 
Büsserbalb des kreises der strengsten Herbartianer und derer, die 
nnr ans nnkenntnis Aber Herbart von vom berein absprecdiend ur- 
teilen, an einer objeetiven wertsebitzmtg seiner anscbannngeii 
gelangt ist. man bat bereits die einseitigkeiten, die flbertreibnngen 
in seinen pSdagogisoben ansichten von den groszen^ unvergKnglichen 
ideen zu sondern gewnst. und der letztern bleiben wahrlicb eine 
menge übrig ; genug, um jedem angehenden lebrer, sofern er es nnr 
ernst mit seinem berufe meint, eine fülle von anregnng und reicben 
Stoff zum nachdenken darzubieten, schon diese aussiebt allein musz 
meines erachtens zum studium der Herbartschen pädagogik einladen. 

Jeder fachlehrer wird natürlich die pädagogischen werke Her- 
bai ts mit einem besondern nebenintercssc lesen; so richtet der das- 
sische philologe seine aufmerksamkcit vor allem auf die finsichten, 
die Herbart über die alten sprachen äuszert. im folgenden werde 
ich nun YL'isuchen ein biid von denselben 7m entwerfen, indem ich 
die aussprüche Herbarts, welche für seine aiiöchanung auf diesem 
gebiete wesentlich sind, zusammensteile, möchte es mir gelungen 
sein dieses bild freizuhalten von aller einsei tigkeit, welche natürlich 
entsteht, sowie man auf bestimmte aussprüche widerrechtlich ein 
groszes gewicht legt. * wo immer es angieng, habe ich Herbart selbst 
reden und zwar ausreden lassen, ohne mich mit dem bloszen hin- 
weise auf die betreffenden stellen seiner werke zu begnügen, der 
strengem disposition sn liebe mästen mandie snsammenbängende 
aassprllohe von «nander getrennt werd«i; da leb mir mcht ver* 
beblte, dasz ein solobes verfabren stets seine bedenklidien seiten 
bat, so babe ich mieh jedesmal geprttft, ob ieb dnreb diese trennung 
dem sinne der betreffenden stelle niebt gewalt antbftte* dasz die 
grammatikalisdie fsssong einzelner aussprflcbe bisweilen eine gering« 
Ittgige Badernng erfabren mnsie^ damit diese sieh besser in den zu* 
sammenbang meiner werte einigen, ist natllrlidi. 

Ausgangspunkt und hauptstudium waren ftr mich selbstrer« 
sttndlich die pSdagogiseben Schriften Herbarts, von der litteratar 
Uber ihn babe ich nur einen kleinen teil benutzt in der er wägung, 
dasz, wenn einmal die kreise weiter gezogen würden, so bald kein 
ende zu finden gewesen wäre, die stellen, wo ich mich mit den an- 
sichten von andern , Herbartianern und nicht-Herbartianern , ver« 
traut gemacht habe, sollen jedesmal durch die betreffenden hinweise 
bezeichnet werden, für die pädagogischen Schriften Herbarts habe 
ich die vortreffliche ausgäbe von Otto WiUmann benutzt Voh.Fr. 

* dieser Vorwurf der einseiti^keit ist meiner ansieht naeh z. b» 

PsalsenB artikel über Herbart 'Herbart und der gesxinde menschcn- 
verstand' (gesch. d. gelehrt, anterr* 8. 662 ff.) nicht zu ersparen. 



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234 



Die alten Bpzacben in der pftdagogik Herbarte. 



Herbarts pSdagogiBohe scbriften in chronologischer xeihenfolge her- 
ausgegeben', 2 binde, Leipzig 1873/75, nach welcher ich aach 
citieren werde, seinen anmerkimgen mit erklärungen und hinweisen 
auf parallelstellen habe ich manches zu danken , ebenso dem enge* 
fugten 'comparativen register', an welchem ich meine zusammen* 
Stellungen geprüft habe, ob sie nicht etwa wesentliche ausspräche 
Herbarts übergangen hätten, von ihm auszugehen, wäre natürlich 
ganz verkehrt gewesen , da für unsern besondern zweck weder die 
anzahl der stellen, noch die gesichtspnrikte, unter denen sie in dem- 
selben gesammelt sind, ausreichen, die gesichtspunkte musteu not- 
wendig vermehrt werden, wenn das zu entwerfende bild anschaulich 
und vollständig werden sollte. 

Ich kann diese bemeikungen nicht schiieszen, ohne meinem 
hochverehrten pädagogischen lehrer hrn. rector prof. dr. Richter in 
Leipzig den aufrichtigsten dank dafür auszusprechen, dasz er mich 
gerade auf dieses Herbartthema hingeleitet hat 

L 

Ehe ich auf die frage nach der Stellung der alten sprachen in 
der Pädagogik Herbarts eingehe , scheint es mir notwendig zu sein, 
einige hauptbegriife dieser letztem mit hilfo der bekannten oad so 
Yiel gebrauchten Schlagwörter, welche in seinem sjstem die festeste 
prägung erhalten haben, in knapper form zu behandeln, diese unsere 
erörterungen werden sich allmählich von selbst erweitern und uns 
80 kaum merklich auf den eigentlich«a gegenständ unserer betiaoh* 
tung hmftihren. 

Der zweck der endehung ist fttr Herbart nicht «n Tid&dier, 
sondern ein einheitlicher*, er beruht in der bildung zur tugend, zur 
Sittlichkeit, 'da nun die Sittlichkeit einzig und allein indem 
eignen wollen nach richtiger einsiebt ihren sitz hat, so 
Tersteht sich zuvörderst von selbst, die sittliche erziehung habe nicht 
etwa eine gewisse äuszerlichkeit der bandlungeiii sondern die ein- 
sieht samt dem ihr angemessenen wollen im gemtite des z6glings 
hervorzubringen'^ (I 366). — Dieses der einsieht entsprechende 
wollen aber hat sich aus dem gedankenkreise zu erheben, wel- 
chen die erziehung eben zu diesem zwecke zu bestirainen hat. und 
die bestinunung des gedaukenkreises wird erreicht durch die weokung 



* der abschnitt der 'allgemeinen pädapfofyik', welcher der frage ge- 
widmet ist, ob der zweck der erziehung einfach oder vielfach ist 
(buch II, cap. I und II), hat zu dem miBverständniBse Veranlassung 

gegeben, dasz H. eine mehrheit von erziehungszwecken annähme, so 
fagzt z. b. Moller flenselben in seiner kritik des Herb. Systems (Schmids 
eacjciop. III' 381) auf. es ist natürlich nicht dieses orts an f diese frage 
näher einzugehen, ich verweise nur iu kürze auf Willmanns darstel' 
lung I 3S1 ff. und 866 anm. 83, welche, wie ich gimube, durchaus cn 
recht bestehen kann. 

' vfrl. nnch Willmann I 326 (auszn«? ans der schrift H.s 'über meinen 
bLreit mit der m udepiiilo Sophie') , II öl2 und viele andere stellen. 



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Die alten spradien io der pftdagogik Herbarte. 



235 



des vielseitigen und gleiehsobwebendeii interesses; diese 
ist die eigentliebe aufgäbe des imterriöhts. das vielseitige, gleiob- 
sefawebende interesse umscblieszt die erkenntnis und die teil« 
nabme; danach gliedert es sich in die bekannten sechs arten des 
interesses: empirisobes, speculatives , ästhetisches (erkenntnis) und 
sympatbetisebes , sociales, religiöses (teilnähme). 

Znr erkenntnis gelangen wir durch erfahrung, zur teilnähme 
durch Umgang, beide jedoch würden bei jedem menschen sebr 
mangelhaft sein , wenn nicht der Unterricht ergänzend einträte. 

Nach den beiden hanptgebieteri , auf welche sich das interesse 
bezieht, scheidet sich nun auch die stolFinasse, welche dem imter- 
richte zur grundlage dient , in zwei baup trieb tungen, nemlich in die 
historische und die naturwissenschaftliche richtung. über 
die^ü zwei ^bauptfäden' des Unterrichts müssen wir jetzt eingehender 
handeln. 

Erst allmählich hat sich bei Her hart die fassung herausgebildet, 
wie ich sie eben angegeben habe, dasz im unterrichte die historische 
und naturwissenschaftliche richtung zu scheiden sei. es ist nicht 
ohne interesse die entwicklung dieser iasaung in deu pädagügischen 
tschniten Herbarts zu verfolgen; wir werden dabei sehen, wie die 
anfangs verschwommenen bezeichnungen mit der zeit sich abklären, 
wie die zuerst teils unbestimmt, teils an eng umgrenzten begriffe 
«UmShlieh eine feste und wesentLieh erweiterte bedentung erhalten.^ 

Schon in dem einen berichte an brn. v* Steiger^ — ee ist der 
vierte der uns erhaltenen ^ finden wir die Zweiteilung des unter- 
liebtsstoffes (I 54 f.). Herbart denkt sieb den ganzen nnterricht an 
zwei neben einander fortlaufende bauptiftden geknüpft; der eme ist 
für den vorstand, der andere für die empfindnng und die einbildungs* 
kraft den verstand llben schwere anstrengnngen; fttr ibn gehOrt 
die mathematik und die durch sie zum grossen teil vorbmitete 
pbysik, von welcher ans man in die übrigen naturwissensehaften 
nach willkOr fertsdireiten kann, das wird am besten durch all- 
mfthliohes umherleiten in allerlei empfindungen und durch eine «an- 
&ng8 dem kindesalter angemessene, mit den jähren immer mehr be- 
richtigte Sittenlehre gebildet. — 'Um den weg der ebarakterbildung 
zu finden, was kennen wir besseres tbnn, als den spuren der mora- 

* dieselbe beobaehtnofi; ISsst sieb aacfa in beeng auf anden päda- 
cogisehe begriSTe H.s anatellen. schon in den f^heaten zeagnieeen für 

die anschn.uTing'en des groszen pädagogen, in seinen briefen nnä be- 
richten, treten bald mehr, bald weniger klar einzelne von den begritFen 
auf, welche wir dann in der allg. p>dag. zu festen säulen des äjstems 
aasgebildet wieder finden, in besag auf den begriff dea intereBBea bat 
Willmann I 395 anm. 46 eine derartige antersuchang angestellt, welche 
sieb an einer atelle (a. S97 ietster absats) aaeh mit der unarigen kors 
berührt. • 

* H. war Tom sommer 1797 bis anfang 1800 ersieher der drei sShne 
des Berner patriciera Staiger von Reggiabwg (Willm. I 3). von seiner 
tbätif^keit erstattete er dem yater öftere anafiibrliche schriftliche be- 
richte {l 11 ff.). 



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236 



Die alten epracbeii io der pädagogik Herbarts. 



lischen bildong des menschengeseblecbts selbst nacbgeben?* d; b. all- 
mSblieb dem gange der weltgescbiobie folgen, maibemaiik nebet den 
natnrwissensobaften und gescbicbte sind also die beiden banptfSden. 

Etwas anders lautet die forderung in den *ideen su einem pSda- - 
gügi^cben lebrplan fiir bObere Stadien' 1801. bier werden als die 
beiden bSlften eines TollstSndigen nnterridits die alte litteratnr nnd 
die natorwissenscbaften bezeiget, sowie die manigfaltigen stndien, 
welebe die alte Utterator befasst, ein ganzes ansmaoben^ dessen 
mittel punkt das Interesse am menschen ist, so werden aacb die 
natnrkenntnisse unter sich in ein ftbnlicbes ganze geordnet werden 
müssen, das einer enoyclopädischen Vollständigkeit bedarf, um das 
interesse an der natur zu gründen, mit welchem weiter das interesse 
an der mathematik in enger Verbindung steht (I 81). Herbart Ter* 
spricht jedoch einen bestimmtem plan för diese Zweiteilung, — 
Unter den 12 thesen, mit welchen sich Herbart im oetober 1802 die 
venia legendi in Göttingen erwarb, findet ^icb anch eine, in welcher 
fttr die kindererzielmng das iKiupti^ewicht auf die poesie und mathe- 
matik gelegt wird, 'in liberorum educatione poeseos et matheseos 
maxirna Tis est' (I 228)/ — Griechische litteratur und mathematik 
"werdcD vorzüglich als die wichtigsten hilf^mitlel der erzlfdiung an- 
gesehen in der rede bei eröii'nung der vorlesucgen über püdagogik 
1802 (I 241). auch in dem ersten groszen pädagogischen werke 
Herbarts, welches die frucht seines nachdenkens und seiner erfah- 
rung auf diesem gebiete war, in der 'allgeniuinen pädagogik' usw. 
1806 iüi die Scheidung noch lauge nicht so reinlich vollzogen, wie 
später, zwei hauptfäden werden auch hier unterschieden, die vou 
einem extrem der erziebung zum andern laufen nnd nie aus der 
band gelegt werden sollen, 'gescbmaek und teilnabme erbeiscben 
das ebronologiscbe aufsteigen von den alten zu den neuem', also die 
classiscben Studien, 'speculation und empirie^ sofern sie Ton jener 
beleuchtet wird, erfordert vor allem ein durebgefttbrtes und Tiel- 
üsob angewandtes Studium der matbematik/ daneben Ittuft aber noeb 
ein% dritte reibe, 'als diese kann man eine folge Yon heterogenen 
Studien ansehen; unter welchen naturgeschicbte, geograpbie, bisto* 
riscbe erzttblungen, und Vorbereitung auf positivee recht und poKläk 
— die wichtigsten sein werden* (1 446 f.). — Ganz allgemein lautet 
endlich die forderung in den Vorlesungen über pädagogik 1807/8 
(I 549). 'kenntnis der natur und der menscbbeit', nur diese zwei 
bauptfkden sollen im unterrichte gesponnen werden. 

Zu einer zweiten gruppe möchte ich die äuszerungen Her- 
harts zusammenfassen, in denen die forderungen hinsichtlich des 
Unterrichtsstoffes bereits bestimmter, die beiden begriffe, welche die- 
selben bezeichnen, erweitert erscheinen, ^mathematik und alte spra- 
chen werden immer die beiden hauptstämme des Unterrichts bleiben 
müssen, an jene schlieszen sich groszenteils die naturwissenscbafteui 



vgl. dasn Wilimanus bemerkungen and Herbart I 341. 



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Die alten aprachen in der pftdagogik Herbarts. 237 



an diese gromnteils geaohiobte nnd die ganze gesclimaokabildnng 
an.' 80 spricht Herburt in den 'bemerkongen über einen pädagogi- 
scben anfeata' 1814 (1 26 ff.) seine meinung aas; nnd Willmann be- 
merkt mit reckt anm. 28 1 dass diese forderang nicht der ^tem 
entspricht , welche wir als die vollendete unten wiedergeben wer- 
den. — Im Fehrbach der pädagogik* 1816 (II 121) und in dem 
*p6dagogiscben gutaehten Uber scbulclassen und deren Umwandlung 
nach der idee des herrn regierungsrat Graff' 1818 (II 74) begegnen 
uns noch einmal die mathematik und die alten spradien als unter- 
richtsgegenstäude des gymnasiums.^ dagegen bezeichnet einen 
wesentlichen fortschritt nach der letzten, endgültigen fassung hin 
die 'kurze encyclopädie der philosophie' 1831, in welcher es heiszt 
(IT 471 f.): 'für den erziehenden Unterricht der frühern jugertd gibt 
es nur zwei bauptwissenschaften , geschichte und mathematik. der 
ge&cbichte gehört als hiifswissenschaft die gesamte philologie.' 

Die letzte und höchste entwicklungsstufe dieser forderung 
für den unterrichtsstotf tinden wir nun aber in dem ^imrisz päda- 
gogibcber Vorlesungen' und zwar in dessen zweiter ausgäbe 1841 
(II 622). 

•Zwei bauptrichtungen unterscheide man im Unterricht, die 
historische und die naturwissenschaftliche, zur ersten gehört nicht 
blosz geschichte, sondern auch spraclikunde, zur andern nicht hloai 
naturlebre, sondern auch malbematik.' 

Dasz diese beiden richtungen nun stets neben einander her- 
laufen müssen, wird von Herbart mehrfach betont, wie er sich ja 
überhaupt vorzugsweise mit der Verbindung der Studien be- 
sobllftigt. Menn was einzeln stehen bleibt^ hat wenig bedeutung* 
^1 532). ganz verkehrt ist die ansidit, *da8s die sogenannten 
hnmaniora den realien gegenttberstftnden und diese nicht neben sich 
leiden könnten ^ wfthrend die letztem mindestens eben so sehr zur 
Tollstftndigen bildung gehören als jene' (II 656). Venn diese stu- 

nur gehörig zusammenwirken , so leisten sie, in gemeinschaft 
mit dem religionsunterricht, sehr vieles, um dem jugenSichen geiste 
diejenigen richtungen zu geben, welche dem vielseitigen interesse 
angemessen sind, wollte man aber pbilologie und mathematik aus- 
einanderfallen lassen, die Verbindungsglieder wegnehmen, und einen 
jeden nach seiner verliebe die eine oder die andere wlüilen lassen, 
80 würden ein paar nackte einseitigkeiten herauskommen' (II 549). 
diese einseitigkeit der interessebildung wird in dem pädagogischen 
gutaehten näher beleuchtet (II 83), und gezeigt, wie lecttire classi- 
scher autoren, natnrgeschichte , erdbeschreibung, rechnungcn, au- 
schauungsübungen notwendig in einander greifen müssen, um die 



7 die torderuDg, dasz auf den gymnasien mathematik mit den alten 
«pracben gleichgestellt werden sollte, hatte Drobiseh in seiner Schrift 
'^Philologie und mathematik, als gegenstände des gymnasialunterrichts 
betrachtet* usw. energiach aufgestellt, welche Hrrbfirt in seinf^r kritik 
<Hall. allg. Utt.-ztg. 1832 nr. 161. WUlm. II 269 ff.j sehr warm empfiehlt. 



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238 Die alten ßpracheii in der pädagogik JJcriuaitti. 



verlangte Vielseitigkeit des interesses zu ermöglichen (vgl. auch 
noeh n 26: 'gänzliche anmOgliohkeit ist ee dnreh philologie das 
stndifim aller andern wissensehAften, besonders der mathematik und 
natnrwissensdialk, mit zu besorgen'). 

Die natnrwissenschaftlichen nnd historischen ftoher haben also, 
als die beidoi richtungen des nntemehtsi erfabrang und nmgang 
zu er^tnzen, erkenntnis und teilnähme in dem s0glinge anszubilden. 
die ergfinsungen der erfahmng aber bieten im wesentlichen die 
naturwissenschaften, welche wir für unsere weitere betrachtong aus 
dem auge lassen dürfen , die des Umgangs die historischen fftcher. 
und gerade darauf beruht das Übergewicht, welches den letztem in 
jedem unterrichte gebührt- ^scbon um dem egoismus entgegenzu- 
wirken, mflssen menschliche Verhältnisse den hauptgegenstand des 
gesamten Unterrichts in jeder, schule» welche die bildung des ganzen 
menschen übernimmt — vom gjmnasium bis zur dorfschule — not- 
wendig aiismachen. hierauf sind die bistorischen und philologischen 
schnlstudien zu beziehen; und nur insofern ist ihnen eiu übergewicht 
einzuräumen' (II 522)/ von den classiächen Studien als der 'wich- 
tigern hälfte' des Unterrichts spricht Herbrirt auch in den idoen zu. 
einem pädagogischen lehrplan (i 80). — Wenn er endlich in der 
recension des oben (s. 237 anm. 7) genannten buches von Drobisch 
der mathematik gegenüber von einem 'vorrange' der philologie 
spricht, so bewegt ihn zu dieser behauptung ein auszerpLidagogiscber 
grund, auf welchen wir unten noch weiter eingehen werden. II 266 



Herrn. Kern, der sich in seinem ''grundri.';/. der pädagO£!^ik' 1887 
in allen weseatlicbeii punkten in Übereinstimmung mit Herbart behudet, 
sprieht der geschichtliehen seite des Unterrichts auch das Übergewicht 
zu, 'weil aus der teilnähme, die im Umgang wurzelt, die gesinnungen 
entspringen, von welchen der sittliche wert des menschen am unmittel- 
barsten abhängt', da nach seiner ansieht ^der stoff, den wir den histo- 
rischen Wissenschaften entnehmen, snr ergänzung dererfahrnng und des 
Umgangs dient, der von den naturwissenschaften dargebotene fast aus- 
scblieszlich zur ergän^^u der erfahnmg', so hätte er auch mit hinweis 
auf das gröszere interessengebiet der historischen fächer deren über- 

§ewicht begründen können, an jener oben citierten stelle der allg. päd. 
! 446) teilt ja auch Herbart den historischen Stadien geschmack und 
teilnähme^, al-o rLis ästhetisclic und dio drei interessen der teilnähme 
zu, der mathematik das speculative und das empirische (vgl. II 548 
unten). Willmann verweist zu der eben besprochenen stelle Herbarts 
(II 622) auf weitere ausffihrnngen bei Ziller 'gmndlegung zor lehre 
vom erziehenden Unterricht' 1884 § 10 s. 268 — 291, welche sich fast 
vollständig mit Herbarts anschauungen decken, auch Ziller erkennt 
in 'naturwissenschaften und geschichte — diese allerdings im weitern 
sinne als Inbegriff der gesinnungsTerbältnisse beseelter wesen über- 
haupt genommen — die beiden bauptstämme des Unterrichts' (s. 272); 
doch spricht auch er den ''fächern für gesinnungen, welche die irlcalen 
elemente des sittlichen Charakters, des hauptzieles für die erziehung, 
begründen und befestigen helfen, wegen ihrer nähern beziehung zum 
ersiehungsz wecke stets — ein Übergewicht über allen Unterricht in 
formen und zeiclien wie über alten Unterricht in den naturkundlichen 
fächern' zu (s. 285). 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 239 

heiszt es nemlicli: 'mancLer übt ein musikalisches instruinent bis zu 
aoBgezeichneter fertigkeit; späterhin weicht diese liebhaberei einer 
andorn — dasselbe Schicksal hat die mathematik ; und hier gerade 
seigt sich des vorrang der pUlologie , oder wenigstens eines teiles 
derselben, iheologen, jaristen nnd medieiner dürfen ihr latein 
nichi vergessen! mathematik aber darf von den meisten vergessen 
werden.'* 

Wo findet sich nun aber — das ist die weitere frage — der 
passende anknüpfnngspunkt för die ergSoznng des nmgaags, 
für die ansbildong der tdlnahme, welche die aufgäbe der historischen 
lichtnng des Unterrichts ist? 

Schon in der schrift ^über die ästhetische darstellnng der weit 
als das hauptgeschäft der erziehung' 1804 (nachschrift zur zweiten 
anflage von Testalozzis idee eines ABC der anschauang') wird uns 
eine bestimmte antwort darauf erteilt (I 291). *etwas schwerer ist 
dieser anfangspunkt der reihe ftXr die fortschreitende teilnähme an- 
zugeben (welche von der andern reihe des Unterrichts, der der er- 
kenntnis, zwar getrennt ist, aber stets gleichzeitig mit ihr fortlSuft) 
und den angegebenen zu reclitfertig"t'n. die genauere bctrachtung' 
entdeckt bald, dasz dieser punkt nicht in der jetzigen Wirklichkeit 
liegen kann, die Sphäre der kinder ist zu eng und zu bald durch- 
laufen: die Sphäre der erwachsenen ist bei cnlti vierten menschen zu 
hoch, und zu sehr durch verhältuisse bebtimmt, die man dem kleineix 
knaben nicht begreiflich machen will, wenn man auch könnte, aber 
die zeitreihe der geschichte endigt sich in der gecrenwart und in den 
anfangen unserer cultur, bei den Griechen, ist durch classische dar- 
stellungen eines idealiscben knabenaiters durch die Homerischen ge- 
dichte ein lichter punkt für die gesamte nachvvült fixiert worden.' 
nicht also die neuzeit, die gegenwart hat der erste historische Unter- 
richt zum gegenstände der behandlung zu machen, sondern er soll 
die kinder in die dassisehe Torzeit snrttekfiUiren, in die alte weit, 
in welcher der knabe mit mnsze wandeln kann ^ 292) , in das an 
sich heitere nnd grosse altertum (II 154), in die classische kinder^ 
seit der Gi:|echen Q. 346), za der kindlichkeit, diesem allgemeinen 
eigentnm aller Sltem griechischen Schriftsteller (1 426). diese not* 
wendigkeit wird immer nnd immer wieder von Herbart mit den 
schdnsten nnd eindringlichsten werten betont, dieser ausgang von 
den alten ist ^gerade denjenigen am natürlichsten, welche noch nicht, 
mit nns, in die zukauft schauen können, weil sie noch nicht einmal 
die gegenwart begreifen — nnd für welche eben darum das ver- 
gangene die wahre gegenwart ist' (I 426). ähnlich heiszt es in der 
kritik des bucbes Ton Drobisch: 'dem knaben sagt ein ruhiges ver-- 
weilen in der Vergangenheit im ganzen besser zu, als ein beschleu* 

* über die natarwissenschaften und die philologisch -historischen 
wissensehaften als wissenBehaften, nicht als unterrtcbtsgeg^onstände-, 
finden wir eine sehr interessante betrachtnng in H.b apborismen (Will** 
mann I 471 anm.). 



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240 



Die ftLten spraisheii in der p&dagogik Herbarte. 



nigtoB binaussebaiien in die zukunft. heutiges leben, wie in der ge< 
Seilschaft , so auch in Wissenschaft und kunst^ ist seihst dem jüng- 
llnge, vollends aber dem knahen noch groszenteils ein geheimnis. 
für denjenigen blick in die zukunft, dessen sich der meiater er&enti 
hat der schaler noch kein analogen; ihm istsakunft, was jenem g^en- 
wart' (n 260 f.). — 'Der ernst der neuern zeit ist viel schwerer zu 
verstehen , als das schöne spiel der alten' (Lpzg. litt^atg. 1826 
nr. 316, bei Willm. II 270 anm.). 

Dasz der historische Unterricht an eine von der gogenwart so 
weit abliegende zeit anknüpfen soll, darüber braucht man keine be- 
denken zu hegen (I 385). *der Unterricht knüpft gern an das nächste 
an. aber man erschrecke auch nicht, wenn das, was er daran knüpft, 
durch weite räume und zeiten von uns gelrenut liegt, die gedanken 
reisen schnell, und der besinnung liegt nur das weit entfernt, was 
durch viele raittelbegrifife oder durch viele modificationen der Sinnes- 
art getrennt ist.' zudem hängen wir ja durch so viele bände mit 
dem altertume zusammen (II 103). auf eins dieser bände wird in 
einer bcmcrkuug der -ällesieu hefte' ^^bei Willm. I 293) von Herbart 
hingewiesen, man darf sich wohl wundern, dasz dieser hinweis, der 
gerade jener zeit (anfang dieses jahrhunderts) ungemein nahe lag, 
eich nidbt Öfter nnt^ den gründen Herbarts findet; es ist der, Masz 
die Schriftsteller der Griechen als die grtlnder des besten teils unserer 
heutigen litteratur den nnentbehrlichsten anfschlusz darüber ent- 
halten' • 

Wir kommen nunmehr su den nähern begründungen, warum 
gerade die beschäftigung mit den alten von solchem wertf&r 
die jugend ist. 

Der Umgang mit der vorweit ist viel genügender und erheben* 
der, als der mit den nachbarn (I 400), lautet das urteil Herbarts in 
dem abschnitte seiner allgemeinen pttdagogik, in welchem er den 
Unterricht als ergttnsung von erfahrung und Umgang bespricht, vor 
allem ist es aber das au&teigen von den alten zu den neuern wel- 
ches in unerreichbarer weise die teilnähme in dem gemüte des Zög- 
lings auszubilden vermag, dieser gedanke, der bereits im dritten 
berichte an hrn. v. Steiger (I 43) in etwas verschwommener fassung 
ausgesprochen wird: 'dieser gang bezweckt Vertiefung des gefühls, 
hineinleben in menschliche Charaktere, verweilen des herzens bei ein- 
fachen begriflten, damit die vielfach zusammengesetzten unserer zeit 
auch nachher vielfache Wirkung hervorbringen mögen', derselbe ge- 
danke kehrt in der allgemeinen pjidagogik (^I43y. 441), ganz in das 
straffe systom hineingearbeitet, wieder: 'den menschen überhaupt 
— dem menschlichen, so vielfach es ist und uns begegnen mochte 
und werden könnte — gebührt eine teilnähme, die sich nicht blosz 

dieses flUlt unter den sjntbetischen Unterricht. - vgL I 421: 'das 

panze aufsteigen durch die stufen der in bildvmg begriffenen mensch« 
heit, von den alten zu den neuern, gehört zum synthetischen unter* 
rieht' 



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0ie ailieii sprachen in der pädagogik Herbarts. 241 

analytiscli aus dem omgange mit bekannten oder dargestellten indi- 
Tidnen entwickeln kann, nnd die sich noeh yiel weniger mit dem all« 
gemeinen gattungs begriffe ^ mensehheit, leichthin aufnehmen iSszt. 
nur dig'enigen besitzen sie zum teil, und kOnnen sie einigermaszen 
mitteilen, die zahllose, manigfaltige bilder der menschheit in sich 
seibat erzengt haben; — nur die würdigsten unter den dichtem, nnd 
ihnen zunScbst, den historikem. wir suchen bei ihnen die klBrste 
aaschauung allgemeiner psychologischer Wahrheit, aber diese wahr^ 
heit ist continnierlich modificiert nach andern und andern zuständen 
der menschen in zeiten und räumen, und die empfönglichkeit fttr 
sie modificiert sich continnierlich mit dem fortscbritt des alters, es 
istpflicbt des erziehers, zu sorgen, dasz diese und jene modificationen, 
stets richtig auf einander treffend, mit einander fortgehen mögen, 
darum ein cbronologisches aufsteigen von den alten zu den neuem!' 
— In derselben schrift heiszt es I 427: 'wenn die teilnähme ent- 
stehen soll aus einfachen, lautern, klaren gefühlen, so musz sie au 
der reihe der menschliebon zustände fortcf(>hpn , bis auf den gegen- 
wärtigen, von demjenigen anfangend, welcher der erste ist, der sich 
rein genug ausdrückte, und sich genug ausbreitt^te durch den um- 
lang der manigfaltigen ?emüfsbewegungen, die ihm zugehören.' 

In der vorrede zu Disseiis schrift ^kurze anleitung für ei zieh er 
die Odyssee mit knaben zu lesen' (bei Wiiim. I 576) wird ebenso 
das cbronolof?iscbe aufsteigen als schütz gegen bedenkliche irrttimer 
verlangt: "die {iiidagofirischen zwecke fordern, dasz der hauptstamm 
aller europäischen cultur, der im hellenischen lande erwuchs, in 
semer geraden und natürlichen ricbtung in den gemütern aller derer 
sich erhebe, welche die gebildeten der nation zu beiszen und die 
öffentliche meinung vorzugsweise zu bestimmen ansprach machen, 
diese alle, so viele ihrer sind, müssen gehütet werden, dasz sie nicht 
von der jedesmaligen gegenwart oder audi von trugbildem einer 
entstellten Vergangenheit, ja selbst Ton einzelnen glänzenden Phäno- 
menen der Vorzeit sich fortreiszen lassen,' 

*In der emtthrung der teilnehmenden Interessen musz der 
historische Unterricht sowohl, als der philologische den religions- 
Unterricht unterstfltzen', diese forderung finden wir im nmrisz § 135 
(II 574) ausgesprochen« — Mit schCfnen werten wird in der vorrede 
zu Dissens schrift von der erziehong gesagt, Masz sie sich an die 
Philologie wende, um von ihr unterstützt, vnewohl nicht von ihr 
allein geleitet, die teilnähme an allem, was menschlich ist, desto 
reicher auszubilden' (I 576). teilnähme und gescbmack werden an 
zwei stellen, von verschiedener fassung, welche aber doch dasselbe 
bedentet, als die früchte der historischen Studien bezeichnet. 1 446 : 
^geschmack und teilnähme erheischen das chronologische aufsteigen 
von den alten zu den neuern', und II 548 : 'die litteratur mit ihren 
dichtem und rednern gehört dem ästhetischen interesse; die ge- 
schichte weckt teilnähme für ansgezeicbnete männer und für gesell- 
schaftliches wohl und wehe' (sympathetisches und sociales Interesse). 
N. jahrbb f. phiL u. pSd. U. &bt. ISOO bfU i o. 5. 16 



242 Die alten apraobea in der pädagogik Herbarts. 



^man findet keinen bessern vereinigungspunkt für so viele verscbie- 
dene anregungen.' • 

Die olassischen dichter sind es besonders, welcbe als 
Wecker von teilnähme nnd geschmaok des Oftem gertthmt werden, 
anszer an der eben angeführten stelle geschieht dies noch in der all- 
gemeinen pftdagogik I 437, wo von dem: analytischen gange des 
nnterrichts in bezug auf die teilnähme am menschen die rede ist» 
die teilnähme am einzelnen menseben musz durch zerlegangdes Um- 
gangs geweckt werden^ die jugendliche seele musz lernen^ sieb selbst 
und ihre naittrlichen regungen zn beobachten und kennen zu lernen; 
diese kenntnis musz mit der erweiterung des Umgangs und der 
menschenkenntnis continuierlich wachsen , damit immer mehr jede 
menschliche er^fTieinung erklärlich werde. — 'Aber dazu gehört; 
dasz, wie in einem verklärenden spips^ol , jeder menschliche zng f^-' 
konnbarer, also Yollendeter in !=piiirr art , niinilnr verwischt als im 
gemeinen leben — einer poetischen erhohung anLrenfihert — in dem 
nachahmenden, allein nicht fortgerissenen gemüte sich darstelle: 
— ohne gleichwohl ins fabelähnliche, über das wirkliche und folg- 
lich auch über die teilnähme selbst hinauszutreten, classische dichter 
machen das verständlich.' mit viel knappern worten und, indem er 
erweiternd von Schriftstellern" redet, streift Herbart im umrisz 
§ 135 (II 574) die entwieklung des geschmackes: 'bei der ästheti- 
schen bildung — wirken später die alten Schriftsteller mit.' 

Dasz eine zusammenwirkuug für die ausbildung der verschie- 
denen Interessen gerade auch mit hilfe der alten Schriftsteller er- 
möglicht wird, zeigt derselbe paragraph des Umrisses mit seiner 
sehluszbemerkung : 'zusammenwirknngen dieser art sind flberall sii 
erstreben; die Schriftsteller müssen danach gewählt und in der er- 
klSrung behandelt werden.* in den ältesten heften (Willm. I 29$ 
anm.) verlangt Herbart, dasz vor allem die poesie der geschiebte 
stets hil&ei<£ zur seite zu stehen habe, 'immer bleibt die hilfe der 
poesie nötig, um die entfernten historischen objecto nSher zu rflcken» 
um sie gleichsam zu yerklKren. aber dazu ist neuere, wohl gar 
sehlechte poesie nicht geeignet; nur in seiner eignen poesie stellt 
jedes Zeitalter sich dar. diejenigen kunstwerke, worin das charakte- 
ristische ihrer zeit sich recht klar abspiegelt, sind dem erzieher des 
sorgfältigsten und überlegtesten gehrauchs wert, indem er übrigens 
den Zögling übt poesie als poesie zu schätzen, wird er die verwechs* 
lung mit reiner gescfaichte nicht zu ftlrchten haben*' 

Um den wert der beschäftigung mit den alten beim beginne des 
Unterrichts noch zu erhöhen , kommt hinzu , dasz die litteratur der- 
selben der ganzen methode des Unterrichts eine grosze geschmeidig- 
keit verleiht, wie sich Herbart in den ideen zum pädagogischen 



" 'dichter, philosophen , geschichtschreiber falleo uns hier in ein» 
reibe, sofern sie sämtlich menschliche nattir an menschliche hersen 
legen' (I 429). 



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Die alten apraeben in der pSdagogik Herbaxts. 243 

lebrplan (I 79) ausdrückt: 'fttr jedes alter, für jede stafe der jngend- 
bildong ist die alte litteratur so reicb an failfsmitteln, dasz man sich 
im gebraacb derselben mit groszer leichtigkeit nach den venebie^ 
denen anlagen und temper amenten richten kann, sie in ihrem ganzen 
nmfange mit der jagend darcbzageben, würde bei den meisten ganz 
nnmdgUch sein; man kann aber ans dem, was für jedes alter gehört, 
so viel and so wenig herausheben, als die bedürfnisse und fähig- 
keiten eines jeden verlangen, und der Zusammenhang des ganzen 
läszt sich immer durch mündliche erläuterungen leicht nusfüllen, 
wenn man nur nicht durch unzeitige vorsprünge den hauptfaden zer- 
rissen hat.* 

Es enthält nun aber die forderung eines aufsteigens von den 
alten schon deutlich genug den hinweis darauf, dasz jedes verharren, 
jeder unnötige aufenthalt vermieden werden musz. vor einem sol- 
chen warnt Herbart an mehreren stellen, die philologen, welche 
freilich bemüht sind sich geistig zurückzuleben , dürfen den knaben 
und den jüngling ja nicht rückwärts ziehen, 'denn die richtung der 
bewegung geht im Jugendalter jederzeit vorwärts; nur der jedes- 
raaligc Standpunkt dc^ knaben und jünglings Hegt noch in der Ver- 
gangenheit, weil er noch nicht da, wo sich die heutige generatioa 
der erwachsenen befindet, anlangen konnte' (II 261). 

Ein Gontinnierliober'* fortsebiitt (I 577) musz stattfinden; eine 
fortsdireiteDde darstellnng der weit, eine fortsdireitende teilnähme 
wird gefordert (I 291). *die weit, wie der knabe sie betraehtet in 
den rtonden des ernstes, debne sieh weiter nnd weiter ans; zwar 
immer gelegen zwischen den gleichen extremen, dränge sie gleich- 
sam dieselben in weite fernen hinaus, dannt platz werde Är die 
menge der Charaktere, welche am faden der geschichte hereintreten, 
jeder beleuchtet, womdglich durch sdne ersten dassischen beschreib 
ber' (Ssth. darstell. I 292). — Am eindringlichsten, weil anf ein* 
zelne beispiele hinweisend, erscheint mir die- mahnnng in der vor- 
rede zu Dissens schrift (I 577), die daher auch hier zu ihrem vollen 
rechte kommen soll : 'früh musz ihre seele (d, h. die der gebildeten 
der nation) wurzeln in derjenigen YOrwelt, von der es einen con- 
tinaierlichen fortschritt gibt bis zor gegonwart,* allmählich anf« 
wachsend mit der vorweit müssen sie an bestimmten stellen auch 
dasjenige fremdartige (z. b. einiges orientalische und einiges alt- 
deutsche) antreffen, was hinzngokommen ist, ohne die hauptrich- 
tungen des fortgangs zu bestimmen, und was eben deshalb nicht die 
hilfsmittel einer continuierlichen bildung bergeben kann, wie aber 
nie der mensch in die zeit einsinken soll, so soll auch das urteil des 
knaben und des jünglings über den Zeiten schweben, mit denen er 
fortschreitet: eben zum fortschreiten soll er sich getrieben fühlen, 



1* man erkennt sofort den kunstausdruck in dem worte 'continuier- 
lieh', continuierlich nemlich musz nach Herbart der Unterricht in be-. 
zug auf die teilnähme seiu. vgl. allg. päd. I 408. 

16* 



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244 



Die alten sprachen in der pftdagogik Herbarte. 



durch dies urteil, welches ihm bei jedem punkte sagt, hier könne 
die menschheit nicht stehen bleiben, damit dies urteil möglich sei, 
musz der gegenständ der betrachtung weder zu hoch noch zu tief 
stehen, zu tief steht er , wenn Jünglinge , die schon in der heutigen 
cnltnrwelt vorwärts streben, in Ithaka und vor Troja aufgehalten 
werden; zu hoch steht er, wenn knaben, die in den tumultaamehen 
Volksversammlungen der Tthacenser einen ähnlichen geist, wie in den 
höchst ernsthaften beratschlagungen ihrer eignen spiele, verspüren 
würden, schon mit dem Miltiades und Themistocles Athen verteidi- 
gen, und bald darauf, ohne sich auf natürlichem wege in politisches 
Interesse hineingefunden zu haben, für oder wider das volk und den 
Senat von Rom partei nrbmen sollen, bei solchen Verwirrungen 
musz der knabe, musz selbst der jüngling auf klare b;Mer der vor- 
weit verzieht thun; und der manu, will er endlich noch dahin ge- 
langen, musz unter gelehrten Studien den geschäfien der gegenwart 
sich entziehen.* 

Diese b 1 derung für die historiscbeu fä( her entspricht, übrigeus 
düi" allgeiiieiuen , von Hcrbart so oft betonten, wie wir sie z. b. im 
umrisz § 78 (II 543) lesen i 'wie nun erfahrung und Umgang, so 
musz auch das früher gelernte durch den spätem Unterricht ergänzt 
werden, dies aber setzt eine solche anläge des gesamten Unterrichts 
voraus, dasz immer das sp&tere schon das frühere vorfinde, mit wel- 
chem es sich verbinden soll.* 

Immer aber bleiben die alten fttr nns der Orientierungspunkt, 
auf welchen wir znrttcksehen (apborismen II 471). *die alten sind 
der orientiernngspunkt der cnltor. dasz wir mehr leisten können 
und sollen, ist keine frage; nur wenn wir den faden verlieren, sehen 
wir znrfick auf den anfang and die ursprüngliche richtung. eben 
darum sind die alten das studinm der jugend.' 

Wegen ihres groszen an teils an der richtigen ausbildung des 
vielseitigen Interesses also ist der classischen bildung, der lebendigen 
vergegenwärtigung des altertums für den erziehenden Unterricht der 
gröste wert zuznerkennen. Vom werte der classischen bildung im 
allgemeinen ist gar nicht die frage', ruft Herbart in den aphorismen 
(II 471) aus; 'es zweifelt daran kein vernünftiger, wenn er einiger* 
maszen weisz, wovon die rede ist.' und in ruhigerem tone wieder- 
holt sich dieselbe anerkennung im umrisz § 280 (II 636): 'pUda- 
gogisch betrachtet bestimmt jeder unterschied der lebhaftem ver- 
gegenwärtigung de? Hltertums — ein mehr oder weniger des wertes, 
welcher der gewoniuneu kenntnis darf zugeschrieben werden/ 

Die richtige vei Senkung in das altertum bringt auch für unsere 
eigne lebensführung einen praktischen vorteil; denn 'die erziehung 
will mit hilfe der philologie (vielleicht sagen wir auf besser Her- 
bartisch 'der classischen bildung') einen mann entwickeln, dem die 
Vorzeit ein klares bild gegeben habe, das in seinem herzen wohne, 
und das ihm ht-llu, die gegenwart leichter zu Lragen und richtiger 
ZU behandeln* (I 576). 



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Die ftlien sprachen in der pttdagogik J^barta. 



245 



Und 80 hat Herbart ein gutes recht in seinem anfsatze 'über 
das verhttltnis der politik und pädagogik' (kurze encyclopädie der 
Philosophie II 477) es als ein Unglück zu bezeichnen, 'wenn die Vor- 
zeit keine heilsamen oder passenden beispiele darbietet', und als 
einen groszen vorteil, Venn es denkmale der Vergangenheit gibt, 
wohin aller äugen &ieh richten', denn alte, v^ie junge Staaten 'schauen 
bei zweifelhaften füllen in ihre vero;augenheit zurück, und finden 
darin, was fortzuführen, was zu erneuern, was zu vermeiden ihnen 
wünschenswert scheint.' — Man vergleiche damit noch das in der 
allgemeinen piida<zoi,nk (I 427) gesagte: 'nur wenige ihrer zustände 
hat die Vergangenheit ausgesprochen; noch viel seltener sich so rein 
und vielseitig ausgedrückt, a>h die erziehung es wünschen müste. 
UDSchätzbar sind eben darum diejenigen documente, in welchen sie 
wie mit volltönender lebender stimme uns anspricht; — das übrige 
müssen wir durch die phantasie ergüiizeu.* 

An die forderung einer lebhaften vergegenwärtigung des alter- 
tnrns für die zu unterrichtende Jugend knüpft sich nun unmittelbar 
die frage : wie kann man eine solebe Terbindung mit der cla88iaelie& 
Vorzeit in wirksamer weise herstellen? die antwort darauf wird von 
Herbart an mehreren stellen gegeben: durch die erlernung der 
alten sprachen« 

So sind wir, dem straffen System der Herbartschen erziebungs- 
lebre folgend , ganz Ton selbst auf den gegenständ unserer n&bem 
betrachtung gekommen. 

^Oblie dasz der unterriebt einen teil seines weges durch die alten 
sprachen berdnrch genommen hat, wird niemand dazu gelangen sich 
das altertum, mit dem wir durch so viele bände zusammenhängen^ 
lebhaft zu vergegenwärtigen', so spricht sich Herbart in seinem 
'pädagogischen gutachten über scbulclassen' aus (II 103), an einer 
fttr uns überhaupt sehr wichtigen stelle, welche wir wiederholt heran- 
ziehen müssen, zwei jähre spttter lautet sein urteil nicht minder be- 
stimmt in dem 'gutachten zur abhilfe für die mängel der gymnasien 
und bürgerschulen' (II 148). 'dasz nun unsere jugend die alten 
sprachen lernen müsse, um sich mit dem altertum in Verbindung zu 
setzen , betrachten wir als eine sache der notwendigkeit.' in nega- 
tiver form sagt Herbart in seinem umrisz § 280 (Tl G36) dasselbe, 
dasz sich nemlich die lebhafte vergegenwärtigunpf des alterturas 
ohne die alten sprachen und ohne die macht jugendlicher eindrücke 
nicht erreichen läszt. 

Diese drei aussprüche möchte ich als leuchtende zeichen an den 
eingang- unserer betracbtung über die alten sprachen in der pädagogik 
Herbartü aufstellen, sie müssen ihren hellen schein über die weitere 
bahn werfen, auf welcher wir dem strengen tbeoietiker folgen wer- 
den, der bis ins kleinste das rcciit des erziehenden uuterricliti zu 
wahren gewillt ist; wir könnten sonst vielleicht doch manchmal irre 
werden, wenn wir die durch starke schatten verdüsterten strecken 
dieses weges durchwandern mflssen. 



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246 Die alten Bprachen in der pädagogik fierbarts. 

Für die notwendigkeit der erlernung des griecbischen 
möchte ich noch eine äuszerung Herbarts anführen , welche ich der 
allgemeinen pädagogik (I 429) entnehme, 'schlimm für uns^ dasz 

die fremdlinge, die man uns empfiehlt, griechisch reden ! das macht 
uns die g^ute aufnähme schwer; wir müssen den dolnjetßcher brau- 
chen; wir müsoen allmählich die spräche selbst lernen.' 

Den gedanken aber^ nur e i ne der alten sprachen lernen zu lasaeUi 
erklärt Herbart für unausführbar (11 26). 

Von diesem geaiuhibpankie aus, dasz die wünschenswerte be- 
schäftigung mit dem altertum erst durch die erlernung der alten 
öpraehen ermöglicht wird, bestimmt sich für Herbart die ganze 
weitschätzung , welche er denselben, als objecten des erziehenden 
Unterrichts, angedeihen läszt. dasz das pädagogische moment aucli 
iu dicbtr IVagö Jas alleinig maszgebende für ihn ist, möclue ich jetzt 
zunächöL durch einige citate beweisen, bchon aus der zuerst anzu- 
führenden stelle der kurzen encyclopädie (11 470) darf man eine be- 
stimmte forderung Herbarts herauslesen, 'ob das Studium der alten 
sprachen einen pftdagogiscben wert habe? diese frage ist ISngst er- 
wogen f und sie will nicht verstummen, trotz aller sich wiederholen, 
der beteaerungen des sogenamiten humanismus. das Zeitalter macht 
andere forderungen.' dasz Herbart seine gründe bei der beurteilnng 
des altsprachlichen unterrichtsbetriebes vom 'hauptzweok alles Unter- 
richts' hernimmt, betont er im umrisz § 283 (II 637). an einer 
andern stelle, an welcher er darüber spricht, wie sich die sch^l« 
milnner durch die Terschiedenen nnterrichtszwecke leiten lassen, 
gibt er als dritte mOglichkeit die Verbindung dieser zwecke zu: 
'oder aber endlich : man will das eine bejahen und das andere nicht 
leugnen? der zweck der schulen soll in Übungen und fertigkeiten 
bestehen ; aber es sollen doch auch die schüler nicht blosz im latein, 
im griechischen^ in rechenexempeln geübt werden, sondern nebenbei 
auch noch etwas von YaterlandsliebCi etwas sinn fürs wahre, schöne 
und gute bekommen? vielleicht aber umgekehrt; man läszt die er- 
weckung der neigung fürs wahre, gute und schöne für die haupt- 
sache gelten; aber auch die fertigkeiten in sprachen und im rechnen 
will man nicht entbehren ; diese nebensache soll jener bauptsache zur 
begleitung und Verzierung dienen.' dagegen hat Herbart nichts-, 
aber er erinnert, dasz bei einer solchen Verbindung (II 7b) eme be- 
stimmte Unterordnung nötig sein werde, welchen von beiden 
zwecken er selbst für den höchsten hält, zeigt auch diese stelle 
deutlich. Miese männer wollen ohne zweifei das beste; aber von 
jenen beiden zwecken, deren einer dem andern mu^z untergeorduet 
werden, dachten sie den einen zwar deutlich, den andern hiiigegeu 
nur dunkel; darum half es zu nichts, wenn sie auch wirklich den 
höchsten zweck obenanstellen, was das sei) Übung und fertigkeit im 
lateinischen und griechischen und im rechnen, dB?on hat jedermann 
einen sehr klaren begriff. — hingegen, was das andere sei^ das wahre, 
gute und schöne? wie man es anzustellen habe, dafür den sinn der 



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Die alten sprachen in der ijudagogik Eerbarta. 247 



jagend xtt wedsen? wie das mit den lehrmitteln xusammenbSnge, 
deren man non einmal gewohnt ist sich in den schalen sn bedienen? 
— das l&hrt auf weit aussehende tLberlegungen und darüber Ifisst 
• sich so geschwind kein entscUosi &88en/ 

Zwei weitere citate soUen zeigen, wie energisch Herbart die 
anelgnang einxelnen wissens und könnens als unterxiditssweck ver- 
urteilt, im umrisz § 100 (II 555) wird die absolute Voraussetzung, 
diese oder jene Wissenschaft solle gelehrt werden, als eine solche be- 
zeichnet , welche der erziehende Unterricht nicht von dem zwecke 
trennen darf: 'dasz die geistige thätigkeit des Zöglings soll gewonnen 
werden, dies bestimmt seinen gesichtspunkt, aber ebenso wenig das 
blosze wissen, als der nutzen' (vgl. noch II 461 : der pädagogische 
wert des Unterrichts 'kann nicht im bloszen wissen, und wäre es 
noch so fest eingeprägt, liegen'). — Eingehender wird an der zweiten 
stelle über die Verbindung der einzelnen Wissenschaften, wie sie allein 
für die erziehung gelten kann, gehaiidrlt (I 576). 'die erziehung 
folgt ihren eignen gesetzen — weiche schlechterdings verbieten 
irgend eine mögliche erzieh ungsmaszregel als etwas einzelnes zu be- 
trachten und zu würdigen — weiche schlechterdings und zu aller- 
erst dies fordern , dasz man bei jeder einzelnen erziehungsmaszregel 
zugleich aUe andern, und die zusammenwirkung aus allen, so be> 
stimmt als möglich, nicht blosz durch begriffe iknkL', sondern auch 
ihrer grösze nach ermesse und erwäge: indem al-^ü die erziehung aus 
der unifassüiiden betr;ichtung der verschiedenen aiten und stufen 
dtü meiiüchlichtn intercüse die anweisung nimmt, welche Wissen- 
schaften, und wie dieselben zu hilfe gerufen werden müssen, thut 
sie darauf verzieht, aus jeder einzelnen Wissenschaft den ganzen ge- 
winn ZQ ziehen I welcher den eigentttmlichen lohn dessen ansmaoht, 
der sich ganz, und als vhrtnose derselben widmet — rechnet sie aber 
auch darauf^ die helfende Wissenschaft, sofern sie nnr hUft, und zwar 
der erziehnng hilft, Terzichte anf diejenigen lehrformen, welche den 
pädagogischen lehrzwecken widerstreben würden«' " 

^Daher stemme man sich, so lange man kann, gegen jeden sprach- 
nnterrioht ohne ausnähme, der nicht gerade auf dem hanptwege der 
bildnng des Interesse liegt' (1 410). sonst entsteht eine, wie Herbart 
einmal sagt, Verbogene bildung*. die erziehnng will nicht mit hilfe 
der Philologie 'einen rector oder professor eloquentiae mit allen 
grammatischen kenntnissen, mit allen den vorteilen, welche die Ter» 
gleichung vieler sprachen gewährt, ausstatten' (I 575). 

Nicht also um ihrer selbst willen sollen die alten spradben ge- 
trieben werden, sondton sie sind nnr mittel zum zweck, 'sprachen 
sind nur band werkszeuge', in diesem kurzen ausspruche in den 
aphorismen (I 549) hat diese anschauung Herbarts wohl ihren schroff- 
sten ansclrnck rrcfunden. ' Werkzeuge, deren sich die pädagogik be- 
dient', heiszen sie in dem pädagogischen gutachten (II 103). in ihnen 



vgl. ooeh II 146 aom. 



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248 Die alten sprachen in der pädagogik Herbarte, 

ist ttbuBg nnd fertigkeit des lebrlings die hanptsacbe (II 74 £»)• wer 
sie daher nur xsm ihrer selbst willen lehrt, der sinkt in Herbarts 
angen vom erzieher tum lehrmeister hinab (I 410). etwas ge- 
mfiszigter, aber immer noch krftftig genng, lautet ein weiterer aus- - 
Spruch des pädagogischen gutachtens (II 101 f.), mit welchem sich 
Berbart der ansieht Graffs ansclilieszt. das erlernen einer ^fremden^ 
sumal toten spräche ist ihm da ein zufälligeä, entbehrliches , wenn 
schon gewisser umstünde wegen höchst nützliches hilfsmittel der er* 
Ziehung', man kann dreist einem jeden anmuten, dasz er dies un* 
mittelbar klar finde, das gegenteil wUrde beweisen, dasz er in der 
Pädagogik ein völliger fremdling sei, von ihrem geist gar nichts wisse, 
sondern an dem körper der Werkzeuge klebe, deren sie sich zu be- 
dienen pflegt.' weitaus gemäszigter erscheint die bezeicbnung in 
dem gutachten zur abbilfe (II 153), wo von der 'weitläufigen zu- 
rüstung zur geistesbildung' die rede ist, welche in den alten spra- 
chen liege. 

Aus dem biaber gesagten leuchtet auch von vorn herein der 
zweck deutlich hervor, um dessent willen allein die alten sprachen 
zu erlernen sind : ^der Schriften wegen lernt man die alten sprachen* 
(I 292). *das buch allem hat ein recht gelesen zu werden, welches 
jetzt eben interessieren und für die zukunft neues mteresse bereiten 
kann' (I 410 f.); oder wie es kui/: zuvor m abstructuier i"at.öung 
heiszt: 'die last, welche die zeichen (sprachen) für den Unterricht 
sind, müssen durch die kraft des interesse für das bezeichnete ge- 
hoben werden.' am stSrksten — Herbart liebt es, wie wir bereits 
gesehen haben, bisweilen seinen forderungen einen sehr kräftigen 
ton zu Terleihoi ^ lautet die äuszerung im pttdagogischen gut- 
achten (II 103): ^sprachen sind zeichen; und zeichen interessieren 
yermSge der Sachen, die sie darstellen, gehen einmal die griechi- 
schen autoren uns verloren: so behftlt die spräche keinen wert, 
ausser ftlr wenige gelehrte, die darin ein document aus alter zeit er- 
blicken, woran wir andern ebenso wenig zu studieren lust haben, 
als an den Urkunden, aus welchen uns das merkwürdigste zu er- 
zählen wir den historikern überlassen.' der genusz der werke des 
altertums, dieser ^unschätzbaren documente' ist es, zu welchem die 
Schüler auf dem wege der sprachen gelangen sollen ; geschieht das 
nicht, bleiben sie auf halbem wege stehen, ^so ist eine kostbare zeit 
und mühe, ja was am schlimmsten ist^ eine kostbare empfänglichkeit 
und lemlust unnütz verschwendet' (II 104). darauf kommt aber 
alles an, dasz kein gjmnasiast auf halbem wege stehen bleibt (IT 109). 
dahin sollen es eben alle schüler eines gymnasiums bringen ^durch 
das medium der fremden spräche hindurchzugreiten, um sich den 
kern dessen, was sie lesen, herauszuholen' (II 104). das ist der ge- 
winn, dessentwegen man sich die notwendigkeit der eih uiung der 
alten sprachen gefallen lassen musz, 'ohne über die incooveniena 
vieler sprachen, wo nur eine nötig wäre, zu murren' (II 148). 

Knapper und allgemeiner wird dieser zweck des altsprachlichen 



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Die ftlten sprachen in der pädagogik Herbarts. 249 

imtenicbiB an folgenden stellen ausgesprochen, die von der grie- 
chischen nnd römiw^n spräche dargebotene litteratnr ist es offen* 
her, um derentwillen man unter so vielen sprachen vorzagsweise sie 
wSblt (n 548). in dem abschnitte der kursen encydopBdie, welcher 
Aber die eniehungsknnst handelt Ql 473), wird von dem nnterricht 
in den alten spradien anf den gymnasien gefordert, dasz er stets in 
die geschichte verwebt sei. — Herbartisoh kurz und bftndig lautet 
endlich das urteil im umrisz § 281 (II 637): *die alte geschichte ist 
der einsige mögliche Stützpunkt für pädagogische bebandlung der 
alten sprachen'; werte, die wir mit gutem gründe als motte unserer 
arbeit hätten vorausschicken dürfen. 

'Die bloszen sprachen für sich allein', so beiszt es im anfang 
des Paragraphen, 'geben dem knaben gar kein bild, weder von selten, 
noch von menseben; sie sind ihm lediglich aufgaben, womit ihn der 
lehrer belästigt.' 

Hier klingt dieselbe klage wieder, welche wir ?chon in einem 
der oben genannten aussprüche (I 410) vernommen haben, sie kommt 
dem Pädagogen Herbart aus tiefster seele und würde im stände sein 
die ganze fordemnn- yon der bescbäftif^nngmitden alten umzustoszen, 
weun man die notwendigkeit derselben nicht um anderer, gröster 
pädai/ogiscber vorteile willen immer und immer wieder auf das nach- 
drücklichste betonen müste. 

Eine last ist die erlernung der sprachen; dieses thema kehrt 
in den pädagogischen Schriften Herbarts in den rnanigfachsten va- 

I iationeu wieder, ihnen soll jetzt unsere aufmerkhamkeit zugewendet 
werden. 

Von einer Hangen arbeit, welche die alten sprachen verursacheu', 
ist zweimal im umrisz die rede (II 575. 635) j 'sie belohnt sich jetzt 
(>u Herbarts zeit) nur da, wo talent und eniste absieht anf voll- 
skSndig gelehrte kenntnisse zusammenkommen.' aber eine drückende 
arbeit ist es'', eine last geradezu, so biesz es schon in der oben 
wiedergegebenen stelle (1410): 'die zeichen (sprachen) sind für den 
Unterricht eine offenbare last, welche, wenn sie nicht durch die krafb 
des Interesse fttr das bezeichnete gehoben wird , lehrer und lehrling 
ans dem gleise der fortschreitenden bildung heranswfilzt.* Shnlich 

II 103 : 'das Sprachstudium und zwar das der griechischen ebenso- 
wohl als der rGmischen spräche gilt mir fttr eine last (vgl. II 104), 
die man dem Interesse, als der kraft , nur dann auflegen darf, wenn 
es stark genug ist, um nicht unter dem drucke zu erliegen.' eine 
pUige heisat die erlernung der alten sprachen (II 564); denn natttr- 

^ in dem Aragment 'Uber die allgemeine form einer vollständigen 
lebranstalt' (II 666 ff.) wird von dem unterrichte in sprachen und matbe- 
matik als den 'schwer zu gewinnenden schlüsseln für andere stu U n' 
{geredet, 'denn sie eben raachen die einrichtnng der schulen verwickelt, 
da sie das interesse so leicht niederdrücken und nach der meinung der 
meitten sowohl, als nach gewohnten methoden nur alt mittel su künf- 
tigen zwecken zu betrachten sind, dabei aber eine koatbare kraft und 
seit anii Inat der Jugendjahre versehren.' 



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2öO Die slten apraoben in der puda^agik Herbarta. 



lieb geliörfc die pbilologid za allernftch&t den wiasenscbaften an, 
welche die plage rerarsacben, und^bei weleben diesweifel erwachen, 
ob man aie habe lehren sollen*, noch krftfliger lautet der auaspraeh 
n 636: ^liem uefa die nemliche ▼eigegenwSrtignng ohne die alten 
sprachen und ohne die macht jugendlicher eindrücke erreichen: — so 
wftre das Studium der alten sprachen ein notwendiges übel der 
gymnasien, so hoch man auch deren nebenTorteile anzupreisen ge- 
wohnt ist.' 

Die last , welche die erlemang der alten sprachen verursacbt, 
besteht nun aber darin, dasz dieselbe infolge ihrer Schwierigkeit 
aufhaltend in die entwicklung des jugendlichen gemütes eingreift« 
Herbart leugnet (II 112), dasz die alten sprachen dem knaben einen 
vorsprung gäben; *ich behaupte gerade, dasz sie ihn zurückhalten.' 
dasselbe lesen wir s. 109: 'der gymnasiast ist durch die alten spra- 
chen aufgehalten worden.* im umrisz § 91 (IT 550) sjnicbi llerbart 
von hemmungen, welche der altsprachliche Unterricht bereitet, und 
8. Ö58 heisztes: 'die liemden sprachen künnen nur langsam in rechten 
gang gebracht werden.' — Ausführlicher läszt sich fleiliart über 
dieses aufhalten durch die alten sprachen aus in dem gutachten zur 
abbilfe (II 148 ff.), an einer bedeutsamen stelle, welche ich auch 
wegen eines trefflichen vercrleiches und einer anschaulichen parallele 
zwischen aizt und schiilmanii ganz anzuführen mir erlauben möchte: 
*die notwendigkeit des Sprachunterrichts läszt sich mit den kindor- 
krankheiten vergleichen, die jedes individuum überstehen musz, und 
bei guter pflege auch meist glücklich ttberstebt, während, wenn die 
krankheit yerkannt und falsch behandelt wird, grosse gefahren ein- 
treten und lebenslSngliche siechheit erfolgen kann, solche gefahr 
wächst, wenn sie ^abgeleugnet wird, sie verschwindet; wenn man sie 
anerkennt und ihr suTorkommt; gleichwohl ist man geneigt, sie sa 
ttbersehen. ableugnen, dasz die Jugend durch anhaltendes und strenges 
Sprachstudium w&hrend einiger jähre in einen gespannten zustand 
Tcrsetzt wird, der mit natürlicher entwicklung des geistes nicht iden- 
tisch ist, ^ dies ableugnen hiesze mit sehenden äugen blind sein 
wollen, der gespannte zustand wird bei den meisten Individuen ein 
zustand des wirklichen leidens, dem die natur des kindes sich an 
entwinden sucht, und in welchem es nur durch strafen^ ermahnun' 
gen, lockungen des ehrgeises u. dergL kann festgehalten werden, 
nun kann freilich die menscbliche natur viel ertragen; sie hat eine 
ungeheure kraft sich wiederherzustellen, wie in körperlicher, so auch 
in geistiger hinsieht, aber eben dieser umstand verführt gar leicht- 
diü Schulmänner, wie die iirztf^: zu viel zu wagen; — mit dem unter- 
schiede, dasz die ärzle für ihr waG:estflck nur dann gelobt werden, 
wenn der erfolcr glücklich ist, die Schulmänner den paiicuLen schelten 
und schmähen, wenn sie ihn nicht zu heilen verstehen, und warum 
geht ihnen das ungestraft hin? weil sie ihre Unwissenheit im punkte 
der menschenkenntnis und menschcnbehandlung zu bedecken ver- 
stehen mit dem glänze ihrer gelehrsamkeit. — — Die gymnasien 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarta. 251 

bolleii alte sprachen lehren, dies, einzige wort kündet zwei dinge auf 
einmal an: eine leidende jugend und übermütige lehrer.* — Mit 
einem andern bilde wird II 150 von dem 'amwege der alten sprachen' 
geredet. 

Und worin bestebenniin dieeehwierigkeiten, dureh welche 
die alten sprachen den entwicklongsgang so anfhaltcai? aneb Uber 
diese fehlt es nicht an zaUreichen nnd eingehenden äaezernngen 
Herbarts. 

In seinem auüsatze 'Aber den nnterrieht in der phflosophie auf 
gymnasien' 1831 wird eine Schwierigkeit betont, auf welche spSter 
nie wieder von Herbart hingewiesen wird, und die er hier wolü nur 
hervorgezogen hat, um seiner forderung des philosophischen Unter- 
richts auf gymnasien einen weiteren gmnd unterlegen zu können, 
'manche unserer philologen beachten es kaum, dasz ein groszer sehr 
bedeutender teil der Schwierigkeiten, durch welche ihre schüler sich 
aufgehalten fühlen, mehr in den begriffen tmd den dialectisohen 
Wendungen liegt, die bei den alten schriftsteilem so httufig vorkom« 
men, als in der spräche' II 129. 

Von den Schwierigkeiten, welche insbesondere das griechische 
bietet, ist mehrfach die rede (vgl.I 293 anm.). I 79: 'die Schwierig- 
keiten des griechischen liegen nicht in jedem einzelnen Schriftsteller 
beisammen, sondern sie beruhen eben darauf, dasz diese spräche 
eine so lange reihe von Jahrhunderten hindurch und an so vielen 
orten, folglich auch in so vielerlei gestalten geschrieben worden ist; 
daher jeder Schriftsteller sein eignes studium erfordert.' vs^l. auch 
die schon oben berührte stelle II 429; 'schlimm für uns, dasz die 
fremdlinge, die man uns empfiehlt, griechisch reden! das macht uns 
die gute aufnähme schwer.' die Schwierigkeit der Humerischen spräche 
wird im umrisz § 2S3 (II 638 f.) gestreift, 'wen die Schwierig- 
keiten schrecken, der erinnere sich, dasz auf jedem andern wege 
ebünfalla grosze Schwierigkeiten zu überwinden sind.' besonders 
eingehende ps> chologisclie begründungen der Schwierigkeit der 
« alten sprachen ffir die knaben hinsichtlich der anknüpfung der neuen 
Torstellnngen an die schon vorhandMien bietet uns der umrisz an 
verschiedenen stellen, zunücbst n 550 : *den fremden sprachen dient 
die muttersprache zur Vermittlung des verstehens; aber sie wider- 
strebt sugleieh den fremden lauten und Wortfügungen; Überdies 
dauert es lange, ehe dem jüngeren knaben der gedenke gelfiufig 
wird, dass in weiter ferne des orts und der zeit menschen sind und 
waren, die anders reden und geredet haben, menschen, um die man 
sieh hier und jetzt bekümmern solle, höchst gewöhnlich und zu- 
gleich sehr schädlich ist auch die tftuschung der lehrer, dasz ihr aus- 
druck, weil er deutlich ist, darum schon von dem knaben verstanden 
werde, dessen kindessp räche sich nur langsam erweitert, diese hem- 
mungen sind zu überwinden.' dasz die bildung der Vorstellung von 
einer einst gesprochenen fremden spräche den knaben anfangs recht 
schwer falle , setzt eine Ähnliche stelle voraus (556). 'dasz man die 



252 Die alteu sprachen in der pädagogik Herbarts. 



erzählungen (für den get>chichtsunterricbt)züm teil aus alten büchern 
schöpft, die in fremden sprachen geschrieben bind, — dasz die^^e 
sprachen einst wirklich gesprochen wurden, iät ein umstand, der oft 
im Torbeigehen musz erwähnt werden, bevor diese sprachen fielbat 
kommen , ja selbst nachdem der anfang damit schon gemacht hi/ 
weiter heiszt es auf der folgenden seite: ^des Vorteils der leichten 
anknüpfung entbehren — für Dentsche — die beiden classischen 
alten sprachen.' anders steht es da mit den realien — natnrge- 
schichte, geograpbie, geschichte — /sie haben einen nnstreitigen vor- 
zog (vor den hamaniora)^ den der leichtesten anknQpfung' (II 556). 
die reallen liegen dem söglinge ntther (II 558)* 'vorteile der leich- 
tem anknüpfung an den wfafarungskreis' bieten die realien und das 
mathematische (571). 

Die besonderen Schwierigkeiten, welche der grammatische Unter- 
richt dem vorstellungsvermögen des knaben bietet^ werden von Her- 
bart in folgender weise dargestellt (II 571): 'für die fremden spra- 
chen, die sich erst allmählich mit der muttersprache compHcieren, 
ist apperception und einschaltung erst dann möglich, wenn schon 
einige kenntnis derselben erlangt ist; und die kenntnis musz bedeu- 
tend wachsen, bevor auf frei steigende Torstellungen darf gerechnet 
werden, belastet man nun die gehobenen Vorstellungen durch neue, 
— vollends durch blosze fortsetzung, — so ist es kein wunder, wenn 
ein nnbrauelibares cliaos herauskommt."^ etwas weniger abstract 
ist die folgende Schilderung (II 557): *die Schwierigkeit liegt in der 
menge des fremdartigen, was sich bei längern Sätzen anhäuft; sie 
liegt ferner in den mancherlei anbäufungen abhängiger Sätze, in den 
einschaltungen, in der Vorstellung, im periodenbau. hiebei ist nicht 
zu übersehen, wie lange es dauert, bis die kinder selbst im deutschen 
Sich der ubhungigen rede zu bedienen wissen; ihr bprccben ist lange 
nur ein bloszes aneinanderreihen der einfachsten Sätze.' — Dasz es 
gerade 'die syntaktische form der alten sprachen ist, welche noch 
weit mehr Schwierigkeit macht als flezionen und vocabeln*, hebt 
Herbart II 689 hervor. 

Aus den zahlreichen hier wiedergegebenen aussprttohen Her- 
barts wird es, hoffe ich, klar geworden sein, welche Stellung die alten 
sprachen imallgemeinenin dem pädagogischen sjstem des groszen 
denkers einnehmen, wie sie von ihm als nnterrichtsgegenstände, 
welche an sich nnwertig sind, bezeichnet werden, and ihre erlemang 
oine last für den knaben genannt, trotzdem aber, weil ohne sie eine • 
lebhafte vergegenwärtigung des classischen altertnms nicht möglich 
ist, als notwendig fttr die bildung erachtet wird. 



ich betrachte es nicht als meine aufgäbe, die hier wiederkehren- 
den kuDstausdrücke der Herbartschen p<>yc1iologie erklären zu müssen; 
ich möchte nur diejenigen stellen des umrisses angeben , darch welche 
man sich leicht fiber die bedentnng dieser beo^riffe unterrichten kann, 
apperception II 639 absatz 4. einschaltung und fortsetzung § ^I 670). 
frei steigende und gehobene ▼orstellongen 6d8 absats 2. 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarte. 



253 



Denn trois der last ist Herbaii ttberzeagt, ^dasz in unseren 
Seiten kein Unterricht für ganz yollstKndig gelten kann, dar nicht 
einen teil seines weges durch die alten eprachen herdurch genomnfbn 
hat, weil nemlich ohne dies niemand daeu gelangen wird, sich das 
altertam lebhaft zu Tergegenwttrtigen' (II 103). würden nicht die 
gjmnaaien mit ihrem iJtspraehlicben nnterncht neben den latein- 
losen höheren bttrgerscholen (von Herbart auch hanptschnlen ge- 
nannt) 'als fortwährend in thätigkeit begriffen Toraasgesetzt, so 
würde allerdings gefahr sein , dasz die gesamtbildong des Zeitalters 
in der wnrzel leiden könnte' (II 160). *imser wissen wttrde bald 
bodenlos werden, und die sichersten vergleicbungspunkte fttr die 
werke der redekünste würden in Vergessenheit geraten, wenn jemals 
die alten sprachen uns nngeläufig würden' (II 470). — Den wert 
des griechischen fUr die bildnng schlägt Herbert im ersten 
Steiger-berichte (I 14) sehr hoch an: 'das griechische rechne ich zu 
den wesentlichen kenntnissen jedes menschen, der zeit und gelegen- 
heit hat, sich vollständig zu bilden.' 

Die gerechte furcht vor den nachteilen der classiscben studien 
darf nicht verleiten, diese studien zu verbannen (I 344); und um 
des Zweckes willen — sich in die litteratur der alten zu vertiefen 

— miissen alle schwieriorkeiten iibt rwunden werden; und sie sind 
'übersteiglich durch kun^t, geduid und anstrengung' (1 412). 

Ich glaube somit alle punkte berührt zu haben, weiche wesent- 
lich sind für die ansieht Herbarts, dasz die alten sprachen ein not- 
wendiges glied des erziehenden Unterrichts seien, und doch suchen 
wir vergebens unter ihnen nach dem punkt, welcher fast allen andern 
Vorkämpfern für den altsprachlichen Unterricht als eine der vorzüg- 
lichsten Waffen im streite zu dienen pflegt, kein wort vernahmen 
wir bisher über den sonst so hoch geschätzten formalen bil- 
dungswert der alten sprachen, was Herbart über denselben dachte 

— es Usst sich smne ansieht schon ans den oben zasammengestell- 
ten aassprüchen über den zweck des altsprachlichen Unterrichts er- 
raten das wollen wir uns nnnmehr vergegenwärtigen. 

Für Herbart gibt es keine formale bildung und kann es keine 
geben, denn der sweck des Unterrichts besteht nicht in der ausbil- 
dnng einzelner f&higkeiten, eines einseitigen könnens und Wissens^ 
welches die firucht der formalen bildung ist. lüge nun aber auch 
eme solche ausbildung in dem zwecke des Unterrichts, so würde sie 
doch rein unmöglich sein, denn es gibt eben keine dezikkräfbe, keine 
sogenannten seelenvermOgen als anlagen im menschen, welche durch 
eine formale bildung nahmng erhalten könnten, es ist mir natürlich 
auch hier nicht möglich , auf eine genauere darlegnng dieser in das 
gebiet der psych ologie fallenden ansieht einzugehen, in den i^a- 
gogischen scbriften berührt Herbart in kürze diese fragen über die 
existenz von seelenvermögen z. b. im umrisz II 517 ff., worauf zu 
vwweisen ich mich begnügen musz. 

Übrigens leuchtet die allgemeine anschauung Herbarts auch 



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254 Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 

ans der znnftchst heranzuziehenden stelle der kurzen encyclopädie 
n 462 ff. genugsam hervor, welehe sich am ansfUhrlichBten gegen 
dih annähme jeder formalen bildiing wendet» ich mnsz diese worte 
HerbartB daher zum grtfsten teil wörtlich anführen, diejenigen, die 
keine richtigen psychologischen einsichten haben, begreifen selten 
etwas TOn den pSdagogischen regeln« sie haben etwa die alte mei* 
nung, !n der seele seien gewisse kräfte oder TermSgen ; diese mttsse 
man flben, gleichviel woran nnd wodurch» migeMr, wm gymna- 
stische tlbungen; welcher art sie auch seien, die muskeln des leibea 
stärken und schmeidigen, weil es nemlicb nur einerlei und die nem- 
lieben muskeln sind, und der mensch eben keine andern hat,** in 
der tbat findet sich das, was man phantasie, gedächtnis, verstand 
nennt, in jeder einzelnen Torstellungsmasse, doch nicht in allen 
gleicbmftszig , sondern es kann sehr leicht und sehr gewöhnlich in 
einem und dem nemlichen menschen eine gewisse vorstellungsmasse 
verständiger, eine andere phantasiereicher, eine dritte gedSchtnis- 
mäsziger ausg^pT>ildet sein; in der einen kann tiefe empfindung, in 
einfir nndern kälte herschen, und so fort, daher wäre da^ , was die 
Pädagogen formelle bildung nennen, ein völliges unding, wenn es in 
einer Übung solcher kräfte zu suchen wäre, die nur in der einbildung 
existieren, aber oftmals leistet eine Torstellungsmasse der andern 
hilfe, nach allgemeinen gesetzen der reproduction,' es folgt hierauf 
eine Schilderung der psychologischen Vorgänge (vorstellungsverbin- 
dungen) im zögling beim unterrichtsgange des lateinischen, dann 
wird die ansieht der anhSnger der formalen bildung angeführt, dasz 
wenn griechisch und französisch statt des lateins an den anftmg" des 
Unterrichts getreten wäre, die formelle bildung eben vom französi- 
schen oder griechischen ausgegangen und aufs latein übertragen 
worden wUre (s. 463). 'und dies — behauptet man weiter — wÄre 
nicht besser noch schlechter als jenes; es kommt nur darauf an, die 
kraft zn wecken. — Was aber die faraft anlangt , die man wecken 
wül, 80 setzt dies voraus, es gäbe eine schlafende kraft, die man 
wecken könne, aus der rhetorik werden wir zwar den schlaf und 
das aufwecken als metaphorische' redensarten niemals verbannen 
können, so wenig wie anfgang und Untergang der sonne.** aber jene 
bebauptnng, es sei einerlei, ob man durch griechisch, lateinisch, firan* 
asösisch die kraft wecke, ist ein schlagbaum, durch welchen man den 



10 die erste ausgäbe enthält noch folgende erweiterung: ^so gerade 
meinen auch din, welche von psycliologie nichts f^ründlichea wissen, rler 
mensch habe einen verstand, er habe eine phantasie, er habe ein ge- 
dächtnis, er habe auch einen willen, er habe eine vemanft nnd so 
ferner, wenn wir ihnen nun sagen, daes der mensch von alledem gar 
nichts hat, so verstehen sie nns nicht; wir wollen ans demnach andere 
ausdrücken, indem wir statt des nichts vielmehr vieles prtzen.* 

auch hier mochte ich die lesart der ersten ausgäbe hinzufügen: 
^aber die seeleuTermögen mfisaea nieht bloss ans der psychologie, son- 
dem auch ans der p&dagogik entweichen; sie stiften hier bedeutenden 
schaden.' 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 



255 



weg der nntersoeliiiiig sperrt, die frage betrifft nicht krKfte, sondern 
TorstellmigfliintM und deren allmSblklie Bildung. — Die vorstel- 
Inngsmaseen , welche mit dem fransOeiechen , mit dem lateiniseheni 
mit dem grieebisehen in die seele des Zöglings eingeben» sind keines* 
wegs die nemlieben. die Ordnung nnd folge, worin sie sieb nacb 
einander festsetsen, ist nicht gleichgültig, gerade auf dieser ordnnng 
und folge beruht die construction und nachmalige Wirksamkeit der 
▼orstellungsreiben. und was man kraft nennt, die man wecken wollte, 
das wird wesentlich ein anderes, wenn die Ordnung und folge, worin 
nraprAnglich die Vorstellungen sich verknüpfen, TerSndert wird.' fSr 
eben so verkehrt erklärt es Herbart , von einer formellen bildung 
durch die mathematik zu reden (s. 465). 'ein anderes beispiel von 
unrichtigen begriffen über formelle bildung gibt die bekannte an- 
pieisung der mathematik, sie schärfe den verstand, kein wunder bei 
solcher lobrede, dasz die meisten scbulmSnner zum nemlichen adele 
einen kürzeren weg suchen, wozu die figuren nnd formen, wenn die 
alten sprachen, die ja ohnehin gelernt werden müssen, das nemliche 
leisten? man stndicre nur oframmatik; auch diese schärft den ver- 
stand, und sogar i:ioch sicherer; denn man will bemeikt haben, dasz 
auch einfältige ieute das rechnen zu besonderer fertigkeit bringen. 
— Der verstand der grammatik bleibt in der grammatik, der ver- 
stand der mathematik bleibt in der mathematik; der verstand jedes 
andern faches musz sich in diesem andern fache auf eigne weise bil- 
den' (s. 466). 'grammatik und mathematik sind demnach keineswegs 
Surrogate für einander , sondern jede behauptet sich in ihrem kreise 
und werte.* 

In recht aus« hanlicher weise finden wir diese letzte ansiebb 
Herbarts auch in der recension des buches von Drobisch ausgespro- 
chen (II 264): 'vielleicht wirft mancher ein: wer seinen Tacitus» 
seinen Plato versteht, der musz sieb in eine populäre astronomie 
ocler phjsik mit leichtigkeit finden können, mit niohtent das ist es 
eben, was am stSrksten fttr die absolute notwendigkeit eines grflnd* 
lieben matbematiscben jugendnnterricbts spricht, dasz man eyi sehr 
gelehrter sprachkenner, ein umfassender poljbistor, ja selbst ein 
scharlsinniger dialectisdier köpf, aufgelegt zu allerlei subtilitSten 
und distinotionen sein kann, ohne sieb in irgend eine mathematische 
Torstellungsart finden zu können.' — Da kommt man denn auf 'den 
senderbaren gedenken, die mathematik fordere ganz besondere 
anlagen'. 

Andere ktbrzere anslassungen Herbarts mögen sich an die aus- 
führlicheren anreihen, in Testalozzis idee eines abc der anschauung* 
(1 121) heiszt es'^: Sprachstudien, geographie, naturgeschichte sind 
gedSchtnissacben, müssen deshalb vielfältig wiederholt und nach- 

ssu gunsten der mathematik wird bier der sprachanterricht voa 
Hohert herabgesetzt, wie Willmami sehr mit recht m seiner anmerkung 
zu dieser stelle sagt, diese schrift soll nemlich gerade die pidago- 
gischsQ vorsnge der mathematik in das richtige licht setsen. 



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256 Die alten sprachen in der pädagogik Herbaris. 



gefragt werden; daher kann es scheinen, als eigneten sie sich recht 
gut Sur gewOhnung der anfmerksamkeit.* aber demjenigen, der sich 
eines guten gedttchtaisses erfrent, ^der sich nur langsam an das ein- 
zelne besinnt, ftngstlich es stttck für stttok nachzSblen mnsSi um 
nichts zu verlieren: — dem werden so yiele namen nnr immer 
widriger, je mehr man sie nachfragt und wiederholt, dabei fixieren 
sie sich zwar allmfthlicbf aber dies fixieren ist kein fühlbarer gewinn, 
die erkenntnis wächst dadurch nicht, rückt nicht, greift nicht um 
sich, löst kein rätsei, vermehrt nicht die fülle des denkens*. — In 
der allgemeinen pädagogik (I 426) wird das streben, ^den Sprach- 
studien und der altertumskunde das verstandesübende abzugewin- 
nen', als ein verfehltes bezeichnet. 

Das loblied, welches andere auf die formelle bildung durch die 
alten sprachen zu singen pflegen, und das Herbart im pädagogischen 
gutacbten (TI 112) so wiedergibt: 'bleiben denn die schüler der f^ym- 
nasien länger kindisch, sie, die ja latein und griechisch lernen, und 
dadurch offenbar mehr geübt und schneller zur reife Erebracht wer- 
den müssen?' wird zurückgewiesen, ja, Herbart wird m derselben 
Schrift, wie auch an andern gleich zu nennenden stellen, sogar recht 
kräftig in dem ausdrucke seines Unwillens gegen die Verfechter der 
formalen bildung (II 104): 'nun mögen die philologen ihre alte be- 
kannte ausrede, von der formal bildenden kraft des Sprachstudiums, 
in die neuesten phrasen kleiden, Jas sind lücre wortu, wüilurch nie- 
mand überzeugt werden wird, der die weit gröszeren bildenden kräfte 
anderer beschäftigungen kennt, und der die weit mit offenen äugen 
ansieht, worin nicht wenige und nicht unbedeutende menschen leben, 
die ihre geistige ezistenz keiner lateinischen schule verdanken,' — 
Unter den ^unbestimmten lobpreisungen der alten sprachen, die an 
charlatanerie grenzen' (II 153) ^ und den ^so vielen unbestimmten 
anpreisungen der alten , mit denen man jetzt wieder Überschwemmt 
werde' (I 575) > versteht Herbart ohne zweifei in erster linie die 
wertsch&tzung der formalen bildung durch die alten sprachen« *aUe 
die bejcannten anpreisungen der aus der grammatik entspringenden 
vorteile fallen in das gebiet der bedingten und selbst sehr eng be- 
grenzten Wahrheiten, sobald man aus hinreichend umfassender päda- 
Ipogischer erfahrung die weit kräftigere gymnastik des geistes durch 
die mathematik kennt' (II 146).'" 

Die annähme eines formal bildenden latein -Unterrichts wird 



^'J die fast erbitterte stelle frecren die tyrannei der gymoasien heisst 
ganz: ^dasz man junge leute, die nicht studieren sollen, dennoch doroh 
die gymnasialclassen gehen ISMt, nnd sie dort mit strenge sa arbeiten 
anhält, deren zwecklosigkeit sie selbst nnr sn gat voraussehen, — • igt 
einor von den stärksten beweisen von mangel an nachdenken nnd von 
hingebung an unbestimmte lobpreisungen der alten sprachen, die an 
eharlatanerie grenzen.' 

^ man beachte aber aneh die anmerkung Herbarts: 'die bilUgkeit 
erfordert hier zu bemerken, dasz sich manchmal ebenso unkluge an- 
preisungen der mathematik, als der Sprachstudien hören lassen.' 



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Die alten spraohen in der pädagogik Herbaria. 



257 



in der knizen enoydopttdie (II 470) abgewiesen: *die lobeserhebun* 
gen der formellen bildong durcb lateinische grammatik könnte man 
sparen; die jagend bebilffc sich gern ohne diese bildung, welche 
eigentlich erst im mftnnlichen alter TOn denen gewonnen wird, die 
sich darauf legen.' 

Die starke eineeitigkeit, welche in dieser vollständigen Vernei- 
nung der formal bildenden elemente des altsprachlichen Unterrichts 
wie der intellectuellen bildung Überhaupt liegt, leuchtet aus diesen 
aussprüchen Herbarts zur genüge hervor, eine eingehende Wider- 
legung dieser anschauungen zu geben, kann kaum meine aufgäbe 
sein; ich wäre auch nicht im stände sie zu liefern, denn einerseits 
gehörte dazu eine genaue kenntnis nicht nur der psychologie Her- 
barts selbst, sondern auch alier folgenden psychologen bis zu den 
Vertretern der neuesten richtung, anderseits müste man sich mit den 
meinungcn der pädagogen nach Herbart vertraut gemacht haben, 
weiche isich ja alle, sei es nun in zustimmender, sei es in abspre- 
chender weise, mit der ansieht Herbarts abfinden musten. dies 
s^hlieszt aber die kenntnis einer fülle von litteratur ein, die man sich 
nicht in kurzer zeit zu erwerben vermag, ich möchte daher nur in 
kürze darauf hinweisen, dasz selbst von den ausl)ildn<jrn des Her- 
hartächen Systems die einseitigkeit erkannt und teils gemildert, teils 
ganz vermieden worden ist. ^ 

Am engsten schlieszt sich ohne zweifei an Herbarts anschau- 
nngen Aber diese seite der pädagogik T. Ziller an, welcher im 
Yierten paragraphen seiner ^grundlegung znr lehre vom erziehenden 
nnterricht** 8.65 — 93 ausfiüirlich fiber den wert des altsprachlichen 
nnterrichte handelt, nachdem er zanfiehst die vorteile desselben 
ganz im sinne Herbaris dargelegt hat (s. 65 — 74), wendet er sieh 
energisch nnd mit entschiedener abweisnag der annähme von seelen- 
y ermögen gegen 'eme formal bildende kraft', welche man dem Sta- 
dium der alten sprachen zasohreibe 'in dem sinne, dasz dadoreb eine 
allgemeine geistige befähignng gewonnen wtlvde'. — Allerdings ist 
mit der materialen bildung, d. i. derjenigen, die neuen Torstellangs- 
inhalt erzeugt, immer zugleich eine formale bildung verbunden, in- 
sofern alle dem Inhalte nach neuen und an sich unveränderlichen 
Torstellungen, welche erworben werden, und nicht vereinzelt bleiben, 
nach den inneren gesetzen der compUcation und Verschmelzung Ver- 
bindungen eingehen, in denen sie als eigentümliche kräfte wirken, 
und insofern dadurch die bisherige form des geistes verändert wird 
(s. 75). aber die kräfte, welche durch die 'insoweit mögliche formale 
bildung orzeugt werden, haften an dem stoffe, woran sie erzeugt 
werden' (s. 77). von diesem Standpunkte aus entwickelt nun Ziller 
*die fornjalen Wirkungen' des Sprachunterrichts, welche aber nur 
unter der bedingung eintreten, 'wenn er mit dem übrigen unterrichte 
und dem leben des zöglings innig verschmolzen ist' (s. 79). er faszt 
diese vorteile in folgenden Worten zusammen: der Sprachunterricht 
kann 'auch eine schule der geistigen und sittlichen energie und cha- 

N. jahrb. f. phil. a. päd. Ii. abt. iSdO hft. 1 u. 5» 17 



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258 



Di« slteii spraciten m der pädagogik Herbarts, 



rakterbildung werden, er kann das lernen and arbeiten lehren^ er 
kann selbst vertrauen nnd demut einflössen , er kann im überlegen 
bekntsam nnd besonnen, im handeln fest und beharrlich machen, er 
kann den ganzen menschen kräftigen und stählen, sodasz sein geist^ 
nachdem er durch die erste arbeit recht erstarkt ist» mit voller kraft 
zu jeder andern arbeit übergeht, und auch auf einem ihm bisher 
fremden gebiete leichter, rascher und sicherer vorwärts kommt* 
(s. 78). allein diese lobpreisim«^ des altsprachlichen Unterrichts als 
solchen, die über Herbarts anschauung hinausgeht, finden wir weiter 
unten (s. 80 f.) wieder abgeschwächt, wo Ziiior sagt: * immerhin, 
darf man nicht behaupten, dasz das Sprachstudium eine klare, schnelle^ 
sichere auffasbung und durchdringung aller begnllb- und lebensver- 
hältnisse verscLafifen, dasz es die ganze denkkraft tiben^ dasz es wegen 
seiner allgemein formal bildenden kraft als Surrogat für andere 
Studien des jugendunterrichts dienen könne' usw. auszerdem kann 
'die Übung im gebrauche der allgemein logischen formen (vgl. s. 77 j 
und den güubtigen eiuflusz auf charakter und bittliclikeit, welche 
der beschäftigung mit der spräche aus gutem gründe nachgerühmt 
werden, jeder andere Unterricht gleichfalls gewähren' usw. 

' Anik Kern steht hinsichtlich dieser frage Über den altopraeb- 
liehen nnteniebt in den grundgedanken durehans auf dem boden des 
meisters, befindet sich also in diesen auch mit Ziller in ttberein- 
Stimmung, auch er leugnet ('grundrisz der pSdagogik' 1887, § 17 
8. 44 ff.) die formale bildnng, mag der nnterriclit nnr die denkkraft 
bilden oder alle geistigen krSfte entwickeln « nnd begründet diese 
ansieht ebenso mit der Zurückweisung der ezistenz yon seelenTer- 
mögen, welche durch die entwieklung am Stoffe zu krttften werden 
könnten; auch er schreibt jeder gestaltung von Torstellungsmassen 
eine formale und zugleich , da keine Vorstellung ohne bestimmten 
inhalt gedacht werden kann, materiale bildnng zu (vgl. Ziller grund- 
leg.' s. 75. 80 f.). ganz in Übereinstimmung mit Herbart und ZiUer 
behauptet er, dasz di^ durch TorstellungSTorbindungen erzeugten 
kräfte 'am stoffe haften; ist dieser mit einem andern gedankenkreise 
eng verbunden, so wird er nnd mit ihm die an ihm haftende kraft 
durch letztern reproduciert' (vgl. Herbart II 462. 465. Ziller s. 77). 
— Das einseitige urteil Herbarts über den wert des Sprachunter- 
richts an sich sucht aber auch Kern zu mildern und zwar so, dasz 
er die bildung verschiedener interessen durch ihn zugibt, obwohl er 
nemlich die berechtigung des Sprachunterrichts in dem ganzen des 
erziehenden Unterrichts nur als ergänzung des geschichtsunterrichts 
anerkennt, so behauptet er doch, 'dasz er auch an und für sich geeignet 
sei, dem zwecke des erziehenden Unterrichts durch erregung eines 
verschiedenartigen Interesses förderlich zu werden, er gewöhnt an 
beobachtung der im Sprachgebrauch liegenden gesetze, er führt zu 
einer denkenden butracbtunL^ ihres innern zubammunLanga und ihrer 
gründe (also speculutivüs inlcresse)j erweckt den sinn nicht nur für 
die richtigkeit, sondern auch für die Schönheit der sprachlichen form 



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Die alten sprachexi in der pftdagogik Herbarte. 



259 



(isthetiBches intemse), er wirkt sogar auf das sittliche urteil, indem 
er den spracfalichen auadrack dem gedenken entsprechend bilden 
lehrt und damit das wahrheitsgefOhl etfirkt'. 

Weiter y als es Kern thut, entfernt sich Waitz Ton der Her- 
bartschen ansieht; er behandelt in seiner ^allgemeinen pädagogik' 
§ 25 (s. 374 — 401 der von Will mann besorgten ausgäbe) die alten 
sprachen, und betont da auch ihren formalen bildnngswert (vgl« 
8.379). Mer richtige betrieb der grammatischen Übungen verspricht 
ohne zweifei der entwicklung der intelligenz nach ihrer formalen 
Seite einen erfolg, wie er sich von keinem andern bildungsmittel er- 
warten läszt/ auf die nähere begründung dieser behauptung kann ich 
hier nicht weiter eingehen, ich möchte nur noch die eine stelle hervor- 
heben, wo Waitz von dem werte der Übersetzungsübungen mit fol- 
genden Worten spricht (8.381): 'die Übersetzungen aus einer fremden 
alten spräche in die deutsche verlangen eine auf merk Scimkeit auf 
das, was gesagt werden soll, und was sich sagen läszt, ein sinnendes 
herumwenden alles einzelnen, ein arbeiten in und mit der miitter- 
sprache, wie es von keiner andern Übung zu erwarten ist. wird diese 
Seite des Sprachunterrichts bisweilen nicht hinreichend ausgebeutet, 
so f^Ut dies dem lehrer, nicht der sache zur last.' 

Am selbständigsten aber scheint mir das urteil von Willmann, 
dem trefflichen heraiisgeber der pädagogischen Schriften Herbarts, 
zu äe'm. hatte er schon in den anmerkungen zu denselben darauf 
klügedeutet, daaz Herbart von einer untericliätzung des exacten 
grammatischen Unterrichts (1 122 anm. 5), des Sprachstudiums (1412 
anm. 59) nicht frei ist , so hat er selbst in seiner 'didaktik als bil- 
duigaleb»'n*bd* 1889 in dem 'das philologische element derbildung* 
betitelten abschnitte (s. 84 — 127), insbesondere § 47 'spracbkonde' 
und § 50 *die alten sprachenS dem formal bildenden teile des alt- 
Bpraohlieben nnterrichts sein vollstes recht mit schönen, bestimmten 
Worten eingerftumt*** von ihnen nnr einen bmchteil hier anznfUhren, 
will nnd masz ich mir versagen; nur das möchte ich noch hervor- 
heben» dasa Willmann im gegensata zn andern Herbartlanem auch 
dem latein wieder seinen bevorzugten plats im unterrichtebetriebe 
des gymnasiums zuweist (s. 121). 

Von den nicht-Herbartianem hat auch Moller in Sclnnids 'ency 
clopädie des gesamten erziehungs- und unterrichtswesens' ' III 367 & 
(nachgeprüft von Weiss) die einseitige auffassung des altsprach* 
liehen nnterrichts durch Herbart angegriffen, wie er sich gegen die 
annähme einer nrsprflngliohen leerheit und Unbestimmtheit der seele 
(374 f.) wendet und gegen die ansieht, dasa die wissenschaftliche 
bildung lediglich mittel zur Charakterbildung sei, keine selbständige 
bedeutuDg habe (381 so erklärt er auch (391), 'dasz die.objec- 

über die formale bildung im allgemeiueo und über die Seelen- 
Vermögen Tgl. II §§ 40 und 41. 

^ beides wird auch von Henn, Sehiller 'lehrbnch der geschiishte der 
Pädagogik' s. 345 f. gerügt. 

17* 



260 Die alten sprachen in der pftdagogik Herbarts. 



tiYe wertachStsnng der reinen erkenntnis und fertigkeit z.b* aaf dam 
gebiete der sprachen durch Herbart zurttckgedHtngt und einiger 
xnaszen verkürzt werde'. 

Auf zwei recensionen der allgemeinen pSdagogik weist Will« 

mann zu der mehrfach von mir herangezogenen stelle von der 'last der 
zeichen' im Unterricht hin (1410 anm. 59), deren eine sehr ausfflbr- 
lich und mit einer gewissen begeisterung für die formale bildungs* 
kraft des altsprachlichen unterrichte eintritt (recension der neuen 
Leipziger litt.-ztg.). hier wird auch, wie beiWaitz, gerade dasHboir» 
setzen als eine vortreffliche Übung in logischen combinationen her- 
vorgehoben, kürzer und blasser ist in dieser hinsieht die kritik der 
allg. litt.-ztg., welche das Sprachstudium angewandte logik nennt. 

Entschieden wertvoller aber al s diese äuszer im gen >pHterer sind 
für unsere betrachtungen diejenigen stellen der schriften Herbarts 
selbst, an welchen er eben doch dem Sprachstudium als solchem 
einen gewissen wert beilegt; mag derbeibe in Herbarts äugen auch 
nur ein unbedeutender sein, so sehen wir doch, dasz er selbst hie 
und da die von ihm zu eng gezogenen grenzen überschritten hat. 
wir dürfen also in diesem falle dem sonst so strengen sjstematiker 
wolil eine gewisse inconsequenz vorwerfen. 

So wird in der kurzen encyciopüdie (11 466) der grammatik 
ein Zusammenhang mit der logik zuerkannt; freilich wird dieses lob 
nur mit knappem masze der grammatik zugemessen. *kaum als bei- 
spielsammlung zur logik iSszt sich die grammatik gebrauchen , ob- 
gleich hier einige gemeinschaft der begri£Pe, daher auch eher ein 
pädagogisohes zusammenwirken möglich ist; das nemliche gilt in 
andern punkten von der logik und der mathemaiik«' etwas anders 
lautet das urteil werke I s. 60 (bei Wülknann citiert II 133 anm.7): 
*die logik pflegt denen, welche sieh emstlich mit grammatik be- 
sclAftigen, leicht genug zugSnglich zu sein.' — In den 'aphorismen 
zur Psychologie' (werke VII 663, bei Willmann II 411), wo von der 
Vertiefung die rede ist, heiszt es: ^allgemeine urteile erfordern die 
doppelte, gleichzeitige Vertiefung ins subject und prädicat, allge* 
meines denken eine vielfache Vertiefung. — Sprachbildung ist hier 
bedeutend, aber ihre art von correctheit ergibt doch eine art von 
pedanterei, sie klebt am factischen, sucht ihre belege in einer anzahl 
von einzelheiten ; vermeidet Verstösse durch einen kleinigkeitsgeist, 
der sich selbst lobt, weil er Unterhaltung findet im empirischen wissen. 

wie lieset der philolog den Pliiton? Sprachstudium vertieft 

die begriffe und ist insofern unentbehrlich, aber es bildet sie höch- 
stens logisch; und nicht einmal bis zu schluszketten.' ^' 

Dasz der sprach uuterricht von einflusz auf das speculative Inter- 
esse ist, gibt Herbart im umrisz § 87 (II 548) zu : 'selbst das specu- 
lative Interesse geht nicht leer aus, wenn nachforschungen über den 



vgl. zu dieser und der vorher angeführten stelle^ was ich weiter 
oben 2U werke I 30 (Wilhn. II 123) bemerkt habe« 



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Di^ alten Bprachen in der pftdagogik Herbaris. 261 

grammatiscben hnu dieser sprachen ''o^riechisch und latein) hinzu- 
kommen.' doch w ird in dieser beziebung der matheniaiikder vorrang 
zuerkannt, dasselbe wird in § 92 (II 551) wiederholt: 'zur Übung 
im denken und hiemit zur anrei^nnirf des speculativen interesse bietet 
sich alles dar, was in der natur , in menschlichen angeiegenbeiten, 
im bau der sprachen, in der reiigionslehre einen Zusammenhang 
nach allgemeiuen regeln erkennen oder auch nur vermuten läszt.* 
Tgl. noch § 135 (II 574) : 'Übung im denken gewährt teils der analy- 
tische, teils der grammatische, teils der mathematische Unterricht. ' 

Über die nahen bci ührungen zwischen grammatischen und phi- 
losopbibcbcu btudien spricht bich Herbart einmal ausfübrlicb in seinem 
'ItiLrbuch zur einleitung in die philosophie' 1834 (werke I 30) ans, 
eine stelle, welche Willmann II 123 wiedergibt, wenn Herbart hier 
such znnftchst nnr den Sprachforscher im äuge hat, 80 mnsE doch 
jeder zugeben, dasz dasselbe, was mit diesen werten Aber die logi- 
schen nnd andern geistigen thfttigkeiten beim untersuchen der spra- 
chen gesagt wird, znm teil auch von dem grammatischen unterrichte 
auf den gjmnasien gelten musz, vorausgesetzt dasz dieser dort 
grttndlich getrieben wird, die stelle lautet: *in den sprachen, als 
zeichen der gedanken, spiegeln sich die gedenken selbst, also auch 
deren bestandteile samt ihren verhSltnissen. nimt man aus der 
spräche die nomina propria hinweg, so bleiben worte von sehr allge- 
meinem gebrauche, bestimmt nun der Sprachforscher die bedeutung 
der einzelnen worte, so ist er im gebiete der allgemeinen begriffe 
und steht hier mit dem philosophen auf gleichem boden. teüt er die 
Worte in verschiedene klassen, so erhebt er sich zu höheren allge- 
meinbegriffen, ableitung und biegung der worte zeigen ihm eine 
bewegnng in den begriffen zum behuf manigfaltiger Zusammenset- 
zungen, welche durch die syntaktischen regeln vollständiger bestimmt 
werden, wiefern nun die begriffe selbst solche Verknüpfungen er- 
lauben, geben sie an]ns7 zu logischen betrachtungen ; wiefern aber 
die regsamkeit des menschlicben geistes dabei zum Vorschein kommt, 
oöVn baren sich psychologische thatsachen. logik also und psycho- 
logie sind die teile der philosophie^ in welche derjenige zunächst 
suchen mag den emgang zu ünden , der von der seite des Sprach- 
studiums herkommt, von einfacher benennung oder ausrufung, die 
nur ein anknüpfen neuer anscbauung an ältere Vorstellungen ver- 
rät, bis zum bau der periode, worin einzelne urteile bald aneinander 
reihend, bald einschiebend, bald entgegensetzend auf die manig- 
faltigste weise verbunden werden, zeigt sich hier ein merkwürdiger 
fortschritt und rückschritt, welchen die vergleichung älterer und 
neuerer sprachen genauer zu tage legt.' 

EndHch möchte ich auch die stelle noch anführen, an welcher 
Herbart dem grammatischen Unterricht einevortheilhafte einwirkung 
auf den Unterricht in der muttersprache und somit also doch auch 
einen gewissen wert an sich zuspridit umrisz § 277 (II 6B5): *be- 
hanntlich gewinnt die nachweisung der grammatischen unterschiede 



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262 Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 

und der mancherlei Wendungen , wodurch die spräche ausdruckbvoll 
werden kann, an klarheit gar sehr durch vergleichiin^ des deutschen 
mit dem lateinischen und griechischen, man kann schon bei knabun 
im achten jähre versuchen, ob sich dieser vorteil für die lehrstundeu 
im dcutbcben benutzen lasbü^ auch wenn noch nicht fest büschiosseii 
ist, dasz sie den gewöhnlichen cursus der gjmnasien machen sollen, 
einige knaben lernen die lateinischen flezionen ohne viele mttbe so 
weit, dasz de kurze sStze wob dem deotsclien inB lateinisoiie und um- 
gekehrt bald fibertragen kdnnen.'*^ 

DasB jedoch alle diese stellen, an welchen Herbart den for- 
malen bildnngswert eben doch mit einer nicht zu leugnenden incon* 
Sequenz für den altsprachlichen Unterricht zugibt, nicht genügen, um 
ihn vor dem Vorwurf der einseitigkeit in schütz zu nehmen, musz 
man wohl zugeben* im folgenden machte ich noch in aller ktirze auf 
einen andern punkt hinweisen, in welchem ich ebenfalls die sonst so 
bewunderungswürdige folgericditigkeit des grossen denkers mit grund 
zu vermissen glaube. . wenn wir nemlich die wucbt aller der aas« 
Sprüche, in welchen über die belastung der scbtiler durch den alt- 
sprachlichen Unterricht und das aufhalten der entwicklung im jugead« 
liehen gemüte durch die alten 'sprachen geklagt, und in denen ihrem 
Studium jeder formale bildungswert abgesprochen wird , gegen die 
stellen in die wagschale werfen, welche die not wendigkeit der alt- 
sprachlichen kenntnisse für die erforderlichf^ vcrgegenwärtigüno; des 
altertums betonen, so dürfen wir wohl fragen, warnm tierbart über- 
haupt im erziehenden unterriebt diese last weiter geschleppt wissen 
will, zumal er des Öfteren hervorhebt, dasz dem nicht-gyranasiasten 
ein er s ätz durch Übersetzungen classischer werke geboten werden 
könne. 

Diese ansieht finden wir an mehreren jetzt anzuführenden stellen 
ausgesprochen, in der allgemeinen pädagogik (I 447) sagt Herbart, 
dasz es ftille gäbe, wo man auf den synthetischen Unterricht in seiner 
' ganzen ausdehnung verzichten müsse; kommt es darauf an ihn 
zu verkürzen, und gleichwohl nicht zu verunstalten. — Die menge 
der sprachen f&Wt weg, man braucht Übersetzungen und auszüge, 
wo man sonst originale und ganze werke gelesen hStte/** danach 

auch diese seite des altsprachlichen Unterrichts läsztWaitz weit 
mehr zur geltung kommen, vgl. s. 380: Mieser frewinn für die mutter- 
fiprachei der sich nicht wobl aus dem giainmatischeo Studium dieser 
letEteren allein, wenigstens nieht in gleicher weise sieben Itet, ist nicbt 
gering anzuschlagen; denn er ist sngleich für die formale Seite der 
intellrctnnll 011 biMTinc überhaupt von wichtig^keit' nsw. v^l, aoch die 
schon oben citierte stelle s. 3S1. auch Kern legt mehr gewicht darauf 
grundr. § 94 s. 277. vgl. noch Miller grundleg.' s. 79. 

im jähre 1857 gab W. Wiedasch einen 'denischen haus- und 
echul-Homer' in der metrischen Übersetzung' des 'alteren AViedasch lier- 
aus, um, wie Moller a. a. o. s. 386 sagt, mit beseitigunp des in der 
Ursprache liegenden bindernisses den gedanken Herbarts iu weiteren 
kreisen ausführbar cu machen. Kohlransch, ein sehüler Herbarts, schrieb 
die einteitung sa diesem buche. 



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Die alten iprachen in der päda^ogik Herbarts. 263 

ist denn nun der lehrplan der hölieren bürgerscluilen eingericbtet 
(II 151). 'der lehrplan musz ganz dieselben fiicber umfassen, wie 
die gymnasien; mit zweien unterschieden; zuvörderst, dasz statt der 
alten sprachen die besten Übersetzungen der vorzüglichsten classiker 
gelesen werden (Homer, Virgil, Livius , Herodot usw.), dergestalt 
dasz nur das veiiikol des unten-iclits geändert sei.' und kurz vorher 
htiiszt es (II 150), dasz unter der Voraussetzung, welche zureichend 
unterrichtete lehrer verbürge (erhaltung der gesamtbildung durch 
bestehenbleiben der gjmnasien), es offenbar sei, dasz niät alle 
scihfller, um eine ToUstlkiidige bildung zu erlangen, gelbst ans den 
«lien 8U Bcd)öpfen brancbten. — FrnlicJb erkennt Herbart.an (II 472), 
dasz die docnmente in den Ursprachen weit tiefem und bestimmtem 
eindrack machen, als in den ttbersetzangen* *aber dies ist nooh keine 
pädagogische reehtfertigattg des Zwanges und zeitTerlostes beim 
vnterrichte in den alten sprachen, wShrend anszerdem genug und 
nur zu viel zu lernen Torhanden ist.' diese rechtfertigung sieht er 
an dieser stelle nur in der amtlichen rQcksicht liegen, dasz der Staat 
nemlidi künftige theologen, Juristen, mediciner, philologen und 
Philosophen brauche, dieser grund aber gehört zu den aaszerfaalb 
der Pädagogik liegenden, welche ich sogleich im zusammenhange be- 
sprechen werde, scheint es nicht fast so, als ob dieser allein der 
beibebaltung der alten sprachen eine stütze verleihe? wie können 
wir diese stelle in einklang bringen mit den oben vou mir so stark 
hervorgehobenen aussprüchen , in denen die notwendigkeit des alt- 
sprachlichen Unterrichts auch für den erziehenden Unterricht von 
Herbart betont worden war? und stehen nicht die worte (II 160): 
^es ist offenbar, dasz nicht alle schüler, um eine vollständige bildung 
zu erlangen, selbst aus den alten zu schöpfen brauchten"', in direc- 
tem Widerspruch zu den oben citierten (TT 103) , wo Herbart sagt, 
dasz er überzeus^t sei, dasz in unseren Zeilen kein Unterricht ftlr ganz 
vollständig gellen könne, der nicht einen teil seines weges durch die 
alten sprachen herdurch genommen habe? 

Hier liegt meiner ansieht nach eine inconsequenz Herbarts klar 
vor unseren äugen; ich kann sie mir nur so erklären, dasz Herbart 
in seinen späteren Schriften in der [riinz bestimmten absiebt, dio aus- 
gcstaltung der laieinlosen höheren biirgerschulen (hauptschulen) be- 
sonders warm zu empfehlen, die classischen Studien der gymnasien 
in ihrer bedeutung etwas zurückgesetzt hat. darum finden wir jene 
weitgehende bebauptung (II 150) gerade in dem ^gutaehten zur 
abhtUfe fttr die mftngel der gymnasien und bürgersehnlen*. dieselbe 
etwas tendenziöse ftrhiing zu beobaehten hatten wir ja schon oben 
einmal gelegenheit, wo wir sahen, dasz Herbart im 'abc der an- 

• gans so zuverriobtlich äuszert sich Kern nicht, er sagrt nur (§ 98): 
*der päcI.H^^-ogiscben vorteile, die gerade die altclassische litteratur dar- 
bietet, kann die höhere bürgerscbule wenigstens eLuigermaszen teil> 
haftig werden durch fibersetznngeii und bearbeitangen, die im geiste 
dM originab geschriebea sind/ Tgl. auch Ziller gmndlegung* s. 8S» 



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264 Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 

scbauung' zu gunsten der mathematik, deren pädagogische yorzüge 
er gerade da bescmderfl ImvcxMum wollte ^ die apraclistndien ge- 
ringer anscblng. 

Die nieht-pftdagogiseben grflndei welebe fOr die notwen- 
digkeit des alt&prachliehen unterricbti auf den gymnasien von andern 
geltend gemacht werden, and anf die in der eben besprochenen stelle 
aacb von Herbart selbst ein gewisses gewicht gelegt wurde, werden 
mehrfach in seinm pttdagogischen Schriften behandelt; aber anch sie 
nicht in ganz gleicbmäsziger weise, wftbrend er sie nemlich an 
einigen stellen einfach zurückweist, gesteht er ihnen an andern wieder 
rechte zu. zweimal spricht er ihnen im umrisz jede gelinng ab. 
II 555 heiszt es: ^man möge nur nicht erwidern, die gymnasien 
mttsten das griechische und lateinische beibehalten, weil sie künftige 
beamte zu bilden hätten, denen die alten sprachen ebenso ntttzlich, 
ja nötig seien , wie andern ständen die neuern. denn wenn einmal 
die classischen Studien in den rang des nützlichen und nötigen herab- 
gesetzt sind, so steht die tbüre denen offen, welche endlich noch 
fragen, wozu denn der landprediger das hebräische, der practische 
Jurist und arzt das griechische brauche?* — Dieselbe amtliche 
rOcksicht hat man gewis auch (ebenso wie die formale bildungs- 
kraft des Sprachstudiums) II 637 unter den ^nebenvorteilen* des alt- 
bprachlichen unternchts zu verstehen, die man so hoch anzupreisen 
gewohnt sei 5 mit unrecht, wie Herbart offenbar ergänzt wissen will. 

Ein solcher nicht- pädagogischer grund für die beibehaltung 
der alten sprachen ist auch die Wichtigkeit derselben für sprach- 
geschiehtliche beobacbtung und bildung des Stilgefühls (II 635). 
'man Luit oft bebauptün: die alten bprachen geben einen festen njasz- 
stab, wonach der fortscbritt und das sinken neuerer sprachen zu 
bestimmen sei; auch müsse an den altclassischen werken das muster 
für reinheit und schOnheit der Schreibart erkannt werden, diese und 
tthnliche behaaptungen sind unleugbar richtig und höchst gewicht- 
voll; allein sie sind nicht pädagogisch, sie drtlcken ans, was flbei^ 
haupt geleistet werden soll, aber nicht, was jüngeren individaen zu 
ihrer bildung nötig ist; and die grosze mefanahl derer, welche sich 
zu staatsttmtem Torbereiten, kann sich nicht damit befassen, ttber 
Sprache und Schreibart zn wachen, sondern mnsz die spräche nehmen, 
wie sie ist, nnd diejenige sdireibart sich aneignen, die zum geschSfts* 
kreise passt. jene höheren sorgen kommen den Schriftstellern zn; 
aber niemand wird zum Schriftsteller erzogen/ — Fachgelehrte 
sollen überhaupt nicht auf den gymnasien erzogen werden; für diese 
verlangt Herbart gelehrte berufbschulen zum erlernen bestimmter 
kttnste und Wissenschaften (II 667 anm.). 'sie sind auszerhalb der 
pttdagogischen spbäre.' eine solche ist z. b. die schulpforte (I 575). 
conservatorien soll jeder staat stiften (warum dieser ausdruck hier 
gewählt ist, wird sofort klar werden); nicht nur pbiloloGfische , son- 
dern auch polytechnij^che schulen, die pädagogik hat hier keine 
stimme; es gibt hier nicht Zöglinge, sondern lehrlinge (I 575). 



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Die alten Bpraeben in der pftdagogik HerbarU. 265 

Der bedeutsamste nicht -pädagogische grund für beibehaltung 
der alten spraeben ist nun aber der , dasz der ataat für seine künf- 
tigen beamten schulen mit altsprachlichem unterrichte braucht 
(kurze encyclopSdie II 469 f.). ^ der ataat braucht beamte manig- 
^EJtigster art. der staat trägt überdies sorge, dasz ein wandelbares 
Zeitalter nicht die alten documente der Wissenschaft und kunst aus 
den äugen verliere." Diese betrachtungen sind höchst gewicht- 
voll; aber sie sind eben so wenic; pJidagogisch , als das in ältern 
Zeiten übliche, unstreitig sehr zweckrcLL-zige verfahren, bei neu ge- 
setzten grenzsteinen ein häutlein knaben heftig zu prügeln, damit 
sie sich die grenzen und deren bezeichnung genau merken sollten. — 
Freilich wird griechisch und latein am sichersten im andenken er- 
halten, wenn man fortwährend eine zahlreiche jugend zwingt, zur 
erlemung dieser sprachen ihre beste empf&nglichkeit herzugeben, 
freilich braucht unsere theologie diese ganze kenntnis, unsere Juris- 
prudenz und medicin wenigstens einen teil derselben,' - — Diese 
motive sind 'ebenso einleuchtend als dringend'; man Werderbe daher 
nicht das klare durchs dunj^le, nicht da^ fette durcbs bcli wankende 
und zweideutige. — Man sollte froh sein , wenn es der pädagogik 
gelingen kann, sich unter leicbten bedingungen mit jenen, von ihr 
gar nicht ausgehenden und gleichwohl gebietenden grttnden für die 
beibehaltung der alten sprachen dergestalt zu vertragen, dasz sie 
nicht gentitigt werde Aber erlittenen schaden klage su flihren. — > 
Latein musz gelernt werden; fßglich auch lateinische grammatik; 
das ist wahr und das genügt, was die alten dassischen sprachen an* 
langt, so haftet an ihnen das Studium der theolofi^, Jurisprudenz, 
medicin) ja die gesamte gelehrsamkelt so sehr, dasz sie in den ge- 
lehrten schulen immer die gmndlagä ausmachen müssen' (II 608). 

Die öffentlichen schulen sind es, welche diese amtUdie rttck- 
sieht besorgen, 'die öffentlichen schulen sollen einen groszen verrat 
von kenntnissen erhalten und für künftigen amtlichen gebrauch aas- 
teilen, dies höchst nötige geschäft wird sich niemals den p&dago- 
gigchen betrachtungen ganz unterwerfen' (II 240)* so gut es aber 
geht y müssen beide rücksichten vereinigt werden. *ein anderer ge- 
Sichtspunkt für die gymnasien (als der des erziehenden Unterrichts), 
dasz sie für aufrechthaltung der kenntnig des altertums zu sorgen 
haben, ist nicht ausgeschlossen, sondern musz mit jenem vereinigt 
werden' (II 522). diese rücksichten sind jedoch nebenrücksichten, 
auf welche sich die schule eingelassen hat (II 108 f.), 'die nicht 
unmittelbar aus den pädagogischen principien folgen, in ihr zeigt 
sich die erziehung nicht mehr in ihrer einfachen, ursprünglichen, 
natürlichen gestalt, sondern in einer künstlich angenommenen, durch 



*7 er musz sie also ' conservieren'; daher 'oonservatoiien'. vgl, 

II 489: ^alles classisclie soll wie ein schätz der nationen gehütet werden, 
beamte sollen gelehrte sein, prüfungen den unwissenden ziirückweisen.* 
vgl. auch noch die oben s. 263 bereits citierte stelle II 472. 



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266 



Die alten qKtachen in der pftdagogik Herbaits. 



umstBnde* bedingten; lud darum ist die wirkeamlceit einer salcben 
schiüe selbst nur bedingterweise woblthfttig/ Herbart erkannte Je- 
doch sehr woU, dasz die schalen eben notwendigerweise diesen yer- 
trag eingehen mästen | denn^scfanlen, die ihrer natnr nach das lehren 
und lemeq snr hanptsaehe madien^ sind keine emehnngsanstaLten, 
und können es nie werden, sie sind hilfsanstalten für feunilien, welche 
die angegebenen erfordernisse der erziehong schon erfllllt haben' 
(II 460, vgl. 4t] 9). dasselbe wird U 240 gesagt: 'man vergiszt sn 
leicht, dasz öffentliche schulen noch mehr sn thun haben, als zu er* 
ziehen, sie sollen lehren.' 

Dasz durch diese amtliche rücksicht der Vorrang der philologie . 
auf den gymnasien bedingt werde, hatte Herbart an der oben 
angeführten stelle (II 265), auf welche ich hier nur zu verweisen 
brauche, gesagt, diese rücksicht versteht er unter den besonderen 
Verhältnissen, ^welche den fremden sprachen im Unterricht m man- 
chen fällen eine vorzügliche Wichtigkeit erteilen' (II 608); sonst 
würden sie in den untersten ransf der lehrgegenstLinde für das knaben- 
alter kommen, da die höhere bürgerschule der amtlichen rücksicht 
nicht räum gibt und auf den altsprachlichen unterriebt verzieht 
leistet, so kann die bildung der haupt- (höheren bürger-) schtiler 
eben nicht, wie die der gymnasiasten, auf der Universität ei L^anzt 
werden; jene mögen es daher beim verlassen der schule immerhin 
empfinden, dasz es eine entbebruug sei, die alten sprachen nicht zu 
vorstehen {II 107). 

So viel über die auszer- pädagogischen gründe für die beibe- 
haltung des altsprachlichen Unterrichts, ich glaube durch die an- 
geführten stellen zugMofa meine behanptuug begründet zu haben, 
dasz sich Herbart in der benrteilung derselben nicht immer gleich 
geblieben ist 

(fortsetsiug folgt) 
WaivAB. Hamb ICbuah- Gerast. 



23. 

Franz Fügner, Livius xxi — xxiii mit Verweisungen auf 
Caesars bellum gallicum für die Bedürfnisse der schule 
GBAMMATISCH UNTBB8U0BT. Berlin, Weidmanusche buohhandlung. 
1888. 160 B. 8. 

Wenn das vorliegende buch, das unsern lesem schon aus mehreren 

besprechungen in andern Zeitschriften als ein treffliches bekannt sein 
wird, vcrhältnismäszig spät in den jahrb. zur anzeige gelangt, so 
kommt ihm diese Verzögerung nur zu statten, denn ref. hat so ge- 
legenheit erhalten, sein urteil über dasselbe auf grund von ei fah- 
rungen aussprechen zu können, die er im vergangenen Semester bei 
der lectüre d(»s 23n buches mit demselben gemacht hat. das rosultat 
ist das denkbar günstigste: abgesehen zunächst von seinem rein 



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F. Fügner: Liviua XXI^XXIII. 



267 



üviaaeiischaftlicben werte, setzt dfts buch den lehrer in den stand, 
das gelesene für den gratnmaiisclien unLerriciit viel müheloser, aber 
Äuch gründlicher zu verwerten, als das bisher gescbeiien konnte, 
gibt eine wohl geordnete Übersicht über die Livianische sjntax und 
ist dem lehrer bei der Vorbereitung auf die leotüre ein in jeder hin- 
flieht xnverlftsdger berater. 

Es entspricht Fdgners schon In den 'GaeearsStcen' zum aus- 
^mek gebrachtem streben nach ooncentration des lateinischen Unter- 
richts ToUhommen, wenn er, nachdem er die spräche Caesars als 
allein massgebend für das wissen des tertianers beseii^ete, für 
aecnnda neben Cicero auch Livius berücksichtigt wissen will, denn 
ist jene forderang dadurch gerechtfertigt, dass ausser wenigen dem 
Ovid oder Phaedrus gewidmeten stunden zwei Jahre lang aus- 
echliesilich Caesar gelesen wird, so ist es nach dem stände des der- 
aeitigen unterrichte in secunda — wonach der lectttre des LIyius 
ein volles jähr zuerteilt ist für jeden , der das princip der oon- 
centration anerkennt, eine unerlftszlicbe bedingung, dasz er den 
^Patayiner' eine zeit lang den grammatischen Studien zu gründe 
legt, wenn daher Schmalz in seiner recension der vorliegenden 
Schrift (deutsche litt.-ztg. 1889 nr. 30) Ffigners verlangen nachver- 
wertungr des Livins für den syntaktischen Unterricht in secunda mit 
einigen pbrasen KieraanriL-? obfcrtigt, so kann ihm ref. darin durchaus 
nicht beistimmen, niemand bestreitet ja, dasz des Livius spräche 
eine gewisse an^abl von erscheinungen aufweist, die nicht nur nicht 
nachahmung verdienen, sondern von deren gebraucbe der schüler 
zurückzuhalten ist: diese hat der lehrer als besondere eigentümlich- 
keiten des Schriftstellers zu erklären und zu kennzeichnen, höchst 
wunderbar aber wäre es, wollte man nach wie vor den schttter im 
allgemeinen vor der ausdmcksweise des bistorikers warnen, während 
doch der meist nach geschichtlicLen themen gearlieitete aufsatz 
püege des historischen stils voraussetzt, dann wäre es ja besiscr den 
Livius einfach aus der reihe der schulautoren zu streichen, da man 
den schtQer täglich der gefabr aussetzen würde, dinge in der einen 
stunde in sich aufzunehmen, die er in der nAchsten Bngstlich aus 
seinem gedankenkreiBe bannen mttste. nun so weit zu gehen scheut 
sich auch Schmalz, der flbrigens nicht daran gedacht zu haben 
adieint, dasz die ansieht von der Verwendbarkeit des Livius schon 
seit iSngerer zeit mehr Vertreter und freunde gewonnen hat, wozu 
die treflflichen bttoberi die im engen anschlusz an Livins materialien 
zu extemporalien und^szerdtien geben — idi nenne unter den besten 
nur das von Schultess — nicht wenig beigetragen haben. 

Wer sich von der brauchbarkeit dieser bttcher Überzeugt hat 
und sie bei schriftlichen und mfindlichen Übungen heranzieht, wird 
Fligners arbeit mit um so gröszerer freude begrüszen , als er hier 
alles , was er für seine schulzwecke braucht, viel übersichtlicher ge- 
ordnet und besser bei einander findet als im Rühnast, der noch dazu 
— w^ vergriffim — nur antiquarisch zum dreifachen preise zu er- 



268 



R FOgner: Linns 1X1— XXIII. 



werben ist. FQgner gibt nexnlieh die grammatischen erscbeinnngen 
in der ttbliehen reifaenfolge , einem jeden banptabsohnitte (yom Xn 
an nach demselben) wird das resnltat der Statistik vorausgeschickt^ 
die manches ttberrascfaende zu tage gefördert hat; dann Iftszt F. die 
thatsachen selbst sprechen, eine abweichnng yon Heynachers art, 
die nm so begründeter erscheinen mass, als man das material stets 
so vollstfindig bei einander hat, dasz schon bei flQchtigem snsehen 
der umfang und die bedeutung der betr. erscheinung erkannt wer* 
den kann, nie vergiszt F« femer aufmerksam zu machen auf alles, 
was Livius andern entnommen, aber in entschlossener, freierer weise 
fortentwickelt hat. 

Undassiscbes wird gerügt und durch die allenthalben zum ver^ 
gleich eingestreuten Caesarstelleu au das erinnert, was der schttler 
schon früher gelernt hat und was nunmehr an der band des Livius 
einer eingehenderen betrachtiinfr ym nntcr/ichen ist. dabei regt der 
verf. in zahlreichen fällen zum nachdenken ül er ^^^ewisse punkte der 
Syntax an, die gennuerer fassung bzw. berieb tigu 11 «j; bedürfen, fol- 
gende stellen habe ich mir notiert: s. 27 für den schüler genüge die 
regel: die veiba der trennung nehmen den abl. mit ab oder ex; nur 
arcere^ liberare, levare und die verbainopiae verlangen den bloszen 
abl. s. 30 empfiehlt er eine gröözere Vereinfachung in der befaand- 
luug dea abl. instrum. , bei dem noch viel selbstverständliches, also 
tiberflüssige^ m den grammatiken gelehrt werde; s. 32 wird der abl. 
pretii einer ähnlichen kritik unterzogen und betont, dasz die allge- 
meinen ausdrücke magno esse usw. weder bei Caesar noch bei Livius 
sich finden, daher dafür magno pretio esse verlangt werden müsse. 
8. 33. die begleitung drbekt der Lateiner durch cum e. i^l. aus — so 
ohne weitere die regel einschrSnkende zusfttze; s. 78 hebt der verf. 
den wert der präpositionen hervor, von dem die schttler bei der bisher 
meist geübten oberflächlichen bebandlungsweise kaum eine leidliche 
YOrstellung erhalten; s. 80 wird mit redit der regel von pono loco 
usw. die form gegeben: ponere usw. werden mit in c abL auch 
dann verbunden, wenn wir wohin? fragen; es fUlt somit für den 
schüler der zwang fort, an vielen stellen, wo es gar nicht nötig ist, 
vom deutschen abweichend zu übersetzen, — Am lehrreichsten in 
dieser beziebung ist das lOe cap. von den modi, welches von F. mit 
den Worten eingeführt wird: erstaunlich selten sind die fUle, in 
denen das deutsche vom lateinischen abzuweichen gezwungen ist. 
man braucht nur einen blick auf die dort niedergelegten beobach- 
tungen zu werfen , um die Wahrheit jenes Satzes bestätigt zu seheu 
(s. 93). besondere berücksichtigung verdient aber, was F. s. 96 dem 
infinit., s. 108 dem particip., s. 115 dem abl. abs. vorausschickt; wie 
schon andere vor ihm hebt er einerseits hervor, dasz dem schüler die 
Vorstellung — welche so viel Verwirrung m den köpfen hervon-uft 
— als seien der inf, , aec, c. inf. oder nom. c. inf. abl. nbs. neben- 
sätze, gar nicht oft genug ausgetrieben werden könne, anderseits 
rügt er das deutsch der Übungsbücher, die den lebrer bei seinem b^- 



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F. Fügner : Uma XXI— XXIIL 



269 



mtthen den Behttlern ttber die erwfthnten dinge die beste anfUSrnng 
zu geben, reobt oft im stiebe lassen, s. 123 und s. 21, wo er anf das 
gerandinm au spredien kommt, gibt er der erwilgnng anbeim, ob es 
sieb überbanpt noob empfefale, bei den sebfUern auf nrnwandlung 
ins gerandiTiim sn dringen, da Liv. in 27 fftUen snm abL, in 12 
fftUen zum gen., in 1 znm dat. gemndii einen objectsaocnsatiT setzt, 
statt das gerundiv zu wählen, ohne dasz einer der bekannten für die 
nnterlassong der Umwandlung beigebrachten gründe vorläge, ich 
kann F. bierin nicht beipflichten, da von jenen 27 fällen in 1 der 
objeetsacoQsatiT aus einem neotr. sing, (aliud), an 13 aus einem 
neutr. plnr. besteht (haec omnia usw.), wttbrend bei 22 fällen yon 
gerundiv nur 8 einen neutr. plur. als ursprttnglicben objectsaccua. 
aufweisen, man könnte also auf die Umgestaltung ins gerundiv nur 
dann verzichten, wenn der objectsaccusativ in einem neutr. plur. 
bestände; in den übrigen fällen, wo Liv. die Umgestaltung unter- 
lassen, kann man dafür besondere gründe — so den wünsch nach 
hervorhebung der handlung oder Verstärkung des gegensatzes — 
ausfindig machen, scblieszlich sei noch der Übersichten über die 
historische zeitlolge nach dem inf. bist, und praes. bist, und besonders 
in folgesätzen (s. 129 und 131) gedacht, wie schon erwähnt sind 
eben jene tabellen dem lehrer unentbehrlich , wiii er die in secunda 
für die grammatik ohnehin kurze zeit nicht noch mit der behand- 
luDg unwesentlicher dinge verlieren, an deren stelle oft weit wich- 
tigere treten m übten, daa einzige, wa^ leh bei einer neuen auf luge 
des buches noch geändert haben möchte, ist, dasz der Stilistik, die in 
secunda doch mehr in den Vordergrund zu treten hat als in tertia, 
eine grOszere bertteksichtigung zu teil werden möchte als es bisher 
der fall gewesen. — Einen index wird man bei der klsren disposi* 
tion und vorzüglichen typographischen ansstattnng des budies nicht 
Termissen. 

Nicht minder st^k als die praktische seite des buches sind auch 
die wissenschaftlichen vorzfige, die dasselbe aufweist. F. gibt uns 
einen grammatischen commentar zu den drei bUehenif der eine 
empfindliche Iflcke in unsern commentierten auszufüllen wohl ge- 
eignet ist. in kürzerer seit als es bisher an der band Eühnasts , 
möglich war, wird der junge philologe, soweit er sich nicht die zeit 
zu Specialstudien nimmt, die spräche des Livius kennen lernen, 
einem jeden, der sich mit der einen oder der andern erscheinung 
eingebender befassen will, gibt F. dazu die mittel an die band, die 
hauptsächliche litteratur, die F. selbst gründlich benutzt und an 
vielen stellen durch eigne beobachtungen und Zusammenstellungen 
bereichert und ergänzt hat, ist gewissenhaft angegeben, zur erleich- 
teriing des Verständnisses schwieriger stellen trägt F. durch die Über- 
setzung der betr. ausdrücke bei und wirkt hierdurcb sowohl wie 
durch die gründliche besprechung von zahlreichen coflijecturen viel- 
seitig anregend auf den jungen lehrer. 

Diesen groszen vorzttgen gegenüber , durch die sich FUgners 



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270 



Huber: latemifiche schulgittnuatik. 



arbeit anszeiehnet, können die wenigen kleinen veraeken, die mir 
aufgefallen sind, dem werte des bnäies keinen einirag than imd 
wflnsche ich ihm von herzen , dasz es recht fleissig bfinatzt werdci 
die beste anerkennnng, die die grosse mühe des hm. Terf. verdient. 

An einselheiten fand ich: s« 20 s. 7 v. u. 'dietatorem creare 
22) 8, 6 (st. dicere}' — um dem mis Verständnis vorzmbengen, als 
hätte Liv. an dieser stelle den scharfen nnterschied im gebraach der 
beiden verba verwischt, htttte F. erwähnen müssen, dasz in ermange* 
lang und abwesenheit des consuls, der den dictator ernennt; das 
Volk ausnahmsweise den Fabios durch wähl zum dictator erhebt 
und dieser dafidr auch nnr den titel pro dictatore führt — s. 37 
konnte zu den abl. causae von sobst der 4n decl. das kurz hinter 
einander zweimal gebrauchte permissu 23, 47, 1 ; 43, 9 zugefügt 
werden. — s. 53 ist als beispiel für den gebrauch von circa = in 
der Umgegend noch anzuführen 23, 43, 8 iussit omnia circa cx- 
plorsre. — s. 96 zu 5. musz es statt 22, 3, 3 nec quidquam egeritis 
23, 3, 3 heiszen. — s. 106 fehlt als beispiel für den acc. c. inf. in 
relativsätzeu die stelle 23, 44, 1 cuius neutro- ad eam diem paenitere. 
— 8. III war unter den einen bedingungssatz vertretenden partici- 
pien aufzuführen auch detractantes 23, 1, 4. 

Bremerhaven. Lothab Koob« 



24. 

Huber, lateinische schulgrammatik. erster teil: foemen- 
liEHSE. 1887. ZWEITER tezl: STKTAX. 1888. Bern , K. J. W jsa. 

L Die vorliegende hiteimsehe formenl ehre ist snnftebst dem 
bedttrfnisse der schule angepasst, an welcher der herr Verfasser wirkt, 
in dieser aapassung an locale Verhältnisse soll auch die rechtfertigung 
ihres erscheinens gesucht werden, dagegen Ittszt sich natOrlioh nichts 
sagen, und das bflchlein ist auch im stände, diesen zweck vollkom- 
men zu erfiillen. 

Drei gesichtspunkte sind dem heransgeber bei der abfassnng 
seiner formenlehre maszgebend gewesen : 1) ausscheidung alles dessen, 
was nicht direct durch die rücksieht auf lectüre und composition ge- 
fordert schien ; 2) reichliche , ausgibige Vorführung des eigentlichen 
lehrstoffes; 3) übersichtliche, das loca^dächtnis unterstützende dar- 
Stellung. 

1) Was zunächst den ersten punkt anlangt, so hätte noch mehr 
gestrieben werden sollen, vor allem waren die allgemeinen genus- 
regeln zu beseitigen, die sicli in alter Vollständigkeit vorfinden : selbst 
diü commnnia und mobilia haben ihren vers erhalten, und auch 
sonst hat Huber an den reimrepreln festgehalten; doch sind zu meiner 
frende die substantiva mit einem adjectivum verbunden weni;^'?ten3 
anmerkungsweise wie bei Perthes hinzugefügt, zu streichen wäre 



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Haber: Uteinisehe Bclralgrammatilc. 



271 



nadi meiner ansieht etwa § 45 febris ; g 48 sedes, vates und volacris } 
g 52 acns, arens, specns, qaercus und artus; § 56 Tims und pelagns; 
§ 58 scipio, papilio, ^espm^o und margo; g 59 aequor; g 60 eosf 
g 62 eompes imd teges; g 65 der singiüar prez, ealiz und hex j 
g 66 liiiijs, amiii8f torqnis, wmifi, enais, angnis und ungais; g 67 
torrens, radena, oriens und occidens; § 69 vnltiir; g 70 inoas und 
ieUnfi; g 72 acus; § 82 laoer; g 88 caelebs, deses asw. 

2) Die reicblichd Vorführung des lentstofiea bat oft zur über« 
Mbnng gefübrt. das zeigt sehen der umfang von 124 selten im 
Teigleieh mit andern gxammatiken. so ist die einleitong § 1 — 14 
yiel SU lang geraten« ferner sind in der dritten declination nicht 
weniger als 20 paradigmata dnrehdediniert, die einteilung aber 
a) nominativ « reiner wortstamm; b) nominativ « reiner wort- 
stamm, aber nach auslautgesetzen verändert; c) nominativ = an- 
fügung von s ist ganz unpraktisch und hat den Verfasser geradezu 
zu ftihiem verleitet, wie klar und einfach ist die Fache dagegen bei 
Perthes! auch vir und dies hätten als paradigmata gestrichen wer- 
den können, vor allem aber ist die grosze ausführlichkeit in der 
conjugation zu tadeln, die paradigmata umfassen 23 selten: die 
bSlfte wäre mehr als genug gewesen, abgeöehen von der ersten con- 
jugation hätte die Vorführung der präsensgruppe genügt, auch bei 
den verba auomala; § 218 ist übrigens immer wieder ivi als perfect 
angegeben, der imperativus passivi konnte ganz gestrichen werden, 
auch war es nicht nötig, die deponentia in solcher volktändigkeiL 
zu bringen: hortor gunügt. dagegen ist diö vv^hi von monere und 
regere zu loben, entschiedenen tadel verdient § 150, wo als präsens- 
stünm am-, mon- und aud- angegeben ist, was Übrigens in der an- 
merkung halb und halb wieder znrttckgenommen wird. 

3) Was sehlieszliish den leisten pnnkt anlangt, so Ittszt aller- 
dings der deailiehe nnd saubere druck wenig sa wünschen ttbrig. 
jedenfalls ist es sehr praktisch nnd sehr übersichtlich, znnSchst 
simtHcfae paradigmata zn allen fünf declinationen unmittelbar 
hinter einander zu bringen, dann erst die ehusehien besonderheiten 
imd die gennsr^eln folgen zn lassen* ttbrigens dnrcbbrieht § 82 
die gewählte anordnnng. dagegen wSre es besser und klarer ge- 
wesen, wenn die griechische dedination, die sich an drei stellen 
(§ 25—37. 43 xmd 50) zerstreut findet, im zusammenhange dar- 
gestellt worden wäre, auch hätte die tabellarische form angewendet 
werden sollen , wie sie z. b. Bromig mit grossem geschick benutzt 
hat. geschickte gegenüber stelimig, einrabmnng, auch der blosze 
fettdmck fOhrt die regel dem ange oft klarer und wirksamer Yor 
als eine ganze seite tezt. 

TT. In der syntax, welche fast 300 selten zählt, ist der Ver- 
fasser verlassene bahnen gewandelt, er hat mit der jetzt üblichen 
anläge der lateinischen grammatik völlig gebrochen, obwohl die- 
selbe ents'cbieden ihre prakti sehen Vorzüge hat. dem deutschen Unter- 
richt entsprechend gebt er ganz und ausscblieszlicb vom satze aus. 



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272 



Httber: lateinische aishulgrainiiifttik. 



er bandelt also oiobt Yon der casuslehre, von den präpositionen usw., 
sondern vielmehr von den Satzteilen: von subject und prädicaii von 
attribut, object und adverbiale; femer dem entspreehend von Sub- 
stantiv-, attribut- und adverbialsKtsen. die Torteile dieser einrich- 
tung springen in die äugen, doch ist anderseits nicht zu leugnenj 
dasz dabei engzusammengehöriges ganz und gar auseinander gerissen 
wird, so ist die aussage weise des einfachen satzes und des Satz- 
gefüges völlig getrennt behandelt worden, das supinum auf u wird 
§ 396 besprochen, das anf um dagegen erst § 420. Tom gerundium 
bzw. gerundivum wird gehandelt in den folgenden paragraphen: 49. 
68. 173—180. 218. 266—259. 397. 400. 416. 419. 446. 771 und 
772. ferner wird die lehre vom infinitiV auszer in den §§ 582 — 627 
noch an sieben andern stellen besprochen, nemlich § 46—49. 178 f. 
252 -255. 307. 537. 540 und 781. bei ganz anderer gelegenheit 
wird die doch auch hierherg-eböritju oratio obliqua behandelt, und 
zwar wunderbarer weise als anbang zum indirecten fragesatze, wäh- 
rend die duecle frage wieder wo anders sich findet; sie wird nem* 
lieh an die lehre von den modi im einfachen satze angeschlossen. 

In der fassung der regeln und der wähl der übrigrens sehr zahl- 
reichen beispiele hat sich der Verfasser laut vorwoi t an Fiesinger 
und EUeiidt-Seyffert angeschlossen, leider ohne kritik: aliorum laudi 
maxime invideri seiet u. ä. findet sich auch bei ihm. zur Erleichte- 
rung für die seh wacheren schüler ist stets die deutsche Übersetzung 
beigefügt worden, auch vocabeln und phrasen werden häufig ange- 
führt, um so indirect die lectüre zu fördern, doch ist hier entschie- 
den des guten zu yiel getfaan und manches angegeben worden, was 
in eine schnlgrammatik nicht gehört, dagegen vermiszt man ungern 
eine wortbildungslehre und den prosodisch-metrischen anhang. 

Die Stilistik ist nicht wie bei Ebrre, Holzweissig u. a. beson- 
ders behandelt, sondern in das grammatische pensum eingeschoben 
worden, und so hat sich auch der stilistische stoff der logischen ein- 
teilung anpassen müssen, es wurde also beim subject gesprochen 
YOm substantiTum und substantivischen, pronomen, beim attribut 
vom adjectivum und a^jectivischen pronomen, beim adverbiale vom 
adverb usw. der stoff ist absichtlich in ausführlicher und erschöpfen- 
der weise behandelt worden; es soll dadurch dem schüler die an- 
schaffung einer besondem Stilistik unnötig gemacht werden. 

Der gedanke, die muttersprache als ausgangspnnkt und Vor- 
übung zum fremdsprachlichen Unterricht zu benützen, hat den verf. 
oft zu Weitschweifigkeiten und langatmigen erklUrunfren veranlaszt. 
er führt vieles an, was nicht in die lateinische, sondern m die deutsche 
stunde gehört, ferner gibt er jedrsmnl grwi^scnbaft nnch die con- 
structionen an, in denen das lateinische mit dem deuü-chen überein- 
stimmt, und eine menge von beispielen fehlt auch hier nicht, so er- 
klärt es sich, dasz diese Satzlehre allein umfangreicher ist a,h sonst 
fotmenlehre und syntax zusammen genommen; sie ist ein ausführ- 
liches nachschlagebuch, kein lernbuch. 



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Huber: lateiDiäche schulgrammatik. 



273 



Im übrigen bätte ich etwa folgendes zu erwähnen. § 90, 2 
wird immer noch gelehrt: 'sind die subjecte Sachen, so steht das 
prädicatsadjeotiY im neatnim plaralis.' yielmehr bat der schüler 
dm prSdicftt aaf das suiUfa^hst stehende 8ubject m beriefaen. es hatte 
aneh hier an den Unterricht in der deutschen grammatik angeknüpft 
werden können, ich meine an die lehre vom zusammengezogenen 
satte: castra incensa sunt -4' yicos ineensns est » castra incensa 
sunt et Tious oder aber eastra et yicus ineensns est. anch bei den 
Terben des forderns § 280 ff. konnte von der deutschen oonstruotion 
ausgegangen werden» die ja mit der lateinischen ttbereinstimmt. in 
der befaandlung des objects hat vor allem die des ablativs (§ 280 ff.) 
meinen beifall gar nicht; man vergleiche damit einmal die muster* 
gültige darstellung bei Stegmann § 136 ff. die regel über die con- 
straction der städtenamen § 347 beginnt unpraktischer weise mit 
dem schwersten falle auf die frage: wo? man lasse zunächst einfach 
lernen: bei den städtenamen stehen die prtlpositionen in und ex nicht; 
also: in urbem, in urbe, ex urbe ; aber Garthaginem, Oartbagine, Car« 
thagine. erst dann gebe man die regel vom locativ. was schliesz- 
lich die tempn'^lebre und speciell rlie consecutio temponim betrifft, 
so will icli nicht unterlajssen, auf den biibscben nnfsatz von Wnldeck 
aufmerksam zu maclien (in diesen blättern 1888 s. 278 ff.), übrigens 
wird der fehlende conjunctiv der futura (§ Ö22 ff.) viel häufiger er- 
setzt al!=! urasclirieben; demnach sind diese paragrapbeii umzustellen, 
sehr selten i^-t (iie umscbreibuno: mit futurum sit bzw. essi't, utj ge- 
wöhnlich findet sich auch dafür der coni. praes. bezw. iraperf. mit 
dem Zusätze von brevi, iam, mox u. Ii. ebenso selten ist § 605 die 
Umschreibung des passiven irrealis mit futurum esse bzw. fuisse, ut. 
Annabebq. Ernst Haupt. 



25. 

LATEINISCHE OBUNGSBÜOHER. 



1) BliE 8KB, ELEMENTARBUCH DER T.ATEINISCHBN SPRACHE. ERSTER 
TEIL BEARBEITET VON AlBERT MÜLLER, ACHTE AUFLAGE. 
ZWEITER TEIL BBABBBITET VON HaNS MÜLLER, ERSTE AUF- 
LAGE. Hannover, Carl Meyer (Gustav Prior). 1889. 

Bleskes elementarbuch der lateinischen spräche, welches gram- 
matik und Übungsbuch vereinigt, war ursprünglich so angelegt, dasz 
sein Inhalt über das bedOrfnis der sexta weit hinaus gieng, ohne 
doch für den Unterricht in der quinta genügenden stoff zu bieten, da' 
nun aber erst in dieser classe die formenlehre ihren abschlnsz findet, 
so machte sich ein besonderes Übungsbuch für quinta notwendig, 
dasselbe ist vor kurzem erschienen, dabei sind mit recht aus dem 
ersten, früher einzigen teile in den zweiten teil hinübergenommen. 

R. Jahrb. f. phil. n. pftd. 1 1. abt. im hfl, 4 u. 6. 18 



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274 



Lateinische fibungsbücher. 



die §§ 44 — 47^ abweicbende casusendnngen der dritten declinaüon, 
§ 66 abweicbende ausginge der vierten declination, in vereinfacbter 
gestalt, § 60 die nnregelmSssige declination (nemo, luppiter, via 
usw.), § 99 nnns, boIqb cei , % 100 bic, binc^ buc u» achlieazlieb 
§ III bis znm sdilusse: das deponens^ der infinitiv nnd das gemn- 
dinm. aber ancb die ausnahmen im gescbleoht hStten in den zweiten 
teil aufgenommen werden sollen, denn es kann nicht genug betont 
werden, dasz in sexta einzig und allein die regelmftszige formenlehre 
zu behandeln ist^ wührend jede, auch die geringste unregelmftazigkeit 
nach quinta verwiesen werden musz. 

Was die Verteilung und anordnting des Stoffes anlangt, so 
ist hier ein ganz wunderliches verfahren eingeschlagen worden, 
declination, conjugation, verba anomala, syntaktische regeln finden 
sich bunt durcheinander gewürfelt, auf die erste declination f6\f^t 
die erste conjn (Nation ; dann die zweite declination, die zweite oon- 
jugatiou, die vierte declination, die vierte conjugation, die fünfte 
declination, der infinitiv, das gerundium , possum, volo, nolo, malo, 
das participium, die bindewörter, die dritte conjncfRtion , unprak- 
tischer weise nach Stämmen geordnet statt nach der perfectbildung, 
dazwischen an vier verschiedenen stellen zerstreut: die adverbien, 
die abweichenden casusendungen der dritten declination, die adjectiva 
der dritten declination und die unregelmäszige declination \ fio, die com- 
paration der adjectiva, eo, edo, die comi^aration des adverbiums, fero, 
memini, odi, coepi, präpositioneii; oi Lsbestimmungen. darauf folgt 
ein capitel über die bildung der verba composita : 'in der Zusammen- 
setzung wird der letzte consonant der präpositiou dem folgenden 
vielfach gleich gemacht^ SO : red-eo, prod-j&o, sed-itio (!).' den scblusz 
bilden die zablw6rter, die pronomina^ der accusativus cum infinitivo^ 
das participium coniunctum und der ablativus absolutus. die gründe 
zu einem solchen verfahren habe ich nicht zu entrStseln vermocht, 
auch dasz in dem ersten teil das praes. act. und pass. aller vier oon* 
jugationen vor der ersten declination durchgenommen wird, kann 
ich nicht gut beiszen. im Übrigen aber ist der Verfasser dieses teiles 
dem gange der grammatik gefolgt, nur die zahlwOrter und fürwdrter 
sind aus praktischen grttnden mit recht nach der ersten conjugation 
eingeschoben worden. 

Die Übungsstücke des ersten teiles ; in der mehrzabl aus 
einzelsätzen bestehend, sind inhaltlich meist aus dem natur- und 
menschenleben genommen, ich bin nicht principieller gegner von 
einzelsätzen , aber sStze wie die folgenden : 'hier liegt Karl. Anna 
schwatzt. Anna schweigt, wenn Karl schläft, der esel ist bescheiden, 
tanze, bärl stier, brülle ! fröschn, qnakt! hr-nlct, wölfe ! rabe, singe !' 
* — solche sStze sollten sicli doch nicht mehr finden, die sätze des 
zweiten teiles haben ihren Inhalt wesentlich aus der mythologie, sage 
und geschichte des alterlums geschöpft, auch hier ist von einzel- 
sätzen ausgegangen worden, doch sind von zeit zu zeit kleinere 
crzüblungeu in lateinischer und deutscher spräche eingestreut, die 



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LateiniBche tlVungsbücher, 



276 



allmfthlieli ixmner zahlreicher werden, und sdilieflxlioh» Ton seite 64 
an, begegnen keine einzelsätze mehr. 

Auf die Übungsstücke folgt ein nach den nummem der stücke 
geordnetes vocabnlarium. an dieses sehlieszt sich im zweiten teile 
eine hübsche sammlnng von phrasen nach den Schlagwörtern bellum 
cet. , res publica and res private, den schlosa beider teile bildet ein 
alphabetisches würterverzeichnis, dessen man eben dooh nicht ent- 
raten kann. 

Ansstattnng and druck ist sehr gut. 

2) LtITSOH, LATEIHIB0HB8 UBER* UND LBflBBUOH FÜR QUIHTA. Biele- 
feld D. Leipzig, Yelhagen u. Klasing. 1889. 

In diesem Im eil e finden sich nur zusammenhängende erzählungen. 
und zwar bandelt abschnitt 1 — 18 und 28 — 38 vom trojanischen 
kriege, 47 — ^55 von den irrfahrten des Odysseus, 41 von Regulus, 
42 von Fabricius, 45 und 56 von Hannibal, C3 — 73 von Alexander 
dem groszen usw. aber auch fabeln (21 ff.), gespräche (19 f.) und 
brief© (57 ff.) fehlen nicht; doch finde ich die fabeln des Phaedrus 
(25 — 27 und anhang 1 — 6) der metrischen form wegen für quintaner 
nicht geeignet, deutsche Übungsstücke sind leider nur in geringer 
anzahl beigegeben, sie lehnen sich hinsiohtlieh des wort- und phra&en- 
schatxes an biBstimmte lateinische abschnitte an,, sind aber im übrigen 
freigestaltet nnd erzKhlM von den anfangen des rOmisehen Staates, 
von Mndns Soaerola, Yon dem einfalle der GaJlier und TOn dem 
Latinerkriege. freie reprodnetionen der lateinischen stflcke, wie es 
sb. in den trefflichen übangsbflchem von Holzweissig der fall ist, 
wftrea mir lieber gewesen. 

Nachdem das buch zu repetitionen ans dem seztapensnm gelegen- 
heit gegeben hat, bringt es nach gruppen geordnet die nnregel- 
mftszigkeiten in der stammformenbüdnng der yerba der consonan- 
tischen conjugation , dann die unregelmKszige stammformenbildung 
in der vocaliscben (In, 2n nnd 4n) coigogation und die verba auf 
io nach der 3n coigugation. von diesen verben konnten der spftteren 
lectOre überlassen werden : pungo, tondo, percello, pecto, lino, molo, 
fremo, YOmo, strepo; mordeo, tondeo, paveo^ strideo, muiceo, tergeo, 
cieo; &rcio. andere, häufigere Wörter fehlen; dieselben sollen wohl 
in dem cursus der sexta aufnähme finden , der noch nicht erschienen 
ist. es folgen die deponenlia, die semideponentia und die verba 
anomala; doch bringen hier abschnitt 58 (volo, nolo, malo, memini, 
coepi) und 59 (eo, fio und composita von facio) des neuen zuviel auf 
einmal, den schlusz bilden die nnreprolmäszigkeiten in der decli- 
nation, im geschlecbt und in der comparation. davon möchte ich 
virus , vulgus, compes, aequor, torrens, axis, fustis^ torquis, codex 
and Vertex streichen. 

Zwischen diesen abschnitten sind lobenswerter weise ruhe- 
punkte für grüszere repetitionen angebracht, ein capitel über die 
hauptregeln der syntax wird schmerzlich vermiszt, und doch werden 

18* 



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276 



Latelnisehe übangabüclier. 



diese regeln von vorn herem sowobl in den lateiniBcben als aaeb in 
den deutschen Übungsstücken angewandt, das ist ein recbt bedauer- 
licher mangel. 

Das yocabulariam, bearbeitet von W. Stemkopf, ist im all* 
gemeinen naob Perthes^ grundsKtaen entworfen, es scbliesst sieb eng 
an die lesestücke an. die zum festen einprägen bestimmten vocabeln 
sind durch den druck von deigenigen untersobieden, die nur zur un- 
bewusten aneignung kommen sollen, zu jedem worte sind die scbon 
dagewesenen verwandten vocabeln gesetzt, damit so dem schüler das 
lernen der neuen erleichtert werde, doch finden sich auch hier zahl* 
reiche werter, die über bord geworfen werden sollten z. b. acantbis, 
ardea, callis, cuUeus, probosois, scamnum. 

3) MbUREB, LATEINISCHES LESEBUCH. EBS TER TEIL, FÜNFTE AUF- 
LA0B. EWEnW TEIL, VIERTE AUFLAGE. DBITTEE TEIL, BESTE 

AUFLAOB. Weimar, Hermann BOhlau. 

Meurer legt das hauptgewicht auf zusammeDüäügeude Übungs- 
stücke, doch sind diese oft unglücklich gewählt, so enthält z. b. der 
124e abschnitt des ersten teilea in acht Zeilen ein urteil über neun 
berühmte männer der Griechen, die der sextaner kaum den namen 
nach kennt, vor allem aber werden die vocabeln, formen und regeln 
viel zu wenig geübt, in einer übung zu den deponenLiü, abschnitt 222, 
findet sich erst auf der zwölften, der letzten zeile, das eine beispiel 
^er ätarb'. abschnitt 225 sollen 28 coigunctionen eingeübt werden; 
es kommen aber nur cum und et Öfter, nt nur einmal vor. in der 
dritten conjugaiion werden niebt weniger als 71 verba aufgefübrt; 
da kann ja von einer öfteren wiederkebr derselben gar nicbt die 
rede sein, audi bfttte bier und in andern capiteln der umfang 
reicbe stofF in kleinere abteilungen gegliedert werden sollen, anszer- 
dem aber bringt bereits der erste teil eine unendliobe menge Ton 
Unregelmässigkeiten in gescblecht und form, die den sextaner 
Terwirren müssen, denn die regelmftszige formenlebre musz erst 
ganz fest und sieber sitzen , ebe an die unregelmSszige gegangen 
werden darf. 

Der zweite teil bringt zunächst die formenlehre zum abscblass. 
den anfang macht die unregelmäszige conjugation, das banptpensum 
der quinta; dann folgt die nnregelmftszige declination und compa- 
ration; daran reihen sich die numeralia und pronoraina; den schlusz 
bilden die verba anomala. diese reihenfolge ist entschieden eine 
glückliche, und auch die Übungsstücke sind in diesem teile besser 
und passender gewählt, der inhalt ist unterhaUend nnd anziehend, 
go da z bei den schülern freudiges Interesse am übersetzen wach- 
gerufen wird, der zweite abschnitt dagegen, der die sjntax enthält, 
ist unpraktisch wegen der erdrückenden fülle von regeln, an zahl 23, 
die in quinta gar nicht zu bewältigen sind, meiner anaicht nach ge- 
ntigt für diese classe völlig die lehre vom accusativus cum infinitivo, 
vom participium coniunctum und ablativus absolutus; will man ein 



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Lateinische übungsbüober. 



277 



übriges thun, so kann noch die constnicüon der städtenamen hinzu- 
gefügt werden. 

Den dritten teil trifft in besonderem masze der Vorwurf, dasz 
die zu behandelnden regeln nicht genügend geübt werden, es finden 
sich hier Übungsstücke, in denen die betreffende regel gar nicht 
(z. b. 64, 67») oder nur ein bis zwei mal (z. b. 57 71 * — 29, 30, 
48, 57*^) angewandt wird, an eine Wiederholung der vorausgebenden 
regeln aber ist gleich gar nicht gedacht worden, ebenso wenig ist 
rücksicht genommen auf die lectüre der classe, sei es nun Nepos oder 
eine Chrestomathie. 

Das sind die bedenken, die mir beim gebrauche dieser Übungs- 
bücher aufgOütüszün isind. denn ich hatte gelegenheit, alle drei teile 
im Unterricht zu prüfen, es würde mich sehr freuen, wenn ich die 
getadelten mängel in einer neuen aufläge abgeschafft fände. 

4) ObHIiEK, 8OHÜBBKT UND 8tUBMBÖFBL| ÜBUNG8BU0B F0B 
DBB QBAMHATI8CBBN UBTBBBICBT IM I.ATBI1II8CBBH. EB8TBR TBIL. 

Leipxig, Teabner. 1889. 

Wie schon der titel yerrftt, legen die drei yerfaBaer dieses 
UbongBbnebes mehr wert auf die grammatikalische scfaulnng als auf 
gefUlige lectQre. sie halten zasammenh&ngende lesesttLcke zwar flLr 
wünschenswert, aber für nicht immer vereinbar mit dem hauptsweck 
eines ttbungshnches. das strenge lernen der grammatik soll dem 
Schüler nicht erspart werden, deshalb haben sie mit be wuster ab- 
sieht meist einzelsätze gegeben; gestatten dieselben doch eine 
grossere beweglichkeit in der Verwendung der einzuübenden Wörter, 
formen und regeln, immerhin hätten die einzelnen sfttze, auch im 
anfang, um einen gemeinsamen mittelpunkt wie agrieola, naata, 
bestia, rosa, hortus, puer und puella, dominus und servus, bellum 
und arma mit leichter mühe gruppiert werden können, damit hätte 
sich zugleich eine sachliche anordnung der vocabcln notwendig 
gemacht, wodurch das lernen derselben den scbülern wesentlich er- 
leichtert wird, denn nichts lernt sich schwerer als ein dutzend zu- 
sammenhangsloser Wörter, die noch dazu alle mit demselben buch- 
Stäben anfangen. 

Die anordnung des Unterrichtsstoffes ist in den declinationen 
die übliche, hier sind alle abweichungen in geschlecht und form mit 
recht streng vermieden worden, in der dritten declination ist der 
genetiv auf -ium von masculinis bis z\i den Übungsstücken über die 
feminina verschoben worden, damit sich erst die gewöhnliche form 
auf -um befestigen kann, ebenso sind, um Verwirrungen vorzubeugen, 
nur die regelmäszigen adjectiva der dritten declination mit dem 
ksnnzeichen -i, -ium, -ia In den Übungsstücken verwandt worden; 
dodi waren die adjectiva dreier endungen von denen sweier endungen 
zu trennen, es folgen sätze zur eintibung des hilfszdt wertes sum, 
gegliedert nach den Stämmen und den einzelnen modi, eine Zerlegung, 
an die auch in den folgenden capiteln gedacht worden ist. zwischen 



27S 



Lateinische fibangsbücher, 



esse und seine zusammensetzuDgen ist ein abschnitt über die Steigerung 
eingeschoben worden, da die Veränderung der bedeutung (beistehen» 
helfen usw.) die scbüler leicht verwirrt, wenn die formen des ein- 
fachen verbums nicht ganz fest sitzen, noch besser wäre es gewesen, 
die composita von esse in den cursus der quinta zu verweisen, die 
Zahlwörter und die fürwörter folgen wie in anderen übungsbüchcru 
erst auf die a-conjugation. doch sind die pronomina nicht alle auf 
einmal gebracht worden, sondern zunächst nur die sachlich notwen- 
digeren (die persönlichen und is, idem, ipse); die anderen, zum teil 
auch schwereren (nomlich hic und ille , das relativum und das inter- 
rogativum) sind biiittT die i-conjusration gestillt worden, welche mit 
recht der coDÄunaiitisclien voran ^genommen würdcii ibt, in der diö 
verba auf -io von denen auf -o btreng getrennt sind, doch gehört 
capio entschieden zum pensum der quinta. den schlusz bilden die 
deponentia. an geeigneten stellen finden sich stttcke zur Wieder- 
holung und zwar sind dazu gern zasammmhSiigeiide eRSblangeii 
benutzt worden. 

Besondere mtthe ist laut Vorwort darauf verwandt worden, nicht 
bloss der lateiniBclien, sondern auch der deutschen spräche möglichst 
gerecht zu werden, vor alleni ist in den deutschen übnngsstflcken 
eine wörtliche übersetzang des verlangten lateinischen ansdruckes 
meist glücklich vermieden worden, doch wird eine zweite aufläge 
noch manches zu verbessern haben, so ist es z. b. nicht zu billigen^ 
dasz dem lateinischen entsprechend auch im deutschen das perfectnm 
als tempus der erzäblung dient; auch kann man nicht von einer 
gallischen niederlage der Bömer (seile 120) oder von dem gcschenke 
eines pferdes (25 , 6) reden und was dergleichen kleine nachlässig- 
keiten mehr sind. 

Auf Seite 121 folgt das Wörterverzeichnis alphabetisch geord- 
net nach den einzelnen Übungsstücken ; zum schlusz ein kurzes Ver- 
zeichnis der verwendeten indcclinabeln Wörter, die auswahl der 
vocabeln hat im groszen und ganzen die richtige mitte getroffen zwi- 
schen einer fülle, die das gedäcbtnis nicht bewältigen kann, und 
einem mangel, der sich in den höheren classcu ofi recht fühlbar 
macht, nur in der conjugation, namentlich der dritten, die doch 
schon an und für sich gröszere Schwierigkeiten bietet , sind meiner 
ansieht nach zu viel verba gegeben worden, hier wäre eine beschrän- 
kung auf das aiierregelmäszigste sehr am platze gewesen. 

5) SoBEXIiE, VORSOBÜLB ZU DBK LATBISISOBBN 0LAS8IKBEN. 
ERSTfiB TEIL. FOBMBNLEBEE UMD UB8B8T&0KB« EINOKDZWAH- 
ZIOBTE HEU BBABBEITBTE AUFLAGE, BESORGT TOH PBOFE880E 

Meisbheb. Berlin , Ftiedberg u. Mode. 1889. 

Wie schon die hohe ansahl von auflagen zeigt, bat sich das vor- 
liegende flbungsbuch in der präzis der schule bewtthrt. die neueste 
aufläge ist von professor Meissner in Bemburg besorgt worden» der 
namentlich durch seine ^kurzgefaszte lateinisdie schulgrammatik in 



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Lateiuiäcke Übungsbücher. 



219 



Paradigmen und beispieleoi' den facliijjeaoäben auf diesem gebiete 
bekannt geworden ist. 

Der erate teil| die formenlehre, verdient in ihrer gedrängt- 
lieit und fibersichtlidikdt Tiel lob. Tor ftllem ist gut gelungen die 
darstellung der dritten dedination in den §§5—7, wo zwischen der 
•consonantiaehen, yocalischen und gemischten declüiation streng ge- 
schieden wird* dagegen hfttte § 8 (unregelm&ssigkeiten der adjecti- 
▼ischen dedination) und § 10 (genusregeln der dritten declination) 
noch mehr gestrichen werden sollen, in den andern declinationen 
«ind die gereimten genusregeln zu meiner freude beseitigt worden, 
Aber auch die allgemeinen genasregeln waren Ober bord zu werfen, 
gut ist die anordnung der Zahlwörter (§ 15) und des hilfszeit Wortes 
(§ 17)* was § 18 über die bildung der Stammformen gesagt wird, 
geht aum teil weit über den horizont der sextaner und quintaner 
hinaus. § 19 die Vorführung der vier co^jugationen wllre in dieser 
Vollständigkeit nicht ndtig gewesen, die perfectgruppe war nur von 
laudare zu geben ; vor allem aber konnte sie bei den verba anomala 
gestrichen werden, bei fio auszerdem der imperativ, die verba 
impersonal ifi (§ 21^') sind unpraktisch gedruckt, sonst ist druck 
lind ausstattung tadellos. 

Weniger einverstanden bin ich mit der zweiten abteilung des 
buches, welche die Übungssätze zur formenlehre enthält hier 
liätte der bearbeiter nicht so schonend verfahren sollen, vor allem war 
eiüe irennung vorzunehmen zwischen dem, was in sexta und dem, 
was in quinta durcbgenommen werden soll, sodann hätte, um die 
jungen nicht gleich in der ersten stunde kopfscheu zu machen, vor 
^em ersten § (Übungssätze zu esse und zu den beiden ersten decli- 
nationen) je ein besonderer abschnitt zur ersten und zur zweiten 
declination, i^amt den daz,ugehörigeu adjeciiven eingeschoben werden 
mübsen ; dasselbe gilt von der vierten und fünften declination. auf 
sam folgt naturgemäsz die erste conjugation. dann wird die dritte 
declination durchgenommen, hier dttrfte es sich sehr empfehlen, die 
a^jectiva in einem besondem abschnitte zu behandeln und diesem 
gleich die ftbungsstflcke Uber die comparation anzuschlieszen; warum 
sich die letzteren erst nach den verba anomala finden, kann ich nicht 
begreifiMi, auch den fttrwOrtern und den Zahlwörtern ist ein un- 
passender plata angewiesen worden. 

Die dritte abteilung enthftlt einige lesestücke: gesprttchei er« 
sBhlungen und fabeln, doch hätten dieselben nicht anhangsweise 
gebracht werden sollen; vielmehr waren sie an ruhepunkten nach 
schwierigem capiteln als belobnung darzubieten. 

Den scblusz des hübsch ausgestatteten buehes bilden drei wörter- 
Terzeichnisse ; eins nach der reihenfolge der paragrapben, die beiden 
andern, ein lateinisch-deutsches und ein deutsch lateinisches, in 
alphabetischer anordnung. 

ANNABsna. Ernst Haupt. 



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280 



Th. Wehmaim: griechentam und chriBtentum* 



26. 

GRIECHENTUM UND CHRISTENTUM. OESAMMELTE VORTRÄGE VON DR. 

The OD. Wehrmann, geh. reoiebungs- üjnd pbovinzial- 
SOHULRAT. Ferd. üirt. Breslau 1888. 

Als in den neuen jahrbficbern für pbilologie und pädagogik 
jabrg, 1855 s. 1 — 34 moin verehrter lehrer Ludwig Preller die ab- 
baadlmig dr« Xb. Wöhrmanns: das wesen und wirken des Hermes 
besprach, sagte er: eine vorEügliche abhandlung, die von einor 

gründlichen wissenschaftlichen und namentlich auch philoso- 
phischen bildung zeugt, aber darin fehlgri£F, dasz sie, wie uns 
wenigstens scheint, philosophische lehrsätze zumal die der plato- 
nischen Philosophie zur erklürung der mythologischen vorgänpfe her- 
beizieht, auch auf die im jähre 18-13 in Berlin erschienene abh'^nd- 
lung; Piatonis de summo bono doetrina wird in dieser anzeige von 
Pr. hingewiesen und erklärt: beide abhandluugen enthalten viel 
schönes und förderliches sowohl über mythologische methode im all- 
gemeinen als über den gott Hermes, sein wesen und wirken ins- 
besondere, die jetzt vorliegenden gesammelten vortrage, die zu ver- 
schiedenen Zeiten gehalten worden sind, enthalten confessionen 
eines durch Studium und iebcriici fährungen gereiften mannes, der 
bich eine feste Weltanschauung errungen hat, welche er nüch allen 
richtungen hin za vertreten weisz. es ist eben doch die hauptsache 
für den sterblieben, dasz er durch redliche arbeit and durch aufmerk- 
sames beobachten alles dessen, was in ihm und um ihn vorgebt, feste 
punkte gewinnt, von denen aus er das getreibe der menschen an- 
schaut und SU verstehen sucht, in dem glauben stehend an einen 
lebendigen in der weit wirkenden und sidi offenbarenden gott und 
an das evangelium von Christo als eine seligmachende kraft goites, 
hat der verf. seinen blick auf die griechische religion und philosophie 
und damit znsammenhBngende neuere rationalistische und natura- 
listische anschauungen gerichtet und sich bemüht, teils das irrige 
an diesen, teils die Wahrheit der gecffenbarten christlichen religion 
in gewissen stücken erkennen zu lassen, mögen diese versuche^ sagt 
der verf. , etwas auch zur befestigung der Überzeugung beitragen, 
dasz neben dem Christentum auch das griechentum ein not- 
wendiges element unserer jugendbildung bleiben mnsz und dasz der 
treffliche philolog Nägelsbach auf dem Sterbebette 'als ein Ver- 
mächtnis für seine schüler und als ein zeugnis an seine Zeitgenossen 
mit recht behauptet hat: notwendigkeit der classischen studien, sonst 
bricht diebarbareimitreclit über uns herein ; aber aut ii unentbehrlich- 
keit einer gründlichen kenntnis des evangeliums, soiiil bleibt das elas- 
sische altertum nicht nur unverstanden , sondern es bringt uns ein 
unheilvolles heidentum* (Jahns jabrb. f. pLilol. u. päd. 1859 Heft 9). 
auch in diesen Vorträgen hören wir eine stimme für das jetzt so viel 
geschmähte und angefochtene gymnasium, welche gar sebr der be- 
achtung wert alj denn dr. W., zuerst lehrer m iialbeiöLadL, dann la 



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Th.Wehrmaim : griechentum und chri&tentum. 281 

Magdeburg, hierauf director des ebrwttrdigen stiftsgymnaBiums zu 
Zeitz und seit 1857 provinsiakclittlrat in Stettin , hat in seinen ver- 
schiedenen amtlichen stellnngen eine genaue kenntnis alles dessen 
gewonnen, was fEUr die benrteilnng nnd wertsehltznng des gymna- 
sialen nntenridits von bedentnng ist. dr. W. ist aach, wie Nttgels- 
baeh, mit dem er in seiner ganzen weltaascfaannng Tiel Khnlicfakeit 
hsAf ein tlicbtiger kenner deutscher litteratur, insbesondere ein 
freund Sdiillerscher dichtung, wie aus der 7n abh. die kraniche des 
Ibycus und ans abh. X Schillers freiheitsideal zu entnehmen ist. auch 
Nfigelsbach war, wie er sich einmal ausdrückt, schillerfest, neben 
der kenntnis griechischer und römischer litteratur bat der verf. der 
Torliegenden abh, eine grosze, nicht oft anzutreffende Vertrautheit 
mit den in der neuesten zeit mit so vielem erfolge betriebenen natur- 
wissenschaftlichen forschungen, wie sich aus den Vorträgen: das 
rätsei der schÖpfung (vortr. 1), das paradies und das goldene Zeit- 
alter (vortr. 2), die sündflut (vortr. 3) genugsam ergibt, es ist 
natürlich, dasz der Verfasser von seinem Standpunkte aus gegen die 
resultate der naturwissenschaftlichen forschungen, insofern sie nicht 
mit den biblischen berichten übereinstimmen, sich ablehnend ver- 
hält, ohne frage haben die naturwissenschaften durch ausgezeichnete 
exacte forschuugen gerade in der neuesten epoche grosze fortscbritte 
zu verzeichnen, der Scharfsinn der menschen hat wunderbare blicke 
gethan in die natürliche und geistige weit, die uns umgibt, die 
forschnngen des geistvollen englisclien gelehrten Ch. Darwin und 
des scharfsinnigen iiaeckei haben für die entvvicklungsgeschichtö 
eine gewis grosze bedeutung, aber ob sie öich als unumstösz- 
lich sichere erweisen werden, ist doch die frage, übrigens sind 
Yon gelehrten theologen die resultate naturwissenschaftlicher Unter- 
suchungen Toll nnd ganz gewürdigt worden, dasz die weit zu- 
f Uli ig entstanden sei und durch zu fall regiert und erhalten werde, 
mag glauben wer da will, auch Giordano Bruno lehrt ein un- 
endlidies Universum als Wirkung der unendlichen gottesmacht; die 
erde ist ein stem unter Sternen, auch er nimmt eine allgemeine Vor- 
sehung an, gott ist in allem und über allem^ alle diese mit der 
natorwissenschafb im Zusammenhang stehenden vortrSge wird man 
mit manigfaltiger Belehrung lesen, die flutsagen sind ja in den 
letzten jähren besonders gern behandelt worden, auch die frage nach 
der läge des paradieses wird zu beantworten gesucht, vielleicht ge* 
lingt es dem menschlichen Scharfsinn, der schon so vieles imgeahnte 
aufgespürt bat, auch über diese für die cultur der menschheit so 
wichtigen fragen bestimmtere aufschlüsse zu erhalten. 

Zwei Vorträge: griechische mythologie und christliche bildung 
(vortr. 6), die griechischen mysterien (vortr. 7) greifen in das reli- 
giöse leben der Griechen und der Vortrag (9) schildert uns den 
cyniker Diogenes in anmutiger weise, dieser Diogenes verdient 
auch in seiner Übertreibung Sokratischer einfachheit die bezeichnung 
als 'toU gewordener Sokrates', die Plate ihm gab. es sind mter- 



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282 Th.Welirmatm: griechentum und Christentum. 

«saaate züge, welche der Verfasser ans dem leben und treiben dieses 
sonderbaren heiligen uns mitteilt, er bildet einen gegensatz zu dem 
damals so hochgebildeten Zeitalter, in welchem griechische dichtung, 
Philosophie und kunst auf der h<jchsten stufe der entwicklnng 
standen, ein wie ganz andrer mann war diesem oyniker gegenttber 
Sokrates, der in nnyorgleichlicher weise in den ideenkreis seiner 
Zeitgenossen eingieng, um das, was ihm sittlich verderblich schien, zu 
heilen und zu rechte zu bringen, der ver&sser, ein vorzüglicher 
kenner der alten phüosophie, hat in einem sehr lesenswerten artikel 
^Sokrates' In der encyclopädie des erziehangs- und Unterrichts wesens 
die eigentümlicbkeit dieses einzigen mannes in anziehender weise 
geschildert« wohl hätten wir gewünscht, dasz dieser artikel durch 
abdruck in den Vorträgen einem weitem leserkreise zugänglich ge- 
macht worden wäre, über den sonderbaren Schwärmer Diogenes hat 
auch mein unvergeszlicber lebrer Goettling in seinen gesammelten 
abbandlungen t. I s. 251 ff. einen ^geistreichen vertrag gehalten, wel- 
cher alle hörer aufs lebhat tisLe fesselte, in gewisser beziehung er- 
gänzen sich diese erörterangen über den cyniker Diogenes.* 

Von groszer Wichtigkeit für die beurteilung des Standpunktes 
des Verfassers ist der Vortrag (-ij gottes finger in der Weltgeschichte, 
hier erkennt man die streng conservative Weltanschauung, welche 
der Verfasser vertritt, es wird in diesem Vortrag nachzuweisen ge- 
sucht, dabz auch Leopold v. Ranke von rationalistischer denk- 
weise beheräciil wird, so ganz können wir diesen ausführungen 
nicht zustimmen, freilich tritt uns in der auffassung der dinge eme 
andre art entgegen als sie in den werken H. Leos sich kund gibt. 
Leo ist erfüllt von der diristlioh conservativen Weltanschauung und 
zieht gegen alle rtteksudtislos zu felde^ welchen seine betrachtnngs- 
weise der ereignisse femer liegt, sie brauchen gar nicht in scharfem 
gegensatze zu ihm zu stehn, wShrend Bamke fein abwSgt und 
auch andern ricbtnngen gerecht zu werden sieh bestrebt , er sucht 
aus den ihm vorliegenden, zum teil sich widersprechenden quellen 
mit allem scharfidnn die Wahrheit zu ermitteln und festzustellen, 
überall in den groszartigen werken dieses historikers lanschmi wir 
der rede eines hoch und allseitig gebildeten geistes. es ist eben 
doch das ziel der bildung, die fähigkeit zu gewinnen teilzu- 
nehmen an dem empfinden, wissen und wollen andrer 
g e i s t e r. so tritt dem leser der werke Bankes ein tiefes verstttndnis 
für die so manigfalügen bewegungen des gemütes und des geistes- 
lebens der menschen , eine so gründliche Würdigung auch der reli- 
giösen bedtirfnisse der seele entgegen, dasz man ihn nicht unbedingt 
zu den rationalistisch cn geHchichtschreibern rechnen darf, 
lianke hat, wie oft erwähnt worden ist, bei gelegenheit der feier 
seines 50jährigen doctorjubiläums seinen schülern dargelegt, da$z 

* dr. Frick weist in seiner anzeige der abh. W.s in den lebrpr. auf 
H. Donndorfs abh. 'der verfall des hellenischen leben« in der seit von 
40Ü bU 838' (atachr. f. gyma.-w. XXVI s. 670} bin. 



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Th.Wehrmanu: griechentum tmd chrifitentum. 2S3 

« 

er insbesondere drei münnern niaszgebende anregungen für seine 
studiüri verdaukp: 1. dem T b ucy dides, mit dessen einzigen ge- 
scbichU werkü er bicii bchon aU jugendlicber Student bebcliäfLigt 
habe, 2. dem begründer der neuem kritischen geschicbtschreibung, 
B. G. Niebahr und 3. dem reformator dr. Martin Luther, 
dessen werke fOr ibn ein gegenständ eifriger stndien gewesen seien, 
»ns diesem bekenntnis Bonkes mOchte ich den schlusz ziehni dasz in 
B. zwei eigensehaften; welche fttr den historiker von Wichtigkeit 
aind, sich yereinigen: einmal weisz er als geschulter kritiker die 
quellen zu behandeln, grtlndlich sie zu durchforschen und ander^ 
aeits hat er auch ein verstSndnis für das religitfse moment in der 
menschenbrust, sonst wflrde er sich gewis nicht so innig zu Luther 
und seinem werke hingezogen gefühlt haben, ausserdem finde ich 
das, was B. RocboU in seinem köstlichen buche pbilosopbie der ge> 
schiebte (s. 309) sagt, Tellig bestStigt: B. hat in seinen Schriften 
hin und wieder einzelne grosze blicke über die weite der ge- 
scbichtsbewegting geworfen, insbesondere treten dem leser in der 
Weltgeschichte aussprüche entgegen , die es geradezu verbieten, B. 
unter die rationalistischen gescbicbtschreiber zu reebnen, es sei mir 
gestattet nur einiges anzuführen, weltgesch. III 161, in dem 37n b. 
(röm. päpste) s. 69, weltgesch. III 167. unser verf. bemerkt zu der 
zuerst angeführten steile, die bei R. lautet: indem ich diesen namen 
(Jesus) nenne, musz ich, obwohl ich glaube, ein guter evangelischer 
Christ zu sein, mich dennoch gegen die Vermutung verwahren, als 
könnte ich hier von dem religiösen geheimnis zu reden unternehmen, 
das doch unbegreiflich wie es ist, von der geschichtlichen auffassung 
nicht erreicht werden kann, so wenig wie von gott dem vater kann 
ich von gott dem söhne handeln, die begriffe der Verschuldung, ge- 
nugthuung, erlösung gehören in das reich der theologie und der die 
seele mit der gottheit verknüjifendon confession. dem gescbicbt- 
schreiber kann es nur darauf ankommen , die combination der weit» 
Libtoribchen momente, in welchen das Christentum erschienen ist und 
wodurch dann auch seine einwirkung bedingt wurde, zur anschauung 
zu bringen.' dazu bemerkt dr. W. s. 90: wir sind dankbar für die 
geschickten combinationen , in welchen der ehrwttrdige SOjShrige 
grosze geschichtschreiber diejenigen ereignisse mit einander ver- 
knüpft, welche den eintritt des Christentums yorbereiteten und seine 
einwirkung auf die menschheit unterstützten, aber recht Terstanden 
wird das alles doch nur, wenn man in der erscheinung Christi eine 
entscheidende that gottes sieht, wir sind mit der art, wie sich 
B. Suszert} yöllig einverstanden und möchten an ein wort unseres 
B. G* Niebuhr (vortr. Uber r5m. Geschichte v, L. Schmitz übers, y. Zeiss 
1 189) erinnern : während die betrachtung der naiur einen dieser inne- 
wohnenden geist zeigt, welcher auch als mit der natur mitwirkend 
aufgefaszt werden kann^ zeigt uns die geschichte hingegen bei hun- 
dert gelegenheiten einen von der natur verschiedenen geist, welcher 
diejenigen dinge leitet und bestimmt, welche zufttllig zu sein schei* 



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284 Th. Webrmaun: grieclieutuxu uud cbribteutum. 

nen; und es ist nicht wahr, dasz das Studium der geschichte den 
glauben an eine göttliche Vorsehung schwScbt, die geschichte ist vor 
allen andern Wissenschaften diejenige, welche am entschiedensten 
za diesem glauben ftlhrt nmstttnde, weldte suf ftU ig genannt wer- 
den , treffen auf eine so wundervolle weise mit andern susanunen, 
um gewisse erfolge hervorzubringen, dasz man angenscbeinlieh nicht 
handeln kann, wie es einem beliebt, die gesiddchte von Bom^ ftuszert 
2f . 8. 40, gibt uns eine moralische bestätignng für das, was von grossen 
mfinnem in beziebnng auf das Studium der natur gesagt worden 
ist, dasz eine oberflScUiche kenntnis jemanden zum atheisten macht, 
dasz aber ein tieferes eindringen den glauben an das Vorhandensein 
eines gottes befestigt, groszes gewicht legt dr. W. auf die art, wie 
B. die bekehrung des apostels Paulus auffaszt : 'auf der reise nach 
Damascus risz sich Paulus von der idee, dasz die wahre religion an 
den tempel von Jerusalem gebunden sei, durch einen plötzlichen 
Schwung seiner seele , den wunderbare erscheinungen entweder her- 
vorriefen oder bestätigten, unbedingt und auf immer los.' nein^ be- 
merkt dr. W. 8. 91, er risz sich nicht los, er wurde losgerissen 
und es ist nicht zweifelhaft, dasz die wunderbare erscbeinung Jesu 
diesen Umschwung seiner seele hervorgerufen hat. warum will man 
das dem, der selber am besten wissen nuiste, was mit ihm geschehen 
sei, nicht glauben? auch Vilmar (praktische erklärung des neuen 
testamentes II 36) bemerkt: der act der bekehrung des Saul besteht 
in dem hereintreten der verklärten menschenpersönlichkeit Jesu 
Christi in die irdische weit gerade so, wie 6r nach seiner aufersteh- 
ung einzelnen erschien nur iii der büta wie bei der transfiguration. 
also ja nicht ume blosze 'vision' (dieser act wird dreimal bezeugt 
Apostelgesch. 9, 1 f. 22, 6 f. 26, 12 — 18), wobei sich ohnehin nicLts 
bestimmtes denken läszt, als dm es eben eine einbildung sei, hervor- 
gerufen durch ein gesteigertes Seelenleben. Saulus hat Christum ge- 
sehen als auferstandenen, das macht ihn zum apostelamt fähig.' 

£s ist wahr: der geschichtschreiber sucht die begebenheiten 
nach den beweggrOnden, welche in der seele der handelnden personen 
liegen, urkundlich nachweisen kann er sie nicht (oder doch nur 
ttuszerst selten), er musz sie durch sehluszfolgernng zu finden sich 
bemühen und da stöszt er auf geheimnisse, welche von der geschicht- 
lichen forschung nicht erreicht werden können, ja wohl, die ge- 
schichte ist nicht das Weltgericht, es vollzieht sich in ihr eben nur 
ein teil des gerichts^ das jüngste gericht bildet erst den abschlusz 
aller geschichte , ist die letzte katastrophe der grossen tragödie der 
menschheit. wir haben aber bei der lectttre der grossartigen hervor- 
bringungen Rankes den eindruck empfangen, dasz hier ein mann 
redet, der nicht blosz durch gründliche forschung, sondern auch durch 
die art, wie er sich in den geist der zeiten und den geist der han- 
delnden personen hineinzudenken und hineinzuversetzen im stände 
war, groszes geleistet hat. wie ganz anders ist doch die geschicht- 
£chreibuug H. Leos, bei ihm stürmt es, ihn drängt es, liebe und 



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Tb.WeIizmaiin: grieehentam und chriiteataia. 285 



hasz finden den entsprechenden ausdruck, aympathien und anti- 
pathien treten in leidenschaftlicher weise hervor, die weise Rankes 
möchten wir mit dem arteile vergleichen, was Aristophanes bei der 
besitzergreifang des tragischen thrones in der unterweit über den 
Sopbocles gefönt hat: hier ist er ruhig und dort ist er rahig! Rankes 
gescbichtschreibung zeichnet sich nach meiner Schätzung gerade di^ 
durch aus, dasz er für die manigfaltigen bewegungen des politischen 
und geisti<:(t^n Itbens clrr völker ein tiefes verstfindnis besitzt, dasz 
er von einem liöheren sf.andpunkte aus z u s a rn m e q z u s c h au e n 
vermapf. man mag ihn reden hören über die Griechen oder Römer, 
über Deutsche, Engländer, Franzosen, Osmanen, über Pindar, 
Aschylos, Sopbocles, Herodot, Livius, Tacitus, Horatius, über Dante, 
^ Shakespeare, Luther, Leo X. oder über andere maszgebende persön- 
lichkeiten , immer ist er einzig in seiner art. es tritt bei ihm eine 
Universalität des geistes hervor, vviü wir sie nur an seltenen männern 
zu bewundern haben, namentlich auch an Goethe. Kankc treliürfc 
eben aucii zu denjenigen sterblichen, die, wie W. v. Humboldt in 
seiner herlichen abhandlung über die aufgaben des gescbichtschrei- 
bers, als absieht und ziel der geschieh te die Verwirklichung der idee 
des menschen nach allen selten hinstellen, und H. fügt dann über 
den standpankt, von welchem geschichte nur verstandoi werden 
kann, hinzu (Hamb. w. I s. 18): wie man es immer anfangen>möge, 
so kann das gebiet der erscheinungen nur von einem punkte auszer 
demselben begrifTen werden und das besonnene heraustreten ist eben- 
so gefahrlos ids der irrtnm gewis bei blindem yerschlieszen in dem- 
selben, die Weltgeschichte ist nicht ohne eine weltregie- 
rnng denkbar* wenn man nun, um wieder auf die auffassung der 
bekehmng des apostels Paulus zurückzukommen, von diesem apostel 
sagen kann (B. röm. kaisergesch. s. 192): Taulas verschwindet aus 
der geschichte mitten in der Vollendung seines groszen werkes , in 
er seine lebensaufgabe sah and die es war. er ist unsterblich, 
wenn jemals ein mensch zu einer so zu sagen irdischen Unsterblich- 
keit gelangt ist. seine Verlassenschaft sind die tiefsinnigsten inhalts* 
reichen episteln, die er in seinem stürmischen und arbeitsvollen leben 
abzufassen die zeit gefunden hat. sie enthalten die dogmatischen 
grundlagen des christlichen glaubens und haben zur ausbreitung 
desselben , der bildung der kirche und wenn diese auf irrwege ge- 
raten vyar, zur berstellung eines reinen gottesbegriffs in der weit 
das meiste beigetragen.' ich meine, dasz ein mann, der so sprechen 
l^ann, doch ein Verständnis für das Christentum haben musz, wenn 
ich nun noch hinzonehme das gebet, das aus der seele des historikers 
entsprungen : 

Wer igt die kraft, die leben in mir schafft? 

wer gibL erkenntnis und Verständnis? 

wer bewahret die seele, dasz sie nicht fehle? 

allgewaltiger — einer und dreifältiger, 

du hast mich aus dem nichts gerufen, 

hier lieg ich vor deines thrones stufen« amen. 



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286 TL Webrmaim: griechentuni und cbriBtentam. 



80 ist mir gewis, dasz Ranke ein tiefes yerständnis fttr den so wich- 
tigen factor des menschlichen lebens, für die christlicbe religion 
gehabt bat. ja die geschieh te ist; wie ein geistreicher mann es aus- 
gesprooben, ein göttliches gedieht, das menschliches einscbiebsel nicht 
yerfidschen kann.* 

An den Vortrag Über gottes finger in der Weltgeschichte schlieszen 
sich die betrachtungen *über den wert des menschlichen 
lebens* an. auch hier erkennen wir einen mann, der über die tief- 
sten problemo des menschlichen daseins nachgedacht, der eine welt- 
ansch a u u n g gewonnen hat, von welcher ans das diesseitige leben 
erst in dem rechten lichte erscheint, wir mochten diese seine Welt- 
anschauung zusammenfassen in den sat?, der so oft in Shakespeares 
groszartigen dichtungen wiederkehrt: reif sein ist alles! der- 
jenige, welcher nach dieser reife im vollen sinne des wertes trachtet, 
wird die dem menschlichen leben gestellten aufgaben am besten zu 
lösen vermögen, in dem sechsten vortrage: griechische mythologie 
und christliche bildung, sagt der verf. sehr schön, als Christen dürfen 
wir von den höhen Jerusalems hinüberblicken nach Athen und Rom 
und dem, was dort menschliche kraft hervorgebracht hat. als ge- 
bildete nnserer seit müssen wir im geiste wandern nach Hellas nnd 
Lalinm, nicht, um dort bflb^ger zu werden und unser deutschea 
▼aterland suyergessen, nicht, um dort mit anzubeten in den glttn- 
zenden tempelhallen, sondern, wie jener philosoph auf der festrer- 
sammlung zu Olympia, um zuzuschauen, um belehrung zu gewinnen 
ttber der menschen sinn und wesen, um durch Studium der reichen 
fttUe griechischer und römischer bildung, ihrer hunst| ihrer ge- 
schichte , eigne geisteskraft zu Ittutem und zu stKrken und heimzu- 
bringen, was dem geistigen leben des eignen volkes anregend und 
stärkend sei. dieser köstliche Vortrag durfte insbesondere denen em* 
pfoblen werden, welche den einflusz der antiken weit auf unsere 
cultur zu gering anschlagen, es ist eben von groszer Wichtigkeit, 
dasz unsere jugend , wie der philolog Madvig es ausdrückt, durch 
autopsie mit den grösten und denkwürdigsten hervorbringungen 
des classischen altertums bekannt wird, die reihe der vortrSge, 
welche gewissermaszen eine einheit darstellen und das Verhältnis der 
antiken und modernen menschheit zu den grösten lebensf?*agen, die 
fätsel des menschlichen lebens behandeln, gchlieszt die ausführung 
über die griechischen mysterien , über deren bedeutung der verf., 
wie überhaupt über griechisclie mythologie, viele jähre nachgedacht 
hat. es ist für viele leser der trefflichen abhandlungen gewis von 
groszem interesse, einzelnes über die feier der mysterien zu ver- 
nehmen, dasz in den mysterien nicht lehrvorträge , nicht predigten 
(s. 139) mitgeteilt wurden, durilber ist man jetzt wohl allgemein 
einig, bpuu/aevu d. h. heilige handlun^eu und Xeföueva bildeten 

* für die beurteilung der Rankeschen peschichtschreibun^ ist Heinr, 
Bitters oüeuer brief an Leop. v. Hauke Uber deutsche geschichtschrei* 
bang (Leipzig 1867) von Wichtigkeit. 



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Th. Wehnnannt griechentam und ofariatentum. 287 



den inbalt der mjsterien, beilige gegenstände wnrden gezeigt, ein 
bpfi^a fiucTtKÖv wurde von den prieetern mit grosser knnst und 
pracht im telesterion dargestellt; doch nur mit symbolisolien band- 
langen, die X6tö|i€V0, die werte, besobribikten sieb auf einselne 
ausrufongen und vorzugsweise auf bymnenartige, aucb antiphoniscb 
vorgetragene gesänge, daher die priesterfunilie Sumolpiden, der 
scbCn singenden^ und an einzelnen priestern wird die scbOne stimme 
ausdrtteklich gerühmt, man kann sich nach allem, was man von 
diesen gottesdiensten hört, dieselben nicht glänzend, nicht ergreifend 
genug denken, über die bedeutung der mysterien ist zwar viel ge- 
schrieben worden, treffliche philologen Lobeck, Müller, Preller u. a. 
haben zur benrteilnng derselben wortvolles material gelif^fert, auch 
durch die neu aufgefundenen inschriften ist unsere Kenntnis über 
alles, was sich auf die beurteilung des für das religiöse leben des 
altertums so wichtigen institutes bezieht, bereichert worden, aber 
noch ist vieles unklar und zweifelhaft, in Eleusis wurd» n Ceres und 
Proserpina verehrt, gerade so wie in andern teilen Griechenlands, 
und später traten zu diesem dienste die mysterion, in denen reinere 
Vorstellungen der gottesverehrung und namentlich der glaube an die 
unsterblicljlveit der seele gepüegt wurden.* ein lieber lehrer von mir 
LutLc die feäLe Überzeugung, dasz die logen der f reim aurer auf 
die mjsterien des altertuma zurückzuführen seien, dasz der orden 
der freimaurer aus den bauhütten entstanden, davon wollte er, 
selbst ein angesehenes mitglied des Ordens, nidits wissen, jedenfalls 
liegt eine gewisse analogie mit den orden der freimaurer darin, dasz 
die mjsterien neben der volksreligion sich ausgebildet haben und 
zu grosser bedeutung gelangt sind, wie auch die freimaurerei ihre 
humanit&ren zwecke neben der christlichen kirche zu 
bethftttgen weiss, wie in den mysterieni so soll ja aucb in den orden 
• der freimaaFer das symbolische und aUegoriscbe eine wichtige rolle 
spielen, s. 147 deutet der verf. die mjsterien so: Persephone, das 
heitere, auf blumiger wiese spielende mädchen (KÖpr), nachher als 
gemahlin des gottes der unterweit eine göttin des todes) ist nichts 
anderes als die menscbheit in ihrem paradiesischen glück, oder viel* 
mehr; es ist ihr glttok und ihr friede , ihr seliges bewustsein selber, 
denn genauer genommen ist Demeter nicht blosz die mutter erde^ 
sondern auch die älteste aus der erde entsprossene menscbheit, und 
ihre glückliche tochter, in deren besitz sie selbst so glücklich war, 
ist die liebliche Unschuld der urzeit. sie ist verloren, sie ist von 
finsterer macht geraubt, in tiefer trauer sucht Demeter, insofern 
At)U), die suchende und sehnende, genannt, ihre verlorene tochter 
wieder (vgl. Prellers mythol.). ihr schmerz ist der unsrige, denn 
auch wir sehnen uns fort und fort, wie der in sittliche vorimin^ ge- 
ratene mensch nach der Unschuld seiner kinderjahre, so nach der 



' vgl. Aug*. Nebe de mysteriorum Eldosmioram tempore et admini- 
stratione publica. Hallae tiax. 1886. 



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288 Th.Welinnaiini griechentnm und chmientum. 



ungetrübten barmonie eines mit gott und mensclien , mit der natnr 
und ihren kr&ften, mit uns selbst in frieden geführten lebens. diesem 
geftible geben die mysterien nafarnng nnd anedruck« ^jedenfalls sind 

die elensiniscben — und diese waren die wichtigsten — , die samo- 
thracischen der Kabiren beweise dafür, dasz sehr vielen Griechen die 
Volksreligion nicht genügte, dasz ?ip sir*h nach andern offenbarnnpfen 
sehnten, dasz in Rom die mit den culten der Is is und des Mithras 
in Verbindung stehenden raysterien besonders in der kaiserzeit eine 
weite verl)reitung gefunden hntfen, ist bekannt, ja, wir wissen, dasz 
die kiii^er Hadrian und Marc Aurel, wie andere vorneljme Römer, 
mysten waren, der kaiaer Valentinian (365 — 375) verbot die nacht- 
feiern und Theodosius M. (375 — 395) hob sie ganz auf. 

Auch zwei vortrüge über Schiller: die kraniche des Ibycus 
(vortr. 8) und ScbiUeis freiheitsideal (vortr. 10) bieten gröstea 
interesse. die kraniche des Ibycus gehören zu den tichonstüii ge- 
dichten unseres herlichen Schiller, dieses gedieht erlaubte, wie 
W.y, Humboldt mit recbt hervorhebt^ eine ganz epische ausführung; 
was den stoff dem dichter innerlich so wert machte , war die daraas 
herrorepringende gewalt künstlerischer darstellung über 
die menschliche brnst. diese macht der poesie, einer blosz unsicht- 
baren, durch den geist geschaffenen, in der Wirklichkeit verfliegenden 
kraft, gehörte wesentlich in den ideenkreisi der Schiller lebendig 
beschftftigte. sehr lobenswert ist es, dasx der yerf. in trefflicher 
Übersetzung E. Geibels die uns erhaltenen beiden grosseren bmch* 
stücke der gedichte des Ibycus (s, 155 ff.) dem leser mitteilt, auch 
Goethe, welcher den freund auf den stofF hingewiesen hatte, fand 
das gedieht, als er es den 17 aug.1797 ihm, der in Frankfurt weilte, 
überschickte, ^sehr gut geraten^ der Übergang zom theater ist sehr 
schön und der chor der Eumeniden sehr am platze.' G. fügte zur 
wirksameren gestaltung des gedichts noch andere von Schiller befolgte 
ratschlägc hinzu, alles in der ganzen erzählung ist unmittelbar aus dem 
altertum entnommen, besonders das rr^cheinrn und der rrpsanpf der 
Eumeniden. der Aeschyleische bekannte clior ist so kunstvoll in die 
moderne dlchtiin;.^sfr)i m in reim und silbennifisz verwebt, dasz nichts 
von seiner stillen grösze aiiiV^ei,^eben lu sein scheint fbriefwechsel zwi- 
schen Schiller u. Humboldt s. 21). die erklänin^r des schönen ^^edichts 
ist vortrefflich und gibt demjenigen lehrer, weicher es seinen schiilem 
erklärt, die besten winke, um ein tieferes interesse gewinnen zu 
lassen, auch der letzte Vortrag, Schillers freiheitsideal, bezeugt, mit 
■welcher liebe der verf. die werke des groszen dichters studiert hat. 
der einiiusz, den Rousseau auf Klopstock, Goethe, Schiller, Wiiland 
u. a. ausübte, war auszerordentlich. R. wirkte, wie Niebuhr in seiner 
geschichte des Zeitalters der revolution 1 8. 83 ganz treffend bemerkt» 
Tie! mehr in der tiefe des gemttts als Voltaire« B. war dar held der 
meisten geistreichen leute in meinem knabenalter. 'man wird bei 
der beurteilung unserer groszen dichter immer festhalten mflssen, in 
welchem Zeitalter und unter welchen cultarTcrhältnissen sie anfge- 



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M. Schilling: qaellenbncli der geschiobte der nenseil 289 



iraobsen sind, ilire bildnng empfangen Haben, den einirirktingen 
Ooethes, Schillers, Herders usw. haben wir naeh allen richinngen 
hin für unser caltarleben viel su danken. 

Wir empfehlen diese ttberans treffliehen TorMg« allen gebü* 
deten. in jeder sehulbibliothek mttssen sie sich finden, damit lehrer 
nnd Schüler ans ihnen reiche belehrung nnd anregung zur bildong 
einer festen weltanschanung entnahmen kOnnen. 

Halle a. 8* G. Lothbols. 



27. 

Hax Schill IVO, qubllembuoh zur aBSOBiCHTE dbb nbdbbit* 

FÜB DIB OBBRBB 0LA88BK BÖHBEBB LBHBAM8TALTBH. ZWEITE 

AUTLAOB. Berlin 1890. Gttrtner. 496 a. 8. 

Es ist ein 'strenges wort, das H. v. Treitschke in den bist, 
u. pol. aufsätzen (II s. 3) über den gf ^chichtsunterricht unserer ge- 
lehrten schulen fällt, wenn er meint, dieselben leisteten in 
der regel nichts anderes, als ein willkürliches gemisch 
gleichgültiger thatsacliun. wir wollen hier weder diesen Vor- 
wurf auf seine berechtigung prüfen noch erörtern, ob eine ausdeh- 
nuDgj wie sie vielleicht dem genannten historiker entsprechend 
schiene, im rahmen des gjmnasiallehrplans überhaupt möglich ist. 
aber der umstand, dass auf dem gebiet der schulbttdier in den letzten 
jähren ganz besonders die geschichtlichen hüfebflcher , gr und- 
risse usw. in gröster menge auf den markt gebracht worden sind, 
zeigt, dasz das Interesse für diesen unterrichtszweig ein ungewöhn- 
liches ist und auch in der darreichung und Verarbeitung des Stoffes 
fortwfthrend reformen angestrebt werden, so zahlreich aber auch 
die historischen lehrbüeher erschienen sind: yolle billigung hat, 
wenigstens in Baden, keines gefunden« dem einen fehlt die sichtung 
des Stoffes, das andere gibt zu sehr nur disposition ohne stilistische 
Verarbeitung, ein drittes bat — die Vergiftung unseres socialen 
lebens durch confessionelles gezänk, wozu wir es am ende des 19n 
jahrhunderts glücklich gebracht, wird auch auf diesem gebiete wahr- 
nehmbar — die Zionswächter aas beiden lagern veranlaszt, strenge 
censur zu üben und mehr oder weniger energische proteste zu er*' 
heben. 

Zunächst scheint uns von untergeordnetem werfe zu sein, ob 
der oder jener leitfaden zu gründe gelegt wird, wenn in-du nnsern 
abiturienten nicht mit unrecht vorgeworfen hat, da^z ihr geschicht- 
liches wissen oft so sehr dürftig und der sinn für historische auf- 
fassung so wenig entwickelt sei, so ist daran das lehrbuch recht un- 
schuldig, die Schüler haben wohl von thatsachen, oft recht vielen 
thatsachen gehört, einzelne strebsamere auch wohl dies oder jenes 
gröszere geschichtswerk nachgelesen; ein klares bild historischen 
lebens haben sie trotzdem so wenig eiuplangen als tieferes interesse 

jmhrb. f. phil. a. päd. II. abt. 1890 hü. 4 u. &. 19 



290 M. Schilling: quellenbuch der getdiichte der neuzeit. 

für gescliiclitliches stadiom* der grond liegt in erster reihe daxin^ 
dasz bei diesem fache gerade das, was wir als allerwesentlichstes 
mittel und zngleich als ziel alles unterrichte betraebten, meistene 
fehlt, nemlich die anschauung. wohl sucht der vertrag des 
lehrers eine deutliche und auch anschauliche erkenntnis geschicht- 
licher dinge und personen zu geben; aber selbst der beste yortrag^ 
vermag nur anzuregen , wirkt blbsz momentan und verrauscht mit 
dem Strom der rede, ohne ein nachhaltiges bild in der seele des 
Schülers zurückzulassen, letzteres ist nur möglich, wenn dem 
Schüler gelegenheit gegeben wird, sich in die darzustellende zeit 
hinein zu versitzen, einen blick in die seele der handelnden personen 
selbst zu werten, dies geschieht aber nur durch hinführung auf die 
quellen, ein einziger abschnitt aus den epistulae virorum. obscu- 
rorum gibt ein unverwischbareres bild von der geistesöde der Scho- 
lastik als jeder umständliche Vortrag über das wesen derselben; wer 
den achraerzensschrei in den Volksliedern aus der zeit des 30jährigen 
krieges vernommen, gewinnt daraus ein so unmittelbares bild vom 
elend jener zeit, dasz jede theoretische erörterung des gegensUuides 
dagegen matt üt; eine auseinandörsutzung der polidk des Schweden- 
königs mag instructiv sein, eindringender aber ohne zw eiiel, wenn der 
Schüler Gustav Adolf selbst sich darüber aussprechen hört usw. durch 
den einblick in die quellen soll die originale auffassung einer zeit 
oder Persönlichkeit in ihrer vollen ursprttnglichkeit und ungebrochen 
durch jedwede oratorisohe zuthat auf den geist des schUlers wirken, 
mit diesem trunk aus der quelle wird aber noch ein anderes ge* 
Wonnen, das bei diesem lehrgegenstand nicht minder wesentlich ist: 
die selbstthfitigkeit des schfllers. gerade weil die geschichte 
das receptivste aller lehrfiicher ist, musz der productive trieb 
geweckt und in ansprach genommen werden, die betrachtung eines 
quellenstUcks verlangt nicht blosz eine sichtung des wesentlichen 
vom unwesentlichen, sondern nötigt auch zur erwSgung, wie sich 
aus der dürren quellennachricht das geschichtliche bild aufbaut oder 
das rohmaterial zur abgerundeten darstellung krystallisiert, und in- 
dem sie einen blick in die werkstätte der geschichtschreibung eröf&iet, 
zwingt sie auf engumgrenztem gebiete zur ersten Übung von 
kritik. man verstehe nns nicht falsch: wir wissen sehr wohl, dasz 
ein eigentliches quellenstudium und quellenkritik nicht sache der 
mittelschule ist, für letztere kann es sich nur daxum handeln, bei 
bebandlung der wichtigsten begebenheiten und hervorragender per- 
sönlichkeiten charakteristische quellenstücke beizuziehen, dies kann 
geschehen und sollte im interessu eines fruchtbareren geschichts- 
unterrichts nicht versäumt werden, für die alte geschichte hat man, 
obwohl unsere schüler aus den schulautoren wesentliche Vorkenntnisse 
mitbringen, die Zusammenstellung der quellenauszüge von Herbst und 
Baumeister als ein willkommenes hilfsbuch begrüszt. auch für das 
mittelalter hat sich Fritsches lateinisches und Krämers deutsches 
quellenbuoh — beides auszüge aus den Monumenta Germaniae — > 



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M. Scbiliing: quelleubuch der geschlohte der neazeit. 291 

soweit wir sehen, vorzüglich bewährt, für die neuere gescbicbte 
feblte bislang ein ähnliches hilfsmittel, bis Schilling mit seinem 
quelienbuch hervortrat, das nach kurzer zeit in zweiter aufläge 
vorliegt. 

Die aufgäbe war liier erheblich schwieriger und mühevoller als 
bei einer Sammlung für alterlum und mittelalter , weil das quellen- 
material für die neuere zeit ungleich reicher fiietzt und in der forni 
von actöDötückeu , mcmoireu , briefen, verUiigen, denkschriften, 
schlacbtberichten usw. sehr zerstreut ist. der berausgeber bat im 
ganzen ans dem weitechichtigen quellenstoffe eine yerst&ndige und 
vor allem nicht zu umfangreiche (die zvreite anflage ist sogar, wie 
wohl selten bei neuen auflagen , um einige Seiten gekürzt) auswahl 
getroflen. untec sechs rubriken (zeitalter der reformation, des 
dOjShrigen krieges, vom westflQischen frieden bis Friedrieh d. g., 
des Zeitalters Friedrichs d. g., Tom beginn der französischen revo- 
lation bis 1815 und endlich vom zweiten Pariser frieden bis zur 
Wiederherstellung des deutschen reichs) werden prägnante abschnitte 
aus quellensammlungen der verschiedensten gattung, welche für die 
einzduen gescbichtslebrer aus den privat- und anstaltsbibliotheken 
kaum erreichbar sind, vorgeffihrt. natürlich empfangt ein buch 
dieser arfc seine vollkommene gestalt erst allmählich , denn die in- 
dividuellen wttnsche treten hier mehr und berechtigter hervor als 
anderswo, wir haben die zweite aufläge mit der ersten verglichen 
tmd fast durchweg nur besserungen gefunden, so wird, um nur 
einiges zu erwähnen, das fehdewcscn durch Götz v.Berlich ingena 
Selbstbiographie, die heillose Verwilderung der soldateska zur zeit 
des 30 jährigen krieges durch stücke aus dem Öimplicissimus, 
die Unnatur des 17n jahrb. in siite und spräche durch eine auslese 
aus Moscheroschs Phiiander v. Sittewald u. ä. in geeignetster 
weise veranschaulicht, statt des neuhinzugetretenen abschnittes aus 
Macchiavells fürsten über das bürgerfürstentum hätten wir 
lieber cap. 18 jenes buches reproduciert gesehen ('vom wortliulien 
eines fürsten'), wodurch der Schüler jene art von staatskunst, wie 
öie etwa. Katharina v. Medici geübt, kennen lernt, oder cap. 3, das 
ihm zugleich einen einblick in die französisch-italienischen Verwick- 
lungen zu anfang des 16n jahrh. erSfihet die neuen stücke (s. 49 ff.) 
über kleiderordnung, gastmfihler, tSnze usw. aus dem 16n jahrh. 
geben ein culturbild dieser zeit in concisester form* mit recht sind 
auch zeitgenössisdie Volkslieder, originelle proben aus briefen, reden, 
adressen und anderes mehr beigezogen worden, weniger zu billigen 
ist 9 dasz Gustav Adolfs brief an Ferdinand (nr. 72 der ersten aufl.) 
wegge&llen ist, worin die schwedische politik entwickelt wird; da- 
gegen hätten wir gern verzichtet auf den hOchst gleichgUltigen brief 
des bischofs Anton von Wien an Wallenstein, ungern vermissen 
wir die angäbe der bedingungen, unter denen Wallenstein das zweite 
generalat angenommen hat, denn von ihnen ganz besonders kann 
man sagen: 'sie erklttren sein verbrechen*' dasz partien aus der zeit 

19* 



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292 M. Schilling: qnelleubuch der geschichte der neuzeit 

des SOjährigen krieges weggefallen sind, wie der bericht über den 
schlesischen feldzug (1633), auch einige früheren abschnitte über 
Moritz von Sachäen und dafür Soldans buch über die hexenprocesse 
ausgebeutet ist, scheint uns ein gewinn, der fortiali aber von 
Friedrichs d. g. politischer Corres poudtiiz II 23 ungerechtfertigt^ 
da gerade dieses stück die beste aufklärung über das doch über 100 
jähre ziemlich gleich gebliebene veriiftltiiis zo Österreich und Busz- 
land zu geben vermag, an« der prenszischen gesehiehte haben wir 
besonders das testament des groszen knrfdrsten (Bank e genesis des 
pr. st. s. 499 ff.) vermiszt; an stelle der meistens ganz unnützen, 
weil doch nicht Übersehbaren schlaehtberiehte aus dem TjShrigen 
kriege würden wir lieber den entwurf des groszen knrflftrsten zur 
erwerbung von Schlesien (Bänke a a. o.) aufgenommen sehen, dasz 
im letzten abschnitt der wortreiche bericht des badischen gesandten 
vom 8 mSrz 1848 gestrichen ist, wird man gutheiszen, dagegen ist 
nichts geeigneter, Uber die ziele des Jahres 1848 zu orientieren, ^s 
der jetzt leider ebenfalls gestrichene passus aus der Wahlrede von 
D. Fr. Strauss. die letzte nummer gibt den Frankfurter frieden 
nicht mehr im französischen, sondern deutschen Wortlaut; kurz vor- 
her ist — gleichfalls ein fortsehritt — statt eines artikels aus der 
provinzialcorrepondenz Uber den fall von Paris die capitulations- 
Urkunde selbst aufgenommen. 

Wir schlieszen diese anzeige mit dem wünsche, dasz obiges buch 
seitens der Fachlehrer die ihm gebührende beachtung finden möge. 

KARLSaUUE. J. HÄDSSNES. 



28. 

BBIEFE VON EABL DAY. ILGEN AN C. A. BÖTTIOEB. 

mitgeteilt von dr. Robeet BoxasRasB. 

(vgl. Jahrgang 1884 S. 468 ff. 669 ff. 1886 8. 817 ff. 1886 476 ff. 632 ff. 
1889 a. 363 ff. 448 ff. 606 ff. 667 ff. 609 ff.) 

[Juli 1812.J 

Verehrungswürdig-ster freand. 
Da ich soeben in den seituagja gelesen habe, dass se. majestät« 
der konigf von Westphalen in Dresden den 1 juli eingerückt ist, und 
ich also überzeno^t sein kann, dasz der briefwechsel wieder vollkommen 
frei ist, so nehme ich keinen augenblick länger anstand, mich einer 
schuld zu entledigen , die centnerschwer auf mir lastet, durch viele, 
ungewöhnlich viele arbeiten, welche um die osterfeiertage snsammen« 
trafen, und durch atidere umstan'^e wurde ich verhindert, Ihren freund* 
scliaftlichen und inhaltreicbpn Inef auf der stelle zu beantworten, da 
ich Ihnen gern recht ausführlich schreiben wollte und auf die von Ihueu 
berührten punkte befriedigende aaskunft geben, so glaubte loh am so 
besser zu thun, wenn ich einen Zeitpunkt erwartete, wo ich über die 
Sache nachdenken, und auf ein gewisses resultat kommen konnte; auch 
hoffte ich, dasas eine gewisse verdrüszliche Stimmung, die sich meiner 
seit einiger seit ans gans natürlichen nrsachen bem&cbtigt hatte, wenig* 
Steas zum teil wieder gewichen sein würde, ob nua gleich ein solcher 
seitpunkt nicht gekommen ist, auch die hoffnong einer grossem heiter* 



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• 



Briefe von Karl Dav. Ilgen an C. A. Böttiger. 293 

keit des geistes noeh nicht in eifBIInngp ii^egangen, so kann ich doeh 

Ihren lieben brief nicht länger vor mir Hegen sehen (denn er ist wie 
ein denkzektel nicht von meinem pulte gekommen), ohne mir die quä- 
lendBien vorwfirfe tn naefaen. 

Ihr gedieht, liebster freund, womit Sie unsein edeln Reinhard aber- 
rascht haben, ist in jeder hin<^icbt, ein meiste rstück. so viel schöne* 
und g^tes ich auch von Ihnen gelesen habe, und zu lesen (zrewohnt bin, 
so glanbe ich doch behaupten zu können, dasz dieses werk Ihrer muse 
für den, welcher mit Pforte in Verbindung steht, oben an stehen mnes. 
es ist nHes so angfelegt, dasz der eindrnck, den Sie zu machen g-cf^cn-. 
ken, durchaus nicht verfehlt werden kann, bei mir gehörte freilich 
dazu, dasz ich mich in einen frühern Zeitraum versetzte , etwa in die 
seit, wo das coenaenl eingeweibet wnrde, wo Ick in nneiner anrede an 
die alamnen von dem historisch wirklich unrichtigen namen himme Is- 
pfort e eine, ich glaube nicht unglückliche, moralische anwendung 
machte, seit dem 1 nov. d. j. 1808 sieht es aber mit dieser iiimmels- 
pforte, wenigstens für den rector derselben, gans anders ans. was für 
tmeai commentar könnte ich über Ihr gediclit machen, die improba 
fama, die fama loqnax, probris inhians, male pasta susnrris hat wohl 
ihr wesen noch nie so stark getrieben, wie, so lange als Pforte steht, 
jetzt, ja! die pustula in naso. Sie dachten wohl nicht an das, was 
Cicero de N. D. 1, S8 sagts naevns in artienlo pnerl delectabat Aleaenm. 
at est corporis macula nacvus. illi lumen hoc tamen videbatur. es ist 
eine todsiinde beganp^en worden, dasz man diese pustula in naso nicht 
gelassen hat. so veränderlich ist die fama! Reinhardus, qui hanc detersit, 
miseens medieamen et nngens, doeta perpoliitque msnti, bat schlechten 
dank verdient, zum glück darf er ihn nicht einemdten. dazu hat mich 
das Schicksal auserkoren, alles, was Hohenthal, Zetwitz, Bose, Rein- 
hard, Heimbach, und in den neuesten zelten noch Kostitz gethan haben, 
wird mir beigelegt; ich bin der allgemeine sündenbock. nnd wenn es 
gSnge, so, glaube ich, man schickte mich in die wüste, es sind TOS 
Pforte ans förmliche lÄsterbriefe in die herumlief^pnden gegenden aus- 
gestreut worden, was nur bosheit auszusinnen vermag, ist von der neuen 
schul Constitution ausgesouneu und verbreitet worden, der Urheber von 
allem bin ich; also bin ich anch die Zielscheibe, aufweiche die lästerangs- 
sneht ihre giftigen pfeile abdrückt, in Leipzig sitzt ein candidat des 
heil, predigtamts, ein ehemaliger zögling der Pforte; dieser hat es sich 
zum iiebiingsgeschüi't gemacht, böäcs von Pt'orte und der neuen einrieb- 
long an Tcrbreiten, nnd die Leipziger an verhetzen, dass sie ihre kinder 
nicht in ein solches zuckthavs schicken möchten, mit dott edimltblingen, 
die er dabei über mich ausgeschüttet hat, hnt er mir die Vorsorge für 
sein fortkommen auf der akademie, nnd meine empfehlung zu einem 
sßpendio vergolten, und einen sprechenden beweis seines dankbaren 
herzen» gegeben, übrigens liat er in Leipzig seinen endzweck nicht 
erreicht: denn die vater, die er wankelmütig gemacht lüttlp, habon sich 
ermannt, und ihre söhne dennoch gebracht, und frenen sich nun, dasz 
sie sich nicht haben verleiten lassen, und wer weisz, ob diesen men- 
schen nicht noch die sera nnminis yindicta trifft ein anfang ist wenig- 
Etens schon <:^emacht: denn dem vernehmen nach soll er in dem candi- 
datenexamen den repuls bekomnipn haben, bei allem diesen unnützen 
geschwät^e, bei allen den Schmähungen, die man über mich, als den 
yermeintlichen nrheber ansscbttttet, würde ich gans rnbig bleiben können; 
ich würde den gruudsatz befolgen können, den der edle Reinhard mir 
mehr als einmal empfohlen hat, so wie er ihn auch selbst getreu be- 
folgt, dasz man sich in seiner handlungsweise durch solche lästermäuler 
nloot müfse irre machen lassen; dass man sich mit dem bewustsein, 
naeh pflIcht nnd recht gehandelt zu haben, trösten müste; aber es ist 
noch mancherlei vorgefallen, wobei eine ganz andere philosophie nötig 
ist, am unerschüttert zu bleiben, als die, welche von cathedren gelehrt 



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294 



Briefe Ton Karl Dar. Ilgen an C. A. BSttiger. 



wird, indessea ieh will dalden; Imnu &t patientia, qaidquid oorrigere 

est nefas. — 

Nichts könnte mir willkommener sein, als die büste von Klopstock, 
Ton ReiDhard, dem pflegevater der Pforte ffeschenkt. aber wo soll sie 

aiiforestellt werden? diese frage ist nicht leicht beantwortet, der 
scbickiichste ort wäre das grosze auditoriiim oder der sogenannte bet- 
saal. allein so lauge wir nicht dahin kommen, dasz wir noch ein be- 
sonderes elassenancUtorinm haben, und dieser beteaal als dassenaudi- 
torinm gebraucht werden musz, so lange bleibt es auch untbanliob, 
.irgend ein^^ Verschönerung der art darinnen anzobrino^en. eine solche 
bUste verlangt einen ort, wo es den schillern nicht erlaubt ist, pro 
Ittbito sich hemm an tummeln, und unfug zu treiben, wie es in dem 
groszen auditorio, so lange noch fast alle classon lectionen darinnen 
haben, der fall ist; es würden nicht vier wochen hingehen, 80 würde 
Klopstock eben so nasen- und ohrenlos dastehen, als der rector Walter 
iu der kirche, neben der sakriatey, der herzog Georg und die heilige 
Marie auf der gottesackerseite, welche auf einen in den bergen ver> 
bdrgenen schätz hindeutet, die .sog'ar vor ein paar jähren ganz herunter- 
gerissen worden ist. in Naumburg in der domschule ist zu einem be- 
sonderen groszen auditorio rat geworden; ehe wir dahin kommen, wird 
noch viel seit rergehen. es wandelte mich ein ganz eignes geftthl an, 
ala ich das erste mal das neueingeriehtete auditorium in Naumburg sähe, 
ein schönes helles zimmer, ausgemalt, mit geraalten bänken , seidenen 
gardinen, an den wänden mehrere büsten, dasz sich kein fürst schämen 
dürfte, darinnen andiene zu geben, wie sieht das Pfortaisehe dagegen 
ausl man musz sieh gleichsam besehttmt fühlen, wenn man in die 
Naumburgische domschule kommt, sogar Meiszen übertrifft hierin Pforte, 
das grosze auditorium ist grün ausgemalt, und mit büsten verziert, es 
macht freilich einen ganz eignen contrast, wenn man die maierei und 
die bttsten, am boden aber natürliches pflaster, wie auf dem Dresdner 
Frauenmarkte sieht; indessen gefällt doch das bestreben, dem platze 
ein ansehen zu geben, dasz rr sich der idee eines miisentempels nähert, 
wenn auch eine erinneruug au ärmlichkeit bleibt, und den sich aus- 
sprechenden sinn für Schönheit, wir bringen es dahin nicht das beste 
Btiick in unserem grossen auditorio war das chamois gemalte und lackierte 
catheder. wie sieht es aber jetzt aus! der lack ist, so weit ein knabe 
reichen kann, ganz abgearbeitet, und mehr als einmal hat es repariert 
werden mfissmi. ich will nur sehen, wie es mit dem neuen orgelpositiv 
gehen wird, welches zu^michael. aufgestellt werden soll, obgleich wegen 
des zu befürchtenden ruins Vorkehrungen getroffen sind, so rr'aube ich 
doch, dasz sie nicht vermögend sind, dem zügellosen mutwilleu der ter- 
tianer und quartaner grenzen zu setzen, wie glücklich wären wir, wenn 
die idee, welche der herr präsident von Nostiz hatte, ausgeführt werden 
könnte; dasz das terti it in den bibliothekssaal vorwandelt, und aus der 
bisherigen bibliothek ein neues auditorium gemacht würde, dann bliebe 
das grosze auditorium blosz zu dem morgen- und abeudgebet, und zu 
den öffentlichen aeten bestimmt; und dann liesse sich so etwas» wie in 
Naumburg ist, herausbringen, obgleich das auditorium täglich zwei- 
mal gebraucht würde, so wäre doch von dieser frequenz nicht so viel 
zu fürchten, weil allezeit inspectorea da sind, und da sein müssen; die 
achüler auch nicht lange allein gelassen werden, weil das gebet aiem- 
lioh priteise angeht, man könnte auch, um bei den oberen wenigstens 
ein gröszeres interesse für erhaltung der reinlichkeit , und der Verzie- 
rungen beizubringen, sie veranlassen, selbst etwas aus ihren mittein 
dazu beizutragen, was wohl in Meiszen, wo, so viel ich weisz, die 
Schüler selbst das auditorium haben malen laasen, vorsüglich wirken 
mag. wollte man den Speisesaal wählen, so wäre zwar auf der einen 
Seite, wenn die bisherige Ordnung für die zukuntt beibehalten wird, 
Sicherheit gewounen; auf der andern aber hat der ort, nach meinem 



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Briefe Ton Karl Dav. Ilgen an C. A. BOttiger, 



295 



gefühl, für eine btiste von Klopstock etwas unschickliches, da in diesem 
simmer car nichts weiter gethan wird, als geg-essen, ßo würde der 
^nger deü Messias sich sehr wundern, dazu bestimmt zu sein, bewegte 
enverksenge zn sehen, und die KVicajv ^tccoMcvtiv irepi koicvui von 
den Schöpsen- und kälberbraten einzuschlürfen. zwar erinnert dieeei 
an den f)&icTOV iravTUJV 6atM0va IjIOUCottoXujv, der wie Zeus sa^en kann 

C<i \101 TT0T6 ßUijllOC 45€UCTO dOITOC 4icr)C XoißnC T£ KVICCI)C T£ TO TOP 

Xaxo|Liev ftpac i^^etc «Hein ich wetsi nicht, ob er sieh hei allen diesen 
^(^ttliehen ehren gefallen würde, und ob er nicht lieber da sein mSehte, 

wo den musen peopfort -wird , d<^ren liehliri^gpriester er war. es bleibt 
also vor der liand weiter niclits übrig, als ein winkel in der bibliothek. 
da die ganze bibliothek nichts, als winket ist, so kann auch da kein besserer 
plats ausgemittelt werden, gänge nun aber der so lange und sehnlioh 
gehegte wünsch in erfüllunp, dasz wir ein anständiges bibliothekszimraer 
erhielten, dnnn konnte Klopstock entweder eine zierrlc dieses zimmera 
bleiben, und eineu in die äugen falleuiieu piatz daselbst einnehmen» 
«der Icönnte in das grosse anditorinm, welches aafborte sngleich elassen* 
auditoiium zn sein, emigrieren, das letztere würde ich auf jeden fall 
vorziehen, die bibliothek kann ihrer bestimmung nach nie der lieilipre 
und ehrwürdige ort sein, der das grosze auditorium ist, wo früh und 
abends die feierlieben gebete gehalten, religiöse hymnen unter begleitang 
der orgel abgesungen, examina nod feierliebe actus mit aufgeführten 
Symphonien angestellt werden, wenn nur unser verehningswürdiger 
Reinhard noch sein ganzes ansehen, und seine gao'^e beredsamkeit 
aufböte, um uns ein schickliches und geräumiges bibliotheksziramer, 
und dadurch noch ein neues anditorinm an Terschaffen ! was den trans- 
port der büste anlangt, so Ivrinnte dieses die bibliothekscabse wohl 
übernelimon. der Berliner fubnuanii dürfte die kiste in Leipzig in 
den ü ir n b äuiB en an den Kaumbur^^ischeu luhrniana Bieler abgeben; 
darch diesen würde ieh sie alsdann gut erhalten, die kunsthMndler sind 
gewohnt, solche Sachen als zerbrechliche waren su bezeichneji: da nehmen 
sich die fuhrleute schon in acht, vielleicht wäre es aber noch beiger, 
wenn Sie die kiste nach Dresden mit einer sicheren gelegenheit kommen 
Hessen, yon Naumburg reist alle jahrmSrkte ein gewisser seifensioder 
Schott dahin, der sie gern mitnehmen und unversehrt an mich beflSr* 
dem würde, das porto von Berlin h'rs Dresden könnten Sie von dem 
Seifensieder, sich erstatten lassen, oder ich schickte es unmittelbar an 
Sie. das einzige, was ich mir selbst bei diesem vorschlage einwenden 
aiQSs, ist dieses, dasz Sie noch besondere bemilbnngen haben, und dass 
Ihnen das leistchen im wegfe steht und incommoditUten macht, bis es 
abgeholt wird, daher dürfte der erste weg nach Leipzig an den fuhr- 
maun Biel er vorzuziehen sein; und da ich von diesem manne doch 
manches schon gut geliefert erhalten habe, so darf ieh hoffen, dass er 
auch dieses in acht nehmen wird, wüste ich freilich, wie schwer von 
ohngefähr das kistchen wäre, so träfe ich gleieli die anstalt, dasz es 
von Leipzig herausgetragen würde: indessen von Berlin bis Leipzig 
musa es doeh auf der achse gehen, 

Ihren lieben Gustav lassen Sie immer einen wackeren Oriechen 
werden, es ist vortrefflich, wenn die novitii auch im griechischen g-ut 
vorbereitet sind, und dann pari passu in utraqne liugua fort ambulieren 
können« wenn er etwas weiter ist, nicht nur in seinen keuntnissen, 
sondern auch in den jähren, so werden Sie mir schon einen fingerseig 
geben, dasz ich meine einriefitiiiig treffe, es ist ihm zwar eine Stätte 
zubereitet; allein diese ist nur tür den notfali. mit meinem willen sollen 
Sie nie kostgeld geben oder wenigstens nicht lange, wäre mau höch- 
aten orts mit den ausserordentliehen gnadenstellen bei den alten grond* 
s&tzeo geblieben, so würde ieh jetzt schon eine namhaft machen können, 
die Ihrem Gustav znpresichert werden könnte; allein man scheint ernstlich 
damit umzugehen, einige einzuziehen, die, welche durch den Übergang des 



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296 



Briefe von Karl Dav. Ilgen an C. A. Böttiger. 



Älnmnns Herbst znm extranecr zn anfanp: rüpses Jahrs erledigt wtrrde, 
ist nicht wieder besetzt worden, ob sich gleich, wie ich g^ewis weiaz, 
supplicanteu gemeldet haben, gott gebe nur, dasz ich so lauge lebe, 
um dnreh die vlterliehe Tonorge für die ersiehanff nnd aosbildnng Ibrei 
Gnstays einen teil meiner schulden abzutragen! 

Meine gesimdheit ist dieses jähr nicht ^ut. seit ostern habe ich 
mich herzlich schlecht befunden; besonders habe ich an magenkrämpfen 
^el gelitten, dieee haben sich nan ewar, nachdem ich Tielerlei mittel 
angewendet, verloren, aber seit kurzem bin leb wieder mit eatarrh and 
husten geplairt die nrsüche ist p:Hn7lic>if r mangel an bewegnng, und 
daraus entspringende schlechte Verdauung, dieses jähr hin ich noch 
wenige male spazieren gewetttn, nnd nach Nanmbarg bin ich vor der 
mesee ein einziges mal gekommen, als mich der nnmut nnd die angst 
mit gewalt forttrieb, di*» neue Ordnung; der dinf^e hat mir entsetzlich 
viel zeit gekostet, und viel Schreiberei gemacht, es kommt manches 
vor, woran man vorher gar nicht denken konnte, z, b. die taufzeugnläste, 
wenn nm eine stelle nachgesnebt wird, wie Tiel briefe haben die niebt 
schon gekostet, erst musz ich dem vater darum schreiben; dann es 
dem Stadtrat schicken, dieser vergiszt es seiner Supplik beizulegen oder 
verliert es. dann bekomme ich von d^m agenten eine notiz, dasz das 
tanfsengnis fehle, und nicht ans^efertlgt werden könne, ich mnss als» 
dem yater noeh einmal schreiben, nnd mir ein zweites zeugnis schicken 
lassen, dieses musz ich dann wieder an den njn^ontcn abgehen lassen, 
wie viel mühe hat mich die angäbe des geburt^tags und des gebortsorts 
gekostet in der censurtabelle. manche waren abgegangen ttnd ich hatte 
TCrgessen sie zu fragen; andere waren krankheitswegen verreist, von 
denen, welche hier waren, -wnsten viele nicht irenau, wie alt sie waren; 
der eine wüste das jähr, aber nicht den tag, der andere den tag, aber 
das jähr nicht, manche wüsten wieder nicht, wo sie geboren waren, 
in künftige kommen da freHleb die tanfsengnisse su statten. Ich bin 
daher bis jetzt mit den gewöhnlichen arbeiten noch nicht dahin, wohin 
ich andere mal zu pfingsten gekommen bin. in den receptionen sind 
noch iUckeu, die der leidige krieg zum teil mit verursacht hat. es sind 
schreiben an eoich über einen monat unterwegs gewesen, nnd anf 
schreiben, die ich im april abgeschickt habe, habe ich bis diese stunde 
noch keine nntwort. hierzu komm>^n späte mT'ixerordentliche nhfräTige; 
der eine geht wegen kränklichkeit ab, der andere der conscn^tion wegen, 
der dritte wieder ans einer andern nrsache. die vftter sorgen nur dafür, 
dass ihre söhne nach banse kommen, von den anhaltungsschreiben um 
die entlassung höchsten orts wissen sie nichts nnd wollen sie nichts 
wissen, da habe ich allezeit meine not, ehe ich sie bedeute, und es 
ihnen begreiflich mache, dasz es nicht bei mir steht, ihre söhne so 
geradebin an entlassen, dass es mir niemand glauben kann, dann geht 
die notification bei dem patronc der stelle an, correspoudenz mit dem, 
welcliem sie zn teil wird, dieser capituliert wegen des antritts; bald 
kann sich die mutter noch nicht von dem söhne trennen, bald soll er 
erst noeh lateinisch lernen, bald soll er erst sn banse noeh eonfirmiert 
werden, wenns endlich sum ziele kommt, kann der knabe nicht ange- 
nommen werden, dann wird wieder von vorn angefmifren mit corre- 
spondieren. was für zeit hat mich seit ostern ein gewisser Koos aus 
Leipzig, ein Sohn des o.>l.-g.-a8sessors, der drei mal davon gelaufen ist, 
gekostet! welchen ftrger hat mir ein gewisser hofrnt Kinster gemacht, 
der mir einen jirocess an hals werfen wollte, dn?? ich. seinen söhn, 
einen erztaugenichts, der dimittiert worden war, im winter hatte mit 
einem boten nach hause lassen gehen, weil der hübe nicht warten wollte, 
bis ihn der vater abholte, nnd mir ganz nnverhohlen änsserte, dass er 
davon laufen würde! sehen Sie, liebster freund, so lebe ich, so werde 
ich dnrch die unangenehmsten geschäfle in dem strum der zeit mit hin- 
gerissen, es ist mir als ob seit dem geräusch des fastnachtsballs nur 



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Briefe von Earl Da7. Ilgen an C. A. Böttiger. 



297 



ein paar tage vergangen wRren. Moses war, wie es heiszt, der geplag- 
teste maiin auf erden, ich zweifle, dasz er mehr geplagt worden ist, 
als ich. eine hiesige damoi die besonders warmen anteil an der neuen 
eoaatitatioo nahm (dass damen sicli f8r so etwas interessieren, kann 
Ihnen wohl nichts neues sein: denn wem müsten nieht die Pariser fisch- 
weiber einfallen'», pflegte mich nur den zuchtmeister zu nennen, niclit 
etwa in der alten bedeutung des worts, nach welcher zur zeit der refor- 
mation ein schulrector promiseue Schulmeister und zuchtmeister 
genannt wurde, sondern in der hentsntage gewöhnliohen; die sehüler 
oder Zöglinge züchtlinge; diese mnsz mir doch wenigstens insofern 
Gerechtigkeit widerfahren lassen, dasz in der plage die sehiüer nicht 
über den meister kommen, sie hatte noch andere weit emphatischere 
ebrentitel für »ich; denn sie besitzt darinnen eine gewaltige stärke, die 
sich aber auf andere Verhältnisse bezogen, ihren zorn hatte ich mir 
dadurch ZTigezogfen, dasz ich die Zusammenkunft eines s'-hülers mit einem 
hiesigen jungen trauenzimmer in ihrem hause zu verhindern suchte; ob 
kh gleich wegen anderer rnnstHnde es nieht durehsetsen konnte, nnn 
kam die nene censtttntton , welche die auflagen in kiosem nnmSglich 
zn machen Rc^ien; (!aher lor?erte ihres zornes glut von neuem auf. wie , 
angenehm es sein musz, in solche häuser die sehüler gehen zu sehen, 
SQ wissen, dasz solche urteile und reden fallen, und vielleicht von den 
schfilem erwidert werden, können Sie sich leicht denken, indessen 
hat es gott gefallen, die sache so zuleiten, dnsz diese lästerzunge jetzt 
einen andern wohnort hat suchen müssen, sie wird zwar nicht aufhören 
zu lästern und zu schimpfen, aber es steht doch zu hoffen, dasz sie der 
guten sache weniger sohldlleh wird. 

Mein Constantin macht mir viel sorge; seit pfingsten leidet er an 
einem hartuackicren keuchhusten, der gar nicht weichen will, es ist 
fiberhaapt ein ungesundes jähr, diese art hasten ist ziemlich allgemein 
Id der hiesigen gegend. das kalte fieber ist allenthalben, bei nns wer- 
den die patientenstuben nicbt leer, da es eine langwierige krankheit 
ist, worauf auch noch rrholnngsreiHen von dem schttlarat angeraten wer- 
den, so bringt sie eine gewaltige Störung hervor. 

Meine frau empfiehlt sich Ihnen nnd Ihrer lieben frau aufs herzlichste 
nnd letsterer auch icb, der ich bin und bleibe 

Ihr 

nnTerftnderlicher freund Ilgen. 

Yerehrtester freund. 

Es macht mir ein ganz ungewöhnliches vergn&gen, dass ich nun- 
mehr Sie förmlich einladen kann, Ihren lieben Gustav der mntter Pforte 
aach michael. zu übergeben, ich bitte Sie daher, sich so einzurichten^ 
dast Bie den 8n oder 4n october in Pforte eintreffen, bei Ihrem alten 
redlichen freunde absteigen, und sich nebst Ihrer lieben frau und 
demois. Schäfer eine zwar freundJicho, aber sehr ländliche bewiitiing 
von ihm gefallen lassen, den ö october oder montag nach dem 19n 
p. Trinitat. soll der tag sein, wo der gute Gustav unter die zahl der 
kiesigen pfleglinge anf genommen wird, es werden an diesem tage noch 
ein paar andere mit recipiert, unter denen sich auch der söhn des hrn. 
hof-geh, -Schreibers Scheppach befindet, wenn dieser anders die ein- 
ladung, welche heute zugleich mit an ihn ergebt, nicht wieder, wie an 
OBten, durch ereignisse des tags yerhindert, ausschUgt. mir bleibt 
Dan nichts übrig zu wünschen, als dasz der himmel Ihre reise begünstige 
und besseres wetter gebe, als wir bisher gehabt haben, und dasz Ihre 
liebe frau nicht durch widrige gesundheitsnmstände möge abgehalten 
werden, den liebling ihres berzens an den ort seiner bestimmnng an 
begleiten , und ihn selbst ihrer stellvertreterin zu ilberllefeni. einen 
kleinen hader sollte ich wohl noch mit Ihnen anfang"en, aber weil ich 
den feind liebe, so will ich weiter nichts thuu, als Ihnen sagen, dasz 



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Briefe von Earl Dat. Ilgen an C. A. BGttiger. 



Sic unrecht gethan haben, das vergnügen, welches ich dadurch ge- 
wonnen) dasz ich Ihnen zu der auszerordentlichen gnadenstelle verhelfen 
koBote» ist mir durch die meinung, in welcher Sie wehrecheiiilich noch 
stehen, dasz ich nicht frei, sondern durch Ihre ftnsserung' gegen meine 
frau bewogen, mich dazu entschlossen hätte, auszerordentlich verbittert 
worden, ich sagte es ja gleich anfangs, als ich Ihnen den rat zu der 
königl. kost- nnd gnadenstelle bei meiner anwesenheit in Dresden gab, ! 
dass diese stelle nur auf den notfall sein sollte, wenn etwa sich durch« I 
aus keine andere fände, wie sich dieses leicht zutragen konnte, und | 
war es denn nicht gut, dasz dadurch die aufnähme Ihres lieben Gustavs | 
gesichert war? bei dem hm. hofrat Becker war es eine ganz andere * 
saehe. dieser hatte zwar kurz vorher einen expectanzbefehl extrahiert, 
aber er konntn ihm nichts helfen, weil sein söhn eine ganze legion ! 
expectanten vor sich hatte, hätte sich für diesen keine auszerordent- ' 
liehe gnadenstelle gezeigt, so hätte er seinen söhn gar nicht unter- ! 
bringen können, oder er hfttte ihn extraneer müssen werden lassen. 
Sie thun wahrlich sehr unrecht, wenn Sie mir Veränderlichkeit der ge- 
sinnung oder Unachtsamkeit für freunde und personen, denen ich mich 
. in mehr als einer hinsieht verptlichtet fühle, zutrauen, oder glauben, 
dass ich neue freunde den alten Torzöge. ich vergebe Ihnen das in 
meine gesinnungen gesetste mistrauen nicht eher, als bis Sie pater, 
peccavi, sagen, von dem was bei der reception zu bezahlen ist, er- i 
wähne ich nichts, da alten Pförtnern dieses bekannt ist, und was sich 
etwa darinnen geändert hat, als ein kleiner beitrag zur Vermehrung der • 
schulbibliotliek, davon wird sich mündlich das nötige besprechen lassen, 
empfehlen Sie mich üirer lieben frau recht herzlich, und versichern Sie 
ihr, dasz ich auf ihren besuch mich innigst freute, onveränderlich 
und ewi^ Ihr 
Pforte, d. 2 sept. 1812. treuer freund D. Hgen. 

Pforte, d. Id oct. 1812. 

Verehrtester freund. 
Wenn meine wünsche nicht ganx kraftlos gewesen sind, so müssen 
8ie mit Ihrer besten gattin recht glücklich in Dresden angelangt sein. 

unendlich werde ich mich freuen, dieses crelep'entHch rrewis zu erfahren, 
von Ihrem lieben Gustav kann ich sagen, dasz er schon ganz einge- 
wohnt ist. er scheint sich weder nach Dresden, noch nach Oroszen- 
hain zurücksusehnen. 

Sie erhalten hierbei ein paar exempl. von den lustis S. V. Rein- 
hardi rite persolutis. der druck ist nicht so besorgt worden, wie ich 
wünschte, und ich es hatte bestellen lassen, es iät alles zu sehr zu- 
sammengekeilt, auch hat der corrector etwas hineingetragen, was er 
nicht gesollt hätte, das Tibi Lei Porta mit dem T ist ganz falsch an- 
gebracht, ich habe an die frau oberhofpredigerin eine anzahl exeraplare 
mit geschickt, und sie wird höchst wahrscheinlich auch Ihnen, als 
tinem intimen freunde des nnvergesslichen Reinhards eins sdiicken; 
aber ich darf mir das recht nicht nehmen lassen, Ihnen selbst eines 
von der besten und eines von der schlechteren sorte zu übersenden. 
Ihrer lieben frau gemahlin bitte ich mich herzlichst zu empfehlen, wozu 
auch meine f^au einstimmt, und ▼erharre mit den besten und aufrichtig- 
sten wünschen Ihr 

treuer freund Ilgen. 

Pforte, d. 29 oct. 1812. 

Verehrtester freund. 

O ewigkeit, du donnerwort, o ach wert, das durcli die 
Seele bohrt! Sie wundern sich woh!, was ich mit dem anfange 
dieses alten kircheugesaugs wiii. es soll den corporaiüuch erklären, 
und xugleich beweisen, dass Sie mit Ihrer conjectur auf dem richtigen 



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Briefe toh Eorl Dar. Ilgen an C. A. Böitiger. 



299 



vrege waren, wenn Sie das snmns attoniti vor angen hatten, nbor der 
rechte pankt ist doch noch nicht getroffen, es sind nemlich zwei strich- 
ieia vor und nach dem werte donner vergessen worden, welche andeuten 
eollen, dasz es der yoeativ ist: so falle, donner, nieder, ee geht 

vorher: 'ach einem nur kann solche Iraner werden.* man ist 
also voll banger erwartung, wer dieser eine sein wird, endlieh kann 
der dichter das eebreckKcne wort nicht mehr zorückbalteu; 
heraus, das niederdonnernde wort, im affecte unterbricht er sieh: 
entrissen i?t so fnllc, donner, nieder (so bleibe denn nicht 
];ini:;er zurück, du niederschmetterndes wort; so werde denn ausgespro- 
chen) — entrissen Keinhard unsl o weinet, weinet brüder. 
die stelle wurde gut gesprochen, und that ungemeine Wirkung, obu- 
eracbtet ich sie selbst beleckt hatte , und den alumnas Ackermann sie 
sprechen gelehrt, so griff sie mich doch so au, als ob sie mir p^aniz 
fremd wäre, die worte: 'das heiligste kann nur der tod beliecken' 
wurden mit steigendem affect gesprochen, und so wurde der ton hefti- 
ger, als er an den furchtbaren gedanken kam, der endlich heraus sollte: 
entrissen ist, nun ganz raptim eingeschoben: so falle, donner, 
nieder; dann noch einmal von neuem ausgeholt, und mit vollem ge- 
ffihl des gewichts und der schwere: entrissen Reinhard unsl nun 
folgte noch eine kleine pause mit sanfter bewegung und dem innigsten 
frefühl der rührung-: o weinet, weinet, brüder. im vorbeigehen 
erinnere ich, dasz hier wieder ein komma fehlt, neralicli vor brüder. 
die stelle bat durch mich eine kleine Veränderung erlitten, der Ver- 
fasser hatte geschrieben: 

entrissen ist uns, donner falle nieder, 

entrissen Keinhard uns! 
ich Uesz das erste uns weg und schob ein so ein, welches eine ver- 
setsung des wertes donner und falle nach sieh sog, damit das ganze 
etwas geschmeidiger und gefälliger wurde, anch das erste uns nicht 
mehr so überflüssig dastand, doch dieses sind leviora. hier ist ein 
versehen, die commata sind weggelassen, ich kann auch in der fol- 
genden seile es niemand wehren, wenn er lesen und verstehen will: 
weinet, weinet brüder, dasz brüder der accnsativ ist, wie man sagt: 
thränen weinen, also brüder weinen, aber wie kann man stellen in 
dem latcliii seilen f^'cdiehtc anstöszig: finden, wie kann dns deest tutela 
tibi, dcest tibi patris amur so genommen werden, als ob mau zu er- 
kennen gebe, dass Pforte gar keinen schnts mehr hfttte, und 
aller natürlichen liebe entbehrte, kann denn in diesen werten 
was anderes gesagt sein, als: da hast einen beschützer, da hast 
einen liebenden vater eingebüszt. wer weiss nicht, wie oft bei 
Prosaikern die abstraeta fttr die coner eta gesetst werden? noeh weit 
Bfter musz es bei den dichtem geschehen, und geschieht anch wirk- 
lich, wie oft kommt tutela für tutor bei den jiUen vor! man denke 
doch nur an den Priapus hortorum tutela. deest tibi patris amor ist 
doch wohl handgreiflich für pater amans. wer dieser tutor und pater 
amans ist, der fehlt, wird augenblicklich darauf gesagt : lux tua, Bein* 
hardus tenuem est conversus in nmbram. dieses alles in simple prosa 
aufgelöst heiszt nichts andtres, als: deest tibi, quL tutor tibi erat, et 
paterno te complectebatur amore, Reinhardus. so auub: uou, quod 
erat, nunc est, portus et ora tibi sagt nicht Penelope sum 
Ulysses Ovid. ep. I 110 tu citius venias portus et ora tuis. so 
endlich Porta relicta, dole. ist es nicht natürlich, dasz die Pforte, 
da sie ihren pflegevater verloren hat, sich als eine zurückgelassene 
betrachtet, als eine ▼erwaiste? dieses ist die natürliche ansieht des 
Schmerzes, wer wird da gleich daran denken, dasz es andere versorger 
geben wird, und wirklich gibt: denn wenn diese kalte vernünftige re- 
flexion eintritt, so fällt die Ursache der trauer hinweg, und kann ein 
klagelied gar nicht angestimmt werden, alle klagelieder sind änsze- 



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300 Briefe von Karl Dav, Ilgen an C. A, Bditiger. 

rnnf^en einefi pefülils, welches von der refloxion der sich frei orhrben 
den Vernunft no<h nicht beschwichtigt ist. denn wfnn i<h recht ver- 
nünftig denkeu wiil, so darf ich bei dem tode üiuer geliebteu person 
nie klagen, nie eine tbr&ne rergiessen. als ich das ungificlc hatte, 
meine mir ewig unvergeszHche Henriette auf eine so schreckliche art 
zn verHeren, so hfttte ich sngen sollen, wenn ich ein rechter vernunft- 
held gewesen wäre: sciebam, me genaisse mortalem. so hätten wir 
aueh bei der naohrioht von Itoinhards tod aagen mtieaens aeiebamue, 
eum esse mortalem. non deerit alter, sollte nun aber das geffihl nicht 
gleich erstickt werden, sollte es sich ütiszern , sollte es sich in einen 
gesang ergieszen, so muste denn doch wohl etwas angeführt werden, 
waram man trauerte, klagte, weinte, diwes mnste doeh aneh wieder 
cansa snfficiens eein, man konnte sich doeh nicht damit begnOgen: 
erat vir bonns et honcstus. denn da kämen wir nicht aus der traner 
heraus, weil alle tage im lande viri honi et honeeti sterben, es muste 
doch eine nähere Verwandtschaft mit Pforte angegeben werden, sollte 
dieses geschehen , so war anch für die falsehe anslegnng das thor ge- 
öffnet, wurde nun z. b. weiter nichts gesagt, als: les tuas, Porta, 
curabat diligenter. gibt es nicht anch viele andere, die dies von sich 
sagen können; war Reinhard der einzige, qui res Portae curabat? 
knrs, es war nicht möglich ein wort an sagen, das sich» wenn man 
wollte, nicht snr beleidigung anderer erklären liesz. die anstöszigen 
stellen, um darauf zurückzukommen, rühreu gröstenteils von mir her 
(wie ich überhaupt in dem gedichte viel habe verbessern müssen), da* 
her weiss ich, wie sie genommen werden mDssen; nnd ich bin nicht 
unbesonnen dabei an werke gegangen, in der ersten stelle deest 
ttitela tibi war etwas gesngt, was vielleicht zu stark war, was 
sich auf keine weise rechtfertigen liesz; hernach war es uu- 
lateinisch, und endlich auch matt gesagt, es muste also verbessert 
werden, so ist es in der sweiten stelle, der Ters non, qood erat etc. 
ist von mir hineingesetzt, weil der des Verfassers eine tantologie ent- 
hielt und nichts anderes sagte, als was schon in dem vorliertrehenden 
disticho gesagt war. übrigens ist es doch wahr, uuU wird nicht ge> 
leugnet werden k5nnen, dasz Reinhard für Pforte ein wichtiger mann 
war, dasz er sieh ihrer besonders angenommen, dasz er sie wirklich 
geliebt hat, dasz er mehrmals in commis^ionsgeschäften gewesen, dasz 
er da Sessionen gehalten hat p. p. war er nicht noch vor 2 jähren als 
königlicher commissarias hier? gieng nicht ein königlicher befehl an 
die inspection voraus, ihn als solchen anzuerkennen? hat ihn dadurch 
der könig nif^i* selbst ausgezeichnnt, indem er ihn gleichsJiTTi zum vice- 
Präsidenten machte? wie schmeichelhaft muste es für Pforte sein, dasz 
er in den öffentlichen examinibns sie mehrmals erwähnt, mit dem zn- 
satze: cui deus faveat. welchen eindruck machte es- auf das ganse 
ßchulcolleglum, da er gesagt hatte vor 2 jabrcn, er habe in Pforte die 
angenehnr^ten t;ige erlebt, wenn ich aber sage und behaupte, dasz 
Beinhard für Fiorte ein wichtiger mann war, so kann und darf dieses 
nicht sogleich mit sagen, dass andere unwichtig wiren, oder dass es 
nicht noch andere wichtige gäbe, o es bat ihrer gegeben, gibt ihrer 
noch, nnd wird ihrer, das lUszt sich von der Vorsehung nicht anders 
erwarten, auch in der zukuutt geben, die Pforte beschützen, und als 
Hebende vXter für ihr bestes sorgen, der name Hohenthal ist in Pforte 
ein hochgefeierter name. dieser ist ein weit älterer pflegevater von 
ihr, als- ]?cinbard. den namen Färber spricht jedermann mit ehrerbie- 
tung uus. deuu ob er gleich nur wenige jähre erst unmittelbar mit 
Pforte in Verbindung steht, so bat er sich doch schon sehr grosze Ver- 
dienste um sie erworben, auch schon, als er geh. referendar war, hat 
er schon mit ilen Pfortnischen angelegenhpiten zn thun gehabt, er ist 
also ein wahrer ] flp^cvatpr der Pforte, unil winl ( s lerner bleiben, und 
wie viele könnte ich uuch nennen, welche Pfurle als seine wohlthäter 



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Briefe von Karl Bav« Ilgen an C. A. Böttiger. 



301 



zu Tereliren bati über diesen pnnkt wpIbz ich vrohl ziemlich richtig* 
zu Tirteilen. es ^bt auch solche, die wirklich verkannt worilen, leidende 
uud tute, gutt wird sie nicht verkennen, und in der ewigkeit ihre ver- 
dienate belohnen, librigens werden 8ie selbst aneh sngeben, dasz er* 
fabrnngen dieser art nicht geeignet sind, den entschlasz zu erhalten, 
h^i ähnlichen fällen auf äbniiche weise die gefiihle des danks laut 
werden zu lassen. 

Für dae mir sebr sebätsbare work des Boinart, welehes ein sehSnea 
augmentum bibliothecae meae ist, empfangen Sie meinen herzlichsten 
dank, und so auch für die skizzen Ihrer vorlesunf^eu über den Zeus, 
dasz ich nun alles vollständig habe, macht mich sehr glücklich, den 
Bellermann hatte ich noch nicht, er war mir sebr lieb, was die kupfer 
au dem 3n heft der vasengemälde anlangt, so wollte ich von Ihnen nnr 
wissen, ob sie erschienen wären, und keineswejrs p!c von Ihnen bulien 
und Öie deshalb In contribntion setzen. Sie haben mir bei dem ersten 
hefte nnr die erkiäruu^ gegeben, die kupfer niemals, diese habe ich 
mir selbst gekauft, es ist mir aneh nicht eingefallen, die kupfer von 
Ihnen zu verlangen, denn ich kenne die läge eines gelehrten, ich weiss 
es aas erfahrung, wie es diiuchtet, wenn man die g-eschenke von dem 
Verleger für baares geld kaufen musz. man darf kein zu leises obr 
haben, wenn wünsche dieser nnd jener art geltaszert werden. 

Dasz Ihre fran gemahlin sich so wohl wieder befindet, dasz sie 
wirklich visiten machen kann, freut mich und meine frau auszerordcnt- 
lich, besonders mit um deswillen, dasz Sie der reise nach Pforte einigen 
einflnse beilegen, mögen doch diese angenehmen n achrichten fortdauern, 
meine fran wollte sehreiben, aber so eben sagt sie mir, dasz es nieht 
mög^lich gewesen wäre; sie träg-t mir auf, sie Ilinen beiderseits herz- 
lichst zu empfehlen. Ihr lieber Gustav wird, wie ich höre, zum schul* 
feste mit declamiereu. mit der grösteu auhichligkeit 

Ihr 

frennd D. Ilgen. 

Pforte, d. 15 apr. 1813. abends um d abr. 
In einem nnd demselben «ngenblicke erhalte ich Ihren lieben biief 
nnd die inlage und erfahre auch, dasz der candid. academiae Schulae 

über Dresden reisen will, und sich erboten hnt briefe mitzunehmen, 
diese paar minuten, die mir nun gelassen sind, benutze ich dazu, Ihnen 
erstlich für das lebensaeichen, das Hie mir gegeben haben, zn danken, 
dann für das Inhalt- und lehrreiche Ihres lieben Schreibens, und tfkt 
die beilap;en, davon v'h nur eine, die brücken, habe ansehen können, 
es ist wirklieh ein ganz eignes Verhältnis, dasz alles briefschreiben 
unterbleiben musz, weil der postlauf gehemmt ist. man weiss nicht, 
ob die freunde, welche 6 meilen entfernt sind, noch leben oder tot 
siuil. sonst, wenn man auch nicht schreibt, erfährt man doch auf an- 
deren wegen etwas, jetzt aher herscht allenthalben eine heftige stille, 
wie lange haben wir der zcitungen entbehren müssen, endlich kam ich 
auf den einfall, naseren boten naeh Lpzg. zn schicken, dieser war auch 
bereitwillig; aber er bekam von dem commandanten in Nbg. keine 
karte, endlich wagte es ein böte von Nbg., der post varios casus per 
tot discrimina rerum In 3 tagen zurückkam uud zeitungen brachte. 
Ulanen und Kosaken haben wir hier gesehen, am dienstage der eensnr* 
woehe giengen 180 mann vor Pforte vorbei, ich liatte den scbfilem 
versprochen, dasz ich sie wollte lassen hinausgehen, wenn es gewis 
wäre, dasz sie kiimen; dafür möchten sie aber auch alle versuche, heim- 
lich hinauszulaufen, unterwegs lassen, sie thaten, was ich verlangt 
hatte, nnd lieszen sich dnreh gerächte nicht yerleiten; nun mnste idi 
natürlich auch wort halten, ob es mir gleich sauer ankam, es traf 
gerade in die censurstunde, als der böte gesprungen kam. ich gab das 
zeichen, dasz lauten könnte, wer wollte, da hätte einer sehen sollen. 



302 



Briefe Yon Earl Dav. Ilgen an C. A. Böttiger« 



wie schnell fUrstenschüIer sein können, ich glaube, dass sie es mit 
Kosakenpferden aufnehmen, wir lehrer schlichen fn unseren schwarzea 
rocken hinterher, mehrere von den Kosaken hielten still, die alamnen 
waren iiin sie henun, und Ihr pathe, der kfinftige aiumnns Donador» 
piensis war nicht der leiste, ein Kosake nahm ihn anfs pferd nnd knsste 
ibn ab. 

In Naumburg haben sie sehr gute Ordnung gehalten, der comman- 
dant, ein hr. v. Löwenstein, hat sich als ein awar strenger, aber doch 
im gansen sehr guter mann geseilt, aneh die Preussen haben beifall 

gefunden, und die fnrelit, die man Torher hatte, verscheucht. 

Eben werde ich um den brief gemahnt, und sehe mich gfnÖtifrt^ 
abzubrechen, ich setze nur hinzu, dasz Ihr lieber Gustav im gauz.en 
wegen seines fleisses am ezamen gelobt worden ist; aber eine gewisse 
fiatterhaftigkeit im schreiben, besonders der mishrauch der inter- 
punctionszeichen , wurde getadelt, wegen einer anderen flatterhaftig- 
keit, worüber sein obergetiell schon längst geklagt hat, hat ihm meine 
fran schon das nStige gesagt, nnd wird es ihm noch sagen, nenlich 
dasz er seine Sachen nicht recht beisammen hält, sonst ist er sehr g^t 
und brav, indem ich bitte , mich Ihrer fr. gemahlin hersUcbst ZVk 
empiehien, umarme ich Sic mit liebe nnd freundschaft, 

Ihr 

trener Ilgen. 

Was den grossen redner anlangt (nosti, qaem — ) so meinte der 
sei. fi. anders. 

Teuerster ftennd. 

Dasz ich auf den antrag, den Sie nebst andern vätern und müttern 
unter dem ersten mai p-othan haben, nicht liabe eingehen können und 
es noch nicht kann, davou werden Sie sich, da die umstände sich ver- 
ändert haben, nnd die benrteilnng derselben Ihnen näher liegt» wohl 
selbst überzeugen, wenn wir uns hier in turbulenten zeiten nicht selbst 
SU helfen wissen, so sind wir verloren; von oben herunter kann keine 
hilfe kommen, verlieren wir köpf und besinnung, so sind alle 20 meilen 
entfernt gefasste ratschlage, wenn sie auch noch so klag sind, vergeh* 
lieh, es ist keine gefahr für die alumnen zu befürchten gewesen, alle 
eitern, welche Idnder hier liabon, küunen darauf rechnen, dasz ich eher 
mit den meinigen zu gründe gehen werde, als die reihe an die mir an- 
yertranten alumnen kommt, wir haben es mit humanen kriegern zu 
thnn gehabt, welche gelehrte Institute mit Schonung an behandeln 
wissen; und gesetzt auch, dasz sie dieselben nicht p:anz ver.scl:onen 
können, so lassen sie doch dem personale der lehrer und seliüler durch- 
aus kein leid widerfahren, wir haben französische einquartieruug ge- 
habt, nnd jeder lehrer muste einige offixlere nebst domestiquen in seiner 
Wohnung aufnehmen; aber niemand hat Ursache, sich über sie zu be- 
klagen, mehrere bedauerten es sogar, dasz die umstände es notwendig 
machten, dem institate eine last aufzulegen, und eine Störung zu ver- 
Ursachen, die last fühlt natürlich das Institut selbst, nicht die ainmnen* 
diesen ist nur hei ein paar mahlzeiten etwas von ihrem überfloss ent- 
zogen worden, und ein mnl konnten «ie mittags kein brot bekommen, 
sondern musteu mit kartoÖ'eia vorliebnehmeu; das brot bekameu sie 
erst nachmittags um 8 uhr. wer über so etwas murren will, der ist 
nicht wert, in dem gremio alroae raatris einen plats su haben, haben 
doch die krieger selbst, welche ein schweres tagewerk vor sich hatten, 
in erm?inp'oluug des brots sich mit kartoffeln begnügen müssen, und 
haben äicii begnügt, eine reise nach Dresdeu zu luacheu, ist aUo, wie 
Sie sehen, gans unnötig, sie ist aber auch unmöglich, indem unter keiner 
bcdingung eine führe in der hiesigen gegend zu bekommen ist; und ge- 
setzt, es liesze sich ein fuhrwerk auftreiben, so würde die einwilligung 
vou meiuer seite gewissenlosigkeit sein, indem ich die kindcr, die hier 



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Briefe von Karl Dav. Ilgen an C. A. Böttiger. 303 



nichts von gefabr sa beförohten gehabt haben, nnd bis jetzt nichts 

fürchten dürfen, rnntwilUg- der gefahr anssetzto, wie Sip nunmehr Fclbst 
ermessen werden, seien Bie also in hinsieht Ihres Gustavs ganz ruhig; 
er itt in guten hSnden nnd genieszt yoUkommene Sicherheit, haben Sie 
die gute dieses auch den übrigen eitern su yersicbern, dasz sie alle 
sorgen in hinsieht ihrer söhne fahren lassen, sie sind alle vollkommen 
munter nnd gesund, keinem ist ein leid widerfahren, nnd keinem wird 
etwas widerfahren, wir halten wieder unsere lectiunen, morgen ist die 
Gonfinttation der kateehnmenen, nnd auf kfinftigen Sonnabend werden 
wir zur beichte e:ehen. 

Ich lege die rechnnrtf^ von mich, bis weihn. die von dem nächst' 
verflossenen osterquartal wird zur rechten zeit nachfolgen. 

Meine fran empfiehlt sieb Ihnen nnd Ihrer fr* gemablin anf das 
herzlichste, und letsterer aneh ich, da ieb mit nnwandelbarer frennd- 
Schaft bin nnd bleibe 

Ihr 

Pforte , den 10 mal 1818. treuer Ilgen. 

Yerehrtester freund. 
Hätte mir Ihr lieber Qastav auch nicht g^estanden, ut adolescentu- 
lum probnm, pudicum et candidum decet, dasz er Ihnen geschrieben, 
Sie möchten mich um die erlanbnis zum verreisen hö fliehst bitten, 
so würde ich doch durch das, was vorgefallen war, nnd was Sie wenig- 
stens zum teil nun auch wissen, scharfsichtiger e-emacht, es der form 
Ihres briefes ansehen, und daher als ausgemacht annehmen müssen, 
damit ieb nun nicht falsch beurteilt werde, und in einem lichte er- 
scheinen möge, welches mir eben nicht wflnsebMiswert sein kann, 
80 halte ich für nötig, die ganze sache, rem cum causis et rationibus, 
Ihnen zu erzählen. Ihr Gustav kam mit dem älteren Naumann zu mir, 
sls ich gerade im garten war, und sagte; wir kommen, um uns zu 
melden, dasz wir auf die hundstage vier woeben verreisen 
wollen, diese formula solemnis fiel mir auf; da aber Gustav nicht 
allein war, so konnte ich ihm das nicht sagen, und abfragen, was ich 
sonst gesagt und gefragt haben würde, sondern erwiderte blosz: erst- 
lich habe ieh noeh keine einwilligung von Ihrem herrn 
vater; zweitens können Sie, da Sie noch nicht zwei Jahr 
hier sind, nicht auf vier wochen, sondern nur auf drei 
Wochen verreisen; drittens sagt man nicht: wir kommen, um 
uns an melden, sondern: wir kommen, nm Sie sn bitten, da 
ieh das recht habe, das anbringen zu bewilligen, oder ab> 
snschlagen. was nun den ersten punkt anlangt, so steht ausdrück- 
lich in den Schulgesetzen, dasz die schüler, welche auf längere zeit ver- 
reisen wollen, die einwilligung der eitern schriftlich vorzeigen sollen 
(v. Vorschriften für die schüler p. 80). der grund ist leicht einzusehen, 
man kann nicht allezeit voraussetzen, dasz es den eitern j^^elegen ist, 
wenn die jungen leute lust haben, vielleicht sind die eitern verreist, 
oder scheuen die kosten, oder haben andere Ursachen, es nicht zu wün- 
schen, dass die s5hne nach hause kommen, der zweite punkt ist voll- 
kommen in den gesetzen gegründet, indessen wurde ich dnrch berück- 
sichtignri^ des dritten darauf hingeleitet, ihn stärker zu urgicren, als 
ich sonst getban haben würde, dieser ist, dasz Gustav sagt, wir kom- 
men uns so melden, es herscht ein getst unter den jungen lenten, 
den man nimmermehr ermuntern sollte, und der vielleicht in der älteren 
zeit ganz unbekannt gewesen ist, ein gewisses streben nach Unabhängig- 
keit, ein dummer dunkel und pruritus den herrn zu spielen, weicher 
sich bisweilen ziemlich plump äussert, man findet es infra dignitatem 
SU bitten, nnd sucht dieses lieber in ein bloszes anzeigen, d. h. in ein 
melden zu verwandeln, um sich von seiner eingebildeten Unabhängigkeit 
nichts SU vergeben, so haben sich die inspectores hebdomadarii schon 



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304 



Briefe TOn Karl Dar. Ilgeo an C. A. Bdttiger. 



öfters beTtlfifrt, rla?'/ äip selectaner, wolcho die erlanbnis er^inlten, dann 
und wana ins freie spazieren zu gehen, kommen und sagen: wir 
wollten uns melden, dasz wir heute spazieren gehen, sie 
liabeu deshalb melir als einmal von mir zurechtgewiesen werden müssen* 
da die srn lie In di r regel ist, so tilanben sin nicht notier haben, 
weiter danun zu bittLn. ein gewi.sscr llafiBc hnttc vor eiiiij^'^er zeit an 
einen coiiaborator einen zettel geschickt: herrti collaboratorK. K. 
wird hiermit gemeldet, dass herr Haase, herr N. N. herr N. N. 
und herr N. N. heute abwesend sein werden, freilich muste her- 
nach herr Haase, als selectaner, 3 [? carenen] übernehmen, da ich nnn 
aus dem munde Gustavs auch ein solches melden hörte, so muste ich 
annehmen, dass er das organ anderer wllre, die eine prohe au machen 
wünsehten, ob sie wohl anch hei mir damit durchkämen, auf diese ver- 
mutung" konnte ich um so eher fallen, da ich kurz vorher g^egen meinen 
famulus geäuszert hatte, dasz ich, wenn schüler in der Ordnung und 
aaeh vorschrifl der gesetse Terreisen wollten, ihnen weiter keine sehwie- 
rigkeiten machen würde, sie hranehten ja nur es mir au sagen; es 
könnten daher ganze partien zusammen kommen, damit ich uicht von 
jedem einzeln belästigt würde, man konnte Gustav zu dieser probe 
auserseben haben, entweder weil man ihm die dazu erforderliche herz- 
haftigkeit antraute, oder weil man die nXhereo yerhSltnisse, in welchen 
er mit mir steht, dazu sehr passend fand, oder sonst aus einem andern 
gründe; genug so hinschleichen konnte und durfte ich den ausdruck 
.nicht lassen; hier konnte nicht angewendet werden: in verbis simus 
facilas. indessen scheint es doch, dass ich mich geirrt hahe, Gustar 
ist nach der seit hei mir gewesen, und hat mir aufs heiligste versichert, 
dasz er von keinem mitscTiüler sei veranlaszt worden, diese formul zu 

Sebrauchen, sondern blosz aus übereilune" so gesagt habe, die spräche, 
ie er führte, war die spräche der ehrlldakeit und des guten ge Wissens; 
die rührung, womit er seine Übereilung bekannte, war der zeuge eines 
i^nrtp'cfühls, das ich bei ihm noch nicht in dem gra.de wahrgenommen 
hatte; kurz, Gustav ist mir durch diesen verfall um vieles lieber wor- 
den: denn ich habe blicke in sein herz thuu küanen, die mich ent- 
zückten, und mich eine schöne znknnft ahnen Hessen, hier haben Sie 
den ganzen verlauf der sache. nun komme aber ich als bittender vor 
Sie. ich möchte gern ein paar geschnittene steine zu petschnften an 
die taschenuhr haben, wollten 6ie wohl die güte haben, und mir in 
Dresden, wo dergleichen sacben zu haben sind, ein paar kaufen, was 
darinnen eingeschnitten ist, darauf kommt es mir nicht sehr an; nur 
etwas, das für mich pa*?st, z. b. ein köpf eines alten dichters, pbilo- 
sophen; etwas mjihologiscbes, ein Apollo, eine Muse u. dergl. nur 
nicht etwa einen Aescnlap, wie ich einmal hatte, oder eine Terpsichore. 
an der messe waren in Naumburg solche petschafte in menge zu iiaben; 
aber lauter ungeschnittene steine, und sehr dumm und geschmacklos 
gefaszt, was ich beides nicht leiden kann, ich bemerke nur, dasz ich 
sie nicht gern zu grosz wünschte, wo möglich nicht gröszer, als wie 
mein gewöhnliches petschaft ist. es ist nur um etwas an der nhr an 
haben, und etwa auf reisen davon gebrauch machen zu können. 

Am vorigen sonnabeud ist der kaisor Alexander in aller stille früh 
nm 6 uhr hier vorbeigegangen, in Poppel, einem hiesigen amtsdorfe, 
das gröstenteits abgebrannt ist, hat er ein glas milch getrunken und 
dieses mit 7 ducaten bezahlt, auch jedem der anwesenden banam 
2 ducaten geschenkt, von seinem benehmen in Leipzig erzählt man 
Wunderdinge; ich glaube aber nicht eher etwas davon, bis ich die 
folgen sehe. 

Möge Ihnen und Ihrer frau gemahlin, der ich mich herzlichst zu 
empfehlen bitte, das bad recht wohl bekommen sein. nnTcründerlleh 

Ihr 

Pforte, d. 22 juU 1814. treuer Ilgen. 



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ZWEITE ÄßTElLÜNG 

FÜB GYMNASIALPlDAGOGIK UND DIE ÜBEIGEN 

LEH&FÄGHEB 

MIT AUSBGHLDSZ DBB CLA88ISGHER PHILOLOaiE 

HfBaAÜSGSGBBBN VON PROF. DB. HbRHANH MaBIÜS« 



(22.) 

OIE ALT£N SPRACHEN IN D£E PÄDAGOGIK HEBBABTS. 

(forttetsonsr.) 



n. 

Durch das bisher gesagte ist an der hand vieler auB8|krUche 
Herbaris dargelegt worden, welche wertschätz nng er auf grund 

seiner theorie vom erziehenden unterrichte den altsprachlichen Stu- 
dien der höheren schulen zu teil werden läszt, und welche Stellung 
er denselben innerhalb seines Systems anweist, ich komme nun 7um 
zweiten teil meiner arbeit, in welchem ich versuchen werde zu zeigen, 
wie sich Herbart für die praxis die gestaltung des griechischen und 
lateinischen Unterrichts gedacht hat. 

Dasz er an dem bisherigen betriebe des altsprachlichen 
Unterrichts sehr viel auszusetzen fand, ist leicht begreiflich, die 
klagen über denselben , welche sich in den pädagogischen Schriften 
oft wiederholen, sollen zunächst zusammengestellt werden.'* 

Der 'tichlendrian' der gymnasien ist für Herbart ein gegenständ 
heftigen Unwillens (II 154). * trieben die gymnasiallehrer das, was 
sie treiben sollen, — wäre nioht das ganze ihres thuns hinter den 
bedürfnissen ilirer zeit zurttekgeblieben , regierte nicht Boch immer 
eyi alter, aos viel danklerea Zeitaltern herstammender Schlendrian 



** ich werde hier nur die klagen wiedergeben, welche sich auf die 
Tetnaehlitosigung der bisher besprochenen allgemeinen gesiebtspunkte 
des erziehenden Unterrichts beziehen, die besonderen über schlechte 
orjrJinisation hinsichtlich der reihenfolp^e der alten sprachen finden erst 
anten ihre stelle, nachdem die plane und einrichtungen Herbarts, welche 
sich auf den altsprachlichen unterriebt beziehen, einer eingehenden be* 
trachtnofl^ unterworfen worden sind. 

N. Jdirb. f. pUl. tt. päd. It abt 1S80 hft. & SO 



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306 Die aitcu sprachen in der pädagogik Herbarts. 

die gfanze lehrweise: so würde das verkehren mit dem a,u sich hei- 
teren und gioszen altertum den lehrern mit guter laune auch gute 
methoden, den schttlem mut und frobsinn geben.' mangel an päda- 
gogiscbem geiste wird den gymnasien immer nnd immer wieder vor- 
geworfen. * die gymnasien sind ibrem wesen n«cli nicht die natOr- 
lichen Wohnsitze des pttdagogisohen geistes; darum musz er Yon 
auszen hier in sie hineingetragen werden' (II 150). ein stalrker tadel 
des bisherigen unteraichtsbetriebes liegt auch in der verächtlichen 
praeteritio: 'wie die alten sprachen da gelehrt werden, wo man sie 
als eine Sache der notwendigkeii und convenienz beteachtet and 
sich Uber pädagogische Überlegung hinwegsetzt: davon ist hier nicht 
zu reden' (II 636). vor den gewöhnlichen forderungen des Vorurteils 
und des berkommens (das Sprachstudium als solches zu betreiben) 
warnt Herbart den lehrer, welcher nicht auf sie eingehen kann, ohne 
unvermeidlich vom erzieher zum lebrmeister herabzusinken (I 410). 
als schlecht^ gjmnasium gilt ihm das, welches ^nur lateinische und 
griecbische spräche lehren will' (II 108), auf welchem die philologie 
einseitig herscht (II 107 anm. 25)'°, welches — das glaubt Herbart 
in rücksicht auf das bisher gewöhnliche verfahren hinzusetzen zu 
dürfen — das erwachen des interease viel zu gleichgültig erwartet; 
als wenn sich das von selbst verstände (II 104). seinem ziemlich 
hr tilgen groll gegen einseitige philologen macht Herbart in der vor- 
rede zu Dissens schrift luft (I 575). er nennt sie 'eitle ratgeber, von 
denen die pädagogik, wenn sie sich an die philologie wendet, um 
sich von dieser einige gefölligkeiten zu erbitten, Zudringlichkeiten 
zu leiden bat; die nur sich selbst hören, und über der masse ihrer 
Weisheit ganz vergessen, weshalb sie eigentlich gefragt wurden*, 
insbe^ünderc eifert lierbrirt gegen die philologen, weiche das abitu- 
rienten-prüfungsgesetz durch die ungeschickte ausführung verhaszt 
gemacht haben (II 147 f.). die manigfaltigen unannebmUcbkeiten 
zwisehen familie, lehrom, lehranstalten, beh^rden, welefae dadarcb 
hervorgerufen worden sind, ^bewMsen zur schmaoh der schule, dasz 
die, welche das abitnrienten-edict cur richtschnnr ihres ganzen Ver- 
fahrens machten — nur philologen waren, oder wenigstens nnr als 
solche zu handeln verstanden.' das verfehlte vorgeben eines solchen 
unpädagogischen philologen bei dem entwerfen eines lehrplans schil- 
dert Herbart eingehend im umrisz § 96 (II 563): ^gesetst, einem 
lebrer werde aufgetragen, den Unterricht in einer bestimmten wissen* 
Schaft zu besorgen : so macht er oft genug seinen lehrplan ohne pft- 
dagogische Überlegung, die Wissenschaft, meint er, gebe ihm einen 
plan in die hand, wie sie gemäsz ihrem Inhalte, wobei eins das andere 
voraussetzt, füglich könne gelehrt werden, ist eine spräche zu lehren, 
so verlangt er, die scbtÜer sollen fertig declinieren und conjugieren 
können, damit er einen Schriftsteller mit ihnen lesen kOnne; sie sollen 



beides darf man aus den betreffenden stellen lesen, welche firei» 
lieh ättszerUck eine andere fassong haben. 



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Die alt«n eprackeu m der pädagogik Herbarts, 



307 



den gewöhnlichen prosaischen ausdruck verstehen, bevor er ihnen 
die gewählten Wendungen eines dichters erkläre' usw. am ausführ- 
lichsten aber geht Herbart auf den bisherigen verkehrten beirieb des 
classischen Unterrichts ein in dem pädasrogischen gutachten (II 75 
" — 78). ich muiz mich darauf bescbrünktiii, dio hiiuptpunkte der be- 
deutsamen stelle herauszaheben. Herbart schildert zunächst, wie bei 
dem bestehenden dssBensystem die Schulmänner, die blosz sprachen 
um der Bpraehen wüHm l^ren wollen , die leotttre betroibcm. dasz 
Oomelins Nepos, Caesar, LivioSi Cicero etwas Terschiedenjartiges 
Tortragen , darauf kommt es ihnen nicht an; 'sondern es ist aSes 
latein — oder noch besser, es ist alles alte spräche und beschSf tigung 
mit lezicon und grammatik*. Herbart nennt dann noch die weiteren 
Terkehrtheiten dieser auffiissung der leetttre, welcher am Inhalte der- 
selben gar nichts gelegen ist (s. 76), sondern welche dnrch die lectflre 
nur Übung und fertigkeit erzielen will. *da wäre es denn am besten, 
wenn man autoren fiiden könnte, die gar nichts enthielten.' es gibt 
aber auch glückliche schulmänner, ^bei denen sich die beiden maxi- 
men freundlich mit einander vertragen; die eine: bei der wähl der 
autoren nicht auf den inhalt zu sehen, sondern auf die sprachformen; 
die andere : die autoren wirklich ihrem inhalte nach zu erklären, als 
ob in der that an dem inhalte etwas gelegen wäre.' sodann unter- 
scheidet Herbart (s. 77) zwei richtungen unter den schulmännem; 
die einen lassen den eitrentlichen zweck des schnlnnterrichts in 
Öbnngen und fertigkeiten bestehen. *dic andern wollen den gegen- 
ständen selbst, nu welchen der schüler sich übt, eine von der be- 
schaffenbeit uud verschiedenartigkeit eben dieser gegenstände ab- 
hängige bildende kraft beilegen.' endlich gibt es noch eine dritte 
• dasse, welche beide zwecke verbindet, Übungen und fertigkeiteu uud 
sittliche bildung erstrebt, diese macht Herbart (s. 78) darauf auf- 
merksam, dasz sich notwendig der eine zweck dem andern unter- 
ordnen müsse.'' den zweiten denken die meisten überhaupt nur 
dunkel und scheuen die weit aussehenden Überlegungen, zu welchen 
die fragen über ihn tühren würden, und so bleibt es denn dabei, 
'dasz der schulmann in dem unterrichte der alten sprachen als 
sprachen consequent fortfährt, und dasz er darin weder gestört 
sein will, noch gestört wird, obgleich der sweck^ den er hier verfolgt, 
sUerdings der untergeordnete ist, und er sich demnach ron rechts- 
wegen ge&szt halten musz, in dieser seiner untergeordneten tbifttig- 
keit wirklich gestört zu werden » falls sie nicht von selbst mit dem 
höheren ziele susammentrifit' (s. 78). in etwas anderer fisssung wie- 
derholt sich dann die klage in derselben schrift (s. 87) : *die Wahrheit 
zu sagen, das interesse ist bis jetzt überhaupt nicht die riehtschnur, 
nach der die schulmftnner zu werke zu gehen pfl^en.' 

An stelle des bisherigen, so viele mängel aufweisenden Unter- 
richts in den alten sprachen setzt nun Herbart seine nengestaltung 



*^ vgU die besägUche stelle im abschnitt I. 

20* 



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d08 Die alten epiachen in der pädagogik HerbartB. 

desselben, wie sie lür ihn vom Btandpunkte des erziehenden unter* 
richtä aus bedingt wird. 

Hatte er den ausgang des geschichtlichen Unterrichts von der 
classischen vorzeit an der hand der documente und die coutinuier- 
liche fortentwicklung desselben verlangt, so ergibt sich von selbst 
die weitere fordernng, dasz der altsprachliche Unterricht mit dem 
griechischen zu beginnen sei; eine forderung, in welcher Her- 
bai t mit so vielen bedeutenden gelehrlLn seiner zeit übereinstimmte, 
freilich waren es andere gründe, die ihn, andere, die jene leiteten, 
ihn bewog nicht der hohe enthusiasmus für die erhabenen schön- 
b^ten der griechischen spräche ond litteratur an sich, wie jene; 
wendet er sich doch einmal ansdrficklich gegen den falschen enthu- 
siasmus fftr die Qriechen (II 156). *dem falschen enthusiasmna für 
die Griechen yorznbeugen ist ebensosehr der sweck meiner lehrart, 
als mit ihrer wahren Torireflfliehkeit — mit ihrer natttrlichkeit die 
natar der kinder in bertlhnmg zu bringen. Homer, Herodot ond 
Flato sind meinen Zöglingen^ soweit sie damit bekannt werden^ eben 
recht; aber dasz sie dieselben bewunderten^ habe ich nie gehört will 
man bewunderer der Griechen bilden, so musz man von meinem ybt- 
fahren das gerade entgegengesetzte thun.' vielmehr waren es für 
ihn pädagogische zwecke , welche den beginn mit dem griecfaisdien 
forderten (I 576 f.), und seine gründe für diese forderangen waren 
geradezu Wom hauptzweck alles Unterrichts' hergenommen (II 637). 
Her hart beruft sich auch gar nicht auf Vorgänger oder Zeitgenossen, 
welche dasselbe anstrebten; der grund für ersteres scheint Willmann 
(vorr. s. XXXII ) * nicht sowohl darin zu lienren. dasz er diese an- 
knfipfungspunkte versebmähte, als vielmehr darin, dasz er sie nicht 
kannte', nur die erziehungsrevisoren nennt er einmal als die Ver- 
treter derselben ansieht (I 347 mit Willmanns anra. 15).** 

Hören wir nun die gründe aufweiche Herbart seine iorde- 
rung stützt.** 

Schon in den ideen zum pädagogischen lehrplan (I 76) liest man 
die ausführliche begründung, warum der altsprachliche Unterricht 
mit dem griechischen zu beginnen sei; sie mag hier wiedergegeben 
werden. Herbart be/eicbnet es als einen nur durch eine längst über- 
wundene notwendigkeit (die deutsche zunge jedes gebildeten in eine 



die namen der männer, welche die priorität des griechischea ver- 
langten, finden wir aufgezählt bei Eckstein- Heyden lateinischer und 
griechischer Unterricht' s. 357 — 364. vgl. audi Bäumlein-Schmid 'ency 
clop.^ HI 66. Brzoska-Rein 'über die notwendigkeit pädagogischer 
seminarien' s. 235. Willmann I 572. 

^ hier werdeu imr die stellen heruugezogen , au welchen von dem 
beginne mit dem griechischen überhaupt die rede ist; diejenigen, weldie 
die Odyssee an die spitze des altsprachlichen Unterrichts stellen, sollen 
ihren platz in dem der Ilomerlectüre gewidmeten abschnitte erhalten. 

wie bedeutend ihm diese frage über den Unterrichtsbeginn er- 
achien» seigt eine anmerknng %n 1 291 : 'dieser gegenständ ist so wichtig, 
daes er ein eignes bncb enfordem würde.* ^ 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarta. 309 



rOmiscbe verwandeln zu müssen) hervorgerufenen em&ll *die jugend 
meril naeh Rom, und moht vielmelir in die schule Borna, naeh ' 
Griechenland, su fllbien. denn wenn wir heut zu tage noch bei den 
alten lernen mflasen, so ist doch nicht zu leugnen, dasz die Börner, 
auch in ihren hosten Zeiten ^ nodi weit mehr im eigentlichen ver- 
stände sdilller der Griechen waren.' es wird nun weiter gezeigt, wie 
stark die römische dichtung von der griechischen, ttberhanpt das 
römische cnlturleben von dem helleniadien beeinfluszt ist. die unend- 
lichen Schiefheiten und Verkehrtheiten, welche durch diesen unter- 
lichtsgang in allem dem entstehen, 'was irgend zur einsieht in die 
litteratur, die geschichte der menschen, der meinungen , der künste 
usw. gehört', könne man vermeiden, wenn man es nicht scheue 'die 
edelste unter den sprachen vor der recipierten gelehrten spräche im 
unterrichte vorangehen zu lassen' (I 291). denn eine Verkehrtheit 
ist es eben das neuere dem älteren voranzuschicken (II 156). 'wenn 
irgendwo das neuere nicht blosz nach clüm älteren, sondern auch 
aus dem älteren folgt, und zwar nicht nur in Worten, sondern auch 
in gedanken, gefühlen und darstellungsweisen; wenn man gleich- 
wohl das neuere früher und das ältere erst vom hörensagen , dann 
mit vorgefaszten meinun;^'en später kennen lernt, — so ist die folge: 
erstlich; dasz man das neuere nicht versteht; zweitens, dasz man das 
alte durch eine gefärbte brille sieht, indem mau seine einbiidung in 
die anschauung hineinträgt.' die römischen schriftsteiler setzen so 
viel voraus (eben die ganze hellenische cuJtur I 78), daher können 
sie nur füglich nachfolgen, wenn Homer und einige andere Gheoheu 
vorangegangen sind (I .347). 

Ein weiterer sehr schwerwiegender grund» weshalb man die 
biaben zuerst mit den Griechen vertraut machen soll, ist die grosze 
saaehaulichk^t ('sichtbark^t') in der darstellung der menschen, 
welche der Charakter Homers, die anschaulichkeit in der erkenntnis 
and stSrke des gef&hls* welche der Charakter der griechischen histo- 
riker und philosophen ist (I 42). 

Eine ausführliche psyqhologische begründung endlich gibt Her- 
bart in der kurzen encycdopSdie (II 464. 465)* es gibt manche — 
sagt Herbart da — welche den topf (das latein) lieber fertig kaufen 
wollen, *al8 ihn aus dem thon allmShlich' bilden, witre nun die grie- 
ehische spräche nichts weiter, als der thon, woraus die römische 
Sprache entstanden ist, so möchten sie recht haben.' es ist aber ge* 
rade die bestimmte vorstellungsmasse, welche mit dem griechischen 
in die seele des Zöglings einzieht, das entscheidende, und weiterhin 
(s. 465) wird darauf hingewiesen , wie schwer ^ Ja unmöglich es ist, 
die einmal verkehrt liegenden vorstellangsmassen wieder umzubil- 
den, 'weil wir weder in Athen noch in Rom zu hause sind , kommt 
alles blosz auf das Verhältnis zweier für uns fremder vorstellungs- 
massen an, die wir uns historisch aneignen wollen, werden sie an- 
fangs in eine verkehrte läge gebracht, so rausz man sie biutennach 
umbilden; aber das gelingt nie völlig, denn Vorstellungen amd ent- 



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310 Die alten sprachen m der pädagogik Uerbarts. 



weder activ , und alsdann lassen sie sich nicht wie ein weicher stoff 
hin und her biegen, sondern widersetzen sich um ihre einmal ange- 
nommene Verbindung zu behaupten; oder sie sind passiv, und er- 
soheinen als ein totes wissen , alsdann aber stehen sie auf einer so 
niedrigen bildnngsstnfe, dasz sie für die erziehnng nichts bedenten« 
die bedingungen dieser aotivitKt nnd passivitttt zeigt die p ychologie 
in den untersnchungen Aber die schwellen des bewnstseins nnd Aber 
die reproduction^gesetze,' 

Bie blosse fordemng des Torrangs des griechischen vor dem 
lateinischen wird noch in den thesen (1802) ansgesprochen (1 288): 
^institntio liberorum a Graeois literis incipienda.' vgl. noch knize 
encyclopSdie II 473. 

Ein anderer mehr praktischer grund für den beginn mit dem 
griechischen, welchen Herbart jedoch nur sehr selten ins treffen führt, 
ist dessen gröszere Schwierigkeit (I 79). in den Schwierigkeiten liegt 
eben ein grund *jene spräche, damit sie länger gelernt werden könne, 
eher anzufangen' als die lateinische, vgl. älteste hefte I 293 anm.: 
^schon ihrer Schwierigkeit wegen sollte die griechische spräche die 
erste für den Unterricht sein."'^ 

Dasz der anfang mit dem griechischen früh gemacht werden 
soll, wie ja überhaupt der altsprachliche Unterricht nicht verspätet 
angesetzt werden darf, betont Herbart öfter mit nachdruck. das 
gymnasium musz mit seinen alten sprachen notwendig früh anfangen, 
weil nur frühzeitig gegründete fertigkeiten ganz geläufig werden, 
und weil alles darauf ankommt, dasz kein gjmnasiast auf halbem 
wege stehen bleibe (II 109). 'schon die lange arbeit, welche die 
alten sprachen verursachen, macht ratsam dieselben früh zu begin- 
nen, der klang fremder sprachen musz früh gehört werden, damit 
das befremdende sich vermindere* (II 557). und negativ wird das- 
selbe gesagt II 636: ^bekannt ist die meinung, die Schwierigkeit 
wflrde sich Termindem, wenn man die alten sprachen spftter an- 
fienge; dann würde man die fühigkeit zn lernen grösser finden, im 
gegenteil: je später, desto mehr neigt sic|i der jugendliche gedanken* 
kreis sur abschlieszung. gedSchtnissacben müssen &üh eintreten, 

3^ gerade diese Schwierigkeit ist aber für viele andere pädagogen, 
80 auch für Eckstein (a. a. o. s. 363 f.) der bestimmende ^rund für den 
späteren beginn des griechischen, sie wird sogar von Kern (s, 279) 
berüeksichtigt, der ja auch für die priorität des griechischen eintritt; 
aber freilich 'in der hoffnnog, dasz es möglich sein wird, die Schwierig- 
keiten, welche das erlernen der priechiscben spräche einem sextaner 
bereitet, und die mit der verscliiedeuheit der dialecte xusammeuhäuguo- 
dea bedenken zu überwinden', natürlich gilt ihm die tradition, die für 
den anfang mit dem lateinischen ist, nichts, merkwürdigerweise ist sf« 
ihm in einem anfroren falle heilig- (s. 299). ^ hätte sich nicht die fje- 
wohnheit, mit dem französischen zu beginnen, zu fest einp^ebürpert, so 
könnte die frage gestellt werden ^ ob es nicht zweckmäi:<ziger sei, den 
nnterricht im englischen vorausgehen zn lassen, weil dies dem päda- 
gogischen zwecke des Unterrichts entsprechendere leetfire- Stoffe schon 
für das frühere alter bietet' nsw. 



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Die alten spiaohen in der pftdagogik Herbarts. 



311 



besonders wo der ganse niitsen von der za erlangenden gelttufigkeit 
abhSngt. man mnss frtth anfangen, nm langsam, ohne pttdagogisehen 
awang vorrücken zu kennen.' 

80 wird denn nachstehende reihenfolge für die verschiedenen 
altersstufen festgesetzt (I 446): 'der lehrplan hat für das frühe 
knabenalter den anfang in der griechischen , für das mittlere den 
«n£angin derrömiecheni und für das Jünglingsalter die bescbSftigang 
mit den neueren spraehen ansnordnen/ 

Wir wenden uns nnnmehr zn einer eingehenden betrachtnng 
des griechischen Unterrichts, wie er sich nach den pttdagogi* 
sehen forrlerungcn Herbarts gestalten musz. 

An die spitze desselben tritt als ein imvergleichlicbes hilfs» 
mittel des erziehenden Unterrichts nach HerbLUt:! nie veränderter 
ansieht die lectüre von Homtirs Odyssee, auf dieses erziehungs- 
mifctel legte er sein ganzes leben hindurch einen so groszen wert, 
dasz wir vielleicht mit der behauptung nicht unrecht haben, Herbart 
sei zu seiner forderung der priori tat des griechischen Unterrichts 
Überhaupt wesentlich durch die erwägung bestimmt worden, dasz 
dieses werk als anfangslectüre für knaben von keinem andern über- 
treffen werden könne. 

Der plan, die Odyssee an den anfang des unteirichts zu stellen, 
war schon in Jena von Herbart gei'aszt worden ; noch bevor er selbst 
in die erzieherische thätigkeit zu Bern eintrat, dieses vermutet Will- 
mann (vorr. s. XIX n. 1 12 anm. 5) gevris mit recht; er verweist auf 
eine stelle der allgemeinen pädagogik (I 346), wo Herhart sagt: 
*der Odyssee verdanke ich eine der angenehmsten er&hmngen.meines 
lebens nnd grOstenteils meine liebe zur erziehmig. gelernt habe ich 
durch diese erlahrang niofat die motive, diese sah ich Yorher; deut- 
lich genug, nm mein lehrergeschäft' mit der lectttre der Odyssee 
anzufangen, dasz die Steigerberichte, welche den uns erhaltenen 
noch Torangegangen sein müssen, die motivierung des lehrgangs im 
griechischen enthalten hätten, nimmt Willmann, wie ich glaube, 
ebenso richtig an (I 11 anm. 4). auch wissenschaftlich hatte sich 
Herbart schon früher mit Homer beschäftigt; er arbeitete 1796 ^über 
die musikalischen rücksichten in Homers gedickten' (vgL Willmann 
1 12 anm. d). zunttchst will ich die stellen kurz anführen, wo ohne 
weitere begründung nur die forderung dieses anfanges im griechi- 
schen unterrichte gestellt wird. 

Hier kommen zunächst wieder die thesen (1802) in betracht: 
*institutio liberorum a Graecis literis incipienda et quidem ab Homeri 
Odyssea.' femer I 446: ^als hauptpunkte, welche in den anfängen 
dieser beiden reihen (des erziehenden Unterrichts) hervorragen, wage 
ich die Odyssee und das abc der anschauung zu nennen' (II 130*). 
'der Unterricht in den alten sprachen musz mit der Odyssee, der in der 
mathematik mit den ebenen und sphärischen anschauungsübungen 
beginnen.' 

Eine kurze allgemeine begründung enthält die folgende stelle 



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Die alten sprachen in der p&dagogik Herbarto. 



des umrlssee, § 283 (II 688): *die Odyssee flbertriffk, Tie^ftbiiger 
erfahnmg zufolge, jedes andere werk des altertums, welehes man 
wtthlen könnte, an bestimmter pädagogischer wirknng/ an steUeiii 
welche bald mehr^ bald weniger ausführlich die gründe angeben, 
weshalb gerade die Odyssee sich so gut flir den anfang des Unter- 
richts eigne , ist kein mangel in den pädagogischen schriften Her- 
baru. er hat mit groszer liebe die Vorzüge des Homer für die knabm- 
weit geschildert, die Sichtbarkeit des menschen ist Homers Charakter 
(I 42); er lehrt die knabcn, was ihnen schwer fUllt, 'sich menseben 
eines sehr entfernten Zeitalters in ihrer lehensart und gesiiinuiif; vor- 
zustellen' (I 54). ausführlicher lautet dif« ])cgründung in den ültesten 
heften (T 293 anm.): ^der knabe bedarf, um sich zu heben, des be- 
ständigen blicks auf den mann, und die heroischen regungen des 
knabenaiters bedürfen, um nicht zwecklos zu entschwinden, noch zu 
verwildern, um vielmehr die periode der Vernunft heranzunähern, 
idealischer darbtellungen solcher männer, welche vollbringen, was 
der knabe möchte, aber an denen sich auch desto eher der Übergang 
zu einer höberuu Ordnung verrät, y.u^'lcicb musz die beschäftigung 
mit diesen männern auch durch ihre äuszere form zu einem weit oticn- 
liegenden fortschritt einladen, dies eignet die Homerische Odyssee 
zur ersten historischen darstellung fremder sitten, entfernter Zeiten, 
auch nur eine so umstiindUche, so höchst klare poetische schilderang 
hat die kraft« die teilnähme des knaben in dem weitentlegenen neuen 
kreise zu fixieren.* personen nnd gesinnangen stellt das Homerisehe 
epos vor allem dar und erheischt flGlr diese zuerst eine freundliche 
aufnähme (1 429); es bietet dem intereese des knaben begebenheitea 
und personen dar, deren es sieh ganz bemächtigen, nnd Ton wo aus 
es übergehen kann zu unendlich manigfaltigen eignen reflezionen 
Uber menscbheit und gesellschaft, und über die abhängigkeit beider 
von höherer macht (interessen der teilnähme), die früheste bildnng 
des kindlichen gefühls müste ganz verfehlt sein, wenn der, nach ge- 
stillter freude am imterhaltenden, zurückbleibende sittliche eindrack 
jener alten erzählungen irgend zweideutig sein könnte, schon das 
Verhältnis der fabel zur Wahrheit, und der roheit zur bildung musz 
dem knaben allenthalben hervorspringen, wenn er jenes bild Ter* 
gleicht mit dem kreise, in dem er lebt' usw. (I "291 f.). 

Am deutlichsten uud mit Worten schönster be^feisterung wird 
der ungemein wei i v oiie einflusz, welchen die in der Odyssee geschil- 
derten ereignisse und persönlichkeiten auf das gemüt des knaben 
ausüben, in der allgemeinen pädagogik fl 345) dargestellt, ich 
möchte daher diese stelle in ihrem ganzen Wortlaute anführen, auch 
wenn in ihr die in früheren aussprüchen enthaltenen gedauken nur 
weiter ausgeführt werden, nachdem Herbart die bisher zumeist ge- 
braLiciiieu kmderschriften, welche in der absieht zu bilden geschrieben 
sind, streng verurteilt hat, fährt er fort: 'gebt den kiadern eme 
interessante er^ählung, reich aii begebenheiten, Verhältnissen, Cha- 
rakteren) es sei darin strenge psychologische Wahrheit und nicht 



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Die alten spraeben in der pädagogik Herbarfcs, 313 

jenseits der geftthle imd eindchten der kinder; es sei darin kein 
streben I das sehlimmste oder das beste zu seicbnen; nnr babe ein 
leiser, selbst noeb balb seblnmmemder sittlieber takt daffir gesorgt, 
dasa das interesse der baadlnng neb von dem scblechteren ab und 
snm guten, znm billigen, zum rediten bintlbenieige; ibr werdet seben, 
wie d^e kindlicbe anfimerksainkeit darin wnrzelt, wie sie nocb tiefer 
bittter die wabrbeit zu kommen, und alle selten der sacbe bervorzn- 
wenden sucht, wie der manigfaltige stoff ein manigfaltiges urteil 
anregt , wie der reiz der abwechslung in das yorzieben des besseren 
endigt, ja wie der knabe, der sich im sittlichen urteil vielleiobt ein 
paar kleine stufen höher fühlt, als der beld oder der sobreiber, mit 
innerem woblgefdhl 8i<^ fest binstemmen wird auf seinem punkt, 
um sich zu behaupten gegen eine roheit, die er schon unter sich 
fühlt, noch eine eigenschaft musz diese erzahlung haben, wenn sie 
dauernd und nachdrücklich wirken soll: sie musz das st^irkste und 
reinste gepräge männlicher grösze an sich tragen, denn der knabe 
unterscheidet, so gut wie wir, das gemeine und flache von dem w iirde- 
volien; ja dieser unterschied liegt ihm mehr als uns am herzen; denn 
er flihlt sieb imgcrn klein, er möchte ein mann sein! der ganze 
blick des wohl angelegten knaben ist über sich gerichtet, und wenn 
er acht jähre hat , geht seine gesichtslinie über alle kmderhistorien 
hinweg, solche männer nun, deren der knabe einer sein möchte, 
stellt ihm dar. die findet ihr gewis nicht in der nähe , denn dem 
männerideal des knaben entspricht nichts, was unter dem einflnsz 
uüburer heutigen cultur erwachsen ist. ihr ündet es auch nicht in 
eurer einbildungskraft, denn die ist voll pädagogischer wünsche, und 
Toll eurer erfahrungen, kenntoisse und eignen angelegenbeiten. wärt 
ibr aber aueb so grosze dicbter, wie nie einer war (denn in jedem 
diebter spiegelt adi seine zeit): so mQstet ibr nun, um den lobn der 
snstienguug zu erreieben, sie noob bnndertfacb yermebren» denn 
was sicä aus dem vorigen von selbst yerstebt: das ganze ist unbe- 
deutend nnd unwirksam, wenn es allein bleibt; es mnsz in der mitte 
oder an der spitze einer langen reibe von andern bildnngsmitteln 
stehen, so dasz die allgemeine verbindong den gewinn des einzebien 
anf&nge nnd erbalte. wie sollte nun in der gimzen künftigen litte- 
rator das hervorgehen, was dem knaben passtOi der noch nicht ist, 
wo wir sindl ieb weisz nur eine einzige gegend, wo die beschrie- 
bene erzählung gesucht werden konnte, — die classisebe kinderzeit 
der Griechen, und ich finde zuerst — die Odyssee,' 

Nicht minder wichtig ist der abschnitt des pädagog^chen gut- 
achtens(n 82 f.), in welchem Herbart zunächst die Spannung schildert, 
welche die Odyssee im gegensatze zu der lectüre der Chrestomathien 
hervorruft: ''Homer erren-t die aufmerksamkeit ganz allmfihlich ; er 
treibt sie immer höher; er bringt am ende eine solche Spannung in 
dem kindlichen gemüte hervor, wie man sie nur von irgend emem 
buche in der weit erwarten kann; und von dieser siiannung bleibt 
fortdauernd ein grosser eindruck zurtLck, mit welchem späterhin alle 



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314 Die alten spraehen in der pädagogik Herbarts. 

eindrücke der ganzen alten geschichte und litterator yerschmelBen/ 
darauf wird gezeigt« wie die Odjseee die sechs intereseen zu wecken 
▼ersteht (*die sSnitlichen sechs daasen des Interesse mit krSftiger 
nahning' versiebt), diese stelle ist besonders interessant, weil sie 
eine praktische anwendung dos Herbar tschen Systems gibt; ich lasse 
sie daher wörtlich folgen (II 82) : ' die Odyssee erzSblt eine lange, 
bunte geschiebte; sie weckt also das empirische interesse. sie 
zeigt allerlei menschen in wirknng nnd gegen wirknng; dadurch reist 
sie zu einer reflezion über den Zusammenhang der Ursachen und 
folgen in der menschlichen gesellschaft , und diese reflexion ist der 
anfang der speculationen des pragmatischen historikers. sie ist 
ein gedieht, und zwar ein clasöisches gedieht; und obnrleieh sie fils 
solches von kindern keineswegs vollständig anfgefaszt wird, sondern 
eben in dieser rücksicht in spätem jähren noch einmal mit aanz 
andern äugen will gelesen sein, so umringt sie dennoch den kinrl- 
lichen geist mit den aliei günstigsten geiegenheiten, um sich, soweit 
seine anläge reicht, in ästhetischer hinsiebt zu entwickeln, sie 
schildert menschliche leiden und freuden, und zwar dem allergrösten 
teile nach so, drisz schon der kleine knabe, ja. dieser eigentlich am 
allermeisten damit sympathisieren kann, sie zeigt gesellschaft- 
liches wohl und wehe, bürgerliche Ordnung und unordung; sie erregt 
hierdurch das gesellschaftliche streben, welches sich späterhin 
zum gemeiusinn ausbilden soll, endlich zeigt sie den menschen 
unterworfen einer hShem, göttlichen gewalt; sie leitet also zur 
religiösen demut, obgleich sie nicht solche gottheiten aufstellt» 
denen heutiges tages auch nur das kind zu huldigen in Versuchung 
geraten kOnnte.* 

Dies alles vermag auf das deutlichste su zeigen, dasz die Odyssee 
als ein *ganz vorzügliches pädagogisches hilfsnütteP, als ein ^höchst 
vortreffliches bildungsmittel* betrachtet und benutzt werden musz. 

Ein in den bisherigen ftuszernngeu Herbarts noch nicht geltend 
gemachter grund begegnet uns in den ideen zum pSdagogischen lehr- 
plan (I 80) : 'es ist unmdglioh, hier in der kürze zu beschreiben, wie 
sehr noch insbesondere dieser schriftsteiler (Homer) und dieses seiner 
werke (Odyssee) teils zur Mhen lectüre geeignet ist , teils alle die 
ersten notwendigen grundlagen zur entwicklung des geistes so voll- 
ständig faerbeischafift. ich bemerke nur, dasz nie ein buch gröszere 
einflüsse in die ganze litter atur aller zelten gehabt hat, als die 
Homerischen gesänge. jeder gebildete Grieche und Römer wüste sie 
auswendig, and daher wird man fast bei allen folgenden Schriften 
dieser nationen an den vater der dichter erinnert.' 

Nach all diesen eingehenden erörterungen in seinen früheren 
pädagogischen sehritien durfte es Herbart im umrisz § 283 (II 637) 
allerdings als bekannt voraussetzen, weshalb er die Odyssee an den 
beginn des Unterrichts stelle, sie bereitet zugleich auch der ge- 
schmacksbildung und dem Sprachstudium den boden. 

Endlich setzt noch Herbart in der allgemeinen pädagogik (1347) 



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Die alten spxaclien in der Pädagogik Herbarts. 315 

den Tortefl in das zechte liohi^ welchen die Odyssee als anknttpftmgs* 
paukt einer gemeinscfaaft zwischen dem sCgling und dem leiner 
bietet; ^ indem sie den einen in seiner eignen sphSre erhöht, den 
andern nicht mehr herabdrQokt^ indem sie jenen in einer dassisdien 
weit weiter nnd weiter fortführt, diesem die interessanteste versinn- 
lichnng des grofixen aafsteigens der menschheit in dem nachahmen- 
den fortschritt des knaben gewlttirt ist es etwa ein geringes, dasz 
die begeistenmg des lehrers durch die wähl des sto&s nntersttttzt 
werde ? ' 

Wir haben nns nun die metbode der OdjsseelectUre zu ver* 
gegenwärtigen, wie sie Herbart empfahl und selbst in seiner erziehe* 
riscben thtttigkeit geübt hat. über die letztere geben nns bemerkungen 
in den Steigerbericbten aufscblusz, hierher gehörige winke enthalten 
auch die systematischen Schriften und die gutachten usw. ; endlich 
hat auf Herbarts antrieb Ludolf Dissen, der bekannte philolog, 
eine zusammenfasscndn darstellung des betriebes der Odysseelectüre 
gegeben in der schon mehrfach genannten schrift 'kurze anleitung 
für erzieber die Odyssee mit knaben zu lesen*'*, ganz im sinne Her- 
barts, der dieselbe auch mit einem Vorworte und mehreren anmer- 
kungen versehen hat. wir haben daher wohl ein recht > diese schrift 
fast wie ein document Herbarts zu benutzen. 

Was zunächst das alter der knaben anlangt, mit denen man 
die Odyssee lesen solle, so weise ich darauf hin, dasz Carl und Rudolf 
von Steiger, die beiden zöglinge Herbarts, der erstere neun, der 
zweite noch nicht acht jähre alt waren, als Herbart sie die Üdy.-.bee 
vornehmen liebz (1346). das achte bis zehnte jähr bezeichnet er als 
die beiden grenzpunkte für den anfang (I 80); mit dem achten ist der 
Schüler gerade reif (I 345) und 'nach zurückgelegtem zehnten jähre 
wflrde der an&ng zu spSt kommen' (I 291 anm.)« *nach dem elften 
nnd zwölften jähre vollends ist keine bedeutende, tief eingreifende 
Wirkung mehr von jenem werke zn erwarten' (II 83 anm.). mit acht* 
nnd nenn j uhrigen knaben liesz Herbart die Odyssee im Etfnigsberger 
Seminar lesen (II 81) , auf dem Königsberger p&dagoginm mit adii* 
bis zehigfthrigen (II ö). anf öffentlichen schulen (die TOrheF- 
gehenden hemerkungoi beziehen sich nur auf den Privatunterricht), 
meint Herbert^ kOnhe der anfang mit kindem von acht bis neun jähren 
gemacht werden^ Venn nur die schttler nicht alle einem lehrer zu- 
geteilt würden — wenn also der anfang durch mehrere coordinierte 
lehrer zugleich gemacht würde' (II 48 anm. weniger bedeutend ist^ 
dasz Herbart in der vorrede zu Dissen (I 674) von neun- bis zehn- 
jährigen kindem spricht, nicht die achtjährigen mit einbegreift; wohl 
aber möchte ich die grenzbestimmnng betonen, welche er im umrisz 
(U 638) gibt: 'auf schulen wird man woiil thun^ die ersten vier 

bei Willmano dankeswerter weise abgedruckt (I 573 S.). einiges 
über die vorgesebiehte der Disseoschen schrift erföhrt man durch einen 
brief Herbarts an Carl von Steiger, vgl. 'Herbartsche reliquien' heraUB- 
gegeben von T. ZUler s. 161 f. mit ZiUen anmerkang and 8. 197 f. 



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316 Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 

gesSuge einer elasse (etwa deijenigüo claBse, deren sehüler sieh im 
sehnten oder elften jähre befinden) zuzuteilen/ Herbart schob alao 
für die öffentlidien schulen den anfangstermin doch etwas hinaus, 
gewis weil er einsah, dasz mit olassen ron Tielen schülem die vor* 
bereitnngen zur leetttre nicht so einfacher natur waren, wie beim 
Unterricht in kleinerem kreise. 

Vorbereitungen nemlidi werden von Herbart ausdrücklich 
als notwendig anerkannt ; ohne jede kenntnis grammatischer dinge 
kann der achtjfthrige knabe nicht an dieOdyssee herangeführt werden, 
worin bestehen nun die Vorbereitungen, die Herbart verlangt, und 
wie sind sie zu gestalten ? 

Aus der stelle der allgemeinen pädagogik (I 346), an welcher 
Herbart bekennt, worin er bei dem ersten versuche der Homerlec- 
türe mit drn Steigerschcn söhnon noch gefehlt habe, ersehen wir, 
dasz er grammatische und historisch - mythologische Vorkenntnisse 
forderte." im umrisz (II 572) wird die forderung bestimmter aus- 
gesprochen, vom grammatischen musz, *so viel nötig, teils voran- 
gehen, teils beim lesen, teils bei passendenrubepunklen emgescbaitet 
und mehr und mehr eingeübt werden. — Das interesse am Schrift- 
steller hängt sehr von historischer Vorbereitung ab.' erzählungen 
aus dem altertume müssen einem classischen Schriftsteller voran- 
geschickt werden (1407). eben zu dem zwecke der Uomererklärung 
hatte sich Herbart selbst, wiü wir aus dum zweittäu öteigerberichie 
(I 32) ersehen , leitfäden entworfen, solche hilfsschriften verlangt 
er ferner *für alles, was als begleitende erzShlung und betrachtung 
Tortheilhaft nebenher gehen könnte' neben der schriftstellerlectilre 
(I 429). Über die art der historischen Vorbereitungen hat sich Her- 
bart nicht weiter verbreitet, wohl aber fiber die grammatischen, wie 
er sich dieselben vorstellte, wollen wir jetzt nfther betrachten f doch 
halte ich es fttr geraten, auch diejenigen stellen mit heranzuziehen, 
an welchen er über den grammatischen Unterricht im allge- 
meinen spricht. 

Wie bei dem Sachenunterricht, so verlangt Herbart auch hier 
zuerst die reine anscbauung. 'die kunst die kenntnis der zeichen 
mitzuteilen, ist dieselbe, wie die, in der sphftre der Sachen zu unter- 
richten, zeichen sind zunächst Sachen, sie werden wahrgenommen, 
angeschaut, abgel)ildet, gleich den sachen. je stärker und vielfacher 
sie sich den sinnen eindrücken, desto besser, klarheit, association, 
anordnung und regelmäsziges durchlaufen musz pünktlich einander 
folgen, (man erkennt hier die vier Herbartsch en stufen des Unter- 
richts: klf^rhcit, association, sjstem und methodü. ) man dringe nicht 
zu eilig auf die bedcutung der zeichen; dadurch wird zeit gewonnen' 
(I 412). eine andore bedeutsame steile findet sich auch in der all- 
gemeinen pädagogik (I 440 — 442), wo die einzelnen teile des syn- 
thetischen Unterrichts durchgesprochen werden, hier handelt Herbart 



vgl. Dittsen a. a. o. VVillm. I 679. 



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Die alten spracheu m der padugügik Herbarts. 



317 



ganz besonders über die giammatik, namentlich über das conjugieren. 
'hier sind erstlich zu unterscheiden die allgemeinen begriffe, welche 
sich dabei complideren , person, namerus, tempus, modus ^ vox 
TOD den sprachzeieben, wodurch diese oder jene epnefae aie angibt, 
es ist femer sn mterst^eiden das deutliobmacben der einseinen be- 
griffe nnd ihrer reiben vom entwickeln des typus der eoigugation, 
welcher bloss ans dem variieren jener reihen entsteht, aber dieser 
typns entwickelt sieb von selbst, wenn ansier den begriffen auch die 
form des wiisfens, nnabhSngig von aller grammatik schon bekannt 
war. will man nun eine einzelne spräche, s. b. griecbifecb lehren, so 
zeigt man, nach jenen allgemeinen Vorbereitungen, zuerst die am 
meisten constanten kennzeichen, als des futurum, perfBctom, des 
coignnotiTS, optativs usw., nnd läszt sie an einzelnen werten auf- 
sncben; dann durchgeht man die minder constanten kennzeichen 
als anomalien, welche besonders gelernt werden müssen, so be« 
schäftigt man den geist mit der conjugation, man assooiiert ibm auf 
alle weise das manigfaltige derselben, ehe man zum auswendiglernen 
schreitet; wiewohl auch dieses nicht entbehrt werden kann, bei 
hinreichender combinatorischer Übung läszt man den typiis in andere 
und andere formen bringen, welches geschieht, indem man die au- 
Ordnung der reihen bei der Variation verändert,' 

Diese Ilcibartschen Weisungen werden noch ausführlicher be- 
handi lt und mitem/elnen beispieien ausgestattet von Dissen (1579 f.). 
es sind 'combinatonsche spiele', welche der grammatik vorangescbickt 
werden sollen, wie 'erzäblungen aus dem altertum' euiem classischen 
Schriftsteller (I 407). die grammatik gehört altio auch zum synthe- 
tisch nn Unterricht (I 421) 'und so sind wir leicht erinnert, wie viel 
durch verkehrtes benehijaeii hier verdorbün werden kann, raüsten 
die elemente notwendig durch bloszes auswendiglernen eingeprägt 
werden, so hätten die 8<ditklknaben grosze Ursache gegen alle erweite- 
mng des synthetischen nnterrichts zu protestieren. Torsagen, nach- 
sprechen, wiederholen, beispiele nnd Symbole sller gattung sind 
bekanntlich mildernde hüfen'. die nnlnst der Jugend bei der ^arbeit 
an wortstftmmen, die eingeprägt, flezioneni die eingettbt, oonjonctio- 
nen, die.zn wegweisem in der periode gebraucht werden mflssen' 
bebt Herbart noch einmal im nmrisz § 281 (II 636) hervor. 

Zwei banptforderangen stellt nun Herbart bezflglidi des be- 
^nnes des granmiatiscben nnterrichts immer wieder auf, beschrfin- 
knng in den dementen nnd langsames yorschreiten. 

Um die griechischen autoren suTersteben, müssen wir eben 
*allm&hlioh die sprachen selbst lernen, allmählich! es geht nicht auf 
einmal, am wenigsten gleich gründlich*, — Es bedarf einer gewissen 
philologischen gescbicklichkeit des lehrers, gerade damit er dem 
grammatischen Unterricht die engsten möglichen schranken setzen, 
innerhalb derselben aber das begonnene mit strengster consequenz 
durchführen könne (T 429). in den ideen zum pädagogischen lehr» 
plan (1 79) redet Her hart ¥on der Schwierigkeit der verschiedenen 



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318 



iJer aniaugsunternciiL iui griecliibclien. 



dialecte der griechischen schriftsteiler, und erklärt daher die verteil 
lung der letzteren auf die Terediiedenen altersstafen fElr eine erleich- 
teruBg^ die Schwierigkeiten werden so nnmerklich gemacht. — 
! Homer kann einem knaben kaum so viel mflhe machen, — wo&m 
man nicht sogleich auch einevollstKndige grammatik lehren will« als 
Cornelius Nepos/ ^es hat keinen zweck die theorie der zeichen gleich 
anfangs grOndlich zu lehren { man lehre so viel als höchst notwendig 
ist für den nSchsten interessanten gebrauch; alsdann wird bald das 
geffthl des bedürfiiisBes einer genauem kenntnis erwa<dien; und wenn 
dies erst mitarbeitet, geht alles leichter' (I 412), *die elementar^ 
kenntnisse der grammatik, welche das deolinieren und conjugieren 
betreffen, müssen, das hat die erfahrmig gelehrt, obgleich auf das 
notwendigste beschränkt, doch zuvörderst sorgfältig durchgearbeitet 
werden. — es ist nicht nötig, die seltenern eigenheiten der Home» 
risehen spräche jetzt schon weitläufig zu erklären' (II 638). 

(fortsetzuDg folgt.) 
Weimab. Hans MBBiAN-GmffABT. 



29. 

DER ANF ANGSUNTERRICHT IM GRIECHISCHEN 

nach den boschlüssen der vierten schleswig-holsteinischen directoren- 

veräammluDg. 

Der vierten directoronversammlung der provinz Schleswig- 
Holstein, die im juni 1889 in Schleswig tagte, war unter andern 
das thema gestellt: 

'Welche erfahrungen sind hinsichtlich der durch die neuen lehr- 
pläne von 1882 herbeigeführten neuordnung des griechischen Unter- 
richts gemacht worden, nnd wie sind diese erfahrungen ftlr das lehr^ 
yerfiduen in demselben zu verwerten?' 

Das ^referat* über diese frage auf grund der von den zwölf 
gymnasien der provinz eingesandten einzelreferate und conferenz- 
protocoUe hat der gymnasialdirector Collmann-Husum erstattet, das 
Vorreferat' der gymnasialdirector A« MttUer-Flensbntg. .nachdem 
nun die gesamten verhandlongoi dieser directorenversammlnng im 
druck erschienen sind, als Sir band der bekannten Weidmannschen 
Sammlung j scheint es nicht unangemessen, namentlich auf die den 
griechischen Unterricht betreffenden berichte, Verhandlungen und 
beschlüsse aufmerksam zu machen : denn sie sind geeignet nach gar 
vielen seiten hin anzuregen und bezeichnen unzweifelhaft einen wich- 
tigen f ortschritt, oder können einen solchen anbahnen, hinsichtlich 
des lehrverfahrens im griechischen; sie verdienen deshalb die sorg- 
fältigste beachtung aller fachgenossen, indem ich sie also diesen zu 
empfehlen mir gestatte, mochte ich an dicRcr stelle namentlich die 
den aniangsunt erricht im griechischen betrufienden abschnitte 
der berichte und beschlüsse mitteilen und besprechen. 



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^^^^^^ 



Der anfangsunterricbt im griechischen. 



819 



Vorauszuschicken ist zunächst, dasz beide berichterstatter über- 
einstimmen iu foigcndüm, an die spitze ihrer Hhesen' gestellten 
satze: 'die erfabrung hat gelehrt, dasz das dem griechischen Unter- 
richt in den lehrplänen von 1882 gesteckte ziel unter den gegebenen 
yerhftltnissen eneiobt werden kann; wenn im eimeinen weniger be- 
friedigende ergebniese Veobaebtet worden sind, so ist der gmnd niofat 
in den einriditongen selbst, sondern in besonderen nmstftnden zn 
snefaen.' in den Verhandlungen ist zwar dem zweimal ansdmck ge- 
geben, ob diese erklftrung jetzt schon in so •bestimmter weise abge- 
geben werden könne , da die erfidinmg noch zn knrz sei; indes hat 
die yeisammlnng doeh den ersten teil der these nnveriindert ange- 
nommen und sftmtliche anwesende gymnasialdireotoren haben ihm 
sngestimmt; im zweiten teile ist statt 'im einzelnen' ansfObrlicher 
gesagt: 'an einzelnen anstalten, auf einzelnen stufen und in einzel- 
nen teilen des unterriebte' und mit dieser Änderung ist sodann die 
ganze these angenommen, schon diese erklär ong ist unzweifelhaft 
sehr wichtig , sie wird namentlich gegenüber den hier und da noch 
hervortretenden klagen über die Verlegung des beginnes des griechi- 
schen Unterrichts nach untertertia und den wünschen nach wieder« 
herstellung des früheren zustand es von groszer bedeutung sein. 

Hinsichtlich des an fangsunterrichts im griechischen nun 
hat sich der referoat mit der mehrzahi der einzelreferate für die so- 
genannte ' constructive methode' im anschlusz an ein Übungsbuch, 
das auch deutsche einzelsätze enthält, ausgesprochen und die in zwei 
der einzeireferatö empfohlene sogenannte 'analytische' meLhodo ein- 
gehend bekämpft, doch ist sehr erfreulich , dasz auch er ^die noch 
ziemlich verbreitete methode, die elemente des griechischen und 
lateinischen durch stundenlanges übersetzen deutscher sätze des 
Übungsbuches zu lehren und gar eine piäpaiation auf die.selben zu 
fordern", für 'keineswegs zvveckniii.'szig' erklärt ; auch ihm 'gilt gerade 
wegen der geringen zur Verfügung siebenden zeit die von mund zu 
mund sich vollziehende Übung der einzelform als ein besonders wich- 
tiges mittel, den Unterricht zu beleben, die stunde möglichst auszu- 
nutzen und den schttler schnell zu einer gewissen gewandtheit im 
bilden und verstehen der formen zu ftthren'. aneh darin weicht herr 
direetor Collmann von den meisten aahftngem der althergebrachten 
sogenannten constmctiven methode in sehr erfreulicher weise ab und 
nfthert sich ganz erheblich denen, welche einen analytischen lehr- 
gang wflnschen und empfehlen', daez er nch dahin ausspricht, in 
Obertertia beginne *die lectttre der anabasis am zwecknöftszigsten 
nach der durchnähme der verba auf ^i, spätestens in der vierten 
wocbe nach OBteni% ein satz , den die directorenversammlung ^ohne 
Widerspruch' angenommen hat ! — Anderseits aber ist der referent 
dsr ansieht I 'daez, wenn auch die Übung der elemente durch recht 



* vgl. meine aasführimgen in den jahrgSogen 1881, 1882 and 1888 
dieser jahrbüeber, s.b. 1882 «.889 f. 



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320 Oer anfangBunterncht im griechischen. 



häufige bildung der eiiizelfürmen ganz besonders gefördert wird, doch 
der nachweis wirklicher beherschung derselben nur durch die richtige 
Anwendung im satz geliefert werden kann', darum verlangt er, dasz 
Bobon im ersten eztempoiale dem sohttler sfttae sugemutot werden, 
denen sich einige einzel formen anschlieszen können (tlber die 
*formeneztemp oralien' s. weiter nnten), verlangt griechischestttse 
in dem zn benutzenden ttbungsbnche, *weil die jeweilig geübten for- 
men dem scbtLler znr ansobaanng zubringen eind'^ griecbische 
nnd deutsche sfttze, *damit die yocabehi, deren feste aneignung 
erforderlich ist, durch häufige und manigfache Verwendung dem 
schfller zu eigen werden*, er wflnscbt dann wieder, dasz die etnzel- 
sStze des Übungsbuches nicht trivial und inhaltsleer sind, sondern 
dasz ihnen durch heranziehung von verbalformen ^ein geschichtlicber 
inhalt' gegeben werde, und spricht sich entschieden gegen das in 
mehreren einzelreferaten empfohlene Übungsbuch von Wesener aus, 
weil einmal ^ der stoff in demselben zu sehr in einzelne kleine ab- 
schnitte zerlegt' ist, wodurch ein rascheres vorgehen, wie es bei der 
kürze der zur Verfügung stehenden zeit und im interesse sicherer 
einprägung wünschenswert scheint, unmöglich p^emacbt' und der 
vorteil abgeschnitten wird, dasz 'gerade durch nebeneinanderstellen 
der verschiedenen formen die ei cfentümlichkeiten jeder einzelnen dem 
Schüler schärfer in die augeu i allen', weil sodann ^gemiscLte bei- 
epiele, in denen fin solches nebeneinander der manigfachsten formen 
geboten werden konnte', ganz fehlen, weil die einzelnen sätze zu 
leicht sind und weil endlich das buch ^gelegenheit zu zusammen- 
hängender lectüre' gar nicht bietet; dies wird als 'der hauptmangel' 
bezeichnet, auch das buch von Htittemann findet nicht viel beifall, 
das Bachofs wird entschieden verworfen, etwas mehr billigung er- 
fährt das Übungsbuch von Kohl , doch auch seine benutzung wie die 
des Meurerscben buches wird als * bedenklich ' bezeichnet, es wird 
die ansieht ausgesprochen, dasz wir 'die Untertertia zur IGsung der 
ihr gestellten aufgäbe, Sicherheit in den elementen zu vermitteln und 
auf die leetfire des Schriftstellers vorzubereiten, am besten befiLhigen, 
wenn wir die beiden aufgaben in der weise auseinanderhalten, dasz 
wir im Sommerhalbjahr d^e grammatisdie Unterweisung ganz beson* 
ders betonen und die schfller durch hSufige Wiederholung der para- 
digmen, durch fleiszige Hbung im bilden von einselformen, durch 
maszvoUes Ubersetzen von griechischen und deutschen einzelsStzen 
zu sicherer beherschung des lemstoffs führen nnd dann im winter» 
halbjahr etwa von der mitte des october an, nachdem die schwierig- 
sten teile des grammatischen pensums vorlSufig erledigt und einiger- 
maszen sicher eingepritgt sind, die lectüre zusammenhängender stücke 
historischen Inhalts zum mittelpunkt des Unterrichts machen; sie 
bietet den schülem die anschauung der gelernten und noch zu lernen« 
den formen, sie gibt ihm gelegenheit seine kenntnisse des Wort- 
schatzes und der einfachsten syntaktischen Verhältnisse zu erweitern, 
sie liefert endlich dem lehrenden stoff zu den extemporalien'. dazu 



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Der anfisuigBanterricht im griechiBoben. 



821 



verlangt der referent ein 'lesebuch, mag es nun selbständig sein oder 
einen teil des übung^biicbes bilden' nnd stellt die forderung auf, 
das?! es 'dem Standpunkt der classe vor allem in formaler hinsieht 
durchaus angepasst' sei. in seiner sechsten these formuliert der refe- 
rent seine anforderungen an das für untertertia erforderliche Übungs- 
buch so: *es muöz enthalten 1) ein grammatikalisch geordnetes, zu- 
gleich aber den etymologischen gesichtspunkt berücksichtigendes 
Wörterverzeichnis; 2) griechische und deutsche einzelsätze, welche 
zu gröszeren gruppen nach art der sogenannten vermischten beispiele 
vereinigt und von kleinen arzählungen unterbrochen sind; 3) eine 
gröszere reihe von in sich zusanimenbängenden, möglichst auch unter 
einander iu innerer Verbindung stehenden lesestücken, m welchen 
die in untertertia einzuprägenden formen zu manigfaltiger anord- 
Aung gebracht sind, ohne dasz solche dem pensum dar folgenden 
elaaae angehörende formen, derm bildimg dem imtortertiaiier ohne 
weiteres verstBadHch ist^ wie die starken aorisie der yerba anomala, 
Bngstlich vermieden zu sein brauchen.' folgerichtig kommt der refe- 
rent dami dazQ, das von mir herausgegebene 'griechische lesebuch 
fttr untertertia' (Leipzig 1883) als zu schwierig für den Untertertianer 
EU verwerfen: ein vorwmrf, dessen berechtignng ich weder theoretisch 
anerkenne nodi in d«* präzis (s. weiter unten) erkannt habe, doch 
davon wollte ich an dieser steUe nicht weiter reden ^ sondern jetzt 
zunächst nur meiner freude darüber ausdmck geben, dasz der referent 
sich so weit und so entschieden von der alten l^hrweise, nach Wese- 
ner, Ostermann u. a., entfernt hat: jeder kundige wird erkennen, 
wie grosz schon der fortschritt sein würde , wenn nur nach den an« 
geführten forderungen der anfangsunterricht im griechischen einge- 
richtet und gegeben würde, obwohl ich nun in meinen ansiebten 
und wünschen hinsichtlich der gestaltung des griechischen anfangs- 
unterrichts noch weiter von der gebräuchlichen art abweiche, so 
glaube auch ich — wie der correferent — diese ausführimg; des refe- 
renten als in ihrer art ' trefflich ' bezeichnen und der eingehendsten 
beachtung empfehlen zu dürfen. 

Noch viel beachtenswerter und interessanter aber sind die aus- 
führungen des correterenten und die daran sich anschlieszenden Ver- 
handlungen und beschlüsse über die einrichtung des ersten griechi- 
schen Unterrichts, der correferent erklärt von vorn herein, dasz er 
zwar für den lateinischen anfangsunterricht die 'constructive' me- 
th ücle lür die bestehalte, dagegen für den griechischen anfangsunter- 
richt die 'analytische methode' vorziehe, da er. nicht auf gruud einer 
abstracten theorie, sondern nach reicher erfahrung, diese für wir- 
kungsvoller halte, Veil sie dem schüler die spräche möglichst rasch 
als einen lebendigen Organismus zeigt', er teilt sodann mit^ dasz er 
in Hannover zehn jähre lang ^nadi der sogenannten Homerischen 
methode^ wie sie frilher von Herbart und Dissen empfohlen und dann 
von 0. L. Ahrens praktisch ausgestaltet worden (griechisches ele- 
mentarbuch aus Homer, erste aufläge 1850, zweite aufläge 1870, 

M. Jthib. tphU.«. pid. n. Bbt 18S» hfl. S. 21 



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322 



Der anfirngBontemoht im grieohieehen. 



gn'ecbische formenlehre des Homerischen und attischen dialekts, 
erste aufläge 1852, zweite aufläge 1869); unterrichtet und dabei steta 
erreicht habe, 'dasz die schüler in den beiden tertiajahren* die Ho- 
merische und die attische formenlehre bewältigt und sechs, ja siebea 
bücher der Odyssee, sowie ein buch der anabasis gelesen Latten*, 
nach kurzer dLirlcgLing des eingeschlagenen lehrgangs spricht director 
Müller dann seine Überzeugung ans, 'dasz bei Übertragung der ana- 
lytischen methode auf den attischen elorneiitarunterricht in den beiden 
tertien bei sieben wöchentlichen stunden eine treffliche Vorbereitung 
für die secunda zu gewinnen ist', dabei wird als selbstverständlich 
vorausgesetzt, 'dasz der methode besonders angepasate lebrbücher 
in gebrauch genommen werden; denn ohne solche wird die ausführ- 
barkeit dieses lehrgangs stets von der gröszern oder geringem ge- 
schicklichkeit des lehrers abhängen und an allgemeinere einfiihrung 
desselben nicht gedacht werden kGnnen'. es werden nun die einrieb- 
tang und anordnung eines Bolchen lehrbnches, wie es den wünschen 
des correferenten entsprecben würde, in den hauptpiinkten angegeben ; 
der haaptteil desselben mttste ein lesebuch sein, das einen Original- 
text mit erklftrenden anmerkungen enthielte, der in der art flber- 
arbeitet wSre, dasz besondere sdiwierigkeiten beseitigt wttren; an 
den geeigneten stellen, die genau angegeben werden mttsten, wttrde 
im anschluss daran grammatik getrieben; ein glossar wttre unent- 
behrlicb, eine zugäbe deutscher übungsstückOi angelehnt an den text 
und die durehgenoQtfnenen abschnitte der grammatik, erwflnscht 
usw. director Müller sagt zum schlusz dieses teils seiner aosfühnm- 
gen folgendes: 'ich erinnere mich nicht, einen dankbareren und 
angenehmeren Unterricht erteilt zu haben , als jenen Homerischen 
elementarunterricht ; ich glaube daher, dasz der an einen attischen 
text angelehnte anfangsunterricht sich ähnlich gestalten wird, und 
wieerfabrungsmäszig lehrer verschiedener Veranlagung und begabung 
beim gebrauch der erwähnten Homerischen lehrbücher gute erfolge 
erzielt haben, so wird auch dnrcb herstelliing geeigneter attischer 
lehrbücher der analytische Unterricht tou der subjectivität losgelöst 
und gemeingut werden können.* 

Diese andichten und wünsche des correferenten, die in folgende 
these zusamrnengefaszt waren: 'nach den mit der sogenannten iiome- 
rischen metbod© gemachten günstigen erfahrungen empfiehlt es sich, 
diese auf den . attischen elementarunterricht zu übertragen , daher 
nach vermittelung der notwendigsten Vorkenntnisse mit zusammen- 
hängender lectüre zu beginnen und die formenlehre im anschlusz an 
diese zu lehren, bedingung für diesen unterrichtsgang ist herstellung 
geeigneter lehrbücher', sind nun in den Verhandlungen der conferenz 
selbst gebilligt worden und haben im wesentlichen deren zustim- 



* der griechische Unterricht begann auf dem lyceum in Hannover 
auch früher stets in untertertia und es waren ihm in allen classen nur 
je sechs sUmdea raget^U: und doch jene ergebniatel 



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ÜBT aafiuigaimterrioht im grieehiicheiL 



328 



mung gefimden. der referant, direcior GoUrnann, bat sie freflieh 
bekftmpft and aiebt blosz betont, dass die nrteile Uber die erfolge 
des ^Homeriscben verfahrene' yereobieden eeien, dasz aaefa die freunde 
soleber metbode über die einriditiing des unterriebts nicht gleicher 
meiniing seien und dass dies lebrYerfthren, wie der eorreferent es 
ntüiBche; nicht angewandt werden könne, so lange es an geeigneten 
lehrbttchem fehle, sondern er hat auch gemeint, dasz, wenn aneh bei 
der anwendung dieser metbode 'der erste Unterricht an int&resse ge- 
winne und grossere lebendigkeit erzeuge', doch Mie Schäden für 
seennda um so grOsser sein würden', denn dort würde sieherbeit in 
der formenlehre nachtrSglich unter ungünstigeren bedingungen zo 
erstreben sein, als dies in tertia möglich gewesen wttre. demgegen- 
über behauptete wiederum der eorreferent, dasz er seiner zeit in 
Hannover nicht nnr bei sich selbst, sondern auch bei den übrigen 
lehrern die erfahrung- gemacht habe, *dasz die mit dieser raethode 
erziclt(*n erfolge in der forineniehre denen des constriictiven Verfah- 
rens mindestens gleich gewesen seien, dasz in der auffassung der 
autoren dieselbe aber eine Sicherheit und eine leichtigkeit erzeugt 
habe, wie «le sonst nicht erreicht werde', dieser ansführung trat 
director Steinmetz Ratzeburg bei, ebenfalls aut grund eigner, in 
Hannover unter Ahrens isremachter erfabrungen; dieser betonte u.a., 
'es habe zu den Seltenheiten gehurt, dasz Homerische formen in die 
prosa geraten seien' und meinte: 'die meihode sei nicht durch irgend 
welche schwäche, sondern durch die verurteile der schulmänner 
zurückgedrängt, welche sio nicht gekannt hätten' (!), ühniich wie 
director Müller bemerkte^ 'dasz die gegner des analytischen verfiah- 
rens nur deswegen demselben widerstrebten , weil sie die erfahrung 
nicht selbst gemacht hatten und sich deshalb ihre theorien nach su- 
ftlligkeiten bildeten*.' als aufgäbe beseichnete dieser es also« mit 
Abrens' meistersch^ffe 'das Terfthren ron Homer auf die attische 
prosa SU übertragen*. 

Dem scbloss sich die conferens in der weise an, dasz sie mit 
grosser stimmmmehrbeit folgenden bescblnss haniß: ^es ist wün- 
schenswert, dass naehTermittoluDg der notwendigsten Vorkenntnisse 
in Untertertia mit susammenhSngender leetüre begonnen und die 
formenlehre im aaschluss an diese gelehrt wird ; für diesen unter« 
riditsgang werden geeignete lebrbücher hersustellen sein*. 

Sehr beachtenswert ist noch die ftuszerung des versitzenden, 
herm provincialschnlrat dr. Eöpke- Schleswig, zu dieser sache; nach 
dem protocoU hat er anerkannt, dass mit der Ahrensschen metbode 
resultate erzielt seien, dann aber hervorgehoben, Masz auch, wenn 
ein lehrbuch, nach welchem der Unterricht erteilt werden könne, 
wirklich vorhanden wäre, immerhin zweifelhaft bleibe, ob die geeig- 
neten lehrer für die methode da wären und ob jeder lehrer verstehen 



3 68 iat ja auch recht leicht und bequem einfaoh absunrteilen: ^es 
g«ht nicht — % oder *es ist anmögUeh* nsw.I 

21* 



324 



Der anfangBimtenuiht im griediucheik 



würde der methode erfolge abzuringen; jedenfsüls mttste das lehr* 
buch eine feste leitnng des lebrganges dem lehrer an die band geben': 
also doch immerbin keine abwrärang a limine« 

Wie werden sich nun die lehrer des grieobisoben an diesem be- 
Bcblusse der schleswig-holsteinischen directorenconfsrenz stellen? 
ein solcher bescblusz schafft freilieb für weitere breise noch kein ge- 
setz und keine bindende norm, man kann aber auch nicht wohl ihn 
einfach ausser acht lassen, naeh den bisherigen erfahrimgen ist je- 
doch leider anzunehmen, dasz gar manche lehrer, die eine andere art 
des anfangsunterrichts als ^anz nach dem gange der grammatik und 
des Übungsbuches mit übersetzen einer groszen menge von einzel- 
sätzen, namentlich auch au? dem deutschen ins griccbischeund dem- 
zufolge mit möglichst spätem anfango wirklicher lectüi o (in IIP nur 
ein buch der anabasis!) für unmöglich halten, weil sie nie einen 
anderen erprobt haben, nur schwer von ihren 'Vorurteilen' abzu- 
bringen sein werden und sich nicht leicht dazu bequemen, einmal 
einen versuch mit der analytischen methode zu machen, demgegen- 
über darf aber auch gehofft werden, dasz hier und da sich solche 
finden, die sich durch die beschlüsse der directoren Schleswig - Hol- 
steins veranlabzt fühlen, zunächst einmal die Ahrenssche muihode, 
die ja leider weitaus den meisten schulmännern kaum mehr als dem 
namen nach bekannt ist , zu studieren und ihre Übertragung auf die 
attische prosa zu prüfen nnd zu versuchen, dasz nnsere nnterridits- 
yerwaltnng diese yeisnohe nicht zulassen würde, ist wohl nicht ta 
besorgen* itrt doch seit einer reihe von jähren Destinon am gym- 
nasinm in Kiel in der läge , bei dem griechischen anfongsnnterridit 
in nntertertia sein * griechisches lesebnch, 'AVe&tvbpou ^Avdßaac 
(anszng ans Arrian)' zn benutzen nnd jedesmal nach den sommer- 
ferien mit der leetOre zn beginnen; ist doch mir Tor einigen jähren 
gestattet worden, hier den griechischen anfEoigsanterricht nach den 
von mir früher dargelegten ansiebten nnd grundsätzen zu erteilen nnd 
dabei mein ^griechisches lesebnch' zur einfühmng in die griechische 
lectüre in nntertertia zn benutzen'*; kommt es doch auch sonst an 
einzelnen gymnasien Prenszens vor, dasz ohne elementar- und übnngs* 
buch der griechische anfangsunterricht erteilt wird und gute erfolge 
erzielt werden, so schreibt mir jetzt — an&ng november 1889 — 
ein befreundeter coUegevon einem gymnasium einer groszen (preuszi- 
ßchen) Stadt des nordwestlichen Deutschland : ^ ich hal5e jetzt ange- 
fangen , thatsäehlicb in meinem unterriebt die Ahrenssche methode 
auf das attische zu übertragen, da ja wohl an emen anfang mit Homer 
nicht zu denken ist."^ ich gebe jetzt erst einen cursus in der formen- 



auch nachdem ich den griechischen Unterricht wieder abgegeben 
habet 'v^ii'd dies buch ia nntertertia weiter benutzt. 

<^ solchen hat vor einigen jabren noch F. Horneroann in seiner 
scbrift 'die zukunft unserer höheren schulen', Schriften des deutschen 
einheitsschulvereins, heft 1887, s. 93, für 'die methode der zukunft* 
erklärti nach mehrjähriger Unterrichtserfahrung urteilt er über die 



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Dttr anfaiigBiintemeht im gziechuclieii. 



325 



lehre — erste, zwMte und nicht aasammengezogene dritte declinationy 
regelmKuiges verb (stärnme auf lange TO^e^ wie iraibcOui) bis ein 
paar wochen vor michaelis; dann fange ieh an ganz langsam in 
Xenophons anabasis zu lesen, indem ich alle vocabeln genau dictiere, 
nnd ergSnze die formenlehre. dabei spare ich jedoch manches, pro* 
nomina, saUwörter, oomparation^ gegen den bisherigen brauch für 
Obertertia anf , wo man reichlich zeit dazu hat.' — So mdgen auch 
wohl noch andere derartige versuche mit gutem erfolge und zur be- 
friedigung für lehrer und scbüler gemacht sein und weiter gemacht 
werden, auch ohne dasz man mit der schleswig-bolsteinischen direc- 
torenconferenz die "berstollung * geeigneter lebrbücher' gewisser- 
maszen für eine conditio sine qua non hält, indes ist sie gewia 
sehr wünschenswert, weil obne solche, ausdrücklich und bestimmt 
zu diesem zweck eingerichtete bücher, die den lehrgang genau vor- 
schreiben, manche eine beschreitung des neuen, unbekannten weges 
nicht wagen werden, es darf aber auch wohl erwartet werden, dasz 
die in dem beschlusz der schleswig-holsteinischen directorenconferenz 
liegende aufforderung zur berstellung 'geeigneter lebrbücher* (im 
wesentlichen ist freilich nur eins notig, ein elementarbuch, mög- 
lichst ähnlich dem ' gnechiscben elementarbuch aus Homer' von 
Ahrens j befolgt werden wird und dasz es demjenigen , der solches 
unternimmt, gelingt anerkennung (freiHch darf er solche nicht all- 
gemeiti erwarten) zu findeiu ich wlbnle meine frflher Torgetregenen 
ansiohteBi imd wttsscbe, wenngleich die eigene erprobnng yor ein 
paar jähren sie mir noch wieder in allem wesentlichen als richtig hat 
erscheinen lassen, doch gern so weit modificieien, dasz ich dem be- 
sehlusse der sehleswig- holsteinischen directorenconferenz zustimme 
nnd den gebrauch eines zu der empfohlenen lehrweise geeigneten 
lehrbnches, wenn es sonst gat nnd ttlchtig ist nnd den vom director 
MHUer kurz aber klar yorgesttchneten anfordemngen entspricht, 
auch mdnerseits empfehlen würde, nur die hinzufügung deutscher 
übungsstttcke, die aber auch director Müller nicht für notwendig) 
sondern nur fttr 'erwllnsoht' erklärt hat^ erscheint mir ganz nnnOtig; 



Ahrenssche methode: 'sie regt die selbstthätigkeit der schüler mehr an 
als alle andern methoden des griechischen elementarunterrichts, ohne 
doch die tassuugskraft des tertianers irgend zu. übersteigen; sie führt 
ferner aneh «ohnell m. snsammenhttngender lectüre nnd swar, was her- 
vorragend wichtig ist, gleich zu Homer, nor sie macht es möglich, Ton 
Homer ohne '"privatlectüre* wirklich so viel zn lesen, dasz die schüler 
gleich darin beimisch werden*, und in ähnlicher weise redet auch für 
die wiederaufnähme der Ahrensschen methode eifrig O. Hoffmann in 
der kttrelicli erschienenen, trots mancher übertreibnngen sehr beachtens« 
werten ßchrift ^eine neugestaltun^ des p^riecliischen Unterrichts, besonders 
des elementarunterrichts' (Göttingen 1889), in der die Vorzüge und erfolge 
der Ahrensschen methode gut und klar dargelegt und ihre Beseitigung mit 
recht beklagt wird, indes — zn ftndern wird daren wohl nichts mehr 
sein, dasz diese Homerisehe methode beseitigt ist, daher werden wir 
uns mit ihrer Übertragung auf das attische zufrieden geben mfissenf 
wenn wir überhaupt solche ^analytische' methode wünschen. 



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Der anfiuig&Qiitemcht im gnechiachon. 



in beang auf das übersetzen ans dem deutschen inft grieobische kann 
ich auch naeh der Yiel Ittogmn unterricb tserf abrang , die idh nun- 
mehr habe^ meine frühere ansieht nicht ändern: mündliche und 

schriftliche retroversionen aus der lectüre genügen in den beiden 
tertiajahren Yollständig- und nnr in secimda ist zur sjstematiBCbeil 
einübung der syntax ein 'übimgsbuch' nötig. 

Stimme ich somit diesem beschlusse der schleswig-holsteinischen 
directorenconferenz im wesentlichen freudigst zu und erhoffe ich von 
ihm eine kräftige anregung zu einem ordentiichen foi tschritt im 
grieehischen anfangsunterricht, so kann ich mich über einen andern 
bebcliludz nicht so sehr freuen, das ist der anfang der Homerleo- 
türe, bisher war wenigstens den gymnasien mit ungeteilter secunda 
gestattet, noch in obertertia zu dieser den grnnd zu legen; beiszt es 
doch in den 'bcmerkuiigeii' zu den vom preuszischen cultuammiste- 
rium erlassenen 'allgemeinen bestimmungen betreiBfend änderungen 
in der begrenzung der lehrpensa infolge der lehrpläne vom 3 1 märz 
1872 * folgendennaBzen : Won einigen selten ist der a&trag gestellt, 
dasE an gjnmanen mit imgeteUter seennda swei wOehentliche gtoji- 
den in obertertia am scblosee des flohnyabrea auf die erste einftibrang 
in den epischen dialekt yerwandt werden, unter bescbrftnknng auf 
die bezeiobnete kategorie von fiftllen mag dieser versuch gestattet 
werden, so wenig es an sieb empfeblenswert erscheint, einen neuen 
lebrgegenstand mit so bescbrä&kter Stundenzahl zu beginnen, die 
departementsrSte der provineial-sehuleollegien werden, wo Yon dieser 
gestattung gebrauch gemacht wird, sorgföltig zu beachten haben, ob 
nicht unter dieser einrichtung die in obertertia zu erreichende Sicher- 
heit in der attischen formenlehre und eingewöhnung in die leotOre 
einer leichten prossisohen scbrift abbruch erleidet.' 

Auf grund dieser bestimmung ist bislang hier und da und auch 
hier in Batzeburg verfahren , indem al^ährlich von Weihnachten an 
zwei Wochenstunden zur einführung in den epischen dialekt benutzt 
wurden durch langsame und genaue lectüre von 200 — .^00 versen 
der Odyssee, es schien eine schwere belastung der ungeteilten secunda 
zu sein, wenn die neu in diese eintretenden scbüb r, welche doch so- 
fort an der lectüre der Odyssee mit teilnehmen sollen, den epischen 
dialekt noch ^ar nicht kennen, ja noch gar nicht im lesen griechi- 
scher hexameter geübt sind; diese schüler müsten doch einen sehr 
starken hemmschub für die älteren bilden, welche nicht zu ihrem 
rechte kommen; und da sich dies alljährlich wiederholt, so schien 
von der Odyssee nicht so viel gelesen werden zu können, wie wün- 
schenswert ist, damit die schüler in ihr heimisch werden, da nun an 
einen beginn des ganzen griechischen unterrichLs mit dem epischen 
dialekt und der Homerlectüre nicht zu denken ist, so schien entweder 
nötig, die erste einführung in die lectüre Homers an das ende der 
obertertia zu legen und so zu bewirken, dasz die neu in die secunda 
eintretenden schttler gleich im stände sind mit den Slteren sehQlem 
zusammen wenigstens etwas zu präparieren, usw., oder die secQndft 



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Der anfangBunterricht im grieohischen. 327 

im griechischen unbedingt zu teilen, wie solches ja hinsichtlich der 
terüa im griechischtn und der mathematik seit 1882 erfreulicher- 
weise vorfirescbrieben ist. keiner dieser beiden wege ist von der 
directorenconierenz für nötig erachtet worden, referent und cor- 
referent stimmen darin überein und die conferenzhat sich ihnen an- 
geschlossen, dasz die Homerlectüre in tertia nicht zu beginnen ist, 
und die teilung der secunda ist nicht fUr nötig erachtet, in secunda 
nimmt der correferent für Homer, we^en seiner " hervorragenden 
bedeutung jalir aub jähr ein drei wöchenüicbe stunden in iinsprucli', 
wühlend der referent ihr 'in der regel zwei stunden wöchentlich' 
gewidmet wissen will, es aber für 'empfebleiiswert' erklärt, zeit- 
weilig, namentlich am anfong des ouibus der ungeteilten secmida, 
drei atondeii dem dichter za. widmeii\ die confereiu ist sa keinem 
hefichlosz hierüber gekommen, sondern hat aowohl die these des re- 
ferenten wie die des oorreferenten abgelehnt; in der Verhandlung ist 
geltend gemaeht, dass die Odyssee sich in zwei wöchentlichen stan- 
den bewältigen lasse nnd dass suweDen dieHomerlectflre in anderer 
band liege als der ttbrige griediisohe nnterriebt« letsteres ist gewis 
immer ein llbelstand nnd es wäre ebenso zn wttnseheu, dass die sieben 
grieobischen stnnden der secunda in der regel in einer band liegen^ 
wie die directorenconferenz es in ihrer 22n these für Mie sieben (viel- 
mehr sechs 1) griechischen stunden der prima' gefordert hat. und was 
dann das ^bewältigen' der Odyssee betrifit, so ist der sinn dieses 
Wortes ein sehr dehnbarer; gewis wird niemand dielectüre der ganzen 
Odyssee für nötig halten, ohne jede auslassung; anderseits wird der 
referent mit seiner ansieht: 10 — 14 bücher (der Odyssee) dürften 
genügen , um den dichter dem schüler nahe zu bringen und ihn mit 
der epischen spräche und kunstform vertraut zn machen', wohl nicht 
allseitige zustimTnuTig finden, ich habe keine erfabruug hinsichtlich 
der Honaerlectüre in secunda, um em urteil auszusprechen und kann 
somit meine befürchtung, dasz die Homerlectüre, namentlich hin- 
sichtlich der Odj s^ee, jetzt zu kurz kommt, nur darauf gründen, dasz 
ich in einigen Programmen selbst von anstalten mit geteilter secunda 
lese, wie in untersecunda nur zwei hl-i drei bÜcher^ in obersecunda 
nicht mehr als fünf bis sechs gelesen werden : das halte ich aber für 
zu wenig, wenn der schüler mit dem dichter Vertraut' werden soll ; 
und wenn überhaupt in einem griechischen autor der gymnasiast 
heimiöcL werden kann und soll, üQ ist dies doch Hemer 1 

Noch sei hingewiesen auf die abschnitte des referats und auf die 
beschlüsse hinsichtlich der bebandlung der griechischen syn^ 
tax, namentlich in seeanda. dass in Obertertia im anschluss an die 
leetOre die wichtigsten syntaktischen regeln besprochen und allmäh- 
lich eingeprägt werden, ist ja von der Unterrichts Verwaltung ange- 
ordnet nnd dem wird aaoh wohl immer mehr entsprochen, so dass 
der betreffende beschlnsz: *in obertertia ist dem syntaktischen unter- 
riebt der seoimda insofem vorznarbeiten, als die wichtigsten tbat- 
sachen der casnslehre, die gebräaohlichsten präpositionen, die in der 



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828 



Der an&ngaunterricht im griecbischjen. 



lectlire häufig vorkommenden participial- und infinitivconstructionen 
in unmittelbarem anschlusz an den Schriftsteller empirisch eingeprägt 
werden j auch gelegentliche belehrungen über einzelne teile der modus- 
lehre j^ind nicht aiisznschlieszen ' wohl in allem wosenliichen allge- 
meine Zustimmung finden wird, weniger ist dies von dem in betreff 
der seconda beschlos»euen zu erwarten, es ist, wie die schulpro- 
gramme lehren, noch ein weit verbreiteter brauch, bei geteilter 
ßecunda der untersecunda die casuslehre, der obersecunda die modus- 
lebre usw. zuzuweisen, wie solche Scheidung überhaupt möglich ist, 
verstehe ich nicht recht, ich würde vielmehr das umgekehrte für ebar 
angängig halten, wenn Uunn durchaus Jas gebiet der griechischen 
Syntax auf zwei jähre verteilt werden sollte, das ist aber auch nicht 
die meinung der schleswig-holsteinischen directorenconferenz , die 
vielmehr folgenden h($ehBt bemerkenswerten besohlnsz geüftszt hat: 
'den mittelpnnkt des grammatischen unterrichte in secnnda bildet die 
moduBlehre. die easnslehre, sowie die wichtigsten punkte ans der 
lehre von den präpositionen sind zunächst ans der lectttre zu lernen; 
später tritt eine Zusammenfassung der empirisch gewonnenen kennt- 
nisse ein; doch ist die systematisdie behandlung der easuslehre sowie 
der Präpositionen äusserst knapp zu halten. — In der ungeteilteli 
secunda ist alljährlich das ganze grammatische pensum durchzu- 
nehmen, dasselbe gilt im wesentlichen für beide abteilungen einer 
getrennten secunda/ auch diesen beschlusz begrüsze ich freudigst 
und hoffe von seiner befolgung einen wesentlichen fortschritt im 
betriebe des griechischen Unterrichts; deshalb gestatte ich mir 
die ausführungen des referenten auch über diesen punkt der ein- 
gehendsten erwfigung sowie der nachachtung der faohgenossen zu 
empfehlen. 

Auch die ' f o r m en ex tem p o r a 1 i f n ' sind gegenständ der er- 
Örterung im referat und correforat , sowie in den Verhandlungen 
geworden, hinsichtlich derselben hat sich die Versammlung die these 
des referenten angeeignet, die lautet: 'ausschlieszlich oder auch nur 
vorwiegend aus einzelnen formen bestehende extemporalien sind nicht 
empfehlenswert', während der correferent den satz aufgestellt hatte: 
'für die sichere einprägung der formenlehre sind formenextempora- 
lien von nicht zu unterschätzender bedeutung*. director Collmann 
verwirft in seinem berichte, trotzdem er, wie oben erwähnt wurde, 
die Schüler auch ^durch fleiszige Übung im bilden von einzelfürmen' 
zur Sicherheit in der formenlehre führen will , die formenextompora- 
lien als 'eine durchaus einseitige und beschränkte Übung', denn 'bei 
ihnen richtet sich die aufmerksamkeit des sohfllers immer nur auf 
einen punkt, während beim ttbersetzen eines satzes das Verhältnis 
der einzelnen formen zu einander beachtet werden musz, was bei 
weitem bildender wirkt'« demgemäsz verlangt er schon flr das erste 
extemporale Sätze, *denen sich einige einzelformen anschlieszen kön^ 
nen*. fttr obertertia soll aber auch dies Zugeständnis wegfdlen und 
die eztemporalien nur noch sätze enthalten, Ma die unablässig fort- 



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Der a&fangsunterricht im griechischen. 



329 



gesetzte mündliche Übung im sicheren und raschen bilden von formen 
für diesen zweck völlig ausreicht'. 

Nun verkenne auch ich durchaus nicht den groszen wert der 
satz extemporalien, habe daher die ausftthningen des director 
Collmann über den nut/^en derselben für Übungen im retrovertieren 
uaw. mit inleressö gelesen und vitilfache anregung dadurch em- 
pfangen, bin aber durch das, was gegen den wert der formenextem- 
poralien vorgebracht ist, doch nicht von der Unrichtigkeit dessen 
fibmeugt , was ioli frflher darüber ausgeführt liabe (namentlieh in 
diesen jahrbflehem 1881, s.5S5fll) undbabe anob Jaden acht jähren, 
die seit der abfassung jenes anfsatzes Terstricben sind y nor immer 
wieder meine ansieht yon der zweekmüsugkeit nnd dem grossen 
nntsen dieser Qbimgen für die feste einprägung der formenlehre aller 
fremden sprachen bestätigt gefunden, so habe ich denn mit grosser 
frende gelesen, wie direetor Müller in semem eorreferat ganz anders 
über die foimenextemporalien urteilt, er sagt^ der referent *anter- 
scbStze' ihren wert und fährt fort: Mch halte dieselben für ein sehr 
wirkungsvolles Unterrichtsmittel ; sie bilden die strengste und sicherste 
con trolle über denkenntnisstandpnnktderschüler; denn beim mOnd* 
liehen abfragen der formen lassen sich dem einzelnen schaler nur 
verhältnismäszig wenige fragen vorlegen*, und es fehlt das urteil 
Über die Orthographie und die Zeichensetzung.' durch einführung 
regelmäsziger formenextemporalien hat sich nach meiner erfahrung 
in verschiedenen fällen und in verschiedenen sprachen ein schwacher 
Standpunkt der classen rasch gehoben/ wenn director Müller dann 
emptiehlt ^auch sätze an die formen anzuschlieszcn', und Svenn es 
sich um verba bandelt, diese rait häufig neben ihnen vorkommenden 
Substantiven zu verbinden', so ist das ofi'enbar durchaus keine ein- 
schränkung des über die Wichtigkeit und nützlichkeit der formen- 
extemporalien gesagten, es steht nun zu boiTen, dasz künftig nicht 
mehr so einfach wegwerfend über dies ^wirkungsvolle unterrichts- 
mitteP abgeurteilt wird, dasz sich vielmehr manche lehrer, nament- 
lich des griechischen und lateinischt u , durch dies gewichtige urteil 
veranlaszt fühlen, auch versucbe in dieser beziehung 7,u machen: ich 
glaube nicht, dasz viele nach sorgfältig angestelitür probe anders 
urteilen werden als director Müller und ich gethan haben. 

Dies sind wohl die wichtigsten, den anfangsunterricht im grie- 
chischen betreffenden abschnitte ans den berichten nnd yerhand- 
lungen. natürlich habe ich die grosse fülle der gebotenen anregungen 
und belehrungen auch nicht annühemd hier erechOpfen können; was 



^ io der Werbandiung' erinnerte sich director Steinmetz 'eines for- 
meneztemporalefl, in welohem eine ganze reihe Ton echülem 190 formen 
riebtig niedergeschrieben hatte'! kann man wohl bei noch so fleisziger 
mündlicher Übung im bilden von einzelformen auch nor annfthernd 
fthnliches leisten?! 

' diesem maagel ISact sich allerdings, wenigstens Bilm teil, dadurch 
abhelfen, dass man immer den aeeent mit der band machen Iftset. 



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330 über unsere Schulausgaben der alten classiker. 

ich dargeboten und besprochen habe, sollte auch nur eine probe sein, 
um auf die Wichtigkeit die&cs absübnitteö der tagonpf der vierten 
Schleswig'- holsteiniscbeii directorüii Versammlung 'ninzu weisen : möcli- 
ten denn ihre Serbandlungen' die beacbiung und nacbacktung finden, 
die sie verdienen! 

BaTZBBUBQ. W. VOLLBRBOHT. 



80. 

ENTSPRECHEN UNSERE SCHULAUSGABEN DER ALTEN 
CLASäIii£& DEN BEDÜRFNISSEN DEB SCHÜLEB? 



Seitdem ftlr die alten sprachen die leetllre mehr in den Vorder- 
grund getreten ist» bat man sein angenmerk auoh mehr der frage 
nach der geeignetsten form der schulansgaben sngewandt, nnd ee 
hat nicht an Unternehmungen gefehlt, die aach in dieser heziehnng 
einem sogenannten bedtürfiiis abasohelfen bemüht gewesen sind nnd 
noch sind, wenn trotsdem in den meisten directorenveisammlnngen, 
wo diese frage bertthrt wird, darüber geklagt wird, dass es an passen- 
den ausgaben fllr nnsere sohttler fehlt', so möchte man wohl nicht 
ohne grund daran zweifeln, ob jener zweck schon erreicht ist. wenn 
man dann weiter von den fordern ngen liest, die in eben diesen Ver- 
sammlungen laut werden und die unter einander oft ebenso yer- 
schieden sind, als die grundsätze, nach denen Schulausgaben dersel- 
ben Sammlung bearbeitet sind, so kann man fast daran verzweifeln, 
dasz sich hier grundsät/e aufstellen lassen, die der groszen mehrheit 
der Schulmänner annehmbar erscheinen möchten, da nun aber diese 
frage einerseits von grosser Wichtigkeit ist, anderseits meines wissena 
noch nicht im zusammenhanL^e nach allen riebtungen bin behandelt 
worden ist, so glaube ich, daaz eme erörterung derselben an dieser 
stelle nicht ganz tLberflUssig sein durfte. 

Wae zunächst die äussere ausstattung der ausgaben be- 
trifiFt, die in den bänden unserer schüler sind, so ist die erfreuliche 
thatsache zu consf atieren, dasz sie fast durchweg berechtigten an- 
sprüchün genügen; papier ibt meibtenb gut, druck deutlich, druck- 
fehler nicht häufig (am häufigsten kommt abspringen der intcr- 
punctionszeichen vor), eine vergleichung mit den ältem ausgaben 
Ton Tanchnita oder Tenbner genügt, nm die fortschritte zu er- 
kennen, anch der gebotene text ist natdrlieh ein lesbareror, als 
früher: eine reihe von Verbesserungen sind allmtthlieh gemeingut 
aller ausgaben geworden, nnd bei aller Verschiedenheit im eintelnen 
kann man doch schwerlich einer an^gabe den Vorwurf machen, dass 



* hart ist das urteil von Ilgen (directorenversammlong von Ost- aod 
Westpreossea 1886), dass die ausgaben swar nicht billiger, aber immer 
acbleohter würden« 



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über unsere sciiulausgabeii der alten classiker. 331 

sie von den ergebnissen der Wissenschaft mcbt irgend wie gebrauch 
machte, indes schon in dieser beziehung zeigt es sich, dasz der dop- 
pelte zweck, zugleich den bedürfnissen der Wissenschaft und denen 
der schule rechnuug zu tragen, nicht durchführbar ist. der Demo- 
sthenes von Blass z. b. ist eine wissenficbafUiche leistung von her- 
vorragender bedeutung; als grundlaL^e fü,r die schullectüre möchte 
ich ihn aber inchL emptebleu, weil die grundsüUe, wonach der text 
gestaltet ist, sich noch keineswegs einer allgemeinen billigung er- 
fteaen. freilich dies will ja aaoh keine eigentliche Schulausgabe sein, 
wenn sich dagegen in einer schal ausgäbe des Homer Oewv Iv t' 
oihfoci K€fTai und ^ire' dicrcpöevra findet, so ist dies enisdiieden 
nicht mehr za billigen« es ist ja leicht erUkrlicb, dass ein herans- 
geher seine persönlichen ansichten sur geltung za bringen snohti 
aber es gibt doch andere gelegenheiten genug, wo er dies thun 
kann: eine schnUnsgabe ist dod^ m erster linie ein sohnlbnch, und 
fttr sie gilt also derselbe grandsata, nar das an bringen ^ was durch 
die Wissenschaft mOglidist festgestellt ist, nicht aber eignen hjpo- 
thesen gröszern Spielraum zu gewähren» ich kann daher auch dem 
tadel nicht beipflichten, der öfter in reoensionen gegen einzelne 
Schulausgaben erhoben wird , dasz sie wissenschaftlich keinen fort- 
scbritt bedeuten: das sollen sie auch gar nicht ^ sondern wenn sie in 
ihrer brauchbarkeit für die schttler einen fortschritt bedeuten, er- 
füllen sie eben ihren zweck. 

Hierher gehört auch die Orthographie, nur das, was wissen- 
schaftlich feststeht, sollte in unsere Schulausgaben eindringen, im 
übrigen es aber vorläufig noch beim alten bleiben, leider hat ja 
das licht der wissensehalt , die ein quiim , laevia u. a. beseitigt hat, 
zuweilen den weg des schülers beim präparieren eher verdunkelt als 
erhellt; zuweilen aber trägt sie doch auch zur erleichterung des ver- 
stSndnissey bei, z. b. m der Homerausgabe von Cauer, welcher, der 
theorie Wackernagelb über die sogenannte zerdehnung folgend, 
überall die regelmäszigen uncontrabierten formen herstellt, diese 
Schreibweise ist entschieden zu billigen, einmal weil sie wissenschaft- 
lich wobl begründet ist, und zweitens weil sie praktisch von nutzen 
ibt: anders dagegen steht es mit solchen neuerungen, die geeignet 
sind, das Verständnis zu erschweren, z. b. die Schreibung equoa für 
equus oder die nichtunterscheidung der beiden oukouv durch den 
accent. 

Dasz llberhaupt dmt text unserer schukusgaben von allen den 
mittein möglichst gebrauch msehen mnss, die dasn dienen, das ver- 
stlndnis su erleichtern, sollte als selbstYerstSndlich feststehen, dies 
gilt sunftchst in besiehung auf die interpunction. vieles ist 
hierin besser geworden, aber manches bleibt noch zu wünschen, 
und es fehlt vielfaeb noch an gemeingttltigen gmndsBtsen, ja der^ 
selbe herausgeber bleibt sieh in seinem interpunotionsrerMreii 
nicht immer consequent. es lassen sich ja die deutschen inter- 
punotion^gesetse nicht ohne weiteres auf die alten sprachen ttbex^ 



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332 Über nnsere Schulausgaben der alten dassiker. 

tragen: ob fin nebensatz von dem übergeordneten satz durch ein 
komina zu trennen ist oder nieht, hängt von der natiir desselben 
ab, und dasz man überhaupt mit der anwendung der kommata spar- 
samer ist als im deutseben , erleichtert in langen perioden nur die 
Übersicht, da jene interpunctionszeicben zur trennung der bestand- 
teile der periode dienen müssen; wenn wir aber in unsern texten^ 
und zwar besonders in griechischen, nicht selten Zwischensätze fin- 
den , die nur einmal, entweder zu anfang od^r am ende, mit einem 
komma versehen, sind, so kann dadurch dem schüler das Verständnis 
geradezu verschlossen werden, in laugen lateinischen perioden ist 
häufig der doppelpunkt ange wandt; um hauptsatz und Vordersatz zu 
trennen, ein nicht unpraktisches verfahren; nur mosz man dann 
dies zeichen mdht an<^ zur trennung von zwei hauptäKtzen anwen- 
den, wo etwa ein paukt nicht am pUtse ist: es hat dum das aami- 
kolon einzutreten, richtiger freilich wSre wohl der umgekehrte ge- 
brauch beider zeichen« noch Tielaeitiger ist das kolon in griechischen 
texten^ wo es ja freilich die fonctionen jeder beiden seichen su er- 
Allen hat. geradezu stör^d ist der gebrauch desselben zur bezeich- 
nung der parenthese: warum Terwendet man hier nicht, wie im 
deutechen, die runden klammem? femer muss auch der gedanken- 
strich mehr in aufnähme kommen, nicht blosz in der aposiopese (wo 
sich auch öfters das unvermeidliche kolon findet), sondern auch unter 
umständen bei gedankenabechnitten , wo aus gewissen gründen ein 
absatz nicht am platze ist. ein solcher würde z. b. Xen. Mem. 
I 4, 19 das Verständnis erleichtem, ganz besonders aber sind die 
anRlhrungszeichen mehr in anwendung zu bringen, wo ein elTiev 
TOtbe vorhergeht, sind sie für das Verständnis nicht geradezu not- 
wendig: rein unverständlich aber sind z. b. die lebhaften rhetori- 
schen figuren von frage und nntwort bei Demosthenes , wenn sie 
nicht durch eine entsprechende interpunction kenntlich gemacht 
werden, eine stelle wie Dem. VIII 17 ist in der form der Tenbner- 
schen und der Pertbesüchen ausgäbe ebenso wenig zu verstehen, als 
es in einer deutseben Übersetzung mit derselben interpunction der 
fall sein würde, oder wenn es Dem. IV 14 beiszt Ol taxu Kai vf]- 
^ifepov eiTTÖViec, so ist dieses ebenso rätselhatt, als wenn man in einem 
deutschen text liest: welche schnell und heute bagen, statt 'schnell' 
und bleute', für wibsenschaftliche ausgaben sind ja diese dinge von 
untergeordneter bedeutung, nicht aber für büiiulauigäl-en. auch 
hierin kann als muster gelten die vorzügliche ausgäbe von Platos 
Symposion von Hug , die nicht einmal den titel Schulausgabe trägt, 
dersdbe herausgeber bedient sidi auch eines andern mittels, um Ter- 
stftndnis und Übersichtlichkeit zu erleichtem: diejenigen stttse nem- 
lich, welche die grundlage der Untersuchung bilden oder das resoltat 
angeben, sind durch gesperrten druck gekennzeichnet, ein sol- 
ches Ter&hren wttrde auch für die lectdre anderer Schriftsteller, 
namentlich der redner yon gutem nutzen sein, ich will aber damit 
keineswegs dem verfahren das wort reden, welches Hachtmann in 



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Ober miBeie »shalaasgaben der alten classiker. 



333 



der ersten aufläge der Oatilinarischen reden eingeschlagen hat, in- 
dem er die Wörter, die beim vertrag betont werden, durch den druck 
markiert hat. abgesehen davon, dasz dadurch das gegenteil von 

Übersichtlichkeit erreicbfc wird, wird dadurch auch die kiinst des 
lesena zu einem mecbanismus herabgedrfickt. auf ein sinngemäszea 
lesen ist auch in der fremden spräche ein groszes gewicht zu legen, 
dasselbe kann aber nur auf dem wege erreicht werden, dasz man 
den Schüler zwingt, selbst beim lesen seine fünf sinne zusammen- 
zunehmen. 

Recht unübersichtlich sind die meisten ausgaben der griechi- 
schen tragiker : selbst strophe und antistrophe sind nicht immer deut- 
lich geschieden: nur wo eine person zum ersten male auftritt, steht 
der name dersoDien zuweilen als Überschrift über seinen worten: 
bonst läuft die tragödiu ihre ganzen 1200 — 1800 versu uiine Unter- 
brechung fort, was würde man dazu sagen, wenn man in dieser 
weise ein deutsches drama drucken wollte? Wolff versuchte es, für 
die einzelnen abschnitte die dentsohe bezeichnung 'auftritt' einzn- 
fttbren, was aber yod Bellennann niolit obne grund wieder beseitigt 
ist. das natflrlieliste ist doeb wohl^ dasz man die griechischen be- 
sdohnung^ (TTpöXotoc, irdpoboc, iir€icöbiov I, CTdctjM>v I nsw.) 
Uber die einzelnen abschnitte setzt, wie es Schmelzer and Barthold 
thnn. aber eine genügende ttbersiditUchkeit wird damit aucJi noch 
nicht erreicht, wo die acte nrnfiangreich sind nnd Personenwechsel 
enthalten, die riditige gliederong gibt Mllller in seiner Elektra- 
ansgabe« nur mQste dieselbe nicht in den noten, sondern als Uber* 
Schrift in dem text stehen, er gliedert z. b. das zweite epeisodion 
so; zweites epeisodion v. 516 — 1057 in fettdruck, darunter in ge- 
sperrtem druck : 1) Klytaemnestra (nebst dienerinnen). Elektra (und 
cbor) 516—659. 2) Klytaemnestra. pädagog. Elektra (und chor), 
660— 803. 3) Elektra und chor. 804 — 870. 4) Elektra. Chry- 
sothemis (und chor). 871 — 1057. — In wie weit entsprechende 
Überschriften auch bei andern schiiftstellem anzuwenden sind, wird 
unten erörtert werden. 

Dasz schlieszlich der text des scbriftstellers vollst ändifr ore- 
geben wird, bedarf wohl nicht der begründung; eine ausnähme mrd 
aus bestimmten rücksichten mit Ovids metamorphosen gemacht, 
dieselbe rücksicht dürfte auch dazu veranlassen, einige epoden des 
Horaz und einige stellen bzw. capitel aus Xenophons memorabilieu 
fortzulassen (nicht aber durch eckige klammern einzuschlieszen) ; 
denn es könnte dem schüler sonst doch etwas in die bände fallen, 
was er lieber nicht liest, der versuch indessen , der ah und zu auf- 
taucht, auch dem Homer ein keuscheres gewand anzuziehen, erinnert 
an das verfahren des papstes Clemens XII den nackten üguren auf 
Mich elangelob jüngstem gerichl gegenüber. 

So viel über das aussehen des textes : wichtiger ist die frage, ob 
erklftrende anmerkungen hinzuzufügen sind oder nicht, ich 
gehe dabei yon der Toraussetsung aus, dasz, abgesehen von der an- 



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334 



Ober uiiBere Bchnlaoigabeii der alten classiker. 



fangaleotOre eines jeden scbriftstellers , in der regel häusliche pri^ 
paration verlangt wird, auch die etwaige privatlectUre lasse ich im 
folgenden nnberücksichtigt. also vorausgesetzt, der schUler hat sioh 
auf einen abschnitt vorzubereiten: soll er im stände sein, denselben 

in der nächaten ;?t!iiide zu Übersetzen? es fragt sich zunächst: «md 
die scbulautoren derartig, dasz sie der durcbschnittsscbüler mit hilfe 
von lexikon und <,^rammatik verstehen kann V die antwort lautet 
verschieden: während man, wenn man über die ersten ditilekti^chen 
Schwierigkeiten hinweg ist, den Homer fast durchweg ohne sonder- 
liche mühe verstehen kann, während Ciceru einem primaner keine 
erheblichen Schwierigkeiten macht, ist es bei andern Schriftstellern 
anders, wenn man einem tertianer den Ovid, einem secundaner den 
Vergil, einem primaner den Demosthenes oder Thukydides gibt und 
sagt: 'nun präpariere dich, lexikon und grammatik kannst du ge- 
brauchen', öO wird auch der beste bald auf unüberwindliche Schwie- 
rigkeiten stoszen, auch wenn zur einftlhrung in den Schriftsteller 
eine längere unvorbereitete claesenlectttre vorangegangen Ist. was 
Dun? die Verteidiger der niebtoommentierten anagaben verfolgen 
mm einen doppelten weg. entweder sagen sie vorher: *prftpariert 
euch und eel^t su, was ihr beraasbekonunt; wo ibr etwas niöbt her- 
ansbekommt, scbadets aucb nicht/ ein recbt bedenkliobes ver&hren; 
denn die weniger eifrigen werden bei der geringsten sebwierigkeit 
stocken nnd die stelle tds eine für eines sebttlers^kraft nnlOsbare be- 
trachten , die eifirigen sieb aneb bei Tersweifdlten stellen lange ver* 
gebens abmühen, bei beiden ist das resoltat des arbeitens ein wenig 
erfreuliches; denn es fehlt der sichtbare erfolg; daher alsbald nnlost 
zu dieser art der arbeit, andere verfahren anders: sie erUftren nem- 
licb in der vorbergebenden stunde die schwierigen partlen des näch- 
sten abschnittes. ein sebr umständliches verfahren, wo nur einzelne 
Schwierigkeiten vorliegen, die vielleicht nur in der bedeutung ge- 
wisser Wörter liegen, mag es gehen: in den meisten fällen liegen die 
Schwierigkeiten tiefer und sind nur unter kenntnis des zusammen* 
huriges 7.11 lösen, die d^m schüler natürlich noch fehlt, entweder also 
gibt niun den Zusammenhang an, und dann geht man über dfis masz 
der zu gewahrenden beihilfe hinaus, oder die 'andeutenden hinweise 
und winke des lehrers' (Holzweissi ^) bleiben für den schtiler vor- 
läufig böhmische dörfer, und er musz bie sich, und zwar möglichst 
genau, notieren, um bei der pröparation gebrauch davon zu machen, 
dabei können seinerseits aber leicht irrttimer vorkommen; auszer- 
dem aber wird damit eine menge zeit vergeudet, die bei den vielen 
ansprächen, die mit recht an eine lectürestunde gestellt werden, 
wahrhaftig nicht entbehrt, werden kann, auch die ausschliebzuug 
gewisser stellen von der präparation wegen ihrer Schwierigkeit 
(Euntze) geht doch nur da an, wo dieselben nnbeschadet des sn- 
sammenhanlg^es ausgelassen weiden können, was ja bei ein«r fort- 
laufenden leetflre nur Susserst selten der fa)l ist. icb weiss wobl, 
dasz dies Terfabren unter berufimg auf die fast zu tode gebotst« 



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Übtt unsere sehulaiiagftbeii der alten daariker. 335 



phnue ▼on der viva vot des lebrers von vielen gelobt wird, aber wie 
der name dafür: Worbereitnng auf die präparation*, so misfällt aucb 
die sacbe; im übrigen aber verweise ich «af die aebr richtigen be- 
merkungen von Eckart directoreDversammlaDg Posen ld88 s. 70. 
es bleibt also niobts übrig, als für diese sobriftsteller eommentierte 
ausgaben oder ausgaben mit anmerkungen zu gebrauchen. 

Die commentierten ausgaben nun, die für die deutschen gymna- 
sien in betracbt kommen, sind, abgesehen von vereinzelten erschei- 
nimgen, wie dem commentar zur anabasis von Matthias, zu Caesars 
bellum Galliciim von Rheinharcl, einzelnen dialogen Piatos von 
Schanz, die in den Sammlungen von Weidmann, Teubner, Scböningh 
und Perthes erschienenen, die Weidmanns che Sammlung führt 
den titel: 'sammlung grii^cbischer und iateinisclier schriftsteiler mit 
deutschen anmerkungen", die Teubnerschen ausgaben: 'für den 
schulgebraucb erklärt', einen principiellen unterschied zwischen 
beiden Unternehmungen festzustellen» ist nicht leicht : jedenfalls ver- 
binden beide mit dem zweck der Verwendung für die schule auch 
selbständige wissenschaftliche zwecke, dasz sie in letzterer beziehung 
daa Verständnis der scbriftstellef wesentlich geförderl haben , was 
ja natürlich auch der erklär ung in der schule zu gute kommt, kann 
man ebenso wenig bestreiten, als darans folgern, dasz sie darom in 
den littaden der schfiler von entsprechendem nutzen sein mttsten, 
beide sweoke lassen sieb nieht yereiiiigen; denn notwendigerw^se 
niQasen die erklirungen viele« enthalten , was Uber das verst&ndnla 
und bedttrfiiis eines sehtüers binansgebt. da dieser also damit ni^ts 
anfangen kann, so gewöhnt er sich leicbt daran, den eommentar nur 
oberfl&cblidi m benntsen (vgl* auch Kolbe *die einriehtung unserer 
der altolassiscben leetttre dienenden schnlansgaben', programm von 
Stade 188S). die SohÜninghsohen ausgaben halten sich im all- 
gemeinen frei Ton dem^ was den sebüler nichts angeht, enthalten 
aber vieles, was über das immittelbare bedürfnis hinausgeht, nnd 
greifen so der thtttigkeit des lehrers in der schnlstunde vor. noch 
enger ziehen die grenze die Perth esschen aasgaben: diese wollen 
naoh dem programm 'unter verzieht . . auf wissenschaftliche neben- 
swecke lediglich das bedürfois und Verständnis des Schülers berück- 
sichtigen': 'der commentar soll den schüler bei seiner häuslichen 
Vorbereitung unterstützen und zu einem vorläufigen Verständnis 
führen', es soll dabei 'weder dem Unterricht vorgegriflfen, noch dem 
schüler die arbeit erspart werden', die anmerkungen sollen an 
schwierigen stellen 'andeutende oder weiterführende hilfe' bringen, 
sehr vernünftige grundsittze, aber wie steht es mit der ausführung? 
es hat diesem unternehmen nicht zum segen gereicht, dasz, um mög- 
lichst schnell zum abschlusz zu kommen, so viele arbeiter in be- 
wegung gesetzt sind, von denen jeder seine besondem wege geht, 
nicht einmal derselbe autor ist demselben herausgeber übertragen: 
in sechs bücher des Livius teilen sich fünf herausgeber, und in wie 
verdchiedeuer weiäe dieselben ihre aufgäbe auiiassen, kann man 



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336 Über unsere scbnlaosgaben der alten claMiker. 

. leicht erkennen, wenn man das n buch von Klett mit dem XXI 
Ton Luterbacher und wieder beide mit dem XXIII Yon Egelhaaf 
vergleicht, ich will hier nicht schon oft erhobene vorwürfe von 
neuem vorbringen, wenn R. Menge, wohl der berufenste Verteidiger 
dieser saramlimp' f^über die erklärungsgrundsätze dor bibliotheca 
Gothana', n. jahrb. 1884 s. 177), die verschiedenartigkeit der aus- 
gaben als nicht im Widerspruch mit der einheitlichkeit eines princips 
stebend nachzuweisen sucht, so wird er schwerlich damit nberzeugen; 
denn wenn er § 181 sagt: 'diebilfen, die dem scbtiler zu geben sind, 
beziehen sich auf lüxikalisches, auf grammatik, Stilistik, realien, Zu- 
sammenhang und disposition', also doch wohl mit ausschlusz alles 
andern, so wird schon mit diesem satze eine reibe von ausgaben ver- 
urteilt, denn sie enthalten auch noch audcie dinge (z. b. Vergil von 
Brosin, IIoniÄ von Kobenberg u. a.). und wenn er dann weiter als 
allgemeinen grundsatz aufstellt, der für die Perthesscheu ausgaben 
maszgebend sein soll: Mer common tar musz das enthalten, was der 
fichttter^ nm sieh zweekmSszig vorbereiten zu können, braucht, aber 
voranssiebtlich nicht weiss', so ist damit anob nicht viel gesagt, 
denn die haaptsache: was ist zweckmSssige ▼orberaitnng? oder 
genauer: weldier art musz das verstftndnis des schriftstellerg sein» 
das der sdittler in die classe mitbringt? bleibt nnerOrtert. duanf 
aber kommt alles an^ nicht darauf, wie weit das yerstttndnis des 
Schriftstellers für den schlller Oberhaupt erschlossen werden soll; 
bevor sich darüber die herausgeber nicht einig sind, kann von einem 
arbeiten nach demselben prindp nicht die rede sein, das programm 
der bibliotheca Gothana gebraucht allerdings den ansdrnck: *vor- 
Ittufiges Verständnis', ohne ihn indes weiter auszuführen, auch in 
den vorreden zu den einzelnen ausgaben ist oft von Vorläufigem', 
^genügendem', ^ausreichendem' Verständnis seitens der sohtUer die 
rede (nur Rosenbergs Horazausgabe will auch eine lebeneausgabe 
sein), aber auch sie lassen eine genauere fixierung dieses begrififs 
vermissen, und wenn sie auf die details eingehen, so widersprechen 
sie sich gegenseitig nicht selten. 

Setzen wir nun statt Vorläufig' einmal das fremd wort ''formal*, 
80 werden wir damit dasjenige bezeichnen , worauf sich die an den 
grad des durch präparation gewonnenen Verständnisses zu stellende 
fordeining billigerweise zu beschränken hat. der schüIer soll also 1) die 
bedeutung der Wörter kennen, 2) construction und satzbau verstehen, 
3) verstehen, was der Schriftsteller in jedem satze sagt, wo sich 
das dritte nicht von selbst aus den beiden ersten punkten ergibt, 
liegt die schuld entweder daran, dasz der gedankenkreis des Schrift- 
stellers für den schüler zu hoch ist — dann guhurt der öchriftstcller 
überhaupt nicht in die betreflFende classe, bzw. in die schule — oder 
daran, dasz dem schüler die kenntnis von gewissen thatsachen fehlt, 
auf diese drei punkte also, lexikon^ grammatik und realien, 
hat sich ein'ftlr schttler besiimmter commentar zu besdiittnken- die 
bedeutung der Wörter nun zunickst kann ja der schlller gröstenteils 



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über unsere Bolmlausgabeii der alten dasaiker. 337 

im lezikon finden, aber doch nicht immer und oft doeb nur mit auf- 
wand vbn zeit, cUe in keinem Terbttltnis steht zu dem etwaigen ge- 
winn, ein bekanntes wort eine ganz besondere bedeutung bat, 
die sich nicht bei einiger aufmibkB&mkeit ans dem zusammenhange 
ergibt, hat der oommentsr einzutreten, zumal bei h&nfig vorkommen* 
den Wörtern, namentlich zusammengesetzten verben, wo das lezikon 
meist eine unzalil von bedeutimgen gibt, auch an den stellen, wo 
unbekannte vocabeln in grCszerer anzahl zusammentreffen, ist es 
menschlich, die bedeutungen anzugeben, damit der schQler nicht 
durch das unaufhörliche aufschlagen des lexikons ermüdet werde, 
ttberflüssig soll natürlich der commentar das lexikon nicht machen; 
denn auch der gebrauch des lexikons ist nicht blosz eine mechanische 
Sache.' mehr Schwierigkeiten pflegt der zweite punkt^ das gram- 
matische Verständnis zu machen, da stöszt der schüler zunächst auf 
constructionen, die erst in einer spätem classe gelehrt werden: hier 
hat natürlich der commentar einzusetzen, und da das grammatische 
pensum auf unsern schulen im allgemeinen dasselbe ist, auch die 
wähl der Schriftsteller für die ein / einen classen nicht wesentlich ver- 
schieden ist, so wird man dabei nicht gerade auf unüberwindliche 
Schwierigkeiten stoszen. dann wieder finden sich constructionen, die 
in der grammatikstunde überhaupt nicht erörtert werden: auch hier 
musz der commentar helfen, ebenso bei anakoluthen, abweichungen 
von der gewöhnlichen construction, Hyperbata u. a.; endlich sind es 
umfangreiche, wenig übersichüicbü perioden, welche die ochwierig- 
keit verursachen, bezüglich der dritten art von Schwierigkeiten, die 
sich auf das Verständnis des inhalts bezieben, mnsz sich der com- 
mentar darauf beschrilnkeny das zu geben , was fttr das Terstündnis 
der vorliegenden stelle ausreicht: oft genügt ein hinweis auf die ein- 
leitung, worüber spttter. in allen filllen aber darf der commentar 
nur da eingreifen, wo wirkliche Schwierigkeiten TOrliegen, die für 
die durohschnittszahl der schüler unlösbar sind, nicht aber auch da, ' 
WO eignes nachdenken zum ziele führen musz. ist bei jeder Schwie- 
rigkeit auch schon die erklttrung zur band, so verliert die häusliche 
präparation für den schttler ihren bildenden wert, und man kann 
ihm ebenso gut eine Übersetzung in die band geben, gerade die 
richtige auswahl des zu erklärenden ist die hauptaufgabe für den, 
der eine Schulausgabe machen will, und erst dann sollte man daran 
gehen, nachdem man bei der dassenlectüre des betreffenden Schrift- 
stellers fortwährend sein augenmerk darauf gerichtet bat, was in der 
thnt den scbülern unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet, denn 
Dicht immer kann man dies a priori wissen; zuweilen stolpern die 
schüler, wo dem lehrer der weg ganz glatt su sein schien, zuweilen 



^ nur für die Unterstufe sind die präparationen für die schuUectüre 
Ton Krafft und Ranke bestimmt und sind für die aafiangsleotilre des 
betreifenden Schriftstellers da zu empfehlen, wo man es nicht vorzieht 
nnf eine häu^che präparation in diesem Stadium überhaupt noch sa 

verzichten. 

N.4abrb. f. phil. a. päd. Ii. «bt, 1890 hfu 82 



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338 



tFbex unseFe schalauBgaben der alten daselker. 



lösen sie aaoh Bchwerere stellen ohne grosze mttbe. wenn wir die 
sich auf die lösung formaler Schwierigkeiten beziehenden,* nur fOr 
die sehttler bestimmten anmerkungen in den yersehiedenen Schul- 
ausgaben quantitativ mit einander^ergleichen, so zeigt sich ein ge- 
waltiger unterschied: die Teubnerscben und noch mehr die Weid* 
mannschen, wie z. b. der Tbukydides von Böhme, sind sehr knapp 
damit^ die Perthesschen im durchschnitt ziemlich freigebig, z. b. die 
anabasis von Hansen , die Tusculanen von Uasper u. a. die recen- 
öenten dieser ausgaben gehen über diesen pnnkt oft ziemlich leicht 
hinweg^; 'über das masz des zu erklärenden kann man verschiedener 
ansieht sein' ist eine fast tiivial gewordene wendung. man kann 
allerdings, soll es aber nicht, und wenn man vor der anfertignng 
des commentars beim Unterricht nach dieser richtung hin besonders 
aufmerksam ist, jede stelle darauf hin genau prüft und dann das 
können der durchschnittsschüler zum maszstab nimmt, so können zwar 
in kleinigkeiten über das mehr oder weniger meinungsverschieden- 
heiten sem, immrglich aber kann sich ein solcher unterschied ergeben, 
als wie wir ihu wirklich finden. 

Demnächst ist auch die form, wie die erklärungen gegeben 
werden, nicht gleichgültig, dieselben müssen kurz und bündig sein 
und aidi auf den yorliegenden gegenständ beschrSnkea. aber wenn 
man sieht, wie bei der grösten zahl der ausgaben der umfang dee 
eommentars den des textes erreicht oder gar fibertrifft, so kann 
einem angst und bange werden, da finden wir oft grammatische 
erOrterungen, die weit Uber das bedttr&is binausgehen, wir finden 
parallelstdlen, die gewisse lexikologische oder grammatische eigen- 
tOmliohkeiten auch sonst wo nachzuweisen bestimmt sind, fOr den 
schaler zum mindesten fiberflfissig und geeignet, ihn gegen ein 
tieferes eingehen in die anmerkungen gleichgültig zu machen, oder 
es wird ein antiquarisches wissen vorgebracht, welches, an sich viel» 
leicht wertvoll, für die erklttrung der vorliegenden stelle ohne belang 
ist, ein verfahrenj das eher geeignet ist die aufmerksamkeit von der 
vorläge abzulenken, oder man gibt die erklärung indirect durch hin- 
weis auf eine grammatik oder ein anderes buch, das der schüler 
meistens gar nicht besitzt, oder ^ibt ihm statt der vorliegenden nusz 
eine andere zu knacken, indem man ihm statt der erklärung eine 
andere dieselbe scbwieri^^keit enthaltende htolle bieU t, die aV>er, weil 
aus dem zusammenhange gerissen, oft noch wt^niger vurstäüdiich ist. 
anderseits ist aber auch die einfache Übersetzung nicht immer am 

' eine rfihmlicbe ansDahme maebi Vollbrecht n. jahrb. 1884 hft. 8/ft. 

10/11. 1885 hft. 1. 1886 hft. 8/9. recht bedenklich dagegen iti die 
äuszeri/ng des recensenten von Wecks Odysaee hft, 1 in der neuen 
philol. rundschau 1886 s. 8: ^doch darf nicht verkannt werden, daaa 
bei einem neuen aaternehmen dieser art nicht nur das dnngendste be* 
dürfnis der schule zur richtscbniur genommen werden kann, dass yi»h 
mehr auch die rücksiclit auf die concurrenz mitspricht sowie auch 
wohl die f orderung unserer zeit, den schüler nach mögUchkeit zu ent- 
lasten.* 



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über unfiera schulftusgaben der alten cLassiker, 



339 



platze: oft gecütrt ein hin weis auf eine bekannte analoge erschei- 
nung, oft sonst eine bemerkung, die auf den richtigen weg zu führen 
geeignet ist: auch hier soll man den schÜler möglichst selbst finden 
lassen, nur wo Schwierigkeiten verschiedener art zusammenkommen^ 
kann es notwendig werden, den inhalt des Satzes anzugeben, nicht 
aber in dem masze , wie es z, b. in der Demosthenesausgabe von 
Behdautz geächiiihl. 

Auf diese drei punkte also haben sich die anmerkungen in den 
schülercommentaren zu beschränken, was zonftcbst den äuszern vor- 
teil bat, daBZ die ausgaben billiger bergestellt werden kSnnen. was 
darüber hinausgeht, ist nicht nur Übeiittssigf sondern geradezu von 
ttbeL wenn der schttler in dem besits des äusaem , formalen ver- 
stttndnisses des aufgegebenen abschnittes ist and denselben ohne viel 
8U stocken ttbersetsen kann, so soll man sufrieden sein, freilich wird 
sunftchst die ttbersetzung selbst in formaler besiehang noch viel 
XU wünschen* ftbrig lassen, aber die entsprechende deutsche form 
zu finden ist au^abe der lehrstnnde. schon in den untern classen 
bat der lehrer gelegenheit gegen latinismen einzuschreiten, und 
schon in der Caesarlectttre ist er gen5tigt| umfangreiche perioden 
in gesonderte Satzgefüge zu zerlegen, so dasz man von den schülem 
der obern classen schon von vom herein eine gewisse freiheit von 
sprachwidrigen Wendungen und Vermeidung monströser satzgebilde 
verlangen kann, zu bessern gibt es natürlich auch hier noch genug, 
aber gerade dies verfahrün, aus der wörtlichen eine stilgerechte Über- 
setzung- entwickeln und Enden zu lassen, ist mehr geeignet das 
Sprachgefühl der schüler zu wecken und zu stärken, als das angeben 
der mustergülrigen Übersetzung in den anmerkungen. denn durch 
den notwendigen hin weis auf den unterschied lateinischer und 
deutscher satzbildung öffnet sich ihnen ein einblick in das wcöen 
beider sprachen; wenn der schüler genötigt ist selbst nachzudenken, 
ob bzw. was für eine bei- oder Unterordnung für die Übersetzung zu 
wählen ist, wenn er unter den verschiedenen möglichkeiten des aus- 
drucke zu priiitiii hat, welcher am Lüsten dem geist unserer spräche 
eutapricht und dabei zugleich am passendsten den iinu wiedergibt, 
80, sollte man meinen, ist dies fruchtbringender, als wenn ihm das 
resultat schon fertig gegeben wird, auch hier können nur durch 
eigne äbung die kiifte gestShlt werden« wo der schttler schon mit 
der schönen Übersetzung seines commentars in die classe kommt, 
da hat der lehrer gut reden von deutschem und antikem Sprachgeist 
usw. , das interesse des schfllers folgt ihm nicht, denn er weisz ja, 
was schliesslich herauskommt, natürlich sind diese ttbungen nach 
den verschiedenen dassenstandpunkten verschieden, aber auch schon 
für einen Untertertianer sind sie nützlich, und nicht ein blosser • 
bailast (B. Menge), man wende auch nicht ein, dasz sie zu zeit* 
raubend sind; denn zunächst ist das auffinden einer guten Über- 
setzung eine, wenn auch nicht die hauptaufgabe der lectürestunde 
(Bothfuchs progr. von Gütersloh 1887), sodsan wiederholen sich 

88« 



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340 Über uu&ere sohnlauBgaben der altea dassiker. 

doch gewisse dinge, so dasz sie allmählicb von selbst vom scbüler 
richtig gemacht werden, und endlich ist auch bei dem andern ver- 
fahren auf die wörtliche erklärung meist einzugehen, der weg also 
nur ein umgekehrter, auch die besorgnis, jene erste unbeholfene 
Übersetzung det :,chülers kouiite seinen stil verderben, ist nicht be- 
rechtigt: denn eine so rohe form wird er bchwürlicb lür .seine eigne 
darstellung als mustergültig ansehen oder doch höchstens nur dann, 
wenn jene Übersetzung in der classe nicht verbessert würde, er 
mfiBte denn ein ganz onaafmerksamer oder nrteilsloaer mensch sein, 
nnd dann wdient er es aueb gar nieht sich einen Temflnftigen stil 
80 erwerben, im gegentdli eher konnte man dem andern Twfabren 
den vorwarf machen, den stil zn verderben: denn da dieflbersetznngs- . 
beihilf en sich doch nicht aof alles beziehen kOnnen, wenn sie nicht 
zur eselsbrttcke werden wollen, so kann das gemisoh aus eignen nnd 
fremden stofien in dem scfatller die yorstellung erwecken, als sei nnn 
seine fibersetzong eine vollkommene, einen scheinbaren vorteil haben 
diese ausgaben allerdings , nemlich den, dasz sie das nachübersetzen 
erleichtem, aber auch dieser vorteil ist nur scheinbar : denn die 
aafmerksamkeit des Schülers wird mehr gesteigert und sein gedäcbt- 
nis mehr geübt, wenn er aus sich selbst ohne gedruckte beihüfe die 
in der lehrstonde gefundene Übersetzung wieder herausfördem musz* 
zur not kann man ja auch dem schüler beihilfen der art gewähren, 
wie sie Schiller bandb. s. 392 f. vorschlägt, oder auch einzelne uotizen 
gestatten, wenn die ausgaben, die dieses princip besonders befolgen 
(Caesars bell. Gall. von Menge, Verc^ils Aeneis von Brosin), sich 
einer sjewissen beliebtheit erfreuen, so liegt dies teils darin, dasz sie 
sonst unleugbare vorzüe^e besitzen, teils darin, dasz sie dem lehrer 
die Sache erleichtern, dem schüler bieten sit; übrigens keine erleich- 
terung; denn was dem eignen nachdenken abgenommen wird, wird 
dem gedächtnis aufgebürdet, was an nachschlagen im lexikon er- 
spart Wild, geht wieder mit dem nat liblättern in den 'allgemeinen 
bemerkungen' darauf, die m zuibammenbängender weibc eine an- 
leitung für die Übersetzung zu geben bestimmt sind (vgl. übrigens 
Mejer *tLber die bibliotheca Gothana' neue jahrb. 1883 s. 497). 

WBhrend nun diese erwtthnten ausgaben die ttberreichliehen be- 
merkungen lezikologischer und grammatisdier art in der absidit 
geben, dem deutschen sprachgefttU der schüler zu hilfe zu kommen, 
thun andere ausgaben dasselbe, um seine kenntnisse in der fremden 
spräche zu erweitem, in gram ma tischer beziehung freilich sind 
die neuen ausgaben bescheidener geworden; denn gerade gegen die 
grammatischen ezcurse, anhttufung von grammatischem material in 
den Schulausgaben haben sich die angrifife besonders gerichtet ob- 
wohl nicht zu leugnen ist, dasz gerade hierin der absolute wert vieler 
ausgaben, besonders von Teubner, besteht, doch finden sich auch in 
den neuem ausgaben nicht selten (z. b. Laelius von Strelitz, pro Boscio 
von Landgraf) grammatisch-stilistische angaben, die fOr das Ver- 
ständnis der vorliegenden stelle tlberflttssig sind, auch in leziko- 



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über unsere Schulausgaben der alten classiker, 



341 



logischer beziebung wird öfters zu weit gegangen, bemerkungen 
über Synonymik (vgl. Cicero pro SesLio von Bouterwek) gehören 
in den äcbülercommexitar nur da, wo sie geeignet sind, das äuszere 
Verständnis der betreffenden stelle zu erschlieszen : was darüber 
hinausgeht, gehOrt in den Unterricht denn es ist viel instrnotaver, 
ans der Tergleiehnng versohiedMier stellen bzw. ans der etjmologie 
die unterschiede synonymer Wörter finden zu lassen, als direet die 
begriffe zu geben, die doch für den sohlller erst dann wert gewinnen, 
wenn sie durch beispiele erlttutert werden, dasselbe gilt auch Ton 
den etymologischen erkllKrungen, die- der sobüler entweder von 
selbst oder unter aaleitung des lehrers finden kann, am weitesten 
geht hierin Weck in seiner ausgäbe der Odyssee, und zwar gibt er 
eine reihe von neuen erklärungen, die um so weniger in eine Schul- 
ausgabe gehören, als sie wohl nur wenige so begeisterte lol re iner 
finden werden als den recensenten in der neuen philoL rundbcbau.^ 
aber auch in bezng auf die real ien — bemerkungen mythologischer, 
historischer, geographischer, litterarhistorischer) antiquarischer art 
— gehen viele ausgaben über das unmittelbare bedttrfnis der schüIer 
hinaus, nicht blosz viele von der Weidmannschen, sondern auch von 
der Scböninghscben Sammlung, während diejenigen der bibliotbeca 
Gothana öfters ans triviale streifen, wenn /. b. der herausgeber der 
Hellenika es für nötig hält, den secondaner mit Alkibiades (I 2, 12) 
oder Nikias (II 5, 2) bekannt zu machen , oder in den anmerkungen 
zur Germania die mitteilung gemacht wird, dasz der Rhein vom 
St. Gotthard kommt, oder Luterbaciier Liv. XXI 7 die vmeae als 
unbekannt voraussetzt, wie viel hierüber den schülem überhaupt 
mitzuteilen ist , steht in des lehrers ermessen ; auch hier wird durch 
die vorwegnähme im commentar das interesse der schüler für die 
mitteilnngen des lehrers beeinträchtigt. 

Dasz bemerkungen , die sich auf die kritik des textes beziehen, 
von einer Schulausgabe auszuschlieszen sind, wird wohl allgemein 
zugestanden; dieselbe einstimmigkeit des urteils herscht aber nicht 
betreffs der Streitfragen, wo eine versohiedene auffassung der- 
selben »teile möglich ist. wo zugleich formale sehwierigkeiten Tor- 
liegen, hat der commentar natttrlioh die nötigen, auf eine bestimmte 
erklllrung gerichteten andeutnngen zu geben ohne hinweis auf die 
mögUehkeit einer andern aufEassong oder kritik derselben, wo sich 
aber die eine oder andere auffiMSung von selbst ergibt, zu schweigen, 
eine prOfhng der Terschiedenen auffassungen in der classe ist einer- 
seits nicht uninteressant^ anderseits sehr geeignet in das tiefere Ver- 
ständnis des Schriftstellers einzuführen, ob z. b. Dem. III 19 bl6ir€p 
als ^quam ob rem' oder als 'propterea quod' aufzufassen ist, ist 
zweifelhaft: der eine schüler wird es so , der andere so Tersteheu, 
der gewissenhafte wird die gründe für beide aufiassungen prüfen 

* die richtigen grundsätse für die behandlung imsicberer Wörter 
bei Homer gibt Caner in seineai vertrag in der philologenversammluog 
zu Oiessen 1885. 



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342 Über unsere aehnlausgaben der alten classiker. 

und sieb danaeb entsebeiden. von emer ratiosigkeit aber bei der 
präparation kann bier nicbt die rede sein, und eine bemerkung im 
commeniar ist daber ttberflüssig oder vielmebr, da sie d^ eignen 
tbAtigkeit des sobfilers eintrag iüut, scbttdlicb. 

Das tiefere TerstSndnis des scbriftotellers nacb allen ricfatungen 
zu ersoblieszen , ist au%abe des unterricbts. dazu gebOrt BunSdist 
▼erstSndnis des gedankenganges. wo es sieb um den logischen 
znsammenbang der einzelnen gedanken bandelt, bin icb mit Menge 
einverstanden, dasz Mer commentar blosz da zu hilfe kommen darf, 
wo wegen scbwierigkeit der constraetion , Unklarheit der Stellung, 
absicbÜiober gedankensprünge des Verfassers der schüler weder aus 
noch ein weisz*. es gehört dies mit zum oapitel des formalen Ver- 
ständnisses, weit über dieses masz hinaus gebt aber u. a. die 
Demosthenesausgabe von Stirgel. eine erleiclitprunr;r für den schüler 
ist dies allerdings, aber meines erachtens eine nicht zolässic^e , die 
man auch dem abiturienten für seine pni timgsarbeit nicht »^-^ewähren 
darf, wenn ferner Weissenborn in Xenopbons memorabilien (ähn- 
lich wie Kocks zu Lysias) zn anfang eines jeden capiteis den inhalt 
desselben ziemlich genau angibt, so ist dies auch nicht zu billigen, 
der Zusammenhang des ganzen ist am schlusz der jedesmaligen 
lecttire durch den schüler selbst unter anleitung des lehrers zu 
finden, und von dem vpi stäudnis der teile bat man zum Verständnis 
des ganzen zu scbruiten, nicbt umgekehrt, auch dies ist ein mittel 
den verstand zu schärfen, zugleich auch sich ein urteil über die 
fUbigkeiten der schüler zu bilden, dasselbe gilt auch von den dis- 
positionen.^ wie nlltzliob gerade disponierilbungen für den soblller 
sind, wird niemand leugnen: dieses Vorteils aber beraubt man siob, 
wenn man ibm die dbposition fertig in die band gibt, wenn man 
bei der lectttre am schlusz eines absobnittes den bauptgedanken 
finden, diesen disponieren und dann scbrifüicb fixieren Iftazt, so er- 
reicbt man dasselbe ^ was jene dispositionsangaben bezwecken, nem- 
lieb dasz der sobttler wSbrend der lectttre den faden nicbt Terliert. 
will man die übersieh tlichkeit fördern , so mag man sich des oben 
erwähnten mittels bedienen, nemlich diejenigen sätze oder Satzteile, 
die den bauptgedanken enthalten ^ durch gesperrten druck kenn- 
zeichnen : es ist dies immer noch weit entfernt von der angäbe des 
dispositionsschemas. dies gilt besonders für reden und philosophische 
Schriften; für die historischen Schriften dagegen sowie für die epen 
empfiehlt es sich durch Überschriften über grttezere abschnitte den 



s für angäbe der disposition in den scbulansgaben spreehe» sieh 

u. a. aus Vollbrecht, Ziemer, v. Bamberg, niolit klar ist die Stellung' 
von F. Müller ('über commentare, priiparationeu und Übersetzungen' 
gyronas. IV 20), der ^diese art von biitsleistuug mit freuden begrüs£t% 
Dachher aber fortführt: 'es ist klar, dasz der schüler den allgemeioen 
inhalt des gelesenen selbständig finden, dasz er selbständig versuche 
im disponieren machen musz.' die iierausgeber der bibl. Qoth. sind 
geteilter ansiebt darüber. 



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über unsere schalausgaben der alten classiker. 343 

überblick zu ürieichfeern , b. Livius XXI beginn des zweiten puni- 
8cben kriegs — einleitung cap. 1 — Vorgeschichte c 2 — 5 — be- 
lagerungSaguntsc. 6 — 16 — kriegsrUbtungen der Römer und kriegs- 
erklärung c. 16 — 20 — Hauiübals zug bis zu den Alpen c. 21 — 32 
— Alpenübergang c. ;j2 — 38 — bchlacht am Ticinus c. 39 — 48 usw. 
solche Überschriften gehören aber in den text und nicht in die an- 
znerkungen ; denn darin hat Ziemer (Beihwiseh jahresb^riehte f. h^h. 
Bcbnlw. jahrg. I) recht, daaz 'das Sde, gleichmttszig wie eine wflste 
fiioli dehnende teztbild doch einige oasengleiche robepankte dem 
aoge des schttlers gewähren* soll. 

Dass die erklftrung des sobriftstellers in der schale anch nach 
der ästhetischen seite hin gepflegt werden musz, ist klar, daraas 
folgt aber noch nicht, dass der «cbttlercommentar ebenfalls daranf 
einzugehen hätte, und es ist daher ein nngerechtfertigter schlnsz, 
wenn Ziemer (jahresber. II b. 76) aus dem nichteingeben unserer 
commeiitare auf diese seite folgert, dasz 'das bedürfnis dafür unter 
den fachgenossen noch zu wenig empfunden werde*, bekannt sind 
4ie ausgaben des Sophokles von Schmelzer, wie aas dem vor* 
wort hervorgeht, für scbüler bestimmt, aber für diese geben sie 
geradezu steine statt brot: was sie aus dem commentar erfahren 
wollen , erscblieszung des sinnes, erfabren sie meistens nicht, auszer 
wo durch metaphrason der inhalt angegeben wird, dafür wird 
ihnen geboten, was ihnen vorläutig noch gleichgültig ist. doch die 
Schmelzerschen ausgaben sind wohl als Schulausgaben gar nicht 
ernst zu nehmen. Schmelzer hat den lehrem yeigfen wollen, wie sie 
die tragiker zu behandein haben, aber auch andere Schulausgaben 
sind nicht frei von derartigen bemerkuugen, und zwar nicht blosz 
ausgaben von dichtem, wie z. b. die beiden Vergilausgaben von 
ßrosin und Gcbhardi, sondern auch von prosaikern, wenn auch keine 
so reich damit versehen ist wie der Demosthenes von ßehdantz. das 
ästhetische Verständnis kann sich doch er^t erscblieszen , wenn das 
formale Verständnis da ist; da dies aber der Schiller bei seiner prä* 
paration immer nur in unvoHkommener weise besitzt, so sind aoch 
die ttsthetischen auseinandersetenngen in den anmerkungen für ihn 
noch wertlos, im gegenteil, eher geeignet, die gedankenlosigkeit der 
phrase zu befördern* es liegt hier anch femer die gefahr nahe, dasz 
der commentar in subjeetivismas gerSt und wo möglich im gegen- 
satz zn der erklftrang des lehrers steht, denn es ist leicht gesagt, 
dasz man sich von subjectiTismus frei zu halten hat: wo man bei 
einer ttsthetischen erklSrung etwas tiefer gehen will, musz man unter 
umstünden subjectiv werden, dies gilt nicht blosz von den ästhe- 
tischen urteilen , sondern auch o. a. Ton der aufdecknng etwaiger 
nebengedanken des Schriftstellers, wo man zwischen den Zeilen zu 
lesen hat. auch hier kann der schüler sich doch erst ein eignes urteil 
bilden, wenn er die stelle nach jeder andern richtung verstanden 
hat , und dies Verständnis wird ihm doch erst durch den Unterricht 
zu teil, noch viel weniger aber gehören in den commentar contro- 



344 



Über onsere Schulausgaben der alten classiker. 



Versen, sei es offene sei es Tersteckte» so enthäli s. b. gleich die 
erste anmerkung in der Sdrgelsefaen ausgäbe des DemostiieiifiB die 
anf Rehdantz gemUnste bemerknng: 'an irgend einen hintergedaakeii 
oder eine anspielnng ist hierbei nioht zu denken.* was soll der 
Schiller damit? er hat natürlich keine hintergedanken, nnd hätte er 
sie, so wäre es auch kein unglttek. 

Was endlich die heranziehnng yon parallelstellen betrifft, 
so kann dieselbe , mit masz angewandt, gute dienste leisten, ein 
zu häufiger gebrauch aber lenkt von der yorliegenden leotfire ab. 
längere partien sollten zur vergleicbung nur herangezogen werden» 
wenn sie schon früher vom schüler gelesm sind, dtate aus alten und 
neuen Schriftstellern nur dann, wenn sie allgemem bekannt sind 
oder zum raindesten doch einen nicht geringen wert besitzen, in 
den conimentar gehören diese parallelstellen eigentlich auch nicht, 
da sie nicht dem unui ittelbaren bf^dih-fni" der schOler dienen, frei- 
lich können sie hier von praktischem nutzen sein , insofern sie dem 
lehrer unter umständen die zeit des anschreibens oder lictierens er- 
sparen, aber im ganzen werden sie doch immer nur m sehr geringem 
umfange gegeben werden können , da einerseits die citate oft so be- 
kannt sind, dasz die blosze erwähnung durch den lehrer genügt, una 
sie wieder im jredächtnis der schüler zu befestigen, anderseits der 
beiauiSgeber gar nicht wissen kann, was in der schule bchon gelesen 
ist. unsere Schulausgaben beweisen oft eine beneidenswerte belesen- 
heit der herausgeber. so werden in der Aeneide Gebhardis die 
sehttler durch Homer, Tasso, Oamoens, Yeldek, Bjron und gott 
weiss wen geführt; ob sie aber dieser bunt besetzte tisch von der 
einsieht in die kunstform des Yergil nicht vielmehr ablenkt» möchte 
doch sehr zu erwägen sein» anderer art sind die parallelstellen, die 
oft zu den historischen sohriitstellem gegeben werden » woraus der 
schüler erfährt, dasz ein anderer, ihm womdglich ganz unbekannter 
autor dasselbe oder etwas anderes erzählt, eine prilfong der glaub- 
Würdigkeit des Schriftstellers gehört , wo sie überhaupt notwendig 
ist, in die Unterrichtsstunde, und nicht in die häusliche präparation. 
dasz aber auch solche ausgaben, die programmmäszig ausschliesslich 
dem 'vorläufigen' Verständnis der schüler zu hUfe kommen wollen^ 
sich auch mit solchen fragen beschäftigen, davon kann man sich 
überzeugen, wenn man den Alpenübergang Hannibals in der aus- 
gäbe von Luterbacher liest, der, abgesehen von sonstigen ver^jlr^i- 
cbungen mit der erzählung des Polybius, den bericht des Livius in 
6 capiteln siebenmal in zweifei zieht. 

Wie nun ungeföhr nach dem gesagten sich ein schiilercommentar 
ge8ta]l» n würde, will ich an zwei beispielen zu zeigen versuchen, 
ich wähle zuerst Vergil Aen. IV 219 — 237 und setze den Stand- 
punkt eines untersecundaners voraus, an realien wäre zu erkliiren 
V. 228 Graium bis vindicat armis, während v. 225 fatis datas urbes 
aus der gegebenen einleitung bekannt ist in giammalibch-lexiko- 
logischer beziehung wäre zu erklären; 221 der comparativ melioris, 



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über unsere schulauBgaben der alten classiker. 



345 



225 der absolute gebrauch von exspectat , 227 das grammatische 
Verhältnis von lalem, 229 gravidam impuriis, 232 das fehlende ob- 
ject zu accendit, 233 super, 234 die construction von invidet, 236 
prolem Ausoniam» 287 luo nostri nuntius esto, wozu noch die metriscbe 
bemerkong über spe inimica in 285 kommt: also 11 bemerktmgeii, 
während Brosin 58 bat. die bemerkimgen würden nur dem Torlän- 
figen bedarfnia zu geniigen baben, z. b. ^melioris eomparativ nieht 
wesenflicb vom poeitiv yersehieden' ; die erklSrnng des oomparatiTS 
bleibt dem Unterricht ttberlasaen. 

Die anmerkungen zn Demosth. VI 1 — 12 würden so aofiseben: 

1. btKaioOC, insofern sie die gereebtigkeit der atheniacben sacke 
hervorheben, (piXavOpoiitouc, insofern sieh in ihnen dem ^oismus 
Philipps gegenüber teilnähme für andere zeigt. 

2. TrpoTiTM^va] die mit irpö zusammengesetzten verba be- 
zeichnen oft die riohtung zum verderben. 

3. Ol 7T0piöVT€C n. inX TÖ pf)|Lia. — TOUTiüV bezieht sich zurück 
auf ^pTip Kai TTpoHeci und wird erklärt durch Ktti fpaapew (schrift- 
lich beantragen) Kai cujußouXeueiv, denn in diesen beiden punkten 
soll die tbätigkeit des rcdncrs bestehen, vor den Infinitiven erwartet 
man tüO. — oTa noiei subject zu üuc beivd (ecxiv) — tue av eiTTOire 
abh. von 7tap6CKeuac0e, nicht wesentlich verschieden von npoc t6 
elneiv. 

4. cujjßaivei = 'die folge (davon) ist'. — X€'f€lV ölKaiOTfcpa 
XL. f] 0lXl7T7IOV , vgl. XÖTOUC biKttiouc in § 1. 

5. dvTclpai n. idc X^ipac. — oux 6 aOrdc tpöttoc n, Icti = 

ist gestattet. 

6. TTapicTacBai «= 'sich aufdrängen*. — TrpocöncÖC n. TfjV 

7. tI briTioie; fragt nach dem gründe — Touc XoTiCjucuc 
eTd2^eiv Tipöc rt » etwas znm maszstab seiner berecbnungen machen. 

8. dvb€i&ic6at » ^in aussieht stellen* — Tf)V irpocoOcav dbo« 
&av Tdj TTpdTfiaTi « Ti\v t(u Tip. Ttpoc. dboEiov (hjperbaton). 

9. oi^x ^Ti^uic . • dXXd Kttt « *nicht nur nicht . . sondern so- 
gar' — KaO^ vjüuihf ixKiuMiov] Kord hier nicht im feindlichen sinne. 

10. Ik TOi^TUfv vSüv igjmv n. 0iXiincou d. h« nach dieser band- 
Inngsweise zu schlieszen. — die iT^piuc » *ganz anders*. 

11. iöcT€ «SS d<p* — Tdv XdYOV *den Vorschlag' — 
6 toi3toüv TTpOTOVOc] der plural, weil Dem* an die damals lebenden 
glieder der makedonischen dynastie denkt. 

12. iöiiji Td XuOTcXoüv hyperbaton. im (auf grundlage) 
TOic biKaioic neutrum — oub* Iv jii^v . . €€piiK€V, Tf|c hk. . . 
dq>^CTTlK€v] die beiden sStze mit ^Iv nnd bk stehen in dem Verhält- 
nis von nrsache und folge zu einander. — dip^cnf|K£ *hat ver- 
zichtet'. 

'Mager' freilich würde ein solcher commentar aussehen , aber 
das? soll er auch; jedenfalls würde er um viel mehr als die hälfte 
kürzer werden als die meisten übrigen und doch das nötige ent- 



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346 Über unsere Schulausgaben der alten claesiker. 

halten : er wttrde diejenigen hilfen geben, die ja anob die gegner der 
commentierteii au^ben dem sebttler gegeben wissen wollen, nnr 
dasz sie jetzt gedruckt vorliegen nnd so den lebrer von einer zeii- 
ranbenden , oft gar nicbt dnmal zn einem entspreehenden resultat 
fllbrenden mttbe entlasten. 

Wenn wir nns nun darauf bin unter den zablrdcben ausgaben 
der schulsebriftsteller umsehen ^ so finden wir in der bibliotheoa 
Gotbana einige, die in der tbat einen ftbnlieben Charakter tragen 
und sich auf das notwendige beschränken: es ist dies in erster linie 
der Herodot Ton Sitzler, und in zweiter linie Kerns Antigene und 
die metamorpbosen Ton Magnus, femer hat die Teubnersche buch- 
handlong neuerdings damit begoaneai im anschlusz an ihre tezt- 
ausgaben anmerknngen herauszugeben ^ die den bescheidenen titel 
'anleitung zur Vorbereitung auf (name des Schriftstellers)' führen, 
es liegen bis jetzt vor die anleitungen zu Ovids metaniorphni^en und 
zu Cornelius Nepos. diese erfüllen — ich habe allerdings nur von 
den erstem kenntnis nehmen können — im allgemeinen die forde- 
rungen, die nach dem obigen an einen schülercommentar v.u stellen 
sind, doch werden sich dieselben, wie es scheint, auf einige schrift- 
bteller der mittlem classen beschränken und so doch nicht dem be- 
stehenden bedürfnis in vollem masze abhelfen, es ist ja richtig, dasz, 
wie schon oben gesagt, nicht alle Schriftsteller einer beihilfe zur 
präpcLiation erfordern, aber bei den meisten ist eine solche nötig, 
namentlich wo die primen und secundeii nicht geteilt sind. 

Zum schlusz noch ein paar worte über die cinleitungen in 
den sebulausgaben. dasz diese dem jedesmaligen Standpunkt des 
schfllers angemessen sdn mflssen, ist zwar ^e selbstverstSiidlielie 
forderung, die aber von den ausgaben, die zugleich auch wissen- 
schaftliche zwecke verfolgen, nicht inne gehalten werden kann, die 
einleitungen nun sind zum teil litterarhistorischer art, zum teil be- 
handeln sie realien, in ersterer beziehung dflrfte eine knappe skizze 
von dem leben des Schriftstellers, ungefähr in dem umfange, wie sie 
die meisten ausgaben der bibl. Gk>th. bieten , die dann der lebrer zu 
einem bilde auszuführen hätte, nicht zu verwerfen sein, auch da, wo 
eine kenntnis von dem lebensgange des Verfassers für das Verständ- 
nis seiner Schriften nicht notwendig ist: denn dies dient dazu, bei 
dem schttler interesse zu erwecken, für die obem dessen kommt 
hinzu eine einfdhrung in die litteraturgeschicbte: denn eine bekannt- 
scbaft mit den bauptepochen derselben musz man von einem pri- 
maner verlnngen. so würde die einleitung zu Thiikydide^ rinen 
kurzen überblick über den entwicklungsgang der griechischen ge- 
schichtschreibung, die zu Demosthenes über den der attischen be- 
redsamkeit nsw. zugeben haben, natürlich nur in den hFiupfnmrissen 
und in einer form , die darauf berechnet ist, dem gedäehtnis der 
Schüler einen anhält zu geben, da die hauptsache der lebrer zu bieten 
hat. auch eine wUrdiguner der vorliegenden schrift, wenn sie sich 
frei von phrasen hält, ist nicht ohne wert, einem unmittelbaren 



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über unsere echulausgaben der alten classiker. 



347 



Verständnis über der zu lesenden Schrift dient der teil der einleitung, 
die sich auf die realien bezieht. Caesar ist nicht zu verstehen ohne 
keuntnis der militärischen Verhältnisse; die einleitung hat also alles 
dahin gehörende znsammenznfassen, was ein viel besseres bild gibt, 
als wenn man die sacbe durch anmerknngen zn den einzelnen stellen 
▼erzetielt. das verstSndnis einer politischen rede ist nnmögl ich ohne 
kenntnis der zeitverhftltnisse: hier also ist eine historische einleitung 
nOtig, und zwar darf dieselbe nicht so aUgemein gehalten sein, wie 
z. b. die von SOrgel zu Demosthenes — so viel ungefähr bringt der 
schaler schon aus dem geschichtsunterridit mit — sondern sie musz 
auch auf alle die details eingehen , die vom redner als bekannt bei 
seinen zuhttrem Torausgesetzt wurden, ein hinweis auf die einleitung 
unter dem text veranlaszt den schttler, das ereignis in seinem zu- 
sammenhange aufzufassen. Sophokles verlangt eine einleitung über 
die scenischen altertümer; die ausgaben der historischen Schrift- 
steller mttssen mit specialkarten ausgestattet sein, sehr verschieden- 
artig also werden diese einleitungen naturgemSsz ausfallen, ihre 
notwendigkeit aber dürfte nicht zu bezweifeln sein: auch die Prei- 
tagschen classikerausgaben (K. F'rhenkl) werden neuerdings damit 
ausgestattet, weniger erforderlich ist ein namenindex nm schlusz; 
nur für Ovid, wo die vielen mythologischen namen vorkommen, ist 
er von nutzen. 

Das schlup^ergebnis ist also folgendes, ausgaben, die zugleich 
den Philologen und den schülern dienen sollen, sind jedenfalls nicht 
mehr zeitgemäsz. eine schülerausgabe aber würde aho beechaflfen 
sein : zuerst einleitung, welche erstens einen kurzen abrisz vom leben 
des Schriftstellers, bzw. eine für die schüler verständliche Würdigung 
dot> Werkes sowie eine eint'ühruüg in die bctreü'eiide litleraturgattuug 
bietet und welche je nach der natur der schrift eine Zusammenfassung 
derjenigen realien gibt, ohne deren kenntnis jene nicht verstanden 
werden kann, dann folgt der text, der einerseits die von der Wissen- 
schaft gewonnenen resultate verwertet, anderseits sich Ton sab- 
jectivismus foei hfilt. druck und papier müssen guj> sein, auf die 
interpunction musz grosse Sorgfalt verwandt werden. ahsStze sind 
an passenden stellen zu machen, fttr grOszere abschnitte werden in 
gewissen schriften kurze ttherschriften gegeben, in andern die haupt- 
gedanken durch gesperrten druck gekennzeicfanei unter dem text 
befinden sich unter umständen verweise auf die einleitung, und 
eventuell — aber in bescheidenem masze — parallelstellen, auf den 
tezt folgen die anmerkungen, berechnet, dem schüler das formale 
Verständnis zu ermöglichen, die nur da einzutreten haben, wo wirk- . 
liehe Schwierigkeiten vorliegen, welche der durohschnittsschüler aus 
eigner kraft zu lösen nicht im stände ist, und die möglichst in solcher 
form zu geben sind , dasz dabei der eignen th&tigkeit des sohülers 
Spielraum gelassen ist. 



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348 Zur richtigHtellang der regel fiber die iteratiTS&tie im lat. 

ai. 

ZÜB RIGHTIGSTELLXJNO BEB BEGBL 
ÜBER DIE ITERATIVSÄTZE IM LATEINISCHEN. 



Bei der lateiniscbeii tempnslehre unterscheidet man mit recht 

die zeitstufe (gegenwart, vergangenbeit, zukunft), der eine Handlung 
angehört I und den stand (status, ponkt) der handlang selbst, al^ 
gesehen vom status des bevorstebens und eintretens einer handlung, 
der bekanntlich im lateinischen nur durch Umschreibung ausgedruckt 
werden kann, wird von allen grammatikern dem praesens, imper- 
fectum und futurum i der status der dauer (des andauerns, der ent- 
wicklung) , dem perfectum, plusquamperfectum und futurum II der 
Status des voUendetseins (abgeschlossenseins) beigelegt, ferner heiszt 
es Oberall richtig, mit dem begrille der dauer sei der begriff der 
Wiederholung verwandt j das praeseub künne daher eine m der 
gecrenwart^ das imperfectum eine in der Vergangenheit sich wieder- 
holende handlung bezeichnen. — Folgerichtig raüste man nun weiter 
sagen, das perfectum und plusquamperfectum könne seiner natur 
nach nie eine wied ei Ii olun g bezeichnen, hat es ja doch grosze 
bedenken, vou der den schülern mitgeteilten grundbedeutung der 
grammatischen begriffe abzugehen. 

Jedoch findet sich in den lateinischen grammatiken (so viel ich 
weisz; in allen) folgende regel ttberdie satsgefttge der Wieder- 
holung, die ich nach der fassnng der EUendt-Se^ertscfaen gram- 
matak anftthie: 

*Bei angäbe wiederholter bandlnngen (so oft) stehen die 
coigonctionen der zeit cum, nbi, simnlae (auch si und relative 
ausdrucke wie qnotiens, qnoennqne, nbiennqne n* a.) 

a) mit dem perfeoto indicativi, wenn im hanptsatce ein prae- 
sens steht; 

b) mit d^jn plnsquamperf. indicativi, wenn im hauptsatze ein 

imperf. steht, sobald die handlung des nebensatzes als der 
des hauptsatses voransgehend zu denkenist. wir Deutsche 
gisbranchen im ersten falle im nebensatse das praesens, im zweiten 
fidle das imperfectum.' 

Bei der regel über cum temporale kommt Ellen dt Seyflfert noch 
einmal auf diese regel zurück, es heiszt dort : M) es führt eine neben- 
bestimmung der haupthandlung ein und wird überset'/t mit ... so 
oft als (= quotiens).' dies ist auch deshnlb nnrichtig, weilquotiens 
eine bestimmte, gen a ii e Wiederholung bezeichnet. 

Ähnlich lautet, abgesehen von andern grammatiken, die regel 
bei dem capitel über die tempora des verbum bei Menge (^repetito- 
rium der lat syntax und Stilistik) und bei Meiring-Fisch. beide ge- 
brauchen in dem capitel über die conjunctionen die bekannte be- 
zeichnung *cum iterativ um', weshalb man nicht auch von einem 



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Zur richtigstelluDg der regel über die iterativsätze im lat. 349 

'si, ubi, simulatque iterativ um' spricht, die doch ebenso gebraucht 
werden, ist nicbL ersichtlich. 

Wäre man von der erwägung ausgegangen, dasz nicht die tem- 
poitt und modi der conjunctionen wegen da sind, solidem das yw- 
bSltnis das nmgekebrte ist, bfttte man ferner die grundbedeutiing 
der tempora festgehalten^ so hEtte man längst das richtige gefanden, 
der begriff der Wiederholung liegt eben nieht in dem perfectum^ be- 
zflglich dem plusquamperfectum oder gar in dem enm, si, ubi, simul- 
atque usw. des nebensatses, sondern in dem praesens, bsw. im- 
perf ectum des h a u p t satses. 

Die zum belege der regel in manchen grammatiken angeführten 
Sätze: 'eum ad villam v^ni, hoc ipsum nihil agere me delectat*; 
'Yerres cum rosam viderat, tum Ter incipere arbitrabatur' ergeben 
bei genauer Übersetsung folgende deutsche sätze: 'dann, wann ich 
SU meinem landhause gekommen bin, pflegt mich gerade dies 
nichtsthan (freisein Ton staatsgeschäften) zu ergötzen , oder ergötzt 
mich jedesmal gerade dies nichtsthun'; Mann, wann Verres eine 
rose gesehen hatte, pflegte er zu glauben, der frtthling beginne, 
oder glaubte er jedesmal, der frühlin!^: beginne'. 

Es ist überfiüsf^ig , noch andere sUtze beizubrins^en. aus allen 
derartigen Sätzen wird sich ungefähr folgende regel abstrahieren 
lassen: 

'In den iterativen Satzgefügen (satzgetugen der Wiederholung), 
eingeleitet im deutschen durch «so oft», im lateinischen durch cum, 
si, ubi, simulatque und durch relativische ausdrücke wie quotiens, 
quocunque, ubicunque , legt die lateinische spräche den begriff 
dur Wiederholung m den liauptsatz und gebraucht für die gegen- 
wart das praesens, für die Vergangenheit das imperfectum; das 
tempus des nebensatzes drückt das zeitverhältnis der handlung 
desselben zu der des hauptsatzes aus; geht sie derselben voraus, so 
steht bei dem praesens des hauptsatzes im nebensatze der indic. 
perfecti, beim imperfectum im hauptsatze im nebensatze der indic 
(selten coni.) plusquamperfecti/ 

Übrigens hat diese regel mutatis mutandis auch anwendung auf 
faturische sKtse; im hauptsatse steht das futurum I, im neben- 
satze das futurum II. jedoch tritt bei dem ungewissen Charakter 
des zukünftigen der begriff der Wiederholung weniger scharf hervor. 

Zum schlösse möge noch darauf hingewiesen werden, dasz im 
griechischen die sache ganz ähnlich ist. der begriff der Wieder- 
holung liegt auch dort im praesens (aor. gnom.) und imperfectum 
des hauptsatzes. jedoch wird einerseits in itwativsätzen der gegen- 
wart der begriff der Wiederholung bereits im nebensatze durch die 
Partikel dv («= eintretenden falls) angedeutet, anderseits findet sich 
statt des imperf. im hauptsatze, wenn auch selten^ der aorist, aller- 
dings meist mit 6tv verbunden. 

MÜNSTJE2AEIFBL. H. ÜAaELÜKBN. 



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350 Ein xfttselhaltes wort und eine misTentandene stelle bei Moli^ 



82. 

EIN RÄTSELHAFTES WORT (9AM0N) 
UND EINE MIS VERSTANDENE STELLE IN DEM 
BOURGEOIS GENTILEOMME. 



^Qämon'f sagt in dem ^bougeois gentilhomme' (III 3) fraa 
Jordan zu ihrem mann^ '^amon Traiment! il j a fort ä gagner 4 
fr6qaenter tos nobles'; und ebenso: '9amo]i ma foi, aprös ce que 
je me suis fait', das dienstmftdchen zu ihrem herm im *malade 

imaginaire' (I 2). 

'On ne trouve nulle part indiqu6s', bemerkt G^nin (lexique de 
Mo]i»^re p. 47), 4e sens precis ni rorigine de cette ezpresfiion*' er 
nennt sie ^une sorte d'exclaraation attirmative'. 

Petitot (MoliOre-ausgabe von 1831 V 332) schreibt '^a naon', 
und meint, ra sei eine corruption von c'est. ebenso schon früher 
Furetidre, und kürzlich wieder Desfeuilles in der besten und neuesten 
groszen Moliöre-ausgabe , wie Vapereau in seinem 'bourgeois gentil- 
homme' (beide bei Hachette). sie verweisen auf eine stelle in Cor- 
neilles \nilerie du Palais^ IV 2; 'ardez, vraiment, c'est mon, on 
vous 1 eüdurera.' 

Wenn man statt der corruption des c'est in 9a eine elision 
von est annimmt: 9a cela (est) , liesze sich dagegen nichts ein^ 
wenden* aber mon? ia den ^oeuvres oompldtes de P. GomeiUe et 
oeaYres choisies de T. Corneille' (Didot 1837 I s. 112) heiszt es zu 
obiger stelle ganz kurz: est mon Tonlait diie: Vest bien &moi', 
wfthrend Faretidre, Desfeuilles, Vapereau u. a. *ms^ erg&nzen. 

Anders 66nin. er erklttrt 9a ans ce a, unabhängig Yon obigem 
c'est, ohne elision, und hat dabei filtere teste fttr sich: 
si Ton disoit, en ojant un sermon. 
il a bien dit, je r^pondroia: ce a mon! 
ce il a, nemlich fait il a bien dit (miroir de Pftme p6che> 
resse von der reine de Navarre). 

Ebenso mit der Verneinung : 

or, n'i a fors que del bucbier 
nos voisins. — certes, ce n'a monl 
=» il n'y a que d'appeler nos voisins. — certes, il n*y a que ce (a 
faire), ce, c'est- a-dire, appeler nos voisins (de sire Hains et de dame 
Anieuse, Barbaran III 4ö). 

Hier ist keine elision von est, keine hinzufügung von avis 
denkbar. 

Wie aber erklört Gecin das mouV als eme zurückverwand- 
lung des lateinischen num lu sein ursprüngliches griechisches flÜJV 
= est-ce que? n'est-ce pasV pas vrai? er zieht Montaignes essais 
II 12 herbei: S^avoir, mon si Ptol6m6e s'y est aussy trompe 
aultre foys = Savoir, n'est-ce pas, si V. . .? und ebenso: je repon- 
drais: il a bien prdch^, pas vrai? — il y a tant ä gagner avec votre 



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Ein rfttfielbaftos wart and eine misTetitandene stelle bei Moli^re. 351 

noblease, n'eeirce pae? — j'en suIb d'aTis, n'est-oe pas? aprds ce que 
je me suis fait! nach Moland (erste grosze Molidre'ausgabe) gab 
man 1864 allgemein G^nin recht; Desfeuilles aber nnd Vaperean 
sind beide za der fr Oberen erklttmng zurttckgekehrt; imd so nannte 
dann wieder Fritsche in seiner ausgäbe des ^bourgeois gentilhomme' 
jenes 9amon eine familiftre beteuemng von nicht aufgeklttrtem Ur- 
sprung. 

Gegen G^nins erklärung von 9a ans ce a iSszt sich nichts ein- 
wenden; sie ist ein&ch und natürlich, aber das unglückliche mon! 
mkh erinnert es an etwas ganz gleichartiges im englischen und 
deutschen, in Wagners 'fliegendem Holländer' heiszt es 
rn 1: 'mein? seht doch an! sie tanzen gar!' in den 'me ister - 
singern von Nürnberg' act T: 'mein sagt! was treibt ibr hier 
für possen?' — und act II: 'ein juiikerV mein sagt! — und ward 
er gefreit?' und später: 'mein hört nur, wie der esel schreit.* 
act III: 'mein! was ist das? ist er von sinnen? — mein! was soll 
das? jetzt wirds immer bunter.'^ 

Diesem selben 'mein* bin ich schon oft in den 'fliegenden 
blättern' begegnet, so in der verbind unL,^ : ^0 du mein!' 'ach mein!* 
es scheint besonders in Süddeutschlaud zu haose zu sein, offenbar 
ißt es fcinu Verkürzung von 'mein gott!* 

Wöhrcnd man sonst den mit gottes (und des ieufulä) namen ge- 
triebenen misbrauch durch Verdrehungen zu verdecken sucht, be- 
sinnt man sich hier noch zur rechten zeit und hSlt plötzlich inne. 

Im englischen &nd ich neulich in derselben weise: *oh my? 
what a tremendons dog that is, to be eure (Marion Orawford, tale 
of a lonalj Parish di. IV, Tauehnitz, 1886, 1 s. 93). 

Wie in dem ftrgerUchem ansruf *tredame* (« notre d.) der an- 
fong, fällt hier das ende des fluches wog. 

Die ergSnzung yon dieu hat noch den vorteil, dasz sie auch zu 
allen andern Verbindungen mit mon passt, so zu den vom alten 
grammatiker Oudin angeführten ^ce £fty mon , ce faudra mon', die, 
wie er bemerkt, insgesamt nur noch von fischweibem gebraucht 
wurden. Molidre legt sein mon einem dienstmttdchen nnd der ttrger» 
liehen btlrgersfrau in den mund** 

£ine andere stelle aus dem *bourgeoiB gentilhomme' haben alle 
erklärer mis verstanden, der musiklehrer will dem Jourdain etwas 
vorsingen lassen : 'je vous Tai d6j4 dit', fügt er hinzu, 'c'est un petit 



^ siebe die stellen in Wagners scbriften Se aufläge 1887 l 28S. 

VII 166. 202. 223. 264. 266. 

* atis der letzten nummer von Herrigs archiv sehe ich, dasz schon 
HaasQ (sj^ntax des 17q jahrb.) 9amon ebenso eriiiärte. die dort ge- 
machte elnwendung, es tnÜBte statt mon die snbstatitivisohe form stehen, 
ist hinfällig; auch im deutschen and englischen steht 'mein' tmd 'mj', 
weil ein subst. zu ergänzen ist; Diez/ erklärnng aus monde, die ich 
bei dieser gelegenheit erst kennen lerne, gefällt mir weniger. 



352 Ein xfttoelliaftes wort und eine misTentandene Btolle bei Moli^, 

essai que j'ai Mi autrefois des divenes passions que peut exprimer 
la musiqae.' nun sprach er kurz vorher von einer arie, die er gerade 
Yon einem anwesenden sehüler componieren liess, und die erUttrer 
sehen diese arie und jenen essai als eins and dasselbe an. daher ein 
widersprach, denn den assai hatte er ja schon lange Torher selbst 
componiert; nnd, um ihn za lösen, kam man aiS einen seltsamen 
einfall: 'comme l'air est nouveau', sagt Auger, 'puisqne Tölöya 
vient de le composer 4 Tinstaut möme , le maitre vent assor^nmt 
parier ici des paroles.' ebenso die übrigen erklftrer. von einem 
musiker aber erwartet man musik; sind die worte und nur diese von 
ihm, so muste er dies deutlich aussprechen, er hebt aber umgekehrt 
noch die musikalische seite seiner thätigknit hervor: 'essai que j'ai 
fait des diverses passions que peut exprimer la musique.' der 
Widerspruch scheint unlösbar. 

Er ist aber gar nicht vorhanden, die arie ( air ) wird gleich an- 
fangs von dem essai als emem diaiogue unterschieden, der tanz- 
lehrer wünscht sie kennen zu lernen; da antwortet ihm der musicus 
(I 1): Wous l'allez entendre avec le diaiogue . . dieser ist 
nichts neues; der College hatte schon davon gehört; von diesem 
redet auch JourdaiQ (I 2) als einer drölerie, prologue et diaiogue, 
und später affaire. ihn, den diaiogue wünscht Jourdain zu huren, und 
gerade im gegensatz zu ihm redet dann der musiker wieder von der 
arie: *je voudrais bien anparavant vous £ure entendre un air 
qu il (l'eldve) yient de composer pour la 86r6nade qae vons m'avez 
demand^e.' spftter erst, am sehlosz der soene, kommt seine arbeit, 
der essai, sowie die des tSnzers: *voalez-vouB yoir nos deux affaires?' 
mit dem snsats, er habe darin zn zeigen versucht, welche leiden- 
schaften die musik auszusprechen vermag. 

Zum ttberflusz sagt noch das libretto oder livre (livret) des 
Intermödes: une masicienne est pri6e de chanter l'air qu'a com- 
po86 l'61dve, laquelle chante les paroles qni suivent: ^je lan* 
guis . . aprds avoir fait chanter oet air au Bourgeois, on lui 
£ut entendre dans un diaiogue, un petit essai 

Die vom schüler componierte arie, sie zählt nur vier seilen, 
nimmt beim lesen zu wenig zeit in anspruchj sie ward von den er- 
kl&rern übersehen. 

BlEL£F£JUD. C* HmiBBET. 



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ZWEITE AßTEILUNG 
FOB eYMNASIALPÄDAGOälK UND DIE OBRie£N 

HIT ADMCBLU8B DIB OLAtSIBOHKB PHILOLOOIB 

HE&AUSGEGBBEN VON PROF. DR. HbRMANN MaSIUS. 



(22.) 

DIE ALTEN SPRACHExN IN DER PÄDAGOGIK HEEBARTS. 

(fortsetzung.) 

Worin bestellt nun das notwendigste? gewis nicht in einer 
pünktlichen grammatisdien anslyse; 'für den anfang sollten blosz 
die sichersten haaptkennzeichen der flezion gelehrt, und vielmehr in 
unermüdeter Wiederholung gezeigt, als durch dringende fragen vom 
kinde wiedergefordert wenlen' (I 346). jeder versueh die alten spra- 
chen ohne grammatik , ex usu , wie eine moderne lemen zu lassen, 
mnas infolge der psychologischen Schwierigkeiten, welcbe sie im 
jugendlichen gemüte verursachen, mislingen (vgl. auch II 128). 
'der alten spmche müssen erst grfim raatische Stützpunkte gegeben 
werden, baiiptsächlich ilexionszeichen, pronomina und partikeln. nur 
wolle man nicht gleich anfangs die grammatik selbst in masse an- 
rücken lassen , als ob sie keiner Stützpunkte bedürfte, langer ge- 
brauch des nötigsten musz vorangehen, am schlechtesten aber wäre 
anfangs ein cursorisches lesen ohne befestigung' (II 571).'^ daher 
läszt denn Herbart neben dem lesen der Odyssee stets grammatische 
und lexikalische arbeit hergehen (II 638). gar sehr warnt er vor 
der 'unnützen Umständlichkeit und Schwerfälligkeit, die schon durch 
die langeweile, die sie erzeugt, aiuh das leichteste misraten macht, 
dies gilt am meisten vom Unterricht jüngerer kinder und von den 
erälen anfängen b. des griechisch le^ens' (II 555). 

Über die Schwierigkeiten, welche gerade die sjntax den knaben 
bereitet, ist schon oben gesprochen worden, auch fttr die sj^ntakti- 

^ ^ine bedingnng gibt es aber für Herbart, unteir welcher auch 
dieses gnten erfolg verspricht , nemlieh 'lebhaftes isteresse fttr den in« 

halt' (H 571 f.). 

N. Jahrb. f. phU. u. päd. IL abt. 1890 hft. 7. 23 



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354 



Die alten sprachen in der p&dagogik Herbarie. 



sehen Übungen verlangt Herbart einen combinatoriselieii blick 

(I 442) : 'der combinatoriBCbe blick — überhaupt ein unschätzbares 
talent in allen fällen, wo vielerlei zugleich bedacht sein will — 
kommt dem Unterricht noch besonders zu statten bei syntaktischen 
sprachUbungen.' über syntaktische Übungen am Homer bandelt 
wieder aasfährlicher Dissen I 580 ('natürliches aufsteigen Tom ein- 
fachsten zu schwierigeren Satzgefügen'), noch mehr ins einzelne 
führt Fr. Thiersch (bei Willmann I 504 — »596) die angegebene 
weise Herbarts aus bei der besprechung der für die Herodotlectüre 
nötigen grammatischen Vorbereitungen; diese schrift ist ebenfalls 
auf anregung Herbarts entstanden und der Dissenschen als erste bei- 
läge angefügt (bei Willmann I 592—598).* 

Auch über das auswendiglernen der vocabeln hat biihHerbart 
mehrfach geäuszert; er legt ihm sogar eine so groszo Wichtigkeit 
bei, dasz er die frage aufwirft, ob man wohlthue kinder, welche sehr 
schwer vocabeln lernen, zum sti.tlium zu bestimmen (II 156 f.). das 
vocab ellern bii gehört ebeuiulib zum synthetischen untei rieht; für das- 
selbe gelten also die gleichen hilfen wie für die grammatik (I 421) : 
^vorsagen» nachsprechen, wiederholen, beispiele und sjrmbole aller 
gattung.' aueh Uber diesen punkt spricht Dissen ansfflhrlicher 
(1 584) und rBt erst die Stammwörter eines bnches der Odyssee anf- 
znsaehen und auswendig lernen zu lassen ^ dann wtbrden die abge- 
leiteten Wörter viel besser gemerkt, dazu sagt Herbart in einer an* 
merkung, dasz man besonders gleieh zu an&ng die partikeln und 
pronomina lernen lassen solle, weil sie vorzugsweise das auffinden 
der eonstruetion erleiekterten. eine weitere anmerkung Herbarts zu 
dieser frage rät die gute laune der kinder zu schonen (I 584 anm, 3): 
*an vocabeln und grammatik haftet in dieser hinsieht so manche Ver- 
sündigung gegen die jugend — gleichwohl ist beides beim Sprach- 
unterricht 80 unentbehrlich, dasz der lehrer das einfache mittel, mit 
aller geduld recht oft das nemliche vorzusagen, gewis nicht ver- 
schmähen darf, besonders im anfange; späterhin ist einige strenge 
im abfragen der vocabeln wohl angebracht.' Über das vocabellernen 
in der Odyssee handelt auch noch eine stelle des umrisses § 283 
(II 638). 'die ersten anfange in der Odyssee sind auf wenig verse 
in der stunde zu beschränken (mit Carl v. Steiger las Herbart nur 
drei verse in der ersten stunde ^^'), und in den ersten monaten ist 
kein strenges memorieren der vocabeln zu fordern, dagegen wird 
späterhin gerade das vocabellernen die notwendigste, vom schüler 
streng zu iordernde nebenarbeit. ein beträchtlicher teil des Sprach- 
schatzes wird dadurch gewonnen^ hierdurch erhalten die sprach- 



39 die zweite, für uns nicht in Letracht kommende beilage iat die 
schrift von Kohlranseh *fiber den gebrauch des alten testamenta für den 
jogendunterricht*. 

demnach musz auch diese art der Icctüre im anfange mehr plage 
bereitet, als intoresse geweckt haben, man denke sich nur eine ganse 
fitande auf die drei ersten Odyssee verse verwendet t 



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Die alten sprachen in der pädagogik Uerbarts. 355 



formen den gegenständ, auf den 8ie sieh beziehen nnd dnroh den sie 
wichtig werden, der lehrer muez sehr genan zu treffen wissen, wann 
es zat sei za eilen, wann dagegen wieder anzuhalten; denn jeder 
fühlbare Zuwachs an fertigkeit pflegt die sohfller zu einiger nach- 
iSssigkeit zu Terleiten , die sogleich mnsz aufgehoben werden.' 

Mit einer grammatisöhen vorbereitang iJso, wie sie in den zahl« 
reich angeführten stellen nSher beschrieben worden ist^ soll man 
an die lectüre der Odyssee herantreten nnd an derselben das ge- 
wonnene befestigen nnd erweitern. 

Welche ergebnisse HerbaH selbst in dem Privatunterricht er- 
zielt hat, den er den Steigerschen söhnen erteilte, das kttnden uns 
vor allem die an hm. y. Steiger gerichteten referate an. nach unge- 
iUhr fünf monaten — denn der erste uns erhaltene bericht ist vom 
4 november 1797 datiert — hatte er mit Carl und Rudolf die 444 
verse des ersten bucbes und 300 vom zweiten gelesen (I 12). etwas 
später entzog er dem Homer die tägliche stunde, weil er zu viel zeit 
raube, und verlegte die stunden auf den nachmittag (I 32); dann 
nach ungefähr jähren kann er von Rudi raschen fortgang der 
Homerlectüre vermeiden (I 39). nach einem jähre waren lö bücber 
gelesen (I 53). schlieszlich hatte Carl, der intelligenteste von den 
drei brtidern, es zu der fertigkeit gebracht, dorch 145 verse in 
stunden zu ^fliegen' (I 62). so konnte Herbai t denn, auf seine 
eriuhrung gestützt, mit gutem rechte behaupten, dasz die lesung der 
Odyssee IV2 jähre dauere (I 346). im ULurisz § 283 (II 638) be- 
miszt er den Zeitraum auf ungefähr 2 jähre, «will man die ganze 
Odyssee lesen *\ welches mit guten schülern füglich geschehen kann» 
weil die ^tigkeit gegen das endo ^hr schnell snninunt, so mosz 
die zeit doch nicht viel Uber 2 jähre ausgedehnt werden; sonst ent- 
steht teils ermttdung, teils anderweitige Tersttnnmis.' Übrigens darf 
man gewis annehmen, dass Herhart auch hier die längere stelle des 
achten buches (von v. 266—309) von der lectttre aasgeschlossen 
wissen will, in der allgemeinen pädagogik (I 430) whrd es Ycr- 
längt (*tther eanselne ausdrücke schlttpft man leisen faszes hinweg*). 

Alle diese angaben Herbarts aber beziehen sich , wie er selbst 
hervorhebt, nur auf den Privatunterricht (I 346 f.). *wa8 auf schalen 
gethan werden könne, darüber entscheide ich nichts; nur wäre ich 
im fall , dann würde ich mit gutem mut mich versuchen ; und mit 
der festen Überzeugung,' bei fehlendem erfolg werde das übel nie 
gröszer sein, als beim gewöhnlichen treiben lateinischer grammatik 
und römischer Schriftsteller.' über die Homerlectüre in öffentlichen 
schulen ISszt sich Herbarl im umrisz § 283 (II 63-^) folgendermaszen 
aus: ^luf f-'cbulen wird man wohl thun die ersten vier gesänge einer 
classe zuzuteilen, um alsdann in der nächstfolgenden classe beim 
fUnften gesange anzufangen, wie viel gesänge jede classe durch- 



diese fordernng stellt Herbart aasdrückUeh in der allgemeiaen 

Pädagogik (I 430). 

23* 



356 Die alteir sprachen in der padagogik Herbarts. 



arbeiten kdnnef bedarf keiner genauen bestimmung, da man das 
fehlende dnreh die Yossische Abmetanng an ergfinzen im stände ist 
der grund jener abteilang wird sogleich einienohten, wenn man die 
Odyssee genauer ansieht, einige gesSiige kdonen geflbtere aohfller 
spSterbin fOr sich lesen; so jedoch, daas sie proben dayon absniegen 
haben.' eine bemerknng der ersten ausgäbe, des Inhalts, dasz es 
nicht nötig sei, das ganze werk durchzuarbeiten, da sich verscbiedeDC 
arten der abkttrznng von selbst darböten, ist in der zweiten ge- 
strichen worden; also wttnschte Herbart auch für die schnlen das 
lesen der ganzen Odyssee. 

Die lectüre soll möglichst bald in gäng kommen , auch darum 
will Herbart nicht, dasz man ^dic seltenem eigenheiten der Homeri- 
schen spräche' gleich zu anfang ^weitläuftig' erkläre (II 638). da 
die construction bei Homer äuszerst einfach und leicht ist (I 429), 
und er überhaupt knaben nicht so viel mühe machen kann (I 79), 
so ist auch mn schnelles vorwärtskommen möglich. 

Was endlich die Stundenzahl betrifft, welche Herbart für diesen 
betrieb der Homerlectüre beanspruchen zu müssen glaubt, so hält 
er an einer stunde täglich fest (T 81). 'nach den erfahrungen, die 
ich vor einigen jähren bei dem versuche einer frühen lectüre des 
Homer gemacht habe, wird dazu ungefähr täglich eine stunde er- 
fordert.' diese standen dürfen höchstens dann auf vier stunden be- 
schrKnkt werden f wenn die zwei Übrigen einer verwandten neben- 
beschttitignng, etwa der filtesten griechischen geschichte, gewidmet 
würden; *doch mfiste eine soldie beschiinknng nicht lange dauern 
oder nii^t genau genommen werden** im umrisz (II 638) heiazt es: 
*die OdjBsee erfordert tl&glich eine lehrstnnde/ 

8<^eszlidi mag nodi erwähnt werden, dasz Herbart dayor 
warnt, 'den reiz des wunderbaren' im Homerischen epos dnrch 'di« 
nebenwirkung arabischer mlirchen nnd ähnlicher erzkhlangen' ab- 
zustumpfen (U 639). 

Wie ich bereits erwähnt habe, finden sich alle diese winke 
Herbarts in der Dissenschen Schrift verwertet und teilweise ausfuhr* 
lieber dargestellt, auf eine genauere Inhaltsangabe musz ich ver- 
zichten ; es soll nur in aller kfirze der gang der Dissenschen dar- 
legung geschildert werden. 

Zuerst behandelt Dissen die grammatischen Vorbereitungen, 
spricht von den Variationen, mit denen zu beginnen sei, sodaun 
auch von den syntaktischen Übungen, bei den historischen Vor- 
bereitungen soll zunächst etwas geoc^raphie knapp und vor allem 
anschaulich geboten werden, dann erzähle man die anfinge des 
gi'iechischen Volkslebens bis zum Argonautenzuge und dorn trojani- 
schen kriege, und führe in die götterweit ein. auch mit der aus- 

** dieser empfehlung der privatlectüre widerspricht nicht II 573. 
letztere stelle bezieht sich gnnz ,ill<2:emein auf soK ho privatlectüre, die 
nicht in so engem zasammenhange mit der schuUectüre steht, wie die 
Odyssee. 



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Die alten spxaolien in der pftdagogik Herbarte» 



357 



drucks weise der alten im Umgänge sollen die knaben bekannt ge- 
macht werden, diese Vorbereitungen sollen 3 — 4 woclien dauern, 
dann beginnt die iectüre mit vortihersetzen seitens des lehrers, 
genauer sacberklärung, analytiscben und synthetischen grammati- 
scben Übungen, die hauptsache ist aber die bildung der teilnähme 
am menseben durcb die Odyssee und zwar der teilnähme an den 
einzelnen (erforschung der Charaktere, bildung des geschmackes) 
und an der gesellschaft (königtum). zum Schlüsse spricht Dissen 
noch über die sich an Homer anäuhlieszenden griechischen und latei- 
nischen schriftsteiler. 

Wir wenden uns nunmehr zu HerbarLs beuiteilüßg der liiaö 
als hilfsmittel des erziehenden Unterrichts. 

Die Hias tritt bei ihm wesentlich hinter der Odyssee zurück, 
jedodi widersprielit er flieh audi in diesem punkte, indem er in der 
pnuds aufgenommen hat, was er in der theorie verwarf, bis später- 
hin der niae ein ganz bestimmter plats in dem lehrplan angewiesen 
wurde« an vielen stellen betont Herbart, dasz die Blas sich nicht 
wie die Odyssee für den erziehenden nnterricht eigne (1 291 anm.) i 
*Tiele gründe geben der Odyssee vor der Uias den vorzng/ es han- 
delt sich lediglich um die Odyssee, aber dnrchans nicht um die 
Hias, wenn Herbart das Homerische epos an den unterriehisanfang 
stellen will (H 637). das rohe der Ilias hebt er an zwei stellen be- 
sonders hervor, nemlich I 430, wo er meint, dasz man nicht füglich 
die rohere Ilias lesen sollte, und in einer anmerkung zu Dissens 
Schrift (I 582 anm. 2). Dissen redet hier davon, dasz man die kna- 
ben anch mit der art bekannt machen solle , wie man sich im alter- 
tnme ausdrücke ; und setzt fast schüchtern hinzu : 'es liesze sich da 
vielleicht einiges aus der Ilias auswählen und vorlesen.' dazu be- 
merkt aber Herbart: 'hierin sei man jedoch nicht freigebig; die Ilias 
enthält viel rohes, was die kindliche einbildungskraft nicht berühren 
darf; namentlich in der götterweit, iriite diese nicht in der Odyssee 
so sehr zurück, so müste um dieses einzigen nmstandes willen der 
plan aufgegeben werden, die Ilias noch nach der Odyssee zu lesen, 
wozu sich wohl eine Versuchung ipüren liiszt, weil nun dem knabeu 
und dem lehrer der Homer leicht geworden ist: dies kann im allge- 
meinen aus pädagogischen gründen auf keine weise gerechtfertigt 
werden, man soll nicht in der Homerischen weit stecken bleiben, 
sondern fortschreiten.' 

So urteilte Herbart in der theorie; er selbbL aber hatte die Ilias- 
lectüre für Bndolf v. Steiger geplant, ^bei diesem bedarf es für den 
Unterricht etwas, das interesse, gewicht, Zusammenhang und manig- 
ialtigkeit vereinigt, um die aufmerksamkeit zu halten und zu üben 
und der belehmng vielf«^ yerSnderte gestalten zu leihen; die 



*^ für flen beginn mit der Odyssee tritt unter andern ancli ICern 
ein (gruudriäz s. 279). dagegen hat sich z. b. Eckstein mit vielen 
grttnden erklärt (grlecb. u. lat» usterr. s. 378). 



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358 



Die alten sprachen ia der pädagogik HerLarta. 



Schwierigkeiten dürfen nicht zu grosz und zu neu, der gegenständ 
darf unseru bisherigen und künftigen arbeiten nicht fremd sein, 
schon diese rücksichten erinnern an die Iliade' (I 59 f.). und that> 
sächlich las sie Rudolf auch (I 70). 

Dasz mau im spätem verliufL' des griechischen Unterrichts zur 
Iliaa gtlaugen solle, diese lordtrang stellt Herbart erst im umrisz 
auf § 283 f. (II 638 f.). 'man kehrt ohnehin später zum Honaer 
zur Ilias) zurück«' dem Jünglingsalter ist eine rückkehr zum Homer 
zur Ilias) ebenso wenig za erlassen (schon der mythologie wegen); 
als die rückkehr zur alten geschicbte in pragmatischer hinsieht, dem 
entsprach auch der brauch im EUnigsberger pädagogium , wo dem 
Ton Willmann (II 5) wiedergegebenen berichte zufolge die Ilias vor 
Piatos republik und Ciceros de officiis gelesen wurde. 

Selbstverstftndlich darf aber bei Homer nicht stehen geblieben 
werden, unter der Odyssee darf nur der ^anfangspunkt eines weiter 
fortzusetzenden geschäfts verstanden werden', sagt Herbart in der 
yorrede zu Dissen (I 577). 'alles werden wir dem Homer nicht an« 
vertrauen', heiszt es in der allgemeinen pädagogik I 428 (vgl. auch 
I 682 anm.). 

Demjenigen griechischen Schriftsteller nun, der sich am geeignet- 
sten an Homer anschlieszt, findet Herbart in Herodot. auch sein 
werk ist für den Unterricht mit knaben ungemein wertvoll; denn 
auch er zeigt entfernte menschen deutlich in ihrer lobensart und ge- 
sinnuDg, wie Homer (I 54). auszerdem wird diese Icoiüre durch 
den vorausgegangenen Homer augenscheinlich erleichtert (II 639). 
Dissen läszt ebenso den Herodot auf Homer folgen und hebt als be- 
sondern fort liiitt, der durch die Herodotlectüre gemacht werde, 
hervor, dasz die knaben durch sie die geschichte vonnationen, 
nicht nur von einzelnen personen kennen lernen (I 590 f.). einen 
eingehenden plan für das lesen des Herodot hat, wie bereits erwähnt, 
Fr. Thiersch entworfen: 'bemerkungen über die lectiire des Herodot 
nach der des Homer' (bei Willmann I 592—598). er legt auch ein- 
gehender dar, worin der vorteil bestehe den Herodot sofort an die 
Odyssee anEUSchIieszen(1 593). da sich aber bei Herodot die spräche, 
die schaubtthne, die -Völker und die teilnähme yerwandelt zeigt, so 
ist eine darauf bezügliche vierfache Vorbereitung nötig (s. 594). am 
ausführlichsten wird der grammatisch>6jntaktische teil behandelt« 
die geographische Vorbereitung soll namentlich auf dieoolonienrQck» 
sieht nehmen, und endlich soll das leben der Griechen und barbaren, 
auch die veränderte religiöse anschauung besprochen werden, in 
einer schluszanmerkung zu dieser kurzen schrift sagt Herbart, dasz 
man ohne zweifei ein 'näheres eintreten auf den Inhalt des Werkes 
von Herodot vermisse , eine pädagogische Charakteristik' desselben, 
ganz in kürze weist er selbst darauf hin , dasz durch dasselbe vor- 
züglich das empirische interesse und die teilnähme mit ihren Unter- 
arten angeregt werde, ferner erleichtere es die menge der episoden 
'den unterrichtsplan nach den individuen zu modificieren' (natürlich 



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Die alten epracben in der pädagogik Hcrbarts. 359 

ist au<jh hier nur vom Privatunterricht die rede), der lehrer soll imdi 
fähigkeiten und neigungen des zöglings — selbstverständlich vor 
beginn des Unterrichts und auf grund genügender kenntnis des ge< 
«amtinhalts — bestimmen, was gelesen werden soll. Herbart gibt 
nnn selbst einige anslassongen an und sehlieezt mit den werten: 
*man kann auch f&glicb ganz von vom anfangen , nnr aber mit Tor- 
sicbtiger berQhrdng und flbergehung solcher gegenstände, welche 
die Phantasie niobt reisen dttrfen. aus dem zweiten buche und dem 
•anfange des dritten ist wohl am besten in mündlicher erzfthlung das 
interessanteste mitsuteilen.' ttbrigens erU&rt Herbart in seiner Vor- 
bemerkung (I 592), dasz, wenn erst die erfahrung gesprochen hat, 
•ohne zweifei manches näher modificiert werden müsse, während er 
-sich bezüglich der Homerlectüre auf eigne und fremde erfahrung 
stützen könne, so habe er in hinsieht der hier Terhandelten gegen- 
stände (das geht vor allem auf die vorachlftge Ton Eohlrausch) nur 
insoweit ein zuTersichtliches urteil, *dasz man versuchen müsse, und 
zwar so lange und mit so vielen abänderungen versuchen , bis der 
erfolg den gfründen entspricht, aus denen die notwendigkeit des ver« 
«uchens klar wurde.' 

Schlieszlich sollen noch zwei aussprüche berücksichtigt werden, 
in welchen Herbart dem geBclucbtslelirer winke hinsichtlich der ver- 
Wertung des Herodotischen werkes erteilt. II 614: 'man übe sich 
an erzähluugen des Herodot. man musz sie ganz eigentlich memo- 
rieren, in möglichst treuer, nur flieszender Übersetzung, die Wirkung 
auf kinder ist überraschend.' II 617 rät er, die persische geschichte 
*ungeföhr in dem zusammenbange, wie sie bei Herodot erscheint, zu 
■erzählen'. 

Die rcihenfolge der griechischen Schriftsteller, 
welche sich an Herodot anschlieszen sollen, wird nun TOn Herbart 
flieht mehr so genau vorgezeichnet, er gibt mehrfiich aus?rahlen der 
xn lesenden classiker; sie sollen hier ihre stelle finden. 

Zunächst erfahren wir aus den Steigerberiehten und aus briefen, 
•dasz Herbarts zögling Carl noch Plutaroh, Xenophon (I 64), Plate 
(I 65. 70) und Sophokles (I 61) gelesen bai^' dasz die lectOre eines 
Sophodes und Plato nads dem Homer von grossem vorteil fUr den 
erziehenden Unterricht, fOr die ausbildung der 'praktischen sittlichen 
ideen' ist, liest man aus einer stelle der allgemeinen pädagogik 
(I 521) heraus. Herbart weist da im besondern auf die verschiedene 
Charakterisierung des Odysseus im Philoctet des Sophocles und in 
der Odyssee hin, die obige reihe wird erweitert — für den grie« 
chischen, nicht für den religionsunterricht — durch das neue 
testament im vierten Steigerbericht (I 55). wunderbar mutet 

** dieselben autoren huden wir auch I 43. II 48 anm. II 156 genannt, 
in der schrift 'zur lehre von der freiheit des menschlichen willens' 
^ Willmann gibt die stelle hier (I 632 anm. 127) wieder führt Herbart 
eingehend au^, in wie hohem masze bei Sophoeles 'das poetische zu- 
gleich moralisch ist'. 



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360 Die alten sprachen in der pSdagogik Herbarti. 

uns dieser rast ans der hnmaniateii- nnd pieiletenieit bei einem 
Herbart an. mai&te er damit Tidleieht den fordenmgen aeiner seit 
ein zngestttndnis? denn diese hielt noch immer an der leetOre des 
neuen testamentes im griechischen nnterrioht fest, wollte doch 
selbst Fr« Aug. Wolf, dasz es an den anfang desselben gestellt 
werde; später setzte er es in die oberste dasse aus theologischen 
rücksichten. an derselben Herbartstelle werden noch 'einige stflck» 
der tragiker' genannt, also wird auch Euripides mit in den kreis ge> 
zogen, am eingehendsten läszt sich Herbart über die reibe der sa 
lesenden schriftsteiler in der allf^emeinen pädagogik (I 429) aus; er 
bestimmt dieselbe folgendermaszen : Homer, Hcrodot, Tbucydides^ 
Xenophon, Plutarch, Sophocles, Euripides, Philo; und zwar sollen 
von Homer die Odyssee, von Xenophon die historischen Schriften,, 
von Sophocles ziemlich früh der Philoctet, von Plat.o noch im spä- 
tem knabenalter ein paar leichte dialoge und dann die republik ge* 
lesen werden fs. 430). 

Thucydides wird nur dieses eine mal erwiihnt. dasz er für 
Herbarts plan nicht sehr geeignet erschien, dürfen wir vielleicht aus 
folgender bemerkung Dissens schlie.>zon (^1 51)1): 'ausgelassen ist in 
diesem plane Thucydides, welcher wegen seines blosz politischen 
raisonnements dem frühem alter nicht zusagt \ es müste denn sein,, 
dass jemand einzelnes heransheben wollte, wie die beschreibong TO» 
dem Wachstum Athens, die ersShlnng von Themistocles nsw.' 

Von Plutarch las Carl y. Steiger den Bomulns und dei» 
Theseus (I 65). 

Etwas dfter äussert sich Herbart Uber Xenophon. gegen die- 
Cyropaedio war er sehr eingenommen und brach deshalb die 
lectfire derselben mit Ludwig v* Steiger bald ab. 'es ist mehr 

raisonnement, als erzfthlung' — lautet sein urteil (1 13 f.) — 'er 
(Ludwig) fand das langweilig und ich unnütz ; denn der geist jenes 
buches ist ihm viel zu fremd , und die grundsätze dünken mich im 
gansen nicht einmal empfehlenswert.* Willmann weist in seiner 
anmerkung (1 14 anm. 6) auf einen brief Herbarts an Carl v. Steiger 
hin, welcher in den Herbartscben reliquien von T. Ziller s. 107 — 118 
abgedruckt ist. Herbart kritisiert darin eingehend die Charakteristik 
des Cyrus durch Xenophon (anab. I 9), anläszlich eines aufsatzes, 
den Carl v. Steiger über dieses Charakterbild geschrieben hatte, in 
scharfen Worten faszt er (s. 116) seine kritik zusammen, indem er 
Xenophon 'schieiheit des sittlichen urteiis' vorwirft und seinen 
Schüler Carl auf die gefahr hinweist, welche in diesem ^feinen gift 
für sein herz' liege. 

Noch schlimmer ergeht es den memorabilien, vor deren 
lectüre geradezu gewarnt wird (allg. päd. I 430): man solle nicht 
'die wahrhaft uniiioralis>chea ^nemorubilien lesen, die ihren credit der 



*^ Tgl. Eckstein grieub, u, lat. unterr. 8. 419, über das neue testa» 
ment im nnteirieht spricht er 414 ff. 



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Die alten Bprachea in der pädagogil£ Herbarts. 361 

glUckseligkeitslehre verdanken«' dagegen empfiehlt er die ana-* 
baais, *eme mnsterliaffee erdlblang', sehr warm (I 14). 

Der hanptstamm aber für die griechische lectfire bleiben! 
Homer, Herodot, Flato (umrisz § 284. n 639). *wa8 man voran- 
schicken, zwischen einschieben, nachfolgen lasse, kennen die um- 
Sünde bestimmen. Xenophon, Enripides, Sophocles — werden wohl 
immer einen plats neben jenen behidten.' als wünschenswerter siel* 
punkt für die Platolectflre werden an demselben orte besonders 
buch I, II, IV, YIII der republik genannt, und zwar fttr die prima; 
in der secunda sollen Kriton und apologie gelesen werden (II 133). 
Uber Plato als schulschriftsteller spricht Herbart zu wiederholtäi 
malen. 

Sein geliebter Carl las den Kriton und Phaedon (I 65); bei 
letzterem gSbe es besonders viel zu denken. — Die bedeutung der 

Platolectüre für die philosophische bildung der gymnasiasten hebt 
Herbart besonders in semer schrift *über den Unterricht in der 
Philosophie auf gjmnasicn' (1821) hervor, er verlangt da für den 
primaner eine anhaltende beschäftigung mit den philosophischen 
Schriften des Cicero und den leichteren des Plate, nebst ausführ- 
licher eriäuierung nicht blosz der spräche, sondern der Sache (II 128). 
dasz nach Plato neben Cicero auch Epictet gelesen werden solle, 
verlangt Herbart nur in der all. päd. (I 521). die ethik soll der 
lehrer aus Cicero und Plato schöpfen, oder vielmehr ^die schüler 
SL'lböt anleiten, sie darin aufzusuchen ; und es wird sehr leicht gehen, 
"wenn die köpfe geweckt sind, und wenn der kbrer begreift, dasz 
hier noch viel mehr zu thun ist als blosz die worte zu erklären' 
(U 133). 

Am meisten betont Herbart jedoch die bedentong der Flato* 
leetOre für die entwicklnng der religiösen ansichten des schlüers« 
dass die christlichen lehren durch Platonische dialoge yerstBrkt wer* 
den können, diese ansieht spricht Herbart im umrisz % 233 (II 612) 
ans: 'fttr den gelehrten Unterricht, wenn er im griechischen Mh genug 
anfioig, ist es möglich, den eindraok der christlichen lehre durch 
diejenigen Platonischen dialoge zu verstärken, welche sich auf den 
tod des Socrates besieben» namentlich durch den Krito und die apo- 
logie. doch mflssen diese eindrücke als die schwächeren noch voran- 
geheUi bevor die einweihung in die christliche gemeinschaft ihre 
ganze gewalt ftthlen läszt.' in der allg. päd. (I 443) heiszt es, man 
solle unsere positive rellgion mit der, in welcher Plato die grie- 
chische jugend auferzogen wünschte, vergleichen. *man zeichne dem 
knaben die cpoche des Socrates aus, wo das Schicksal (reelle vor- 
hestimratheit ohne cansalität und wille) von der damals neuen idee 
der Vorsehung anheng verdrängt zu werden.' — Gerade dazu leiste 
Plato treffliche hilfe 'die religion der alten als das zu zeigen, was 
8ie ist, nenilich als die Schattenseite des altertums' (I 582 anm. 1). 
— Auf den begriff der Vorsehung bei Plato weist auch eine stelle 
aus den Vorlesungen Über pädagogik (bei Willmann I 549 f.) hin. 



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362 I>ie alten sprachen in der pftdagogik Herbarts. 



*bei jedem denker des altertums ftllilt xmd bemerkt man ein streben 
naeb einer vorsebung. das scbicksal wird von ibnen yerdammi 
mScbten unsere neuem diebter doch griecbiscbe pbantasie baben 
und nicbt Iftnger glauben den begriff des sobicksals nacbahmen zu 
müssen f weldter ganz ungereimt ist. Plato hat es nur niebt aus- 
gefUbrt, was er angefangen; aber er bat mit mehr glänz und kunst 
den begriff der Vorsehung bearbeitet, als die neuem ! Plato war ge- 
'wis ebenso groszer dichter als pbilosopb, aber in der zeit, da sein 
philosophischer ideenkreis sich ausgebildet hatte, hielt er es unter 
seiner würde zu dichten.' za jenen denkern gehören auch Homer 
und die tragiker, deren Studium sehr zu raten ist, 'da sie nicht scha- 
den, wohl aber uns bilden können, weil wir früher schon in einer 
reinen religion unterrichtet sind und uns die mythologie in einem 
ganz nndern liebte erscheint' (ji. 549). letzteres ist freilich die ganz 
Tineriäszliche , von HorlKiil <iaik hervorgehobene Voraussetzung, in 
jener eben angciübrten anmeikung zu Dissen (I 582 anm. 1) sagt 
Herbart: *es ist eine der ersten und wesentlichsten Voraussetzungen 
dieses ganzen planes (mit der Odyssee den altsprachlicben Unter- 
richt zu beginnen), dasz die ersten regungen religiöser gefühle, die 
4jiniachsten begriffe von gott, als dem vater der menschen, schon 
um ein paar jähre früher bei dem kinde mit sorgialL und erfolg seien 
hervorgerufen worden; dasz mau bie auch fortdauernd pflege; dasz 
man die einbildungen der kinder, welche zuweilen die fabel hier ein- 
zumischen im begriff sind, ohne Schonung mit der bemerkung störe, 
08 sei nur fabel/ vgl. noch II 83: *neben der Odyssee und schon 
vorher sind die bekannten religiösen lehren und Übungen, deren sich 
Jede gute erziebnng sa bedienen pflegt, durchaus notwendig', und 
umrisz § 237: *die erhOhung und reinigung von unwürdigen zu* 
sfttzen musz aber schon geschehen und fest eingeprttgt sein, bevor 
mythische Vorstellungen des altertums bekannt werden; alsdann 
wirken diese richtig durch den contrast des offenbar fabelhaften und 
rohen,.gegen das würdige und erhabene.' 

Zum Schlüsse will ich noch diejenigen bemerkungen 'Herbarts 
zusammenstellen, in welchen er das Verhältnis des reifen mannes zu 
den griechischen dassikern kennzeichnet, es würde eine entschieden 
falsche auffassung sein, wenn man in diesen urteilen Herbarts eine 
herabsetzung der alten sehen wollte, unzweifelhaft ist doch die vor- 
stellungswelt, in welcher wir leben, eine viel reichere und gereiftere, 
als die der alten es war; und so halte Ilerbart gewis ein recht in 
diesem sinne von einem herabsteigen des mnnnesalters zu den 
alten zu reden. I 77: *wer als mann den Homer liest, den wird ein 
häufiges lächeln anwandeln, wie wenn er der geschäftigkeit eines 
rüstigen knaben zusähe, in das nemliche lächeln lösen sich häufig 
die anstrengungen des denkers auf, der den Plato liest und freilich 
hier so wenig wie bei Xenophou diejenige belcin ung lindet, die für 
unser Zeitalter eine reife, männliche genannt w. rden könnte, es ist 
daher ein herabsteigen, nicht ein emporklimmen, wenn man in öpä- 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 



36a 



tern jähren die GriecLcn liest, obgleich auch dieses sein groszes 
inteiGübe hat, wie wenn der bejahrtere mann sich in die kreise 
liebenswürdiger Jünglinge mischt, um hier seine verlorene lebhaftig- 
keit einmal wieder sn sehen und mm stoff seiner betrachtungen zu 
machen.' — Herbart verlangt von den gereiften männem so viel 
selbstgeftthl an merken, dasz hier (d. h, in den werken dw filtern 
griechischen Schriftsteller) sich zwar wohl eine Jugend darstellt, wie 
wir sie htttten durchleben sollen, aber keineswegs ein mannesalter, 
Stt das wir Jetst noch zurttokkehren durften' (1 426). im gefUhl, dasz 
wir mehr leisten können und sollen als die alten, sollen wir sie 
hinter nns finden (I 471 anm.). die herangewachsenen können 
nicht mehr in der Homerischen weit ansehen, wie die knaben. die 
art der erzühlnng ist ihnen, wenn sie sich noch nicht auf eine frühere 
stufe zurück zu versetzen wissen, *zn breit und zo kindlich' (II 540). 
'fürs spätere alter ist Homer blosz ein alter dichter' ; diese stelle 
(II 83 anm.) kann nichts anderes bedeuten , als was die noch fol- 
genden bemerkungen sagen, dasz die beurteilung der Homerischen 
gedichte im reiferen alter eben eine andere wird, dasz wir dann erst 
die poetischen selten zu würdigen im stände sind, Homer aber 
nicht mehr auf die bildung unserer vorstellungskreise einen einflusz 
haben kann, die Odyssee ist 'ein classisches gedieht', und wird 'als 
solches von kindern keinesweges vollständig aufgefaszt', sondern will 
*ebeu in dieser rücksieht in spätem Jahren noch einmal mit ganz an- 
dern aagen gelesen sein' (II 82). Tlato der ideenlehrer und Homer 
der dichter bleiben dem reiferen alter' (I 430). 

'Künftig bei guter musze werden wir die feinheiten der spräche 
nnd durch sie die kunst der diciitung zu erreichen suchen' (s. 429), 
*die lepuLlik Plates ist dem erwachenden interesse für die gröbzere 
gesellschaft ganz angemessen, in den jähren, wo sich junge männer 
der staatsknnst emstlich widmen ; genügt sie ebenso wenig, als 
Homer einem jünglinge, der gerade jetzt alles kindliche hinter sich 
wirft' (I 430). 'Homer nnd Plato tangen am allerwenigsten für 
junge leute, die gerade eben sich über sie erhoben haben, ohne 
gleichwohl schon föhig zu sein, sie als den gegenständ ihres nach- 
denkena su bentttsen. der jttngling beschäftigt sich am wenigsten 
gem mit dem knaben, dem er nnr eben entwachsen ist, und es wflrde 
ihm schftdlich sein, wenn man ihn dasn zwingen wollte' (I 78). da- 
her müssen die werke des Homer , der griechischen historiker und 
Philosophen. Murchans von knaben oder von mfinnern, die ihres irr- 
tums sich bewust, gem zur quelle zurückkehren, nicht aber von ver- 
wöhnten jünglingen gelesen werden' (I 42 f.).*" 

Ich hoffe in dem vorhergehenden ein ausreichendes bild von 
der gestaltung des griechischen Unterrichts im sinne Herbarts ge- 

dieser irrlum besteht aber iu dem glauben unseres Zeitalters, 'im 
vertrauen auf die yollkommenheit der seichen, bucbstaben statt flachen 
nach gelernten regeln zu corabinicren\ diese kunflt ist den alten noch 
unbekannt; 'iie^erfioden erst ihre spräche'. 



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3 64 Die alten epracheii in der pädagogik Herbarts. 

geben tu baben, und gUnbe daber^ mich som sweiten abschnitte 
dieses teiles meiner arbeit wenden zn dürfen, in welchem darzulegen 
ist^ wie der nnteiriebt im lateinischen nach Herbarts pftdago- 
gischen theorien betrieben werden soll. 

Bass die erörtemngen des grossen pftdagogen Uber diesen nnter- 
ricfatsgegenstand an sabl wesentlieh geringer und bei weitem nicht 
so eingebend sind, wie seine äoszerungenttberden griechischen unter» 
rieht, wird nns nicht wunder nehmen; enthielten doch bereits die 
letzteren so viele, bisweilen freilich unansgesprochene urteile über 
den betrieb des lateinischen. YOr allen dingen brauchen wir uns 
hier nicht mehr mit der finge su beschäftigen, warum das latein TOn 
Herbart dem griechischen nachgestellt wird. 

Wenn Herbart dem lateinischen auch nur die zweite stelle im 
erziehenden Unterricht anweist, so rechnet er dabei immer noch mit 
dem 'herkömmlichen rechte* desselben, weiches er zu verschiedenen 
malen eben doch anerkennt, in dem unterrichte, weichen er den 
Steigerschen söhnen erteilte , sollen dem lateinischen, damit ihm 
sein 'herlcömmliches recht bleibe', die bessern morgenstunden und 
die zeit zugeteilt werden, wo die kleinen zu repetieren und zu über- 
setzen pflegen (I 32). latein ist nun einmal die recipierte gelehrte 
spräche (I 291. ö76) und es musz eben gelernt werden (IT 470) 
aus jenen auszerpädagogischüii gründen, welche wir oben kennen 
gelernt haben, und die auch Dissen im sinne hat, wenn er sagt, da^sz 
man das latein aus 'andern gründen' nicht vernachlässigen dürfe 
(I 590). 

Was nun die erlemung der spräche selbst betrifft, so erkltrt 
sie Herbart für weit weniger schwierig als die des griechisdien 
(I 79), woraus er folgert, dass mit dem letstem eher begonnen wer- 
den mtlsse. sudem wird das lateinische durch das vorhergegangene 
griechisch erleichtert (I 80)« trotsdem aber fordert Herbart oft und 
mit nachdruckt dass man nicht spftt mit dem lateinischen Unter- 
richt anfangen dürfe, und dass auch hier ein langsames fort- 
schreiten nötig sei. 

'Aus dem fremdartigen des lateins fOr Deutsche darf man nicht 
sohliessen, dass es spät anzufangen , sondern dass es in der frühem 
knabenseit nur langsam fortzusetzen sei. — ~ einselne lateinische 
Wörter fasst schon der kleine knabe leicht ; zu ganz kurzen sStzen» 
die aus zwei bis drei Wörtern bestehen, kann man bald fortschreiten ; 
aber diese mögen immerhin für eine weile wieder vergessen werden. 

was mnn vergessen lernt, ist darum noch nicht verloren. mit 

den versuchen die kinder hinsichtlich der syntax im lateinischen 
schneller zu fördern, als es im deutschen geschehen kann, wird zeit 
verloren, und die iust auf eine harte probe geaetzl' (II 667). das 
gymnasium soll mit der römischen spräche nicht viel später an- 
fangen, als mit der griechischen (II 109). 'die Odyssee schlieszt 
einen frühen anfang im lateinischen nicht aus; nur kann das latein 
nicht so rasch, wie die gewohnheit es mit sich brmgt, daneben fort- 



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L>ie alten sprachen in der püdagogik Herbarts, 365 



gehen' (II 638). ausdrücklich betont Herbart , dasz das lateinische 
unter dem griecbiseheii nicht leiden dürfe (I 583 anm. 1) : 'man soll 
«nob Bioht sa laoge sftumen das lateiiiiscbe «Dznfangen, welches unter 
dem grieclu84diea nicht leiden darf, sondem wenn man alles recht 
macht, dadurch begQnstigt wird.' 

Herbart denkt sieb die einriobtnng des latetniseben unter- 
richte nun so, dass in den untern olassen ein 'kleiner gnunmatikali- 
sdier anfaag* darin gemadit werden nnd 'alleniUls dann und wann ein 
paar standen angew«idet werden konnten, damit das schon gelernte 
nicht wieder in Vergessenheit gerate' (I 80). und zwar könnten von 
den sechs stunden für die natnrkenntnisse, welche neben den sechs 
Homerstonden herlaufen, an&ngs 'eine oder ein paar einer fort* 
gesetsten flbung in den ersten gründen der lateinischen spräche ab- 
gegeben werden' (1 81). im umrisz § 278 (II 636) bezeichnet Her- 
bart vier stunden latein wöchentlich als unschädlich f(lr den sonst 
muntern kleinen knaben, wofern nur daneben die übrigen besfbäf- 
tignngen pJidagogisch richtig geordnet sind.' die gleiche ansieht 
finden wir auch bei Dissen wieder, der (1 590) voraussetzt, 'dasz der 
lehrer die lateinische spräche angefangen habe während dem lesen 
des Homer; dasz er die knaben nicht blosz geübt habe in den para- 
digmen, sondern auch im übersetzeD einzelner t^ätze imd einiger aus- 
erwfihlter erzählungen au3 lesebüchern, und endlich auch, daaz exer- 
citia bereits seien verfertigt worden', doch regt sich in ihm wieder 
das Her bartische gewissen und läszt ihn hinzufügen: Mies alles wird 
zwar der erziehung als solcher nichts helfen; aber da Homer den 
Vordergrund füllt, so wird es auch weniger schaden.' 

Das strenge systematische lehren und auswendiglemen der latei- 
niw^en syntaz mit gewiblten knnen beiepielen setzt Herbart als 
eine hanptarbett in <tie seit naeb derClae8arleäflre(II 639). nach dem 
schon öfter benotsten bericht Uber den im Rönigsberger pttdagoginm 
Ablieben lehrgang (II 5) wurde denn auch die lateinisehe syntax ge- 
wöhnlich von 13 jährigen Zöglingen % jähre genau und mit 
beispielen auswendig gelernt; spftter folgte noch eine comparatiTO 
Syntax der griechisehen und lateinischen spiaebe. 

Eine eingehende Schilderung der psychologischen yorgftnge im 
Zögling wfthrend des lateinischen unterrichtsganges auf grund seiner 
4ie seelenvermögen ausschlieszenden theorie bietet Herbart in der 
kurzen encydopädie II 462 f. ; er beschreibt an dieser stelle, welche 
formen von yorstellungsverbindungen sich allmählich bilden müssen, 
-ehe man zu einer fertigkeit im gebrauch der lateinischen spräche 
gelangen kann, ich mnsz auch hier auf Herbarts worte selbst verr 
weisen . 

Welchen nutzen der lateinische Unterricht für die erlernung der 
neuen fremden sprachen bietet, darüber äuszert sich Herbarfc 
des öfteren, 'die lateinische spräche besitzt den vorzug — so sagt 
-er im umrisz § 103 (II 557) — dasz sie auch schon nach mäszigen 
forischritten den nötigsten unter den neuern fremden sprachen 



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366 



Die alten sprachen in der pädagogik Hetbarts. 



den boden bereitet.' mit dem topfe irergleicbt er in der kurzen 
enojclopSdie II 464 das latein, mit den aeberben das französische, 
'will man znerst die soherben oder den topf? die meisten wählen 
den topf.' so wird bereits die entschiedene forderang ausgespro- 
chen, dass die neuern sprachen den alten zu folgen haben. II 557: 
*das2 man umgekehrt das latein ans französische knüpfe, wird 
schwerlich ein sprachkenner billigen, da gallicismen der latinität 
nicht wenig gefiihrlich sind; anderer gründe nicht zu gedenken/ 
II 636: 'neuere sprachen Toransehicken, hiesze das hinterste nach 
vorn kebren.' 

Wir wenden uns nun 7ai den anforderungen, welche Herbart an 
die lectüre lateinischer autoren stellt, vor allen dingiii ver- 
langt er, dasz dieselben ihren platz erst in secunda und prima haben 
Süllen. I 80: 'in den beiden obersten classen, besonders in prima 
würden die römischen schriftsteiler und die universal- sowohl als 
staatengescbicbte nebst den neuen sprachen recht eigentlich ihre 
stelle finden und alsdann hoffentlich mit beträchtlich vermehrtem 
interesse getrieben werden.' eine nähere begründuiig hierfür gibt 
das ^gutachten zur abhilfe' (11 155): diejenige fcmu aufmerksam- 
keit beim lesen der römischen autoren , woraus das gefühl und die 
Übung echter latinität entspringt, ist so individuell, wie ein feinea 
musikalisches ehr; nur die kleinere zahl der schüler ist dafttr auf- 
gelegt — nnd was die hauptsache ist, erst die spfttem schoQabre 
gestatten die hofinong die erwachende kraft des Jünglings dalün za 
Idnken.' — 'Die grossen , trefflichen römischen autoren gehören alle 
dem spStem alter.' — *Die Römer müssen sich aber, sobald sie tof- 
bereitet sind, an die Griechen ansehlieezen', heiszt es im der allg. 
pfid. (I 429). Herbart selbst hat sie bei dem Unterricht der Steiger- 
seben söhne vorerst zurückgestellt (I 43). *mit den politisierenden 
und künstlich beredten römischen historikern und philosophen weisz 
ich noch nichts anzufangen; nach jähren aber werden sie gerade 
ihren platz finden.' 

Wie für die griechischen autoren, so gibt Herbart auch für die 
römischen einen hauptstamm an im umrisz § 284 (IT 639);. 
Caesar, Cicero bilden ihn. daneben werden Livius und Horaz 
wohl immer einen platz behalten. — Im vierten Steigerberichte 
nennt er nur Livius, Cicero, Tacitus. 

Es sei mir nun erlaubt, auf die einzohicn schriftsteiler einzu- 
geben, und die urteile Herbarts über sie zusammenzustellen. 

Der Eutrop begegnet uns zuerst in dem ersten Steigerbericht 
(T 12). wir ersehen aus diesem, dasz Carl und Rudolf den Eutrop 
neben der Odyssee gelesen haben und nach etwa iiXni monaten bis 
zum ende des dritten buches gelangt waren, aber seine herlichkeit 
sollte nicht lange währen; schon bald liesz Herbart ihn weglegen 
und trieb nur noch die Odysseelectüre (I 346). im umrisz § 282 
bemerkt Herbart dann noch , dasz sich, wenn man mit dem li^ini- 
sehen beginnen wolle, zwar Eutrop und Cornelius Nepos darböten» 



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Die alten sprachen In der pädagogik Herbarte. 867. 

*uaa nach den leichtesten Yorbereitnngen , welche an die dentache 
spräche geknüpft wurden» in gebrauch m kommen, auch ist 
dieser gebrauch nicht ganz verwerflich, wofern der lehrer es über- 
nimmt, die alte zeit erzählend zu vergegenwfirtigen. allein man 
kennt die magerkeit der genannten Schriftsteller und man findet 
von ihnen aus noch immer keinen bequemen weg des fortgangs' 
(U 637).' 

Mit dieser stelle ist auch das abgetban » was Herbart über den 
Nepos zu sagen bat, nur dasz er ihn schon früher einmal (I 79) 
in bezug aof die lectttre mit knaben für schwerer erklärt, als den 
Homer. 

Was den Eufrop rmlangt, der jetzt wohl allgemein dem Nepos 
das feld bat rriomen müssen, so stand er bei den pUdago^en des vori- 
gen jabrhuiiderts und des unsrigen bis in dessen sechziger jähre in 
hohem ansehen. daher hat ihn wohl auch Herbart aufgenommen 
und ihm auch noch im umrisz eine alkrilings sehr bedingte stullang 
angewiesen, im Königsberger pädagogium wurde Eutrop kurze zeit 
als Vorbereitung auf Vergils Aeneis gelesen. 

Die Aeneis ist es nemlich, welche Herbart au die spitze des 
lateinischen Unterrichts gestellt wissen wollte; freilich hat sich diese 
ansieht erst später ausgebildet, denn in den Steigerberichten und 
andern früheren documenten suchen wir vergeblich nach ihren 
spuren, die erste bemerkung über sie enthält Dissens schrift (1 590) 
sogleich mit der begrflndnng ihrer Stellung. Yergil soll neben 
Herodot gelesen werden; *zwar liegt das eigentlich auf demwege 
der cnltur noch weit zurück; aber das ist nun einmal so mit allem 
latein, und man darf es doch aus andern gründen nicht vemach- 
iSssigen. so fällt immer wieder die wähl zuerst auf Tergil, weil eir 
uns ein epos gibt und die .geschichte der Trojaner weiterführend, 
wieder an Homer anknüpft und das r($miscbe vorbereitet, freilich 
wird sorg&lt nötig sein, um die spräche verständlich zu machen; 
aber freunde, welche alles glücklieb und leicht besiegt haben, bürgen 
für die möglichkeit, und die erziehung kümmert sich nicht um die 
weisen der schulen.' Herbart selbst stellt in seiner schluszbemer« 
kung zu der abhaudlung von Thiersch zum ersten male Yergil neben 
Herodot für den unterrichtsplan (I 598). im Königsberger päda- 
gogium wurde die Aeneis aber erst nach Xenophon gelesen. — Noch 
einmal wird die Aeneis im umrisz § 284 (II G39) kurz berührt, wo 
Herbart es als wünschenswert bezeichnet, dasz aus ihr der lateinische 
Wortschatz geschöpft werde, übrigens werde man sie schwerlich 
ganz lesen , ''denn sie kann bei weitem nicht so schnell gelesen 
werden, wie nach gewonnener fertigkeit die spätem gesänge der 
Odyssee.' 

Von Caesar findet sich nur das btlium Gallicum erwähnt, um- 
risz a. a. 0. : 'dieses musz aber mit einer ganz vorzüglichen Sorgfalt 



*^ vgl. Eckstein a. a. o. s. 197. 



368 



Die alten spraoheii in der pädagogIk Herbarts. 



durebgearbeitet werden, da es derjenigen edireib&rti die man einem 
jlin^ling zunSchst wOnecben kann, nSher kommt ak die der andern 
^brftnälicben antoren/ s. 640 wird das answendiglemen ans Caeaar 
warm empfoblen. 

HSafiger wird die Ci oeroleotttre in den pttdagogisoben scbriften 
Herbarte gestreift, namentlich wegen ihrer philosophischen bedeu- 
tnng* dasz sie erst nach Homer, Sophodes und Plate pädagogisch 
wirksam sein könne, dasz ferner Ciceros philosophische Schriften 
neben denen des Plate eine eingehende , auch sachliche bebandlung 
er&bren müsten, haben wir bereits oben gehört, in derselben schrift 
*Über den Unterricht in der philosophie' usw. (II 133) gibt Herbart 
auch die auswahl an , die aus den philosophischen Schriften Ciceros 
zn treffen sei; er nennt 'de finibus, die tusculanischen Untersuchun- 
gen, die schrift de ofnciis', doch ^musz m.^n sie nicht ganz lesen lassen, 
sondern die klarsten und schönsten stellen auswählen, die lücken 
selbst ergänzen, dem autor nachhelfen; nicht aber ihn mit scharfer 
kritik verfolgen, das letztere ist so leicht, dasz es ins kleinliche 
ftllt; auch wüste Cicero ja selbst, dasz er in der philosophie nur lieb- 
haber sei'.^* fQr den Unterricht in der geschichte der philosophie 
genügt Cicero freilich nicht (I 135). 

Zunächst sollen reden von ilim gelesen werden, dann erst die 
philosophischen scbiiiten (II 639). 'dasz Cicero anfangs von seiner 
glänzenden seite, nemlich als redner der jugend gezeigt werden 
müsse, bedarf kaum der. erinnening. später werden seine phflo* 
sopbisdien sehriften wichtig; nar bedürfen viele stellen einer weitem 
Aüseinandersetsnng des gegenständes.' die nihere angäbe fiber die 
reden bei Dissen dürfen wir hier wohl hinznfSgen ; er verlangt, auszer 
einigen kleinen interessanten, besonders die, welche *ein so groszes 
flchanspiel geben als die Verrinisehen*, dem lehrer erteilt Herbart 
bindchÜieh der Cicerolectüre noch «nen gewis anch sonst be- 
herzigenswerten rat (II 640)« *Cioero sollte vom lehrer oftmals laut 
vorgelesen oder vielmehr vorgetragen werden* der redner fordert 
die lebende stimme nnd ihm genttgt niebt das gewühnliohe eintönige 
lesen der schüler.' 

Den Livius las Herbart mit Ludwig v. Steiger (I 11), und 
zwar das 21e und 22e buch. Dissen weist (I 591) darauf hin, dasz 
man ihn passend an den Vergil, also auch an den Herodot an- 
schliesze; einige zeit nach Herodot fiengen die griediischen Staaten 
an zu sinken, 'der eindruck aber, welchen jene griechische weit im 
Herodot zurücklassen masz, wird dienen, den römischen krieger- 
Staat zu würdigen.* 

Ob Tacitus sich für die lectüre mit den Zöglingen eigne, dar- 
über scheint sich Herbart nicht ganz klar geworden zu sein, man 
würde — so heiszt es in der allg. päd. (I 342) — das Studium des 



*^ in der anmerkung hierzu fugt Willmano eine interessante kritik 
Herbarts über die philosophie Ciceros bei. 



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Die alten apfachen äi 4er pftcbifogik Herbarts. 869 

Twutva als eine pi^agogische kraft sa bateobten haben; dodb wäre 
«dieser gegenständ noch in einer besondern pädagogischen mono- 
graphie za bebandeln. Dissen earklSrt rundweg (I 591) ^Tacitus ist 
nicht fdr dieses alter', anch im umriu § 284 (U 640) äuszert sich 
Herbart noch unentechieden^ aber eher zu gunsten der Tacituslectüre. 
*was den Tacitus anlangt, so wird über den schulgebrauch desselben 
verschieden gearteilt, gewis ist im allgemeinen, dasz solche schrift- 
eteller, die in wenig werten viel sagen, für den erklärenden lehrer 
nicht biosz, sondern auch für den empfänglichen bcbüler vorzüglich 
willkommen sind . das gegenteil gilt Ton Cicero, man musz ihn leicht 
, lesen , um ihn zu schätzen.' 

Hora z , der für den etwas sinnlich angelegten Ludwig v. Steiger 
(in seinem 14n jähre j für 'viel zu gefährlich' erachtet wird (I 23), 
findet später doch seinen ehrenvollen platz im erziehenden Unter- 
richt. II 639: 'besonders Horaz bietet kurze denksprüche dar, 
deren spätere üa.chwii'kung der eritieher durchaua nicht gering 
schätzen darf.' 

Hingegen lluszert sich Herbart über Plautus und Terenz 
1 23 in Mbr wegwerfendem tone, er begreift niefat, wie man mit 
Jünglingen baide leaen kann. Uber den Flautns mag er kein wort 
▼arlierea; ^Tereiia» so tqU er von den berliohaten gruadsfttaen ist, 
maelit doeb allentbalben dffeotliobe bublerinnea aa seineii banpt- 
personen, und dnrcb dereii'aiibliok mQohte ich die scdiambaftigkeit 
«ines jfinglings nicht abstumpfen.' 

8o Tiel Uber die lateinisobe lectflre. 

(»ebluBs Mgt^y 

WinrAB. Hans ICbbuh-Gbmast. 



d3. 

DIE LATEINISCHE TEMPÜSLBHBE; 
(zur erwidemog.) 



Das 9e heft von IHS*.) dieser jahrbücber enthält unter der Über- 
schrift: 'zur behandiung des lateinischen temput^gcbraucbs im gym- 
nasium' von H. Lattmann in Göttmgeu eine kritik meiner autsätze 
in heft 17 und 18 der 'lehrproben und lehrgäiige- über 'didaktische 
formgebung in der altsprachlichen grammatik', auf die ich mir fol- 
gendes zu erwidern erlaube: 

1. Der herr recensent citiert auf seite 422 zuerst eine stelle aus 
meiner arbeit, in der ich mich beklage, dasz die leistungen fast 
Überali aiASbchlieszlich oder vorwiegend nach den extemporalieu be- 
urteilt werden^ der Schriftsteller mit seinem ideal bildenden Inhalt 
nur nebensache sei, findet aber, dasz trotzdem m^e lehrprobe doch 
darauf zugeschnitten sei, die schüler im ezt^iqioralescbreiben ge* 

jahrb. f. phU. a.päd. II. sbt. ISdO hft. 7. 24 



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370 



Die lateiinache tempualehre. 



wandt zu machen^ dasz ich also dem ^satan extemporale', trotzdem 
ich seine fehlerhafte Überschätzung richtig erkannt, 'doch wiedor 
unbewnst meinen tribut bringe*, dies urteil wird lediglieh in folgen- 
der weise gewonnen: dem obersatze: Waldeokwül kurze regeln, die 
der Schüler sich rasch ins gedächtnis rufen kann, fügt L. selbst ans 
sich den Untersatz hinzu: 'dies aber ist hauptsächlich beim extempo- 
ralevon bedeutung', und schlieszt dann: folglich willW. das extem- 
porale. gegen den unter- wie gegen den schlnszsatz aber rausz ich 
entschiedene verwahr uii;[^' einlegen, allerdings will ich kurze regeln, 
die gegebenen falls augenblicklich ins bewustsein springen, aber 
nicht für das cxtemporale, sondern für die iectüre und die exercitien, 
denn für diese siiul dieselben genau ebenso nöti^, ja für den latei- 
nischen aufsatz noch nötiger als für das extemporal e. ich will, dasz 
die Schüler bei keiner art von arbeit ihre zeit vertrödeln mit 
dem ewigen aufschlagen halbverstandener und unbehaltbarer regeln; 
soDiiern dasz sie den klar verstandenen grammatischen stoff, den siu 
im köpfe haben, selbstdenkend anwenden, wenn dünn auch'^diü 
ex temporale- Verehrer entzückt sind über diese vortrefflichen leisten', 
meine regeln nemlich, so habe leh nicbts dagegen einzuwenden, im 
gegenteil soll es mich freaen, wenn sie die leisten branchbar finden» 
ich fdr meine person halte das extemporale als mittel znr einttbnng 
grammatischen Wissens nur sehr bedingungsweise für gut, als mittel 
zur feststellnng des kenntnisstandes für höchst bedenklich« 

2. In beft 17, seite 3 f. der Uehrproben osw/ hatte ich die art 
besehrieben, wie der schttler in Wirklichkeit grammatik lernt 
und anwendet, nemlich durch unbewuste indaction, und hatte das 
veranschaulicht an dem heispiel der masc. auf or und dem unter- 
schied von ut und acc. c, inf«, und dann hinzugefügt, dasz durch 
nnzweckmäszige regeln diese unbewuste inductive tbätigkeit leicht 
gestört und irregeleitet würde« wie ist es möglich , dies anders zn 
verstehen als dahin, dasz der weg, den die schüler thatsächlich gehen, 
der der induction, damit als der naturgemäsze und richtige bezeichnet 
werden soll, den also auch der Unterricht einzuschlagen und rationell 
auszubilden hat, zumal wenn man weiter liest: 'so wird durch den 
umstand, dasz unsere grammatiken nicht nach psychologisch-didak- 
tischen gesichtspunkten aufgebaut sind, der natürliche weg 
aller m en s chlich u n erkenntnis, das abstrahieren des 
allgemeinen aus dem einzelnen, concreten verlassen, 
an die stelle der denkenden auffassang, die dann selbst die einzel- 
erscheinungen aus dem allgemeinen ableitet, tritt das mechanische 
auswendiglernen der zusammenhanglosen einzelheiten.' Tj. aber hat 
genau das gegenteil herausgelesen: er meint, ich 'verübele es dem 
primaner', wenn er so verführe, und später: Mas, was W. hier so 
sehr tadelt, das ist gerade das richtige! nar musz der Unterricht 
dafür sorgen, dasz der schüler 'nach analogie des früher dagewesoien' 
nicht nnbewnst TerfKhrt, sondern bewust, dasz si^ in ihm ^darofa 
die yielen in seiner praxis vorgekommenen beispiele' nicht ein 



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Die lateiniechd tempuslehre. 



371 



donkles, sondeni ein bestimmteB gefübl fttr die richtige aaffas- 
Bimg bildet.' ieh babe erklärt, dasz ein fichttler nnmdglieb die maase 
Ton regeln wShrend des arbeitens sich vergegenwärtigen kann, dass 
er sieb deshalb auf sein sprachgefttbl yerlMsen mnez, und babe ver* 
langt, dasz aiem wiSBen *ibm beim schreiben gleichsam in den finger» 
spitzen liegen soll, dass er es ohne lange läeiion, halb nnbewnst 
wie seine mntterspracbe verwenden kann*, trotzdem soll ieh mir 
nach L. das arbeiten des sehOlers so denken : 'er schreibt, ihm stSszt 
ein zweifei auf, er sagt sich eine regel her und nach diesem masz- 
Stabe entscheidet er.' das für unmöglich erklärte hält er also für 
das vom schttler geforderte, ffir dies verfahren musz er dann aller- 
dings 'ftlr alles und jedes eine regel im köpfe haben', wenn man so 
meine grandgedanken auf den köpf stellt, dann musz man notwendig 
meine begriffe für vollständig confus halten , und es verdient des- 
halb die schonende rücksicht des recensenten dankbare anerkennung, 
wenn er am ende seiner kritik nur 'bedenklich* findet, 'was W. über- 
haupt unter klaren begriffen versteht', diese Unklarheit meiner be- 
griffe aufzudecken und ihr die eigne klarheit gegenüberzustellen, 
scheint L.s hauptzweck gewesen zu nein, als besonderer beweis für 
die erstere wird z.b, seite 426 die in meiner iehrprobe, also in einer 
nachahmung des freieren gesprächstons in der classe, ganz gelegent- 
lich erwäbntfci regel angeführt: 'das imp. steht still, dab perf. schreitet 
fort*, anfangs dachte ich , die uralte regel selbst, die sich auch in 
neueren französiäclien wie lateinischen grammatiken findet, sei herrn 
L. imbekannt und häUe ihn vor den kopt gestoszen j aber nein^ die 
Unklarheit 00II, wie offenbar aus dem folgenden hervorgeht, in der 
form liegen, es musz ja heiszen: im imp. steht die erzählung 
still nsw. — In dem gebrauchten ausdruck kann, denke ich, auch 
ein pedantischer kritiker höchstens eine etwas gewagte kürze &iden, 
wie sie jeder lebrer, der kein langweiliger peduit ist, sich gelegent- 
lich in der classe erlaubt. L. aber findet darin Unklarheit der be- 
gri£Fel daneben aber erlaubt er sieb selbst ausdrücke wie ^gemein- 
same kategorie', was er doch sicher in einem schüleraufsatz dick 
anstreichen wttrde. . könnte nicht ein schulmeisterlich kritisierender 
leser bei solchen urteilen und ausdrücken die L.sche logik bedenk- 
lich finden? 

Doch zurück zur sache. ich geriet in ein freudiges erstaunen, 
als ich bei dem oben citierten satze L.s , der das richtige enthalten 
soll, mich so ganz auf gemeinsamem boden mit meinem vermeint- 
lichen grimmen gegner fimd. auch ich lasse seit länger als 25 jähren 

fast den gesamten grammatischen stoff die schüler selbst inducieren, 
nur soll diese induction überhaupt kein 'gefübl', weder ein dunkles 
noch ein bestimmtes, zum resultat haben — damit kann man wohl 
eine moderne spräche sich aneignen, aber weder lateinisch noch grie- 
chisch — , sondern ein klares begrit'tliches wissen, und des- 
halb verfahre ich dabei etwas anders als L., wie demnaehst erschei- 
nende aufsätze zeigen werden, weil ich weisz, dasz klare begriffe 

24* 



372 



Dia lateiiuaohe tcmpaslelire. 



nur aus klaren anechaanngen henroiigalien, 80 benutze iob aUi 
indnotionmaterial in der regel nicht die zuftllig nch darbietenden 
meist uemlieh eomplioierten sitae ans der leetfire, sondern mdgliGhst 
einfache und Uare, d. h. so ausgewtthlte nnd eingeriobtate, dass die 
geistige Wahrnehmung der schfiler, anbehindert durah anderweite 
Bohwierigheiten, anf die wahrsunehmende und zu induelmnde eaohe 
allein sich richten kann, und solche, die ihm diese aaohein scharfer 
Ausprägung zeigen, die von L. so verachteten eatzpräparate. dies . 
ist in dieser beziehnng der einsige wesentliche unterschied zwischen 
meinem reoensenten und mir, vom nnbewusten lemmi bin ich durch- 
aus l?:ein freund. 

3. Wesentlich auf dieser Verschiedenheit der Standpunkte beruht 
dann die irrtümliche auffassung der in heft 18 gegebenen lehrprobe. 
L. entsetzt sich, dasz ich 'die eic^entümlichkeiten der lateinischen 
tempora an einem zurecht gemachten deutschen stücke erläutorn 
will, der Schüler daraus den ersten eindruck, die erste ansc hau- 
ung empfangen soll', wo habe ich denn davon auch nur ein wort 
gesagt? in der ganzen beschreibung des spaziergaDges ist mit keiner 
BÜbe vom lateinischen imp. oder perf. die rede, es wird auch kein 
Satz davon ins lateinische tibersetzt, sondern die anwendung der ge- 
'\Nonnenen resultate wird immer erst in lateinischen Sätzen ge- 
macht, die den schülern bekannt sind, wovon derselbe durch das 
stück eine klare anschauung bekommen soll, das bind lediglich die 
begiiile beschreibung, resp. begleitender nebenum- 
etand, einzelbandlung in der erzählung, urteil yom 
Standpunkt der ge genwart, ich habe in der einleitungzu dem 
artikel in heft 17 nadidrttoklidi betont, daaz der knabe klar« ansdiM- 
ungen nur durch seine mnttersp räche gewinnen kann, nndnuf 
der vergleichung mit dieser beruht die ganze methode; ich habe an 
einer amiern stelle aueeinandergesetzt, dasz man dinge, deren Ahn* 
lichkeiten und unterschiede man scharf erkennen will, neben ein- 
ander halten und so betrachten musz. daraus ergibt sich wohl 
von selbst, dasz ich zur veranschaulichnng — nicht etwa specifisch 
lateinischer, sondern allgemeiner sprachlicher begriffe wie 
die obigen ni^t oomplicierte sätze aus Com. oder Qaes. nehmen 
darf, deren Zusammenhang sich die schttler erst mühsam wieder ins 
gedäcbtnis rufen müssen, die dann Ton dsn zu erläuternden begriffen 
jedesmal nur einen bieten, also den gegensatz zur Verdeutlichung 
unbenutzt lassen; die endlich das anzuschauende nicht einfach und 
klar bieten, pondern gleicbsnm verwickelt mit einer menge anderer 
Vorstellungen, welche leicht das geistige auge für die wahruehmnug 
dessen, worauf es allein ankommt, trüben, — sondern vielmehr ein- 
fache schlichte sfit/e, bei denen die begriffe, um die ©s sich handelt, 
scharf hervoi Uelen und sich gegenseitig durch den contrast beleuch- 
ten, das ganze verfahren setzt voraus, was thatsächlich an unserem 
gymnasium geschiebt, 1) dasz schon der quintaner angehalten wird, 
in einfachen und klaren fällen die tempora genau zu beobachten. 



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Die lateimache tempasiehre. 



373 



namentlich gleichzeitigkeit und vorzeiticrkeit zu unterscheiden; 2) dasz 
schon der quartaner und tertianer erfährt, dasz das perf. hist. hand- 
langen erzählt, dagegen das imp. beschreibt, damit die tausende von 
beispielen, die Com. und Caes. ihnen von der sache bieten, keine 
'blinden' anschauungen erzeugen , — denn das sind eigentlich gar 
keine — ßondem wirkliche, wenn nun in IIP die tempublehre 
zur systenaatischeu behandluug kümmt, so kann es sich um ^erste 
üuschauungen' von imp. und perf. überhaupt gar nicht mehr han- 
deln, sondern nur um möglichste klarstellung der obigen 
begriffe an möglichst b6Uiöhiieiide& beispielmi^ imd dioMsoll das 
atUük bieten. 

Aber diese begriffe Belbst sind dem reoensenten ein stein des 
anstoszes* er will Heber dem sdittler * in jedem einzelnen falle etwa 
sagen: hier wird eine (Srülohkait besefarieben, oder hier werden cha- 
n£tenttge geschildert, oder hier drttokt das dentsefae pxaeterifcam 
die gemfltSTeffassong ans, in der gewisse handlangen entspringen, 
oder hier masz die handlang zweekmSssig als eine noch in der ent- 
wicUnng begriffene bezeichnet werden usw.' wie viele arten des 
imp. sollen denn dabei scblieszlich herauskommen? auf diese art 
kann man dem sohttler wohl ein allgemeines ^gefühi' Ton der bedeu- 
tong des imp. yersehaffen , aber nimmermehr begriffliebe klarheit^ 
and in sachen des verstandesmäszigen erkennens halte ich doch mehr 
Ton klaren begriffen als Ton gefühlen. nachher findet L. denn das 
Wesen des begriffes, der den schüler *auch'(?) immer zu demselben 
ziele leitet, in der dauernden m\d wiederholten handlung, und dies 
nennt er dann eine 'gemeinsame kategorie*. wenn ich dagegen dem 
ßcbüler klar machon will, dasz Charaktere, gemütsverfassungen, sitten 
und gewohnheiten ebenso gut beschrieben werden wie örtlichkeiten, 
dasz also das wesen der sache in der beschreibung lie^t, nicht 
in dem objecte derselben, so heiszt das nicht mehr eine kategorie, 
sondern ein 'leisten', über den die verschiedenen imp. geschlagen 
werden, 'eine stereotype anweudung des gleichen ausdrucks auf die 
manigfachsten Vorstellungen', ich kann mich aber nicht von dem 
gedanken losmachen, dasz diesen manigfachen Vorstellungen ein ge- 
meinsames zu gründe liegen musz. da^z nun der leisten unbrauchbar 
sei, wird aus verschiedenen stellen bewiesen, von denen ich die erste 
nachgeschlagen habe, Caes. b. gall. 1 12 : flumen est Arar . . id Hei- 
TetU . • tnnsibani nach meiner ansieht erkUfcrt msa das Imp. trans- 
ibsot yid riehiigar nnd treffender, wenn man sagt: es besohreiht 
die läge der Belr«, wShrend nnd infolge deren 0. die im folgenden 
ersfthlten sehritte that, als wenn man sagt: der libergang daueirte 
noch fort, der leisten scheint mir also sehr branohbar SU sein, wenn 
in dem tob mir ^gemachten stocke* der sats vorkommt: *aas dem 
Wälde liesa ein kncknck seinen eint&nigen ruf erschallen^ so komme 
ich so wenig *lns gedrttnge', sn seigen^ dass dies fortwtiöende rnfen 
des kuckncks ein zog in der beschreibnng des landschafts-* 
bildes ist, keine einzelhandlnngi dass sogar cUe schwächeren schüler 



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374 



Die lateinische tempusiehre. 



dies regelmäszig selbst gefunden haben, übrigens wäre es kein kunst- 
stück , nicht 3 , sondern 30 stellen aus Cic. und Caes. zusammen- 
zusuchen, in denen sich das imp. schwieriger unter den begriff der 
dauei als unter den der beschreibung fügt. 

4. Auf ähnlich einacitigcr auffassung beruhen die übrigen be- 
merkungen über fassung der tempusregeln. L. erklärt Seite 427 rund- 
weg: 'die begriffe des selbständigen und bezogenen tempos 
bUddn die gnmdlage füx jede yerstlndige betraditung der temporal 
und tadelt 9 dagz ioh die neuere litteratar ttber diesen pnnkt nidit 
benutzt habe, wie viele grammatiker mit dem angefahrten satze 
einverstanden sind, lasse ioh dahingestellt | ich finde nnr, daez nnr 
ganz wenige, darunter Schuliz-Wetzel, den genannten unterschied 
ttberhaupt erw&hnen, ihn durchführen aber und zur grundlage der 
tempuslebre machen thut nicht einmal HOller- Lattmann, letztere 
grammatik kenne ich seit ihrem ersten erscheinen, habe aber, so viel 
gutes sie sonst auch hat^ gerade von den tempusregeln deshalb keinen 
gebrauch machen kennen, weil ich sehe, dasz die Unterscheidung 
selbstfindiger und bezogener tempora ohne ersichtlichen zweck die 
regeln nur verwickelter macht, obgleich also meine schüler diesen 
unterschied gar nicht kennen, rügt L., dasz ich das perf. nach post- 
quam, ubi, ut usw. nicht dadurch erkläre, sondern einfach sage: der 
lateiner verzicbtet dabei auf die bezeichnung der Vorzeitigkeit; vgl. 
nene jahrb. iS^^O, heft fi, 284. dabei ist mir allerdings der lapsus 
passiert, postquam unter diu conjunctiünen zu rechnen, die 'sobald 
als* heiszen, während ich in der classo zu sagen pflege: postquam 
und die conjnnctionen, die 'sobald als' hciszen. was aber ubi und ut 
betrifft, so musz ich trotz L. dabei bleiben, dasz sie (ut ganz gleich 
dem deutschen wie) die unmittelbar vorangehende handlung bezeich- 
nen; wie auch die lexika ausdrücklich angeben; daher ihre häufige 
Verbindung mit priraum, während sich nie ein abl. des Zeitunter- 
schiedes dabei findet, ich muaz also trotz der neueren liUeratur dar- 
über an meiner auffassuug iestLalienj wieweit der Lateiner dabei 
den Zeitunterschied 'empfunden' hat, lasse ich dahin gestellt, für den 
schttler kommt es nur darauf an, dasz er ihn in der verbalform nicht 
ausdrflckt. 

Weiter erklftrt L. den satz fUr falsch| dasz die begriffe gleich- 
zettigkeit und Vorzeitigkeit verschieden seien von demjenigen ver* 
hfiltnis zweier handlungen, das durch die consec. temp« ausgedruckt 
wird, und belehrt mich dann auf grund der neueren litteratur, dasz 
dixit, quid audivisset temporal auf das haar das gleiohe ist wie dizit, 
quöd audiverat, was jeder quintaner weisz. ich musz gestehen, dasz 
mir seine ausftlhrnngen hierüber völlig unverständlich geblieben 
sind, die regel von der consecutio stellt doch nur das 6ine fest, dasz 
der Lateiner nicht so willkllrlich wie der Deutsche die tempora des 
conjunctivischen satzes von dem des hauptsatzes losldsen , oder wie 
L» sagt, selbständig gebrauchen kann, sondern in der regel die zeit- 
liche beziehung zu demselben festhält j weicher art aber diese be* 



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Die lateinische tempuslehre 



375 



«ieliung ist, ob gleichzeitig oder vorzeitig oder nachzeitig, das ist 
eine gaiii andere frage, soll der scbüler den satz übersetzen: Caesar 
fragte, warum er das gethan habe, so macht die consecutio ihm nur 
klar, dasz er nicht sagen darf: fecerit. schreibt er nim &ceret, so 
fehlt er nicht gegen die eonaecatio, denn diese gestattet ja sowohl 
imp. wie plusq. , wohl aber hat er die art des seitTerhSltnisses ver- 
fehlt, indem er Toneitiges mit gleiebzeitigem rerwechselt. nnd 
gerade diese art von fehlem kommt so httofij; vor in sfttsen wie: 
nemo tarn ignavns erat^ quin arma eaperet. schreibt er, dnroh das 
deotsohe verleitet, cepisset, so kann ieh ihm doch unmöglich ssgen: 
du hast die consecutio verfehlt, so wenig wie: da must das bezogene 
tempus gebrauchen, sondern nur, dasz das capere dem ignavnm esse 
gleichzeitig ist. also das sind doch verschiedene dinge, und eben 
weil der schüler das eine davon schon weiss, dasz die regel von der 
gleichzeitigkeit und Vorzeitigkeit ebenso gut von conjnnctivisohen 
in» von indicativischen Sätzen gilt, dass dixit, quid andivisset tem- 
poral genau dasselbe ist wie dizit, quod audiverat, so ist es unnötig, 
ja widersinnig, ihn das von conjunctivischen sätzen noch einmal be- 
sonders lernen zu lassen und dadurch die regel unnötig verwickelt zu 
machen, dieselbe soM einfach lauten: auf baupltempora folgen baupt- 
temporaj auf nebentempora nebentempora. nun fragt mich L. (8.426) 
bei meinem satze: 'die consec. temp. hat offenbar ihren grund darin, 
dasz der Lateiner vermöge seiner scharfen auffassnng der zeitver- 
hSltnisse auch die handiung des conjunctivischen neben satzes sich in 
engem zeitlichen zusammenhange mit der haupthandlung denkt% wie 
ich mir denn diesen zeitlichen Zusammenhang denke, wenn derselbe 
nicht in dem Verhältnis der gleichzeitigkeit und Vorzeitigkeit be- 
stehen soll, ich bin in der that erstaunt über diese frage, also weiter 
besagt die consecutio nichts, als dasz das Verhältnis von gleichzeitig- 
keit nnd Vorzeitigkeit festgehalten werden soll? nach meiner ansieht 
besagt sie in erster linie, dasz die nebenhandluig nach lateinischer 
anf&ssnng ttberhaopt in der zeitsphftre der hanpthandlung 
verbleihen masz, nicht ans dieser heransgehoben nnd durch ein 
hanpttempus zn der zeit des redenden in beziehnng gesetzt werden, 
resp. za dessen nrteil gemacht werden darf, in sehr vielen fUlen 
kommt jener gegensatz von glttchzeiiigkeit und Vorzeitigkeit dabei 
gar nicht in frage, bei dem satze : Hortonsios tanta cnpiditete dicendi 
ardebat, ut flagrantius Studium nunquam viderim handelt es sich 
doch lediglich darum, ob Cic. damals, zur zeit des brennens, sah, 
oder ob er ttberhaupt nnd zu jeder zeit gesehen hat. nach I/.s 
ansieht von dem zusammenfallen beider regeln begeht vor allem 
die Lattmann-MUllersche grammatik den schwersten fehler, in- 
dem sie zuerst drei seiten regeln gibt über congruenz, coincidenz 
und antecedenz, d. h. also über gleichzeitigkeit und Vorzeitigkeit, 
und hinterher und völlig davon getrennt noch drei seiten über die 
consecutio. 

5. Indes musz ich nun endlich mein geheimnis verraten, dasz 



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376 



Die lateinische tempnslebre. 



ich im gründe meines herzens mit L. vollständig einverstanden bin, 
dasz die begriffe des selbätandigen und bezogenen tempus, wenn 
nicht die einzig mögliche, so doch eine ganz vortreffliche gmndlsge 
der betracbtnog der iempora Bind, die jetit illgmeiii ttbli^e grunäk 
läge, di» ans dem grMchSsehen enilebste anteneheidiiiig von seit* 
arten neben den seitetafen, der im kteliMeheii ond denteefaeii der 
boden föhlt, weil thatsleliKcAL eftnitliebe zettformeD mii ausiuibiDe de» 
latemieekeii imp» beides aaedrttefceii, ist fOr den didaktieehea sweek 
mibraaebbar, ja sie bert dieses eapitel zu dem fitr dia sehlller imw« 
danbelisteii der ganzen grammattk gemacht, zu den in der vmk» 
selbst Hegenden sobwiengkeitm kommt nocb der umstand, dasa ^ 
bezeichnuBgen dauernd und vollendet im gewöhnlichen spraehge- 
brauch eine ganz andere bedeutmig haben , von der die schüler sich 
natttrlich nickt losmachen können, sogar für das griechisebe rad 
diese Schwierigkeiten in II imd I noch sehr grosz , wie ich ans mehr 
als 20jähriger erfahrung weisz, obwohl die unterscheidxmg da in der 
conjugation selbst begründet liegt; im lateinischen aber bekommen 
die tertianer dadurch nur ganz verworrene Vorstellungen von der 
Sache,- und schleppen diese dann durch die oberctassen durch, ja ich 
behaupte, dasz viele junge phüoiogen beim beginn ihres lekramtes 
noch lange zeit mit diesen anklaren begi lifen ringen, an stelle der 
didaktibchen ist eine streng wissenschaitUche behandlangsweise ge- 
treten, als ob man damit dem tertianer auf einmal die fassungs- und 
Urteilskraft des wissenschaftlich gebildeten mannes verleihen könnte, 
und die grammätiken ünthalieii infolge davon eine menge wunder- 
licher und oft sich widersprechender einzelregeln und ausnahmen, 
wie ich bezüglich der EUendt-Seyffertschen im (in hai'l dieser jahr- 
btlcher von 1889 dargethan habe, deshalb heisze ioh die li.scho 
grundlage mit freuden willkommen, nnr mrass man dafttr jene ander» 
aufgeben nnd diese wirklich dvrehfttbrear nnd »aefa da aar 
anwendoBg bringen , wo lllr den seblUer die bauptschwiwigk^tSB 
liegen, in dem abweiehenden gebrauofa des deutschen imp.msd perf. 
und bei der conseontio« welcher gebraneb aber wird z. in der 
MflUer-Lattmannscfaen grammoftik, aaf die mein reoensent sieh lumpt' 
sachlich za stfUem scheint» vom selbstündigen und belogenen tempo» 
gemacht ? hinter sechs sdten regehi über tempora finden wir noeh 
drei Seiten solcher über congroente und incongruente gleich zeitig- 
keit, antecedenz und coincidenz. zunächst lassen sidi die begriff» 
congraenz und coincidenz überhaupt kaum scharf trennen, ich wenig- 
stens Tsrstehe nicht, wie in dem satze: qnae TOlnisti, abstulisti die 
handlnngen coineident sein sollen, das wollen nnd das hinwegnehmten 
scheinen mir ganz verschiedene dinge zu sein, dann aber frage ich r 
welchen zweck hat die ganze Unterscheidung? jede gleichzeitigkeit 
wird durch dieselben tempora ausgedrückt, mag sie sich nun unter 
der lupe als congruente, incongruente oder coincidente darstellen, 
und gleichzeitigkeit und Vorzeitigkeit zu unterscheiden fällt doch 
wahrhaftig auch den schülem nicht schwer, wenn sie nur von 



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Die iateukische tempusiebre. 



377 



früh auf gewöhnt werden darauf zu achten, warum nun 
diese subtile Unterscheidung in so abstracten regeln V blobz um ihnen 
klar zu machen, was sie von quinta her längst wissen, davsz der La- 
teiner Gleichzeitigkeit und vorzeitigkoit in der verbaiform schärfer 
auseiüander hält als der Deutsche, und woran er sich am leichteöten 
gewöhnen kann, wenn er anfangs sich das Zeitverhältnis dnrcb richtig' 
stellitiig im äßoMm immer mt klar maebl? gewis, qni baue divi» 
dit, doevtr aber gliudi«Ai zwMidose ittttmelieidiiiig«ii fllnd kein 
kene dividm, de ▼«rmekfvii anr dm u&Btltze fegelnwtoriAl tncl 
ttadMa diu sdittler eonfiit. 

Iii trie fem b^en mui die begriffe de« aelbBtSndigen vmä be^ 
xogeaen impo» die gnmdlage der tempnsbetraektiiiig? die wirk-' 
lii&e gnmdlsge soUeii offanbiar die seitsphSre md der seitotand bü- 
den,, wie sie Uer geaatnnt werden^ aber dieselbe wird netttrlieb Q»itcar 
bei den eiBtehregeln mlamii, weü sie thatsSchlich uaiiisfiUirbftr 
ist. jene andere Unterscheidung kommt mir kinterber snr geltong in 
dem einen satze: 'eUe diese fleofas tempora li^aiiett sowohl in selb* 
ständiger als in bezogener anwendangveritommeii'. anf den folgen« 
den Seiten sehe ich mich auszer beim imp. vergebens nach dieser 
gnmdlage nm, nur beim fut (§ 101, 1) erscheint der ausdruck ^selb- 
ständig' wieder in dem satze: Mm deutschen setzen wir statt des 
(selbständigen) fut. hänfig das praes.' leider aber dient er hier nur 
dazu, die regel unrichtig zu machen, denn wir setzen das praes. ebenso 
gut für das bezogene tut. (ich werde kommen, sobald ich kann), 
beim perf. ist mit keiner silbe davon die rede, sondern 'das perf. 

^praes. bezeichnet eine bandlung, deren beginn in die Vergangenheit, 
deren Vollendung oder fortdanemde Wirkung aber in die gegunwart 
föllt*. also milites galeas induerunt soll sich der schüler, obgleich 
es übersetzt wird: 'die Soldaten haben den heim auf, denken als 
eine bandlung, die in Vergangenheit begonnen und jetzt, im augen- 
blick des Sprechens, vollendet wird ? ich sollte denken, gerade nach 
der gegebenen Übersetzung bezeichnetes die bandlung gar nicht, 
sondern nur den aus der vollendeten bandlung sich er- 
gebendes Kustand in der gegenwart, ebenso wie die andern 
bespiele. kOnnen eolche regeb& einem tertlaner klare begriffe Toa 
eln^ saobe Tsnekaflen? das perf. bist, femer *beaeiehnet dne band* 
lung scbleebtbin als vollendet* nnd dient 'als reines (absolutes) prae- 
teritnm als erzshiendes tempas^ was steh ein tertianer duottter 
denken will, ist seine ssebe, jeden&lls ist mit dieser &ssnng der 
gegensatz von selbeUladigem und bezogenem perf. doobansgesdilee* 

• sen, wHarend derselbe gmde bier von eminenter praktiseberbeden- 
tnng wire. bei dem gegebenen beispiele : acoessi ad aedes, pn^ram 
evocavi. respondit. quaesivi dominum, domi n^nt esse cbrflcken 
die perf. doch unzweifelhaft aus, dasz die handlangen zeitlich 
auf einander folgen und innerlich zusammenhUngeft 
wie die glied er einer kette, sie sind also in beziehung auf 
einander gebrattoht, während dieselben sätzohen, wenn ich sie etwa 



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378 



Die lateinische tempuslehre. 



bei einem yerhör als antworten aufgestellte fragen ausspreche: hast 
du den bmchen genifen? ja, ich habe ihn gernfen. hat er geant- 
wortet? ja, er hat geantwortet nsw. als selbständige urteile erschei- 
nen, die ich jetst ausspreche, bei denen also die obige besiehnng zvl 
einander Yl^llig yerloren geht, es ergibt sich also fü das perf. hist. 
1) ein selbstttn diger gebrauch fttr die urteile vom Standpunkt der 
gegen wart (deutseh gewöhnlich pwf.}' 3)^besogener fttr die 
einselhandlangen in der kett« der era&hlung (deutsch nur imp.). ich 
sollte denken , damit wird das wesen des perf. hist. treffender und 
namentlich fttr den tertianer TerstSndlicher gekennzeichnet als mit 
den für jeden schüler unverständlichen ausdrücken ^schlechthin voll- 
endet' und 'reines oder absolutes praet.' damit erledigt sich die 
hauptschwierigkeit fttr den schüler^ die Unterscheidung von imp. und 
perf. in der erzählung, von selbst, denn es ergibt sieb, dasz jede 
• bandlung derselben, die zeitlich der letzten haupthandlung nachfolgt, 
ein neiies n-li^^d in ^cv kette bildet, im perf. stehen mnsz, jedes ver- 
bum dagegen, das etwas dauernd neben der haupthandlung herlaufen- 
des bezeichnet (der auadruck 'begleitende nebenumstände* ist eigent- 
lich zu eng und wenig bezeichnend), ins imp. gehört, so entsteht 
ein klarer und faszlicher gegensatz zwischen beiden: das eine be- 
zeichnet im bezogenen gebrauch die zeitliche beziehung als gleich- 
zeitigkeit, das andere als aufeinanderfolge; das urteilende perf. da- 
gegen sowie das perf. praes. enthalten den selbständigen gebrauch, 
und zwar lelzterea für die aus der vollendeten handlang hervorge- 
gangenen zustände in der gegen wart , ersteres für die urteile des 
redenden in hezug auf vollendete handlungen. dieser betrachtung 
der tempora liegen, denke ich, thatsächlich, wenn auch die be- 
aeichnungen nicht gebraucht werden, die begriffe selbständiges und 
bezogenes tempus zu gründe , und danach gestalten sieb dann die 
regeln Aber die consecotlo ebenso einfAcfa. dieselbe besagt doch in 
ihrem hauptgesetz lediglich, dass die seitliche beziehung zum verbum 
des hauptsatzes festgehalten werden musz. abweiohungen davon 
kSnnen also auch nur darin bestehen', dasz diese zeitliche bezie- 
hung — nicht etwa inihrerart geändert, gleichzeitigkeit und Vor- 
zeitigkeit vertauscht wird oder umgekehrt^ sondern dasz sie auf* 
gehoben wird, d. h. dasz die handlung des conjunctivischen satzes 
aus der zeitsphttre der Vergangenheit in die der gegenwart verlegt 
wird, denn das umgekehrte kommt nie vor, auch bei finalsätzen nach 
perf. praes. nur scheinbar, und dies wiederum heiszt nichts, als dasz 
an die stelle des bezogenen das selbständige tempus tritt, wie L. es 
ausdrücken würde, oder, win ich sage, dasz der gedanke zum urteil 
vom Standpunkte der gegenwart wird, hierauf müsten dann doch 
alle sogenannten abweichungen zurückgeführt werden, nun sehe 
man aber zu, was die grammatiken alles aus denselben machen! die 
MUUer-Lattmannsche z. b. gibt erst ganz richtig die hauptregel von 
der erwähnten grundlage aus, verläszt dieselbe aber bei den abwei- 
chungen (§ 116, dritte aufläge) vollständig, und das straft sich bitter. 



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Die latemiscbe tempuslehre. 



379 



bei fülgesätzen soll die abweichung dann stattfinden, 'wenn die folge 
als eine tiiatsäcLliciio ausdrückiicli bezeichnet werden solP, und 
dabei wird wieder ein a und b unterschieden, heiszt das eine sprach- 
liche erscheinung aus ilirem weeen beratis erklären? was hat in aller 
weit die leitbeiielning mit dem thatsScthtiehen oder ausdrücklich 
thaisSohlicbeii su ihim? in dem oben angefahrten satse: Hortonnos 
• • . ardebat, nt • • . boU sich also der sehfiler die folge nacb b ^ans» 
dracklleh als historisehes faotam' denken ? viderem würde doch gewis 
aaeb ein bistoriscbes fsctnm bedeuten» nur kein ansdrtleklicb beseieb- 
netes? was soll das beissen nnd wie bttngt es mit der consecatio 
snsammen? dann soll naeb anm. 1 in dem satze: tanta commntaüo 
fteta est» nt Laced. • . . pacem peterent das imp. als eigentliche regel 
zu betrachten sein, weil ^nicht eine ausdrückliche hervor- 
heb ung des historischen factum s beabsichtigt wird*, ich meine^ 
jeder tertianer mttste herausfühlen, dasz der gesamte einheitliche ge- 
danke: infolge dieses Umschwunges baten die Laced. um frieden» 
als einzelnes gUed so eng mit der kette der erzählung snsanimen* 
hängt, dasz es gar nicht möglich ist, einen teil daraus loszulQsen und 
durch ein selbständiges tempus als urteil vom Standpunkt des reden- 
den hinzustellen, und in diesem falle sind die nebentempora nicht 
'eigentliche regel', sondern eine m der natur der sache liegende 
notwendigkeit. dann kommt in anm. 3 ein beispiel: nemo fuit 
tarn stupidus, ut non intellexerit. dies fuit musz also perf. praes. 
sein, denn die anm. handelt von fallen, in denen der Lateiner der 
consecutio treu bleibt, und nach § 113 ist nur das perf. praes. haupt- 
tempus. demnach bezeichnet nach § 102 dies fuit 'eine handlung, deren 
beginn in die Vergangenheit, deren Vollendung oder fortdauernde 
wirkuncr aber in die gegenwart fällt', ich meine, der satz: es hat 
keinen solchen tboren gegeben usw. hat mit der gegenwart gar nichts 
gemein, als dasz ich jetzt über etwas vergangenes so urteile, und 
daher das perf. intellexerit. warum mdliob werden die abweichungen 
in andern arten von nebenstttsen nicht erwShnt? soll lUr diese alle 
die gleiche begrün dung als selbstTerstfindlicb gelten? 

Auf fthnliehe Schwierigkeiten stossen mehr od^r weniger alle 
grammatiken bei diesen sogenannten abweichungen. deshalb fQbre 
man den grundsats meines gegners durch ^ scheide aucb das perf., 
nenne seiner wirklieben natur entsprechend das eigentliche erzSh« 
lende perf. besogen» dagegen das perf. praes. und das das urteil 
▼om Standpunkte der gegenwart enthaltende selbständig, dann 
hstte der schfller über die ganze tempuslehre etwa folgendes zu be- 
halten : 

L Alle tempora werden bald selbständig bald be- 
zogen g eb r au obt (im allgemeinen wie im deutschen, nur strenger 

durchzuführen). 

Die beziehung kann sein 1) die der Vorzeitigkeit, 2) der gleich- 
zeitigkeit, 3) der nf\ch7eiti5rl^eit : cum ruä eo (ivi)» venando delector 
(durch die zeiten durchzuführen). 



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380 



Die lateinische tempubielire, 



Damit wären die übrigen tempors bis auf imp. und perf. in der 
lianpisadie erledigt« 

IL Das imp* besehraibt 1) salbstiadig (zusUiiaey OrU 
liehkeüeiii ebttraktora und gedanken, sittot und gawebubttteu luw.)^ 
2) beaogen, alles was dauernd neben einer banptband- 
Inng berlftnft 

in« Das perf. bezeiebnet: 1) selbst&ndig a) als per£r 
praes. gegenw&rtige zustände, die das ergebais einer 
▼ollendeten bandlang sind, b) urteile Tom Standpunkt 
dergegenwart (in bezug auf vergangene handlnngen); 2) be- 
zogen alle auf einander folgenden banpthandlnngen in 
der kette der erzählung. 

IV. Consecutio: in conjunctivischen Sätzen hält der 
Lateiner die bezlühung streng fest, durch den conj. 
praes. und perf. nach Zeiten der Vergangenheit wird 
also die beziehung aufgehoben und der gedanke zum 
urteil vom Standpunkt der gegenwart. (letzteres offenbar 
unmöglich in dem satze: Caesar quaesivit, cur id feciäset, dagegen 
die einzig saohgemäsze erkl&rung bei tum cogmtum est, quantom id 
Graecis profuerit.) 

So gewinnt man eine der Wissenschaft doch in keinüm falle 
widersprechende, jedenfalls aber dem thatsächlichen Sprachgebrauch 
entsprechende und didaktisch branchbare grundlage, die der tertiaaer 
yersteben kann, und auf der sidi dann die sSmtiiäien einaelregela 
ancb wirklich anfbanen. wandern mnsa ich mieh nur ttber das 6iaey 
dass mein Terehrter reeeasent ttber der fehleaden Snaaeren bezeieh- 
anng gar nicht bemerkt hat» dasz meine regeln aar die coasegneate 
dttrchftthroag des TOa ihm als alleia richtig emplöhieaen gnmd* 
gedankens enthalten« dasz er — Sbnlich wie vorher bei der erörte- 
mag fiber indnetiTes Terfahren — erst über meine misverstandene 
behandlnng nach allen selten loszieht, und hinterher derselben meine 
wirkliche grandlage als die seinige, richtige gegenttberstellt. nun, 
ich will seine bezeichnungen adoptieren , und wenn er selbst dann 
anf seiner basis folgerecht weiter bauen will, so sind wir einig, 
wünscht er aber weiter zu kritisieren, so musz ich doch bitten, 
1) dasz er so kühne schluszfoigerungen wie die eingangs erwähnte 
unterläszt, 2) dasz er meine arbeiten wenicfstens so aufmerkaani liest, 
da^z er mir nicht das gegenteil von memen ansichten unterlegt, 
dann will ich ihm das mäkeln an ausdrücken wie: das imp. steht 
still usw. gern weiter gestatten. 

CoKBACH. A. Waldeck. 



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3j9tem mi» gjnUoi naiek den kai«goxte der salsieile und MMse. 881 



34. 

STSTESC EINER 8TNTAZ 
NACH BEN EATEQOBIEN DBB SATZTEn:.E ÜND BÄTZE. 



Bei der systematischen bebfindlunt:»- der Syntax einer spracbe 
sind zweierlei wege mögiicli, man bebaiulelt dieselbe entweder nach 
den kategorien der redeteile, oder denjenigen des satzes, oder aber 
— wie diea gewöhnlich gethan wird — baut man die sjntax teils 
Äuf grund der kategorien der redeteile teils derjenigen des satzes 
auf. nach den kategorien des satzes sind im deutseben die gramma- 
tiken von Josupeit (syntax der biteiniscben spräche dargestellt als 
lehre von den Satzteilen und dem sutze für realschulen und die mitt- 
leren classen der gymnasien. Berlin, Gärtner, 1882) und Schröer 
(schulgrammatik der lateinischen spräche. Stendal, Franzen u. Grosse, 
1876) ansgevrbfitet, jedoch wird avoh in dieseii hficbQnidaasa gründe 
gelegte princip nidit mit voller consoqnenz durobgelUirt bei uns 
in Ungarn B^hlngfi» densellm weg ein Bartal-Malmosi (latei- 
nisobe e^tax« Bndapest» ^ggenherger), Simonyi (nngarieehegram* 
matik« Budapest , Eggenberger) und Ssinnyei (ungarische gram- 
matik, Budapest, Homy&nsdcj); snletst icb in meiner griechischen 
schnlsjntaz (Budapest, Eggenberger, 1883). dieselbe besteht aus 
drei haupttcUen. der erste ist eine allgemeine einleitnng in die 
s^ta^ , im zweiten wird kurz die bedeutung und der syntaktische 
gebrauch der redeteile im griechischen» im dritten die griechische 
.Syntax mit strenger consequenz nach den kategorien der Satzteile 
und Satzarten behandelt, ohne mich hier mit meinen Vorgängern 
des weitern auseinandersetzen zu wollen , gebe ich im folgenden die 
kategorien der Satzteile und s&tze, mit einiger Veränderung und be- 
deutenderen kürzunL^en in derselben weise, wie ich dieselben in der 
allgemeinen emleiiung der griechischen Syntax gejßfeben habe, ich 
bin der Überzeugung, durch diesen beitrag deutschen fachkreisen 
einiges anregende bieten zu können, bei der behandlung der wissen- 
schaftlichen Syntax einer spräche ist zwar die zuerst genannte be- 
handlungsweise zweckdienlicher, jedoch halte ich dafür, dasü bei 
Schulbüchern das auszer einigen auch von mir befolgte princip ent- 
schiedene pädagogische vorteile besitzt, indem dasselbe die syntak- 
tischen erscheinungen, wie sie während der analyse zum vorscbein 
kommen, nach einer mit der methodik der analyse identischen auf- 
fassungsweise ordnen und erklSren Iftszt. 

A, Satzteile. 

I. pvttdioat. 

II. subjeot» auf die fragen: wer? was? 
III. object, auf die fragen: wen? was? 
lY, bestunmungen* 



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382 Syiiem einer syntax nach den kategorien des eatsteile und eSise. 



!• Ortsbestimmungen« 

a) auf die frage: wober? 

b) auf die frage: wo? 

e) auf die frage: wohin? 

2. abstracte Ortsbestimmungen. 

a) auf die frage : woher? hierher gehören die bestimmnngen 
des Ursprungs und des g rundes. 

b) auf die frage: wo? in diese kategorie fallen die bestim- 
mungen des zustande«, der weise, der gemeiuschaft 
und des mittels. 

c) auf die frage: wohin? hierher sind zu ziehen die finalen 
bestimmungen , so z. b. die bestiminung des ziel es und 
die syntaktische function des dativs in den allermeisten 
fälleü. 

3. bestimmungen der zeit, 
a^ auf die frage: seit wann? 

b) auf die fragen: wann? wie lange? de geben an ent- 
weder 

a) den zeitpnnkt, z. b. vere, aest&te, oder 
P) die zeitdaner, z. b. Bomulos aeptem et triginta re« 
gnavit annos« 

c) auf die frage: bis wie lange? 

A) betrachten wir die drei hauptgruppen der bestimmnngen, so sehen 
wir, dasz die zu den einzelnen liau|»tfrrnppen gehörenden nicht nur 
mit denjenigen in derselben hauptgruppe stehenden verwandt sind 
(Verwandtschaft erster linie), sondern dasz eine jede in eine 
gewisse hauptgruppe gehörende bestimmung zagleich mit je einer 
in den ubrip-en znci f^Tuppcn stellenden bestimmunf;: in verwandt- 
schaftlichem veih.iltnisse ist (Verwandtschaft zweiter linie)* 

B) in verwandtaciialt zweiter linie stallen: 

1, die eigentlicben nad abetracten ortsbeatimmnngen auf die frages 
woh c 1 ? und die «eitbestimmang auf die frage : seit wann? (woberP* 
gruppe). 

2. die eigentlichen ond abstracteu Ortsbestimmungen aut die frage: 
wo? und die seitbestimmung auf die frage: wann? (wo P- gruppe). 

8. die eigentlichen ond abstracten Ortsbestimmungen auf die frage: 
wohin? und dio z eitbestimmang anf die frage: bie wie lange: 
(wohin? - gruppe j, 

C) tabellarlgoh» überalelit der In verwandtaelLaft erster nnd 
aweiter linie atehenden beatiamimgon: 



1 


wober? -grappe | wo?-gmppe 


wobin?-gnippe 

1 


Orts- 
bestimmungen 


1. auf die frage: 
woher? 


2. auf die frage : 
wo? 


3. auf die frage : 
wohin? 


abstracte 
Orts- 
bestimmungen 


1. anf die frage: 
wober? 


2. auf die frage : 
wo? 


3. auf die frage: 
wohin? 


/ Zeit- 
bestimmungen 


1. auf die frage: 
seit wann? 


2. auf die frage: 
wann? 


3. auf die frage : 
bis wie lange? 



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System einer »jmfar oaeh den kategorien der Misteile ond afttse. 383 



also steht z. b. die ortsbestiramting auf die frage: woher? in Ver- 
wandtschaft erster liiiie mit den ortsbpstimmuugen auf die fragen: 
wo? wohin:', iu vervvaudLacliaU zweiter imie mit der abstracteu 
ertsbestiminiing auf die frage: woher? und mit der seitbeetimniaDg 
anf die frage: seit wann? new* 

atlivibat. 

1. adjeeiirisclies attribat. 

3. substantiTisches attribat, auf die frage: weBB6&? steht 
immer im genetir. 
VL appoflitloiu 

Der wichtigste eatateil ist das prttdicat; dies let schon 
darans ersichtlich, dasz es unter allen andern Satzteilen der alleinige 
ist, der mit liilfe eines andern in demselben satze befindlichen Satz- 
teiles nicht gefragt werden kaoU| während &Ue übrigen Satzteile mit 
dem prSdieat unmittelbar oder mittelbar gefragt werden könneB ; daran« 
folgt, dasz alle Satzteile unmittelbar oder mittelbar TOm 
prädicat n.b hängen, hiermit ist das prädicat gewissermaszen der 
böhepuukt des satzes. ist das prädicat bekannt — und es ist unter 
allen Satzteilen am leichtesten ohne frage zu finden — so können mit 
dessen hilfe durch fragen die fibrigcn satsteile leicht gefonden und be- 
stimmt werden, z. b, der satz: '"zum l^ampf der waf];-cn nnd gesänge 
zog Ibykus, der götterfreund.' prädicat : ^zopr'; frav:^ ; "''''^'^ zog? ant- 
wort: ^Ibykns der götterfreund'; die antwort bildet eine gruppe des 
snbjeetes, worin das eigentliche subject 'Ibykns'iet; 'der götterfreund' 
antwortet auf die frage: was für ein Ibykus? ist also apposition des 
aubjoctes, wovon es unmittelbar, vom prädicat mittelbar abhängt, 
weitere frage: wohin zog Ibykas? antwort: 'anm kämpf der wagen 
und gesSnge'; dies ist eine gruppe der Ortsbestimmung auf die frage; 
wohin? eigentliche Ortsbestimmung ist ^zum kämpf*, der übrige teil 
'der wachen und gesänge' antwortet auf die frage: wessen? nnd besteht 
aus zwei substantivischen attributen. 

B. Sätze. 

Der satz hat zwei grundelemente, die den satz bilden, und 
ohne die kein satz möglich ist, diese sind das prädicat und das 
subject; alle Qbrigen satiteile können auch fehlen, ohne die existena- 
bedingung des satzes irgendwie zu gefährden, subjectlose sätae 
gibt es nicht, da sUtze olme snbject eben keine sätze sein können, 
in den sogenannten subjectlosen Sätzen ist das subject nur ^logisch' un- 
bestimmt und 'grammatiseh' durch das snffix dritter person unbestimmt 
ausgedrückt. 

Die Sätze sind nach sechs Standpunkten zu unterscheiden, nem* 
Höh: nach der art, grösze, qnalltftt der anasage, dem verhfilt- 
niS; der oonaferuotioii imd atetUung. 
L nach der art ist der satz: 

1. einfach, wenn er nur ein prädicat nnd ein snbject hat, d, h. 
ans einem einzigen satze besteht; 

2. zusammengesetzt, wenn er zwei oder mehrere prftdicate 
nnd snbjecte hat, d. h. ans zwei oder mehreren stttzen zu- 
sammengesetzt ist. 

IL der einfache sowie jeder einzelne satz im zusammengesetzten 
satze ist nach der gröese entweder 



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384 . SyKtem ainer fl^nta nudi den Jkatcgoricn der Mtetaile und eUn«. 

1. bloss, wenn er nur am prädicat und subject besteht, oder 

2. erweitert, wenn er ansser pr&dicat und snbjeet noch andere 
satsteüe hat. 

m« der einfädle, eowie jeder einzelne sats im suaammengeeetzten 
- eatze ist nach der qualitftt der aussage: 

1. indicativiach, 

2. conditio nal, z. b. n hoc dioerest emrea, 
3« Imperativisch, 

4. exclamativ, 

5. optativisch, z. h. utinam mortem oppetami 

6. final, z. b. Eomulus legatos circa vicinas gentes misit, qui 

societatem connubiumqne novo populo peterent, 

7. cnnsecutiv, 2, b. nemo est, quj dicat^ 

8. fragend, 

9. bejahend, 

. 10. verneinend. 

Der verbietende sate ist ein negativer imperativeats. 

IV« das veriiiltnis der einzelnen sStze sn einander im zusammen- 
gesetzten satze ist entweder beigeordnet oder unter* 
geordnet 

A) im beigeordneten verhSlinis sind die sfttze beigeordnet: 

1. un verbunden, z. b. nunquam est fidelis cum potente 
societas: testatnr häee labeUa propositum meum. 

2. verbunden, z. b. supmor stabat lupus, longo que in- 
ferior agnus. 

8. getrennt, z. b* utinam aut hic surdus aut haee muta 

facta sit. 

4. entgegengesetzt, z.b. miser homo est, sed Ule miserion 

B) im untergeordneten Verhältnis ist der satz: 

a^ hauptsatz, wenn von ihm ein anderer abhängig istf 
b) neben satz, wenn er von einem andern abhKngt. 

IHe nebensfttse sind in ihrem Verhältnis com hanptfl&tze immer mit 
einem patztoilp gleichwertig, deshalb können sie ebenso mit dem haupt- 
satze gefragt werden, wie die einzelnen Satzteile mit dem prädicat. 

Die nebensfttze sind: 

1« subjeetive nebensätze, z. b. oonstat Pjtha- 
goram Servio Tnllio regnante in Italiam 

venisse. 

2. objectiye nebenstttze, z.b* dicunt Latinum cum 

Aenea pacem fecisse. 

3. bestimmungsnebensätze. 

A) grnndbestimmende nebensStze, z. b. Tar- 
quinius imploravit auxilium urbium JBtruscarum 
maiime Veientium et Tarqutniensium, quia ex illis 
ortas erat. 



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BjtUm eiiier synttx nach dea kategorien der «aitieile und lAtee. 886 

B) weise bestimmende nebensfttse, diese sind: 

a) hypothetisolie nebenstttse, z. b. si hoc 
dioiSi erras. 

b) eomparative nebenstttse, z* b. sio &dam, 
siottt eonsUium est 

c) concessive nebensätze, z. b. viri optiml 
faciunt, quod rectum, etsi nallom consecuturum 
emolumentum vident. 

d) ad V ersative nebensätze^ z. b. homo solus 
est partioeps rationisi quum cetera sint omnia 
expertia. 

C) zielbestimmende nebensätze, z. b. Brutus 
patrem exnit, ut consulem ageret. 

B) zeitbe stimmende neb ans ätze, diese antworten: 

a) auf diö frage: seit wann? 

b) auf die frage: wann? sie drücken im vergleich 
zu der im bauptsatze angegebenen zeit ans : 

o) TOrzeitigkeit, z, b* Ahms, nbi proeul 

Brutum agnovit, inflammatas ira inqait. 
ß) gleiebzeitigkeit; diese geben an: 

1. den Zeitpunkt^ z. b. iam impeta enm 
deirudere oonabantor, quam fragor pontis 
bestes paullisper retardavit. 

2. die Zeitdauer, z. b. Ligarias eo tempore 
paruit, quum parere senatni necesse erat* 

Y) nacbzeitigkeit, z.b.priusquamincipias, 
consulto opus est. 

c) auf die frage: bis wie lange? 

4, attributive (relative) nebensätze. 

5. apposifcionelle nebensUtze, z. b. nullum despera- 
tionis malus estindlcium, quam quod urbes urerent. 

Prttdicative und ortsbestimmende nebensätze gibt es keine, die so- 
genannten ortsbestimmenden nebensätze sind sämtlich relativ- attributiTe 
nebensätze; z. b. Lampsacum dooarat, an de vinum sumeret* 

Y, der zusammengesetzte satz kann nach der oonstraotton zu- 
sammengezogen sein, wenn in ihm zwei oder mehrere oder 
aber alle sätze ein gemeinschaftliches prädicat oder subject 
haben I z. b. Aeneas patriam reliquit et in Latinm yenit» La- 
tums Aboriginesque armati ad venis occarrerunt, 

YL die sfttze im zasammengesetzten satze können nach der atölluiig 
getrennt und dazwisehenge stellt sein* z. b« in dem zu- 
sammengesetzten satze: 'zum kämpf der wagen und gesänge, 
der auf Korinthus' landesenge der Ghriechen stftmme j&oh vereint, 
zog Ibykus, der götter freund' ist der satz: *zum kämpf der 
wagen und gesänge zog IbykuS; der gQtterfireond' getrennt, der 
andere dazwischengestellt» 

ll.ithtli. r. phiU n. pid. U. »hU 1990 bft. 7. S6 



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386 Syatem nner Bjmtax nach den kategorien der Batsteüe und eUie. 



Tabellarische überstellt der satsteile und sfttse* 



I. prädicat. 
II. subject. 

III. object. 

IV. bestimmuDgen : 

1. Ortsbestimmungen: 

a) woher? 

b) w<>? 

c) wdbhi? 

2. abstraete Ortsbestimmungen : 

a) woher? 

b) wo? 

e) wohin? 

3. bestimmnngen der seit: 



b) wann? wie lange? 
a) Zeitpunkt» 

ß) Zeitdauer. 

c) bis wie lange? 
V. attribut: 

1. adjectiviscbes attribut. 

2. substantivisches attribut 
VI. apposition. 



1. nach der art: 

1. einfach. 

2. zusammengesetzt. 
II. nach der grOsze: 

1. blosz. 

2. erweitert. 

III. nach der qualitUt der aussage : 

1. indioativiscb. 

2. conditional. 

3. imperativiseh. 

4. ezclamatiT. 

5. optativisch. 

6. final. 

7. conseontiv. 

8. fragend. 

9. bejahend. 
10. verneinend. 

IV. nach dem verhUltnis: 

A) in beigeordnetem Verhältnis: 

1. unverbunden. 

2. verbunden. 



L Satzteile. 




n. Sätae. 



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SyBtem einer syntu nach den kstegonen der «Meile nnd afttee. d87 

3*getreiuti. 
4. entgegengesetit 
B) in aniergeordaeiem TerbttUais: 

a) haaptsati. 

b) nebensatz: 

1. subjectiTeraebeDsati« 

2. objectiver nebensatz. 

3» bestimm ungsneben Sätze: 

A) grundbestimmende nebensätze. 

B) weise bestimmende nebensätze. 

a) hypothetische nebens?ttze. 

b) comparative nebensätze. 

c) coucessive nebensätze. 

d) adversative nebensätre. 

C) ziclbestimmende nebcnstitze. 

D) zeitbeätimmeude liebenstilze : 

a) seit wann ? 

b) wann? 

a) Vorzeitigkeit, 
ß) gleiehseitigkeit: 

1. seitpankt 

2. Zeitdauer. 
T) naebseitigkeit. 

c) bis wie lange? 

4. attributive nebensätze. 

5. appositionelle nebensätze, 
iiaeb der eonatnietion: 

zusammengezogen. 
VI. nach der Stellung: 

1. getrennt. 

2. dazwischengestelit. 

BUDAFfiST, WlLBELM FEOa. 



85. 

ZUM AÜSSTELLE:^^ DER SGHüLZEUGNiSSE. 



Urteile wie das bertLbmte *im ganzen noob so siemlicb befrie- 
digend' baben die vorsebrift veranlaszt, dasz beim zeugnisscbrei- 
ben der lebrer sieb an eine bestimmte zahl yorgeschriebeDer nrteils- 
formen zu balten ha^ dasz keine zwiscbenformen gestattet sind nnd 
anob absebwfiebende (oder erhl&eBde) znsätze nicht gemacht werden 
dflxfen. 

Überblicke ich die scbüler einer elasse , denen ich ^genügend' 
gebe, so stehen diese natürlich nicht sämtlich auf gleicher stnfe der 

2ö* . 



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388 



Zum AUBitdlen der aclmkeugiuiBe. 



leistuDg; es finden sich unter den leistungen solche, die beinahe 
^gut', andere, die wenig mehr als 'mangelhaft* sind; bedeutet 3 den 
durchschnitt^ so schwanken die wahren werte der leistnngen swischen 
2,6 und 3,5. unter den ^genügend' genannten leistungen ist also ein 
unterschied von 0,9, d. h. fast so viel wie zwischen dem durchschnitt- 
lichen ^gfenüfrend' imd dem durchschnittlichen 'mangelhaft', ein 
lauter ^genügend' enthaltendes zeugnis erhält unter umständen der 
fast 'gute' Schüler ganz ebenso wie der beinahe 'mangelhafte'. 

Aber mehr, der zu versetzende schüler soll durchschnittlich 
•genügende' leistungen aufweisen, das hat dann zu der Vorschrift 
geführt, dasz ein schüler unversetzt bleiben kann, der 1 'mangel- 
laaft* (4) im schluszzeugnis hat; unversetzt bleiben musz, wenn er 
2 'mangelhalL' hat — sofern diese nicht durch mehrleistungen, d.h. 
'gut' (2), in andern fächern aufgewogen werden, an den meibien 
schulen, die sich hiernach zu richten haben, hat sich der gebrauch 
gebildet, im ersten falle in der regel zu Tersetien. 

Nun betrachten wir zwei Zeugnisse eines realgymnasiumSi in 
denen die wahren werte der leistungen neben das vorgeschriebene 
runde urteil gesetzt sind: 

A: mathematik 3 (2,6) , natnrwissensehaft 3 (2,6), deutsch 3 
(2,6), französisch 4 (3,6), englisch 4 (3,6), latein 3(2,6), geschichte 3 
(2,6) — kann nicht versetzt werden. 

6: mathematik 3 (3,5), natnrwissensehaft 3 (3,5), deutsch 3 

(3.5) , französisch 3 (3,5), englisch 3 (3,6), latein 4(4,5)| geschichte 3 

(3.6) — kann versetzt werden. 

Und doch ist der erstere der bei weitem bessere schüler; er 
steht hinter dem zweiten in den neuern sprachen ein wenig zurück, 
ist aber dafür in allen andern fächern wesentlich, im lateinischen 
ganz erheblich hesser. mithin ist es eine offenbare Ungerechtigkeit, 
wenn man den zweiten versetzt, den ersten TiiclU, wie gesagt, wird 
aber der zweite wahrscheinlich versetzt werden; er müste sogar 
versetzt werden, wenn er anstatt 3 (3,5) in der geschichte 2 (2,5) 
hätte, und auch dann wäre doch der andere ihm noch bedeutend 
überlegen. 

Was man erwidern wird, ist klar: eine betrachtungs weise, die 
mit komma und zehntein arbeitet, ist bei dieser gelegenheit nicht 
angebracht; fertig, allein das ist eine ansflacht. wer sich in das 
gebiet der zahlen begibt, der — kommt eben manchmal darin am; 
er musz sich gefallen lassen; dasz man mit der schürfe, welche im 
gebiet der zshlen selbstTerständlich ist, auf seinen weg achtet« 
schreiten wir einmal auf den stelzen 1, 2, 3, 4, 5 einher, so ist die 
berechtigung obiger auseinandersetzung nicht zu bestreiten. 

Der hin weis auf die unvermeidlichen * beobachtungsfehler' kann 
auch nicht wirken; es handelt sich um fassung und Verwertung des 
Urteils der lehrer, nicht um seine richtigkeit. will man aber diese 
fehler betonen, so verstärkt man nur meine Stellung; ein beobach- 
tungsfehler von 0^1 wirft ja das urteil unter umständen um eine 



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F, Hokweisflig: Übungsbuch für den untepicbt im lateiniacben. 

ganze stufe hinunter! und nacli meiner erfahrung sind sogar be- 
obachtungsfehler von 0,6 keine Seltenheit. 

Sonach ist wohi die frage berechtigt, ob man nicht den teufel 
durch Beelzebub vertrieben hat, indem man, um den lehrer zu be- 
stimmter fassung seines Urteils zu nötigen, ihn an einer genauen 
beurteilung des schülers hinderte. 

Dasz ein lehrer im stände wäre, seine schüler bis auf die der 
klarbeit wegen obea benutzten zfilmtel genan m beurteilen, glaube 
ixh so wenig, wie sonst jemand; allein warum soll dem lefarer nicbt 
gestattet sein» das urteil so genau er es vermag abzugeben? mikg 
doeb ToUe bestimmtbeit immerbin gefordert bleiben 1 diese wird aber 
s« b« durcb ein urteil wie 'noeb genügend, Jedocb nabe an mangel- 
baft' vollkommen erreicbt. 

mt den obigen Vorschriften erzielt man zwar glatte Zeugnisse 
und bequemste Versetzung, allein man bleibt von der Wahrheit und 
gereditigkeit mehr als notwendig entfernt. 

SOBBBKBaiH. B. BirOfiBUOEBB. 



86* 

ÜBint08BirO& F0B DEN UNTERBIOHT IM LATEINISODOBN. 0UB8US DBB 
QÜABTA VON DB. Fb. HOLBWBISSia, DIBEOTOB DES VICTOBIA- 

OYMNASiUMS ZU BURG. Hannover, norddeutsche Terlagsanstalt 
(0. Qoedel). 1889. YIU u. 184 b. 8. 

Hiermit hat uns Hokweisbig zu den Jahrgängen für sexta und 
quinta auch den für quarta beschert , zur nicht geringen freu du deä 
berichtorstatters, der bei seiner besprechung der beiden ersten teile 
den lebhaften wünsch aussprach, das ttbungsbuch, das erst nur aüf 
jene beschrftnkt bleiben soUtOi doch in diefier weise nicht als rümpf 
ohne köpf umgeben zu lassen« 

Als bauptaufgabe ist ja der gymnasialquarta durch die lebr- 
ordnung die erste einflbnng der casnslehre zugewiesen, und so han- 
deln denn die abschnitte U, HL IV. VI und VII vom subjeöt und 
prttdicat und der prSdioatsergftnaung oder dem nominativus, bzw. 
vom accusativus, vom dativus, vom genetivus und vom ablativus 
einscblieszlich der orts- und Zeitbestimmungen , von dem allen aber 
in ziemlicher ansffihrlichkeit, wie sie conferenzbescblüsse der lehrer 
des Burger gymnasiums für gut befunden haben, dem ersten ab- 
schnitte aber ist eine Wiederholung und ziemlich eingehende ergSn- 
znng der bereits früher behandelten syntaktischen regeln zugewiesen, 
also des acc. und nomin. c. inf. (§ o und 19), der pronomina der 
3n person und der reflexiva, der personal- und der Possessivpro- 
nomina (18), des gerundiums und gerundivums (7 — 9), aller arten 
von participialconstructionen (10 — 14), der orts- und raumbestim- 
mongen (5 and 6) und der deutschen dasz-sätze, besonders der verba 



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390 i" . Hoizweusig: Übungsbuch für den uBterhcht im lateinischen. 

des ftirchtens. wie darin, so verrät die anordnun^ den erfahrenen 
und gründlichen schulmann besonders in der fortwubrenden Übung, 
so alle YOraubgegaügöuen regeln ausnahmslos in dem spätem übungs- 
öLüÜe finden, sowie in der ansetzung besonderer paragraphen zur 
Wiederholung am ende jedes absdmittes; dann eines ganzen 15 Seiten 
langen fünften abschnitteB mit gemisebten bdqMen fttr den aeoa- 
sativ und daÜT und eines 10 Seiten langen achten abschnitles am 
schlösse rar Wiederholung der gesamten easnslehre. 

Innerhalb dieser absehnitte nnd paragraphen ist der Jahrgang 
der IV* gans ttbnHdi wie seine Torgftnger eingeriefatei der stoff ist 
geschickt in kleine einheiten aerlegt nnd fihnliohes nnd verwandtes 
rnfSgUchst neben einander gestellt ; wie dort tragen alle solche para- 
graphen, die neaes bringen, fettgedruckte tlbersehriften, desgleichen 
für den lehrer, der schon in quarta die grammatik fttr die sjntax 
benutzen will, die §-nummer der Holzweissigschen grammatik und 
endlich die zahl des zugehörigen Neposcapitels am köpfe, in diesen 
Worten 'und des zugehörigen Neposcapitels' liefet die pfanze eigen- 
tümlicbkeit und stärlie des buche« beschlossen ; denn dasz Nepos 
überwiegend die quartalectüre bildet, ist für seine anläge bestim- 
mend gewesen, und zwar in folgender ^vcise: von § 5 an stehen, ab- 
gesehen von wenigen der Vollständigkeit halber herangezogenen 
loci communes und wenigen Caesar- und Cicerostellen, ganz über- 
wiegend (sicher über 95 V^) Nepossätze, 'zur ableitung der regel 
und zur retroversion', wie Holzweisaig im vorwort s. IV sagt, be- 
sondern dank verdient es, dasz bei jedem Nepossatzo genau an- 
gegeben wird, woher er genommen ist. denn so kann das haupt- 
pensnm der quarta, die' erste durchnähme der easnslehre , zugleich, 
wie Holzweissig richtig verlangt, in der reihenfolge der grammatik, 
•d. h. systematisch, nnd auch inductiv erledigt werden, indem es so 
selbst einem vielbeschftftigten und nngeflbt^ lehrer Icacht gemacht 
ist, zumal nach der bewSltigung einiger lebensbesdudbungen des 
Kepos, von deren bereits durchgenommenen afttsen ausaogehen. 
dazu sind die beispiele au den verschiedenen Unterarten eines casus- 
gehrauchs durch a, b, c usw., durch absätae und striche geschieden 
und die durch die am köpfe des paragraphen stehenden beispiele er- 
läuterte und sub linea gewöhnlich im Wortlaute angeführte regel ist 
in dieselben abs?itze geteilt und mit den gleichen buchstaben ver- 
sehen; ein verfahren, durch welches ebenso die beste Übersichtlich- 
keit erzielt als eine benuUung der grammatik auf der quartastufe 
überflüssig gemacht wird. 

Trifft also das Holzweiösigscbe buch in der art, den lateinischen 
üburigssioif herzurichten, ganz mit den trefflichen Übungsbüchern 
von La-ttmann zusammen, wo ja auch die iu den voiher bewältigten 
lesebüchern für eine regel dagewesenen beispiele bei deren syste- 
matischer durcbnabuie au die opit^e gesiellt und wieder abgedruckt 
sind, so kann man den durchweg zusammenhängenden text der 
deutschen ftbungssfttze mehr oder weniger einen deutschen Nepos 



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F. HokweUaig: Übungsbuch ffir den Unterricht im laieinischen. 391 

plenior nennen, wio denn auch ihr verfasaer Vogels Nepos plenior 
und Lattraanns Corneiii Nepolib über suppletub mancheb zu ver- 
danken scheint Holzweissig hat nemlich nach einer in § 1 an die 
«pitze gestellten yita ComeHi Nepo^ in $ 8 — 19 dessen loben des 
MiltiAdsB, 20—43 de» ThemisiooIeB, 44-^51 Arisüdes, 
FansaalM, bl^e^ Oimon, 65—87 AldbiMleSy 88—91 Tbrasybulus, 
92 — 114 Agesilaus und 116—127 EpamiBondaa sn gronde gelegt. 
43ie oft 80 «bgerisseno und eben darum Ittr den qnartaner schwer 
▼ersttndlfielie enfthhuig desSepoe wird Mer* besonders ans Herodot 
und Xenopbon, auch dnrch besiehimg auf römische und neuere yer- 
'failtoisse und durch beurteilung nadi allgemein gültigen grund» 
'etttaen trefflich ergttnst und erläutert; und wer mit seinem jahr- 
gange den ganzen stoff bewältigen kann, wird dem lebrer der 
geschi^^te in untertertia für den seitraum von 500 — 362 der grie- 
chischen goseliielite tüchtig voigearbeitet und viel bahn frei gesUcht 
haben. 

Indes, das ist nur ein schöner nebonertrag, die bauptsache ist 
dies: inHolzweissigs üb ungs buche ist es mit der concen- 
tration des lateinischen Unterrichts mehralsinjedem 
andern übuugsbuche, das haup tbächlich stoff für das 
übersetzen aus dem deutschen in das lateinische bietet 
(über 91 von 131 sciten text), ornst: die class o nlectüre 
ist wirklich zum alleinigen träger des ganzen unter- 
richtö gemacht; denn aus Nepos stammen die beispiele und 
musterstttze, ans ihm fliasst der ganie wort- nnd {Arasenschatz, 
VI ihm leitet rttekerinnemd, ergänaend nnd beurteilend jede ttber- 
soiaang anrftok. ohne aweifel wird auch daa doppelte , was Hols* 
weiMig von einer derartigen oonoentration erhofft^ mit seinem buche 
eiTsicbt werden: dem quartaner^ der so beim erlernen jeder regel 
und Wendung und bei jeder übersetsung auf vorher verdauter und 
ihm wieder in die erinnerung tretender lectttre fuszt, wird nicht nur 
das lernen überhaupt, sondern selbst auch die bewältigung etwaiger 
Schwierigkeiten erleiebtert; anderseits haben zu diesem zwecke die 
ziele des lateinischen Unterrichts für quarta durchaus nicht, wie es 
heutigen tagee nur zu oft geschieht, nach unten verrückt zu werden 
branchen. 

Eher fürchte ich, dasz dies nacli oben zu geschehen ist, wenn 
ich an die paragraphen vom gerundium und gerondivum denke, wo 
selbst Übersetzungen wie Rpes hostium vincendornm zu liefern sind, 
oder an die fast erschöpfende behandlung der verba des bittens, 
fragens und forderns in § 26, an den unterschied von probari ab 
aliquo und alicui in § 38, und an den von esse c. dat., c. abl. qua- 
litatis nnd mit in und ablalivus in 36 ^ oder gar an die drei arten 
des abl. modi in Ö8. doch lal nicht zu verkennen, wie viel dafür 
Holzweissig neben der trefflichen begründung des ganzen baues auf 
der Neposlectüre auch im einzelnen noch getlum hat» um dem schüler 
aUa Schwierigkeiten leicht tlberwindlich sn machen, da sind mög- 



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392 P.Holiweissig: übangebuch für den nnterricbt im lateinischen. 

liebst glttohe Wendungen des deutsehen hersngexogen, da fehlt für 
die nnpersönliehe eonetruction auch ein beisplel fOr Um Terbiadung 
mit liUffiTerben nicht, verwandtes ist snsammen dnrefagenommen, 
und Tor allem sind die nnter eine regel fallenden Wendungen nnd 
Terbindnngen ans dem lateinisehen ttbnngsstofEe anegeM^gen nnd im 
wttrtemneichnisse immer am anfange der entspredienden Para- 
graphen als zn lernend mit anfgefUhrt. 

Im übrigen bietet dieses Wörterverzeichnis t das neben den 131 
Seiten text auf s. 132 — 184 den zweiten hauptteil des buches bildet, 
hauptsächlich die ftlr die Übersetzung der lateinisehen beispiele 
benötigten vocabeln und pbrasen, spärlicher auch solche für die 
deutschen abschnitte, die im wesentlichen aus dem Wortschätze jener 
und der an der spitze vermerkten Neposcapitel aufgebaut sind, sie 
sind in der reihenfolge, in der sie vorkommen, also als vollständige 
präparation, aufgeführt; sehr viele sind vier und mehr mal wieder- 
holt, aus abschnitten, welche der Wiederholung dienen, sogar alle, 
die qnantität ist, der dritten stufe entsprechend, mit recht viel 
seltener bezeichnet als in den beiden ersten Jahrgängen, sehr 
dankenswert ist ea, dasz manchmal dio abstammung der werter 
durch in klammem beigegebene stamm- oder verwandte wörter an- 
gedeutet wird; doch konnte hierin leicht noch viel mehr geschehen, 
ausserdem sind, nnd zwar gewöhnlich am ende der paragraphen in 
gesperrtem dmok, eine ansahl schon vom quartaner sn nntersekei* 
dender synonyma aufgeführt. endUch stdit aneh im wOrterTerasiob- 
nisse eine stattliche anzahl von stüisttschen oder grammatiBehen 
regeln nnter dem striche, soweit diese nemlieh bei der ^stemati- 
sehen durchnähme der casnslehre im ersten teile nicht angebracht 
werden konnten, so über prSpositionale attribnte, über asyndeta nnd 
Polysyndeta, über die weglassnng der lat. possessiva und der acon- 
sative eum, eam, id, über die Toranstellung der dem hanpt- und 
nebensatze gemeinsamen subjecte und objecte, über den relativischen 
anschlnsz, über die Vertretung deutscher reflexiva durch lateinische 
passiva, über die erset^unpr deutscher participia per f. , über correla- 
tiva u. a. ; gewis eine mit Ireuden zu begrüszende vervoUstiindigung 
des grammatischen stofiFes des ersten teiles und eine weitere erleich- 
terung für lehrer und schüler, indem so die führung eines regel- 
buches erspart wird. — 

Zuletzt ein Verzeichnis einiger verseben oder doch bedenklicher 
stellen, wie sie mir beim schnellen durchlesen aufgestoszen sind. 

Druckfehler sind mir nur s. 4 (^esti' für 'etsi') und s. Ib'J 
. ('schrecken' für 'schranken') aufgefallen, etwas mehr bitte ich da- 
gegen zu den regeln sn bemerken : s. 6 ^sn 4? möchte es entspre- 
chend den ttber dem slric^ angegebenen nnd im texte oft Terwen- 
deten drei flbersetnmgsarten des aec. c inf. beissen; *im denteohen 
stcbt * • • [hftafig ein conjnncüonsloser objectssats im indicatiT oder 
coi^unetiv oder] bei gleichem snbjeete der infinitiv mit sn.* — s. 12 
fehlt eine bemerknng ttber die ttbersetcnng der remeinten genmdiy- 



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F. Hokweiesig: Übungsbuch für den Unterricht im lateinischen. 39^ 

conhtruction durch ""dürfen'. — 0. 15 ""üu 10' fehlt: [111. statt 'und* 
und einös beigeordneten verbums. — s. 23 ^2u 15* dürfen kaum 

fehlen: 'd) abhängige begehningssfttee j 2] objecte»»^ } 

— und weiter: *xa beaehten ist (nameBtliefa wenn finalsItM . • * 
[und begehnmgssttiBe mit lu] gebildet sind)' 1I8W* es konunen neni' 
Höh erstens sehr viele nieht unter a— c) nntersabringende ftUe von 
dasa-sttzen und infinitiyen mit zu Tor, wo nt erforderiioh ist; nnd 
sodann wird die oft so weit hinanfireiobende gedankenlosigkeit, nt- 
satz und acc 0. inf. zu vermengen, nur dadurch mit der wurzel aus- 
gerottet, wenn die sohttler bei der ersten behandlnng des letztem 
aussage- und dasz-satze unterscheiden lernen, eine forderung, die 
überdies fUr den deutschen Unterricht der quarta durch die lehrord- 
nung gestellt ist. — Zn 18 lautet die regel über das reflexivum noch 
ebenso ungenau wie im quinta-cursus. zu 21 möchte es heiszen: 
. . prädicatsnomina [im nominativus]. s. 88 zu 77 und desgleichen 
8. 108 zu 102 würde es genauer heiszen: 'die vergleichenden aus- 
drücke tanti, pluris, minoris und das zugleich fragende und relative 
quanti.* — s. 138 zu 10 ist 'itaque cum : als daher' zu streichen, da 
die Stellung ^als daher' als sinnwidrig auch aus den deutschen Sätzen, 
wie § 38, 16. 42, 8. 64, 2. 118, 6 zu entfernen, bzw. bei Über- 
setzungen auä dem lateinischen nicht zu dulden ist. — b. 130 zu 11 
wäre richtiger: 'wie beim ersten [sein beziehungswort]*. — s. 147 
za 22: fMt *mit einer [beiordnenden] conjunction'. ^ s. 149 unt^ 
26 mficbte es wenigstens heiszen *oäor aliquid (pronomen I) , aber 
eelor de aUqaa re (snbetaatiTumI) und s. 175 nnter 92 ist ampbora 
. sommai woAbr es wenigste summa amphorabeisaen mflste, geradeaa 
fiilsok mit 'Oberfläche des kruges* übersetzt: Hannibal legte vielmehr 
in den krttgen gold und silber ol)en auf« 

Auch einige leiolit al>zustellende mängel der deutschen Übungs- 
sätze, die im gsnzen, soweit dies bei einem Übungsbuche für quarta 
möglich ist, Ton einem lateinischen ttbersetzungsdeutsch freigebalten 
sindi sollen nicht yersohwiegen werden, ea sind meist kleinigkeiten 
und zwar dieselben , wie sie sich auch im quinta-cursus fanden , als 
da sind: zu seltene Verwendung der pronomina statt wiederholter 
nomina; so ist § 32 hesser: ^ibr land' ; 40, 9: 'von ihm'; 53, 14 
'seinem stolze'; ähnlich 55, 1; 62, 6: ^deren treuiosigkeit' u. 0. 
öfter fehlen beiordnende bindewörter, so 'denn': 27, 29; 'sondern': 
-40, 9; 'endlich*: 65, 1; 'daher, deshalb' u. a.: 27, 30; 44, 10; 62, 9; 
66, 15 u. a« ni« undeutsch sind Wendungen wie 'übertreffen durch' 
12, 26 und 65, 22, und noch mehr 'beneiden' mit dem acc. einer 
gache und genetivattribut der person dazu, wie 33, 7; 34, 7; 36, 8 
und vielfach , wo leicht durch ^schelsehen auf abzuhelfen ist. un- 
passend ist 25, 13: 'die Lacedämonier haben ihre bürger gelehrt' 
und nicht minder die yerbindung von 33^ 11 und 12. auch sei noch 
Torgeschlagen su 85, 34 : *ak es ihm [wahrsebeinlif^] schien ; 40, 14 : 
*gab ihm Soldaten mit'; 41, 3: *ein scbif; 41, 12: 'und so eni- 



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394 £. Witzel u. H. ^^leesien: musteiBatze u. -briele f. d. irz. iiaudelscorr, 



gieng Th.'; 44, 10: *zum schütze des lagers'; 55, 13: *aii8 lorehi, 
dasz . . wird er kommeii*; 59, 11 : 'griff er aoeli diese aii'$ 115,8: 
'gehalten w1lIden^ 

ünd nun snm schliisae, und als solchen die versichenmg, dasz 
nach der aheneugnng des herichtorstaiters das quartanerpensom 
kaum nach einem sweiten hnefae ndi so leieht, ansiehend nnd grütid- 
lieh zogleieh einttben lassen dürfte, wie nach dem Ton Holswmssigl 

Zittau, Matthias. 



87* 

ObUNGSSItZB DSD MU8TBBBRIBFE ZOB BIBFÖHBUBO III DIE FBA9- 
ZÖSISOHB BAKDEL800BBB8POMDBHZ. AUF WUNSCH DBB VBRBDIS 
SÄ CHS ISOHEB HANDEI«880BTTLDIBEOT0RBN HBBAU8GBOBBBN VON 
£. WiTZBL, FRÜBBE DinEOTOB DBB HANDEL880HULB ZU ABNA- 
BBBG, WSID H. MeSSIBN, DIREOTOR DBB BANDBL8S0Bü];.E Zü 
MEI8ZEN. DRITTE, ERWEITERTE TOID TERBE88EBTS AUFliAOB. 

Gothen, Otto SchuUes yerlag. 1890. 

Vorliegendes bttchlein hilft einem Iftngst geftthlten bedOxfoisBe 
ab« es gab bisher noeh kein im anaohlosz an jede gangbare fran- 
aSeisohe grammatik branchbares oompendnun, weldies die in der 
80 überaus wichtigen kaufinSnnisohen eorrespondens tlblichen ans- 
drttoke und phrasen in flbersichtlidier weise znsanraiengestellt und 
in flbuagssfitsen zur anwendong gebradit enthielt und entwürfe oder 
anleiinng zu frutzösischen gesehüftsbriefen brachte, die von den 
heiren Terfassem in den vorbemerkongen zur ersten ünd dritten 
aufläge aufgestellten pftdagogisohen gnmdsStze, die bei der aus- 
•arbeituDg des bttchleins maszgebend waren , wird jeder einsichts- 
volle erzieher, insbesondere die lehrer der handlnngslehrlingsschnlen 
durchweg billigen, os kommt in letztern entschieden weniger auf 
eine den Inn-igelien gesetzen der spracbfüimcn angepasste gramma- 
tisciie Schulung, wie sie sonst meist an böhcrn unterricbtsanstalten 
bezweckt wird, an, sondern auf das erzielen eiuei gewissen gewandt- 
heit im schreiben und sprechen innerhalb eines engbegrenzten ge- 
bietes. alle speciell in der kaufmännischen correspondenz üblichen 
verhöltnibse werden m den tätzen und mnsterbriefen in geschickter 
weise berühi L, so dasz der inhait deo ganzen biicbleins Hieb durcb- 
weg innerhalb der grenzen des praktischen lebens bewegt, es kann 
dasselbe daher ebenso wie die von denselben harren verfiusem her* 
ausgegebenen übangss&tze und mnsterbriefe zur einltthmng in die 
englische bandebcorrespondenz allen handelsscbulen zn müglichst 
flekziger benutzung nur aufs wfiimate empfohlen werden, 

DrBSDBIU LdSOBBOBB. 



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KWrobel: übungsbacb eur arithmetik und algebra. 



395 



38. 

ÜBUNGSBUCH ZUR ARITHMETIK UND ALGEBRA, ENTHALTEND DIB VOB« 

MELN, LEHRSÄTZE UND AUFLÖSÜNGSMETHODEN IN SYSTEMATISCHER 
ANORDNUNG UND EINE GROSZE ANZAHL VON FR AGEN UND AUFGABEN. 
ZUM GEBRAUCHE AN GYMNASIEN; REALGYMNASIEN UND ANDERN 
HÖUERN LEHRANSTALTEN BEARBEITET VON DR. E. WrOBBL, GYM- 
NASIALLEUKER IN KÜÖTGCK. ERSTER TEIL. DIE SIEBEN ARITHMB- 
TIJSCHEN OPERATIONEN. PROPORTIONEN. GLEICHUNGEN ERSTEN 
GRADE 8 MIT EINER UND MEHREREN UNBEKANNTEN, RostOCk. Wilh. 

Werthers verlag. 1889. 

Unter diesem titel ist ein neues hilfsbuch zur erlemung der 
bncbstabenrechnoxig ersdueiiezi. da die angäbe des vollen titels eine 
inhaltsangabe genttgend ersetzt, will ich den leser dieser jabrbücher 
nur noch auf einige licht- und Schattenseiten des werkchens hin- 
weisen und bei der gelegenhcit einige punkte zur spräche bringen, 
in welchen das Wrobelsche wie allo Torwandten bücher mir binter 
dem logisch oder pädagogisch errLnchbaren zurückzubleiben scheinen, 
— Der aufbau erfol{^t ia hergebrachter weise: die vier species» die 
Proportionen, poteiizen, wurzeln, loganthmen, gleichungen ersten 
grades mit einer und mehreren unbekannten, verfassergeht aus von 
der ganzen positiven zahl, kommt bei der snbtraction auf die nega- 
tive einheit, hei der division auf die brüche, die also nicht aus dem 
* rechenunterricbt als bekannt voiaubgesetzt werden, und bei der radi- 
cierung auf die complexen gröszen. ein ziemlich ausführliches capitel 
Uber die teilbarkeit, welches hinter der drdsion eingeschaltet ist, 
bringt die emfoehsten sahlentbeoretisefaen Bfttzei ihm folgt ein capitel 
Uber die Zahlensysteme, wShrend den deoimdbrüchen hinter der 
brucUehre ein siemlieh eingehendes capitel eingerSnmt ist, welches 
zugleich auch die regeln tlber die abgekürzte rechnung behandelt, 
ob die -in diesen capiteln belisbte ansifthrlicfakeit notwendig ist, mag 
zweifelhaft sein ; für die Wiederholung ist sie gewts aber manchem 
lehrer und schüler willkommen. 

Die zahlreichen regeln sind durehw^ kurz, klar und treffend 
gefaszt, und es ist namentlich anzuerkennen , dasz Terf asser nicht 
bei den regeln in ihrer abstracten allgemeinheit stehen geblieben ist, 
sondern sip auch für die bekanntesten , häufigst vorkommenden und 
für die schüler erfahrungsgemäsz die zahlreichsten klippen bergen- 
den fälle besonders ausgesprochen hat. so z. b. sind die regeln über 
die rechnung mit 0 und + 1 recht sehr am platze, ebenso auch im 
capitel über die logarithmcn die regeln : 

log ia + e) nicht = log a -J- log c *> ^ 
log (a — c) nicht «sr log a' — log ü f * 

ungenau sind mir dio folgenden regeln erschienen: s. 43. nr. 13 
'warum ibi eine zusammengesetzte zahl nur durch jeden ihrer prim- 



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396 i:^. Wrobel: übuug&bucli zm- arxthmeiik und algebra. 

facioren, sowie durch jedes prodnct, welches aus ihnen gebildet wer- 
den Icann, teilbar, sonti aber durch keine andere zahl?' hierauf 
erteilt das resiiltatlieft die antwort: *eiiie zahl kann in einer andern 
nur aufgehen, wenn alle ihre prim&ctoren auch primfactoren der 
andern sind/ nun wohl! daraus folgt aber keineswegs, daaz eine 
znsammengesetKte zahl durch jedes produot ihrer primfactoren teil- 
bar sein musz. — s. 148/9. nr. 88 b : *der rational zu machende nenner 
ist zweigliedrig und enthalt nur quadratwurzeln, wie z. b. in dem 

ausdruck ^ — , so ist der rationalmachende factor der nenner 

aVh + cVä 

mit entgegengesetztem mittleren Vorzeichen {aVh — 'ist 
der nenner e'm pol^mora von quadratwurzeln , so läszt sieb derselbe 
durch zusammen fassuDg mebrerer glieder als binom betrachten, (das 
verfahren ist hierbei zuweilen zu wiederholen.)' abgesehen von der 
nicht gerade glücklich gewählten fassung, habe ich gegen die regel 
einzuwenden, dasz sie den schüler gar leicht zu irrigen Vorstellungen 
verleitet, der zweite teil könnte etwa lauten: 'ist der nenner ein 
poljnom von drei oder vier gliedern, von denen wenigstens zwei 
quadratwurzeln sind, so Iftszt sich derselbe durch Zusammenfassung 
mehrerer glieder als binom betrachten, (das Ter&hren ist hierbei 
in der regel zu wiederholen.)' warum lassen sich im allgemeinen 
mehr als Tiergliedrige polynome mit mindestens vier quadratwurzeln 
in dieser weise nicht rational machen? — s. 17. z. 15 u. 16: ^sind 
mehrere algebraische zahlen zu addieren, so addiert man am besten 
zuerst alle positiven und alle negativen ftlr sich und dann diese 
summen.' kann man das wirklich in dieser allgemeinheit behaupten? 
— s. 3. z. 7 V. u.: *nuU addiert und subtrahiert nicht' kurz, aber 
falsch und selbst dann noch gewagt, wenn sich addieren mit ver- 
mehren , subtrahieren mit vermindern übersetzen liesze. — Logisch 
zu beanstanden dürfte die Wortstellung sein in fragen, wie: s. 2 nr. 9 
'wann lassen sich benannte zahlen nur addieren?* und b. 3. nr. 13 
•"wann lassen sich benannte zahlen nur subtrahieren?' s. 83. nr. 2 
liest man: 'welches ist das zeichen eines arithmetischen und eines 
geometrischen Verhältnisses?' statt *. . . und welches dasjenige eines 
geometrischen Verhältnisses?' und s. 7. nr. 6: 'erkläre in folgenden 
ausdrücken die bedeutung der klammern und gib an, warura die 
klammem auch weggelassen werden können, uhne dasz der sinn zer- 
stört wird.' statt ^ . •, ohne dasz der wert geändert wird.' päda- 
gogisch nicht unbedenUich sind fingen, wie s« $• nr. 19: 'wenn der 
dividend eine benannte, der divisor «ne unbenannte zahl ist, wie 
ist dann der quotient beschaflfon?' statt: 'wie ist der quotient be- 
scbaffisn, wenn . . .?' 

S. 87 findet mau nr, 32, 1: *in jeder geometrischen proporÜon 
ist das product der ftuszeren glieder gleich dem producte der inne* 
ren glieder;' dann aber nr. 88: 'wie kann man sich am leidiieaten 
llberzeugen, ob eine proportton richtig ist oder nicht? — weldie der 



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fi. Wrobel: ftbangsbuch zur aritlim€tik a&d algebra. 397 

folgenden proportionen sind riebtig, weldie falsdi?' nach 32 iat die 
Proportion die gleichang 8?ri8cben zwei wirklich gleichen werten, 
nach 83 aber das ergebnie der gleiohsetsnng von awei gans beliebigen 
werten; nach 32 ist jede proportion an sieh richtig, nach 33 aber 
gibt es rioht^ nnd falsche Proportionen, hierin liegt ein wider* 
siHmobi den man vermeiden könnte und sollte, läszt man den Sprach- 
gebrauch entscheiden, so zeigt das wort proportional, dass es falsche 
Proportionen nicht gibt, demnach könnte nr. 33 etwa so lauten: 
'wie kann mati sieb Rm leicbtesten überzeugen, ob zwei gleichgestellte 
Verhältnisse eine proportion bilden oder niclif ? - — führe das für die 
folgenden beispieie aus,' — Die falschen Proportionen, die ich den 
länglieben und verschobenen quadraten in der jilanimetrie vergleichen 
möchte, erfreuen sich Übrigens nicht allein in dem vorliegenden, son- 
dern in allen verwandten werken eines mehr oder minder versteckten 
daseins. noch ein anderer fehler zieht sich, soweit mir bekannt, durch 
alle verwandten werke : eine gleichunof t?^* "gi adeä ist bekanntlich eine 
algebraische gleichung, deren höchster cxponent der unbekannten in 
geordnetem zustande n ist; sie hat stets n wurzeln, wobei die mehr- 
fachen allerdings entsprechend va zählen sind, hat eine beliebige 
anzahl der coeffioienten oder der wurzeln den wert nall, so Ändert 
das nichts an der sache. demnach sind gleiehnngen von der form: 
««•+^ + «B 0, « > 0, nicht vom ersten^ sondern vom (n+ 
grade mit der »»fachen worsel 0, nnd man sollte sie deshalb auch 
nicht nnter die gleiehnngen ersten grades mengen, sondern sie diesen 
hSobstens anhangsweise, aber unter der aasdrflcklichen beseiehnang 
als gleiehnngen (tt -|- 1)^ grades beifQgen. bei der vermengong 
derselben mit den gleiehnngen ersten grades läuft man ge&hr, nicht 
allein dem schttler das Verständnis für die gleichungen zu verdun- 
keln, sondern auch ihn irre zu machen an der folgerichtigkeit mathe- 
matischer schlttflse. so z. b. fährt die gleichang s« 2(Mf. nr. 261 b 

4nif die gleichnng: 

^ — ^x^O 
— 4)«s0, 

und es folgt nun aus s. 24. nr. 14 und 15: ss=a 0, und o? =« 4. 
durch beide werte wird die gleichung verificiert; beide sind also 
wurzeln einer gleichung ersten grades, die doch als solche nur eine 
Wurzel bat. hier soll sich nun der lernende, der vielleicht nicht ein- 
mal mehr einen lehrer zur seite hat, immer vergegenwärtigen! dasz 
diese aufgaben unter die gleichungen ersten grades nur anfgenom«» 
men werden, weil der factor null so mtthelos sich ausscheiden Ittszt. 
doch darf er nicht vergessen , dasz es gleichungen zweiten grades 
sind, und dasz die null eine vollberechtigte wurzel ist; denn unter 
umständen ist gerade sie die einzig brauchbare, vielleieht macht es 
ihm wenig mehr mühe, gewisse andere quadratische formen, wie 



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398 E.Wrobel: fibimgtbndi snr anihiiiatik und algebra. 



i^h^x^ — 8« + 16— (a: — 5) (a; — 3), in lineare faotoren zu «erlegen, 
er wird eich aber vergeblich nach gleicbnngen dieser art unter den 
gleich angen ersten grades nrnschanen \ der unterschied in der Schwie- 
rigkeit der Zerlegung in factoren, darf er also behaupten, hat in 
diesem falle darüber entschieden, ob eine gleichung zweiten grades 
unter die gleichungen ersten grades zu werfen sei odernicbt, und 
ich glaube kaum, dasz diese erkenntnis ihm sonderliche freude machen 
wird, wie aber, wenn sich der schüler die Wurzel x = 0 durch divi- 
sion mit wie es gewöhnlich geschieht, vom haise schafft? nun^ 
dann macht er genau denselben fehler, den jemand begehen würde, 
der die gleichung — 8 a; + 15 =0 durch division mit (x — 3) 
auf den ersten grad bringen und dann nur die^e lösen woIUg, was 
doch sicherlich nicht richtig wäre, also noch einmal: gleichungen 
▼on der form: a»*+* + hx* 0, n > 0, menge man nicht unter 
die gleichungen ersten grades! — Ich knttpfe hieran ein« letzte be- 
trachtnng, die nicht durch das Wrotelscbe werk allein veranlasst 
wird. Yom besondem snm allgemeinen^ tom concreten zum abstrae- 
ten^ ist ein grundsats jeder gesunden pidagogik, der allerdings 
berdtwilUger anerkannt als befolgt wird, so s. b. bringen die alge* 
braischen aufgabenaammlnngen durchgängig die reinen gleichnngeii 
vor den an Wendungen, während es doch am platse wäre, die not* 
wendigkeit der reinen gleichungen für die ausfUhrung der anwen- 
dnngen darzuthun und hieran die schwierigeren glei^ungen, die 
mehr theoretisches interesse beanspruchen, anzuschlieszen. man ver- 
setze sich doch einmal in die Stimmung eines normalen, 12 — 14 jäh- 
rigen knaben. 6 — 12 monatc sind auf die arithmetik verwendet 
worden und nun, wo er der fruchte seines fleiszes froh zu werden 
gedenkt, setzt man ihm eine schier endlose reihe von aufgaben zur 
Ijereehnung eines x vor, welches für ihn gar kein Interesse bietet, 
(neckende philologen nennen dieses capitel gerne die ixerei.) endlich 
kommt er zu den an Wendungen und kann sich nun überzeugen, dasz 
er gerade die kenutnisse, die er am sauersten erworben hat, selten 
oder nie praktisch zu vcr wenden geiegeuheiL üudet. wäre nicht der 
oben angedeutete weg empfehlenswerter? zuerst anwendungen, und 
zwar znnftchst ohne , dann mit bezeichnnng der unbekanntoi durch 
einen bnohstaben« die anwendungen mögliehst der Wirklichkeit ent- 
lehnt oder sich an sie anlehnend; dann, nachdem der schlller den 
nutzen und wert der gleiohungen hinreichend kennen und wUrdigen 
gelernt und euuge Sicherheit und gewandtheit im ansetzen und 
IQsen derselben erlangt hat, die schwierigeren der reinen gleiohun* 
gen, für die ihm das Interesse dann auch kaum mangeln dürfte, da 
jeder unterrieht von vielen nicht auszuschaltenden factoren beein- 
fiuszt wird, so möchte ich zwar nicht sagen, dasz ich diesen weg 
unter allen umständen für den besten erachtete ; wohl aber erscheint 
er mir als der naturgemäszeste und unter ungünstigen Verhältnissen 
nueb als der dankbarste, letzteres wird durch meine persönliche er- 
fahrung bestätigt. 



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E. Wrobelt übungibiieh snr anfbmedk und algebm. 399 



Die aufgabeosaininliiiig, dieser iiaeb meiner ausist wicbtigste 
teil eines algebraischen scbnlbncbea, TWrftt durch ihre erataimUdw 
reichhaltigkeit) sowie in ihrer guten anordnnng und der groszen zahl 
lehrreicber und interessanter aufgaben ttberall den hingebenden fleisz 
und die grosse umsieht ^ mit welcher Verfasser sein werk bearbeitet 
bat. ich habe nicht alle aufgaben durchgesehen , etwa jede zehnte 
aber gerechnet, allenthalben ist mir eine bewundernswerte correct- 
beit entfregengetreten; doch habe ich von den vexieraufgaben, deren 
in der vorrede erwähnung geschieht, keine bemerkt, sei es nun, dasz 
der Zufall es so gefügt hat, oder dasz Verfasser und ich mit dem 
Worte Wexieraufgabe^ verschiedene begriffe verbinden. — Von auf- 
gaben mit resultaten, die sich mit der zeit zu ändern püegen (ein- 
wohnerzahlen usw.), hat Verfasser, soweit ich sehen konnte, nur eine 
(s. 228. nr. 58) eingestellt und diese noch dazu mit angäbe dea 
datums der Zählung, wab nur zu billigen ist. indessen, wenn man 
sich überlegt, wie wenig wert es eigentlich hat, — namentlich ftir 
einen nicht - Mecklenburger und nach einiger seit su wissen , wie 
viele einwobner Bestock, Schwerin und Wismar em 1 dee* 18S5 
gebabi beben, so mdcbte man wobl wttnscben, dasz auch. diese auf<* 
gäbe noch durch eine andere ersetzt wllrde, in welcher constante 
grdszen (stromlingen usw.) zur berechnung gelangten* 

Methodiscb zeugt die bearbeitung von grosser umsiebt in der 
anordnung und von umfassender yorsorglicbkeit in der Verteilung 
und Vorbereitung des Stoffes» so gelKllt mir namentlich , dasz die 
neuen begriffb nicht allein am richtigen orte eingeführt ^ sondern 
auch da schon vorbereitet werden, wo sie ihre eigentliche wurzel 
haben, oder wo sich sonst passende gelegenheit findet, dadurch wird 
erreicht, dasz der schüler nie unvermittelt an ganz neue dinge heran- 
get'übrt wird, um nur wenige beispiele anzuführen, bahnen die 
fragen: s. 3. nr. 21: für welchen wert von x ist x — 3 » 0, 
X — 15 s= 0? s. 24. nr. 16: für welche werte von x würde {x — 6) 

[x — 3) = 0 ? das Verständnis für die bestimmungsgleichun- 

gen an, während der begriflF der irrationalität durch s. 55. nr. 34 und 
namentlich durch die frage vorbereitet wird: s. 55. nr. 34c: warum 
müssen die potenzen irreducibler brOche ebenfalls irreducibel sein ? 
die division erhält durch einführung des restbruchö mehr Übersicht- 
lichkeit; die zeichen werden vielfach erläutert und die Sicherheit im 
gebrauche derselben dnrch eine grosze zahl fragen und regeln ange- 
strebt (vgl. s. 7—10, s. 123. nr. 7). 

Über die praktische Verwendbarkeit dieses im allgemeinen sehr 
brauchbaren sdiulbuches, neben dem ich ein lehrbuch der arithmetik 
und algebra durchaus nicht fBr notwendig erachten würde, endlich 
noch ein kurzes wort, dasz der erste teil mit den gleichnngen des 
ersten grades abscblieszt, irird vom Verfasser in der vorrede dadurch 
gerechtfertigt, dasz die untersecunda, die zur erlangung der eioj^- 
rigen-berechtigung genüge, auf den meisten gymnasien und real- 
gjmnasien ihr ziel nicht höher gesteckt habe, durch diese an sich 



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400 



E,Wxobeh ftbnngtbach cor Arithmetik und algebra. 



gewis nicht za tadeliide eiiiriöhtimg, di« man ja Aoeh ia Terwaadteii 
werken so oder Shalieb vorfindet, würde das buch aber für eine 
nicht geringe anzabl TOn lebranatalten, wie z. b. für die realschalen 
defi kttnigreichs Sachsen , nicht nnweaentlich an braachbarkeit ver- 
lieren« deshalb sei erwähnt, dasz nach einer mitteüung des yerlegers 
dem ersten teile auf wünsch die gleichungen des zweiten grades nebst 
antworten gegen eine entsprechende Preiserhöhung beigegeben wer- 
den können. — Die antworten sollen zwar nur an die fachlehrer 
selber gelangen, doch erklärt sieb die Verlagsbuchhandlung bereit, 
dieselben ^egen eine schriftlicbe einwilligungserklärung des iehrers 
den scbüiern in die bände zu geben, gegen diese geschäftliche masz- 
nabme ist an sich ja vom padagogischon und wissenschaftlichen Stand- 
punkte durchaus nichts einzuwenden; aus praktischen gründen aber 
rate ich dem Verfasser wie dem Verleger, die resultaLhefte ganz freizu- 
geben oder die erlangung derselben aufs Uuszerste zu erschweren j 
in beiden fällen weisz der lehrer wenigstens, woran er ist, und kenn 
darnach bandeln« bei der jetst beliebten einrichtang fftrehte icb, 
dasz er in recht kurzer zeit den kämpf gegen eselebrttcken anfheh- 
men mnsz, hierzu Teianlaszt mich eine erfahmng mit den antworten 
zu Bardeys anfgabensammlung, deren yerabfolgnng doch gewis pdn- 
Heb genug gehandbabtwird. — Da die zahl der vorhandenen brauch- 
baren echulbttcher auf diesem gebiete mir als eine yerhältnismäszig 
geringe erecbeint, freue ich n>ich| mein urteil dahin zusammenfassen 
zu können, dasz das vorliegende werk entschieden unter die guten 
bttcher dieser art zu zählen ist. mOge der tttchtigen arbeit der ycT'- 
diente erfolg nicht fehlen 1* 



* teil H, vor einiger zeit erschienen, enthält die gleichang^en zweiten 
(gerades, pro0:re8sionen, kettenbrüche, diophantischen p^leichungen , com- 
binationslehre und den binomischen und poljnomiBchen lehrsatz für ganze 
positive exponenteo, die nun noch fehlenden, meist nnr fQr die primea 
der realgymnasien notwendigen höheren capitel einem anbange von etwa 
drei drneld ogen vorbehaltend, welcher als besondera verkäafUch er- 
scheinen soll. 

Ebaukenbebg. J. Sievebs. 



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ZWEITE ABTEILUNG 

FÜB GYMNASIALPÄDAGOCtIK UND DIE ÜBRIGEN 

LEHRFÄGHEfi 

UIT ADSSGULUäZ DE& CLA.SSI80HBH PHILOLOGIE 

RBBAüSOBaEBBN TON PBOF. DB. HbBMAMK MaSICS. 



(22.) 

DIE ALTEN SPRACHEN IN DER PÄDAGOGIK HERBARTS. 

(schlasz.) 



Auch Uber das lat e i n schrei b e n hat sieb Herbart mehrfacb g«- 
Bii8sert. dass er dasselbe (ebenso wie das grieohisobe) fttr notwendig 
erachteti masz man aus einer allgemeinen äuszmngschlieszen, die 
besagt, dass man 'sich üben musz sn schreiben in der spräche, die 
man verstehen lernen will' (II 1 29). jedoch verlangt Herbart, dasz 
man sich mehr zeit nehmen und spfiter anfangen solle, als es bisher 
üblich g:ewesen sei (II 155. vgl. anm.). 'nähme man sich mehr zeit 
bis zum lateinschreiben, so würde auch die dazu gerade nötige und 
deshalb verfrühte grammatik luft bekommen ; sie würde einen Bpä- 
tern, nützlichem und für sie belbst anständigem platz gewinnen, 
man würde nun früherhin dem lesen mehr zeit gönnen, uud das mit 
recht; denn die fremde spräche will erst erehört, vernommen, gemerkt 
sein, ehe. man sie selbst sprechen oder scbrciben kann; es ist auch 
nötig ihr material schon ziemlich zu kennen, ehe man sich viel mit 
ihren formen beschfiftigenr kann.' als eine gute hilfe dafür wird das 
answendiglenifln manober eapitel ans rdmiseben scbriftsteUttm em- 
pfohlen (II 546). Cicero nnd Caesar wurden daza im Königsbei^r 
pädagoginm benutzt, am eingehendsten ftnszert sieh Herbart Uber 
diese angelegenheit im nmrisz § 285 (II 640), gegen den bisherigen 
betrieb eifernd« statt der exercitia rftt er 'zum schreiben in den lehr* 
stunden selbst, mit hilfe des lehrers und nach gemeinsamer Aber- 
legnng der sohüler', oder auch zu lateinischen auszügen aus den zu- 
vor interpretierten autoren, 'anfangs mit hilfe des bucbs, später ohne 
dasselbe*, 'ausziehen ist nicht nachahmen und soll es nicht sein.' 
gegen die ezercitien ninunt ihn ein 'der naohteil unzähliger fehler, 

N. Jahrb. r. phil. n. pid. IL »bC ISM hft. 8 u. 9. 26 



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402 Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 

deren Verbesserung der schüler sich selten einprägt', dasz Herbart 
überhaupt von clen correcturen nicht viel hielt, zeigen mehrere 
stellen, einmal nennt er Men grösten teil derselben rein unnütz' 
(II 154). etwas milder lautet sein urteil im umrisz § 12.'j (Ii 567), 
wo er in sehr beherzigeiiäwerter weise vor den nachteiligen folgen 
warnt, welche die grosze zahl der fehler bei verfrühten schreib- 
übungeu nach sich zieht. 

In der weise, wie wir sie in den beiden vorhergehenden ab- 
sclinitton de6 zweiten teiles dieser aibeil darzulegen ver&ucht haben, 
wollte Herbart den altsprachlichen Unterricht gestaltet wissen, 
dem stand nun die bisher auf den gymnaeien ttblklie methode 
entgegen, dasz Herbart an ihr nicht viä gutes zu finden Termoohte, 
leuditet ein. 

Wir wollen dic;jenigen seiner klagen hier noch folgen lassen, 
die sich insbesondere auf die Stellung der beiden altsprachlichen 
unterrichte 2U einander beziehen, vor allem wendet sich Herbart 
energisch gegen die vorherschaft des lateinischen; darauf bezieht 

sich die mehrzahl der hierher gehörigen aussprüche. in den 'ideen 
zum pädagogischen lehrplan' (I 78 f.) sagt Herbart , dasz die vor* 
wtlrfe neuerer pSdagogen gegen die lectüre der classiker, welche den 
Jünglingen kein interesse abgewinnen könnte, der gewöhnlichen 
methode gegenüber gerechtfertigt wären. — Eine spur der alten 
humanistenzeit vermeint er auch jetzt noch in der methode des alt- 
sprachlichen Unterrichts zu finden (I 76). Venn man einen aufmerk- 
samen blick auf die methode wirft, nach weicher knaben und jüng- 
linge in die alte litteratur pflegen eingeführt zu werden : so zeigen 
sich in dieser methode leicht die spuren jener jetzt völlig vergangenen 
zeit, da dem gelehrten die gelehrtensprache , dio lateinische, werter 
und gelauüger sein liiubte, als bcine rohe, zu geschäften unbrauch- 
bare muttersprache. — Damals war es natürlich^ dasz man die jähre 
und den ttberdrusz der jugend nicht scheute, nur um das grosze werk 
zu ToUbringen , die deutsche zunge in eine römische zu Terwandeln. 
ohne eine so dringende notwendigkeit — wie hfttte man darauf yer- 
fiallen kOnnen, die jugend zuerst nach Bom , und nicht vielmehr in 
die schule Borns, nach Griechenland^ zu führen?' das ^aren jene 
früheren Jahrhunderte, wo die lateinische grammatik eine art lücken* 
büszer war (II 165). *es war nicht m(Sglich, mit kindern den Cicero 
oder Livius zu lesen; was sollte man nun mit ihnen anfangen? mit 
kindern, meinte man, wSre doch alles einerlei; so bequem macht 
sichs ja noch heute die psychologische Unwissenheit! man nahm also 
die grammatik und liesz sie auswendig lernen!' — Den zu seiner 
zeit herschenden zustand schildert Heibart mit kräftigen färben 
schon in den 'ideen zum pädagogischen lehrplan' (i 7b). in der bis- 
her üblichen anorduung sei die lectüre der Griechen ein wahrer rück- 
gang. ^und die ganze alte litteratur, so geordnet, dasz man kinder 
mit den so vieles voraussetzenden römischen Schriftstellern quält, 
die gerade in die spätem jünglingsjahre fallen sollten ^ und dasz 



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Die alten Bpraehen in der pSdagogik Herbarte. 403 

man die frühem Grieehen« die nan notwendig noch länger zurück- 
gelegt werden müssen , hier anf jene folgen Itfszt: so gestellt, ist 

diese unschätzbare sammlang von denkmälem, welche uns in ihrer 
wabren folf?e den menschen in seinem natürlichen Wachstum so tretf- 
lich vergegenwärtigt, in eine gänzlich verdrehte, torturHhniiche läge 
gebracht, in welcher sie nnmöglich der jugend ihre reize zeigen, un- 
möglich die liebe derbeiben gewinnen kann, und sich ihr umsonst 
zur führerin durch die Jahre des Unterrichts anbietet' streng eifert 
Herbart ferner gegen 'den schweren und zerstörenden druck des ge- 
wöhnlichen lateinlernens' in der allg. päd. (I 344). — Wenn man 
das gewohnliclie treiben lateinischer grammatik 'mit seinen enormen 
pädagogischen fehlem' (II 146. 637) und römischer Schriftsteller, 
*deren es für das ganze knabenalter keinen einzigen gibt, der nur 
erträglich taugte, nm ins altertnm 6insnfBiuren% in betraoht zieht, 
so *gehOrt gewis ein hoher grad von gelehrter befimgenheit dazu, um 
für einen so gar nicht erziehenden nnterricht so viel jähre, so yiel 
mühe, so viel anfopfening des frohsinns und aller raschem bewegun- 
gen des geistes sa dulden' (1 347). YOn dieser alten weise des latein- 
lernens behauptet Herbart (II 154 f.), 'dass sie zugleich die lehrer 
und Schüler verstimmt, und dasz nur eiserne naturen dabei bestehen 
können* anfang, mittel und ende dieses lateinlernens ist eine quälerei 
um geringen lohn, und es scheint mir nicht, dasz unsere jetzt so 
thätigen gymnasien sich in diesem punkte gerade besonders glänzen- 
der erfolge rühmen dürften.' — 'Es widerstrebt auch den pädago- 
gischen zwecken, wenn das lateinische der crroszen mehrzahl derer, 
die nicht philoiogen von profession zu werden bestimmt sind, so 
beigebracht wird, wie man es vielleicht mit denen betreiben miisz, 
zu deren vornehmsten pflichten es dereinst f^^ebören wird, die^e ein- 
mal recipierte gelehrte spräche mit vollkommener leichtigkeit und 
reinheit zu sprechen' (I 676). derselbe Vorwurf wiederholt sich 
in der kurzen euc^'clopädie (II 436). — Schlieszen wollen wir diese 
vielen klagen über diu falsche Stellung des lateinischen mit dem 
kurzen stoszseufzer , welcher sich in den Vorlesungen über päda- 
gogik findet (I 550): 'wie verkehrt, den Horas mühsam erklären 
durch griechische myihologie nnd erst hinterdrein griechische dichter 
lesen!* 

Gegen ein hilfemittel im bisherigen betriebe des altsprachlichen 
Unterrichts richtet sich noch der ganz besondere groll Herbarts, gegen 
den gebrauch der Chrestomathien zu beginn des sprachunter« 
richts. da er es als eine hauptforderung an den erziehenden imter* 

rieht gestellt hatte , dasz er in sachen der teilnähme continuierlich 
sein sollte, so können wir den eifer wohl begrmfen, mit dem er sich 
oft gegen diese 'rhapsodien ohne siel, mit denen man auch nicht eine 
woche verlieren dürfe' (1 412), gegen diese 'leidigen rhapsodien mit 
ihrem flickwerk' (II 155) richtet, bereits die thesen vom jähre 1802 
enthalten eine Warnung vor den Chrestomathien (I 228): 'institutio 
liberorum a Qraecis literis incipienda et quidem ab fiomeri Odjssea, 

26* 



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404 



Die alten »prachen in der pädagogik Herbarts. 



nuUo omnino prosAXco, minime autem chrestomatico libro prae- 
misso.' 

So bat Herbart denn auch bei dem Unterricht der Steigerschen 
Sühne gänzlich von dem 'wirrwarr' der Chrestomathien abgesehen 
(I 346). am ausiührlichsten richtet sich seine kritik gegen Gedikes 
cbrostomathie.'^ 'Gedike schrieb unter mehreren Chrestomathien 
auch eme griechische, und er suchte darin recht viel interessantes 
zusammenzubringen, drollige erzfiblungeUi fabeln, kleine kiatoriaelis 
brnchBttteke, nicbiB gmsefl imd ganzes/ dem gegenüber steht nun 
Herberts OdysseelectOre. *natüi*licherweise sind nan die mten 
Zeiten in Gedikes Chrestomathie weit interessanter fflr die kleinen 
anfUnger, als die ersten yerse des Homer; nnd flberdies sind die 
knabetty welchen Qedike seine Chrestomathie bestimmte, wohl un- 
gefähr in dem alter , wie diejenigen, welche bei mir schon die gante 
griechische Odyssee durchgelesen haben, es scheint also , als hätte 
jener weit besser dafür gesorgt , als ich , dasz der unterriebt in der 
genannten spräche interessant sein mOge. allein der unterschied 
liegt in dem interesse, was die lecttire zurückläszt.' nun spricht 
Herbart über die Spannung, welche die Odyssee hervorruft. 'Gedikes 
Chrestomathie ist vergossen, wersn sie durchgearbeitet istj was von 
ihr bleibt, das sind, gemäsz der absieht des Verfassers, vocabeln und 
grammatische formen, mit andern Chrestomathien verbSlt es sich 
ebenso' (II 81 f.). — JJie 'goldnen Sprüche, fabeln und kurzen er- 
zählungen*, wie sie diese bücher bieten, können eben nichts an der 
belUstigung des Schülers durch den bloszen Sprachunterricht ändern 
(II 636). 

Ich will noch darauf hinweisen , dasz sich auch Thiersch a. o. 
I 593 gegen die Chrestomathien richtet. 

i^ders gestaltet sich die frage für die staatseonserYatorien nach 
art der Sohnlpforte; hier hat der philolog zu überlegen, ob man vom 
lateinischräi oh man mit einer Chrestomathie anfangen müsse, nm 
lateinisch and griechisch anfs beste an lehren, 'die pftdagogik wenig- 
stens (welche fflr ihre eigne sphfire diese fragen yemeint) hat hier 
keine stimme' (I 575). hinzufügen möchte ich noch, dasa Herbart 
auch Vorgreifende erzfthlnngen im nüchternen auszuge, yollends 
in dem albernen tone, der die kindlichkeit nachahmen möchte', 
verurteilt, weil sie den Schriften der alten das interesse nehmen 
(I 292). 

Dem einseitigen philologischen betriebe der alten sprachen, wie 
ihn Herbart in den eben angeführten aussprüchen schildert , treten 
nun die forderungan des erziehenden Unterrichts gegenüber, auf 
welche man, wie Jierbart ganz enercfisch mahnt, endlich achten 
müsse; denn sonst drohten dem altsprachlichen uuterricbt über- 
haupt grosze gefahren, 'auf die gründe des erziehenden Unterrichts 
werden die philologen wohl irgend einmal hüren müssen , wenn sie 



M Vgl. U. Schiller lehrb. d. gesch. d. päd. 8. 282. 



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* 

Die alten spraclieD in der p&dagogik HeTbarta. 405 



nicht wollen, dasz beim anwaclis der gescbicbte nnd der naturwissen- 
scbaft, beim andränge der materiellen intereseen, das griechische aaf 
schulen in ähnlicher art beschränkt werde» wie das hebräische schon 
jetzt . beschränkt ist' (II 637). von diesen bestrebungen seiner zeit 
sagt Herbart in der kurzen encycl. (II 472), das/, man durch sie immer 
weiter ^selbst von der möglichkeit' entfernt werden würde ^diekna- 
ben bei den alten grammatiken sitzen zu lassen' (mit ausnähme der 
spätem theologen, Juristen usw.). 

Wenn abt^r der altsprachliche Unterricht der gymnasien auf die 
forderungen des erziehenden Unterrichts eingeht, dann vermag er — 
das hebt Herbart mehrfach hervor — recht wohl die günstigsten 
resultatu zu erzielen; ich mrichto gerade diese aussprüche in einer 
darsteliuug der Herbarischen aubchauungeu zu ihrem guten rechte 
kommen lassen , denn sie bilden das gegengewicht zu seinen vielen 
klagen Uber die bisherige metbode des spracbstodioms» ttber die last 
desselben, welche bei einseitiger betrachtang leicht die meinung er* 
wecken könnten^ dass Herbert Oberhaupt vom Unterricht in den alten 
sprachen so gut wie nichts habe wissen wollen und ein abgesagter 
feind der gymnasien gewesen sei.^* in dem ^gutaehien zur abhilfe* 
(n 146) betont Herbart, *das2 man gar nicht nötig habe pädago- 
gische fehler zu machen, um grammatik so gründlich , als es ver- 
langt wird, lernen sa lassen, wenn man nur geduld hat das diesem 
angemessene alter zu erwarten , und wenn man die individuen, die 
dazu geschick haben, unterscheidet von denen, bei welchen alles ein- 
prägen auf die dauer nichts als Überdrusz bewirkt.' man hat gegen 
die fremden sprachen eine ernstliche p'id alogische bedenklichkeit 
nicht geltend zu machen, falls die zeit dafür hinreicht, ihre fruchte 
reifen später (II ü58). dieser letztere gedanke kehrt mehrfach bei 
Herbart wieder, ^der gymnasiast wird zwar durch die weltiäutigö 
zurOstung zur geistesbildung , welche in den alten spraclien liegt, 
offenbar aufgehalten — was Herbart übrigens keineswegs bedauert 
oder tadelt (II 112) — und die früchte rniien ihm viel später als 
dem bürger Schüler dit^ flüchte seiner büduug^ aber sie reifen eben 
doch (II 153), und em groszer schätz ist gewonnen, wenn sich die 
lehrlinge durcharbeiten' (II 104). diese zwei gedanken finden sich 
vereinigt in den folgenden schönen werten des päd. gutacbtens 
(n 108 f.) ; Mer hauptschfiler musz in hinsieht seiner gesamtbil- 
dnng dem gleich alten gymnasusten Überlegen sein, denn dieser ist 
durch die alten sprachen aufgehalten worden; — ein hart klingen- 
des wort, dessen milderung darin liegt, dasz der gymnasiast lang* 
samer reift, dasz seine Studien lebenslinglich an ihm bilden, und er 
also den reichsten ersatz sich mit der grösten gewisheit versprechen 
kann, jedoch dies setzt voraus, dasz das gymnasium sein wagestttck. 



ebenso kSnnte ich auch den abtpreehendea urteilen Herbarts 
über die philologen anerkennende gegenübersteUen, vgl. II 263. 1 67Ö. 
Ii 104 u. a. 



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406 Die alten spraehen in der pftdagogik Herbarte. 

den weiten weg der büdiiiig durch die alten, aucH glttcklicb be- 
endige, und dasz es nnterwegena nieht Temaehläesigt habe, un- 
mittelbar in die gemüter einzugreifen, wo immer sich die ge* 
legenheit darbot.' den scblusz aber mag die stelle in der kurzen 
encycl, (IT 472 f.) bilden, in weletcr ich cicn höchsten lobspriicb 
zu finden meine, den Herbart dem gymnabium gespendet hat. *wann 
erst auf der bürgerschule der erziehende Unterricht ohne alte spra- 
chen getrieben wird, dann werden auch die gymnasien ihrerseits 
freibeit gewinnen, durch die that zu zeigen, dasz bei nicht über- 
füllten classen, bei schon einigermaszen ausgewählten scbülern, 
bei richtiger methode, es sehr wohl, und selbst auf glänzende, 
und doch für scbiiier und lehrer köiiieaweges peinliche weitse ge- 
schehen kann, den Unterricht in alten sprachen, stets in die ge-. 
schiebte verwebt, mm erziehenden zu nuudien, und ihm dabei den 
strengen Charakter des gründlich -gelehrten, der ihm nnbeswei&lt 
zukommt, zu lassen«' 

Die beiden letzten ausspräche betonen jedoch wieder auf das 
nacbdrOokUehste^ dasz nur dann von einer woUth&Ügen bildung 
durch die gymnasien die rede sein könne, wenn sie denfordemngen 
des erziehenden Unterrichts rechnung trügen. 

Gegen eine oberflächliche auffassung dieser fordemngen aber 
verwahrt sich Herbart bereits in der allg« päd. I 448 ganz ausdrück- 
lich: ^dieses buch wird hoffentlich verschont bleiben von leicht- 
sinnigen freunden, welche sich einbilden möchten, dessen Vorschrift 
befolgt zu haben , vcnm sie nur den Homer und das ABC der an- 
schauung früh genug anfangen.' 

Ehe wir nun unsere betrachtung ahsehlieszen, sei es mir ver- 
gönnt noch einen kurzen blick auf die erfolge zu werfen, welche 
Herbart durch seine ernsten pädagogischen mahnungen auf dem ge- 
biet des altsprachlichen Unterrichtsbetriebes erreicht hat. er selber 
nimmt an verschiedenen stellen seiner Schriften die gelegenheit wahr, 
über dieselben zu reden, doch schrieb er gewis nicht sich allein das 
verdienst an den Verbesserungen zu, welche er dort anerkennt. Mie 
gymnasien, in ihren jetzt gewöhnlichen Verhältnissen ^ so beginnt 
Herbart die recension des bnches vonDrobiseh (II 259) — erscheinen 
als behausungen , die allmSblich sn eng geworden sind fttr die ver- 
schiedenen einwohner, die sich darin angesiedelt haben* jene seit, 
da die philologen allein, dem ktein das griechische weit nadisetzend, 
gemächlich darin wohnten, läszt sich schwerlich zurückführen; sie 
selbst machen gröszere an Sprüche an Vollständigkeit und genanig- 
keit; imd neben der philologie macht die geschichte sich wichtiger 
als vormals, die naturwissensohaft interessanter, die mathematik not- 
wendiger, alles ermahnt uns, zu bedenken, wie vergeblich es sei, 
irgend eine Vergangenheit wieder in gegcnwart verwandeln zu wollen/ 
dasz eine beseitigung der alten mängel beginnt, spricht Herbart im 
nmrisz § 104 (TI 558j aus. 'was ehedem gegen den schulgeb rauch 
der alten sprachen mit gründe zu sagen war, das wird mehr und 



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Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts, 



407 



mehr beseitigt, seitdem teils durch gesteigerte forderungren die 
schwächern köpfe, teils durch verbesserte bürgerschulen diejenigen, 
welche entschieden sind, nicht zu studieren, von den gyranasien ab- 
gezogen werden.' am interessantesten aber scheint mir der rückblick 
Herbarfs in den briefen '"über die anwendung der psychologie auf 
die pädagogik'^^ zu sein (II 294 ff.): 'ob nun der beutige Unterricht 
den namen des erziehenden durcbgebends verdiene? an vollständig* 
keit wenigstens liat er gewonnen, jene halbheifc der plulologischen 
bildong, welobe das grieohisdie neben dem latein Temachlissigte, 
ist zwar noch nicht versdiwanden, doch sehr gemildert, die mathe- 
matik hat weit mehr ranm erlangt. — — die thfttigkeit der gymna- 
•ien ist nngemein erhöht; vmehme famtlien haben sich darein 
«rgeben, dasz ihre sOhne sich anstrengen rnttssen, wenn sie snr 

universitSt reifen sollen. der heutige unteirieht, besonders 

anf den gymnasien bat eine fülle und einen glänz, den unsere 
Jugendzeit nicht kannte, und es könnte uns wohl die Inst an- 
wandeln, noch einmal wieder jung za werden, nm den gymnasial- 
cnrsus so vollständig zu machen, wie man ihn jetzt den empföng- 
licbpn köpfen darbietet, ohne zweifei empfinden auch die heu- 
tigen lebrer, vne sehr sie geschät^'t werden, und so kann sich 

lust und liebe zum werke weit länger halten als ehemals. 

käme uns nun noch einmal der jugendtraura, durch Verbesse- 
rung des Unterrichts etwas bedeutendes wirken zu wollen: würden 
wir auch dann noch so sehr, wie ehemals, darauf dringen, man 
solle dem griechischen neben dem latein, der matheraatik neben 
den sprachen, einen breiteren platz anweisen? fast glaube ich, 
die herschende richtung unserer pädagogischen wünsche würde 
nunmehr eine andere sein, eben deshalb, weil ein groszer teil 
dessm, was wir ehemals vrfinschten, erfdllt ist, wenn anch in man- 
cher hinsieht freflich anders, als wir es nach unserer ansieht hätten 
ordnen mögen.' 

Dieses waren die erfolge der allgemeinen pttdago^sdien ideen; 
aber auch in bezug auf die besondem fordenmgen für die neugestal- 
iung des altsprachlichen Unterrichts konnte Herbart einen erfolg 
oonstatieren, der freilich nidit bedeutend war, und auf den wohl 
auch gleiche bestrebungen anderer mit eingewirkt hatten. 

'Schon vor etwa zehn jähren — Herbart schreibt dies im jähre 
1823 in seinem 'gutachten zur abhilfe' (II 157) — hat das hohe 
ministerinm der geistlichen angelegenheiten es den gymnasien frei- 
gestellt, ob sie mit dem Inteiniscbon oder mit dem griechischen an- 
fangen wollten, dieye erlaubnis hätte genügen sollen, die höchste 
Staatsbehörde konnte nicht mehr tbun, wenn guter wille fehlte, und 
iehrer, ^vf ]cllp griechisch verstehen, zu selten waren, in dem letzten 
Jahrzehnt ahe.r hat sich unstreitig weit mehr kenntnis des griechi- 
schen in der unterdes herangewachsenen generation verbreitet, ob 



vom jähre 1831 ungefähr. 



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408 



Die alten sprachen in der padagogik Herbaris. 



man jetzt einen schritt weiter gehen könnte^ das zu entscheiden» 
kommt nicht mir zu.'*' 

Allein neben diesen äuszerungen Herbartä, in denen er aner- 
kennt, dasz manches besser geworden sei, fehlt es auch nicbt an ans- 
sprttohen der resignation» welche «eigen, wie flerbart sich dessen 
wohl bewnst war, dasz viele von seinen fordernngen nur fromme 
wUnsche bleiben wttrden. 

So schliesst er s. b. sein pSdagogisehes gntacbten,. in welchem 
, er anf Graffs anregung hin fttr eine verschmelsung des schnlelassen- 
nnd fachclassensystems eingetreten war, mit den worten(II 117): 

'genug getrftumt! nicht ich bin gesetzgeber der schalen. hat 

berr regierungsrat G-raff richtig gesehen, was nach einem langen 
zeitverlanf ein fähigeres geschlecht dereinst sor Wirklichkeit bringen 
wird : so mag er sich des anblicks erfreuen , und hierin seinen trost 
finden wegen der ihm versagten thätigkeit. mir wenigstens ist ein© 
solche art, mich zu trösten, ziemlich geläufig.' vgl. auch s. 78, wo 
Herbart meint, dasz das classensystem, da es für die thätigkeit der 
meisten ( unpädagogischen) scbnlmänner bequem ist, auch ferner be- 
stehen bleiben werde, 'unsere gelebrsamkeit haben wir alle in tertia, 
secunda und prima gegründet; schon darum musz es bis zu ewigen 
Zeiten eine tertia, secunda und prima geben!' — Nicbt viel mehr 
erhofft Herbart iür seine Vorschläge über den ijbilüsupliiDciicii unttir- 
richt auf gymnasien. 'wozu die mühe . ' (einen plan für diesen Unter- 
richt zn entwerfen) ruft er (II 130) aus. ^wer w^de meinen plan 
befolgen? so lange der nntwricht in den alten sprachen nicht mit 
der Odyssee, der in der mathematik nicht mit meinen ebenen nnd 
sphttrischen ansehanungsflbungen beginnt: ist Ittr mich keine anf* 
fordernng vorhanden, die übrigen teile des lehrplans scharf zn be- 
grenzen/ nnd er schlieszt seine an den regierungs- nnd schulrat 
Clemens gerichtete abhandlung mit den worten (II 136) : 'hier haben 
Sie nun Vorschläge , mein verehrter freund ! die gewis niemand für 
unansfllhrbar, für gefährlich, viel eher aber jemand für geringfügig, 
kleinlich und darum für unnütz erklären wird, dasz ich mich dar- 
über zu trösten wissen werde, kann dies buch deutlich genug zeigen.* 
— Endlich wollen wir noch den ausspruch Herbarts wiedergeben, 
in welchem seine resignation den stärksten ausdruck gefunden hat, 
der aber zum Schlüsse doch in einen ton der freudigkeit und Zu- 
versicht ausklingt, diese worte stehen in einem an prof. Sanio in 
Leipzig gerichteten briefe, und sind bei Willmann II 287 abgedruck t, 
'wo ist der gewinn meiner bemühungen um pädagogik, um lebrkunstV 
das ist der holiiiungslose teil meiner früheren arbeit, dun man in 
Leipiiig nicht wieder aus dem schutL ausgraben kanu; diese ruinen 
liegen in Königsberg. Sie lesen hier betrachtungen eines sechzig- 
jährigen mannes, der einige mühe hat, von seinen früheren sorgen 



^ in wie reger beziehung Herhart za den preubzischeu unterrichts- 
behördm stand, ersehen wir aas den mitteOnngsn Willmanns II 141. 



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Die alteu sprachen in der pä^dagogik Herbarts. 



409 



zu scheiden, der es aber doch nicht bereut, solche sorgen ge- 
habt zu haben, die freilich von den gewöhnlichen lebensveihiiit- 
nissen ableukeu. wer etwas wagt, musz sich gefallen lassen, 
einiges zu verlieren, wer nichts wagt, hat ea sich am ende zuzu- 
schreiben, wenn ihm niobts bleibt, alB die erinnenrng an ein ver« 
lebte leben.* 

Von den erfolgen, welche die Herbartsebe meihode da enielte, 
wo sie ZVL praktischer anwendnng kam, wissen wir leider sehr wenig. 
Herbart selbst bat ja seinen sebttler Carl y. Steiger, der allerding» 
sdir begabt gewesen zu sein scheint, schnell im lesen griecbisober 
clasnker gefordert (1 64 f.); aber hier bandelt es sich eben doch nur 
nm eine einzelerziehnng. am meisten mnsz uns daran gelegen sein, 
von den erfolgen des Königsberger pädagogiums su hören« 
Willmann berichtet über dessen entwickiung II 3 fif. es wurde 
schlieszlich eine art pensionat daraus, in welchem Herbart selbst 
den mathematischen Unterricht erteilte, mehr als 20 schtiler sollten 
nicht aufgenommen werden, eine ziffer, die jedoch nie erreicht 
wurde, hinsichtlich des betriebes des altsprachlichen nntcrrichts 
auf diesem pädagogium habe ich schon oben an verschiedeneu 
stellen gesagt, was wir darüber aus einem bericht vom jähre 1823 
wissen (II 5). über die erzielten erfolge haben wir nur eine mit- 
teilung Schräders, ebenfalls bei Willmann wiedergegeben (II 5 f.). 
die schule sollte den mittleren gymnasjalclassen entsprechen. Schrä- 
der sagt, dasz ihr ziel im ganzen wohi die reife für prima sein sollte, 
*in zwei fällen wurde auch die reife fttr die Universität erreicht, in- 
des selbst za dem ersten dieser siele gelangte nnr die mindersahl 
der zGglinge , teils wobl, weil sie Ton den eitern zu frOb der anstalt 
entnommen wurden, jedoch auch deshalb, weil der nnterrichtsgang 
sieb der metiiode des öfEientlicben Unterrichts sn wenig anscbloss, 
und die seblller bei rascher fördemng in manchen ittcbem doch 
namenUicb in der grammatik und im schriftlicben gebrauch der 
alten sprachen nicht mit der erforderlichen festigkeit und fertigkeit 
versah, trotzdem wurden im einzelfalle sogar erhebliche, ja auf* 
fallende ergebnisse erreicht, wie aus den berichten sachkundiger be- 
urteiler hervorgeht; ob aber die so erreichte bildung auch fest und 
bleibend gewesen, darüber gehen die urteile selbst derer, die in dem 
Institut bescbäftipft waren, auseinander.* der von Herbart selbst er- 
teilte mathematische Unterricht soll ungewöhnliche erfolge gehabt 
haben, als Hcrbart laiiu im jähre 1833 Königsberg verliesz, gieng 
das pädagogium wieder ein. 

Es hatte also dieser betrieb des altsprachlichen Unterrichts nach 
den pädagogischen principien Herbarts nicht gehalten, was er ver- 
sprochen hatte, denn im hinblick auf die obi^e bemerkung Schrä- 
ders über die grammatikstudien dua pädagogiums kann mau doch 
nicht sagen, dasz der Charakter des 'gründlich gelehrten Unterrichts' 
(II 473) gewahrt, dasz die grammatik so grfindlich gelehrt worden 
sei, wie es verlangt wurde (II 146). es zeigten sich demnach sehr 



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410 



Die alten sprachen in der pädagogik Herbarts. 



bald schon die bedenklichen folgen der Unterschätzung des Sprach- 
studiums. 

Ich gebe mich der Überzeugung hin, diese unterscbützung sei 
vor allem darauf zurtlekzn führen, dasz Herbart in den philologischen 
Iftcbeni nicht eine ebenso gründliche kenntnis bewsz, wie sie ihn 
auf dem gebiete der mathematik auszeichnete, diese ansieht, welche 
sich mir schon beim lesen der allgemeinen pädagogik aufgedrängt 
hatte, fand ich dann auch bei Moller wieder, wo es heiszt (a. o* 
8. 390) : 'in hezng auf natnrwissenschaften und mathematik scheint 
sein eignes ausgezeichnetes talent und die daraus erwachsene yor- 
liebe nachteil verhütet zu haben ; aber in dem philologischen anter- 
richt, welcher in der von ihm geleiteten lehranstalt gegeben wurde, 
ist eine hinreichende berücksichtigung der grammatischen , rhetori* 
sehen und ästhetischen seite und der fertigkeit im schriftlichen ge- 
brauch der alten sprachen vermiszt worden.' 

Was wir von den erfolgen anderer pädagogcn wissen, welche 
die HerbartHcbe metborle aufgenommen und den uritetricbt mit der 
Odyssee biugonnen haben, ist wenig, es machten auch nicbt vielf^ 
diesen versuch. Thiersch berichtet in seiner 'gramraatik der grie- 
chischen spräche' vorr. s. VIII (bei Willmann I 670 f.) von sehr 
guten erfolgen, welche er mit dieser methode im Privatunterricht 
(5 knaben) erzielt habe, er weist auch mit nachdruck die vorwürfe 
zurück, in denen dieselbe der Oberflächlichkeit geziehen werde. — 
Im Göttinger gymnasium wurde der versuch mit der frühen lectttre 
der Odjssee gemacht dasz Herhart naeh seiner rttckkehr von Königs- 
berg^* den director desselben, Ferd. Ranke, dazu veranlasste, er- 
wähnt Willmann (I 570). im michaelisprogramm des gjmnasiums 
%VL Göttingen vom jähre 1840" erstattet Bänke, 2^/^ jähre nachdem 



^ in KSnigaberg hatte Herbart auf den dahin berafenen gymnasial* 
director Gottholdt hoffnung:en p^esetzt, ^vie wir das ans dem briefe an 
C vrl Y. Steiger vom *27 febr. 1810 (Herb, reliqu. s. 202) orsehen. 'da 
ist ein director Qottholdt, ein lebhafter mann ungefUhr iu meinen jähren, 
dieser verteidigt den Homer und den Herodot so standhaft wie ich, und 
das ist um so besser, da er als director eines gjmnasiums hierher be- 
rufen ist.' diese hoffnungen scheinen sich aber nicht erfüllt sa haben« 
vgl. noch a. o. 8. 205. - 

dieses Qöttiuger gymuasialprogramm finden wir wiederabgedruckt 
in Kerns pSdagogisohen blttttern III (1855) s. 425 — 483. der griechische 
Unterricht begann in quarta, zuerst wurtlnn 3 — i \vochen mit der er- 
lernung der buchstaben. r^cr Übung im lesen uiui schreiben griechischer 
Wörter, und der erlernung der decliuationen und conjugationen in ihrer 
grSsten regelmlsaigkeit ansgefSUt, gsna in der von Herbart^Dissen an- 
gegebenen weise, nebenher gehen Vorträge des lehrers über die he- 
gebenhciten des trojanischen krieges und dessen haupthelden. danach 
beginnt die lectüre der Odjssee, von welcher im laufe des Jahres 2 bis 
SVt gesänge gelesen werden, in tertia, wo ein anderer lehrer den griecbi- 
sehen Unterricht erteilte, wurden im knnsen sommersemester 4 gesftnge ge- 
lesen ''mit genauster rücksicht auf die grammatik und ohne den schülera 
zu viel zuzumuten', erst in 'kleinsecuuda' tritt Herodot zu den Horoe- 
riseben gebogen hinan, auch bei dieser lectüre beobachtete der be- 



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Die alten sprachen in der päda^^ogik Herbarts. 411 

der beginn des griechischen Unterrichts im Herhartschen sinne um- 
gestaltet worden war, den ersten bericht über diesen versuch , voll 
freudiger genugtbuung über die günstigen ergebnisse, welche man 
damit erzielt habe.** ' 

Auch der bekannte philolog Ahr an 8 hat den griechischen 
Unterricht mit der Odyssee begonnen, doch stellte auch er ihn nicht 
vor den lateinischen. Eckstein handelt darüber griech. u. lat. unterr. 
B. 371. wir ersehen ans seinen bemerkungen , dasz aneh Abreiis als 
▼orberettungen zar leotttze fthnliobe verlangte, wie Herbart und 
Dissen* er selbst nnd andere lehrer sollen mit dieser methode fiber- 
rasebende erfolge erreicht haben, die gegner aber zweifelten an der 
aasftthrbarkeit in groszen dessen nnd an der nachhaltigkeit des 
erfolge«. 

Ans einer anmerknng Willmanns II 157 anm. 4 geht hervor, 
dasz in ein«r Öffentlichen lehranstalt, nemlich in dem Conradinum 
zu Jenkau, sogar der versuch gemacht worden ist, den altsprach- 
lichen Unterricht mit dem griechischen zu beginnen, über den er- 
folg aber, den diese anstalt während der kurzen zeit ihres bestehens 
damit erzielt hat, verlautet nichts. 

Schon ans diesem kurzen berichte selien wir, dasz Herbart mit 
seinen ideen für die neugestaltung des altsprachlichen Unterrichts 
nicht viel ankhing gefunden hatte, man blieb eben, trotz aller gegen- 
teiligen bebauptungen, tiberzeugt, dasz, um die unbedingt notwen- 
digen gründlichen grammatikkenntnisse zu erreichen, der gramma- 
tische Unterricht streng gehandhabt werden müsse, hatte doch der 
ertoltr im Königsberger pädagogium gezeigt, dasz man mit einem 
mehr spielenden grammatischen unterrichte nicht zu der gewünschten 
festigkeit gelangen konnte, auch das lateinische hat seine vorher- 
sehende Stellung im gjmnasium behauptet, trotz der befehdungen 
seitens der Herbartianer und der angriffe Ton Seiten anderer, welche 
übrigens bis in unsere tage hineinreichen. 

treffende lebrrr ^ro^ze teihiahmp der schüler am inbalt, und es wnrde 
bald geläufigkeit im übersetzen erreicht. 

'es ist in diesem augenblicke' — sehreibt Ranke (a. o. 8. 432) 
— 'das dritte jähr, in welchem dieser weg bei uns eingeschlagen wird, 
und jeder neue versuch hnt die richtigkeit desselbm bcstätipt. dir 
freudige teilnähme der schüler, welche sogleich beim ersten aufang 
unsere hoffnungen lebhaft erregte, hat sich bei jedem neuen cursus 
wiederholt, wir haben schüler, die biaher dem unteriiohte der clasee 
durch trUgheit und schläfrigkeit störend entgegenwirkten , plötzlich er- 
wachen und mit lebendigem interesse zuerst die Homerischen verse, 
dann die übrigen unterrichtszweige ergreifen sehen, das bei der ge- 
wöhnlichen methode eigentlieh allein ine äuge gefasste grammatische 
element wird nicht vernachlässigt, sondern soweit es in dem ersten 
jähre in den kreis der behandlung gezogen wird, zu solcher festigkeit 
gebracht, dasz die schüler die formen mit einiger leichtigkeit erkennen.' 

so ist erst kfirslich wieder in einer sehrift 'der mensa-ciiltiiB. 
ketzereien eines unberufenen von T. Duimchen. Hamburg 1888', deren 
inhalt ich aus der besprecbnng im litt, centralblatt 1889 nr. 29 s. 990 f. 
kennen gelernt habe, die torderung emeat worden, den altsprachlichen 



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412 Die alten sprachen in der pädagogik Herbarta. 

Aber nacb diesen geringen erfolgen der praktischen Vorschläge 
Herbarta Uber sein pädagogisches wirken im allgemeinen urteilen zu 
wollen, wäre sehr voreilig ; sie haben sieb freilich bald als angeeignet 
erwiesen, und man hftt sie fallen lassen, geblieben sind aber die 
grossen allgemeinen Ideen, welchen Herbart den ersten nachhaltigen 
ftDsdrack ▼erliehen hat; nnd sie sind fruchtbringend bis in unsere 
zeit hinein, in welcher sich ein grosser kreis von pKdagogen beetrebt, 
Herbarts ideen vom erziehenden Unterricht für die präzis der schulen 
(auch der höheren) zu verwerten, und gewis haben wir den ein- 
Aussen der Harbartschen pftdagogik unmittelbar oder mittelbar 
manches zu verdanken, was wir jetst als einen vorteil der gymna- 
sien im vergleich zu ihrer frühem gestalt hochschätzen, die mah- 
nnngen Herbarts, dasz die gymnasien dem erziehenden elemente 
mehr räum geben, die classischen Studien nicht zum bloszen Sprach- 
unterricht verwenden, sondern durch sie den gedankenkruis der 
Zöglinge ausbilden sollten, um so an der sittlichen erziehung der- 
selben kräftig mitzuwirken, diese mahnungen sind also nicht spurlos 
vorübergegangen. 

Biese groszen und wahrhaft idealen principien der Herbartschen 
Pädagogik wollen wir nun auch bei der beurteilung Herbarts in den 
Vordergrund treten labben; wir wollen veiaüclieii , über ihnen die 
einseitigkeiten , die Übertreibungen und Unterschätzungen , zu yer- 
gessen, von welchen sdne anschauungen nicht frei sind, nnd die wir 
ja auch auf dem engem gebiete unserer betrachtung angetroffen 
haben, und wir werden sie vergessen können, wir werden dann toII 
be wunderung zu dem groszen denker emporsehen, welcher einen 
guten teil seiner lebensarbeit an die 10sung von fragen geseUt hat| 
die zu den höchsten der menscbheit gehören, an die lösung von er- 
Ziehungsfragen, und der sich allein schon durch seine pädagogischen 
Schriften einen unvergänglichen namen erworben hat. 

Und so haben wir wohl ein recht dazu , die schlichten werte, 
welche Herbart mit der ihm eignen bescheidenheit an seinen freund 
Griepenkerl richtete (Willm. II 294): 'vom erziehenden Unterricht 
habe ich, glanV»e ich, znerst angefangen zu reden', in unserem munde 
zu dem stolzen ausdrucke einer groszen, aber berechtigten anerken- 
nung werden zu lassen. 



Unterricht mit dem griechischen in äexta zu beginnen und sofort die 
Odyssee zn lesen; ob dar Verfasser sich dabei aQsdrfieklieh anf Herbart 

beruft, konnte ich aus dem kurzen referate nicht entnehmen, ist es 
der fall, dann muste er auch davon act nehmen, dasz Herbart von einem 
ex usu lernen der alten sprachen, wie es hier vorgeschlagen wird, durch- 
aus nichts wissen wollte. 

WniMAB. Hans Mbbian- Gekäst. 



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Anagl/er^bunng b. d. eDtlassangsprilfiiiigeii an pmiss, gynmaBien. 413 



89. 

ÜBER DIE AUSGLEICHENDE ERGÄNZUNG 
BEI DEN ENTLASSÜNGSPßÜFUNGEN AN PBEUSZISCHEN 

GYMNASIEN, 

Unter den bestimmungen der orrlnung für die entlassmigsprü- 
fungen an den preuszischen gymnasien, welche nicht einen einzelnen 
Unterrichtsgegenstand angehen, sondern die natur des gesamten 
prüfungsverfabrens beeiuflnssen, nimmt eine hervorragende stelle 
die anordnung ein, welche sich auf die ergänzende ausgleichung der 
leistungen in verschiedenen lehrgegenständen bezieht, sie bildet den 
gegenständ der folgenden betrachtung. 

Die erörteruDg über die frage, ob bei der beurteilung eines 
abiturienten nicht genügende leistungen in eiuem lehrgegeuätande 
durch mindestens gute leistungen in einem andern obligatorischen 
gegenstände ah oigbizt erachtet werden sollen, kann im lanfe des 
prttfongsgescliBftee löcht eher beginnen, als bis fttr jeden obligato- 
riscben lebrgegenatand das gesamtqxteil festgestellt ist. so kommen 
wir also an den awei Vorfragen, welches die obligatorischen lehr- 
gegenstlbide sind, und wie die gesamtnrtelle Ober die leistungen in 
den einzelnen fächern zu stände kommen. 

Die obligatorischen lehrgegenstiKnde sind durch die lehrplSne 
Tom 31 märz 1882 festgestellt; aus ihrer zahl scheidet für den Unter- 
richt der oberen dassen, also auch für die entlassungsprüfung die 
naturbeschreibang ans. an ihrer stelle tritt die pbysik ein. auch in 
ihr musz der schOler ein gewisses masz des wissens erreicht haben, 
wenn ihm die reife zuerkannt werden soll (§ 3, 8); aber allerdings 
nimmt sie unter den bei der feststellung de« -chluszergebnisses mit- 
sprechenden lehrfächern insofern eine besondere Stellung ein, als sie 
nicht Prüfungsgegenstand ist, und die Verbindung von physikalischen 
fragen mit den muth ein atis eben für die mündliche, wie für die schrift- 
liche prüfuüg nur emplobleB, nicht vorgeschrieben wird, es scheint 
mir freilich j dasz in dieser eigentümlichen behandlnng der physik 
ein wideröprucb liegt, und dasz man bior vielleicht die gelegenheit 
versäumt hat, einstweilen an einer vereinzeilen ötelle den versuch 
mit einer freieren gestaltung des unterrichte auf der obersten stufe 
zu machen f indessen berflhren diese bedenken nicht den Zusammen- 
hang unserer augenblicklichen erOrtemngen. wohl aber werden wir 
weiterhin die folgerungen aus der thatsftchlich gegebenen beson- 
deren Stellung der physik zu ziehen haben. 

Die geographie ist gegenständ der prfifang, wenn dieselbe sich 
auch nur auf ^einige fragen' (§ 11, 8) beschränkt, gleichwohl ist 
die Stellung der geographie mindestens ebenso absonderlich, wie die 
der physik, wenngleich ganz anders als diese, die geographie tritt, 
wie im unterrichte der oberen dassen, so auch in der prüfung nicht 
aelbständig auf, sondern in enger yerbindung mit der geschichte« 



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414 



Über die ausgleicbende erg&nzting 



diese Verbindung ist aber nicht etwa auf die sache begründet, was 
von dem abiturienten an geographischem wissen verlangt wird, ge- 
nügende kenntnisvon den grundlehren der matlieinatischen geogra- 
phie, von den wichtigsten logischen Verhältnissen und der politischen 
einteilung der erdoberMcbef das hat mit seinem geschichtlichen 
wissen zum teil nur wenig oder auch nichts zu thun ; es ist darum 
auch natürlich, dasz jedem schüler, abgesehen von den in der ge- 
schichtlichen piiitung eUvti. vorkoiiiiiieiidcn btiziuhungen auf geogra- 
phie, einige geographische fragen besonders vorgelegt werden sollen, 
und doch gibt die geographie kein eignes urteil ab. nnterriclitet nnd 
geprüft wird in der gesehidite und in der geographie ; die ergebnieae 
können sehr Ton einander abweichen ; das urteil musz für 'geschichte 
und geographie' in einen ansdruck susammengefaBzt we^en. der 
kann nioht anders zu stände kommen, als so, dasz der eine gegen- 
ständ zu gunsten des andern zurücktritt; und dieser verzieht kann 
nur auf die seite der geographie fallen; der geographische Unterricht 
hat in der tertia die geringere Stundenzahl, er ist in secunda und 
prima aosschlieszlich auf Wiederholungen angewiesen, die entlassungs- 
Prüfung in der geographie ist auf einige fragen beschränkt, die 
geographie ist unleugbar — mindestens für die prüfung — ungün- 
stiger daran als die physik; sie scheidet aus der zahl derjenigen lehr- 
gegenständc aus, die bei der erörterung über die möglichkeit einer 
ausgleichenden ergänzung mitsprechen dürfen; und es kann an dieser 
thatsache nichts ändern, wenn man auch hierin einen gewissen mangel 
an folgerichtigkeit ei keimt, wenn man meint, da>z durch eine andere 
Ordnung des geographischen Unterrichts in den oberen classen der 
geographie diese schiefe Stellung hätte erspart vverdtin können. 

Mit diesen letzten ausführungen sind wir der zweiten frage 
schon nahe gekommen, wie die gesamturteile über die leistungen in 
den einzelnen lehrfitehera su stände kommen, da ist es sunSchst 
sehr erfreulich, dasz dabei als mitwirkend ausdrücklich bezeichnet 
werden (§ 12, 2) die vor dem beginn der gesamten prüfung fest- 
gestellten prttdicate über die classenleistungen, in § 12, 2 wird auf 
§ 5, 6 verwiesen, wo — ebenso wie § 5, 4 — nicht von prttdicaten, 
sondern von einem gutachten über die reife die rede ist. indem man 
die beiden letzteren stellen zusammenhält und vergleicht, ergibt 
sich, in welchem Zusammenhang das gutachten und die prädicat» 
unter einander stehen, es wird kein sonderliches gewicht darauf zn 
legen sein, dasz bei dem gutachten in § ö, 4 auf die in prima er- 
teilten Zeugnisse, in §5,6 auf die gesamte bisherige entwicklung 
des Schülers rileksicht genommen ^verdcn soll; es wird erlaubt sein, 
den letzteren ausdruf k für weniger genau gefaszt 7u halten, als den 
ersteren. aber indem § 5^ 4 davon spricht, dasz die gutachten auf 
grund der Zeugnisse festgebtellt, § 5, 6 davon, dasz sie durch kurze 
bezeichnung der bisherigen entwicklung begründet werden sollen, 
beantwortet oäenbar jene stelle die frage nach der entstehang, diese 
die nach der wortfassuug des gutachtens. das gutachten entsteht aus 



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bei den entlaBsuogsprQfiiiigen an prenaxuiclien gynrnaeien. 415 

den Zeugnissen, den prädicaten, welche die Zeugnisse bilden; d. h, 

die in § 12, 2 erwähnten prädicate sind die grundlage, die Voraus- 
setzung des gutachtensj aber sie werden in das gutachten und seine 
begründung nicht ausdrücklich mit aufgeüommen , — ohne doch 
darum ihre bedeutung für die schlieszllche tust^itellung des prüfungs- 
ergebnisses zu verlieren, die pi ädicate beziehen sich auf die ein/.cluen 
föcher, aus ihrer Zusammenfassung ergibt sich das in dem gutachten 
niedergelegte urteil über die gesamtreife, wir haben es hier jetzt 
nur mit den prädicaten (§ 12,2) zu thun. sie sollen bich (vgl. § 5,4) 
auf die den öchülern in der prima erleiUen Zeugnisse slützL-n. und 
das ist in der tbat ein vorzug. denn diese bestimmung gibi nicht 
nur der erwartnng ausdrucke dasz die entwieklung und beurteilong 
des primanen» sich einer gewissen Stetigkeit erfreue, sondern sie 
weist ^nch das nnwesen ab, bei welchem die letzten snflOligen lei* 
stnngen des Schillers den aasschlag geben kCnnen oder sollen, es 
hat doch wohl keinen sinn, bei einem sohüler^ der sonst im griechi- 
schen dnrchsehttittlich genügt hat» darum die reife in dieser spräche 
zu bezweifeln; weil seine letzte classenarbeit arge fehler enthalt, 
aber ein bedenkliches haben die bestimmungen über diese prttdieate 
doch ; und das liegt in dem Zeitpunkt ihrer festsetzung. sie soll 
(§ ^1 6) spätestens monat vor dem schlusz des halbjahres er* 
folgen; sie darf offenbar, da die meidungen vierzehn tage früher an 
den director einzureichen sind (§ 5, 3), auch schon drei monate vor 
dem schulschlusz stattfinden, der tag der mündlichen prüfung soll 
erst innerhalb der letzten sechs wochen des halbjahres angesetzt 
werden (§ 10, 1), so lie^t also zwischen dem gutachten über die 
reife und der endgültigen zuerkennung oder aberkennung derselben 
ein Zeitraum von mindestens einem monat, der auf durchaus zuläs- 
sigem und natürlichem wege zur ausdehnung von fast einem Viertel- 
jahr auvvacbstiii kann, dies letztere wird regelmäszig bei denjenigen 
anstalten der fall sein, deren in Preuszen doch nicht ganz wenige 
sind, deren sommerferien in den juli, und deren herbstprüfungs- 
termin ende September fällt, es wird doch nicht angehen, dasz diese 
seit f&r die beurteilong der schüler yerloren geht, das mass^bende 
bei derselben ist der umfang dessen, was erreicht ist; der aber ist 
mit Sicherheit erkennbar erst am schlusz, natdrlich nicht in den zu- 
föUigen leistnngen der letzten zeit, sondern in demjenigen, was als 
das ergebnis der allmählichen entwieklung heraustritt, es würde 
unrecht sein, wollte man die secjis bis acht und mehr wochen, die 
zwischen der ersten beratung über den Wissensstand der abiturienten 
und ihrer mflndlichen prüfung liegen, bei der beurteilung derselben 
schlechthin auszer acht lasaen« ich will nicht viel davon reden, dasz, 
wie bei jeder prüfung, so auch bei der entlassungsprttfung der gjm- 
nasien vieles sache des gedächtnisses ist, dasz wir uns selbst täuschen 
würden, wenn wir den schein wahren wollten, als ob sich dies alles 
jederzeit ohne auffrischung und erneute einprügung besiändig gegen- 
wärtig halten liesze, und dasz also schon um dieser dinge willen die 



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416 



Über die ausgleieheiide ergfttiEuiig 



arbeit auch der in rede stehenden zwischenzoit anspraob anf berück- 
Bicbtigung bat. aber es bandelt sich bei der prüfung gar nicbt blosz 
um das wissen an sich, sondern aneb um sein Verständnis, Peine an- 
wendung, um das können, gerade in dieser beziehung aber ist ein 
fortschreiten bis in die letzte zeit nicht nur möglich, sondern auch 
wahrscheinlich und sicherlich zu wünschen, es wird ausdrücklich 
verlangt, dasz der abiturient sich ausreichende Übung m der anwen- 
duDg seiner mathematischen kenntnisse zur lösnng von einfachen 
aufgaben erworben habe, soll von vom herein darauf verzichtet 
werden, dasz er in den letzten mindestens 16 stunden darin vorwärts 
komme? soll im voraus feststehen, dasz für die erwerbung eifies 
anfangs stilistischer gewandUieit im gebrauche der lateinischen 
spraebe die letzten SO lehntnnden nnfracbtbar bleiben? 

Ich denke, es ergibt sich fast von aelbst, daas die lebrer der 
prima nur yoriSufige nrteile Uber die leistangen in den einseinen 
gegenstSnden abgeben kOnnen« es musz also eine Änderung, eine 
genauere bestimmnng des nrteÜe gestattet sein; es geht nicht an, 
dass man den lebrer auf dem, was er yor vier, vielleicht aber anch 
vor zehn oder zwölf woeben ausgesagt hat, gleichsam festnagele, 
hält man aus einem gewissen mistrauen es für nötig, den einfiusz, 
den der ausfiEdi der mündlichen prüfung etwa auf die beurteilnng der 
classenleistungen ausüben könnte, ausdrücklich abzuschneiden, so 
lasse man diese urteile unmittelbar vor dem be*;nnn der mündlichen 
prüfunpf foststeUen; das geschäft vor dem eintritt m die schriftliche 
prüfung zu erledigen, würde zu ähnlichen, wenn auch nicht ganz so 
starken unzuträglichkeiten führen, wie das jetzige verfahren, in 
diesem finde ich das richtige in dem bestreben, das urteil über die 
classenleistungen von dem über den aasfall der prüfung durchaus 
gesondert und unabbänmg zu halten. 

Auszcr tlen classenleistuugun — zu denen die nicbt in prima, 
sondern für prima geschriebenen griechischen und französischen ver- 
setzuugsarbeiteu der obersecundaner nicht gehören kOnnen — sollen 
bei der entscheidung darüber, ob die prüfung bestanden ist^ die er- 
gebnisse der schriftlichen und mündlichen prüfung in betracht ge- 
zogen werden (§12, 2). wie deren feststellung im einseinen zu 
erfolgen hat, darüber ist wenig zu sagen, es ist selbstyerstSndlichf 
dasz in zweifelhaften fällen das urteil über die mündliche prüfung 
durch abstimmung gelEbttden wiid, bei der der prüfende lebrer es 
sich gefallen lassen musz, überstimmt zu werden, für die schrift- 
liche Prüfung ist ausdrücklich vorgeschrieben (§ 9, 3), dasz der Staats« 
commissarius befugt isty ftnderungen in den den Prüfungsarbeiten 
erteilten prädicaten zu verlangen und eintreten zu lassen; und mir 
ist es nicht zweifelhaft, dasz jedes mitglied der comraissinn das recht 
hat, seine bedenken über die angemessenheit eines über eine schrift- 
liche arbeit gelallten urteiis zur spräche zu bringen. — Auch zu den 
Prüfungsarbeiten kann man die griechische und französische verset- 
zungsarbeit für prima nicht rechnen, obwohl sie ja denselben bei* 



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bei den eiitlasBUUgsprüfuugen au preuäziäciien gymaaäieu. 417 

gefugt werden, sie sind zur zeit der prüfung mindestens schon zwei 
jähre alt und kennen, zumal ja eine wiederholende befestigung des 
Wissens von griechischer und französischer grammatik wShrend der 
lemzeit der prima mindestens nicht ausgeschlossen ist, als geeignete 
belege fQr den augenblicklichen' Standpunkt des schttlers in dieser 
beziehung nicht angesehen werden« 

Aber nun entsteht die frage, ob das urteil ttber das prüfnngs* 
ergebnis einheitlich i^t oder gespalten, d.h. ob mQndliche und schrift- 
liche prüfung jede für sich betrachtet oder beide in eins zusammen- 
gefaszt werden sollen. § 12,2 spricht von der berücksichtigung der 
leistungen 'in der schriftlichen und mündlichen prüfung'. dasz hier 
absichtlich nicht geschrieben worden ist 'in der schriftlichen und in 
der mündlichen prüfung', zeigt deutlich genug § 12, 3. wo von dem 
^aiif die prüfung' und die chssenleistungen gegründeten gesamt- 
nrteil die rede ist; noch deutlicher liest man § 14, 2, dasz dieses 
gesamturleil sieh eroribt aus dem nrteil H\her die prüfung' und über 
die schulleistuugen. die wortfasbung dieser bestimmungen scheint 
es aubzer zweifei zu setzen, dasz die Prüfungsordnung ein einheit- 
liches prüfungsergebnis als ergänzendes gegenstück zu den classen- 
leistungen voraussetzt und also seine feststellung fordert, zu wel- 
chen folgerungeu müste denn auch die auffassung führen, als ob den 
classenleistungen ein doppeltes prüfungsergebnis gegenüber zu stellen 
sei. es handelt sich gar nicht immer nur um zwd prflfongsleistun- 
gen. die mflndliche prfifnng im griechischen kann sich auf den Pro- 
saiker und den dichter erstrecken; im lateinischen liegt neben dem 
Aufsatz die schriftliche flbersetznng vor, und die mündliche prflfung 
kann ebenso den prosaiker wie den dichter berücksichtigen, es wftre 
recht wohl denkbar, dasz die mündliche Übersetzung aus dem Plato 
etwa vielmehr als mit der dann folgenden Übertragung einer Homer- 
stelle sich mit der schriftlichen behandlung eines abschnittes aus 
Demosthenes berührte, oder dasz an die schri^liche Übersetzung ins 
lateinische weniger der lateinische aufsatz als die mündliche über- . 
Setzung einer Cicerostelle erinnerte, oder man müste dazu schreiten, 
nicht nur mündliche und schriftliche prüfung, sondern auch noch 
deren Unterarten zu unterscheiden; so l-äme man zu einem dreifachen 
und vierfachen prüfungsergebnis und befände sich erst recht im 
Widerspruch zu der Stellung derjenigen gegenstände, in denen ülier- 
baupt nur einmal, entweder mündlich oder schriftlich rreprüft wnd. 
dieses verhültnis wäre so wunderlich, dasz an eine auf die trennung 
der Prüfungsergebnisse gerichtete absieht nur dann geglaubt werden 
könnte, wenn man die Vereinigung für unmöglich halten müste. 
unleugbar hat dieselbe ihre Schwierigkeiten, die noch dadurch ge- 
steigert werden, dasz es sich immer nur um einzelleistungen handelt, 
dasz z. b. nur eine mathematische schriftliche arbeit nur einer 
mündlichen leistung in der mathematik gegenübersteht, dasz nur 
ein lateinis^er aufsatz, nur eine Übersetzung aus dem griechischen 
vorliegt; dadurch wird es sicherlich erschwert, die leistungen, wenn 

H. Jfthrb. f. phiU o. pid. U. abt. 1890 hfl. S v. S. 27 



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418 



Über die aasgleiclieiide ergSnzun^ 



sie Yersehiedenartig sind^ non dodi unter einem gemeinsamen urteil 
zusammeasoitMssen. aber so schwierig die an^be ist, für anlOsbar 

kann ich sie nicht halten* Yerschieden wertig sind die leistungenwohl^ 
aber nicht schlechthin Tersohiedenartig; es handelt sich nm zwei 
mathematische oder nm mehrere griechische oder um mehrere latei- 
nische probestückei es mosz mOgUch sein , die leistangen aus dem- 
selben gegenstände so sehr in einem fortlaufenden zusammenhange 
zu betrachten , dasz sie der beurteilung sich wie eine einzige arbeit 
df\rbictcn. freilich ist damit geboten, dasz man darauf ycrzichtet, 
zwischen den abweichenden urteilen gleichsam das arithmetische 
mittel zu finden; aber das ist gerade ein vorzupr; denn damit wird 
der schematiscben und mechanischen auffassung des prüfungsvor- 
ganges entgegengearbeitet, die sich vielleicht einbildet, sehr gerecht 
zu sein, thatsächlich aber sehr ungerecht ist. verlangt wird vielmehr 
eine so klare und eingehende vorstülkmg von dem, wjis an den münd- 
lichen und an den bciinfllichön lüibtungen anzueikenntn und zu be- 
mängeln ist, dasz aus beiden urteilen das entsprechende sich ver- 
bindet und so ein neues nrteil erzeugt, das nicht ans dm bmden 
sondemrteüeny sondern unmittelbar aus ihren grundstoffen entsteht» 
man wird also sagen dttrfen, dasz es gegen den sinn der Prüfungs- 
ordnung streitet, wenn der versuch gemacht wird, den classenleistnn- 
gen zwei prQfungsergebnisse, eins der schriftlichen, eins der münd- 
lichen Prüfung gegenüber sn stellen, durch die sie vielleicht überstinmit 
werden müchten. gerade solche versuche zeigen, wohin die auffas- 
sung von zwei prüfungsergebnissen führt, nemlieii zu dem von vom 
herein feststehenden Übergewicht des prüfungsurteils über das auf 
die olassenleistungen gegründete urteil, und das ist nicht in der 
Ordnung, der sinn der prüfung ist nicht der, dasz in ihr erst das 
urteil über die reife oder unreife des schOlers gefunden werden soll; 
dieses urteil sollen die lehrer, welche die prüfung abnehmen, beim 
eintritt in dieselbe schon haben; die beteiligung des staatscommissars 
hat keinen andern zweck, als dasz am raaszstah der Prüfungsordnung 
das urteil der lehrer vor ihm gerechtfertigt und zugleich die gleich- 
mäszigkeit der schluszleistungen bei der gesamtheit der anstalten 
gesichert werden soll. 

Es ist nicht zu befüiclitcn, dasz die geforderte zuöammenarbei- 
tung der Prüfungsergebnisse zu einem die Verhandlungen sonderlich 
aufhalten werde, es kann ja scheinen, als oh der weg durch die fest- 
stellung erst des vorlftufigcn , dann des endgültigen urteile über die 
dassenleistungen, weiter durch die beurteilung der schriftlichen 
arbeiten für sich, demnSchst der mündlichen prüfung gleichfalls für 
sich, endlich die Zusammenfassung der beiden letzteren ziemlich um- 
ständlich sca; aber es scheint auch nur so; die Vorgänge, die in der 
theorie auseinander gehalten werden müssen , werden in der Wirk- 
lichkeit oft nahe genug an einander und der zeit nach fast zusammen 
fallen; die bisherige besprechung liefert nicht so sehr eine bescbrei- 
bung des Verfahrens als eine feststellung der gesichtspunkte, von 



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bei den enilaasimgBpiüfimgen tu preassiBelieii gymnasien. 419 

denen ana dasselbe zu regeln igt so wird denn audi das letzte dhter 
den Yorbereitenden stücken, an das wir uunmelir herantreten , die 
vereinigong der urteile über die clasflenleistungen und über das 
prttfungsergebnis zu einem einzigen gesamtiixteil, keine gröazeren 
Schwierigkeiten bieten, auch hier darf von einem ausrechnen keine 
rede sein; die prädicate mögen mit Ziffern bezeichnet werden, in 
zahlen umgewandelt dürfen sie nicht werden, zwei leistuncfen liegen 
vor; aber beide gehören einem und demselben menschen an, beide 
beziehen sich auf ein und dasselbe gebiet; das urteil über beide iiegfc 
nach seiner entstehung aus der abwä^ung von lob und tadel deut- 
lich vor äugen; es gilt nun, beide zusammenwachsen, gleichsam eine 
chemische Vereinigung eingehen zu lassen, aber allerdings mag hier, 
wo wir zum zweitenmale von der Verschmelzung zweier prädicate 
sprechen, die frage nahe liegen, wozu df?nn überhaupt erst zwei be- 
sonderti prädicate gebildet werden, wenn sie nachher doch wieder 
aufgelöst und aus ihren bestandstücken ein neues gefunden werden 
soll, ich glaube doch, daez darauf nicht Terzichtet werden kann, 
wenn anders man will, daaz die beratnng' Aber deutlich unterschie* 
dene stufen in festen bahnen fortschreite und Tor der hersohaft all- 
gemeiner eindrücke bewahrt bleibe, die prflfung des schttlers soll 
sich bemst bleiben, das« sie es mit einer lebendigen Persönlichkeit 
zu thuu hat| deren Terrichtnngen und deren wissen und können sich 
nicht auf mathematische formein bringen lassen; sie darf aber auf 
der andern seite den festen halt sachlicher beurteilung nicht ver- 
lieren , ohne den sie aufhören würde, ein ernstes und gerechtes ge- 
schSft zu sein. 

Erst nachdem die gesamturteile für die leistungen in den ein- 
zelnen gegenständen gefunden sind, ist der platz da für die frage 
nach einer ergänzenden ausgleichung; denn jetzt erst kann sich her- 
ausstellen, dasz irgendwo eine lücke vorhanden ist und an irgend 
einer andern stelle ein überschusz, bei der betraehtnng der lücke 
entsteht alsbald die frag'e, ob an eine ausgleichung überhaupt gedacht 
werden darf; denn wenn einem abiturienten in einem gegenstände 
nicht einmal die reife für prima zuerkannt werden kann, so kann 
nach dem Inhalt der vereinbaruugen vom april 1874 von einer er- 
gänzung auch durch noch so gute leistungen in einem andern fitchö 
TOn vorn herein keine rede sein, es läszt sich annehmen, dasz scbüler 
dieser art in der regel nicht bis in die mündliche prüfung gelangen 
werden; es wird doch wohl möglich gewesen sein, im laufe ihres 
primacursus ihnen das unzulängliche ihres Standpunktes klar zu 
machen und so sie zum verzieht auf die prflfung zu bewegen, tritt 
aber die notwendigkeit ein, die jgSnzliche mangelhaftigkeit der lei- 
stungen vor der commission nachzuweisen, so liegt es nahe, bei dieser 
gelegenheit fnr das griechische und das französische die Übersetzungs- 
arbeiten für prima in betraoht zu ziehen, beim eintritt in die prima 
ist die reife für diese classe ui allen gegenständen vorhandni ge- 
wesen, wenn aber eine der genannten arbeiten mangelhaft ausgefallen 

27* 



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420 Über die ansgleichende erglDsaiig 



iBt, 60 wird man geneigt sein, auf eine gewisse nnsicberlieit des wis- 
sens za schliessen, von der es von Torn herein glanblioh ist, dass sie 
bei einem mangel an ansdrdcklieber pflege allmtthlicb unter das masz 
der reife hemntergesonken ist; liegt umgekehrt eine darchans ge- 

nfigencfe versetzuDgsarbeit TOr, SO wird man den nachweis, dasz die 
damals vorhandene vollkommene reife im laufe der zeit ganz verloren 
gegangen ist, sehr eingehend geführt verlangen, so kann an dieser 
stelle den fraglichen arbeiten bedeutung beigelegt werden, aber es 
Echeint doch, dasz es besser wSre, wenn sie dieselbe nicht hätten; 
denn sie sind nicht blosz überflüssig, sondern sie können auch ge- 
fährlich werden, dem griechischen und dem französischen stehen 
dieselben wege, wie den obigen gegenstiinden , offen, um über die 
reife oder nichtreife für prima ins klare zu kommen, die in der prima 
erteilten Zeugnisse liegen vor, ebenso die in dieser classe geschrie- 
benen arbeiten; in der mündlichen prüfung ist den schülern gelegen- 
heit gegeben, auch über ihr grammatischea wissen sich auszuweisen, 
das alles ist für das griechische und für das französische ebenso gut 
der fall, wie für das lateinische und — mit den selbstverständlichen 
einsdirftnkungen — für das deutsche und die mathematik. wenn 
man im französischen die schriftliche prttfiingsarbeit überhaupt ver- 
miszt, im griechischen eine grammatische schriftliche leistung, so 
können als ersatz doch nicht füglich arbeiten herangezogen werden, 
die Tor mindestens zwei jähren geschrieben worden sind, diese ver- 
setzungsarbeiten geben anlasz zu Vermutungen, die wohl nahe liegen, 
aber doch auch recht irrig sein kQnnen, und wenn sie gleichsam die 
einzigen lebenden zeugen dessen sein sollen , was der schüler seiner 
zeit gewust hat, so gewinnt damit die grammatik ein Übergewicht, 
das ihr nicht zukommt, es hat wohl einen sinn, beim abschlusz des 
grammatischen Unterrichts im griechischen und im französischen eine 
arbeit schreiben zu lassen, die einen beleg für das erreichte masz 
des Wissens abgibt; aber diese arbeit bei der entlassnngsprüfung in 
betracbt zu ziehen, das wäre nur dann angezeigt, wenn es bei dieser 
gelegenheit auf dasjenige ankäme, was die schüler bei ihrem eintiitt 
in die prima gewust; das ist aber nicht der fall, und es ist nicht zu 
wünschen, dasz es dahin komme, und darum wäre es richtiger, diese 
arbeiten würden nicht erst den Prüfungsarbeiten beigelegt, mit denen 
sie nichts zu teilen haben , sondern sie würden ausschlieszlich für 
den zweck aufbewahrt, für den sie geeignet sind, nemlich zum nach- 
weis, dasz die anstalt bei der Versetzung nach prima in den betref- 
fenden fächern mit dem erforderlidien ernste terfilhrt 

Aber auch wenn die reife fflr prima nirgends zweifelhaft ist, 
so ist darum die Übertragung der lücken durch die ttberschttsse nicht 
selbstYcrständlich ; sie ist nur zulässig (§12, 3). ein ansprach des 
Schillers liegt nicht vor; die entscheidung steht in jedem falle bei 
der prüfungscommission, und deren geneigtheit, sich auf die frage 
der ausgleichung überhaupt einzulassen, wird — um Ton der sitt* 
liehen ftthrung hier abzusehen — auszer von dem masze, in welchem 



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be? den enÜMBUiigspräfangen an preuniechen gymnaaien. 421 

in den nicht in rede stehenden . fächern den anforderungen genügt 
ist — wesentlich von dem urteil abhängen, das sie über die ent- 
ßtebung der lücke und des Überschusses gewinnt, wenn im übrigen 
nur eben eine notdürftige erflilhmg des verlangten vorliegt, so würde 
die gestattung der ausgleichung geradezu nicht genügender leietun- 
gen eine schwer zu rechtfertigende nachsiebt bedeuten, weiter aber 
ist es jodenfiills sehr natürlich und auch sachgemäsz, wenn die lehrer 
wenig neigung haben, diese wohlwollende rücksicht cmein schüler 
zuzuwenden, bei welchem die ursaohe des Zurückbleibens in dem 
eines &die in kiditsinn und unfleisa so Saiden ist^ wSbrend er auf 
der andern eeite die guten erfolge seiner besonderen beffthigung zu 
verdanken bat. umgekebrt ist es ebenso yerstttudliob, dasz die lebrer 
gern bereit sein werden, die wobltbat einem scfadler zuzuwenden, 
von dem sie tu wissen glauben, dasz er den llberscbusz, wenn aueb 
nioht ausscUiesslieb, so docb ancb dureb treuen flelsz erzielt bat^ und 
dasz die Ittcke ibm trotz seines fleiszes geblieben ist. und auch das 
ist niobt nur verständlich, sondern aucb billigenswert« denn die be- 
mübungen des fleiszes brauchen niobt an dem masze des geforderten 
gesobeitert zu sein, so dasz auf einen mangel der begabung geschlos- 
sen werden müste; er kann yielmebr nur der manigfaltigkeit der 
ansprüche nicht gewachsen gewesen sein; und dann ist die hoffnung 
erlaubt, dasz gegenüber einer r:;TÖszeren gleich artigkeit der aufgaben 
er auch mit gleichmäszigerern und bedeutenderem erfolge thätig sein 
werde, dies letztere berührt sich mit dem, was wir im folgenden zu 
bespreche^ haben. 

In dem bezüglichen absatz des § 12, 3 schlieszt sich an das 
verbot 'eine ab weichung hiervon in berück^ichtigung des von dem 
Schüler gewählten berufs ist nicht zulässig' unmittelbar unsere be- 
stimmung Magegen ist zulässig, dasz nicht genügende leistungen in 
einem lehrgegenbiande durch liiindestens gute ieibluiigtiii in tmiem 
andern obligatorischen gegenstände als ergänzt erachtet werden', 
durch diese Zusammenstellung und Verbindung wird ein gewisser 
zusammenbang der beiden festsetzongen angedeutet, und diesen zu- 
sammenbang finde iob darin, dasz ein ausweg aus der Unbilligkeit 
gesucht wild, die unter umständen in der unbedingten forderung 
mindestens genügender Ittstungen in allen gegenständen liegen kann, 
diese forderung schlieszt eine bevorzugung der mittelmSszigen dureb- 
scbnittsköpfe ein; ohne Übertreibung kann man sagen, dasz die un- 
bedingte notwendigkeit , überall jedenfalls ein gewisses masz zu 
erfüllen, die erreichung eines über diese mindestforderung hinaus- 
liegenden zieles an irgend einer stelle wesentlich erschwert oder auch 
bindert* aber die beseitigung dieser Unbilligkeit soll nioht in der 
weise gesucht werden, dasz ein teil der forderung fallen gelassen wird, 
weil manche kenntni.^sc in dem gewählten berufe nicht unentbehrlich 
zu sein scheinen; damit würde der grundsatz der allgemeinen bil- 
dung, auf welchem unsere gymnasien ruhen, durchbrochen und Über- 
dies — abgesehen von manchem andern — gerade der mittelmäszigen 



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422 



Über die ausgleichende ergänzung 



schwäche ein vorteil zugewendet werden, vielmehr soll das Zuge- 
ständnis, das von der billigkeit verlangt wird, gerade zu gunsten 
der höheren begabung und ihrer bethätigung gemacht werden, die 
mit einer gewissen einseitigkeit verbunden zu sein pflegt, wenn man 
bedenkt, dasz auf diese weise der nutzen der nachgibigkeit nicht 
denen zukommt, bei denen es besser wäre, wenn sie nicht einen so- 
genauulen gelehrten berul ergriüeu, sondern denen, von cleneu es 
schade wäre, wenn sie nicht einer solchen bescbäftigung zugeführt 
würden , so kann man diese bestimmung nur billigen, und wenn 
wir nun TOn diesem gesiclitspunkte aus der frage nach dem gründe 
des mangels und des flbersehnsses naher treten, so ergibt sich, dasz 
die Iflcke natttrlieh nicht aus leichtsinn oder flbermut, wohl aber aas 
einer begrenzung oder abschwSchung des interesses herroi^gegangen 
sein darf, die in engem zusammenhange damit steht, dasz auf der 
andern seite das zusammentreffen von beföhigung und neigung einen 
übersdrasz erzielt hat. der Uberschusz ist wenigei' dnroh die höhe 
des erreichten — es werden nicht 'sehr gute' leistungen gefordert 
— als durch den beginn wissenschaftlichen strebens bezeichnet, bei 
dieser auffassung wird auch dem misbrauch vorgebeugt, dasz etwa 
in der letzten zeit auf die ausgleichung hingearbeitet wird; das be- 
schriebene Verhältnis von manrfül und (Iberschusz kann nur das er- 
gebnis einer längeren entwickiung sein. 

Die frage, ob nach den anf^ei^^ebenen gesichtspiinkten der aus- 
gleichung stattgegeben werden soll , ist für jeden einzelnen schtiler 
besonders zu entscheiden, anderes verlangt eine festsetzunsr ein für 
allemal, dasz wenn Übertragungen überhaupt zulässig sind, die 
mangelhaften leistungen in der pbysik gedeckt werden können, das 
wird niemand bezweifeln, aber dasz. die physik irgend erneu andern 
gegenständ sollte aufwiegen können, das scheint mir ausgeschlossen, 
und zwar nicht so sehr durch die Stellung^ welche dieser nnteniöhts- 
gegenstand auch jetzt noch im lehrplan der gymnasien einnimmt, 
wie durch die rolle, die ihm in der prflfung zugewiesen ist* eigent- 
lich ist diese rolle gar keine, die phjsik steht^ wie wir oben sahcBi 
neben der prftfnng; sie kann in derselben berührt werden, abervor- 
geschrieben ist nicht einmal dies ; das zeugnisprttdicat wird yon den 
classenleistnngen hergenommen ; von diesen aber gelangt nichts zur 
eignen kenntnis der commission ; die prima-zeugnisse, die zur ein- 
sieht bereit gehalten werden, sind selbst nur urteile, nicht leistungen. 
es ist den mitgliedem der commission, die nicht der fachlehrer sind, 
nicht zuznmaten, dasz sie auf grund von leistungen, über die sie sich 
gar kein eignes urteil bilden können, eine einschneidende entschei- 
dung über das gesamte prüfungsergebnis treffen, wenn das nicht 
genügende prädicat in der pbysik einen Schüler, dessen leistungen nir- 
gends mehr als genügend sind, zu falle bringt, so ist dabei eigentlich 
nur der fachlehrer thätig; formell wird freilich ein commissions- 
beschlusz herbeigeführt, aber, da die Vorschrift über das mindest- 
erfürderniä der reife ganz bestimmt lautet, so kommt diese beschlusz- 



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bei den euliassungsprüfungen au preuä^iäclieu g^mna^ieu. 423 



fassung in Wirklichkeit nur darauf hinaus , dasz das phjsik-prädicat 
Teimrkt, und, ohne alles eigne zuthon der oommissionsmitgtieder, 
das fadt gezogen wird, aber tlher die ausgleichende ergänzung lauten 
die Torscbrifton durchaus nicht so bestlmint; es ist nirgends von 
einer Verpflichtung, immer nur von der mOglichkeit, von der berech- 
tigong der commission, sie vorsunehmen, die rede; indem also das 
pädicat'gut'des einen gegenständes dem'nichtgenflgend'des andern 
gegenübertritt, ist die Verhandlung so wenig abgeschlossen, dasz die 
tiiätigkeit der conunission jetzt eigentlich erst beginnt, diese thätig- 
keit mflste die commission, was die physik angebt, auf einem boden 
ausliben, den sie auf treu und glauben als so beschaffen hinninunt, 
wie er ihr genannt wird, dieses verfahren ist weder mit der Ver- 
antwortlichkeit, die jedes einzelne tnitglied trägt, noch mit der Wich- 
tigkeit (lor gesncbten entscbeidunp^ vereinbar, e«; ist «ohon schlimm 
genug, wenn unter umständen die mitglieder zusehen müssen, wie 
durch das ihrerseits nncoritrolierbare urteil eines von ihnen die un- 
günstige entscbeidunj:: herbeigeführt wird; darumwäre es vielleicht 
besser, wenn die pbjsik bei der prüfung gar nicht in betracht käme 5 
aber unmöglich ist es, dasz die mitglieder selbstthätig eingreifen, 
ohne die Voraussetzungen ihrer thätigkeit zu kennen; darum ist eine 
ausgleichuDg durch die pbysik unmöglich. 

In der religion wird geprüft; aber die prüfung unterscheidet 
sich wesentlich von deijenigen, die in den andern gegenständen vor- 
genommen wird, der schaler soll sich ausweisen über seine bibel- 
kenntnis, ttber seine bekanntschaft mit den gmndlehren seiner kirohe 
d|id mit den hauptepoohen der kirchenge schichte (§ 3, 1). dies alles 
sind gegenstBnde des Wissens, in den sprachen und in der mathe- 
matik wird auch ein bestimmtes mass des wissens verlangt; aber 
man begnflgt sich damit nicht das anfertigen schriftlicher arbeiten, 
das übersetzen fremdsprachlicher Schriftsteller, das Idsen mathema- 
tischer aufgaben setzt ausser dem wissen auch die gettbtheit in der 
anwendnng der erworbenen kenntnisse, d. h. ein gewisses masz des 
k^nnens voraus, einem können wird in der religionsprttfung nicht 
nachgeforscht; auch nicht in der geschichtlich -geographischen prü- 
fung; aber ein unfersebied ist doch auch hier wieder, die aufgäbe 
dps geschichtlichen Unterrichts, wie sie die erläuterungen zum lehr- 
pian der o-ymnasien s. 23 umschreiben, wird durcbaos auf dem wege 
der wis^cnsüberliefernng erfüllt, dasz in den schtLlern das bewust- 
sein hervorgerufen wird, wieviel ihnen noch zur vollen einsieht fehlt, 
und dasz ihnen die befähigung gegeben wird, die bedeutendsten 
classischen geschichtswerke mit Verständnis zu lesen, das wird durch- 
aus durch die Zuführung geschichtlicher kenntnisse erreicht; und in 
der hochacbtung vor der sittlichen gröszo einzelner mäuner oder 
ganzer Völker wird man nicht eine Verwertung des geschieht! leben 
Wissens in der richtung auf das können, sondern ein zeichen seiner 
yerstRndigen, naohdraikenden aufiiahme sehen, — um nicht erst da« 
von KU reden, dasz die pflege jenes gefühls nicht zu den besonderen 



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424 



Ober die Bnigleicfaende eigSiisimg 



aufgaben des geacbiolitsiiiiteimfatB geEfthlt werden kann, dagegen 
in der religion gibt es — aaoh für den sohUler — > eine anwendung, 
eine yerwerinng des wiaaens; das religiöse leben ist nicht schlechthin 
albäiigig von dem wissen, das erlernt wird; aber es kann dorch 
dasselbe beeinfloszt, gefordert werden; und die absieht des religions- 
Unterrichts ist auch unsweifelbaft darauf gerichtet, durch die Über- 
lieferung der kenntnisse auf das gemüts-und herzensieben zu wirken, 
der religionsunterriclit will und soll (einl. s. 17) der Sammlung und 
Vertiefung des gemüies dienen, er will und soll sich beschränken auf 
dasjenige, was an sich oder für das betreffende lebensalter einen 
religiösen gebalt bat; d. b. er richtet sich auf die Verwertung der 
religiösen kenntnisse, auf die Umsetzung des wis&ens ins können, 
beim geschichtsunterricht musz alles ausgeschlossen bleiben, was 
über das wissen hinausgeht, der religionsunterricht darf beim wissen 
nicht stehen bleiben; der geschichtsunterricht leistet mit dem wisseu 
alles, was leisten zu wollen ihm versliindiger vveiüe statthaft ist; der 
religionsunterricht würde mit dem wissen allein hinter dem zurück- 
bleiben, was durchaus von ibm gefordert werden mns2. so erscbOpft 
die gescfaichtsprOfung, obwohl auf das wbsen besehrBnkt, das ganse 
feld des geschichtsanterrichta; und dasselbe gilt yod den im laufe der 
Schulzeit erteilten Zeugnissen Uber die leistungen in der geschichte* 
und darum ist die geechichtei weil sie mit dem ganzen ihr beigeleg- 
ten gewichte auch beim absdilusz erseheint, geeignet, ausgleichend 
und ergfinzend andern prttfungsgegenstfinden gegenüber gestellt zu 
werden, dagegen die religlonsprUfung l&szt, indem sie nur das wissen 
ins auge faszt, einen teil von demjenigen bei seile, womit der reli- 
gionsunteiTicht sieb beschäftigt, diese beschränkung ist so berech- 
tigt, ja geboten, dasz es nicht lohnt, darüber werte zu verlieren, 
aber sie weist auch der religionsprüfung ihre abgesonderte Stellung 
an. der teil der unterrichtsaufgabe, den die reli^^ionsprüfung bei 
Seite iäszt, ist fjerade recht wichtig, ich will von der besonderen 
beschaffenheit des gebietes, auf welchem der religionsunterricht sich 
bewegt, gar nicht reden, — aber die eigne thätigkeit des Schülers 
ist jedenfalls wichtiger als das blosz aufnehmende verhalten, und die 
selbsttbätigkeit beginnt nicht, aber sie entfaltet sich erst da, wo die 
verwuiLung des wissens ansetzt, die religionsprüfung läazt alao ge- 
rade das wichtigere ölück desjenigen, worauf es der religionsunter- 
richt abgesehen hat, auszer acht; und alle urteile, die wfihrend der 
ganzen schnbeit über den schüler von selten der religion abgegeben 
werden, beziehen sieh immer nur auf sein wissen von der religions* 
lehre, wegen dieser, wie mir scheint, nicht zu beseitigenden unvoll- 
fltämdigkeit der religionsprüfang halte ich es nicht für zulässig, dasz 
das in der religion zuerkannte prftdicat dasjenige irgend eines andern 
gegenständes sollte ansgleichen können, es ist auch gar nicht wün- 
schenswert , dasz gerade auf das wissen in der religionslehre durch 
die aussiebt auf die möglichkeit einer dadurch zu erzielenden aus- 
gleichung gleichsam noch eine prSmie gesetzt wird, und endlich. 



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bei den enfkttsuDgsprüfuugen an prenniicbeB gymoMieii** 426 

wenn der religionslehrer m prima anssebliesdiob religionBlehrer ist» 
BO gehört er der prUfangscommission nar eben fttr die angebOrigen 
seines bekenntnisses an; es ist aber su wünschen, dasz die zasammen* 

Setzung der commission nicht gerade für eine so wichtige frage, wie 
die der ausglelchung ist, gerade an einer so wichtigen stelle weebseley 
wie die des lehrers ist, dnrcb dessen prttdicat die frage der ansglei* 
drang überhaupt erst angeregt wird. 

Wie also die religionslehre nicht geeignet ist, eine lücke in 
einem andern prüfungsgegenstande zu decken, so kann auch ein 
mangül in ihr nicht durch einen überschusz auf einem andern Wissens- 
gebiete ausgeglichen werden, aus dem christlichen Charakter der 
lehransialten läszt sich das nicht herleiten; es gibt höhere schulen 
genug, welche diesen charakter rechtlich oder thatsächlich nicht be- 
sitzen; man würde also, wenn man diesen ausgangspunkt benutzen 
wollte, dahin kommen, einen mangel an reife festzustellen, den man 
nur innerhalb eines bestimmt begrenzten kieises von schulen als 
einen mangel bezeichnen dürfte, während andere anstalten in ihrem 
rechte wären, wenn sie über diese lücke hinweg die reife gleichwohl 
anerkennten* aber der begriff der reife musz offenbar, unbeschadet 
der subjectiven freibeit dee nrteils im einseinen falle, einheitlich 
fieitty nnd das ist er nichts wenn man ihn ausschliesslich darin sacht» 
dasz das nnterrichtsziel der anstalt erreicht wird; der durchaus rela- 
tive begriff der reife mnss seine eigftnsnng in demjenigen finden, 
was jenseits der schule liegt, das ist nun auch fttr die gymnasien 
keineswegs mehr der eintritt in die Universität oder überhaupt in 
die hochsohule, sondern die Zugehörigkeit zu den leitenden schichten 
der bevOlkerung. sich leiten zu lassen, d. h. die geistige überlegen* 
heit anderer zu begreifen, anzuerkennen und sich ihr unterzuordneoi 
diese kunst soll jede schule lehren; die leitung dermaleinst auszu- 
üben , dazu soll das gymnasium befähigen ; es ist sehr gleichgültig, 
welchen beruf die durch die entlassungsprüfung hindurch gehenden 
Jünglinge nachher einmal ergreifen nnd welche besondere Vorberei- 
tung sie zu diesem zweck vielleicht späterhin noch durchmachen; 
aber alle zusammen sollen sie befähigt und geeignet sein, innerhalb 
des kreibes, dem sie angehören, auf grund ihrer bildung sich einmal 
ansehen zu erwerben und einen auf dasselbe gestützten einüusz aus- 
zuüben, niemand wird es bestreiten, dasz derjünige, dem es nicht 
nach seiner Stellung oder nach seinem besitz oder nach seiner redego- 
wandtheit, sondern nach seiner Innern beschafienheit zukommen soll, 
dasz seine stimme nicht nur bei den kleinen dingen und geschäften 
des täglichen Verkehrs, sondern auch bei den grossen entsobeidungen 
des Ö&ntUcben lebens ein bestimmendes gewicht habe, — dasz ein 
soldier mann auch in saehen der religion in der läge sein musz, be- 
anspruchen zu dürfen I dasz er gehürt werde, dieser aaspnudi ist 
aber unberechtigt, so lange derjenige, äex ihn erhebt, nicht selbst 
zur fesügkeit einer begründeten ansieht in diesen dingen gelangt 
ist. die ansieht kann irrig, sie soll der entwicklung fthig sein; aber 



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426 



Über die ansgleichende ergfinsang 



sie znusz jedenfalls das für sicli habeiii dasz ale lüoht im augenblick 
und fOr den aogenbliok aufgegriffen, sondern dordi eignes, ernstes 
nachdenken gewonnen tmd dämm nicht der gefabr ansgesetat ist, 
haltlos zu sehwanken nnd su wechseln, diese flberEengutig kann nur 
allmShlicb erworben werden und musz ihre ersten anfSnge in der 
betrachtung des nächstliegenden, d. b. in den gedanken über das 
eigne bekenntnis haben, und wieder diese gedanken schweben in 
der luft, wenn sie nicht mit einer ausreichenden summe positiver 
kenntnisse arbeiten, die aufgäbe des erwerbes dieser kenntnisse 
darf nicht hinter die Schuljahre verlegt werden; da wird es für sie 
an neignng \mä an zeit fohlen, wenn die Schulzeit in riieser bezieh nng 
ungenutzt vorübergegangen ist, so wird es späterhin kaum gelingen, 
in dem schon anderweitig^ vielfach in anspruch genommenen geiste 
diejenige teilnähme zu erwecken, deren es bedarf, um eine beschäf- 
tigung mit ernst zu betreiben, welche eigentlich die natürliche auf- 
gäbe eines jugendlicheren alters ist^ was von kraft und zeit vorhan- 
den ist, wird man eher sich veranlaszt fülilen, der betrachtung der 
bewegungen in der gügeuwart und der bcrübruugen mit den andern 
bekenntnissen zuzuwenden, aber diesen be trachtungen wird eben 
die sichere grundlage fehlen, deren erwerbung sache der Schuljahre 
gewesen wftre nnd damals unterblieben ist. über das ziel dieses er- 
werbes geht das gjmnasium nicht hinaus« die erlSuterungen zu den 
preuszischen lebrplänen vom 31 mlirz 1882 erklftren ganz ausdmck- 
lich, die schule solle nicht theologie Idiren, und bezeichnen als das 
letzte, was durch die ttbermittelung des Wissens auf dem religiösen 
gebiete bei dem schlller erreicht werden solle, die bef^higung zu der 
festigkeit eines b^grOndeten urteile Aber das verhftltnis seines be- 
kenn tnisses zu andern oder zu besonderen zeitrichtungen. nicht das 
begründete urteil selbst, nicht seine festigkeit wird von dem scbüler 
yerlangt, wohl aber die ausstattung, ohne welche er beides nicht 
gewinnen kann, und weil nun nnch dem gesagten auf der einen seite 
diese ausstattung nicht nacbgcholt werden kann, auf der andern seite 
das, wozu sie unentbehrlich ist, demjenigen, an welchem die höhere 
schule ihr werk vollendet hat, nicht unzugänglich sein darf, so ist 
ein Schüler, dessen religiouskenntnisse den bezeichneten ansprücben 
nicht genügen^ schlechterdings nicht reif zum austritt aus dem gym- 
nasium, nicht reif zum eintritt in die unmittelbare Vorbereitung des 
lebens. der ihm anhaftencL; mangel ist ein ganz specifischer und 
kann eben darum durch uichts anderes ausgeglichen werden. 

Ähnlich, wie mit der religion, steht es mit dem deutschen; auch 
hier ist die deckung eines mangels durch einen flbersehusz in einem 
andern lehrgegenstande nicht möglich, aber auch hier wird es nicht 
gut sein, sich etwa auf den nationalen Charakter der anstalten in 
dem sinne zu berufen, dasz man sagt, es würde eines deutschen gym- 
nasiums unwflrdig sein^ wenn ein schttler, der im deutschen nicht 
das seinige gelernt habe, von ihm als reif entlassen werden sollte, 
darin würde eine starke herausforderung für das subjective ermessen 



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bei den eutlassungsprüfuDgen au preusziscäeii gymnAsien. 427 

liegen; denn mit demselben rechte kOnnte man es z.b. mit der wtirde 
eines bumanistischen gymnasiums unverträglich finden, dasz die un- 
reife im lateinischen oder griechischen nicht am bestehen der ent- 
lassungsprüfung hindern sollte, könnte man ts dem cbarukier einer 
modernen lehranatalt widersprechend erachten, dasz aach bei unzu- 
' reidiendai leiBtungai im finrnsOBiBolieii die reife xaerkamit werde, 
Q.dgl.m.$ es würde nicht abraseheii sein, wo die grenze der aneprOche 
und der feste maszstab des zulftssigen und unsnltaigen sn finden 
wttre. aber das deutsche ist die mnttersprache. es ist zn beachten, 
dasz §9,2 der prttfnngsordnong vom mUndUohen gebrauch der 
mnttersprache, und absate 2 der Uehranfgaben in den einzelnen nnter- 
richtsgegenstünden der gjmnasien* von dem schriftlichen gebrauch 
der mnttersprache redet, allerdings ist die thatsache nioht schlecht- 
hin zu übersehen, dasz für etliche schüler und an manchen anstalten 
für einen beträchtlichen teil derselben das deutsche nicht diejenige 
spräche ist, die sie zuerst von vater und mutter gehört haben, so- 
weit es sich dabei um ausländer handelt, die etwa durch einen zufall 
zum besuch eines deutschen frymnasmms gekommen sind , versteht 
es sich von selbst, dasz sie eine gewisse billige rücksichtnabme auf 
ihre verhSltnisse zu erwarten haben werden , dasz sie aber nicht be- 
anspruchen dürien, dasz die einriebt ungen oder n^rundsätze der be- 
züglichen gymnasien sich nach ihren bedürfni^sen formen oder um- 
gestalten, anders liegt die Sache bei den Staatsangehörigen, die nicht 
deutscher zunge sind, sie sind durch die natur der dmge auf den 
besuch dieser bohulen angewiesen, aber auch für sie isL, wenn nicht 
eine künstliche absperrung stattgefunden hat, das deutsche eine 
spräche, deren klftnge sie fortwilurend um sieh her Tomehmen, deren 
sie auch ausserhalb der schule von frfib auf nicht haben entbehren 
können; und in der schule ist es ihnen von unten auf die nnterriehts- 
spraehe, d. h. diejenige spräche, in der nicht nur ihre lehrerund 
ihre mitschiüer, sondern in der auch sie selbst wfthrend der stunden 
sprechen, ja in die sie sogar aus fremden sprachen, dem lateinischen, 
griechischen, französischen, tiberseizen. man spricht wohl von der 
zweiten heimat, dem zweiten vaterlande einee mannes; so, denke 
ichy kann man auch das deutsche gleichsam die zweite muttersprache 
dieser schtüer nennen, es liegt kein grand vor, um ihretwillen an 
den Ordnungen der schule zu ändern, und von den vorhin besproche- 
nen ausländem unterscheiden sie sieb auch dadurch, dasz bei ihnen 
zu persönlichen billigkeitsrücksichten viel weniger anlasz vorliegt, 
als bei jenen. — Es wird also nach wie vor gestattet sein, das 
deutsche in unseren gymnasien als die muttersprache anzusehen; 
und von diesem Standpunkte aus haltt; ich eme lücke iu diesem unter- 
richtsgegenstande für unübertragbar, durch die einrichtunsr der lebr- 
pläne selbst ist es gegeben, dasz im deutschen der nachdruck weniger 
auf der litteraturkenntnis als auf der befähigung zum gt ljrauche, zum 
mündlichen und ücbriftlichen gebrauche der spräche iiegi; 'Sicher- 
heit im schriftlichen gebrauche der muttersprache zum ausdruck der 



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428 Ober die aueglaclieiide ers^Eimg 

eignen gedanken and rar bebandlung eineB in dem eignen gedanken- 
kreise liegenden tbemas*, das ist in dieser besiehnng die lebranfgabe 
des gymnasiams (lebranfgeben, 2), und der schttler, dem bezeugt 
werden soll, dasz er in dieser hinsieht dasjenige masz der schulbä« 
dnng erreicht hat« welches ziel des gjmnasiums ist« musz (S 3, 2 der 
Prüfungsordnung) ein in seinem gedankenkreise liegendes thema 
richtig aufzufassen und mit eignem urteil in logischer Ordnung und 
fehlerfreier Schreibart zu bearbeiten im Stande sein; er hat femer 
beim mttndlichen gebraache der muttersprache gettbüieit in sprai^ 
richtiger, klarer und zusammenhängender darstellung zu beweisen, 
diese forderungen sind durchaus maszvoll. die mäszi^^ung liegt schon 
in der beschränkung auf die bearbeitung von aufgaben, die in dem 
gedankenkreise des scbülers liegeii ; denn unter dem eignen gedanken- 
kreise desselben ist offenbar derjenige gedankenkreis gemeint, von 
dem die schule ganz genau weisz, dasz er dem schüler eignet, weil 
sie selbst ihn ihm zu eigen gemacht hat; und da sind denn auch 
eignes urteil, logische Ordnung und klarheifc keine übertriebenen 
ansprücbe. aber ebenso tritt die mSszigung in demjenigen zu tage, 
was mit dem bprachliuben ausdruck zu thun bat. vielleicbt ist der 
ausdruck 'Sicherheit' an sich dehnbar; aber wenn daneben nur von 
fehlerfreier Schreibart, von sprachrichtigkeit die rede ist» so leuchtet 
ein» dasz anf alles « was unter den begriff kunstvoller Schreibweise 
fl&llt^ Yerzichtet und nur eben da^enige gefordert wird, was geradezu 
unerläszlich ist fttr einen , der einmal inmitten der fahrenden kreise 
des Volkes seinen platz einnehmen soll, auch hier darf man sich 
nicht damit trOsten, dasz diese fIMiigkeit auch nach der Schulzeit 
nachgeholt werden könne, fortscbritte werden da gewis auch noch 
gemacht, aber sie liegen doch mehr auf dem gebiete der entwicklung 
des Urteils und der zweckbewusten darstellung, als gerade auf dem 
der sprachlichen richtigkeit; da wird eher verloren, als hinzuerworben, 
aber es kommt noch eins hinzu, an den abgang von der schule 
schlieszt sich eine weitere berufsbildung an, oder wenigstens soll 
jeder, an dem die lehraufgabe des gymnasiums erfüllt ist, dadurch 
beföhigt sein, eine besondere berufsbildung aufzunehmen, vermittelt 
wird dieselbe durch die spräche, nur mit dem unterschiedu gegen 
die schule , da^z sie nicht mehr mit besonderer eindringlich keit und 
einer gewisben aufsieht über die richtige aufnähme an den einzelnen 
sich wendet, so musz, wer dieser Unterweisung zugänglicb sein soll, 
die kunsi des richtigen lesens und hörens verüteben; diese aber ist 
abhängig von der kunst des richtigen Sprechens und scbreibens. und 
nun braucht man gar nicht einmal daran zu denken, dasz für diese 
konst die muttersprache das natttrliehste und am leichtesten zu hand- 
habende Werkzeug ist, um zuzugeben, dasz auch hier dermangel von 
so durchaus specifischer natur sein würde, dasz er durch nichts an- 
deres ausgeglichen werden kann. 

Das deutsche berührt sich mit der religion darin, dasz beide 
eine besondere Stellung innerhalb der gesamtreife einnehmen, welche 



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bei den entlassungaprüfungen an preuBziEcben gjmnaaien. 429 

die abgangsprttfung nachweisen soll ; vermSge dieser Stellung kennen 
beide dnrch keinen andern gegenständ llbertragen werden, die nn* 
möglicbkeitf dass die religion ihrerseits einen mangel in irgend einem 
andern fach deeke, ergab sich nicht ans diesem Terbttltnisse, sondern 
ans andern grOnden, die auf das deutsche nicht zutreffen; wie der 
nnterrioht im dentschen neben dem wissen das können pflegt, so er- 
streckt auch die prdfung sich anf beides ; der probeaufsatz kann ge- 
legenheit bieten, einiges litterarhistorische wissen nnd bekanntsebaft 
mit dem einen oder dem andern classischen werke an den tag sa 
legen* man wird also beim deutschen siegen dttrfen, dasS; wenn es 
schon nach dem umfang der prttfung dazu angethan ist auszugleidien, 
seine eigentümliche beziehung zu dem begriffe der reife es geradezu 
vor andera geeignet macht, einen sonstwo hervortretenden mangel 
zu decken, denn kein anderer cregenstand, anszer der religion, nimmt 
eine solche Stellung ein; niemand wird behaupten wollen, dasz die 
geschichtliche oder die fremdsprachliche oder die mBthematische bil- 
dung, welche das gymnasium erzielt, för sich alleia und um ihrer 
selbst willen demjenigen unerläszlicb seien, der künftig einmal in 
der läge sein soll, vermöge seiner geistesbeschaffenheit auf andere 
einen berechtigten einflusz auszuüben ; so werden die tlbrigen gegen- 
stände eine Übertragung durch daä deutäche am ehesten sich geiallen 
lassen. 

Im übrigen ist keine yeranlassung, von dem masxstabe, der 
vorhin t als von der geschichte die rede war, angedeutet wurde « ab- 
zuweichen, jeder gegenständ , der mit dem ganzen umfang seines 
Unterrichts auch in der prttfung erscheint, und das gilt von allen 
denen, die bisher noch nicht besonders abgehandelt worden sind, — 
ist befthigt und hat das recht, dureh seine mehr als genügenden 
leistungen das zurückbleiben anderer hinter dem an sich erforder- 
lichen masze su decken, um mit allen rechten der prüfung ausge- 
stattet zu sein, kann nichts weiter gefordert werden, als der eintritt 
in sämtliche pflichten derselben, das ist ein in der natur dec sache 
80 tief begrttndeter anspruch , dasz nur ganz besondere gründe ihn 
aufzuheben vermögen würden, solche sind aber nicht zu entdecken, 
vielmehr musz ohne weiteres zugegeben werden, dasz in Jedem von 
diesen Unterrichtsfächern jene wissenschaftliche bethätif^nn doren 
Unfruchtbarkeit zu bedauern sein würde, jene besondere befähigung' 
und darauf gegiücdete nein^unfi^ ?u taf^e treten kunn, die wir voi hin 
als die Voraussetzungen jeder gegenseitigen ausgleichung erkannten. 

Auf der andern seite, da, wie eben erst bemerkt, keiner der 
noch in rede stehenden gegenstände als unentbehrlich bezeichnet 
werden kann für das einnehmen und ludiaupten derjenigen Stellung, 
nach der mit recht zu streben das bestehen der reifeprüfuug be- 
fähigen soll, so ist auch kein grund, zu gunsten eines derselben von 
der regel eine ausnähme zu machen, dasz seine mSngel durch ander- 
weitig hervortretende voi'sttge ergln2t und ausgeglichen werden 
kennen* 



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430 



Über die ausgleicliende ergftnzuug 



Zu einem andern als diesem doppelergebnis kann man nicht 
gelangen, wenn man sich fiberbanpt auf den gegebenen boden 
unserer lehr- und prüfungseinrichtungen und also der zulässigkeit 
der ausgkichung stellt, aber allerdings lohnt es sich, noch der frage 
nttber an treten, ob denn nun die Übertragung von jedem gegen- 
stände nach jedem angängig ist, ob die an sich zagestandene allge- 
meine fUhigkeit activer und passiver aiisgleichung auch in jedem Ver- 
hältnis zur austibung kommen kann, auch diese frage, meine ich, 
musz von dem einmal gegebenen Standpunkte aus bejaht werden, 
es geht doch nicht an, die gegenstände des Unterrichts nach ihrer 
Wichtigkeit und bedeutung abscluitzeud zu ordnen und dann etwa 
nur die deckung von oben nach unten, nicht auch umgekehrt, für 
statthaft zu erklären, um von der Schwierigkeit nicht erst zu reden, 
die es haben würde, einen übereinstimmend anerkannten ma.szstab 
zu finden, so würde ein solcher versuch, wenn man nicht dahin käme, 
das eine oder das andere facii vom gymnasium ganz ausschlieözen 
und also die grundlage unserer erörterung überhaupt umgestalten 
za wollen, immer aof die abschüssige bahn führen, an deren ende 
die zersplitierang der gjmnasialbildung steht, an deren dnfaeitüeh- 
keit dock unter allen umstftnden festgehalten werden musz» wollte 
man aber daran denken, die gegenstttnde ein fUr allemal, etwa paar- 
weise, zu gegenseitiger ergttnzung zu ordnen, so würde man in den 
bahnen der früheren bestimmung wandeln, nach welcher insbeson* 
dere mathematische und 'philologische' leistungen einander sollten 
übertragen können, in vergleichung damit bezeichnet aber der jetzige 
zustand gerade einen fort»chritt. es würde schwer halten , in jener 
gruppierung der geschichte einen platz auszumitteln ; die neue lehr« 
aml^prüfung hat die geographie, welche in der entlassungsprüfung 
im Schlepptau der geschichte zieht, sowohl der historisch-philologi- 
schen, wie der mathemati^^ch - ■nfiturwissenRcliaftlichen reihe zuge- 
wiesen, man würde, wenn nicht grundsätzlich, so doch tbatsächlich, 
dahin geführt werden, für die sehülerprüfung die unterrichtsgegen- 
ständo in die beiden gebiete der sprachen, vielleicht sogar nur der 
alten sprachen, und der mathematik zu trennen; auch auf diesem 
wege wird die einheitlichkeit des reife- und bildungsbegrififs preis- 
gegeben, die ist besser aufgehoben, auch für das bewustsein der 
scliüler, dai doch auch berücksicbtigung verdient, wenn die gleich- 
wertigkeit sämtlicher facher für die prüfung auch darin zum aus- 
druck kommt, dasz » immer mit den bereits begründeten aus- 
nahmen — jedes von jedem aufgewogen werden kann, es wird ja 
wohl nidit leicht vorkommen, dasz die mathematik die physik, das 
lateinische das griechische ergSnzen soll oder umgekehrt, und über- 
haupt kann es nicht unsere sacbe sein, casuistisch alle denkbaren 
combinationen zu erschöpfen; aber das soll man sich allerdings gegen- 
wärtig halten, dasz ein ausfaU in der mathematik nicht nur durch 
das deutsche, nicht nur durch das lateinische oder griechische, son- 
dem auch durch französisch oder geschichte, und umgekehrt, dasz 



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bei den entlasaungeprüfungeu an preosziscben gymaasien. 431 

ein ftüsfiidl im lateinisi^eii oder grieehisclien iiielit nur dnidi das 
deotsche, nicbt nur dareh die mathematik, Bondem aneh durch das 
franilteieGhe oder die geecbiobte gedeckt werden kann* es kann keine 
rede davon sein« dasa damit einer seitstritmang reehnnng getragen 
sei. es handelt sich einiig am die gesuide weiterentwiäcTnng des 
grundsataes, der dem § 28B des reglements von 1834 zu gründe 
lag, und dessen aoBfÜhrung durch die ergänzung TCn 18d6 in be- 
denkliche bahnen geleitet war. nicht nachgibigkeit gegen augen- 
blicklich auftretende and vielleicht wieder verschwindende anspräche 
liegt vor, sondern ein vernünftiges Zugeständnis an das recht der 
freien persönlichkeit, haben die schüler die pflicht, ausnahmslos 
überall nach genügenden leistungen zu streben, 80 entspricht dem 
das recht, ausnahmslos überall einen über&chasz sur geltung zu 
bringen. 

So wären wir denn so weit , dasz wir nur noch über die mehr- 
fache ausgleicbung uns zu äuszern haben, dasz in dieser bestim- 
mung aulasz zu bedenken gegeben ist , liegt auf der band, olleubar 
ist damit das an sich billigenswerte Zugeständnis so weit ausgedehnt, 
dasz es nicht nur unmüglich ist, weiterzugehen, sondtirn auch der 
gedanke an die gefährdung des prafuugsgeschäftes, an die beein- 
trftchtigung seiner ernsten durchführung dadurch recht nahe gelegt 
ist. ein sebats dagegen kann nirgends anders gefunden werden, als 
in der berofung an die gewissenhaft« erwägung der prttfangscom- 
mission. an der litszt es ebendie ministerlalveriLigaLig , weläe die 
mehrfache ausgleichung aasdrQcklich als zolfissig erklftrt, ja denn 
auch nicht fehlen, aber offenbar ist damit die unerwünschte mdg- 
lichkeit recht nahe gerückt, dasz der herschaft des rein sabjectiven 
empfindens und urteilens ein weiter Spielraum gewährt werde , und 
es will mir scheinen, dasz diese gefahr dadurch mindestens nicht 
verringert wird, dasz in dieser bezieh ung namentlich die beauüuch- 
tigende einwirkung des staatscommissarius in ansprach genommen 
wird, einen durchweg gleichförmigen maszstab ein für allemal fest- 
zustellen, wird nicht gelingen; wohl aber geht es an, einen Stand- 
punkt zu bezeichnen, von dem aus die sache in allen fällen gleicher- 
maszen zu betrachten ist; und damit ist freilich auch nicht die un- 
bediiii^'tej aber doch immerhin einige Sicherung gewonnen, dieser 
Standpunkt kann kein anderer sein, als der für die betrachtiing der 
ausgleichung überhaupt maszgebend war; die ausgleichung kann von 
niemand als ein recht gefordert werden; ihre gewährung ist nur zu- 
lässig, und hier, an dieser äuszersten grenze, wird es nicht nur ge- 
ötdUet, sondern geradezu geboten sein, den blick nicht auf die ge- 
währung, sondern auf die versagung zu iichlen ; mit andern worten, 
die meibrfache ausgleichung ist durchaus als eine anenahme zu be- 
handeln, und demgemSss nicht zu fragen, ob es angängig sei, sie zu 
gewfthren, sondern ob es unrecht sein wUrdCi sie zu versagen, denk- 
bar ist dieser letztere fall allerdings , und das in der ministerialver^ 
fügung angeführte beispiel ist in dieser beziehung glücklich ge- 



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432 Ausgl. ergänzuug b. d. eutlassung&prüfuugen an preuez. g^muasien. 

wählt; die leistungen in der mathematik und in der pbysik sind 
nicht genügend, im lateinisohen und un fransOsischen gut; es sollen 
bei beiden prSdieaten die vorhin entwickelten TOraussetznngen eämt* 
lieb sntreffen, so dasz die active, besiebnngaweise passive ausglei- 
cbongsfilbigkeit an sieb aasser zweifSel steht; dann wflrde also der 
mangel in der mathematik dnreh das lateinisehe aufgehoben werden 
kSnnen, aber nm der pbysik willen mtlste dem schttler das sengnis 
der reife versagt werden, um eines gegenständes willen | der in der 
prflfung gar nicht erschienen ist. ich kann mir aber aacb vorstellen, 
dasz in einem gegebenen falle es unrecht sein würde, einen scbüler 
durchfallen zu lassen, der weder im griechischen noch im franzö* 
sischen genügt, aber sowohl in der mathematik wie in der geschichte 
gutes leistet. 

Immerbin aber werden solche ftLlle doch nur vereinzelt auftreten, 
wenn die gynma3ialcommii>sion(die zur prüfangscommission geboren- 
den lebrer ohne den staatscommissarius) sieh gegenwärtig hält, dasz 
es sich nicht blosz um die mechanische anwendung einer recben- 
formel bandelt, so wird sie einen scbüler, der in mehr als eioem 
lehrgegenstande das prädicat 'nicht genügend' in aussieht hat, noch 
weniger ohne weiteres zur prüfung anmelden, als einen solchen, bei 
dem dieö nur iu einem fache zulriÜl. drückt sie Jjiun auf gi und ihrer 
erwfigungen bei der anmeldung zweifei an seiner reife aus, so wird 
es — ungeachtet des bloss vorläufigen Charakters des gutachtens 
— schwer glanblich zu machen sein , dass diesem schttler mit der 
versagnng mehrfacher ansgleichung ein unrecht geschehen wflrde. 
findet die gymnasialcommission keinen grund, derartige sweifel zum 
ausdruck zu bringen, so bedeutet das, dasz sie nach ihrer kenntnis 
des schttlers und der verhültnisse sich der ansieht zuneigt, es wflrde 
glei^wohl nicht wohlgetban sein, ihn durchfallen zu lassen; und 
dann würde es doch im höchsten grade beklagenswert sein, wenn in 
einem solchen falle das reifezeugnis versagt werden mttste — ledig- 
lich aus einem formellen gründe. 

So tritt am scblusz meiner auseinandersetzungen der leitende 
gedüTike wieder deutlich genug zu tage, es scheint mir, dasz in der 
bestimmung über die ausgleichende ergänzung der anlasz zu einer 
geordneten berücksichtigung der besondern natur eines schülers aus- 
drücklich gegeben ist; ich meine, dasz zur auiübung dieser berück- 
sichtigung vor allem die lebrer befähigt und berufen sind; und ich 
hoffe gezeigt zu haben, wie beides zu seinem rechte kommen kann, 
ohne dasz der zweck der prüfung geschädigt wird. 

Posen. B. Nortel. 



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Einige oapitel deutfich-latemischer scbulgrammatik. 433 



40. 

EINIGB CAPITEL DEUTSCH- LATEINISCHER SCHUL- 

GEAMMATIK. 



I« Die galMtaiitlirafttee. 

Die folgenden vorBohlllge fflr die behandlüng einzeiiier eapitel 
der lateiniBdieii syntax anf der sehtde bemhen im weseniliclieii auf 
den Yon Josnpelt nnd Vogt in letzter sdt betonten principien , die 
leider unter den foohgenoBBen nicht die genügende beaohtung gefun- 
den SU haben sohdnen. Josapeitin seiner syntax der lateinisoben 
epraehe . . . fdr realscbulen und die mittleren classen der gymnaaien, 
Berlin 18d2 , sowie in der achrift *ttber die behandlang der syntax 
fremder sprachen als lehre von den sattteilen und satsarten', Leipzig, 
O. Focky 1887, verlangt eine strengere Ordnung, eine sjetematisohe 
gliederung des grammatischen Stoffes, indem er der ganz richtigen 
ansieht ist, dasz jedes System dem Gedächtnis und der auf Fassung 
eine wesentliche stütze bietet, zum unterschiede von Ellendt-Seyffert 
und anderen ordnet Jesu peit z.b. die regeln aus der syntaxis casuum 
nicht nach den einzelnen casus, sondern nach den kategot ien object, 
ad¥erl)iale bestimraungeii , attributive beätimmungen. und was die 
verbalformen betrifft, so geht er nicht nach einander die tempora 
und modi durch, sondern benutzt die bekannte einteihmg der hau pt- 
eätze in urteile , frage- und aufforderungäsiitze und der nebensätze 
in bubbtantiv-, adjecliv- und adverbialsätze. 

Josupeit fuhrt uns also im wesentlichen auf den Standpunkt 
zQrBek, den in der ersten hftlfte dieses jahrhnnderts E. F. Becker ix^ 
der dentsehen grammatik, Aug. Grotefend n. a. in der lateinischen 
einnahmen, siehe Uber dieselben Lattmanns interessante Pro- 
gramme des Clattsthaler gjmnasinms ans den jähren 1882 nnd 1886« 
derselbe bekSmpIt freili<ä die vorgKnger Josnpeits mit den Worten: 
'so ansprechend dieses so durchsichtig gebaute system auf den taten 
blick ist, so reiszt es doch die sprachlichen formen, welche sich 
keineswegs nach diesen kategorien gebildet haben (man bedenke nur 
das eine, dasz, wie man sich immer mehr überzeugt, die hjrpotaiis 
aus ursprünglicher parafcaxis erwachsen ist) , zu häufig auseinander 
und trägt zn wenig potenz für erklftrang dier sprachlichen formen 
in sich.' 

Bind diese worte richtig, so ist damit so ziemlich über den 
ganzen deutschen Sprachunterricht, wie er jetzt gehandhabt wird, 
inid auch über die übliciie metbode, Sätze und perioden zu con- 
struieren, der stab gebrochen, denn mit grüszerer oder geringerer 
abweichung wird jenes system hier wie dort zu gründe gelegt, aber 
was beweist es denn eigentlich, dasz z, b. die nebensätze sich erst 
allmählich aus LaupUätzen entwickelt haben? sollen wir debbalb in 
der scbulgrammatik den begriff nebensatz fallen lassen? nnd sollen 

ll.jftbrb. r. phil. u. pid. a.abt. 18M Uft. S n. 9. 28 



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434 Einige capitel deutsch-lateiiuBcber schulgrammatik. 

wir auch nicht von adverbien sprechen, die ja nichts weiter aU er- 
starrte casus sind, und nicht von relativis, die ja ursprünglich ein- 
fach anaphorische pronomina waren? usw. so lange wir auf der 
Sühulti üicht eiilwickluugögescliichte einer bpracht', bondern den 
sprachgehrauch eines bestimmten Volkes zu einer bestimmten periode 
lebten, werden wir die in jener periode ibatsSchlich TOrhandenen 
nnteracbiede im gebraaeh der werte und sfttze ffir die anordnung 
verwerten dürfen, dabei kSnnen wir uns ledigUeb an die verscbie» 
denen formen eines Wortes balten mid danacb z. b, einen teil der 
grammatik nacb den easne, tempora and modi (wortformen) gliedern; 
wir können aber ancb das verhSltnis der worte zu einander in den 
Vordergrund stellen und demgemäsz z.b. von nftberem oder fernerem, 
object, attribut, adverbialer bestimmang usw. sprecben. . der mis- 
acbtung des letzteren Systems liegt offenbar die anschaunngsa gründe, 
als ob die katQgorien desselben in der spräche nicht zu wahrnehm- 
barem ausdruck kämen, ich will hier nicht untersuchen , wie weit 
dies durch die stelluD«? \md betonung der wortc doch geschieht: ich 
will auch zugeben, dasz für die wissenschaftliche grammatik vorläufig 
die gruppierung nach wortclassen und wortformen noch vorzuziebi ii 
ist; für die schulgrammatik sind die von Becker angewandten begriffe 
so wichtig, dasz es nahe liegt sie auch für die einteilung zu gründe 
zu legen, dasz dabei bic und da zusamniengehörige formen 'aus- 
einandergerissen' werden, ist allerdings unvermeidiicL j aber ähnliches 
kam bei der bisherigen anorduuug auch vor und wird sich überhaupt 
nie ganz vermeiden lassen, dasz das Becker-Josupeitsche System ge* 
nügende ^potenz zur erklfimng der spracblieben formen in sieb trägt', 
wird, so boffe icb, die folgende darstellung zeigen. 
^ Nocb wicbtiger ist die fordemng Vogts, der in ausfftbrlicber 
darlegung *daB dentsebe als ansgangspunkt im fremdspraoblicben 
nntenridit' zn nebmen rttt (separatabdr. der programmabhandlung 
des königl. gymnasiums zu Neuwied, Heusers Verlag, 1887). der> 
selbe weist auf Nftgelsbacbs *lateiniscbe Stilistik für deutsche' hin und 
meint; dass ancb in der grammatik jene Wergleichende methode' an- 
gewandt werden müsse, bei der man '^vom deutschen Sprachgebrauch 
ausgehend' untersucht, wie weit das lateinische mit dem deutschen 
sich deckt, wo es abweicht, und welchen ersatz es für den deutschen 
ausdruck hat', unter prüfung der psychologischen Vorgänge beim 
lernen erklärt er 1) schärfe und lebhaftigkeit der ersten anschauung, 
2) häufige Wiederholung, 3) möglichst innige und manigfache Ver- 
knüpfung der neuen anschauungen mit schon vorhandenen vorstel- 
lungsgruppen' für die hauptbedingungen eines gedeihlichen lernens 
und sucht nachzuweisen, uasz namentlich die dritte derselben durch 
die 'vergleichende methode besser erfüllt werden würde', im iweiteu 
teile führt der Verfasser dann die tbeoretiseb begründete methode an 
einigen capiteln der syntax dnrcb. 

Wie man siebt, beben wir es ancb bier ebenso wenig wie bei 
Josupeit mit einem v011ig neuen vorscblage zu tbun : wie denn aucb 



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Einige oapitel deatschOateimscfaer schalgranimatik, 435 



Vogt selbst erklärt, er wolle nur 'eine in der praxls wohlbekannte 
methode des fremdsprachlichen Unterrichts theoretiach begründen* 
und 'an einigen capiteln der lateinischen sjntax consequenter als es 
gewöhnlich geschieht durchführen', eben diese consequente durch- 
führnng i^t es, nn der es vor Vo^^-t entschieden gefehlt; auch Hörne- 
mann m seiner anregenden schritt ^ged uüten und vorschlage zu einer 
parallelgrammatik der fünf schulsprachen', Ilannovei' 1888, klagt: 
'unsere grammatiken sind nur für den einen teil des fremdsprach- 
lichen Unterrichts, die Übersetzung aus der fremden Sprache, wirk- 
lich geeignet für das übersetzen aus dem deutschen in die fremde 
spräche würde die grammatik nach den deutschen ausdrucksmitteln 
geordnet und jedesmal angegeben sein müssen, was ibneu in dt-r 
fremden spradie entspricht' (s. 9). 

Man vergegenwärtige sich besonders die so hSufig beklagte 
tbatsaebe, dass sebOler syntaktiscbe regeln , die sie gut Terstanden 
und ibrem gedäcbtnisse eingeprägt babenj gleiebwobl bei der ttber- 
setmng ans dem dentscben ins lateinisebe niebt anwenden, diese 
tbatsaebe darf nicbt bloss auf die 'leidige serstreatheit der scbfller* 
znrttckgefnbrt werden, sie Hegt aodi daran, dasz die deutaeben werte 
nicbt d ir e c t die erinnemngan eine r^l wecken, bei der von fremd* 
sprachlichen formen ausgegangen war. bier würde schon die Vogt* 
scbe metbode eine wesentliche erleichtemng mit sieb bringen, aber 
wenn man auch von den deutsch -lateinischen Übersetzungen ganz 
absieht , die freilieb ganz mit unrecht selbst von einzelnen philo- 
logen mit geringschätzung behandelt worden: allein schon das 
Verständnis einer grammatischen structur, einer stilistischen Unter- 
scheidung, überhaupt einer sprachlichen erscheinung wird am natür- 
lichsten dem Schüler beigebracht werden, wenn man die ihm geläu- 
figen ausdrucksmittel der muttersprache dabei zurgrundlage nimmt, 
beobachtung der eignen spräche, beobachtung der fremden, dann 
vergleichung beider, das ist der naturgemäsze gang beim gramma- 
tischen Schulunterricht, dessen bildende kraft eben vorzugsweise auf 
der vergleichung zweier aprachidiome und der daraus folgenden 
Yertiefang der spraäilicben anffassnng berabt. nor die traditionelle 
nntersebStzung unserer spraebe und wobl aneb Obertriebene Vor- 
stellungen von dem werte indnctiver spracberlernung baben jenes 
Tor&bren nicbt recbt aufkommen lassen. ' es sei dies bier nur an 
einem beispiele erlSntert tras wird dem scbQler bei der regel Aber 
die fragen der Verwunderung oder des Unwillens scbwer? leb denke 
nidit die erlernung der verscbiedenen lateinischen ausdrucksweiseni 
sondern die unterscbeidung der gewöhnlichen und jener mit affect 
gesprocbenen fragen, er verfeblt die hcbtige flbersetsung oft^ weil 

' mit recht bemerkt Tiattrnann (die combination der methodischen 

{xrincipien, Clausthal s. ö), dasz das übliche verfahren zuerst die 

ateiniteben beispiele ftbertetsen und binterber die regel daraus abstra- 
bieren zu lassen 'nur eine künstlich zurecbt gemaebbe indnetioa' 
oder nur der leiste scbriu derselben sei. 

28» 



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436 Einige oapitel deutBch-lateinischer scholgrammatik. 

er niclit weisz , das?: er eine frage der Verwunderung vor sich hat, 
mit wortreichen Umschreibungen des 'sinnes' und dem üblichen hin- 
weis auf den *?.usammenliang* ist in solchem falle dem schOler wenig 
genützt, dieselben erwecken in ihm höchstens eine ahnung von dem 
unterschiede, nicht eine klare erkenntnis. mit einem schlage aber 
wird ibm der unterschied klar, wenn man ihm zuerst einige deutsche 
Sätze zu vergleichen gibt, z. b. 'winst du nicht antworten?* und 'du 
wirist nicht antworten?' 'werden wir den Catilina über uns dulden?* 
und *wir sollten den Catilina Uber ans dulden?' er wird dann bald 
einsehen, daas die entsprechenden sStse sowohl durch die betonnng, 
als auch durch die w ortstell nng wesentlich yerschieden sind^ und 
so ein kriterinm ftlr die benrteilung der fragen gewinnen, durch wei- 
tere beispiele mit den hil&verben sollen, wollen (siehe darfiber Latt- 
manne bekanntes programm über die modalitätsverba) mag dann die 
gewonnene kenntnis noch ergänzt resp« berichtigt werden, erst wenn 
der Schüler durch solche deutsche Vorübungen so weit Torbereitet 
ist, dasz er mit den Worten 'unwillige fragen' eine klare anschaunng 
Torbindet, wird er mit erfolg die wiedergäbe derselben im lateini- 
schen lernen können, der didaktische fehler, der jetzt häufig gemacht 
wird, liegt" darin, dasz der begriff unwillige fragen als von selbst 
verständlich vorausgesetzt oder erst in zweiter linie nach vortragung 
des lateinischen satzes erklärt wird, während seine klarstellnn^r doch 
das erste erfordernis ist. ähnliches wiederholt sich bei vielen syn- 
taktischen regeln. 

Natürlich ist durch die an Wendung der Vogtschen methode auch 
eine andere anor d n ung des ganzen grammatischen stofies bedingt, 
indem im allgemeinen* dieselbö einteilung wie in der deutbchen 
grammatik wird benutst werden müssen : und insofern berühren sich 
die bestrebungen ron Josupeit und Vogt aufs engste, überhaupt 
stehen sich die angezogenen Schriften yon E. F. Becker, Latt* 
mann, Vogt und Home mann sehr viel näher, als man von vom 
herein vermutet, vergleiche in der besiehnng ausser Josupeits an* 
zeige von Homemanns 'gedenken und vorschUEge' Z. G. W. 1888 
8. 760 ff. noch die worte aus Beckers ausführlicher deutscher gram- 
matik, zweiter teil, Frankfurt a. M. , 1837 s. VI *von allen selten 
spricht sich immer lauter die anforderung aus, daSB in den schulen 
der grammatische untenichtin den fremden sprachen mit dem Unter- 
richt in der muttersprache von einem und demselben grammatischen 
System ausgeben müsse', ist das nieht dieselbe forderung, wie sie 
neuerdings Josnpeit und Hornemann anfgestpllt haben? selbst 
Eichner, der in seiner schrift 'zur umgestaitiuig des lateinischen 
Unterrichts', Berlin 1888 s. 4 £f* Vogt zu widerlegen sucht, bekennt 

* einzelne abweichungen von diesem priocipe im intereBse der kürze 
und übersiebtlicbkeit braucht man nicht sn scheuen: besottdert für 

solche lateinische constructionen, für die es im deutschen eine gleich- 
niiLszige überaetzung; nicht p''jt (z. b, die substantivs itze mit ^ainj, 
wird sich die gruppierung nach dem iateinitichea empfehlen. 



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Einige oapital deattch-iateiiiitcher sohulgnunmatik, 437 



doch aucb , dasz 'bei anordnung und behandlung des grammatischen 
lehratoffes viel mehr auf das deutsche rücksiebt genommen werden 
sollte' (s. 11). siebe auch s. 17. das von Eichner empfohlene 'ver- 
mittelnde' verfahren' aber läszt sich doch mit dem 'vergleichenden' 
Vogts sehr gut vereinigen. 

Bei dieser übereinötimmung in wesentlichen punkten sehen wir 
von einer genauen kritik der einzelnen bchnflen ab, indem wir Über- 
banpt meinen, dasz die praktische durchführung einiger richtiger 
grondgedanken jetst wichtiger ist, als theoretische auseinanderset- 
znngen Uber methoden and prinoipien« 

Als einen solohen praktischen yentnch möge man die folgende 
darateUnng der anbetantiTatttse^ ansehen, bei der wir in der 
libliehen weise nnterseheiden: 

1) anführende stttse im blossen conjonctir (s. b. Aristoteles 
behauptet, ein di<^ter Orpheus habe nie gäebt), 

2) Infinitivsätze mit oder ohne za, 
Sätze mit dasz, 

4) indirecte fragesätze, 

5) substantivische relativsätze. 

Zwar hat es etwas mislicbcs, die relativsätze, die die stelle eines 
subjects oder objects im satz einnehmen, von den übrigen relativ- 
Sätzen zu trennen, da beide gruppen ihrer äuBzern form nach häuüg 
zusammen fallen, doch erwachsen aus die^om mangel der disposition 
für die praxis kaum nacbtoile. ebenso ist es für unseren zweck nicht 
von bedeutuug, dasz auch die grenze zwischen den substantivischen 
und adverbialen sätzen mit dasz eine flieszende ist. 

1) Vor allem iöt tc» die lehre von den sogenannten 'anfüiirendea 
Substantivsätzen', die für die lateinische grammatik nicht genügend 
yerwertet wi, mit diesem namen bezeichnen wir nach Bauer-Duden 
(nenhochd. gram, s^ 161, NördUngen 1882) jene deutschen coiganc» 
tivsSize ohne co^jnnetion^ in denen Mas, was jemand gedacht oder 
gesagt hat, nicht mit den eignen Worten, sondern nor ans dem sinne 
des redenden angeftthrt wird': man könnte sie aneh indireete Sätze 
nennen. 

Bei diesen Sätzen anterscheidet ja auch der Deutsche schon aufs 
schärfste zwisclien indireeten aussagesätzen (blosse eonj,) und indi- 
recten anffordemngssätzen (ooi^. eines hilfiiverbums, wie mdge, 



' als proben für lasselbe führt E. an piget =• es erfaszt verdrnsz, 
Cicero expnlsas die eifolcfte Yertreibung Ciceros, Cicerone expulso zur 
zeit der t^rfui^teu Vertreibung => nach der vertreibuug u. &. übrigeaa 
sei hier auf die tief eindringenden bemerknngen in dieter lehrift nament- 
lich über den ablativns adverbialis nocb ausdrücklich aufmerksam ge- 
macht, ganz in demselben ginne wie Vogt spricht sich Mutsbauer (Z. G. 
W. 1889 s. 274) aus. su vergl. ist auch Diesterweg: (ausgew. Schriften 
henrasgegeben ron £. Langenberg, sweite aufläge, Fraokftirt a. M.. 

tm 9. 163 ff.). 

* anch V. KobilinskI erscheint gerade bei diesen sätsen eine Ver- 
einfachung der regeln geboten (Z. G. W. 1886 s. 713 f.). 



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438 Einige capitei deutech-latemucher sckiilgrammatik. 

möchte, solle, sollte), durch den bloszen hinweis darauf, dasz erstere 
durch den ace. c. inf. , die letzteren durch ut c. conj. wiedergegeben 
"Weidt'ii, würde mau es bcLou dem aniüDger ohne beiaatuüg beines 
gedächtnisses möglich machen, manche schwierige periode der art 
za flbemtzen. zweierlei yoniuBsetzungen freilich hat dieser vor- 
sehlag, erstens dasz die aafiiierksunkiiit des sehtllers bei zeitm anf 
jene deutschen bilfsrerba hingelenkt werde, und zweitens, dasz bei 
der ersten dorehnahme des aco. c. inf. in qntnta jene anfttbrenden 
substantiTstttze mit lUr die tlbersetsung berlleksiohtigt werden, lets- 
teres hat keine Schwierigkeit nnd würde sogar dazu beitragen, den 
za häufigen gebrauch der partikel dasz , zu dem das Übersetzen aus 
dem lateinischen Terfllhrt, einzuschränken, was aber die gentuuiten 
hilfsverba betrifft, so mflssen dieselben tlberbanpt bei der lehre 7om 
oonj. im Zusammenhang durchgenommen werden. 

2) Unier den zahlreichen föllen, in denen der inf. im deutschen 
als object gebraucht wird, lassen sich bekanntlich leicht zwei ganz 
getrennte gruppen unterscheiden, wenn man auf das subject eines 
solchen 'unvollständigen' satzes acht gibt (vergl. u. a. Süptle, prakt. 
anieitung zum lateinschr. I', 1874, § 162 u. 164). während jedoch 
EUendt-Seyffert nur bei statuo, constituo, decemo (§ 268, vergl. auch 
267, 3) in der gleichheit oder Ungleichheit des suhjecta das unter- 
scheidende merkmal der verschiedenen constructionen erblickt, wird 
mau überhaupt die regel aufstellen können: 'der deutsche objects- 
infinitiv mit (oder ohne) zu wird im lateinischen nur dann durch 
den bloszen Infinitiv ausgedrückt, wenn das (acüve) hauptverbum 
und der infinitiv dasselbe subject haben. sMist steht nt bzw. ne/ auf 
diese weise wird nicht nur die wenig bestimmte regel aus EUendt- 
Seyfiert § 263 bzw. die erlemung der vielen Terba in dem paragrapb 
entbehrlkh, sondern es ergibt sich auch die oonstmction von oro, 
rogo, peto, precor, obssero, mando, edico, impero, piaecipio, impello, 
perpello, incito, moveo, adduco, hortor, moneo, suadeo, persuadeo, 
concedo, permitto fttr eine grosze zahl von ü&llen ganz Ton selbst« 

Natürlich wird es au einzelneu ausnahmen dieser aUgeraeineu 
regel nicht fehlen, zonttchst die verba glauben (auszer mihi videor), 
behaupten, vorgeben, hoffen, versprechen, drohen, 
schwören u. a., die jedoch auch bisher einer eignen erwähnung iu 
der grammatik bedurften (siehe Eileudt Seyffert § 266,4 und § 271). 
gleiches gilt von iubeo, veto, sino, patior, sowie von audio, video, 
cerno, adspicio, conspicio, animadverto mit dem pari, oder inf.*, von 
denen facio, ßngo, induco mit recht nicht getrennt werden (vergl. 
Ellendt- SeyfFert § 297). diese gruppen von verben kf unen also 
nicht gegen die Zweckmässigkeit unserer regel angefühlt werden: 
um bo weniger, da es sicii Uberhaupt empfiehlt, diebelben bei der 



* über den inf. nach diesen verben siehe v. KoMHnski Z. G. W. 1884 
8. 436. 487 und Menge repetitorium. füafte auiiage, WoiienbUtlel 1886, 
U 9. «Ol. 



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Einige capitel deatsch-lateinischer scIialgnuiimntiJc. 439 

besprecbung des infinitivs zu behandeln, namentlich wird auf die 
iveise die passive construction von sino, veto, iubeo, sowie die Über- 
einstimmung dieser verba mit doceo, arguo, insimulo (ähnlich auch 
convinco), cogo, impedio, assuefacio, consuetacio und prohibeo, wie 
■sie z. b. Madv ig (lat. Sprachlehre für schulen, vierte aufläge, Braun- 
schweig 1867, § 344) hervorgehoben hat, sehr viel klarer, auch be- 
kommt der Schüler nur so eine Vorstellung von dem eigentlichen 
weisen der acc. c. inf.-construction, welche eben ursprünglich nichts 
anderes ist als ein inf. hinter einem objectsaccusativ. bei spero 
maobt jene bekatidlnng die regel Ton dem tempus desinfiiütiTS mt- 
bebrlicii, weil der echflier bei derselben yon Yom berein gewObnt 
wirdf die dentsdie infimÜTConstmotion stets in einen dasz^sats nm« 
sQwandehi* 

Anders siebt es mit opto, laboro, operam do, nibil antiqnins 
babeo quam, id ago, id speeto, temperare mihi non possum, faoere 
non possam, caveo, recuso. von diesen verbon erledigen sich id ago, 
id specto bei besprecbnng der auf den infinitiv hinweisenden pro* 
nominalen adverbia 'darum, daranf, damit, danach, daran' u. a. man 
braucht der regel, dasz dieselben gewöhnlich im lateinischen unüber- 
setzt bleiben, nur die bemerkung hinzuzufügen, dasz verba mit 
festem pronorainalen ziisatze ut haben, das überhaupt statt des inf, 
■erlaubt ist. operam do verlangt schon als phrase eine gesonderte 
behandlung und kfinii, insofern es das gerundivam bei sich hat (Verr. 
4,126) mit laborem impurtire alicui rei, operam consumere in aliqua 
re, conöilium inire alicuius rei, conbilium capere alicuius rei, insofern 
ut folgt, mit der letzten von diesen phrasen und nihil antiquius 
babeo quam zusammengestellt werden, und die unnierkung über 
solche Wortverbindungen (biche Lllendt- ScyÜert § 263, 2) wurde 
etwa lauten : 'Wortverbindungen haben entweder eine gerundiTform 
(Oder nt naeb sich; mit dem infinitiv merke nnr babeo in animo und 
«nimnm indoco^ welcbes letztere jedoeb ancb mitnt constmiert wer- 
den kann, coneilium cepi bat alle drei constmctionen'. für recnso 
ist das Terbfllais des inf«. sa ne oder qnominns bei Caesar nnd den 
reden Ciceioe nngefBbr gleieb, wenn man die stellen mit nngleicbem 
enbjeet mid die mit binweisendem pronomen ausser aditltat (siebe 
Mergoets lezica). das verbnm kann also in tinserer regel nnerwttbnt 
bleiben* so sind ausser temperare mibi non possnm , vix me con* 
tineOi retineri non possnm, fiioere non possnm, caveo, die unten ihre 
«rledigang finden sollen, nur noch opto und laboro übrig, beide 
kommen mit dem infinitiv vor, opto auszer in dem bekannten Hora- 
ziscben vprse (Ep. 1,14, 43) optat epbippin bos pirrer, nptat arare 
caballtts'^ z. b. bei Livius 9, 14 perdere prius quam perire optantes 

* £a bemerken ist, dasz hier wie sonst opto mehr heiszt: ieb wünsche 
mir etwas than va dürfen oder köBnea* dsher wohl aaeh das fiber- 
wiegea der constrnction mit ut, gleidhwie die prägnante bedeatang von 
laboro ^ sich abmühen, sich damit abqnjilen, sich damit zn schaffen 
macben, die leichtere infinitivconstmction nicht uuikommen liesz. 



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« 



440 Einige capitel deateob-lateinificher sobaigrammatik. 

(vergl. auch Caesar gall. I, 25 praeoptarent scutum manu emit- 
tere et nudo corpore pugnare nnd Cic. fam. 4, 6, 3 te exopto quam 
primum videre) ; laboro bei Nep. Pelop. 3, 1 ut ne quaerere quidem 
de tanta re laborarint und ebenfalls negiert bei Cic. Verr. III 127 
u.a. (siebe Dräger) : um so weniger dürfen wir um ihretwillen allein 
jene allgemeine regel aufgeben) mag man sie als ansoabmen er* 
wibnenT 

Was dtti snbjeetsinfinitiT betrifft, so dürfte die regel g»< 
Bflgen: *der deatacbe enbjecteiiifiBitiT wird aneb im kteinisebeii 
dnreb den bloesen infinitiv auegedrfldrt. zvl beachten lind nnr die 
paaeiYen verba, welche stets wie die enteprechenden aetiva conatnileri 
werden', dabei bleibt es immer mO^ich noch eine einscbränkende 
anmerkung über sittse wie invidere non cadit in sapientem (£llendt- 
Seyffert g 261, 1) binrasafOgen« ttber sequitor, prozimum est, restat 
usw. siebe s. 448. 

3) Auch unter den deutschen sätzen mit dasz haben wir bekannt- 
lich in nicht wenigen fällen an der äuszern form einen anhält für 
die Unterscheidung vou aussage- und aufforderungssätzen. wenn wir 
Hannibal imperaTit juiero, ut propere sibi nnntiaret nicht übersetzen 
wollen : er befahl seinem aklaven ihm zu melden, können wir ja ent- 
weder sagen : er befahl dem sklaven, er solle ihm melden oder dasz 
er ihm melden solle (möge), die hilfsverba solle, möge (auch möchte) 
lassen hier ^^ie in vielen andern Sätzen keinen zweifei darüber, dasz 
eine aufforderung vurliegt. erst dadurch, dasz statt dieser hilfs- 
yerben in den aufforderungsstttzen mit dasz auch der blosze conr- 
junetiv angewandt werden kann (er brfaU dem eUa? en, dass er ib» 
meldete), wird die grammatisebe beurteilnng Bobwieriger; und da 
aneierdem aacb die qiiod*stttse im denteohen bSnflg dieselbe form 
wie indirecte aneaagen baben, bedflrfeii wir fOr die eiaaelnen gnq^pen 
der dass-8fttte allerdings noeb eines andern nnteraebeidongsmitfeels» 
als es uns der deutscbe ansdmck an die band gibt, als ein soldies 
galt bisher die bedeutnng der regierenden verba bsw. der ganze in* 
bali des regierenden satzes ; indessen wir werden uns gestehen müssen, 
dasz es bei den regeln darüber ohne gewaltsamkeiten nicht abgieng 
und dasz namentlich bei dem traditionellen gebrauch der werte 'ab- 
sieht, thatsache, urteil' manche Unklarheit mit unterlief, man ver- 
gleiche die Worte aus Eliendt-Seyffert § 247 s. 229 'die sätze mit 
quod müssen immer thatsachon enthalten, über welche derhauptsatz 
meist ein urteil (mitt elst est und eines prädicatsnomens) ausspricht*, 
abgesehen davon, dasz das wort urteil hier noch sehr der erkiärung 
bedarf, wird man auch fragen müssen, ob denn die sätze (sentimus) 
calere ignem, nivera esse albam, dulce mel und (constat) App. Clau- 
dium caecum iuisse u. a. nicht auch thatbacheu enthalten.^ und 

^ es mtiste hetszen: 'die Sätze mit quod enthalten thatsachen, die 
von dem re^lenden ats bekannt hingestellt werden*. Uhnlicb erklärt sich 
auch der unterschied swischea accedit qaod und ut und zwischen cum 
temporale »Ii dem iod. oad dem mit dem coiy. 



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Builgo cspiteL deutscli-lateini8cb«r Bcbalgtamnuitik. 441 



wenn begrifie wie raten, erlauben oder gar das einfache machen 
für verba erklärt werden, die 'an sich schon eine absieht bezeich- 
nen', so sinkt doch auch dieses wort im besten falle zu einem leeren 
Schlagwort herab. ^ 

Sehr viel besser ist die bekannte methode, sätzemit dasz jedes- 
mal in hauptsätze zu verwandeln, eine methode, die sieb zur not 
auch auf quod-sätze ausdehnen läszt.' immerhin ist diese Umwand- 
lung für einen schaler einer mittleren classe eiu ziemlich compli- 
ciertes verfahren ; und demselben vorher oder daneben noch ein 
anderes mittel Ar die imtembeidung der versehiedenen fälle an die 
hftiid m geben wird wtliiscbeiiswert sein* 

Einaolehes nun bietet die constraetion des Satzgefüges ; man wird 
s. b. fttr die pnuds die regel aufstellen klJnnen , dasz sfttse mit dasz, 
die einem datiT eomm. oder einem ad-objeot «itsprechen, dureh nt 
wiedenugeben sind« so a) nach consnlo^ prospioio, provideo, oa?ea 
(iBxsorge treffen), alicni rei, b) nach oontendo, nitor, impello, incito, 
moveo, hortor, cogo, adduco ad aliquam rem, verben, die grQsten- 
teils auch ad mit dem gerundium oder gerandivum bei sidi haben 
Idnnen; z.b. Cic. de sen. 12, 40 nuUum malum facinus esse^ adqnod 
fuscipiendum non libido voluptatis impelleret. 

Sodann mus?, e:i schärfer betont werden, dasz der acc. c. inf. 
(wir sehen von den subjectsLitzen vorläufig noch ab) lediglich im 
sinne eines accusativobjects gebraucht wurde, dies ist der fall bei 
allen in der Eliendt-Seyffertschen grammatik genannten verben sen- 
tiendi und declarandi mit ausnähme von certiorem facere, bei volo, nolo, 
malo, cupio (iubeo, veto), prohibeo, sino, patior, constituo, decerno, 
femer bei den verbis des affects maereo, fleo, gemo^ lamentor, queror, 
rideo, uiiror, admiror, despero, aegre (graviter, mdigce, moleste) 
ferO; obicio, ezcuso", defendo (zu geiner entschuldigung, in der Ver- 
teidigung sagen), arguo, convinco, statuo (si^e v.£obilinski Z. G-.W. 
1884, B. 487), probo, comprobo, approbo aliqnid, auch bei omitto 
nnd mitto (siehe Verr. 17 116 ae iam illa omitto, quae disperse, a 



* die bezeichnnng verba voluntatis et etudii gebt darum nicht an, 
da TOlo vad stadeo selber gar nicht oder doch nur selten mit ut ver* 
bunden werden; ^nnz willkürlich igt die beseichnong Terb« euraadi et 
pOBtnlftndi bei Steg^mana s. 191. 

* ich erkläre z. h. den satz (Meugc repetiturium der lat. sjotax 
USW., Wolfenbfittel 1885, II 217) qaanta alt velocltae Ineit, Iiine potest 
cognosci, qaod multo breviore tempore ad oculos nostros perveuit quam 
Bonas ad aures «= quanta sit velocitas Incis hinc (aus folgendem) potest 
cognosci: multo breviore enim tempore... griechisch T€K|ir)piov mit 
folgendem ifdp (z.b. Plate Ptotag.d69i»: yviteccOai H M* £ipt| T€K|bir)pii|) 
*t^€' €6pil|c€ic tdp . . *)• 

wer mit Kern (zur methoHk des detitschen Unterrichts, Berlin 
1885, 8. 4} den begriff ^präpositionaies object' rerscbmäht, wird die anter 
b) angeftthrten verba wuter den adverbialsfttaaB behandeln müssen. 

siehe Plant. AnL749 postid si prehensi rimoB, excusemus ebrios 
No8 fecisse amoris causa und Suet. Ner. 33 excnsaiitique (Laoastae) 
minus datum ad occuitandam faciuoris iuvidiam: saue, luquit.,. 



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442 Einige capitel deutadb-lateiniaolier Bchulgrammatik. 

rae , . . dicta sunt: fornm Syracusanorum, quod introitu Marcelli 
purum caede bervatuin esset, id adventu Verris Siculorum innocen- 
tium sansruine redundasbe, portum Syracusanorum, qui . . . fuiäsefc, 
eum patuisse; mitto adhibitam vim ingenuis, matres farailias viola- 
tas, quae tum in urbe capta commissa non sunt neque odio liostili 
uec^üü . . . mitto, iuquam, Laec omnia quae ab isto per tiiennium 
perfecta sunt; und Cic. Piso 75: omitto nihil istum versum perti- 
miifise ad illnm; non fokse meiini, quem . . . deeonsgem, Irano nno 
▼iolare versu) , bei indlgnari und Tielleicht anch bei gratalari (siehe 
€ie. Phil. II 28 ei lecnperatam libertatem est gratolatas). 

Dem gegenttber faUen einige verbamit ablativergäninng, wie 
glorior, gandeo^ laeior, angor (s. b. Cic. Brnt. 2^ 7: equidem angor 
animo non consili non ingenii non auctoritatis armis egere rem pn« 
blicam) und das dativische suscenseo CDiaeger H.S. II* s. 393) nicht 
schwer ins gewicht, oertiorem facere aber bedarf gleich vielen an- 
dern wortYcrbinduigen als verbale phzase wieder einer beeondorai 
bebandlung; es sei von solchen hier nur noch erwähnt esse aign* 
mento (z. b. homines scire pleraque antequam nati sint, quod . . . 
Cic. de sen. 21, 78), welches einem argncre gleichkommt, andere 
zam teil recht harte construetionen der art stellt Ad. dn Mcsnil in 
seiner ausgäbe von Cic. de leg. zusammen (Leipzig 187^, s. \ 

Anderseits gibt es der sätze mit quod, die innerhalb des Satz- 
gefüges die stelle eines accusativobjects einnehmen, nicht eben viele.'* 
hinter gaudeo, laetor, doleo, contentus sum, deleetor, consolor'' ent- 
spricht quod einem ablativ; hinter admirari aliquem einer causalen 
bestimmung, siebe z. b. Cic. Sest. 135 quem non tarn admiror quod 
meam legem contemnit hominis inimici qnam qnod sio etatnit • . . 
oder Beiot. 28 itaque Deiotarnm cnm plures • . . soskilieaeot qnod 
haerere . • . posseti admirari solebamos, yergL auch proT. cona« 27; 
hinter reprehendo, obinrgo, laado aliquem etwa der piUposition in 
oder einer canaalbestimmnng (siehe Cic. Mar. 67. Verr. III 48. Font 2; 
Cic. fam. 3, 8, 6: non dicam plnra ne in qno te obiurgem Id iptom 
Tidear imitari und Plane. 8 te ut obiurgeni, qnod iniqnom in dis- 
crimen addncas dignitatem tiiam); der priiposition de oder einer 
causalbestimmung bei accuso, incuso, castigo, excuso (siehe Caes. 
civ. III 16 und gall. lY 22), condemno aliquem, bei queror und in- 
dignor; desgleichen einer adverbialen bestimmung bei den übrigen 
Verben des aiSects gravor, gratulor, gratias ago, laboro *\ suscenseo, 

^* um für diese und die folgenden antersuchungeo eine feste gmnd- 
läse zu gcwümeo, sind ausser den bekannten handbttebern von Draeger, 
Behmals u. a. vor allem die Mergnetschen lexika benutzt, die ffir gram- 
matische arbeiten eine aosserordentliehe, ttnsxeret dankeaawerie erleidi* 
terung gewähren. 

Cie.8vlla29 eonselare te, quod omiiinm mentes im^bomm mihi 
nni maxime sunt infeosae et adversae damit dass» Tergkehen mit Qu. 
Rote. 43 inanl et tenui spe te con!;o1aris. 

*^ Cic. Caec. div. 24 atque ia non tarn propter Verrem iaborat, 
quam quod. 



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Einige capitel deatgch-lateinischer sohalgzammatik» 443 

irascor mit ausnähme von indigne, graylter) moleste, permoleste fero 
und obicio. die qaod-sätze hinter jenen verben werden wir also zu 
den adverbialsätzen rechnen müssen, wenn man es nicht vorzieht 
bei verbis wie gaudeo, laetor abiative objccte zu statuieren. 

In einer reihe von fällen schlieszt sich sodann qnod an ein 
nominales object des regier e n d en satzes an, so dasz auch 
von selbständigen objectssfitzen nicht die rede sein kann; eher könnte 
man von appositionasätzen sprechen, so Caes. gall. VII 52 Caesar . . . 
temeritatem cupiditatemque militum reprehendit, quod sibi ipsi iudi- 
cassent, K,ß. Übersetzt: tadelte die blinde loidenscbatt der Soldaten, 
mit welcher . • und einige zeilen weiter: licentiam arrogantiam- 
qne reprebendeire qaod • . . eiiatimarent. Caes. gall. I 43 benefida 
commemoravit quod rex appellatns esset • • . quod emiens, qood 
munera amplissime missa. Caes. gall. 1 60 cam ex captivis qnaereret 
•Caesar, q[ttaniobrem Ariovistns proelio non deeertaiet^ bane reperie- 
bat causam, quod . • . esset. Caes. gall. YI 4S uhiud, quod oobortes 
. . . essent ennssae, qnestos. Cio. Plane 3 equidem ad reliqnos la* 
bores quos • . . SQScipio . . . etiam haue molestiam adsumo, quod 
mibi non solum pro Cn. Plancio dicendom est . . . Gic. Sex. Boso. 154: 
quae non modo id bebet ia se mali, quod tot cives atrocissime 
austulit, verum etiam . . . Gic. Div. Caec. 63 : lulius hoc secum ancto* 
ritatis ad accusandum adferebat, quod rogatus ad causam accesserat. 
€aes. gall. VIT 15 hoc sibi soktii proponebant, quod . . . explorata 
victoria . . . reciperaturos conlidebant. Cic. Verr. V 106 tum iste 
hoc causae dicit, qnod classem praedonibus prodidissent. Cic. Phil. 
II 53 quam causam adterebat, nisi quod intercessio . . . neglecta 
esset?** Gic. Place. 77 adiungis causas inimicitiarum , quod patri 
L. Flacci aedili cnruli pater tuus tribunus plebis dieni dixerit. Cic. 
Verr. V 34 duo sola reccntia sine cuiusquam infamia ponam, ex 
quibus conieciuram lacere de umnibus pussitis: unum illud, quod ita 
fuit inlustre notumque omnibus^ ut . . . alterumi quod . . . introferri 
aolitus est . . . Gio. de bar. resp. 83 qnid habet mea domus religiös! 
nisi qood impuri et saerüegi parietem tangit? " 

Hieran reiben sieb nun wieder die niebt seltenen fUle, dass ein 
sats mit qnod binter einem verbam sent. oder declarandi 



» vgl. auch Cic. Piso 13, Verr. I 6, Caes. gall. Vn 20, gall, 1 14. 
alle die genannten stellen geb5ren sasantmen mit den Plautinischen 
Bacch. 1008 (tantam flagitium te aolre audivi meum, qnod eam pere- 
H^rini cabui nxore militis) und Poen. 8, 1, 44, zu denen Draeger H. S. 
JI* 226 richtig bemerkt, dasz ^der nebensatz das object des bauptaatzes 
nüber eiklKrt'. ähnKcb sind femer Gie. fam. 3, 8, 6 nnd Caes, b. c. 
I, 23, 8 (Draeger II* 229), sowie Cic. bar. resp. 62. 

" nicht hierher gehört Caes. civ. T ^59 qno facto duas res coDBecutna 
est, quod pignore animos centurionum devinxit et largitione militum 
volantates redemit: dadnrcb erreichte er zweierlei (nemlicb auf einmal)« 
indem er fesselte und (sngleich) . . . erkanfte. die fiberaetinag von 
Köchljr ^dnrch welche er zweierlei erreichte, einmal , • • an slob KU 
fesseln, sodann zu erkaufen' ist also ungenau. 



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444 £iiugd eapitel deatsch-lateiniscker schulgrammatik. 

mit prädicatsnomen steht, z. b. Cic. Sex. Rose. 147: nisi hoc 
indignum putas, quod vestitum sedere in iadicio vides quem . . . Cic. 
Verr. Act. 155 illud a rae novum, ludices, cognoscetis, quod ita teslis 
constituam ut. Cic. Phil. XIII 7 maximum . . . beneücium uumero, 
quod hoc animo in rempahlicam est. Cio» in sen. 9 di immortales; 
quantum nubi beneficinm dedissa videmini , quod boe uino P. Leu- 
tuloB oonsnl eetl Cic. Verr. lY 145 (Syracnsaai) qai eum aocasa- 
tore tuo fiatlB iustam causam coniungendae neceasitudinis putanti 
quod te accusaturus sit et quod inquiaitum in te yeserit.*' 

Vielleieht gehören auoh hierher GicVerr. II 16 videor mihi giftp 
tum fecisse Siculis, quod eorum iniurias meo labore inimicitiis peri> 
culo Bum persecutus! Cic. ad Att. 2, 4, 1 fecisti mihi pergratum» 
quod Serapi cnis librum ad me misisti und ähnliche Verbindungen 
eines adj. mit facio; doch kann man hier sowie bei facio mit einem 
adv. quod auch mit 'dadurch, dasz', 'darin, dasz% 'insofern' erklären, 
bene facis quod litteras voluptatibus anteponis heiszt entweder : du 
handelst gut, indem du vorziehst, so dasz quod etwa » dem abl. 
des gerundiums oder einem cum verwandt wäre, oder: mit recht 
thust du dies, dasz du vorziehst, für die eiitscbeidung zwischen 
diesen möglicbkeiten kommt es nicht in betracbt, dasz quod seiner 
form nach ursprünglich acc. ist: denn das sind dura, quam auch, 
ohne dasz wir deshalb die mit diesen partikeln eingeleiteten iätze 
für objects^citze erklären müsten. auch stellen wie Cic. Phil. III 38: 
quod provinciam Galliam citeriorem . . . exercitumque in senatus 
potestato retineat, id eum • . • reote . • . fecisee et faeero • « • eiad 
nicht ohne weiteres beweisend, da aus der hinauf ügung eines neu- 
tralen aeeusatiys eines pronomens ein schlusa auf die constmction 
des betreffenden verbums nicht gezogen werden darf (vergl. id stu- 
deo, id operam do . . .). wichtig ist allein die frage, ob im sprach- 
bewnstsein der Börner &cio in Verbindung mit dem adverb als ab- 
solutes verb empfunden ward oder nicht, und dies su beurteilen bietet 
vielleicht Plaut. Amph. 352 bene facit: quia nos eramns peregri, 
tntatust domi und Cic. Att. 12,24, 1 : bene facit A* Silius, qui trans- 
egerit eine genügende handhabe. 

Doch wie man die saclie mich beurteilen mag, dasz nach aus- 
scheidung jener oben charakterisierten fälle nur wenig (accusative) 
objectssätze mit quod übrig bleiben, dürfte einleuchten, ich würde 
(abgesehen von den !>ereits genannten obicio und fero indigne usw.) 
in einer schulgraumiatik nur anführen diejenigen nach praetereo und 
mitto und die nach laudo, reprehendo, accuso a 1 i q u i d , an die sich 
redensartenwie in crimen voco anschlieszen (siehe Cic. pro C.Uab. 24).'^ 



*' ftholich ist auch bell. Afr. 3 nouuemo culpao eius imprudentiae» 
qtie a«0if|^abat qnod . . . 

1® wenn nach (a(l)miror ohne perBÖnliches oLject quod gesetzt ist, 
kann man dassellie meist als causalpartikel erklären, so dasz das voran- 
g^eheude verb absolut gefaszt werdeu musz; z. b. (Jic. V err. V 16 mirabar, 
qaod Apollonius bomo peouniosw tarn diu ab isto vaneret integer • • • 



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Einige capitel deatsok-UiteiiuBcfaer Bchnlgnunmatik. 445 



Doch scheint auch bei diesen der accusativ c.inf. nicht durchaus 
Terpdnt. siehe die oben citierte p teile mitmitto; Merguet faszt auch 
securi percuF^so^ Pelraeum et Menedemam . . . laadastis (Cio. Phil. 
13, 33) als acc. c. inf. auf. 

Häutiger sind accusativsätz6 mit dasz, die im lateinischen ut 
(bzw. ne) verlangen^ zunächst die nach den verbis ^erlangen, er- 
reichen, durchsetzen, bewirken' (raeist im deutschen mit indica- 
tivischem prädicat). da letztere weder an der form des prädicats 
noch durch eine genaue Zergliederung der penode erkannt werden 
können, werden wir für sie das gedäcbtnis der lernenden in an- 
Spruch nehmen müssen, indem wir jedoch jene deutschen verben 
mit den Terwandten und zum teil auch ähnlich ausgedrückten be- 
griflen * verlangen, bitten, Boreden, hinwirken' zusammenstellen, 
erlangen wir eine leicht fassliche regel. man laase eittfiwh lernen: 

darauf hinwirken bewirken 

zureden llberreden 

yerlangen erlangen 

bitten erreidien (impetro) 

und wenn man es ftlr nötig httlt, noch 

fordern durchsetzen 

auftragen (selbst) thun. 

Damit wird man zugleich die hauptsächlichsten fölle erschöpft 
haben, in denen dasz an der spitze eines accnsativen objectssatzes mit 
einfachem conj. einem lateinischen ut gleichkommt, von den bei 
Eiknclt- Seyffert angeführten verben fehlen wenigstens nur opto, 
laboro , itnpero, concedo, permitto, committo, moneo, admoneot für 
die ersten beiden ist bereits oben eine allgemeine bemerkung nötig 
gewesen, die übrigen (auszer dem schwierigeren committo) mustün 
wegen ihrer zwiefachen construction auch bisher eigens erwähnt 
werden, die regel musz um so mehr genügen, da wie gesagt statt 
des conj. mit dasz die jeden zweifei iiuaschlieszeudea constructionen 
des intinitivs, eines anführenden satzes oder eines Satzes mit dasz und 
den hilfaverben sollen oder mögen sehr yiel häufiger sind. 

Was die sfttze mit ne oder qnominus betrifft, ao könnte man 
versucht sein , dieselben in Shnlicher weise wie dies oben mit den 
nt-sfttzen geschah, nominalen objecten, nnd zwar solchen mit der 
Präposition a oder im ablativ der trennung gegenOberzustellen, yer» 
gleiehe namentlich caveo, timeo, metno, deterreo, interdico. doch 



doch sind die steilen eben nicht zahlreich; siehe auch Cic. Att. 6, 9, 1 ez- 
clamayi tarnen ad miratusque sam, qnod uiliilo minus ad me . . . 
floripsiasM. Cic. Phil. XII 6 (admirabantur boni viri, aeeusabant 
amici, quod spo pacis Icprpitinn rm snsccpis'^^em) niu1 Cic Lig. 17. Caes. 
gall. VI 42 (quarum omnium rernra rnaxiine «diniiandum videbatur, 
quod . . .) und Cic. Cluent. 60 (utrum . . . magis est mirandum, quod . . .?) 
getadreo mn b. 458 ff. übrigeDS mutz daraof hingewiesen werden, daes bei 
den verbis dea affeets fiberhanpt die häufigere cottstraotion die des aoo, 
«. inf. ist. 



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446 Einig« capiiel deat«oh*lateiiiiscih«r Behulgrammatik. 



würden dadurch nicbt alle fälle erledigt werden, indem z, b. bei ob- 
sisto, resisto, obsto u.a. die ne-s8tze wieder einem dativ entsprechen, 
und auch sou&t empfiehlt es sich für die behandlung dieser partikela 
lieber vom lateinischen auszugehen, es tritt dann eben der in der 
einleitung angedeutete fall ein, dasz von dem bauptprincipe der dar- 
stellung im einzelnen aus zweckmäezigkeitsgründen abgewichen wird, 
die regel wird, wenn man die verba deo iurcbteua in der üblichen 
weise besonders behandelt, einfach lauten: 'ergänzungssätze mit ne 
(oder quominns) stehen bei obsisto» resisto, obsto, repugno, deterreo 
und interdico; ancb naeh inspedio und reenso'J* die infiniÜTCon« 
stmction Ton recnso ergibt sieh ans s. 439, die Ton impedio 
aus 8. 439. 

Eine ansftihrliohe aamerknng Uber impedio ist entbehrlieh , d& 
hier der spraobgebranoh im lateinischen nnd deutschen auch viel 

mehr abereinstimmt, als es die üblichen grammatiken ahnen lassen, 
man vergleiche 2. b. die worte EUendt-Seyfferts ^ohne persönliches 
object heiszt es morbus impedit, ne (quominus) domo ezeam' mit 
dem artikel ^hindern' bei Sander, in dem es heiszt: (ein satz mit dasz 
steht) 'namentlich, wenn das subject desselben nicht schon bei hin- 
dern als object in unmittelbarer nähe steht*, bei caveo gehen wir 
entsprechend der etymologie des wortes am besten von der bcdeu- 
tung 'schauen , zusehen, aufpassen* aus und erklären cavendum est 
ne quam suspicionem socordiae des. man musz zusehen , nicbt zu 
erregen, darauf aufpassen, dasz man nicbt erregt (vergleiche video ut 
und ne); cautum est in Scipionis legibus, ne plures essent in senatu 
ex colonoruin numero quam ex veterum Agrigentorum es ist in den 
gesetzen vorgesehen, da^z nicht cavete. ..patres conscripti, ne 
spe praesentis pacis perpetuam pacem amittatis seht euch vor^ 
dasz ihr nicht verliert (Pompeius), eavet, nt si qua pecunia . • . ex 
novis vectigalibns redpiatnr, ea decemviri ntantur seUt vorsichtig 
hinzu, dasz . . . verfttgen solle, tertium est, ut caveamus^ nt ea qua» 
pertinent ad liberalem speciem et dignitaiem, moderata sint. drittens 
müssen wir acht geben, dasz . . . cave credas pasz auf, du 
könntest (sonst) glauben. Uber prohibeo siehe s. 439* 

die neupste fassnng dieser re^el he\ EHcndt-SeyfTf rt 'ne steht 
. . . in der bedeutang dasz 1) nach den verben «laich hüten, verhindern^ 
widerstreben, sich weigern > . . . müwen wir als eine Verschlechterung 
gegen früher ansehen: denn nach «sieh weigern» und widerstreben sagei» 
wir im deutschen wohl niemals dasz, nacli sich hüten zwar davor dasz, 
aber ebenso oft auch dasz nicht oder inf. mit zu, nach hindern sowie 
nach verbieten sowohl dass wie dass nicht, sowohl positiven wie nega- 
tiven Infinitiv; siehe darüber Sanders s.v. verbieten, es ist dies einer 
von den zahlreichen fallen, wo der deutschen Sprache SQ gnusteu der 
lateinischen gewalt angethan wird. 

es ist meines wissens bisher nicht bemerkt worden , dasz dieser 
eonjunotiv nrspr&nglioh weiter nichts alt die möglichkeit beseichnei 
und daher als potentialis zu erklären ist, der nur durch das voratis- 
gebeude cave und die entsprechende betonung (ei, ei, du j^Iaubst wohl gar I) 
den sinn einer drobuug, einer warnung, eines Verbots erhielt, halteu 



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Einige capitel deutseb-lateiiaBcher soimlgxammatik. 447 



Dasz die sätz^ mit quin bei nondubito und ähnlichen ausdrücken 
indirecte fragesätze sind , ist neuerdings yon Weise Z. G. W. 1886^ 
8. 194 und Feodor Glöckner in diesen jahrb. 1888, s.417ff. mit recht 
betont worden. Germani retineri non poterant, quin in bosies tela 
conicerent gibt in dem nebensatze den gedankei] der bandelndea 
personen an, der drrect beiszen würde: warum werfen wir nicht ge- 
bciiOöbe auf die feinde V nihil Cicero praetermisit, quin Poinpeium a 
Caesaris coniunctione ayocaret den gedanken des Cicero: warum 
rofe iofa nielit ... ab? oder mrum soll ich nicht • . • abrufen? usw. 
fort, und diese anffassnng der quin-sfttse iSsst noh audi, wie iob 
aus mehrjähriger erfitbrung weiss, einem aecundaner sebr wobl be- 
greiflich machen : gleichwohl werden wir dieselben nach dem prin- 
cipe, welches wir der darstellang %vt gründe gelegt habeui nicht unter 
der rnbrik der indireeten fragesBtse bebandeln, da ja im deuteoben 
zwar die verschiedensten ttbersetzungen (dasz, zu, als dasz), niemal» 
aber fragsstttze der quin-constmction entsprechen.'* 



wir dies fest, so werden wir aaeb das beteuernde und dae Terbietend« 

ne nicht weiter trennen dürfen, in der that erscheint auch ne tu^ 
Eruci, accusator esses ridiciilus (Ko3C. Am. 18, 60): 'ei, ei, du wärest ver- 
mutlich (conj. pol. der Vergangenheit) ein lacherlicher aokläger gewesen* 
Dieht wesentUeb Tersehi^en Ton vereor oder Tide ne . . . faeris. und 
dasz diese Verbindung^ wiederum nicht von dem negativen optatiy bzw, 
dem prohibitiv zu trennen ist, ist ja bekannt, ne credideris heiszt eben 
auch: ei, el, du glaubst wohl gar oder — wenn ich mich eines noch 
volketfimlielieren antdrncks bedienen darf s na! du eollteet 'mal glanbent 
so wäre für die eine partikel (ne) das interessante problem, durch welche 
mittel die spräche die negation au^idrückt, gelöst, ausführlich hierüber, 
wie über ne beim imperativ und nc in Zusammensetzungen (non nihil 
nefastns new.) sn handeln, behalte ich mir fQr eine epStere seit ror. 

fibrigena sei hier darauf hingewiesen, dasz auch die sogenannten 
nnwillJo-en frag;en häufig abhängig gemacht werden, nur so erklärt sichi 
der sHtz mit ut hinter prohibeo {Oic, Bex. Boso, iöl) di prohiüeant, 
indices, nt boe qnod matores consilium publicum vooari Toluerunt prae* 
eldinm seetomm existimetur; nur so das negative pati (perpeti) mit fol- 
gendem iit. vergl. Caes. b. g. I 45 neqne suam ncqne populi Kormni 
consuetudmem pati, ut optime meientcs socios desereret seine ge- 
wohn beit so wenig wie die des römischen Volkes lasse es (etwa: den 
Ter dacht) zu, daas er . • • Terlaaeen sollte* Caes. b.g. TIS neque saam 
pati dignitatcm , ut tantis copiis tfim exlguam manum . . . adoriri non 
andeant = ihr elirgefühl lehne sich n den gedanken, siegen die Zu- 
mutung auf, dasz sie . . . keinen angriff wagen sollten. Cic. Verr» 
III 129 non . . . perpeterere, ul hominee ininriae taae remedium morte 
ac suspendio qnnererent, nisi ea res ad quaestum et ad praedam tuam 
pertineret: du v, iii d"Rt rs nicht geduldet haben, dasz menschen ein mittel 
g. d. u. im tode hutten suchen sollen. Cic. Font. 37 quod si in turpi 
reo patiendnm non eeset, ut quicquam isti se mioia profeeisae arbitra- 
rentur, quid faciendum vobis in M. Fonteio arbitramini? Cic. dorn. 44 
hoc vos pati potestis, hoc ferre civitfis, ut singuli cives singulis versi- 
oulis e civitate tollantur? (Cic. k'i&uc. 91 ist wegen des vorausgehe o- 
deu comparativB mit quam noeb etwas andere zu beorteilen.) ebenso- 
sind die ut-sätze hinter non verisimüe est, an veriaimile est? n. a. 
(siehe Süpfle C. c. II 141) als solche verwunderte ausrufe aufzufassen. 
8. b. Cic. Kose. Am. 41, 121 non est verisimile, ut Cbrysogonus horumr 



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448 Einige capitel deutsck-lateiiiiflclier Bcholgrammaiik. 



Gehen wir dann auf dns jnrebiet der subjectsätzc über, so em- 
pfiehlt sich die J^ruppierung nach lateinischen ausdrücken auch für 
eequitnr, proxiraum est, restat, reliquum est, extremum est usw. ; dena 
die vielfach noch übliche Übersetzung didser Wendungen mit dasz 
oder zu gibt kein gutes deutsch, man sagt vielmehr; für sequitur ut 
de magnituiiine belli dicam sodann müssen oder wollen wir sprechen, 
für proximum est ut doceam meine nächste aufgäbe ist es dann zu 
zeigen, für extremum illud est ut te orem zum schlusz möchte ich dich 
noch bitten (vergl. Sttpfle anleitung II 138). dagegen werden wir 
bei den ftbrigen subjeetsStsan mit dasi wiederom vom deiitaelien ana- 
gehen und demgemSsz dia bisher ttbliohen regeln nmordnen mOsaen. 
da Bich dies ohne Schwierigkeiten machen UUst und wir apecieller 
nachweisungen dabei nicht bedflrfen, wollen wir die erforderfiohen 
regeln gleich in den zneammenfaesenden Oberblick einreihen, den 
wir zum schlusz Yon sämtlichen aufgestellten regeln geben, ich hoffe, 
derselbe wird zum beweise dafür dienen, dasz durch die vorgeschlage- 
nen Snderungen die bebandlung der in rede stehenden sätze an über* 
sicbtlichkeit nichts eingebüszt bat« wir verziditen dabei auf anfOh- 
rung von beispielen sowohl ganzer sätze wie einzelner verben , die 
natürlich in einem vollständigen lehrbuche nicht fehlen dürften, und 
bitten Überhaupt, die folgende Zusammenstellung nur als skizze an- 
sehen zu wollen. 

A« CoidanetlTSfttze olme paxtlkel« 

§§ • ♦ • 

Eine indirecte aussage wird im tleutscheu (gewöhnlich) durch 
den blo^zen conjunctiv wiedergegeben, eine indirecte aufforderung 
(gewöhnlich) durch den bloszen conjunctiv der billsverba mögen 
oder sollen. 

Eine indirecte aussage wird im lateinischen durch den accusaliv 
(oder nominativ) cum Inf., eine indirecte aufforderung durch den 
eonj. mit (oder ohne) ut (ne) wiedergegeben. 

[Einübung der oonstruction des acc. c. inf. an beispielen, die im 
deutschen mit dem bloszen coig. flbersetzt werden.] 

Anmerkung Ober den gebrauch des bloszen co^j. nach rogo, 
hortor, moneo, mando, inbeo usw. 

Anmerkung Ober den acc* c. inf. gerundivl: will man das 



adamarit humanitatem (lieb (rewonnen haben sollte). Cic. Verr. IV 
6, 11 veriBimile non est, ut ille . . . religloni saae . . . pecuniam ante- 

poneret (vorgezogen haben sollte). Cic. Fin. 2, 33, 108 qui id probari 
potest, ut is f[ni propter me aliqui'l gaudeat plus quam ego ipse gau- 
deat? denn mit dur beinerkung Süpfles, dasz ut stehe, 'weua jene ad- 
jeetivischea «asdrOcke hervorheben eoUen, dass etwas aech wlrk\^ch 

geschieht, dasz es möglieh (unmöglich) ist, dasz so etwas rintrete' wird 
f<n'h (loch niemand zufrieden geben, ebenso wenig in llt ÖcUumaim Z. G. 
W. Iöb4 8. 706 das wesentliche, siehe auch Liv. IX 11. 



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Einige capitel deutsch-lateinischer gchulgrammatik, 449 



mit dem inf. 



yerbum sollen durch das ger. ausdrücken, so ist der acc. inf. er- 
forderlich } so wechselt ut mit dem acc. c. inf. geruud. bei censeo, 
stattto, oonstitao, decerno. 

B. lallBitlnltie* 

I. Der objectsinfinitiv. 

§§ . • • 

Der objectsinfinitiv mit (oder ohne) zu wird nur hinter activen** 
Verben und nur bei gleicbheit des subjects diircb den lateinischen 
inümtiv wiedergegeben, bei ungleichem subject und hinter passiven 
Yerben steht ut (ne) mit dem conjuncUv« 

Als ausnahmen merke 

1) assuefacio, doceo 
arguo, insimiilo 
patior^ sino, iuhco 

Veto und prohibeo und deren pa.>siva . 
Anch concedo (besonders im pass. siehe Z. G.W. 1884 s. 627), 
permittO; cogo und impedio köimen mit dem inf. verbunden werden. 

2) die verba der sinnlicbeE wahrnebmang 

(bCren, sehen, finden) 
und der künstlerischen darstellnng 
(lassen) 

Anmerkung, wenn der accusativ bei den nnter 2) genannten 

verben olijeet des abbttngtgen Infinitivs ist, musz im lateinischen der 
inf. pass. gesetzt werden, ^gestern habe ich einen giftmischer bin* 
richten sehen.' construiere: was gesehen? hinriohtenl wen hin- 
richten ? einen giftmischer ! 

Ähnlich auch nach iubeo, veto, sino, patior ohne ein persön- 
liches object: Anorustus liesz ^^ich nicht herr nennen. ■ was liesz A. 
nicht? nennen! wen nennen? sich! 

[Für vorgeschrittene kann die regel einfach lauten : wenn di« 
unter 1) und 2) genannten deutschen verben kein nominales object 
haben, steht der inf, pass., woran sich dann noch eine kurze ur- 
wäbnung** von dux receptui canere iussit und anderen formen 
Bcblieszen musz.] 



mit dem inf. 
oder part. 



1) Die anf den inf. hinweisenden pronominalen adverbia (daran, 
darum, darauf, danach u. a.) bleiben im lateinischen in der regel 

*^ die passiven formen von desino und coppi werden am besten in 
der regel vom nnbestimmten subj. man erwiUiiit werden. 

mau veräuciie ja nicht eine erläuteiung dieser fälle etwa mit den 
wertes ^wenn das snbject sieb aui dem Bnaaminetihange ergKnsen lltsst« 
ferner auch wenn ea selbstverständlich oder unpersönlich ist'! denn auch 
bei inbet poiitem fieri u. ä. läszt Bich die person, die den befehl erhält, 
aus dem zusammenhange ergänzen, uud eben weil sie selbstverständlich 
ist, wird sie aveh hier fortgelassen. 

JV. jAhrb. t phiL a. pid. tl. abl. U90 hft. S «u 9. 99 



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450 Einige capit«! deatech-lateiflischer schulgrammatik. 

nnübenetzt ; feste Terbindnagen eines pronomeoe mit einem Terb 
wie id agO; id speeto lialiNi Qi* 

Auch andere wortverbindttngen haben ni oder sie nehmen einen 
casus des gemndinms zu sich (beispiele mit nihil aatiquins habeo 
quam , operam do n. a.). mit dem Inf. merke nur habeo in aaimo 
und animnm indnco, welches letztere aach mit nt constmiert werden 
kann, consilium coepi hat alle drei constrcctionen. 

2) Bei opto und laboro stehen meist vollständige ind. auffor« 
derongssfttze (ut oder ne) ; bei den Terbis des glaubens, behauptens 
(auszer mihi videor), boffens, Versprechens; drohens und schwörens 
nur vollst?indige ind. aussaf^en. sStze wie: 'Piso versprach zu Caesar 
zu geben'; ""die Soldaten glaubten sieger zu sein*; 'ich liofife dir die 
Sache klar gemacht zu haben* sind daher umzuwandeln in : Piso ver- 
sprach, er werde .. . gehen; die Soldaten glaubten, sie wären sieger; 
ich hoffe, ich habe dir klar gemacht. 

Anmerkung, auch bei den verbis volo, nolo, malo, cupio 
kann statt des inf. ein vollständiger acc. c. inf. gesetzt werden, wenn 
ein padäivum oder daä veibum subätantivum von ihnen abhängt. 

II. Der subjectsinfinitv. inf. nach scheinen oder sollen. 

§§ • - 

1) Der deutsche subjeotsinfinitiv wird auch im lateinischen dureh 
den Infinitiv ausgedrückt, man achte nur auf die passiven verben, 
hinter denen stets dieselbe oonstruction wie nach den entspreehen- 

den activen steht. 

2) PrfidicatsTiomina eine? subjectsinfinitivs setzt der Lateiner 

abweichend vom deTitscben in den accusativ. 

Deutsch: es i.^t immer ehrenvoll ein guter mensch zu sein« 
Lateinisch: Semper est boneslum virum bonum ed^e. 

3) Besonders zu merken ist der infinitiv nach dem verbum 
scheinen, der in der construction des satzes einem prfidicatsnomen 
gleichkommt, statt desselben sagt man im deutschen auch einen satz 
mit *dasz' oder 'als ob'j lateimbch blets videor mit dem inf. (biehe 
§§ ...BI2). 

Ähnlich auch: Homer soll zu den zeitm des Ljknrg gelebt 
haben: dicitur (fertur, traditur, putatnr) fnisse. 

C. Sätze uiit duhz. 
Vorbemerkungen. 

§S • • • 

1) Mit dem satzeinleitenden dasz wird entweder auf Uiatsachen 
hingewiesen, die Ton dem redenden bereits als bekannt Torausgesetit 
werden (hinweisende sätze; dasz im deiktischen sinne; lateinisch 
quod), oder es werden ergänznngen des prädicats angeführt (ergän- 
zende sätee, dasz in dem abgeschwächten sinne eines artikels). 



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Einige capitei de uUck- lateinischer schulgranimatik. 



451 



Anmerkung, der sehr feine unterschied zwischen beiden 
arlMiTon Bäteeii byrm im deoischen bisweilen darch den modus, bisr 
wftlen aneb dnrcb dio yaxanstellimg des dass-satses oder dmciL bin« 
xofüguDg eines furonomens vor demselben kenntlioh gemaeht werden, 
man nntersebeide: die Mocedonier bedauerten, dass Snmenes ihnen 
TOr gezogen würde (aoc. c,lnf.) nnd: die Maoedonier bedauerten 
es, dass E. ihnen Yorgesogen wurde oder: dasz E. den Macedomm 
vorgezogen wurde, bedauerten dieselben (qnod). hauptsttcblieh 
wird jedoch im deutschen die yerschiedenbeit durch die betonmig 
angedeutet. 

2) Statt der ergänzenden substantivsStze mit dasz setzt der La- 
teiner entweder indirecte aussage- oder indireote aufforderungssätze 
(entweder acc. c. inf. oder conj. mit at oder ne).** die sStze mit 
dasz und den hilfsverbcn sollen oder mf^tren sind leicht als 
indirecte aufforderungssätze kenntlich; sie verlangen daher ut 
(ne). hiertin gehören auch die bei Lattmann - Müller § 147 anm. 3 
besprochenen fälie wie: quam autem habet aequitatem ut agrum 
multis annis possessum amittat? dasz er verlieren soll? siehe auch 
s. 447 anm. 21. 

3) Die übrigen object- oder subjectsätze mit dasz unterscheidü 
man je nach der constructiun des ganzen Batzgefügeb. in der periode: 
wir wissen, dasz Pjtbagoras die entferntesten l&nder aufgesucht habe, 
entspridit der satz mit dass einem accusativobject (accnsaÜT- 
satz); in der periode: die eitern sorgen (oonsnlo) dafttr, dass ihre 
kinder Tor ungemaeh bewahrt bleiben, einem object im daÜT comm. 
(datiTsats);in der periode: das yergnügen treibt viele dazu, dass 
sie den pfad der tilgend verlassen, einem oligect mit der prSposition 
ad (ad-satz, annShenmgssatz) usw. 

I. Objeotsätse. 

88 • • • 
nt (ne) steht im lateinischen 
1) für dativsfttse, 
2^ für ad-säts% 

8} im sinne eines aoensativs nach den verben 
darauf hinwirken (id ago, curo) bewirken 
znreden ttberreden 
verlangen erlangen 
fordern du^setzen 
bitten erreichen 
auftragen (selbst) Uran n. i. 

§§••• 

Die Übrigen aocnsativen objectsätze werden durch den acc c« 
inf. wiedergegeben. 

bis hierher sind die bemerkungeo anter 1 und 2 natürlich für den 
sehiilimterrieht entbehrlich. 

89« 



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452 Einige capitel deutsch'lateiuiaoher schulgrammatik. 

Anmerkung 1. von den aoonsativen objectsStaen sind die 
er klftr enden asäe za nnterecbeiden, die eich im einne einer appo- 
sition an ein bestimmtefi nominales oljeot aneeUieazen (Uteiniseh 
qnod). Terwandt mit ihnen sind die afttze, die auf verben mit prltdi- 
eatsaccnaatiT (oder -datiy) folgen (lateinisch ebenfalls qnod). 

Anmerkung 2. nach loben, tadeln, flbergehn 

nnd Ähnlichen pflegt quod zn stehn. 

Anmerkung 3. aueh auf nioht transitive yerba findet sieh 
der acc. c. inf. ausgedehnt, z. b. gaudeo, laetor, glorior, angor. des- 
gleichen steht derselbe nach verbiblenphrasen, die einem tnmntivett 
verbum gleichkommen: 

z» b. nach ccrtiorem facere == nuntiare 
argumento esse = argcere. 

[Anm erkung 4. beachte besonders die fälle, wo das subject 
des dasz* Satzes als object zu dem hauptverb gesetzt istl] 

II. SubjeotsSts«. 

StA 

1) ffinter passiven Terben steht stets dieselbe constmotion wie 
hinter den entsprechenden actiren; der acc. c. inf. wird dabei zum 
nom. 0. inf. 

Anmerkung, abgrenzung der fitlle, in denen der nom. c. inf. 
angewandt wird. 

2) Hinter aetiyen Terben steht meist quod. besonders zu 
merken ist: 

a) mit der copula verbundene verbaladjectiva oder •substantiva 
sind wie ein (passiver) begriff anzusehen und gleich den zugehörigen 
activen yerben zu construieren. 

probabile est wie probare 

credibile est wie credere . 

consentaneum est wie consentire 

apertiim est wie aper Ire 

notum est wie noäcere 

fama est wie fari 

opinio est wie opinari 

mirum est wit; mirari 

curae est wie curare (vergl. Cic. Verr. IV 73) 
optabile est wie optare (vergl. Cic. off. I, XIY 45). 
Anmerkung, wie apertum est wird auch appiret, wie notum 
est auch constat mit dem acc. o. inf. construiert 

b) Wenn Masz* hinter yerbis impersonalibus oder pcSdicatanom« 
mit copula nicht auf eine bestimmtCi als bekannt vorausgesetzte that- 
Sache hinweist, sondern nur einen möglichen ihll einfuäi, steht der 
acc. c. int im deutschen ausser *dasz* auch Venn* oder der blosze 
Infinitiv. 



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sonst 



Einige capitel deatBch-Iateimscher schulgrammatak, 453 

Anmerkun ^ Über die venohiedeneiiarten das dentselie *jiiii8z* 
SQ übertbtieD (deeet^ oonvenit, opertet, opus est usw,). 

c) ut eoaseoatiYQin** baben die umBehreibendeii ausdräeke, 
lateiniscb: 

fatnram est» fit, aoeidit 
contingit» eTtfiä, ineidit; 
ius, consttetudo, mos est auch 
(es ist so reobtens, sitte, brauch). 
Aiim er kling, verwaiidt sind seqnitiir, prozimam est, restat 
usw. • • • nt» 

Constructiou einzelner verba. 
§§ • • • 

1) Naeb impero befehle folgt der aoe. e. inf. pass. oder nt, 
moneo (admoneo) bat den acc. c. inf. nnr in der bedentnng ^ 

erinnem, dasz 
persnadeo nnr in der bedeutung flberzeugen, dasz 
«oncedo nnr in der bedentnng angeben, einrftnmen, dasz 
praecipio in der Verbindung mit opinione: vermuten, dasz . . 

Caesar gall.VII 9.' 

Untersoheide femer video mit dem acc. o. inf. und video ntoder 
ne; edico mit dem aoc. c in£ und edico ut; eaveo mit conj., cayeo nt 
und caveo ne usw. 

2) Negative ergänzungssätze mit ne o<^er quominus stehen bei 
obsisto , resisto , obsto, xepugno, deterreo und interdico; auch nach 
reou£o und impedio. 

Anmerkung, dasz quominus negativ ist, beweist die redens- 
art per aliquern fit (stat) quominus es geschieht durch die schuld 
jemandes, es liegt an jemand, dasz nicht. 

3) Ergänzende fragesätze mit quin stehen nach non dubito usw. 

4) Regel von den verbis des fürchtens. 

D, Indirecte fragesätze. 
§§ • • • 

Sie werden entweder durch frageportikeln oder fragepronomina 
eingeleitet, im lateinischen stehen sie im conjunctiv. 

I. Die fragepartikeln ob und ob nicht werden durch -ne, numund 
nonne'^, nach den werben versuchen und erwarten darcbsians- 
gedrttckt. in disjnnctiven fingen heiszt ob . . . oder ntmm ... an, 

'Ue ... an 
— ... an 

^ -r- . . . -ne. 

hieran müsten sich in einer ausführlicheren darBtellung UOCh 
einige bemerkungen über nt exeg-eticum anachHeszen. 

über den unterschied dieser parükelu iu iudiieclen tragen siehe 
Olöckaer In diesen jahrb. 1886 s. 615 ff. 



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454 W. G. Haie : tbe cum-coustructioDs, their history aad tunctions. 

Anmerkung, 'ob nicht (vielleicht) doch' hinter ausdrlicken 
der ungewisbeit heiszt an. merke so: delibero, dobito, baesito; baud 
flde, incertom est, foxB ait an (fordtan), m deren fibenetsimg im 
dentecben oft das einfaebe *?ieUeicbt* .oder *wobl' genügt 

n. Die mit fragepronominibns eingdeiteten indirecten frage- 
sStze lassen sieh oft in sätze mit Masz' yerwandeln. 

£« SnbetantiTigehe relatiTSftlie 
siebe unter 'rdstiTiätse*. 

KöNiasBEsa. Axjprbd Dö^bihg* 



41. 

William G-abdhbb Halb, tbb €OK-oom8tbuotioii8, thbib 

mSTOBY Ain> FimOTlOBS. FABT I OBITIOAL, II OOKeTBUOTHTB. 
Ithaca,K.-T. 1887 u. 1880, 268 b.* 

Wenn die Cornell üniversity zu Ithaca im Staate New - York 
die reibe der von ibr beabsichtigten publicationen auf dem gebiete 
der dasds^en pbilologie (stodiea in elassical pbüologj) mü der 
oben angefahrten abhendlnng eröflhet bat, so bat sie daran gewia 
keinen scblediten griff gethan. denn das sobwierige problem der 
Gom^sfttse, die frage, wie sieb der gebrancb der beiden modi in den- > 
selben entwiekelt bat und anf welobe grondsStze derselbe surOckza* 
führen ist, wird hier nicht nur ausführlieh, sondern ancb mit einer 
klarbeit nnd schärfe abgehandelt, welche zeigt, dasz aueb jenseits 
des oceans die classische pbilologie gelehrte und tttobtige Vertreter 
gefnnden bat. bei der Wichtigkeit des behandelten problems sowohl 
für die wissenschaftliche wie die schulmSszige darstellung der latei- 
nischen grammatik und bei der bedontung, welche der erwähnten 
abhandluriy; meiner ansieht nach in dieser trage zukommt, dürfte ein 
näheres eingehen auf dieselbe an dieser stelle am platze sein. 

Der erste teil der ganzen abhandlung (s. 1 — 74) ist kritischer 
natur und beschäftigt sich mit eingehender Widerlegung der bis- 
herigen ansichten über die cum -sätze. man hat gemeint den con- 
junctiv nach cuni auf den causalen oder adversativen inhalt der sätze 
zurückführen zu können, nicht blosz bei cum causale und ad versat., 
sondern auch bei cum historicum, insofern sich ja auch bei diesem 
oft ein innerer, namentlich causaler Zusammenhang des nebensatzes 
mit dem baupisatse erkennen Iftsst; andere baben den eonj. als ans* 
dmck der Unterordnung unter den banptsatz erklSrt^ andere wieder 
äls den ausdruek für die sobjectiyitSt des gedankens, woraus sieb 

* [die erst kürzlich erschieueue scbrift von H. Lattmaun, selbstän- 
diger und bezogeuer gebrauch der tempora im lateiDischen, welche eben- 
falli manche der Im folgenden berührten pankte behandelt, ist mir erst 
während der correctur zn cfesichte gekommen nnd hat deshalb nicht 
mehr berücksichtigt werden können, hier will icli nur noch constatieren, 
dass auch L. die Bekämpfung der Hoä'inaauschen theorien durcb Uale 
▼oUetKodig billigt.] 



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G. Haie: the cnm-ooiifttrnctioiiB, their bittoiy and fünctioxia« 455 

dann Bein gebrauch als modus der abhttngigkeit entwiekelt Habe* 
alle diese aufstellungen widerlegen sich (abgesehen von den allge- 
memen erwlgimgen) durch den einfachen hinweia auf den gebranch 
Ton quod, qaia, quoniam, qaando und qnamqaam; denn wenn onm 
aas einem der angeführten gründe den conj. ^forderte, so mnste er 
bei diesen conjunctionen erst recht eintreten, die unzulfinglicbkeit 
dieser tbeorien hatte man aber auch früher schon längst gefühlt; 
und dai'aus erklärt es sich wohl in erster liuie, dasz die ansichtca 
von E. Hoffmann (die construction der lateinischen zeitpartikeln, 
zweite aufläge, Wien 1873) in so weiten kreisen anerkennung und 
aufnähme gefunden haben', daaz es fast als ein frevel erscheint sie 
anzweifeln zu wollen, es ist das die theorie von den absoluten und 
relativen Zeiten, oder genauer ausgedrückt, die theorie, dasz intem- 
püialbätzen Mer conj. einzutreten habe, wenn das tempus des neben- 
satzes ein streng relatives ist, wöhrend, wenn das teuipua diesbs 
Satzes ein absolutes ist, ohne ausnähme der indic. steht' (a.a. o. s.IY). 
hiergegen wendet eieh mm in erster Ihue die kritik Haies, dessen an- 
sichten ich im folgenden in grossen sfligen wiedergebe. 

1) Ztt tadeln ist, wenn Hoffioaann bei seiner beweisftthmng von 
den sätien mit postquam, ut, nbi, simulao ausgeht; denn da post« 
quam nsw. erst in spSterer sät und noch dazu selten mit dem conj« 
verbunden werden, wShrend dieser modus bei cum ftlter und dabei 
ansserordentlicli hSnfig ist, so wtre es das naturgemSsse gewesen, 
von cum auszugehen. 

2) Wenn Hoffmann nach postquam nsw. den indic. perf. als ab- 
solat gebraucht ansieht, so ist diese aufstellung zweifellos richtig; 
nun aber sucht er weiter zu erweisen, dasz auch der indic. impf, und 
plusqpf. in solchen sätzen in gleicher wei^^e absolut gebraucht sei; 
dasz also das impf, nicht bedingt sei durch die rücksicht auf die zeit 
der handlung des bauptsatzes, sondern der selbständige zeitausdruck 
eines zustöndlichen in der Vergangenheit sei, dasz dasselbe aber auch 
vom indic. plusqpf. gelte, insofern dieses in den nebensätzen mit 
postquam usw. stets ein logisches sei , d. h. einem impf, temporal 
durchaus gleich stehe (z. b. Cic.Verr. 4, 54 postquam tuntam multi- 
tudinem coliegerat emblematum ^naciidem er eine solche menge Ver- 
zierungen beisammen hatte'), aber in dieser ganzen darstellung 
fioffimanns zeigt sich eine unklare auffassung von der natur des imp£ 
und plnsqpl diese tempora drttcken nemlish aus, a) dasz wir es mit 
einem gewissen (nSher bestunmten oder nicht nfther bestimmten) 
seitpui&te der Vergangenheit in thun haben, welchen der redende 
im sinne hat, b) dasz die besdchnete handlung in dem fraglichen 
seitpunkte der Vergangenheit entweder vollendet (plusqpf.) oder noch 
in der entwicklung begriffen (impf.) war. daraus entwickelt sich 
aber von selbst noch die dritte idee, dasz die handlung im verhttlt« 

' in mehr oder weniger groszer ausdehnuog z. b. belDräger, Kühner, 
Stols-Sfilimiils, Goldbacner, ScbeindUr, Heynach«r (was ergibt sich aas 
dem spracbgebranohe Caesars ttsw.) u. a* m. 



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456 W. 0. Haie: fhe cmn-consiruetioiiBy iheix bistoiy and foiictioni^ 

nisse zu dem angegebenen punkte der Vergangenheit entweder vor- 
zeitig (pluaqpt) oder gleichzeitig (impf.) war. an sich liegt also in 
den beiden tempckra noch nieht die idee der xelativitttt; aber wo sie 
im yerlaaf der erzählnng mit einem impf, oder perf. zusummensteben, 
erbalten sie eben durcb die Zusammenstellung, als nacbbarn in der 
erz&hluDg, relative bedeutung. in den versen des Pbädraa: 

ad rivum eundem Inpus et af^ntis vcneraot, 
siti compttlsi; superior stabat lupn^, 
longo inferior agnas. tunc fance improba 
latro ineitatas iorgii eaasam intnlit usw. 

beziehen sich venerant und stabat auf eine gewisse zeit der Vergangen- 
heit, welche der dichter im sinne halte; ei ist aber durch die zuöam- 
inenbtellung klar, dabz das keine andere als die des intulit ist, und 
80 Bind jene verba im Verhältnis zu diesem praktisch relativ, ohne 
diese beziehung wftrde aueh die wähl der fraglichen Umpook meinea 
erachtene nnveratändlieh sein, nun würde Tenenmt und stetit er- 
warten, nioht anders liegt die aaehe natllrlieh in den sätien adi 
postqnam naw.; in der saBammenstellnng mit dem verb des hanpt* 
aataea kOnnen das impf« nnd ebenso das ihm nadi Hofftataaaa eigner 
erUftrang temporal gleich stehende plnsqpf. nur relativ gefaszt wer* 
den. die verkennung dieser relativen bedeutung führt Hoffmann 
denn gelegentlich auch zu einem bösen Widerspruche mit sieb selbst, 
das logische plusqpf. nach postqnam soll gemttss dem von ihm auf- 
gestellten grundgesetz absolut sein; nun aber sagt er s. 15 gelegent- 
lieh der Unterscheidung des aoristischen und logischen plusqpf., 
letzteres liege da vor, wo *instricter beziehung zu einer be- 
stimmten vergangeniieit eme thätigkeit als früher begonnen 
und nun — in der gegenwart jener Vergangenheit — als 
vollendet in ihrem resultat vorliegend bezeichnet wird', durch diese 
stricte beziehung auf einen bestimmten punkt der Vergangenheit 
wird aber das plusqpf. notwendig relativ, also haben wir emü strict 
relative abbolute zeit, und das ist eben ein Unding. 

Den grund zu dieser falscheu auftussung sieht Haie wohl nicht 
mit unrecht darin , dasz bei floffmann der begriff der relativen zeit* 
gebung nicht klar gefaazt aei, insofern aeine definition (ebenao wie 
die LflbbertSi von dem apllter die rede sein wird) nicht fttr daa impf, 
und plusqpf. im verhttltnia zum abaolnten perf. hiat., woU aber fttr 
die formen des yerb* infin. paase. ich weiaa nicht, welche stelle bei 
Hnff|yi^np damit gemeint ist, da Haie darüber keine bestimmte an* 
gäbe macht; aber wenn es bei Hoffmann z.b. a. 198 heiszt, das weaen 
der relativen zeitgehnng beatehe darin, ' dasz ereignisse ihrer aelb- 
ständigen temporalen anasageform entkleidet, nicht nach maaagsbe 
ihrer zeitlage an sich — vom Standpunkte des sprechenden aus — y 
sondern nach maszgabe ihrer läge zu dem bauptereignisse temporal 
ausgeprägt und sonach als solche hingestellt werden, die entweder 
noch im verlaufe begriffen oder schon zum abschlusz gediehen waren, 
als die handlang des hauptsatzes eintrat oder sich Tollzog', so moaa 



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W, 6« Haie: fhe omnHsonttractions, iheir histoty a&d fimctioiis. 45T 

num g«Btebeii, dftsz domii genau genommen die temiporale bedentnng 
des verb, infin. gekennzeieho^ wird, richtiger, meine ioh, wSre die 
definition gewesen, wenn Btett *nieht — sondern* in den angeführten 
werten gesagt wäre 'nicht nur — sondern aneh'; denn entschieden 
beseichnen ein relatives impf, oder plasqpf. zunächst auch die zeit- 
läge der handlang im Verhältnis snm sprechenden.' ieh möchte dabei 
noch auf einen andern, von Haie nicht erwähnten, punkt aufmerk- 
sam machen, aus dem mir eine gewisse Unklarheit in der auffassung' 
der relativität hervorzöffeben scheint, wenn HolTinann z. b. s. 92 
bemerkt: 'die temporale selbsländipfkeit des relativen frliedes (nem- 
Hch eines cum-satzes e. in die. impf.) in den gegebenen beispielen er- 
hellt daraus, dasz man es tiberall aus dem satzverbande loslösen und 
in seiner unmiltelbaren zeitgestalt als freie aussage einer in der Ver- 
gangenheit liegenden zusländlicbkeit hiiibieiien kann', so vermag ich 
diese wortu nicht anders zu verstehen, als dasz der absühite gebrauch 
des impf, in den fraglichen neben^ätzen ächon auy dem umätande 
hervorgehe^ dasx anch bei selbständiger gestaltung derselben in form 
eines haupteataes das impf, stehen wttrde. in demibea weise scheint 
der nmstfoid, dasz bei postquam nnd genossen der indic« perf., impf, 
nnd plusqpf. genan in derselben temporalen form stehen, die die be* 
trefföiden verba in selbstSndiger aussage haben wfUrden, von diesen 
drei tempora aber ausserdem nodi das perf • sweifellos als absolntea 
tempus zu fassen ist, Hoffmann zu der annähme verleitet zu baben^ 
dass deshalb aueh impf, und plusqpf. absolute tempora seien, es ist 
aber klar, dasz diese folgerung falsch ist, weil die letztgenannten 
tempora aueh in selbständiger (coordiniei ter) form nur eine relative 
auffassung zulassen würden, man könnte ja sonst in einem satse wie 
Datis etsi non aeqaum locum videbat (intellexerat) suis, tarnen proe- 
lium commisit den unzweifelhaft relativ gebrauchten verben des 
nebcnsatzes einen absoluten gebrauch zuschreiben, weil dieselben 
auch in selbständiger gestaltung des nebensatzes dieselbe form haben 
würden: Datis locum non aequum suis videbat (intellexerat), tamen 
proelium commisit. auf einer ähnlichen unklaren auffaääuug beruht 
es nach meiner ansieht (Haie berührt diesen punkt nicht), wenn 
HofFmann s. 8 und 96 den stellen besondere beweiskraft für seine 
theorie zuschreibt, in denen puatquam usw. sowieauch cum den indic. 
perf. und impf, neben einander bei sich haben, aber m Miellen wie 
Liv. n 7, 3 nam postquam illuxit nec quisquam hostium in con- 
apaetn erat^ eonanl spolia l^git usw. sieht allndings das impf, nicht 
ia relatioa zn dem verbnm des hauptsatzes , sondern zu dem coordi« 

* die relativität des verb. infin. und der relativ gebrauchten tem- 
pora des verb. fin. ist eben eine gaus verschiedenartige, und deshalb hat 
Haie recht, wenn er es IBr verfehlt hält, für beide veiliältafsee denselben 
RusilruL-Ic zu gebrauchen, eine scharfe unterscheifiunj]: bieten z. b. Latt- 
iiiHTin -Müller , die beim verb. fin. von selbatändigteni (absolutem) und 
bezogenem (relativem) gebrauch reden, dem verb. inün. aber nnr eine 
abhängige aeitbeselennoiig zaspreoben, iasofern dieses gans Ia die 
aeitsphaire des verb. fin. hinübergesogea wird. 



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458 W. G. Haie: tbe onm-coiifliraoiioiM, tbeir faistozy and fonctionB. 

nierten illuxit ; aber auf alle fälle ist es relativ, und wie aus diesem 
TsrfaSltiiis folgen soll, dasz ein allein stehendes impf, nach post- 
quam usw. nur absolut gefasst werden mttste, Termag ich nicht ab* 

snsehen. 

Nach alledem können iudic. impf, und plusqpf. in temporal- 
eätzen (dasselbe gilt ja natürlich auch für die cum-sätze) nur als 
relative tempora betrachtet werden'; damit ist aber im gründe das 
oben erwähnte grundgesetz der Hoffmannscben tbeorie schon hin- 
fällig geworden. 

3) Selbst wenn zugegeben werden mOste, das2 der indie. impf, 
und plusqpf. bei postquam usw. immer mit absoluter zeitgebung' 
verbunden sei, so würde sich daraus noch lange nicht die folgerung 
ergeben , dasz in den fällen , wo wir es mit dem relativen gebrau<£ 
dieser tempora zu thnn haben, darum der conj. derselben eintreten 
mtlBse^; man mflste denn nachweisen, dasz der conj. dieser tempora 
eine andere temporale geltung bat, als der indie. nun sucht freilich 
Hofimann hinsichtlich des plusqpf. su erweisen, dasz der indie. des* 
selben bei postquam usw. (ebenso auch bei cum, um dies hier gleich 
mit TOrweg zu nehmen) stets logischer natur sei und somit temporal 
einem absoluten impf, gleich stehe , der coig« aber stets aoristisoh, 
also relatiT' im Verhältnis sur haupthandlung gebraucht sei. aber 
wenn man die reihe der von ihm beigebrachten beispiele durch* 
mustert y so sieht man nicht ein, weshalb bell. Afr. 37, 1 postquam 
copias auxerat logisches, dagegen Cic Manil. 9 posfeaquara aedifi- 
casset ornassetque classes exercitusque magno.s — comparasset aori- 
stisches plusqpf. sein soll, ebenso verglcichü man Sali. lug. 97, 1 
postquam araiserat und Cic. Deiot. 36 posteuquara amisisset, Nep. 
Lys. 4 , 3 postquam dixerat mit bell. Afr. 91 , 4 postquam orasset, 
bell. Afr. 38, 4 postquam animadverterant mit Valer. Max. 5, 7, 2 
p. conspexissent, Cic. Att. 5, 10, 1 ut vcneram mit Caes. b. g. 5, 8, 6 
cum cünvenisäent usw. — nirgendö iüszt sich absehen, worin denn 
eigentlich eine temporale Verschiedenheit der beiden modi liegen 
soll; hat der indie. in den einzelnen fftUen logische natur, wi« «r es 
ohne frage hat, so hat sie ebenso gut der ooig. und dieser steht somit 
dem indie temporal ganz gleich. Hoffmann hat eben, von seiner 
einmal, aufgestellten tbeorie ausgehend, die einzelnen stellen mit 
voller Willkür für seinen zweck gedeutet und alle ooiyunctive fftr 
aoristiseh, alle indicative für logisch erklärt. 

4) Mislungen erscheint auch die erkUrung des eoig. bei com 
causale. auch für cum sucht Hofimann seine grundregel su erweisen, 

' so richtig auch LattmannoMGller, die Haie wohl irrtümlich als 
aohänger der HoffteaDnsehen theorie beseiobnet. 

' IToffmana sagt freilich s. 46: 'so wird sicTi von seihst die folge- 
rung' ergeben, äusz \n diesen fällen mich der am eiogange ange* 

deuteten grundregel über deu modus der zeitpartikela — der conj. — — 
einsutreten bab«'; aber Haie macht mit recht darauf aufmerksMo, dass 
diese 'grundregel' bU dahin doch nur eine annähme, eine ideht bewiesene 
behaaptaog ist. 



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W. 0. Haie: the clUü-cöüötrucüoüB, their history and luuctions. 459 

cIsBz (wie er sicli 8. 6 mit etwas andern werten ausdrückt) der indic. 
nur ralBssii^ iat, wo com dm seitanadniek naeh eoor dinierte« 
verbindet, dasa dagegen bei temporaler Unterordnung der 
eoiq. eintreten mosi. darnach Bei für den indic. erforderlieb ToUa 
aeitgleiohheit der dnrcb com Yorbnndenen handlnngen, so daas die 
beklen seitlieb snaammrafallen; wo aber die beiden glieder dieser 
zeit^iobbeit unter sieb entbehren, da sei nieht mehr der modns der 
bedingungslosen aussage, der indic., salissig. denn die beziehong 
swisoben zwei derartigen handlangen könne eben nur subjectiver art 
sein und erfordere daher den oonj.; das aber sei das gebiet des cum 
cansale, dessen construction sich dann von den aätaen mit unglei- 
chen Zeiten auch auf solche aosgedehnt habe, in denen absolute zeit- 
gleichbeit vorlianden sei. da fragt es sich mm freilich, worin der 
grund zu einer solchen ausdehnung liegt, denn einmal ist der fall 
sehr selten, dasz in causalsätzen der haupt- und nehensatz in einer 
verschiedenen zeit liegen, so dasz sich vielleicht ein fall derart unter 
60 (oder yielleiclifc gar 500) findet; wie kommt es da, dasz gerade 
diese vereinzelten fälle den indic. nach causalem cum ganz verdrängt 
haben? viel eher hätte man eine solche entwicklung doch in tem- 
poralen cum -Sätzen erwarten sollen, da hier nach der aufgestellten 
tbeorie der conj. von vom herein viel häufiger sein muste. der fehler 
liegt darin, dasz Hoffmann bei diesen dednctionen die bistoriscbe 
«ntwicUnng von com niobt in beiraobt liebt. so lange es die eigent- 
lieb temporale. bedentong bat mm eo tempore quo, kann es natttrlieb 
niebt baadlnngen nngleicber seit verbanden; wo aber der temporale 
sinn sorOcktritt oder ganz Tcrloren gebt (nnd für eine solcbe ent« 
wicUnng finden sieb in dva andern spnudien genag parallelen, TgL 
z.b. engl, while, deutsch wenn, während), da Uegt gar kein bedenken 
gegen solche Verbindungen und kein grund vor, deebalb den eoij. 
zu verlangen, haben ihn doch auch quoniam und quando nicht er- 
halten , trotzdem sie bei ursprüngUcb temporaler bedeatong ebenso 
bftufig ungleiche zeitlage verbinden. 

5) Im anschlnsz an die unter n. 4 gegebene entwicklung legt 
Hcffmann dar, dasz cum c. indic. an zwei bedingungen sfeknüpft sei, 
nemlich a) daez beide hnnillungen in der gleichen natürlichen zeit 
liegen (selbstverständlich kann auch bei verachiedenem grammati- 
schen zeitausdrnck gleichwohl zeitgieicbheit vorliegen, so z. b. zwi- 
schen perf. praes. und praes., impf, und plusqpf. log. usw.); b) dasz 
das verb des temporalsatzes in derselben zeit steht, als wenn es un- 
abhängig wäre." interessant ist nun eine probe nach maszgabe dieser 
bedingungen. z. b. Caes. b. g. 6, 41, 3 sie omnino animos timor 
praeoccupaverat, nt — <— dicerent usw. quem timorem Caesaris 
adventns snstnlit. hier ist praeoceapaverat offenbar logisch (Hoff- 



* wörtlich sagt HoffmHnn s. 65 'dasz der toniporalsatz in der ilim 
au sich zukommenden selbständigen zeitform auftrete'} aber obige worte 
Haies geben den iina wohl richtig wieder. 



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• 



460 W. G. flale: the com-coBstraotsoiu, their histoiy and Auotioiis. 

mann selbst fOhri m s. 20 als beispiel an) und die seitgleieiibeit mit 
SQStnlit i«t ancb vorbanden ; folgHcb w8re not^glieb cum animoB timor 
praeoccnpaverat — — , enm timorem CaeBaria adventus sastulit. 
aber jeder siebt, dasz das spracbwidrig wftre. oder Liv. 5, 7, 4 qood 

ubi Bomam nuntiatam est, maestitiam Omnibus iniecit wäre 

nacb derselben theorie zulässig quod cum — nuntiatum est. der i 
fehler ist, dasz Hoffmann den gebrauch der modi bei cum und ander- 
seits postqunra usw. gleichstellt, währund diese con junctionen in 
Wirklichkeit ganz verschieden von einander sind, denn postquam 
C. indic. — und es ist das ein bebr bedeutsamer punkt, der die Hoff- 
mannscbeu aufätellungen wesentlich erächültert — kann nicht durch 
cum c. indic, sondeni nur durch cum c. coni. ersetzt werden, unter 

6) fasse ich kurz einige Einzelheiten zusammen, zur stütze seiner 
theorie behauptet Holfmunn s. 79, für diu gegenwai't und zukunft 
existiere keine temporale relativität; aber sie ist erwiesen durch den 
relativen ansoblnsz des Terb, infia. snoh an diese Zeiten, ferner findet « 
er Gic. Pbil. 14, 80 quam cum diffidOimo reip. tempore 'seoitti sunt 
ein IttstoriscbeB (aoristisches)» dagegen de or. 154 etun iUam sapi- 
entiam dnobns prope saeculis ante cognovit ein logisches perf., wäh- 
rend der angensefaein zeigt, dass man eher das nmgelcelirte anznaehmen 
berechtigt ist nnd jene erklärung rein willkttrlieli ist«' auch gegen 
die 8. 115 gegebene definition Hoffmanns: *enm o. indic nennt nnd 
beschreibt die zeit, zu welcher die handlung des bauptsatzes statt» 
fand ; cum c. conj. dagegen bezeichnet den Zeitpunkt, auf welchem, 
oder den Zeitraum, innerlialb dessen das im hauptsatz ausgesprochene 
sein eintrat oder sich vollzog', erhebt Haie berechtigte bedenken 
durch den hin weis, dfisz es stellen genug gibt, für welche dieselbe 
nicht genügt, mir scheint überhaupt diese ganze Unterscheidung der 
genügenden klarbeit und schärfe zu entbehren; denn wie mau auf 
grund der unterscheidenden ausdrücke 'die zeit zu welcher', 'der Zeit- 
punkt auf welchem*, Mer Zeitraum innerhalb dessen' ein klares biM 
von dem doppelten modusgebrauche bei cum gewinnen will, vermag ^ 
ich nicht abzusehen. 

Ich benutze diese gelegenheit, um auf die erörterungtiu über 
cum bistoricum und cum temporale einzugehen, welche F. Glöckner 
in diesen blättern kürzlich (1889, s. 415 --21) in ansdrOdcliehem 
anschlusz an Hoffmanns Untersuchungen yerOfGBntliebt hat. G-. 
kommt dabei scblieszlieh zu folgenden sätzen: 'cumtemp. (c. indic.) 
bezeichnet den zeltranm, in welchen dienebenhandlungfittlt, als den 
Zeitraum, in welchen ausser der nebenbandlong auch die haapthand- 
lung fällt; cum histor. (c. conj.) bezeichnet den Zeitpunkt, auf wel* 
chen die nebenhandinng fällt als den Zeitpunkt, in (unter) weleimn i 

* auffallend ist es natürlich auch, wenn Hoffmann (s. 67 — 69) an 
vier stellen (oral. IQ'd cum spoUaveris konnte Haie noch hiosufügen) 
den offenbaren «onj. perf« in der 8. sing, tm 'man* als indle. bekandeH; 
aber ich möchte dies Yertehan weniger betonen , da es sohlieealich filr 
das ergebnis der ganzen nntersnchang unwesentlich isfc. 



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W. G. Haie: the cum-coostiuctions, their historj and functions. 461 

die baupthandlung an die nebenhandlimg sich anschlieszt bzw. vom 
Schriftsteller angescblosseii wird.' offbnbar bsben wir in- diesen 
stttsen eine etwas scb&rfere nnd yerstftndlichere nntersebeidung als 
in der oben angefahrten definition HoffioanDS« aber sunftchst weiss 
ieh nicht, ob Hoffmann selbst, auf den sich doch Q. bei seinen ans* 
einandersetsnngen ansdrttcklicfa sttltst, diese stttze annehmen wird; 
denn von der hier gegebenen scharfen gegenflberstellung von seit- 
punkt nnd seitranm für conj. und indic. vermag ich bei Hoffmann 
nichts sa finden, was aber die bauptsacbe ist, die aufstellung G.s 
wird meiner ansieht nach durch den factisoben gebrauch nicht be- 
stätigt, in dem bekannten com Caesar in Galliam venit b. g. 6, 12^ 1 
wird nur ein Zeitpunkt, kein Zeitraum gegeben, und somit wäre nach 
G. der conj. nötig, flenn wenn G. sagt, unter dieser 'zeit wo' (= cum) 
sei iiatüriich der Zeitraum zu verstehen, in welchen Caesars ankunft 
in Gallien hineinfällt, so ist das meines erachtens eine künstclei, 
durch welche der zeitliche begriff des cum-satzes willkürlich ausge- 
dehnt wird, ferner nat. deor. 1, 59 cum essem Athenis, Zenonem 
audiebam frequenter, soll cum den ^Zeitpunkt bedeuten, auf welchen 
die nebenhandlung fällt', der sinn soll sein 'erst war Cicero in 
Athen anwesend, dann hörte er den Zeno häuüg'. ich musz ge- 
steheu, vveim diese deutung zulässig ist, so läszt sich meines erach- 
tens jeder satz jeder regel anpassen, denn ohne frage bezeichnet hier 
\}Qm den sotraum, in welchen das audiebam hädnfiUlt; Cicero 
war nicht bloss vor» sondern anch nach dem andire in Athen« ebenso 
wenig vermag ich in andern von G* angefahrten stellen (s. b. Nep. 

Hilt 1) 1 Mütiades cum floreret eaqne esset aetate ac« 

cidii. Agee. 8| 6 hic cnm ex Aegypto reverteretar — in morbnm 
implicitns deoessit. Cic. fam. 2, 19, 3 aecepi littoras in Cilicia, cum 
essem in castris a. d. X. Kai. Quint. Scaur. 47 cum illud templom 
arderet — r in medios se iniecit ignes) eine bestätigung der obigen 
r^el SU erkennen, sondern ich wttrde nach derselben vielmehr überall 
den indie. erwarten, ttbrigens erscheint mir dieselbe, um das neben, 
bei zu bemerken y gar nicht ^so einfach , dasz sie auch der schüler 
verstehen kann', wenigstens wird es der 'durchschnittstertianer', 
von dem G. f^elegentlich redet, nach meinen erfahrung-en nicht 
können, namentlich wenn so künstliche erkhirungen im einzelnen 
hinzukommen, wie ich sie oben angeführt habe, doch ich kehre jetzt 
zu Haie contra Hoffmann zurück.' 

7) Recht deutlich zeigt sich auch die Unzulänglichkeit der Hoff- 
mannschen theorie bei der lehre über cum — tum. auch hier soll 
nach dem grundgcielz der conj. da eintreten, wo die haudlungen, 
welche die teile der partition bilden ; absolut verschiedenen zelten 

' die aasetsnng von Langlotz (in dieser seitaclirift 1887, b. 618 ff.) 

ist eine praktische reg-el, die allerdings für viele fälle passt, aber bei 
weitem nicht für alle, wie G. a.a.O. genügend gezeigt; öcheindler frei- 
lich Int. scbulgramm. § 197 hat sie aufgenommen und mit deu Hoffmann- 
schen theorien verquickt. 



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462 W. G. Haie: the cum-coiistructious, their kibtor^' and iuiictioas. 

angehören, man mag es gelten lassen, wenn er in diesem sinne fam* 
15, 9, 1 enm te a pneritia tna mniee dilexerim tiiqne — volaeris et 
indioaris, tum — dUigo ein perf. bist, annimmt; aber es bleibt dann 
docb anffaUend, dasz &m. 15, 7, 1 ein cum te Semper amari dilexi«- 
qne ab perf. log. erklftrt werden mosz, nm der regel gegenüber dem 
tarn — — cognovi*, tum snm et debeo des banptMtzes an genttgen. 
ebne frage aber spreoben gegen die regel stellen wie iam. 1, B, 1 
cum antea Semper fult, tum boe tempore — confidit. fam. 6, 14, 1 
enm te Semper maxime dilezi , tum — patitur, denn hier steht trots 
absoluter Seitverschiedenheit der indic. ferner fam. 12, 30, 2 nam 
cum antea distinebar mazimis occnpationibus — tum hoc tempore 
miilto distineor vehementius erklärt freilich Hoffmann den indic. 
trotz ungleicher zeitlage dadurch, dasz bei Wiederholung desselben 
verbs nicht sowohl verschiedene handlungen, als die dabei stehen- 
den adverbiellen bestimmungen des orts und der zeit einander ent- 
gegen gestellt würden; alier es ist doch auffallend, dasz durch die 
blosze wähl des ausdrucks das ganze grundgesetz umgestürzt werden 
kann, dasz femer die Verschiedenheit der zeitlage um so weniger auf 
den modus wirkt, je mehr sie durch die wähl des gleichen verbs 
hervortritt, endlich hat Hofifmann früher bebaupiet, relativität findo 
sich nur im präteritnm; wie erklftrt sieb dann aber der coig'. praes. 
bei enm — tnm an stellen wie Lael. 28 cum plarimas — commodi- 
tates amieitia eontineat, tnm illa nimirum praestat omnibns qnod* 
usw.; Shnlicb nat. deor. 1, 1. off. 8, 6« 

8) Somit dOrfte wobl Idar sein, dass die ganze lehre Hoffmanns 
ein tbeoretiscbes kunstprodnct ist, das durch den factisehen Sprach- 
gebrauch wie durch innere Widerspruche genttgend widerlegt ist. es 
ist deshalb wohl erlaubt die erörtemng der gründe, welche Hoffmann 
scblieszlich vorgebracht hat , kurz zu fassen : scheint er docb selbst 
keinen besonderen wert darauf sa legen, da er sie erst 13 jabre nach 
der ersten Veröffentlichung seiner theorie in der zweiten aufläge 
seiner abhandlung zu tage gefördert hat. für den conj. plusqpf. in 
Sätzen temporaler relativität wird der grund gegeben^ dasz, wo zwei 
handlungen der Vergangenheit sich nicht temporal berühren, indem 
die eine schon zum abschlosz gediehen war, ehe die andere eintrat 
— dasz hier subjectiv der zeitcontact durch den conj. wieder- 
hergestellt, aus dem aoristischen plusqpf. ein logisches geschaffen 
werden musz. aber abgesehen von all den früher erwähnten be- 
denken lüszt sich doch nicht beweisen, dasz der conj. die kraft hat, 
temporal verschiedene facta in berührung zu bringen und ein ding 
in das zu verwandeln, was es von natur nicht ist. wenn femer der 
conj. impf, im temporalsatz auf einen potentialis zurflekgefllbrt wird 
(cum Romae essem etwa =» *als ich noch — schon sein mochte)| 
so betont Haie, dass ein solcher potent, in der lateinischen spräche 



• so die vttlgat«; bei dem cum eognoW Weeenbergs wird die atell» 
für Hoffmann noch augunstiger. 



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W. G. Haie: the cam-constructioiiB, their bifitorj and functions. 463 

unerhört ist. denn videres heiszt 'man hätte sehen können*, nicht 
'man sah es wirklich, und diese;^ sehen fiel vielleicht noch — schon 
mit einem andern sehen zusammen*; der potent, hat modale, nicht 
temporale bedeiitung. 

Einige jähre nach dem ersten auftreten der Hüffmannschen 
theorie wurde die sache wieder aufgenommen durch Lübbert (die 
sjntax von qaom nnd die eniwicklung der relativen tempora im 
lUteren l«tein, Breslau 1870). dieser eignete sich die grandlegenden 
' sStze der HofEmannseben theorie voll nnd ganz an and Tersnehte 
derselben eine ansf&briicbere nnd sefaftrfeie begrllndang sn geben, 
tiamentlicb durch heransiebnng des Siteren latein. aber in diesem ' 
bestreben wich er doch schliesslidi vielfiMsli von Hoffmanns an- 
atchten ab , wenn auch bei beiden die Scheidung zwischen relativen 
nnd absoluten zeiten die hauptrolle spielt; und so erklSrt es sieh, 
dasz Hofimann in der zweiten anflage seinen treuesten anhSnger 
verleugnete nnd behauptete, derselbe habe ihn gänzlich misver* 
standen. 

Mit der abhfindlung Lübberta können wir uns kürzer fassen; 
denn einerseits sind manche seiner anfstellungen schon von Hoffmann 
widerlegt, anderseits hat seine lehre nie den eintiusz gewonnen wie 
die seines vorgSngers. mit recht sagt Haie, dasz L. methodisch den 
einzig richtigen weg eingeschlagen hat durch die historische behand- 
lung der sache; aber trotzdem ist er auf abwege gekommen, nicht 
nur hat er manche einzelne stellen gezwungen erklärt — fehler, auf 
die hier einzugehen zu weit führen würde • — , sondern auch die all- 
gemeinen, von ihm üufgesteliten gesichtapunkte eracheinen vielfach 
als verfehlte versuche, fehlerhaft ist es, dasz L. nicht versucht hat, 
den causalen und adversativen gebranch von com mit dem tempo- 
ralen zu vermitteln, da dodi offenbar ein innerer znsammenhang 
existiert; das zeigt teils der unmerkliche Ubergang eines gebranohs 
in den andenii teils der omstend, dasz das Altere latein fttr alle drei 
fftile nur den indic. kennt* verfehlt ist es, wenn L. den conj. bei 
cum cansale einmal durch sabjective fassung, ein andermal durch 
assimüatiön an die indirecte rede erklärt; beide annahmen werden 
auszerdem genügend durch den hinweis auf qaod, quia, quoniam 
widerlegt, bei cum temporale soll der conj. zuerst eingetreten sein, 
wo momentane bandlungen dem hauptsatz untergeordnet waren, 
weil eben solche handlungen leichter sich snbordinieren lassen als 
dauernde, aber diese annähme gründet sich , abgesehen von andern 
bedenken (vgl. Hoffmann s. 187), nur auf eine einzige unsicher über- 
lieferte stelle des Ennms . der zu liebe noch dazu zwei stellen bei 
Terent. und Plaut, sich eine änderung gefallen lassen müssen, die 
aufsteiiungen L.s, dasz es verschiedene grade relativer auffassung 
gebe, dasz das ältere latein den relativen gebrauch des impf, und 
plusqpf. noch nicht kenne, sondern diese tempora nur absolut ver- 
wende, endlich dasz der codJ. in der relativen Subordination als ein 
modus des^mcht-seienden, nicht-wii'klicben' zu erklären äei, erwähne 



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4Ö4 W. G. Haie: the cum-constructions, tbeir historj aad functions. 

ich hier nur kurz, da sie sclion an sich unwahrscheinlich genug klin- 
gen, zum teil auszerdem schon durch Hofiinann widerlegt sind; 
weitere bedenken führt noch Haie s. 63 — 69 aus. 

Nacbdem H. so die bisherigen ansicbten widerlegt hat, wendet 
er sich dasii^ seine eigne tfaeorie rafsustellen; dabeiist sein vorgehen 
dnrchans metbodisoh. snnlchst weist er darauf hin, dasz -der ge- 
brauch von cum aus einem Tevgleieh mit postquam, ubi, ut, simulBG 
sich durchaus nicht erklSren lasse; denn wenn auch bei diesen con^ 
junctionen manchmal eine causale oder adversative besdehong hervor- 
tritt, so ruft dieselbe doch nie den conj. hervor, ebenso geben 
quando und quoniam keinen aufscblusz; obwohl uraprflnglich tem- 
poral, behalten sie doch bei ihrem übergange in die causale bedeu- 
tung den indic. bei. ähnlich steht es mit dem ursprünglich ezplica- 
tiven quod und quia; auch hier bleibt der indic. der regelrechte 
modus, endlich bringt auch ein vergleich mit quamquam keinen 
nutzen; denn obwohl hier die adversative idco im reinsten lichte er- 
scheint, steht doch der inJic. dagegen verdient cum wohl zusammen- 
gestellt zu werden mit dem pron. relaf.; denn nicht nur ist es ur- 
sprünglich eine bestimmte ca&uöform dieses pron. (die jedoch in der 
weise beschränkt ist, dasz sie nur auf ein temporales antecedens be- 
zogen werden kaiinj, bündern es zeigt sich aucb leicht, dasz die arten 
der mit cum und qui verltundenen nebensatze im wcbentlichen die- 
selben sind'; aurizcidem haben beide arten das gemeinsam (zusammen 
mit ut consecut.), was sonst keine verwandte spräche kennt, nemlich 
dass sie that^ohliehe angaben im cosg* machen können, beachtens- 
wert ist auohf dass cum und qui allein durch ut, utpote und quippe 
verstSrkt werden kOnnen. 

ITnier diesen umstBnden ist bei der erklBrong der cum-sftiM 
zunSchst Ton einer genauen analyse der, qui*sStse auszugehen. iBr 
diese werden nun folgende grappen unterschieden, deren anfUhrong 
hier im hinblick auf den ganzen gang der Untersuchung unerUss* 
lieh ist. 

L Indicati vische qui-sStze; diese sind: 

1) determinativ; dann bilden sie ein wesentliches Satzglied, 
da das antecedens an sich keinen vollen sibn gibt. Caesar ab üb 

haeo cognovit, qui sermoni interfuerunt b. c. 3, 18, 5. 

2) qualitativ (charfikterisierend). relinqaebatur anaper Se- 
quauos via, qua — ire non poterant. 

3) Sätze mit causaler oder adversativer beziehung auf 
den hauptsatz. illc vir fuit; nos quidem contemnendi, qniauctorem 
odimus, acta defendimns Phil. 2, 96. 

4) Parenthesen. 



* zweifelhaft erscbeiot nur die ansetzung eines finalen conj. bei 
cum, wie denn auch HHle selbst hierfür nur eine stelle unter betleul.ea 
Torbringt, gründe, weshalb dieaer gebrauch fehlt, tiadet man übrlireiia 
bei Haie s. 8i. e > « 



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W. 6. Haie: the oum-coudtructioDs, their history and iuQctions. 465 

5) beiläufig angeknüpfte bemerkuDgen vgl. Cat. mai. 14 
quem quidezu probe meminisse potestis. 

6) fortführender natar (relativisühe anknüpfung). 

AUe relativsAize unter 2~*6 sind unweseniiielie Satzglieder, 
insofern das anteeedena aach oboe sie vollen sinn gibt, 

7) hypothetisch, qni (>■ si quis) fortis est, idem estfidens* 
diese haben ein allgemeines antteedens, während die sStse nnter 
1 — 6 sieh stets an eine individneU bestimmte person oder saehe an- 
scblieszen. 

IL Conjuncti vische qni-sKtse; sie sind dem Inhalte nach: 

8) bypothetiscb. baec qai («aas ai qnis) Tideat, nonne cogatnr 
eonfiteri deos esse? nat. deor. 2, 12. 

9) consecutiv oder qualitativ. 

10) causal oder adversativ (= concessiv). 
Es ist klar, dasz die gruppen 1 — 8 modal ohne schwieri^rkeit 
sind, denn in 8 erklärt sieb der conj. genügend durch den bypo- 
tbetiRclien sinn; scbwierigkeiten maebt dagegen der modus in den 
beiden letzten gruppen. zunäcbst für die consecutiven sätze 
dienen als auagangspunkt Sätze wie nihil eciistor est quod facere 
mavelim Plaut. As. 868 oder quh Lomost qui dicat me dixisse istuc? 
Baccb. 802. denn bier ist sofort ein innerer gruud des modus klar; der 
conj. muste schon bei selbetändiger gestaltung des qui-satzes stehen 
(nihil facere mavelim » nichts möchte ich lieber), derartige relativ- 
sätze charakterisieren das antecedens dureh angäbe von bandlungen, 
die sidi naturgemftsz ans seinem Charakter ergeben kOnnen; da 
aber hier der conj. nötig war, so erklSrt es sich durch die kraft der 
analogie, dass er anch in qui-sStzen eingang fand, welche das ante- 
cedens durch acte charakterisieren, die sich thats Schlich aas 
seinem wesen ergeben; so dasz sich daraus sätze entwickeln wie 
nemo eistat» qniibi sex menses vixerit Plaut. Trin. 543, wHhrend 
doch der selbständige satz hier als ausdruck eines factums nur nemo 
vixit beiszen könnte, von hier aus geht die entwicklung freier vor* 
wärts, wie Haie in einer reibe von abstufungen an geschickt ge- 
wählten beispielen zeigt, die äuszerste stufe zeigen classificierende 
Sätze, wie supersnnt qui de pbilosopbia scripserint Quintil. 10, 
1, 123*'; auf die nicht wesentlichen qui-sätze (2 — 6 oben) dehnt 

10 4 und ft hEtten wohl zu «iner grappe vereiiiigt werden können; 
indes musz die untencheidang in den gmppen 2^6 immer etwas 8ob> 

jectives haben. 

<^ mit der behandlung dieser satze s. 120 — 22 vermag ich mich übrigens 
Bteht gans einverttandea su erklilran. sttDi«h8t be»ehritnkt sieh dieser 
classificierende conj., wie er in den citierten beispielen sich findet (oder 
auch PHn. epist. 2, 14, 6 babent aetatem eorum, qui nuper togas sum- 
pserint)| doch wohl auf den nachelassischen Kebranch; classisch steht 
dafttr der iidle. in deteimiaativem sinne. hSehatene könnte noch b. g. 
2, 5, 5 post eam qnae essent hierher gezogen werden , indes nennt H. 
selbst diese constrnction sehr selten und die erklärung ist mir überhaupt 
noch sweifelbaft (das ciiat AU. 11, 10, 2 ist faUcb, daher bin ich 
fiber diese stelle nieht recht Idar), gans anderer art aber sind »eines 

M. iahrh, r. ]>M1. V. pU. IL «bt. 16M Mt. S n. ». BO 



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466 W. G. Haie: the cam-conetractions, tbeir higtoxy and fonctioxiA. 

sich der eoiy • nicht aaa« sondern findet an ihnen seine grenze, es ist 
erkl&rlich, dasz bei dieser allmfthliehen entwicklang, die znm grossen 
teil noch in historischer zeit vor sich geht, sich ein gewisses schwan- 
ken im gebranch seigt^ bis derselbe sich auf bestimmte formen fest- 
setzt, bei Plant, schon ist der coiy« regelmSezig nach Wendungen 
wie nemo est qui« quis est qui, schwankend nach si quis est qui, 
selten nach sunt qui. in dem letzten falle hat das schwanken nie 
ganz aufgehört; der conj. gewinnt nur langsam boden und ist erst 
in den spätem Schriften Ciceros regelmässig; jedoch nicht so fest, 
dasz nicht bei spätem autoren dafUr gelegentlich wieder der indic. 
einträte, auszerdem trat der conj. natürlich mehr zurück, wenn unter 
dem allgemeinen antecedens bestimmte personen oder sacben ver- 
standen , namentlich wenn diese durch einen zusatz wie multi, qui- 
dam usw. angedeutet wurden (beispiele s. 108 — 12). 

Für die eotwickluD^ deö causalen conj. sind zu beachten bätze 
*wie Plaut. Bacch. 91 sumne autem nibili, qui nequeam mgenio mo- 
derari meo? hier gibt der qui-satz zunächst eine folge , welche sich 
aus dem cbarakter des anlecedens ergibt, aber zugieicij rechtfertigt 
er auch die im hauptsatz aufgestellte behauptung und gewinnt so 
causalen sinn, durch das häufige vorkommen solcher sfttze — und 
gerade bei Plaut, steht der cox^. besonders in derartigen oder diesen 
nahestehenden beispielen — rerbindet sich allmtthUch die causale 
idee mit dem modus, und je mehr diese hervortritt, desto mehr geht 
die ursprüngliche consecutiTe verloren." dieser coij* dehnt sieh 
selbst auf die nicht wesentlichen relatiTafttze aus. ein passendes 
analogen für das schwanken zwischen oonsecutiver und causaler be* 
deutung bietet das englische *th&t* in sätzen wie *wbat manner of 
man is this , that (griech. ÖTl) the winde and the sea obey him?' 
(Matth. 8f 27). aus dem causalen gebrauch entwickelt sich leicht 
der adversative; im letztem &lle gibt ja der satz auch einen grund, 
nur f ttr das gegenteil. 

eracLtens die r eatrlngi erenden beispiele mit qui quidem, welche H. 
unter dieselbe kfttegorie bringt, an den erwähnten nAeholassiflohen 
stellen ist der qui-satz ein wesentlicher hestandteil des ganzen; die 
restringierenden sätze dage|2^en sind durchweg parentlietische bemer- 
kungen» die eine subjective eiusuhränkung vom staudpuukte des autors 
entlwlten, daher cnsammen su stellen mit qnod 8ci«m usw* auf diese 
nicht wesentlichen parenthesen geht aber, wie H. selbst sagt, der qua- 
litative conj. nicht über, nun meint H. selbst, quod commodo tuo fiat 
liesze sich vielleicht potentiul erklären; Krüger § 614 fUUrt auch quod 
Bciam dAraaf surHekf and dem wQrde sich leicht ein quos qnidem cogno- 
verim, legerim, audierim usw. anreihen: fiberall wird die behanptang 
beschränkt durch den hinweis auf ihren snbjectiven (l arakter. ein 
mittelglied bildet vielleicht das von U. nicht erwähnte beispiel fam. 
1, 7, 3 cni litterae taae, quod fifteile intellexerim, periucandae fuemnt» 
dass übrigens in diesen aätaen der modasgebraueh stets ein «ehwankea» 
der war, ist bekannt. 

)2 übrigens m»cbt H. mit recht darauf aufmerksam, dasz diese ent- 
wieklnng des qai cansale e, ooni. lAeh im wesMitlidm schon bei 0. 1\ A. 
Erttger graminatik der Ut* spraehe § 018, 8* findetb 



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W. G. Uale: the ciuu-couBtructions, their hi&torj and tuuctioQs, 467 

Dabei ist aber hervorzuheben, dasz in dem qui-satze sehr wohl 
ein causaler oder adveisativer ahm liegen kann, ohne dasz deshalb 
notwendig der conj. stehen müöte. es kommt eben darauf an, ob der 
redende es fttr angezeigt hält, das cansale oder adversative Verhält- 
nis beBonders berrorzubeben oder nicht; im letstem falle liegt es 
eben nur Im snsammenbange. so erklttrt es sieh, dass aneb bei dem 
Vorhandensein einer solchen besiehung sehr bftnfig der indio* steht, 
wie s. b. Plaut. Baecfa. 124 ff. : 

o Lyde, es barbams, 

quem ego sapcrc nimis censui plag qQam Thal^m. 

i, stnltior es barbaro poticio. * 
qui taatus natu deorum nescis nomina — 

und» beispiele der art finden sich zu jeder zeit, insonderheit auch 
häufier bei Cicero^ vgl. die zahlreichen stellen bei Haies. 113 — 117." 
dabei i^^t ;ibcr zu beachten, dasz in classischer spräche der conj. 
regei geworden ist aj nach quippe, ut, utpüte qui '\ b) in Sätzen wie 
me caecum, qui baec non viderim ; doch findet sich im letztern falle 
auch noch der indic. (ausnahmsweise jedoch nur, denn zu den stellen 
c. ooni. s. 115 lassen sich noch ganze reihen hinzufügen). 

Zeigt sich hier eine gewisse frelheit des gebrauche, welche durch 
die allmttblicbe entwicklnug bedingt ist, so finden sich anderseits 
auch sahireiche beispiele, in denen unter gans fthnHchen Verhält- 
nissen bald der indic, bald der ooxg. steht» weil in diesen Sätzen der 
Bubjectiven auffassung des redenden immer ein weiter Spielraum ge- 
lassen ist. ich deute die grappen (^contrastierende' constructionen 
bei Haie s. 122-— 36) kurz an: 

a) qualitative sätze können locker an das vorhergehende ange- 
schlossen werden (indic.) oder eng (co^j.)* Caesar: relinqne« 
batur una per Sequanos via, qua — Ire poteraot und erant itinera 
duo, quibus domo exire possent. 

b) qui -Sätze können determinativ zur einfachen bestimmung 
des antecedens dienen (indic.) oder qualitativ zum ausdruck der be- 

übrigens iat dieser puukt doch nicht so uubekannt, wie H. ge- 
legentlieh andeutet, in vielen gTammatiken ist allefdings di« regel so 

gefaazt, als ob causaler oder adversativer sinn nan auch notwendig 
den conj. herbeiführe; aber das richtiVp hat doch schon Krüger § 61S 
und besonders 614 anm. 3. vgl. auch du Mesnil zu legg. II 58. 

^* dagegen steht quippe qui bei Sallust regelmässig e, iadic. » Uhn- 
lidies findet sich vereinzelt bei Livias, Tncitus n. a.; aber deshalb 
möchte ich doch nicht mit TTale nat deor. 1, 28 die lesart der codd, 
quippe qui — revocat festhalten (Müller bietet übrigens revocet ohne 
Variante), denn die Verbindung des quippe qui c. coui. ist bei Cieero 
zn häufig', so R. A. 52. Phil. 3, 4. inv. 2, 131. or. 3,74. fam. 1,9,9, 
Att. 6, 1, 8. 10, 8, 6. 11, 4, 1. 11, 9, 1. Brut. 2, 5, 2, dn/u 20 stellen 
aus den philosophischen scbriften. ut qui c. coui. hat Cicero Phil. 9, 17. 
11, 30. Att. 2, 24, 3; utpote Phil. 5, 30; deshalb möchte ich auch das 
utpote qai solemtis Att. 2, 24, 4 mit andern beanstanden. 

zu eng fnszt Fisch de quibusdam partibus grammaticae latinae 
accnratins detiniendis (Bonner pro^r. 1882") s. 11 die sache, wenn er 
den gebrauch des causalen relativs auf diei^e sütze beschränken will. 

30» 



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468 W, 6. Haie: the onm-conatraotiona, their liittor^ and fonetiona. 

sebaffenheit. hW. 9,3.iBta Bententia ea est, qaae iieqne amioos parat 
neque immicos tolllt und ea est Bomana gens , quae victa qoieBcere 
nesciat. 

e) gibt beispi^e derselben art, jedoeb mit dem nnterscbiede, 
dasz der nebensatz mit einem gewissen naohdmck vorangescboben 
ist* B. A. 17 qüi ante bano pugnam tiro esset (oder erat) ^ 
superavit. bei diesen drei gmppea liegt bäafig eine causale (adver« 
sative) besiebnng vor. 

d) zwei acte werden identificiert (coincidenz) oder in ein cau- 
sales verbältnis gebracht, dorn. 99 senravi rempublicam, qni consal 
togatus armatos vici — vicerini. 

e) generelle annahmen hy}>othptischen sinnes im indic. (ge- 
wShnlich mit causal-adversativor beziehung) oder qualitativer conj. 
im anbcblusz an ein individuelles antecedens, nihil est stabile quod 
(c= si) intidum est und nihil quod ippis esset indignum committebant. 

f ) definierende qui-sätze stehen im iiidic. oder mit causaler oder 
qualitativer aullasbung im conj. temperantia est quae — monet 
fin. 1, 47 und natura est quae — contineat nat. d. 2, 29. 

So ist eine einteilung und Übersicht der relatiysStze gewonnen, 
war nnn die im anfang aufgestellte annähme richtig, dass die cnm- 
sStse sieb in ihren constmetioDen an jene anaeblieszen , so müssen 
die dort gefundenen zehn kategorien sich auch hier anwenden lassen, 
in der tbat ist das der Mi. so sind zunKchst determinative cnm- 
Mx» c. indic* vorhanden; hier ist eo tempore (die) cum e. t* quo. 
an diese constmetion schlieszen sieb auch fälle wie mnlti sunt annii 
com ille in aere meo est eigentlieh 'es sind viele jabre, in 
denen er mein Schuldner gewesen ist') usw. ebenso lassoi sieh 
die kategorien 2 — 8 mit cum nachweisen (s. 138 — 40). besonders 
hinzuweisen ist nur auf nr. 6, wo cum (ebenso gut wie qui) relati- 
visch anschlieszt, vgl. dorn. 22 litteras in contione recitasti^ cum 
etinm es argumentatus (^und damals führtest du ai^ch (^en beweis') 
usw. aus solchen fäller prwh^rhst dpr gebrauch des cum inversum, 
für dessen locker anknüpfenden Charakter auch Hofflnann a. o. 8.164 
zu vergleichen ist. 

Die Schwierigkeit liegt natürlich in den noch übrigbleibenden 
cum -Sätzen c. coni. für den consecutiven gebrauch bietet sich der- 
selbe ausgangspunkt wie bei den qui-sätzen, nemlich solche cum- 
sätze« die auch schon in unabhängiger gestalt den conj. erfordern 
würden, dem nihil est quod mavelim oben entspricht hier ein nunc 
illnd est enm mavelim (Plaut.), nnne com minime vollem (Ter.) 
u. a. m. die weitere entwicklnng ergibt sich dann in derselben 
weise wie bei qui, das ursprünglich consecntive cum gewinnt quali- 
tative bedentnng zur charakterisiemng der seit, in der etwas ge* 
schab«** bei com wie qui findet sich diese entwiekinng schon bei 

Ii. scblieszi auch hier die entwicklung mit den claMificierenden 
tfttaan; doch ist du eintige beispiel, das er gefanden hat (Brat. 223 
ila dnmtazat cam de repabiiea dieeret) kamn gaas unaafeehtbar. 



4 



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W. G.Haie: the cum-constructious, tbeir hisiorj aud functions* 469 

Plaut., beide arten von sätzen begegnen hier bchou nach unbe- 
stimmten ausdrücken des Vorhandenseins, beide hier auch mit dem- 
selben schwanken im modus (denn neben dem regelrechten fuit 
lempas com c* oonl. findet aioh auch nooh bei Cic der iadie. vgl. 
ittv. 1, 2« oft 1, 31). 

Soweit gehen die oonstructionen von cum nnd qui mit einander 
paraUel; von da ab aber zeigt sich bei den qualitativen oumHB&tzen 
vermOge der elgentttmlicben temporalen bedeotang dieser relativ« 
form ein von den eigenilidien qpi-BStzen nicht unwesentlich ab* 
weichender verlaof. sehon im ftltem latein bei Plant, nnd Teirent* 
tritt nns cum in seinen manig&chen bedeatnngen entgegen; aber 
die fraglichen Sätze zeigen äuszerlich keinen wesentlichen anter« 
sdiiedi denn es steht noch Qberall der indic.'^ (abgesehen natürlich 
von den oben erwähnten sätzen). dazu kommt, dasz zwischen den 
einzelnen gebrauchsweisen keine feste grenze liegt, sondern ein steter 
unmerklicher Übergang von der einen zur andern stattfindet, des- 
halb ist keine strenge Scheidung der einzelnen fälle möglich, son- 
dern es lassen sich nur nach allgemeinen (^Gesichtspunkten ein paar 
typen, gewissermaszeu als mitteipunkte gröszerer gruppen, heraus- 
heben; solcher typen stellt H. drei auf. 

Typus A. der qualitative cum-satz soll auf die haupthand- 
lung vorbereiten durch angäbe der begleitenden oder vorausgehen- 
den üieigniööe, soweit sie auf die bituation bezug haben, er schilderL 
die Situation, dabei sind die angegebenen handlangen entweder 
selbst etwas neoes im verlauf der ersfthlung oder wenigstens eine 
knrse zusammenfiiesnng dea ?oranetehenden^ dieses eam führt des« 
halb die erztthlung weiter, der cmn-satz steht gewöhnlich voran, 
oft jedoch auch nach , inhaltlich steht er einem part. gleich ; dabei 
liegt hSnfig ein caufiales oder adverBatives verhttltnis zum haoptsats 
vor — com narrativum s. historicam. 

Typus B. der qualitative cnm-sats sohlieszt sich an ein aus- 
drttcfcUch gesetztes eo tempore, tum usw. an, um dieses zu charakteri- 
Bieren; eine scharfe grenze gegen A ist nicht vorhanden, doch wird bei 
B das antecedens schärfer bestimmt oder empfunden, da solche sätze 
natürlich auch zugleich die zeit angeben, so ist, zumal bei der gleich- 
heit des modus, auch gegen die determinativen sätze die grenze 
Bchwankend. ferner führen sie die erzählnng nicht fort, sondern 
weisen meist auf einen von dem verlauf der erzäblung mehr oder 
weniger entfernt gelegenen punkt hin. auch eine causale (adversa« 
tive) beziehung liegt oft vor — rein qualitatives cum. 

Typus C. das causale (adversative) gefiihl ist in diesen sätzen 
bald stärker, bald schwächer, am schwächsten bei A; je mehr es her- 



17 über die wenigen stellen c. coni. Im altern latein vgl. s. 208 0'.$ 
sie erscheinen H. meistens zweifelhaft und vielleicht darch den Sprach- 
gebrauch späterer sbschreiber beeiuäuszt^ doch meint er selbst, das2 
man hier vorsichtig urteilen müsse. 



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470 W. G. Haie: the cum-construction», their histor^' and functiona. 

▼ortritt, desto mehr tritt die temporale idee zurück, hia sie schliesz- 
lieh gans schwindet md die cansale allein bleiht — eam oaasale 
8. adversatiTum. 

Biese s&tse zeigen also im Sliem latein alle noeh den indic. ; 
woher kam nun in classischer spraehe der coig«? in der fOr unsere 
litterarisohe kenntnis dankein zeit zwischra Terent. und Cie. ent- 
wickelte sich der qualitative conj. bei qni in der oben geschilderten 
ansdehnnng; es ist aber begreiflich , dasz unter dem einflasz dieser 
entwicklnng auch bei dem sprachlich so nahe verwandten cum der 
conj. immer mehr eiugang fand, so dasz bei Cic. ganz gewöhnlieh 
sind stttze wie rep. 2, 18 in id saecnlum cecidit Bomali aetas, cum 
iam plena Graecia poetarum esset usw. durch die Verschiedenheit 
des modus entwickelt sich dann allmählich deutlich der gegensatz 
zwischen determinativem und qualitativem cum; letzteres gibt jetzt 
den Charakter der Situation an, ersteres die zeit, zu der etwas go- 
schab z. b. R. A. 60 ne tu accusator es.«es ridiculus , si Ulis tem- 
poribus natus esües, cum — arcessebantur gegen R. C. 33 accepit 
agrum temporibus eis, cum iacerent pretia praediorum; andere 
zahlreiche Beispiele (mit und ohne causalen nebeusinn) gibt Haie 
8. 172—77. 

War so der conj* im typus £ einmal Ublicli geworden, so drang 
er in allmShlicher entwicklung unbehindert nach beiden selten bis 
zu A und C vor, da ja die einzelnen tjpen dnrch keine festen grenzen 
gesdiieden sind, sondern unmerklich und allmKblich in einander 
flbergehen. so kam er einmal in die cansal-adversativen lAtze (die 
allmShliehe entwicklnng von der rein qualitativen zur cansalen be- 
deutung zeigen die beispiele s« 179); in diesen ist die temporale 
kraft des cum ganz verloren gegangen, nur die idee des Charakters 
der Situation bleibt, vgl. Cat. 1, 10 quae cum ita sint, Catilina, perge, 
quo coepisti. dabei schwächt sieb die adversative idee nicht selten 
zum ausdruck des bloszen oontrastes ab« z* b. b» g. 4, 11 eorum erat 
quinque milium numerus, cum ipsi octingentos equites baberent; 
und daraus erklärt sich der conj. im ersten gliede der sätze mit cum 
— tum: cum Kemper te dilexerim, tum nunc dilif^o. 

Auf der andern seite steht die entwicklung zu typus A. hier 
bleibt die temporale kraft des cum-satzes bestehen, auch die causal- 
adversative beziehung ist meistens noch vorhanden, aber vielfach 
scliwächt sie sich immer mehr ab und verschwindet schlieszlich ganz, 
so dasz diese s&tze mit cum narrativum s. histoticum nur noch den 
Charakter der Situation schildern oder schlieszlich die Situation selbst 
geben, ein hübsches paiadigma für den aliiuiihlicbfcü Übergang vom 
rein qualitativen zum narrativen cum-satze gibt H. s. 200: 

^ ähnlich bezeichnet da« wort tempaa nach bekanntem ipraeb- 

gehrauch einerseits) die zeit, anderseits aber auch häufig die läge» die 
sitnation, z. b. in lioc tempore = in dieser kritischen läge. 

doch auch der indic. bleiht hier immer gleichberechtigt; beide 
modi siad ohne wesentUehen unterschied salSsgig, vgl. H. 8. 168. 



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W. O. Haie: the cam-oonstnietioiis, their hittoij and fonctiona. 471 
emit agnun iemporibna eis, cum iacerent pretia praedioram. 

• • iOOl I mm» m 

tum cum iaeerent pretia praedioram, emit agnim, 
cum iaeerent pretia praediomm, emit agram, 
die Suszerete greme erreicht diese entwicklong in efttzen wie aoad. 

2, 13 quae cum dizisset, sie rursas exorsus est. in dieser abge* 
schwächten bedentong entspricht der cum-satz der Situation einem 
part., besonders einem abl. absol.; vgl. OatuU. 67, 41 saepe illam 
audivi loquentem mit dem belcannten audivi eum (ex eo) cum diceret; 
oder fortissime pngnans occiditnr b. g. 5, 37, 5 mit cecidit Critias 
cum fortissime pugnaret Nep. Thras. 7, 2, ein interrop'atns mit cum 
intorrogaretur usw. oder sätze wie Aft. 5, 17, 1 hanc epistolam dictavi 
sedeus in rbeda, cum in castra proäciscerer, wo beide mittel zur 
Schilderung der Situation angewandt sind. 

In den meisten fällen stehen alle dies© sätze mit cum histor. 
dem hauptsatze voran, weil sie einleitender natur sind, weil sie 
durch öcbilderuDg der Situation auf die haupthandlung vorbereiten 
sollen, aber nicht selten sind sie auch nachgestellt, und da ist 
namentlich ein meist llbersebener, aber durchaus nicht seltener fall 
tu. beachten, wo der nachfolgende cam-sats dazu dient, die sitnation 
des haaptsatses anssamalen. PhiL 13, 19 ingressns est nrbem quo 
comitato vel potins agmine! cum deztra sinistra gemente populo 
Romano minaretnr dominis, notaret domos, diyisnrnm se suis nrbem 
palam minaretnr. 

Fassen wir nun die resultate des letzten teiles der nntersucbnng 
snsammen, so ergibt sich folgendes: 

cum c. indic steht rein determinativ, es gibt das da tarn der 
hanpthandlung nnd beantwortet die frage: *zn welcher seit?' 
(mit nnd ohne causal-adversative beziehung). 

cum c. coni. gibt die Situation, unter der die haupthand- 
lung eintrat, den Status rerum- es hoantwortet die frage: 'wie lagen 
die dinge damals?' (rai t o der ohne causal-adversative beziehung). 
dabei ist in folgender weise zu scheiden: 

1) der rein qualitative cum-satz (typus B) gibt zugleich Situation 
und datum; er ftthrt die erzählung nicht weiter, sondern weist auf 
eine auszerhalb des Zusammenhangs der erzftblung liegende, meist 
anderweitig bekannte thatsache hin. dieser fall ist bei weitem der 
seltenere. 

2) der narrative cum-satz (typus A) gibt den Charakter der 
Situation oder die Situation selbst; diese form musz eintreten, wo 
der cum-sats die erzSblnng weiter fbbrt oder wo derselbe mit einem 
temporalen satze mit ut oder nbi ▼ertanscht werden kann; dagegen 
kann cum c. indic nur mit quo tempore, nicht mit einer andern con* 
junction yertanscbt werden. 

d) der cansaU adversative cnm-sats gibt ebenfalls noch die 
si^ation , aber hier herscht der causal-adversative sinn vor. 

Wie oben bei den qui-s&tsen, so finden sich auch hier (vgl. 



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472 W. O. Haies the enm-conatraetioDa, their hutoxy and fbnctioiis« 

B.217 ff.) 'contrastiereade* con&tructioneiii d. Ii. fiftlle, in denen unier 
ähnlichen verbfiltnis&en nach subjectivem ermessea bald der indic^ 
bald der conj. gesetzt ist. so finden sieb : 

a) qualitative «fttse in lockerer (indic.) oder enger (co^j.) an- 
knüpf ung, meist mit cansal-adversativer beziebung. zu beachten sind 
namentlich die sätze mit cum tarnen, cum interea, cum interim; hier 
sind beide modi möglich, so dasz z. b. Bosc A. 12 sprachlich factae 
sunt und factae sint gleich gut ist. 

b) dete rminative (indic) und qualitative cum-sStze zur bezeich- 
AUng der Situation (conj.). dahin gehören diu zahlreichen parallelen 
beispiele mit cum bas litteras dabam, scribebam usw. gegenüber 
einem scriberera, darem usw. (vgl. Hoffmaun s. 116 Haie s. 190), 
d&6 cum ardebat i'ib. 26 gegen cum arderet Scaui'. 47 u. a. m. vgl. 
Haie s. 196. 

c) beispiele derselben art mit nacbdracklicher ToransteHang des 
eom-satzes; wenn irgendwo ist hier eben wegen der Toranstellung 
trotz der vorliegenden caasalen (adversativen^ bexiehung der indie. 
ebenso gut mOglieh wie der oonj. z, b. fam. 3, 7, 5 cum isla con^ 

secntns nondun eram» tarnen ista vestra nonüna nnmqvam 

snm admiratus und Brut. 827 sed cum iam bonores et illa senior 
auctoritas gravins qoiddam reqnireret, remanebat idem nee decebat 
idem. 

d) identifieiernng zweier acte durcb den indic. (coineidenz) 
neben einem cansalen oder die Situation angebenden oam-satz im 
conj., z. b. cum hoc confiteris, concedis Quinct. 81, wo auch con- 
fitearis möglich wäre; allerdings ist letzteres die weit seltenere form. 

e) genereller satz hypothetischen sinnes im indic. iterativus 
(gewöhnlich mit causai-adversativer beziehung) neb tri eiueru quali- 
tativen satze des grundes oder der Situation in individueller beziehung 
aul eine bestimmte pet ton oder bache (conj.). z. b. nam cumhostium 
copiae non longe absunt — tarnen pecuaria relinquitur Man. 15 
neben nam cum id posset infitiari — confessus est Cat. 3, 11. hieran 
Bchlieszt bicb nun ein wichtiger punkt. auch bei genereilen un- 
nahmen findet sich bi» weilen bLutt des erwarteten indic. iterat. der 
coig. wie off. 3, 42 nec tarnen nostrae nobis utilitates omittendae 
sunt alüsqne tiadraidae, com üs ipsi egeamus, sed nsw.» offenbar 
durch einflusa der adversativen idee; ebenso sonst bei eansalem 
sinne, in derselben weise dringt in solche sfttse der ooiy« der 
sitaataon ein^ und so erfcUrt sich der eoni. iterativus in sfttsen 
wie Verr. 4, 48 qoi cum in oonvivinm venisset, si quicqnam eaelati 
aspexerat (hier hat sieh der indie. gehalten, da bei si ein derartiger 
einflusz sich nicht geltend machen konnte), manus abstinere non 
poterat. dieser conj. ist auch classisch vielleicht häufiger als man 
denkt; aus Caesar gibt H. nach Meusel (so soll es wohl heiszen statt 
Munsel) 7 stellen c. coni. gegen 10 c. indic, aus Cicero bat er 15 
stellen c. coni., die aber nicht als vollzählig gelten sollen, in weiterer 
entwicklung geht dieser conj. auch auf andere conjunctioneu fiber 



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W. 6. Haie: ihe eam-oonitraotions, their bistory and funcUoiu. 473 

(so bei CaeBar sehon 2 stellen mit si), und eine genaue etatifitiscbe 
untersucbimg dieses punktes wflrde vielleicht am platie sein, in 
spätern autoren steht sogar der coni praes. und perf. iteratiT (2 stellen 
bei Caesar werden mit recht angezweifelt), man kann kaum leugnen, 
dasz diese herleitnng des coni. iter. viel ansprechender ist als eine 
anrückftthrung auf den coni. potent, oder auf griechischen einflusz« 
f) definierende cnm-sätze im indic. oder mit qualitativer oder 
causaler auffassnng im conj. ich musz gestehen, dasz die von H. 
beigebrachten beispiele für den eoig. mir nicht recht beweiskräftig 
erscheinen. 

Es ist ferner klar nach den ganzen obigen darleffimgen, dasz 
die eiitwicklung der com-sätze eine allmählich fortschreitende ist; 
dasz sie auch in Ciceros zeit noch nicht abgeschlossen war, zeigt z. b. 
das schwanken nach est tempus cum usw. auch sonst finden sich 
in der spätern zeit noch Überreste des alllateiniscben gebrauchs von 
cum. 6ü wird cum causale ä. advers. noch gelegentlich rnit deiu indic, 
verbunden, in Ciceros zeit z. b. bei Asin. Poll. fam. 10, 31, 6 quae 
pnesertim possunt j so finden sich noch in gröszerer menge beispiele 
des alÜAteinisehMi cum namt. e. indie., z. b. b. c. 3, 87, 7 haec enm 
ftcta snni*^ Verr. 2, 129 Herodotns cum revertitnr nsw. vgl« 
8. 204 iL dahin geb&ren endlich auch die bekannten verbindnngen 
der verba affeot. c« indio. (s. b. gandeo enm venisti^ gratnlor cum 
vales). mit redit hat Zimmermann (piogramm von Posen 1884) 
darauf hingewiesen, dasz cum in solehen verbindnngen noch gar 
keine temporale kraft hat^ sondern rein ezplicativ steht; es ist anoh 
wahiMdieinlich, dasz ebenso wie bei quod und qnia diese bedeutung 
bei enm die ursprüngliche gewesen ist nnd daraus erst spftter die 
temporale sich entwickelt hat. in diesem explicativen sinne will H. 
das überlieferte cum auch Cat. m. 68 at eo meliore est condicione, 
cum — consecutus est, Att. 3, 23, 4 cum scripserunt, or. 2, 154 cum 
cognovit erklären; die herausgeber schreiben meist quod, und auch 
mir erscheinen diese stellen bedenklich. 

So weit die cum-sätze. da in ihnen der conj. immer mehr boden 
gewann, so erklärt es sich, dabz unter ihrem einfiusz derselbe ver- 
einzelt auch in die temporalsätze mit postquam, dnm usw. eindrang, 
aber es bleiben das eben immer nur einzelne stellen, wenn auch 
andertieiU» kern grund ist, solche conj., wo äie überlieiert sind, an* 
zozweüeln. 

Damit sind wir am ende angelangt^ es erübrigt noch darauf 
hinsu weisen» dasx die eniwidkelte tbeorie viele vonflge vor all den 
frflher aufgestellten hat. sie bewegt sieh anf sioherem boden, in* 
sofern sie sich anf einen vorhandenen spraohgebrandi stütst nnd 
nirgends mit einer spraehlichen erscheinung in Widerspruch tritt; 



<o 2ur erklärung des perf. in solchen archaistischen constructionen 
vgl. Haie t. 164; das perf. steht hier absolut wie bei postqaam usw. 
fast regelmKsaig hat lioh diesei perf. bei enm primuoi gehalten. 



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474 W. G* Haie: fhe oam-constractione, their hiBtory and fanctions« 

sie gibt dnreli die aiilelmimg an dag offianbar verwandte qui eine 
plausible erklSnmg aller der manigfiM^ben ersebeinnngen im ge- 
brauche von cum^ de lEsst namentlich aucb keinen zweifei darllbery 
wesbalb bei poatqnam usw. nicht dieselbe entwicklang möglich war. 
«in eo tempore qno konnte wohl durch eo t. cum, aber nicht dnreb 
postqnam, simulac, nbi, ut ereetat werden, und damit war diesen 
eonjunctionen die ganze bahn verschlossen , anf der cum sich fort- 
bewegt hat; quoniam und quando hätten vielleicht dieselbe entwick- 
lung haben können wie cum, aber zu Plaut, zeit war ihre temporale 
bedeutun^ schon ganz der causalen gewichen ; endlich quod, qula, 
quamquani sind nie temporale relativa gewesen. 

Ich stehe deshalb nicht an, die theorie Haies (denn wenn aucb 
einzelne gesichtsp unkte früher schon von andern angedeutet sind, 
so gebührt doch ihm das verdienst des ganzen aufbaus) voll anzu- 
erkennen , und eben deshalb habe ich sie hier ausführlich dargelegt, 
damit sie möglichst weiten kreisen bekannt würde, das buch Haies 
ist selbstverständlich deshalb bei seinem reichen inhalt noch lange 
nicht entbehrlich; wer sich fttr die frage interessiert, wird vielfach« 
frQcbtbare anregung durch die lectflre desselben exhalten. es kommt 
dazu, dasz das ganze glatt und klar geschrieben ist nnd anch insofern 
vorteilhaft von dem buche HofTmanns abstiebt, dessen fonn selbst 
QlSekner a. o« s. 416 nicht mit nnrecht *fast nngeniessbar* nennt« 
dasz die resultate der abbandlnng, natürlich in angemessener be> 
scbriinknng, auch fttr die schalgrammatik von bedeatnng sind, liegt 
auf der band. 

Bei alledem ist ja natürlich, dasz in einzelbeiten hier und da 
unsere ansichten von denen Haies abweichen; so würde ich ver- 
schiedene beispiele anders auffassen. 2. b. Tusc. 5, 63 qui esset 
(s. 134) ist (loch wohl obliquen sinnes, off. 1, 6 qui tarnen haberent 
(s. 124) irrealer conj. an manchen stellen sind die lesarten wenig- 
stens mit der neuesten ausgäbe von C F. W. Müller nicht in Über- 
einstimmung; eine vergleichung wäre wohl wünschenswert gewesen, 
so liest Müller Mur. 30 possint statt possrnii mit den codd., ebenso 
Baiter-Kaiser or. 163 permulceant (-ceut Bake). 

Der druck ist klar und im allgemeinen correct; doch finden sich 
namentlich in den ciuteu hin und wieder versehen, so lies s. 10 
z. 18 V. 0. '206' f. '226»; s. 21 z. 7 v. u. 'als' f. 'also'; s. 36 unten 
*neglexeris' f« *neglegeris' ; s. 47 s. 9 v. 0. 'miseros' t 'miseras'; 
6. 61 z. 7 V. n. 'die. top/ f. *Nep.'; s. 82 a. e. *incommoda' und 
'dies'f 8. 119 fehlt beim zweiten beispiel der fondort; s. 173 'aoeepit 
agmm' nsw. steht B* Com. 33; s. 176 im zweiten beispiele links 
mnsz es heissen *a qno qnidem genere'; s« 207 z, 6 v. n. 'the latter* 
f. Hhe foiiner' n. a. m. 

GebstbhOmob. Carl Stbgmaiin. 



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F. Muche: kurzgefaszte lateiniache ächuibj'Uüu^iiiik. 



475 



42. 

KÜRZGEFA8ZTR LATEINISCHE SCOULSYNON YMIK VON DR. FbLIX 
MüCHE, ÜKDENTL. LEHRER AM KÖNIOL. MARIEN - GYMNASIUM 

ZU Posen. Berlin 1890. B. Gaertners verlagbbuchhaodiuDg, Her- 
mann ileyfelder. 69 8. 

Drei mittel gibt es naeb meiner erfahrung, die besonders ge- 
eignet sind , das interesse der sclittler für den gerade vorliegenden 
tezt der lateinischen Schriftsteller zu wecken und zu steigern, so 
dasz auch der formalen eeite der lectüre die ihr mit vollem redite 
zukommende beachtung geschenkt wird. 

Dasz diese mittel bildende kraft besitzen, habe ich lange genug 
erprobt, r.m mir ein urteil darüber erlauben zn dürfen; im tiber- 
masz habe ich sie allerdings nicht benutzt, sonst wären an die stelle 
grammatischer tibungen bei der lectüre, die ja ans gutem gründe 
"verworfen werden, Übungen in der Stilistik und sjnonymik getreten, 
während doch die lectUre in erster linie um ihrer selbst willen be- 
trieben werden soll. 

Da jedoch die formelle darstellung für das tiefere Verständnis 
der im texte enthaltenen gedanken oft die überraschendsten auf- 
schlüsse gibt^ form und inhalt eines kunstwerkes — und als solche 
Sind docb die auf der schule gelesenen Schriftsteller zu betrachten 
sieb auf natttrliobe und d0cb dureb den geist des sebriftstellerB 
bedingte art decken mflssen, so ist su ihrem verstttndnia nicht nur 
der lezicalische und grammatiscbe apparat der betreffenden spräche 
nötig, sondern niobt minder die scharfe beobachtung, wie der scbrifb- 
steller die einzelnen Satzteile rSumlicb geordnet hat. 

Logische^ psychologische, rhetorische, zuweilen auch euphonische 
grttnde liegen gewis jeder abweicbung von der Oblicben Wortstellung 
KU gründe. 

Wird nun der Schüler auf diese abweichung, auf die Verbindung, 
beziehungsweise auch trennung der begriffe mit eifer hingewiesen, so 
gewinnt er hierdurch nicht nur einen tiefen einblick in den Vorgang, 
wie sich im gehirn des Schriftstellers die gedanken entwickelten, 
bondern er fühltauch die augenblickliche gemütsstimmung des'^elben 
aus dem satze heraus, ruhige, affectlose Seelenstimmung des Schrift- 
stellers bat auch eine im ^'anzen der lopik entsprechende siellang 
der Worte im gefolge, wenn man eben davon absieht, dasz die latei- 
nische spräche das prüdicat ans ende des Satzes zu setzen pflegt, 
sobald dagegen eine Verschiebung der worte eintritt, ist auch meist 
mit öicherheit auf eine erregung der seele des Schriftstellers zu 
rechnen, schon durch die Stellung will also derselbe den leser darauf 
binweisen, dasz der bedeutungswert der einzelnen Satzteile wesent^ 
lieb verftndert ist* gelingt es nun dem lebrer, die scbtller zum ver« 
stfindnis biervon zu fahren , so erfüllt er gerade die wichtigste for- 
derung der lecttlre, durch die Ja das gedanken- und gefttblsleben des 
scbriftotellers oder der auftretenden personen erschlossen werden solL 



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476 F. Miiohe: kange&azte luteusische eehnUynonjmik. 



Wird nun im IsteiniBcben 80 viel gewieht anf die logiaclie ?er* 
knflpfung der sfttse gelegt und der scbfller von frtth auf daran ge- 
wöhnt, 80 iet es für ihn gewis interessant zu sehen, wie so oft die 
Stellung der worte allein genügt, die Verbindung mit dem vorher^ 

gebenden satze zu vermitteln, man also nicht immer siebtbare binde- 
mittel nötig bat; jedenfalls erkennt er daraus, dusz die Stellung der 
Worte keine zu^Uige ist, sondern «ine notwendige folge des ge* 
dankenwertes derselben. 

Auszer der beobachtung der Wortstellung betonte icb im unter- 
riebt mit allem nacbdruck die bedeutung der präpositionen in den 
Gompositis. in kurzer zeit sind die bauptgesicbtspunkte hierbei fest- 
gestellt, das auf den untem ciasiseri gelernte in gruppen zusammen- 
gefaszt und die bcbüler in stand gesetzt, aus eigner kraft die ver- 
scbiedenen bedeutungen der composita von der gruudbedeutung des 
Simplex abzuleiten, und wie manche stelle des texte:, wird ihnen 
dürch die^i eintttciie mittel in leichter weise eral zum voilen Ver- 
ständnis gebracht! dasz dies mittel aber oft noch nicht gebührend 
benutzt wird, habe ich zu beobachten reichlich gelegenheit gehabt. 

Man besehrSnke sieh hierbei aber nicht etwa anf die mittlem 
und obern dessen; nein, manches iSszt sich mit leiehtigkeit schon 
in den untem erreichen, so bringt der schfiler mancherlei vor* 
Stellnngsreihen in die hühem dassen mit, an die sich wie bei kry- 
stallen andere Vorstellungen ensetaen künnen. oder sollte es etwa 
selbst für einen seitaner noch zu schwer sein z. b. die bedeutung 
von ^ex' in compositis zu begreifen? dasz sich aus der bedeutung 
von 'heraus' auch die von 'in die hühe' ergeben kann , begreift er 
sofort, wenn man ihn etwa bei exstmere an die redensart: 'der bau 
ist aus seinen fundamenten, aus dem gröbsten heraus' erinnert, die 
intensive bedentung von 'ex' = 'p^rUndlich, völlig, gehörig' "kann 
man ihm an cdocern und elaborare mit leichtigkeit klar machen, 
wie mit ex stehls mit con, dia, de und andern präpositionen in com- 
positis. hat der sextaner die bedeutung non ^de' «=» *von oben herab* 
behalten, so wird er auch devmcere » 'völlig besiegen' begreifen, 
und der priraauLT nimmt an debacchari gewis nicht mehr aubiosz. 
so wird auch dem quartaner das 'ad' bei deverti nicht mehr auf- 
fallen, wenn man ihm sagt, daaz einer von der etwas hohem otraszd 
seinen weg richtet zum landhause des freundes, wozu noch mehr? 
es macht dem schfiler nach meiner exfiihning bald viel ftwdi^ dia fttr 
tfen text notwendige bedeutung eines compositnms mit eignen krlften 
von der grundbedeutung des simples absuleiten. dies Terfahren 
mflsten naturgemSss die speciaUexiGa''in erster Gnie berllcksichtigen. 

Das dritte mittel ist die sjnonjmik. ob dieser schon ttbenll 
die nötige beachtung gezollt wird, vermag ich nicht zu beurteilen* 
richtig betrieben bringt sie grossen nutseni erscbliesst doch auch sie 
dem scbUler recht oft erst das vOllige Verständnis so mancher stelle 
des teztes. freilieh gehören dazu auch kenntnisse des lehrers auf 
dem gebiete der Sprachvergleichung; wer solche nicht besitzt» dem 



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F. Muche: kurzgefaäzte lateiniticbe echulä^iioujinik. 477 



■jrate ich wenigstens Tegges synonymische Studien durchzuarbeiten! 
wenn dies treffliche werk auch etwas breit angelegt ist 

Synonymik gehört aber nicht nnr in die obem claasen, sondern 
muflz schon von nnten an betrieben werden« etnfenweise erweitert 
und vertieft musz aie dem secundaner bereüs das nOtige rttstzeug 
bieten zum TerstSndnis der leetflre, so dasz der primaner sein ge- 
dttchtnis nicht mehr mit diesen ein&cben dingen zu beschweren 
brancht. dem seztaner wird der nnterscbied von via und iter nicht 
schwer zn begreifen, wenn man ihn auf vefaere und ire hinweist, und 
für den secundaner ist es gcwis interessant zu beobachten, wie z. b« 
bei Livins iter fast ganz gleich via gebraucht wird. 

An synonymischen hilfsmitteln für den Unterricht ist zur zeit 
kein mangel mehr vorhanden; selbst versuche, den stoflF auf die ein- 
zelnen classen zu verteilen, sind bereits gemacht, zum teil «chon mit 
möglichster entlastung für das gedächtnis der primaner. bindende 
kraft können und sollen wohl anch derartige Vorschläge nicht haben, 
doch bieten sie einen willkommenen anhält für andere, sobald sie aus- 
geben von tüchtigen i^cbulmännem und kenntnisreichen philologen. 
Sache der einzelnen collegien wird es also sein, ftir ihre anstalt einen 
bindenden kanon festzustellen, so dasz die höhere sLufe als bekannt 
voraussetzen darf, was der niedrigeren a.U pensum zugewiesen iät. so 
wird das verstfindnis der Schriftsteller oben wesentlidi erleichtert, und 
das ged&ebtnismSfliig zu lenieade in der prima beilsam besehrftnkt. 

Habe ich in dieser langen , wohl aber nickt gans flberflflssigen 
einleitung gezeigt, dasz auch die formelle Seite der spräche nicht zu 
untersch&tzende bildungsmitiel besitzt, die zur Vertiefung des ver« 
stilndnisses des inhalts zu fttbren vermögen und das inieresse an der 
lectftre wesentlich erhöhen, so habe ich anch damit bewiesen, dasz 
die abfiusung von schulsynonymiken naeb meiner snsieht wenigstens 
kein verfehltes unternehmen ist. 

Die neueste dttrfte die von dr. Felix Muchein Posen sein, sie 
bietet, wie der berr Verfasser in der vorrede selbst ssgt und das 
wird ihm der Sachkenner nicht bestreiten! — keine neuen ergeb- 
nisse für die Wissenschaft, sondern will nur ein praktisches hand- 
buch für die schüler sem — und diese absiebt des Verfassers ist zu 
loben, erfüllt sie diese forderung — das ist bei bescheidenen an- 
sprüchen gewis der fall — so ist auch Mucbes Synonymik zum da- 
sein berechtigt, es wird nur auf die fachgenossen ankommen, ob sie 
nicht lieber der von Sepp, Tegge, Meissner imd andern verfaszten den 
Vorzug geben, die wegen ihrer kürze und prlicision sowie auch wegen 
ihrer billigkeit in vielen schulen eingang gefunden haben. 

Die für die benutzung seitens der schüler besonders notwen- 
dige Übersichtlichkeit hat Mache durch die alphabetische anordnung 
der begriffsgruppen und durch die bervorfaebung des stidiwortes 
durch fetten druck und durch die Stellung im ganzen gesdiickt und 
glflcklieh erreicht, so fUlt dem scblller sofort ius auge, worauf es 
bei den einzelnen begriffen ankommt 



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478 F. Mache: kurzgefiiezte lateinische schaUynonymik« 

Aaf eine Verteilung des Stoffes auf die einzelnen classen ver^ 
ziehtet der Verfasser mit recht. 

Die Sammlung nmfasst 130 nummem, deren benntsung ausser 
der alphabetischen anordnnng noch wesentlich erleichtert wird durch 
swei register, von denen das eine das deutsche Stichwort der be* 
treffenden nummer in alphabetischer Ordnung angibt, wfthrend das 
gleichfalls alphabetisch geordnete lateinische register das auffinden 
des gesuchten wertes durcli angäbe der nummer leicht ermöglicht 

In der definition der begriffe sucht sich der Verfasser der geistes* 
kraft der schüler anzupassen , auch geht er auf die etjmologie , zu- 
weilen mit berücksichtifTnng des griechischen, ein und sucht das £^e- 
sagte nach bedürfnis durch kleine beispiele zu belegen, papier und 
druck sind musterhaft zu nennen. 

Habe ich so im wesentlichen die Vorzüge der Mucheschen Syno- 
nymik gebührend erwähnt, so darf ich anderseits nicht verschweigen, 
was mir an ihr der Verbesserung bedürftig erscheint. 

Muche geht in der angäbe der ableitung oft zu weit, was selbst 
6ch wachen schüleru der untern classen von selbst klar ist, braucht 
nicht schUlem der mittlem und obem classen, für die doch diese 
synonjmik in erster linie berechnet ist, in fast enntidender art in 
Uammern geboten zu werdra, zer]«gungen, wie etymologien über- 
haupt haben nur dann wert, wenn dsdmrch die angegebene schwie- 
rigere bedeutung eines begriffs in klarer weise sn tage gefördert wird* 
ttberall Ifiszt sich dies von Muches Synonymik schwerlich behaupten. 

So erscheint mir diese Zerlegung ttberflttssig bei: indpere da; 
aggredi (in 4 sogar wiederholt); initium 3b; adoriri 4; inopia 5; 
subire und snbigere 9 ; warum dann nicht auch bei praecipere und 
praescribere 6? bei aspicere 10; conficere, componere 17; assi- 
duus 19; deficere 20; inimicus und adversarius 21; accidit, oon* 
tingit 35 ; in nr.66 ist die Zerlegung geradezu ermüdend ; überflüssig 
bei infirmus 83; increpare, invehi, obicere 92; maleöcium 94; inter- 
ficere, concidere, percutere 9ö; perferre 99; nescius, inscius, im- 
peritnsl04; pnietermittere 109 ; coliegium III; oflferrellS; deligere, 
eiigere 118; evadercj exsistere 121; concedere 128; incertus 130. 

Würde in einem besondern abschnitte die modificierende kraft 
der Präposition für sich behandelt, so wäre vieles überflüssig, jeden- 
falls konntu dies dem lehrer überlassen bleiben. 

Auch die angäbe des Stammwortes m klammern balle ich oit 
für überflüssig. 

Wo man dagegen, wie bei immanis 43 und imheciUns 83, oppi- 
dum 88, durch die etymologie etwas lernen k(Snnte, fehlt sie. die 
Zerlegung von opprimere besagt gar nichts in nr. 4. wie entwickelt 
sich denn die bedeutung von ^plötslich'? und wie in 33 bei oboediro, 
obtemperare das *oV zu seinem rechte kommt » konnte dies doch 
auch bei obsequi geschehen. 

Die von Mucbe angegebene etymologie dürfte zuweilen den 
Widerspruch der fachgenossen hervorrufen, ich verfttge leider am 



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F. Mache: kurzgefaszte lateinisdie BchulsjnoDjmik. 479 

hiesigen orte nicht über die nötigen bilfsmittel, um durcli Ver- 
weisungen meine behauptungen zu stützen, doch scheint mir folgen- 
des bedenklich : in nr. 32 wird opportunus zerlegt in ob und porto 
nnd auf portas Terwiesen, ala bedentnng: *2ar fahrt bequem' ange- 
geben, einituslier, wobl ancb richtiger wftre doch die bedeutung 
*dem bafen gegenüber*, der dem seefabrer sieberung oder xettung 
aus gefobren bringt^ daher: 'gflnstig, gelegen', das Yergilische bei- 
lam importannm XI 305 dürfte das gegenteü sein: ein krieg ohne 
rettnngshafen, ein onheilvoller, unseliger kri^g* in nr. 66 wird 
adimere in die bestandteile ad und «fmere zerlegt und hat die be- 
deutung: einem brsitzer ein gut entziehen; das 'ad' kommt für den 
Schüler sicher nieht su seinem rechte. Tegge Iftszt es, soweit ich 
mieh erinnere, ans euphonischen gründen » abimere sein. III wird 
ooncilium von conciere abgeleitet; ich führe es mit Tegge auf KaXeiv 
'rufen' zurück; demnach ist das 1 wurzelhaft und nicht consonant 
der ableitung-ssilbe. 125 wird dcsiderare auf den stamm sid in sidera 
zurückgeführt und als eiVcntlicbe bedeutung angegeben; *die blicke 
von den sternen abwtjnden', daraus soll sich nun für den schüler 
eine bedeutung wie 'sich sehnen, nach etwas verlangen' ergeben I 
da dies verbum, wie Muche mit recht sagt, ein priesterausdruck ist, 
so wird es aus considerare seine bedeutung erhalten können, das 
letztere heiszt die gestirne zusammensuchen, das erstere demnach 
dieselljun lierabäucben. hieraus entspringt gewis weit eher die be- 
deutung von *sich sehnen nach'; auch bleibt die übliche bedeutung 
der endung *are^ 'machen' und von 'de' — ' 'herab', die der 
sehfüer längst kennt| in kraft. 

Bio angäbe des Stammes hat znwdlen keinen rechten sinn, wie 
soll sich der schliler 9 yix mit dem stamme vic in yincere zusammen- 
reimen? 42 kannte angegeben werden, was der stamm oder die 
wursel *fe' in fellx bedeutet, ebenso wie 100 segnitia vom stamme 
sec in sequi sur bedeutung von ^naehlSssigkeit* kommt, aus der Zer- 
legung von municipium in munia-eapere 86 lernt der sehttler auch 
nicht die von Muche angegebene bedeutung erkennen. schliessUch 
bezweifele ich, dasz enervatus 83 jemals bei den schriftsteilem, die 
der sehttler liest, die bedeutung von 'entnervt' haben wird, die 
nerven sind doch wohl erst eine entdeckung der neuern zeit. 

Hinweise aufs griechische sind ja an sich bei angäbe der ety- 
mologie zu billigen, doch musz das angegebene auch zum Verständ- 
nis des vorliegenden falles beitragen, wertlos ist der verweis bei pre- 
tinm 122 auf die Wurzel cppab in cppdCuj, wenn dem schüler nicht 
gesagt wird, wie pretium zur bedeutung 'äuszerer wert' kommt, 
wird bei vetus 2a auf das griechische (F)6T0C 'jähr' verwiesen, so 
müste doch auch 13 zum Verständnis von frangere bei fr|TVU|Lii das 
digamma stehen, der wechacl von öp^Y^^Öai und öp£fuj bei 12 
und 24 ist überflussig, der stamm, nicht das genus verbi ist hierbei 
fttr den schüler die hauptsache. 

Bezttglldi der quantitStsbezeiebnung ist grSszere consequeuz zu 



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480 F. Milche: kongefattte latdnische flobnUynonjniik. 

wfinacben ; icb verwttse hierbei nur auf in-vehi zam vergleich mit 
in-erSpare 92 ; auf in-probare und ob-iloere ebd. ; auf Shlmal und 
f^ra (yon anlnia und fems) 96 ; auf ex*emere und die andern com* 
posita 66 und dis-putare, dis-serere im vergleich zu pro-fäteri 71. 

Auch Heszen sich die einzelnen Wörter innerhalb einer nnmmer 
bisweilen besser ordnen, in 12 könnten precari und depreeari zu- 
pammensteben; 82 eommodus und accommodatus vor opportunns; 
33 dicto audientem esse hinter parere oder morem gerere; 36 donatio 
hinter doniim; 39 opes voran, denn die opes führen zur potentia, 
potestas und vis: bei 40 könnten arbitrari, cxistimare, censere und 
iudicare zusammengenommen werden; 41 fors hinter fortnna und 
42 fortunatus voran, 47 regere hinter regnure oder gubemare hinter 
doroinari stehen; 93 decipere und circumvenire zusammen, III so- 
cietas vor collegium treten; weshalb 119 via atqne ratione zuerst 
steht, ist nicht recht ersichtlich. 

Ab und zu wäre das hinzufügen der gegensätze für dun schüler 
von vorteil, auch müste das unteriEicbeidende merkmal zuweilen 
klarer hervortreten, vgl. z. b. 20 deesse und 49 liberi , denn auch 
die eitern sind erwachsene, bei 46 sacer esto machte der gegensats 
zu den oberen göttem die bedeutung von *zum Untergang geweiht* 
sofort klar, das unterscheidende merkmal tritt nicht sdiarf b6r?or: 
77 bei fallaz und fidsus; 104 bei insdens und insdus; 109 bei omit- 
tere und praetermittere. lieaze sieh nidit 55 iam dudum — die Zer- 
legung in iam (diu-dum) hat fttr den scbttler keinen wert ^ gleich- 
sam als comparatiy zu diu fassen, so dasz die bedeutung dieses 
begriffes wSre 'schon längere zeit', mag sie auch an sich unbedeu- 
tend sein? ich f&r meine person finde in qnondam 16 nichts von 
•dauer in der Vergangenheit' ; es heiszt für den schüler zu einer ge- 
wissen zeit, die man nicht näher bezeichnen will, vielleicht auch 
nicht kanU; nichts weiter! die datier in (icr Vergangenheit ist vom 
Verfasser in quondam liineingetragen, zumal im spätem lateiu c^tton- 
dam sicher von der zuiLunft gebraucht wird. 

Was die beispiele anlangt, so könnten sie zabireicher sein, denn 
erst durch sie werden synonymische unterschiede zum festen besitz 
der schüler; auf ihre länge kommts dabei nicht an. unvollständig 
ist 32 navöä aptae, wohl nach Li vi us ad traicienduni Üumen ? insignis 
bei etwas schlechtem müste 44 durch ein bei&piel belegt werden, wie 
auch für die logische notwendigkeit von necesse est 64 ein beispiel 
nötig ist. fttr sub lucem könnte 58 das bekanntere prima luce ge- 
wählt werden, und anstatt 94 den Properz fär crimen in der bedei^ 
tung von ^Yerbrechen' anzuführen, könnte der herr Verfasser in den 
Cicero hindngreifen; fttr 106 empföhle dch auch sermo patrius. 
109 ist destituta navigia nicht recht passend zu dem vorhergesagten. 

Ab und zu gefüllt mir auch der ausdruck nicht« vgl. 41 felicitas. 
die substantiva auf 'las' bezeichnen den zustand, demnach ist Muches 
Übersetzung 'das glücklichsein* ganz richtig , doch der zusatz, das 
'jedem' bei seuien Unternehmungen eigen ist, kann nicht geduldet 



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Bemerkungen bu Sig»mnnds lateioisclieni lesebnch ffir sexta. 481 

werden. 117 ist wohl conari besser mit 'einen Tersach wagen' zu 
übersetzen, in 37 wird auctor als vermebrer meines willens t in 80 
als der der glaub Würdigkeit bez.eicbnet, in diesem zusammenhange 
bat nur letztere bedeutuug eine berechtigung. 

Bezüglich des druckos sind folgende änderungen vorzunehmen, 
in '2 a ist der fette druck von Svas' unbegründet, in 3 a ist aggredi 
urbem MS oppugnare zu schreiben; in 5 ist 'gegensatz' mager, in 
30 aber 'bevorstehenden' fett zu drucken, desgleichen aufweine zeit' 
in 50, 'vier* in 60, 'öffentlich* in 71 bei pronuntiare wie bei pro- 
fiteri; 'in' bei 118 mager, fett dagegen 'habe' bei simulare 89. das 
(plur.) 124 kann wegfallen, vgl. disciplmae. 51 ist hinter 'erkennen' 
ein komma zu setzen. 

Icli überlasse es dem lierm Verfasser, ans dem gesagten für eine 
zweite aufläge, die ja möglich ist, das sn benutzen, was er mit seinem 
wissenschafUichen gewissen Tereinbaren kann; jedenfiüls wird er aus 
dieser besprechung ersehen können, dasz ieh sein buch nicht bloss 
gelesen, sondern mit warmem Interesse durchgearbeitet habe, was 
man von vielen recensionen nicht von vom herein behaupten kann, 

Ebiipbn in PosBii. Padii Mahw. 



43. 

BEMEKKÜNGEN ZU MEINEM LATEINISCHEN LESEBÜCH 

FÜR SEXTA. 

Die kriük ist eine notwendige unrl nützliche sacbo. aber sie 
darf nicht nach giitdünken schalten und walten; sie darf nicht ver- 
gessen, dasz ihr tm ernstes amt anvertraut ist und dasz sie jederzeit 
im stände sein musz, rechenschaft abzulegen, das wird sie mit gutem 
gewissen nur dann thun können, wenn sie die pflicht der gerechtig- 
keit erfüllt und sich stets eines sachlich begründeten Urteils be- 
fleiszigt hat. andernfalls hat sie zu gewärtigen, dasz sie wider:>pruch 
findet und in ihre schranken zurückgewiesen wird. 

In einem solchen stände der notwehr befinde ich mich einer 
recension gegenüber, die W. Mewes in der seitscbrift für gymnasial- 

*wesen (Jahrgang 1889 hft 13 s. 732) an meinem 'lateinischen lese^ 
buche fttr sexta' (Leipzig, vorlag von B. G. Teubner) verttbt bat. 

« selten hat sich wohl ein recensent die arbeit so leicht gemacht wi» 
Mewes. in noch nicht vierzig seilen, wie man sie bequem in einer 
halben stunde auf das papier wirft, bricht er den stab ttber ein werk, 
welches monate angestrengten fletsses und Hebevoller Sorgfalt er- 
fordert bat. mit der angäbe von gründen konnte er sich freilich 
nicht plagen; mit solchem ballast pflegt sich die moderne zeitungs- 
kritik, die Mewes sich offenbar zum vorbild genommen hat, nicht zu 
schleppen, es wird mir deshalb nicht schwer, einen angriff zurtlck- 
rnschlagpu, der mit ganz ungenügenden Streitkräften unternommen 
worden ist. 

N. Jahrb. f. i>hil. u. pM. II. «bt. IS9U bft. 8 a. 9. 31 



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482 Bemerkungen zu SfgiamundB lateuuachem lesebuch ffix sezfca. 

Das A und das 0 von Mewes' behauptungen ist: mein buch 
'bedeute nach keiner richtung einen fortschriit in dieser art von 
litteratur*, insofern es 'eine keineswegs verbesserte Wiederholung 
der Meurerechen bilfsbüclier' sei. in Wirklichkeit würde ich es über- 
haupt nicht gLj^ehrieben haben, wenn ich nicht an den Meurerschen 
lesebüchem sowie an einigen andern, die sich eines gewissen an- 
Sehens erfreuen, so viel auszusetzen gehabt luitto. diese bedenken 
kann ich jetzt — &o ungern ich es auch thue — Dicht mehr 
verschweigen, ohne mir die Verteidigung unnötig zu erschweren, 
ich beginne mit einer besprechung des lateinischen lesebnchs Yon 
H* Mdnror. 

ZunKclist habe ioh schwere bedenken gegen den inhalt des 
Menrersehen bucHee. alles, was der schttler im lanfe von nenn jakreD 
auf dem gymnasinm nach und nach lernen soU, wird ihm hier in 
nuee auf einmal datgeboten: geschichte, sagen und gOtierlehre der 

Griechen und Börner, natur-, erd- und stemenkunde, litterarischea 
nnd biographischee, ja sogar sprachwissenschaftliches (nr. 169) — 
und was das schlimme isty in buntestem Wechsel, nur nach formalen 
gesichtspunkten zusammengestellt, bevor der seztaner sich in mne 
gedankenreihe einigermaszen eingelebt hat, wird dieselbe abgerissoi 
und er musz an eine neue herantreten, das ist schon im ersten ab- 
schnitt der fall, hier hört der schüler nach einander von Deutsch- 
land und seinen bewohnern, von den wäldern Deutschlands, von 
Griechenland und den Griechen, von den adlern Asiens, Europas und 
Afrikas, von England, von Italien und Rom, von Frankreich, von 
Ithaka, von Sicilien, von Minerva und Diana, von Athen, von den 
rosen. und auszerdem stehen diese stücke fast ausnahmslos nicht 
auf dem btandpunktu duü Sextaners, vergegenwärtigen wir uns doch 
einmal, was für kenntnisse derselbe nach sexta mitbringt! er kann 
lesen, schreiben und rechnen, weisz das wichtigste aus der deutschen 
grammatik nnd ist mit den notwendigsten geographischen begriffen 
(s. b. den himmelsgegenden) vertraut; vieUeicht hat er auch schon 
etwas an den sagen des altertums genascht, so vorbereitet nimmt 
er seinen Menrer snr band nnd empftngi nun eine menge Ton be- 
lehmngen, die sein gdst noch nicht sn verarbeiten vermag, er mnss 
sich von Europa und einzelnen ländem Europas, von Asien — ins- 
besondere von Indien und den Fersem — erzfthlen lassen, ohne mit 
diesen namen eine halbwegs klare Vorstellung verbinden zu können, 
gewis kann der lehrer ihm hilfreich mit erkUlrongen beispringen, 
aber was nützen diese^ da der sextaner sich doch auf der karte noch 
nicht zurechtfindet, in deren Verständnis er durch den geographi- 
schen Unterricht erst eingeführt werden soll? es wird weiter nichts 
erreicht, als dasz er in seiner gehirnkammer, in der es schon bunt 
genug aussieht, noch mehr unklare g^edanken aufspeichert, auch 
sonst hat er mit Schwierigkeiten zu kämpfen, worte wie provincia 
und colonia sind ihm z. b. völlig unverständlich, ich kann aus er- 
fahrung versichern, dasz mir noch niemals ein sextaner begegnet ist, 



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Bemerkimgen sn Sigismiuids lateimschem leseboeb Mr flextA. 483 

der mir bStte sagen können, was man anter einer 'colonie' verstellt; 
die bdgefttgten yerdentschangw ^niederlassnng', 'ansiedelang' tia« 
gen nicht daza bei« das dunkel zu liebten, alles das gilt in gleicher 
weise vom zweiten abschnitt, dessen inhalt dem des ersten an manig* 
faltigkeit nichts nachgibt, ohne dabei jedoch an klarheit gewonnen 
tu haben, was soll sich z. b. ein sextaner denken bei sfttzen wie: 
Aegyptus est donum Nili — aqua Nili est beneficium natnrae (nr. 19, 
3 n. 4) — die Griechen waren die lehrer der Römer — die spräche 
der Römer ist die grundlage der spracbrn Italiens, Galliens und 
Spaniens (nr. 27, 4 u. 7)? so musz denn der lehrer immer wieder 
erläuterungen flehen, die bei seite zu lassen sein pädagogisches ge- 
wisfeen ihm verbietet, und die doch höchstens von heute bis morgen 
in sextanerköpten haften bleiben, dabei geht aber eine menge zeit 
verloren — und nirgends ist wohl gerade dieser artikel so kostbar 
wie zu beginn des lateinischen Unterrichts, denn die einübung der 
ersten und zweiten declmatiou ist mit so vielen f or malen schwie- 
ri|;keiten verknüpft, dasz der lehrer unausgesetzt thätig sein musz, 
nm derselben herr sn werden und seine sextaner in den yorhof der 
grammatik einsnlühren. jede minute, die zur erklttrnng saehlioher 
sehwierigkeiten yerwendet werden musz, wird also dem eigentlichett 
zwecke des Unterrichts entzogen. 

Dazu gesellt sich noch der umstand, dasz die Menrerschen stflcke 
nicht genug grammatischen flbungsstoff bieten, in den 27 
stflcken der beiden ersten abschnitte — von denen zunSchst die rede 
ist ^ kommt z. b. der vocativ fiberhaupt nicht, der datiy nur 4 mal 
Tor und zwar in folgenden sfttzen: incolis coloniarum sunt divitiae 
(nr. 3, 10) f agricolis libri sunt; agricolis sunt equi (nr. 18, 3 u. 6); 
die rosen sind flir die mädchen eine freude (nr. 12, 7). und diese 
wenigen beispiele sind auszerdem noch unglücklich gewählt; denn 
die ersten drei sind undeutseh und das letzte ist iinlateinisch. die 
Verbindung von dativ- und accusativobject fehlt gänzlich — und 
doch ist dieselbe unentbehrlich , wenn der schüler lernen soll , diese 
beiden casus auseinanderzuhalten, die z. b. hier in Eisenach selbst 
für kinder aus guten familien böse steine des anstoszes sind und 
es ohne zweifei auch noch in vielen andern gegenden Deutsch- 
lands sein werden, da musz denn wiederum der lehrer in die bre.sche 
treten und passende bätze bilden lassen, das ist aber nur am not- 
behelf; was der schüler nicht schwarz auf weisz besitzt, vergiszt er 
Bchnell, weil er es nicht wiederholen kann; denn fflr sexta hat der 
alte Spruch 'repetitio est maier studiomm' ganz besondere bedeu- 
tung. ebenso wenig iSszi sich die Iflcke mit extemporalien ausfüllen; 
denn diese sollen doch möglichst an die lectOre angeschlossen wer* 
den. nebenbei sei noch erwähnt, dasz sfttze wie: in aquilis audada 
est — aus rttcksicht auf die deutsche spräche unbedingt hfttten ver* 
mieden werden müssen, der sextaner Überträgt zunächst wSrtlich: 
'in den adlem ist kühnheit.' das ist sohlechtes deutsch, aber er kann 
es nun einmal nicht besser, ich habe wenigstens ^ als ich von der 

81* 



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484 ßemerkungen za SigiBiuuiids lateinischem leseboch für sezta. 



claBüe eine freiere überseizong verlangte, mich ttberzeugt, daaz ein 
seztaner nicht fähig ist, in diesem falle das richtige zu treffen, die 
sinngetreue Terdentschung: 'den adlern wobnt kuhnheit inne' findet 
er nicht, weil sie seiner einfachen ausdrucks weise zu fem liegt — 
er wflrde sagen : 'die adler sind kttbn' — und da wird man ihn doch 
nicht zwingen wollen, gewählter zu reden, als er fertig bringt? nach 
Meurers Vorgang könnte man den satz ja so wiedergeben: 'die adler 
haben kühnheit' (vgl. nr, 7,6 imd nr. 11,4) — aber ist dns deutsch? 

Das urteil, welches hier über die beiden ersten abschnitte des 
Meurerschen lesebuchs geföllt wurde, trifft rautatis mutandis auch 
ftlr alle folgenden zu. nach wie vor sind die stücke bunt durch- 
einandergestreut; selten, dasz einmal ein paar zusammenhängende 
sich finden, der inbalt derselben Übersteigt in vielen fällen die 
fassungskraft neun- oder zehnjähriger knaben und iit dabei noch so 
wenig anziehend, dasz er nur geringes interesse erweckt, ich greile 
ans der menge der beispiele nur einige heraus, wie nr. 47, 48, 49 
(de Cicerone — de Hannibale — Cato), 54 (de Graeoonim et Borna* 
noram deis), 56 (de templis et simulacris), 62 (de homine), 66 (de 
Oraecia), 67 (Italien), 69 (de müiübns Atiiemensiam), 74 (de legi- 
bus), 77 (de Tiris illostribus Graecomm), 89, 90, 91- (de temporibut 
— de templis ^ de repnblica romana) — und so fort, ferner be- 
gegnen uns die vorhin besprochenen teehnischen mängel wieder» 
weder bei der declination noch bei der coiyngation ist der formen* 
schätz des lateinischen so verwertet, dasz genügende abwechselung 
im ausdruck erzielt worden wttre; atL^zerdem sind die eigentümlich- 
keiten des deutschen sowohl wie des lateinischen nicht gebührend 
berücksichtigt worden — kein wunder, wenn der sextaner dann die 
eine spräche durch die andt re verdirbt. 

Es würde zu weit führen, wenn ich mich auf ein zel hei ten tiefer 
einlassen wollte, ich beschränke mich deshalb auf obige skizze. über- 
dies sind die beiden ersten abschnitte, mit denen wir uns eingehen- 
der beschäftigt haben, typisch für das ganze buch. 

Ich glaube nuu den schlusz ziehen zu dürfen, dasz Meurer seine 
absieht 'anziehenden lese- und lernstoff' zu liefern , keineswegs er- 
reicht hat. der dargebotene lernstotf hat beträchtliche lücken , die 
der lehrer mühsam ausfüllen musz. und was den lesestofif betrifift, 
so braucht man nur am ende des sehuljahree eine probe zu machen, 
um die ttberzengung zu gewinnen , dasz der sextaner die mapse des 
gebotenen nicht in seinem gehirn hat verarbeiten können, im besten 
falle ist in seinem köpfe eine menge Ton namen hitngen geblieben^ 
ohne dasz er jedoch einen znwachs an wirklichem wissen erfahren 
hätte — denn *er hSlt die teile in seiner band) fteihlt leider nnr das 
geistige band', die losung für sexta musz eben der alte sprucb sein : 
'non multa, sed multam.' diesen bat Meurer zu wenig beherzigt, 
und deshalb bedeuten auch seine zusammenbängoaden stücke nur 
einen äuszerlichen fortschritt gegenüber den einzelsätzenOstermanns 
und anderer, dasz ich mit dieser ansieht nicht aliein stehe, beweist 



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Bemerkangen zu Sigismunds lateinischem lesebuch für sexta. 485 

das urteil Vogts ('zur frage über den lateinischen unterriebt am 
gymnasium', n. jabib. 1888 s. 2!Hj f.): *Meurer und Perthes . . 
begehen daii fehler der iormalibtibchen meLhode in 
noch ächlimmerer weise als diese selbst, sie machen 
wieder die lectttre aasBOhlieBzlieli zum mittel der 
grammatik und wortkunde, bei iknen fehlt besonders 
am anfang Jede rttcksiebt auf die beschaffenheit des 
Inhalts; damit die gelernten voeabeln und eingeübten 
formen vorkommen können, rnnss der knabe über gott 
und weit und wer weiss sohst noch was unterrichtet 
werden.' 

Die beste rechtfertigung meiner kritik hat Meurer selbst ge- 
liefert, indem er noch ein zweites lesebuch geschrieben hat: 'Pauli 
seztani Uber' (ebenfalls im verlage von H. Böhlau in Weimar er- 
schienen), ich unterziehe auch dieses einer betracbtong. ich kann 

mich kurz fassen, da dasselbe nach meiner Überzeugung als ein fehl- 
griff bezeichnet werden musz. das bestreben Meurera, den stoff ein- 
heiliicb zu gestalten, verdient an und für sich höchstes lob; dasz er 
aber die erzShlung in die gegenwart verlebt hat , heiszt meines er- 
acbtens mit dem lateinischen em spiel treiben, es kommt mir gerade 
so vor, als wenn man einem antiken marmorstandbilde moderne 
kleidung anziehen wollte. Meurers sache wird dadurch nicht besser, 
dasz er einen sextaner zum träger der handlung gemuchl hat. die 
feldpostbriefe vollends sind ein ganz unglücklicher einfall. wie darf 
mciu die spräche längst vergangener Jahrhunderte zu künsteleien ge- 
brauchen wie z. b. 'luftschifiT, ^erbswurst' und so fortl 

Auch der von Meurer in *Fauli sextani Uber' angewendeten 
meihode kann ich nicht zustimmen, er hat sich im grossen und 
ganzen an' Perthes angeschlossen, im ersten und zweiten capitel 
Ittszt er schon den indic, den coig. und denimperat..praes.act. lernen, 
dann folgen in bunter reihe : sum, erste conjugation, dritte dedination, 
zahlwOrter, comparation, zweite conjugation, vierte und fUnfte decli- 
nation, pronomina, vierte und dritte conjugation. die natürliche 
gliederung der formenlehre in nomina, verba, partikeln ist also voll- 
ständig über bord geworfen; an die stelle derselben ist ein willkür- 
lich zusammengesetztes mosaikbild getreten, ich sage: willkürlich, 
denn wie will man es z. b. rechtfertigen , dasz die vierte und fünfte 
declination von der dritten losgerissen sind, mit dnr sie doch so viele 
berOhrungspunki c haben? dasz eine solche methode unwissenschaft- 
lich ist, bedarf keines beweises — denn jede Wissenschaft verfährt 
gesetzraäszii^' — sie ist jedoch auch noch unpädagogisch, für den 
lateinisschen anfangsunterricht sowie für jeden andern können meiner 
ansiebt nach nur zwei gruudsätze gelten: 1) es musz vom leichteren 
zum schwereren aufgestiegen werden, '2 j das zusammeogehöi igu musz 
auch im zus^amraenhang behandeU werden, das ermöglicht ein an- 
gemessenes, ruhiges fortschreiten: das einzige mittel, den hin- und 
herflackernden geist eines knaben in die sehranken gleichmSszigen 



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486 BemerkuDgeu m Sigimnunda lateiaiacbeiu lesebuch iur sexta. 



denkend zu banuen — und auszerdem gewinnt der sextaner erst 
dann ein wirkliebes Verständnis für das wesen der spräche , wenn 
6r dieselbe als einen wohlgegliederton k0rper kennen lernt nnd nicht 
als ein gemisck ans ganz verschiedenartigen bestandteüen. beides 
haben Perthes nnd Menrer verschmSht — freilich ist es auch leichter« 
in den inhalt eines lesebaches abwecfaselnng hineinsttbringen, wenn 
man die formenlehre in stttcke serhaekt, iSs wenn man streif dem 
gang der grammatik folgt 

Was ferner Perthes anbetrifit, so bin ich derselben meinung 
wie Vogt, der (a. o. s. 301) folgendermaszen urteilt: 'das vertrauen 
aaf die unbewuste aneignung macht die Pertbesschen btlcber für 
gymnasien unbrauchbar.' Perthes bat auf diese 'unbewuste aneig- 
nung' bftuser gebaut, er konnte auf keinen schlechtorn nntergrund 
bauen, denn diese unbewuste aneignunof wird bei sextanorn durch» 
kreuzt durch die zuchtlosigkeit de^ jugendlichen, ungeschulteu 
geistes, der sich gern zerstreut und die gedankeii wie wilde bum- 
meln berumschwärmen läszt. ich könnte aus oieiner praxis tolle ge- 
schichten anführen, wenn ich überhaupt nötig hätte, diese allen 
lehrern bekannte thatsache noch zu. beweisen, sehr treffend sagt 
Jäger in t^emer ausgezeichneten ßchrift: 'aus der praxia. ein päda- 
gogiöcheti tfcibtamenl' (s. 7 nr. 25): 'wir sind iioch nicht so weit wie 
der Sokrates des Aristophanes , dasz wir die flohsprdnge des un- 
reifen, jugendüdien gedankens messen klhinten.' es kommt noch 
daxa, dasz Perthes fast anssohlieszlich einzelsätze verwendet: eine 
methode, der man hentzntage zu gonsten susammenhftngender stflcke 
immer entschiedener den krieg sn erklSren beginnt, ans dem glei« 
eben gründe Tcriialte ich mich auch nnbedingt ablehnend gegen das 
bekannte und weit verbreitete lesebnch TOn Ostermann. 

Wie soll überhaupt ein zweckmftssiges lesebuch fCLr sezta be- 
schaffen sein? Vogt (a. o. 8. 297) antwortet auf diese frage so: 'der 
geist des knaben neigt zur abwechselung und sträubt sich gegen die 
Vertiefung in einen stoff. anderseits aber darf man dem knaben in 
seiner neigung zum neuen nicht so weit nachgeben , dasz man ihm 
die disparate^en dinge abwechselnd vorführt, es gilt vielmehr, 
abwechselung innerhalb eines einheitlichen p^ebietes 
herbeizuführen.* letztern satz unterschreibe ich unbüdmgt, kann 
mich aber darum doch nicht für die von Vogt ( riipfohlenen fabeln 
entscheiden, die fabel mit ihrer einfachen bandlung bietet dem ge- 
mOte des knaben keine anregung. das ideal des Sextaners sind ^ge- 
schichten', womöglich solche, in denen es recht wild oder geheimnis« 
voll zugeht — hauptsächlich mürchcii oder sagen, diese eriahi ung 
verdanke ich dem umstände, dasz ich mich stets bemüht habe, mit 
meinen seztanem nicht bloss ^dienstlichen' Terkehr zu pflegen, son- 
dern ihrem thnn nnd treiben anch anszerhalb der schule aufmerk* 
samkeit und teilnähme zu schenken, ich kann mich nicht erinnern^ 
dasz sie mich auf nnsem dassenspaziergängen jemals gebeten hStten, 
ihnen fabeln zu erztthlen ; sie wollten immer nur mftrehen nnd aben- 



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Bemerkungen za Sigismund« lateinischem lesebuch für sexta. 487 

teuer boren, ich verstehe desbalb nicht, weshalb Vogt erzUblungen 
aus der mjtbologie 'besser für quinta aufgespart' wissen will, die 
fabeln mit ihren einf?)rmigen tiergestalten müssen zuletzt ermüdend 
wirken, es fehlt somit an wirklicher 'abwechselung' und die 'ein- 
heitlichkeit' des ganzen ht doch nur eine rein äuszerliche. für das 
von Vogt gepriesene Übungsbuch von Lattmanu^ welches lauter 
fabeln enthält, kann ich mich auch deshalb nicht erwärmen, weil 
ieli der LattmiumBebeii meiliode iiiolit sazuetünmeti rermag. schon 
dass Laitmann ein gemiseh von einselfiStzen und suaammenhftDgen- 
den Btückeii bringt, halte iob ftr unvorteilhaft; noeh unsympathi- 
scher ist mir die art und weise» wie er die alleinseligmaehende in- 
daetion dorchgeftthrt hat; denn er weist dem lehxer die rolle einer 
maschine zu , deren gang genau nach Vorschrift geregelt ist. eine 
ausführlichere erörterung meiner bedenken musz ich allerdings einer 
spfttern gelegenheit vorbehalten, ich bemerke deshalb für Jetzt nur 
so viel, daas ich mich auch ganz entschieden gegen LattmauLB 
formenlehre erkläre, dasz die 'ergebnisse der Sprachforschung' ver- 
wertet worden sitid, hat weiter nichts zur fölge gehabt, als dasz 
2. b, die dritte declination mit den unglückseligen s- und i- und 
u-stämmen ein wahres kreuz für lehrer und schülcr geworden ist. 
ich habe das wenigstens gefunden, als ich in sexta nach Lattmanu 
unterrichtet habe. 

Ich gehe nun zur besprechung meines eignen lesebachs und zu- 
gleich zur antikntik gegen Mewes über, er beginnt ganz Homerisch 
mit einer feierlichen anrufung, wenn auch nicht der Muse, so doch 
der — directorenversammlungen. eine solche hat nemlicb bei der 
beratuug über ziel und methodü des lateinischen uuterrichts die 
these angenommen : 'Übungsbücher , deren übungsstoff fehler gegen 
die r«ne laÜnitSt enthMt, sind vom scbnlgebrauche anszuschlieszen.' 
auf grund dieser these warnt Mewes vor meinem lesebuche, 'weil es 
von anfang bis su ende in seinem latein von germanismen und in 
«einem deutsch von latinismen strotze'. 

ZnnKchst glaube ich nicht an die Unfehlbarkeit der direetoren- 
Versammlungen, vor deren ^hochdaherfthrenden werten* Jäger in 
seinem bereits erwähnten * pädagogischen testament* warnt (s. 3 
nr. 4; vgl. auch nr. 17). um so weniger, als dieselben directoren 
sich noch keineswegs einstimmig gegen das lesebuch von Ostermann 
erklärt haben, und doch enthält dasselbe glmch sn an&ng folgende 
verstösze gegen die 'reine latinität': silva umbram parat (19» 
I 10); copiae patriae victoriam parant (I 19); dementia saepe lacri- 
mas parat (I 21); constantia incolarum saepe fortunam patriae parat 
(II 7); Victoria copiarum ineolis laetitiam parat (III 3; vgl. III 6. 
9. 14. 19. 20). es wird eben nichts so heisz gegessen, als es ge- 
kocht wird, die directoren wissen nur zu gut, dasz die pädagogik 
in noch viel höherem grade als die politik *die kunst des möglichen' 
ist. es kommt blosz darauf an, dasz latinismen und germanismen 
nach krUften vermieden werden, dieses ideal zu erreichen. 



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- 488 Bemerkungen zu Sigismunde iateiDlüchem lesebuck für sexta,^ 

bin ich von vorn herein bemüht gewesen; ich habe mich redlich be- 
blrebt, wirkliches latein und richtiges deutsch zu schreiben, deshalb 
habe ich ohne rücksicht auf raumeröparniä unzählige erläuterungen 
in klammem beigefügt, damit der seztaaer sich mit dem gedanken 
Tertraot mache, dm fiklaTi»ch-g0tr6Qe ttberBetsimgeii Dieht immer am 
platve sind* für dieses aoeknnftomittel hat Mewes aUerdings keine 
äugen gehabt, aber vielleieht verlangt er von einem leeebucfae fUr 
eexta denselbeii flosz der rede wie von einer sehrift Leesings oder 
Giceros. nnn dann weias er eben nicht, was es heistt, sich mit ge- 
bundenen hitaden und ftlszen vorwärts bewegen zu mOssen; was fllr 
hindemisse aus dem wege zu rBumen sind , wenn man 1) mit einem 
bestimmten wortvorrate auskommen, 2) sich möglichst einfach und 
für Sextaner verständlich ausdrücken und 3) dabei doch anziehenden 
Icüestoff bieten will, und hätte die theoretische bebandlung des 
lateinischen Unterrichts, auf die Mewes solches gewicht legt, eine 
noch umfangieicheie lilteratur erzeugt (vgl. übrigens JSger a. o. 
nr. 300), so werden doch diese praktischen scbwierigkuitLU nun 
nnd nimmer aus der weit geschafft werden, wir können uns eben 
niemals ganz aus den banden irdischer unvollkommenheit losreiszen. 
so tadelt Lattmann z. b. den 'schuljargon' des lateinischen Unter- 
richts (*combination der methodischen principien', zweiter abdruek, 
8. 72). uiid doch stehen iii seinem lateinischen elenieiitai buche für 
sexta gleich in den ersten abschnitten u.a. folgende sälze : die mutter 
lobt die sorge der magd (10, 7); das leben der bauem hat sorgen 
(10, 24); die mutter bereitet den hindern eine Üreude (21; 5; vgl. 
22, 9. 26, 7 u. 9. 27, 6); die mutter rettete den kranken söhn durch 
yiele soigen (32, 25); die brayen nachbarn bewahrten eine feste 
freundschaft (39, 13); wir tade]n den urheber der list (44, 9). von 
diesen beispielen — deren zahl stark vennehrt werden konnte — 
sind die einen undeutsch, die andern so beschaffen, dasz sie nicht 
ohne Verletzung des gebotes der 'reinen latinität' übersetzt werden 
können, und doch hat noch niemand dem Verfasser diese versehen 
gleich als verbrechen angerechnet, nun habe ich meinerseits von 
vom herein auf den ausdruck ganz besondere Sorgfalt verwendet 
nnd mich in der bereits erwähnten weise gegen latinismen und ger- 
mauismen zu schützen gesucht, ich fürchtete jedoch mit recht, dasz 
mir trotz aller vorsieht noch mancher verstosz gegen den strengen 
deutschen und lateinischen stil durchschlüpfen würde, und deshalb 
erklärte ich offen im Vorwort, dasz ich mir nicbl einbildete, m UöLer- 
gültiges deutsch und classisches latein zu bieten, ich ^ wagte* 
diesen satz, weil ich m gedanken die — jetzt gesperrt gedruckten — 
adjüctiva betonte, ich behaupte aber ganz entschieden, da^z die Un- 
vermeidlichengermanismen und latinismen in meinem lesebucbe nicht 
zahlreicher sind als z. b. bei Lattmaun, und fordere Mewes auf, mir 
den gegenbeweis zu liefern, wenigstens habe ich das lateinische — 
soweit irgend mOglich — aus Cicero und Caesar entlehnt, die ftUe, 
in denen ich aus andern quellen geschöpft habe, sind zu z&hlen. ich 



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Bemerkungen zu Sigismundti lat«»ini&ciiüiu iesebuch iür eexta. 489 



weisz augenblicklich nur zwei unclassiscbe worte namhaft zu machen : 
subiecti (« unterthaaen) und bistoria (gescbicbte erzftblung); 
jenes ist Taciteiseh, dieses dicbteriscli. dass ioh CiceronianUehe 
&IC0E eipnM^vo benutst habe, wie: Tehicnliim («* fahrzeug), 
— Yerum — tempus est, nt — wird man doch niobt als unstatthaft 
bezeichne wollen, ebenso gibt Wagener (*hanptsehwierigkeiten der 
lateiniBohen formenlehre') im acc. pL m. Ton dno die formen dno 
und dnos als gleichberechtigt an ; wer will mich also tadeln , wenn 
ich aus praktischen rücksichten duos gewählt habe? ja, b&tte 
ich mir nicht in meiner einleitung diese freiheit der bewegong aus* 
drücklieb gewahrt, so würde Mewes meine kleinen sünden gegen die 
'reine latinität' gar nicht bemerkt haben, hat er doch mit solcher 
eile kritisiert, dasz er eine wichtige stelle meines Vorworts ver- 
stümmelt! er läbzt mich sagen: 'jedoch bin ich öfters mit bewuster 
absiebt vom Ciceronianischen sprachgebrauche abgewichen', ver- 
schweigt aber meinen nachsatz, auf den alles ankommt: 
'sobald ich dadurch dem schüler eine erleichterung 
verschaffen zu können glaubte.' (so z. b. durch die latini- 
sierung der griechischen namen auf e, die bei Cicero nicht vollständig 
durchgeführt ist.) 

Sed iiaec hactenub. Mewes bat sieb nicht die mühe genommen, 
sein Verdammungsurteil zu begründen j was boll ich da den leäer 
mit einer ausführlichen Widerlegung ermüden, die doch nnr dann 
wirksam sein würde, wenn ioh das bidbe buch wieder mit abdruckte? 
hingegen kann ich seinen aweiten hauptvorwurf auf der stelle ent^ 
kriU^ten* er behauptet nemlich, man suche vergebens *an der ein- 
richtung' meines werkes ^ach irgend einem neuen prineipi wodurch 
es den Vorzug vor den sahlreich«i bfichern Hhnlicher art zu gewinnen 
versucht hfitte*. thatsftchlich ist schon die anordnung des 
grammatischen Übungsstoffes eine neue, wie Meurer den- 
selben* in Tauli sextani über' nach dem vorgange von Perthes zu- 
rechtgemacht hat, haben wir bereits oben gesehen, noch radicaler 
verfährt Lutsch in seinem neuerdings erschienenen *lehr- und lese- 
buch für sexta'. er beginnt mit der zweiten declination, dann folgen : 
erste declination, adjectiva auf us, a, um, sum, erste conjugation, 
Worte auf er nach der zweiten und adjectiva auf er, a, um , dritte 
declination, adjectiva der dritten, vierte und fünfte declination, pro- 
nomina, zweite conjugation, vierte conjugation, dritte conjugation, 
comparation, adverbia, Zahlwörter. Lattmann ordnet den Stoff so; 
erste und zweite declinaiion, praesens und impf. act. der ersten con- 
jugation, adjectiva der ersten und zweiten, pronomina possessiva, 
praes. und nupL von sum und vom act.ivura der zweiten conjugation, 
dritte declination, futurum, perf. und plusquampf. von üum, amo 
und deleo, perf. der zweiten conjugation, pronomina, fortsetzung 
der dritten declination, adjectiva der dritten, fortsetzung der dritten 
declination, vierte und fünfte declination, passivum der ersten und 
zweiten conjugation, comparalion, die vier coi^'ugationen , präposi- 



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490 Bemerkungen zu Sigisuiundä lateinischem lesebucb für sexta. ^ 

tionen, pronomina. bei Ostermann Ifit die reibenfolge diese: erste 
und sweite deeliiifttioiii acljectiTa der ersten und zweiten , dritte 
dedination , adjectWa der dritten , die rierte und ittnfte deelinaÜon, 
comparationf esse und composite, erste oonjugation, sahlwörier, pro- 
nomina, zweite^ dritte, rierte conjagation, deponentia. Menrer end- 
Hcli liat in seinem lateinischen lesebnche folgende gliedenmg ge- 
wShIt: erste und sweite dedination, adjectiya der ersten and zweiten, 
dritte declination, adjectiva der dritten, forteetzung der dritten, die 
vierte und fflnfto dedination , snm, erste oonjugation, comparation, 
Zahlwörter, zweite oonjugation, pronomina, dritte und vierte con- 
jugatiotti Präpositionen, adverbia, deponentia, conjunctionen. 

Ich meinerseits habe mich genau dem gang der formen- 
lebre nnf^eschlossen und die einteilung in nomina, verba und Par- 
tikeln streng beibehalten, und wenn ich die deponentia ei\va.> zu- 
rückgestellt habe, so geschah das nur deshalb, weil das pi-n-um der 
sexta nicht durchweg gleich bemessen ist und ich für alle fälle die 
haudlung zu einem gewissen abschlusse bringen wollte. 

Ebenso darf ich mich rühmen, da^z mein buch, was die wähl 
des lesestoffs betrifft, ein 'neues princip' vertritt, zum ersten male 
ündet bith hier der verbuch, den sextaner so zu sagen in den vorhol 
des altertums einzuführen, hierbei bin ich ganz systematiseli tn 
werke gegangen, micli leitete die erwägung: der sextanersoll die 
spräche der BSmer lernen, folglich muss er anch mit den Römern in 
erster linie bekannt werden, femer mosten sachliche Schwierigkeiten 
wom(Sglich gans vermieden werden, da die formalen dem sextaner 
schon genug zu schaffen machen, die gegenwart durfte nur gestreift 
werden, besonders wenn es galt, sie sur Vergangenheit in beziehnng 
2u setzen, ich hielt es jedoch fllr gut , erst eine vorbereitende ein- 
leitung zu geben, diese knüpfte idh an die schule an , die zunftchst 
im mittelpunkte der gedanken eines seztaners steht, nnd schilderte 
dann etwas ausführlicher das landleben , jedoch immer nur in um- 
rissen, so dasz alles — rautatis mutandis — auch auf römische Ver- 
hältnisse übertragen werden könnte, von den iorfern zn den Städten 
war nur ein schritt — und jetzt liesz ich die Römer in den Gesichts- 
kreis des Sextaners treten, zunächst als feinde unserer vnrfahi-en, die 
durch ihren beiden Arminius befreit werden, von nun an beschäf- 
tigen sich die ölücke ausschlieszlich mit den Römern, besonders mit 
ihren sagen, aber auch mit ihrem thun und treiben, wobei die Icna- 
ben immer nur so viel hören, aU für sie von intertiie sein kann* 
beäüiiderb cchwierig war der abschnitt über die zahlwörier ; allein 
die dort gemachten angaben Über den luxus der Börner sind für sex- 
taner keine trockene leetllre, sondern werden von ihnen bOchlioh an* 
gesUunt nnd daram anch gemerkt werden, nachdem so der sextaner 
mit den BGmem genttgend bekannt geworden ist, wird er knrt anf 
die Griechen hingewiesen, deren schönste sage den sweiten teil des 
bnches aosfüUt. selbst Mewes will es scheinen, als wftren 'die 
gewählten stoflb vornehmlich geeignet, das interesse jugendlicher 



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Bemerkungen zu Sigismunds lateinischem lesebuch für sexta. 491 

geister zu feisseln'; er meint aber, dieser vorteil giengc infolge der 
^groszenteils banalen arl der erzählung* wieder verloren, da haben 
wir abermals ein kraftwort, welches beweist, wie wenig Mewes zum 
ricbter Uber diesen gegenständ berafen iet. *baaal* mnsz — Tom 
Standpunkte erwachsener ans betrachtet — Jedes buch werden, dessm 
stü sich nieht Aber die einüMshe ansdmdräweise von seztanem er- 
heben darf, oder weiss Mewes nieht, dass ein seztaner eine andere 
Sprache ftthrt wie ein primaner? dass er fast ansschliesslich in haupt- 
Sätzen redet and dieselben nicht einmal verbindet^ es sei denn dnrch 
*nnd da'? dasz er conjanetionennnd relativa selten anwendet? dasz 
er bei der wiedergäbe von Worten anderer personen sich gern der 
directen rede bedient? diesen und tthnlichen eigentttmlichkeiten 
mnsz doch ein lesebuch fttr sezta gerecht werden, wenn es der 
Fassungskraft der knaben nicht zu viel zumuten will, zudem sollen 
die lesestticke doch auch zur einübung grammatischer formen dienen! 
das schönste ist dabei üiir, dasz ich stellenweise die Odyssee fast 
wörtlich übersetzt habe, ich greife die ersten besten stücke heraus, 
z. b. st. 163 = Od. IX 252 £f., st. 168 = IX 398 ff., st. 170 
IX 506 ff. , St. 224 = XX 199 ff., st. 231 XXI 207 ff. ich kann 
mich also mit Homer trösten. 

Doch ich will meine antikriiik nicht über gebühr ausdehnen, 
obschon ich noch auf manche einzelheiten hinweisen konnte, durch 
Wblchü iicb mein lesebuch von andern libniicbcr art erheblich unter- 
scheidet, es scheint mir nun aus meinen ausfübrungen zweierlei her- 
Torzugehen 1) dasz Mewes das werk, welches er so scharf kritisiert, 
nur durobbll&ttert, nieht aber dorchstudiert, nnd 2) dasz er sieh mit 
dem lateinisehen unterricbte in sezta besten falU bloss theoretiaeh 
besobBftigt bat. in der tbat bat er — wenn icb aus Programmen des 
reebten belehrt bin — niemals in sezta lateinischen nnter« 
riebt erteilt, dieser umstand erklSrt vieles, entscbnldlgt aber 
nichts, und ich weise deshalb die Mewessche recension entschieden 
znrflck. noch sind wir im Schulwesen nicht so weit, dasz das höhere 
alter nnd das stndium der pädagogischen litteratur die praktische 
erfobrottg ersetzen konnten« einer unbefangenen kritik kann ich mit 
der ruhe entgegensehen, die dem bewustsein gewissenhafter arbeit 
und redlichen strebens entspringt, dafür bürgt mir schon der um- 
stand, dasz mein buch z. b. in der Rerliner philologischen Wochen- 
schrift (jahrg. X nr. 4 vom 25 jan. 1890 s. 184 f.) folgenderma^zen 
besprocben worden ist : 'es zeichnet sich aus durch eine wohlerwogene 
beschränkung des lernstoffes, durch einrichtung und anordnung, 
welche bei stetigkeil der einübung den erwerb eines bleibenden be- 
eitzes von formen und vocabeln im auge haben, und vor allem dadurch, 
dasz der jugend auch in dem tibersetzungsmaterial eine gesunde, an- 
genehm schmeckende und bekömmliche speise gereicht wird.' 

EisENACH. F&. Sigismund. 



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492 R. Robert : bhtor. Btudien a. d. pharmakol. instiiute d. mÜT. Dorpai. 

44. 

Rudolf Kobert, historische Studien aus dem phakmako- 
logisohen institute der käi8erl. universität dorpat. z. 
Halle, Tausch & Grocse. 1889. VI u. 266 s. gr. 8. 

'Sftttl unter den propbeten', wird mancber denken, wenn er vor- 
stebende anzeige liest, gewis, ein mediciner unter pbilologen; aber 
ein pbilologiscber meditmer« und 8olcb eine erscbeinung ist doppelt 
und dreifacb willkommen zu beiszen in einer zeit, wo sich die gegner 
des gymnasiums nicht zum kleinsten teile aus den Jüngern desHippo- 
krates zusammensetzen. Kobert will nicht, wie die meisten seiner 
berufsgenossen und die naturforscher fast durchweg, nur das rein 
praktische und das was unmittelbar auf die gegenwart bezug bat, in 
den bereich der Untersuchung gezogen wissen, sondern er hält es 
für unerläszlicb , dasz wie jede andere Wissenschaft so auch die der 
naedicin in ihrer geschichtlichen entwicklung verfolgt und so in 
ihrer culturhistorischen bedeutuiig gewürdigt werde, mit gros2er 
wärme tritt er also für die pflege der altertumsstudien Überhaupt 
und fttr die medioinisch naturwissenscbafUiebe pbilologie insbefloii- 
dere ein » wobei er — die werte verdienen weit und breit bekannt 
zu werden — ea nicht als ein nnglttck beklagt, sondern als ein glück 
preist, auf der lateinischen hauptschule der Franckeschen Stiftungen 
iu Halle einen Unterricht empfangen zu haben, bei dem der Schwer- 
punkt auf die alten sprachen gelegt worden sei. es thut einem 
ordentlich wohl, nach so vielen fast durchweg th 5 richten bemer- 
kungen Aber das gymnasium auch einmal wieder ein wort des lobes 
von einem anerkannt tttcbtigen mediciner zu hören ! 

Ton den vier abhandlungen, welche das buch enthält, haben 
zwei unmittelbare beziehung zum altertum, I. R. Kobert *zur ge- 
scbichte des mutterkorn^' und III. R. von Orot 'über die in der 
Hippokratischen schriftensammlang enthaltenen pharmakologischen 
kenntnisse. mit Zusätzen des herausgebers', die männer von fach 
haben allen grund, sich mit dieceu arLikeln genauer bekannt zu 
machen, und ich bin überzeugt, sie werden an der streng wis-en- 
Bchaftlichen art der Untersuchung ihre freude haben, aber ein ab- 
Bchnilt in der arbeit von Kobert geht alle phiJologen, auch die, 
welche von irlippokiatcü und Dioskorides wenig wissen, sehr nahe 
an , das ist seine besprechung der pest von Athen. 

Nachdem der gelehrte verf. eine wohlgelungene flbersetsung 
der einschlfigigen stellen aus Thukydides gegeben hat, setzt er in 
überzeugender beweisftthrung auseinander, dasz wir in jener furcht^ 
baren Immkheit nicht kriegs- oder flecktyphus, auch nicht die ein- 
fachen blättern zu sehen haben, sondern blättern, die darum besonders 
verheerend wirkten, weil sie in einer durch sphacelinsfturehaltiges 
mutterkorn geschwächten volksgesundheit einen eigenartigen ntthr- 
boden fanden, nach dem berichte des Diodor waren der sog. pest 
ein nasser winter und ein heiszer sommer vorweggegangen, und 



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Bobert Binde. 



493 



solche Witterung ist, wie Kobert m der einleitung zeigt, der ent- 
wicklang jener giftigen getreidekrankheit, die man mit dem nameu 
mutterkorn bezeichuet, nur zu günstig, als nun die xithener, blädter 
und landleute, in der belagerten btadt eingepfercht waren und sich 
im wesentlichen auf ^ie ernShmog aus jenem mit giftigen bestand- 
teilen Termengtan getreide angewiesen sahen, da konnte es nicht 
ansblfliben, dans bei ihnen die krankheit einen ganz andern nnd viel 
scblimmern verlauf nahm als bei den Spartanern, nnd dasz alle merk- 
male, welche die Schriftsteller der alten, vor allen Thnkydides, an- 
geben, sich vollstfindig mit denen decken, die auch beute neck bei 
Vergiftung durch mutterkorn beobachtet werden« also *die athenische 
pest eine blattemepidemie bei einer an latentem ergotismus leiden- 
den bevölkerung', das ist eins der vielen wichtigen ergebnisse der 
Kobertschen Untersuchung. 

Stbttik. Chr. Muff. 



45. 

EüBEBT BINDE. 

Ein lehrerleben, reich aa kftmpfec gegen heaimende ge walten, releber 
an gottveitrauen und 'Jeiiem glauben, der uns nie verfliegl', bat am 

20 november des vorig'en Jahres seinen abschlusz g-efunden. 

Auf dem katheder traf den verblichenen, für dessen geschioke diese 
seilen in weitem Icreisen teilnähme weelcen sollen, der todbringende 
ftchlaganfall, der ihn noch swei tage auf das sterbelaf^er streckte. 

Wenn nur-h der hrimfrccanpf ne, Oberlehrer dr. R oh e rt H i n de vom 
königlichen evangeliäciien gymnasium zu Ologaa, mit arbeiten rein philo- 
logiBcher oatur selten and in dieser Zeitschrift nie an die Öffentlichkeit 
getreten ist, so war er doch pftdagog und lehrer im vollen sione des 
wertes, und ein abrisz seines lebensgang(^s ifirfte gleichalterigen — er 
war am 13 aprii 1823 geboren — erinneruiij^en an alte zelten erneaeni 
jüngeren aber einen lohnenden blick in die Vergangenheit eröänen. 

Seine eitern waren uhrmacherslente; in einem kleinen hXasefaen an 
der ecke der Bargstrasze nnd des marktplatzes za Qardelegen erblickte 
er das licht der weit, eine kleine Zeichnung seines elternhauses hieng 
als teuerster besitz über seinem Stehpult, ungemein fesselnd waste er 
ans seiner kindheit sn ersHblen; das leben der kleinen «ItmSrkischen 
Stadt, unter deren einwohnerschaft die originale nicht spärlich rertreten 
waren, bot seinem geiste die ersten eindrücke, die bei seinem tiefen 
gemütsieben unauslöschlich darin haften sollten und einen zug zu ge- 
sundem hamor in ihm entwiekelten. 

Auch an tragisehen einwirknngen fehlte es nicht; von wiederholten 
fenersbriinsten, dip, wie man munkelte, von verbrecherischer band an- 
gelegt waren, von einer weitverzweigten diebesbande, die auch an der 
lierliner qnästur einen einbrueh ausübte und deren entdeckung in die 
kleine Stadl unweit der hannöversehen grenze hinein^pielte, wüste er 
MUS trenem gedäihtnis. nnd wenn er sich sehr wohl fühUe, in der 
spräche Reuters zu berichten, leider hat sein unerwarteter tod seinen 
plan, diese erinnerungen niederzuschreiben, vereitelt. 

Nach besneh der heimatlieben bQrgersehnle arb«*Uete er bis inm 
I8n lebensjahre als gerichtsschreiber; denn es lag nicht im willen seiner 
«Item, ihn einer höheren laut'bahn zuzuführen. 

Aber sein reger geist liesz ihm keine ruhe} für seine kargen spar- 



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494 



fioberi Binde. 



gropchen kaufte er Kich bücher tind lernte, ohne anleitnnf^ zu baben, 
latein und griechisch; mit raftlosom fleisze errang er die reife für 
Becunda. er besachte die gyiuiiamea zu Stendal und Salxwedel; von 
seinen lehrem prägten sich besonders Danneibl, reetor sa Stendal» 
Schräder und Haacke. der yerfasser einer staatengescliiehte des alters 
tams, seinem gedächtnis ein. 

Am 11 m&rz lö4ö erwarb er das zeugnis der reife, jubelnd ineidut 
er dies seinen eitern, die darin wenigstens einen beweis seiner h9beren 
bestimmun g erkannten. 

'Arm wie oint» kirr«henmau8', so pflegte er selbst zu sagen, kam er 
in demselben Jahre nach Berlin, wo eine neue weit ihm aufgieng. die 
uniTersität vereinigte damals lehrer nnsterbliclien namens, sein wissens- 
dran^ trieb ihn in die hÖrsSIe aller facultäten. sein denken nahns unter 
Trendelenburgs leitung eine entscheidende wendang /nr pbilosopbie; 
mit Ueberweg disputierend Instwandelt er im kastanienwäldchen. die 
briider Grimm, Lacbmann, Böckb, Meineke, Werder hinterlassen m 
seinem geiste durch ihre persönllebkeit wie ihre lebren bleibende sparen. 

Die stürmischen märzta^':c von 1848 erregen ihn aufs tiefste, er 
nimmt eifrigen auteil an der politischen bewegung jener zeit, aus der er 
viele einzelheiten noch Jahrzehnte nachher fesselnd zu erzählen wüste, 
hier sei gestattet, eine kleine ofl von ihm mitgeteilte aneMote fiber Laeb- 
mann anzuführen, der grosze kritiker zog mit einem häufleiu aufge- 
negter Studenten durch die Luiscnstrabze. ein ladenschild, das in 
groszeu buchstabeu die aufschrift. ^niederlage' trug, gab ihm veranlas* 
Bung zu der bemerkung: ^hier steht niederlage; das ist ominös.' so 
yerlengnete sich niebt der melster la der anslegung des menseblichen 
wertes. — 

Im frubling 18ö0 verliesz der junge gelehrte die Universität, haus- 
lehrerstellen führten ihn naeh Pommern, MeeklenbArg and der Priegnits 
nnd lehrten ihn die weit kennen; in Prenzlauunter dem strengen haus- 
regiment einer fraii von TToltzendorff fand er mnsze zu wissenschaft- 
licher beschät'tigung und zur Vorbereitung tür die Staatsprüfung, die er 
gegen ende des jabres 1866 rühmlieh bestand. 

An Berliner privatschulen hatte er inswischen aueb geschicklicb« 
keit und erfahrung für seinen beruf erworben unA kurze zeit nach dem 
examen pro facultate doceudi legte er noch die prüfung pro reotorata 
vor der schulprüfun^Bcommission in Köslin ab* 

Ausgerüstet mit dieser Vorbildung trat er 1857 in Glogau am evan* 
gellöchen gymnasium ins lehramt. unter Klix' leitung beeudigle er srin 
pädagogisches probejahr und fand 18ö8 dauernde anstellung. I8ö9 
führte er als treue gefährtin seines lehens die älteste tochter seines 
amtsgenossen, des Oberlehrers E. Stridde heim, in dem ersten Jahr- 
zehnt der ehe blieb ihm die äuszere sorge nicht immer fern, und doch 
zanderte er nie einen augenblick, wenn t8 galt, einen i*edürftigeo ver- 
wandten zu unterstiitzen; auch verlor er in dieser zeit kurz hinter ein- 
ander seine 6ber alles geliebten eitern. 

Er begann eine eifrige und gesegnete lehrthätigkeit, die band in 
band gleng mit einer staunenswerten urbeitBamkeit iu der philosophie. 
die gedanken, die seinen köpf bewegten, brachte er in immer neuen 
formen su papier, sich selbst damit rastlos klärend and fördernd, wie 
oft traf man ihn noch am späten abend, nachdem er die anstrengenden 
berufsgeschäfte, correcturen, Vorbereitungen u. dgl., erledigt hatte, emsit; 
über biicheru und panier, ein unwiderstehlicher drang, der ihn bis iua 
alter jugeudfrisch nnd begeisterangsfilhig erbielt, trieb ihn, ohne jede 
rücksieht auf äuszern erfolg stetig weiter zu schaffen, zu sinnen, zu 
arbeiten, eine milchende kuh war seine Wissenschaft jedenfalls nicht, 
ja» ein weh beschleicht den, der dies mühselige ringen mit ansah, bei 
dem gedanken daran, wie angfinstig gerade die jähre Ton 1860 bia 
nahesu 1890 der philosophie waren! 



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Robert Binde, 



495 



80 fehlte es oft seinem nie müden etfer an der eimutignng, die 

von anszen kommt, um (las wicbtig^ste hervorzuheben, er beteiligte sich 
an einer von der Göttiuger philosophischeo facultät g^estellten preis- 
bewerbung. die UDsäglicben Schwierigkeiten, die jeder wiseeuschaft- 
liohen arbeit in einer kleinen stadt erwachsen, Überwand er dnreh eine 
nnvcrfrleichliche ausdaner. eine iibei wältipende erinnernnp', als er eines 
abends vor dem postgebäude im daiiiinerinleM zwioHcht mit zitternden 
bänden die höchst auerkeuueude antwort der lacuiiüt entfaltete und 
entiiffertel das seiner arbeit gespendete, redlieh verdiente lob ergriff 
ihn in tiefster seele. den ersten preis erhielt er leider nicht, weil die 
gewünschte Vollständigkeit nicht erreicht war; der zweite preis, zn 
dessen erringung die bedingungen anderer natur waren, war ander- 
weitig vergeben, für ihn war gleiehwohl der nbend einer der denk- 
wOrdigsten seines lebens. 

Noch öfters hat er sich hiernach an preisbewerbunp-en beteiligt 
und fast immer mit ähnlichem erfolge; er erwarb die anerkennendsten 
Worte und gieog nm ein haar des ausgesetsten preises yerlnstig. gleich- 
wohl blieb mismut und Verzagtheit seiner natur fern, 'ieh bin schon 
ein pechvogel' war die einzi;^e klage, die man hörte, als Sonnenstrahl 
in das letzte jähr seines lebens (18dd) üei ein anerkennnngshonorar von 
600 mark, das er vom allgemeinen deutschen schriftsteiler verbände für 
eine arbeit über Leasings Stellung zur frage der Wiedergeburt erwarb. 

Die Göttinger preissührift beschäftigte ihn unausg^esetzt weiter; es 
war schwierig, einen Verleger für das weitläufig augelegte werk au 
finden; die einleitung ist in erweiterter gestalt als broschüre bei 
Dümmler in Berlin 1880 erschienen unter dem titeh 'das soll und 
haben der unensehbeit. kritische einleitong in die philosophie der gO- 
schifhte von dr. Kobert Binde.' 

Zum druck gelangte ferner im Verlage von C. Flemming in Glogan 
eine rede Uber Fichte als denker nnd staatsbBrger sn dessen hnndert> 
jStbrigem geburtstage, die unter dem namen Otto Dorneck geht. 

Hieran schliesze sich eine Übersicht seiner programmabhandlongen 
nach der Zeitfolge: 

1) de Cleonis oratione qnae est in tertio lihro Thucydidis commentatio 
eritica et exegetica. 1859. ^ 

2) Aristobnlisclie stndien. I. 1869. 

3) Aristobulisüiie Studien, II. 1870. 

4) I. über räum und seit 1867. 
5^ II. über krafi und Stoff. 1868. 

6) L. Annaeas Seneca quid oensnerit de rerum natura ae de vit» 

bumana. 1883. 

7) begriff, urteil und schlusz in ihrer gemeinsamen wnrsel. I. 1887. 

8) begriff, urteil und sehluss in ihrer gemeinsamen wurzel. II. 1889« 

Gedruckt wurden auszerdem einige kritiken von dissertatxonen und 
Schulbüchern, sowie mehrere belletristisch gehaltene aufsätze, kleinere 
gedichte, rätsei u. dgl. 

* Sein reieh entwickeltes redetalent stellte er jederseit bereitwilliff 
in den dienst der schule, dank und anerkennung erntete er damit mehr 
als sein bescheidener sinn begehrte in der lege, seine populär-wissen- 
Bchattlicheu Vorträge und Vorlesungen stehen in gutem andenken bei 
seinen mitbürgeru« 

Wenn wirklich die zeit in den hintergrund getreten ist, wo zur 
Wertschätzung eines lehrers die frage: was hat er geschrieben? was ist 
von ihm gedruckt? in erster linie mitsprach, so darf man dem urteil 
der Schüler des heimgegangenen einiges gewicht beilegen, die nah nnd 
fern durch seinen tod im innersten erschüttert wurden und sein an- 
denken durch ein denkmal zu ehren im bep:rifT Rind, vielleicht also ist 
er jenen eher beizuzählen^ bei denen man tragen musz, wie sie gelebt| 
gesprochen, gelehrt, was sie gewirkt haben. 



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496 



Erwiderong, 



Was er a!s mensch gewesen ist, hätte der arme schnlcr, der hilfs- 
bedürftige Student, der ratsuchende caiididat, so mancher mühselige 
und beladeue, dem es iu der weit zu glänzen nicht glückte, wobi am 
bestell eu sngen g^ewast; hier sei es dtireh einen beseiehnenden sog 
angedeutet, vor kurzem erhielt seine witwe den brief eine» jungen 
mannes aus Berlin, der nach einem vereitelten yersnche, «ich ein ende 
zu bereiten, so eben aus dem kraukenhause entlassen war. dieser, 
einstmals sein sehfiler und pflegling, schreibt, mit seinem tode hütten 
sich zwei äugen geschlossen, die ihn als knaben wie nur die seiner 
leiblichen eitern ganz darcbscbaut und ganz Tsrstanden lifttten. 

0. 



46. 

ERWIDERUNG. 



Aus dem aufsatze 'die lateinische tempuslehre', den A. Wal deck 
(Corbaeb) im siebenten heft dieser Jahrbücher s. 369 ff. gegen meine 
Im nennten heft des Jahrgangs 1889 derselben erschienene Kritik seiner 
ahbandlungen (hsft 17 nnd 18 der 'lehrproben und lehrgSnge*) richtet, 
ersehe ich mit verofnügen, dasz ich ihn criindlich misverstanden habe 
und dasz W. weuigeteus in d<^a hauptgesichtspunkten mit mir völlig 
ftbereinstimmt. dieser erfrentiehen tluitsaehe gegen&ber rerziehte ich 
darauf, die mehr untergeordneten punkte noch bestehender meinnngs- 
Verschiedenheit nochmals zu erörtern, Tind überlasse es den lesern xti 
beurteilen, inwieweit etwa VV.s ausdrücke iu deu Mehrprobea' geeignet 
waren, meine misverständnisse hervorzurufen, ich würde mich hierüber 
mehr bennmhlgen, wenn nicht J. H. Schmalz in seinem programm 'er- 
läuterungen* zu meiner lateinischen schulgrammatik (TauberM^chofs- 
heim 1890) s. 21 meine einwendungen gegen W. als 'nicht ganz uube« 
rechtigte' bezeichnet hätte. 

Sodann aber wendet sieh W. g%gen die darstellung der tempnslehre 
in der grammatik Lattmann-Müller, um zu zeigen, dasz fluch in dieser 
der grundsatz von der Unterscheidung selbständigen und bezonenea 
tempusgebrauches nicht streng durchgeführt sei. ich musz bekennen, 
dasz seine aasffihrnngen in diesem abschnitte groszenteils durehans zu- 
treflfend sind, aber leider sind W.s angriffe insofern gegenstandslos ge- 
worden, als in der neuesten aufläge von Lattmann-Müller 1890) die 
tempuslehre auf gruod meiner schrift 'selbständiger und bezogener 
tempusgebranoh im lateinisehen* (Vandenhoeck nnd Ruprecht 1890) eine 
volistöndige nmarbeitung erfahren hat, in der wenigstens manche der 
von W. gerügten scliwäcben beseitigt sind, ich mfJchtc daher jeden 
leser, der sich aus W.s aufsatze em urteü über die grammatik von 
Lattmann -MQUer bilden wollte, bitten, dabei gefälligst die seueste auf- 
läge dieses buches zn TOrgleiehen. 

OöTTUtOEN. Hebhakh Lattmasm. 



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ZWEITE ABTEILUNG 

rÜE GIMUASIALPÄDAGOGIK UKD DIE ÜBRIGEN 

LEHfiFÄCHEB 

MIT AUSSCHLUSS DKB CLASSISCHSN PUILOLOaiE 

BBRAUgGBGBBBN VON PROF. DB. HBBHAMJr MA8IU8. 



47. 

DER ZÜDRANO Zü DEN GELEHRTEN BERUFSARTEN, 

SEiKE üRSACHEIs UND ETWAIGEN HEILMITTEL. 



Bekanntlich bat der realschulmännerverein die bearbeitung dieser 
fra^e als preisaufgabe gestellt, das Preisgericht bestand aus den ab- 
geordneten Seyffert-Magdeburg, v. Zedlitz-Neukirch, den profeisoren 
Paulsen und Conrad, dem vortragenden rat im Unterrichtsministe- 
rium Höplner, den directoren Steinbart und Schauenburg, es wurde 
entschieden, dasz keine der 76 eingelieferten arbeiten den vollen 
preis erhalten solle, dasz die Verfasser der beiden bcstcii arbeiten 
sich in den preis zu teilen hatten, dieselben sind professor Pietzger, 
Oberlehrer am gj^mnasiom En Nordbauseu und professor Trentlein 
am gymnasinm in Earlsrube. beide sehriften sind, sn einem band 
Tereinigt, erschienen bei 0« Salle in Brannschweig. wir kOnnen es 
verstehen, dasz es dem Preisgericht nnmSglich Bchien, die eine dieser 
beiden hervorragenden leistongen flber die andere zn stellen, nnd 
wenn wir hier nns nur mit der zweiten besol^Kfdgen, so geschieht es 
haoptsSchlich deshalb, weil sie nicht wie die erste sieh blosz anf 
Prenszen beschränkt wir möchten durch eine möglichst gedrttngte 
Inhaltsangabe der umfassenden Untersuchungen des zweiten Verfas- 
sers die aufmerksamkeit auf diese hoch bedeutsame zeitfrage hin* 
lenken and zugleich zu einer eingebenden Würdigung beider Schriften 
anregen, die wir fttr wichtige marksteine auf dem wege zn einer 
gesunden Schulreform ansehen. 

Die bezeichnung 'gelehrt' wird man wohl mit beiden Ver- 
fassern gelten lassen für alle Richer, deren ergreifung eine durch 
akademische Studien zu erwerbende Vorbildung voraussetzt, auch in 
der beantwortuner der grundlegenden frage nach den gründen, welche 
zur ergreifung eines gelehrten faches drängen , wird man beiden zu- 
stimmen können: es sind entweder natürliche, in der unveränder- 

N. jahrb. f. phU. u. päd. IL abt. 1880 ha. 10. 32 



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498 Der zndraag za den gelehrten beru&arteiu 

ten natnr des menschen Hegende oder sie entspringen ans ttuszeren 
YerhSltnisses^ 

Als die wichtigste aller regnngen menschlichen wesens nennt 
Treutlein den Selbsterhaltungstrieb, derselbe findet fttr sehr 
viele seine befriedigung in der zagebörigkeit zu dem beamten- 
s tan de, weil hier die den lohn bringende stellang fflr die dauer 
verblirgt ist, weil der lobl selbst in zeiten vorübergehender arbeits- 
nnföhigkeit geleistet wird und ein hoher bruchteil als rohegebalt 
gezahlt wird. 

Innig verbunden mit diesem trieb ist derjenige nach erhal- 
tung der ari. der sorf^e für die nachkommen entspringt ein ver- 
stärkter anreiz zur stt if.'erur.c^ eignen lohnempfanges, also ein erhöhter 
antrieb zur erlangung der befähigung, besser bewertete geistige arbeit 
zu erzeugen; eine ursnclie für die eitern, ihre söhne aut die bänk© 
der besseren schulen zu bringen. 

Der das menschliche leben adelnde erkenntnistrieb äuszeri 
sich bei unserem volke vorzugsweise in der neigung zu theoretischem 
erkennen; zum theoretisiereu und ruft so die erscheiuung hervor, 
dasz man sich bei uns mehr als bei andern culturvölkern zum er- 
greifen eines gelehrten faches drängt. 

In unserem empfindungsieben hat seit langer zeit 8i<^ das 
Torurteü eingenistet, dasz gelehrsamkeit an sich schon, ja dass ge- 
lehrter und selbst halbgelehrter schein höhere achtung verdiene als 
wirkliehe körperliche oder geistige vorzttge. daraus ist entsprungen 
das allzu yomehme herabsehen der monopolisierten classisehen schule 
auf den sogenannten materialistischen utilitarismos der andern höhe- 
ren schulen, welches das übel jenes Vorurteils gesteigert und die 
ansieht herausgebildet hat, das Studium an sich sei ehrenvoller als 
eine thtttigkeit im wirtschaftlichen erwerbsieben. 

Die willensthtttigkeit, die im Charakter liegende energie 
treibt den einzelnen, eine freie Stellung und Selbständigkeit zu ge- 
winnen, macht und einflusz zu erlangen, um in gemeinde und Staat 
zu den obersten der oberen zehntausend zu gehören. 

Alle die g-enannten strebungen sind bentzulacre nicht häufigere 
erscbeinungen als früher, aber die eigentümliche gestaltung unserer 
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen 
Verhältnisse bewirkt, dasz jene btsirebungen ihr ziel vor allem zu 
erreichen suchen durch die wähl eines gelehrten berufes. 

Die politischen zustände Deutschlands haben sich m wenigen 
Jahrzehnten in einer weise geändert, wie sie selten in der geschichte 
sich findet, die Vorzugsrechte einzelner stände sind gefallen, zoli- 
und zunftschranken verschwunden, freiheit des gewerbebetriebes ist 
staatlich verbürgt, ebenso gleichheit vor dem gesetz ; die allgememe 
Wehrpflicht ist fttr ganz Deutschland eingefllhrt, die selbstverwal* 
tung, das allgemeine und unmittelbare Wahlrecht. *wersogeschttttelt 
und gerüttelt wird wie das deutsche volk% meint verüuser, *der 
musz gehoben werden.* die hebung des ganzen kann aber nur 



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Der radrang sa den gelehrten berufBarten. 



499 



geschehen durdli die hebtuig des einielnen. daher hat schon die in- 
stinctive empfindung der neuen Ordnung der dinge viele eitern gerade 
der tiefer stehenden gesellschaftsschichtenyeranlaszt, ihre söhne dem 
weiter gehenden Unterricht zuzuführen, um sie für den auszerordent- 
lich gestoieferten Wettbewerb auf dem wirtschaftlichen gebiete fähig 
zu machen, diesem bilduuL^sstreben kommt die merürt? von bil- 
dungscentren fördernd entgegen, welche in Deutschland infolge 
der yielstaaterei besonders zahlreich vorhanden sind, ferner der in 
unserem Jahrhundert zur Wahrheit gewordene allgemeine voiks- 
Schulunterricht. 

Aus der angedeuteten änderung der allgemeinen politischen 
Verhältnisse erflossen noch weitere besondere Ursachen des gesteiger- 
ten zudrangs zu den höheren schulen und infolge dessen zu den, ge- 
lehrten berufsarten, vor allem die einfuhrung der allgemeinea Wehr- 
pflicht in den nichtpreaszischen Staaten und die damit 
yerbimdene einrichtimg des einjfthrig-freiWilligenwesens. 

Wahrend auf dem gewerblichen und dem kAnfmftnnischen ge- 
biete der bedeutend Yeracfaftrfte Wettbewerb durch erhöhte anspan- 
nnsg der geistigen krftfte die schule fallt, ist das handwerk infolge 
der dnrchftthrnng des maschinenbetriebes snrttckgegangen, und mnt* 
losigkeit, der verlast des glanbens an die snkunft des handwerks 
bestimmt manchen handwsrker, unter grossen opfem seinen söhn der 
höheren schule anzuvertrauen, um ihm die erreichung mindestens 
einer niederen beamtenstelle zu ermöglichen. 

Auch das daniederliegen der 1 and Wirtschaft wirkt in der* 
selben mease. 

Ein weiteres wichtiges moment bilden die gesellschaft- 
lichen Verhältnisse, die gesamtheit der erschoinungcn , welche 
man unter dem namen der socialen frage :^usammenfaszt * das 
mit elementarer gewalt sich vollziehende aufwärtsdrängen der nach 
arbeitsverdienst und leben.-^h dUmi^^ niedersten pohichten des volks- 
ganzen, um zu politischer bedeutung, zu höherem Wohlbefinden zu 
gelangen, die folge ist, dasz die nächst höheren schichten ebenfalls 
gedrängt werden emporzustreben, und so durchsetzt sich jeder stand 
mehr und mehr mit elementen, welche den unter ihm stehenden 
ständen entstammen. 

Aber nichts ist so bedeutsam, als die einwirkung der bchul- 
verhftltnisse Deutschlands in Verbindung mit den poli- 
tischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen zu- 
s t S n d en. ->Yerftisser gibt in diesem abschnitt umfassende statistische 
mitteilungen über das leben der höheren schulen vornehmlich 
Preuszens und Badens, das gesamte deutsche Schulwesen konnte er 
nicht derselben gründlichen betrachtung unterziehen, da die schul- 
Statistik in den andern deutschen Staaten sehr im argen liegt, doch 
werden hie und da auch andere deutsche Staaten und selbst Öster- 
reich herangezogen, ftlr Preuszen benutzte er die amtliche Statistik 
der letzten 30 Jahre, fttr Baden gieng er auf 63 jähre zurflck, für 

82* 



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500 Der zadrang zu den gelehrten berufearten. 

Preu^zcn kommen nahezu 3 millioiie& 8chUler in betracht, für Baden 
beinahe million. 

Wir werden nur einige der wichtigsten zahlen hervorheben und 
uns im wesentiicheu auf Preuszen beschränken, zunächst gilt es zu 
zeigen, dasz fast sämtliche schtiler, welche eine höhere biidung als 
die der elementarschule erstreben, gezwungen sind, eine lateinschule 
zu besuchen, also eine schule, welche nach den ausdrücklichen er- 
kläruDgen der behörden zum besuch der Universität vorbereitet, von 
1859—86 gab es 
in PxeuBsen latdnaelnileii ttberbaapt: 98%, gjmnasien 60% i 

latelnlose scbalfin 7%, 
in Baden lateinsdialen flberbaupt: 89%, gymnasien 29 
latelnlose sohnlen 11 Vo* 

Die indnstiiearmen landwirtachaftlieben provinzen Prenssena 
und die norddeutschen mittelstaaten besitzen verlüiltniemSszig die 
meisten gymnasien. so z.b. kommt ein gjmnasium auf 200000 ein- 
wobner im königreioh Sachsen , auf 80000 ein wohner in Pommern. 

Ale ein unsere schulverhältnisse kennzeichnendes merkmal ist 
besonders die anzahl der abiturienten za betrachten, um gleich- 
artiges zu vergleichen , hat Verfasser die zahl der abiturienten der 
einzelnen jähre in beziehung gesetzt mit der gesamtzahl der schüler, 
die 9 jähre vorher in der pcxta anwesend gewesen, danach ergibt 
sich, dasz in Preuszen in den jähren 1867 — 78 durchschnittlich 
26,3% abiturienten waren, also wenig mehr als ein viertel 
der in sexta eintretenden schtiler erreicht das ziel der 
schule, 'welche harte, ja schreckliche thatsache spricht sich in 
diesen werten aus! man bedenke, dasz der ganze lehrplan, die ganze 
Unterrichts weise unseres gymnasiuras auf das volle durchlaufen des- 
selben eingerichtet ist, dasz m deu uulereu und mitLiereu cla^seu 
im wesentlichen nur gesät wird, um in den obersten zu ernten, dasz 
die reife fimcbt, der wahre lohn all der Jahre langen anstrengungen 
nur dem Terbeiszen wird, der bis zum ende bindnrobdringt. wobl 
sagen die yerteidiger solchen zustandes, die Terfecbter der idee und 
der beu Ilgen Verwirklichung der idee des gy mnasiums, dasz die vor 
erreiebnng des Zieles abfallenden sich selbst den schaden sueu* 
schreiben haben, die einbusze an ;irahrem gewinn, den teilweisen 
Verlust ihrer jugend, die mangelhafte Vorbildung für ihre lebens- 
zwecke . . wo bleibt die schuldige rttcksicht auf jene abfallenden 
66. ja 73 7o?' 

Zieht man die schüler sämtlicher lateinschulen in betracht, so 
ergibt sich, dasz von den in den letzten 10 jähren in sexta dieser 
schulen aufgenommenen schülern durchschnittlich 21^4 7o abitu- 
rienten entlassen worden sind. 

Dieses ergebnis allein reicht nach des Verfassers ansieht hin, 
um die verlassung des höheren Schulwesens als unzweckmäszig zu 
erkennen, in höherem masze ergibt sich diese erkenntnis aus einer 
betrachtung des Schülerabfalles, d. h. der von jähr zu jähr ein- 



I 

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Der zudrang zu den gelehrten berufsarteu. 501 



tretenden Verminderung der ursprünglichen schttlerzahl von sexta. 
dieselbe läszt sich feststellen durch einen vergleich der ßchülerzahl 
der untersten classe mit der der nächsten classe im folgenden jähr 
usw. nach des Verfassers berechnungen für die jähre 1867 — 78 er- 
gibt sich, dasz in Preuszen von den schillern der untersten classe im 
vierten Schuljahre nicht einmal aller vorhanden waren. — 63% 
aller ursprünglichen sextaner der realistischen kiciuöchule sind mit 
beginn von obersecunda verschwanden. — Nicht einmal die bälfte 
aller sextaner der gymnasien undprogymnasien erreicht oberseeonda. 
— Dies sind diejenigen , deren * verkrüppelte und Terkttm- 
merte bildnng' herr von Goesler beklagt. 

Nur 27% den griechisehen anterricht beginnenden sind es, 
die denselben bis zum ende der gymnasiallanfbahn genieszen« mehr 
als Vi ftli^t die ihn begonnen, itthren ihn nicht zn ende^ sie werden 
3 — 4 jähre mit der grammatik dieser spräche geqnSlt, ohne irgend 
welchen gennsz ihrer Schönheiten zu empfinden, ohne irgend welchen 
inneren nutzen. 

Auf gmnd sehr mflheYoller Untersuchungen der schulverhält- 
nisse Badens wird alsdann gezeigt, dasz die einftüirang des eiiyährig- 

freiwilligen militärdienstes im Jahre 1866 den besuch der oberen 
classen bedeutend erhöht hat. daher ist anzunehmen, dasz diese ein- 
richtun,<^ nin sehr starkes anreizmittel zum tibergange auf die hoch- 
schole und zum ergreifen eines gelehrten faches ist. 

Mittel gegen die Überfüllung. 

Man hat oft gesagt, eme bes-erung der geschilderten misstände 
werde sich von selbst einstellen, das gleichgewicht zwischen angebot 
und nachfrage werde sich auch hier von selbst bilden , wie in den 
30r und 40r jahreU; so werde auch jetzt der rückschlag erfolgen, der 
Verfasser erwidert dagegen, di\sz allerdings die natürliche entwick- 
lung der dinge im laufe der zeit emen ausglciuh herbeiführen werde, 
aber wer auf die selbstbeilkraft der natur baue, mtUse auch stür- 
mische entwicklongen, gewitterartige ausgleicbungen mit in den 
kauf nehmen, vor allem aber gelte es, einem immer wiederholten 
auftreten desselben ftbelstandes Torzubeugen. 

Die grilndlichste besserung wäre eine allmfthliche Umgestaltung 
der öffentiichen meinung, welche durch die einwirkung des Staates 
wohl angebahnt werden könnte, bekannt genug ist ja die thatsache, 
dasz der kaufmann, der industrieUe in Deutschland im allgemeinen 
nicht die Stellung einnimmt, die ihm gebührt und die er im auslande 
allgemein besitzt. Treutlein beklagt mit recht, dasz in den höchsten 
stellen der Staatsverwaltung der Jurist der geborene leitende beamte 
sei^ man solle, meint er, auch techniker, kauHeute in solche Stellun- 
gen einrücken lassen, die Staatsverwaltung selbst werde davon den 
grösten vorteil ziehen, das sogenannte monopol des grünen tisches 
mit seinen einseitigkeiten werde verschwinden, die Wertschätzung 
der nicht rein gelehrten berufsarten werde steigen und die rück- 



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502 



Der zudraug 2u den gelehrten berutaarten. 



Wirkung auf die höheren bchuku werde nicht ausbleiben , statt der 
vorwiegenden buchgelehrsamkeit werde das äuge und die band mehr 
zn ihrem rechte kommen. 

Dagegen ist eine vcormindenmg des Zuganges zu den gelebfien 
fächern dnroh eme einwirkung anf die natur des menschen, anf die 
in seinen k<^rperlieh«i und geistigen eigensehaflwn gegebenen be- 
dingongen kanm zn erwarten. 

Die gründttng der eolonien wird im Unfe der zelten einen 
heilsamen einflasz ausüben, wie das beispiel Englands zeigt. 

Wir können TrenÜein nur beistimmen in der bebaaptongf dasz 
die einricbtuDg des einjährig-freiwilligen milit&rdienstes an und für 
sich nicht als hauptursache der überfüllnog anzusehen sei. obgleich 
allerdings durch sie — wie zahlenmäszig von ihm nachgewiesen — 
ein sehr starker antrieb zu regerem besuche der höheren schulen und 
dadurch häufigeres hinwenden zu den «belehrten fächern bewirkt 
worden sei. 'nur die begleitenden Verhältnisse, haupt- 
sächlich das ungleiche berechtigungs wesen unserer 
schulen und auch dieses wiederum nur in Verbindung 
mit der eigentümlichen paral lelgliederung deibeiben 
sind schuld an dem gerügten misstand.' in der that fordert 
die oberste militärverwaltung nur die bis zu einem gewissen grade 
erworbene kenntnis von zwei fremden sprachen, nicht von zwei alten 
sprachen, vor dieser behürde sind also die la Lemioseii 
schulen ebenso berechtigt als die gjmnasien. 

Treatlein fordert hebung der materiellen läge wie anoh des an* 
Sehens des handwerks, des gewerbes, des handele, der landwirtschaCt 
unter der mitwirknng der öffentlichen bebdrden. im norden und 
Osten Deatsehlands liegen weite strecken landes in grossen gütem 
zasanunengehalten, die so maneher bttuerlichen familie gesunde 
lebensbedingangen schaffen könnten, es ist bezeichnend, dasz 
in jenen gegenden zugleich dieauswanderung am stärk- 
sten und die zahl der gymnasien am grösten ist. — Die 
bescbaffung von geld und credit müste noch mehr erleichtert, bessere 
beschaffung von mittein und maschinen , leichtere Verwertung und 
gründlichere ausnatzung der arbeit müste erstrebt werden, ebenso 
die häufigere zusammenscblieszung der einzelnen zu vereinen und 
genossenschaften angeregt und durch das beispiel gefördert werden. 

Eine änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu 
versuchen, wäre vergebliche mühe, in der sogenannten socialen trage 
tritt uns eine durch die vorangegangene entwickhing herausgebildete 
erscheinung von so elementarer naturgewait entgegen, dasz ihre 
weitere entwicklung zurückhalten zu wollen ein vergebliches be- 
mühen wäre, wenn immer breitere volkbtaassen in besserer geistiger 
ausbildung ihrer söhne instinctiv das mittel zur besserung ihrer wirt- 
schaitlicheu läge finden, so ist das als th^ti^auLe hiuzunehmcD. der 
Politiker^ insbesondere der leiter einer weisen Schulpolitik muäz da- 
nach handeln, die schuleinrichtungen müssen sich den 



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Der audrang cu den gelehrten berafsarton. ÖOS 

gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen, unseren ge- 
sellschaftlichen zuständen wird aber ihr wesentliches gepräge ver- 
liehen durch das beamtenwesen. eine fin (Gerung in der fachlichen 
Vorbildung der beamten, in ihrer nn Stellung würde wohl den zudrang 
gründlich herabmindern, aber diese besserungen würden allzu grosze 
nachteüe bedingen, die tüchtigkeit der beamten würde darunter 
leideij, und wir haben alle Ursache, uns unseres hingebenden, pflicht- 
getreuen und ehrenhaften beamten Standes zu freuen. 

Wohl aber ist eine gründliche besserung zu erhof- 
fen von einer änderung unserer schule inrichtungen. . 

Die grundgedanken einer nöugtstaltung des mittelschulwesens 
ergeben sich aus sämtlichen dargelegten verhältnissenund 
aus der schuldigen rfloksicbtnabme auf die bedürfnisse 
einer fibergroszen mehrheit^ Torausgesetst dast hier- 
bei die interessen der weiter strebenden minderheit 
ihre Tollwertige beaehtnng finden. — Im Öffentlichen 
Interesse einer gemeinsamen allgemeinen Vorbildung 
nnd in rCtcksicht auf die völlige Unbestimmtheit der Zu- 
kunft der in die höheren schulen eintretenden knaben 
moaz die hdhere schule in eine untere und eine obere zer&llen, deren 
erstere eine einheitsscbule sein und 6 oder 6 jahrescurse umfassen 
musz. die Unterrichtsmittel dürfen für diese untere stufe nicht- in 
der absieht gewählt werden^ dem nach 9 jähren zu erreichenden end- 
ziele zu dienen^ vielmehr musz auf der unteren stufe ein gewisser 
abschlusz in der bildung erzielt werden ; auf der oberen stufe kom- 
men nur Unterrichtsmittel zur geltung, welche der weiter strebenden 
minderheit dienen. 

Dem deutschen weist Treutlein in der unteren schule eine grund- 
legende bedeutung zu, es soll viel mehr als bisher gepflegt werden, 
die lebenden f rem d sprachen müssen den toten voran- 
gehen, diese forderung sei schon deshalb unabweisbar, weil unsere 
Schüler zum wirken in gegenwart und zukunft herangebildet werden 
sollen, während die stete und überwiegende hinwendung auf eine 
fernab liegende vergangenbeit die erfüUung der culturaufL^aben der 
gegenwart schädige, französisch und englisch sollen in allen classen 
der unteren schule gelehrt werden, während die beiden alten spra- 
chen der oberen schule rorsubehalten sind, das griechische soll nur 
fttr eine kleine gruppe von schfllem verpflichtend sein oder auch für 
diese wahl&ei sein, da bei den heutigen allerseits gesteigerten an- 
forderungen an die zu akademischen Studien flbergehenden diesen in 
ihrer mehrzahl nicht mehr möglich ist, ohne Temachlftssigung yon 
wichtigerem das griechische so zu lernen , dasz ein genusirelches 
lesen der schriftsteiler möglich ist. — Mit rücksicht auf neigung und 
anläge der sohüler musz die obere stufe sich in zwei richtungen 
teilen, eine geschichtlich-sprachliche' und eine mathematisch-natur- 
«issenscbaftUche. 

Der pflege des körpers musz viel mehr zeit gewidmet wer- 



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504 



Der zudraug zu den gelehrten berufsarten. 



den als bisher, täglich miiste eine turnstundc sein, die zahl der 
sitzstanden ist zu vermindern, den turntahrteu und turnspieleu mehr 
raam zu geben. 

Der handfertiL,'küitsunterricht ist einzuführen zur ans- 
bildungvon auge, arm und band, zur schärfung der sinne, zur Übung 
in genauigkeit, reinlichkeit, fleisz und geduld. auf diesem wcge 
könnte auch die lust k:ur gewerblichen ihätigkeit, die achtung vor 
dem handwerk geweckt werden. 

Dareh eine derartige gestaltnng würde unser Schulwesen ein- 
feehheit und klarheib gewinnen im gegensatz sn der beatigen manig- 
feltigkeit der scbnlformen in Verbindung mit den rerscbiedenen be- 
rechtigungen. dieTorentscheidnng ttber die wabl des berafis und das 
kttnsüicb gesteigerte bindrttngen zu den oberen dessen würde weg- 
fiallen. in einfachster und nattirlichster weise, nachbe* 
fähigung, fleisz und neigung würde sich von selbst für 
die oberen classen eine auswahl der schUler vollziehen, 
auf der unteren schule wflrde eine grundlage erworben werden, die 
nicht nur an sich wertvoll, sondern auch für den tibergang in eine 
fachschule wie für den eintritt in das geschäftliche leben verwertbar 
wäre, ein ersitzen der höheren classen kannte unterdrückt werden, 
das roden vom *" bailast der höheren schulen' würde aufbcircn. — 
Das durchlaufen der vollen sclnile soll das recht zum besuch beider 
hochschularten gewähren und zum eintritt in die höhere beamten- 
laufbahn zweiten raiiges nach erfolgtem besuch einer fachschule. 
das durchlaufen der unteren schule müste zur ableistung des ein- 
jährigen militärdienstes berechtigen und zum eintritt in die beamten- 
stellen mittleren und niedrigeren ranges. die bestimmung der künf- 
tigen Verwendungsfähigkeit nach dem besuch der sechsten, siebenten 
oder aciiien clause, wie früher, muaz wegfallen. 

Das früher so stark vernachlässigte fachschulwesen 
würde naeh durohltthnmg der von Treutlein empfohlenen Schulreform 
zu einer gedeihliehen entwicklung gelangen, da es mit leiohtigkeit 
sich an die untere schule angliedern könnte, ftbrigens will er nicht, 
dasz mit der von ihm vorgeschlagenen neugestaltung sofort begonnen 
werde, sie soll vielmehr aUmftblich und maszvoU angebahnt werden, 
schon deshalb , weil die Organe der aus^tturung auf allen stufen die* 
selben bleiben würden, die notwendigfceit einer änderung der be* 
stehenden schulverhältnisse werde auch von den behörden anerkannt» 
nun sei aber eine neunstufige einheitsschule nicht durchführbar, weil 
sie von der leistungs Fähigkeit der schüler zu viel verlange und die 
grosze mehrzabl, weiche die schullaufbahn unterbreche, nicht berück- 
sichtige. 

Zun?iebst werde die öffentliche meinung die behörden %^pran- 
lassen, das französische als erste fremdsprache einzusetzen, was von 
bewährten Vertretern des gymnasiums als möglich anerkannt sei. 
das latein sei für den kleinen knaben zu abstract und dem kindlichen 
Interesse zu fern liegend, die unnatur, gleich im zweiten sobu^ahre 



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Der zudraDg zu den gelehrten berofsarten, 



505 



eine zweite fremdsprache zu beginnen, müsse dazu führen, das lateiu 
weiter znrückzasteUen , wie das in Altona und Güstrow mit dem 
besten erfolge gesehehen. als notwendige folge ergebe sieb dann die 
weitere hinanssebiebang des griecbisehen. mit einer soleben Snde- 
mng des lebrplans sei das zu erstrebende siel einer einbeitlicben 
denteehen mittelscbnle im wesentlioben erreiebt« 

Gewis lieszen sieb ausser den erwSbnten ursacben der «LberftÜ- 
lung noob mancbe andere anftthren, so s. b. die mit den bOberen 
sebnlen Terbnndenen vorschalen, deren existenz nacb unserer über- 
zengang aus pädagogischen grttnden sich nicht rechtfertigen läszt 
nnd welche dem üffentlicben wohle mehr sehaden als nützen, da sie 
Yom beginn der sohulzeit an die kinder der reieberen Familien kasten- 
mäszig absondern und dem classenbasz gerade da Vorschub leisten, 
wo er am allerwenigsten nahrung finden sollte : beim beginn der 
allgemeinen schulpllicht. da, die Vorschulen für Yornehmer gelten, so 
werden sehr viele kuabcn ihnen übergeben, für deren schullauf bahn 
nnd lebensglück durch den besuch der aligememen Volksschule viel 
besser gesorgt wäre, haben sie aber die Vorschule durchlaufen, so 
treten sie selbstverständlich in sexta ein und werden so immer mehr 
nach den oberen classen der gymnasien geschoben. — Unter den 
heilmitteln hätte wohl auch erwübnt werden können die notwendig- 
keit des ausbaues der tilementarschulen in gar manchen kleinen un i 
mittleren blädten. derlehrplau dieser schuiu ist mit recht der groszen 
mehrzahl der schwach oder mittelmäszig begabten kinder angepasst. 
die gut begabten knaben erreichen jedoeb s^on mit dem elften jähre 
die erste olasso; wo sie dann bis znm Tollendeten vienebnten jähre 
sieb aufhalten, d. h. geistig still stehen müssen, es ist ganz natür- 
lich, dasz die eitern dieses ttbel zu vermeiden snofaen and ihre sOhne 
selbst unter schweren opfern nacb einer höheren schule bringen, ist 
diese schule eine lateinsehnle — was in Preuszen fast durchweg der 
&11 80 ist sofort der weg zur gelehrten laufbabn betreten, denn 
nacb der Verfügung vom 31 märz 1882 sind auch die realistischen 
lateinschulen Vorschulen ftlr die universitftt und die technische hoch- 
sebule. 

Doch wollen wir hier nicht nach lücken suchen und mäkeln, 
sondern vielmehr gern anerkennen, dasz Treutlein die wirksamsten 

Ursachen der beklagenswerten erscheinung entwickelt hat mit auszer- 

ordentlichem fleisze, rnhiger Sachlichkeit und einem Scharfblick für 
die bedürfnisse des wirtschaftlichen lebens, wie er bei mitgliedern 
seines Standes gewis nicht häufig zu finden ist. das wichtigste und 
verdienstvollste seiner arbeit scheint uns der nicht zu widerlegende 
nachweis, dasz die einwirkung der schul Verhältnisse eine geradezu 
verhängnisvolle ist, dasz unser höheres Schulwesen sich den gesell- 
schaftlichen zuständen besser anpassen mnsz und dasz eine neuge- 
staltung desselben sich ergeben mubz aus der schuldigen rOcksicht- 
nahme auf die bedürfnisse einer übergroszen mehrheit, vorausgesetzt 



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606 



Der zndrang zu den gelelirten benifsarten. 



dasx hierbei die interessen der weiter strebendeA minderbat ihre 
ToUwertige beachtung finden. 

Sehr beaehienswert ist, dasx Oberlehrer Pietzger dieselben 
Bchluszfolgerangen zieht und dieselben Torseblfige zur abhilfe macht, 
auch er fordert Zerschlagung der drei höheren schulen mit neatgäh- 
rigem gange in zwei untergeordnete « eine seohsatnfige untere und 
eine dreistufige obere. 

Die grOaten misst&nde weist offenbar das höhere Schulwesen 
Freuszens auf. dort sind von den höheren schulen mehr als Via so 
eingorichtet , dasz auf ihnen Y3 des Schulwegs, der zur Universität 
führt, zurückgelegt werden musz und da?z in ^3 derselben (den 
gymuasien und progymnasien) dieser weg noch weiter fortfiresetzt 
werden musz. der zudrang zu den höheren schulen kann aber in 
keiner weise gehemmt werden wegen der folgen der allgemeinen 
Schulpflicht und der erhöhten bildungsansprüche der praktischen 
berufsarten. dieser stetig wachsende .-irom wird durch das höhere 
Schulwesen mit gewalt lu eine falsche bahn hineingedrängt, denn nur 
in etwa 30 Städten (oder für eine millioii einwohnen ist m Preuszen 
die möglichkeit des beisuciis einer lateinlosen böhereu öcbule gegeben, 
an allen übrigen orten sind die knaben, welche für eine praktische 
berufaart ausgebildet werden mochten , gezwungen, eine gelehrten- 
schule SU besuchen. 

Die frage der lateinlosen höheren bflrgerschule, deren dringende 
notwendigkeit jetzt von den unterrichtabehOrden anerkannt wird, 
wäre mit der befolgnng der von Treutlein in zweiter linie gemaehten 
Yorschlftge gelOstl es bedarf nur einer hinausschiebung des latei- 
nischen bis tertia (wie in Altona) , des griechischen etwa bis unter- 
secunda — was von philologischen Vertretern des gymnasiums für 
wohl ausführbar erklärt wird — und die höhere bürgerschule ist 
existenzfähig, denn die geschichte dieser schon vor 50 jähren ge- 
planten und versuchten schule beweist, dasz sie nur dann gedeihen 
kann, wenn sie zwischen der elementarschule und den neunclassigen 
höheren schulen steht und mit den letzteren organisch verbunden ist. 
die grosze mehrzahl unserer altphilologen wird natürlich stets gegen 
solche Vorschläge den lebhaftesten widersprach erbeben , ohne zu 
bedenken, dasz das gymnasium, welches immer mehr die für alle 
ungeeignete 'schule für alles' wird, innerlich an seiner Charakter- 
losigkeit zu gründe geht, wir glauben entschieden, dasz jene 27% 
gymnasiasten, welche das griechische bis zum endziel des gymna- 
siuiUü fortsetzen, erst dann einen wirkliclien inneren gewinn von 
diesem Unterricht ziehen werden, wenn sie ihn ohne die andern 73% 
beginnen. 

Es ist wahrhaft rOhrend zu sehen, wie nach dem Vorgang des 
herm von Gossler gewisse herren, welche früher nur das gymnasium 
als höhere schule kannten, sich zu patensteilen bei den höheren bOr- 
gerschulen herandrSngen, den'neulingen unter den ftlteren Schwester* 
anstalten', wie herr director Uatthias sich unrichtig ausdruckt, da 



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Dev zudrang zu den gelehrten baviiftarteiL 



507 



doch die höhere bttrgersohnle mehr als 50 Jahre alt ist. — Warum 
haben eich dieae aehvüen in Prenssen nicht in der hinreichenden zahl 
entwickelt? weil die nnterrichtabehSrden immer nur eine tbeore- 
tische wertschätzuDg derselben gezei/s^t haben, ohne selbst handelnd 
einzutreten, in den jähren 1827 — 34 wurde die beförderung von 
höheren bttrgerscbulen mehrfach duzeb provinzial-landtagsabeohiede 
Terheiszen, das ministerium, hiesz es, woUe zur einrichtuog bei« 
wirken, aber: 'es musz im allgemeinen bewenden, dasz anstalten 
dieser art nur auf kosten der communen errichtet werden können.' 
nur in ganz wenigen fällen wurden Unterstützungen währt, am 
30 december 1831 wurde den scblesiscben ständen der antrag, drei 
gymnasien in höhere bürgerscbulen umzuwandeln, abgelehnt, eben* 
80 ergieng es den preuszischen stäuLieii 1H34. ein ministerialrescript 
vom 3 juli 1852 verfügte: ^ (h tJb bei den gegenwärtigen Verhält- 
nissen nicht möglich i^t, diu von mehreren Seiten für diese schulen 
beantragten Zuschüsse aus allgemeinen Staatsfonds zu erwirken, so 
sehe ich mich zu folgenden bcätimmungen veranlaszt: wenn tinc zu 
entlasöungöpriifungün berechtigte höhere bürgerschule in üLüdtcn, in 
denen ein gjmnasium sich befindet, errichtet werden soll, so hat die 
königliche regierung vor der einleitung des dazn erforderlichen mit 
dem betreffsnden königlichen provinziid-sidiuleollegium za communis 
eieren, damit dasselbe das Interesse des gymnasinrns wahrnehmen 
könne.' sogleich wuzde verordnet, daaz diesen schulen nnter ge- 
wissen bedingongen die berechtigung zor erteilnng des militSrzeug- 
nisses an entadeben nnd die grttndnng neuer schulen zu erschweren 
sei. endlich die bekannte Verordnung vom 7 januar 1867 verfügte: 
obgleich die Scheidung in gymnasienund höhere bflrgerschulen grund- 
Stttzlich das beste sei, könne man eine durch örtliche und individuelle 
Verhältnisse bedingte Vereinigung zulassen , in den kleinen st&dten 
solle das gjmnasium die bürgerschule 'irgendwie' mit umfassen» — 
So bat der staat selbst die allzu grosse zahl der gjmnasien ver- 
schuldet, ebenso die Umwandlung der vernachlässigten und berecb- 
tigungslosen bürgerscbulen in realgymnasien. Lattmann sagte schon 
vor 30 jähren sehr richtig, dasz die progymnasicn gar nicht hätten 
entstehen dürfen, erst wenn das nächste, dringendste und umfas- 
sendste bedürfnis durch eine höhere bürgerschule befriedigt ist, kön- 
nen die Vollanstalten mit neun classen sich gut entwickeln und ihre 
bestimmung erfüllen. 

In Preuszen gibt es 635 höhere schulen, in mehr als 300 Städten 
gibt es nur eine höhere schule, und zwar ein realgynmasium oder 
— was meistens der fall — ein gymnasinm. alle knaben, welche 
eine bessere bildung als die der Volksschulen haben sollen, alle die- 
jenigen normal begabten kinder, welche nicht drei jähre in der ersten 
dasse der Volksschule brach liegen sollen, müssen in diesen stftdten 
die lateinsehulen besuchen, wollte man nun in jeder dieser stftdte 
neben der lateinschule noch eine höhere bfirgerschule errichten, so 
wtbrde dies die aufgäbe des Staates sein, denn den gemeuiden kann 



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508 Die themata zu den deutschen aafsfttsen 



man die anterhaltung dieser infolge mangelnder beraohtigungen sehr 
teoeren schulen unmtfgUeh zumaten. aber der preaszisohe staat scheat 
ebenfalls diese kosten, tmd selbst wenn an all diesen orten in der 
bezeiohneten weise vorgegangen würde, so würden die hüheren 

bfirgerschulen durch das monopol der gymnasien erdrückt werden, 
wie dies in den lotsten jähren in Bonn und in Batibor geschehen ist. 

— Director Holtsmüller hat nns swar im maiheft der blfttter fBr 
höheres Schulwesen glauben machen wollen, die entwicklnng dieser 
schulform wi seit dem jähre 1882 so kräftig angebahnt worden, dass 
sie nur in dem seitherigen gange fortzu.<^chreiten brauche, wir würden 
dann ohne Schwierigkeit 200 höhere bürf?er?chulen orbalten und 
dann sei für alle bedürfmsse bestens gesorgt, aber wir haben mit 
ihm ^^erechnet und gefunden, dasz bei dem fortschreiten der jetzigen 
Entwicklung wir in hundert jähren die zahl 200 erreicht haben wer- 
den. — Es scheint freilich, da^i die höchste unterrichtsbehörde diesen 
entwicklungägang für passend erachtet, dann werden wir in aber- 
mals 50 jähren nicht nur nicht wesentlich weiter gekommen sein, 
sondern die ;^^ynm;L>^ien werden dann nur noch ausscblicszlich den 
dienet der höheren büigerschulen versehuu, freilich in der denkbar 
unpassendsten weise, schon jetzt ist das niveau sehr vieler gymna* 
sien fthnlich dem des königlichen gjmnasiums in Wittstock, welches 

— wenn Viereck richtig gerechnet hat — in den jähren 1879^89 
nur 20 7o Schüler hatte, deren väter den sogenannten leitenden stün- 
den angehörten, während die übrigen 80% söhne von handwerkem 
waren, man vergleiche den sehr beachtenswerten anfsats von Viereck : 
zur läge der höheren bürgerschale, pSdagogisches archiv 1889 n. 8» 

V. 



48. 

DIE THEMATA ZU DEN DEUTSCHEN AUFSÄTZEN 
IN DEN OBEREN CLASSEN HÖHEBBB LEHRANSTALTEN. 

In gleichem masze, wie unser nationales leben und vor allem 
unsere nationale Selbständigkeit sieh in neuerer zeit zu kräftiger 
blüte entfaltete, wurde auch in den höheren schulen der deutschen 
spräche und litteratur und gleichzeitig damit auch dem deutst heu 
aufsatz eine würdigere Stellung eingeräumt, als dies früher der 
fall war unter der alleinherschaft der classischen sprachen auf dem 
gjmnasium.' 

Iii dem;,elbeu grade, als der lateinische; aufsatz selbst in streng 
philologibtbeu kreisen und unter den wärmsten anhängern der huma- 
nistischen bildong an ansehen verloren hat und als rudimentärer be- 

* leider ist durch die neuen lehrpl;ine das mittenioclidentsche mit 
der eigentümlichen begründung abgeschafft worden, dasz doch darin 
nichts vollkommeues geleistet werde, als ob dieser grund nicht für 
sämtlidie fteber Torgebraeht werden köontel 



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in den oberen clas&ea höherer lebraabtülteo. 



509 



standteil einer firttheren bildimgsepoche angesehen wird, dem man 
ein baldiges seliges ende wQnBebty in demselben grade ist der 
dentsdie aufsats in den vordeignmd gerQoki worden nnd scheint 
Ittr die nttohste entwiokluiigdstiife nnseres höheren Schulwesens den 
mittelpnnkt des gesamten unterriöbts bilden zu sollen, er soll dazu 
dienen, den niederschlag geistiger bildnng, die dem schÜler ans so 
-vielen keinen zufliesiti zu offenbaren, das von stnfe zn stufe wach« 
sende masz geistiger bildnng zn veranschaulichen nnd zu festigen, der 
deutsche aii£satz verlangt also zweierlei vom schüler: 1) dasz erden 
inhalt seiner erlangten geistigen gesamtbildungnach jedwedem seiner 
bildung entsprechenden gesiohtspnnkte so darstelle, dasz der leser 
ein klares bild von dem im thema gelegenen gedankenkreise erhält. 
2) soll der schüler nicht nur ein klares, übersichtliches, sondern auch 
auf den formenninn des lesers angenehm wirkendes, schönes bild 
seines geistigen inhalts liefern, der aufsatz soll also in er?ter linie 
geistige klarheit und schärfe erzeugen und den schüler durch all- 
mähliche Übung dahin bringen, das:^ er eine gröszere anzahl geisti^^er 
&ctoren gleichzeitig zu übersehen vermag und, was die formale beite 
betrifft, dazu dienen, dasz der schüler seine mutterspracbe in einem 
gewissen gröszern umfange beherschen lerne und die fähigkeit er- 
lange, sich klar und verstiindlich auszudrücken und für die den 
manigfaclisten gebieten angehörenden gegenstände den ihnen zu- 
kommenden, ihnen gemäszen ausdruck zu finden, worin Goethe als 
unerreichter meister ihm zum muster dienen kann, haben wir so 
zweck nnd ziel des dentsohen anfisatses festgestellt, so ist die nächste 
firage: welche art von an&atsthemata ist geeignet, die dem deutschen 
aufoatze gestellte aufgäbe zu ISsen? um diese frage zu beantworten, 
müssen wir die vergangene und gegenwärtige Schulpraxis kritisch 
beleuchten; dann wollen wir nntersuäien, welche richtigen gedenken 
die Schulpraxis verfolgt nnd welche falschen, und versuchen, die seit 
Laas vernachlässigte und wenig weitergeführte so wichtige frage 
weiterzuführen. 

Noch im anfang dieses Jahrhunderts bis tief in die neue zeit 
hinein beherschte die logik und metaphysik, meist nach Aristoteles, 
unser gesamtes wissenschaftliches leben, zumal in der philosophi- 
schen und theologischen facultät, aus der die lehrer höherer anstalten 

hervorgiengen , hielt man streng an der philosophischen Vorbildung 
fest und stellte die philosophie als examensfach für sämtliche prüf- 
linge auf, was erst in neuester zeit für Juristen und mediciner ab- 
geschafft ist, für theologen und philoloo^en aber immer noch ver- 
langt wird, so war denn die universiiätsbildung der lehrer des 
deutschen mehr eine allgemein philosophische, von der logik und 
metaphydik des Aristoteles beherscht, als eine germanistische und 
litterarhistorische. ein zweiter wichtiger um^iand war und ist noch 
jetzt zum teil der kirchliche charakter, der schule und lehrern aus 
alten Zeiten anhaftete, und den zu erneuern oder zu befestigen noch 
heute mancher Parteigänger höchstes streben ist. diese beiden um- 



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510 



Die themata zu den deutschen au£s&tzen 



stände, das vorwiegen der los^ifcli-metapliysisclien bildung und der 
kirchliche charakter der scbnkn äuszerten erneu tiefgebenden einüusz 
sowohl anf die wahi und behandluDg der lectOre überhaupt und dann 
auch auf die wähl der aufsatzthemata. es wurden einerseits fast nur 
themata allgemein jjbilosophischen inhalt^ gewählt, die a priori be- 
griffe feststellten und entwickt4ten, die die ächüler zu virtuoser fer- 
tigkeit in abstracter begriffsdialektik heranbilden sollten, der kirch- 
liäe diarakter der Ie1irpersoii«it imerte sidi aber wiedemm m der 
wähl meist moraliseber tbemata. wie die soholaetik »oll bemühte, 
die kirkliobea dogmen wxAi dem yerBtaade annehmbar zu moeben, 
80 sollte der sdifller anf dem wege logisober dedoctionen die wiob- 
tigsten sStce der moral entwickeln imd in sieb als bleibenden besitx 
bewahren nnd praktisob befolgen, das sind nach meiner meinnng 
die wichtigsten gründe fdr die einseitige wabl der sogenannten 
moralisch - philosophischen oder allgemeinen themata, die noob in 
der beatigen praxis viele anhänger zählen, ich gebe zu, dass es eine 
nützliche Übung des geistes ist, bestimmte begriffe festzustellen und 
nach inhalt und umfang zn entwickeln, nur darf sie nicht einseitig 
bevorzugt werden, dann aber habe ich eine anzahl sehr schwerer, 
zum teil schon als berechtigt anerkannter bedenken gegen die mora- 
li8Ch-philosophi?cb(»n themata geltend zu machen. 

1) Der uaturgemäsze wcl^ dnr bildung ist der von lebendiger an- 
schauung gegebener dinge zu begriff, urteil und schlusz. jeder mensch, 
mag er Jurist, philologe, mediciner o(]ei- Geschäftsmann sein, ist ge- 
zwungen, in gegebenen Verhältnissen sich zu orientieren, sein urteil an 
diesen gegebenen Verhältnissen zu bilden, zu erweitern und danach zu 
handeln, die schule bildet nun mit den abstracten themata den schüler 
in umgekehrter weise, sie impft ihm abstracte Vorstellungen, begriffe 
und urteile ein, nach denen er die Wirklichkeit oft künstlich zu con* 
straieren gezwungen ist, die oft in der wirklidikeit nicht ifare bestiti- 
gung finden, diese bersöhende geistesriebtung, die weit der wirklieb* 
keit a priori nach vorgefaszten begriffian und Systemen zn beurteilen, 
bat schon im politisdben, wirteehaftlieben, religiösen leben , kurs 
in allen lebensbesiebungen 4en grOsten schaden gestiftet und kUure 
kSpfe sogar für die wirkliche weit und ihre bedttrfblsse blind gemacbt» 
beispielsweise die serrissenheit in nnserm politischen leben ist mit 
eine folge des starren festhaltens an abstracten begriffen und pOli> 
tischen dogmen, die ohne kenntnis und berttoksiobtigung der Wirk- 
lichkeit a priori entwickelt sind, will man demnach praktische Welt- 
bürger orziehen, so lasse man den schüler ans dem gegebenen material 
seiner bildung den allgemeinen gehalt herausarbeiten, damit er die 
raethode alles wirkens und Schaffens schon früh erkennt und sich 
aneignet vom besondern zum allgemeinen, nicht umgekehrt! 

2) Die sogenannten philosophischen themata fördern raeist nur 
eme einseitige und sehr über-^chfitzte fertigkeit des geistes im rich- 
tigen logischen pchlieszen und entwickeln, meist läuft die ganze 
Sache auf die gewohnte einteilung: körper — geist, materiell — 



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in den oberen clasBen höherer lehraustalten. 



511 



ide«U, intelleettioll ^ moralisch, SasKerlicb innerlich, politi8<^ 
Booial — religiSfi, fauidwerk kiaiBt ^ wissensclMift hinm. elA 
httheres siel geistiger bildung and yoUkommenlieit aber beetdit 
darin, unter gegebnen dingen mit sebarf oombinierendem yerstaad 
alle fftr einen bestimmten gesiebtspimkt in frage kommenden factoren 
ausfindig zu madien und concentriert an ttberaeben , adieinbar an- 
wesenUidies als wesentlieh zn erkennen, das hanpt- und nebenaSoh- 
liche zu sondern, dieses ziel wird dnrob die abstraotea themata mit 
ibren meist vagen Stoffen kaum erreicht. 

8) Ss gibt nur verschwindend wenige sStze, Sentenzen, die auf 
allgemeine gttltigkeit and ricbtigkeit anspraeh machen können, ver- 
stehen sie sich nun von selbst, so ist es unnötig, sie noob naeh« 
weisen zu lassen, sind sie nar halb oder in gewissem sinne gar 
nicht richtig, und soll der schülcr dennoeh ihre Wahrheit erweisen, 
so wird er zu sophistischen ktinsten, dialektischen advocatenkniffen 
und somit zur ltif?e angeldtet, was unpUdagogiscb ist. die phrasen 
weiden um l^o ächwül&tiger, je weniger der schüler selbst an das 
gesagte glaubt. 

4) Der gedankenkreis, dem das tbema entnommen ist, liegt 
meist ganz auszerhalb dessen, was der schüler kennt, und was für 
ihn mteresse hat. er wird aho ge/ wimgen, über dinge zu reden, von 
denen er wenig oder nichts Versteht, alao wieder zur täuschung an- 
geleitet, da er in seiner not zu verbotenen mittein seine zuüucbt 
nehmen musz. die 'gedenken' fehlen ihm eben, 

5) Der jugend, die auf dem gebiete des praktiseben lebens noeb 
keine absobliesaenden edabmngen genuuAt bat, die sieh zn allge- 
meinen erfabrnngssätKen verwerten Ueszen , liegt notwendigerweise 
aoeb mMs femer, als solebe moralitilten zu bebandeln, die eine 
lange lebenserfiüirang und tiefere lebensbetraebtnng zar voraus* 
setsang haben, wird die jagend trotzdem gezwangen, moraliUlteii 
zu bebandeln , so wird sie wieder zu heuchdei and Ifige angeleitet 
und redet über dinge, die sie nicht versteht. 

6) Es ist eine bekannte tbatsache, dasz die sprachliche dar- 
atellungsföbigkeit des Schülers in dem masze wächst, als ihm der 
Stoff bekannt and geläufig ist und in seinem denken und empfinden 
eine mächtige resonanz findet, ist eine gewisse begeisterung für das 
thema vorhanden, so wird auch die darstellung flüssiger , schöner; 
fehlt die begeisterung, ja lierscht sogar innerer Widerwille gegen das 
thema, so wird der stil steit, ungelenk, oder es herscht die inhaltlose 
auf täuRchnng berechnete phrase. dieser gefabr werden philosophisch- 
moralische themata sehr leicht ausgesetzt sein aus den oben ent* 
wickelten gründen. 

Das sind ungeföhr die bedenken, die gegen die philosophisch* 
moralischen themata geltend zu machen sind, die gegen die meisten der 
auch m neueren dispositionsbliclicrn, z. b. von Günther, Löuchtenberg, 
Schultz behandelten themata erhoben werden müssen, anderer zu 
schweigen, welche nur repetitionen schon dagewesener themata in 



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512 



Die themata su den deutschen aafBfttBen 



wenig yerttndertor form darbieten, so trat denn Hieoke und nach ilun 
Laas auf und verteidigten den an sieb richtigen gedanken, dasa man 
die tbemata aus der eigensten erfabrung des scbülers, also ans dem ge* 
biete seiner lectüre and der gesobichte nehmen solle, aber auch diese 
richtung fahrte den gedanken nicht immer consequent durch und 
Terlor sich auf abwege. in einer wohlverständlicben reaction gegen 
die moralisierenden tbemata, die einer gänzlich falschen auffassang 
und erklärung der dichterworte Vorschub leisteten (ich erinnere nur an 
dir schreckliebe bebandlung des Horaz und seine falsche beurteilung), 
verliel man auf einseitig ästbetisierende themata, die über den Stand- 
punkt des Schülers hinausgiengen , oder litterarhistorische themata, 
die ebenfalls sich nicht gründeten auf eingehende litterarische kennt- 
nisse, sondern nur litterargeschichtlicbe bemerkungen des iehrers 
oder des leitfadens umschrieben, diese arten von litterariscben 
tbemata weisen also dieselben mängel auf, wie die obengenannten 
der piiiloiophisch - moralischen themata. dazu kam dann noch ein 
dritter fehler, dasz juan einer vom Standpunkte der heutigen wibbun- 
schaft aus doch sehr anfechtbaren ästbetik den Charakter der allein 
richtigen, so su sagen kanonischen sehulistfaetik gab, die einerseits 
unklare ansiehten unter der jugend verbreitete, anderseits naseweise 
kritiker erzog, die darttber befanden, warum der dichter diese oder 
jene person seinem drama eingefügt, ob sie aberflttssig sei oder nicht, 
es wurde untersucht, ob Socrates ein tragiseber Charakter sei oder 
nichts welche strftfliche schuld Antigene, Oedipus, Julius Caesar anf 
sich geladen, dass sie den tod verdienen; warum die Jungfrau yon 
Orleans habe büszen mttssen, welche fehler die composition yon 
Goethes Götz aufweise, warum Schiller ein subjectiver, Goethe ein 
objectiyer dichter sei. es ist mir anderseits bekannt, dasz auf einer 
höheren töcbterscbule mädoben von 14 jähren über Heliand, den streit 
der Leipziger und Schweizer schule einen aufsatz liefern musten. in 
einer gewerbeschule wurde den sogenannten primanern der aufsatz 
aufgegeben 'Wielands geistesent Wicklung', volksepos und kunstepos 
werden mit einander verglichen, obschon sich in den beutigen tages 
wenig brauchbaren, aber immer wieder nach alter Schablone ge- 
arbeiteten lesebUcheru fast nichts von dem deutschen kunstepos 
mitgeteilt findet. 

Also auch die gepriesenen litterarischen themata geben anlasz 
zu manchen bedenken, und ich stehe nicht an, ästhetisch kritisierende 
und litterarhistorisehe ihemata gänzlich von der bearbeitung m der 
schule anszuscblieszen , um so mehr, als litteraturgescbicbte durch 
die neuen lehrplftne von der behandlung in der schule ausgeschlossen 
ist. sie ttbersteigen einfach das bildungsmasz zumal unserer heutigen 
Schmer^ deren bildung leider weit weniger einheitlich ist als die der 
froheren« ich behalte nur bei themata referierenden eharaktefs, 
Charakteristiken und psychologische entwicklungen, culturhisto- 
tische darstellungen auf grund der lectüre, wie ich sie zum teil in 
memer sohrift *grundsfilge der dramatischen kunst' § 7 skiuiert 



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in den oberen classen höherer lehraastalten. bl% 

habe, hier hat der scliüler gelegenheit, an gegebenes anknüpfend 
combiniitoriöche ferligkuit zu erlangen und einen sein berz und ge- 
mtit interessierenden und ihm durch die eingehende schullectilre 
durchaus bekumten nnd Tartraaten stoff naeh irgend einem gerichts- 
punkte darzustellen« mm kann man freilieb, nachdem ieb die litie- 
rarisehen tiiemaia so stark besefanitten, den einwand maoben: an 
anfstttsen rein referierender art, wenn sie auch y<on einem mebr all- 
gemeinen geeicbtepnnkte ans gesteUt sind, kann man, znmal bei 
probeanfstttzen nnd aaf der obersten stufe nicht immer, ich betone 
das letzte wort, genan den grad der geistigen bildnng des aobfilers 
in wünschenswerter weise abschätzen, gnte vorbereitong des stoffes 
überhaupt in der schule, tflehtiger fleisz und rege anfmerksamkeit 
des Schülers werden zuweilen zu einer unrichtigen, zu gflnstigen be- 
urteilung der geistigen reife überhaupt führen können, ich erkenne 
diesem bedenken einige berechtigung zu, wiewohl bei jedem ezamen 
dieser einwand erhoben werden kann; und auch gegen die philosophi- 
schen themata kann man zweifei erheben, ob sie im stände sind, den 
geisticrpn bildiingsgrad genau anzugeben, aber trotzdem gebe ich zu, 
dasz man gogen litterarische themata als Prüfungsarbeiten, wenn sie 
nur roferierenden Charakter haben, bedenken erbeben kann, und so 
finden wir, dasz eine reibe von schulräten bei der wähl der abiturienten- 
themata den allgemeinen den vorzug gibt, eine andere reihe von scbul- 
riiten den sog. litterarischen, eine Vermittlung der beiden richtungen 
oder eine förderung der ganzen Streitfrage ist seit Laas nicht erfolgt.» 
ßö beiöcht denn individuelle willkür, die innerhalb derselben an- 
stalten für die einheitliche geistesbilduog der schüIer immerhin 
etwas misliches hat. ich habe nun in meiner präzis mit gutem er- 
folge den versuch gemacht, die gesunden gedanken beider richtungen 
SU Tcrmitteln, wohl allgemein reflectierende themata zu w&hlen, aber 
ihnen in der lectttre eine gesunde basis zu geben, alles moralisieren 
und Ssthetisieren zu meiden und das in der litteratur und geschichte 
gegebene material dazu zu benatzen, gedanken und urteile mehr all- 
gemeiner natur daraus zu entwickeln, solche, themata tlberschxitten 
nicht den geistigen Standpunkt der schttler; diese waren nie in Ver- 
legenheit um Stoff und gedanken, der stoff interessierte sie, sie 
konnten dabei nie ins hohle und phrasenhafte sich versteigen, 
brauchten nicht zu lügen und zu heucheln und waren auch nicht 
genötigt, nur bedingt richtiges als allgemein richtig hinzustellen, 
wie dies bei den meisten allgemeinen themata der fall ist. sie sind 
viel häufiger geistreich schillernde aper^us oder sätze, die umgekehrt 
gerade so richtig und falsch sind, reflectierende themata also auf 
grund der lectüre oder der geschichte sollen sich den aufgaben mehr 
referierenden Charakters -als höchste stufe anschlie?zen ! ich habe 
mir eine reihe derartiger themata zurecht p^elegt und bin mit dem 
erfolge derselben recht zufrieden, dasz der gedanke auch in weiteren 
kreisen Verbreitung ünde, tibergebe ich hiermit eine reihe kurz skiz- 
zierter derartiger aufgaben der öfi'entlichkeit. 

N. jührb. f. phil. u. p&d. U. abU 1880 hil. 10. 8$ 



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Die tbemata zu den deateoheo aafsätsen 



1. 

Wo rohe kräfte sinnlos walten, 
da kann sich kein gebild gestalten. 

naobgewiesen an Homers Schilderung von den Gyelopen und 

ihrem lande. Horn. Od. IX. 

A. einleitung: Odjsseus ankunft im lande der Cjclopen, wie fühlten 
sieh die hoehgehildeten Grieohen dort ttberrascht! warum? Über- 
gang zum thema« 

B. abhandlung: 

I. die Cyclopcn nnd besonders Polyphem besitzen allerdings eine 

grosze kraft, vgl. Horn. Od. IX 321. 289. 241. 
il, aber diese kraft ist roh. sie ist demnach 

a) unentwickelt und ungeübt j denn es fehlt ihnen 

a) ackerbau (IX 108). 

ß) gewerbe; mangel an guten Wohnungen (114, 400)« 

Y) Schiffahrt (126), handel und wandel. 

b) sie hat keine ziele, m deren dienst am äicb bteiU; denn eie 
haben 

a) keine gesellschaftliche Verbindung (400. 114), 

ß) keine politisdie Torbindung (112), 

Y) kerne religiöse verbinclnng (275). 
benehmen dee Poljpbem gegen die Qriedien. 
€. sebluaz: rasammenfasaung. wttrdigung der heutigen coloniaato* 
riseben thfttigkeit DeutechlandB. 

Schillers wort: 

da kommt das Schicksal, roh und kalt 

fasxt es des freundes zärtliche gestalt 

nnd wirft ihn unter den hufschlag seiner pferde; 

das ist das los des schönen auf der erde. 

angewendet auf Siegfrieds sohieksal im Dibelnngenlied. 

A« einleitung: der schöne sommer, der Ucbtgott Baidur, unterliegt 
dem todbringenden winter, dem tückischen Hoedur. ein nach- 
klang dieses heidnisohen mythoa findet sich in den gestalteii 
Siegfried« und Hägens, auf erstem soll Schillers wort anwen* 
dung finden. 
B. abhnndlung: 

I. Siegfried kann das schOne im sinne Schillers darstellen, 
a) äuszerlich: 

1) seine ^cbdnheit, kraft und st&rke und sein gl&nzendea 
auftreten. 

2) seine hervorragende Stellung 
a) als herscber, 

ß) als besitzer des Schatzes , 

T) als gemahl der schönsten und liebreizendsten frau. 



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in den oberjeu classen höherer lehraustaltexu 515 

b) innerlich: 

tt; seine bescbeidenbeit und liobenswürdigkeit. 
ß) sein sonniges, heiiereä webtn, seine aiglüsigkeit^ treue 
und Offenheit. 

n* diese sehOne gestalt irird erbarmungslos durch Hagen gefitnt. 
Hagen ist für ihn das rohe, kalte sdbieksaL 
1^ iuBserlicb; im aasseben, auftreten , und 

2) innerlieb; sein böbnisdier, kalt berechnender, rttcksichts- 
loser Charakter nnd seine herslosigkelt. 

3) er wird sein mörder. 

C. seblnsz: klage um den beiden, gerade das scbOnei wie es an Sieg- 
fried sich zeigt, ist den bSsen mftchten gegenflber so sobutalos! 

was im Hede ewig soll bestehen» 
mnss im leben untergeben. 

3. 

Kann uns zum Vaterland die fremde werden? 

abgehandelt anHomers Schilderung vom aufenthalte des Ody s • 

seus bei der nymphe Calypso. 

1. Odysseus in seiner heimat Ithaca. sein haus , hof ^ seine funilie 

und Umgebung. 

!!• Odysseus paradiesischer aufenthalt bei der nymphe Calypso. 
eine herliche, berückend schöne göttin, will sie ihm Unsterblich- 
keit verleihen und mit ihm ewig auf meerumflossenem eüand 
glücklich sein. 

m. warum wird dem Odysseus trotzdem nicht die fremde zur heimat? 

a) äuszere gründe: 

das ganz andere land. jede gesellschaft fehlt. 

b) innere gründe: 

1) liebe zur heimat, wo sein ganzes gemüt wurzelt. 

2) äbhubuchi nach gatlm und söhn, diese tiefe liebe kann 
nicht durch äuszere reize der göttin und ihrer insel ersetzt 
werden. 

IV. daher sehnt sich Od jssens trota aller herlichkeit in das nrahe 
Ithaca znrfick. tbonal , 

4. 

Dasselbe thema, entwickeil an Goethes Iphigenie. 

5. 

Wo viel freiheit, ml viel irrtuii]. 

entwickelt an Schillers 'räubern'. 

I. welche freiheit nimmt Karl Moor mit seinen spieszgesellen für 
sich in anspruch? 

1) er wohnt nicht mit andern menschen vertraulich beisammen, 
t on dem haust willkürlich in den freien böhmischen wäldem. 
'ein freies leben führen wir' usw. 

3i* . 



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516 Die themata zu den deutscheu aufs&tzen 

2) er verfügt frei über den beaitk; anderer, raubt und mordet 
nach Willkür. 

3) er fttgt sich keinem gesetze, sondern lebt nur nach seinem 
eignen gesetae. 

IL die unrtflmer dieses 'freien' lebens: 

1) die masse der auf erden lebenden menschen bedingt ein Med- 
fiches zusammenleben an derselben stelle. 

2) dies ist nur mdglicb, wenn alle sich Terpflichten, in bestimmten 
punkten auf ihre absolute freibeit su yerziehten, damit sie in 
einem bestinunten umfange eine ungetrübte freiheit geniessen 
können, die gesetze garantieren nemlich 

a) das materielle ] 

ß) das geistige Wohl der mitbttrger und ihre Sicherheit. 

f) das moralische] 

3) durch den unterschied des könnens und wollens entsteht ein 
socialer unterschied der menschen, die auch ohnehin nicht 

gleich sind. 

III. gehen also die 'räubor' darauf aus, eine andere weltordnung zu 
schaffen, so irren sie, frevclu an der menschheit und mtissen, da 
sie sich dem für sämtliche wesen geltenden gesetz der anpassung 
nicht fügen , zu gründe gehen. 

Die figur Karl Moors ist eine tragisch erschütternde, weil er im 
besten glauben und uiil den besten absiebten trotzdem furchtbar irrt 
und zu gründe geht, obschon in ihm sehr edle keime vorhanden öind. 

6. 

Ist das freiheitsstreben der Schweizer in Schillers *Tell' 

gerechtfertigt? 

Nicht jedes streben nach freiheit ist zu rechtfertigen; eine ab- 
solute finibeity wie sie Schillers *rftuber' erstreben, gibt es nicht, tot 
allem sind sehlechte, unmoralische mittel zur erlangung der freiheit zu 

verwerfen, welche art der freiheit erstreben die Schweizer im Teil? 
I. nicht schrankenlose freiheit; denn sie halten fest 

1^ an den von alters her überkommenen gesetzen , , 
2} an ihrem reditmäszigen herm, dem deutschen kaiser. 

II. sie verlangen nur freiheit 

1) von aufgedrungenen, ausländischen vögten, die willkOrlich 
h ersehen, 

2) vonmissetbät^rn und Verbrechern, wie Landenberg und Gcssler, 

3) von Zwingburgen, bescbimpfungunderniedrigung. Gesslei s hut. 

4) sie wollen deutsch, reichsunmittelbar, aber nicht österreichisch 
sein. 

III. nach diesem erlaubten ziele strebten sie mit erlaubten mittein. 
Teils that ist act der notwehr nicht gegen den Vertreter des 

kaisers, sondern gegen einen hinterlistigen Verfolger. 

IV. daher ist das freiheitsstreben der Schweizer gereehtfertigt. 
^weun ein vülk, das iromm die iierdea weidet* usw. (Wilhelm Teil.) 



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517 



7. 

Ach, der zoru verderbt die bestenl 
dargestellt an Sophokles Aiaz. 

I, Aiax ist vor dem wafiSenstrmte der 'beste* beld. 

1) er ist nächst Achill der tapferste und stBrkste im Orieehenheer. 

Sopb. Aiax 435. 422 f. 502. 619. 964. 1283. 1340. 1416. 
2^ er besitzt hohes ehigefth! und ritterlichen sinn. 470 f. 555. 815. 
3; er hat ein tiefes, weiches gemttt und zeigt dies gegen gattin, 
sehn und eitern, 
n. Aiax nach dem waffenstreite im zorn verliert an wert: 

1) er ist ungerecht gegen andere und von gemeiner raehsncht 
erfüllt, zumal gegen Odjsseus. 

2) daher verfällt er durch seine furchtbare leidenschaft in Wahn- 
sinn und begeht schreckliebe greuel. 

3) er verzweifelt, v.ur besinnuDg gekommen, fin sich und der weit 
und wird Selbstmörder, also: der zora verderbt die besten 1 

schlusz: bedauernswertes ende des beiden. 

8. 

Allgemeines menschenrecbt und historisches recht im 

kämpfe mit einander. 

nach Ooethes Iphigenie. 

Die auiklärung des vorigen jabrhunderts entwickelte das westin 
und die rechte des menschen nach den gesetzen der reinen Vernunft 
und sprach den satz von der 'freiheit, gleicbhelt nnd brttderlichkeit' 
aller menschen ans. diese Sätze standen in scliroffom gegensats an 
den verhSltnissen» wie sie sich historisch entwickelt hatten, und ge- 
rieten in der reyolution in furchtbaren kämpf, in seiner vornehmen, 
Tersöhnlichen art iSsst Goethe in seiner Iphigenie denselben kämpf 
sich abspielen.* 

I. Iphigenie vertritt das allgemeine mensohenreoht: 

1) niemand darf einen menschen deshalb hassen oder verfolgen, 
weil er andern Stammes ist. ob barbar, Sejthe oder Ghrieche, 
alle menseben sind gleidi. 

2) daher schafft sie die menschenopfer ab, wozu die in Tauris 
gestrandeten fremdlinge bestimmt wurden. Iph. I 2. I 3. 

*der misversteht die himmlischen, der sie 
blutgierig wähnt, er dichtet ihnen nur 
die eignen grausamen begierden an.' 

3) deshalb kann sie auch den Thoas nicht, obschon er in den 
angen des Fylades barbar ist , hintergehen , sondern gesteht 
ihm die ganze Wahrheit, vgl. IV 5. 



* Bettlngen 'grundzüge der dramatisohen kmut*. Berlin, Weidoiami. 
1889. § 7. 



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518 



Die themata zu den deutscheu aufsätzen 



4) das weib liat nach den gesetien der yernunft dieselben rechte 
wie der mami, es braucht nicht die willenlose Sklavin des- 
selben zn sein. IV 3. 

'ioh bin so frei geboren als ein mann* usw. 

siemt 

dem edlen maniif der franen wort za achten.' 
I 1 'der franen znstand ist beklagenswert' usw. 

II. Thoas vertritt das historische recht, 

1) weil es von jeher so brauch war, wurde jeder fremdliug ge- 
tötet, vgl. I 4. 

'es ziemt sich nicht für uns, den heiligen 
gebrandi mit leiebtbewcgUcber yemnnft 
nach nnserni sinn an denten und au lenken.' 

2) als könig glaubt er, und so war es ja auch Yon jeher bei ihm, 
nur befäilen au brauchen, um Iphigenie sur beirat zu veran- 
lassen. I 3. 

^doch ist der weg anf ewig dir versperrt, 

nnü ist dein stamm vertrieben, oder dorcb 

ein ungelieures unhcil ausgelöscht, 

so bist du raein durch mehr als ein gesetz.' 

schlusz: sieg der reinen Vernunft und reinen menschlichkeit über 

historisclies recht durch die höhere macht der Wahrheit, abschieds- 
grusz des Thoas! 

9. 

In deiner brüst sind deines Schicksals sterne. 

nachzuweisen an Schillers Wallenstein. 

Wallensteins Schicksal wurde nicht von auszen, etwa dnroh die 
rätselhafte macht des Schicksals , dessen seichen in den stemen ge- 
schrieben sein sollen, bestimmt, sondern durch sein eignes hen, 
d. h. die in seiner brüst wurzelnden charaktereigenschaäen, seine 

wünsche, triebe und leidenschnften. 

1) durch seinen ehrgeiz, der genübrt wurde 

a) durch sein genie als feldherr und Staatsmann, 

b) durch seine groszartigen erfolge und die dadurch in 
seiner band vereinigte macht 

a) über sein beer und dessen f (ihrer, 

ß) seinen einflnsz beim kaiser und in der europäischen politilu 

c) durch seinen verhängnisvollen aber^lauben. 

a) er hält äich als unter Juppiter geboren iür' besonders vom 

Schicksal begünstigt, 
ß) dieser glaube wird verstärkt durch seine wunderbare enret- 

tong als knabe und sdne nnverletstheit in allen sehlaohteo« 

Wallensteins tod IV 2. 

*woM dreiszig jähre siadV nsw. 
t) so huldigt er der astrologie, die ihn furchtbar täuscht, 

1) in Octavio. WaUoisteins tod II 8. n 1. ni 18. 

2) in der beurieilung des rechten angenblicks snm handeln* 



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in den oberen claaaen bdherer kbranstalten« 



519 



flchlnsz: 80 fiel denn Wallenstein, sein schiokBal ist nlclii durdi 
Süssere nUtehte bestimmt worden, wie dies der glaube des alter- 
tnms y mittelalters und der Mobammedaner, sondern dnrch sein 
eignes iob. 

'in deiner broet sind deines aobiebsals iterne!' 

10. 

Wissen ist macht, 
gezeigt an Seni in Schillers W ailenstein. 

Seni besitzt die seiner zeit am höchsten geschätzte Wissenschaft 

der astrologie. wesen derselben! seine macht war daher eine grosze : 

1) er bcsasz don mächtigsten herrn der fT^in^fn weit zum frcnnd und 
scbtilei . vor ihm beugte sich sogar Walienstein, ihr nächtliches 
treiben in dem astrologischen tiirme. 

2) er beberscht das denken und tühlen dieses mannes. 

3) seine ausspräche sind entscheidend für das wohi und wehe von 
millionen! 

11. 

Sieber ist der schmale weg der pflicbt. 
naubgewiesen an Ifaz Pieeolomini in Scbillers Wallenstein. 

Soll sich Max fttr oder gegen Wallenstein erklSren, als dieser 
mit den Schweden gemeinscbaftUohe saobe maebt? 
I. das gefnbl, das herz von Ifax schwankt: 

a) der von ihm bisher vergötterte Wallenstein, seines lebens stem, 
sucht ihn ftlr seine plSne zn gewinnen gegen österreiclu 

b) die liebe zu TbeUa, Wallensteins tocbter, siebt ihn mehr denn 
je sn Wallenstein. . 

c) die Verachtung gegen seinen heimtückischen vater und das 
ganze Wien er cabinet vennehrt sein schwanken, ob er sieb 
nicht an Wallenstein anschlieszen soll. 

II. die pflicbt zeigt ihm in diesem ge wirr verschiedenartigster anf 
ihn einstürmender gefühle den sichern weg; er dient seinem vater- 
lande nnd wendet sich von dem verrKter, wenn auch mit bluten* 
dem herzen n,b. 

scblusz: ehrenvoller tod des Max, während W ailenstein durch sein 
schwanken sich ein tragisches ende bereitet. 

■ 

12. 

Wahre neigung vollendet sogleich sum manne den 

jnngling. 

nachgewiesen an Hermann in Goethes Hermann nnd 

Dorothea. 

I. Hermann ist vor seiner liebe zu Dorothea ein jüngling, d. h, 
noch nicht gereift, fertig und vollendet in seinem wesen^ 



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520 



Die ibemata su den deatioben auAfttsen 



1) im ftuszern auftreten: schttchiern, linkiech, ohne selbstYer^ 
trauen I daber sqbweigsam nnd wortkarg; er lebt mebr inner- 
lieb als ttnsserUdi. 

2) geistig: langsam, wenig entscblosaen. ein ecbter biederer 
landmann, aber zu nichts böherem braaebbar« 

II. Hermann wird dnroh die liebe zn Dorothea plötzlich 
ein reifer mann. 

1) ftuszerlich: er tritt sicher und selbstbewustauf, dem yater, 
apotbeker, pfarrer gegenüber, auch Dorothea gegenüber faszt 
er sieb ein herz, wenn er auch hier noch etwas scbttchtem bleibt. 

2) innerlich: 

a) entschlossen und energisch, der mutter, dem vater und dem 

pfarrer ge^^^cnüber. 

b) patriotisch, ein fester Charakter, der mit grobzem blick die 
Weltlage übersieht and dazu Stellung nimmt. 

13. 

Dcis wesen des Weltbürgers. 
dargeBtellt an dem pfarrer in Goethes 'Hermann und Dorothea'. 

L die Charaktereigenschaften des p&rrers, die ihn beeonders vor 

andern auszeichnen: 

1) er ist geistlicher, geht aber darin nicht völlig auf, sondern 

zeigt auch interesse und groszes Verständnis für weltliche 
dinge, er kennt die heiligen und weltlichen schrifteD. 

2) er ist feind aller einseitigkeit. confessionellen anstrich merkt 
man gar nicht an ihm. er weisz alle ansiebten, auch ab- 
weichende zu würdigen, z. b. über die neugierde, die edle au f- 
fassung vom tode. seine humanen ansichten über erziehung 
und standeswabl. er paart eine gute conserrative gesinnong 
mit einem gesunden sinn für foidscbritt. 

3) seine bescheidenbeit andern, auch geistig niedriger stehenden 
gegenüber. 

4) sein tbätiges eingreifen fttr alles gute and schöne , wenn es 
ihm anoh persönlich nicht Ton nutzen iet: für Hermann und 
die familie des wirtes. 

n. solche eigenschaften zeigen an, dasz des pfarrers ftthlen und den- 
ken nicht in enge schranken gebannt ist, sondern dasz er flberall 
in 4er weit und nicht nur an einem beschränkten orte damit be- 
stehen kann« einen solchen mann nennen wir weltbfliger« 

14. 

Leasings Nathan der weise, ein Weltbürger. 

ErklSrung von ^Weltbürger*. Kathen ist ein solch«. 
L ftuszerlich: 

1) er wohnt in der Weltstadt Jerusalem. 

2) er ist grosser kanfinann, sein handelsgesehaft umspaiint weite 



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in den oberen clasEeu höherer lebrauBtalten, 521 

länder, wüö er sibiiiem bcbarf durch drinf^enden geißte und seiner 
biklung verdankt, die weite kreibe umfaszt. 
II. in beiner gesinnung : er ist absolut vorurteilslos : 

a) in religiöser beziebung : 

1) trotzdem er Jude ist, nimmt er das Gbristenkind Becha als 
Behl eignes an nnd ist ihm ein liebevoller Tater. 

2) er httlt alle glaubcnsgenossenscliaften fflr gleichberechtigt 
und liebt in jedem nnr den guten mens(äen^ nicht den 
gnten oder wahren glauben. 

b) in politischer besidinng. Ihm gOt jede staatsform gleich, den 
mobammedanischen fttrsten Saladin unterstützt er mit nam- 
haften geldsummen. so zeigt sich Nathan als wahrer welt- 
bllzger. 

schluss: welcher unterschied von dem Schacherer ShylokI 

15. 

Der wirt zum goldenen löwen^ das bild eines pfähl- 

bUrgers. 

Umschreibung und erklSrung des Wortes pfaUbtlrger. wie die 
pfKble den bann der stadt einzäunen und von der übrigen weit ab- 
schneiden, so ist auch die bildung des wirtes eine eng beschränkte. 

1) er liebt die alte tracbt seiner Jugend, von da ab ist er nicht mehr 
fortgeschritten« ist beschränkte beispiele! 

2) trotz seines im vergleich zu den Verhältnissen der groszen weit 
kleinen beschränkten daseins, das er sich geschaffen, ist er darauf 
so stok , ah ob es nichts gröszercs gebe, er zeigt sich also in 
seiner Wertschätzung- beschränkt, indem er nur denmaszstab des 
kleinen Städtchens anlegt. 

3) er kann kaum abweichende meinungen vertragen und würdigen, 
zeigt sich also beschränkt, dem söhne gegenüber. 

4j als heraufgekommener bürger beurteilt er den wert der von Her- 
mann zu wählenden frau nur nach dem ihm verständlichsten ge- 
sichtspunkte, dem geld, weisz also nicht, dasz es andere bessere 
kriteriüii für diese bcurtuiluDg gibt, ist also beschrankt, 

5) äuszerlichen glänz und flitter, scheinbildung beurteilt er falbch 
und verkennt den guten kern in Hermann, der doch die haupt- 
Sache ist, zeigt sich also beschrftnkt. 

also] er ist ein pfahlbürger^ aber ein rechter biedermaan. 

16. 

Beligi5ser fanatismus, dargestellt an Thibant d'Arc. 

17. 

Mortimer in Schillers Maria Stuart, ein fanatiker. 



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522 Die ihemata zu den deufadien anft&tiea 

18. 

Religiöse Schwärmerei, 
abgehandelt an 'jungfrauvon 0 rleans' von Schiller. 

Schwärmerei ist eine einseitige höchst gesteigerte thätigkeit 
des gefühls. die Jungfrau von Orleans ist religiöser Schwärmerei er- 
geben, ihr gefühl und ihre phantasie ist einseitio- auf die religion 
gerichtet, speciell geht sie in der Marionven hrunij auf. 

1) ihr lieblingsau fenthalt ist unter dem Druideubaum, wo sie be- 
ständig ihren phantasien nachhängt. 

2) daher hat sie Visionen. 

3) sie verliert alle andern Interessen um eitern, geschwister, lieb- 
haber, ist stets einsam für sich. 

4) ihre mission als retterin Frankreichs, ihr dämonischer einflusz 
auf die maabeu, die ebenfalls nur gefühlsimpulsen nachgeben und 
den verstand nicht sprechen lassen. 

5) ihr straucheln im realen leben, welches sie wegen ihrer schwftr- 
merei nicht richtig beurteilen kann. 

schlnsz: ihr tragisches ende, welches bedingt ist durch ihre einseitige 
religiöse Schwärmerei. 

19. 

Die drei abschnitte in der entwicklung Parzivals, tumb- 
heit, zwivel, saeldu, nachgewiesen aii Scheffels Ekkehard. 

1) t u m bh ei t : Ekkehard als lebrer Hadwigs auf dem Hohentwjl. 
seine nnerfahrenheit in allen weltbändein, zumal Hadwig gegen- 
über, seine innere disharmonie. 

2) zwt vel: sein schwanken, kämpf zwischen liebe und dem kloster» 
gelübde, dessen unglückliche;^ ende m der Capelle vor Hadwiof. 

3) saelde: die zeit der ermaununi? in entsacren und werkthätiger 
arbeit, sein inneres glück und die wiedergeiundeoe ruhe auf dem 
hohen Sänli:». 

'der Jüngling lag in trXamen, 
dann kam die schwarze nacht, 

in scharfer luft der berge 
ist jetzt der mann erwacht.' 

20. 

Dasselbe thema, nachgewiesen an Tasso. 

21« 

Welche Ssthetischen gesetze verdankt Lessing in seinem 
Laokoon der lectQre Homers? 

Wie malt der dichter 
1) körper im allgemeinen: 

dnrdi hinzugesetzte epitheta, 
b) durch beschreibung der art, wie sie entstanden, (schild des 
AchlUes. bogen des Pandarus.) 



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in den oberen claesen höherer lebran&talten. 



523 



c) oder wie sie in den jetzigen zustand gekommen, (wagen der 
Jone. Agamemnon bei Homer.) 

d) indem er die geschichte des gegenständes erzählt, (scepter des 
Agamemnon.) 

2) sdiOne kOrper: indem der dichter die Wirkung sdiildert, die sie 
auf andere aoattben. (Helena nnd die troiaeben greise bei Homer.) 

22. 

Welche verscliiedenen empfindungen beim anblick der 
natnr stellt Waltber, Klopstook nnd Schiller dar? 

I. Walther: naive frende und glttckseligkeit im frübjahr, trauer 
im Winter, die Tersohiedenen Stimmungen werden in beziehung 
zum liebesieben gesetst. 'frUblingssehnsncht.' ^ winterklage.' 
'frOhling und freuen.' 
n. Klopstock: 

a) die natur erfüllt in ihren wundem den menschen mit Verehrung 
gottes, des Schöpfers derselben, denn es seigt sich darin 

1) seine allmacht ( ^ . . 

2) seine güte. } frühlingsfeier. 

b) die natar erfttllt den menschen mit den edelsten, erhabensten 
gefühlen, zumal mit der freundschaft. (Zttrohersee.) 

HI. Schiller 'Spaziergang': die natur ist ewig unwandelbar die- 
selbe, ewig gerecht, so sehr sich auch der menseh in seinen 

wünschen , leidenschaften ändert, 

1) im verein mit der natnr, 

2) als beherscher der natur, 

3) als feind oder verbesserer der natur. 

'und die sonne Homers, siebe, sie lächelt auch ans!' 
Cebfeld. Bettimoen. 



49. 

ÜBERREDET EMILIA GALOTTI IHREN VATER DURCH 
WAHRHEIT ODER DURCH EINE UNWAHRHEIT? 



Ernst Jeep versucbt in seinem au£mtie 'der tod der Emilia 
Galotti' (in diesen jahrb. 1889 hft. 12) die von mir (ebd. 1888 hft. 10) 
gegebene lösung des problems zu widerlegen, ich habe dort auf die 
bisher unbeachtet gebliebene scbriftstenerische eigenttimlicbkeit Les- 
sings, die ancb in seinem leben analogien hat, hingewiesen, dasz er 
gern gerade die edelsten Charaktere in seinen dramen 
ihren edelmut durch eine Unwahrheit deutlich an den 
tag legen lUszt. in rücksicht auf diese thatsache, die auch Jeep 
anerkennt, fasse ich die bekannten worte, wodurch Emilia den vater 
bewegen will, ihr den tod zu geben ('aber nicht über alle Verfüh- 
rung* usw.), einfach als eine Unwahrheit, ich kann nicht an- 



524 



Überredet £miÜa Galotti ihren vater 



nehmen, dasz Emilia in Wahrheit denkt, sie könne sich jemals von 
dem schttndHcben prinzen, dem mörd« ihres ferlobten gewinnen 
und verftlbren lassen. 

Aoch Jeep verwirft die Goethesche anffassung, dasx bei Emilia 
eine geWisee liebe an dem prinzen ^subintellegiert' werden mflaae; 
dennoch will er jene worte niebt ala einen vorwand, sondern ebrlich 
gemeint, als wiäiren aoadrack von Emilias gedanken auffassen. — 
Welches sind seine be weisgründe gegen meine erklärung? 

Erfindet, dasz durch die edelmütige Unwahrheit in allen jenen 
bei8pielen(bei Camilla Bota, Tellheim, Werner, Sittab| Pbilotas usw.) 
immer nur ein 'nebensächlicher zng% nur eine einzelne Cha- 
raktereigenschaft 'einer einzelnen person' in helleres licht gesetzt 
wird, hier aber die *katastrophe auf sie gebaut' sein würde, es liegt 
auf der band, dasz dies bedenken nicht stichhaltig ist. warum soll 
ein dichter eine hancllungbweise, von welcher er mit Vorliebe bei der 
Zeichnung seiner Charaktere nebensächlichen irt brauch macht, nicht 
auch einmal an einer entscheidenden stelle anwenden? übrigens 
führt Pbilotas bekanntlich seme katastrophe gerade mit hilfe einer 
Unwahrheit herbei; aucti ist Philotas nicht etwa nur eine 'einzelne 
person' im drama, sondern die hauptperson; auch Tellheim ist eine 
b a u p tperson ; und Minna selbst, die titelheldin, erreicht ihren 
zweck, fuiiit die baadluiig zum glücklichen uiide gerade durch die 
falsche Vorspiegelung ihrer enterbung. 

Dies letzte beispiel widerlegt zugleich den von Jeep hinzu- 
gefügten gegengrund, dasa alle jene edeln personen die Unwahrheit 
nur um andern zu helfen und zu ntttzen gebrauchten, w&hrend bei 
Emilia die Unwahrheit an jener stelle aus egoistischem interesse 
bervoigeben würde, offenbar bandelt doch Minna in ihrer liebe zu 
Tellheim ganz ebenso sehr in ihrem eignen Interesse wie im inter- 
esse Tellheims, indem sie ihn täuscht, desgleichen, wenn Tellheim 
zu Werner sagt, dasz die ^Marl offin' ^bei heller und pfennig' ihn 
bezahlt habe, und dasz er W.s geld nicht brauche: so handelt er um 
seiner eignen ehre willen so. *es ziemt sich nicht, dasz ich dein 
Schuldner bin.* — 

Ferner sagt Jeep, wenn der dichter seine heldin nur einen 
scheingrund für die notwendigkeit ihres todes beibringen und den 
vater nur durch eine täuschung bewegen liesze, so gestünde er da- 
mit selber ein, dasz er nicht fähig sei, die katastrophe dem vater, 
dem leser und sich selber ])lausibel zu machen, 'wobleibt die kunst 
Lebsin;^fs?' ruft Jeep pathetisch aus. mit gleichem rechte könnte 
man fragen: wo bleibt die kunst Shakespeares, der doch seinen Ro- 
meo auch nur infolge einer täuschung, eines irrtums sterben läszt?! 

In rücksicht darauf, dasz Emilia das erste unwahre wort noch 
weiter durch andere für den vater bestimmend wirkende worte er- 
gänzt, erklärt Jeep, wenn das alles Unwahrheit sei, so &ei Emilia 
eine ^abgefeimte verstockte Sünderin', und das könne man 
doch von dem 'frommen unscbuldsvollen kinde* nicht annehmen* 



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durch Wahrheit oder durch eine Unwahrheit? 525 



Jeep nimmt es, besonders wo er pointiert spricht, mit dem aus- 
druck nicht so genau (das iieigt u. a. auch der schlusz seines auf- 
satzes, wo er irrtum und Unwahrheit verwechselt) — und leider sind 
auch seine gedaalcea nicht ohne innern Widerspruch ! hier nennt er 
Emüien ein ^frommes nnsehuldsTolles kind' nnd kurz yorher wül er 
eo wabracbeinlich macheii, dasz 6ie ernstliek fUrohte, sie werde dem 
prinzen nicht widerstehen können, werde ihm ihre Unschuld preis- 
geben, 'sie hat warmes heisses blut; ihre sinne werden sie fort- 
reiszen; sie ist doch Italienerin.' — Wenn welterfahrene menschen 
solche Wendung auch vielleicht ohjectiv nicht für ganz unmöglich 
erklftren würden: wie kann ein ^frommes unschuldsyclleB kind' sol- 
Ohes über sich selber denken, solche macht der eignen Sinnlichkeit 
auch nur ahnen?! 

An diesem punkte scheitert nun auch der von Jeep selbst ge- 
machte positive lösungsversuch : Emilia Hebe freilich den prinzm 
nicht; aber sie fürchte die möglichkeit ihres faUes durch yer- 
ftthrung. 

Um dies wahrscheinlich zu machen, versucht er einerseits 
das Verhältnis zwischen Emilia und Appiani als ein recht kühles 
hinzustellen; Emilia *liebe' den grafen nicht, 'wie das weib den 
mann', sondern Werehre' ihn, den würdigen, nur 'wie das kind den 
vater'. — Sonderbar, dasz jemand Lessing so misverstehen kann! 
jene einzige schöne scene, wo wir Emilien mit ihrem verlobten zu- 
sariimen sehen (II 7), zeigt uns zwar keine lebhafte emplindsamkeit 
oder viel zärtlichkeitsäuszerungen — dergleichen liebte Lessing 
weder im leben noch in der diclitung - aber sie läszt es uns deut- 
lich genug erkennen, dasz Emilia in ihrer liebe glücklich ist; keinerlei 
mangel an freudigkeit ist an ihr zu bemerken an dem tage, wo sie 
aidi dem grafen lors leben unlöslich verbinden wird, wie umspielt 
sie ihn fröhlich mit ihrer liebe nnd möchte auch ihn, dem eine wölke, 
•in schatten auf dem gemttte liegt, so gern recht froh haben; seinen 
äugen möchte sie — ohne alle eitelkeit — wcblgeföUig sein und 
gerade in dem gewande und sdilichten schmucke will sie wieder vor 
ihn treten, worin sie ihm zuerst gefallen, welche liebliohkeit und 
Zartheit liegt in dieser scene 1 wie gesund und richtig ist auch in 
der Torh ergehenden scene ihr natürliches gefühl : ^der graf musz das 
wissen, ihm musz ich es sagen.* und wiewohl sie dann 'der bessern 
einsieht' ihrer mntter sich gern unterwerfen will, musz sie doch 
sagen : 'ich dächte doch, ich behielte lieber ?or ihm nichts auf dem 
herzen.' 

Anderseits möchte Jeep die ^geheimnisvolle macht 
von Gonzagas Persönlichkeit' hier gern recht stark in an- 
schlag bringen, damit man sieht, Emilia habe grund sie zu fürchten, 
es ist ja bekanntlich schon öfter von dieser angeblichen 'dämo- 
nischen* gewalt des prinzen, von seiner für weiherherzen hin- 
reiszenden Persönlichkeit geredet worden — gefabelt worden: in 
Leasings drama ist sie nicht vorhanden, es wäre Lessing ein leichtes 



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526 



Überredet Emilia Galotti ihren vater 



gewesen, seinem prinzen solch einen charakterzug beizulegen; aber 
weder die gräfin Orsina noch sonst jemand maclit irgend eine der- 
artige andeutnng, selbst Odoardo (II 4) bezeichnet ihn blosz als 
einen ^woUüstling", der begehrt; aber nicht als einen »olcheo , dem 
die weiberherzen zufliegen^ oder der auch nur die kOpfe zu verdrehen 
pflege. — Aber hat nicht Emilia selbat diese seliie 'geheimnisYolle 
macht* an iliiem herzen erfahren? wenn ein junges unerfahrenes 
mttdchen bei ihrem ersten eintritt in die grössere geseUaehaft ▼«m 
einem ftoszerlioh liebenswflrdigen prinsen beacbtong und auszeich- 
nmig erfuhrt, so wird das unter allen nmstftnden mnigen eindrack 
machen nnd ihre gedanken noch wiederholt beschfiftigett — dazn 
bedarf es keiner 'geheimnisvollen macht'; und wenn ein jongea 
mildchen in der kirche yon irgcn J einem zudringlichen jnngen men- 
schen ein liebesgestftndnis zugeflüstert anhören mnss, so geht das 
eben nicht ohne eine gewisse innerliche erregung ab, worin das ge« 
fühl der entrttatnng besonders stark sein wird — gerade so ista hier 
bei Emilia ; wenn sie dann aber vollends nachträglich in dem zu- 
dringlichen Schmeichler einen ihr wohlbekannten und bisher gar 
nicht widerwärtig erschienenen jungen mann erkennt, dessen hohe 
Stellung noch besondere rücksicht zu fordern scheint: sollte sie da 
nicht in die gröste Verwirrung geraten? wie könnte man von ihr 
erwarten, dasz sie in solcher Situation mit ruhe und Sicherheit auf- 
trete? — Mit einem schein von berechtigung könnte man noch 
Emilias eigne worte über jene abendgesellschaft beim kanzler Gri- 
maldi anführen, um zu beweisen, dasz der prinz ihr selbst doch 
ernstlich gefährlich war. 'ich kenne da^ haus der Grimaldi . . . eine 
stunde da, unter den äugen meiner mutter — und es erhob sich 
mancher tnmnlt in meiner seele, den die strengsten Übungen der 
religion kanm in wochsn besSnftigen konntm/ aber hier ist su he« 
achten, dass diese worte eben nur eine fortsetaung der 
Unwahrheit sind, wodurch Emilia den vater sn ihrer tOtang über^ 
reden will, indem sie ihre tngend fttr gefährdet erkl&rt. gewia hat 
sie nach jenem interessanten abend, wo der prins so Qberaua liebena* 
wttrdig gegen sie gewesen ist, noch lange eine gewisse lebhafte er^ 
regnng geftthlt; aber hier tlb er treibt sie nnd deutet — unge- 
recht gegen sii^ selbst — zum scblimme^n. überdies ist jetzt 
alles anders geworden! inzwischen ist sie ja eine glückliche 
braut geworden* ja auch der gewinnende, freundliche eindruck, den 
sie damals vom prinzen empfangen , ist schon durch seine Zudring- 
lichkeit in der kirche ganz ausgelöscht, und all ihre jemalige still 
bescheidene Zuneigung zu ihm ist nun vollends inhas;^, Verach- 
tung und absehen verwandelt, da sie in ihm den* mördcr ihres 
verlobten und einen frechen sünder erkannt hat. da ist es doch eine 
bare psychologische Unmöglichkeit, dasz sie m solcher Kim- 
mung wirklich fürchten sollte, sie könne sich diesem menschen, den 
sie — wie auch Jeep sagt — nicht liebt, jemals ergeben, wo 
bliebe, möchte man fragen, Lessings psychologische einsieht und 



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durch Wahrheit oder durch eine Unwahrheit? 



Ö27 



seine meisterschaft in consequenter cbarakterzeichnang, wenn er das 
Charakterbild seiner beldin in der letzten entscheidenden scene noch 
so verzerrt, und so widerlich verzerrt hätte?! 

Doch für h'ms bin ich Jeep dankbar, er vermiizt in memem 
anfsatze die motiviemng für Emilias wünsch zu sterben, der von 
mir angeführte grand: 'naobdem ihr Verlobter ermordet und, wie sie 
sieb sagen moss, mit dorob ibre eigae Terfeblnngi darch jenes un- 
glückselige Terscbweigen nms leben gekommen ist, da kann sie 
niebt mehr leben, ibr lebensglttek nnd ibre lebenslnst 
sind yernicbtet* ^ diese erklttmng genügt ihm niebt, und ^om 
so weniger als sie den wunseb zu leben offen ausspriebt: . . « dassen 
Sie uns fliehen , mein vater».* — Dieser einwand gibt mir anlasz, 
aueb das motiv zu Emilias wnnsebe selbst n0(^ genauer zu erörtern, 
währei^d es mir in dem TOrigen aufsatze nur um den nach weis jener 
Lessingschen maxime zu thun war und dasz durch beachtung der- 
selben der bedenkliebe anstosz in Emilias Charakter wegfällt. 

Die Worte 'lassen Sie uns fliehen, mein vater' sind nun fireiliob 
nicht, wie Jeep meint, ein bestimmter ausdruck für den wünsch zu 
leben; vielmehr drücken sie nur das naturgemäsze, onwillkürliche 
verlangen aus, fortzukommen von dem orte des Schreckens und aus 
der nähe des verbaszten irecbru und zudringlichen mörders. aber 
sie zeigen uns allerdings zugleich , wie ich Jeep zugeben musz, dasz 
Emilia nicht sofort nach der kunde von Appianis tocle den ge- 
danken selbst zu sterben geiaazt hat. sie hat eben — und das ist 
wieder ganz naturgemäsz — nicht etwa ein für diese umstände fertig 
gestelltes programm sofort bereit, erst als sie erfährt, dasz sie nicht 
fliehen kann, sieht sie ibr imglück, ihre notlage so verschärft, daaz 
sie sofort zu sterben begehrt, ihr lebensglück ist vernichtet, und 
nun soll sie auch noch in der nähe des verabscheuten frechen men* 
sehen bleiben, ausgesetzt seiner begehrlichen lasterhaften Zudring- 
lichkeit, die ihr durch die form galsnter liebenswtbrdigkeit um kein 
baar besser und ertrSglicber wird, welch eine widertrörtige, sebeusz* 
liebe existenz für eine edle Jungfrau, auch nur einige tage oder 
Wochen lang den Zudringlichkeiten, liebenswttrdigkeiten eines laster* 
haften menseben sehutzlos ausgesetzt zu sein I wie empörend und 
uuertiftglich fttr das gefühl jeder ehrenwerten jungfrau — eine 
schmachvolle antastung ihrer persönlichen ehre, auch wenn weder 
gewalt noch Verführung sie überwinden wird, istä denn so unyer- 
stftndlicb , dasz ibr weibliches ehrgefübl (samt dem allgemeinen be- 
wustsein der menschenwürde) solch eine unwürdige läge nicht dul< 
den mag und kann, dasz sie den rettenden tod so dringlich begehrt ? I 

Ihr vater aber hat für dies weibliche ehrgefühl kein Verständ- 
nis; mit diesem beweggrunde wird sie nichts bei ihm ausrichten, 
seine rauhe tugend traut dem weiblichen geschlechte gar zu wenig 
Charakterfestigkeit zu; dasz fraiun und Jungfrauen durch gefühl und 
sitte unter umständen ebenso behütet und geführt werden wie der 
mann durch seine grundsätze, scheint er nicht za ahnen — 'alles ist 



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528 



L. Meyer: die reform der höheren schulen. 



ilim Yerdftchiig, alles strafbar', sogar die wenigen unbegleiteien 
fiduritte seiner toefater ha in die nftohste kirche ; 4iner, meint er, sei 
sehen genug zu einem feUtrittel wie soUte solch ein mann das sart- 
geffthl einer Jungfrau richtig seh&tsen kOnnen? wie sollte Emilia, die 
ihres Täters art doeh kennt, hoffen dürfen, dass ers verstehe, wie 
nnertrSglich ihrem innersten geftthle auch schon das Zusammen- 
sein mit dem menschen, der sie mit seinen begehrlichen liebens> 
Würdigkeiten verfolgt, sein musz?! so gibt sie denn einen un- 
wahren gmnd für die notwendigkeit ihres todes an und swar einen 
solchen , den er sicher gelten lassen wird , weil derselbe ganz seiner 
eignen anscbauong entspricht, dass nemlich das weib überaus sehwach 
und baltungslos sei. — Welch eine feine psychologische concinnitSt 
in Lessings cbarakterzeichnungen wird uns damit wieder erschlossen! 

TOBGAÜ. BfiBTLIMCK 



50. 

BGBSIFTBN DES DBUT80HBN BINHBITBBOHULYEBBISS. SB0B8TB8 HBFT: 

DR. Lothar Mbtbb, dis bbform dbb höhbbbm sohulbb. * 

F. HOENEMANN, BINHBITSSOHULBBSTBBBUBaBB IN ITALIB». 
Hannover 1890. 

Es scheml angezeigt, auf den sehr anregenden inhalt des sechs- 
ten heftes der Schriften des deutschen einheitsschulvereins' (deren 
viertes und fünftes heft die auf den hauptversammlungen des Vereins 
in Kassel bzw. Jena gehaltenen vortrltge sowie fortsetzungeu der 
bibliographie enthalten) auch an dieser stelle hinzuweisen. 

In einer Vorbemerkung* unterzieht zunSchst F.Hornemann 
die Schrift A.Baumeisters *gjmnasiahreform und anschauung im 
dassischen Unterricht* sowie die *erinnerungen aus dem leben eines 
alten sohulmannes' von Ziel kurzen beaprechungen und zeigt, wie 
beide hervorragenden schulmänner in den wichtigsten punkten ihrer 
leformwünsche mit den zielen des 'deutschen einheitsschulvereins' 
übereinstimmen, denn beide sprechen sich für die beseitigong des 
lateinischen aufsatzes und des griechischen scriptums in prima aas, 
fordern auch in den oberen classen pflege des Zeichnens als Pflicht- 
fach, Ziel erklärt sich auch für einführung des englischen als allii^e- 
Tneinverbindlicbcn faches; eine erfüllnng der wünsche dieser mriniier 
wäre also im piincip eine Verwirklichung der vom 'deutschen einheits- 
8chulverein' angeslribten 'höheren einheitsschule'. wenn dann doch 
beide sich gegen eine einheitsschule aussprechen, so glaubt Horne- 
mann darin einen beweis für die notwendigkeit erblicken zu sollen, 
die hauptpunkte, auf deren reform es in unserem höheren Schulwesen 
ankommt, immer eindringender zu erörtern und immer deutlicher 
herauszustellen : diesem zwecke soll auch vorliegendes heft dienen. 

Im ersten teile erörtert dr. Lothar Meyer (professor der 
Chemie in Tübingen) das bedürfnis nach einer reform des hüheren 
Schulwesens und die ziele, denen solche zustreben müsse, zum teil 



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L. Meyer: die reform der höheren schalen. 



529 



in demselben sione, in welchem er sich auf der ersten hauptversamm- 
Inng des 'deutschen einheitsscbulvereins' ausgesprochen (s. meinen 
bericht in diesen jahrb. 1888 s. 315 ff.), er steht durchaus nicht auf 
dem Standpunkte derjenigen, die verlangen, die schüler sollen aus- 
schlieszlich oder doch hauptäächJich das lernen, was sie im späteren 
praktischen leben notwendig brauchen werden, wtlnscht vielmehr, 
«dasz mit den banansisehen ntilitariern gründlich gebrochen und 
ihrem einflnBB« ein fester riegel YorgesdiobeiL wwde*« dagegen 
wQneobt der yerf. festEohalten an der tüten flberliefemng, 'dasz die 
achnle nnr die fthigkeiien entwickeln, allgemeine bildung geben, 
ganze mensefaen erstehen und der hoch« und fachsdinle flberlasaen 
solle, dieee anf den praktischen lebensbenif vorznbereitem'. aber aach 
Ton diesem standptinkte ans hat er an der augenblicklichen gestal- 
tung unseres höheren Schulwesens verschiedenes auszusetzen und die 
darlegung dieser mSngel ist sehr eingehend, da heiszt es u. a. : die 
aohnlen legen zu viel wert auf das wissen und zu wenig auf das kön* 
Ben, namentlich auf dem gebiet der mathematik und natur Wissen- 
schaften, es wird immer wieder yergessen, dasz es einzig darauf 
ankommt, die schüler so anzuleiten, dasz sie beobachten, den- 
ken, reebnen und construieren können; wie viel tliatsfichen 
und wie viel lehrsätze sie auswendig wissen, ist von ganz unter- 
geordneter bedeiitnng. die durchschnittsgymiiasiasten wissen die 
erworbenen niathematiscben kenntnisse oft nicht zu benutzen , sind 
für das verdUlndnis naturwissenschaftlicher Vorträge nicht geschult, 
fassen nicht richtig auf, was ihnen gezeigt wird, vermögen den aus 
den beobachtungen gezogenen Schlüssen nur mit mühe oder gar nicht 
zu folgen, in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unter- 
richt der realgymnasien werden weite gebiete hineingezogen, welche 
nicht der Vorbildung, sondern der ausbildung angehören und durch 
dieses hinüberziehen ganzer diselplinen Ton der hochschnle auf die 
Yorbüdungsanstalt werden die grundlagen der wissenschaftlichen aus- 
bildung geschädigt und dazu wird in den schtllem leicht die meinnng 
erzeugt, dasz sie gebiete gründlich und erschöpfend kennen gelernt 
bStten, in die sie nur oberflilchlich eingeführt wurden« somit be* 
reiten die humanistischen gymnasien nidit mehr genügend 
auf die verschiedenen Studien vor, der yersnch aber durch das real- 
gymnasium eine geeignetere Vorbildung zu erzielen , ist als m i s • 
gldckt zu erachten. 

üm nun die schulen wieder zu dem zu machen, was sie sein 
mfissen, verlangt derverf. eine einheitliche gestaltung des 
gymnasiums, so dasz es auf alle höheren Studien einschlieszlich 
der sogenannten technischen gut vorbereite und überhaupt mög- 
lichst allseitig ausbilde; es soll dann auch die beste und höchste 
schule für alle die jungen leute sein, welche nicht zur hochschule 
übergehen, aber ihre Schulzeit bis zur absolvierung des gymnasiums 
auszudehnen in der iBSfe sind, zwischen dieser höchsten schule und 
der niedersten, der Volksschule, solle die real« oder bürger- 

N. j«tirb. f. phil. a. pftd. 11. «bt. 1880 bft. 10. M 



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530 



L. Meyer: die reform, der höheren schulen. 



sobnle stehen, nicht »le Tonchnle ftlr hOhere Studien, sondern um 
in grOndlicher und gediegener wdse anf den unmittelbaren eintritt 
ins praktische leben TOrzuhereiten. den neuerdings aufgetauchten 
und von einem eignen verein verfoehtenen gedanken aber, mit einer 
einzigen schale allen bedflrfnissen des ganzen Volkes za ent- 
sprechen , erklärt der ver£ mit recht fttr 'ganz tinansftthrbar% weil 
eine einheitsscbule dieser allgemeinen art keinem ihrer schttler ge- 
recht werden könnte. 

Zur durchfübrung der reform verlangt der verf. zunftchst eine 
änderung des berechtigungs wesens^ um das gjmnasium 
von alle den scbülern zu entlasten, 'welche seinen lehrgang gar nicht 
dnrchzumacten beabsiclitin^en, sondern nur gewisse berechtigungen, 
besonders die zum einjährigen militärdienste, ersitzen wollen'; 
ihnen soll hierzu ein leichterer, kürzerer und billigerer weg eröffnet 
werden durch gründung von real- und höheren btirgerschnlen in hin- 
reichender aiizahl , welche mit ihrem drei jähre früher zu erlangen- 
den reifezeugnis die berechtigung zum einjährigen militärdienat 
liefern, während die gymnasien keinen berechtigungsschein andere 
als mit dem reifezeugnis ausstellen, die Verbindung bestimmter 
bereciitiguiigen mit dem einjähiigen beouch der prima i&t nach dem 
verf. 'ein Privilegium für solche leute, welche das reifezeugnis zu er- 
langen anszer stände sind': ein urteil, das durch die erfahrung aller- 
dings seine bestätigung findet; auch die Unterscheidung der reife fttr 
nnt^rima^ obersecunda, unterseeunda ist ^nicfat stichhaltig zn be* 
grtlnden% denn *wenn man einmal auf den richtigen absehlnsz der 
gymnasialbildung verzichtet, so kommt auf ein einzelnes jähr mehr 
oder weniger auch nicht viel an', alle diese berechtigungen könnten 
sehr wohl der real- oder liöberen bürgerschule überlassen werden, 
wenn man nur, da ja für gewisse bernfskreise einige kenntnis der latei- 
nischen spräche nötig ist^ an ihnen nebenkurse errichtet, in welchen 
das latein obligatorischer Unterrichtsgegenstand ist : eine einrichtung» 
die zugleich an den orten ohne gymnasium den scbüler für den über- 
tritt in die unteren classen des gymnasiums vorbereiten könnte. 

Sodann verlangt derycrf., ^:IaRz eine mathematisch-natur- 
wissenschaftliche Schulung verbundpn mit einer grtlndlichen 
Übung im geometrischen und freihandzeichnen als ein notwendiges, 
der philologisch-historischen ebenbürtiges und gleich- 
berechtigtes, wenn auch viel weniger zeit beanspruchendes glied 
des Unterrichts anerkannt werde', erklärt sich daneben aber offen 
und unumwunden auch dafür, 'das? ohne gründliche Sprach- 
studien eine streng logische scliuluiig de» dt^nk Vermögens nicht 
durchfuhrbar ist' und Masz keine spräche die beziehungen der ge- 
danken zn einander ans der form der werte und stttze so klar erkennen 
laszt, wie die beiden alten, die seit Jahrhunderten die gmndlage 
des nnterrichts in unseren gelehrtenschulen bilden', fttr ihre bä- 
behaltung spricht sich deshalb der verf. mit sehr erfreulicher ent- 
schiedenheit und bestimmtheit aus; ihm ist es 'keinen augenblick 



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Ii. Mejer: die reform der höheren schulen. 531 

zweifelbttft, dasz die bekämpfer der altclasbischeo c«cliulbildung dem 
manne gleichen, der den baomast abaUgt, auf dem er sitzt', und die 
alten sprachen mit ihrer litteraiur dnroh die neuere litteratnr ersetzen 
za wollen I wltrde niobts anderes faeissen, 'als dass wir Y<m den 
wurzeln unserer onltar das unterste sittck abhacken und uns mit der 
übrig bleibenden hftlfte begnügen*. 

Steht der verf. so tu dem altsprachlichen Unterricht, , so werden 
wir Philologen gewis gern geneigt sein zu hören, was er, der Che- 
miker, an dem jetzt herschenden betriebe des Unterrichts in den alten 
sprachen auszusetzen bat. er meint, dasz 'zu tiel philologie und za 
wenig Bprachkenntnis' an den gjmnasien getrieben würde und dasz 
infolge dessen auch der lateinische aufsatz zu einer last geworden sei, 
was er noch vor etwa 40 jähren nicht gewesen, denn Mamals hat 
man uns die alten sprachen gelehrt, ohne uns viel mit gelehrter 
Philologie zu befassen*, die vom verf. befürwortete gründliche Än- 
derung soll darin bestehen, dasz allerdings zunächst ''alle zeit tind 
kraft auf die gewinnuiig einer festen grammatischen grundlage ver- 
wendet werde, ist aber diese in der hanptsache gewonnen, so lang- 
weile man die scbüler nicht lange jähre hindurch mit philologischen 
kleinigkeiten, sondern stecke sich das feste ziel, sie in die kenntnis 
der alten Schriftsteller einzuführen, so dasz sie für diese interesse 
gewinnen und behalten', als mittel dazu empfiehlt der verf. 'reich- 
liches und flottes lesen, während dessen der lehrer nur da, wo es 
wirklich der mühe lohnt, auf eigentümliche formen, sätze und ge- 
dankenverbindungeu usw. aufmerksam mache'. — Grundsätzlich 
stimme ich auch in dieser forderung dem yerf. bei; auch ich bin der 
Meinung, dasz nur durch leetflre sp räch geftthl erzeugt und 
genährt werden kann, nicht durch ttO<Ä so eifriges betreiben der 
grammatäk, sowie dasz vielfach im lateinischen und im griechischen 
gar zu wenig gelesen wird, wenn man z. b. hie und da in schul* 
Programmen findet; dasz hi den beiden jähren der seeunda zusammen 
nur 6^8 bflcher der Odyssee, in den beiden der prima nicht mehr 
von der Ilias gelesen werden, so halte ich das allerdings f&r yiel 
zu wenig^die sohttler mflsten sich doch in die wichtigsten autoren, 
wenigstens m den Homer^ so hineinlesen und einleben, dasz sie ihn 
zuletzt 'vom blatte lesen' kOnnen, das kann aber nur durch um- 
fangreiche lectüre erzielt werden, nicht durch noch so gründ- 
liche absolvierung geringer pensen. und doch will mir scheinen, als 
gebe der verf. mit seiner fordernniif 'reichlichen und flotten lesens' 
zu weit, wenn er erklärt: ^eine oder zwei Seiten Herodot oder Homer 
sind keine iiabrung, mit der man einen primaner eine stunde lang 
anregend beschäftigen kann, und wenn man sie auspresst wie eine 
citrone.' da scheint der verf. doch zu übersehen, dasz das lesen 
allein auch wieder nicht genügt zur einführung der schüler in die 
kenntnis der alten Schriftsteller, sondern dasz auch eine bespre- 
chung des Inhalts des gelesenen aiLtündlich, bald mehr bald 
weniger eingebend , nötig ist ^ ohne dasz solchem zu einem mechani- 

34* 



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532 



L. Meyer: die reform der höheren schulen. 



sehen 'auspreasen* zu werden braneht. denn vm die reichen, nament- 
lich im griechischen schrifttnm gebotenen bUdungselemente all* 
seitig Ulr die zwecke des erziehenden nnterrichts fimcbtbar zu 
machen, ^mnsz der inhaltvon der form losgeldet und selbstttndig 
gemacht werden, er mnsz geistiges eigentum des schfUers werden, 
ihm einen Zuwachs an historischer, ethischer, ästhetischer bildang 
bringen' (s* CoUmann, referat für die vierte schleswig-holsteinische 
directorenversammlimg, 1889, s. 59). zur erfüllung dieser so wichtigen 
aufgäbe der lectfire wird man aber im durchschnitt nicht viel 
mehr als 'eine bis zwei selten* lesen können, aber trotz dieser Ver- 
schiedenheit der ansichten in diesem punkte kann ich im übrigen die 
vom verf. vorgetragenen wünsche für den altsprachlichen Unterricht 
nor billigen und empfehle allen philologischen colleofen seine ernsten, 
wohlgemeinten mahnungenzur be-und nachacbtnng, denn 'die gelahr, 
dasz künftige generationen den geschmack au den alten verlieren 
könnten, ist bei der Jetzt raeist üblichen bebandlung grosz, wahr- 
scheinlich grödzer als jede andere, die dem humani^lischen gymna- 
si um jemals drohen kann.' die zahl der Vertreter der ansieht, dasz 
man eine der alten gymnasialbildung mindestens ebenbürtige, all- 
seitige humane bilduug auch mittels der neuen sprachen, der eignen 
geschiebte, der matbematik und der naturwissenschaften erzielen 
könne, wird wachsen ; ^MU die mehrzahl der philologen in ihrem 
passivm widerstände gegen eine gründliche x^orm der gymnasien 
dauernd yerharrt die freunde der alten humanistischen Schulung 
werden es mehr und mehr müde werden, tauben obren zu predigen, 
und schlieszlich an der hoffnung Tcrzweifeln, dasz das humanistische 
gymnasinm jemals zeitgemKsz verbessert werden könnte, ich musz 
daher den unsere gymnasien leitenden philologen ein sehr dringen- 
des 'videant consules' zurufen, so lange es noch zeit ist^ dem drohen- 
den stürze vorzubeugen'. 

Als ein wichtiges mittel zur abstellung der vorhandenen mttngd 
bezeichnet der verf. in kurzen worten die richtige ausbildung 
und Schulung der lehrer und redet schlieszlich einer änderung 
der reifeprüfung das \yort; diese müsse 'von der künstlichen 
höbe, auf die man sie hinaufgeschraubt hat, heruntergebracht und 
ihre geltung zum groszen teile durch das urteil des lehrercol legi ums 
ersetzt werden'; und bei der erteiiung des reifezeugnisses solle nicht 
'allzu pedantisch' verfahren und nicht verlangt werden, 'dasz jeder 
Schüler in jedem fache allen anforderungen genüge', da darf wohi 
darauf hingewiesen werden, dasz wenigstens in Preuszen vielfach 
'compensationen' gestattet sind und allgemein geübt werden, ob frei- 
lich so weitgehend, wie der verf. zu wünschen scheint, mag zweifel- 
haft bleiben; die erstore forderung verdient aber gewis alle be- 
achtung. 

Der zweite teil dieses heftes ist einer ausflihrlicben besprachung 
und Würdigung dea Werkes des Italieners KicoU Fomelli , la peda- 
gogia e rinsegnamento dassico, Mailand 1889 gewidmet in diesem 



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F. HornemaDn: einheitsBclialbeBtrebiuigexi in Italien. 533 



werke widerlegt Fornelli nach Hornemanns bericht in umfassender 
und eingehender weise die angriffe auf den classischen Unterricht in 
den höheren pchuien und legt tlen wert derselben, besonders — vom 
Standpunkt des Italieners! — des lateinischen in einer weise dar, 
die trotz mancher aus der verschiedenen nationalen entwickiung ent- 
springenden Verschiedenheiten auch ftlr Deutsche sehr lesenswert 
ist. danacli erörtert Fornelli die Organisation des höheren Schul- 
wesens und fordert statt der jetzt auch in It-alien herschenden Zwei- 
teilung eine höhere einheitsschule. wenngleich nun die grundan- 
schauungen, von denen Fornelli in seinen forderungen ausgeht, denen 
des detttBohen einheitssohTilvereins ganz fthnlich sind, so weicht doch 
seine hOhere einheitsschule von der von jenem erstrebten in einigen 
nicht unwesentlichen punkten ab: die erOrterung dieser Yerschieden- 
heiten giebt Homemann anlast, die fordemngen des deatschen ein- 
heitsschnlyereins hinsichtlicfa dieser punkte — mindestens drei ge- 
trennte arten von schulen, griechisch und englisch als obligatorische 
Unterrichtsfächer — wiederum zu begrdnden und so von neuem fttr 
sein und des deutschen einheitsschulvereins programm einzutreten, 
natttrlieh kann er dabei meistens nur früher schon dargelegtes von 
neuem hervorheben, doch hie und da zeigen sich auch fortschritte und 
änderungen in der auffassung, wie das ja sich von selbst versteht; 
gilt doch auch hier das alte wort: 'dies diem docet*. 

Möchte diese anzeige manche collegen anregen , dies heft der 
schrit ten des deutschen einheitsschulvereins einer eingehenden leotüre 
und erwägung zu würdigen 1 

Ratzbbubq. W. Vollbrbcht. 



51. 

OAHMLima OKBOBXOHTLIOHBR QUELLBlfBOBniPTBN 2ÜB MBU8PRACH- 

uobeh LBorOna im aÖHSBBN uhtbbrioht, unter FACaamiössi- 

SOBBR MITWIBKUNO HBBAUSGBOSBBN TON FuiBDBIOH PbRLB* 

Halle a. 8. , Max Niemeyer. 1889. 

Wenn ich ah chissischer philologe es unternehme über diese 
edition einige bemerkungen zu machen, so geschieht dies, weil ich 
der Überzeugung bin, dasz das derselben zu gründe liegende princip 
mehr, als das vielfach recht hohle geschrei um die erweiterung 
seiner sogenannten berechtigungen im stände ist, dem reaigymna- 
sium innere ^Gleichberechtigung mit seiner ältern Schwesteranstalt 
zu erringen, gleichen wert aber kann ersteres nur dann für aich in 
anspruch nehmen^ wenn es den nachweis zu führen vermag, dasz es 
seinen zOglingen au<^ eine humanistische bildung verleiht \ die in 
erster linie sieh auf moderne enlturekmente stützt. 

Nun liegt es .mir sehr fem^ mich in die tobende mSnnerschlacht 

^ vgl. Mas realgymnasium und die bunanistische bildong* tob 
JPriedrich Panlsen. Berlin 1889. 



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534 f. Ferie : gammluug geschichtlicher quellenschriftea 



zu mischen , in der auf der einen seite der Schlachtruf: 'hie gymna- 
bium!' auf der andern: 'hie realgymnasium!' ertönt, einen kämpf, 
der sich im interesse unseres höheren boliulvveiiens nicht bis zu der 
schärfe hätte zuspitzen dürfen, einerseits das altbewährte gymna- 
sium lierabzaaetzen, anderseits cler mOhsam siob emporringenden 
Heizen sclrale jede daseinsberechtigung abzusprecben. 

Unsere absiebt ist allein die mitwirkung der neuspradilieben 
lectfire an der aufgäbe des realgymnasinms darzulegen, bnmanistisebe 
bildung zu gewlüiren. da Jedocb die mOglicbkeit ein solcbes ziel su 
erreicben dem sebalgemäszen betriebe der neueren spracbeq nnd da- 
mit ibrer lectüre vielfacb abgesprochen ist und auch beute noch ab- 
gesprochen wird, müssen wir sunttobst diesen einwand, soweit er die 
leetüre angeht, zu widerlegen versuchen. 

Was die formalbildende seite derselben betriflPt, d. b. die durch 
Überwindung der Schwierigkeiten, welche die Übersetzung des fremd- 
sprachlichen textes in ein erträgliches deutsch mit sich bringt, ge- 
übte geisteszucht, so ist die iiborlegenhcit der altsprachlichen lectüre 
zweifellos, hier musz die latemische lectüre der neusprach lieben zu 
hilfe kommen, eine keineswegs zu verachtende Unterstützung, zumal 
nach den neuen plänen das preuszische realgymnasium mehr latein- 
stunden erhalten hat, als die gymnasien von Österreich, Schweden 
und Frankreich zu ihrer Verfügung haben, anders steht es mit der 
humanistisch bildenden Wirkung nensprachlicher lectüre im engern 
sinne, den menschen und die menschbeit, wie sie uns in hervorragend 
wichtigen Volksentwicklungen entgegentritt, dem fassungsvermögen 
des reifenden Jünglings gemäsz zur erkenn tnis zu bringen, und eben 
weil die formale seite der nenspraoblieben sebriftsteUer den sebfllem 
der oberolassen keine genügende anstrengung mebr sumutet (vgl. 
Eritzscbe, einleitung 2um cbeval de Pbidias), wird auf ibre sacblicbe 
ausbeutang um so mebr gewicbt gelegt werden müssen, wem das 
Griecbentum scbleobtbin als ideal des menscbentums gilt, mit dem 
ist es überflüssig über diesen punkt zu streiten, sebwerwiegender 
ist die bebauptung, die cultnr der in betracbt kommenden T5lker, 
der Franzosen und Engländer, sei der unseren zu gleicbartig , als 
dasz der mensch und die menschheit sich uns binreichend in ihr 
objecti vieren könne. Perle' hat diesen einwand zum teil zurück- 
gewiesen, wenn er sagt, es bandele sich nur um einen vergleich zwi- 
schen deutscher gegenwart und französischer, bzw. englischer ver- 
gangpuheit. letztere n1)er ?oi von unserer gegenwart hinreichend 
verschieden, um obiger forderung genügen zu können, ist aber diese 
wichtige bedingung erfüllt, so darf man der beschäftigung mit einer 
fremden cultur durch lectüre wegen eines geringem grades von unter- 
schied zwischen ihr und der unsrigen nicht die iäbigkeit humanisti?ch 
zu bilden absprechen, falls dieselbe nur von ausreichender bedeutung 



' Perle ^die historische lectüre im französiacben Unterricht'. Oppeln 
1886. 8. 37. 



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zur iieusprachlichen lectüre im höheren Unterricht. 535 



ist für die geschichtliche entwioklung der menschheit oder genauer 
unseres culturkreises und damit unseres volkes. dasz die cultur der 
Franzosen und Engländer diesen ansprttchen voll genüge thut , ist 
«benso unbeitrdtbar, als daez die antike eoltor vermöge der groszen 
ein&chheit ilirer staatlieli-Boeialen yerhSltaisfle dem ▼erBtBadnis der 
flcbOler in höherem masze entgegenkommt handelt es sich bei der 
altsprachlichen lectttre um eine grSszere knnst seitlich entfernter 
liegende und fremdartigere caltannstünde dem sdifller nSher zu 
bringen, so- wird die neasprachliche, am in wahrem sinne hnma- 
nistisoh wirksam zu werden, einer geschickten, ftlr das jngendliehe 
alter passenden erörterung der im verhSltnis zu denen des altertums 
Terwickelteren staatUcb-gesellschafilichen Verhältnisse der durch sie 
dargebotenen cnlturen bedürfen, man bat behauptet, dasz letzterer 
aufgäbe nicht genügt werden könne und dasz darum die französisch- 
englische cultur für humanistische bildung unbrauchbar sei, ohne 
sich vielleicht klar bewust zu werden, dasz damit auch einem schul- 
betriebe nicht antiker geschichte, der über thatsachen und zahlen 
hinausgeht, das todesurteil gesprochen wird, statt zu verzichten, 
sollte man besser die didaktische kunst des lehrers zu hilfe rufLU. 
mag die altsprachliche lectüre leichter ihr ziel erreichen , ungerecht 
"Wäre es, der neusprachlichen die fähigkeit dazu abzusprechen, selbst- 
verständliches vergleichungsobject bildet für beide arten von lectüre 
unsere gegf^n wärtige heimische cultur; und beider aufgäbe ist es, 
die laden aufzudecken, weiche die fremden zustände mit den uusrigen 
verbinden. 

Dasz eine neusprachliche lectüre, die sich ein solches ziel setzt, 
dies nicht erreichen kOnne, weil die sprachen, die ihr. za grande 
liegen, noch gesprochen werden, weil die kenntnis dieser sprachen 
der schttler spiter einmal im sinne des gewöhnlichen nutzens ge- 
braudien könne, ist als gegenargument nicht zu berOcksichtigen. 
wttrde all das schöne, das Oskar Jäger mit recht dem lateinlemen 
im gymnasinm nadurtthmt^ verschwinden^ wenn latein wieder einmal 
die internationale spräche der gebildeten wü^de? 

Unerläszliche grundbedingnng fllr die humanistisch bildende 
kraft neuspracblicher lectüre ist eine auswahl aus der überreichen 
fülle litterarischer erzengnisse in dem sinne, dasz nur solche Schriften 
in das^ realgjmnasium eingang finden, in denen die Seiten im national- 
cbarakter des volkes, dem die betreffenden denkmäler angehören, 
klar hervortreten, durch welche dasselbe von hervorragender bedeu- 
tung für unsern culturkreis gewesen ist. gilt dies zunächst von den 
realgymnasien, so ist eine von solchen gesichtspunkten geleitet« aus- 
wahl nicht minder wichtig für die lateinlo-ien oberrealschulen, weiche 
durch die pläne von 1882 zu allgemeinen bildunL^^Mmstaiten erhohen, 
die neusprachlicbe lectüi e ganz besonders in humanistischem sinne 
verwerten müssen, da ihnen das antike bildungselement, wenigstens 
in quellenmSsziger darbietung, völlig fehlt. 

Dasz auf den realgymnasien noch vielfach, wie die programme 



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536 F. Perle; samnlaDg gescbichtiidier qaellenichnften 

naeb weisen 9 die bedeotung dieser leetflre mcbt y0Uig erkannt wird, 
ist leider zuzugeben, aber aneb bei der TerblUtnismSssigen jagend 
dieser anstalten entsobnldbar. 

Einen kanon in unserem sinne für die franzSsisebe historiscbe 
lectüre schlägt Perle TOr in der mehrfach angezogenen scbrift 'die 
historische lectüre' usw. s. 64, damit Tergleiche man in derselben 
8« 59, wo sich ein kanon der französischen gesamtlectüre findet. — 

Eine durch nichts zu ersetzende handreiehung aber, den an- 
schauungen fremden Volkstums tiefe und färbe zu geben, leisten 
quellenscbriften , wie sie die altspracbliche lectüre der natur ihres 
gebietes geroäsz in reichlicher fülle besitzt, und sie die besprochene 
Sammlung nunmehr wenigstens für die prima auch auf neusprach- 
lichem zur geltung bringen will, sprachliche rücksichten nC>tigten 
nicht über die classische zeit zurückzugehen. 

Erschienen sind bis jetzt: 

1) die memoiren des herzogs von L-d Piochefoucauld , die zeit 
von 1624 — 1649 umfassend und von F. Hummel herausgegeben und 
erklärt. 

2) briefe zur französischen revolntion, bdefe Ludwigs XVI, 
Miiabeaus, La Fajettes n. a. enthaltend, heransgegeben nnd erUftrt 
von F. Perle. 

3) das 21e buch der memoiren des marsdialls Hannont, dessen 
inbalt die erste restauration und die zeit der bnndert tage bildet, 
herausgegeben nnd erklärt von H. Lambeck. 

4) englische parlamentsrcden (reden Ton Pitt, Fox u.a.), herans- 
gegeben und erkl&rt Ton F. Perle* 

Demnächst werden erscheinen : 

5) die memoiren Ludwigs XIV zum jähre 1666 herausgegeben 

und erklärt von P. Voelcker. 

6) das lOe buch der memoiren des marquis von Ferneres, die 
zeit vom Juni bis october 1791 omspaonend, herausgegeben und er- 
klärt von P. Perle. 

7) capitel 4 — 1.^ des ersten bandes der memoiren des grafen 
La Valette, welche die zeit vom april 1794 bis october 1800 behan- 
deln , herausgegeben und erklärt von J. Sarrazin. 

8) die englische revolution von 1688 ans dem 4n buche von 
bisehof Burnets gescbichte seiner zeit, herausgegeben und erklärt 
von A. Kressner, 

Wie man sieht , wollen die quellenschriften dem Studium her- 
vorragend wichtiger, namentlich universalhistorisch bedeutsamer 
entwicklungsperioden bei Franzosen und Engländern auf den reaU 
gymnasien entgegenkommen, auch darin wird man dem heraus* 
geber (vorwort V) beistimmen, dasz es endlich an der seit ist, dass 
die als sachliche lehrmittel veralteten historiker durch anderweitige 
Schriftwerke, wenn dazu sonst gelegenbeit gegeben bt, ersetst wer* 
den. er mag dabei an historiker wie Voltaire, Thiers, Mignet ge- 
dacht haben, die von der forschung längst Überholt, viel£sch auch, 



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zur neusprachlicheu lectüre im höheren Unterricht. 537 

weil tendenziös, nnzuverlBssig aind. es liegt auf der handi dasz wert* 
Tolle quellensclirifteB diesem vorwarf nicht ansgesetzt sind, bzw. 
selbst in ihren irrtttmem und entstellungen nrkonden ihrer zeit sind, 
68 versteht sieh, daaz von diesem gesiehtspiinkte ans betrachtet, die 
historisehe lectftre aneh der gjmnasien im französischen reform- 
bedürftig ist. diese qnellensclniflen aber sollen nicht etwa nach 
Ferles meinnng den einzigen Inhalt der primanerlectfire bilden, in 
seinem kanon für französische gesamtlectdre 'die bi torische lectflre' 
s. 59 weist er der unterprima ein lastspiel von Molidre, eine Samm- 
lung von briefen nnd eine abbandlung zu, der oberprima eine das* 
sische tragddie, ein lastspiel von Moliöre, eine Sammlung von reden 
und ein memoirenwerk. für die englische lectüre hat er, so viel wir 
wissen, keinen kanon aufgestellt, sollte von einer richtigen be- 
nutzung der besprochenen sammlunir nicht ein wenig von der 'inten- 
siven, weil an der quelle geschöpften und erarbeiteten kenntnis der 
gescbichte', die .Täf^er^ für den gymnasiasten in ansprach nimmt, 
auch dem schüier des realgymnasiums zu teil werden? 

In wie weit die Sammlung im einzelnen den anforderungen ent- 
spricht, überlassen wir kundigem zur beurteilung. die erörterung 
der frage, wie das realgymnasium die in einzelnen punkten hervor- 
tretende Überlegenheit der altsprachlichen lectüre durch andere Vor- 
züge auszugleichen hat, oder gar die erörterung des probleras^, ob 
überhaupt neben der durch das gymnasium vermittelten humanisti- 
schen büdung eme auf anderer grondlage erwachsene wünschens- 
wert nnd notwendig ist^ überschreitet die nns gesteckten grenzen. 

üns lag nur daran, auf dem boden der gegebenen verhSltnisse 
stehend, dcNQ gedanken zu begründen, dasz diese herausgäbe von 
qneUenschriften einen sohriM vorwärts aof der bahn bezeichnet, dem 
realgjmnasinm innere gleichberechtignng mit dem alten gymnasinm 
durch didaktische thaten zu erringen. 

' Jäger 'das humanistische gymnasiam'. 

^ man vgL hiersit: Pauken ^daa realsymnailnni mid die hnmaaletische 

bildang*. 

Halle. BoBsnT Cbampe. 



(28.) 

BBISFB VOM KAKL DAT. ILGEN AN C. A. BÖTTIOEB. 

mitgeteilt von di. Robert Boxbesgeb. 

(vgl. jahrgaDg 1884 s. 463 ff. 569 ff. 1885 s. 317 ff. 1886 s. 476 ff. 6^2 ff. 
1889 B. 363 ff. 448 ff. 506 ff. 657 ff. 609 ff. 1890 s. 292 ff.) 



Herzlich geliebter freuud. 
Dietnm, factum, als ich den hiief zngemacht hatte, d'adbte ieh 

gleich daran, dasz ich die 100 thlr. . welche ich unter dem SO apr. er- 
halten, nicht erwähnt hfitte. ich wollte erst oben auf das couvert noch 
mit ein paar worteu schreiben, dasz die 100 thlr. in cassa wären ; dann 
aber üel mir ein, dasz ich es Gustaven mündlich sagen könnte, dasc 



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538 



Briefe Ton Karl DaT. Ilgen an C. A. Böttiger. 



er Sie davon benachrichtigte, aber da ich bei dem absditode wieder 
manches andere mit diesem SQ sprechen hatte» so ist die ganze Sache 
vergessen worden. 

leh bedanere recht sehri dasa ich Ihnen wegen der ^geschickten 
steioe so viel mühe mache, sollten sie so sehr tener sein , so wfirde 
ich Hoch bedenken trap-en, eine pf>]ehe summe darnn zu wendpn ; wenig- 
stens könnte da anf einen der blosze bucbstabe I. kommen, dieses kann 
doch so viel nicht kosten. 

Da diese zeilen noch mit dem bricfträgcr fort müssen, so kann ich 
weiter nichts hinzu thun, a}^ herzliche grüsze von meiner frau an l^e 
und Ihre frau gemahlin, und die versicherang, dass ich bin 

Ihr treuer freund 

Pforte, d. 28 jnli 1814. D. Ilgen. 

Hochgeehrtester freund. 
Ich habe einen schrecklichen winler verlebt, und luusz einem ebenso 
schrecklichen frtthjabr und sommer entgiegeDsehen. seit dem october 
ist keine ruhe in meine seele gekommen, nur wenige tage zu ende des 
novembers waren es, wo die hoffnang über die furcht die oberhand be- 
halten zu wollen schien, aber da war es vielleicht auch, wo der grund 
sn dem namenlosen knmmer gelegt wurde, der mich fast gans zn boden 
dräckt. seit Weihnachten liegt meine arme frau ganz darnieder, sie 
kann sich weder rnliren noch wenden, und rausz aus dem bette heraus 
und wieder hinein gehoben werden, ein schmersi der teils in dem 
nnterleibe, teils in dem rechten schenke! seinen Sita hat, der bisweilen 
ganae tage und ganze nächte anhält., und auf das fürchterlichste wütet, 
consumiert ihre kräfte, so dasz ich türchten musz, die kmiikheit möge 
in eine phthisis übergehen, alle mittel diesen schmerz zu iiuderu, oder 
die Ursache desselben zu heben, sind bisher fruchtlos gewesen, anfangs 
war er im unterleibe, besonlers an einer gewissen stelle nach dem 
bindemuskel des rechten schenkeis zu am heftijrstcn ; und meine frau 
selbst sowohl als andere, welche die be8chr»'ibun{;^ hörten, waren der 
meinung, dasz eä ein geschwür t>ei. nur der Schularzt hr. dr. L'hiicix 
wollte es nicht sageben, sondern behanptete, es sei ein rhenmatlscher 
schmerz; doch am ende, da er gar nicht weichen und sich gar nicht 
verändern wollte, fieng er sellist auch an, jener meinnnp: bcizTitreten. 
mit seiner genebmigung iiesz ich den hrn. hofrat btarck von Jena kom- 
men. dieser erklSrte, nachdem er meine fran untersacht, und sich von 
allem, was vor, während und nach der entbindung mit ihr vorgegangen 
war, auf das genaueste unterrichtet hatte, dasz es kein geschwür st^I, 
sondern ein hartnäckiges rheuma. er gieng mit dem hrn. dr. Uhiicii 
und dem hrn. dr. Kaiser in Naumburg, der meine frau entbunden hatte, 
und jetst auf ausdrückliches Tcrlangen desselben mit gegenwärtig war, 
zu rate, und die von ihm vorgeschlagenen mittel hatten die Wirkung, 
dasz der schmerz aus dem leibe und von den einzelnen stellen wich, 
aber desto heftiger änszerte er sich nun in dem Schenkel, wenn er 
eintritt, so ist es ein wahrer jammer, meine frau au sdien, und das 
klagen und schreien zu hören, ihre mienen werden ^anz verstellt und 
der angstschvveisz läuft über die stirne. sie ist mit eiureibungen von 
Tartarus, von lapis infernalis, spanitichen fliegen und dergl. vom u. j. ge- 
martert worden, und ist immer keine linderung, oder nur eine sehrnn* 
bedeutende erfolgt, auf Verordnung des hofr. Starck ist ein versuch 
mit bädern gemacht worden; aber diese kann sie, wegen allicu groszer 
schwäche, nicht vertragen, ein paar, wo sie iu bloszem seifenwasser 
badete, giengen so yorfiber; aber als mit heusamen angefangen wurde, 
ward sie im bade ohnmächtig, am vergangenen Sonntage ist der hofrat 
iStarck wieder selbst dagewesen, was er mit dem dr. Üblich verabredet 
bat, weisz ich nicht, ich mochte getiissentlioh nicht bei ihren berat- 
ichlagungen ^gegenwärtig sein; denn aus einer Aasierung, die ich to- 



. j i^ .d by GüOgl 



Briefe tou Karl Dav. Ilgen an C. A. Böttiger, 



filHg Torher reniahm, konnte idi sebliescen, dtam de nitr nlebt Tiel 

trost gegeben haben würden, wenn ich nur erst einen anf&ng der bes- 
Berung sähe! wenn nur der schmerz nachliesze, und nächtliche rohe, 
und erquickung durch schlaf gestattete! wenn sich der appetit zam 
essen nur einigermaszen wiederAode, dass man hoffen könnte^ es wttr«- 
den sich die gänzlich gesunkenen kräfke allmählich wieder heben! ich 
selbst habe mich auch körperlich den ganzen winter schlecht befunden, 
erst hatte ich lange zeit eine böse band, die ich mir zwar selbst, indem 
ieh einen giehtknoten vertreiben wollte, gemacht hatte, aber mich doch 
^aebr lange vexiert hat, besonders, da es die rechte war; weshalb ich 
auch mit meinen «'chreibereien sehr zurückp^osptzt wTirde. alsdann fan- 
den sich noch andere übel ein, die mir grosz - au;^'^8t und sorge für mich 
selbst machten, doch ist alles mit gottes hüte vorübergegaugeu. da> 
mit ich nur volle last za tragen haben möekte, mästen aneh noch von 
den Schülern Dummheiten und nlederträchtlgkeiten ausgeübt werden, 
den anfang machte Schcppach, der davonlief, gegen Weihnachten hatten 
3 seicctaner mit dietricben und uachschlusseln dinge begangen, die 
höchsten orts angezeigt werden mosten, diese machten sich, um der 
bestrafung zu entgehen, aneh aus dem staube, endlich kam auch noch 
ein spitzbnbe, der die collaboratoren bestohlen hatte, dazu, was hat 
mir dieses alles für ärger verursacht und für zeit gekostet, um das 
mass ▼oll an machen, mnste auch noch die naehrieht eintreffen, dass 
^e neue grenzlinie Sachsens die Saale von Halle, Merseburg, nach 
Pforte zn w;irc. d.^s wäre das fürchterlichste, was Pfortr treffen könnte, 
da gänge die linie gerade durch das herz der schule, diesseits hätten wir 
die äeker, und jenseits die wiesen, Weinberge und hölzer. Cncnlaa 
yräre sächsisch, FrBnkenaa, MemlebNi, Hechendorf preasaisch. möge snr 
gott dieses abwenden, entweder gans sttehsisch oder gana prensaiseh; 
nur kein secare in partes. 

Ihr lieber söhn ist recht gut, ist deiszig, thätig und arbeitsam, und 
nimmt sn in seinen kenntnissen. mein nnglück trifft ihn aber aneh 
mit: denn es fehlt ihm die stellvertreterin seiner jjuten mutter. vor 
Weihnachten konnte er sie noch besuchen, ob sie p-leich schon schwach 
war; und er tbat es auch, aber nach Weihnachten hat meine arme frau 
anf strenges Terbot der Xrste keine hesnche annehmen dürfen, weil 
jede anstrengnng mit spreoben die nachteiligsten folgen nach sich zieht. 

Den stein, den Sie mir zum geschenk machen wollen, kann nnd darf 
ich nicht annehmen; er ist zu dem behufe, au welchem ich eiucu haben 
wollte, zu kostbar, nnd hernaeh wfirde ich reranlassnng geben, dasa Sie 
eine wirkliche impietät begingen, denn Sie haben ihn von dem minister 
und geh.-r. von Götho bekommen, lieb ist mir es übrigens, dasz ich da- 
mals nicht so aufs blinde hin bestellte, weil ich bisher auszerordent- 
liehe ausgaben gehabt habe, es mag also die liebhaberei, welche ich 
damals hatte, jetst inoimer znrUdkstehen. empfehlen Sie mich Ihrer 
besten liebsten fmn, der ich eine stete nnd nn veränderliche gesundheit 
wünsche, und behalten Sie lieb, und bemitleiden 

Ihreu 

unTerladerlichen freund 
Pforte, d. 8 mlrs 1816. D. Ilgen. 

Verehrtester freund. 
Kur ein paar seilen, weil receptionstag ist, und ich diese nnd fol- 
gende woche gar nicht zu atem kommen kann, der hr. hofirat Hedenus 

hat mir einen sehr ausführlichen brief geschrieben, ich teilte den in- 
halt desselben gleich dem dr. UhUch mit. dieser stinm&te aber nicht 
ein, und sagte, es hStte sich unterdessen der anstand so geändert, dasz 
der hr. hofrat selbst auch von seiner meinung abgehen würde, gestern, 
als d. 29n, war der hofrat Starck aus Jena da (den ich des jungen 
Künzels wegen auf antrieb des hin. dr. Uhlich mäste kommen lassen); 



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Ö40 



Briefe von Karl Dav. Ugeu an C. A. Böttiger. 



dieiem ich ebenfalls da^on. aber aneb diäter gab das, was 4r. 

Üblich vorher gesagt hatte, zar antwort. er bätte die psoitis mehr- 
mals gehabt, aber bei meiner frau wHre sie eS nicht, anfangs hätte er 
daran gedacht, auch es gegen hrn. dr. Uhlich geäuszert; aber es wären 
keine bestätigenden indteia erfolgt, er beschrieb mir den zustand 
gerade so, wie ibn der hr. hofrat Hedenns besebreibt. es geht» gott 
sei Tob! etwas besser seit etlichen tagen; es zeigt sich etwas mehr 
appetit zum essen, eine kleine auunJime von krUften, und die Bchmerzen 
haben sich vermindert, die patientiu kauu aufsitzen im bette, auf dem 
sopha nnd Icann das fahren auf dem rilderstnhle vertragen, dieses^ 
alles war vorher nicht, ^venn doch der hr. hofrat es noch möglich 
machen könnte, uns mit seuu m hril, leben und trost bringenden be- 
suche zu überraschen, ich glaube, seine erscheinung wäre für meine 
fran schon die halbTollendete cor. wollen Sie die gfite liaben, und 
etwas von diesen zeilen dem hm. hofrat nebst unserer herzlichsten 
empfehlung und Vermeidung lebenslänglicher dankbarkeit mitteilen, 
weil ich die Unmöglichkeit sehe, mit der hiesigen post einen brief an 
ihn fortsnbringen, und dann es sn spSt sein durfte. 
Ich bin ewig Ibr 

Pforte, d. 30 märs 18i6. treuer D. Ilgen. 

Verehrtester frennd. 

Der Vorrat ist zwar noch nicht gans anfgeaehrt: denn es sind noch, 
wie Sie sehen, 25 thlr. 11 gr. 9 pf. in cassa; indessen mögen Sie doch 
unseren stand erfahren, und pro faturo Ihre geneigte eotschlieszung 
darnach fassen. 

Ihr lieber sohti ist noch nicht abgereist, nnd ieh kann auch bei 

dem entsetzlichen wetter nicht dazu rnten. wenn dieses so fort gebt, 
dasz es nicht aufhört zu regnen, so wird die ernte erbärmlich, auch 
diejenigen, welche in bädern vom sprudel heilsamer quellen hilfe er- 
warten, leiden sehr, wie mir es selbst gegangen ist, der ich Egerbrnnnen 
getrunken habe, und spazieren gehen muste. so empfindet es auch meine 
arme frau in Kosen, der übrigens der gebrauch des bades sehr zusagt. 

Das huidigungsfest ist bei uns mit aller decenz, doch ohne pracht 
und ohne gerKusch Tor&bergegangen. des abends war das sehnlhana 
nnd die häuser der lehrer und officianten illuminiert, wundern thnt es 
mich, dasz von Pforte keine deputation verlangt worden ist. da von 
der geistlichkeit und jeder inspection zwei deputierte gefordert worden 
sind, so hStte tod Pforte anch wenigstens einer gesendet werden sollen. 

Meine arbeiten haben sehr ingenommen, da ich wegen der nnbe- 
kanntsehnft de;^ TT. G. G, mit der Verfassung der sehnle über alles be- 
richt erstatten musz. 

Mit den besten wünschen für Ihre frau gemahlin bei dem gebrauche 
des bades, dessen heilsame kraft sie sehon oftmals empfunden hat» und 
mit der alten frenn 'sl haft Ihr 

Pforte, d. 8 aug. 1815. D. IIg«n. 

Nur um, wenns möglieh ist, ein andenken von dem unvergessliehen 

manne zu erhalten, übersende ich Ihnen, teuerster freund, die beiliegen- 
den nummern, mit der bitte mein heil zu versuchen, die bücher werden 
wohl um ungeheuere preise weggehen, den katalog, der so reichhaltig 
ist, ordentlich durebaulesen und rubig etwas ausanseiehnen , habe ich 
durchaus keine zeit gewinnen können, die zeitnot ist bei mir so gross, 
dasz ich nur mit angst die paar nummern habe aufzeichnen können, 
nur noch mit einem worte, dasz ich mit Ihrem lieben Qustav jetzt 
reeht sehr wohl aufrieden bin. behalten Sie lieb 

Ihren fr. D. Ilgen. 

Herzliche grüsze an Ihre fr. gemahlin von meiner frau und von mir, 

Pf. d. 21 nov. 16. 



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Briefe von Karl Dav. Ilgen an C. A. ßöttiger. 



541 



So eben fftllt mir ein brief von Ihnen, verehrtester frennd, in die 

bände, der macht, dasz ich am ganzen leibe zittere. Sie wollen die 
Lepsiasscbe schrift über die HusBiten vor Naumburg haben, dieses habe 
ich in dem ewigen treiben und drängen, da ich zu keiner angenblick- 
liolien beflinnnng, rnhe und Selbständigkeit gelangen kann, schändlich 
vergpssen. es ist gewis das tranrigBte Schicksal, wenn man auch eine 
80 unbedeutende Gefälligkeit einem freunde zu bezeigen verhindf rt ist. 
Ihr rector Grabuer hat gewis, uo lange er rector gewesen iät, niciit ao 
viel gesehrieben, als ich in diesem einsigen jähre, geben Sfo mir nur 
darch eine einzige Zi ile nachricht, ob es noch res integra ist: denn der 
brief ist vom 16 august 1816. recht gern will ich Ihnen die schrift ver- 
Bcbaffeui ob sie gleich zu dem zwecke nichts hilft, da sie eine Wider- 
legung der Banliisuhen fabel ist. die sache ist eine lüge; ich kann 
nnr noch nicht aufs reine kommen damit, wer der erste lügner ge- 
wesen ist; ob der garnisonlehrer Ranhe, der die fabel zum flrtick be- 
fördert hat, oder, was mir wahrscheinlich ist, ein anderer unverschämter 
mensch vor ihm, der eine iranse gesohiehte Naumburgs und der nm- 
gegend zusammengelogen hat. 

Für Ihre g'iitifi^e hesorpfun«' meiner auctionsangelegenheit bin ich 
Ihnen sehr, sehr verbunden, der Homer und ein paar andere werke 
haben mir grosze frende gemacht, der Homer ist ein geschenk von 
Bargsdorf, und deshalb trachtete ich mit darnach, mit dem Aristaenetos 
hin ich ;ibcr anereführt, es fehlen die lectiones des Abresch daran, 
es ist als ob ich den vollständis^en Aristaenetus von Abresch nicht be- 
kommen sollte, ich gab deshalb eine ungeheuere commission, dasz er 
mir nicht wieder entwischen mdehte. nnn habe ich ihn swar, abw 
carbonem pro thesanro. der wohlfeile preis machte mich schon aweifel» 
haft. das auctionsglnck lächelt mir in der regel selten. 

Ihr lieber söhn ist recht gut, und das in jeder hinsieht, in dem 
streben nach correctheit hat er wenig aemnlos unter seinen mit- 
Schülern. Ihrer fr. gemahlin meine herzlichsten grSsse* m^ne frau 
wird selbst sehreiben, mit wiederholten bitten um Tersethnng 

Ihr 

Pforta, d. 26 jan. 1817. Ilgen. 

Mein verehrtester freund. 

»Sie werden sich wohl schon längst über das körperliche Wohl- 
befinden und das gute aussehen Ihres lieben sohnes gefrenet haben, 
ich kann nun diese frende noch durch das zeugnis vermehren, dasz er 
sowohl dnrcli seinen fleisz, als auch durch seine auffiihrung sich das 
beste lob erworben hat, er ist in der that einer der besten Zöglinge 
der hiesigen anstalt, und wird in der zuk&nft ihr ehre machen, es ist 
recht schön, dass Sie ihn mir bis ostem 1818 lassen, dass er 2 jähre 
in selecta zubringt, denn dadurch wird er iracav biKaiocuvr]v erfüllen. 

Diese zeit her haben wir mancherlei besuche hier gehabt, zar 
Kbg. messe den hm. präsident von Schoenburg und hrn. gr. v. StoU- 
berg, seinen sebwager. vor 14 tagen gieug der kronprinz Prenssen 
hier TOrbeL er hatte sich vorgenommen gehabt, in Pforte einzuspre- 
chen, aber da er sich unterwegs wegen mancherlei zufäUe verspätet 
hatte, so konnte er seinen vorsats nicht ausführen, er hielt nur ein 
paar minuten yor dem thore, wo ich eine kurze Unterredung mit ihm 
hatten am 17n d. kam frtth nm 6 nhr der minister v. Behnekmann nnd 
der geh. rat Behrmaier. ee \yar mir sehr lieb, den mann, mit welchem 
ich so viel schon zu thun gehabt, von angesicht zu angesicht zu sehen, 
die anstalt gefiel ihm sehr, und er versprach, alles was in seinen kräften 
stünde, SU Oirer TcrvoUkommnung su thnn. ich habe nun noch zu er- 
warten den oberpräsident von Bülow aus Magdeburg, und den ober- 
reg.-rat Süvern aus Berlin» doch weisss ich nicht, wann sie kommen 
werden. 



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542 



Briefe T<m Karl Dar. Ilgen an C. A. Böttiger. 



In dem änszeren werden wichtig^e Veränderungen mit der schale 
vorgehen, auch die !ebrer werden mit ihrer besoldung anders gestellt 
werden, man wird die uaturalien, weiche nickt absolut bleiben milMen, 
In geld yerwandeln^ was ich meisosteils sehr snfriedeii bin. 

Meine frau empfiehlt sich Ihnen und Ihrer fraa gemahlin auf das 
herzlichste, von den leiden« die sie vor einiger zeit zu erdulden ge- 
habt, wird Ihnen Ihr und mein Gustav wohl schon ersählt haben, in 
meinem ganaen leben gebe ich niemand den rat^ eioh einen sahn heraus- 
nehmen zu lassen. 

Behalten Sie lieb 

Ihren 

treuen frennd 

Pferta, d. 26 jnli 1817« Ilgen. 

Mein verehrtester freund. 
Verzeihen Sie mir ja^ dasz ich Ihren brief, der Gustavs abgang 
nnd die wähl seines künftigen Studiums betrifft, so lange unbeantwortet 

gelassen habe. Sie können nicht glauben, was für ein geplagtes wesen 
ich diesen winter gewesen bin. wenn die kurze frcmle iiber die gluck- 
liciie eutbindung meiner frau mir munteri^eit und iiraft gab, die laüt 
meiner arbeiten sn ertrngen, so drückte micb eigne krSnkliclikeit nnd 
die darauf folgenden leiden in dem masze wieder nieder, dasz ich fast 
liegen geblieben wäre, hierzu kam noch die ungewöhnliche kürze des 
Vierteljahrs, wo alles, was in einem längeren kaum abgethan werden 
kann, abgethan werden mnste nnd sollte, was den abgang nnn Ihres 
lieben Gustavs anbetrifft» so habe ich ihm das, was er brauchte, gegeben, 
und werde auch die discessgebühren noch berichtigen, die rechnnng 
werde ich alsdann schon übersenden, in hinsieht seiner künftigen be- 
stimmnng rate ich ihn in seinem Torhaben, sich der philologie sn 
widmen, nicht irre zu machen, dasz von einem phtlologeu jetzt etwas 
mehr verlangt wird, als ehemils, ist gewis; allein es werden anch jetzt 
den jungen philologen mittel angeboten, sieh die mehreren keuntnisse 
auf leichterem wege zu verschaffen, die wir, als wir uns einfallen lieszen, 
Philologie zu studieren, nicht hatten, und nicht kannten, wo worde 
sonst z. b. archäolop-in ^e]rsr--n? ich wollte sie mit aller gewalt von 
dem alten Martini erzwingen; er verlangte 10 zuhörer, und von jedem 
12 thlr. ich konnte nicht mehr als drei- subscribenten auftreiben, es 
war ansser mir Hommel und Loebel. jetat kann jeder bei Bock das 
collegium um ein leichtes geld hören, wo konnte sonst etwas über die 
metrik gehört werden? ich habe alles durch micJi selbst lernen müssen, 
ich schätzte mich glücklich, dasz ich die metra Horaiiana scaudieren, 
nnd notdürftig sie nacbahmln, nnd die jamben nnd aaapttsten beim 
Aristophanes an den fingern absählen konnte, nnd däucbte mich etwas 
£U sein, als ich, da ich nicht lange in Leipzio- war, den Thomasschülern, 
die von Fischern eine metrische aufgäbe bekommen hatten, einen auf- 
sata fabricieren konnte, den sie alle der reihe nach, mntaUs mutandis 
absebrieben, und damit Fisehers beifall eradtetent denn bekannter 
maszen konnten die Thomaner keinen hexameter lesen. Jetzt ist die 
metrik zu einer Wissenschaft erhoben und wird öÜeutlich gelehrt, das 
metrisehe Samenkorn, das Herrmanns geist von meiner Wenigkeit auf- 
gefangen hat^ hat tausendfältige früehte gebracht, da er aoeh mein 
Zögling war, fand er schon den versus Saturninus auf, an dessen theorie 
Ohribts grammatische kunst sich vergeblich versucht hatte, und wie 
vieles könnte ich anführeu, was jetzt ganz anders ist, als sonst? es ist 
jetst eben so wenig ein gans eminentes genie snm stadinm der pbilo- 
logie nötig, als ehemals, wenngleich dasselbe einen gröszeren umfang 
gewonnen hat; die mittel sind in unseren Zeiten besser und liegen nnher. 
daäz nun durch beuutzung dieser bessereu mittel Gustav, durch sciue 
geistesfähigkeiten, wenn ich diese aueh nieht für eminent nnd ansier* 



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Briefe toq Karl Da?. Ilgen au C. A. Büttlger, 



543 



ordentlieh erklären kann, doch hinlänglich unterstütst, ein philoleg 

werden wird, der seinen mann steht, f^etraue ich mir zn behanpten. 
aeine grundkeuntnisse sind sehr gut. er arbeitet etwas laugsam, und 
Beine produete leigeu noeh sparen 4er mflbe nnd dei grossen fleieies; 
aber bei fortgesetoter tibang wird aieb echneltigkeit nnd leiehtigkeit 
Bchon finden, zuin junsten geheint er mir am wenigsten geschaffen ; es 
wäre deoD, dasz er akademischer lehrer werden wollte, dieaeei int aber 
auch eine bedenkliche sache. es ist etwas ruhmvolles, was ein festungs- 
eommandent, der an eapitnÜeren genötigt worden war, von den Leip* 
zigpr mafristern gesagt hatte, dasz er nemlich nicht so leicht znr cipi- 
tulation würde gebracht worden sein, wenn die besatznn^ aus Leipziger 
magistris bestanden hätte; aber ioh gestehe doch, dasz ich auf diesen 
mkm nickt begierig sein würde, eher würde iich Gnstar sum theo- 
logen, nnd zum prediger schicken, karz lassen Sie ihn den weg, den 
er sich gewählt hat, gehen, und gottes gnade und segen wird ihn be- 
gleiten, ein Zeugnis, wovon bei dem oberconsistorinm zur erlangung 
einea stipendinras gebraneh gemaekt werden kann , lege ieh bei. 
hoffe, dass es wirken wird. 

Wenn nur berrn Miinnich ciiiQ coUaboratorenstelle bei uns nicht zu 
schlecht ist. diese stellen sollen zwar verbessert werden; aber das 
gebt nicht so sekaell. leb werde nächstens an ihn schreiben, nnd ihm 
alles offen darlegen, früher konnte ieh nickt, weil ich alle stellen schon 
besetzt oder versproclicn hatte. 

Meine frau, die ihren püegesohn, so wie ich, lieb behält, auch wenn 
er nicht mehr um sie ist, empüehlt sich Ihnen und Ihrer besten gattin 
auf das angelegentlichste nnd freundschaftlichste, so wie letsterer anch 
ich, nnd anch Ihnen nnd nnsenn QostaT. ewig 

Ihr 

treuer freund 

Pforta, den 22 märs 1818. O. Ilgen. 

(Meinem Gnstav sagen Sie, dasz ich doch ein wenig auf ihn böse 
wäre, weil er mir den buchbinder des alten D. Petzold nicht ausge- 
mittelt hätte, ich habe bücher aus der Fetz, auction, die fortgesetzt 
werdwi. diese mnsa ich bei dem alten bnehbinder binden lassen, weil 
der Naiimburgisehe die Stempel, linien nnd lettern nicht hat, und schaffen 
kann, welche bei den Dresdener bänden gebrancbt worden.) 

Mein Tcrehrtester freund. 
Ich benutze die gelegenheit, die mir die reise des herrn rat Naumann 

zn der feierlichkeit, von welcher Sie zum teil mit höpfer sind, dar- 
bietet, um mich bei Ihnen in andenken zn erhalten, da mir dieses über 
alles wichtig und schätzbar iät, und zugleich ein exemplar von dem Pro- 
gramm, welches ick, anf höchste veranwssnng von Berlin aas, auf das 
letzte schulfest geschrieben habe, von Ihrer freundschaft erwarte ich, 
dasz Sie dieses nachsichtsvoll beurteilen, es ist ein product der eil- 
fertigkeit. wären nicht wegen mancherlei abänderongen in den aluronen- 
stnben und anderer bauerei^ sechs wochen huadstage gewesen, so 
hätte ich mich durchaus auszer stand gesehen, den wünschen des mini^ 
steril g-enüge y.n leisten, in dieser zeit muste gar vieles geschehen, 
was teils die schule und ihre neuen einrichtongen betraf, teils aber auch 
mich selbst, es ist Ihnen unstreitig auch sn obren gekommen, dasz 
ich nach Berlin geben wfirde. dieses ist nicht so rein aus der luft ge- 
griffen, oder ersonnen, wie die jetzt in allen leitnngen paradierende 
geschichte von dem enterich des pfarrers in Limbach bei Querturt, wo 
ein junge den enterich, der Schulmeister den jungen, der vater des 
jungen wieder den Schulmeister tot geschlagen haben soll, sondern es 
ist wirklich etwas daran p^ewesen; es ist mir wirklich von E. h. mini- 
sterio der antrag gemacht worden, man hatte es mir abgemerkt, da-^z 
ich durch manche vorsrhritte mich gekränkt gefühlt hatte, und dm 



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Briefe TOn Earl Day. Ilgen an C. A. B0ttiger. 



cxcpllenz hatten (lio gnade, in der seTir dankenswerten absieht, micli 
zufrieden zu stellen, mir es anheim zu geben, ob ich als professor nach 
Berlin gehen wollte, die sache ist auch noch nicht abgebrochen, ob 
Bie gleich vor der hsnd aufgeschoben ist. 

Wie geht es mit Ihrer frau gemahlin? was macht mein guter 
Gustav? dieser wird Ihnen freude machen, ich bitte ihn herzlich yon 
mir zu grüszen, wenn ßie ihm schreiben, mein Constantin fängt non 
aneb an, mir wegen setner weitern bestlmmnng sorge sn maehen. auf 
miehaelis will er fort, und ich mag ihn auch mcht gern länger halten, 
weil er da schon 2'/^ jähre in prima gesessen hat. oh aber die reise 
nach Halle, oder nach Leipsig geht, ist noch nicht entschieden, für 
Leipzig entscheidet meine alte anhttnglichkeit an diese nniyersität, und 
die bekanntschaft, die ich daselbst habe; nach Halle dttrften Tielleieht 
Verhältnisse nötigen. 

Dresden hat zwei grosze verlaste hinter einander erlitten, die mich 
beide sehr erschüttert haben, den herrn Präsidenten sähe ich zuletzt 
im Fransensbronnen, wo mir sein aussehen schon gar nicht gefiel, sein 
nachfolger, wer mich sein mag, wird tu thun haben, diesen mann in 
Vergessenheit zu bringen, die gelehrten anstalten Sachsens haben ihm 
viel zu verdanken. 

Heine fran nnd mein söhn empfehlen sich Ihnen und Ihrer firsv 
gemahlin auf das herzlichste, so wie letzterer auch ich, der Ich mit der 
unveränderlichsten gesinnnng alter freundschaft bleibe 

Ihr 

Pforta, den I märe 1821. D. Ilgen. 

Ein herlieher einfal!, mein verehrtester freund, wer ihn gehabt 
hat, dem schenke der himmel heute einen glücklieben lag. die lieder 
von Ihnen, Gehe nnd Weiske haben mir eine unbeschreibllohe frende 
gemacht, so wie Ihre beschreibnog des gsnsen festes, haben Sie herz- 
lichsten dank dafür, nur einer hat seine rolle sehr schlecht g-espiplt, 
und das sind Sie, liebster freund, ich bedauere, dasz ich es Ihnen sagen 
musz. Sie sind hebdomadarius gewesen, wissen Sie denn nicht, dasz 
der hebdomadarius blosz inspection führen, das essen, nnd das getränke, 
wenn c;^ erforderlich ist, nur kosten, nnd berirchen mnsz , aber nicht 
selbst mit essen darf? Sie haben die worte in (lern Weiskeschpn gaude- 
amus: nemo nunc carebit in einer zu weiten bedeutuug genommen, 
der hebdomadarins muss cariren vi mnneiis et ofScii. dass diese earena 
honorifica unterbleiben sollte, wollte der dichter gewis nicht, indessen 
will ich g' rri ([gestehen, dasz ich an Ihrer stelle es nicht besser würde 
gemacht haben, bei einer solchen mahlzeit blosz Zuschauer, blosz koster 
und beriecher sein müssen wäre wohl noch etwas mehr als galeersa- 
strafe, da ich bei dem zweiten glas wohl manchem teilnehmer in W' 
innerung gewesen hin (denn der jüngste ist im j. 1814 aufgenommen), 
so verpflichtete dieses mich zu einer erwiderung, die schon im stillen 
bei einem glas cabinetswein geschehen ist, nnd aneh bei einer 5ffeDt> 
liehen gelegenheit geschehen wird, der vers: ob jetzt es anders! 
besser! gibt einen reichlichen stoff zu disputieren in ntramqne partem. 
mögen iSie mir doch bald wieder solche deutschmicheleien schicken 
können, verdient etwas wahrhaft genialisch genannt sn werden, so sind 
es nach meinem urteil nnd gefühl solche reine, edle, ergüsse. meine 
frau \m<^ Constantin lassen sich Ihnen nnd Ihrer besten Irbcn-gofährtin 
her^^liclihl OTiipfehlt n, \m(\ danken für den hochgenuss verbindlichst, ich 
aber bin mit den unwandelbarsten gesinnungcn 

Ihr 

Pforta, den SS mai 18S1. treuer D. Ilgen. 



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I 



ZWEITE ABTEILUN6t 

FÜ£ aYlüilASIALFADAQOGIK UND DIE ÜBRI&EN 

LEH£FÄCHE£ 

♦ 

MIT AÜSSOHLtraS BIB 0I»ASU8GHB« paiLOLO«IS 

HBEUUSGEGEBBN VON PROF. DR. HERMANN MaSIUS. 



52. 

DI£ PlDAGOGISCHEN ABSICHTEN M0NTAI6N£S. 



Sine der interessantesten unter den cbaraktergestalten der fran- 
zösiscben litterator des 16n Jahrhunderts ist ohne zweifei Montaigne, 
nicht als ob er ein bedeutender gelehrter oder ein scharfsinniger 
forscher gewesen, ebenso wenig bat er als redner oder als dichter 
oder als kritiker gewirkt, er hat ferner weder einer philosophischen 
schule angehört, noch eine solche gegründet, und auch als Staats- 
beamter ist er eben nicht weiter hervorgetreten , wiewohl er zwei- 
mal zum maire von Bordeaux gewählt wurde und die unruhige stadt 
glücklich im ziigel hielt. ^ aber er war ein mann der bildung, des 
feinen esprit, ein schriftsteiler von bewunderungswürdiger leichtig- 
keit und gescbmt idigkeit, dessen scharfem augo nicht leicht irgend 
etwas entgieng, und der frui von allem pedantismus seine gedanken 
mit einem gewissen behagen ausstreute, und in der that nach vielen 
selten hin höchst anregend geworden ist. das letztere gilt auch für 
die Pädagogik, und die naebfolgende darstellong will Tersnclien, ilm 
eben in seiner bedeutnng auf diesem gebiete zn eharakterisieren. * 

* dies geschah in den jähren 1582 — 1580. während noch immer 
bürger- und religionskriege Frankreich erschütterten, schon vorher 
hatte er durch Karl IX die würde eines königlichen kammerherm er- 
halten. 

' Montaip^nes schriften lagnn mir in fler Pariser ausgäbe vom j. 1838 vor. 
(les essais de Montaigne. Paris, Firmin Didot frires. MDCCCXXXVIII.) 
eine deutsche Übersetzung derselben (von Joh. Joach. Christoph Bode) 
erschien anter dem titel ^Aßöhael Montaigne« gedanken nod meinnngen 
über allerlei gegenstände', 7 bde., Berlin 1793 ff. — Die 'gedanken Mon- 
taignes über erziehung nnd Unterricht' insbesondere wurden ins deutsche 
übersetzt von Gustav Beichert, von Karl Reimer, zuletzt meines Wissens 
▼on Joseph Kehr, der jedoch mehr als blosze Übersetsung gab: 'die 
eraiehnngsmethode des Ilichael von Montaigne dargelegt nnd bearteilt 
Ton J. K.', Programm des progjmnasiums von £apea 1881. 

M. jthrb. i; phil. a. päd. Il.abt, 1880 h£u 11. 36 



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546 Die pädagogischen ansichten Montaignes. 



Im jalire 1583 anf bcUobs MoBtaigne in Ferigord geboren, 
genosz Michel de Montaigne eine ebenso sorgfältige wie eigenartige 
ersiebung. als er kaum mn. jabr alt war, bemttbte sieb sein yater 
bereits nm einen lebrer für denselben, er erwSblte dazu neben zwei 
anderen 'von minderer Wissenschaft' einen Dentschen» der des fran- 
zösischen völlig unlnmdig, aber ein um so tttchtigerer Lateiner war. 
denn das latein vor allem sollte der erstgeborene lernen, beherscbte 
es ja noch immer die weit, nnd so hörte er denn von kindesbeinen 
an fast nichts als lateinische laute, nicht blosz seine eitern, aneh 
diener nnd mägde verkehrten möglichst nur in dieser spräche mit 
ihm, so dasz ihm nach seinem eignen ausdruck das französische 
ebenso unbekannt blieb wie das arabische', wh'hrenrl er das latein 
wie eine muttersprache lernte und im siebenten jähre die Metamor- 
phosen Ovids mit wahrer begierde las, ohne sich um die Lancelots, 
die Amadis und die andern vielbeiiebten ritterromane zu kümmern. 

Es mag hinzugefügt werden, dasz daneben ununterbrochen der 
Unterricht durch andere namhafte männer einhergieng, unter denen 
der bedeutendste vielleicht Marc Antoine Muret* war. ebenso und 
mit niclit geringerem eifer buchte der vater den söhn auch früh m 
das griechische"' einführen zu lassen, indem er freilich meinte, das 
könne etwa beim Spazierengehen geschehen, denn jede eigentliche 
anstrengung, selbst jeder s^kere eindrnck anf die ländlichen sinne 
sollte vermieden werden; liess doch der vater ebendeshalb den kna* 
ben nur darch sanfte melodien ans dem schlafe wecken*, wie dem- 
selben sogar noch im coUeg Ton Gnyenne' eine fast verzärtelnde 
aufmerksamkeit gewidmet wnrde. 

Somit wird es uns kaum wunder nehmen dürfen, wenn Mon- 
taigne in reiferen jähren trotz seines amtes als rat im Parlament von 
Bordeaux und trotz des einfiusses, den er auf die gesetzgebung^ aus- 



^ quant k moj, i'avoy plus de six ans avant que i'entendlsse Don 
plus fran^ois ou de perigordin que d'arabesque; et sans art , sans 
livre, suus grammaire ou precepte, sans fouet, et sans larmes, i'avois 
apprins da latln tont anssi pur quo inoii maistre d^esehole le s^avoit: 
ear ie ne le pouvois avoir mecl^ ny altert, I Sfii 77, 

'* et Nicolas Grouchy, qui a escript de comitiis Romanoniin ; Gail- 
lanme Gaerente, qui a comroente Aristote; George Bnchanan, ce grand 
poete esGOflSoia; Marc Antoine Moret, qtie la Fraaoe et Pltalie reeognoiit 
pour le meillenr orateur da temps, mes precepteors, m'ont dict souveat 
qae Tavoy ce lan^a^e en mon enfance si preat et ai k m*in, qu^ils 
craignoient k m'accoster, I 25, 77. 

^ quant au grec, duquel ie n'ay quasi du tont point d*itlteUigence, 
mon pere desseigna me le faire apprendre par art, mais d*iine voye 
nouvelle, par forme d'esbat et d'exercice: nous pelotions nos decli- 
naißons, k la luHiiit re de ceulx qni , par certains ieux de tablier^ ap- 
prennent rarithmeti(^ue et la geometrie, I 26, 77. 

* i1 me faisoit esveiller par le aon de quelque Instrument; et ne 
feus iamais sans homme qni ni'en servist, I 25, 77. 

^ dies war die vielbesuchte schola Aquitanien. 

^ der herausgeber des eloge de M. Muataigue par Tabbü Talbert 
(1774) sagt: 'les vues de Montaigne sur la legislation et radmlnistration 



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Die pfidagogischea ttnaiehien Montaignes. 547 



übte, äet öffniiliohkeit ziemlicli abhold geblieben ist, er fand das 
gltiek in der enge der beimat| genauer gesagt im dritten stoek seines 
seblossiarmes, wo er abgesciilossen von der weit und inmitten von 

bücherschätzen einen guten teil seines lebens in gelehrter müsse ver- 
brachte, dort oben entstanden denn auch seine berühmten eesals*, 
wie er sie bescheiden nannte, es sollten eflsais de jugement , es 
sollten versnehe sein, das eigne urteil zu klftren und zu sohärfen und 
zu richtiger erkenntnis der dinge wie schlieszlich seiner selbst zu 
gelangen, 'si c'est un subiect', sagt er im 50n capitel des In buches, 
*que ie n'entende point, a rela mesme ie Tessaye; soü<lant le gnh de 
bien loing' usw, und so wenden sich diese slcizzen in nicht weniger 
als 107 capiteln und in buntester weihselfolge hierhin und dorthin, 
er schreibt — ich greife ganz beliebig einige abschnitte des 2nbuches 
heraus — über die freundschaft, über die mäszigung, über menschen- 
fresser, über misstönde der derzeitigen polizei, über den Jüngern 
Cato, über die einsamkeit, über luxusgesetze, über die schlacht bei 
Dreux, über namen , über reitpferde, über woblgerüche, über das 
beten, über den schlaf usw. usw., so diiüz man am ende fragen 
möchte f worüber er denn nicht gesonnen und geschrieben, dabei 
bewegt sich Montaigne, wie aus den gegebenen proben mehr als zur 
genüge erhellt, nicht in bestimmter so zu sagen geradliniger bahn, 
nicht in strenger, fester Ordnung, sondem er behandelt irgend ein 
prohlem, welche« ihm anfgestoszen, und verlftszt eS; sobald eine neue 
idee seinen gang kreuzt, auch kommt er keineswegs allenthalben 
zu einem befriedigenden abschlusz. yielmehr unterbricht er sich oft, 
bleibt stehen, wiederholt sich oder fSllt selbst mehr oder weniger in 
widerspräche, kurz der leser sieht gleichsam eine mosaik'** von 
bruchstücken aus allerlei Systemen, von interessanten anekdoten und 
beispielen, aber nicht zum wenigsten auch Ton scharfsinnigen kri* 
tiken und anderweiten wertvollen erörterungen vor sich ausgebreitet« 
ja , der autor entwickelt wie kaum ein anderer seiner zeit die viel- 
seitigsten f&higkeiten des geistes, während er doch zugleich ein 
tieferes gemüt sieben erkennen löszt. insbesondere wendet er sich, 
zum teil mit scharfem und schlagfertigem witz, gegen die ver- 
knöcherten herschenden anschanungen und sucht, das alte sjrstem 



de la justice ^clairoient non senlement son si^cle, mais lendtre.' Tgl. 
essais de Montaiii^ne avee Tea notes de M. Coste, X p. 181. 

* er veröffentlichte sie gegen das jähr 1580. in die deutsche litte- 
ratur wurden dieselben dural den röhrigen J. Chr. Bode, den freand 
Leflsings und Übersetzer Sternes, Qoldsmiths and SmoUetts eingeffihrt» 
in demselben sinno S3.^t Payen in den nouveaux docamentd sur 
Montaigne auf 8. 8: 'on voit qu'en ce qui regarde notre philosophe, 
nous noxiü hoiuous k aous enquerir de omni re scibiii et quibusdam 
»Iiis.' man ▼g'L auch Mstoire de 1« litttfratore firan^ise par D. Niswd 
II 6,448: *il se prom^ne dans le monde des pens^es comme un voyageur 
dans une contree historique, avec la seute curiosite pour guide, laigsant 
k chaque endroit qull a quittd une reflexion triste ou ironique, one 
rdverie, un souTenir.' 

85» 



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M8 Die padagogiflchen anfllchten Montaignes. 



der ficholastisdien wisflenschftft stOrsend, auf desBen trflmmeni den 
gnind m einer newa und wahren lebensweieheit zu leg^. allent- 
balben prüft, zweifelt, versucht er; 'que sais-je?' und 'que faire?' 
sind gleichsam seine Wahlsprüche, und wohl haben die derartigen 
maximen und bestrebungen Montaignes, mochten sie auch für den 
anfang wenig beatditet werden, bei den spSieren geschlechtern bei- 
fall und bewunderung gefunden und insbesondere auf Locke und 
Rousseau , auf Voltaire und Diderot und andere denker des vorigen 
Jahrhunderts unverkennbaren eicflusz geübt, so dasz man vielleicht 
ohne Übertreibung behaupten darf, einzelne seiner Sätze seien für 
alle zelten maöZgebend geblieben. 

Doch mag immerhin die frage zulässig erscheinen, ob ein sol- 
ches elogium wirklich ein gerechtfertigtes sei. und hier dürfen wir 
sogleich erklären, dasz Montaigne, selbst wenn er gewisse gedaiikeu 
fremden Schriftstellern entliehen, immer noch das verdienst in an- 
sprucb nehmen kann, die betreifenden iiitzu und anschauungen selb- 
ständig verarbeitet und seinen Zeitgenossen die manigfachsten an- 
reguugen gegeben zu haben, wiewohl es offenbar nicht in seinem 
willen nnd wesen gelegen bat, etwa eine art lehrbnch zu liefern oder 
als sittenlehier und volksbildner anfzntreten. 

Er thnt gelegentlich des Babelais erwShnnng'* nnd gerade in 
dessen roman *Gargantna nnd PantagrneP tritt bei allen sonstigen I 
unterschieden der antoren eine evidente, wiewohl hier nicht weiter | 
zu verfolgende Ähnlichkeit mit Montaignes ansichten über erziehung ' 
und unterridit hervor, so dasz in dieser beziehnng begreiflicherweise 
das eigentnmsrecht dem Rabelais zugeschrieben werden müste* 

Ausserdem mochte Montaigne bei seiner belesenheit den pKda- 
gegen und humanisten des 15n Jahrhunderts, also mSnnem wie 
Guarino von Verona, Vittorino da Feltre, Pier Paolo Vergerio, 
Battistfi degli Alberti, Enea Piccolomini und anderen manchen wink 
verdanken, die Vorschriften derselben zeigen bald eine vorliebe für 
die stoisrhe ethik, bald tragen sie den charakter hellenischer kalo- 
kagathie (jder sie erinnern an Plato. Montaigne aber, der überhaupt 
einen besondern wert auf Wissenschaft und denkart der alten legt, 
scheint sich an den letztgenannten, jedoch in noch höherem grade ; 
an Epikur anzulehnen» und da ihm eine gründliche kenntnis der i 



vfrl. Nis:ii*l jr f^. 441: cote de Ronsard, qui vit et meurt dan« 
rapplaudiääemcut uiiiversei, Montaigne est k peino couna de quelt^ue« 
esprits da ehoiz. on le llt et on le goüte en aeeret; il n*a pas d'in- 
fluence reelle, ses ennemis, fl\ailleur8, ne sont pas plus nombreux qne 
ses amis. an commencement du dix-septieme siecle en vain la de- 
moiBelle de Gournay, Üiie adoptive de Montaigne, ö'eö'orce, par aes 
pienz Ubelles, de cecbanifer radmiration pour Tauteur dos emais. Im 
pvristes d'alors, qui fout la mode, le de'crient comme archaiqae.' 

'* Montaignp II 10, 204. 'entre leg livres simplement plaisants, ie 
treuve des modernes, le Decamerou de Boccace, JKabelais, et les Baisers 
de Jehan Second, s^il loa fault loger soubs ce tUtre, dignes qa'on sj 
arnuBe.' 



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Die pädagogischen anuchien Montaignes. 549 



griechischen spräche abgieng, so hat er sich ohne zweifei die werke 
der groszen Griechen durch lateinische und französische Übersetzun- 
gen zugänglich gemacht, wenigstens wissen wir dies von den 
Schriften Plütarchs", der ebenso zu Montaignes lieblingsautoren 
gehörte wie anscheinend der ihm selbst geistesverwandte Lucian. 
aber mit alledem ist seine Originalität nicht geschmälert, noch weni- 
ger etwa seine ehrliche und in Wahrheit anspruchslose gesinnunj^ in 
schatten geatelit. sagt er doch üclbbt auadriicküch : ^bi i'eätoüby 
Tun de mes discours de ses riches despouilles, il esclaireroit par 
trop la bestisa des anltres' (I 25, 62). ja, er gibt eine noch weiter 
gehende selbsteharakteristik: 'et en^prenant de parier indifoem- 
ment de tont oe qui se presente k ma f antasie, et n'y emplo jant qne 
mes propres et naturels moyens, s'il m'adyient| comme 11 faict sou- 
Ye&t, de rencontrer de bonae fortnne dana les bona anotears ces 
mesmes lieux qne i'ay e&treprins de iraicter (oomme ie yieiiB de 
fidre chez Plntarqne tont presentement son disconrs de la force de 
rimagination), ä me recognoistre , an priz de ces gents U, si foible 
et si chestif , si poisant et si endormj, ie me fois piti6 ou desdaing 
ä moj mesme: si me gratifie ie de cecy, qne mes opinions ont cet 
hoimenr de rencontrer sonvent anx leursi et qne ie Tois an moins de 
loing aprez, disant que voire; aussi que i'aj cela, que cbascun n'a 
pae, de cognoistre Textreme difference d'entre euix et moy; etlaisse, 
ce neantmoins , courir mes inventions ainsi foibles et basses comme 
ie les ay produictes, sans en replastrer et recoudre les defaults que 
cette comparaison m'y a descouverts' (I L^5, warum sollen auch 
nicht in verschiedenen zeiten verschiedene männer unabhängig von 
einander auf dieselben gedanken stoszen? 

Wir dürfen also, wenn wir jedwede spitzfindii^keit bei seite 
lassen , unsern autor als einen hervorragenden originale chriftsteller 
ansühüu und finden auch hierin Veranlassung, seinen pSdagogischen 
gedanken nachzugehen und dieselben auf ihre gültigkeii hin zu 
prüfen, es tritt dabei klar zu tage, dasz nicht alle sätze Montaignes 
branohbar, sogar eine ganze anzahl za streichen sind; dieser um- 



^' gl^herweise wird, wenn es bei J.-F. Payen a. o. s. 18 heiast: 
'Montaigne a d^cli^ la Mesnagerie de Xenophon k M. de Laosac', nur 

an eine lateinische Übersetzung denken sein, man vgl. Montfticrne 
II 4, Ibl: '^je donne avecques raison, ce me semblei la palme 4 Jaci^ues 
Amyot sur touts nos escrivains frao^oib, non sealement poor la noXtVete 
et pnret^ da lan^agfe, en qnoy il snrpasse touts aaltres, ny ponr la 
constance (Vnn si long travail , ny ponr la profondeur de ??on sravoir, 
ayant peu desvelopper si heureusement un aucteur ei espineux et ferre 
(car on m'en dira ce qu'on vouldra, ie n'eaieus rieu au grec, mais ie 
▼eoy nn sens si bien ioinel et entretena par tont en ea tradnction, que, 
on il a certainement entendu rimagination vraye de l'auctear, ou ayant, 
par longne conversation , plante vifvement dans son ame une generale 
idee du celle de Plutarque, il ne lay a au moins rien presti qui le 
deamente ou qui le desdie), maiSi Bortont, te lay s^ay bon hti d'aToir 
8cen trier et choisir ua lirre si digne et ai k propos, ponr en faire 
präsent k son pa'is.* 



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550 



Die pädagogiachen aiudchteii Montaigues, 



stand hat seinen grund zwar einmal im Charakter jener zeit über- 
haupt, dann aber nicht weniger in der natur des seltenen maDiies 
selbst und wird meines bedünkens durch das wort Ciceros: 'nihil 
est simul et inventum et perfectum' (Cic. Brut. 18, 71) beleuchtet. 

Da der piidai^^ogische wert der Montaigneschen essais nach ihren 
psychologischen und ethischen grundlagen zu bemcz^bon ist, ver- 
suchen wir es, uns in kürze seine philosophische denkweise nnd 
Stellung zu yergegenwttriigen. derselbe rechnete sich wohl freilieh 
am alkrletaten za den ^hüoeophen* ond hat kaum seine eigne 
deaiimg geahnt» aaeh ist von einem system, wie schon angedeaiet, 
hei ihm keine rede, dazu liesz sein Oherspradelnder geist sich gleieh^ 
sam keine zeit, nnd der grosze kanzelredner Pierre Charron'*, sein 
bewnnderer und freund, hat mit TerhSltnisnUtoiig wenig glflok du 
grnndgedanken und ergebnisse der essais in eine feste Ordnung za 
bringen versucht. 

Montaigne ist aber mehr als eklektiker und ebenso mehr als 
gemfiszigter Skeptiker; er bat wirklich seine eigne philosophie, wie 
sie zur biegsamen praxis eines gelehrten wdtmannes stimmt.*' frei- 
lich verschiebt sich der Schwerpunkt infolge dieser eigenscbaft je 
nach umständen, so dasz der mangel an systematischer geschlossen- 
heit in die äugen springt, trotzdem geht aber durch fast sämtliche 
abhandlungen neben jenem epikureischen auch ein stoischer zug. 
eine tendenz auf das öjaoXoYOUjievuic qpOcei Z^f^v hindurch, 'que 
nous ne s^aurions faillir a ?uyvre nature; que le soiiverain pre- 
cepte, c'est de &e conformer a eile' (III 12, öö4}. Ue plub simple- 
ment se commettre ä. nature, c'est s'y commettre le plus sagement** 
(III 13, 562). die befolgnng dieser Wahrheit führt nach seiner an- 
schauung zur tugend. nun specialisiert sieb aber der tjpus der 
menschlichen natur in jedem individuum zu einem besonderen, 



** Nisard II 7, 477 f : »Charron (1541—1603) ^tait Tami et le disciple 
de Montaigne, apr&s las etudes fftites k VnniwtsLti de Pari«, et poar 
le droit, ;inx universit^s d'Orl^ans et do ßoarges; aprfes cinq ou six 
ans df' juiitique du barreau, dont il sn dep^onta, pour s'attacber k h 
theolog «ji a la predication, il devint, ä i üuuie de Montaigne, uiora- 
liste, en gardant 1a m<$thode du. th^olof^en et Thabitnde rigoureiue 
d*rfcrire pour convaincre. Montaigne, qui mourut en 1592, lui permit, 
par nne clause testamentnire , de porter les armes de s» maison.' 

<^ ^c'est grand caa qu& ieu choses en soient Ik en notre siede, qae 
la Philosophie soit, inaqaea aoz ifents d*eiitendement, an nom vidn et 
fuitastiqae, qui se tmove de nal uiage et de nal prix, par opinion et 
par efiPect. ie croj qno ces er{::otisme8 en sont caase, qni ont 8«isy 
ses ayenues. on a grand tort de la peindre inaccessible anx enfaots, 
et d'nn yUagre renfrongn^, souroilleax et terribles qui me I*« masqnee 
de ce fanls visage, pasle et hidenx? II n'est rien plus g«y, plus gail* 
lard, plus enioue' et a peu qne ie ne die folastre; eile ne presch»^ qoe 
feste et bon temps: une mine triste et transie moDstre que ce u est 
pas 1& son giste' (I 26, 69). vgl. übrigen« Gber Moataignes philosopbi- 
aohen Standpunkt: 'J. Georgos, Mostaigiie als Vertreter des relatini' 

mus in der morril. Leipzit;: 1889.* 

'numquam aliud natura, aliad sapientia dicil' Jav, 14| 321. 



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Die pädagogischen aneichtezi Montaignes, 



551 



mM warn tiroiteii male wiederkelirendeii oharakter; folglieb werden 
nniflre urteile ttber den nemlieben gegenständ kaum absolni iden- 
tieeli sein, und hiermit aneh die begriffo von Weisheit, Teninnfit, 
glttek, ehre usw. subjeetiTen nmwandlnngen onterliegoi. auf solche 
scheint Monüugne sein princip der indindnalitftt und freiheit 
EQ rechtfertigen, wenigstens kann man diese begrttndnng heraus« 
lesen, die ethische pflicht eines jeden ist ihm die sorgfältige beaoh- 
tong nnd pflege seiner anlagen ond die erreichtmg seiner bestim- 
mung; dabei findet sich gelegentlieh auch der hinweis auf die 
bedentung des Individuums für die gesellschaft und den staat. 
ans diesen gründen legt Montaigne den grösten nachdruck auf die 
Selbsterkenntnis, 'de se cognoistre soy mesme, ce que chascun se 
veoid si resolu et satisfaict, ce que chascun j pense estre suffisam- 
ment eniendu, signifie que chascun n y entend rien du tout; comme 
Socrates apprend k Euthydome' (III 13, 562). 'chascun regarde 
devant soy : moy ie reganle cledans moy; le n'ay afifaire qu'ä moy, 
ie me coiisidere sans Lts-e, le me contrerooUe , ie me gouste. les 
auitres vout tousiours ailkuiö, s'ils y penseut bien; ils vont tousiours 
avant: moy, ie me roule en moy mesme' (II 17,339). die erziehung 
darf also, wenn wir ander^^ Montaigces sinn richtiij fassen, keines- 
falls zerstören üder zwingen, sie soll im wesentlichen nur ergänzen 
oder fördern oder etwa verdecken und mildern, sie hat sidi eben der 
mensdilM^hMi nator anzuschmiegen, da sie infolge jener angeborenen 
anläge derselben die macht nicht hat, einen b5sen gut oder einen 
guten böse zn machen, hierbei sei bemerkt, dass einzelne''* Mon< 
iaigne den satz beilegen, das kind sei von natnr gut, mt doich mis- 
erziehnng und schlechte gesellschaft werde es Terdorben» ich kann 
jedoch dem nicht beipflichten, weil ich keine andentong darüber ge- 
funden habe, vielmehr meine ich, dfirfe man im geiste Montaignes 
der ersiehnog nur einen relativen einflnsz zugestehen. 

Montaigne hat jedoch die schwere arbeit wohl begriffen, welche 
dem erzieher obliegt, um die sich entwickelnde natur des Zöglings 
mit aller anfmerksamkeit und sorge zu verfolgen nnd zu überwachen, 
und er betont immer wieder die einsieht, das Verständnis des zOg- 
Hngs , VOR deren ausbildung zuletzt Jeder erfolg abhänge, aber er 
bleibt nun auch dribei stehnn und beschränkt sich auf das intellec- 
tue]]e und das praktische Interesse, dem gefUhi, der phantaae und 
der begeisterung wenig Spielraum lassend. 

Vorübergehend mag hier noch auf einen andern punkt hin- 
gewiesen sein. Montaigne hat immer nur die männliche jugend im 
auge, nicht auch die weibliche, von deren begabung er ziemlich 
geringschätzig urteilt, obgleich es auch zu jener zeit an geistig hoch- 

*Bi Bon f^vveraeur tient de mon hnmenr, il Inj fomera la voloattf 
k estre tres loyal serviteur de son prtnce, et tres affectionnd et trss 
conragcnx; mala il luy refroidira Tenvie de s'j attacher aaltr«ment qee 

par un debvoir publicque' (I 25, 66). 

vgl. Gusuv Baur grundzüge der erziehungslehre s. 65. 



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562 



Die pftdagoglaofaeii aiuuliteii Montaignes. 



stehenden frauen nicht fehlte. " und selbst die mfinnlidie jngend 
kommt bei Montaigne nicht ohne einschränkung in betracht ; viel« " 
mehr scheint er ausscblieszlich für die söhne des adels'^ zu schreiben. 

Zagleioh mit der aufirechterbaltoiiig des princips der indivi- 
duellen erziehnng weist unser gewShrsmann auf die abhftngigkeit 
des kindlichen gemüts von den umgebenden medien hin und fordert 
daher, dasselbe vor schädlioben einflüssen möfTlicbst zu bewahren, 
der kindliche geist soll in jeder hinsieht die ihm zukommeiide eigen- 
tümlicbü berücksichtigung*' erfahren, und diese gleichsam der natur 
des individuums abgelauschte erziebung ist nach Montairriie nur 
durch den hofmeister denkl ar, die eitern und die schule aber 
bleiben ausgeschlossen, allein man darf dem gegenüber wohl fragen, 
ob solch ein System nicht geradezu verkehrt zu nennen sei? sind 
denn die eitern nicht die ersten, nicht überhaupt die natürlichsten 
lehrer des kindes? und hier soll daäselbe aus dem elternbause ge- 
rissen werden , weil die 'natürliche weichherzigkeit' der eitern ge- 
ftthrlieh wirke I'* gewk Montaigne sdiiesKt über das siel hinana, wie 
80 oft, obsclion er dabei eine sehr gereditferügte absiebt hegt, ^üs 
ne les 89aiiroient sonffrir revenir suant et pouldrenx de son exerdesi. 
boire obanld, boire froid, ny le veoir snr nn cheval rebours, ny 
oontre nn mde tireur le floret au poing, ou la premiere arqaebnse* 
(I 25, 65). er will eben den knaben znm manne erziehen, in der that 
mtlssen ancb wir jede TerzSrtelnng bekämpfen, und Tielleicht am 



" ich erinnere beispielsweise an die gattin des Robert Stephanns, 
die berühmte Perrette, von der alle weit ersithlte, dasz lie das latein 

Bieber und g^eläufig rede, als sei rs ihre mnttorsprache. 

20 ^>,priso gibt es bei den iiumanistisciien pädajrogfen des 15n jabr- 
bonderts iieine andere erziehuug als die der yornehmen und gelehrten 
weit. Tgl. George Voigt die Wiederbelebung des classiBcben altertna», 
2r teil, s. 461 f. 

*' 4e vouldroy qu'il (gouverneur) corrigeast cette partie , et que 
de belle arrivee, selon la portce de Tarne qu'il a eu main, couimenceast 
k la mettre snr Ib monstre, luy faisant gonater les cboses, les cboinr, 
et discerner d'elle mesme, quelqassfd^s taj onvraat cbemin, quelques- 
fois de luy laissant onvrir. ie ne venlx pas qn'il invente et parle seul; 
ie veulx qu'il esconte son disoiple parier k son toar. Socrates, et depaü) 
Arcesilans, folsotent prenderenieiit parier lenrs diseiples et puls Iii 
parloient k eulx. obest plerumqve lis, qui diBccrc volunt, anetoritss 
eornm, qtii docent. il est bon qu*il le fnt-r trotter devant luv ponr 
iuger de sod train, et iuger iusqnes Ii quel poinct il se doibt ravaller 
ponr s^acoommoder k sa force. a fault de cette proportSoo, nons gastoos 
tont; et de la s^avoir choisir et s*y oondaire bien nesureement , c'ast 
une des plus ardues besongnes qne ie stäche; et est i'effect d'ime 
haulte ame et bien forte , s^avolr eondescendre ä ces allnres pueriles^ 
et les guider. il marcbe plus seur et plus ferme k mont qu'& raL 
(I 25. 64). 

*' '"aussl bien est ce une opinion receiic d'un chascun, que ce n'est 
pas raison de nourrir nn cnfant au giron de ses jjarents: (•ettp nnionr 
naturelle les attendrit trop et relascbe, voire les plus aaguä ; ilä ue sout 
capables ny de chasUer ses favltes, ny de le veoir nourry grossiereoisat 
eomme il fsnlt et basardeusement' (I S6, 66). 



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Die pädagogischen ansichten Hontaignee. 553 



entsehiedensten, wo es sieh um die ausbildnng eines caTaliers han- 
delt, wie das bei Montaigne der fall ist. wird aber ein kind tost 
TOn an&ng an dem hoimeister übergeben, so mQssen anderseits die 
inneren besiehnngen zn den eitern notwendig dnroh entfremdnng 
geschwftcbt werden, kein lebrer, nnd wenn er das ideal eines sol* 
eben wärOi kann den yater oder gar die mntter ersetzen, und kebie 
bofmeistererziehung, genügte sie anch sämtlichen regeln einer 'voll- 
kommenen theorie , würde das gemütsleben zu der blüte bringen, 
wie es einzig nnd allein die wärme der eiternliebe und der geist des 
eltembanses vermag, indessen kann man Montaigne wohl mit der 
ihn umgebenden atmosphäre entschuldigen, wenn er gerade von den 
frauen, die hier doch an erster stelle in rede kommen, und insbeson- 
dere von den erziehen nncn nichts wis'^cn will; denn bereits das 
16e Jahrhundert weist namentlich in iVankreich im allgemeinen 
einen unverkennbaren niedergang auch der weiblichen sitte auf. 

Der hofmeister ist nach Montaigne die einzige autorität für den 
Zögling; der letztere soll zwar die eitern ehren, jenem aber in allem 
gehorchen und bei ihm wohnen, damit dessen ansehen ein unge- 
schwächtes und absolutes bleibe, 'et puis, Tauctorite du gouverneur, 
qui doibt estre souveraine sur luv, s'interrompt et sempesche par 
la presencü des parents ; ioinct que ce respect que la famille luy 
porte , la cognoissance des mojens et grandenrs de sa maison , ce 
ne sont pas, k mon opinion, legieres inoommoditez en cet aage' 
(I 25, 66). 

Montaigne streicht also auch den Öffentlichen nnterricht, weil 
er mit dem piincip der individuellen erziehiing unvereinbar sei. aller- 
dings mochte der unvollkommene zustand der damaligen schulen 
eine solche ansieht nahe legen, dorn, wenngleich die Schilderungen 
von der roheit und gewaltthätigkeit der luiUmagistri, wie sie 
z. b. Erasmus entworfen, oft übertrieben sein mOgen, so steht doch 
fest, dasz die lehrer jener zei^ kaum andere erziehungsmittel als 
Bchmfthungen und rute^ kannten und die zucht meist zu einer mis- 
handlnng entwürdigten, man legte den wert in kleinigkeiten und 
vergasz das ganze, man setzte besten falles alles studieren in eine 
gewisse kirnst Inteinisobpr suade, ohne sich nm den geist der alten 
zu kümmern, so gewis nun das alles aber auch war, so ist Mon- 
taigne trotzdem nicht von dem in tu tu freizusprechen, den hohen 
wert des öffentlichen Unterrichts verkannt zu haben, in einer mäszig 
besetzten classe kann der lehrer, wenn er nur will, den Charakter 

I* die grammatik wird in einem alten bilde dargestellt, welehes für 

jene Verhältnisse bezeichnend ist. darauf hat sie in der rechten ein 
messer und in der linken eine geiesel. das bU.d wird von folgendem 
verse begleitet; 

'fauoe laeva tenet flagram, seu dextra maebaeram 

pigros hoc nt agat, raclat ut haec vitia.' 
noch Balthasar Schupp klagte über die peinliche rechtspflege in den 
schalen, 'die alten Lateiner', sagt er, 'haben eine schale ludum gC' 
nannt, viel schulmeiBteT aber machen jetst ein earsificium daraas.' 



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554 



Die pädagogischen ansichten Muutaigues. 



der einzelnen noch immer berücksichtigen und die leistungen der- 
selben ihren föhigkeiten gemSez riehtig absehätcen« der echfiler 
seinerseits aber lernt tmwillkttrlieh von den andern, und er lernt 
Dicht bloss, er steht aueh in anderer beBiehnng nntor dem einflusz 
nnd dem gesamtorteile der classe und wird, weil er diese Jnrisdietioa 
reebt wohl fflhlt, sich sngleioh bemOhen, seinen etwaigen empfind« 
lichkeiten zn entsagen nnd anderweitige fiähler absnlegen. der privat- 
miterricht dagegen entbehrt von vom herein der frischen kri^ und 
wirkt auf lehrer wie sohfller anstrengend und abspannend ein, 
namentlich stellt er an den erstem eine grosze anforderong. biersn 
kommt, dasz der lehrer, weil er sich an seinen Bcbüler gewöhnt, nur 
zu leicht gefahr läuft, sieb ganz unbewust den schwächen desselben 
anzupassen und sie mit der zeit zu übersehen, jedenfalls hat die hof- 
meistererziehung ihre durch greifenden mMngel, und diese nacbteile 
sind mit dcr'^elben von vorn herein verbundeui ja sie scheinen kaum 
vermieden werden zu können. 

Immerhin bleibt die Untersuchung darüber interessant, ob der 
Montaignesche bofmeister nicht doch gewisse vorteilhafte eigeu- 
schaften besitze, welche auch wir anerkennen nnd fordern müssen, 
der maxister soll einen hellen köpf, gute und feine sitten, heiteres 
Wesen und eine natürliche methode habtn. '^a un enfant de maison, 
qui recherche les lettreo; non pour le gaing (car une fin si obiecte 
est indigne de la grace et faveur des Muses, et puis eile regarde et 
depend d'aultroj) , ny tant pour les eommoditez eitles qne ponr 
les siennes propres, et pour s'en enrichir et parer au dedans^ ajant 
plustost enyie d'en reuissir habile homme qu'honmie 89avant, ie 
vonldrois anssi qu'on feust soignenz de luj choisir un condueteur 
qui eust plustost la teste bien üucte que bien pleine; et qu'on j 
reqnist touts les denx mais plus les moeurs et l'entendement que la 
science ; et qu'il se conduisist en sa charge d'une nouvelle maniere* 
(I 25, 64). diese durchaus gesunden forderungen gelten in der that 
noch heute und können nicht laut genug erhoben werden, der lehrer 
mnsz sich jeder zeit erinnern, dasz die menge des mitgeteilten Stoffes 
an und für sich nicht bildet, sondern dasz er, der lehrer es sein solle, 
welcher den schtiler durch die gehörige Übung nnd entwicklang 
seiner geistigen und körperlichen föhigkeiten in den stand zu setzen 
habe, allraShlich sich selbst weiter zu unterrichten und zu einem 
tüchtigen Charakter zn bilden, und da im men.<chen die geistigen 
und die physischen kräfte neben und auf einander wirken und 
schlieszlich die Sittlichkeit Über allen als regelnde macht stehen 
soll, so verlangen die moralischen, die intellectuellen und die physi- 
schen fähigkeiten in gleicher weiau die emgübeadste berüeksichli- 
gung. das ist aber eine schwierige aufgäbe, bei Montaigne aller- 
dings haben wir es immer noch zu sehr mit dem gouverneur eines 
jungen herm vom adel zu thun, mit dem erKieher, welcher lehrer 
und cavalier in einer person ist aber man fühlt doch den gesunden 
grundgedanken heraus, welcher in den werten liegt: *ce n'est pas 



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Die pädagogischen ausichteu Moutaigiies. 555 

une ame, ce n'est pas tin corps qu'on dresse ; c'est un homme* 
(T 25, 72). dieser satz enthält gleichsam alle pädagogische Weis- 
heit m nuce und ist im edelsten sinne schun von den Hellenen, 
insbesondere von der Sokratisch-Platonischen schule, welche die im- 
mittelbare harmonie*^ von natur und geist vertrat, gefaszt und be- 
ffastigt wordtiL fyoX ji^v fäp oO (paivcTai, 5 hv xf>i1CT6v iji cwjüo, 
toOtov Tfi aOroO dpeirj i|iuxf|v draefiv irotetv, dXXd Todvavrfov 
ijiux^ draef) odTf)c dpexQ ctDjiia napix&v die ofövTE ß^ticrov 
(Flst. reip. 1. lÜ 403). für diese kalokagathie schrieben und stritten 
die bnmanistischen pftdagogen des 15ii jahrhund^rtsi ▼orab Pier 
Paolo Yergerio, und wir haben sdion oben angedentet, dasz Mon* 
taigne von diesen männem beeinflnszt gewesen zn sein sofaeint, ob- 
gleieh er sie nirgends erwähnt. Yergerio zumal, dessen werk*^ ver- 
hSltnismäszig bedeutend war nnd noch im 17n Jahrhundert neu 
gedruckt wurde, konnte einflusz auf ihn gehabt haben, indem 
er in gleicher weise wie Montaigne eine Tornehmlich diätetisch- 
gjmnaätische erziehung verlangt, ganz im geiste dieser humanisten 
schreibt Montaigne : 'ce n'est pas une ame , ce n'est pas nn corps 
qu'on dresse; c'est un hemme: il n'en fault pas faire a doux; et 
comme dict Piaton, il ne fault pas les dresser Tun sans 1 autre, mais 
les conduire egalement, comme une couple de ehevaulx attellez ä 
mesme timon' (I 25, 72). 

Die körperlichen Übungen sodann, um auf sie einen augen- 
blick einzugehen, kräftigen zwar zunächst den leib, aber nicht ihn 
allein j sie erhalten auch die seele gesund, sie erzengen eine geistige 
frische, einen mui und eine lit iterkeit des lebens, welche das letztere 
gleichsam verdoppölt. der kuabe soll ball spielen, laufen, ringen, 
springen, tanzen; der jüngling sich aufs pferd** schwingen, auf der 
mensnr im oontrafechten seinen mann stehen nsw, 'les lenz mesmes 
et les ezercices seront une bonne partie de restnde^ la eonrse, la 
Iniete, la masique, la danse, In chasse, la maniement des «^eraolz 
et des armes' (I 25, 72). die bezilglidien reflexionen Montaignes 
sind Ton Ssthetisoh-hjgieimscfaem charaktor; flbrigens entsprechen 



*^ die Hellenen verglichen die harmonie des leibea und der seele 

mit drr rdealschönheit rinrs heroenstandbildes. dXXct toutou (toö 
KaXXiKpaTibou) Ttjv dpexirjv lücnep äxdA^aTOC V|puitKoO KdAAoc iQaüyLoZov 
(Flut. Lya. V). 

*ft de ingenaia nioribas et liberalibas studiis ad Ubertinnm Garra- 
i^iensem. vgl. Georg Yoigt die Wiederbelebung des etassiscben alter- 
tums, 2r teil, 465. 

de ratione studii, deque vita iuveQtutis institaenda , oposcala 
diversonim aatoram perquam eradita, Basileae, MBXLI, e. 668: 'exer- 
ceri quoqae decet in earsil saltnque, lacta ac pngilari eertamine, 
iaculari qnam longissime, recte aagittarp , vibrare sudes, saxa rotare, 
equos domare, eosque nunc ad cursum aut saltum adactis ärgere csl- 
earibns, niinc item flexts habanis medio etirsa praererter« et ita in 
ntrumque separate, ut eqnes et pedes pngnare quisque facile possit' 
(dies Bind die worte des Vergeiio, dessen buch sieh eben in genannter 
samineischrift befindet). 



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556 



Die pädagögiöcliea auhiclxten Montaignes. 



sie meist den Weisungen, welche schon die Griechen und besonders 
ansfllhrUoli und naehdroeksToll Lneian'' gegeben, ich erinnere unter 
vielen anderen an den aussprueb, welchen derselbe in seinem dialog 
iT€pi T^MVOciuiv dem Solon in den mund legt, da beisst es: TÖ bl 
oöx odiuic ^x^t cot, dXV 6cq) Ttc &v aöri^v ISavrXQ rote irövotc, 
TOC({)&€ M^XXov ^mpp€i KaTO Töv irepl Tflc "Ybpac fiDOov, el rtva 
flKOucac, die dvTl ^tdc Ke<paXf)c TiiijOeicnc bO* del SKkm dvccpuovro 
(Anacbars c. 35, 916). der knabe soll ohne murren hitse und kälte, 
hunger und durst ertragen können, denn eine derartige abbärtung'^ 
stählt'^ und verschönt den körper^ hilft garstige angewohnbeiten 
und häszliehe begierden unterdrücken und bSlt nicht bloss krank- 
beiten, sondern selbst laster fem. Montaigne betont mit recht die 
diätetik als eine bauptstütze der menscblichen Wohlfahrt, dagegen 
ist er ein Verächter der eigentlichen medicin und spottet über die 
charlatane seiner zeit, freilich thut Montaigne öfter des guten zu 
viel, das kind wird gleichsam aus dem bett gerissen imd dem zwange 
schwerer Übung unterworfen, ja noch mebr der strengen cur! der 
Zögling soll die schmerzen der Verrenkung, des brandes und gar die 
qual der folter standhaft aushalten, damit er im ernsten falle stark 
sei. *il le fault rompre a la peine et aspretö des exercices, pour le 
dresser a la peine et aapiete de la dislocalion, de la cholique, du 
cautere et de la geaule aussi et de la torture' (I 25, 66). wo bleibt 
hier die aceommodation an die individualitftt? Montaigne stellt sich 
ihr geradezu entgegen, oder erheischt nicht auch der menschliche 
kSrper, dieser so fein constmierte Organismus ^ eine sorgfältige be- 
handlung? wie ganz anders schreibt Lucian: kqI tö irapdb€tTM<^ 
f||üitv iropd Td»v t€U)pT^v, o1 rd <puT& iU%pi irpöqrcta Kcd v^md 
IcTi, cx^irouct Kai Tr€pi(ppdTTOuctv, d)C ßXdirrotvro ÖTr6 vStv 
iTV€updTuiv, ^iretbdv bk ffix] iraxuvTiTai tö Ipvoc, TTiviKaOia irepi- 
T^invouci Te xd itepirrd xai iTapabiö6vT€C aiiTdTOic dv^juioic boveTv 
ical btocaXeOeiv KapiTi|LiuiT€pa IScpTdloviai (Anachars c. 20, d02). 
dabei geben aber die Satzungen Montaignes öfter einen jener zeit 
eignen, fast ans frivole streifenden sog zu erkennen, er tbut recht 
daran, der jugend, dh. dem knabenalter den wein*^ su verbieten; 



68 musz eingeräumt werden, dasz Montaigne den Lncian, wie es 
scheint, Dirgeudä erwähnt; immerhin ist eine gewisse Wahlverwandtschaft 
beider vorhandea. 

'ea igitur exercitia suscipienda ernnt, qnae bonam valetndinem 
solvent et robustiora membra reddant: in quo erit uniuscaiusque uatK- 
ralis dispositio diligenter atteudenda' (Paul. Yerg. 667). 

*bonae valetudinit quasi qnaedam mater est fragslitas' (Val. Haz. 
2, ö. 6). ^ 

vouo9eTr]Con€v TrpuuTOv j^i^v toüc iraiöttc .utxpi ^tlTjv ÖKXuuKaiöeKa 
TO nüpttTiav oWou xfeuecöai, öiöaCKOvxec ujc ou xPH ^'^P ^^il nup 
6x€TcO€lv cTc T€ TÖ cQt}M Kttl Mfuxi^v (Plat. leg. üb. II 666*). Sbnlicb 
drückt sich Moffeo Vegio ans, de educatione liberorum et eoram claris 
moribns I 8, auch vgl, Paolo Vergerio (ß^ inpremiis moribas, s. 631 
der mir vorliegenden Baseler ausgäbe vom jaiire 1541): 'sunt igitur ut 
ab annis teneris assnesoant, ita potandi pueri, nt ilUs magis aqua tem* 



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hie pädügogibcheu auäichteii Montaignes. 557 



aber derselbe mann hält es für ganz zweckmäszigt dasz ein jüngüng 
sdtweise an groben uniegelmBeEigkeiten und ansselireitnngen teil- 
nehme , nm auch davon kenntnis zu haben. 'l'insÜtatiön a gaign6 
cela Btir moj (il eet vraj que ce n*a point est^ Bans qnelque somg) 
qjM, sauf la biere, mon appetit est aecommodable indififeremment 
i tontes choses dequoy on se paist. le coxps est enoores soupple; 
on le doibt, ä eette cause, pHer & tontes fa^ns et oonstamesf et 
ponrveu qu'on puisse tenir l'appetit et la volonte aonbs boade, qn'on 
rende bardiement nn ieone bomme commode & tontes nations et 
compaignics, Youre an des leiglement et anx exoez, si besoing est' 
(I 26t 73). i^>u^ >nag 7on anderer Seite über diesen vorscblag ur- 
teilen wie man wOl, jedenfalls steht er mit der Sittlichkeit nicht im 
einklang. trotzdem weht eine frische zuglnft in der p&dagogik Mon- 
taignes, was sich von der unsrigen langhin nicht gerade sagen liesz, 
sofern als verzärteluupr oder auch vernachlässigimfr dos körpers, 
anderseits vorzeitige litteransche^' und gesellschaftliche ausbildung 
herschend zu werden schienen, ich meine: wenn irgendwo, ?o müssen 
wir Montaigne es hier hoch anrechnen, dasz er das richtige ziel ge- 
funden und auf den richtigen weg deutlich genug hingewiesen hat. 
'ie veulx que la bienseance exterieure, et l'entregent, et la disposition 
de la personne, se fa^onne juari l et quand Tarne' (I 25, 72). seine 
lehren sollen, um einen ausdriK k l'indars zu gebrauchen, uxieioiv 
äfoviac xpuctav aus den zögliugeu machen. 

Wir kommen jezt zu der frage, worin nach Montaigne die 
geistige ansrfistnng bestehen mnsz, nm den zögling zu tugend und 
Weisheit sn führen, obwohl Montaigne sein eignes hans als ein sehon 
seit langer seit den gelehrten bekanntes rühmt nnd insonderheit 
seinen Täter** den wttrmsten fireond und yerehrer der Wissenschaften 



peretur, quam lymphetar Tinum et tarn sobrie quidem ac raro, ut 
magls ad moUiendnm cibnin, quam ad minaendam sitim datiu potas 
▼ideatur.' 

ÜJCTrep yap rä qpuxci rolc p.^v |U€Tp{oic öbaci Tpe pfTca, toic bä 
TToXXoic iTviY6Tai, Tüv auTÖv Tpöttov \\n)xi\ Tu'ic ntv cü|a^atTpioic augeTai 
irövotc, TOlc b* (HTCpßdXXouci ßonriZerat (Plat. de educ. lib. o. 13). 

'ut enim pulchritudo corporis apta compositione membrorum moyet 
oculos, et delectat hoc ipso, quod inter se omnes partes cum quodam 
lepore conseutiuut: sie hoc deeorum, quod elucet in vita, movet appro- 
bationem eomm, quibuseam vivitar, ordine, et eonvtantia, et modeim- 
iione dietonim omnlam atque factorum' (Cic. de off. I 28, 98). 

^' vgl. II 12, 218: 'c'est, h. la verit^, une tres ntilf et cvnnde partie 
que la science; cealx qoi la mesprisent, tesmoignent assez ieur bestise; 
maiB ie n'estxme pas ponrkant aa valear insqaes k cette xnesaie extreme 
qii*aalcans lay attribuent, comme Herillas le pbilosophe, qoi logfeoit en 
en eile le sonverai'n bien, et teooit qu'il feust en eile de nous rendre 
sages et couteuts; ce que ie ne croy pas: ny ce que d'aultres ont diet, 
que la science est mere de toute vertu, et que tout vice est prodaict 
par rignorance. ei cela est vray, il est eubiect h ane longae inter- 
pretation. ma inaison a este' dez long" temps ouverte aux g-ents de 
s^avoir, et en est fort copneue; car mon pere, qui l'a commandee 
cinquaute ans et plus, eschauffä de cette ardüur uouvelle dequoy le 



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558 Die pftdagogisehen asiiditen Hontaigoes. 



BeDnt, 60 ttberraacht es uns doch zu hören, wie verEchieden und zum 
teil geriDgschStmg er ttber die verschiedenen gebiete jener und ihren 
wert urteilte, er liebte wobl die gelehrten, betete sie aber nieht 
an, wie er sich ausdrückt, seine grundansidit scheint dahin zu 
gehen, dasz die Wissenschaft, wenngleich der erziebung nnentbebr- 
lich und allen höherstehenden eine grosze zierde, im allgemeinen 
nichts fruchte, sobald man sie nicht anzuwenden wisse, darauf, auf 
die Verwendbarkeit, den nutzen, die praxis, auf das den lehren ent- 
sprecliPTidp leben komme alles an. ohne eine derartige beibtitigung 
sei die Wissenschaft oft ein bloszer ballast, ja sie flösze dem menschen 
gefährlichen dünkel ein, der ärger schaden kuiino als Unwissenheit, 
dazu tadelt er, dasz man überhaupt meist das wissen mit leiden- 
schaftlicher begierde erstrebe, ohne beachten zu wollen, wie wenig 
dasselbe an und für aich zu dem glücke beitrage, das er als den 
eigentlichen Zielpunkt alles strebena betrüchlet. m dem interessanten 
capitel von der phjsiognomie wird der Wissenschaft jegliche kraft 
des troetes im leben und sterben abgesprochen* 

*BecneilIez vonsf voüb tronverea en vous les drgmnents de la 
natnre contre la morfe, vrays , et les plus propres & vous sennr & la 
neoesfiitö: oe sont cenlx qui fönt moiirir un paStsan, et des peuples 
entiers, anssi constamment qu'nn pbilosopbe. fensse ie mort moina 
alaigxement avant qu'avoir Ten les Tuscuknes? i'estime qae non: et 
quand ie me treuTe au propre, ie sens que ma langue s'est enrichie; 
mon courage de peu' (III 12, 543). wir sehen, wie skeptisch und 
fast pessimistisch Montaigne über die gelehrsamkeit urteilt, wobei 
denn allerdings in recbnung zu sieben ist, dasz er lediglich die tüch- 
tigkeit f(lr das leben in adligen kreisen bezweckt, wir werden ihm 
aber auch darin ganz entschieden recht geben müssen, dasz das 
wissen einen reellen wert^* erst dann aufweist, wenn es ein wirk- 
lich geistiger besitz des schttlers geworden ist, mit welchem er zu 

roj Frao^ois premier embrassa les lettres et les meit en credit, rechercba 
«▼ecqueB grand foing et despeoee l*accointanee des hommes dootes, te« 
recev&nt chee luy comni« personoea winetefi et ayanto quelques puti- 

culiere inspiration de saf^esse divine, recneillant lenrs sentences et leurs 
discours cumine des Oracles, et avecques d'autant plus de revereacc et 
de religioQ, qu*il avoit moins de loj d*eii in^er; oar i1 ii*ayoit anlcune 
cognoiasanee des lettres, non plus que ses predecesseurs. moy ie les 
ayme bien, mnis' io ne les adore pas.' vgl. I 24, 5G : falloit s'en- 
querir qui est mieuix s^avant, non qui est plus s^avaut.' vgl. III 12, 
543: 'il ne nous fault gueres de doctrine pour vi vre k notre ayse: et 
Socrates nons apprend qv*elle est en nous, et la maniere de l'y trouTer 
et de s'eu ayder. tonte cette nostre Süffisance, qiii est au dela de la 
naturelle, eet ä pen prez vaine et superflac, r'est bcaiicoup si eile ne 
nous Charge et truuble plua qu'elle uoxis äcrt: pauciti opus est litteris 
ad meatem bonam ; ce aoot des exoei fiebTreux de noatre eaprit, inatni' 
ment bronillon et inquiet.' 

quoy faire la science, si l'entendement n'v ost ? pleust k 
dieu que pour le bieu de nostre lastice, ces compaigmes lä ae troa- 
▼aaaent auael bleu fenrnies d'eutendement et de oonseienoe, cemme 
elles Bont eneorea de aeience!* (I 59). 



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Die pädagogischen annchten Montaigoes. 



559 



seiiieiD nutzen scliAlten und walten kann; wir fügen hinzn, daez 
folglich die methode eine freie entwioklung der geisteaanlagen er- 
mOgliehen, das aelbstdenken and die klarheit, besonnenheit nnd leife 
deB nrtdls^ bewirken mn»2. 

Der erziehang, welche auB dem zCgling einen mann von lebens- 
tücbtigkeit und lebensart machen soll, gestattet nun Montaigne eine 
so freie als wohlerwogene auslese Ton disciplinen. er läszt das alt- 
herkCmmlicbe triyiiun grammatik, dialektik und rbetorik im allge- 
meinen fallen; denn auch der ersten gibt er nur einen bescheidenen 
platz und erklärt selbst, bis zur stunde nichts von coignnctiv, ad- 
jectiv und ablativ zu wissen, ebenso scblieszt er die naturwissen- 
scbaften völlig aus, wo7u er im biublick auf den damaligen stand 
derselben und in anbeiracht der von ihm stets im aoge behaltenen 
erziehungssphäre em gewisses recht haben mochte, 'mit unserem 
Zögling hat es eile', schreibt er; ^nur die ersten 16 oder 16 jähre 
des lebens gehören der scbulerziebung , das übrige gehört förs 
handeln.' 'nostre enfant est bien plus presse: il ne doibt au pai- 
dagogisrae qiie les premiers quinze ou seize ans de sa vie, le demou- 
rant est den a l action. employous uu temps si court aux instru(3tions 
necessaires. ce aont abusi ostez toutes ces subtilitez ebpineuses de 
la dialectique , dequoj nostre vie ne se peult amender ; prenez les 
simples disconrs de la Philosophie ; s9aohez les choisir et traicter ä 
poinct: ils sont plns aysez ä conccToir qu'nn conte de Boccace; un 
' enfant en est capable au parür de la nonrriee, beanconp mieulx qne 
d'apprendre & lire on eserire. la philosophie a des diBconrs ponr la 
naissanee des hommes, comme pour la decripetude' (I 25, 71). auf 
dem handeln liegt ihm zuletzt der Schwerpunkt, es soll ebendeshalb 
auch nur eine verh&ltnismSszig kurze zeit auf den notwendigen unter* 
rieht verwendet werden, er betont hier in erster linie die philosophie, 
d. h. die Philosophie des gesunden menschenTerstandes im sinne des 
Seneca. 'quid philosophia nisi vitae lex est?' (8en. ep. 94, 39) 
oder wie Terentius Yarro schreibt: ^sui dominus est, qui se philo- 
sophiae mancipavit' (Varr. sent. 156). 

G-leich hoch steht aber unserem autor die geschichte. 'il (le 
disciple) practiquera, par lo moyen des histoires, ces grandes ames 
des meilleiirs siecles. c'est un vam cstude, qui veult; mais qui veult 
aussi, c'est un estude de fruict incstimable, et le seul estude, comme 
dict Piaton, que les Lacedemonit ns eussent reserv6 ä leur part' 
(I 25, 67). wir unterlassen es, aus der fülle von bestätigenden aucj- 
sprticben alterund moderner Schriftsteller für den wert der geschichte 
weitere belege anzuführen; indem wir einzig an Quintilians treffen- 



'quUl lay face tout passer par restamine, et ne löge rien en sa 
teste per simple auctorit^ et i eredit. les prineipes d'Aristote ne Inj 
BOiest prineipes, noo plus que ceulx des stoiciens on epicariens: qii*on 
luy propose cette diversite de iug'ements, il choisira, s'il peult* (I 25, 64). 
— 'la veritä et la raiöou sont communcs ä un cbascuu, et na sont non 
plns k qui les a dietes pTemierement, qu^& qui les dict aprez' (I 26, 66). 



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560 Die pädagogischen ansichten Montaignes. 



des wort erinnern, der in der insi erat. 5, 10, 28 sagt: *ez praete- 
ritis aestimari eolent praesentia.* weil Montaigne nun dazu die 
kenntnis der antiken fipraohen fatt fBr unerlHszUch kftlt, empfiehlt 
er diese zwar, aber weniger ein eigentUck wissenschaftlicb-pbilolo- 
l^cbes stndinnii als yielmehr eine möglicbst rascb erlernte fttiigkeit, 
dieselben zn verstehen. 

Natttrlieh dehnt sich bei ihm der unterxiebt anch auf die spra- 
chen der nachbarstaaten** aas. die religion bleibt jedoch der kirche 
überlassen, und die mathematik , von der Montaigne nicht yiel zu 
halten scheint, tritt ganz in den hintergrund. 

Von einer Überladung mit schwer verdaulichen wissensmassen 
und von einer kraftzersplittemden Vielheit der unterrichtsge gen- 
stände ist mithin wahrlich keine rede. Montaigne erstrebt den sichern 
besitz der zugeführten lemstoffe und deren durcbarbeitung zur gei* 
stigen und seelischen gesundheit und Selbständigkeit des schülers. 
der lehrer darf mit ihm nicht wie mit einem trichter umgehen, wo- 
rein man schüttet, so viel hineingeht, er darf keine mechanische 
dreKsur ausüben, sondern er musz fein säuberlich handeln, musz vor 
allem sich sagen, dasz er in seinem Zögling keine die bescheidenheit 
und das herz überwnohrrndf' gelehrsamkeit, sondern edle bildung 
pflanzen und ihm vornelunlii h achtungvor der Wahrheit und absehen 
vor der lüge" einflöszeu soll, 'car nous sommes nayz a quester 
la verit6' (UI 8, 4H3). jeder einzelne Wissensgegenstand werde 
dem knaben erst von allen seiten gezeigt und ihm dann gleichsam 
in die band gegeben, damit er ihn selbst prüfe, der lehrer darf 
keinen schritt weiter geben, so lange ttinem jünger der betreffende 
satz nicht klar und durchsichtig ist wie ein kryjitall; deshalb wird 
er einem weniger beföhigten köpfe gegenüber unermüdlich wieder- 



'je vouldroy premierement bieu SQavoir ma iangue, et cclle de 
mes voistno oA i'aj plofl ordinaire commerce. c*e8t un bei et grand 
adgencement sans doabte que le grec et latin, mais on Tachepte trop 
eher, ie diray ioy une (in^on d*en avoir meillcnr marche que de coa- 
stume, qui a este essayee en moy inesme: s'en servira qiü voiildra. 
feu mon pere ayant faict toutea las recherches qu homme peult faire 
parmy les genta s^avante et d'eatendemcnt, d^Qine forme d inatltatioa 
oxqnise, feut advise de cet inconvient qui estoit en usHg-e; et luj disoit 
on que cetto lonj^ueur que nous mettions k apprpudre las langues qui 
ne leur coustoieut rien, est la seule cause pourquoj nous ne pouvons 
«rriver h la grandenr d*ame et de oognoissano« des aneiena Graes et 
Komains. ie ne eray pas que e'en soit la seule cause, tant 7 a que 
rexpedient que mon pere y trouva, ce fent q-t'-'n nourrice, et avant ]e 
premier desuouement de ma langae, il me donua en charge k uu Aile- 
mand) qui depuis est mort fameox medecin en France, du tout i^aorant 
de nostre laagae, et tres bien verse en la latine. cettny oy, qii*ll aroit 
faict venir exprez, et qui estoit bien cherement ^agtf, m'avoit conti- 
nuellement entre les bras. il en ent aussi nvecques luy deux aultres 
moindres en s9avoir, pour me suyvre, et soulager Ic premier: ceulx cy 
ne m*entretenoient d*atiltre Iangue que latine* nsw. (I 25, 77). 

" 'il n'y a point d*atilit^ ponr laqnelle ie me permette de — > mentir* 
(UI 1, 409). 



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Die pädagogischen anBicbten MonUignes. 



561 



holen und mit gröster anachanlichkeit veilaliren, bis sich ein gün- 
stiger anhaltspunkt für das wirkliche Verständnis gefunden bat, ohne 
dabei uTii:^'eduldig oder gar zornig zu werden, vielmühr versetze er 
öich gaiiz in die seule seines Zöglings uüd gehe mit ihm band in band. 
Montaigne will den gegenständ zu vollem he wustsein, zu sicherer 
erkenntnis bringen, der lehrer ist dabei der lebendige Termittier 
zwiaeben sögling und wisBensehafl;, er wird eicb aber bei eeinein 
thuii der eignen indindnaUtftt nicht entseblagen kOnnen; Ja gerade, 
je mebr er dies TeimÖcbte, desto unfraehtbarer würde er den nnter- 
ricbt machen, denn eben die individnalitSf des lehrers soll die 
darstellung beleben und ihr den richtigen stimmiingston Terleihen* 
anderseits bat Montaigne anch wohl gefühlt^ dasz Jeder Wissensstoff 
anen ihm immanenten eharakter, einen nnzerstörbaren nezas und 
damit seine eigenartige logik besitzt, daher werden wir Montaigne 
um so dankbarer sein, als er in diesem sinne seine ermahnungen und 
ratschläge für die einzelnen unterrichtssweige specialisiert. 

Wenden wir uns zur geschichte zurück. Montaigne schlieszt, 
dürfen wir behaupten, seine gesohiehtsmethodik in folgende drei 
Sätze ein. 'mais que mon guido se souvienne oü vise sa Charge ; et 
qu*ü n'imprime pas tant a son disciple la dato de la ruyne de Gar- 
thage, que les moeurs de Hannibal et de Scipion ; ny tant oü moumt 
Marcellus, que pourquoy il feut indigne de son debvoir qu'il mourust 
lä. qu'il ne luy apprenne pas tant les bistoires, qu^a en iuger' 
(T 25, 67). bierans er^^eben sich wichtige forLierungen. das richtige 
\irtfil setzt eine genaue kenntnis voraus, diese wird der lehrer seinem 
Fcbüler am ehesten verschaffen , wenn er vor allen dingen die weit- 
^^ch weifigen emleitungen fallen läszt und statt desiseu die Sache 
selbst vorführt, indem er auf die quellen zurückgeht oder sich doch 



•5 'nam licet acriora sint, quae legas, altius tarnen in animo sedent, 
quae pronuatiatio, vultas, habitus, gestus etiam dicentis afligit.' Fliii. 
ep. II 8, 9. 

^Vajme les hiflioriens ou fort simples oa excelleatfl. lei simples, 
qui n*ont point dequoy y mesicr qnclque chose du lonr, et qui n'y ap- 
portent que le soing et la tliligence de ramasser tout ce qui vient ä 
leur uotice, et d'enregistrer, k la boiiue foy, toutes choses sans chois 
et Sans triage, neos laissent le iugement estier poor la cognoisssiice 
de la verit^' (II 10, S08). Montaigne r&hmt mit recht die sehlichten 
^ind vortrefflichen geschichtschreiber, von denen er Liviiis hervorhebt, 
eiu gatea und einfaches erzählen ist recht wichtig für den Unterricht 
und eine kunit^ deren gar maneher lebrer entbehrt, in der fortsetsang 
helsat es dann: 'tel est entre anitres, poor exemple, le bon Froissard, 
qni a marchf^ en son entreprinsp d'une si franchc naifvete, qu'aynnt 
faict nno faulti', il ne craint auicunement de la recognoistre et cor! iger 
en l'endroict oü. il eu a este adverty, et qui uous represente ia diver- 
sit^ mesme des bnüts qui oonroient, et les differents rapports qu'on luy 
faisoit: c^est la matiere de Thistoire nne et informe; chascun en pealt 
faire son pronfit autant qu'il a d'entendement. les bien excellents ont 
la sufüsance de choisir ce qui est digne d'estre scen; peuvent trier, de 
deuz rapports, celuy qui est phis Trajsemblable; de la eondition des 
prinees et de lenrs hnmenrs, ils en conelnent les conseils, et lenr attri* 
N. JshrV. f. plin. V* pid. U. «bt. 1890 htu IL 86 



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562 



Die pädagogküheu ausiclittfii Montaigtics. 



auf büclier stützt, welche jenen folgen, bei dem vortrage musz stets 
der zuttauBMobang verdmtlidit, müssen die Ursachen entwickelt und 
die inttersten «nd letsten triebfedem meh möglichkeit bloszgelegt 
werden, der lehrer erinnere bmsIi, dass wissen nmd yerstehen xweierlm 
ist, und dass deshalb die maese des geschichtlichen Wissens im kepfe 
des Schülers erst wert bekommt, wenn er das getriebe, so sn bagua 
das rSderwork der ereignisBe kennen lernt. 

Qesdiißhte lehren im sinne MontaigMe heisst, die meohanik^ 
der geschichtlichen thatsachen und processe besehrsiben« wenn der 
lehrer z. b. die firanzi^sische rerolution vorzutragen hat^ — gewis eine 
der schwierigsten aufgaben l — so weise er nach, dass es, weil es :^o 
und so war, so und so kommen muste, er erörtere genau die folge 
der epochen , er begründe , dasz die gewaltige bewegnng allmählich 
mit notwendigkeit in einen gleicbgawichtszustand übergieng, dass 
dadurch die revolution den Charakter der Ordnung und civilisation 
annahm, dann aber die eingeschlagene liberale richtung verliesz und 
militärische formen bekam, und schlieszlich, wie Mignet schreibt, 
von tage zu tage materieller wurde, dabei darf der schüler aber — • 
so reif wir ihn uns auch für eine solche wirklich eingehende behaad- 
lung des Unterrichts zu denken haben — nicht durch die theoreti- 
schen momente üimüdet werden, der khrer gestatte ihm hin und 
wieder eme recreatio, er hebe irgend eine iuteressante figur beson- 
ders hervor, er unterhalte äich mit dem zögling vielleicht über einen 
Charakter wie Marie Antoinette, oder er verBuche es, eine erschei- 
nung wie Robespierre zu erklären, welcher keiner fliege etwas zu 
leide tliun mochte und doch zugleich der dämon der scbreckensber- 
SChaft war j er b:ei dabei aber uacii mu^dichkeit immer der unparteiische 
historiker, welcher weder panegyrü Lisch verherliclit , noch ohne 
weiteres verdammt.' 

In der phüosophie wünscht Montaigne einfachheit und zweck- 
mttszigkeit. *je suis de Tadvis de Plutarque, qu' Aristote^' n'amnsa 

buent les paroles convenables: ils out raison de prendre raiTctorit^ de 
reigler iiostre creance ä. la lear; maU oertes cela n'appartieot 4 gaeraa 
de geutb' (II 10, 208). 

*^ obwohl di« theorio der historiiehen forschuog auf einem dea 
prineipien der mecbanik entsprechenden wege yordringen soll, eo darf 
dabei aber nicht vergessen werden, dasT; Hie menscbHche g-esellschaft 
mehr als ein materielles System ist. man könnte sonst leicht die unvor- 
•iehtiirkett des berOhmten Si&jes begehen, welcher die einselnen glieder 
wie schachfigaren zu bewegen tracktote, denn es Ist doch sam min- 
derten reclit bedenklich, den men^^cbeji n1s Pinen materiellpn punkt 
anzusehen, der bei den nemlichen voraussetzunj^en und beding-nngs- 
gleichuDgen die nemlichen bewcgungszustände zeigt, die processe der 
weit sind phyaikaiisohe, physiologisohe und ptychiache, eio greifen in 
einander, sie existieren zugleich; aber das System der analytischen 
mcfhnTuk ist eine mathematische abstraction, die als thatsache nicht 
vorhanden ist. aber Unparteilichkeit, einfachheit und klarheit seidinea 
den historiker ans. 

*^ vgl. Paul. Verg. 666 (Baseler ausgäbe vom jähre 1641): 'verum 
Aristoteles qaidem Yolnit liberalibus scientiis non nimis iadulgendnMi 



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Die pädagogischen ansichten Montaignea. 563 

pas tant son grand disciple k l'artifice de composer syliogismes, ou 
aux principes de geometrie, comme ä l'instruire des bons preceptes 
toucliaüt la vaillance, pronesse, la magnanimite et tempe» nnce, et 
l'assetirance de ne rien craindre; et avecques cette muriition, il Ten- 
voya encüres cnfant subiuguer Tempire du monde u tout trente mille 
hommes de pied, quatre mille chevaulx, et quarante-deux mille escus 
senlement' (I 25, 71). der junge mann soll mit gesundem verstand 
und hellem bliek in die znlranft sehanen, niminermelir aber die zeit, 
welehe dem leben gehört, in den irrgSngen der sophietik^ hinbringen. 
Lndan führt uns einen eiferer, einen Philosophen von profeesion, 
wie ihn Montaigne sieh gedacht haben mag, im Hermotimne vor. 
ein gewisser Lycinns verspottet dort eben diesen Hermotimns nnd 
bekehrt ihn snletzt el Tt niiiyi^m^ cxcbdv ctKOCiv ^tt| toOtd 
^cnv, d<p* o9 c€ oöb^v ^XXo irotoOvra liiipcnca, Fj irotpd toOc bibo- 
acdXouc «potTiSkVTa xal die t6 iroXiii de ßtßXfov dniKeKuqpÖTa m\ 
i^Tro^vl^iyiaTa tuiv cuvoucloiv ä7TOTpa<p6|Li€voV; dixpöv dei uttö <ppov- 
Tibuiv Kai t6 oSs^ KorecicXTiKÖTa. 6ok€ic bi jiiot dXV oub^ dvap 
irOT^ dvi^vai C€auT6v, oötujc öXoc ei dv tiu TTpdTMaxi. toOt* oöv 
CKOTTOuiLidviu poi qpaivij oOk ec fjiaKpdv dTTiXr|i|;€ceai xfjc eiibaijuc- 
viac , d T€ ni[ XiKqßac fiinäc xal naXai aurq cuviwv (Luc. Hermot. 
c. 1, 741 f.). gegen ende des dialogs findet sich ein mahn wort des 
LjeinnSi welches obiger stelle in Montaignes abhandlung fast genau 
entspricht. dXXd |nf|v oub* dK€ivö ttuj KaxavevöiiKac , oT)Liai, ujc f] 
Hkv dpeifi Ipfoic bif|iiou kiiv, oiov dv vSb biicaia npdiTeiv ical 

nee immemorsndtim esse: ad perfeetienem quidem, eivilem hominom 
vitam oegociosamque respectans. nam qui totas speentationi et litte- 
rarum illecebris deditus est, h est forsitan sibiipsi caros, at param 
certe utilis urbi aut priaceps est, aut privataa.* 

^ Vgl. Thom. Campaneila de reota ratione stadendi I S: Mangneat 
circa pugnas Terboram seholae, qaomain historiam reram snper qua 
fabrifj^tur scientia ignorant. unde a rebus ad verbositatem convertun- 
tur.' m;m vsjrl. auch Montaigne III 8, 482: ''veoid on plus de barbouil- 
lage au caquet des hareugiercs, qu^ aux disputes publicqaes des hommes 
de eette profession? i'aymeroy mteolz qne moa fils appriost ans taver- 
nes'lk parier, qu' anz eseboles de la parlerie% und lese dazu im Rabelais 
den 'philo sophischen milchralira encyclopädistisf her qiiästionen Panta- 

fruels'. les oeuvres de maistre Fran^ois Rabelais par Cb. Martj-Laveauz, 
*ans HDCCCIiXZni, tome troisiime, la ehresme philosophalle des • 
questions enciclopediqnes de Pantagruel, les qaelles seront disputees 
Öorbonicoliticabilitudinissement es eficlioles de decret pres S. Deni;? de 
la chartre ä Paris, utrum , une idee Flatonique voltigeant dextrement 
sur l'orifice du cbaos, pourroit cbaaser les esquadrons des atomes De- 
moerltei. nimm, les ratepenacles, vojans par la translneiditd de la 
porte comee, pourroyent espionnitiqueraent descounrir les visions mor- 
pbiqnes, diuidant giromqnemeot le fil du crespe merueilleux, enuelop- 
paat les atilles des cemeaax mal calfretez. ntrum, les atomes tourooyans 
au flon de rharmonie Heroiagorique, ponrroyent faire nne compaction, 
OQ bien nae dissolntion d*aDe quintessence, par la substraction des nom- 
bres Pytbagoriques. ntrnm, la froidnre hybornalle des Antiprodes, pas- 
sant en Hgne ortho^oualle par l'omogenee solidite du centre, pourroit 
par une doulce antiperistasie esuhauffer la ijuperficielle connexit^ de 
nos talons* usw. 

36* 



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564 Die pädagogischen ansichten Moutaignes. 

co(pa Kai dvbpeia, ujaeic bt — t6 t)£ ujieic öiav einuu, xouc ctKpouc 
Toiv (piXococpouvTtüV 91^1 — d(pevT€c lauia lr]Te\\ Kai noieTv 
ßni^dTia bucTfiva jueXeTäie mi cuXXoTic/iouc kuI diiopiac kqi tö 
irXetCTOV toO p(ou liH TOihoic biarpißeTe, xal de dv KparQ dv 
oilTotc, xoXXiviKoc ö^tv boKct — Ka\ t6v Kapnöv dTexvtJuc dqp^vrec 
— ircpl tdv <pXot6v dcxoX€tc6€ rd q>OXXa Karctx^ovTCc dXX^uiv 
dv tak 6|uuXCaic. tdp fiXXadctIvd irpdrrcTe, <li 'GpjuÖTi^ic, irdrvrec 
liu6€V cic dcir^pav; (Luc Hermot 79, 822 f.). die philosophie, 
welche Montaigne erstrebt, soll im leben anwendbar, soll wesent- 
lich eine dasselbe regelnde ethik sein. 

Von einem ähnlichen praktischen gesichtspnnkt ans bebandelt 
er auch den sprachlichen nnterricht. *je yonldroj premierement bien 
s^aYoir ma länguef et celle de mes TOysins oü i'ay plus ordinaire 
commerce, o'est un bei et grand adgencement sans doubte qne le 
grec et latin, mais on Tachepte trop eher' (I 25, 77).^ ja freilich 
will ein so reicher schätz teuer erkauft sein 1 Montaigne scheint naeh 
dem gesagten den lebenden sprachen den vorzog zuzuerkennen, seine 
eminent praktische tendenz mag ihm ein recht dazu geben; aber die 
art und wei-^e, wie er nun die eriernung einer solchen spräche vor- 
Bchlägt, kann unmöglich gebilligt werden, er empfiehlt, jene kennt- 
nis in den betreffenden ländern selbst zu erwerben, allem nun miisz 
mau bedenken, dasz die dazu unerläszlichon reisen im jugendlichen 
alter geschehen sollen, wo gemüt und Charakter sich doch erst con- 
solidieren musz, und dasz, indem die anschauung von bild zu bild 
eilt, sich leicht eine gewisse oberiiächiichkeit der autfassung und des 
Urteils festsetzt, welcher selbst die begleitung eines verständigen 
hofmeisters nicht wird entgegenwirken können. Montaigne hat diesen 
groszen nachteil auch wohl gefühlt j denn er gesteht gelegentlich 
gelbst ein, dasz die lust am reisen von ^unruhe und unsteügkeit* 
^eüge. eine derartige, fast notwendige verflachung dehnt sich natür- 
lich auch auf das sprachliche können ans. da hier von einer gram- 
matischen unterweisnng so gut wie gar keine rede ist; wird die 
kenntnis sunSchst doäi eine nnr nnrollkommene bleiben ; der Zög- 
ling nimmt eben die spräche mehr mit dem gedSchtnis als mit dem 
verstände auf. 

' Dies gilt nun swar znnSchst von den lebenden sprachen, von 
den sprachen der nachbarrölker; aber in fihnlicher weise mQchte 
Montaigne doch auch das lateinische erlernt wissen, indem er auf 
sein eignes beispiel^ hinweist, es ist dabei keine frage, dass Mon- 

•^^ vg^l, Älphonse Leveaux, ^tiidc sur les essais de Montaigne, Paris 
1870, 8. 87: Hout le moude pense cela aiijourd'hui ; tout le monde dit 
qa* on donae trop de temps au greo et tat latin. maia la tradition eit 
la plus forte, et les choses ont peu cbang^.' 

*ie s^ay bien qu' k le prendre k la lettre, ce plaisir de vovR^r 
porte tesmoignage d'inqoietude et d'irresolutioa: aussi sont ce nos mai- 
■treasea qualitec et predorainanteB* (III 9* 516). 

^ vom griechischen gar nicht weiter zu reden, welches er sich, wie schon 
im yorhergehenden einmal bemerkt, aaf spaziergJIngeii aneignen wollte. 



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Die pftdagogisehen anaiehten Montaagnes. 565 



tugne den hohen wert der classisohen spraehen gerade fllr die er- 
ziehung verkannt hat. er ermisst nicht» wie viel mehr durch diese 
Studien als durch andere die geistige entwioklung gelSrdert wird, 
welche elasticitttt insheaondeie die combinationsgabe erhalt ^ wenn 
nnanfhdrlieh an den schttler die anfordening herantritt, sidi in jene 
ein&che nnd doch groszartige weit su vertiefen und sein ernstestes 
denken an ein scheinbar ausgelebtes zu setzen, und freilich konnte 
Montaigne nicht ahnen, welch reiche schtttze unter jenen antiken 
trümmem liegeni weil er, des griecbischen unkundig, nicht im yoU- 
besitze der mittel war, um sich den unbehinderten zugang zu ihnen 
zu eröffiien, und weil er noch weniger die stärke kannte, welche ans 
solcher arbeit fliesst. dennoch ist so manche mahnung der essais 
bedeutungSToll gerade für die grammatisch -philologischen Studien 
und den bezüglichen unterriebt, verweilen wir einmal beim latein. 
der geist dieser spräche atmet kraft, wie alles bei den Römern; das 
System der lateinischen grammatik ist ein strenges, um nickt zu 
sagen starres^ die ekasticitiit der griechischen spräche geht ihr ab. 
aber eben darum halten wir die Übersetzung ans der muttersprache 
ins lateinisch© für eine so vortreffliche schule, wie würde Montaigne 
sich dazu stellen? er würde sie vieileicbt als eine unnütze bescbäf- 
tigung seinem zöglinge verbieten oder ersparen, und doch wird 
durch diese Übung der verstand geschärft wie bei wenig andern auf- 
gaben, denn, wenn irgendwo, so wird hier der schüler genötigt, den 
ihm entgegentretenden gedanken scharf aufzufassen, jedes raoment 
desselben einzeln zu i)rüien, um die eutsprecliende lateinische form 
zu linden, sind dann die ersten Schwierigkeiten iiberwuudtjü, so wird 
ein eifrig strebender auch gefallen an derartigen progymnasmen 
finden, weil er den wert derselben ob auch zunächst noch dunkel 
fühlt* ja noch mehr! Montaigne selbst verlangt den gegenständ 
des stndiams en cent visages^ geaeigt. daen ist hier gelegenheit 
genng geboten, so erfordert s.b. die Übertragung des nnscheinbaren 
wertes 'schuh' schon eine ganze menge von wissen nnd Überlegung, 
der schttler kennt oder findet die anadrflcke mnllens, pero, eothnmus, 
soccQS nnd crepida. bezieht sich nun der tezt anf eine frühere zeit 
der romischen repnblik, so dürfte jener die crepida^^ wohl kaum ge- 
brauchen können« der cothumns, der griechische hochschnh« und 
der soccns der komüdie dürften gleich&lls schwerlich in firage kom- 
men.' so wird man zum pero greifen; es ist der gewöhnliche römische 



*^ *que ce qu'il viendra d'apprendre, il le Inv face mettre en cent 
Tisages, et accommoder k autant de divers subiects, poar veoir sUl l'a 
encores bien prins et bien faict sien: prenant Tinstraction de son pro- 
«68, des paidagogismes de Piaton. o'est tesmolgnagfe de cnidittf et in- 
digestion, qiie de regorger la viaude comme on l'a avallee: Testomach 
n^a pas faict son Operation, r'IL n'a faiut cbanger la fa^on et la forme 
ce qa*on Iny avoit donne k cnjre* (I 25, 64). 

^ Tgl. Gie. p. Bab. Post. 10, 27: «L. Seipionia, qui bellum in Asia 
gessit ADtiochnmqae devicit, non solum enm chlamydSi sed etiam com 
crepldis in Capitolio statoam videtis.' 



566 



Die pftdagogischen annohten Moiitaignes. 



sehnh, wie ihn der bllrger trag, den ifttdleiie oder caloem patrieiiis 
aber anzowenden miies sieh der scbttler sdieuen. der mttUeiu oder 
caleeus patrioias aus rotem partbiscben leder mit den aübemen Imnilie 
geborte ansflchliesslicb dem imctp^ptov t^pac an, wie Appian so 
treffend sagt; es war der schab der consuln, der Senatoren, ttber- 
haupt der ourulischen magistrate and der triumphierenden feldbecm. 
in solcher weise können und sollen dem schüler wichtige geschicht- 
liche Verhältnisse gedeutet und fruchtbare erläaterongen der schein- 
bar trockenen aufgäbe beigefügt werden, doch man Terseihe die 
abschweifong. 

Wenn es nun sacbe des lehrers ist, den schttler in der angeden- 
teten rieht ung vorwärts zu bringen, so musz sich jener auch vor mis- 

griffen "hilten^ welche auf dem betrachteten felde nur zu leicht <^ethan 
werden. Montaigne verwirft z. b. bei Cicero die spitzfindigen Sophi- 
stereien^', die pcriodologischen Wortstellungen, die compiicatiou der 
Schlüsse, er hätte aber vielleicht noch mehr die knechtische nach- 
ahmung seiner vergötterer tadeln sollen, den sogenannten Cicero- 
nianismus^ da hier doch fast alles auf eine schwülstige phraseologie 
hmaii^läuft. der schüler ist dabei in gefahr, das eigentliche ziel des 
lateinibchen Unterrichts in einem falschen zweck zu suchen und dar- 
über den ernst selbständiger arbeit oder doch eine kostbare zeit zu 
verlieren. 

Die andere art dur Übertragung, die übcrfetzung eines Itit^ini- 
sehen textes in die mutterspracbe, bzw. in ein möglichbt reines und 
flüssiges deutsch hat aber einen nicht minder bedeutenden wert^ wie 
sie denn anch nicht minder schwierig ist. und Montaigne scheint 
sich dessen wohl bewust gewesoi sn sein, denn es heisst bei ihm : 
*mai8 ceulx qui ont donn6 beancoup k la graoe et i Fel^gance da 
langage, ils sont dangereuz ä oitreprendre^ nomeement ponr les 
porter ä nn idiome plus foibV (II 12^ 219). ich mOohto diesen safts 
dahin prSdsieren, daes die Schwierigkeit um so mehr wichst, je 
sahlreicher, je Tersohiedenartiger und je ausgeprägter die etgentOm- 
lichkeiten beider sprachen -sind, aber eben deshalb ist anderseits 
nicht minder gewis, dasz, wenn iiigend etwas, die betreffenden 



*^ '81 i'ay rmplnye une heiire k le lire, qui est beaucoup pour moj, 
et que ie ramentoivo ce que i'en ay tire de suc et se substance, la 

Sluspart du tdinps ie n'j treuve que da vent' (II 10, 206 f.). ^ie cberche 
es raisons [qui tonehent proprement le noend qae ie oherche] bonnee et 
fermes, d^arrivee, qui mMnstruisent h en soustcnlr Teffort; ny les 8ub- 
tilitez graramairiennes, ny Tingenieuse contextnre de paroles et d'argu- 
mentations u'y servent. ie vealx dea diecoars qui donoent Is premiere 
cbarge dana le plus fort du doabtes loa siens laagnisaeBt antow da 
pot; ils sont bona ponr l'escbole, pour le bairoaa ei ponr Ie aeraioo, 
ou nons avons loi?;ir de Rommeiller, et sommes encores, nn qaart d'hanre 
aprez, asaez k, teinps pour en retrouver le ÜP (II 10, 207). 

vgl. den dialog des Desiderius Erasmus, Cicwooianismas sivt de 
optimo dicendi genere. Tgl. auch Rabelais I 39» 147: 'co a*est (dist 
le mo jne) que poor Omer moii laogaige. ce sont conleara da retboiiqas 
Ciceroniane.' 



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Die pftdagogisehcn amiehten HooiaigiiM. 567 



lilMmgen uns zum bewustsein der sprachlichen feinheiten und über- 
b«i|it der ganzen arcbitektonik der spräche bringen. 

Dm griechische ist dem lateinischen weifc überlegen an reich- 
tnm des sprachatofles. man braacht sich nur an die ttbmehwellende 
maese der redensarten, bilder und vergleiche» an die unerschöpfliche 
manigfaltigkeit der wort- und satzcombinationen, an die geschmeidig- 
keit der structuren'^ zu erinnern, dennoch dürften gelegentliche 
vergleiclinnf^en und' gegenseitige Übertragungen von lateinischen und 
griecbiscben redensarten recht wohl am platze sein, insonderheit WO 
sie zugleich zur erweiterung von reaikenntnissen dienen. 

Wie schon oben bemerkt, gibt sich Montaigne mit der mathe- 
matik nnd den naturwissenschaften im allgemeinen so gut wie gar 
nicht ab, wenngleich er sie vom unterrichtsplan nicht gerade aus- 
schlieszt. mir wiU es scheinen, als habe Montaigne diese disciplinen, 
vielleicht weil er sich nur sehr oberflächlich damit beschäftigt hatte, 
für eine art sophistischer Spielerei angesehen und sie nicht höher 
geachtet als das schach^', wiewohl man auch den herschenden aa- 
schauungeu der zeit einen teil dieser beschränkten auffassung bei- 
zumesseu haben wird, heute bind mathematik und phjybik ganz un- 
entbehrliche unterrichtsföcher ; aber beide müssen, wenn die volle 
Wirkung erzielt werden soll, eins ins andere betrieben** werden, die 
mathematik iat die abeiracte wiBsenscbaft kot' ^oxriv und genügt 
Bich deshalb selbst, anderseits nimmt die physik nnter den natnr- 
wissenschaften eine autonome stellcnig ein , indem sie sieb wie jene 
an den reinen verstand wendet, ihre gesetze sind streng, es ist nichts 
anfolliges, nichts beliebiges in ihrem sjstem, es folgt eins aus dem 

^ vgl. Erasm. Roterodam. de rat. stnd. tractatus: 'plarimnm antem 
fractns est in Graecis vertendis. quare convenit, eos boc in genere 
saepiatime ac diligentUsime exerceri. nam simul et exeroetur ingenium 
ia deprehendeiklis wnteiililfi «I ntrioMiie aermonis vis ac proprietas 
peaitus inspicitur, et <|aid n^bis enm Graeeis commune sit, quid aon 

deprohcnditiir. deniqwp ;x<\ ref^dendam Graecanicam emphasin, omnes 
Latinae Imguae opes excütias oportet, haec si initio pneris difficiiia 
videbuutur, tum usu üent faciliora, tum praeceptoris iugeuium, ac Stu- 
dium, beaam aegotii partem adimat, iudieatiB qaaa pulet easa aupra 
vires illomm.' 

*' Montaigne sagt treffend, dasz das Schachspiel als spiel zu ernst 
und als arbeit zu sehr spiel sei. im übrigen läszt er ihm die verdiente 
a&erkeiinuiig nieht widarfialur«». la hmy et ftiia de ce quil n*e8t 
paa assea ieu, et quML nons esbat trop serieusement, ayant lionte d'y 
fournir Tattention qui suffiroit h quelque bonne chose* (I 50, 153). 

^ Ygi. Ernst Mach, die mechanik in ihrer entwicklungi s. 282: 'kennt 
man sätse, wie den Schwerpunkts- und flächensats, nur in ihver abstrao« 
ten mathematischen form, ohne sich aodt den greilbaiaii eiafachen that- 
sachen beschäftigt zu haben, welche einerseits anwendungen derselben 
darstellen, und anderseits zur aufstellung eben dieser siitze geführt 
haben, so kann man dieselben nur halb verstehen, und erkennt kaum 
die wbrklieiMa Vorgänge als beiapiele der theorie. mau befindet tich, 
wie jemand, der plötzlich auf einen türm gesetzt wurde, ohua die gegend 
rings umher bereist zu haben, und der daher die bedeatnng der gesehe- 
nen objecte kaum zu würdigen weisz.' 



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568 Die p&dagoi^acben andchteii MontaigneB. 



andern, jede thatsaohe, jede eracfaeinung hat ihren guten grand und 
ihre unangreifbaren consequenzen. dabei ist die phjsik keine blösz 
mathematische disciplin, sie ist vielmehr eine selbständige Wissen- 
schaft, welche wohl ohne die mathematische abstraction bestehen 
könnte und besteht, wie sie ja im gründe die summe der tbatsachen 
ist, welche uns die nafur zeigt, aber sie findet am calcul^^ einen 
bundesgenossen, welcher jene erst zu dem macht, was wir Wissen- 
schaft nennen; die erfahrung, das experiment ist gewissermaszen 
die geschichte oder die illustration, die augenfällige exempliücation ; 
das streng logisch-niaLbematische System ist sie selbst als Wissenschaft. 

Die äuszero form des Unterrichts bei Montaigne unterscheidet 
sich schon um deswillen gänzlich von der unsrigen, weil der erzieher 
kein berufsmösziger lehrer, sondern ein hofmeister und cavalier, der 
Zögling kein schOler der classe, sondern der spröszling einer adligen 
oder jedenfalls vornehmen familie ist. fast überall tritft rnau noch 
anklänge an die altriiterliche weise ' 'j wenn Montaigne auch ein refor- 



mau verg^leiche die vorrede za der theorie der elaätiuität fester 
körper von Clebsch. es heiszt dort: 'man kann natürlich nicht er- 
warteo, probleme der angedeuteten art ohne einen teil jener hilfamittel 
■behandelt zu selicn , n'clche die integralrechniing darbietet, ich habe 
versucht diese hilt'smiitel soviel als möglich zu besehranken und keinerlei 
Sätze und anscbauuugen zu benutzen, welche erst durch üas siudium 
der höchsten teile der integralrechnong zugänglich werden, man wird 
hierbei unterstützt durch eine allgemeine eigenschaft mathematisch* 
physikali^Jchf^r nntersnchnng^en. in allen diesen werden die mathema- 
tischen Schwierigkeiten durch die aus der nutur der sache ent- 
springenden ansebannngen bo sehr erleiehtert, dass der leser nnd 
lernende im stände ist, sich bequem über probleme hinweg zu bewegen, 
Avelche in rein mathematischer Fassung zu überwinden die äuszerstc an- 
strenguno- erfordern würde, ja, es wird für das Studium dieser gebiete, 
wenn man das physikalische interesse allein im auge behält, groszen- 
teile die kenatnis der betreffenden rein mathematischen theorien weder 
notwendig noch besonders förderlich, ich erinnere nur an alles, wag 
die theorie der partiellen differentialglelchuugen betrifft, und was nicht 
leicht in deu anwendangen irgendwie zur benutzung gelangen dürfte, 
hoffentlieb ist die seit nahe» in welcher man anfbören wird vor dem 
stndiuiii <ler mathematischen pbysik wegen eingebildeter Schwierigkeiten 
zurinl zuschrecken. und man wird vielleicht gehen, dasz eben diese 
physikalischen Studien für den mathematiker nach überwindong der 
elemente seiner Wissenschaft den passendsten eingang zu jenen höheren 
und abstractercn teilen bilden, welche onmittelbar angegriffen oft fremd- 
iiitin- und dunkel erscheinen, welche uns aber befreundet entgegen" 
künsDioi! und zum weiteren ausbau einzuladen scheinen, nachdem wir 
sie in dem färb cur eiclien gewaode physikalischer anwenduug kenueu 
gelernt haben.' 

60 läszt er z. b. den groszen Alexander Schachspielen: 'pourqnoy 
ne iugeray ie d' Alexandre h. table, devisant et beuvant d'autant; ou s'il 
manioit des eschecs? quelle chorde de son esprit ue touche et n'em- 
ploye ce niais et pawrlle tea, et qa*il noos esbat trop serienaement, 
ayant honte d*j lournir l*attention qui snfflroit k quelque bonne ehose« 
il ne feut paß pln*j embesonirn^ ä dresser son frlorieux paasncre anx 
Indes; ny cet aultre, a desuouer un passage duquel depeud le salut du 
genre hnmain' ([ 50, 153). 



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Die pftdagogischen anBicliieii Hontaignes. 569 



mator ist» so kann er sieb doeli niebt Ton hergabrachten traditionen 
loemaohen, vielmehr bestätigt aueb er den sats, dass sieb uemand 
dem eben berschenden zeitgeiste ganz zu entsieben yermag« von 

einem systematischen unterrichte weisz Montaigne natürlich nicbtSi 
die notwendigen kenntnisse will er dem zögling bald durch 'trau* 
liehe gesprttche' bald durch 'bücher' beigebracht sehen; das lernen 
flcbeint somit fast nur ein gelegentliches, durch den gegenstsnd^ 

Veranlasztes, mcbt an tag und stunde gebundenes zu sein, es ist nun 
gewis viel wert ein offenes auge zu haben und mit reger anfmerk* 

samkeit zu beobachten, und wir werden Montaigne um dieser wohl- 
raeinenden winke willen loben; aber wir müssen zugleich wieder- 
holen, dasz, wollte man seinen Vorschlägen allenthalben folge leisten, 
nur eine lückenhafte, fragmentarische bildung und ein obeiü'ichliches 
wissen erzielt werden dürfte, es trügt eben die er^ieluni^ und der 
Unterricht bei Montaigne noch mehr oder weniger von dem charakter 
der ritterlichen" zucht des mittelalters an sich, der hofmeisler ist 
gleichsam der magezoge; und wenn Montaigne ausgedehnte reisen 
unter obhut des mentors empfiehlt, so möchten wir Tristans gedenken, 
von welchem es heiszt: 

sin vater, der marschalc in do nam 
und bevalch in einem wtpen mau: 
mit dem sant er iu iesä daa 
durch Tremde spräche in Tremdia laut 
and daz er aber al zehant 
' der buoche 18re anvien^e 
und den ouch mite gienge 
Tor aller alahte Idre. 

Endlieh die zucht im engsten sinne des wertes anlangend , so 
soll man nach Montaigne mit strafen sparsam sein und dafür lieber 
an das ebrgeftthl appellieren, doch bleibt deshalb eine körperliehe 
züebtigung, falls sie wirklieb nötig ist^ niebt ansgeseblossen. aueb 



^ *B& le^on se fera tantost par devis, tantost par livre : tan tost son 
ffOUTerocur Iny fournira de raaoteur mesme, propre k cette fin de son 
Wititution; tantost il luy en donneia la moelle et la eabstanee tonte 
maschee' (I 26, 69). 

^ 'qu^on luy mette en fantasie un honneste coriosU^ de s^enqn^rir 
de toutes choses: tout oe quMl j aara de singulier antonr de luy, il le 
Terra; an bastiioettt, une fontaine, un homme, le Heu d*ane bataille 
anciennc, le passage de Cesar on de Charlnmaigue' (I 25, 67). 

Montaigne bewundert mit rüclit den groszen Alexander ; aber, wie 
mir wenigstens scheint, sieht er in ihm nicht sowohl den ma'^edonischen 
Aehillent, der Asien Qberwand, als den liochstrebenden eiTilisaterischea 

SeniuSf welcher keine geringere absieht hatte, alt die weiaheit und sitte 
es occidents mit der des Orients zu verschmelzen und den erbhasz, der 
Griechen and Perser schied, in einer alle gegensätze ausgleichenden 
enlter au Tersöhnen. Alezander ist für Montaigne der krlegshald, wel- 
cher stets sein schwert bereit hält, weniger wohl der feiogebildete 
herscher, welchen Arrian als i^boviuv tujv ju^v toö cuÜMaTOC ^TKpOT^ 
CTOTOV Tä)v bi Tf{c fviii^fic ^tcalvou flövou dirXr^CTaTOV preist. 



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570 Die pftdagogücfaen amioliten Montugnes. 



diflser hnmame gedanke ist der ritterlichen erziehang eigen, in Gott* 
frieds Tristan heiast es: 

nun bedenke ritterlichen pris 
und oixch dich selben, wer da sts, 
din gebart und dhi edelkeit 
st dtnen oogen TÜrgeleit. 

Montaigne wird erkannt oder doch gefühlt haben, welch ein be- 
denklicbeü , zweiielhaiLes miitel die ütrafe ist, wie leicht dabei die 
ursprüngliche Unbefangenheit des Verhältnisses zwischen erzieher und 
Zögling erschüttert werden kann, um von dem gegenseitigen vertrauen 
derselben ganz zn scbweigen* ^le chastiement tient lien de medecine 
aus enfants' (II 31, 367). aber jeder kranke, möchten wir beifügen, 
bedarf wieder anderer eigenartiger befaandlung und anderer beil- 
mittel, jedes individunm will auch nnd gans besonders in abnormen 
sltnationen seiner individualitftt gemSsz berOeksicbtigt sein* 'pen- 
dant que le pouls nons bat et qne nons sentons de l'esmotion, remet- 
tons la partie: les choses nons sembleront ä la Terit6 anltres, qnand 
nons serons raceoises et refroidis« c*est la passion qai commande 
lors , c'est la passion qni parle ce n*est pas nons: an travers d'elloi 
les faultes nous apparoissent plus grandes, comme les corps an tra- 
vers d'un brouillas. celuy qui a faim use de viande; mais celuj qui 
Toult user de chastiement n'en doibt avoir faim ny soif ' (II 31, 368). 
*et puis, les chastiements qni se font avecques poids et disoretion se 
receoivent bien mieulx et avecques plus de fruict de celuy qui les 
ßouffre: aultrement, il ne pense pas avoir est6 iustement conderan6 
par im bomme agit6 d'ire et de furie; etnllogue, pour sa instification, 
les mouvements extraordinaires de aon miüstre, rinflammation de 
son visage, les serments iuusitez et cette sienne inquietade et pre- 
cipitation temeraire' (II 31, 368). 

Sollten wir nach alledem zum schlusz ein suramariöches urteil 
über Montaigne abgeben, so würden wir behaupten dürfen, dasz er 
als pädagog einen richtigen weg einschlage und mit frischer kraft 
vorwärts dringe, obschon er sich auch von seiiiHQi realistischen zuge 
öfter zu weit fortreiszen läszt. viele seiner siitze, i^obald sie ihrer 
bisweilen extiavagariLcn iuim entkieidet und ermäöZigL bind, werden 
für alle Zeiten zu gelten haben. 

Als nachtrag erlaube ich mir, einen briet der adoptivtochter 
Montaigne«, des fräulein de Gournay, beizufügen. 

A Etyeins Poteanns, professenr 4 LonTaia, 

'Monsieur, 

Ayant puis uagueres faict imprimer un Hure, Tune des premieres 
pensees qui m'est tombee en l'esprit , c'est que ie vous en debuois 
faire uu piuaani, laut pour Ic redpect de votre propre merito, quo de 
celuy de feu monsieur Lipsius de qui vous tenez la place, per^onnage 



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Die p&dairogischen aoakhten Montalgnes. 571 



aoquel, oaire la reueranoe defle ä sa verta, fauois de Tobligatioii, 
iemoignee par trois de ses epistres qui me sont adresses. qne si 
man resseiitiment de eette obKgatioii et de restime que le faisoie 
d'iu tel bomme, iie sont temoignees per oe Hure, elles le Bont par 
nne prefaee qne faymiee en teste de eet exceUent ourntge^des essaySi 
doat ie toos envoje Textraict de la demitoe impreasion, sacba&t que 
Yous vous int^iesBes en tout ce qui le toucboit. ie Yons presante done 
ee liure, monsieur, snr lequel ie tiendraj a beauconp d'bennenr qne 
V0Q8 me daigniez donner des aduis et des correcÜOlis. et parce qae 
lee epistree dudlet sieor Lipsius et autres ouvrages seit des fran^ois 
ou des etrangers m^ont üoßi cognoistre en Flandres, ie desirerois« 
si vous le iugiez a propos qu'il vous pleust disposer les libraires 
d^ Anaers ou autre bonne ville ä faire passer yers eox qaelque quan- 
tit6 de mes exemplaires, auxquels je croy qu'ils ne perdroient rien, 
sinon par le mcrite du liure, au moins pr^r la cognoissance qui leur a 
este donnee de moy de si bonne part. i'en attendiay, s'ii vous piaist, 
de vos nouvelles. que si vos libraires veulent de mes liures susdicts, 
faicteg s'il vom piaist aussy qu'ils B'addressent a moy qui leur en 
feray faire meilleur march6 par mon imprimeur, c'est a dire de vingt 
buict sonls en blanc 
Ie suis 

votre seruante bien humble 

Crouruay,* 

LEipzia. Erich MAdiüs. 



53. 

ÜBER DEN DIDAKTISCHEN WEßT 
DES aBIECHISGHEN ÜBUNGSBUCHES VON 0. KOHL.'' 



Das griechische Übungsbuch von Otto Eobl hat in kurzer zeit 
eine nicht gewöhnliche beachtung gefunden , es ist wiederholt nnd 
zwar im allgemeinen mehr gttnstig als ungünstig in öffentlichen zeit- 
flbhriften beurteilt und selM in prenssisohen direetorenoonferenzen 
besproohen worden, die folge war, dasa das buoh an einzelnen gym- 
nasien mehrerer preussischen pro?inzen sowie in Mei^enburg und 
Wttrtemberg bereits eingeflttirt wurde, der unterzeichnete hat zu 
einem gntaohten über die brauchbarkeit des genannten st^nlbuches 
dasselbe nach seinem plane, seinem Inhalt und seiner stilis tit- 
schen gestaltnng einer eingehenden prttfung unterzogen und 
nunmehr veranlassung erhalten, die gewonnenen resoltate nebst 
ihrer begründang zur kenntnis weiterer kreise zu bringen, es ist 
zweifellos eine frage Ton weit nnd tief gehender bedeutung, ob ein 



* griechisches Übungsbuch zur forraenlehre vor und neben Xeso* 
phons Anabasi«. I. teU. yoa dr. Otto KobL Halle 1886. 



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572 Über den didaktisclieii wert des gtiech. AbnngebttcheK yon O. Kohl.* 



neues söhulboch, dessen einflthnmg in haberen lehnnstalien geplant 
ist, alle diejenigen eigensclwften besitzt, welche den beteiligten 
kidsen dauernd nur nützen können, oder ob neben methodischen 
vorteilen nicht doch auch unvermeidliche nachteile anderer art mit 

in den kauf zu nehmen sind. 

Referent ist mit vollster Unbefangenheit und Tomrteilslosig- 
fceit an die beurteilung des lebrbucbes gegangen, dessen Verfasser 
er als ernsten vnd denkenden schulmann aus einem coUegialischen 
zusammenwirken in früherer zeit schätzen gelernt hat. er hat mit 
Interesse die anderweitigen besprechungen des bucbes gewürdigt^ 
unter denen hier folp^ende erwähnt sein mögen: G. Sachse zeitschr. 
f. d. gymnnsialwesen 1886 s. 727 flf. und 1887 s. 131 ff., im ganzen 
günstig; Cbambalu in den jahrb. f. pädagogik 1888 s. 199 ff. 
meist günstig, Fritzsclie ebd. 1889 8. 113 ff., im einzelnen nicbt 
wenige ausstellungen macbend, im ganzen aber günstig; Bender 
im correspondenzblatt f. gel. u. realsch. Würtembergs 1887 s. 560, 
günstiges referat ; Scbmidt in den blättern f. höh. Schulwesen 1886 
s. 184, kurze lobende anzeige; in den directorenconferenzverbnncl- 
lungen von S ch 1 e s w i g - 11 u 1 s te i ii 1889 s. 42 — 43. 77 these 6, im 
princip meist nicht zuaLiDimend; A. von Bamberg in ßetliwiscba 
Jahresberichten über das höh. Schulwesen 1886 s. 194—196. 1887, 
B 402f lobende erwähnung. eine günstige recension in den blättern 
für bayrisches Schulwesen ist ref. nicht zu hftnden gekommen. 

1* Zweck und plan des Übungsbuches. 

• 

Das griechische Übungsbuch von Kohl wül statt abgerissener 
einselstttse» welche nur in wenigen stücken der ersten capitel sich 
als notwendig erweisen , möglichst susammenhttngende Stücke 
darbieten und frühzeitig auf die lectüre von Xenophons Anabasis 
vorbereiten, letztere forderung ist in der that in fast aUen ein- 
seblUgigen directorenconferenzen gestellt worden (Rheinprovinz 
1884 these 8, Ost- und Westpreuszen 1883 tbese 23, vgl. auch 
1889, Posen 1885 these 3, Schleswig- Holstein 1889 these 6). 

Den principien der Herbartschen pädagogik gemäsz soll , wäh- 
rend die grammatik systematische darstellung zur aufgäbe hat, im 
lesebucli durch einen gleicbinäszigen stufen ^^ang vom leichteren zum 
schwereren, welcher die einzelheiten nicht zu spät mit dem gleich- 
artigen zu einem übersichtlichen ganzen sich vereinigen läszt, das 
selbstthätige interesse der schüler geweckt werden, der verf. ist be- 
strebt, mii der sicheren einübung der formen gleichmässig dem stoff- 
lichen mteresse gerecht zu werden. 

Es unterliegt keinem zweifei , dasz diese principien in unserer 
zeit an sich nicht unberechtigt sind, dasz sie den lehrplSnen vom 
jähre 1882 mindestens nicht widcrüprechen, ja dasz sie den forde- 
ruügtjn einer anzaiil vun üuhuluiännern geradezu entipruchen, wenn 
auch die wenigsten so weit gehen | den Vorschlägen VoUbrechU» in 



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über den didaktischen wert des griecfa. übuDgdbuckes von 0. KohL 573 * 

diesen jahrbüchem 1882 zuzustimmen (vgl. directorenconferenz- 
verhandlungen Ost- und Westpreuszen 1883 3. 177 these 25; Posen 
1885 s. 159. 167 these 3; Rheinprovmz 1884 s. 109 these 11, s. 141 
these 11 — 13; Schleswig- HolisUin 1881i s. 42 Ü. ; O^t- und West- 
preuszen 1889 s. 86 ff.), referent bekennt, dasz er sich jenen for- 
deiningen nicht verscblieszeii würde, wenn e& gelänge, ja auch nur 
möglich wttre, ein yollgtBiidig geeignetes flbongsbuch bennistelleii, 
welches den an sich heterogenen doppelzweek einerseits der sicheren 
einttbnng der einseinen formengruppen , anderseits der snsammen- 
hSngenden lectflre mit zweckm&ssigem inhalt nnd classischer form 
in einer toU befriedigenden, den Standpunkt der sohfller weder 
nnterscfaStsenden noch überschfttEend^ weise erfttllen könnte« allein 
ein solches buch ist, wie die sich widersprechenden gntachten Uber 
verschiedene lehrbficher der art zeigen, nicht nachzaweisen. anoh das 
tlbangsbuch von Kohl ist, wie ref. im zweiten und namenÜidi im 
dritten abschnitt zeigen wird, ein neuer beweis dafür, dasz 4n yitinm 
cnlpae dncit fuga , si caret arte', so lange also ein völlig genügen- 
des fibnngsbnch der art nicht vorliegt , hält ref. fest an seinem in 
früheren abhandlnngen nnd recensionen wiederholt ansgesprocbenen 
grundsatze , welchem auszer anderen knndgebnngen auch die aas- 
Sprüche vieler competenter Schulmänner in den directorenconferenzen 
zur Seite stehen, an dem grundsatze: * ein Übungsbuch mit vorwiegend 
einzelnen sStzen für die tertia, mit zusamm en hängenden 
stücken für die oberen classen' (vgl. Gemoll vorwort zu seinem 
Übungsbuche 1884 und zeitschr. f. d. gjmnasialwesen 1886 s. 458; 
Chleb 0 wski jahrb. f. pädagogik 1888 s. 626 ff.; R. Grosser ebd. 
1883 s. 1 ff. s. 344 ff., zeitschr. f. d. gy mnasialwesen 1882 s. 231 ff. 
354 ff. 451 ff., 1884 s. 117 ff. 482 ff. 687 ff., 1887 s. 33 ff, Gym- 
nasium 1883 s. 78 ff.; correferent Schwenger rhein. directoren- 
conferenz 1884 s. 120 ff. referat Andernach; referent Collmann 
Schleswig -Holstein 1889 s. 42 ff. referat Hadersleben, Meldorf, 
Rendsburg u. a. m.). alle diese stimmen darin überein, dasz, so 
langt; Cü gilt, die griechischen formen erst zur eibcheinung zu bringen 
und successiv einzuüben, also namentlich in unteriertia geeignete 
ad hoc ausgewählte einzelsätze unentbehrlich sind ebensowohl zum 
übersetzen aus dem griechischen als aus dem deutschen, wie dies 
sweekmSszig namentlich in den Übungsbüchern von Wesen er und 
A. von Bamberg eingerichtet ist. vor diesem hauptziele ver- 
schwinden alle anderen rüoksichten, selbst die 'anf den geistigen 
Standpunkt der sehüler von tertia, die man nicht mit einzelsStzen 
qnSlen dürfe*, in der that versprechen sich namhafte schnlmftnner 
'von dem inhalte znsammenhttngender stücke nnr wenig verklftren- 
den Schimmer', so lange sie lediglich der einübnng der formen dienen, 
den Wechsel im inhalt der einzelsiltze darf man nicht ohne weiteres 
für einen nach teil halten, wenn man sich nicht einer 'didaktischen 
byperbeP schuldig machen will, wenn anders inhaltsleere oder tri- 
viale sätse müglid^st vermieden werden, ist ein solcher Wechsel der 



574 Über den didaktischen wert des griecb. übangsbuches von 0. Kohl 

beweglichkeit des jugendlichen gern Uteri sogar angemessen, es spre- 
chen aber auch gewichtige gründe gegen das überwiegen zusammen- 
bfingender stücke auf dieser stufe, abgesehen davon, dasz die griind- 
liehe grammatische Schulung in diesem falle leicht gefahr liaft , zu 
gunsien einer sacblicheii leetfire vernadhlSssigt za werden , klfamoi 
snsftiDEieiibingende stfioke imgezwungen , d. h. ohne der logilc md 
der guten sprachform gewalt ansathniiy die einzelnen jedesmal so 
ttbenden formen gar nidit Terelnigen. sie kennen sich aUesfaUs 
in ausreichender weise in tertia nar repetendo auf einen grSszeren 
abschnitt der grammatik znrUckbezielien« sind erst die baatteitte 
gewonnen und behauen, so lassen sie sich anoh leicht zum lebendigen 
ban Terwenden. so wird sich aoeh der bereits formgefibte tertianer, 
der ja das construieren an Gomel ond Caesar schon griemt bat, 
leicht in die Anabasis finden. 

Hieraas ergibt sich, dasz das prinoip,* naoh wel- 
chem Kohl sein Übungsbuch Terfaszt hat, zwar von Ter- 
schiedenen Seiten als richtig anerkannt wird, dasz es 
aber nur nnter der TOranssetzang einer allseitig zweck- 
mäszigen ausfübrnng anspruch auf bürgerrecht in den 
gvmnasien erheben kann, und dasz das entgegengesetzte 
princip des Überwiegens von einzelsätzen auf dieser 
stufe mindestens als gleichberechtigt gelten musz« 

2. Inhalt und anordnung. 

A. Verteilung des grammatischen Stoffes, hierin 
weicht Kohl wesentlich von andern Übungsbüchern ab. wegen der 
gröszeren Schwierigkeit der (In) a-declination be;L^änrit er in cnp. T 
§ 1^ — 4 mit dem masculinum der (2n) o-declination nebst den ad- 
jectiven auf oc und dem neutrum ov; erst in cap. II § 5 — 7 bringt 
er die a-declination; in cap. III § 8 — 10 kehrt er zur o-declination 
zurftck: feminina auf oc, adjectiva auf oc, OV, contrahierte und 
attische declination; cap. IV § 11—26 behandelt die 3e declination 
nach den verschiedenen Stämmen und Wortarten; cap. V — VIII 
§ 27 — 31 die comparatiun, dieadverbia, Zahlwörter und pronomina, 
von denen schon vorher gelegentlich ^KCTvoc , auTÖc^ fej.iöc, cöc, öc, 
TIC, TIC behandelt, hiüd. gleichzeitig mit der Üeiion der nomina wird 
in diesen ersten capiteln bereits ein teil der conjugation, nem- 
lich das actiyum auf uj, auch der composita, geübt, cap. I indie. 
und inf. pcaes. und fot. sowie imperat. U. ; cap. n imperf. ; cap. IV 
ind. inf. imper. part. aor. I part. praes. fot. ao r. con j. praes. cap. V 
opt. elr|V. cap. VI opt. praes. und fut.; cap. Vm ooij. und opt 
aor. , anszerdem an zerstreuten stellen das Tcrb elfii. mit cap. IX 
beginnt die einllb ung d er übrigen verba lform en nach dessen ge- 
ordnet (cBig. IX— XVm % 32—53). cap. XIX bietet die repetition 
und ▼errollstindigung der pronomma. cap. Xm enthftlt dircxpO^- 
jMiTO, cap. XX tvdiiMOti und notif|MaTa, cap. XXI das vocabukr zu 
den einzelnen stttcken. 



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über den didaktifichen wert des griech. übimgsbaches von 0. K<4iL 575 

Im allgemeinen ist diese die conjugatiou zum teil voransneh- 
lueiide anordnuxig zu billigen, zumal sie dem einmal befolgten princip 
der zusammenhängenden btückc entspnclit; iuöbe&ündere ist zu loben, 
daBZ bei den verba muta nicht wie bei Wesen er u. a. die veiochie- 
d^en tempora, sondern die verschiedenen stämme getrennt be- 
lianclAlt Bmd. freilidi ans dem vonrort a. 5 UUzt sich eine klare an« 
^dii Uber das pxuidp des y«r£ mditgewiiiiieii. da» sein übnngsbueli 
SU grammatiken, welche die TerbalflexioB mehr naoh temputst^nmen 
behandeln, ebenso gut passe, als sa denen, welche sie mehr nach 
▼«rbÜBtftmmen bieten, mag nieht bestritten werden. 

Im einzelnen, wobei, wenn nichts anderes bemerkt ist, die erste 
arabische siffer die lanfende nr. des stttckes, die zweite «rentaell 
den aatz bezeichnet, ist folgendes zu bemerken: 

Der versuch , mit der o-deolination zu beginnen, ist nicht nett 
und wird mehrseitig gebilligt, 'weil die vier endungen der a<deoli- 
nation im anfange verwirrend wirken' sollen, vgl» and^ A. v. Bamberg 
in Bethwisehs jahresberiebten f. d. höh« Schulwesen 1887^ B 402. 
ref. ist der conservativen ansieht, dasz jener angebliche vorteil gering 
ist und durch nachteile anderer art aufgewogen wird, der lehrstoff 
der o-dedination, welche ja auch vier bzw. sechs verschiedene endun- 
gen aufweist, wird durch seine Verteilung auf cap. I und III ohne 
not zerrissen. f(^rner kann der schüler die in § 2 zu lernenden ad- 
jectiva, z. b. öiKttioc, biKüia, biKaiOV, ohne kenntnis der feruinina 
nicht verwerten; der wichti,f,'o übungsstoff, weicher in verbinduugeii 
z. b. n küXti vficoc liegt, geht dem lehrer verloren, oder es müssen 
nach cap. II die adjectiva des cap. I noch einmal durehgenomiaen 
werden. — In § 4 soll der imperativ II geübt wei-den, aber das ein- 
zige beispiel dieser ai't im deutschen stUck 10 ist ungenau : 'lieber 
sollten die menschen opfern.' 

Im Inhaltsverzeichnis s. VII ist da^ imperf. zu st. 13 — 18, im 
texte s. 9 dagegen erst zu st. 19 gestellt, während es im vocabular 
und in Wirklichkeit zuerst in st. 17 verwendet wird, zu tadeln ist, 
dasz bieh einige auriütiürmcn vuu mutaslämmen z. b. st. üü dTrtTi6|iijJe, 
58 tXe^e, ebiu^Ea bereits finden, ehe die bildung des nom. sing, und 
dat. plur. von mutastämmen der declination durchgenommen ist, 
sowie dasz 113 und 138 bereits tempora von verben mit unremem 
präaensatamm z. b. ipuXdiSu», lOaOjiacav imd sogar das unregel« 
mtodge cdrcoc vorkommen , wfihrend doch die verfoa mnta erst 183 
gettbt weorden. bedenklich ist auch, dasz noch vor der erlemnng der 
aor. n (168 fif.) formen wie firaTOv, Icpurov, ^ßaXov, dir^6avov 
(53. 56« 138) verwendet sind, Termutlich weil sie eben fflr den er- 
zShlangsttoff nnentbehrlich waren, es steht aber nur £ßaXov wenig- 
stens im Tocabnlar. der lehrer mnsz also hier auf die analogie des 
prüsens nnd imperfects Tcrweisen , kommt aber dabei doch wieder 
in Verlegenheit durch die form dtaTutv (110). eine nnzweekmMszige 
aearreiszong des Stoffes liegt auch darin, dasz das fut. pass. cap. XI 
mit dem praes. pass. zusammen geübt wird, wtthrend es doch nach 



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576 Über den didaktischen wert des griech. übungsbuchea von 0. Kohl. 

seiner Viildung zum aor. pass. gehört, in cap. XIV § 46 soll der 
aor. 11 bühandelt werden; genauer müste die Überschrift lauten: 
aor. II act. und med. diese sind aber bereits yorher § 43 — 45 
geübt ; neu sind in § 46 nur die formen f)X8ov und eUK)v , weldie 
wie cap. XVIII dir46avov und ^Tcvojiriv doch ftberbaapt erst in den 
carsne von Obertertia gehQren. ftberbaupt war es anch sweckmftsn* 
ger, die so schwierige bildiing der tempore II in den genannten 
§§ 43 — 45 noch sa yermeiden und sie erst § 45 vereinigt und ^te- 
mataseh an einselstttcen wa üben, der scbttler mnss doch den über- 
bliek über die bUdnngsgesetze behalten nnd namentlich auch dkt 
ablantsgesetse beobachten, welche in der perfectgmppe neignng 
sn vooallänge (ezcl. 6 zu o) und in der aoristgruppe neigung 
ra vocalkttrze im stamm bekunden, auch sonst sind zahlreiche 
formen dem leaestoff zu liebe notgedrungen antidpiert. davon ist 
wenigstens ein groszer teil, z. b. pronomina, formen von ci^ii einige 
formen der verba auf ^t, z. b. ^bu^xav, dq)f)Ka, boOvot n. a. m., und 
der verba anomala, z. b. fiXOov, ^XOe, IboO u. a. m., in das vocabular 
aufgenommen, allein verfrüht und ohne aufnähme in das voca- 
bular kommen vor; ttoXXoü — TdXriöfl (8), präpositionen (13. 19. 
21. 67), adverbia(19), yr\(iq. (77), nTaTOV (207), ^cpuTOV, dtTTe6avov 
(s. oben), hlr} (165), ^XP^TQ (177), TcOi (18l\ ^oHv (196), ^kX^- 
9r]v (201), poxecm, |Liaxou|U€0a (209;, irapeAriXuBaciv (211). bei 
einem solchen verfahren könnte man scblieszlich auch die Anaba^sis 
mit hilfe eines vocabulai s oder einer präparation in untertertia lesen, 
wie dies Voll brecht m diesen Jahrbüchern 1882 s. 234 ff. alles 
ernstes , aber unter misbilligung des ref. und anderer Schulmänner 
vorgeschlagen hat (vergl. directorenconferenz Schleswig- Holstein 
1889 s. 34). endlich fehlt es auch nicht an seltenen oder unclas- 
sischen formen, welcbe neuerdings mehr und mehr, namentlich vou 
A. V. Bamberg, am entscheidendsten aber in der nur an den text 
der sehulschrifteteller sich haltenden grammatik von Eaegi ver- 
bannt sind, dahin gehören, um nur einige zu nennen, im übungs* 
, buch von Kohl formen wie: dcTpdciv, äfr\xepnoLi, öXrjXtiiifxai, iA* 
pr\y lirXeücOnv (202) , ^|i€vr|8iiv (211), eipapTo, toiHa, toOt* statt 
toOto (148. 205), toOt* (183« 195), die imperativendungen TUfCOV, 
cOiJDcav statt VTcw, c6uiv. auch der dual ist mehr als nötig und ttblich 
angewendet, ein abschnitt über die besonderheiten des angments 
fehlt ganz, wenn auch formen wie cTxov (61), cTacav (178), efXicucav 
(217) gelegentlich auftauchen. 

Syntaktische regeln kommen in nicht geringer zahl zur anwen- 
dung, z. b. über den artikel, die casusrection verschiedener a^jectiva 
(z. b. TrXeiovoc älxa 148) und verba, aussage-, begehrungs-, final« 
nnd bedingungssätze, aec. c. inf. pari, mit und ohne accusativ, prl- 
dicatsbestimmnngen beim inf. und part., opt. in haupt- und neben- 
Sätzen, nicht immer sind die constructionen durch ^dv, Öxav, öc dv 
usw. angedeutet, gehen diese Übungen auch etwas über das bedtirf- 
nis der untertertia hinaus, so ist doch ein eigentlicher Ubelstaad 



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über den didaktischen wert des griech. übungsbuclieB von 0. EohL 577 

liieraas nicht zu besorgen, weil solche constructionen zur einprä- 
gung der formen leichl verwendbar sind, und weil sie die selbst- 
thätigkeit der schüler in anspruch nehmen, welche ja auch schon in 
qninta ut, cum, acc. c. inf., abi. absol. u. dgl. im laleimschen ver- 
wendet haben. 

B. Der Übersetzungsstoff ist quantitativ bei Kohl 
sebr reiohlieh bemessen und trots der entgegenstehenden erklärung 
des verf. in einem jähre nic ht zu bewältigen, es wSre demgem&BZ 
nötigt nicht bloss op. X III. XV l un d XX nnflbersetst zn lassen, 
eyentneU auch XV. XVin nnd XIX für Obertertia su yersparen, 
sondern auch noch einige andere stücke nnr zur hSlfte darchzonäimen 
nnd mit dem andern teile im interesse der remanenien jSbrlieh zu 
wechseln. 

Über dieqaalittttdeB Übersetsnngsstofiids ist folgendes zu be* 
merken: einselsitse finden sich als solche, abgesehen von den ersten 
selten, nnr in geringem masze; sie sind meist demselben stoflFgebiet 
entnommen, z. b. tag und nacht, tagend nnd laster. der weitaus 
grdste teil enthält pnnoipieU znsammenhängende Übungsstücke, 
die anÜBUigs lose an einander gereihte einfache, bald aber in zu- 
nehmendem masze anch zosammengesetzte nnd subordinierte sätze 
enthalten. 

Ein wesentlicher Vorzug ist es, dasz die stücke zum grösten teile 

den vocabelschatz von Xenophons Anabasis cap. I — IV enthalten, 
der stoif ist der griccbischen tierfabel, der heldensage und der ge- 
schichte entnommen, (mt-spricht somit dem historischen bildungs- 
stoffe der sexta^ quiuta und quarta sowie der lectüre aus Cornelius 
Nepos. 

Daneben fehlt es nicht an sätzen, die der Sittenlehre oder dem 
täglichen leben entnommen sind. 

Ein unleugbarer vorzug ist ferner, dasz die zu einem gramma- 
tischen abschnitte gehörigen formen möglichst in einem sttlcke 
vereint sind und ziemlich vollständig geübt werden, ebenso ver- 
dient es anurkennung, dasz die deutschen stücke fast durchweg 
Variationen der vürausstebendün griechischen bind, es entspricht 
dieses didaktische verfahren dem heute mehr denn je empfuhlenen 
streben nach concentration , wie denn jeder denkende lehrer auch 
den Stoff zu den extemporalien regelmSszig der letzten dassenlectüre 
unter berticksichtigung der durchgenommenen grammatischen pensa 
entnehmen wird« ganz abgesehen davon, dasz jenes verfahren dem 
Schiller die arbeit erleichtert, weil sie sich auf bekanntem gebiete 
bewegt, wird der sehttler genötigt, die griechischen stttoke von 
vom herein mit grösserer anfinerksamkeit zu lesen, an einigen 
stellen bei Kohl ist freilich die Variation nicht viel mehr als eine 
wörtliche flbersetzung, worunter die selbstthStigkeit leiden kann, 
vgl. z. b. 184 ccoucfi^voc b* 6 Mibctc oök ^iroOcoTO t&ßpiCuiv nnd 
dazu 186 ^als Midas gerettet war, hörte er nicht auf übermfltig zu 
sein'. 1, 1 6 6€dc ßociXeOet toO köc^ou fiberflüssig neben 1, 3 toü 

II. jßhA, f. phil. tt. pid. II . abt. ISBO bft. U. 87 



578 Über den didaktiflcben wert des griech. Übungsbuches von 0. KohL 

k6c|liou ßaciXet^ei 6 9€Öc. vgl. die uulogiachen sätze S8 a. e. und 
92 a. e. 

C. In dem am schlusz gebotenen vocabularium ist zunScbst 
die grosze zahl von vocabeln bedenklich, auf 33 selten sind ohne 
die eifirennamen mit ihren abgeleiteten adjectivon etwa 1S65 Wörter 
oder iörmen zu lernen, was in unlerierlia das iiölieren ortes be- 
schränkte zeitmasz für die häuslichen schülerarbeiten nicht unerheb- 
lich überschreiten lassen würde, so musz es also jedesmal dem mehr 
oder weniger gltteklicben takte des einzelnen lehrers ftberlassen bliei- 
ben, die znm'niMnorieren «itbehrliohen Tooabeln selbst aoszusoheidett 
und sie den scbülem zu bezeichnen, was doeb der yerf. Tonyom berein 
darcb verfinderten druck besorgen konnte, anderseits fehlt es an 
vocabeln TOn bedeutung; so sind für das a impumm in 13* 15« 17 
nur fünf Wörter verwendet, noch bedenklicher ist es, dasz die voca* 
beln nur in der reibenfolge aufgeführt sind, wie sie in den einzelnen 
stücken zum ersten mal vorkommen, dadurch wird es dem schfiler 
schwer, wenn nicht unmöglich, für die sinteren stflcke oder für 
repetitionen die etwa überschlagenen oder vefgessenen vocabeln auf- 
zufinden, es wSre zweckmäsziger gewesen, die vocabeln alphabetisch 
zu ordnen und dabei auch die zusammengehörigen Wortarten und 
Stämme übersichtlich zu machen, der verf. hat im zweiten teil für 
Obertertia die vocabeln des ersten und zweiten teils allerdings alpha- 
betisch zusammengeordnet; hier ist das jedoch .ziemlich nutzlos, 
wenn der schüler nicht genötigt wird, beide teile zusammen zu be* 
sitzen oder zu gebrauchen. 

Es ergibt sich hieraus, dasz das Übungsbuch von 
Kohl seinem inhalte und seiner anordnung nach, so- 
wohl was den grammatischen stoff als was den über- 
se tzungsstof f an sieh anbetrifft, zwar im einzelnen noch 
mancher berichtigung oder beschränkung bedürftig 
ist, aber im ganzen wohl gebilligt werden kann. 

3. Die formelle gestaltung des Übungsbuches 

erweckt dagegen gerechte bedenken, zwar wird der satzbau an sich 
weder im griecfaischen noch im deutschen besondere Schwierigkeiten 
für die ttbmetzung bietm. aber sehr vielen, wenn nickt den meisten 
sKtzen haffcet eine trockenheit, eintönigkeit und schwerfiüligkeit an, 
welche nur zu deutlich zeigt, wie dem methodischen prindp zu 
liebe die mustergültigkeit des ausdrucks geopfert ^ wie mit sauerem 
schweisz der spnche gewalt angethan werden muste. 

A. Die griechischen ttbersetzungsstftcke können allen- 
falls noch als im allgemeinen zweckdienlich gelten, obwohl auch 
ihnen vielfach, wenn nicht gröstenteils, das gewand olassischer ur- 
sprünglich keit fehlt, und manche trivialitäten wie in den entspre* 
pendln deutschen stttcken anhaften, als proben von germanismen, 
unclassischen, unlogischen oder uncorrecten ausdrücken wetden fd- 



über den didaküschen wert dea giieoh. übungsbachea tou 0. Kohl. 579 

gende verbiiK^ungen angeführt: 1, 1. 2. ßaciXeuei ToO k6c|liou. 
1, 13. dceßticx Ka\ bixaiocuvii dbeXcpd dcTiv. 1, 14. eic töv 
oupavov ToEeueic. 3. o\ veoi mmvouev toTc rraXaioic statt 
YepmoiC. prädicatslose kurze Sätze wie 22. övou CKid. 48. Xukov 
TTOiiLi^va. 73. XÜKOu cTÖ|jiaTOC. 141. KaTTTiaboKec usw. 157. 
Nioßn^^ 7id8n sind auf dieser stufe unfruchtbar. 32. ö voöc ßaci- 
Xcuct (vgl. 47, 2. 52, 13). 43, 6. KaBapd iciiv t6 irOp Km 6 
ai8»ip. 65, 4. töv tflc 'Apx^mboc voöv X^Huj. G7, 3. arro toO 
TOU "CptuTOC ßuj|iOu. 68, 2. 3. oi be TrepioiKoi auioic froic Crrap- 
TittTaic) OUK T]cav icor toic yctp TiepioiKOic 6,uoiqti]c fiv xal 
Tujv CirapTiaTOJV kui tujv GUubiojv. 68. Trj tojv CtiapTiaTuiv 
veötriTi qpiXov fjv. 73. tuj CTpaTeujiaxe. 76. Tfjc ceXrjvnc Xa/i- 
iToucnc a\ vÖKTCC oÖK cici CKOT€ivai usw. 88. €l |Lif| fjv *AXißav- 
bpoc, AiOT^vTic fjv statt ^ßouXöfinv &v Aiot^vnc cTvat. 88. to€ 
lA^v odv *AXKtßtdbou j6 tou ßiou t^oc fjv aicxpov, toO 
nXdTUJVOc futdriT^c fjv 'ApicTor^Xric usw. 113. ^äv dvbpac 
''€XXi)VO(c 0au|id2:wfi€V (statt wenigstens ei e. ind.), xa) irvvalicec 
AStai eictv usw. 6i€ t&P osw. 115. bi* otvov f| öböc o(rn)i ^ 
oTkou I^Ktti, oOk Icn jiiot bi\\i\, 129. ti|^ . . . XariV üirvoc tXukuc 
f)v (d. b. KaT^bap6€v). 129. eic t6 x^XcOvtov &90C 6&) od (^ibiuic 
i^Ket. edpu bk xai ßaOO bv jkfbiuuc toIc xopbak 4bo^Xeu€v 
(wer?), eupeiric bfe rilc XOpac fJv '€p^nc. (wer die sage nicht 
kennt, findet in dieser Satzverbindung schwerlich einen sinn.) 169, 
diC oöcav statt oök. 171. ircivTa ^TTOir|0r| tva. 187. TOi- 
auTTiv TrjV (purnv (Wortstellung I). 187. toö ßaciXeojc (Perser- 
könig). 189. OUK statt oö am ende. 189. t6 nöp IkXcmic . . * 
Ktti kckXcilivi^vov tö TTup . . . liröpiZc 199. iKpa^ov statt 
dv^Kparov. 199. f| ßoOc iTraucaTO statt ficuxaCev. 214. Te- 
0vr|Eo^ai, T€0vr|Er} statt Te9vr|Huj. 0I irpÖTCpov t^voivto statt 
iflvovjo, 211. Aapeioc tou ckottoO dir^KXivev. 219. tov ttövov 
eivai TO KpdiiCTOv ctfotüov. ^ibnliche härten finden sich auch 
sonst noch öfter, auffällig ist auch die gezwungene Verbindung z. b. 
32 anfang. 47, 2. 49, 2. 51, 13. 205, 11 enei U dreimal hinter ein- 
ander, wiederholt begmuen mehrere sätze nach einander mit b^, 
welches z. b. in 142 in 14 sätzen 14 mal steht, geschmacklos sind 
die häufungen von comparativen und Superlativen 135 und von per- 
fecten 153| während diese ttboogen in einzelsätzen nicht befremden 
würden. 

Ferner ist in dem schulbuche von Kohl zu rügen der durcliaus 
inconbequunte gebrauch des v dqpeXKUCTiKOV, Wülchci ülint) 
regel in der mitte wie am schlusz der sätze bald vor consonanten, 
bald vor vocalen bald steht, b ild fühlt, ^vLibrcnd es nach den besten 
texten und grammatiken ausnahmslos vor vocalen, sowie am ende 
eines satzes, also vor einer gröszeren interpunction stehen soll, wenig- 
stens doch, wenn der folgende satz mit einem Tooale beginnt, im 
druckfehlerTeneiclmis s. 160 ist denn auch eine form imreOouov 
s. 12 st. 25 z, 9 berichtigt , wlbrond derselbe fehler auf vielen an- 



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580 Über den didaktischen wert des griech. übuugabaches von 0. KohL 

dern seifen wiederholt stehen geblieben ist, z. b. stück 1. 3. 5. 17. 
25. 37. ;)8. 48. 61. 58. 62. 65. 67. 75. 77. 78. 83. 87. 88. 89. 100. 
103. 104. 113. 114. 125. 126. 127. 128. 129. 134. 13,8. 163. löO. 
163. 177. 190. 195, 199, 201. 205. 207. 211. 217 u. a. m. 

Auch in der inter punction bei vocativen und participial- 
Sätzen harscht inconsequenz, z. b. 19. 43. 125. 214 u. a. m., vor 
^tuc 167. 

B. Die deutschen Übungssätze und stücke geben m 
ihrer äuszeren fasBung zu schweren, ja entscheidenden bedenken an- 
lasz. statt den Bdifliam das aUariBelie fMlialteii an gelernten aas- 
clrttclcen nnmöglich zu maehen und sie zar mnschau niudi bekannten 
synonymen, also zum naefadenken zn zwingen, will der verf. ea ihnen 
recht beqaem machen dnreh möglichste anlehnung an den griechi* 
sehen text. dieses bestreben nnd zugleich das bemtlhen, bestimmte 
gntppen- Ton einselfonnen in sogenannten zasammenhSagenden 
stttctoi k tout priz zur endMinong und einttbnng zu bringen, haben 
zusammengewirkt, dasz die deutschen sfttze sieh fast durchweg stei^ 
gezwungen und schablonenhaft einftthren, und dasz sich fast auf jeder 
Seite einerseits zahlreiche grScismen und härten des ansdrucks, ander- 
seits auch gedankensprünge oder unlogische gedankenverbindungen, 
sowie Zweideutigkeiten in den beziehungen und viele trivialitttten 
finden, nicht selten ist eine falsche inverdon des subjectes ohne vorauf* 
gegangenes adverb oder object, zuweilen auch eine falsche infinitiv- 
construction angewendet, unangenehm berührt es , dasz wiederholt 
mehrere sätze hinter einanc^er mit denselben verbindungspartikelu, 
z. b. 'als aber', ^nachdem aber', Ma', 'nun' und vor allem durch das 
unauihöriiche 'aber' eingeleitet werden, letzteres begegnet uns in 
manchen stücken 14 mal hinter einander, bald bomo^^^ene, bald hete- 
rogene Cfcdanken verknüpfend, ofifenbar boU es dem viel o-ebrauchten 
griechischen bi entsprechen, allein es :>ollte doch heute ein über- 
wundener Standpunkt sein, die lediglich coordinierende conjunction 
(vgl. besonders Horner) immer durch 'aber' zu übersetzen; vielmehr 
heiszt hl 'aber' nur in adversativen, sonst 'und' in coijulativen, 'da*, 
^dann' in localen und temporalen, 'denn' in causalen, Mäher' in con- 
secutiven sützen usw. solche stilistische härten und fehler, in tertia 
einmal angewöhnt, sind später selbst in prima nur schwer auszu- 
rotten, darf man schon von mflndlichen und schriftlichen Übersetzun- 
gen aus dem griechischen bei der noch so strengen fordemng wort- 
uad sinngetreuer wiedergäbe keine undeutsehen oder fehlerhaften 
Wendungen dulden ^ so sind dieselben in einem doch als antoritit 
auftretenden schulbnche geradezu gefahrbringend fftr den geeehmaefc 
unserer Jugend« die der besten stilistischen Torbilder so dringend 
bedarf, und IDr die das beste gerade gut genug ist. 

Nun aber wissen wir lehrer des griedbischen ans erfahmag, was 
auch der ministeriaUerlasz vom 22 december 1887 nr. II 279$ Aber 
die abiturientenscripta hervorhebt : 'die griechische spräche schliesit 
sich ... so leicht und yoUst&ndig an das deutsche an, dass die ge- 



über den didaktischen wert des griech* übungsbuclies von 0. Kohl. 581 

nanigkeit und strenge der Übersetzung nicht durch eine undeuljsch^) 
form erkauft zu werden braucht.' 

Be&chtanswert aber für das oben zu 1 ausgesprochene bedenken 
ist, dasz Kohl bei all seinem unverkenübaren bemühen an vürscliiu- 
denen stellen gerade in denjenigen fehler verfallen ist, welchen er 
principiell yermeiden wollte, um nemlich die sogenannten inhalts- 
leeren einzelsfttze' zu umgehen, bietet er zwar anscheinend znaam- 
menhlngende stileke \ aber diese enrnaen sidi bei genauerer betraob- 
iung anä nur als einzebttte, die SnezerHch an einander gereibt, nur 
die ttbersobrift oder das BtoQgfebiet gemeinsam baben, zum teil nicbts- 
sagend sind, dadoreb werden scbwerlicb die treffend ge w Sblten einzel- 
sSise anderer ttbungsbflober, webshe, wie s« b. das von A. t. B a m b er g, 
manobe goldenen worte enthalten ^ in den schatten gestellt werden, 
ref. ist es der saohe scbuldig, eine wenn auch nicbt erscbl^pfende 
bliLtenlese aus Kobls bacb hier Torznitthren, einmal um sein nrtal 
SU begrdnden, sodann um dem strebsamen verf. zu zeigen , wo er 
an seinem sonst so fleiszig gearbeiteten ttbongsbuche die bessernde 
hand anzulegen hat. die ausgewählten sätze geben teils nach dem 
inhalt, teils nach der form, teils in beiden beziehungen anlasz za 
bedenken: 2. du dienst der rede gottes. der bruder vertraut den 
sdbnen des braders . . . 10st gefahren, löst schrecfc«ei« äcker dienen 
den menschen, die lehrer erziehen die söhne der menschen, bar- 
baren töten und opfern barbaren. die sklaven dienen den herm. 
sovp'ohl schlaf als tod löst die mühsalen . . . durch mülisalen. 
4. wölf(3 besitzen list. viele haben furcht vor den wölfen. die 
Sklaven sind den freien entgegengesetzt, vgl. auch 12. 14. 30. 
34. 44. 49. 52. 97 u.a.m. 6. und die keulen sind von starkem holz 
und die sehnen der menschen sind stark, es gibt auch speere von 
holz und mit den Speeren jagen sie(?). sache des heetesiat ea, feinde 
zu töten, die Srzte aber heilen, die Athener führten auch gegen 
Lakedämon krieg, die ande r n menschen opfern den göttern and ere 
lebende wesen, sowohl wilde tiere als auch schafe und stiere, von 
den barbaren einige aber auch menschen (!). um die felder sind oft 
bäume, auch um die hauser und tempel der alten war en oft bLLume. 
12. über Hesperien waren .. . viele könige. 14, bcbuld aber sind 
die tugenden, die laster aber usw. durch den sieg der tap ferkelt 
ist der staat und das königreich glänzend, infolge von flucht und 
niederlege aber ist er (?) gelmecbtet. 16. das land aber nsw« 18. die 
Tbermopjlen usw. anstatt der warmen tbore beiszt es warmtbor, 
denn es ist leidit fttr die spräche. denTbermopylen nnn vertrauten, 
weil sie eng waren, die LakedSmonier and Athener nnd Böotier und 
hemmten (Inversion des sul^jeots I) viele Isldztlge leicht. 22, aw51f- 
mal *aber', dreimal ^nnn*. Spartaner aber waren es dreihondert, 
dabei waren aber nuäx viele diener; die Soldaten des Leonidas aber 
waren nicht jtngünge, aber anob nidit alte lernte (I). 24. die gOtter 
. . • trauten dem Hernes; denn (I) sie schickten ihn als boten. 
26, von Ainca ist die wllste usw. auf den w^en, die nicht zahl- 



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582 Über den didaktischen wert des griech. Übungsbuches von 0. KohL 

reich und (xai oder oube?) gefährlich sind, durch die landzunge 
war ehemals der anfang eines kanals ; . . . führen pferde oder kameele 
die menschen. l\ ub dem Peloponnes nach Attika führt der Isthmus. 
29. und die einen . . . von den alten waren am meisten berühmt 
die ärzte der Ägypter wegen ihrer Wissenschaft; es waren aber auch 
einige (?) unter den Persern, die sprachen aber waren verschieden 
ond die der Ägypter sowohl wie die der Perser sind sohirer« 30. die 
Seelen der menschen sind nnsterblicli, die andern teile (!) aber 
sterblich, rahm . • • ist . . . schlecht. 34 dient. 35. die gesinnimg 
der ungerechten ist nicht schön. 36. auch die becfaer der rradien 
waren ans gold oder silber. auf der höhe (!) von Athen stand eine 
Athene von erz, der andern Athene haar war von gold* aeitalter, 
glanhten die alten, seien das goldene usw. 40. von den hasen* es 
gibt waldhasen ond feldhasen. die baaen jagen wir. die hasen sind 
aueh die beute anderer(!) wilder tiere und (!) bisweilen (!) jagt 
der adler einen kleinen hasen (I). 44. von den tieren, welche in 
der luft sind, kommt der adler ans der luft auch in den Stber. 
45. dem Hektor vertrauten die andern brüder nnd schwestem: 
'0 Hektor^ mache dem feldzug des Menelaos ein ende.' 45. 46. 'aber 
. . . aber'. 46. dem fener dienrt vieles. 49. aus einem hafen geht 
die Schiffahrt durch das meer iy einen andern hafen usw. die Griechen 
schickten Griechen in andere länder. 52. 'aber' von den Griechen 
kamen immer viele nach Delphi: o Apollo, wir flehen, nm Apollo 
waren auch die Musen, die Mosen aber tanzten auf den wiesen, 
dort war die schlacht bei Marathon; denn die Perser zogen auf die 
wiesen von Marathon, 'als aber' . . . 'aber', hatte riibm infolge 
seiner pLilüsopiiie. 54. und dem schönen und unbesonnenen gaste 
vertraute Helena, die fiihrung nur der barbaren gehörte dein 
Hektor; tapfer war aber auch Aeneas. als aber Alexander einen 
kämpf gegen Menelaos lint to, Üüh er. bundesgenossen des Priamos 
waren die nachbarn (gedankenverbindung!). der krieg aber war 
von einer länge von zehn jähren, da tötete usw. 54 wiederholt 
'aber'. Alexander der Macedonier war Alexander, dem söhne des 
Priamos, nicht ähnlich, sondern dem Peliden usw. 56. so- 
wohl die erde als das meer ist voll salz usw. die Schiffer aber 
waren voll begierde; yorher aber singt Arion* 60. einer der OyUo- 
pen aber war Polypbem. nnd vom schiffe ans bunen sie in j enes 
hXMe, als aber der Cjidop die sehafe (?) von der wiese (?) in die 
hohle führte, sagte der Laertiade: o Cyklop, gerechte nnd unglaok- 
liehe see£shrer sind wir* der aber sagte: die saohe des lierrn(?) 
ist es, die diebe (?) zn tOten; es (?) wird eine gute mahlsat sein, 
da war jener blind (!)• 63. da nnn der hnnger des fdchses schlimm 
war» 64. mit den peitschen schlugen die Griechen ihre Sklaven; 
mit den trompeten aber (I) befahlen sie den Soldaten in das feld 
anziehen, es waren aber auch viele herolde im beer, denn die 
sprachen waren allerartig(!). den Leonidas nun tötete Xerxr^, 
wurde aber (inversionl) nicht herr Uber das griechische land. do, 



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über dea didaktiBchen wert des griecb. übungsbucheä von 0. Kohl. 583 

opfere deine tochter Iphigenie, denn das ganze beer hast du gesam- 
melt und die gunst der Artemis yerscherzt (Inversion ?). 70. 1 eieh t 
waren die waf fen der leichtbewaffneten nnd grosse sohnellig- 
keit lag in ihren fttsselL 71. in Athen gab es nicht nnr wettkllmpfe 
mit den fftszen, sondern anch mi t den fackeln, sowohl der Schnellig- 
keit, als der gewandtheit. es waren non die ersten die, deren 
fackehinoch glänz hatten. 72. Lakedttmon hatte frflher andere 
bllrger inne aU spftterQ). dann(!) waren die^ welche es 
früher hatten, entweder heldten oder periQken • . • und hatten 
(snbjectl) arbeit und aehweiss aber auch gefahren, denn bisweilen 
jagten 8ie(?) die Jünglinge der Spartaner wie hasen oder vögel; das 
jagen aber war der jugend lieb. vgl. auch 29, 5. 79, 9. 74. be- 
rühmt sind die thaten der heerftthrer; oft aber sogen 8ie(?) zu 
wagen in das feld. es gab nun dort viele wunden, feige aber(!) 
nnr wenige (?), die meisten (!) tapfer und ihre leiber stark* tapfer 
war auch Nestor; sein körper aber war nicht mehr stark, sein mund 
aber voll guter werte wie voll honig ... in der Odyssee usw. (in- 
version). 79 oft 'aber*, den schlangen trauen wir nicht, den elephan- 
ten aber, wenn sie zahm sind, vielef!). und auf den elephanten, 
welche dienten, 7ogen die alten vn felde. und der diener usw. 
80. das licht der sonne ist h e 1 L bisweilen aber auch das licht 
des mondes(!). die greise haben oft diener. 81. dio Athener, so- 
wohl die Q^reise al s die jünglin?e usw. Sokrates jiber, obwohl 
er greis war, diente ihr nicht, sondern, indem er seine wüÜen hatte, 
sagte er: 82. als der löwe kam, zog, da er es befahl, der fuchs 
seine zähne aus. der lÖwe war ein geläch ter(!). 85. nach dem 
tode des vaters wird der söhn, wenn er mann ist, sagen: o vater, 
ich weisz dir vielen dank! er soll es aber dem vater auch früher 
sagen, sachü der greise ist es, ruhij? im hause oder im Vater- 
land zu sein. 91. 'aber*, 'aber' (gedankenverbindung!). 92. Alki- 
biades war nicht fromm und mehr ein freund des ruhmes; nun 
war sein lebensende nicht schön . . . und es bestand wieder die 
freundsobaft der brttd«r. um Plata war anoh Aristoteles, weleher 
den Alexander erzog, den Aristotelee verehrte Alexander, hörte 
aber auch (inyersionl) auf die reden des Diogenes, wenn ich nicht 
Alezander wSre, wttrde(!) ich Diogenes sein. 94. des Themistokles 
rühm ist die schlaeht bei Salamis; Th. gründete aber auch den 
neuen hafen. 101. 'aber', 'aber*, mit kraft des kdrpers. vor dem 
tode abor hiesz Ibjkus kraniche den frevel in der Stadt ans eigen(!). 
die aber fahrten nicht Ibykus selber, sondern die leiche in die Stadt, 
jene worte gaben die handlimg der rSnber an • . • den Sprecher und 
den hören 102. Cyms hatte aber nicht nur barbaren, son- 
dern vertraute am meisten den abteilungen der G-riechen. und 
mitCyrus zwar war es h inaufmarsch, nach der schlaeht 
aber hinab marsch. 106. als aber . • • als aber. 119. wenn wir 
den reden der alten vertrauen; so waren die Amazonen fi-auen, 
welche ritten und mit den eignen hftnden schössen und die männer 



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684 Über den didakfücliMi wert des griecfa. fibmigsboches von 0. Köhl* 

töteten, bat er nicht das ende des lebens. 120. oft, wenn in dem 
bofe des latidmanns viele kttbe sind, dienen die mSdchen, welche 
die milch schöpfen, einer alten frau(l). die alten frauen er- 
zählen viele sagen. 131. 'aber% *aber'. 131. Proserpina war lieb- 
lich ^ sie gieng aber nicht freiwillig mit Pluto in die Unterwelt* 
als aber Pluto sie von der wiese wegführte, sagten die andern (?) 
mftdchen unglücklich: o unglückliche t o c h t e r ! glücklich, sagten 
sie, sei der in den mysterien seiende. 133. aber usw. denn 
die basen sind eine angenehme mahlzeit. er hatte einen wett- 
kampf des laufes. 136. 137. gedankenverbindung ! 137. dreizehn- 
mal 'aber', vgl. auch 139. 144. in Attika war die geringere 
münze aus kupfer, die gröszere (?) aber aus silher. 145. ein 
schönes pford kostete 9 mineii , das pferd eines landinannes 
aber 3 minen. löO. *aber' usw. Kailimachos war kriegsm i n is ter. 
151. die Schüler hatten einen Wettstreit um Weisheit, einige be- 
saszen auch Übermut. 158. und ich h^he usw. o kinder, ihr 
seht den Übermut der lächelnden Niobe. dies war damals die 
strafe, noch jetzt aber ist sie(?) ein felsen, welcher weint. 
161. als — nachdem aber — da aber, er mis traute, was er 
thun würde. 162. als aber Miltiades die barbaren bei Marathon be- 
siegt hatte, liesz ihn (d. i. den Themislokles) das Siegeszeichen 
jenes nicht mehr leichtsinnig sein. Iü4. MilLiadbü, da er die 
wunde hatte, sprach. 168. dem Lykurg wurde eine gesetzgebung 
anvertraut, früh wurden sie aus den betten geschickt, das 
rohr mnste aber von ihnen aus dem Enrotas in die betten getragen 
werden, aber — abernsw« vgl. anch 176« 180. 198. 194. 185« wäh- 
rend dem. 186. Uber die mnsik wettkSmpfen. 192« aber es 
ist unglaublich, dasz sie zasammen erzogen wttren. 198. 200. 
schrieen auf . . • schrie. 203*. das beste, mit guter speise lebst 
du nicht am angenehmsten, sondern indem du tagenden ttbst. 
203 ^ Nyktens wurde betrUbt, es genügten ihm aber ... er 
freute sieh.. «als aber . . , klagte er. als nun gehört wurde 
. . . nach Kadmea . . . de|m sie hat gefrevelt, da (?) hörten (?) 
jene brüder, dasz Antiope ihre mutter war. Dirkes gemüt wurde 
von furcht erschüttert (Zusammenhang I). 204. Überschrift: 'wie 
Afirica nicht umschifft wurde.' als . . . als aber, ich werde gern 
um Africa herumfahren, ich hoffe, dies werk nicht vollenden an 
werden (!). aber das meer schien ihm schrecklich, und Africa wurde 
von ihm nicht umfahren, sondern 8ie(?) fuhren wieder. 208. nicht 
nur, sondern die meisten sitten waren anders^ so dasz die 
hörenden denen, die berichteten, kaum glaubten ... er gelobte, 
ihr opfern zu werden(!); als er aber nachts opferte . . . und 
— und — als aber — als aber. 210. die andern sitten der 
Skythen, sagt Herodot, seien nicht bewundernswert, eins aber, 
ein sehr bedeutendes bewundert er; niemand nemlich . . , 
entfloh uöw. auch die macht des Darius erschütterten sie (?) . . . 
aber . . . aber auch, sondern nnder wurden von ihm geweidet 



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über den didaktiaohen weit des griech, flbmigBbiieliee von O. EdhL 585 

nnd xeistrent sieben 8ie(?). wenn Bie(?) nun kämpfen, werden 
jene(?) ?on uns remiohtet werden, da sie aber — wenn wir — 
aber — als aber ^ als aber — als aber. 212. jene aber sehfimten 
sieb niebt vor der verwandtsobaft and blieben, als aber — als aber 
— wenn aber — wenn aber — da aber — als aber — nun aber — 
nachdem nun — als aber. Tgl. ebenso 216. 216. ▼on den sndem 
wurde Sokrates Yerurteilt, weil sie, ab er sieh Tsorteidigto, er- 
bittert wurden. Sokrates sagte vieles, om sie laflbeneden (llber- 
seogen). diese beispiele mögen genügen« 

Dasz Kohl fOr die griechischen namen zur Übung die römischen 
gesetzt hat, kann gebilligt werden; doch findet sich 122 erst *Marfi% 
dann 'Ares', in orthographischer hinsieht ist zn rügen: der 
seiende, das beste, bedeatendes, vgl. 131. 203*. 210. 

C. Der äuszeren ausstattung und dem druck ist un- 
verkennbare Sorgfalt gewidmet, gleichwohl sind noch viele druck- 
fehier stehen geblieben, auszer der Ungleichheit in jip pp und den 
vom verf. selbst am schlusz des ersten teils s. 160 angeführten 25 
und den im zweiten teile nachgetragenen 30 druckfehlern hat ref. 
noch folgende gefunden: s. 44 z. 5 v. u. Aibrjv ohne zeichen, s. 87 
z. 14 v.u. dicht statt dich. s. 90 z. 6 v.o. X^tom^vluv. s. 103 z. 10 
v. o. tout' statt toOto. s. 129, 7 6 fjXoc ohne u s. 129, 8 nuic 
2 statt 3. 

Ref. fasztsein urteil schlieszlich dabin zusammen: der plan des 
übungsbuclies von Kohl, der inhalt und die methodische 
Unordnung des s t o f t e s haben von einzelnen a u s ö t e 1 1 u n - 
gen übgüieben zwar anapruch auf beacbtungj dagegen 
kann das Übungsbuch in seiner gegenwärtigen gestalt 
noch nicht für voll geeignet zur Verwendung im sebal* 
nnterrioht angeseben werden, weil der Verfasser, ans* 
sobliessliob geleitet Ton der absieht, seine sohlller im 
grieehisehen sn förderni es an rttoksioht auf die allge- 
meine sehnlang nnd insbesondere aal die pflege des 
Sinnes für die mnttersprache sn o^t hat fehlen lassen, 
hier nnd da aaoh nicht die nOtige besohr&nkang nnd 
conseqnenz beobachtet hat. es iSsst sioh aber von dem verf. 
mit vollem rechte erwarten, dass es ihm in einer neuen bearbeitang 
oder aufläge des Übungsbuches gelingen wird, die mängel zu be- 
seitigen, an welchen dasselbe jetst leidet, es empfiehlt sich, hier nnd 
da lieber auf ein sasammenhängendes stück mit gezwungenen 
gedankenverbindongen su verliebten und dafür zur Übung geeignete 
einselsätse zu bringen, ref. zweifelt nicht, dasz das buch in verbes- 
serter gestalt weitere Verbreitung finden wird. 

WmsTOOK. BiOHAxo Quosann. 



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586 Nochmab taoOcioc. 

64. 

NOCHMALS eniOYClOC 

Obwohl nichttheolog und daher d«i rOatzeugs der bibelkunde 
entbehrend, versnchte der unterzeichnete, angeregt durch die wieder- 
holte behandlung dieser frage in dieser sowie in theologischen Zeit- 
schriften, das rtttaelhafte wort vom philologisch- antiquariscben Stand- 
punkte zu erklftren. and zwar war der leitende gesichtspnnkt für 
ihn der, dasz jedes gleichnis und jedes bild in Christi reden von dem 
Standpunkte derer zu interpretieren ist, zu denen der berr gerade 
sprach, dasz also auch hier palästinensische zustande zu berückgich- 
tigen sind, dies beweist das so häufig gebrauch le bild des 'biotes' 
im sinne von nahrung überhaupt, was nur für den Südländer passt, 
dessen hauptnahrung brot bildete, fragen wir nun, was für brot die 
zuh5rer Christi, vor denen er die Bergpredigt iiiolt, zu essen pflegten, 
so ist ganz unzweifelhaft, dasz die mehrzahl dem kleinen mittel- 
8tande der landleute, birten und fischer angehörte, deren nahrung in 
gerstenbrot bestand, darum zu beten lehrte sie Christus und über- 
liesz es für den fall der weiteren ausbreitung seiner lehre jedem, 
sich sem Lägliches ^brot' so vorzustellen, wie es seine Verhältnisse 
mit sich brachten, dasz aber die leute, welche Christi worten an 
unserer stelle lauschten, gerstenbrot zu essen pflegten, beweist teils 
der umstand, dasz der roggen im altertun unbekannt war, mitbin 
der weniger bemittelte, fir den das weiaenbrot an teuer war, eine 
andere wähl gar nicht hatte, teils die ansdrttokliche angäbe loann. 
6, 9: Icnv iraibdpiov il>b€, öc Ix^i rtivre dpTouc KpiOivouc Kol 
b6o dipdpia. was heisat also dmoOcioc? nach unserer meinong 
enthält jede erklinmg, die einen seitbegriff hineinlegt, einen pleo* 
nasmus infolge des spftteren zusatses c^ijiiepov (tö xctO^fm^pov), der 
die zeit in vQllig ansretehender weise bezeiohnet. ebenso wSre f|fiiXiv 
dem fmlv gegenüber überflfissig. sehr passend dem sinne nach wire 
die erklärung 'binreichei^d' von KamphÄusen-Münscher (neue jahrb* 
1890 s. 113), aber die ableitung von ^m-€Tvai wird durch die an- 
geführten beispiele nicht wahrscheinlicher, das natürliche bleibt die 
ableitung von ^ir-t^CU, da die gründe, welche in ^meiKlflc und diri- 
opxoc das t conservierten, bei efvai nicht vorliegen, es liegt dem 
Imoucioc nach unserer ansieht jedoch nicht f| ^TTioOca (sc. f\ixipa) 
zu grnnde, sondern tnioucioc ist entstanden aus €tt-i6vt lOC durch 
anlügung eines suftixes an den stamm des participimiis { vgl.dBeXuJv— 
^GeXoucioc). dieses suffix verändert die bedcutung des verbumsnur 
insofern, dasz es die einmalige handlung in eine wiederholte, an- 
dauernde verwandelt, ^m^vai heiszt nun 'hinzukommen', und daraus 
entwickelt sich der begriff der folge in der zeit, so heiszt dmoöca 
f^fi^pa schlechtweg ^der folgende tag' in seiner ganzen ausdehnunsr, 
nicht blosz *der anbrechende tag' (Thuk. VII 74, 1 : IboHcv üutüic 
Ktti T^v tniüijcav f|fitpav Ttepipieivai) , und so auch 6 tTiiaiv 'der 



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Noöhmab Imodcioc. 



587 



folgende' (Soph. Oed. Col. 1532). wenn demnach dtiievai = sequi 
und ^TTiüüv » seqnens ist, so ist dTTioOcioc « secundus (vgl. iucun- 
das TOn iayare). der techmsclie ausdraok für gerstenbrot im latei* 
niscboii ist nun panis seonndus (seoundarius). man onterM^ied 
drei sortenbrot im altertnm: 1) psnis siligineus» weisonbrot, 2) panis 
seeandüfi (secnndarins) , gerstoibrot, 3) panis cibarius, kleienbrot, 
an welehes sich die puls der sklaven ansdiloss. das 'brot n. 2*, wie 
wir ims ansdrileken, war ako nicht im Terttcbtlichen sinne so ge* 
nannte sondern hatte noch eine sorte nnter sieb, darf also als ^mittel* 
brot' beseiehnet werden, es war wohlsdbmeckend nnd nahrhafk» 
denn der kaiser Augostns ass mit Vorliebe dieses brot (Saet. Oct. 76: 
cibi minimi erat atqne vulgaris fere. secundarium panem et pisd« 
cnlos minutos — maxime appetebat). nicht um die armut» sondern 
um die einfachheit des diobters zu kennseichnen, sagt Horaz (ep. II 
1, 123) : vivit siliquis et pane secnndo. sprachlich also und sachlich 
dürfte die übersetanng von dpTOC lirioucioc mit panis secundus als 
möglich erwiesen sein, es erübrigt noch, die bedeutung als für den 
zusammenbang passend klar zu legen, zwei einwürfe könnten von 
dieser seite her gemacht werden: 1) der ausdruck könnte als zu 
realistisch erscheinen, 2) er kfinnte als zu eng bezeichnet werden, 
was den ersten einwurf anbetriÜ'fc, so ist zu erwägen, dasz Christus 
die erhabensten bef^riiFe an die alltäglichsten dinge knüpft, um der 
fassungßkraft seiner zuhörer zu hilfe zu kommen, er vergleicht das 
wort gottes mit dem Sauerteige, der alles durchsäuert, sich selbst 
mit einem hirten, der ein verirrtes schaf aufsucht, er rät sich freunde 
zu machen mit dem ungerechten mammou usw., gleichnisse, welche 
an realistik schwerlich übertroffen werden können, die aber voll- 
kommen passend genannt werden müssen, wenn wir an die anschau- 
nngen der leute denken, für die sie zunächst bestimnit sind, der 
zweite einv-'urf erledigt sich von selbst, wenn wir uns bewuöt bleiben, 
dasz wir es mit einem technischen ausdrucke zu thun haben, der, 
wenn auch mit zwei werten, doch nur 6inen begriff bezeichnete, für 
uns freilich ist gerstenbrot Schwarzbrot , denn das roggenbrot hat 
sich zwischen weisen- und gerstenbrot geschoben und das letstere 
gewissermaszen degradiert, aber ftlr den Ueinen mann in Falttstina 
war es genau das, was wir *brot* nennen, der gegensata zur weisen- 
wäre , für welche die beseichnung *brot' in Deutschland ^ in der 
Schweiz freilich ist es schon anders — nicht ttblich ist. auf diese 
Verschiebung der begriffe nach der landessitte ist genau zu achten, 
wenn wir nicht deuteche anschauungen in die bibel hineintrsgen 
wollen, dann aber passt fiMuiv trefflich , und auch die lateinische 
flbersetzung cotidisnus ISszt sich halten, in übertragener bedeutung 
aber würden wir um ein 'bescheidenes' auskommen zu bitten haben. 
BsHSLAü. Hbukakh Kothb. 



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588 Über repetitionen der schüler vor dem abiturientenezamen 

55. 

EIN KURZES WüKT ÜBER REFETITTONEN DER SCHÜLER 
YOE DEM ABITÜEIENTEN£XAM£N UND ÜBER MEMOßlEB- 

ÜfiUNGEN AUF D£!E SCHULE. 



Man hört lieat za tage nicht selten die klage lant werden, dass 
durch das yiele answendigknienf wie es die schale fordere, das ge- 
dftchtnis anf kosten der Übrigen selten des menschlichen geistes su 
sehr in anspmch genommen werde und warnt deshalb bei dem abi« 
turientenexamen, besonders bei der prüfung in denjenigen ÜUshem, 
bei denen es in erster linie auf das gedäohtnis ankomme, Tor dem 
zu starken betonen vereinzelter kenntnisse. gewis mit recht , schon 
damit so verhütet werde, dasz die sohüler wochen und monate laBg 
vor der abiturientenprüfung nichts anderes thun als repetitionen in 
der geschicbte and in der religion anstellen, aber man Übersieht 
■ leider nur, dasz bei der heutigen praxis des abiturientenexamens auch 
in andern fächern an dasgedächtnis nicht uncrheblicho anfüi derungen 
gestellt werden, wenn z. b. bei der prüfung im lateinischen von dem 
abiturienten die kenntnis einer anzahl oden, womöglich auch einiger 
Satiren und episteln des Horaz verlangt wird, wenn im griechischen 
nicht blosz ganze chöre aus den gelesenen dramen und daneben zu- 
sammenhängende stücke aus der Ilias und Odyssee, sondern häufig 
auch noch ganze abschnitte aus Plato, Demosthenes oder eineno an- 
dern ]ji o.saikür hergesagt werden sollen, wenn in der mathematik der 
ßchüler mit einer menge trigonometrischer formein völlig vertrauL 
sein musz, wenn endlich die allerdings nicht unberechtigte forderung 
erhohen wird , dasz beim examen der schüler auch einen schätz von 
deutschen gedichten prSsent habe, so dürfte doch schwer abzusehen 
sein, wie der abitorient allen diesen anforderungen m entsprechen 
im Stande sein sollte, wenn er nidii oden, griechische chOre, trigono- 
metrische formein, deutsche gedichte ad boe wiederholt? warom 
man also immer nnr Ton repetitionen in der gesobichte und religion, 
nidit auch von repetitionen im latemischen, griechischen und in der 
mathematik redet, ist mur nicht redit Terstindlich. aber ohne nun 
hier über die berechtigung solcher repetitionen oder über den wert 
eines solchen gedKchtnisschatzes zu urteilen, derselbe kann doch eben 
in dem umfange, in dem er beut zu tage beün abiturientenezamen 
verlangt wird, immer nur durch einen besonders darauf verwandten 
fleiss der schfiler erworben bzw« dauernd festgehalten werden, ob 
man aber dem schüler, der auszer seinen sechs Schulstunden moch 
drei bis vier stunden täglich zu hause am arbeitstische sitzen musz, 
zumuten darf, dasz er zur erholung umfangreichen memorierübungen 
oblief^re, scheint mir doch fraglich za sein, früher, wo eigentlich nur 
für drei oder vier fächer gearbeitet wurde — religion, französisch, 
mathematik fiel an vielen, ja fast an den meisten anstalten beinahe 
Tellig aus — da war privatätudiom auf der schule möglich^ da konnte 



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und über memorier&bimgen auf der schale. 



589 



der Schüler im classischen altertum heimisch werden, da konnte eine 
neigang zur lectüre oder einer andern geistigen bescbLiftigung neben 
der von der schule geforderten tbätigkeii sich herausbilden, beut 
zu t^ge aber, wo der geist doa t^cbülers m den sechs scbnlstundeu 
gleichmäszig angespannt wird, wo überdies für jedes fach zu bause 
gearbeitet werden musz, ist es nicht zu verwundern, wenn die neigung 
SU einer selbstgewählten geistigen besehSftigung so gering ist. fehlt 
dem flohtUer doch nach atraolTierung der pflic&tm&eadgen arbeiten 
meist selbst znm lesen die rechte lost, sicherli«^ aber besitzt er in 
den seltensten fSUen snm freiwilligen memorieren die nötige friscbe 
nnd elastidtät des geistes, die ihm eine soldie besehSftigung wirk- 
lich als erholnng erscheinen lüszt. 

HSlt man dämm das auswendiglemen von gedichten nnd pro* 
saisehen abschnitten ingrOszerm nm&nge für so notwendig, wie 
es den anschein hat, so masz der Schüler von häuslichen pflicht- 
«rfoeiten noch mehr entlastet werden, als dies bisher geschieht, es 
musz vielleicht die häusliche präparation auf die fremdsprachliche 
lectttre in der schule regelmttszig vorbereitet und noch mehr als bis- 
her extemporiert werden, oder man musz auf das answendig- 
lornen, natürlich aber nidht auf das einüben der grammatisi^en 
regeln verzichten, oder es müssen im lateinischen, griechischen und 
französischen überwiegend, wo nicht ausscblieszlich, classenarbeiten, 
bisweilen auch unter beniitznng des lexikons und der grammatik 
angefertigt werden, oder der geschichtslehrer musz sich in der alten, 
zum teil auch in der mittleren geschichte nur auf das notwendigste 
beschränken dürfen. 

l\feiner ansiebt nach aber wird in bezug auf das memorieren 
beut zu tage des guten zu viel gethan, und die anforderungen , die 
nach dieser seite hin an den abiturienten gestellt werden, scheinen 
überdies auch mit den nachdi ücklicben Warnungen der schulbehürde 
vor zu starker belastung des gedSchtnisses nicht recht überein- 
zustimmen, dasz besonders gehaltvolle, schöne stellen aus den dich- 
tem wie z. b, das herliche wort aus der Antigone 

oÜTOi cuv£XÖ£iv akXä cu|iqpiX.€iv eqpuv 
dem gedächtnis eingeprägt werden, ist selbstverständlich, aber wozu 
die erlernung sämtlicher oder fast sämtlicher chorlieder einer grie- 
chischen tragödie? nnd überdies darf nicht vergessen werden, dasz 
nidbt allen schfllem das auswendiglemen von gedichten gleich lei^t 
fftllt. deshalb musz man sich hei der anfstellimg eines kanons von 
gedichten, welche alle zn lernen haben, auf ein minimnm beschrän- 
ken, anderes dagegen der freien neigung überlassen, seihst auf die 
gefshr hin, dasz vielleicht nnr eine geringe anzahl von schfllem nach 
dieser seite hin einen beeondem fieisz hethBtigen wird. 

Am notwendigsten dftrfte natflrlich die einprSgang deatscher 
gediehtci im besondem der volks- und vaterlandslieder sein, dasz 
sich aber das memorieren nicht auf diese beschränken darf, dasz 
Herder (das kind der sorge, der gerettete jflngling). Lessing (die 



590 Der evangeüscbe religiousi^iterricht im lehrplan der höh. schulen. 

parabel von den ringen), Uhland, Geibel, vor allem aber Schiller 
und Goethe — natürlich entsprechend dem zeitweiligen bildungs- 
stande des Schülers — mit m den kreis hineinzuziehen sind^ bedarf 
keiner besondern erwähnung, ebenso wenig wie das andere, dasz 
das einmal erlernte durch ununterbrochene Wiederholungen im Unter- 
richt zu einem KTt^juia äei gemacht werden -mius. 

aUHBrasnSN. ÄDOLP BlEDBB. 



56. 

DER EVANGELISCHE RELIGIONSUNTERRICHT IM LEHRPLAN DER HÖHEREN 
SCHULEN. EIN PÄDAGÜGISCHE8 BEDENKEN VON D. L. WiESE. 

Berlin 1890. verlag von Wiegandt & Grieben. 78 s. 8. 

Der nestor der pädagogen, dessen Schriften und dessen zum 
bersen dringenden bei gelegenheit seines besuehs der lehranstaileii 
gesprochenen werten sahireiche religionslehrer anregong und be- 
lehmng verdanken, spricht in dieser schrift, die man gewissermaezen 
als sein Vermächtnis betrachten kann, sein bedenken, das ihm bei 
betrachtung des evangelischen religions unter rieht 3 aufgestoszen ist, 
in der weise aus, dasz er den anlasz seiner betrachtungen , eini^res 
aus der geschichtü des gegenötandes , das crgebnis des geschicht- 
lichen Verlaufs, den abänderungsvorschlag nebst bemerkungen zur 
ausflihrung desselben und ein warmes schluszwort gibt, wie in allen 
seinen Schriften, so bestätigt auch in dieser Wiese jenes wort des 
apoätels: ""die liebe ist langmütig und freundlich, die liebe eifert 
nicht.' mit wohlthuender milde und Schonung weist er gleich in 
dem ersten abschnitte darauf hin, dasz man nicht übersehen dürfe, 
dasz, wie das religiöse nicht ohne weiteres immer auch das christ- 
liche ist, auch eine aufrichtige christliche gesinnung keineswe^rs 
sich tiuch immer kirchlich bethätigt, aus verschiedeneu Ursachen, und 
mahnt zur gerechtigkeit in der beurteilung der schule sowohl wie 
des eltemhaoseB; denn beide haben dafttr zu sorgen, dasz die ge- 
sinnung in den henen der knmben nnd Jünglinge gepflegt wenle, 
welche im ganzen leben den eignen willen einzig durch den willen 
gotl»8 besamen ISszt. die Yoranseetzungeu, die, wie Wiese in 
seinen briefen ttber englische ersiehnng hcarvoriiebti der englische 
religionslehrer in bezug anf die pflege des reli^Osen Sinnes nnd die 
Unterstützung der schule nach dieser seite bin durch das eltemhans 
machen konnte^ treffen aHerdings heut zu tage in nnserm Taterlande 
nicht durchweg zu. mögen aber auch manche wahmehmnngen in 
schule und haus sogar erschreckend sein , so läszt die Zuversicht zu 
gottes Weltregierung es doch nicht zu hoffnungsloser besorgniskoni^ 
men und vergiszt nicht den zuruf des berrn an seine jQnger: *ibr 
kleinglftttbigen, warum seid ihr so furchtsam?' (e. 8). . 

Im zweiten abschnitt gibt W. die für den vorliegenden zweck 



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Der evangelische reiigiousimterriclit im lehiplan der höh, Bchulen. 591 

wichtigsten momente des bisherigen geschichtlichen Verlaufs, wenn 
man sich daran erinnert^ dasz ein lehrbnch wie das Niemeyers, eines 
nach andern Seiten hochverdienten scliulmannes, 18 auflagen erleben 
und vom anfange dieses jahrhiinclerts bis m die mitte desselben in 
vielen ijohulen gebräucht werden künntü, daaz em so umsichisvoller 
Schulmann wie der gymnasialdirector Gotthold mit Mittler in Goethes 
Wahlverwandtschaften (bd. XY s. 302 f.) behaupten konnte, von einem 
80 niedrigen Standpunkte, wie 68 der der zehn geböte sei, den reli* 
gionsuntemckt zu beginnen, d1lr& einem so gebildeten seitalter wie 
das damalige nicht ingemntet werden i so darf man sieh anderseits 
nicht darflberwimdemi dasa der religionsunterricbt in einigen schulen 
jakrhonderte hindarch in lateinischer spräche «rteilt werden durfte I 
Im dritten abschnitt spricht der yerfiwser sich dafür aus, dass 
wfthrend des confirmandeigahrs die schule ihren eignen nntmickt 
nicht, fortsetzen, die Wichtigkeit der oonfirmation mehr als es oft 
geschieht beachten, die religionsstunden, soweit dies ausfElfarbar ist, 
morgens in die erste stunde legen, das certieren in ihnen aufgeben 
möge, dasz dies überhaupt stattgefunden, dasz kenntnisse in der 
religionslehre bei der rangordnung oder Versetzung mit massgebend 
waren, dasz für gute leistungen in der religion preise verteilt wur> 
den, dasz noch jetzt nicht überall gemeinsame schulandachten statt- 
finden, er&hren viele leser gewis erst aus dieser schrift. im alt- 
städtischen gymnasium in Königsberg liesz der durchaus nicht 
kirchlich gesinnte director E. Ellendt , bei der hohen Wichtigkeit, 
die er dem religionsunterrichte zuerkannte, es nicht geschehen, dasz 
censuren in diesem lebrgepfenstande , der üine ganz andere Stellung 
als die andern lehrgegenstände einnehmen müsse, erteilt würden, 
dem unterzeichneten haben nicht selten Zeugnisse vorgelegen, in 
denen das betragen des schlilers wegen grober täuschungs versuche 
u. dgL getadelt und demselben in der in der rubrik ^leistungen' 
oben an steh enden religionslehre das prädicat 'gut' oder 'sehr gut' 
erteilt war. nicht jede religionsstunde soll eine erbauungsstunde 
sein, wenn auch keine die Stärkung der religiösen gesinnung verab- 
säumen darf, jede eine erbauende Wirkung haben musz ( s. 52). den 
unterriebt geistlichen zu übertragen scheint auch W. nicht zweek- 
mäszig, da diese als hilfslehrer ihn ohnehin in der regel nicht gern 
übernehmen* Bosenkranz klagt einmal: ^ich hatte in tertia und 
seeunda räle mühe die namen der ketzer, der concilien, der bischöfSi, 
päpste zu behalten, die ganze weit des monophjsitismusi der Nesto* 
rianer, Arianer usw. blieb für mich ein rtttseL in prima wurde die 
ganze Eiehhomsehe hypothese vom urevangelium vorgetragen, die 
kritik einzelner stellen des griechischen N. T. führte durch die 
Varianten der Codices zum skepticismns.' so weit Ton seinem zweck 
verirrt sich wohl gegenwftrtig nicht mehr der religionsunterrichtf 
aber die gefahr ist immer da^ wenn man den zweck nicht scharf im 
auge behält (s. 38) , wenn der lehrer zweifd* erregt, die er ni^t be- 
kimpfen lehrt, dass die rerisionen durch generalsuperintendenten 



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592 Der evangelische religionsuniemciit im iekrpiaii der Iiüli, ticlLuleu. 

eine heilsame Wirkung haben können « werden lehrer und schtüer, 
die eine solche z. b. durch MoU erfahren haben , bestätigen. 

W. macbt s. 46 folgenden refonnTorsehlag: 1) nach der ein* 
flegnnng wird den sehttlem eigentlicher religionennter rieht nicht 
mehr ^teilt. 2) was dafür znr erweitemng und Vertiefung der reti* 
giOeen bildnng eintritt, wird nicht in der schnlmSazigen weise der 
andern lebrgegenstSnde behandelt, hat keine einwirkang auf die 
Tersetsnng nnd wird in den censuren nicht erwihnt. 3) ebenso wird 
beim abitnrientenezamen in der reUgion nicht geprftft nnd in das 
abgangszeugnis ein urteil darüber nicht anfgenommen. 

Die schriftliche prüfung findet ül rigcns schon jetzt nicht mehr 
statt, und so wird auch die prüfung der schulamtscandidaten in der 
religion nur für diejenigen bestehen bleiben kttnnen, die in der reli- 
gion unterrichten wollen (s. 76). 

Wenn hiemach von tertia aufwärts religion nicht mehr wie 
sonst in der reihe der Unterrichtsgegenstände erscheint, so bleibt 
sie doch ein wesentliches bildungsmittel der t oberen lebranstalten, 
und es erhält dieser heilige gegenständ seine ganz besondere weihe: 
so mancher schüler hat wohl ancb jetzt schon gemerkt: *bier ist 
heiliger boden , ziehet die schuhe aus' (2 Mos. 3, 5). wo Wieses 
princip anerkennung und billigung findet, würde für die anwendiina' 
und durchführung dussülben in vielen bezieliungen l'reiheit gelassen 
werden müssen, wie er wünscht, wie er sieb diese durchführung 
denkt, musz man bei ihm selbst nachlesen, in öffentlichen lebr- 
anstalten — in alumnaten ist dies leichter — mögen solche stunden 
wohl einst Scliaub in Danzig, Hülsmann in Duisburg erteilt haben: 
alles hängt hier von der Persönlichkeit duö lehrors ab; hier gilt 
keine religiöse phrase, sondern das dXr]Ö€U€iv £v afdinj. dasz 
Christus der mittelpunkt der ganzen Weltgeschichte und somit auch 
der mittelpunkt der Unterweisung in der religion ist, ist fOr den 
gewissmbaften lehrer zweifellos, und protestari bezeiehnet eben ein 
Zeugnis fOr ihn ablegen: es ist alles euer, ihr aber seid Christi! 
(s. 74.) 

Der Wieses Vorschlag zum gründe liegende gedank» ist nieht 
negativ, sondern pomtiv: nicht zerstGrung will er, sondern bessern 
aufbau. man mOchte wfinschen, dasz er, der Uber mädcbenerziehmig 
so beherzigenswerte worte anderswo ausgesprochen hat, sich en^ 
schUeszen könnte, auch den evangelischen reli^onsnnterricht in den 
höheren mftdchenschulen zu beleuchten. 

Instbuburq. £• Kbah. 



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' , f I I . , . I , , .) ' . . I ! 1 !i ' ! . 1 ' . . I r- JI'» . *t » i ' i't. ■ / 

Ii; In früherer zeit haben siob wohl atimmen erhoben (noch 1880; 
8. die verhaQ<dluiigen der direitovei^-Gonförisxiz der provin^ Sachsen 
6. 88), welche ttbeifhaupt gegen jede Q|iteiilif«iüiiuig'dÄ>)regeliDäBzigen 
8chulunti9ctiAb^> ftefik m^dwimgm.'oder'qM^gän^e der'sohiile 
eprsobeo;.: imä «bd^veritiiikiibt isciü iSm «ridyi-idiM^'prettsttsÜMik 
oo^Mnitti&teriiimif iroiyi.'2i7' oetolier tSSQ^- dcrlneÜe» 'deitk 'liiimspUl 
«Dcibi auf« ginneihflame :6inaiergängb^ andsflIlgal'imd'tnntfahirM 
veuC. «unä'iS' dcirv tbai ttbcmie^idie ^oiibilay- die 'sich Ms 'Ä«r 
gam^midilil^cbeA Wtmäptnang'mitgo^tiäi' bei Weitem -di« 6twa '8t<^ 
miieUbnd^:iaii8Qli«igUcfakettoii. (••üia ^grosi» «iiahliT6n-8^biiliüSn;> 
iMörni hat] ani diasor «tigelegenbeit . cUu- mort'wgnH^ v • «i0> ScIiMm^ ^iA 
MiiMtni 'bandbnch der pädagoigik^ Benst id ^jbd piädagogisohii ädiiiU 
WUe'y Sptanok in den blättern für höheres schulwMdB', Bäur in 
S^bmids encjclopädie anter 'loszueisen') Strebel elbeiida unter ^rei86ii% 
Vor allen ab^ Bach in seiner mönogfrapbie Wanderungen, tumfahrteii 
nnd schttlerreiaeii^i > md PtoMohflianih > üb ' adnerii ,b Aoblein btit^deim 
gleichen titel. : ' ' ■ i 
. ; • ; I IitL.£(>lg«iiden soll dargelegt Werden erstens: wiamm die schuU 
ansflüge der erziebung beilsam sind, zweitens: wie sie 2u gestalten 
und in welchem ui^iaiig sie aneuwenden fiind| damit sie der eraiehung 
lisüsani werden.. ' > . ^ i . M • . .. ' i 

Die fiiszwandertmgen — ^ denn die ansflüge der schule sind säijnt- 
lieb Wanderungen zu fu8z — riur vorübergehend darf gefahröii Wei*- 

den — "kräftigen die muskulatur des schülers: sie bilden somit ein 
trefiflicbes gegenge wicht gegen unsere vielfach sitzende lebens weise, 
die einegleichmöszige entwicklung aller functionen des körpers nicht 
zuläszt. welches Wohlbehagen am abend eines in der frischen luft 
Terbrachten tages in allen gliedern ! und wenn auch der turnunter* 

N. Jfthrb. f. phil. n. pid. U. abU 1S80 hfl. 12. 88 



Digitizeü by LiOOgle 



594 



Über aehulaaBflilge. 



licht die gesamte muskulatux in gleichmäszigerer weise anspannt 
und stärkt, so ist wieder das einatmen der frischen luft, das ja häufig 
in den turnhallen nnmöglich wird, ein vorteil, der nicht hoch genug 
angeschlagen werden kann, hnnd in band mit der kräfti'^img der 
muskeln geht die schärfung ckr sinne; man hat mit recht gesagt, 
das sehen sei eine kmst; unzählige menschen gehen durch das leben, 
ohne es je gelernt zu haben, auf den Wanderungen aber wird das 
auge förmlich gezwungen sich aufzuthun: neue überraschende bilder 
zeigen sich und erregen die auimerksarakeit — in der stein-, pÜanzen- 
uüd tierweit treten erscheinungen entgegen, welche die beobachtuDg 
herausfordern, gerade auf das ungewöhnliche blickt man ja am 
liebsten! un^l auch die thätigkeit der übrigen sinne wird reichlich 
befriiciilel. da oingt cui vogel, dessen töne noch mclit gthüi L waren, 
hier blüht eine blume, deren duft unbekannt war u.a.m. so eröffnet 
sich hierdurch das Verständnis für neue erscheinungen, der get^icbts- 
kreis wird erweitert, man wandere in feld und wald, Uber herg und 
fbal, durch land und stadt, man schaue produote der natur oder der 
menschenliand, immer werden aus neuen eindrücken und beobach» 
tungen neue Vorstellungen erwachsen, die sieh an die schon vorhan- 
denen um so fester anschliessen, weil sie zu auszergewOhnlicher seit 
und in ungewohnter Umgebung aufgenommen sind, die verschieden- 
sten Interessen und geftthle werden angeregt, in gegenden, die an 
landschafdiehen bUdem reich sind, bildet sich der sinn für natur* 
Schönheit, wenngleich man in dieser beziehung nicht zu viel verlangen 
darf von knaben: denn ihr leben ist noch zu sehr mit der nator 
selber verwachsen, als dasz sie die natur wie einen auszer ihnen 
liegenden gegenständ betrachten könnten , — das empirische inter- 
esse wird genährt durch kennenlernen merkwürdiger topographischer, 
botanischer, mineralogischer, zoologischer erscheinungen, durch das 
sehen von geschichtlich bekannten orten oder in sitte und lebens- 
gewohnheit anders gearteten menschen, nnd gar viele kenntnisse, 
die im Unterricht als totes material, "wenn ich so sagen darf, einge- 
prägt waren, beleben sich hier. Goethes wort sei erwähnt: ^wasicb 
nicht gelernt habe, das habe ich erwandert.* nnd käme es vor, was 
in Wirklichkeit nicht möglich ist, dasz ein au.^flug gar nichts beleh- 
rendes, gar nichts neues gebracht hätte, so hätte er doch seine 
Schuldigkeit gethan : denn eins erzeugt er immer, die froude am 
wandern selber, am wandern, in dem so viele grosze männer ibre 
lust gefunden haben, welches von urzeiten her ein erbteil der Ger- 
manen ist (vgl. sächs. direct.-conf. 1880 s. 87). 

Aber diu schule, ob im ganzen oder in einzelnen abteilungen, 
geht immer in geroeinschaft. ich musz hier hinweisen auf das be- 
kannte wort von Jahn, das er über die tumspiele gesprochen hat, 
das aber ebenso von den ausflUgen gilt: *hier paart sich arbeit mit 
lust und ernst mit jubel. da lernt die jugend von klein auf gleiches 
recht und gleiches gesetz mit andern halten. • . fmhe mit seines 
gleichen und unter seines gleichen leben ist die wiege der grösse ftr 



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Ober flofaulaiiBfliige. 



596 



dtn mann, jedir eialing verirrt sieh leicht sur selbsteaeht, wozu 
^ den gespielen die geepielschaft nieht kommen Itat. auch hat der 
eialing keinen epiegel, sieh in wahrer gestalt zn erblicken, kein 
lebendiges masx, seine kraftmehrung zu messen, keine richterwage 
für seine eigenart, keine schule für den willen' usw. hier siebt er, 
wie in der tnmstande am praktischen beispiel, dasz nnr durch zucht 
und Ordnung eine grosse schar geleitet werden kann, dasz jeder sich 
unterordnen mnsz unter einen willen, er lernt den wert der disciplin 
einsehen, vgl. Kapp 'gymnasialpädagogik' s. 175 u. 182 bei Buch 
a. a. 0. S.71. im engen verkehr, der viel enger ist aU auf der Schul- 
bank, kommen sich die scbtkler näher, nicht wenige freundschaften, 
die für ein ganzes leben angedauert haben, sind hier erwachsen; 
aber auch, dem lehr er treten sie näher, rrerade der ungezwungene 
verkehr zwischen iehrer und Schüler öffnet die herzen, auch der 
schwerer zu durchschauende gestattet oft einen einblick in seine seele, 
und es wird die einsiebt lebendicf, dasz der lebrer nicht nur der ge- 
fürchtete präceptor ist, der mit erntit und strenge vom kathedpr 
herab dociert, sondern ein mann, der sich mit ihnen freuen kann und 
will, gerade dieses ist ein hervorragend wichtiges moment bei der 
benrteilung des wertes, den die ausflüge haben, irgendwo sagt Jahn 
von dem leiter des turn Unterrichts : ^offenbarer als jedem andern ent- 
faltet sich ihm da.s jugendliche herz, der Jugend gedanken und ge- 
lühlc, ihre wünsche, neigungen, ihre gemtitsbewegungeu uud leiden- 
schaften, die morgenträume des jungen lebens bleiben ihm keine 
geheimnisse.' auf Wanderungen ist jedem lehrer die gleiche mög- 
Uchkeit geboten, er möge sidi nnr herablassen sa der jugend; und 
wem es irielleiofat schwer wird^ sich bei dem Unterricht der lernen- 
den liebe zu gewinnen, hier findet er die beste gelegenheit*' 

Und noch anderes gewinnt der schdler auf ausflflgen. wie die 
gemeinsamkeit der vielen die Mhlichkeit mit sich bringt und den 
segen der disciplin zeigt, so lehrt sie auch schwttchen zu beseitigen, 
die etwa in der gewohnheit oder in zu weicher hftnslicher erziehung 
ihren grund haben« da heiszt es, zumal auf grösseren mttrschen, 
sich anstrengen, durst und bunger su bezwingen, die mttdigkeit zn 
überwinden, Schwierigkeiten mutig entgegenzusehen, unbilden der 
Witterung zu trotzen, da lernt man sich beschränken, mit wenigem 
auskommen, vor allen dingen aber der eignen kraft vertrauen, körper 
und geist hftrten. man möge diese sittliche Wirkung nicht unter- 
schätzen : auch der verzärtelte knabe schämt sieb, hinter solchen, die 
vielleicht körperlich kleiner sind als er, zurückzubleiben, sein ehr- 
gefühl, das in dem ringen um die palme auf geistigem gebiet oft er- 
schlaffte, wächst mächtig und treibt ihn vorwärts, und das gefühl, 
einen triumph über sieh davon getragen, mehr als o^ewöhnlich ge- 
leistet zu haben, ist eines der herlichsten, das dem menschen ver- 
gönnt ist. endlich sei noch hingewiesen darauf, dasz (um mit Baur 
a. a. 0. zu reden) auch 'den geist des lehrers nichts so frisch und 
empfänglich erhält, als die bewegung mit der munteren jagend in 

88* 



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596 



Über flohnlauaflilge. 



der freien naiur', ^ und er hat es oft genug g«r nfttig, eifriaoht sa 

werden. 

Eine fülle von vorteilen hi es also , welche der erziehung dur- 
geboten wird durch die scbulausflttge. tre£Elich singt Goethe : 'bleibe 
nicht am boden haften , frisch gewagt und frisch hinaus I köpf und 

arm mit heitren kräften, überall sind sie zu hans. wo wir uns der 
sonne freuen, sind wir jede sorge los ; dasz wir uns in ihr zerstreuen, 
darnra ist die weit so grosz.' und mit noch höherem ausblick sagt 
Zober s. 5 seines buches 'der deutsche wanderer' (Bach s. 43) : 'der 
geist der liebe, sremeinscbaft, Verträglichkeit wird namentlich durch 
wandern in geselischaft treuer genossen geweckt und belebt, einer 
hilft hier im eigentlichsten sinne oft des andern last tragen, da? 
herz, das früher nur an der heim at nächster Umgebung hieng, er- 
weitert sich und nimmt mit liebender teilnähme auch anderer gegen- 
den bewohnei in sich auf. der geist der engherzigkeit, abäonderung 
und lieblosigkeit kauu durch nichts so unterdrückt werden, als durch 
vaterländische Wanderungen, von der liebe zur beimat erweitert 6ich 
das herz zu der liebe des gesamten Volkes , des gesamten irdischen 
Vaterlandes nnd steigt so weiter znr Hebe aller bewohner der gesam^ 
ten erde and des Taterlaades» das droben ist.' 

n. 

Wie aber? sollten iiieht anefa manofaeriei ttbelstlade sieh auf* 
züblen lassen, die mit soleben Wanderungen, kleineren oder grosse- 
ren, verbunden sind? artet nicht leiebt die firdhliohkeit der scbfller 
in ttbermnt, die freibeitslnst in sttgeUosigkeit ans? derartige Uber- 

legnngen fuhren notwendig znm zweiten teil unserer besprechong« 
es wird hierbei notwendig sein, die einseinen orten der aasflflge in 

das auge zu fassen. 

Am leichtesten sind diejenigen aosflttge eininrichten, welche 
nnr wissenschaftlichen zwecken dienen, die sc^nannten ex- 
curslonen, und diejenigen, welche in Verbindung mit schal- 
festen stattfinden, bei beiden.arten tritt das wandern in den hinter- 
grond. bei den erst er en verwendet der naturwissenschaftliche 
lehrer (auch dem historiker sei es gestattet, an stelle der gnschicfats- 
stunde seine schar zu einem ^.geschichtlich interess^^nten punkt, denk- 
mal , schlnr-htfeld, geburtsort eines grorizm mannes zu führen , und 
dem geographen, um die gestalt der erdoberfläche 7U erläutern") die 
Schulstunde dazu, um in der freien natur das zu zeigen^ bzw. von den 
Schülern selber das finden zu lassen, was er beabsiclit : ^esteine, 
bergformationen , pflanzen, tiere. unter seiner anleiiuug geht das 
sammeln von pflanzen und tieren vor sieb, das so oft ohne die ge- 
eignete aufsieht zu einer Sammelwut ausartet, zu einem abreiszen 
von pflanzen und töten von in>ecten. er hat dafür zu sorgen, dasz 
alles plan- und zweckmäszig gcbchiehl. zu solchen excursionen sind so 
gut wie keine Vorbereitungen notwendig: die botanisiertrommeli ein 
sohmetterlingsnetz, yielleioht ein kleiner spaten nnd hämmern, i. 



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Ober BchulauBflüge» 



597 



— das ist die pranze ausrüstiing. häufig braucht man auch das iilcLt 
einmal. naturgemUsz werden diese excursionen kurz sein, mehr 
spaziergün^o als Wanderungen, weil sie öfter wiederholt werden 
müssen, dariil rr unten mehr, vor dem wissenschaftlichen zweck 
treten hier alle nebenzwecke zurück. 

Wie an die stelle der naturwissenschaftlichen, geschichtlichen, 
geographischen stunden zuweilen ausiliige treten können, so ist es 
auch völlig berechtigt, zuweilen die turnstunden auszusetzen 
und möglichst die ganze schar im sommer zum baden, im winter 
zum cisiaut' zu fiihrea. beidea dind hürliciie vergnügen , tlio das 
körperliche wohl befördern, seit Kiopstock das sciiliUscliuIilaaiea 
besungen hat, in welchem er meister war, wie später Goethe, ist es 
die lost der jagend und der erwachsenen gewesen, tlber die eisbabn 
m fUegen. eine noch vielseitigere thttügkeit der körperamskalatar 
fordert das acfawinuiieiii dem hier auf das nachdrllcklichste das wort 
geredet sei. es mosz dem sebfller eine ehrensaclie werden, atteh in 
dem fremden element sich heimisch zu maohen, er musz sich nach 
dem Wasser und der bewegung in demselben sehnen* wenn es auch 
meistens nicht möglidi ist, den sohwimmanterridbt obligatorisch zu 
machen, wie er es in Burgsteinfurt z. h* schon seit 1855 ist, so 
stimme ich doch völlig überein mit der these, welche director dr. 
Fulda auf der sächsischen directoren-oonferenz von 1880 gestellt 
hat: ^die schule bat die Verpflichtung, die errichtung geeigneter 
Schwimmanstalten und die teilnähme der schüler am Schwimmunter- 
richt zu fördern ; nötigenfalls die aufsieht bei demselben zu über* 
nehmen, bei besonders günstigen localen Verhältnissen kann sie auch 
den Schwimmunterricht dem gymnastischen unterrichte der schule 
einfügen und für normal entwickelte, hinlänglich gekräftigte schüler 
obligatorisch machen.' 

Auch die ausflüge, welche unternommen werden, um ein sch ul - 
fest zu schmücken, werden nicht in weite entternungen sich richten 
können, weil, wie das ja bei dem schulfest der fall ist, die ganze 
schule zusammen feiert , ro dasz die kleinen mit den groszen aus- 
ziehen zu gemeinsametn ziele, auszerdem fällt der teil der feier, 
welcher im schulgebäude gehalten wird, meist auf den vormittag, so 
dasz nur der nachmittag für den ausflug frei bleibt, also nahe sei 
der ort, nach welchem sich der ausflag richtet, dazu möglichst im 
waldü und nicht zu fern von einem gasibause gelegen, in turnerischer 
oder militärischer Ordnung, niil mueik oder gesang ziehe man aus, 
bald lülgö dann der zwanglose marsch, das gehiju ^oliiie triu', das 
aber immer einem festen marschieren weichen musz, sobald man ein 
dorf oder eine stadt passiert, an ort und stelle angekommen, gönne 
man den sehttlern etwas rohe, dann aber nehme das fest hier den 
verlauf, d«r geplant ist, je nach seinem charakter. meist werden es 
natarli(äi patriotische feste sein, die wir so mit der ganzen schule 
6iem. so möge auch das hauptmittel, vaterländischen sinn anzu- 
regen, nicht fehlen: der g es an g. es ist eine thatsaohe, dasz unsere 



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598 



Über scilulaiififlüge. 



jugend viel zu wenig patriotische lieder gelernt bat und singen kann, 
die turnvereine sind die stätten, in weiche unserf vaterlandslieder 
sich geflüchtet haben, hier hört man noch die htn licben worte und 
weisen: 'o Delitz* bland hoch in ehren*, 'ich kenn ein hellen edel- 
ßtein', 'wo mut und krait in deutschen seelen flammen', 'du schwert 
an meiner linken', 'sind wir vereint zur guten stunde', 'wie mir 
deine freudtn winken*, 'treue liebe bis zum grabe', 'Freiheit, die ich 
meine', 'es klingt ein hoher klang', Mas volk steht auf, der stürm 
bricht los' und viele aiidei e, die gar wohl verdiüntcn m die reihe der 
schullieder aufgenommen zu werden, dem gesang folge das spiel, 
das wie nichts anderes den frohsinn hebt und für gar viele, zumal 
Ton den kleineren, des fest erst tum feat maeht. ee Ist bq -wM ttber 
die Bedeutung des spielea für die mfaule gesehrieben worden, daas 
ich mich begnüge, auf die Torhin genannten achriften su Terweisea, 
sowie auf Stoewer Humspiel, sport und Wanderungen unserer Bchnl- 
jugend* In der aeitacbrift fllr gymnaaialw. 1888 s. 81 ff., der beeon- 
dera auaftthrlleh von den spielen handelt» ich will nur bemerken, 
dasa unsere deutschen spiele nach meiner erfabmng keineswegs tu- 
rttckstehen hinter den engliacfaen. unser achlagball, drittenabeehlagen, 
ritter- und bürgerspiel, rttuber und gendarmen, alle aber übertreffend 
das bar laufen, vermögen gar wohl dem fuasball und cricket, die 
als neu importierte wäre sich jetat einer besonderen gunst sn er* 
freuen scheinen^ die wage zu halten, und ich wüste kein bewegongs- 
spiel, das mehr an geistesgegenwaH, Schnelligkeit des entschlusses, 
anapannung aller körperlichen kräfte verlangte, als das barlaufen 
(barr laufen, wie wohl neuerdings geschrieben wird), natürlich 
müssen hier nach dem lebensalter der schüler gruppen gebildet wer- 
den, deren jede sich verschieden beschäftigen wird, es ist nicht 
thuniich, dasz ein ijumtaner mit einem primaner um die wette läuft. . 
Kohlrausch (blätter lür h, schul w. IHS7 juniheft s. Stoewer a. a. o.) 
gibt an, wie die einzelnen spiele auf die classen zu verteilen sind, 
wobei ich nicht unterlassen kann auszusprechen, dasz bei un:.(Schleizer 
gymuasiura) drittenabschlagen auch von secundauern und primanem 
mit groszem eifer oft gespielt worden ist. — Es ist dabei wohl darauf 
zu ^then, dasz alle, auch die älteren schüler, sich am spiel beteiligen, 
diese ait der blasiertheit, die in den spielen kindische dinge sieht, 
— leider iindct sie sich immer noch bei älteren icbülern und noch 
öfter bei erwachsenen nichtschülern — musz ausgerottet werden, , 
und das auge musz daran gewöhnt werden zu sehen , dasa auch in 
diesen bewegungen, die den körper schmeidigen und den geist stfthleo, 
die Schönheit mit der ntltsliebkeit sieh die band reicht, die von den 
tumatunden befreiten fungieren ala auachaueri ich habe sie suwellen 
bei spielen, wo Streitigkeiten mOglich waren, als unparteiische be* 
nutst. wie auch atrenger geordnete, mehr tumeriache besohttftigua- 
gen bei featen verwendet werden können, s. b. das wettspringsn, 
wie die festtagsauaflilge auch su wissenschaftlichen aweeken (wann 
auch nur nebenbei) verwendet werden können, aeigt Bach in seinem 

i 

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über schulau&fläge. 



599 



buch s. 123 ff. — In straffer Ordnung wird bei beendigung' des festes 
der heimweg angetreten, bei dieser gelegenheit ist besonders darauf 
zu achten, dasz die disciplin keinen schaden leidet, leicht murrt hier 
und da einer über den zu frühzeitigen aufbrucb oder sucht wohl gar 
fiich der aufsieht zu entziehen, um auf eigne band seinem vergnügen 
nachzugehen, da ist unerbittliche strenge nötig, jeder musz ein- 
schon lernen, dasz das eic Külpavoc äcz\X) ganz besonders gilt für die 
fUhrung giöszerer scharen. 

Aber die kröne aller schulausflüge bleibt doch die turnfahrt, 
fast all das nutzbringende, das wir im ersten teil der abbandlung 
hervorgehoben baben, wird in erbObtem masse auf der tomfabrt an 
das Hobt treten, darum wird sie aueb gepriesen von Jahn als *dk 
bienenfabrt nacb dem bonigthau des lebens*. er filbrt fort: *an lieb* 
lieben erinnerungen, seligen gefttblen, würdigen gedsnken Überladet 
aieb keiner, su yiel trägt man nicht ein. sitxleben und beimbleiben 
will was zu Behren haben«' 

Nach dem Toigange Fleiscbmanns kOnnen wir die tnmfobrten 
einteilen in halbtägige, eintftgige und mehrtSgige. ISrmliehe reisen, 
wie sie Steinbart, der director des Duisburger realgymnasiums, in 
den ferien mit etlichen sohülem der oberen dessen zu unternehmen 
pflegt, gehören nicht in unser thema. 

Zunächst etliche allgemeine regeln ^ die bei jeder art turnfahrt 
SU beobachten sind, wie schon oben erwähnt, müssen möglichst 
alle Schüler teilnehmen, keiner darf sich ausscblieszen, nur körper- 
lich gebrechliche bleiben zurück, weil alle gehen, so musz der lehrer 
darauf achlen, dasz die behandlunof aller eine c^l eic he sei. er darf 
nicht gestatten, dasz etwa reichere irgend welchen iuxus treiben, der 
den ärmeren versagt ist. natürlich kann er nicht immer verbieten, 
dasz der eine oder andere der wohlhabenderen sich hier und da ein 
glas bier mehr zu gute kommen läszt, als der dürftigere, aber dasz 
z. b. etliche wein trinken, wo die übrigen auf bier angewiesen sind, 
darf er nicht dulden. 

Er selber hat sich der strengsten gerechtigkeit zu be- 
fleiszigen. der öfter bestrafte schtiler, der vielleicht manches auf dem 
kerbholz hat, darf auf der turnfahrt keinen unterschied der behand- 
lung fühlen: so wird er vielleicht, um biblisch zu reden, durch 'güte 
zur busize geleltut', eine gute, die natürlich auf der ganzen Wande- 
rung innerhalb der grenzen einer straffen zucht bleiben musz. 

Womöglich musz die gegend, in welche der marsoh führt, dem 
leitenden bekannt sein, dann kann er das interessantere heraus* 
heben nnd den schtUem ▼orführen, das weniger bemerkenswerte 
bleibt unbeachtet um der Zeitersparnis willen, nicht immer ist das 
möglich, öfter wird er in die läge kommen, nach der karte, die wo* 
mdgUch generalstabskarte sei, sich weg und sieg suchen zu müssen; 
aber im allgemeinen soU er vorher orientiert sein über marsch nnd 
siel, es empfiehlt sich sehr, in der schule TOrher hinzuweisen auf 
die Wanderung und die schttler zu veranlassen, sich möglichst genaue 



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Übec schulaufiflöge. 



voikoiiiitüisie von dem gebiet, das güsehen weirkn soll, anzu- 
eignen. . Credner ('die Stoj^sche erziehungsaastalt in Jena' s. 59 bei 
^ach ja.<53) erzählt von Stoy:/ sind alle: btbLimmungen getecÜen and 
JMben wtgeteilt» so beginnen etwa vier woohefi vor der^rBiM 
dief«ti9^Tpvbeii$it|i9g«l amengenBiits^iiiiei dis&ei beateh^ii im saiek» 
QUA yon.lcartlBB^ uiMi |^im,«nd m abendUfilwa' Vorträgen. tder riäiBef 
lßbfet*\ % w«i?deii >di0 mhtnngen bestimnd;« dio^eilifenMmgen ger 
messen, die flussgebiete, gebirge, thftler, Undeij ttiid-8iidt8,'aa.4edttl 
di^'f^ipci fitfirl»' dalrobg^s^irMheip «ndifcfMertr- bisisie toälalleii genau 
«ngegelm mni^tt ikSaaim, ; d»i^rdta,ohnBgftMeii>diindi|febM 
gasjablohUM^hci < AotiBeii\ genabelt ^. • diditanfgeo/ umd aAgen? vcitgdeseil 
jdie$eigftiiaue art der vorbereitoiiglftBet siob an priyatMtotftUen 
mbl) nicht an; öfoiüicben d»tcbiUireii, unoiBriuti dtacf dlo VdxiMdrat« 
tnang nicht aaazer adit gielaBsen werden. 

£s ist ferner wflilaebenBirert^ dasz mehrere leb rer, nicht ein 
einziger die scbüler geleiten — sie müssen irellifih«! wievOompter, 
director der teal^chule in Apolda, in einem programm si^ ( Bach 
0. 57), Hakt genug besitzen, deta privatverkehr unter einander fallen 
zu lassen und sich ganz der jugend hinzugeben, es musz daneben 
dem ] ehrer vor äugen stehen das beispiel Alexandprs dos groszen, 
der das im heim dargebotene wasser weggieszt, um vor seinen Sol- 
daten keinen Vorzug zu haben', er musz sorgen für alle, zumal die 
sehwücheren, musz helfen, beraten, überall bei der band sein, dazu 
sei er fröhlich, fördere die iust, den frohsinn und rf vor allen 
dingen an zum gesang. denn ^wandergaug ohne liedersang ist wie 
ein tag ohne Sonnenschein*. 

Aus der natur der sache ergibt sich, dasz, anders als bei den 
schulfesten, ein und dasselbe ziel nicht für die ganze schule gi wahlt 
werden kiuin. es musz geteilt werden, es empfiekit bich, m drei 
abteilungen auszuziehen, zusammen allemal sexta uad quinta, quarta 
nnd tertia , secunda und prima, es musz eben der imarsebföliigkcii 
der yerscbiedenen lebensalter nacb krKften recbnang güti ugen wflr> 
den. und so ItibH «na der gang unebrer darbtellang hin zn unserer 
oben gema4}bten eiiiteituDg der tumfalivteA in halbtägige, eintägige 
nnd nebrtägige. , . . • 

Dia balbtSgigen inm&hrten-, die aatai;geBili8a aft fniaa 
naohmitiiBgen yerönataltet werden und die eahnlor&nng nur inBofecn 
unterbreoben, als 6ie an einer verlegong derarbeiftsetandennOt^gent 
seien hier ntir kurz erwttbni« 

Die eintägigeil sind für alle lebensalter wohl geeigneL unsere 
8CbtÜer, welche gewohnt sind auf eigne fauet in wald und bergen 
berumzustreifen, sind laet. alle tüchtig im mancbieren* ich wtlele 
niebt, da» ein ausflug von einem tag je einem eaztamer au viel ge* 
wesen wttre* es iet ja sicher, dasz das gehen in einer gröszeren anzahl 
dem einzelnen eine weit grössere kraftanstrengung auferlegt, als wenn 
er mit zwei oder drei geführten dahin wandert; aber trotzdem halte 
ißh märsche von lünf stunden iUr nioht zu weit ausgedehnt, ea könnte 



über fichulauBflüge. 



601 



das wenig erscheinen, aber es musz da2u gerechnet werden, dasz das 
spiel am rastort, welches notwendig zur eintagsfahrt gehört, bedeu- 
tende kraft in ansprach liimmt. soll die fahrt weiter ausgedehnt 
werden, so benutze man die eisenbahn eine strecke, wobei natürlich 
besonders die kleiDLu scharf im ansre behalten werden müssen, doch 
üull die länge des marsches dadurt h nicht beeinträchtigt werden, 
denn die Wanderung soll anstrengen und mühen ei tragen leiiren, wie 
schon oben gesagt ist. 

Der Sammelpunkt anm aatraieii, das auf früh sechs oder aieben 
SB bestimmeii ist; wird am besten daa sobidgebttnde seiB. in aweck* 
mSszigem anzttg, mit etwas mimdTonrat in der taache^ oibne vorher* 
gegangenes atttrkeces firUhatOoken, ziehen die ach&kr im tritt and 
mit geeang ans dem ort hinaua. auch trommeln nnd pfeifen kennen 
dabei bomitet «erden, wenn etliche aehttler fcunstgereeht damit um* 
ngehen wiasen« bald wird zwangloB gegangen, ohne iadeaaen den 
snflammenhang an Terlieren. ob es aiok ala ntttdieh erweisfc, anr be* 
wafanmg der ordnong und dea Zusammenhaltes einen vor* nnd nach* 
trai>pan bestellen, wie Beust empfiehlt, wage loh nicht zu entscheiden, 
gewürzt wird der marsch durch gesang, gesprtteb, beobachtungen, 
wohl auch durch fröhlichen Überfall (/Zieten aus dem husch', wie 
man ihn in Berlin nennt), einen frischen dauerlauf oder eine müitlC* 
ria<die evolution« nach etwa stündigem marsch rast auf geeig- 
netem platze , und nach einer weiteren marschierten stunde ankunft 
am ziel, das wohl am besten ein in waldiger gegend gelegenes gast- 
haus ist. hier dann nach der mablzeit, die aus dem gasthaus oder 
aus den mitgebrachten Vorräten genossen wird, folgen die spiele, 
welche so auszuwählen sind, da&z sie nielit allzu sehr anstrengen ; 
namentlich ist eine abwechseiung zwischen lauf- und rabospielen m 
empfehlen, schwer trennt sich die schar von dem liebgewordeneu 
orte; aber nicht zu i>pät rttcke man ab. zeitig am abend müssen die 
Schüler nach haus zurückkommen, ermüdet, aber erfrischt, war das 
ziel ein anderes, vielleicht eine ytaut, zur besichtigung von fabriken, 
industriellen unternehmunc?en, schönen bauwerken u. dergl. , so ist 
natürlich der autenthali am rabtortganx, anders zu gestalten; es bleibt 
dem tüki des lehrers überlassen, wie viel fieiheit er den sciiulern 
gewähren will. 

Mehrtägige tnrnfahrten sind in der letzten zeit eine vieL 
nmBtrittene aaohe gewesen, diepreuszischeminiatefialverfügung vom 
17 juni 1886, die fibeihaapt ein gewisaee ablehnendea verhalten den 
aohttUnmiiihrten gegenüber zeigt, will nnr einen elnagen tag (oder 
zwei naefamittage) zur yerfUgung atellen. *fftr eine etwaige ana- 
nahmawetae anadehntmg eines aoaflnga Yonachfllem der oberenelaaaen 
Uber die dftner eines ganzen tagea ist sowohl bestlglieh dea dadurch 
herbeigeführten teilweisen anasetxena dea Unterrichts als Torzfiglioh 
dea gtfian su beaeidinenden planea des ausfluges die genehmigung 
des betrefifenden königlichen provinzial-schnlcollegiums TOiher.vom 
director (reetor) naehausuehen.' damit sind die mehrtftgigen aneflOge 



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602 Über Bchuiausfiäge. 



nur in seltenen fällen geotattet oder, wenn man so sagen will, eigeot- 
lich der scbulc verboten, die referate zu der directorenconferenz der 
provinz Saciibea von 1880 ;:{)recht'n sich ebenfalls in der überzahl 
gegen mehrtägige Wanderungen aUü. das hauptbedenken wird immer 
dü.b uachtquartier veranlaszt haben, es kann nun nicbl geleugnet 
werden, dasz, auch nach den crfahrungen an unserem gymnasium, 
eich bei dem übernachten in Städten oder d{)rfem hier und da iinni- 
irSglicbkeiten horausgestellt haben, teils babea sioli etiiebe eohfiler 
dureb unerlaubtes ausgeben in der naehtseit, die sie dann metet zum 
wirtsbansbesuob verwendeten, der oontroUe des lebrers entsagen, 
teils sebeint das gemeinsame lagern auf streu, das durch die rOek- 
aieht auf die geldverbAltnisse wohl meistens geboten ist, ge£riumi 
fttr die gesundbeit oder auch für die sittUcbkeit mit sieb gebracht 
zu haben, auch die TerbftltnismSsiige freiheit der bewegung an den 
rastorten mag Versuchungen gerade in sittlicher beaiebung herbei- 
geführt haben, auszerdem hat Ungunst der Witterung, z* b. starker 
regen, der die kleider der scbüler durchnäszte, ohne dasz sie genügend 
getrocknet werden konnten, was bei eintägiger tumfahrt natürlich 
in Wegfall kommt, und übermäszige anstrengnng auf den märsohen 
zu gesundheitlichen bedenken anlasz gegeben, ebenso hat man über 
die notwendigen geldausgaben geklagt, die unbemittelten eitern eine 
schwere Steuer seien, auf der andern Seite sagt z.b. Schiller bandb. 
d. pädag. s. 38 : 'sehr empfehlenswert sind in oberen classen aus- 
flüge Yon rnebreron tagen, die im sommer einmal eintreten können, 
sie geben nicht nur eine angenehme ausspanniing für iehrer und 
Schüler, sondern erweitern auch den gpistitfen gesichtskreis, fördern 
anschauung und kenntnis von land und leuten, verstärken das ge- 
fühl der Zusammengehörigkeit, zwinf^en zur Selbstbeschränkung, zur 
selbstbeherschung und ertragen von anstrengungen.' Spranck a. a. o. 
sagt: 'es dürften wohl nur sehr wenige bezweifeln, dasz eintägige 
ausflöge in die nUbere Umgebung des schulort^s nicht im stände 
sind, mehrtägitre iahrten in entferntere gegenden mit andorii oro- 
und hydrographischen verbaltnissen , andcru steinen und geüLemeii, 
anderer flora und fauna zu ersetzen, ganz abgesehen von der nicht 
zu unterschätzenden Wirkung, welche eine mehrtägige kameradschaft- 
liche gemeinschaft auf die ausbildung des Charakters ausübt, abge> 
sehen von der befriedigung , welche das wandern in unbekaimtfln 
gegenden der jagend bereitet, von der erfrisobung des geistes und 
kürpers durch mehrtägigen aufenthalt in berges- und waldesduft.* 
in gleichem und ähnlichem sinne sprechen sich sämtliche oben an* 
geführte ?erfasser aus; alle meinen, dasz die nachteile des mehr* 
tägigen ausflugs aufgewogen werden durch seine grossen vorteile, 
und ich musz bekennen, dasz ich im princip vüUig mit ihnen über* 
einstimme aus den gründen , die ich im ersten teil der abhandlung 
anführte, die nachteile aber lassen sich, denke ich, fast alle besei- 
tigen durch sorgfältiges sehtsn der lehrerauf die ihnen anvertrauten 
Schüler, aUerdtngs müssen sie eben alles mit den schülem teilen, 



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über scholausflüge. 603 



auch das streulager, sich üherzeugen, ob jeder ordentlich zugedeckt 
ist, ob alle mit trockenen klcjidern sich zur ruhu legten (das trocknen 
aber derselben ist wohl möglich, wie wir selber erprobt haben), zu 
geeigneter zeit ruhe gebieten , um alle Störungen zu verhindern, 
summa, wie väter für ihre kiuder in allen punkten sorgen, das 
macht viel mühe, aber es lohnt sich auch reichlich, denn jeder schüler 
wird fühlen, dasz es liebe ist, die den lehrer zu seiner müh waltung 
zwingt, überanatrenguDgen auf miiiicben bleiben ganz ausgeschlos- 
sen, wenn der lehrer in betracht zieht, dasz vier meilen für den tag 
auch für die Soldaten genügend erscheinen (general v. Griesheim in 
seiner taktik [s. Bach 8. 71] verlangt sogar nur drei für den tag), 
ferner die besefaafiinibeit der drtlicbkeit, wittenmg, die auf dem weg« 
gebotene geistige anregung nnd so fort berUeksichtigt und nicbi 
sieb, sondern ißn seblüer zam fi^Tpov dirdvTUiv madit. was die 
kosten angeht, so ist es dentUeb, dasz die scbule nicbt das recbt bat, 
den eitern erbeblicbe aasgaben anfsnlegen: viel&ob mag in dieser 
fainsicbt gesündigt sein, aber es ist müglicb, mit sehr geringen mit- 
tein sebr viel sn erreicben — man mtiBz nnr versteben einzateilen, 
Tortreffliebe aaweistingen bierzn finden sieb bei Spranok, Bach, 
Fieiscbmann« dasa mm in stftdten nicbt gerade die ersten gasthöfe 
aufsucbt, dasz man mit streulager sich begnügt, dasz man mit den 
Wirten vorherige Übereinkunft über die speisen und ibren preis trifft, 
dasz man bei benntzung der bahn um preisermttszigung eink<mimt| 
die wobi jedesmal gewttbrt wird, dasz man besonders keinen luzns 
aufkommen Ittszt, dasz man alle kosten bis auf die mark genau be- 
•reebnet, — das sind lauter selbstverständliche dinge, die aber dazu 
belfen, die Wanderung billig zu machen, lieber verfabro man etwas 
spartanisch, als zu üppig, entsagung trägt ihren lohn in sich, wenn 
Spranck von Homburg v. d. H. aus dreitägi^itf^ ausflüge mit 20 — 50 
Schülern nach der Kbön und dem Öaueriand gemacht hat, wobei 9^/^ 
und 8Y2 mark gebraucht wurden, wenn der vielerfabreue Fieisch- 
mann (s. 25 seines buches) die Verpflegung für den vollen tag zu 
3,15 mark für den einzelnen berechnet, wenn die secundaner und 
primaner unseres gymuasmms 1883 auf dreitägiger turnfahrt nach 
dem Fichtelgebirge im durch schnitt 10 mark aufwendeten, — diese 
beispiele könnten durch viele andere vermehrt werden — , so wird 
wohl niemand behaupten, dasz damit den eltein eine zu grosze last 
auferlegt sei. und ist et? doch der fall, «o künaen ja die reisespar- 
kassen, die nach Steinbarts und Bachs Vorgang einzurichten wSren, 
mit wöchentlicher einzahlung eines bestimmten beltrages von seiten 
aller scbüler, vielleicbt aucb der lebrer, gar wobl alle erdenkliebe 
erleicbterung scbaffen* es wird aueb dem armen mit sebr zartem 
elurgefühl niebt scbwer werden (wenn es ibm nicbt scbwer gemadbt 
wird) , aus der band des directors oder Ordinarius eine solebe der 
reisekasse entnommene beisteuer anznnebmen. es dürfte somit auob 
dieses bedenken keinen ToUwicbtigen grund gegen die mehrtägigen 
Wanderungen liefern, so bleibt nur noch der punkt de|' 8itt)icbkeit. 



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über BckulatuAfige. 



es kann vorkommen , dasz eine classe mit genügen ausnahmen de- 
moralisitrt ist, gewölmlich die arbeit emiger weniger, «ia.s schlechtey 
zumal wenn es in pikanter form vorgebracht wird, vermag ja weit 
mehr als das gute, und wie ansteckende krankheiten ergreift ec> oft 
die jugendlicbun Seelen, menschen, die in den banden der Sinnlich- 
keit gefangen liegen, sind schwer zu büfrtiL'ii: am meisten wirkt 
noch das ei iiste liebevolle wort unter vier äugen, ist nun eine classe 
HO geartet, was gott sei dank ja nickt allzu häufig der fall ist, so 
wOrdd auch ich unter keinen uniBt8nd«n eine mehrtägige tnmfahrt 
mit ihrer ▼erWtniBmftszigen freiheit gestatten, nfthme man aber 
diese freiheit hinweg, so streifte man den duftigen stanb von der 
blflte, so wftre das ganze ein gezwungenes ding ohne frende nnd be- 
geisterung, ohne sang und klang. 

Anch wenn sich die ganze classe durch disciplinlosigkait ans^ 
zeichnete, wie es ja immer nnersiehbare menschen gibt and gegobea 
hat^ halte ich es fttr geraten» von der tomfahrt abzustehen aus dem 
angegebenen gründe, es würde so die imterlassung ein förmUchoa 
Strafmittel werden, wie es die ansschlieszimg einzelner ist. 

Aber ohne diese ganz absonderlichen umstände halte ich di» 
mehrtägige turnfahrt für ersprieszlioh und möchte daram 
empfehlen sie in den schulplaa aufzunehmen. 

Ich vermeide es, einzeln auszuführen, wie eine turnfahrt von 
mehreren tagen sich gestalten soll, satis superque satis sind sie 
allerorten beschrieben, unterscheiden werden sie sich von den halb- 
und eintägigen besonders dadurch, dasz das üpiel zurücktritt oder 
ganz wegÄllt. desto mehr wird gesehen, beobaclitet, gelernt wer» l- n^. 
desto mehr wird auch der körper durch die auf einander folgenden 
miirscbe gestärkt werden, länger aber als auf drei tage möchte ich 
den ausfiug nicht ausgedehnt wissen, meines erachtens empüehlt 
sich die Ordnung, die auf unserem Öchleizer gymnasium, wie wohl 
auch auf manchem andern gegolten hat: prima und scLuuda wandera 
drei taf?e, tertia und quarta zwei, quiiiLa uad ücxL^ uiucn. 

Daaz sonn- und ieiertage nicht zu ausflügen der schule mit deui 
lehrer zu benutzen sind, sagt schon der vorhin genannte erlasz des 
preuszischen cultusministeriums vom 17 jnni 1886. 

£s bleibt in letzter linie noch ein karsea wort za sagen darllbery 
wie oft im Schuljahr solche ansftttge veranstaltet werden sollen. 

WissenBchaftliche ezcarsionen unterliegen natürlich keiner be- 
schrftnknng. es ist dem Unterricht entsprechend so verfahren, nator- 
beschreibung in den unteren dessen und heunatskunde werden 5fter 
den lehrer mit seiner classe hinausführen müssen, in den obereik 
elassen wird sich dies bedttrfnis weniger geltend machen. 

Auch das einsetzen von schwimmen oder Schlittschuhlaufen für 
das turnen sei der einsieht des lehrers anbeimgestellt, wenngleich 
auch hier das nr\bly äfav zu beherzigen ist es versteht sich , dasa 
wie von wissenschaftlichen excursioneny so auch vom ausfail der 
tumstunden ^er director in kenntnis zu setzen ist die ausflöge an 



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über solralaiisflfige« 



606 



scbulfeBten richten sich in ihrer aähl eben nach den schulfesten 
selber« dass nicht alle sehalfeste mit ansftflgen yerbunden sein kön* 
nen, liegt auf der band, ich halte es fltir genügend, wenn einmal 
oder zweimal im jähre die ganse schule in der oben angegebenen 
weise feiert. 

Wenn nach dem vorhin angegebenen früheren gebrauch unserer 
schale verfohren wird, nemlich dass die zeit der einzelnen turnfahrt 
sich von den oberen classen zu den unteren abstuft, so ist es recht 
und billig, dasz die kleineren entschädigt werden durch öfter wieder- 
holte Wanderungen, fttr sexta und quinta würden drei eintägige 
tnrnfahrten denen der primfiner ^^eicbkommen. so seien ihnen diese 
drei in^G cfewährt, den tertKincrn und quartancrn zn ihrer zwei- 
tägigen Wanderung noch eine eintitq-ige. mehr an zeit zu <:(ewlihren, 
halte ich nicht für thunlich, die wissenBcbaftiichen aufgaben ver* 
langen das sparen, wohl wäre es vortretTlicli, wenn wir lebrer vier- 
mal im jähr, wie Beust will, grÖ8zere ausüüge unternehriKni könnten 
mit den sehülern: aber das ist bei den zielen, die uns gesteckt sind, 
eine Unmöglichkeit, die Spaziergänge an freien nachmittagen, an wel- 
chen der Ordinarius seine classe ausführt, können hier kaum in be- 
tracht gezogen werden, sie bleiben dem ermosHon des lehrers anheim- 
gestellt, doch sei auch hier erwähnt, dasz man sich hüten musz vor 
zu häufiger Wiederholung, das schwächt ab und erregt zuletzt sogar 
langeweile. der seltenere genusz ist immer der höhere, freilich liegt 
es hier ganz in der persdnliohkeit des lehrers, wie viel oder wie wenig 
interessant sich ein soldier gang gestalten wird. 

Ich scbliesse, indem ich die werte eines meisters der tumkunst 
nnd des wanderns in den ganen unseres yaterlandes, Adolf Spiess 
anfahre (s.Baoh 8*50). er sagt in einem vertrag : ^geistige nnd leib- 
liche entwicklnng suid bei der jugend zugl^oh im wa^stom begriffen: 
darum soll die schule aeben den gewöhnlichen unterrichtsrSnmen 
auch spielpl&ize und tumpUltze haben ; und es will auch die jugend 
liinausgeftlhrt werden in die natur, in thäler und auf bergen in wald 
und flur; sie bedarf der Wanderungen, wie der erwachsene des Wan- 
derlebens, und dies um so mehr, je weniger die häusUehen und Ört- 
lichen verhUltaisse das leben im freien begünstigen, denn stube, haus 
und Strasse ersetzen nicht das leben in der natur, in der sich die 
kinder gottes erheben und erfreuen sollen, nur dann , wenn sich in 
dem jugendleben der schule das ganze wesen und gemüt der schüler 
erschlieszt, wenn neben der arbeit auch die freude in das schulleben 
einzieht, dann offenbaren sich dem lehrer auch die manigfaltigen 
lebens-^eiten seiner zöi^linge, dann breiten sich vor seinem bück die 
gesamten eigentümüchkeiten des jugeudlebens aus/ 

SOHT^ßlZ. ' ' YOLI.BRT. 



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606 



Die ohne m der aohiüe. 



58. 

DIE CHRIE IN DER SCHULE. 



Der gebrauch der cbrie in der schale wird heutzutage im groeM 
und ganzen für unzweckmäszig und unpädagogisch gehalten, man 

betrachtet sie als einen fremdling, der kein hochzeitlich kleid anhat; 
sie soll den anmaszeudon anspriicb nie erfüllen, welchen sie erhebt, 
nemlich den schillern ein gutur belfer zu sein, wenn sie lernen, die 
goldkörner der lebensweisbeit in kleine münze umzuwechseln: sie 
musz also aus dem schultern pel schleunigst ausgewiesen werden, 
dieser aufsatz hat nun die aufgäbe gerade das gegenteil nachza- 
weisen, und ich hoffe sogar, dasz ich nicht ganz ohne bundesgenossen 
sein werde, wenn ich jetzt für die chrie eine lanze breche. 

Die chrie wird aus zwei gründen für den schulgebrauch ver- 
worfen, nemlich einmal, weil Sinnsprüche überhaupt wenig geeignet 
seien zu schiilcraufsätzen , und dann, weil die form der clirie durch- 
aus willktlrlich und unlogisch sei und die gedanken der schüler wild 
umherfliegen lasse, anstatt sie auf gerader bahn zu führen, was nun 
den ersten punkt, den inhftlt d«r olurie, beirifit, ao ktim ioh ^en ao 
abgeschlossenen Standpunkt, wie Um die gegner der ohrieeinnehmeni 
nicht für empfehlenswert halten, besonders heute, wo dem gymna- 
sinm der Yorwnrf gemacht wird, es bereite zn wenig auf das leben 
Tor. nuk bildet ja allerdings ein aus der lectttre genommener auf- 
satz das denken gewis nicht nnr innerhalb des gegebenen wissen- 
sehaftlichen stoffes, sondern das denken fiberhaupt und beratet also 
gewis trefflich anch fürs leben im allgemeinen vor, ebenso wie reek 
und harren die körperkri&fte zu beliebiger Verwendung im spfttem 
leben sttthlen. aber man treibt doch sehr mit recht neben reck und 
barren auch andere flbangen, die unmittelbare bedeutung fürs leben 
haben, wie den sprung, das fechten, marschttbungen usw.; so muss 
meiner meinung nach die schule ihre Zöglinge bin und wieder eittr 
mal auch in die gedanken weit des täglichen lebens einen Aug wagen 
lassen, natürlich unter sorgfältiger leitung und innerhalb des an- 
!?cbauimg'skreiscs, welcher der jugend bekannt ist oder doch von ihr 
dadureii überschaut werden kann, lasz die kunst des k>brers ihren 
blick schärft, die Wahrheiten und gesetze des lebens sind für jeden, 
der sie sucht, kenntlich; nnr musz sie jeder in seinem kreise buchen, 
wenn so ein geeignetes thema gewählt ist, dann wird der aufsatz 
eben nicht ein klugreden über unverstandene dinge sein , wie man 
es der chrie nachsagt, sondern eine treflFliche Übung im denken und 
darstellen, und dieses suchen, prüfen, folgern auf dem gebiete des 
täglichen iebens ist für die schüler wohl auch anziehender als ein 
dem Unterricht entnommener stoff, weil eben am griii" ms volle 
menschenleben immer mehr reiz hat als bücherweisbeit, besonders 
für den jugendlichen geist; der so gern von allem wissensqualm sich 
entladen läset, freilich bietet nachher die gute auearbeitung einer 



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Dae ohne in der sehole. 



607 



chrie mehr Schwierigkeiten als eine einfache darstellutig gegebener 
thatoachen aus der leotAre oder gesebichte. aber wenn man die nn- 
beholfenheit des sehttlers da nicht sich selbst ttberlttsstf sondern den 
ersten anfeats dieser art Tollstftndig in der schule — natürlich nur 
mUndlicfa — entwirft, dann wird die einem solchen thema anhaftende 
Schwierigkeit yerhältnismitesig leicht liberwunden, ja sie wird vielen 
sogar ein eigentümliches vergnügen machen , weil sie hier mehr ge- 
legenbeit haben ihre phantasie und ihr gefühl mitsprechen su lassen, 
— Nun soll aber der deutsche aufsatz ein wesentliches mittel zur 
herstellung der inneren einheit des Unterrichts bieten; deshalb ist 
für die chrie keuoi rechter plats im lehrplan, dem gegenüber glaube 
ich, dasz, wenn etwa drei oder vier chrien in den zwei jähren der 
secunda bearbeitet werden, diese der einheit des Unterrichts nichts 
schaden werden, im gegenteil, sie werden gerade zur einigung des 
Unterrichts beitragen, denn in den ?chulautorcn kommen nicht 
selten Sinnsprüche vor, und diese dürfen auf keinen fall unbespro- 
chen gelassen werden, die betretiendeu lelirer müssen die schüler 
darauf aufmerksam mach*^n, dasz so ein ainrnpruch auch auf andern 
gebieten als auf dem gerade vorliegenden anwendung findet, und 
sie wei den auch in kürze beispiele aua der geschieht© oder aus der 
naturlebre heranzuziehen suchen, sie thun also gerade, was die 
chrie verlangt, und wenn der schüler das be&prochene zu einem auf- 
satz verarbeitet, so wird dieser gewis zm inneren einigung und Samm- 
lung des Unterrichts beitragen, ja noch mehr! wenn der Unterricht 
nieht nur verbLaud und wiSdcn der schüler, Sündern auch ihren wiiieu 
bilden soll, so ist doch ein aufsatz über einen Sinnspruch ein brauch- 
bares mittel dazu , weil sie durch denselben veranlaszt werden , die 
sittlichen gedanken^ welche in der schale in ihnen erweckt worden 
sind, noch einmal durchzudenken und dun^ die niederschrift sieh 
recht anzueignen — immer vorausgesetst, dass das thema in dem 
gesichtskrelse der jugend gehalten ist. demgemSsz sollte man, seheint 
mir, die chrie ihres Inhalts wegen nicht nur nicht verwerfen, son- 
dern Tielmehr pflegen. 

Doch die schwersten anklagen hat die chrie wegen ihrer form 
anssuhalten. da hin ich nun der ttberxeugung, dass sie sehr yer- 
kannt wird, allerdings, wenn man ihr Schema, diese Zusammen- 
stellung Ton wegweisem für unsere gedenken, nur oberflächlich be- 
trachtet, so führen uns diese Wegweiser zwar alle zu verschiedenen 
aussichtspunkten , von welchen aus wir ein in der mitte liegendes 
ziel in verschiedener heleuchtnng und mit verschiedener Wirkung 
betrachten können, sie sdieinen uns aber ohne einheitlichen plan 
aufgestellt za sein, sieht man aber näher zu, so fügt sich alles zu einer 
richtigen folge zusammen; dieselbe ist auch für die schüler selbst 
durchaus einleuchtend, das Schema lautet gewöhnlich: 1) dictum 
cum laude autoris, 2j paraphrosis, 3) aetioloc^ia, 4) contrarium, 
5) Gxempluin, 6) simile , 7) testimonium, 8) conclusio. selbstver- 
ständlich wäre es sehr unpädagogisch, wenn der lehrer| sobald er 



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€08 Die chrie in der eohnle. 

zum erBien male eine ekrie aufgibt, dieses sebema diotierte, erkUrU 
und nun der reihe nach die zum thema gehörigen gedanl»n in die 
fertige fem einfügte, der lehrer diotiert vielmehr ohne weitem 
das tbema, vielleieht einen nnlSngst gelesenen lateinischen eder grie* 
ohischen Ter», und fragt dann, waa'anr bebandlnng desselben zuerst 
zu tbun nötig sei. die antwort führt auf nr. 2, die paraphrasis (nr, 1 
^einleitong' wird ebenso wie nr. 8 'sehlnsa' znletat beeproohen, wefl 
sie nebensacben sind, die sich aus dem ganzen erst ergeben soUen). 

Nach der 'erklär ung des themas ergibt sich sogleich als nächstes 
erfordemis nr. 3, der beweis des aufgestellten satzes, die bauptsacbe 
der ganzen arbeit, man wird die schüler nun darauf bringen , dasi 
man eine Wahrheit hauptsächlich auf zwei verschiedene arten be- 
weisen kann, nemlich dorcb innere G:ründe und durch belege, welche 
von auszeu zur bestätigung herangezogen werden, da die erschöpfung 
des themas verlangt wird, so müssen beide arten des bewiMses ms 
auge gofaszt werden, welche ist zuerst vorzunehmen? es ergibt sich, 
dasz sowohl die natur der sache als auch das interesse des lesers zu- 
erst den beweis aus inneren gründen und dann gleichsam als rechen- 
probe den beleg erfordert, nun wird die aetiologia für sieb dis- 
poniert nach gesichtspunkten, wie sie den) tliema gemäsz sich er- 
geben, wenn dieses fertig ist, erinuert man daran, dasz es in der 
mathematik auch noch einen sog. indirecten beweis gibt, und kommt 
dadurch auf nr. 4 'beweis aus dem gegenteil'. damit wäre die erste 
beweisart erschöpft, und man schreitet nun snr aufisnchang der be- 
lege, dieselben fcSimen sein 1) gesehefaene oder dwdi als gescbehen 
angenommene nnd 2) gesprodiene oder gesohriebeae« was diean- 
ordnnng an gebt » so wird man wohl die gesprochenen belege (nr. 7 
tesümonia) snletat nehmen, weil ein ^ichterwort n. dergL eines 
schönen abecblnsz der beweistühmng abgibt die geechdtenen be- 
lege können nun genommen weiten a) ans der gesdiichto nnd den 
täglichen leben, b) ans der natur ^ nnd ergeben BO nn 5 exempiom 
und nr. 6 simile. wir haben also folgende durchaus logisehe ancvd» 
nnng der gedanken für die aosführong des themas: 
I. erklSrung des Sinnspruches» 
II. beweis 

1) aus inneren gründen 

a) direct, 

b) indirect; 

2) durch äuszere belege, 

a) geschehene: 

a) aus der geschiebte und dem täglichen leben ^ 
ß) aus der natur; 

b) gesprochene oder geschriebene. 

nun wird man einieitung und schlusz besprechen, beide müssen 
nicht eigentlich zum thema gehören, sondern die erstere musz dea 
leser auf dasselbe hinführen, der letztere aus dem thema gleichsam 
herauswachsen, der lefarer wird den scbülern hier zu passenden ge- 



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W. Schleyer: landeskuude des deuUcheu reicbs. 



609 



<ianktju vorhelfün müssen j denn namentlich eine leidliche einleitung 
zu finden fölU ihnen gewöhnlich schwer, jedenfalls musz diese ihren 
abschlusz finden in dem als thema aufgesteHten satz, also das dictum 
{nr. 1) musz wQrÜiob Wieder angeführt werden, und man darf sieli 
nicht im beginn des anfeatxcs auf das thema besiehen etwa mit den 
«nfangBworten : Mieser anssprach des* usw. was nun die herkömm- 
liche Terordnung 'cum laude auctoris* angeht, so kann natürlich das 
lob aus dem munde der unmündigen in diesem lalle auf keine weise 
empfohlen werden, der zusats Wlt^ einfach fort, wenn der lehrer 
«oguterletst den sehfllem das reoept der chrie mit der erklttmng 
ihres namens gibt ; man kann ja ttberhaupt auch die lateinischen be- 
selchnungen mit deutschen vertauschen. — Endlich möchte ich es 
noch empfehlen , dasz der lehrer die schttler nachdrücklich auf die 
brauchbarkeit hinweist, welche die im zweiten teil der chrie aufge* 
stellten beweismittel, ich meine die belege, auch für andere themen 
haben, die nicht auf einen beweis, sondern auf eine schildernde dar* 
■Stellung usw» hinauslaufen, eine dichterstelle, ein geschichtliches 
beispiel, an passender stelle eingefügt, sind sehr wirksam, und die 
Schüler müssen dazu angehalten werden, dasz sie ihre lern* und lese- 
IrtLcbte für solche fälle auch ausnutzen. 

Ich hoffe hiermit gezeigt zu haben, dasz die chrie die vorwürfe 
nicht verdient, welche ihr so gern gemacht werden, dasz sie viel- 
mehr ahs ein nützliches glied im ge triebe des Unterrichts zu betrachten 
und deragemäsz auch zu verwenden ist. 

Bfi&ENT im WESTPftEUszEN. Adolf Gbossmakm. 



59. 

IiANDBSEUNDB DES DEUTSCHEN REICHS. VON W. SOHREYER, KÖNIGL« 
BBZIRKS80HULINSPECT0R. AUSGABE A. EIB HAMOBUOH fOe LBBBEB« 

Meissen 1890. Schlimpert 686 8. 

In diesen jahrhflchem (Jahrg. 1887 s. 221 — 24) ist bereits ein 
weiric desselben Verfassers zu ausftihrlicher, durchaus empfehlender be- 
eprechnng gelangt, die laadeskunde von Sachsen, dass wir in dem oben 
verzeichneten neuen buche nur den nächsten metbodischen schritt, 
4ie fortsetzung der landeskunde von Sachsen zu sehen babeut bezeugt 
die vorrede, jedoch auch ohne diese ausdrQcldiche bestfttigong sind 
beide werke als solche aus einem gusse zu erkennen: in iOlectionen 
oder capitel gegliedert, ttber jedem denelben lehrmittel, lehrziel, 
lehrgang genau verzeichnend, auf breiter physischer grundlage das 
gesamte cultnrelle leben aufbauend und die Wechselwirkung beider 
berttcksichügend, in blühender spräche auf grund guter quellcnwerke 
und reicher persönlicher anschanung darstellend, das wirkliche land* 
Schaftsbild durch eineabschlieszende dichtung verklärend, die namen- 
«rklfirnng nicht ausser acht lassend, den stoff innerhalb jedes capitels 

N. f iht«. i; phU. «• pi4. n. ftU. 1880 hfl. IS. 89 



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610 W. Scb.rej'tir : landebkuiide des deutschen reiche. 



in seine einzelnen momente zerlegend nnd das sporadisch gefundene, 
ehe ein weiterer soliriU yorwirts gethan wird^ Busammenfosseiid und 
Terdiehtend , in syntbeiiscber weise das ganze aufbauend imd am 
schlusBe Tom gansen ans das einzelne wttrdigend: so stellen sich 
beide werke als yortreffliebe bandbflcber ftr die lebrerband dar, wih> 
rend die ausgaben B nnd C den stoff zu repetitionszwecken für scbfller 
und zwar solcbe auf yerscbiedenen lemstufen zusammenfossen. 

Die fragend -entwickelnde form tritt in der landeskunde. des 
deutschen reiche ganz zurttek) dagegen das bestreben: landergerllst 
und belebendes Charakterbild zu verflechten , entschieden in den 
yordergrund. das gesamte niveau Iftszt erkennen , dasz dieselbe um 
so mehr auszunutzen sein wird, je vorgeschrittener die scbüler sind, 
mit denen Deutschland zu behandeln ist. bei einer erstmaligen be- 
sprechung kann natürlich an eine directe, unmittelbare yerwendung 
des buchs im unterrichte nicht gedacht werden ; da kann es sich nur 
um einen reflex, eine quintessenz, eine skizze aus dem gemälde ban- 
deln^ was jede auch nur oberflächliche prüfang yon Stoff (besonders 
der geologischen excursi ) und form ergibt. 

Die eigenartige Verbindung von lehrhaftem und dem aus- 
schmückenden Charakterbild bringt es mit sich, dasz manches 
moment herbeigezogen werden musz, das nicht istreng caujsal aus 
natürlichen bedingungen herzvileifen ist (vgl: die stlidtebilder Ka>>t 1, 
Darmstadt, Glugau, Wolfenbüttel, Kothen usw.). die namtnerkUi- 
rußg ist zuweilen unterlassen (z. b, bei Hall, Taunus, Solling, Rhön 
usw.), zuweilen auch vom herkömmlichen abweichend: so Soest von 
bUisat = sitz an der Ralzi((on quelle, Aachen von urbs aquen.sis^ 
Kassel von kebbel, Bürde von barau = tragen, Iserlobu von ivho 
wald u. a. , während mir die erklärung in Coordes' schulgeogra- 
phischem namenbuch naturgemUszer erscheinen wollte. — £iniges, 
wie die Torhöhen des Harzes (Teofelsmauer, Hnj) sowie der beesi- 
'sehen Senke (Desenberg, die höhen des Diemelgebietes und der 
Haase) usw. konnten als weniger bedeutend füglich ausgeechieden 
werden, merkwürdig erscheint die form der Memel (als mase.)* 

In welch musterhafter weise der yerf. die resultaie der entwick* 
lung eusammensufassen irerstebt, dafür nur ein beispiel, die Wetteiaa 
8. 310: *80 zeigt sich uns die Wettemue als ein gefilde, yon der Wetter 
durchflössen, vom wetter des himmels freundlich begünstigt, tob 
wetterharten bauem bewohnt, aber auch von den wettern des krieges 
nicht selten geschädigt' auch solche die entwicklungsergebnisse 
gleichsam verdichtende, auszerdem orientierende und mnemoniscA 
wichtige bezeiebnungen wie: Altenburg ist der Pleiszestaat , Beuss 
der Elsterstaat, Schwarzburg der Saalestaat, Meiningen der Wena- 
Staat Thüringens — oder Gera ist das thüringische Klein-Leipzig, 
Sondershausen die thüringische musikstadt, Meiningen die tbeat^r- 
otadt, Eisenach die verkehrsstadt usw. zeigen den praktischen schul- 
mann, kleine sachliche versehen werden wir dem hm. verf. direet 
mitteilen, zusammenfassend dürfen wir wohl sagen: das werk ist 



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Zur erinnerung an Karl Ludwig yoq UrUche. ■ 611 

lier^orgegangen ans ittcbtigem stndimn und nmÜHseenden reisen, 
pSdagogisob ecbarf gegliedert, durchweht von Bitterschem geiete, 
poetisch angehaucht in seiner gesamten diotion und wendet sich an 
lefarer, die sich durch den geist sympathisch berOhrt f&blen, den 
stofif aber als edles metall betrachten | das sie ptt<fagcgisch-indiTi- 
dualisierend mttnsen und ausprSgen. 

Roszw£m. Ludwig GIblbe. 



60. 

ZUB ßBmNEBUNG AN KAKL LUDWIG VON ÜMJOHS.* 



Karl Ludwig Urlichs vater, Leonhard, stammte aas Aachen, seine 
mutter, Henriette Führinf , ans Qöttingen. er selbst wurde am 9 noTem* 

ber 1813 in Osnabrück geboren, wo der vater damals die stelle eines 
abteilungsdirectors in der französischen präfectur bekleidete, doch schon 
wenige monate darauf verlieszen die eitern mit ihm und einer älteren 
sobwester Infolge der Keitrerhültnia^e ihren wobneiti und begaben sieh 
naeb dem beimatlicben Aachen, wo der vater nach beendetem kriege 
eine anstellung als registrator bei der prenszischcn regierung fand. Sfhon 
im jähre 1826 wurde er vorzeitig den seinen eutrisseu, docii war die fein 
gebildete matter der aufgäbe der erziehung des trefflich angelegten knaben 
gewadisen, was er mit zärtlicher dankbarkeit anerkannte, schon in seinem 
nennten jähre war er, bis dahin durch Privatunterricht vorbereitet, in die 
unterste classe des Gymnasiums aufgenommen worden, bestimmend für 
seine gesamte geistes- und lebensrichtung wurde es, üasz; im herbste 182Ö 
Friedrich Anton Bigler, oberlelirer des gymaaeinms en Bonn, der raKtere 
langjährige leiter des Potsdamer g3rmnasium8, damals kaum aohtand- 
zwanzigjährig, als director an da« Aachener gymnasium berufen wurde: 
Bayer von gehurt, in der schule von Thiersch in München gebildet, ebenso 
gründlich nnd Tielseitig unterrichtet als anregend, wendete er dem begab- 
ten und strebsamen knaben eine wahrhalt Täterliche freundschaft zu ; sein 
beispi« 1 und sein rat waren es, die ihn bewogen, sich dem Studium des alter- 
tums, das ihn schon auf der schule vorzugsweise angezogen hatte, völlig 
zu ergeben, leider vertauschte Higler, der, im begriff zuni evangelischen 
bekenntnis übersatreten, an dem anseehliessUcii katboliseben Aachener 
gymnasium nicht länger an der stelle war, bereits zu Ostern 1827, nach* 
dem Urlichs erst ein halbes jähr lani^ die primfi besucht hatte, Aachen 
sanäcbst mit Cleve; unter diesen Verhältnissen musz es als ein zeugnis 
unbefangenster anerkennung erscbeinen, das ebenso die auastellenden 
als den empfänger durt,.wenu es in dem herbstprogramm dieses jahres, 
durch wolclies der comraissar und die lehrcr des gymn?\pnim8 zur herbst- 
prütuug einladen, heiszt; ^diese ausschel lung hat uns um so mehr mit 
dem innigsten schmerze erfüllt, als wir in der schönsten harmonie an 



auszer dem eingehenden artikel eines seiner angesehensten schüler, 
N. Weckleins, in der Münchener allo'emeinen zeitung vom 6 februar 
d. j. and sonstigem gedruckten, namentlich in Urlichs eignen zahl- 
ittichen sohriften lerstreulen material standen mir auf meine bitte fast 
aumahmslos in ea^fegankommendster* weise mir gewährte aufzeichnun- 
gen von seinen ^'enossen aus fast allen lebensabschnitten seit der Stu- 
dentenzeit zu geböte, vor allem aber bin ich seinem jüngsten söhne, 
dr. H. L. Urlichs^ zum wärmsten danke verpflichtet, der sich mit selbst- 
.losester aufopferung von seit und mtthe mir in jedem betnudit hilfreich 
nnd förderlich erwiesen hat. 

89» 



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612 



Zur erinaeruug an Karl Ludwig von ürlichs 



der yervollkommnniig dieser enstalt mit ihm arbeiteten', werte, die hier 

mitgeteilt werden, um zu zeigen, von welcliem sinn und geist auch die 
anderu lehrer des jungen Urlichs beseelt waren, dieser selbst sprach 
bei dem mit jener prüfung verbundenen redeaotns in lateinischer spräche 
über den laznB nnd die Sittenverderbnis der Römer nach der zeit der 
bürgelkriege, ein jnlir darauf wurde der nicht voll sechszebnjähri^e 
bereits 7A\r Universität nach Bonn entlaasen; auch diesmal trat er als 
redner aut\ wobei er von dem leben und von den Verdiensten des 60- 
kretes spradi. seiner dankbaren erinnemng an die anstatt, der er seine 
bildung verdankte, gab er noch am tage seines fünfzigjährigen doctor- 
jubilänms in der widmnng seiner beitrage zur kunstgeschichte eineo 
pietätsvollen ausdruck. in Bonn war es ihm noch vergönnt, unter den 
sahlreiehen sidiörem, die begeistert an seinem mnnde hiengen, den Ver- 
lesungen Niebnbrs über slte gesohiohte und über rSmisdbie altert&msr 
beizuwohnen, nach des q;ros5^en mannes hinscheiden sprach er es aus, 
dasz er ihm wie ein glänzendes gestirn erscheine, das auch jetzt noch 
mit seinem liebte die rheinische hochschule bestrahle, und noch in seinen 
letsten lebensjahren sollte er seiner meisterschaft als der begründerin 
der engen Verbindung der alten geschichte mit der elassischen pliiln 
logie pietätvolle anerkennung, wenn er auch anerkennen muste, dasz 
sie sich dem erweiterten umfange gegenüber, welcher durch die unge- 
meinen fortsehritte in der kenntnis von Oberasien nnd Ägypten gegeben 
sei, nur in einer gewissen beschränkung aufrecht erhalten lasse, die 
cla?*sische philologie selbst wurde damals in Bonn durch Heinrich, Näke 
und Welcker vertreten, von denen der erste lateinische, der zweite 
wenigstens vorwiegend griechische Schriftsteller in seinen Torlesuoges 
erklärte; jener ursprünglich ein schüIer Heynes, hatte sich später eng 
an Friedrich August Wolf angeschlossen; diesem zollte Urlichs, der 
ihn einni Ll als einen der ausgezeichnetsten srhüler Hermanns bezeich- 
net, auch auf dem katheder 'warme worte der auerkenuung und üet 
dankes'; von Heinrieh weiss er gletehfalls nieht nur sn rühmen, dass 
er sich um die methodische ansbildung der gymnasiallehrer hochverdient 
machte, sondern auch, dasz er persönlich seinem Unterricht viel ver- 
danke, und auch im philologischen seminar gedachte er rühmlich seines 
Jnyenaleommentars; fünf semester hindurch war er seihst mitglied dei 
von diesen beiden damals geleiteten philologischen seminars, dessen 
hohen nutsen für seine aufbildnng- er dankbar anerkennt, während er 
bei ihnen die grundlage seiner grammatisch kritischen Studien legte, 
führte ihn Welcker in die tiefere kenntnis der wesentlichsten Seiten, 
▼er allem des griechischen altertnms ein. auszer Vorlesungen über die 
encyclopUdie der philologie nnd über griechische altertümer hörte er 
Weickers vortrage über seine h an])tfächer : griechische littcratiir^r?- 
schichte, griechische kunstgeschichte und mjthologie. ''diese Vorlesungen 
wirkten* naeh Urliehs eignen worten 'nachhaltig anf seine anhSrer, nieht 
durch glänz des vortrage» sondern durch die gediegene gelehrsamkeit, 
die verhaltene begeisterung und df-n re5ohtnTn der p^edrinken, welche 
ihm so reichlich zuströmten, dasz er, wie äokrates vor der stimme dei 
^monion stehen blieb, plBtalieh stoektOi um einen neuen fitden sa 
fassen\ 

Wonn Urlichs selbst bekennt, in bezn<r fiuf sein urteil über seinen 
lehrer Heinrich sich etwas befangen zu fühlen, so möchte ich das auch 
nach eignen, nicht lange darauf (1836/7) gemachten erfahrungen auf 
Näke ausdehnen, dessen behagliche selbstgefftllige breite midi nseh 
den durch Böckh, Lachmann und Droysen in meinen ersten Semestern 
erhaltenen eindrücken, trotzdem ich beider gründliches wissen ineht 
verkannte, ebenso wenig anzuregen und zu fesseln vermochte als üein- 
riehs unbehagHehe polternde knappbeit; freilich waren beide damals 
bereite fast am ende ihres lebens angelangt und im niedergaoge be- 
griffen, während Weloker, obwohl einige jähre älter als Näke, im miHelr 



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Zur erixmerimg an Karl Ludwig tou Urüchs. 613 



punkte eioes reiehen, scli5pilBiiselieit wirkens und sohaffeiis sieh befand ; 

und wenn auch seine von ürlichs mit recht als nebenvorleran^ erwHlin* 

ten griechischen altertümer die durchsichtige klurheit und das staats- 
m&nnische eindringen Bückhs nicht erreichten, die frriechische kunst- 

Sescbichte im sommer 1836 zu früher stunde im iiohen, lichten saale 
er Mbliothek ▼on ihm ▼orgetragen 'mit einem seltenen verein von poe- 
tischer und phantasiereicher aaffassung des ganzen und sorgfülttgster 
er^ründtm^ des einzelnen zugleich die begeisterung entzündend und den 
f orschungstrieb anregend', wie ich sie dem hochverehrten lehrer gegen- 
über selbst einmal beseiehnet habe, ist mir Yon all dem reiehen nnd 
"bedeutenden, das mir während meiner studienaeit dwrgeboten worden 
ist, in lebhaftPBter und verklärtester eriunernn^ prebliehfMi ich glaube 
nicht zu irren, wenn ich nach Urlichs ganzer weiterer entwicklun^ 
Welckers einflusz als den maszgcbendereu auf seine gesamtHuschauung 
vom elassisohen altertnm und von der Wissenschaft des elasirisehen alter- 
tnm3 rrarhtc wie pietätsvoll und dankbar er sich ihm innig verbunden 
•\vustL , davon gibt ein beredtes Zeugnis der herlicbe aufsatz , den er, 
ohne seinen uamen zu nennen, zu des geliebten meisters Jubiläum 1859 
in den prenssisehen jahrbtlehern Yeröffentliohte. 

Es konnte nicht fehlen, dass der früh reife, regsame und strebsame 
Student die anfmerksnmkrit spiner lehrer erref^'tp; h^ Weleker sahen 
seine commilitoneu seinen besonderen göuuer, im seminar war es uament« 
lieh Nike, der ihm wohlwollende beachtung schenkte, auf die er nach 
dem urteil eines einsichtigen studiengenosseo durch seine rasche auf- 
faasung und seine Iriehtigkeit im l iteinischen ausdruck einen entschie- 
denen anspruch hatte; seine Studien zeigten sich schon damals viel- 
seitig; mit Vorliebe erschienen sie auch, wie ein anderer hervorhebt, 
bereits, entsprediend den von Welcher aasgehenden anregungen, auf 
arohäologie und namentlich auf kunstgeschiohte gerichtet; doch war er 
auch in allen andern gebieten strebsam und tüchtig; besonders suchte 
er sich auch mit der geschichte und mit der litteratur der philologie 
bekannt sn machen und dieser sn folgen, er war sieh bewnst, deir an- 
dern mitgliedern des Seminars überlegen zu sein, aber ohne trotz einer 
gewissen raschheit des nrtells sich zu überheben, so dasz er das gute 
auch bei andern voll zu würdigen wusto und selbst rastlos nach Ver- 
vollkommnung und vertietuug strebte, was auch bei beurteilung seiner 
im Seminar gelieferten arbeiten sur anerkennang gelangte, so, meint 
der eben bezeichnete gewährsmann, habe ein urteil Heinrichs, er habe 
gemäsz seiner herkunft aus Aachen etwas französisches an sich, in seinem 
wissenscbaftlichen bemühen wenigstens keine geltung behalten, während 
er in studentischen kreisen eher in diesem liebte erschienen set 

Seiner ganzen richtung und seiner neigong auf eine allgemeine 
durchbüdung entsprechend suchte er sich aber ausser dem dassischen 
altertum uud seiner geschichte auch durch die Vorlesungen von f^ot-bell 
und von Hüllmann auf dem gesamtgebiete der geschichte heimisch. /<u 
machen, daneben ffihrte ihn in die gesehiehte und in die litteratur der 
Inder August Wilhelm von Schlegel ein, in das italienische Friedrich 
Diez, fast in alle zweige der philosophie Brandis, dessen Scharfsinn und 
dessen gelehrsamkeit er dankbar anerkannte. 

Den abfchlttSB seiner Stadien beseiehnet die am S augnst 1854 er- 
folgte SffentHehe Verteidigung seiner dissertaiion über eiuMl der nach 
den drei groszen riechisrhcn tmo-ikern bedentondsten, nfimentlich durch 
seine satyrdramen hervorragenden bühnendichter der blütezeit, Achaeus 
von Eretria auf Euböa, zu der wiederum Welcher die anregung gegeben 
hatte, durch ihre auszergewdhnliehe lebbaftigkeit (der eine der oppo* 
nenten war der kürzlich verstorbene ausgezeichnete Orientalist Gilde- 
meister) schwebt sie noch heute damaligen zeugen mit volJer frische in 
der eriunerung vor. kein geringerer als der meister selbst führte das 
erstlingswerk des 'ausgezdchiieten und hoffnungsvollen jungen philo- 



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614 



Zur erinueruog au Karl Ludwig yon UrUchs, 



logen^ mit grosser anerkepanng in die SffentUdilceit ein; nicht bloss 
fleiszig gesammelt and im einselaen behandelt findet er die brachstücke 

des dichtcrs, sondern der Verfasser beweise 'an^ewöhnlich viel sinn mid 
anläge in die mythischen gegenstände und in das dramatische einzu- 
dringen und habe nanehes sehr glfieklich erraten'. 

Nachdem der junge doctor darauf eine seit lang als lehrw am 
Fellenberj]^8chen Institut in Hofwyl thätig g^ewesen war, be^-ib er sich 
in der ausg'esprochenen ab'^icht, sieh znm alcnd« uüsclien Icliramte vor- 
zubereiten, nach Italien, im sonimer 1835 traf er in Kom ein, um den 
beginn des nttchsten jahres war es ihm besehieden, als ersieher in das 
haus Bunsens, des damaligen prenssiscben gesandten bei dem |»ipst- 
lieiien stuhl, einzutreten. 

Bunseo, hochbegabt und liochgemutet, den vielseitigsten geistigen 
Interessen angewandt« war dsrch langjährigen anf enthalt in Rom völlig 
heimisch, durch Niebahr in sein haus aufgenommen und zur teilnähme 
an den ^eschUften heran^ezor^on , länger als oinem Jahrzehnt sein 

nach folger, mit einer ihm ebenbürtigen, duruh geist wie durch harz 
gleich ausgezeichneten gattin aus einer angesehenen englischen familie 
▼ermShlt, vt^uste er den hochgelegenen palast Gaffarelli anf dem Capitol 
znn" mittelpunkte des anserlesensten verki«!irs zu machen, mit hervor 
rapenden Italienern vereinigten sich hier durch gehurt, Rtollung und 
wissenschaftliche oder künstlerische bedeutung ausgezeichnete fremde 
aller nationen, ▼omehmÜch Deutsehe and Engländer $ neben der maaig- 
fachen anregung, die von dieser vielseitigen und wechselnden geselh'g- 
keit dargeboten wurde, stand ein enjrerer kreis bewährter, dauernd oder 
doch meist für längere zeit in Horn ansässiger hausfreunde, denen sieh 
Urlichs bald anreihte, fremden » die in das gastliche hans eingeführt 
worden, gegenühor « i srhien er bald als ein vollberechtigtes glied des> 
selben, jenr> fr nu le des hanses wurden mieh die seinigen : Kestner und 
Platner, jener hannöverscher ministerresident , dieser sächsischer ge- 
schäftsträger, Alfred von Ueumont, zur zeit der gesandtschaft beige« 
geben, der darch seine späteren Verhältnisse som prinsen Albert «nd 
zum preusztschen hofe bekannte Karl Friedrich Meyer, sämtlich auch 
schriftstellerisch thätig, Heinrich Abeken, damals gesandtschaftsprediger, 
später bekanntlich ein bochangesehenes mitglied des preusziachen aas« 
wärtigen amtes, sowie gleiobstrebende junge gelehrte, namentUeh Richard 
Lepsius, der bald als ägyptolog sich auszeichnete, and die nach treff» 
liehen wissenach iftlicheM 1 ri'^ttiTirpeTi früh hinübergegangenen Wiiheha 
Abeken, ein vetter des eben genannten, und Felix Papencordt. 

Den mittelpankt des wissenschaftlichen lehens der gesamten deutsch* 
römischen colonie bildete das institot für archäologische correspondens. 
seit einitren jähren durfte es .sich, unter Dunsens hervorrap^ender mit- 
wirkung gegründet, infolo^e der von iiiin als pfeneralsecretär nach üb r- 
wiudung aufäuglicher Spaltungen erfolgreich durchgesetzten ueuordnuu^, 
nach den bezeichnenden werten des berufensten kenners und anfseieh* 
ners seiner geschichte, einer centralisation seiner thätigkeit in Rom und 
eines festen domicils auf dem Capitol als eine selhj?tändige , die bürg- 
Schaft ungestörter contiuuität in sich selber tras^ende anstalt erfreuen, 
jetzt führte als nachf olger des um die begründnng and die fSrderosg 
des Instituts wie um die archäologische Wissenschaft gleich hochver- 
dienten Eduard Gerhard, der mip}) nach seiner heimkriir in das deutsche 
Vaterland 'der .sache wie dem namtii n u h' dirigierender secretär ver- 
blieb, der schon seit einigen jähren 'iurch seine vermittelung dem in- 
stitnt beigegebene Emil Braun die geschäfte. phantastisch, ttbersehweag* 
lieh und nicht ohne eine gewisse dem entsprechende Wunderlichkeit, 
hatte er sich anderseits, um Urltcha eigne worte in dem ihm gewidmeten 
artikel der deutschen biographie über ihn zu gebrauchen, 'eine so um- 
fassende and gründliche kenntnis der alten denkmäler erworben, wie 
ausser Gerhard keiner seiner landslente' and stand diesen als f&hrer 



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Zur erioueruQg an Karl Ludwig von Urlichs» 615 



nnd berater g'dtig und uneigennützig zur Seite, in noeh höherem masse 

aber fand sich Urlichs fjeförflert und ang^ezogen, als Gerhard im spät- 
aommer IB.'^ß zn einem längereu aufenthalt bis zum frühjnhr des näch- 
sten jahres uach ivüiu zurückkehrte; Urlichs durfte mit ihm, wie er es 
4ankbar in seiner vortrefflichen darstellung Gerhards, gleichfalls in dem 
eben beieichneten Sammelwerke, bekennt, in engen verkehr treten nnd 
sich den jungten freunden gesellen, 'welche nach Pind-irs wort nm den 
lieben tisch »cherzten und mit liebe und Verehrung zu ihm emporsahen', 
'die freitäglichen adunanse des institnts*, bekennt er, 'waren festtage 
fnr mich; die gewandtheit und Sicherheit, womit er nen zu tage ge* 
kommene knnstwerke bebandelte, lic aufmerksame betnchtung auch 
verborgener inschriften, wozu er seine müden aiigfen zwang:, und die 
umfassende keuntnis der deukmaler erfüllten micix mit bewunderung.' 
den nSebsten und anmittelbarsten einflass aber anf Urlichs und die 
richtung seiner Studien gewann Bnnsen, wie früher und später auf so 
manchen andern ausgezeichneten jungen mann, den er scharfblickend 
an sich heransuxiehen und, indem er ihn selbst förderte, zugleich für 
seine swecke sn Tcrwerten wnste, wie s. b. Richard LepsinSi Jacob 
Bernays, Max MOUer, Beinhold Pauli. 

Von NiebiiTir ungercgt beschäftifrte er sich damals seit einer reihe 
von jähren wissenschaftlich vorwiegend, mehr um der einmal übernom- 
menen pflicht zu genügen als aus neigung, mit der herausgäbe der um- 
fassenden besehreibung der Stadt Born, au der er sich ▼ornehmlidi mit 
den auf dem titel als mitheransgebern genannten genossen Platner, 
Gerhard und dem kürzlich in hohem alter in Marburg verstorbenen 
juriäteu Üostell vereinigt hatte, es konnte nicht fehlen, dasz der, wie 
ihn Urlichs einmal sehr beseichnend nennt, ^ideenreiche' Bansen, je 
mehr er die last dieser ai'beit empfand, um so msÄir den wohl und Tiel* 
seiti^ vorgebildeten, regsamen und strebsamen jungen bansp-enossen als 
geei^^iet erkannte, ihm einen teil derselben abzunehmen, gern und 
willig ergab sich Urlichs seinem wünsche: in der sweiten, 1838 ver- 
öffentliehten abteilnng des dritten bandes erscheint er als mitheraus- 
geber und als Verfasser der allgemeinen, die historisch topnn^mpliischeu 
gesichtspuukte er")rteruilen einleitungen zu den h'i herii ulu r die Stadt- 
teile der Carinen und der Esquiiien, des Vnuinal und des C^uirinal und 
ihrer Umgebungen, sowie des Monte Pincio, die dritte, bereits nach 
»einer heimkehr erschienene abteilung, das Marsfeld, Trastevere und 
den Janiculns umfassend, stattete er nicht nur in gleicher, und für das 
Martfeld weit umfassenderer weise aus, sondern er erscheint auch durch 
alleinige unteraeichnnng der aus Bonn, den 3 august 1842 datierten vor- 
rede UM hanptredacteur. in eben demselben jähre aber erschien auch 
eine abhandlung des hls dahin vornehmlich durch seine mit ebenso 
viel kenntnis als gescliick abgefaszten antiquarischen, das griechische 
uixd das römische leben dp.rstellenden, mit gelehrten excarseu begleite- 
ten romane Charikles und Gallus bekannten Leipziger professors Wil- 
helm Adolph Becker über die raanern und die thore des alten Rom und 
ihr folgte bald von demselben eine eingebende behaudlung der gesamten 
römischen topographie im ersten bände seines handbuchs der römischen 
dtertSmer. an beiden orten griff er die besehreibung der Stadt Bom 
mit grosser schärfe an. auch er verkannte nicht das verdienst des Bunsen- 
scben werkes, das mit (Ifn seit dem siebzehnten jahrhnndert durch 
den Italiener Nardini nicht nur in seinem vaterlaude verbreiteten, sehr 
fragwürdigen anschauungen gebrochen hatte, aber nicht in gleichem 
masBC hstte es sich von den annahmen des damals in Bom hochange- 
sehenen arcbitekten Luigi Canina emancipiert und es fehlte ihm an einer 
gesicherten philologisch-kritischeu, ntir durch eine methodische durch - 
arbeitang der gesamten alten litteratur zu erwerbenden grundlage, wäh- 
rend Becker, der sich diese erworben hatte und sie mit meisterscfaaft 
beherschte, doch durch einen verhBltnism&ssig nur kursen aufenthalt 



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616 



Zur eriimeruug an Karl Ludwig von Urlichs. 



in Rom tich nicht eine in yöllig gleichem masze darch selbständig» 

fliirf^hforschung ^wonnene kenntnis der denkmäler nnd ihrer j^pscbichte 
hatte aneignen können, auf irrniid einer von dem dani;ils in Kom wei- 
lenden Ludwig Freiler, dem späteren hochgesciiätzten oberbibiiothekar 
in Weimar, mit nnteretütBnngr der cspitoliafaehen genossen verfasstes» 
trotz der anerkennang der gesamtleistung doch lebhaften Widerspruch 
erhebenden recension seiner topoj^'raphie in der Jenaischen litteratur- 
zeitang liesz dann Becker als 'waroung' seine 'römische topographie 
In Born*, Terteidigung nieht minder als ementen, heftigen angriff, er- 
scheinen, darauf antwortete Proller nur kurz in einer bellage za jener 
Zeitung, «Is Imnptkämpfer nber trat nun Urlichs hervor mit seiner, fast 
dreifach so starken, 150 seilen umfassenden, 'hemi doctor Bunseu dem 
topographen' demonstrativ gewidmeten, römischen topographie in Leipzig» 
die sich auf dem titel als 'einen anhang snr beschreibuni^ der stsdt 
Rom* bezeichnete; darauf folgte, auch über 100 Seiten stark, 'zur römi- 
schen topographie. antwort an herru Urlichs' von Becker, schlieszlich 
von Urliehs als ^antw^ort an herrn Becker' noch ein heftchen ^Uomiscke 
topographie in Leipzig. II,' 

Wenn die ergebnisse dieses Streites im allgemeinen nach dem nrteil 
der hervorragendsten specialforscher der im vorhergehenden gegorenen 
Charakterisierung beider ieistungen und Standpunkte entspreciten, so 
fordert die walirfaeit, es nieht zn Tersehweigen , dasz wenn Becker bei 
aller herbheit und hltrte sich doch innerhalb der grenzen einer wissen- 
srh;iftHchen polemik hielt, der jüngere, heiszblUtijrf' und heiszspornirre, 
pro nris et focis kämpfende gegner diese vielfach überschritt; nicht 
minder aber fordert sie, zu bekunden, dasz er drei jahrzehnte später 
dem einstigen gegner an dem wiederholt angezogenen orte nioht nur 
eine im allgemeinen von hoher anerkennung erfüllte darstellung seines 
lehens widmete, sondern auch namentlich seine römische topographie 
als 'brauchbarstes und zuverlässigstes handbuch* bezeichnete, wenn er 
weiter die worte hinsafügte; *da aber B. den neueren topographen 
groiser heftigkeit widersprach, sie auch manchmal mit unrecht tadelte^ 
wurde er in <re.rcizte polemik verwickelt, welche er mit 8teigender ge- 
reiztheit, aber mit ehren durchfocht', so wird mau nicht anstehen zq 
bekennen, dasz auch Urlichs schlieszlich 'mit ehren' aus diesem kampte 
herrorgegangen Ist. er selbst beteiligte sich In gleicher weise wie bei 
jenem groszen werke durch abfassun^' der verhältnismä-szig ausführ- 
lichen einleitun^ bei der mit Platuer 1845 als auszug daraus heraus- 
gegebenen, einen raäszig starken octavband umfassenden 'beschreibung 
Borns', bereits 1842 in der handschrift vollendet, erschien sie 'au | 
grSnden des bnchhftndlerisihcn Vertriebs' erst 1845. in der vorher ge- 
nannten vorrede zn der letzten ableiluug des haiiptwerks aber kündigte 
er an, daöz von den früher verheiszenen ere^äuzungen des hauptw<.rks 
das Yon ihm und Gerhard bearbeitete nrhnnaenbnch im nEehsteu Jahre , 
p848) erseheinen werde, aber erst fast 80 jähre spXter (1871), melirefe 
Jahre Tiach Geriiar^s tode, erschien es, nicht so umfassend al«< es or- • 
sprÜDglich pephiiit wir, als codex topo{»raphicus urbis Komae. und ; 
wenn der Lerauägeber darin seine hoifnung aussprach, das jetzt uocli 
fehlende nach einer iniwischen su nnternebmenden römischen reise lai 
nSchsten jähre 'dem mehr begonnenen als vollendeten werke' hinzuzu- 
fQgen, so ist zwar diese reise unternommen worden, aber von ürlicb« 
umfangreichen, zu diesem zwecke veranstalteten sammluugen ist nichts 
mehr an die Öffentlichkeit getreten. 

Seine thKtigkeit als erzieher im Bunsenschen hause, mi dem wir 
uns zurückwenden, erreichte ihren abschliisz bereits im sommer 1^37, 
wo Bunsen nach Berlin zu Verhandlungen mit dem von der curic dort- i 
hin entsandten Capaccini entboten, die weiterer erziehung zunächst he- 
dürftigen beiden söhne in seiner zahlreichen familie, den fünfzehnjähriges I 
Karl and den dreisehnj ährigen Georg, mit sich nach Deutschland nah« 



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Zur eriniieruDg au Karl Ludwig von Urliciiii. 



617 



und jenen dem Blochroannschen institut in Dresden^ diesen der Schul- 
pforte übergab, als ein zeic}>en des ihm von Bunsen fortge8et7t g-e- 
währten verlrauens erscheint es, dasz dieser ihn zu aufaug des jahres 
1838 zur befördening wichtiger depeschen nach Berlin ausersah. gern 
und lebbftft wnste er von der damals mitten im winter mit blitMseile 
vollführten reise zu berichten, längere zeit in Berlin zurückgehalten 
und sehnlich erwartet, war er es, der gegen alles verhoffen Bnnsen seine 
anter der form gnädiger gewäbrung oft erbetener erlaubuis erteilte ent- 
IftMong von dem römisehen potten ttberbraebte ; noch nicht ToUe swei 
wocben daranf, in den letzten tagen des april, verliessen Bmisens das 
Capitol. Urlichs aber blieb zu ihnen in den besten beziehungen. schon 
ans München erhielt er mit den nächsten freunden des hauses einen 
herzlichen grasz von fran Bunsen, und als sie 1842 and 1844, während 
Urlichs wieder an den nfern des heiroatlicben Stroms weilte^ den Rhein 
herührto, bofjfrTjszte und be;^Iritcte er sie zn ihrer in vertraüteil briefeD 
lebhaft aus^^esprochenen geiuif:,'^thuiiiifi- auf ihrem wege. 

Zaniichst aber blieb er in Eom, der furderong seiner topographischen 
«ad sonstigen Stadien im engsten ansdüasa an das iastitnt ergeben, 
mit Hittelitalien durch mehrere reisen, mit Neapel durch zweimaligen 
längeren aufenthalt genau bekannt geworden, unternahm er im herbste 
im verein mit beiden Abeken nnd mit Papeucordt eine reise nach Öi* 
oilien, wobei der Ätna anter nicht ungefährlichen amständen entschlossen 
und i^lftcklich bestiegen wurde, in Rom gesellte sieh um dieselbe seit 
Hcn capitolini sthcn j:^enossen, zunächst im anschlasse an Braun, Otto 
Jahn zu ; etwa gleichzeitig mit dem im sommer 1839 heimkehrenden 
verliesz anch Urlichs die ihm ebenso lieb als für seine gesamte ent- 
wieklan^ bedeatongsvoU gewordene stfttte. sunttehst am noch ^nmal 
als lehrer und ersieher eine schottische familie Lindsaj in die Schweiz 
nnd nach Floren« au begleiten; noch einmal war ihm dann auch rück- 
kehr nach Rom nnd ein zweiter römischer aut enthalt vergönnt; erst im 
sommer 1840 kehrte er nach fBnfj&hriger abwesenheit nach Deutsch» 
laad, an den Rhein, nach Bona snrfick. 

Im wintrr voll/oc^ er hier seine habijitation, im folgenden Bommer- 
halbjahie begann er seine vorl< .sun^en. in^wi=ichen hatte sich auf der 
rheinischen bochschnle im bereich des ihm zuuachst liegenden wissen- 
sdialtUohen gebietes ein gewaltiger, heilbringender umscbwong voll- 
sogen, swar des hochverehrten Welcher stern leuchtete unverändert, 
aber Heinrich und Näke waren inzwischen aus dem leben geschieden 
and statt der verlöschenden, nur noch spärlich glimmend ihr dasein 
fristenden war strahlend in jogendliohem feuer Friedrich Bitsoihl am 
akademischen horizont emporgestiegen, der, Welcker in erfrenliehster 
weise org'inzend und in collegialischem vereine mit dem 'alteren, auch 
von ihm im vollen umfange seiner bedeutung nnd seines wertes er- 
kannten collegeu eine neue ära für den betrieb der cla^sischen Studien 
in Bonn herbeiführte, mit wohlwoH«D empfieng er dea aacfastrebenden, 
jungen genossen und zeigte sich bemüht, ihm in den mitgliedern des 
philologischen neminars zubörer für seine ersten Vorlesungen zuzuführen. 

Einer derselben, ein längst hochangesehener gelehrter, der in des 
jungen doeeaten sweitem nad drittem Semester römische geschichte, eine 
Übersicht über die archäologie im ansehlusz an Otfried Müllers hand- 
buch und eine mit Übungen verbandene einleitung in die latpiuische 
epigrapbik bei ihm hörte, bemerkt, dasz die bebaudlung noch etwas 
unruhig, aber für einen anfänger anerkennenswert gewesen sei, und 
rahmt, dass er bemfiht gewesen sei, auch ia persönliche besiehuDgea 
zu den zuhörern zu treten, noch während des weiteren Verlaufs des 
privatdocententums aber bildete er nach dem urteil eines damaligen 
coUegen seine lehrgeschicklichkeit in hervorragendem masze aus und 
erwarb sich sablreiche oad daakbare sahörer. ich selbst lege gern 
seagnis davon ab, dass ich etwas spftter wftbiend eines kanea Boaner 



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618 



Zur erianerung an Karl Ludwig Ton Urliclu. 



aiif«ntha1ts im herbste 1845 eioe stände in einer einleitunfi^svorlesnn^ 

zur erklärung des Pindar bei ihm hospitiert habe, die mir nach inhalt 
und form aU gleich mustergültig erschien und mir immer in lebhafter 
und angenehmer erinneruug geblieben ist. 

Mit nicht rastendem eifer auch quantitativ vorwärts schreitend er> 
weiterte er wahrend der dreizehn semester seines Bonner lehramts, vom 
siebenten an nach schneller beförderung bereits auszerordentlicher pro- 
fessor, den kreis seiner Vorlesungen zu einem ziemlich bedeutenden; 
sie nmfassten anszer den bereits genannten namentlieh auch die ge- 
Samtgeschicbte des altertums, ebenso die gesamte alte und daneben die 
italische geographie, auch beziehnnf^sweise ethnof^raphie und chorogra- 
phie, sowie athenische und römische topographie, griechische und römi- 
sche altertQmer, alte knnstgeschicbte and knnstmj^hologie, einmal gah 
er eine übersieht der allgemeinen knnstgeschichte, daneben wurden die 
kunstpesi-hic'htlich wichtigen stellen des Plinius, Pindar, Thukydides, 
Cicero erklärt; das von vorn berein angestrebte nähere Verhältnis zu 
den Zuhörern wnste er bald durch grüudung einer historisch* antiqua- 
rischen gesellschaft zu erweitern und au Tertiefen, die sich vorüber- 
gehend während der letzten beiden semester von Heinrich von Sybels 
Bonner lehrthäti<rkeit zu einer gemeinsam geleiteten historischen gesell- 
schaft gestaltete, bemerkenswert ist endlich, duaz es ihm möglich war, 
in einem der letsten semester auch die erkl&mnir von Shakespeares 
Bomeo und Julia anzukündigen, von seinen kenntuissen auch auf diesem 
gebiete wurde auf eine für ihn ehrenvolle weise auszerdem dadurch ge- 
brauch gemacht, dasz er ausersehen wurde, einer reihe während dieser 
seit in Bonn studierender prinsen, unter ihnen den prinsen Friedrieh 
Karl und Georg Ton Preussen, Unterricht sowohl in der kunstgeacbichte 
als auch in den neueren sprachen zu erteilen, für ersteren wurde er 
auch als beglcitcr und kunsthistorischer führer auf einer belgischen, 
mit seinem damaligen gouverneur von Roon, dem späteren kriegs- 
minister, unternommenen ferieneise ausersdien. seine geselligen Verhält- 
nisse und Verbindungen waren auch sonst erfreuliche: Welcker stand 
er, wie bereits zu erwähnen war, mit pietätsvoller Verehrung gej^enüber, 
Ritsehl, in dessen huuse er auch vorzugsweis gern und viel verkehrte, 
h5rte nicht auf, ihm wohlwollen sn erweisen und gab seiner scfalUnag 
sowohl den studierenden gegenüber als nach Urlichs scheiden von Bonn 
in einem durch einen glücklichen, aus England heimgebrachten fund 
desselben veranlaszteu aufsatze auch einen öffentlichen ausdruck; wie 
bedeutungsvoll diese schfttzung Ritsehls fftr seinen gansen lebensgang 
später werden sollte, wird sich bald seigen; wie sehr er selbst über die 
gute meinung Ritschis von seinen leistungen erfreut war, zeigt die Wid- 
mung seiner ausgäbe des Taciteischen Agricola an ihn, in welcher sehr 
geschickt die eine gleiche empfindung ausdrückenden widmungsverse 
des Catull an Cornelius Nepos parodiert sind ; aueh su August Wilhelm 
Sehlegel gewann er nähere beziehungen; in den verschiedensten kreisen 
war er als interessanter und gewandter gesellschafter beliebt. 

Einen mittelpaukt der Vereinigung fanden damals die jüngeren lehrer 
der uniTcraität, denen sich auch ein^e ältere sowie ein und der andere 
den akademischen kreisen nicht unmittelbar angehörige gesellte, in einer 
zwanfrlosen Vereinigung, die einem bescheidenen gasthofe, dem ""Schwan*, 
in weU'iiem sie sich während des winters allsonnabendlich des abends 
versammelte, ihren namen entlehnte, jedem mitgliede lag es abweeh^ 
selnd ob, die freunde mit einem vortrage aus dem gebiete seiner Wissen- 
schaft zu unterhalten und damit zunächst die grundlage für das weitere, 
meist lebhafte und interessante gespräch darzM bi eten, darauf folgte 
eine einfache abendkost, nach der man meist bis zu später stunde ver- 
eint blieb, in den sonunermonaten aber nahm die gesellsehaft die ge- 
stalt eines heiteren kegelclubs an, der in dem benachbart«! dörfchen 
Endenich tagte, volle freiheit herscbte im kommen und im wegbleiben 



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Zur erinneruDg an Karl Ludwig von Urliclie. 



619 



und wie fiberhaapt im akademisehen leben, so kam aii«h dwek berufoiig 

oder abgao? mancher Wechsel in die gesellscbaftf die aber immer eine 
nicht unbeträchtliche zahl von mit^liedern zählte, unter denselben be- 
fanden sich in den jalireti, in denen Urtichs ihr angehörte, nicht wenige, 
die epXter sieb einen bedeutenden namen erwarben; viele sind längst 
dahing-e^angen, wie Gottfried Kinkel and Karl Simroek, wie Lassen, 
der forscher anf dem g-ebiete de-i indischen Kltertnm», der btihnbrechende 
sprachvergleicher August ^Schleicher und der classiscbe philolofr Lerscb, 
Urlichs älterer landsmann and schulgenosse, der cathusiaa tische katho- 
lische Philosoph Clemens nnd der phjsiker Radicke, eine nicbt unke» 
trächtliche anznlil ist erst vor klirzester zeit al)berufen worden: Albreebt 
Ritschi in Göttinoreii und vier der rheinisclien hochschnle treugebliebene 
raänuer, Delius, Gildemeister, Haelachner und der wenigstens manohen 
mitgrliedern nabestebende, wenn anob nnr TorQbergebend selbst teil 
aebmende boebbetagt« Alfred Nioolovius. auch von ibm, dem mitteil- 
samen nnd an erinnernns^en reiehen, hotTto ich demnach noch einige 
weitere künde von jener zeit erhalten zu können; doch fühlte er »ich, 
wie er mir am 19 märz mit ebenso fester als zierlicher band und mit 
niebt minder zierlicher wendnng sebrieb, nicbt mehr dasn im stände, 
so 'viele freundliche erinnertinp'PTi'' rin drn 'vielseitig gebildeten, geist« 
reichen, heiteren, liebwerten Uriichs' er auch bewahrte; ich ahnte nicht, 
dasz er selbst schon eine woche später aus dem leben scheiden würde. 
Jetst leben meines wissens von dem einst so reloben bnnde nur noob die 
theologen Krafft in Bonn und Sommer in Königsberg, der präsident 
Budde in Rostock, der bnchhändler Mnrcns in Bonn, Heinrich von Sybel 
und Bernhard Windscheid, die, wenn auch nicht ohne wehmnt der dahin- 
gesebiedenen gedenkend, docb sieber s&mtlieh dem alten 'Schwan', dessen 
angeregtem nnd anregendem kreise mir auch selbst einmal bei dem 
vorher bezeichneten a^fcnt^ialt durch Urlichs einfühninp' gastlicli nahe , 
zu treten vergönnt ^-ewesen ist, einp trrne erinnerung bewahren, wie 
auch Urlichs sie ihm stets bewahrte, uliseitig wurde auch unter den 
eollegen innerhalb wie aosserbalb des Sebwans sein talent anerkannt; 
wenn nicbt ttberall gleiche Sympathie ihm entgegentrat» so borobto das 
anf einer r^ewissen Vornehmheit seines auftreten«, die man ans seinem 
Verhältnisse zu Bansen und ans still genährten hottnungen, wie jener 
selbst dnreb Kiebnbr, so durch ihn in die diplontatisdie lauf bahn binein- 
gesogen zu werden ableitete und die emptindung gewann, dasz er sieh 
eigentlich ah privatdocent nicht recht wohl fühle, dazu trat dann gej^cn- 
üher der ihm von iiitschl zugewandten gunst und namentlich bei und 
nach seiner beförderung zum professor die Verstimmung seiner beiden, 
etwas Klteren facbgenossen, die sieb snrttokgeaetst fttblten, obwohl anob 
nach einem mir vorliegenden Schriftstücke trotz aller durch diese Ver- 
hältnisse hervorgerufenen sonstigen herbigkeit des urteils auch von dieser 
Seite ihm gewandtheit, kenntnis and urteil nicht abgesprochen warde. 

Ein bleibendes und allseitig anerkanntes Terdienst nm die beimat 
wie um die wissensebaft erwarb er sich bereits unmittelbar nach be- 
endic'nng des ersten semepters «einer akad r mischen thätigkeit dnrch die 
auf seinen Vorschlag btn geiegenheit der vierten im herbste 18-il in Bonn 
abgehaltenen Versammlung deutscher philologen und schnlmänner erfolgte 
gründang des yereins Ton altertumsfrennden im Rheinlande, der zweck 
desselben war und ist es^ einerseits das ganze Rheinland und die darin 
zerstreuten denkmäler zu erforschen und auf difRe art eine Vereinigung 
zu bilden, durch welche die vereinzelten funde erhalten sowie durch ver- 
glelebe mit andern in das reebte liebt gestellt wttrden, anderseits die 
cl assischen Rheingegenden als ein ganzes in der Wissenschaft za ver- 
tretpn nnd als intr^rrrierrndpn be^tandteil in die archäolog^e einzuführen, 
ungefähr 50 gelehrte traten sogleich zusammeu, Statuten wurden ent- 
worfen, ein vorstand gewählt, die genehmigung der staatsregierung nach- 
gesnobt. diese erfolgte gegen ende des jahres. fortan erwies sieb der 



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620 



Zur ermneruDg an Karl Ladwig toh Urlicbs. 



Terein, der von vorn herein das ganse gebiet des Rheins ins äuge faszte, 
um die bezoicbnenden worte eines hervorragenden kenners za gebraa- 
eben, wirksam ab wichtiger einigungspunkt der berichte^ fundnotizen, 
der pablicationen , grSsseren topograpbiseheii, miueographiBohen , er- 
kÜtreaden arbeiten aaf diesem felde. Urlichs war, zunächst anter dem 
Vorsitz von Ritsch?, der aber dieses amt b iM niederlegte, das «mt des 
ersten, Lersch des zweiten redigierenden b( eretiirs übertragen: schon 
im nächsten jähre konnte das erste, jenem progiamm entsprechende 
heft eines Jahrbuchs des Vereins ausgegeben werden, das sein erfreu- 
liches g-edeihen und wachsen in rJom von Urlichs unterzeichneten be- 
richte melden konnte, solcher stattlichen befte sind bis jezt in ununter- 
brochener folge 89 erschienen, vieitach mit zum teil ausiüiiriicben 
beitrttgen Ton Urliohs, unter denen die abhandlnng 'der Bbein im alter- 
tum' (im 64n bände] mit recht als besonders bedeutsam bezeichnet wird, 
nachdem auf Gerhards anrecrnng seit dem jähre 1843 auch in Bonn von 
Seiten des Vereins Winckeimannsfeste und bald auch programme dasa 
veranstaltet wurden, bat Urlicbs aueb daran sieb beteiligt, sowold sJs 
festredner wie (1846 und nacb mebr als iwei jahraebnten 1867) dureb 
abfassung der festschrift 

So bewahrte und bezeugte er dauernd seinen anteil an den heimi- 
schen bestrebungen; er selbst aber war schon bald nach abfassung jenes 
ersten programns sum ordentlieben professor in Oreifswald als naeb- 
folger Otto Jahns ernannt worden, ehe er mit dem beginn des Winter- 
semesters 1847 die neue Stellung antrat, unternahm er namentlich zur 
erweiterung seiner anschauungen auf dem knnstgebiete eine reise nach 
England, im vergleicbe mit der blühenden, Ton Jünglingen aus allen 
ganen des Taterlandes mit Torliebe aufgesuchten hochschule an den 
hoimatlicben , p'esegneten ufern des Rheins schien Greifswald zunächst 
nur geringen ersatz zu bieten; aber bald und mehr und mehr trat es 
hervor, dasz die kleine, durch bedeutenden materiellen besitz und alt- 
überlieferte gerecbtsame gefestigte und unabhängige nea^orpommerscbe 
hochschule sich in anfsteigender linio brffind: zwar fehlte es nicht ganz 
an einigen, mehr oder minder anachronistischen Überbleibseln aus der 
Schwedeuzeit uud an einem oder dem andern sonst stehen oder zurück- 
gebliebenen mitgliede der akademischen eorporation; aber anderseits 
zählte sie scbon bei seiner ankunft eine anzahl tüchtiger und nament- 
lich jüngerer regsamer kräfte, die sich während seines Greifswalder sep- 
tennats mehrten und mit denen gemeinsam zu wirken und in Wettbewerb 
SU treten dem TorwÜrts strebendon eine «dllkommene aufgäbe sein mnste: 
die theologen Vogt, Gass nnd Baier, die Juristen Beseler und Wind- 
scheid, sowie der auch an der Universität habilitierte ober8taat.^nnw.iIi 
Friedberg, späterer justizminister, der chirurg Bardeleben und von den 
faculUitsgenossen Baumstark, frhr. von Feilitzsch, Alb. Höfer, Matthies; 
ein ▼orbild für eigne, unabUtssige tbfttigkeit bildete, freilicb niebt leiebC 
nahbar, weil ganz in seinen wissenscliaftlichen arbeiten lebend, sein 
nächster fachgenosse, der feinsinnige, tiefgelehrte Schömann; dasz es 
Urlichs aber gelaug, trotzdem auch zu ihm in ein erwünschtes Verhält- 
nis SU treten, bezeugt nicht minder seine ^in berslicber liebe und Ter» 
ehrang' 1868 erfolgte widmung seiner schrift über das leben and die 
werke eines bedeutenden bildhaners der blütezeit von Hellas, des Skopas, 
zum Jubiläum des trefflichen altmeisters als der ausdruck 'persönlicher 
anhäuglichkeit\ den er ihm mehr als swanzig jähre später noch einmal 
nachrief, seine eigne Vielseitigkeit trat gleicb in der ankündigung seiner 
Vorlesungen hervor: den Seminaristen wollte er im wiuter einon grie- 
chischen Schriftsteller (Plntarchs Ifben des Lykurg) vorlegen, in einer 
Vorlesung den Tncitus erklären, in einer andern die topographie von 
Rom, in einer dritten auserlesene eapitel der arobäologie bebandeln und 
daneben veröffentlichte er in demselben Semester ein baatechnischoanti> 
quarisches Winckelmannsprogramm über die apsts der alten baailiken; 



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Zur erinnerung au Karl Ludwig von ürücliä. 



621 



im nächsten aommer 1848 bestimmte er den Catldl f8r das^seminar, er» 

Iclärtf Pindar, trup^ g-eschjchte der alten kunst vor und leitete, seiner 
löblic^hen |:CO]iÜogenheit, sich mit seiaen zubörern auch persönlich und 
näher zu beschäftigen , entspreohend, nach dem yorgange Jahns, von 
dem er »neh die Winokelmannsfeste erbte» die ttbongen einer aMhüo- 
logisohen g^sellschaft. diese übuna:en kündigte er fortan fast ununter- 
brochen in den jähren seiner Greif swalder iehrthätigkeit an} freilioh 
blieb sie zunächst nicht lange ungestört. 

Wie man in Bonn an ihm eine hinneigung an einer staatemKunieehen 
lanfbahn im kreise seiner amtsgenossen in bemerken glaubte, ist sckon 
angedentet worden, dem entspricht es, wenn ein jün^r^rer, der in ge- 
selligen kreisen mit ihm in jener zeit vielfach zasammentraf, mitteilt, 
dasz sich ihm besonders deutlich das lebhafte Interesse eingeprägt habe, 
mit dem Urlichs die poUtisehen tagetfragen yerfelgte. 'im geseiligen 
gespräch', berichtet dieser, 'gicng" er gern auf einscbUlglg-e frap:en ein, 
und alles, was er darauf bezüglich sagte, war klar und bestimmt, so 
dasz man, auch wenn man hier und da anderer meinung war, sich gern 
mit ihm därfiber unterhielt.* eo muten anläge und neigung ihn dasa 
führen, bei den politischen bewegungen, die bald naeh Miner nieder« 
laMUng in Greifswald Preuszen, Deutschland, Europa erschütterten, 
nicht ein unthätiger Zuschauer zu bleiben, er stand auf der seite der 
regiemng und in stürmisehen wahlyersammlungen trat er tapfer mit 
eeiner glänzenden rednergabe für dieselbe in die eohranken. dasz er 
sich dalici kcineiSwcgs Tirteilslos und blind ergab, dasz er dem einseitigen 
und reactioniireii, exclusiv schwarz- vs'elszoti JJorussentum kritisch (gegen- 
überstand uud ein wahrhaft deut^iciies herz im busen trug, dun zeigt die 
rede, die er als Vertreter der nniTersitSt am 15 oetober, dem gebsrts- 
ta^e könig Friedrich Wilhelms IV, dem damaligen vorschriftsmäszigen 
zopfe gemäsz, in lateinischer spräche, über dessen Verdienste und die 
deutsche einheit hielt, bei allem lobe, das er ihm glaubte spenden su 
dttrfen, nnterdriiokte er doeli ancb nicht frelmfitige änesemngen über 
dae, was er von dem auftreten des königs in dieser cardinalfrage seinen 
ansichten und wünschen nicht entsprechend fand, da diese rede auch 
in deutscher spräche gedruckt wurde, verpf-irkte sie sicher das ansehen, 
das er sicii ohuehiu bei dem maszvollen teile seiner gesiunuugsgenossen 
erworben hatte nnd so wnrde er sum abgeordneten in die nadi der auf* 
lösung der nationalversammlnng auf den 26 februar 1849 berufene zweite 
kammer für den Wahlkreis Greifswald-Grimmen gewählt, bekannt ist, 
dasz dieselbe schon am 27 april infolge ihrer abstimmuug über die ge- 
setsUcbkeit der fortdaner dea Berliner belagernngesnatandee anfgel$et 
wnrde. 

Dasz er hier von vorn herein sich eine nicht einfluszlose stellnng 
zu gewinnen wüste, dasz er, indem er sich der regierung anschlosz, doch 
einen Wechsel der personen in derselben für ersprieszlich hielt, dasz er 
die annähme der deutschen kaiserkrone lebhafl wfinsehte, wenn er aneh 
eine sehr vorfichtige haltung von selten der kammer für geboten er- 
achtete, dasz er endlich die auflösung der kammer misbilligte, das geht 
aus einer kleinen, von ihm unmittelbar nach der aufiösuog veröffeut- 
liebten sehvift *iwei monate in der kammer* hervor, die, lebendig ge- 
eebrieben, einen interessanten einblick in das innere des damaligen 
parteigetriebes gewährt, auch für die nächste leo^islntnrperiode 1849 bis 
1852 wurde er von seinem Wahlkreise wieder gewählt, besonders ein- 
fluszreich trat er im ersten jähre bei den Verhandlungen über die revision 
der deoemberrerfaienng hervor; er suchte anssnffibren, dass die Ton 
der kröne zu der von ihr selbst am 5 december 1848 octroyierten Ver- 
fassung mittelst der hotschaft vom 7 januar 1860 vorgelegten änderungs- 
Vorschläge innerhalb ihrer berechtigung lägen, dasz die kammer sie zum 
Wohle des Taterlandes annehmen solle und dass die ehre der kammer 
es sngeboi dass sie diesen weg einseklsge, wobei es sieh namentlioh 



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622 



Zur erinnening an Karl Ludwig toh ürlichs. 



um die aufnähme einer erblichen pairie br^'tandteil der ersten kammer 
handelte, es wurde damals in Berlin erzillilt und geplnuht, (\n.Bz er 
während der sich au diese vorschlage knüptcudeo verhauuluiigcu uu- 
mlttelbare füblong mit d«m ministerimii habe, auch dass er für die stelle 
eines unterstaatssecretärsim nnterricbtsministeriam aasersehen sei wnrde 
belianptct. jedenffiDs war er so hervorg'etreten, dasz er mmmehr von 
einem wahlhesirk, dem er persönlich nicht ang^örte (Frankfurt a. O.- 
Lebne), in daa volkflhaita des Erforter Parlaments (dO mKra Ms 29 april 
1850) gewttblt wurde; auch hier stimmte er ▼orkonunendenfalls gegen 
die äuflzetste rechte, aber andrerseits stimmte imfl sprach er, unter leb- 
haftem bravo und beif allklatschen auf der rechten, aber ohne erfolg, 
auch gegen die durch die namen Auerswald, Beckerath, Beaeler, L. Camp- 
bausea, Soiron, beide Vineke beaeiehnete majoritttt gegen nnverinderte 
annähme der von den regierungen vorgelegten Verfassung, namentlich 
mit rücksicht auf die beschworene preuazische Verfassung, die ihm. wie 
er damals äaszerte, durch mehrere bestimmungen jenes eutwuris ver- 
letst au sein schien, doch gestand er selbst spiter, dasa er damals 
selbst nur mit Überwindung im ansaUusse an den ran ihm hoohg«8tellten 
Rfidowitz gegen die unbedingte annähme dieser verfawuag rtrestimmt 
habe, er sprach das unmittelbar nach der Olmütaer punetation aas in 
der deokwilrdigen adressdebatte der sweiten kammer vom g deeember 
1860 keinem geringeren gegenüber als dem damaligen abgeordneten 
V. Bismarck-Schönhaiisen, er sprach es aus in einer weise, die von ehr- 
licher überzeugunffstreue in seinem g-esamten politischen verhalten \^n<\ 
von warmem patrioliümus uiu ebeuctu berucileH zeugnis ablegt, alä sie 
ilu mit einigen aeiner bisherigen gesinnnij^sgenossett fortan von dem 
regiment ManteufTel schied, 'ich gehöre', sagte er in dieser rede, 'sa 
denjenigen, welche die regierung seiner raajestät aufrichtig und mit 
vertrauen unterstützt haben; wir haben ihr einen nneigennützigen, ja 
wir dürfen sagen selbstverleugnenden beistand geleistet. ... es ist eine 
ernste pflioht, dasa jetzt jeder offen spreche; dai€ er jetzt noch der 
regierung mit vertranen folgen? ja oder nein? ich sage nein.' unmög- 
lich sei es, dasz dieselben männer, die bis dahin dafür wirkten und ihr 
wort verpfändeten, dasz das deutsche verfassungswerk beendigt, das 
bedürfnis der nation befriedigt, die ehre Preussens gesehütat weide, 
noch das vertrauen des landes genössen, vrcnn sie jetzt den entgegen- 
gesetzten weg einschlügen, mit aufgäbe mancher anssichteii, iTianch' r 
ho£fniing vielleicht, brach er so die brücke hinter sich ab; noch uu dem 
weiteren fortgaoge dieser Session und an der nftchsten des jahres 1851/6S 
nahm er, consequent an dem nunmehr eingenommenen Standpunkt fest- 
haltend, teil, damit war seine parlamentarische, glänzend begonnene, 
^envoll abgeschlossene thätigkeit beendigt, er selbst gedachte ihrer 
nicht ohne ein gewisses vollberechtigtes sellistbewustaeitt: einem bevor' 
äugten jünger, der ilim beim wsgsuge von Oreifiwald beim einpackan 
seiner biicher behilflich war und als er die wuchtigen bände di r k inrner- 
verhandlungen erblickte, einen blick auf den titel warf, citierte er 
lächelnd die worte des Virgil: ^quorum pars magna fui.' 

Während jener anspannenden und aufregenden tbStIgkeit aber hatte 
sein leben den in einer »olcheu zk'it doppelt erwünschten festen halt 
durch die begründung des eignen hauses gefunden, im jähre 1850 durfte 
er die ebenso schöne und anmutige als kluge und verständige jüngere 
tochter Luise eines bochaaageeebenen beamtea, des geheimen justlsrats 
Qni Storp in Greifswald heimführen, die es während einer glück liehen 
fast vierzigjährigen ehe verstanden hat , sein leben und sein haus zu 
schmücken, die in freud und leid ihm immerdar die treueste gefährtin 
gewesen ist. sie begleitete ihn auch während des nächsten und des 
folgenden winters su den kammersitzuagen nach Berlin, teilte die inter- 
essen, die ihn bewt pten, die genüsse der edelsten gcselligkeit, die sich 
ihm dtureb manigfache Verbindungen darboten, mit angesehenen staats- 



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Zur erinner uQg an Karl Ludwig von Urlichs. 



638 



männern wie Abeken^ v. Balsn, GhniDer, mit gelehrten wie £. Cmtiiui, 

Gerhard, Lepsius, Twesten nnä mit dem gesamten MondplsPohTiRfhen 
banse, wo das jnnge ebepaar namentlich an Sonntagen bei der ehrwür- 
digen mnUer, fraa Joseph Mendelssohn, im engsten kreise den ihr nah 
befreundeten Alezander v. Humboldt traf und mit besonderer gfite von 
ihm ansg'ezeichnet wurde 

Wenn nun auch die politische tbäügkeit während dieser jähre 
wiederholt störende Unterbrechungen der akademischen herbeiführen 
mute, so w«r doch Urliehs, soweit jene ihn nicht in ansprach nalim, 
aaoh In dieser zeit und fortan unausgesetzt mit voller bingebnng auch 
in seinem berufe thätig. den schon recht umfassenden kreis seiner 
Vorlesungen erweiterte er noch durch vortrage über die geschichte der 
griechisdicn nnd der rSmischen litteratwr und doTch eine einfllhrang in 
die palSographie , auch der umfang der in denselben erklärten und im 
Bcminar vorgelegten werke des altertump dphnto sich nicht nnbeträcht 
lieh nns. sein vertrag galt, wie ein damaliger jüngerer facbgonosee 
schreibt f als höchst lebendig und anregend und auch dem inbail nach 
Iciurrei^ nnd praktiseh, nnd der oben arwühnte jfinger ans dieser seit 
faszt die von Urlichs erhaltenen eindrücke dahin zusammen, dasz er 
methode besasz und bethätigte, aber frei von jeder Schablone war ; das 
Qoethesche wort 'es ergreift doch nur der verständige das rechte' habe 
er snm wahlspracbc nehmen können^ *als lehrer*, sctst er hinsn, *wio 
aU mann der gosellsidiaft behandelte er die dinge mit einer leichtig- 
keit nnd eleganz, welche vielleicht zuweilen den unkundigen darüber 
täuschen konnte, dasz er sie sicher und fest aufaszte#? jener coUege 
aber hebt es noch heute dankbar hervor, wie liebenswürdig und auf- 
munternd Urlichs gegen ihn als jungen doeenten gewesen sei; mr habe 
es nicht glücklicher treffen können als mit diesem manne zur ebenung 
seiner ersten schritte auf der akademischen laufbahu. frenndlith öffnete 
er auch ihm und anderen strebenden die junge, anmutige häusUehkeit; 
mit den fkmilien der obengenannten amtsgenossen , so weit sie selbst 
Tttrmlihlt waren, und mit manchen anderen aus akademischen und 
sonstigen kreisen, in denen das schwiepfervJitprlicho haus eine führende 
Stellung einnahm, entwickelte sich eine anregende geselUgkeit , mit 
mehreren derselben, namentlich mit Beselers und mit FriedbergB, eine 
allen wecbsel der zeit und des orte Sberdanernde freundschaft. 

Doch weder die amtliche nocls die zeitweilige polnische thätigkeit 
noch die manigtachen geselligen ansprüche hinderten, soweit jene auch 
ausgebreitete und so viel als möglich unausgesetzte Studien iorderte, 
ihn an litterariscfaer prodnction. schon seit 1846- hatte er gelegentlich 
proben seiner beschäftigung mit der natnrgeschichte des altern Plinius 
gegeben: als einen umfassenderen ertrag derselben veröffentlichte er 
18&3 eine krittsehe, von genauer kenntnis des Schriftstellers zeugende 
und als solche anerksante revision des textes Yieler stellen ans der 
ersten hälfte dieses umfassenden Werkes (vindiciae Plinianae; Oerhard 
gewidmet), der erst nach rangercm Zwischenraum ftJ^ßGI ein abschlieszen- 
der zweiter teil folg-tp. neben riinius, dem er zuniichst durch seine 
kuustgeschichtiichen ätudien näher getreten war, wendete er sich, gleich- 
falls an firUhere stndisn anknfipfend, der knnstgeschichtc selbst an; 
besonders waren es chronologische und biographische Untersuchungen, 
die für ihn zunächst tm mittelpunkte des Interesses standen und, wenn 
auch keineswegs ausschlieszlich, auf die daner blieben: als Winckel- 
mannsprogramme verfJifentHehte er 1868 nnd 18Ö4 swci abschnitte über 
den Skopas, die später integrierende teile des vorhin erw&hnten werkes 
über den künstler Idldetrn. und im rheinischen museura für philologie 
die behandlung einer chronologische und genealogische Schwierigkeiten 
bietenden frage aus der anfangszeit der griechischen kuuBtübung ^über 
die ftltesto samische kfinstlcr8«änle' in einem sendschireibcn an Heinrich 
Brunn Aber die behandlung derselben frage in dessen erstem bände der 



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624 



Zur «xinnerung an Karl Ludwig von Urlichs 



poschir-hte der Rfriachiachen künstler, ^velcheu er gleichseitigf ftü •ilMfll 
aiidcrri orte einer eingrelienden besprechunc: unterwarf. 

Mitten iu diesem treudigea uud gedeihlichen wiriceu und schaffen 
tfftf ihn eio ruf nach Wiinburg. so gat aUdevtieh er war, doeh hieof 
er fest an Preaszen, nicht minder war ihm Qreifswald, die heimat seiner 
fnin, selbst zur zweiten heimat geworden, und er war nicht abgeneigt 
unter gewährung eintgeri sicher nicht unbescheidener wünsche zu biei- 
b«a: aber er fand bei dem ehrliehen, aber starren ninieter Baimer, 
der ihm offenbar Ton der kamraeraeit her nicht wohlwollte , kein aal- 
gegenkommen, nnd so entschlofiz er sirli denn nicht leichten herzena 
dem rufe zu folgen, zwar die reize der rebenum kränzten lebhaften Stadt 
am nfer des Mains im herzen Deutschlands mosten den Rheinländer 
loeken — aber es war die fremde; die nahen familien- und freund- 
schaftlichen beziehungen musten aufgegeben werden, vor allem: Otto 
Jahns nachfolger hatte den weg geebnet gefunden, Bchömanns College 
hatte neben einem amtsgenossen von europäischem rufe gestanden, den 
er verehren muete; aber wlthrend auf den beiden andern laadesuniTani* 
täten, in München und in Erlangen, die lehrstühle der philologie durah 
männer wie Döderlein, Spengel und Thiersch vortrefflich besetzt waren, 
war es um Würzburg in dieser beziehung dürftig bestellt. Urlicha selbst 
bat diese TeriiftlteiMe ebenso interessant als taktvoll in seiner rectorats> 
rede über die philosophische facultftt der Universität Würzburg be- 
leuchtet, zwar nicht ganz so schlimm mehr als im an fang des jahr- 
hnnderts stand es, wo ein j)rofessor der rhetorik sich für den fall um 
eine proleasur «der classiscbeu pUiiuIogie beworben hatte, dasz er die 

SrofesBur der physik (oder der matheroatik, wie die faeultttsaeetioa 
inznfügte) nicht erhalten sollte, und jene schlieszlich auch wirklieb 
erhielt, in den jähren 1835 bis 1844 hatte die Universität sogar an 
£rnst V. Lasaulx für den Vortrag der realdisciplinen einen nicht minder 
geistrelehen als gelehrten, wenn auch iu einseitigen anffassungen ron 
seinem stark ausgeprägten exclusiv katholischen Standpunkte ans be- 
fangenen Vertreter; aber statt ihm einen Vertreter der grammatik nnd 
kritik zuzugesellen, berief man ihn nach München und an seiner statt 
nach Würzburg den rector des gymnasinms zu Straubing, Reuter, es 
fehlte B. nicht an fleisz und an S|Hrachlichen kenntnissen und auch 
littf rnri'^ch hatte er ^nch in den ersten dreißziger jähren durch erklü- 
rcude au-gaben einijjer reden des Demosthenes und des Cicero oiniger- 
maszen bekannt gemacht; aber er war, wie er selbst eint»ah und wenig- 
stens später offen alten suhörem gegenüber beklagte, nicht im stände, 
den anforderungen seines amtes auch nur dem umfange nach zu ge- 
niipfen und alle «He disciplincn, die für die ausbildung des künftigen 
gymnasiallehrers notwendig waren, vorzutragen, nach kräften wirksam 
uud auch mit richttger einsieht den grund au dem, wie es Urliehs ia 
jener rede sehr richtig bezeichnet, nnentbehrlichan bildungsmittel kauf» 
tiger lehrer und forscher, dem philolojrisphcn seminnr, lep^end, ver- 
mochte er doch nicht zu hindi'rn, dasz die Wirkung dieser ungünstigen 
veriiältnisse auch nach auszeu hin, bei dem philologischen Staatsexamen, 
im Tcrgleich mit den Münchener und £rlanger candldaten in unlieb* 
samer weise zu tage traten, endlich gegen ende des jahres 1853 eot- 
schlosz er sich unter berufung auf diesen misstand die notweudigkeit 
der beruf ung eines zweiten fachprofesaors nachzuweisen und sie zu be- 
antragen, nach IXngeren Tcrhandlnngen ttber die personenfrage ent- 
schied sich der senat, namentlich auf ein glänzendes gutachten Uitschli 
bin, das sich bei den acten befindet, ausschliesslich für Urlichs und 
das ministerium gab diesem vorschlage statt» 'man kann nun', schreibt 
einer von Urlichs ersten Würzburger Schülern, jetzt der leiter eines 
der angesehensten bayrisehen gymnasicn, mit fug und recht be- 
haupten, dasz mit der berufung von Urli« hs nach Wlirzhurg; für die 
philologischen Studien an dortiger Universität eine neue epoche begann. 



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Zur erinnerung an Karl Ludwig TOn ürlichs» 



625 



<eio schöner wirkan|pdcreiB «rSffnete sich dem in ichdnstom manncialter 

•tobenden, hct^eisterten und bep-eisteroficn Irhrer* 

Über ein volles menschenalter hat er iim mit erfolj^^ und mit aa- 
erkennung belierscht. einen nach wenigen jähren an iliu herantreten- 
•deo raf naeh Freibarg hat er abgelehnt, sp&ter auftavehende anaeichten 
■Jtuf eine ▼enetgnng nach München haben sich schlieszlich nicht ver- 
Dvirklicht — so wurzelte er nach und nncli völlip" fest mit sotnem linuse 
in der ehrwürdigen und dabei heiteren und anmutigen Stadt am Mam. 
•ie reiste nieht minder als die altbegrBndete hoetisehole aaeh sein ge» 
«chioiitliehes interesse und es Jconnte nicht fehlen, dass er mit der seit 
diesem intere-^se fin' h redende Zeugnisse verHeli: anszer der oben er- 
WHhriteii rectdralsrede g^ehört liier'ner die lichtvolle dnrsteUu ng" der ge- 
aciiichte deti betriebed der phiiologiächeu titudien in Würzburg, mit der 
>ar die nnter seinem prisidinm dort im jähre 1868 abgehaltene sechs- 
undswanzigste versammlang der deutschen philologen und Schulmänner 
eröffnete, sowie ein neun jähre später verfasstes sohriltchen über die 
bange schichte der Stadt. 

Znniehst trat ihm hier freilieh manelie Schwierigkeit entgegen: 
dem Preuszen, der trotz der rheinischen heimat und manohen zuges 
rheinischer art doch von der Ostsee im wesentlichen den norddentschen 
typns mitbrachte, dem Katholiken, der eine Protestantin heimgeführt 
hatte und alle kinder protestantisch erziehen liesz, kam man nicht von 
allen Seiten sysgipathisob entgegen nnd, so sehr man seine Torsfige an- 
erkanntCf so kostete es doch l{ino:ere zeit, bis man ihn im akademischen 
kreide zn voller geltung kommen liesz. aber von vorn herein muste 
man seinen wert und seine bedeutung als lebrer auerkennen: was bis 
dahin nieht hatte geleistet werden können, das leistete er mit seiner 
glänzenden Vielseitigkeit, neben ihm las noch bis 1868, wo er sich 
völlig' zurückfo«^, Kenter; inzwischen bitten sich allmählich die lebr- 
kräfte durch jüngeren nachwuchs verstärkt und seitdem fehlte es nicht 
an erspriessitoher mitwirkung, dauernd durch Grasberger und Schanz, 
vorfibergehend dureh Studemund, der bald nach Oreifswald entfährt 
wurde, durch Eussner, dem die Verhältnisse überhaupt nur eine kurze 
akadeniische Wirksamkeit ge^itatteten , durch Flascii , der dann einem 
rufe nach Erlangen folgte; auch für das nächstverwandte fach der alten 
ffesehiehte wurde dnreb die! berafang Ton Unger ein besonderer lehr- 
stnhl gegrfindet. Urlichs eigne thätigkeit, wenn anoh durch die zur 
zeit jedesmal hervortretenden bedürfnisse einigermfl<5zen bedingt, blieb 
bis zuletzt ungemindert; die oben genannten disciplinen mit aus- 
nähme der gesamtyorlesangeii über griechisehe altertiimer und fiber 
römische litteraturgeschiehte behandelte er frtther oder spiter, seltener 
oder häufiger auch fortan; dazu traten eine reihe von Vorlesungen über 
die gescliichte einzolrmr gebiete der griechischen litteratur zum teil mit 
einluhruugen in die metrik verbunden, über lateinische Stilistik, über 
etnselne dessen von knnstwerken, der kreis der namenUleh im seminar 
erklärten Schriftsteller erweiterte sich in manigfachstem Wechsel, oft 
seinen eignen unmittelbaren stufen sich anschmiegend, fortwährend; 
SU alle dem traten noch die bei seiner berufuag ihm von vom herein 
ttbertragenen vorlesnngen über Isthetik, die er bald aneh mit neuerer, 
in letzter seit einigemal aneh mit allgemeiner knnstgeseliichte ▼er- 
knüpfte. 

Auch die ästhetischen Vorlesungen wurden viel und gern gehört, 
namentlich aber waren es von den disciplinen die griechische litteratur- 
gescbiehte nnd die gesehicbte der römischen staatsrerfassnng, von den 
Schriftstellererklärungen die des Acschylus und des Sophokles, des 
Horaz und des Tacitus, die den tiefsten eindruck auf seine zuhörer 
übten und die nachhaltigste erinnerung hinterlieszen. klarheit des vor- 
trag«, sehönkeit bei aller sehlichtheit des ansdracks^ wftrme der empfin- 
dnng, TOT allem die geschiekte anregnng sa selbstSndiger forsennng 
N. Jshrb. i; phil. «. pid. IL abt. UM hiU 12. 40 



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62 G Zar erixmerung an Karl Ludwig Ton Urlichs. 



neben der praktischen räckaichtnabme auf die Torbereltung der kilnf» 
tigen gyranasiallehrer auf ihren beruf wird ihm von Wecklein a. a. o. 
nachgerühmt, dazu dienten denn namentlicb anch hier neben dem 
teminar die manigfaehetan Übungen, die die lubörer zur aelbstthätig- 
keit Teranlasaten, nieht minder stiliBtiscbe , hermeneniiache , kritische 
als epigrapbische miä archäologische, je nach neif:fnnf:;- nnd bedürfnis; 
dfizn trat für ^-ereifterc; als eine an das «eininar gich rrilipnde freiere 
Vereinigung unter meiner leitung teils mit exegetisch-kiiiisciieu, teile 
mit antiquarieeben arbeiten eiek beediftftigend, eine philologische, spliter 
zu einer philologisch-historischen erweiterte gesellschaft. 'hier', schreibt 
der früher erwähnte berichterstatter, 'lernte der junge mann ans sieh 
heraustreten, ansfriffe gegen die von ihm vorgetraj^ene ansieht suriick- 
weiaen'. nach den winenflohnftlleben bespreehnng«!! bUeb man daim 
in heiterer geeellaehaft suMmmen, bei der Urlichs es meisterhaft ver* 
stand, die jnnpen genossen zn unterhalten nnd in ernst und scherz zu 
fördern, eine probe, wie gründiich und erfolgreich von den mitgiiedern 
gearbeitet wurde, bieten vier unter dem titel 'Verhandlungen der philo- 
logieehen gesellaehaft in WUrzbnrg* von Urlichs herausgegebene 
aufsätze jöng'ercr mit^ilipfler ; ein zweites erfi-enliches Iflicnszeichen gab 
die geselhchatt in dem testgrusz an die 1868 in Würzburg tagende 
Versammlung deutscher philoIogen, an dem sich auch Urlichs selbst 
dnrek eine kritische abbandlung zu Taeitas kleinen sehriften beteiligte, 
wenn sich diese aengnisse seines wirkens eng innerhalb der berttfii* 
Bl88Ki!?en fachwissenschfift halten, so zeigt die vielseitif^keit der von 
ihm ausgehenden anregungen die ihm selbst von ehemaligen dankbaren 
eeh&lem mr feler seines lünfnndiwnnslgjfthrigen wirkens an dar nni* 
Tersitftt Würabnrg 1880 daigebraehte festschrift , von deren zehn auf- 
setzen sechs sich auf die alte, vorwiegend die griechische, drei sieh 
auf die moderne litteratur (die poetik des Vida, eines italienischen 
humanisten des sechzehnten Jahrhunderts, Calderou, Schillers ver- 
kftltnis zu Anton von Klein) besiehen, ein teluiter, der das Torbild 
der Schillerschcn Jungfrau in der tapfem heldenjnngfrau Camilla im 
elften buche der Aeneis nachsuweisen sucht» die brücke awisclien beiden 
bildet 

Diesem dank seiner acbfiler gibt der ▼ortrefflioke anftata von Week- 

lein nicht minder warmen «nsdrnck als ein anderer in einer bayrischen 
fachzeitschrift crr^chienene naehruf von C nnrnmer und als mehrfache 
mir vorliegende handschriftliche mitteilungen. Urlichs hat ihn wohl 
verdient, nicht nur als lehrer, auch mit rat und that stand er gegen- 
wKrügen wie ehemaligen schalem sn jeder zeit bei* auch in den Staate» 
Prüfungen, zu denen er regelmäszig einberufen wurde, zeigte er sich 
bei vollem festiialten an den gesetzlichen forderungen wohlwollend und 
unparteiisch: auch der ihm wenig geueigte rheinische zeuge, der obea 
einmal angeführt wurde, schreibt: ^ala eommiasar bei den präftuigen 
war er belieht, wie ich von mehreren geistlichen lehrern hörtCi die ihoi 
doch nicht gewogen sein konnten.' so wurde denn unter vielfachen, 
ehrenvollen bezeugungen der dankbarkeit, der anhänglichkeit und der 
Terehraog am 9 november^ 1888 sein siebiigjKbriger geburtstag uud in 
noch weiteren kreisen, weit über Wärzburgs weichbild und die grensea 
des BayerlandeB hinaus, am 2 angnst 1886 sein fonfsigjlUiriges doetor^ 
Jubiläum gefeiert. 

Längst bekleidete er, nachdem die früher angedeuteten Schwierig- 
keiten teils TölUg flberwnuden, teils wenigstens Bur&ckgetreten waren, 
eine anerkannt hervorragende stelle unter den mitgiiedern der akade- 
mischen körperschatt. mit weni^^en zwar stand er auf vertrauterem 
fusze} neben einer gewissen cordialität hatte es ihm doch, wie bereits 
bemerkt, schon an frfiber leit nicht an einer Vornehmheit der knltoeg 
gefehlt, die den fernerstehenden oder neu hinzutretenden nicht tnr an- 
nfthemng einlud, aber gerade diese mit den verbindlichsten lormen ge> 



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Zur erinueruug aa Karl Ludwig ?oq Urlichs. 



^pftArte haltun^ trag neben seiiMff auch auswärts gewürdigten litteraii- 

seben bedeutiinij: «la/.n bei, dusz die Universität ibn wiederholt zu ibrem 
repriäsentaxiten bei teierlichen Veranlassungen ausersah: 80, abgesehen 
von der wesentlich infolge persönlicher beziehnngen bereits 1856 er- 
folgten abord^nng nach Qreifswald, bei den jabilften von Leyden und 
von Hcidelbern;. aucb bewirkte sein lebendiges interesse an den uni- 
verßltäts.'iDpelegenheiten und seine bald erprobte geschäftstüchtigkeit, 
dass er nicht weniger als sechsmal auf je zwei jähre von der gesamt* 
keii der «oUegen in den ienat ifewühlt wnrde. Ton den mitgliedern 
seiner eignen facultät wurde ihm wolil nicht ohne einflnsz der oben 
angedeuteten verbältnisse nicht vor 1868, dann aber noch zweimal das 
decanat übertragen, die wähl zum rector erlolgte erst 1885. überall 
Beigte er, auch von denjenigen amtsgenossen Toll anerkannt, die ihm 
persönlich nicht ihre rolle Sympathie enkgegrentrogen, ebenso viele klnr- 
heit und formelle jrenanf^tbeit in seinen rcferaten und in seinem ge- 
samten auftreten; als rector füllte er nach dem übereingtimmenden ur- 
teil der collegeu seine stellong würdig aus; die Verhandlungen des 
•eiintf woete er MehUeh m leiten, dae . eneehen der corpomtion, wo es 
gfalt, EU wahren und seine reduergabe in der vorher beseiefaneiMi rede 
wie bei sonst sich darbietenden gelegenheiten zur vollen geltung zu 
bringen, und wenn er zuweilen sein übergewicht fühlen liesz, so fehlte 
•a ihm doeh nneh nieht an der wahren bescheidenheitf die eignes nnd 
firendee yerdlenst richtig an messen weisz; als Eltschl 1865 seine Bonner 
Stellung aufgegeben hatte, da w.ir T^^rlichs auf das eifrigste bemüht, ihn 
für Würzburg zu jrewinnen, ohne es in betracbt zu ziehen, dasz er da- 
durch selbst von der iülireuden stelle zurücktreten würde: wie hoch 
er freiliob Ritsehl seiner bedentnng cntapieehend stellte, bat er noch 
mehr als zwanzig jähre später in seiner geschichte der altertmnswissen- 
aehaft in treffendon und beredten werten anerkannt. 

Auch Über den akademischen kreis hinaus geuosz er in der gesell- 
aebaft .nnd in der gansen Stadt hohes ansehen. wMbrend er dort als 
anregend und interessant allgemein, und Tonngsweise anch von den 
höchsten schichten, g-esucht und beliebt war, f^o entzog" er sich au allen 
Zeiten keiner geiegeubeit, um mit autopferung von mühe nnd zeit durch 
wort und that lehrend, bildend, gemeinnützig zu wirkeu. uamentiiclx 
fahr er, mit gleicher wSrme den allgemeinen gesebieken nnd Interessen 
Gesamtdeutschlands wie den besondern des ihm immer mehr zur heimat 
gewordenen Bayerlandes hingegeben, auch bis zuletzt fort, sich lebhaft 
an den groszen, grundstürzenden und grundlegenden poliUscben ereig- 
Bissen ms eins der führenden nnd einflnsareiehsten mit^lieder des WQra* 
bnrger nationalliheralen Vereins zu beteiligen, bei der von diesem an 
Bismarcks siebzigjährifi^em g-eburtstage veranstalteten feier durfte er es 
aussprechen, dasz er seine lehrjahre groszenteils mit durclilebt habe, 
in Berlin als sein gemttszigter Parteigenosse, in Erfurt als zweiter 
aeeretSr neben ihm als erstem, der tag von Olmttts habe ihre wege 
getrennt: er selbst sei in die oppositiou gegangen, Bismarck habe ihn 
als den schmerzlichen abschnitt einer verfehlten politik empfunden, 
und nun begleitet er von stufe zu stufe in meisterhafter Schilderung 
mit ebenso viel staatsmlnnisoher einsieht als warmer empfindung den 
grösten deutschen Staatsmann auf seinem im hSehsten und seltensten 
sinne aufsteigenden lebenslaufe, bis Peine /nbörer tief ergriffen sein 
dreifaches hoch in stürmischem beifall verklingen lassen. 

Nieht minder als seine schüler, seine amtsgenossen und seine mit- 
bürger wüste aber auch die regiemng seinen wert an schfttaen nnd 
namentlich schenkte der minister v. Lutz ihm ein ehrenvolles vertrauen, 
schon bald nach seiner berufung nach Würzburg und dann alljährlich 
wurde er zum ministerialcommissar bei den abitarientenprUfungen be- 
eteilt, ebenso wnide er in früheren jähren gleiohfaUs alljShrlieh, sp&ter 
nneh vennehmng der aahl der Professoren der phOologie mit seinen 

40* 



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628 



Zur erinnerung an Karl Ludwig von ürlidis. 



colle^en wechselnd zu den für das sranze land in München stattfini'len- 
den , mehrere wochen in ansprnch nehmenden prii fuiit^^en der lehrantts- 
candidateu in den herbsiferien eiuberuien; nicht miuder aber fast in 
jedem jähre, bftafig in den osterferien, tn den sitsangea des obersten 
sdinlrat8| dem er seit seiner begründang im anfange der siebziger jähre 
als auswärtiges mitglied angehörte, dieses amt führte ihn aber anch 
kraft der damit verbundenen Oberaufsicht über die gymnasien aut in- 
speettonsreisen vielfach im lande umher, im aasammeahange mit dieser 
thäUgkeit stand es auch, dasi er zum Vertreter der bayrisehen regia» 
rang für die scbuleinrichtungen auf der Wiener weltausstellnn;^ ernannt 
wurde, dem allem entsprechend fehlte es ihm auch an äuszeren zeichen 
der anerkenuung von oben nicht: schon 1867 zum hofrat ernannt, er» 
hielt er 1880 den orden der bayrisehen kröne und damit den persön- 
lichen adel, 1885 die freheimratswürde; die höchste wissenschaftliche 
Corporation des landes, die Münchener akademie, hatte ihn schon längst 
(1866) ihren mitgliedern zugesellt. 

Nicht minder ehrenToll für ihn aber ist auch das seuguis be- 
währter sehulmünner über seine Wirksamkeit, mit den gadmektan 
anfzeiehnungen vereinigen sich schriftliehe, mir von solchen mitge- 
teilte äuszerungen in der anerkennung seiner leistungen auf prak- 
tischem gebiet, er wird als wohlwollender und gewandter ezaminator 
gerühmt, die ilun unterstellten Studienanstalten besuchte er häufig und 
alle lehrer, die er dabei als fleiszip; und tüchtig kennen lernte, durften 
sich seiner iürsorge stets verpicbert halten, nie hat er einem candi- 
dateu, der billige i'orderungeu, nie einem beamten, der aeiue pflicht er- 
füllte, Schwierigkeiten in den weg gelegt, wenn er auch bei der seit 
1874 bestehenden neuen bayrischen Schulordnung nicht zu den eigent- 
lichen hauptorganisatoren gehörte , so galt doch sein einflusz in der 
obersten schulbehörde nicht für gering: ^gewis ist\ heiszt es in einer 
dieser suschriflen, 'und dankbar musx anerkannt werden, dasa Urlichs 
sich um das bayrische gymnasialsehulwesen grosse und dauamde rer- 
dienste erworben hat.» 

Eine andere praktische, mit seinem wissenschaftlichen berufe nicht 
minder nahe zusammenhängende und uns zugleich unmittelbar zu seinen 
Utterarischen leistungen hinüberftthrende thltigkeit legte ihm in einem 
hei seiner berufung nicht geahnten umfange das ihm übertragene amt 
eines conservators der ästhetisch-archäologischen Sammlungen der Uni- 
versität auf, die durch eine bald darauf erfolgte groszartige Schenkung 
eines hochangesebenen und treuen sohnes der Stadt und der hoehsebula 
Würzburg einen groszen umfang und eine hohe hedeutung iSrmelirais 
einen zweig* der bildenden künste gewinnen Rollten, am 7 december 
1867 unterzeichnete der namentlich durch seinen ant« il an der erwer- 
bnng der äginetischen bildwerke von Seiten des damaligen kronprinzen 
Ludwig Ton Bayern und seine weitere thätigkeit für dieselben bwaonte, 
seit langen jähren in Rom ansässige und dort in Lndwiga kunstinteressen 
als vertrauter berater und vermittler thätige bildhauer Johann Martin 
von Wagner eine Urkunde, in weicher er seine vornehmlich kupfer- 
stiehe, handseichnuDgen, gemälde, soulpturen, münzen umfassende kunst- 
sammlung nebst den dazu gehörigen büchem der Universität vermachte, 
er legte ihr dabei die Verpflichtung auf, diese sammlnn'g in passender, 
zweckmäsziger and instructiver aufstellang nicht nur den mitgliedeni 
dar universitftty sondern allen Areunden edler bestrebungen, gleiehviel 
ob einheimisch oder fremd, künstlern oder niohtkünstlern zugänglich 
und nutzbar zn machen, und hierbei die g-röstc Hberalität, soweit solche 
nur immer mit der integrität der Sammlung vereinbar sei, vorwalten 
zu lassen. Urlichs war ganz dazu geschaffen, dieser aufgäbe, die ihm 
naturgemäss anfiel, nicht nur in ▼ollem umfange zu genügen, soadeia 
mit eifer und geschick auch die Vermehrung dieser schätze zu betrei- 
ben, wie ihm aaszer anderem, um nur dies eine und bedeutendste la 



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Zur eriimerimg ai» Karl Ludwig von ürlichs. 



629 



•rwUhaen, »aS der Torlier berttlirten römlseliea reise Ton 1872 die er- 
werbmi^ der berühmtea Feoliscben Yasensammlan^ gelaop. sa ehren 

des groszherzigen Stifters tind znr Verbreitung Sf^ines nthms in der 
wiasenschaftlichen weit nicht minder als zur belebung des kunstver- 
BtSndiiisses und der teilnähme für das iostitut von Seiten nicht minder 
des gfesamten pubHcams als der lehrenden und lernenden mitfrlieder der 
7inivcr<^ität führte er eine alljährliche feier am stiftungstage , zunächst 
mit einer feier auch des zwei tage darauf fallenden Winckelmauns- 
tages ein, und liesz seit 1865 bis in sein letztes lebensjahr eine reihe 
▼Ott Programmen des Wagnerachen knnetinstitntSf meist zu dieser stif- 
tnngsfeier, erscheinen, die manigfaohen inbalts, doch sämtlich auf einem 
oder dem andern gebiete an die von diesem vertretenen irtteres«!eii an- 
knüpften, unmittelbar durch ein drei hefte (seit 1865) umtasseudes ver- 
seicbnis der antiken der Sammlung; aneb der Tortrag über das der Uni- 
versität 1874 von dem oberbibliothekar Ruland vermachte bedeutende 
fränkisch- wii rzhnr^^iscli e münxcabinet und das heft fiber die bangesebicbte 
Wärzburgs g-ehürt hierher. 

Das lebensbild des ebenso treäiiclieu und tüchtigen als originellen 
Stifters selbst seichaete er markig nnd ansohanlieh in einem IWb an 
Winckelmanns geburtstage gehaltenen vortrage, als hauptquelle diente 
ihm dafBr die fast ein halbes Jahrhundert (1810—1858) hindurch ge- 
führte und mehr als 650 briefe Ludwigs, über 900 briefe Wagners um- 
fassende eorrespondena desselben mit seinem ffirstlichen freunde, auch 
flonst cewMhrte diese einen reichen schätz für interessante mitteilungen, 
vor alTem verwertet in dem ebenso lehrreichen als anziehenden, 1867 
erschienenen bändchen über die glyptothek nach ihrer geschichte und 
nach ihrem bestände.^ noch in dem in seinem todesjahre veröffeut- 
lichten progframm konnte Urliefas diese sehrift nach unmittelbaren durch 
sie hervorgerufenen mitteilungen könig Ludwigs und nach verschiedenen 
Aufzeichnungen Wagners in willkommener weise ergänzen, aber auch 
sonst wüste er jenen bnefwecbsel und die uuderweiten Wagnersohen 
papiere au einer reibe von merkwfirdigen , znmal einen intimeren ein- 
blick in das römiseba knnstleben gewXhrenden anfsohlfissen an benataen, 



* das Interesse dieser correspondenz geht nicht selten über den 
durch den titel der Urlichsschen sehrift angezeigten Inhalt hinaus, am 
merkwürdigsten ist eine hier abgedruckte stelle ans einem briefe vom 

31 märz 1848, in welcher Ludwig seine entsagung mitteilt und die 
durch wiederholte mitteilunfr an dieser stelle wohl einem weiteren leser- 
kreise zu gesiebte kommt als in ihrem ursprünglichen Standort: ^habe 
immer gesagt, wirklich könfg sein oder die kröne niederlegen, und 
so habe ich nun gethaa. die empörung hat gesiegt, mein thron war 
verschwunden, rogierpn konnte ich nicht mehr und ein^n unterschrci- 
ber abgeben wollte ich nicht, nicht sklave zu weiden wurde ich frei- 
herr. niemand gieng mich an zu entsagen (eine partei jedoch wollte 
es), kein einziger ministerverweser wui^e von meiner absieht, hStte 
das Volk sie geahnt, es hätte einen neuen aufstand erregt mich zu 
zwinn^en auf dem throne zu bleiben, was mich am meisten schmerzte, 
gewaltigen kämpf in mir verursachte, war, dasz ich sehr beschränkt da- 
durch fir die kunst sn tbnn, was ich Torbatte. die befreiungshalle mnss 
ich aufgeben; in ansehung der knnst, ungleich mehr aber noch hin- 
eicht] ich dasz es ein denkmal der den tsrhon siege im j. 1813. 14. 15 
gewesen, schmerzt es mich, dieses schmerzt mich sehr, nicht dasz 
ich zu herschen aufgehört bin Tielleicht jetzt der heiterste in München, 
ansbau der ruhmeshalle Bayerns, nnd des siegestbors, sowie Vollendung 
der bemalung- des Speyerer doms, die Nibelungen und dir« Odyssee in 
der residenz sind unter den bedingungen, die m. söhn Maximilian ge- 
macht, die neue pmakothek habe ich von selbst zu vollenden, sowie 
das pompejauische bans.' 



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630 



Zar ennnerung an Karl Ludwig von Urlichs. 



teila in Programmen über rSmiselien bilderhandel und Über Thorirsidtea 

in Rom (1884 und 1887), teils in dem ausführlichen, sehr instmctiTeii 
aufsatze über Cornelius in München \m<\ Rom, dem eini^ wesentlich 
ebendaher stammende notizen Uber Overbeck yorausgehen, in den bei- 
tilgen zur knnstgescbicliie. Urlicbs* bereits in jenem Tortrage ana- 
gesprochene absieht, ans der ^roszen anzahl wertvoller antiquarisch- 
künstlerischer hpmerkungen, die r!er Wag-nerschp nachlasz enthält, eine 
auswahl zu vci üffentlichen, ist leider unaui^^^cfülirt g-eblieben. da?z er 
selbst auch die glanzepocbe italienischer und deutscher kunst, die zeit 
eines Raphael nnd Albreeht Dürer, in den kreis seines interesM« wog, 
davon legt der kurze, aber interessante aufsatz 'swei madonnen' in den 
beitragen auch nach aussen hin ein zeugnis ab. 

In erhöhtem masze war seine litterarische thätigkeit selbstverständ* 
lieb aueb in dieser ganzen periode seinem banptfaehe, der altertnmawissen- 
sebaft, augewendet, wie und in welchem nmfange er sie anffasate, bat 
er selbst mit einem überblick über ihre gesamtentwickluno- verbrinflen 
in seiner grund legung und geschichte der classiachen altertumswissen- 
schaft dargelegt, die den ersten, 1886 erschienenen band des von Iwan 
▼on Müller beransgegebenen handbnehs der classisehen altertumswissen* 
Schaft in Bystematischer darstellnng" eröffnet, er stobt hier, wie nach 
dem bisher geschilderten entwickluu^^sirange seiner Studien un l um- 
fange seiner wissenschaftlichen und akademischen thätigkeit sich mit 
innerer notwendigkeit ergibt, auf dem uniTersellen Standpunkte, der 
▼on Friedrieb August Wolf begründet, von Böckh, dem er sich im 
wesentlichen, wenn auch nicht ohne manche selbständige abwetebnng, 
anschlieszt, vertieft, im gegensatze zu der eine zeit lang herschenden 
einseitigen betonong der grammatik und der Initik als aiel der philo- 
logie die wissenschaftliche erkenntnis des fremden geistes betrachtet, 
wie er sieb nnter bestimmten Verhältnissen einzeln nnd in gemeinschaft 
verkörpert und in bleibenden -lenkmälem ausgedrückt hat, sie ist also 
wesentlich wiedererkenntuis und aneignung. um dieses ziel zu erreichen, 
bedarf es nach s^ner ausfübrung des ausammenwirkens dreier gruppen 
von je näher zu einer engeren einheit sich zusammenschlieszenden dis- 
ciplinen: er bezeichnet sie mit den namen der reinen, der historischen 
und der philosophischen bzw. ästhetischen phiioiogie. nicht immer sind 
in dieser seiner letaten umfassenderen arbeit seine anseinanderaetanngen 
mit der ihm sonst so eignen durchsichtigen klarheit und präcision ab* 
gefri<^7t, nnd auch in dem geschichtlichen abschnitt vermiszt man rn- 
weilen die ihm sonst nicht minder eigne stilistische Sorgfalt; dagegen 
wird man auch hier sein oft bewährtes talent knapper zusammenfassang 
des manigfachen Stoffes bei gesebiekter berrorhebnng und gruppierang 
des bedeutenden und sein reifes urteil anerkennen. 

Seine Rpecieüen arbeiten bewegten sich auch ferner sowohl auf 
dem gebiet des Schrifttums als auf dem der kuust des altertums. von 
der teztkritisoben arbeit fQr Plinius wendete er sieh unmittelbar der 
erklärung desselben zu: indem er erkannte, dass man mit nutsen nnd 
vergnügen durch ihn in die c^esamte cnltur des altertums eingeführt 
werde and eine Übersicht des realen gebietes der phiioiogie erhalte, 
wie de kein anderer sebriftsteller darbietet, Teranstattete er, naob den 
▼organge Johann Matthias Gesners, unter dem titel chrestomatllia 111* 
nifina für die oberste sehulstufe und zum privatstudium eine auswahl 
von stellen der umfassenden natur- (cultur- und kun3t-)ge8chichte dies» 
autors, die vorzüglich geeignet erschienen, den angedeuteten zweck sa 
erfüllen, und versah sie mit sehr eingehenden, der beslianrang des 
buches ^pmÜHz vornehmlich, aber keineswegs ausschlieszlich, sachlicben 
erklUrungen, die noch heut als musterhaft anerkannt werden, '"in treuer 
anhängUchkeit' widmete er das werk der Universität Greitswaid. un- 
mittelbar an seine dortige thätigkeit knüpften anob die niehslen 
grösseren, bereits, vorber genannten arbeiten aa, die yollend«n|r 



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Zur eriimerttiig an Karl Ladwig von ürlicba. 



631 



■weTkes über Skopas nnr! fler zweite teil der vinrliciae Plinifinae. eine 
selbständig- erschienene spätere loistuiif^ auf textkritiscbem crebiete 
bietet, zum gebrauche bei voriesungea in sehr iuätructiver weise für 
die einfahnrair der ttodierenden in die handhabang^ der kritik einge- 
richtet, seine 1876 erschienene, in der früher geschilderten anmntigeii 
und schalkhaften weise Ritsohl g;evvidnriete ausgäbe des Ajrncola des 
Tacitas; eine umfassendere, von ihm geplante bearbeitong dieser Schrift 
ist nickt anm «baoblnMe gelangt, auch dat geaammelte kiltisefac material 
sn ^er ausgäbe einer der^andern kleinen Taciteiaehen Schriften, des 
gesprächs über die redner, hat keine verwertTing pfefimden, dagegen 
sind eine reihe von wertvollen beitragen der manigfachsten art sowohl 
zu Flinias und Tacitus als zu manchem andern, vornehmlich römischen, 
«ehriftsteller nnd anr konde nnd geschickte der enttprecbenden band* 
Schriften von ihm als programme oder in Zeitschriften erschienen; ein 
treuer mitarbeiter war er namentlich von anbeginn ( 1842) an bis zum 
letzten jahrgange dem aonächst von Welcker und Kitsehl heraus* 
gegebenen rbeiniscben mnsenm IKr pkilologie. 

Nickt minder fruchtbar erwies er flick nnf dem gebiete der arekftc- 
logie. auch hier wären neben den programmen der Wag^nerstiftung 
eine groaze anzahl von abhandiungen, Vorträgen, miscellen, reeensionen 
zn nennen; aber hier wie oben würde Vollständigkeit uud bibliogra- 
pkiseke genanigkdit in diesen, nicht nnr den bekenncm der altertnma- 
ßtudien gewidmeten blättern wenig am platze sein, hier genügt es, 
darauf hinzuweisen, mit wie allseitigem interesse Urlichs dies weite 
gebiet umfaszte, mit welchem geschick er geeignete Stoffe für die dar- 
stellung ansanwihlen, mit welcher Tirtncsitlt er sie lebhaft und fesselnd 
zu gestalten wnste: bald gibt ihm der teropel des olympischen Zens, 
bald Pergamon die feder in die band, bald «pricht er von den crriecbi- 
schen stataen im republikanischen Rom, bald von der maierei in Rom 
vor Caesars dictatar, bald erläutert er wand-, bald vasengemälde, bald 
bckandelt er eingehend einen minder bekannten bildhaner, bald einen 
vasenmaler, während der Vollendung: seines buches über Skopas be- 
schnftigt er sich auch mit der kuust des Praxiteles, seine iinter- 
sachungeu über die anfange der griechischen kunstgeschichte nimmt 
«r Ton neuem gegenüber ron Bronn anf, mit dem er sieb in annstem, 
Aber rein sachlichem nnd friedlichem strdte freundschaftlich ansein* 
«nderznsctzen sucht; eine reihe kleinerer, manigfaltiger arbeiten, in 
denen mehrfach auch die philologische ader sich vorwiegend geltend 
macht, entsteken ikm Im lanfe weniger monate unmittelbar vor seinem 
doctorjnbÜftnm nnd bilden den banptbestandteil der mebrgenannten bei- 
träge 

Philologische aber und archäologische intereasen nicht minder als 
der wünsch, das höhere Schulwesen im südwestlichen Deutschland und 
speciell in Bayern sn fordern, ▼eranlassten den anch an praktisckem 
eingreifen stets geneigten und geschickten unter Zuziehung einiger an- 
gesehener gfiddeutscher gelehrten und schulmiinner 1864 zur griindung 
einer diesen zwecken gewidmeten Zeitschrift '£os'. sie hat ihnen da- 
mals nnter mitwirknng ron töcktigen kräften, nicht am mindesten von 
Urlichs selbst, mit anerkennung gedient, ist aber nicht viel über das 
Stadium der durch den titcl bezeichneten morgenröte hinausgekommen, 
da sie nach dem erscheinen zweier bände infolge des hervortretens 
der noch specielier auf die leiirerwelt berechneten blätter für das baye- 
fische gymnasialweseB bereits 1866 eingieng. 

Neben allem dem aber empfängt sein interesse nnd seine littera- 
risobe thätigkeit in Würzburg noch antrieb und richtnng nach einer ganz 
andern seite hin. hier wohnte während der wintermonate der freiherr 
▼on Ol^dben'Rnsswnrm, gemakl von Sckillers jüngster tochter Emilie, 
im Sommer lebte die familie anf ilurm schlösse Greifenstein ob Bonn- 
land in Unterfranken, ihnen wurde Urliehs dnrch Heinrick Abeken» 



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632 



Zur eriimeniDg an Karl Ufding von Urlidis. 



der alte beziehung^en zum Schillerscben lianse batte, eropfolilen. V»ald 
entwickelte sich ein engeres freundschaiiUches Verhältnis und neben 
den reichen und bedeutendun Wagnerschen schätzen erschlossen sich 
Urlicha als ein zweiter qaell für neaet, i^leiehfallfl nicht minder gennts- 
reiches und fruchtbares schaffen auf einem ebenso ertragreichen als 
damals Verhältnis mäs zig noch wenig anfrcbauten fehle zu freier be- 
nutzung die in noch bei weitem höhereu grade das allgemeine Interesse 
des gesamten gebildeten teilender nation In ansprach nehmenden aeb&tse 
des SchillerarchiTB anf dem Oreifenstsint aus dem umfangreichen 
material, welches die edle fra\i ihm znr Verfügung stellte, gab er 
in den jähren 1860—1865 das dreibändige werk 'Charlotte Schiller 
nnd ihre freunde' heraus, das auszer einigen gedichten und aafseioh- 
nnngen Charlottens einen kostbaren briefschats darbietet, mit philo- 
logischer ^'enauigkeit sind diese Schriftstücke angeordnet und mit 
manchen hinweisungen versehen; dem (iritten bände hat der heraus- 
geber eine sehr anziehende eiuleilung iu Charlottes äuszeres und inneres 
leben ▼oransf^eschickt, gefolgt von einem briefe der fran von Gleichen 
an ihre Schwester Caroline über die letzten tage der innig geliebten 
mntter. derselben und einer andern aus Schillerschem familienbesits 
stammenden quelle entspringen, mit derselben Sorgfalt iu chronologische 
folge gestellt nnd mit den aar orientierang notwendigen naehiichten 
Uber die briefsteller nnd weiteren erläuternden anmerknngen ausge- 
stattet, die ganz ohne vorrer^c 1877 herausgegebenen briefe an Schiller 
selbst, aber auszer diesen bedeutendsten bereicherungen der Schiller- 
litteratur bot ihm das Greifeusteiner archiv nebst einzelnen im besitz 
anderer gliedsr der BehUlersehen familie befindliehen papieren das 
material zu der ohne nennung seines namens von ihm eingeleiteten 
veröfifentlichnnjr der briefe der brüder Schlegel an Schiller an? den 
jähren 1790—1801 in den prenszischeu Jahrbüchern 1862 wie zur weiteren 
▼ervollst&ndigung und eingehenden besprechung des von Max Hfiller 
zuerst teilweise aufgefundenen, dann "VOn Mich eisen yervollständigten 
interessanten briefwechsels des herzopfs von AugustenbTir^ mit SrhiÜer 
über die ästhetische erziehung des menschen und zu einer erweiterten 
kenntnis von dem Terhältnisse des letzteren zu Fichte in der deutschen 
rundschan 1876 nnd 1877; nicht minder stammt ebendaher das merk- 
würdige, glrichfalls am letztgenannten orte mit rinrr mif eingehenden 
Studien beruhenden einführung mitgeteilte austührliche bruclistiick eines 
tagebuchs von Leuz aus der zeit seines Ötraszburger aufeuthalts im 
jähre 1774. hatte der glfickliehe spürer im sweiten bände der briefs 
Charlotte von Schillers eine ganze reihe an sie gerichteter briefe Goethes 
mitteilen können, mo gelang ihm bei einem besuche der durch verschwa- 
gerung mit ihm verbundenen familie Uaaenclever iu Ehringhausen den 
f^roszeren teil der briefe Gbethes an Johanna Fahimer, n&tte jugeiid* 
freundin, später die zweite gattin seinoi sefawagers Schlosser, von denen 
bis dahin nur einzelnes bekannt geworden war, von der hauäfrau, ihrer 
enkelin zu erhalten und durch eine an/iahl liier und da zerstreuter an 
Johanna gerichteter Goelhescher und einige sonst bezügliche briefe 
Termehrt heranssugeben ; ein erhöhtes Interesse gewannen diese briefi 
durch den aufsatz Urlichs' zu Goethes Stella zuerst in der deutschen 
rundschau, dann in der zweiten aufläge der briefe, worin er die be- 
Ziehung dieses dramas auf Johanna und ihr Verhältnis zu Friedrich 
Heinrieh Jacobi mit ebenso yiel Scharfsinn als Überzeugungskraft dar^ 
legt, auch andere Goethesche und zeitgenössische ihn betreffende zom 
teil aus derselben band ihm znci^ekoTTuiif^ne, «um teil den Wagnerscben 
papieren und dem Schill rM heu lamilieobesitz entstammeude briefe 
konnte er znm ersten jahrgHuge des Goethejahrbuchs (1880) beisteuern; 
die brücke aber swischen dieser der vaterländischen und der der alt- 
classischen litteratur zugewandten thiltigkeit hildet die an die spitze 
des dritten teihi dieses jahrbuchs gestellte, in der Anerkennung wie m 



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Ztur eriimartuig an Karl Ludwig Ton üriiehs. 68S 



der kritik <>leiches vfr^tänrluis wie feinheit offenbarende abhand- 

luDg 'Goethe and die antike', diesem doppelgebiet wird man auch die 
zweckentsprechende und ansprechende einleitung zu Seufferts neuheraos- 
gftb« von Winekelmanns gedanken über die naohahmung der griecbi- 
sehen wcrT^p in der maierei und bildhauerkunst in den deutschen 
litteratnr denk malen des achtsehnton and neonaehnten jahrhoudeits zo^ 
rechnen dürten. 

Die guktt entwiokloiig seiiMa lebensganges und teiner Uttaraiiiehen 
thätigkeit moste Urlichs in vielfache bedeutende and enpriessUcbe vef^ 

bindnngen brin^n, die er durch eine ausgebreitete correspondenz unter- 
hielt, zu vielen fachgenossen hatte er ein freundliches verhältni« und 
anohte es dnreh rerhiltaienülsBig hSafigea besneb der philologenrer' 
aammhuagen zu pdegen sowie dadureb mit dem philologiseb-archSologi- 

sehen nachwuchs füliliinjr zu f^ewinnen: wie bedeutend er bereits 1841 
in Renn dabei hervortrat, dnb/; er 1968 in Würzburg' das präsidium, 
und zwar wie jetzt liinzugefügt werden muaz, mit dem ihm eignen ge> 
jBobiok und anter allgemdnstar anerkenwang f&hrte, war bereite an er- 
wähnen; auch sonst wüste er, wo er sich zeigte, nicht minder anre|ping 
XU suchen und zu empfang-en als zu geben, sowohl in lebendin-em ver- 
kehr als fast immer durch wohl gewählte als anziehend behandelte vor- 
trage; so ersehien er fiberall gern gesehen auf den pbÜologentagen; so 
namentlich zu Darmstadt, Braunschweig» Frankfort am Main, Angs- 
bai^, Halle, wohl zuletzt 1881 in Dessau. 

Aber auch auf reisen suchte er ähnliche anregung und erweiterung 
seiner unschauungen und seiner kenntnisse. so gieng er lbt)2 nach 
Paris, wo er wilbrend eines ISageren aafenthalts verbindongen mit an- 
gesehenen gelehrten, wie de Witte und C. B. Hase, anknüpfte; der 
zweiten römischen reise von 1872 wurde schon gedacht; ins frühjahr 
konnte er endlich auch, begleitet von seiner jüngsten tochter, die 
Bttttten TOB Hellas, denen er sieb geistig seit langen Jabren so nabe 
fühlte, besuchen: wie manigfachen Interessen er sich dabei mit feiner 
land und leute, natur und knnst gleich Timfassendcr beobachtnn^pgabe 
widmete, zeigt seine in etwas aphoristischer, aber auch glänzender far- 
beu nicht ermangelnder form vieles beachtenswerte darbietende, im 
berbste desselben jabres in den spalten der allgemeinen zditung er- 
schienene reiseerinnerung" 'acht wochen in Griechenland'; den vrinter 
1887 83 durfte er noch einmal mit seiner ß^attin, zum teil auch mit dem 
jüngsten, nachstrebenden söhne in Italien, vornehmlicii in dem alt- 
vertranten Rom Terleben: eine anaiebende fracbt dieser noob mit Jugend* 
Heber frische voll genossenen und ansgennteten reise bietet die heraoa* 
gäbe und behandltm^ eines knrz zuvor in Rom anspregrabenen, eine 
eigentümliche darstellung darbietenden Medeasarkophags in dem vor- 
letzten Winckelmannsprogramm 1888; die grieehisebe reise hatte für 
die 'beitrage' die abbüdosg nnd erklärang eines bis dahin wenigstens 
nicht >j inreichend gekannten grossen marmornen Sarkophags in Kephisia 
gespendet. 

Dauernde erholung and anregung bot ihm sein haus, vier knaben 
and drei mSdcben sebenkte ilun die tieffliehe gattin; den Ultesten sobn, 
einen talent- und hoffnungsvollen jungen arzt raffte der tod vor ibm 

dabin, von den überlebenden sind die töchter und die beiden älteren 
söhne, beide in geachteter Stellung, glücklich vermählt, ein söhn und 
eine toohter in Würzburg selbst, statt alles weiteren sei ea gestattet 
hinzuzufügen, dasz auch jene geistlioben lebrer, die Urlkdis wegen seiaea 

Verhältnisses zur kirche grollten, nach dem oben angeführten mehr zur 
schwarz- als zur Schönfärberei geneigten bLTicht ''seiue familie liebten'. 

Das lebendige treiben, das sonst in dem angeregten und gastlichen 
banse bersebte, yeraebönert dareb das anmatig«, mosikaliscbe, den Tater 
erfreuende talent der zweiten tochter, hatte in den letzten jähren einer 
niobt minder befriedignng nnd behagen in ihrer weise gewährenden^ 



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684 Zar erinnerancf an Karl Ludwig ron ürlidi«. 



aber durch h'infio^en verkehr mit kindern und enkcln f'-ern nnt<»rhrochenen 
stille platz gemacht: neben der waltenden und so redenden mutter trat 
der jüngste söhn, in den sparen des raters wandelnd, ihm als T«r> 
StSnctnisvoller , eifrigster gehilfe bei seiiier wissenschaftlichen wie bei 
seiner amtlichen thätipkeit zur seite. alljährlich im beginn der herhst- 
ferien aber unterbrach er schon seit einer reihe von jähren seiue 
arbeiten und die gewohnte häusliche Ordnung , um für drei oder vier 
woehen in Kissingen erfrischong and sMrknng an Sachen, früher meist 
von einer der töchter, in den letzten Jahren von seiner gattin begleitet, 
sie bildeten stets den mittelpnnkt eines meist aus akademischen ele- 
menten bestehenden kleinen kreises; Urlichs war fast immer, wenn 
iiiefat irgend ein korperllebes oder sonstiges nnbehagen ihm einmal die 
laone verdarb^ mitteilsam und raeist von einer für seine jähre seltenen 
frische, dieser geistigen frische entsprach auch sein äTif=:7.eres : von 
mittlerer grösze, breitschulterig, krafti^f gebaut, dabei mäsziger fülle 
nicht entbehrend) von gesunder, lebhaft gefärbter gesichtsfarbe , das 
aasdmoksvolle, edergisch geformte Mitlits von den leachteoden dankeln 
äugen beherscht, von weiszem vollem haar und wohlgepflegtem harte 
umsäumt, so steht er mir, seinem langjährigen, Irenen genossen während 
dieser wochen lebendig vor der seele, so lat seine marmorbiiste treff- 
Uoh Ton Spiess in fiom gebildet; hoffentlieh wird Ü9 einst die anla der 
Wttmborger.anirersität zieren, von der er, am das einst von ihm selbst 
über seine parlamentarische wirksamknt in halbem scherz gebranehte 
wort in seiner vollsten bedeutang auf seine akademische stellang and 
Wirksamkeit ananwenden, ^pars magna fdit*. 

Anch im verflossenen jähre begab er sich zar gewohnten zeit mit 
seiner gattin nach Kissinpi-en. nr war frisch, rüstis:, nnip'än^lich wie 
immer, bis ihn gegen ende der curzeit ein auth sonst m letzter zeit 
periodisch sich einstellender gichtanfall eine Zeitlang au das zimmer 
fesselte^ mit werten herslieher teilnähme entliesa er mieh, als ieh, von 
einem schweren unglück in meiner familie betroffen, von ihm abschied 
nahm, nicht ohne mir die aussieht mif ein baldiges wiedersehen in 
Görlitz bei der bevorstehenden Versammlung der deutschen pbilologen 
nnd sehalmXnner la er5ffnen« daneben besehiftigte ihn damals aoeh 
der gedenke an eine erneute wissenschaftliche reise naeh England; 
beides aber gab er schlieszHch auf, da Cr, wie er annahm infolg"e des 
durch jenen anfall gestörten curgebrauchs, einen schwächezust&nd ver- 
spürte, dessen beseitiguu^ er von einem ruhigen auf enthalte bei den 
beiden am Rhein verheirateten 10ehtsm hoffte and fand, sein sinnen 
und trachten aber war wieder gen siiden gerichtet, dessen licht und 
wärme ihn beglückte, lebhaft besthäftigte ihn demnach dort der ge- 
denke an eine neue in gemeinschaft mit den töcbtern im früiyahr sa 
nnternehmeade grieehisehe reise, gegen mitte des oetobere kehrte er 
heim; eine durch erkältung auf der reise entstandene heiserkeit war 
bald völlig' gehoben und mit trewohnter frische hatte er sich nn die 
arbeit gemacht, freudig betrieb er dabei die der Vollendung entgegen- 
gehende einrichtung eines antiquarioms , in dem sowohl der räum fär 
eine sweekmäszige, erst die volle Würdigung der vorhandenen original- 
antiken ermöglichende aufsteüung- darfi^eboten, als ein kleiner Baal für 
die vorli sutig-en und Übungen und tur ihn gelbst ein t ignea arbeits- 
zimmer hergerichtet war. wenn auch hie und da auf spaziergüngeu 
einige atemnot ihn befiel, im gansen fühlte er sich ohne beackwerde. 
am 24 october starb nach langem siechtum im besten mannesalter einer 
seiner besten, trenesten und tüchtigsten ehemaligen schüler, der «rhon 
oben genannte professor Adam Eusener; tief empfand er den verluäi. 
ein Urliehs näher stehender jüngerer frennd sehreibt, dasa ihm nnver* 
gesalieh seia werde, wie dieser anmittelbar nach der bestaftlang etwas 
angegriffen nnssehend und wohl anch durch die teilnähme t\n der be- 
erdigangsfeier ermüdet, si«^ auf die eiserne einfassang eines benack- 



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Zur erinnerang an Karl Ladwig von Urlicbs. 635 

bartoa grabes aufstützte und gedankbiiToll vor sieh UIhmIi* kaum abor 

b(>gtft or eine abnnng des baldigen eignen endes, wenn er auf dem 
wege dahin gegen seine begleiter darauf hinwies, wie sehr das Jahr 
1889 VDter den philologen anftrXnme, und dann heiter, wie das so seine 
art war, hinzasetste 'da mnsz man vorsichtig sein, dass es einen nicht 
auch -noch mitnimmt!' am abend vorher hatte er in einer vorbereiten- 
den gitzuiifT zur Veranstaltung populär- wissenschaftlicher vorträte im 
laufe den winters einen Vortrag über die akropoiis von Athen für das 
ende des kommenden febmar zugesagt; aneh ftnaserte er seine abBieht» 
in der nächsten sitzong der philologiseh^historischen gesellschaft za 
£assners gedächtnis zu sprechen, am schtuBse der darauffolgenden 
woche erschien er bei der einweihung eines neuen zoologisch-sootomi- 
4Behen nnlTenitltiinBlitato und beteifigte sich völlig friioh nnd heiter 
an dem mit deraelben verbnndenen solennen frühstück; als er anf einem 
später unternommenen Spaziergange an die stcllo kam, wo ein nettes 
coliegienhans gebaut werden soll, äusi^erte er einem ihm dort be- 

Segnenden amtsgenoäüeu gegenüber jieine freude darüber, wie ächön 
ae doeh sein werde, wenn etwa in drei jähren das geb&nde dastehe. 
Am nUchsten morgen, sontag den 4 november, traf er noch die 
Vorbereitung zn dem für den folgenden tag angekündigten beginn seiner 
vorlesongen, speiste völlig munter im kreise seiner familie, unternahm 
4ann einen kleinen spasiergang nnd yerbraehte eine stände heiter plaa- 
demd bei einem alten freunde, auf dem rück wege befielen ihnlieftige 
beschwerdon , mühsam gelangte er von einem hinzug^ekommenen unter- 
stützt in sein haus; auf seinen hilferuf eilten die seinen herbei: er 
stöhnte vor atemnot, aber er stand aufrecht, vermochte auch noch die 
teeppe festen Schrittes hiaaidfBaBohreiten; schleunig wurde erfirischnng, 
Stärkung- von der sorgsamen gattin herbeigescliafft; als sie zum arzte 
schicken wollte, sagte er 'nein, es ist vorüber!' — Es waren seine 
letzten worte: ohne todeskampf war er verschieden, sein antiitz blieb 
mild nnd mbig nnd so ruhte er aneh friedlieh nnd frenndUeh in seinem 
schönen, blnmengekränzten sarge als ob er schliefe, schon Tor iKngerer 
zeit hatte er einmal einen leichten schlatranfall erlitten, vor einigen 
jähren einen heftigen herzkrampf; in dieser ganzen zeit war, wie die 
ftrate nach der section kund thaten, die ein langwieriges, infolge ver- 
kttmmemng der adem entstandenes hersleiden offenbarte, sein leben 
fortdauernd gefährdet: trotzdem empfand er kaum vorübergehende be- 
ßchwerden, seine geistige frische, seine arbeitskraft war in den letzten 
lebensjahren nicht nur ungemindert, sondern in erfreulichem und be- 
wnndemswertem messe gesteigert, der plötsliebe, vdllig unerwartete 
aehlag erregte die gröste bestiirsung, die lebhafteste teilnähme auf der 
Universität, in der Stadt, im glänzen lande; die durch abordnungen des 
Staatsministeriums, des obersten schulrats, der Schwesteruniversität 
Erlangen nnd vieler höheren schnlanstalten su einer grossartigen feier 
gestaltete beerdigang gab aengnts von der bedentnng des heimgegangenen» 
von der verehmng, die er genossen, der rector der Universität, der 
decan gaben diesen empfindungen um f^iabe warmen und beredten aus- 
druck. ^uuter all der trauer', durfte jener, der ausgezeichnete Ger- 
manist von Leser, ausspredien, Mio um dies offisne grab wie eine 
schwarze wölke sieh lagert, erhebt sich aber doch das lichte trostreiche 
bild, dasz hier ein volles, reiches, harmonigohea, bis zum letzten tage 
schaflfensfrendiges, von krankbeit und altersge brechen fast unverändertes 
leben seinen absohlnsz gefunden hat: nnd dies bild von ihm soll foitaa 
in unserem gediehtnisse halten I* 

Bbbslau. M. Hbbtz. 



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636 Bericht Uber die S7e TenamnilQBg des Teraii» rhein. Bchulmftnner. 



61. 

BEKlCliT ÜBEIi DIE SIEBENUNDZWANZIGSTE VERSAMM- 
LUNG DES VEREINS EHEINISCHEB SCHÜLMÄNNEE (1890). 

# 

Der eiuladang zur teilnähme an der diesjährigen Versammlung de« 
Tereins rheinieeher Bclratmllniier, der STn seit gtüknävng des vereint im 
jähre 1862, folgten mehr als 90 leiter imd lehrer von den vereehieden- 

8ten Fchulen der Rheinprovin/.; vom provinzialschulcollegiam erschien 
refrierunp:^- nnd schulrat dr. Deiters, wie fast immer, trat man ara 
üsterdieiiätag — dem b apnl — im Gürzenich £U Köln zusammen. 
gymnasiaJdireetor a. d. Kieeel (Dfisseldorf), dem sie vonitsendeii des 
vereinsanssehnsses auch die leltung dieser versammlang oblag, wies in 
seiner begrüszungsrede d.irauf hin, dasz es diesmal nächste pflicht sei, 
das andenken dreier mäuner zn ehren, die der provinz durch den tod 
entrissen seien, naehdem sie sich, jeder in seiner art, nm wlasensehafl 
und schale bleibend verdient gemaoht hfttteni es seien der aberprlsi- 
dent von Bardelobeii, der »^ymnasialdirector Ditq;e8 tind profcBsor 
Crecelins. der erste der genannten männer gehöre sa den beamten 
altpreaszischer herknnft, denen das Rheinland sweite beimat geworden 
sei. schon während seiner in Gobienz verlebten gymnasialseit sei 
V, Bardeleben von lebendigem eifcr für das f^riechischt^ erfüllt gewesen, 
auf der Universität Lahe er in den ersten seineylcni t m juristisches 
collegium nur belegt, um dem wnnscbe des vaters zu genügen; natur- 
wissenschaftliehe, philologisehe und philosophisebe Stadien htttten ibn 
fast aasschlieszlich beschäftigt; anch sei ihm von seinem damalig' an 
philplonfischen verkehr und Studium allzeit eine grosse correctheit und 
gewandtheit im lateinischen ausdruck geblieben, nach einigen Semestern 
aber babe er sieb dem juristischen Stadium mit energie sagewandt nnd 
sei nach absolviertem examen in den prouszischen verwaltongedienst 
getreten. 1B48 sei er dann ans Seiner landratsstellung heraas zum 
Polizeipräsidenten von Berlin und weiterhin znm Präsidenten der reg-ie- 
rung in Arnsberg berufen worden , bis das zur herschaft gekommene 
regia rongssystem auch ihn beseitigt babe. erst nach einer anfireiwiiligen 
musze von elf jähren sei er wieder in die Verwaltung berufen worden: 
er sei präsident der regierungen in Minden und Aachen gewesen, bis 
er zum oberpräsidenten der Rheinprovinz und damit auch som vor- 
ritaenden der bSebsten anterriehtsbebörde der provins ernannt wetden 
sei. sei nnn die ganae amti^brang ▼« Bardelebens darch mhe^ milde« 
ma^z und aljTieirrnnn^ g^gen jeden pnrtoipüchtigen fanatismns ansge» 
zeichnet, würden sein durchdringender, scharter verstand and die «re- 
diegenheit seiner bildung gleichmäszig gerühmt, so sei in bezug auf 
seine thätigkeit für die schule noch 1 13 eine binsngekeinman , dass er 
gerade die schulangelegenheiten als den anf_'^enp!iin8ten teil seiner ge- 
Schäfte angesehen und tino gewisse Vorliebe für dieselben gezeig't habe; 
80 habe er auch bei der wähl der schulräte stets besondere teilnähme, 
emsigkeit nnd Sorgfalt bewiesen* aach unserer freien ▼ersanunlnng babe 
er interesse entgegengebracht: bei der eröffnung der ersten direeteren- 
conferenz habe er es aasgesprochen, welchen wert er unserer versanun- 
Inng beilege, versuche, die eine Veränderung des Charakters der gjm- 
nasien snm siele gehabt bitten, habe er nieht leiden mögen, dur^die 
festbaltong saehlicher grund^ätze habe er viel gntes gewirkt, und so 
werde sein name stets unter di njenigen männern genannt werden müssen, 
die sich um das schulleben unserer provinz verdient fr^macht hätten, 
dem andenken eines wahren Schulmannes, dem daa glück einer mehr 
als 60jKbrigen ersieherischen thätigkeit beschieden war, galten die tief 
empfundenen worte des prof. Stein (Köln, Marzellen-gymn.): Philipp 
Jak. Ditges — geboren 1810 sa Neuss, lehrer an den gymnasien in 



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Bezioht über die 27e TerBammlung des yereius rhein. schulmäunen 637 



Aaelmi» Henss, Coblens, dann direetor in Enunerieb, Mümter und Köln, 

wo er yon 1866 — 1884 das Marzellen-gymnasinm leitete nnd amsb bl« 

zu seinem im februar 1889 erfolgten tode lebte — sei hervorragend ge- 
wesen darch die macht seiner persönliehkeit und den tiefgreifenden, 
stillen einflnss, den er gleicbmitedg anf sebüler vnd untergebene ans* 
geübt habe, lelbet anegezeichnet durch sittlich religiösen ernst, durch 
bohe und ed!e c^esinnung baho er seine schüler mit dem ganzen idealen 
gehalt der classiker zu erfüllen gewußt, den schriftgtellern , die er 
selbst in der schule erklärt, galten auch seine grösseren litterariachen 
arbeiten; sa nennen sei Feinheit der Ilias', 'die Pbilippisoben reden 
des Deraosthenes', welch letzteres bedeutende werk die frucbt der jähre 
nach seiner amtsniederlegung sei. der verstorbene schulrat Vogt habe 
einmal vom unterrichte Ditges' gesagt: den Horazischen Uedem, den 
Homeriseben epen sei er in seinen maanetijabren nieht nftber getreten 
als in jenen stünden, wo Ditges sein lebrer gewesen sei. bei der kraft 
und dora werte von Ditpes ganzem wesen sei sein erziehender einflusz 
von seinem lehrenden völlig untrennbar gewesen, allzeit leerem schein 
abbold habe er, dessen hohe imposante gestalt der völlige ausdruck des 
geistigen wesens des niannes gewesen sei, solchen eiadmek gemacht, 
dasz in seiner g^cr^-enwart die Unwahrheit sich nicht hervorgewagt habe, 
die lehrer, die das gluck gehabt hätten unter Ditges zu wirken, könnten 
es nicht genug hervorheben, wie ruhig er die eigenart anderer habe 
gewSbren lassen; ja selbst seibwäeben sei er mit sebonung entgegen- 
getreten und besonders schwache lehrer habe er durch liebevolles ein- 
gehen auf ihre eip'entlimlichkftiten zn heben verstanden, anderseits habe 
er eine ganz eigne art der abiehnung von schlechtem und verkehrtem 
gehabt, die ihren eindruck nie verfehlt habe, in dem dahingesebiedenen 
sei der typus eines Schulmannes verkörpert gewesen, wie ex jetit schwer 
zu finden sei. wir lebten in der zeit der vervonkommneten metbodr, 
erzielten zweifellos beim Unterricht abfra^bare ehizeliu Iten des wissens 
in menge, aber das persönliche einwirken vom mensciieu zum menschen 
sebwinde beim bentigen nnterriehten; da erinnere man sieb gern der 
mäaner, die mit der vpllen kraft ihrer persönlichkeit und mit der völligen 
hingäbe an das classiacbe altertum die lust und liebe zu diesem Stu- 
dium ihren schülem für das ganze leben eingepflanzt hätten, des am 
13 deeember des Tcrigen jahres dahin gesebie&nm prof. dr. Wilb. Ora> 
eelins gedaclite oberlebrer Evers (Düsseldorf, gymn.): nicht nur b^ 
seinen Klberfelder amtsgenossen und schülern, sondern bei der ge- 
samten rlieinischen lehrerscliaft und gelehrtenweit sei der einfache, an- 
spruchslose mann, der aui so vielen gebieten so genau bewanderte, immer 
sn fördernder ansknnft bereite gelehrte, der dabei so barmlo« sn Schersen 
und so witzig zu plaudern verstanden babe, beliebt und gefeiert ge- 
wesen, mit recht werde Crecelins eine zierde des deutschen lehrer- 
standes genannt: er sei kenner eines Wissensgebietes von erstaunlichem 
nmfange gewesen, wie er ni^t bloss den köpfen seiner sehttler etwas 
beigebracht, sondern aneb flire bersen für seinen Unterricht gewonnen 
babe, so habe er auch weit über das gebiet der schule hinaus lust und 
liebe zur erforschung der vaterländischen geschichte und litteratur ge- 
weckt und gefördert, von Vilmar sei dem 14jährigen knaben im zeugnis 
bemerkt worden, dass er die gr5ste anspmcbslosigkeit und bescheiden- 
heit bei überraschend groszem und sicherem wissen zeijre ; eine 40jäbrige 
thätigkeit habe ihn als muster von gewissenhaftigkeit und berufstreue 
bewährt, was Crecelins als gelehrten angehe, so habe er das sanskrit 
sowie die entlegensten dentscben mnndarten anfs genaueste gekannt, 
die iUtere deutsche litteratur wie wenige beherscht, im classischen alter- 
tum, im hebräischen, in der theolopfic, in den naturwissen sebaften ein- 
gehende kenntuisBe besessen, so dasz er in Wahrheit ein vir doctrinae 
oo^iae insignis gewesen sei. kein wunder, dasz ibm bei der feier seines 
96jilbiigen jnbilftnms Ton seinen scbfllem, yon dem gesamten bergiseben 



L 



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638 Bericht über die 27e Versammlung des vereiiu rheia« schiümaaQer« 



land, am dcsteD geseliichte er eich das hltehste Terdientt «rworbeiiy ja 

von der ganzen gelehrten weit die schönsten ehrenbezengnng'en zu teil 
geworden seien, als ein Vorbild für uns alle aber dürfe er hiagestellt 
werden, weil er das Vorbild eines echtdeatschen mannes sei: geradbeit, 
biedeikeit, hilfreiehe imd bersliche firwuidsoliaft, ecbtdeiitfeher bamor 
bezeichneten das wesen dieses mannes, dessen andenken in ehroi an 
halten die lehrerweit selbst ehre. 

Indem man darauf in die eigentliche tagesordnong eintrat, nahm 
director Jäger (Köln, Friedr. Wilh.<g7mn.) das wort sn einem Vor- 
trag über 'sehnle und eltemhans'. derselbe hatte folgende thesen 
formuliert: 

1) die ^berücksichtigung der Individualität' der schüler hat in 
dem teile der erziehung, welcher der schule und dem uuterncht 
anbeimfUllt, nnr geringen spielranm; In der individnellen arsiehnng 
Uegt vielmehr die kraft des elteruhanses. 

2) für den notwendigen regelmäszigen verkehr zwischen lehrera 
und eitern ist dorcb die dreimaligen Zeugnisse nnd die gelegeat- 
lielien mitteilnngen über etwaige bestrafongen nsw* gesorgt; der 
normale und wünschenswerte fall ist, dasz kein weiterer nötig seL 

3) ein beratender einflusz flcs lebrers, directors, Ordinarius bei 
dem häuslichen teil der erziehung kann wünschenswert sein; es ist 
Sache der eitern, diesen aufzusuchen, beuefioia non obtruduntur. 

4) in diesem falle gestaltet sieh das Verhältnis des lehren 
(direetors) an dem elterliehen hanse naeh analogie des XrstUcliea 
beirates. 

6) eine sn weit ausgedehnte einmischung der achule in das ge- 
biet der hHosIiehen eraiebung birgt die gefahr, die btaUeba er- 

aiehung zu verschlechtern, indem sie die eitern sorglos macht. 

6) der beschlnsz der lehrerconferenz über verseiziing^en ist ein 
richterspruch und als solcher, d. h. als entscheidung der allein 
saehverständigen von den eitern anzusehen und su respectieren. 
der redner führte aus: der wortlant der tagesordnnng gebe dem, was er 
zu sagen gedenke, eine etwas zu vornehme etiquettc* seine nrspriaij^IicbQ 
.ibsicbt «ei bescbei*! ener und nur eini^^e bemerkungon iU:»er das capitel 
^äciiule uiid eiternhaus^ bringe er. (iuätav £,ütueim, der kürzlich ver- 
storbene kensler der Universität Tübingen, habe die beobaehtung gemacht, 
dasz in unserer zeit der gebrauch der substantiva abstracta, der ^unechten 
Substantive' überhand nehme, thatsächlich bilde sich nun p^cra^ie in der 
pädagogischen litteratur immer mehr der unfug heraus, mit abstractioaea 
um sieh sn werfen, an den gefährliehsten dieser worter reebne er ^sebnle 
und eiternhaus', ein aoedmck, den man sich nur der bequemlichkeit 
halber gefallen lassen könne, hier gelte es hinter dem abstractum die 
concreten Verhältnisse ins auge zu fassen, und namentlich den jüngeren 
coUegen wiederhole er, dasz sie sich niemals durch jene 'falschen sub- 
stantiva* beirren lassen, sondern über all steh an das beatiaunto halten 
sollten, man dürfe nicht von der schule und dem eiternhause, sondern 
müsse von den schulen und den elternhäusern reden, kraft derselben 
neiguug aber in abstracten hochstelzigen worten zu sprechen sei es 
gesebehen, dass man beständig vom elternhans so rede, als ob der 
mensdi als vater oder mutter schon an sieb der inbegrilff einer menge 
^üter eigcnsehaften soi, als ob überall nur guter wille vorhanden sei. 
man müsse aber umgekehrt gleichsam von der erbsünde ausgehen: der 
menseb als vater, als mutter ist mit sehr vielen schwäeben behaftet 
und diese machen sich ganz besonders im verliiUtnis zur schule geltend, 
ein auf der band liegender, fnf^t fnisnahmsloser mangel bei eitern sei die 
selbsttäuscbung, als ob itir soYm -erade das einzigfe wesen der schule 
sei, dem rechnung getragen werden müste, ais ob soiixie, mond und 
Sterne sieh nur nm ihn drehten, aneb die geistig hochstebnnd«! vlter 
nnd mfitter seien davor nieht gana sioher. das seige sieb — der piobe 



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Bericht über die 27e Teraanunlang dea Tereins rhein. acbulm&naer. 639 

k«Iber sei es angeführt —r in den l&llen, wo die eltetn dispensationen 

für ihre kinder nachsuchten, wenn die ferien samstagf um 10 uhr be- 
gäDnen, so sei immer eine anzabi von eltero da, welche das />rn^nis 
am freitag haben wollten, um mit dem zug um 9 uhr bereite» abzu- 
fahren. Seee elieni diebten nicbl dsfan, daes mit dieser einen die- 
pensation von der einen pflicht das erziehungswerk in der warsei ge- 
schädigt werde, dasR in dt^r schülerseele sich das dispensations^esuch 
in den sat2 umsetze : aul eine stunde Unterricht, d. h« Pflichterfüllung 
Icommt es nicht an. solchen eitern es sam bewnstsein an bringen, d«M 
biar ein lebensprincip der schule gefährdet werde, erfordere viel mühe, 
ein zweites beiüpiel , worin sich die elternsch wache zei^e, sei ein sehr 
häufiges phänonien, nemlich der Nv;ihn, ihr söhn sei ußtähip die un- 
wahrlieit zu sageu. habe der junge aus irgend einem aulasz in der 
adirale eine strafe, Tiellaiebt seblllge bekommen and stelle er in hansa 
den Sachverhalt zu seinen gnnsten dar, dann eilten die eitern entrüstet 
zum director und erklärten: mein Anton hat alle fehler, aber er lügt 
— nie. in solcher erklärung liege eine läcberlichkeit. mit der be- 
bauptnng, der sehfiler lüge nie, warda imputiert, dass der lebrer, dar 
doch seinem amte, seinem eide gemSsa in erster lioie auf glaubwürdig- 
keit anspriich Iiabe, im schwersten Tinrecht sei, wi'ihrecd es doch dem 
knaben in betner erregung unmöglich sei, die Wahrheit zuerkennen, 
geschweige za sagen, derselbe vielmehr die sache so darstelle, wie sie 
aieh ihm in seiner egoistischen pbantasie am vorteilhaftesten darstelle, 
in solchen fällen müsse die schale in aller ruhe und festigkeit die eitern 
in ihre schranken zurückweisen, ein anderes beispiel sei das verhalten 
vieler, sonst vielleicht gar nicht übler elternhäuser zur versetzuugs- 
sait. aneh bei inielligentaa eitern koste ee grosse mttbe klar ao machen, 
dasz die nichtversetzung ein wohlüberlegter richterspruch eines ganzen 
collegiums sei nnd d.Hsz es ??chäfi!ich sein würde, wenn der söhn in die 
folgende classe käme, frage man weiter nach den quellen aller dieser 
irrongen, so ergebe sich, dasz die eitern von der schule die berücksich* 
tignng der individnalitlt, deren nnr das eltemhaos fähig sei, bis in ihre 
gennjrsten Schattierungen hinein verlangten, indem sie gJin^Hth vor- 
känutt'U, dasz die schule selbst ein Staat, ein Staat im klciaen sei, dn^^z 
dieselbe dem söhne des mUlionärs wie dem des briefträgers das gleiche 
maaa lamesse, sie unter da« gleiebe gesata benge. hier solle man sieh 
anoh TOr compromissen hüten: die schwäche der erziehnng des eltem- 
hanses sei, dasz sie dn? staHtHelie, dßs für alle geltende vermisgen 
lasse, ihre stärke i emhe dagegen in der individuellen behaodlung; 
nmgekehrt sei das allgemeine die etirke der schule, welche einen fehler 
begaben würde, wenn sie allzu weit auf das individuelle eingehen 
wollte: wohl wisse « r, r]a.sz edle Idealisten die häuslichen arbeiten und 
die häusliche lectüre des y^estnners mit sorgfältiger berücksichtignng 
der iuüividaalität eines jeden äciiülers weise regeln wollten, das sei 
gana sebön, aber dann sei aneh ftthlong mit 60 eltembftQsern n9tig. 
wo sei die zeit dazu? unmöglich aei die forderung su erfüllen, er 
komme zu einem andern bestreitbaren punkt. klar sei, dasz die schule 
dnrch die hänslichen aufgaben in das haus übergreifen müsse, hier 
sei ein guter boden, auf dem altemhans und sebnla gemeinsam wirken 
sollten, die hansaufgaben mttsten wir mäszig berechnen und unter dem 
gesiehtspunkte , dasz der schüler arbeiten lerne, ohne dasz ihm der 
lehrer auf dem halse sitze, dasz er von fexta an allein, selbständig und 
ohne unmittelbare einwirkung lerne, mau habe aber der schule eine 
unmittelbare eontrole vlndieiert. Indem man anr einfflhriing von haus- 
besucheu übergegangen sei. dasz man ausaerdem noch in paragraphen 
eine bestinimte zeit für die hansaufgaben angesetzt habe, möge «n und 
für sich gut sein, aber man sei wiederum weiter gegangen und habe 
bestimmt» daaa naeh dnnkelbeit» im wintar nach 6 nhr der eobüler 
nteht mehr fiber die atraasa geben dSrfe. wenn diea wirklich gesata 



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640 Bericht über die 27e Tersammluug des verems rhein. achalmäzmer. 

sein sollte, dann sei die folg-e entweder daes der lebfer snr sbendseii 

auf der strasze sei, um controle zu üben, oder r!ns %'erbot sei, weil 
keine controle sei, vvlrkuno:slo8. auch die hausbesuche habe man nicht 
auf die auswärtigen »ehuler beschränkt, wo sie gewis mit recht be- 
stunden, weil diesen gegenüber der lebrer parentis loeo stehe, sondern 
aneh aaf die ortsansftssigen schüIer ausgedehnt, aber gerade die ge- 
wissenhaftesten ellern perhorreeoierten solche besnche. zudem blieben 
solche besuche, weil sporadisch ausgeführt, ohne frucht. und noch eine 
andwe üble seite sei: nicht nur der sinn für die gesetse überbnnpt 
schwäche sich ab, sondern es würden auch die elternhäuser sorglosert 
indem sie glaubten, die schule nehme ihnen die aufgäbe, die ihnen 
doch selbst obliege, ab. in dieses selbe capitel f^ehiire auch die wirts- 
hausgesetzgebung, von der er übrigens keinerlei beäoudern gewinn wahr* 

fenoinnien habe; eher wiesen gewisse Symptome «nf das gegrenlelL 
asz den Schülern der mittleren classen der wirtshausbesnch untersagt 
sei, das sei selbstverständlich; es sei dies ein vö^oc dxpcKpoc und so, 
dasz es nicht der schule, sondern in erster linie der eitern sache sei, ihren 
kindem dMi wirtshausbesneh nnmöfflich sn machen, wenn eitern naeb- 
lässig und gewissenlos genug sein sollten, 12- bis 14jährige knaben nicht 
dem wirtsliaus fern 7u halten, dann sollte man nach voraufgeganfrener 
Warnung den jungen yon der anstalt verweisen und dem eiternhause zu- 
rückgeben, anders aber liege die sache mit den primanern, der aristo- 
kratie jeder schule: hier sei es ein groszer fehler, den wirtshausbesn^ 
öchleciitln'n zn untersagen, man möge sich lieber dahiu aussprechen; 
der primaner kann ein anstnndio'es Wirtshaus besuchen; selbstverständ- 
lich musz er sich anständig autführen, wenn das geschehe, würden die 
primaner, die wie andi andere lente im wirtshanse luehts-aadefessBehten 
als die angenehme löschung des dlirstes, wenigstens die «utlodigMl 
demente unter ihnen und damit die mehrtahl derselben, auf unserer \ 
Seite stehen, während sie jetzt von den anständigen wirtabäasem weg 
in die spelnnken getrieben würden, namentlich in den grüsseren sUidten, 
wo dann eine controle überhaupt nicht m5gliehsei. werde aber irgend- 
\vo die controle scharf geübt, dann beginne alles gegen die schule zti 
conspirieren , und zwar nicht nur die wirte , sondern schlieszlirh aiu h 
die eitern, dann sei die rolle des lehrers eine unschöne und an nieder- 
legen, die man ihm sn bereiten sochei fehle es nicht, wo dae eitern- 
haus seine Schuldigkeit thue, bedürfe es nur der drei Zeugnisse des 
Jahres und der Unterschrift des vaters, wo der junge sich ein schwereres 
vergehen zu schulden kommen lasse; auch sei es ja ganz schön, wenn 
probearbeiten den eitern snr Unterschrift .vorgelegt würden, wo das 
eiternhaus der mitwirkung der schule bedürfe, möge es diese herbeirufen 
und den lehrer mit der nntiq-en an^sknnft ausstatten, nicht aber solle die 
schule sich vermessen, auch da einzugreifen, wo ihr die vollständige 
kenntnis des individuums abgebe, im gegenteil müsten die eitern mehr 
auf den ihnen obliegenden sehweren teil der ersiehungspflieliten ssf> 
raerksam g-emricht werden, man wisse ja, wie dem laientum, also den 
eitern, jei/t vielfach damit geschmeichelt werde, dasz man sie auffor- 
dere au der retorm des Schulwesens sich zu beteiligen, als ob jeder 
Vater, jede mntter sehen an nnd für sieh Sachkenntnis dasn besitie. 
zur teilnähme aber an den Organisationsfragen gehöre doch eine Sach- 
kenntnis, wie sie unter 100 eitern kaum 5 besäszen. dem gegenüber 
sei mau wohl versucht und es sei auch gerechtfertigt, von einer reforra 
des elternhanses dahin zn sprachen, dass es sieh der pflichten te 
individnellen eniehung seiner kinder mehr bewnst werde, er schliesse, 
damit in die generaldebatte elnf^^efretpn werde, director Tlppenkamp 
(Düsseldorf, gymn.): so sehr er eich am h von den Worten des Vorredners 
auffemutet fiihle, so müsse er doch im punkte des Wirtshaus besuches 
widersprach erheben, einmal sei das Torbot desselben eine alte aa- 
ordnong, die anoh bei andern Tölkein, so a. b. in Bnglnad, bestehe. 



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Bonoht über die 27e yer&ammluug des Vereins rhein. schulmäuner. 641 

wo nemlich junge lente Tom betroffenden alter d!e erUnbnis zum wirts- 
hwiebesuch hätten^ d« trete eiu gefährlichea moment auf: das der ge- 

nossenschnft, der Corporation; es bildeten sich scliülervcrhinrlungen, wie 
sie Pilger geschildert habe, was für ein ton io denselbeu hersche, sei 
allgemein bekannt: die gröste geschmacklosi^keit reisse ein, die nn- 
mKezigkeit mache eich breit, jegliches wahrheitsgefühl werde syste- 
inatisch untergrabrn. ein weiteres sei, das/ durch rtic rrlnnbniserteilung 
der wirtshaasbesuch zum regeimäszigen, 7ur ^'ewohnheit werde, während 
er bei einem verböte nur einzeln stuttüiide. allerdings sei die durch- 
führong des yerbotee in jeder grösseren etadt eohwer, aber eehon das 
Torhandensein desselben hemme den wirtshausbesuch Mb bu gewissem 
grade, den eitern erweise man mit dem verbot einen groszen dienst; 
dieselben seien schwach, hätten nicht die nötige krafi, so dasz sie die 
anteratiitsQttg von Seiten der sehnle willkommen hiessen. aneh habe 
er noeh nicht erfahren, dass dnreh das Terbot das yerhiltnis awisehen 
lehrern und sohiilern eine trübnng' erfahre, rciszc man aber diesen 
einen dainm ein, so werde das übel eine gewaltige ausdehnung erfahren, 
Oberlehrer Lutsch (Elborfeid, gymn.): niemaud denke daran, den 
Schliem Terbindnngen su gestatten; es handle sich nnr nm die frei- 
gebung eines oder zweier anständiger locale, in denen bessere gesell- 
schaft verkehre, weiterem werde man schon entgegentreten können, 
director Henke (Barmen, gymn.): eines schicke sich nicht für alle, in 
Barmen könne man den wirtsbansbesaeb nleht hindern, da die jungen 
leute über geld verfügten, für 10 pfennige nach Elberfeld fahren und in 
jeder strasze kneipen finden könnten, deshall) liabe er den Schülern ein 
Wirtshaus, wo auch honoratioreu der Stadt verkehrten, gestattet; die jungen 
leute kämen auf eine stände dorthin; keine conspiration gegen die schule 
finde statt, man dürfe nicht alles über einen leisten schlagen; die je- 
weiligen Verhältnisse der Stadt seien entsclieidend. in Barmen kämen 
die sehriler iii<'ht zusammen, im <:^egenteil, ein corpsgeist, wie er ihn 
der jugeud wüutichte, sei nicht Turhanden; das familienlebeu sei eben 
stark ausgeprägt er fasse die sache nicht so auf, dass jetzt dem 
trinken tbür und thor geöffnet werden solle, sondern meine, dasz director 
und lehrercollegium in der einzelnen studt den Verhältnissen gemäss 
über wirtshausbesach entscheiden soHten; das recht darüber sollte jeder 
einzelnen sehnle eingerinmt werden. proT.-sehnlrat Deiters: die frage 
sei officiell noeh eine offene, doch sei ihm die anffassnng Uppenkamps 
sympathisch man dürfe nicht anszer acht lassen, dasz es sich hier 
um ein axiom handele, welches in dem herzen der schüler und lehrer 
feststehe, nemlich dasz der wirtshausbesuch sich für schüler nicht ge- 
höre, er habe die empfindnng, als ob man dnreh solches freigeben des 
wirtsliansbesuches ein hedürfnis anerkenne, was niclit berechtigt sei. 
Jäger liabe von dem eiternhaus ein verhältnismäszig trübes bild ent- 
worfen; nehme man uuch die these hinzu, welche diesem selben hause 
die individuelle eraiehung ganz zuweise, so erseheine dieselbe doeh 
recht gefährdet, er nehme den vorher gesetzten fall: die eitern gianben, 
dasz ihr söhn keiner Unwahrheit fähig ist; die schule weisz das ge^en- 
teil. habe nun die schule, die hier auf sittlichem gebiete etwas beob- 
achtet habe, was den eitern verborgen sei, nicht die pflicht einzugreifen? 
er nehme ein anderes gebiet: ein sehüler zeige Zerstreutheit, die mutier 
über sehe im wesen des kindes nur lebhnftifrkeit. wer bekämpfe den 
tehier? offenbar müsse do^'!i, wenn das eiternhaus es nicht tluie, die 
schule sich dieser pflicht uutcrzieheii. auch iu den. andern thebeQ ündä 
er ähnliches, dem er nicht beistimmen könne, so der anwendung des 
beneficia non obtruduntur. Jäger: er sei dem Vorredner dankbar, weil 
er die thesen angegriffen, bzw. vor misdeutungen geschützt habe, ihm 
selbst liege einmal daran zu betonen, dasz die individuelle erziehung 
dem hause, die allgemeine der sehnle zufalle, zum andern, gegenüber 
der thntsaehe, dasz man hentzutage zu grossen wert auf die bernek- 

H. jahrb. f. phil. a. pU. II. «bU 18M hh. tL 4i 



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642 Bericlit fiber die 87e TenammlaDg deB rereins rhein. schulm&imer» 



sichtigang der individaalität lege, sich zn wehren gegen die anschau- 
nng, daas man jedem schfiler seine sitppe besonders Tonnaetzen habe, 
wo aber der lebrer etwas wisse, was zur bessemn^ und förderang des 

scliülers diene, da natürlich auch boncficia obtrudiintur. im übrigen 
gehe seine tendenz dahin endlich die elternhauser aufmerksam zu machen, 
was von der schule und was von ihnen selbst zu leisten sei. gegen 
Uppenkamp wende er ein, dasz wenn man ein verbot gebe^ man aaefa 
in der la^^e sein müsse, die befolgunf^ desselben zu erzwingen; in Cöln 
aber seien vielleicht 4000 kneipen, wo sei anders das Verbindungs- 
wesen erwachsen, als auf dem boden der alten wirtshausgesetzgebnng?' 
was endlich England anlange, so sei bei uns der wiririiaiubesQcb etwas 
anderes all doH: der englische gentleman gehe überhaupt iiicdit ine 
wirtslmus; unser harmloser wirtsliausbesuch abf^r sei dem primaner nn- 
schadlicb. was Henke gesagt habe, adoptiere er natürlich, auch wolle 
er es naehdrQeklleh betont wissen, dasz der primaner einer wohlgeord- 
neten schule sieh überall und auch im wirtshaus anständig benehme. 
Uppenkarap: ov habe von der g-eg-nerischen seite den einwarf er^v.irtet, 
als ob die Verbindungen durch die verböte veranlaszt seien: namentlicli 
luiwahrheit, die Verpflichtung auf ehrenwort zu lügen erwüchsen auf 
diesem boden. aber bei der fireigabe des wirtshausbesucbes würde die 
unmäszigkeit sich auf viel weitere kreise ausdehnen, als jetzt, die 
durchführung des verböte» in einer groszen Stadt sei anerkannte rmaszeu 
schwer, aber ein moralischer wert desselben sei doch da, die schüler 
wfisten, dasz ihnen das wirtshans yerboten sei, und h&teten sieb davor, 
nach orten gebe er auch ausnahmen zu; so dürfe in Düsseldorf im 
zoolngischen garten und in der tonhalle von g'ymnasiasten hier «retrunken 
werden, aber in beiden etablisseoients fielen die eigentlichen gefahren 
des Wirtshauses weg. ihm ersdieine es in jeder beziehung besser die 
sehüler an den gedanken zu gewöhnen: das wirtshaus ist verboten, aueb 
möge man nicht die bestimmnn^ über freihabe des wirtshaushcsuehes 
den einzelnen schulen überlassen, da dnnn die autorität des verböte» 
geschädigt würde. Oberlehrer Marteuä (Elberfeld, gjmn.): man mü^e 
für den gjmnasiasten den Übergang von der schule zur Universität niobt 
noch schroffer gestalten, als er schon sei. der Sprung sei jetzt so gross, 
dasz viele auf der Universität das rechte roasz nicht finden könnten: 
an eine gewisse freiheit müsten die jungen lente schon auf der schule 
gewöhnt werden, nachdem noch direetor Zahn (Moers, gjran.) sich 
kurz gegen die erste these gewandt hatte, schlosz die disonssion. 

Der zweite punkt der tagesordnung 'verwendun«: der von den lehrer- 
coUegien für die directoren-couferenzen vorgeschlagenen und dort nicht 
verwendeten themata für die zwecke des verdns' fand nach kurzer be- 
gründung. durch direetor Kiesel seine sofortijsre erledigung, indem prov.> 
schu^rnt Deiters bereitwillig soine mitwirkung dahin zusaj^e, daaa die 
theniat.'i deni vereinsansscliuäse zng-estellt würden. 

'Art und masz der für angehende lehrer zu gebenden aixweisungen' 
bildete den dritten und letzten gegenständ der tagesordnnng. auf wünsch 
des ausschusses hatte direetor Matthias (Düsseldorf, realprymn.) den 
Vortrag» darüber übernommen: in den jetzt oft gehörten ruf, dasz es um 
die pädagogisch» vorbildong unserer probanden so schlecht bestellt sei, 
könne er nicht ohne weiteres einstimmen; hätten doch die älteren lehrer, 
zum teil ohne selbst ein probejahr abgemacht zu haben, sich die nötige 
lehrmethode erworben und leisteten tüchtiges, da die aeniinarfratre norh 
frage der theorie sei, so wolle er über diese neueste Schöpfung nicht 
reden, sondern nur über die thätigkeit des probejahres. drei ricbtnugen 
seien es, welche man in den ansichten über die nötige Vorbereitung 
unserer lehrer unterscheiden könne: die einen c^ipn^^^en davon mi«;, d ie- 
die wissenschaftliche vorbüdunrr anf der universuat schon an und für 
sich zur crteiiung eines guten unterrichte befähige; sie folgten also dein 
sprach: es trägt verstand und rechter sinn mit wenig kunst sieh aelbar 



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Bericht über die 27e venamnilaiig des yereinB rlieiii« »chalmAnDer« 643 

vor. In der litteratur begegne man wenigen Vertretern dieser anschau- 
ung , in gesprSehen aber desto h&ufiger. riehtig sei j* bei dieser atif« 
fassung, dasz Im wissenschaftUcheti« idealen weiterstreben die beste 

gewähr für gaten nn'f^rrirht Hcp'e: man fürchte aber, das?; die pädago- 
gische aufgäbe des lehrers dabei zu kurz komnie, sich auf eine auszer- 
liehe routine beschränke, die evrelte riehtmig sei die gans entgegen» 
gesetzte: sie sehe in den volksschullehrerseminaricn idealanstalten nnd 
fordere die übertrag^nng der vielfach bewunderten einrichtun^en derselben 
auf die höheren schulen; der Hjiji uvit, mit dem diese richtHnpf den lehrer 
aasstatte, sei bekannt j vorbiicii, durcixbiick, einblick, umbiiuk, ausblick, 
Überblick usw. spielten dabei eine grosse rolle, in der mitte dieser 
beiden richtongen halte sich die dritte; sie sage: unterrichten und er* 
ziehen ist eine kunst, die ihi*e beoondere technik hat. man könne ein 

froszes wisäen besitzen ohne die kuust es pädagogisch verwenden zu 
onnen; da nun keine knnst ohne technik existiere, so müsse man auch 
den lehrer mit dem nötigen rüstzeug ausstatten, jedOch ohne ihm eine 
schematische einseitigkeit nufzuzwingen und ohne seine ei^^enart zu zer- 
stören, dieser auffassuug sei man auch an vielen schulen gefolgt, nur 
seien die directoren wegen mangels an zeit nicht immer in der läge sich 
<o eingehend, wie sie wohl wollten, mit den probanden zu beschäftigen, 
wenn die elenden Schreibereien, die den directoren oblägen, die aber 
■ein guter feldwebel zweckdienlich erledij^-en könne, aufhörten, dann 
wäre das vielbesprochene Seminar vielleicht gar nicht nötig, indem er 
eieh su dieser riehtang bekennci wolle er aicb einige andeutungen über 
die art der Vorbereitung, wie er sie sich denke, gestatten: uuerläsz» 
liehe vorfiussetzung für d^n lehrer sei nej^nn«? zum lehrerberuf ; auf der 
Universität sei vorab eine gründliche fachbildung zu erwerbeUi aber unter 
fernhaltung jeder praktischen pädagogik, da nur wissenschaftliches auf 
die Universität gehöre, es gelte also zunächst gründlich wissenschaft- 
liches arbeiten zu lernen und im übrii:^en die s-nVi^Q nm die Irhrthätig- 
kpit der Zukunft zu überl.'issen. die wohl vorhandene gefahr auf der 
Universität zu versimpeln müsse vermieden, dagegen die ars vivendi, 
die humanitas, der taet und ton mit mensehen zu Yerkehren erworben 
werden, ein gutes und fertiges zeugnis müsse den abscblusz der uni- 
versitätszeit bilden, so ausgerüstet trete der candidat bei einer schule 
zunächst zum vorbereitenden hospitieren ein, am seine künftigen schüler 
und die art des unterfiohims kennen su lernen, während der vier 
Wochen, die dies etwa dauere, sollten ihm auch Unterweisungen durch 
den director zu teil werden, jedoch deren nicht allzu viele; .'luch ein 
gutes pädagogisches werk, am besten eine der monographien von Eck- 
stein, Jäger, Münch, sei durchzuarbeiten, mache darauf der junge lehrer 
den ersten praktischen versuch des nnterrichtens, dann heisze es für 
den director zwei extreme zu vermeiden: einmal dürfe der candidat sich 
nicht gänzlich selbst überlassen bleiben, zum nndern ihm kein Schema- 
tismus aufoctroiert und dadurch seine Individualität eingezwängt werden, 
der Unterricht y an dem der candidat geübt werdet müsse ausammen- 
hängend nnd nicht ausgedehnt sein; acht bis sehn standen in der woehe 
genügten, statt ihm ein öberraasz von anweisun^^en 7.n geben, möge man 
ihn zu weiterem hospitieren anhalten und dies namentlich in parallel- 
«lassen, damit er sehe, wie das, was er selbst treibe, von andern ge- 
trieben werde, solle sich sein hospitieren auf die sogenannten muster- 
lehrer beschränken? nein, zu allen lehrern mö^-^e er gehen, namentlich 
zu denjenigen, die neigung zu mitteilung und Unterweisung hätten, aber 
auch zu solchen, die nicht gerade rühmliches leisteten, die candidaten 
hätten weiter an allen conferenaen teilsunehmen und ihre aufmerksam* 
keit auf alle disciplinarfälle zurichten; allein es hätten auch besondere 
kleine pädagogische conferenzen stattzufinden, an denen nur die an- 
gehenden lehrer unter ihrem leiter teilnähmen, damit sie ungescheut 
fragen und antworten könnten; denn gerade das sich aassprechen, das 

41» 



644 Bericht fiber die 27e yenammluDg des Terein» rhein. sdmlmftnner» 



in den allgemenien confcrenzen ja nicht mög-lich sei, halte er für wirhtijr, 
in den kleinen conrrrfnzen sollten ancli fehler und deren verbesaerunjj 
beBprocheo, die auäiüiiruugen bedeutender pädagogeu behandelt werdun. 
in aenselben ergebe sich auch der stoff fttr kleinere ansarbeltangen, 
der aber kein allgemeiner, sondern ein aus der präzis hervorgegangener 
sein solle, hatipt raufgab e für das probejahr aber sei, dasz der jnnge 
lebrer zur beständigeu selbstprüfung, zum unausgesetzten arbeiten an 
sieh selbst angehalten werde, denn anf diesem benihe aller segen des 
lehrerberafes. bei der discnssion bemerkte Jäger: er wünsche dem 
Vorredner ein Seminar auf den leib, damit die einsicbtig-cn nnd ver- 
nünftigen grundsätze, die er eben vertreten habe, zur praktischen durch- 
führung gelangten, er frage aber den Vorredner auch, ob er den can* 
didaten nur ihre fehler oder auch ihre tugenden sage, er habe gefundeo, 
dasz die jungen lehrer mehr über die richtung ihrer tagenden als ihrer 
fiililer im dttnkf^ln -gewesen seien, zum andern sei ihm häufig aiifge- 
falleu, dasz mau denke, man könne aus jedem candidaten alles machen; 
darüber m&sse man sieh im einseinen falle klar werden, was man er- 
reichen könne; einen phlegmutiker könne man nie zu einem fetterkopf 
machen. Matthias: die tugenden pflrge er den angehenden lebrern 
sogleich unter dem frischen eindruck der stände au sagen» die fehler 
dagegen behalte er bei sich znrfick, einmal nm allgemeine gesichts* 
punkte zu finden, zum andern weil vielleleht in der zweiten stunde der 
fehler nicht mehr da sei , so dasz er gar nicht erwähnt zu werden 
brauche, nachdem noch prov.-schulrat Deiters einige von Matthias 
ausgesprochene befürchtnngen bezüglich der neuen seminare unter dem 
hinweise auf das schon beim Coblenser gymnasinm bestehende seminar 
liatte entkräften können und die grüsze des goheiinrats Flöpfner der 
Versammlung: nvssgerichtet hatte, schlosz um '6 uhr die Sitzung. 

Die Verhandlungen waren nur einmal gegen 1 uhr auf eine halbe 
stunde nnterbroehen worden; bei dem znsammentritt waren raseh die 
nötigen Vorstands wählen voHsogen worden: an stelle der statutengemäss 
ausscheidend* n }ierren Kiesel und Moldenhauer sind director 
Schmitz (Köln, kaiser Wilhelm- gymn.) und Evers gewählt; prov.- 
schttlrat Miineh ist auf seinen wnnseh ansgeschieden, zum ersats des> 
selben tritt für 1 jähr prof. Kocks (Köln, Priedr. Wilh.-gymn.) ein. ^ 
An die sitznng; scMosz sich das gcmeinsHme mahl, das im ciTitcasino 
hergerichtet war und den schönsten verlauf nahm. 

Köln. Ferdinand Stein. 

62. 

•ERWIDEBÜNG. 

Herr Paul Mahn hat im neunten hefte dieser Jahrbücher meine 
'korzgefaszte lateinische Synonymik' recensiert. zunächst schickt Mahn 
der kritik eine längere einleitung voraus, anf die ich an dieser stelle 
nicht eingehen will, alsdann geht er an die benrteilnng meines bnches 
und beginnt mit folgenden vrorten: Mie neueste dürfte rlit; von dr. Felix 
Muclie in Posen sein, sie bietet, wie der herr verlasser in der vorrede 
selbst sagt — und das wird ihm der Sachkenner nicht bcbtreiten! — 
keine nenen ergeboisse fttr die Wissenschaft* nsw. die parenthetische 
bemerkung: 'und das wird ihm der Sachkenner nicht bestreiten* er- 
scheint mir wenigstens überflüssig; denn etwas zu bestreiten oder zxi 
bestätigen, was ich offen zugestehe, halte ich mindestens für zwecklos, 
nene ergebnisse meiner beobachtungen würde ich nieht znerst in einer 
sehnlsynonymik veröffentlichen, sondern in einer fachwisseasehaft- 
liehen schrlft und nicht eher in eine s c h ul Synonymik aufnehmen» als 
. bis sie auch von andern Seiten bestätigt worden sind. 



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Erwiderang, 



Die meisten der folgenden verbesserungsvorschläge Mahns betreffen 
änszerlichkeiten, von denen ich einige mit dank za verwerten gedenke, 
gegen einzelne seiner einwendungen masa leli mich jedoch wenden. 

Mahn hält zunächst die z( rle^nmg der composita oft f&r fiber> 
flüssig', einmal für ermüdend, mich leitrtp bei der Zerlegung der cora- 
posita der gedanke, dasz der scbiiler lui jedem worte, welches er 
in dem buche liest, zuerst die zusammeutietzung btiuchte und sich 
dar An gew8hne, die bedentung der präposition und des Stammwortes sn 
erwägen» alsdann za vergleichen, welchen gröszeren oder geringereu 
einflusz die präposition anf die bedeutung des wertes ausgeübt bat. 
liest der scbüler z. b. accidit, so denkt er mechanisch an die auswendig 
geleinte bedeatnng: «es ereignet sieb.' dorcb das seheinbar äberflöseige, 
in klammer beigefügte (ad uud cadit) soll er sich vergegenwärtigen, 
dasz accidit zunächst nur heiazt: 'es fallt zu.' aus der angeführten 
bedeutung des wertes ersieht er alsdann, dasz hier die präposition nicht 
allein die bedeutung des Wortes bestimmt hat, sondern auch der 
spraehgebraueh seinen einflnss geübt haben mnss. leb halte es des- 
halb auch dann immer für nötig, auf die ableitnng des wortes kurz 
hinzuweisen , wenn sich die volle bedeutung des wortes noch nicht aus 
der Zusammensetzung ergibt, hierdurch wird der schüler zum denken 
und selbständigen urteilen angeregt, dasa ein sobfiler, selbst unterer 
classen, z. b. nieht wissen sollte, inoipere bestehe ans in nnd capere, 
halte ich für aiiH^reschlossen. dasz er aber an diese Zusammensetzung 
in dem äugen blicke denken solle, wo er die bedeutung des wortes 
liest, habe ich dnrch die in klammer beigefügte serlegnng des wortes 
erreichen wollen, herr Mahn verkennt daher meine absieht völlig, das- 
selbe gilt von der beifügune: des Stammwortes in klammer, gerade die 
entgegengesetzte raeinunj^ äuszert ein geschätzter päd;i<j;Mge in einer 
Zuschrift an mich, er sagt: 'alseinen besonderen Vorzug bezeichne 
ieb meinerseits die möglichst eonsequente anffibrnng der Stämme.' 

Bei immanis, imbeeillos, oppidnm habe ich die etymologische er- 
klärung absichtlich weggelassen, da dieselbe noch völlig unsicher ist 
und daher für schUler keinen wert haben kann, ich bedauere sogar 
sebon jetst, dass loh nieht noch einzelne etymolof^sebe erUärangen ge- 
striehen habe, die angefochten werden können, den 'lebrer' sn be- 
lehren ist jiicht rler zweck des buches; dtnn ich setze voraus, dasz 
jeder philologe mit den elementen der Synonymik vertraut ist, und die 
elemente der sjnonymik soll auch meine schulsynooymik nur bieten, 
dem lehrer könnte höchstens eine praktisebe snsammenstellnng der Syno- 
nyma erwünscht sein. 

In einem besonderen abschnitte die modificierende kraft der prä- 
position zu behandeln, halte ich für nutzlos, die schüler würden jene 
gelehrte abbandlang über die kraft der präposition mit sebeoer ehr- 
fnrcht einfach übergehen, bei einer wissenschaftlichen Synonymik 
wäre ein solcher abschnitt allerding's erforderlieh. 

Das ob in opprimere hat die bekannte bedeutung von 'an — heran', 
es heiszt also eigentlich 'an jemand herandrängen' 'jemand anfallen, 
überfallen', die bedeutung 'plötslich* liegt hier nicht in der präposition 
allein, sondern in der Weiterbildung der bedeutnng- des verbnms d?ireh 
den sprncbp-ebrnuch. bei adimero hätte ich zur iicutlichkeit beifüfjen 
können ^eigentlich etwas an sich nehmen', wie es auch Tegge (studien 
Sur lateiniseben Synonymik s. 102) erkUKrt. herr Mahn irrt sich, wenn 
er meint, Tegge leite adimere von abimere ab. eine solche ableitnng 
halte ich überhaupt für sehr unwahrscheinlich. . 

In desiderare ist mir wenigstens die ableitnng von de und siderare,. 
ebenso wie in con4derare, nicht sweifelhaft; allerdings ist die ableitnng 
der bedeatang in considerare Tiel einfacher. Mahn erklärt desiderare 
"die gCBtirne herabsuchen und leitet daraus 'sich sehnen nach' ab. 
die endung are b «^machen' and de » 'herab' sollen diese bedeatang 



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646 Erwiderasg. 

bejifriinden. das 'herabsuchen fler n^estirne' scheint mir herzlich wenig 
zu helfen, um zu der bedeutuug 'sich sehnen nach etwas' zu gelaagen« 
ich flchliesze mieh VaniSek (grieehisoli - lateiniscliea etymologisob«* 
Wörterbuch bd. II s. 1232) an, welcher desiderare tob der wurzel sid « 
'blank sein' ableitet; davon kommt zunächst sid-us, gestirn, hiervon 
sideräre » die sterne beschauen, daher heiszt considerare (con — die 
Zusammenfassung der sinnestbäti^keit auf einen ponkt bezeichnend; aU* 
gemein:) beschauen, betrachten, erwägen, dergegeniate ist desiderare 
= die blicke abwenden (von den stemen) = verlangend nuasehen, vor- 
lanfren, wünschen, vermissen, die vcrmittelung dieser bep;rlffe ist aller- 
diuga lür den schüler nicht leicht, und es wäre vitilleicht praktischer 
gewesen, die etymologie von desiderare überbanpt nicht sa erfrfthnen. 
ob es ein priester- oder schifferausdruck gewesen ist, will ich nicht ent- 
scheiden, für die ansieht, e3 sei ein schifferausdruck g-eweson, durfte 
folgende erwägung sprechen: der compaalose sohiffer blickt zur nacht- 
seit, um sich zu orientieren, nach den stemen (conilderat) , daranf 
blickt er von den stemen weg (desiderat) und späht nach der küste 
oder dem hafon aus. ru das "von den stemen \veg"schen' schlieszt sich 
die zweite handlung Mes ausspahens'. aus dem begrilfe 'nach dem 
bafen oder der kGste sehnsüchtig ansspftben' gieug vielleicht die all* 
gemeine bedeatang von 'sich sehnen nach etwas' hervor, in einer even- 
tuellen zweiten aufläge würde ich daher die etymologie diesos wortes 
entweder iiherliaupt weglassen, oder 'priesterauadruck' in 'schifferaus- 
druck' umäudern. 

Mahn sagt femer, die angäbe des Stammes habe tnweileii keinen 
rechten sinn, wie solle sich der schüler (n. 9) vix mit dem stamm Tie 
in vincere zusammenreimon? hier genügte die kleine ändernng vix 
mitgewalt» falls man diese erklärung nicht dem lehrer überlassen möchte. 

Femer verlangt Hahn die bedentong der stammwnmel fe in fdBz 
nnd bei segnitia die erklärang, wie man vom stamme sec in seqni snr 

nachlässigkeit komme, die erklürunfr von fe in felix hat weniger wert 
für die Verdeutlichung dea begrities, wichtiger ist die heranziehung von 
fe-cundns. die bedentnng des Stammes sec in sequi liegt auf der band;; 
segais bedeutet 'einer der immer nur nachläuft, ohne sein siel an er^ 
reichen', hieraus entsteht der be<:friff des 'lässigen'; daher scheint mir 
eine weitere erkiärung von segnitia überflüssig, mit gleichem recht könnte 
Mahn diese forderung noch bei einer reibe von stammwurzeiu machen, 
eine befolgung dieses weges dfirfle mir nur den Vorwurf, übeffliisaiges 
an bringen, weitschweifig zu werden, zu ermüden usw. eintragen. 

Bei 20. deesse und 49. liberi befurchte ich kein misverständnis. 

Die vorgeschlagene bedeutung von dudum bezweifle ich stark, da 
der comparatiTbegrin 'IKngere seit* dem begriffe *mag sie andh nocb so 
kurz sein' entgegengesetzt ist nnd die etymologie einen comparatiT- 
begriflf nicht erkennen IHs/t. nach Vaniiek ist dum (s= diu rn), den tag 
lang, eine weile während, dudum (»diu-dum) «eine lange weile, der 
Sprachgebrauch beschränkte den zeitbegriff auf eine kürzere dauer. 

Das spätere latein konnte ich nirgends, auch nicht in 'qnondam* 
berücksichtigen; in der dassiscben seit besiebt sich qnondam meistens 
auf die Vergangenheit. 

Die zahl der beispielc zu beschränken, hielt ich im interesse der 
libersichtliehkeit für geboten. 

Sicherlich ist noch vieles in meinem bücbleinTerbesserun<;Hbedürflig, 
nnd mit herzlichem dank ^verde ich treffende ratschläge stets gewissen- 
Itaft erwägen nnd zu b^riicksichtigeu suchen, die sahireichen anerken- 
nenden anschriften seitens hochgeehrter faehgenossen ermntigen mich 
auf dem betretenen wege rüstig weiter sn arbeiten in der boffbnng, dass 
die aufgewandte mftbe für die lernende jagend von einigem nutzen sei. 
PoBBK. Fkux Mdosb. 



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* 



F. Aly: das wesen des gymnuiuniB. 



647 



63. 

DAS WESEN DES GYMNASIUMS. FESTliiiDE ZUM GEBURTSTAGE SEINER 
MAJESTÄT DES KAISERS UND KÖNIGS AM 27 JANUAE 1890 VON DR. 

FbibdbiohAly. Berlin 18M. B. Gaartnen Terlagsbuchband- 
iung (Hermann Heyfelder). 20 b. S. 

Allmählich kommt es immer weiteren kreisen zum bewastsein, 
dasz die gymnasialreformfrage, die vor allem beantwortung verlangt, 
nicht lautet: 'soll das gymnasium reformiert werden oder soll es (im 
wesentlichen) bleiben, wie es ist?' sondern: 'soll lehrstoff und lehr- 
plau deb gymnasiums verringert resp. vereinfacht werden oder soll 
das schülormaterial ein anderes werden?' denn es läszt sich nicht 
leugnen und wird auch kaum noch geleugnet, dasz für .die weit über- 
wiegende mehrzahl unserer gymnasiasten, die nur aus äut;/>eren grün- 
den um der 'berechtigungen' willen das gymnasium besuchen, dieses 
die denkbar ungeeignetste Vorbereitung für das praktische leben ge- 
währt, lehrstoff und lehrplan grOndlich zu verandern d. h. das 
wesen des gymnasiums zu zerstören, nachdem es Jahrhunderte lang 
die ersprieszlichaten dienste gclelütet, daa kann wohl leichthin ein 
sensaLionsliiütörner journalist empfehlen, eii^ verantwortungsvoller 
minister aber nur dann unternehmen , wenn alles andere vergebens 
versucht ist. was aber das reformierte mid sich selbst wieder* 
gegebne gymnasinm zu leisten vermag, das fftlirt der bekannte 
scbulpotitiker und begrflnder der 'blfttter fttr b5beres sehnlwesen*, 
dr. iViedrieh Aly, in seiner rede über das wesen des gymnasinms in 
ruh ig er und Tomebmer, geschisackvoller nnd fesselnder weise ans. am 
seinen standptmkt zu cbarakterisieren, wollen wir nur ein paar sfttse 
dieser sehrift mitteilen: ^das gymnasinm, beiszt es s. 10, welches 
augenblicklich mit einer grossen reihe von berecbtigungon und sogar 
mit einer art yon monopol ausgestattet ist, bedarf aller dieser privi* 
l^en in keiner weise; es würde im gegenteii seiner aufgäbe weit 
eher gerecht werden können , wenn ihm alle befugnisse mit einem 
schlage genommen würden, wenn ihm nur die einzige Vergünstigung 
belassen würde, seinen abiturienten die reife zu Universitätsstadien 
zuzusprechen, das gymnasium erhebt auch durchaus nicht den an- 
sprucb, dieses recht allein besitzen zu wollen, wenn es der kgl. Staats* 
regierung gefallen sollte, den abiturienten der realgymnasien weitere 
berechtigimgcn einzurfinmen , so würde das wesen des gymnasiums 
durch diesen Wettbewerb nicht gefährdet werden, es würde allerdings 
eine anzahl von gymnasien in kleinen Städten, die schon heute ein 
kümmerliches dasein fristen, dem nichts verfallen oder einer Umwand- 
lung in lateinlose anstalten entgegengehn. aber die wahren freunde 
'des gymnasuims erblicken in einer Verminderung der gymnasien ein 
wahres glück für die schulen wie für den staat, sie erhoffen von der 
Verringerung der quantität eine Steigerung der qualität.' 

Oels in Sohlesien. Leopold Reinhardt. 



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INHALTSVERZEICHNIS. 



Abitnrieotenprüfungen s. entlassangsprtifangen. 

Aly: das wesen des gymnasiums. festrede zam geburtstage er. majestit 
des kaisers und königs am 27 Januar 1890. {/ieinhardl.) s. 647. 

Bemerkungen n. Sigismund. 

Berichtigung und abwehr. {Scklee.) s. 53. 

Bieske: elementarbuch der latein. spräche. Ir teil. (8e aufl.) 2r teil, 
(le aufl.) bearbeitet von Alberi Müller und Hans Müller. {E. Haupt.) 
s. 213. 

Casus, die, und die präpositionen. (C Hermann.) 8. 2Qd< 

Cäsur, die definition derselben. {Oertner.) s. 1^ 

Chrie, die, in der schule. (Orossmann.) s. 606. 

Ciceros somnium Scipionis als schnllectüre. {Satkotoski.) s. 37. 

Coordes: schulgeographisches namenbuch. mit einem anhange über die 
namen der vorzüglichsten Sterne und Sternbilder und mit einem 
biblisch-geographischen namenbuch. {Gabler.) s. 123^ 

Deutsche anfsätze, in den oberen classen höherer lehranstalten, tliemnta 
zu denselben. {Bettingen.) s. 5Qä. 

Emilia Galotti, überredet dieselbe ihren vater durch Wahrheit oder durch 

eine Unwahrheit? {Bertling.) s. &23. 
Entlassungsprüfungen an preuszischen gymnasien, über die ausgleichende 

ergänzung bei denselben. {Soetel.) s. 
'CirioOcioc, noch einmal über dasselbe. {Münscher.) s. 112. 

— nochmals. {Rothe.) s. 586. 
Erwiderung. {Lattmann.) s. Idfi. 

— {Muche.) 8. ßM. 

Fugner: Livius XXI — XXIII mit Verweisungen auf Caesars bellum 
Gallicum. {L. Koch.) s. 266. 

Gelehrte berufsarten, der zudraog zu denselben, seine orsachen und 

etwaigen heilmittel. {V.) s. 497. 
Gewöhnung, über dieselbe in schalen. {Schmidtbom.) s. Ifil. 



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Inhal tsverzeichniB. 



649 



Griechischer Unterricht, das zweite jähr desselben an einem gjmnasium 
Rnsziands. {E. Koch,) s. L 

Griechischer anfangsnnterricht, nach den beschlössen der 4n schleswig- 
holsteinischen directorenversamminng. {Vollbrecht,) s. 

HalCf William Gardner: the cum-construction, their historj and fnnctions 

usw. {Siegmann.) s. 464. 
Hebräische syntaz, ku derselben. {Dörwald.) s. 115. 
Herbarts pädagogik, die Stellung der alten sprachen in derselben. 

{Merian- Genast,) s. 2aL 3M. 4ÜJL 
Homemanm einheitsschulbestrebungen in Italien. {VoUbrecht.) s. 52fi* 
Huben lateinische schiilgrammatik. Ir und 2r teil. {Haupt.) s. 21iL 

Ilgen , briefe desselben an C. A. Bottiger. {Boxberger.) s. 2^ 537. 
Iterativsätze im lateinischen, zur richtigstellung der regel über die- 
selben, {ffagelüken.) s. 348. 

Klassiker, die alten; entsprechen die schnlauBgaben derselben den be- 

dürfnissen der schüler? {Bräuning.) s. 330. 
Koberti historische Studien ans dem pharmakologischen institut der 

k, Universität Dorpat. {Muff.) s. 422i 
Kohls griechisches Übungsbuch, über den didaktischen wert desselben. 

{Grosser.) a. 671. 

Lateinische schulgrammatik, zu derselben. {Siegmann.) s. 2h± 

— — , einige capitcl zu derselben. {Döhring.) s. 

— tempuslehre, die. zur erwiderung. {Waldeck.) s. 369. 
Leben und praxis, aus. {Mahn.) s. 219. 
Lucasevangelium 16i 18^ zu dieser stelle. {Cron.) s. 105. 

Lutsch: lateinisches lehr- und lesebuch für quinta. {Haupt.) s. 21^ 

Jtiessien s. H'itzel. 

Meurer: lateinisches lesebuch. Ir, 2r, 3r teil. {Haupt.) s. 213. 

Meyer f Lothar: die reform der höheren schulen. {Vollbrecht,) s. 628. 

Milton, John, über erziehung. {Ullrich.) s. 

Montaignes pädagogische ansichten. {Er. Masius.) s. M6. 

Muchei kurzgefaszte lateinische schulgrammatik. {Mahn,) s. 476. 

Nekrolog des dir. prof. dr. Herm. Kiemann. {Lothholz.) s. 192. 

— des oberl. dr. Bob. Binde. {0.) s. 493. 

Netzker u. Rademann: deutsch-lateinisches Übungsbuch im anschlusz an 
die lectüre des Nepos. {Fügner,) s. 61. 

Gehlert Schubert u. Sturmhöfel: Übungsbuch für den grammatischen Unter- 
richt im latein. {Haupt.) s, 213. 

JPerle: Sammlung geschichtlicher quellenschriften znr nensprach liehen 
lectüre usw. {Crampe.) s. 533. 



1 <^ 



650 Inhal tsverzeichnis. 

Personalnotizen, (herausgeber,) a. 208. 

Pietzker: der zadrang zu den gelehrten berafsarten, seine Ursachen und 
etwaigen heilmittel. (V.) 8. 176. 

Mademann s. Netzker, 

Rätselhaftes wort (^amou) und misverstandene stelle im bourgeois gentil- 

homme. {Humbert.) s. 350. 
Kepetitionen der schüler vor dem abiturtentonexamen und memorier- 

Übungen auf der schule. {Rieder.) s. 588. 

Scheele: Vorschule zu den lateinischen classikern. Ir teil. 21e aufläge, 
besorgt von Meissner. {Haupt.) s. 273. 

Schilling: quellenbuch zur geschichte der neuzeit. für die oberen classen 

usw. 2e aufläge. {Häussner.) s. 
Schmidt, Leonh.: Gudrun, umdichtung des mittelhochdeutschen Gudrun - 

liedes. {Leuchtenberger») s. 125. 
Schreyer: landeskunde des deutschen reichs. ausgäbe A. handbuch für 

lehrer. {Oäbler.) s. 609. 
Schubert 8. Oehler. 

ächulausflüge, über dieselben. {Votiert.) s. 52^ 
Schulzeugnisse, zum ausstellen derselben. {Buchrucker.) s. 387. 
Sigismund: bemerkungen zu meinem lateinischen lesebuch für sexta. 

{Sigismund.) s. 481. 
Spanien, gymnasialunterricht daselbst. {Vogel.) s. 45. 
Sturmhöfel s. Oehler. 

Syntax, System einer solchen nach den kategorien der Satzteile und 
Sätze. {Peez.) s. SÄi. 

v. Urlichs, Ludwig, zur erinnernng an ihn. {Hertz.) s. 611. 

Versammlung, 40e, deutscher philologen und schulmänner in Görlitz. 

{Hodermann.) s. 5!L 130. 
Versammlung, 266, der rheinischen Schulmänner in Köln. {Ferd. Stein.) 

8. 

Versammlung, 27e, der rheinischen schulmänner in Köln. {Ferd. Stein.) 
8. 6M^ 

Wehrmann: Griechentum und Christentum. {Lothholz.) 8. 280. 

Wiese: der evangelische religionsunterricht im lehrplan der höheren 

schulen. {Krah.) s. 690. 
Witzel u. Messien: Übungssätze und musterbriefe zur einführung in die 

französische handelscorrespondenz. {Löschhorn.) a. 394. 
Wrobelx Übungsbuch zur arithmetik und algebra. Ir teil, die sieben 

arithmetischen Operationen; proportionen. gleichungen ersten grades 

mit einer und mehreren unbekannten. {Sievers.) s. 395. 

Zeugnisse s. Schulzeugnisse. 



NAMENSVERZEICHNIS 

DER AN DIESBM BANDE BETEILIGTEN MITARBEITER. 



Bertling in Torgau. s. 
BsTTiKGEN in Crefeld. s. 503. 
f BoxBEBOBR in Sulza, s. 2fi2L 537. 
BrÄONiNG in Schleswig, s. 'dML 
BucHRUCKER in Sobernheim, s. 387. 

Crampe in Halle, s. 533. 
Crom in Augsburg, s. 105. 

DöHRiKG in Königsberg, s. 433. 
DöRWALD in Ohlau. s. 115. 

FÜGMBR in Nienburg a. d. W. s, ßiL 

Gabler in Roszwein. s. 123. 6Q8. 
Grosser in Wittstock, s. n71. 
Grossmann in Berent L Westpr, s. 607. 

Hagelüken in Münstereifel, s. 
Haupt in Annaberg. s. 270. 373. 
Häussmer in Karlsruhe, s. iBQ^, 
Hbrmann in Leipzig, s. 209. 
Hertz in Breslau, s. 
HoDERMANN iu Görlitz, s. h!L 130. 
HuMBBRT in Bielefeld, s. 3n0. 

Koch, E., in Moskau, s. L 
Koch, L., in Bremerhaven, s. 
KoTHB in Breslau, s. 686. 
Krah in Insterbnrg. s. 690. 

Lattmann in GrÖttingen. s. 
Leuchtbnberger in Erfurt, s. 
LoTHHOLz in Halle, s. 1^ 2SD. 
LösoHHORN in Dresden, s. äM^ 

Mahn in Kempen, s. 219. IZ^ 
Masius, E., in Leipzig, s. MSl 



Namensverzeichnis der mitarbeiter. 

I 

Matthias in Zittau, s. j 

Mbrian- Genast in Weimar, s. 23L 305, »53. 401. • 

« 

MUGBE in Posen, s. ß44. 

HVFF in Stettin, s. 

MÜN SCHER in Jauer. s. 112. 

NÖTEL in Posen, s. 413. 

O. 8. 493. 

Oehtnbr in Gr.-Strehlitz. s. 12h 

Pbcz in Budapesth. s. 881. 

Reinhardt in Oels. s. 647. 
Riedbr in Gumbinnen. s. 588. 

Salkowski in Memel. s. 37. 
Schlee in Altona, s. 63. 
Schmidtbqrn in Wiesbaden, s. ifit . 
SiKYERS in Frankenberg. 8. S2ä. 
SioiBMi'ND in Eisenach. s. 
Steomann in Geestemünde, s. 2^ 454. 
Stein, F., in Köln. s. IÄ G44. 

Ulrich in Chemnitz, s. Qh. 

V. 8. im tüLL 

y 

VooEL in Madrid, s. 46. 

VoLLBRECUT in Ratzeburg. s. äiS. 528. 

VoLLERT in Schleiz. s. 593. 

Waldeck in Corbach. s. 369. 



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