IN MEXICO: EIN
CHARAKTERBILD
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In Merico
Dritter Band.
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In Mexico,
—— — ——
Ein Charakterbild
von
Sriedrich Gerſtäcker.
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Zweite Auflage.
Dritter Band.
(Erſter Theil.)
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dena,
Hermann Coftenoble.
1877.
2
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POTppomH
Inhaltsverzeidhniß,
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Erſter Theil.
A los descontentos .
. Der Flüchtige
Das Unabhängigkeitsfeft .
. Der Ueberfall bei Solebab
. Das Dectober-Decret
PBuebla .
Zweiter Theil,
. Die Erjdheinung
. In ©uerrero .
. Ricarda j
. Frankreichs Treubruch
. Der letzte Abend
. Bergunter
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Digitized by Go
5 Bm um
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1;
A los descontentos,
In der Calle Delago, ziemlih am äußeren
Ende der Stadt, lag eine der vornehmeren Puls:
querien, die fich eigentlich erjt ſeit ber Zeit
etablirt Hatte, wo eine Mafje von eingeborenen
„Generalen’ die Stadt überſchwemmten und dann
natürlich ihre gewohnte Pulque nicht mifjen, aber
auch nicht gern mit den gemeinen Soldaten ver-
fehren wollten. Die fremden Dfficiere hielten fich
jelbftverftändlich von dieſer Menſchenklaſſe zurück,
die vollfommen der unteren Schidht der Meri-
caner angehörte, aber doch einen höheren Rang,
eine höhere Stellung beanjpruchte, und fo fam es
denn, daß dieje Pulqueria, die ein unternehmen»
der Mericaner gründete, entjtand und von ihm,
jei es duch Ahnungsvermögen, jei = dadurch,
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. III.
2
baß er jeine Landsleute ſchon genau Tannte,
a los descontentos*) „zu den Unzufriedenen‘’
getauft wurde.
Am Anfang nahm man allerdings dieſe
Ueberjchrift jeines Haufes für Scherz und ſchrieb
fie der Pulque zu, mit der jeine Gäſte nicht zu—
frieden fein follten, aber nach gar nicht jo langer
Zeit ſammelte fich dort allerdings eine Menſchen—
Flafje, die auf den Namen der „Unzufriebenen‘'
mit dem größten Recht Anſpruch machen Fonnte,
denn fie glaubte alle Urfache dazu zu haben.
Die Militär-Organijation war nämlich, ob—
gleich ſchon lange entworfen, doch jetzt erjt wirk—
lich in Kraft getreten, und jo viel fich der Kaifer
davon verſprach und mit Recht davon verjpredhen
durfte, hätte er es nämlich mit einem andern
Bolfe als den Milhlingsracen Südamerikas
zu thun gehabt, jo jtieß er bier damit do in
ein Wespenneft.
In den „Descontentos“ verjammelten fich
*) Alle diefe Pulquerien in der ganzen Stadt haben
eine ähnliche, oft fomiiche Ueberfchrift, und die Mericaner
zeigen darin eine befondere Naivetät: „Al amor de un
turco“, „zur Liebe eines Türken“ lautet eine — „zum guten
Sohn“ eine andere, „zur Braut eines Lepero“, „zum guten
Vorſatz“, „zum Gewinn eines Loſes“, „zur Tapferkeit eines
Soldaten‘ und andere ähnliche mehr.
3
jet allabendlich beſonders alle jene Höheren
Dfficiere, bauptfählih Generale, die in den
legten Monaten von Juarez zu den Kaijerlichen
übergegangen waren. Sie hatten fid nicht allein
gegenfeitig Nichts vorzumerfen, jondern auch
ziemlich gleiche Intereſſen und — bie Haupt-
lache: gleiche Anfichten über Kriegführung,. das
beit jo lange kämpfen, als e8 bequem ging, und
dann entweder davon=, oder zum Feind überlaus
fen. Sebt bedrohte fie aber Alle zugleich ein
und daſſelbe Schieffal, oder war jchon über jie
hereingebrochen, das nämlich: bei der jeßigen
militärifchen Eintheilung als überflüffig ange
jehen und zur Dispofition gejtellt zu werden,
wobei ſie natürlich, wenn auch nicht ihren Titel
— denn an dem bielten fie fejt — doch jedenfalls
ihren Gehalt einbüßen mußten. Das war zu viel
für fie und die „Undankbarkeit des Kaijerreichs‘’
ihr jtehendes Geſpräch geworden.
Anfangs freilich ſchimpften fie wohl darüber,
hielten e8 aber no immer nur für eine Art
von Schreckſchuß, denn fie Fonnten ſich nicht
dbenfen, daß man wagen würde, jie ganz und
ohne Weiteres bei Seite zu jchieben. Es verjtand
ſich von jelbit, daß fie dafür irgend einen andern
fetten Poſten, womöglidy an der Steuer, befom=
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4
men mußten, und was jchadete e8, wenn fie da—
von auch nicht das Geringite verjtanden. War
das nicht von jeher fo gewejen und ſolche Poſten
nur als Belohnungen für geleijtete Dienfte ge—
geben worden? und fonnte man es nicht mit
der Zeit erlernen? — Aber auch das blieb aus,
und die Entrüjtung unter dieſen Herren wurde
natürlich allgemein.
Die Pulqueria war ebenfalls, wie die anderen,
ausgemalt, aber mit lauter Schladhtbildern, die
man jedoch vorjichtigerweile dem Befreiungs—
friege entnommen hatte, um nicht etwa Jeman—
des Gefühle hier zu verlegen. Nur eine einzige
Wand blieb dem Sturm bes Forts Guadelupe
bei Puebla durch die Franzojen gewidmet, wo
diefe von dem General Zaragoza fo entſchieden
zurüdgeworfen wurden. Die Franzoſen haften
fie Alle, ob jie nun gerade unter dem Sailer
oder unter den Xiberalen dienten, und auf jene
„Waffenthat“ der Mericaner jegten jie Alle ihren
Stolz.
Heute nun gerade waren verjchiedene Decrete
ausgegeben worden, und viele diejer durch Re—
volutionen gemachter, aber jonjt ganz unfähiger
Generale ſchienen gerade dieſen Tag gewiljer-
maßen als legten Termin erhofft zu haben, um
5
doch am Ende noch bedacht zu werden — ſie ſahen
ſich getäuſcht, und beſonders Einzelne, die früher
im Heere des Feindes eine gewiſſe Rolle geſpielt,
fühlten ſich, ihrer Meinung nach, auf das un—
verzeihlichſte zurückgeſetzt.
An dem einen großen Tiſch, der nahe zu
dem, auf die Straße hinausführenden Fenſter
ſtand, ſaßen etwa acht oder neun ſolche „höhere“
Officiere, die großen Pulquegläſer vor ſich, die
Arme auf den Tiſch geſtemmt, und ein Caracho
nach dem andern rang ſich unter den naſſen
Schnurrbärten vor, die nur manchmal mit den
Fingern abgeſtrichen wurden. Ein Taſchentuch
führte wohl keiner der Herren bei ſich. Sie be—
fanden ſich auch in einer fatalen Lage, denn ge—
lernt hatte Keiner von ihnen Etwas, um ſich der
menſchlichen Geſellſchaft nützlich zu machen. Ohne
Krieg oder Revolution konnten ſie nicht beſtehen,
ſie waren es von Jugend auf ſo gewohnt ge—
weſen und darin aufgewachſen, und was ſollte
jetzt aus ihnen werden, wo ſie den Liberalen den
Rücken gekehrt und von dieſem fremden übermü—
thigen Kaiſer gar nicht gebraucht, ja nicht einmal
anerkannt wurden?
Da trat eine nicht ſehr hohe, aber ſehnige
Geſtalt in die Thür, mit broncefarbenem Geſicht,
6
vollem Schwarzen Bart und ebenjolhem gelodten
Haar, aus bejjen Antlig ein -paar funfelnde
Augen bervorbligten und mit einem gemiljen
Hohn über die Säfte hinzuſchweifen fchienen.
„Haloh, Cortina — fomm hierher, Com:
pañero — wo bilt Du jo lange geblieben ?’
riefen jie ihm zu — „ſeit einer Stunde warten
wir Schon auf Did.‘
„Run, Caballeros,“ lachte der ——
ingrimmig in den Bart hinein — „ich dächte,
Ihre Zeit erlaubte Ihnen das, denn zu thun
haben Sie Nichts — Caracho! ein ganzes Neſt voll
ausgenommener Generale und alle ſchon flügge.“
„Hol' Dich der Teufel!“ knurrte Einer der—
ſelben — „einen Rath ſollſt Du uns geben, was
wir thun können, nicht Dich über uns luſtig
machen — oder biſt Du etwa beſſer daran?“
„Einen Rath?“ rief Cortina, indem er ſeinen
Hut hinten auf den Kopf rückte und ſich auf den
ihm hingeſchobenen Seſſel warf — „ſeid Ihr
wirklich rathlos und gefällt es Euch nicht mehr
in Mexico? — Zum Henker auch, es wird hübſch
hier, denn die Sache fängt an drunter und
drüber zu gehen.“
„Iſt Etwas vorgefallen?“ riefen Drei, Vier
zugleich.
„Vorgefallen? Bah, Nichts — ein halb
Dutend gehangen, was ijt das, aber Seine Ma:
jeität fängt an den Krieg bis an’s Meſſer zu
führen, und wir fönnen froh fein, daß wir bier
im Trodnen fißen.‘’
„Den Teufel auh — wer ijt gehangen ?'
tief e8 jeßt durcheinander, denn Keiner fühlte
ih jo ganz fiber, ob nicht. ein paar Bekannte
oder Freunde unter ben aljo Abgeurtheilten jein
fönnten.
„Ja, was weiß ich's!“ fagte Cortina achſel—
zuckend; „Kriegsgelder wurden auf der Diligence
transportirt, und ein halb Dutzend Liberaler
machte ſich auf, um ſie abzufangen; eine fran—
zöſiſche Escorte ſcheint ihnen aber in die Quere
gekommen zu ſein, und wenn die „Nachbarn“
ſie nicht beerdigt haben, hängen die wackeren
Burſchen noch draußen in den Bäumen der
Penuelos.“
„Caracho! die Franzoſen waren das?“
„Run gewiß — heißt ja jet Alles Straßen:
räuber und wird bald noch beſſer werden. Bas
zaine joll gejagt Haben, daß nächſtens ein Ge:
jet herausfommt, wonad die ganze Armee von
Juarez als Straßenräuber betrachtet und be—
bandelt wird.”
8
„Dann hängen fie aber auch drüben eben,
den fie von den Kaijerlichen erwijchen.‘
„Wird bald nicht mehr Bäume genug im
Walde geben, für all’ die Früchte,‘ lachte Cortina.
„Jungens, jebt wird's hübſch in Merico, jebt
geht eigentlich unfere Zeit an, und dabei jollten
wir hier ruhig jiten und die Hände in ben
Schooß legen ? VBerbrannt will ich werden, wenn
ich's thue — ich gehe wieder nad) Norden.‘
„Zum Alten ?' riefen Mehrere zugleich.
„Quien sabe,” fagte Cortina, die Achfeln
zudend — „wer weiß, wo der ſteckt und ob er noch
viel Soldaten hat — können's auch nod) eine Weile
abwarten, denn gejtern hört’ ih, daß Bazaine
jelber mit einer Armee hinauf will, um ihn zu
fangen oder über die Grenze zu treiben.”
„Dann iſt die Gejhichte aus.’
„Roc lange nicht — dann geht fie erjt an!’
rief Cortina, fein PBulqueglas dabei bis auf
den Grund leerend — „nachher fommt entweder
Drtega oder ein Anderer, das bleibt jich aleich
— aber da oben jtehen bleiben können bie
Franzoſen nicht — e8 liegt zu weit ab von ber
Hauptjtadt, und jo wie fie wieder anfangen ji
zurüdzuziehen, dann find wir hinterher und —
Purisima ! — nicht einen Augenblid Ruhe wollen
wir ihnen gönnen.”
„Bas it denn daran?“ frug jebt ein Anderer.
„Die Amerikaner hier in der Stadt erzählen,
daß der Kaiſer Napoleon nächſtens alle jeine
Soldaten nah Hauſe ſchicken werde, weil die im
Norden es nicht länger leiden wollten.‘
„Das wäre Recht,“ nidte Cortina, ingrims
mig vor ſich hinlachend — „nachher wollten wir
bier bald unter den „feinen“ Officieren auf:
räumen. In der Luft liegt übrigens was, denn
die Pfaffen Fommen wieder an's Tageslicht, wie
die Maulwürfe vor einem Gewitter — haben
mir auch Schon Propofitionen gemacht, mag aber
mit den Schwarzröden Nichts zu thun haben.
So lange fie ung brauchen, find wir gut genug,
aber kaum iſt's vorüber, jo zahlen jie mit Mefjen
und Segen.‘
‚Nach Vera-Cruz zu jollen ſich auch wieder
Schaaren von AJuariften zufammengezogen haben
— id) hörte davon in der Stadt.”
„Ja,“ nickte Cortina, „gehört hab’ ich's auch,
weiß aber nicht, ob was dran iſt. Wenn ſie
nur nicht den Porfeirio Diaz eingeſperrt hätten
— bei dem wäre gleich wieder anzukommen.“
„Zu dem möcht' ich aber nicht,“ knurrte ein
10
Fleiner gelbbrauner Burſch mit einer riefigen
Narbe über das ganze Geficht hinüber — „fau—
ler Kram das. Der bat feine eigenen Soldaten
hängen lafjen, wenn fie einmal geplündert hat—
ten — mit dem ijt’s Nichts !’
„Und weshalb fol man feine Haut zu Marfte
tragen,‘ vief ein Anderer, der ein einziges rie=
ſiges Epaulett auf der linken Schulter trug,
„wenn man nicht auch wenigjtens Etwas dafür
bat. Soll mid nur wundern, wie lange dies—
mal das Kaijerreich dauert — bat ja jchon bei-
nahe anderthalb Jahr bejtanden — hätt’s ihm
gar nicht zugetraut.”
„Ich gehe morgen nad Dueretaro hinauf,”
fagte Eortina — „wer geht mit ?’’
„erden aber erſt um Urlaub einfommen
müſſen,“ lachte der mit der Narbe.
„Hol' fie der Teufel!” knirſchte Cortina
zwijchen den Zähnen durch — „ich bin mit mei:
nem Urlaub fertig und wieder ein freier Mann.
Hinter Queretaro brauche ich feine acht Tage
Zeit, um eine Truppe tüdhtiger Kerle zuſammen
zu bringen.‘
‚And wär’ es da doch nicht am Ende bejler,
die Franzojen erjt ihren Zug nad Norden ma=
hen zu laſſen. Jedenfalls rüdfen fie gegen
11
Chihuahua und Monterey, und wir wifjen dann
eher, woran wir ſind.“
„Rechts und links davon haben wir Platz ge—
nug,“ lachte Cortina, „und wenn wir uns nad)
Guerrero hineinwerfen follten. ch gehe.‘
„Dann, den ich, gehe ich auch,“ fagte der
mit der Narbe — „und Du, Carlos ?’'
„Zu verfäumen hab’ ich hier Nichts — laßt
uns Alle in’s Land gehen. Borberhand maden
wir nur eine Vergnügungsreife, und find wir
erit einmal drin, jo jehen wir bald jelber, wie
die Sachen ſtehen.“
„Sin Wort ein Mann !” rief Eortina. „Wann
breden wir auf?’
„Richt zuſammen,“ warnte ein Anderer —
„wir dürfen feinen Verdacht erregen, ſonſt jißen
uns die Beltien auf dem Naden. Laßt uns ein-
zeln gehen und in Queretaro treffen wir dann
zujammen.‘
„Auch gut, und jett Adios, Caballeros —
auf ein fröhliches Leben wieder in den Bergen !‘
H
* *
Im Haufe Don Carlos Luecido's, in den pracht—
vollen und behäbigen Räumen herrſchte eine
furchtbare Aufregung, denn die Gerichte jchienen
12
diesmal wenig Umjtände mit dem gefangenen
Verbrecher machen zu wollen, wenn er auch der
Sohn eines der reichjten Leute in Merico war.
Mauricio, darauf gerade troßend, hatte auch ein
geltanden, daß er bei dem Meberfall der Dili-
gence betheiligt gewejen, aber natürlich nur aus
politiihen Motiven. Er jtehe entſchieden auf -
Ceiten der Liberalen, erflärte er ganz offen, und
babe das Kaiſerthum nod) nie anerfannt. Ihre
Abjicht jei auch allein gewejen, die beiden fran=
zöſiſchen Dfficiere gefangen zu nehmen, um fie
gegen gefangene Dfficiere der Liberalen aus:
wecjeln zu Fönnen, aber der hartnädige Wider
jtand der Franzoſen, von dem er felber noch bie
Narbe trug, babe feine Begleiter erbittert und
den Tod der Beiden zur Folge gehabt.
Seine Ausfagen halfen ihm Nichts. — Ri:
carda San Blas, wie fie e8 van Leuwen ver—
ſprochen, trat jelber als Zeugin gegen ihn auf.
— 68 war Nichts als ein ganz gemeiner Raub—
anfall gewejen, gerade wie der zweite, der durch
ben gefundenen Brief vereitelt wurde, und man
hatte die Schüſſe abgefeuert,.ehe nur der Magen
ordentlich hielt, alfo ven einer Gefangennahme
ber DOfficiere gar Feine Rede fein Fonnte,
Mauricio Lucido, zum Tode veruriheilt, follte
13
am nächſten Morgen erjchofjen werden, denn es
war nöthig geworden, dem liederlichen jungen
Volk der Stadt ein Beilpiel zu geben, daß fie
feine bevorzugte Klafje bildeten, jondern jih den
Geſetzen und der Ordnung ebenfo fügen mußten,
wie alle Anderen.
Der Kaifer felber unterfchrieb das Todes:
urtheil und war fo empört über biefen Tall,
daß er, wie es hieß, nicht einmal Lucido's Mut:
ter, die ihn um Gnade für den Sohn bitten
wollte, vorlieg. — Umjonjt hatte fie jich wenige
tens an Padre Fiſcher gewandt, der, als ber
Kailer von Euernavaca zurüdkehrte, Hofcaplan
geworden. Er verjprah ihr allerdings, fein
Möglichites zu thun, aber jein Weg blieb, wie
er ihr jpäter fagte, erfolglos, denn der Kaijer
wolle gerade in biejem alle, wo jchon jo viele
Verbrecher aus den unteren Klaſſen hingerichtet
worden waren, feine Gnade walten lajjen.
Arme Mutter! Padre Fiſcher hatte fich wohl
gehütet zu dem Kaiſer zu Deinen Gunften zu
ſprechen, denn was konnte der Flerifalen Partei
erwünjchter fein, als daß gerade die Partei, die
noch am innigjten zum Kaiſerreich hielt, gegen
daſſelbe erbittert wurde. Der Kaijer mußte nad
und nach einjchen lernen, daß er Niemanden
14
mehr hatte, auf den er ſich ſtützen Fonnte, als
eben die Geijtlichkeit, und dahin erjt einmal ge-
langt, und der Sieg konnte ihr nicht ausbleiben.
Die Frauen im Haufe ſaßen und weinten;
die Dienerfchaft wehflagte, und der alte Yucido
ging mit auf den Rüden gelegten Händen und
finfter zufammengezogenen Brauen in feinem
Zimmer auf und ab. Boten waren dabei nad)
den verfchiedenften Richtungen ausgejandt, um
die Freunde zu einer Berathung einzuladen,
und nad und nach trafen fie jeßt ein. Aber es
war fein fröhliches Zuſammenſein, wie es ſonſt
jo oft in diefen Räumen ftattgefunden, fondern
ernjt und jchweigend jammelten ſich die Herren,
die „Großen des Reiches’, wie man fie recht
gut hätte nennen fönen, in dem luftigen Gemach.
Sie drüdten dem Freund til und jtumm die
Hand, aber Feder jcheute jih, zuerit von dem
zu beginnen, was ihnen Allen doch ſchwer und
brüdend genug auf dem Herzen lag. Aber es
half Nichts — einmal mußte doch das Eis ge=
brochen werden und Roneiro nahm zuerſt das Wort.
„Compadre,“*) jagte er herzlich, indem er
*) Gevatter; die Pathenſchaft gilt in allen dieſen ſpa—
niihen Kolonien faft mehr al® bei uns ein naher Berwandt-
ſchaftsgrad.
15
zu Lucido ging und ihm die Hand auf die Schul:
ter legte — ‚Du weißt, id nehme an dem June
gen fait jo viel Theil als Du felber, denn ich
babe ihn aus der Taufe gehoben und ihn mit
unter meinen Augen aufwachjen jehen.‘‘
„Ich weiß es, Compadre — ich weiß es,”
erwiederte Yucido bewegt, und der jtarfe Mann
mußte ſich Mühe geben die Thränen zurüd-
zuzwängen, ‚und daß er jeßt jo enden ſollte!“
„Bir find bergefommen, um das mit Dir
zu berathen,‘ jagte Roneiro — „noch iſt es dod)
vielleicht möglich, einen Ausweg zu finden.’
Lucido jchüttelte wehmüthig mit dem Kopf. —
„Wir haben Alles verſucht,“ jagte er, „meine
Frau war felbjt oben beim Kaiſer, ijt aber
gar nicht vorgelafien worden. Es ijt vorbei
— der Junge hat jchwer gefehlt, aber jo zu
büßen!“ |
„Mauricio war in der legten Zeit verwil-
dert,‘ nidte Roneiro jeufzend, „und wir jelber
fonnten in den jo bewegten Tagen nicht jo auf
ihn Acht geben, wie wir e8 wohl gejollt. Er ijt
in schlechte Gejellihaft gerathen — das viele
fremde leichtfertige Volk, Abenteurer, die nur
nach Merico kamen, um bier ein Vermögen zu
jammeln, und als fie das nicht jo leicht fanden,
16
zu allen möglichen Kunftgriffen ihre Zuflucht
nahmen. Was aber um ber heiligen Jungfrau
willen, Rodriguez, konnte Ihre Nichte bewegen,
in jo entjchieden feindlicher Weife gegen ben
Jungen aufzutreten? Es ift unerbört, und ohne
ihr Zeugniß wäre er nie zum Tode verurtheilt
worden.’
„Bott weiß es,“ fagte Rodriguez, mit den
Achſeln zudend, „das ſonſt jo beſcheiden einfache,
ja ſchüchterne Weſen war ganz wie umgewechſelt.
Den erſten Tag ſaß ſie ſtill und ſtumm, und
verkehrte faſt mit Niemandem, als aber am Abend
ſpät die Nachricht kam, daß der Ueberfall gegen
die Räuber an den Penuelos geglückt und Alle,
mit Ausnahme eines Einzigen, der entkommen
war, ihre Strafe erhalten hätten, die Patrouille
ſelber auch, mit nicht einmal einem Verwundeten
zurückkehrte, nur ein belgiſcher Hauptmann ſollte
erſchoſſen ſein, — da trat ſie bleich und erregt,
wie ich ſie nie geſehen, vor uns hin und ſchwur,
daß Mauricio Lucido den Tod erleiden müßte.
Wir haben Alles verſucht, ſie von ihrem Ent—
ſchluß abzubringen — umſonſt, es war nicht
möglich; das ſonſt ſo ſcheue Mädchen ſchien wie
verwandelt, und ernſt und entſchloſſen verfolgte
ſie ihre Bahn.“
17
‚Welcher Partei gehört ihr Vater an?” frug
Roneiro.
„So viel ih weiß, den Liberalen,“ fagte
Rodriguez, „obgleich er zu den bejten Familien
von Ean Blas gehört. Er war aber von je
ein Schwärmer, bat alle feine Indianer frei
und ihnen eigenes Rand gegeben, um e8 zu be-
wirtbichaften, und gerieth jchon deshalb mit den
Klerifalen in Streit. Sonft ift er aber einer
der rechtichaffeniten Leute die ich Fenne, und,
wie ich oft und oft von meiner Schwefter gehört
babe, der bejte Vater und Gatte.“
„Es bat jo fein ſollen,“ ftöhnte Lucido —
„und den einzigen Sohn — den einzigen Sohn!’
„Ich begreife gar nicht,’ ſagte jebt Baltiani,
der ſich ebenfalls unter den Freunden befand,
‚daß der Kaijer gerade diesmal jo hartnädig
auf dem XTodesurtheil beitehen ſollte. Es ilt
ſonſt gar feine Art nit. Wiſſen Sie aud) ge—
wiß, Lucido, daß er von dem Beſuch Ihrer Sat:
tin in Kenntniß geſetzt war?‘
Lucido nickte ftil mit dem Kopf. ‚Sein
Hofcaplan bat es jelber übernommen, ihr die
Audienz zu erwirfen, aber ſchon nach kurzer Zeit
fehrte er zurüd und jagte: ber Kaijer wolle dies:
Fr. Gerftäder, In Merico. III. 2
18
mal dem Geſetz jeinen vollen Lauf laffen, denn:
e8 gäbe in Merico feine bevorzugte Klaſſe.“
„Und das Alles dafür, daß gerade dieje be—
porzugte Klafje ihn auf den Thron gejeßt!‘ rief
Santiago, ein Schwager Lucido's, der bedeu—
tende Bejißungen in Puebla hatte und fich ge:
rade auf Bejuh in Merico befand — „ohne
bieje „bevorzugte Klaſſe“ ſäße er noch als armer
Erzherzog auf feinem Felſenſchloß von Miramare,
während er jet der Herricher des ſchönſten Lan:
des der Welt iſt —“
„Und ich weiß nicht,‘ meinte Bajtiani troden,
„ob er dort nicht bejjer und ruhiger ſäße als hier,
denn mein Wort zum Pfande, ich möchte nicht
an jeiner Stelle jein.‘
„Bir können ihn wieder dorthin ſchicken,“
warf ein anderer Conjervativer, Doblada Santa
Eruz, ein, „denn für die Intereſſer unjerer
Partei hat er, jo lange er ſich Re befindet, noch
Nichts gethan.“
„Ich halte ihn für einen ehrenwerthen Mann,“
ſagte Baſtiani.
„Aber den brauchen wir hier nicht!“ rief
Doblado heftig aus — „wir brauchen einen
tüchtigen Mann, der das Land im Zaum
hält und ſich auf die Leute, die ſeine Freunde
19
jind, oder ſich wenigitens bis jest als jeine
Freunde gezeigt haben, ſtützt. Was wir bier
brauchten, war ein Oberhaupt, das uns unjer
Eigenthum garantirte, und was hat Marimilian
getban? — e8 im Gegentheil gerade in Frage
geſtellt!“
„Caramba no,” rief Baſtiani — „ich dächte
gerade dadurch, daß er die Geſetze der todten
Hand anerkannte und den Klerikalen, die ſich
feſte Rechnung gemacht ihn auf ihre Seite
zu bekommen, ſo feſt entgegentrat, hat er mehr
gethan, als wir von ihm und ſeinen Anteceden—
tien nach erwarten durften.“
„Dann hätte er auch dieſe Geſetze einfach
anerkennen und jetzt nicht auf eine Reviſion der
in unruhigen Zeiten geſchloſſenen Käufe dringen
müſſen,“ rief Santiago. „Damals ſind aller—
dings Unregelmäßigkeiten vorgekommen, das gebe
ich zu, aber es war in der Zeit nicht anders
möglich, und konnte auch, da es todte Liegen—
ſchaften betraf, Niemandem zum Schaden ge—
reichen. — Aber nein, das ſoll hier Alles nach
europäiſchem Muſter und in einer alten, ge—
ſtempelten Form regiert werden, und das geht
nun einmal nicht in Mexico.“
„Santiago hat Recht,“ nickte gtonelvo, „Id
2*
20
bin gewiß ein Freund bes Kaifers und von Ans
fang an gewejen, und er hat fid) mir und meiner
Familie aud immer freundlich gezeigt, aber dieſe
Revifion der Verkäufe war ein Zankapfel, ven
er nicht in das Lager der Feinde, jondern in
das feiner treuejten Freunde und Anhänger warf,
und das nur den Advocaten nüßen wird. Ich
jelber befinde mich mit all’ meinen neuen Liegen-
Ihaften in der Stadt jhon in einen höchſt un:
angenehmen Proceß verwidelt, und wenn wir
unferes Eigentbums nicht einmal gejichert fein
ſollen, fo jehe ich eigentlih gar nicht ein, wes—
halb wir es nicht eben jo gut der Kirche zurück—
geben könnten. Dadurch befümen wir wenig:
tens Frieden im eigenen Haus und mit unferen
Familien.“
„Der Kaiſer iſt ein Fremder,“ ſagte finſter
Doblado, „und wird ewig ein Fremder bei uns
bleiben, denn er verſteht uns nicht. Vermitteln
will er in einem fort, keinem Menſchen Unrecht
thun und Alle zu Freunden machen, und da—
durch erwirkt er fich gerade das Gegentheil. Wer
bier in Merico regieren will, der muß einer
bejtimmten ‘Bartei angehören und dieſe jo mäde
tig zu machen juchen, daß fie allen anderen bie
Spige bieten fann, jonjt wird aus der ganzen
21
Sache Nichts und er jeßt ſich eben, wie das
Sprihwort jagt, jehr einfach zwiſchen ein paar
Stühle hinein. Ja er thut gerade das Gegen-
theil — vom Bapit erbittet er ji einen Nun—
tus und ſchickt eine Geſandtſchaft nah Rom,
wirft aber in berjelben Zeit alle Verordnungen
und Befehle des heiligen Vaters über den Haus
fen, — Juarez treibt er mit den Liberalen aus
dem Lande, und bildet, während er das thut,
fein ganzes Minifterium fajt aus lauter Libe—
ralen, — die Eonjervativen jtreichelt er mit der
einen Hand durch Anerkennung der Reform:
gejege, und zu gleicher Zeit ftellt er durch die
Revifionen ihr Befigthum in Frage, giebt dabei
die Indianer frei, oder entbindet jie vielmehr
ihrer eingegangenen Verpflichtungen und erkennt
jelber unjere geſellſchaftlichen Vorrechte nicht
mehr an. Von wem verlangt er jeßt, daß ſie
zu ibm ſtehen jolen? welde Partei bat er
wirklich für fi gewonnen? Das Voll? — das
it eine gedanfenloje Maſſe, die faum ben Be:
griff eines wirklichen Kaijers kennt und die wir
heute, die Klerifalen morgen für ſich verwenden
fönnen, und was barf er von den Indianern
hoffen? Nein, er mag ein ganz guter Mann fein,
aber er ſpielt ein gefährliches Spiel, oder tappt
22
blindlings in fein Unglüd hinein, und findet
ih einmal wieder eines ſchönen Tages auf ber
Rückreiſe nach jeinem Felſenſchloß. Unjere Bars
teien aber bier in Merico zu verjchmelzen und
eine einzige daraus zu machen, das bringt er
nicht fertig, und — brächte fein Gott zu Wege.“
„Mein Sohn! mein Sohn!” ftöhnte Yucido,
der ſich auf einen Stuhl niedergelafjen, und bie
krampfhaft gefalteten Hände babei zwijchen ben
Knieen hielt. Was Fümmerte ihn jebt die Polis
til des Landes, was Gewinn oder Verluſt —
was Kaijer und Reid — er jammerte um fein
Kind, und Roneiro, der eine Zeit lang ſinnend
am Fenſter geftanden und hinaus auf die Straße
gejehen Hatte, drehte fih endlich um und
fagte:
„Es giebt nur nod) einen Weg, um Mauricio
zu, retten, und das iſt die Flucht. Vorhin ſprach
ich mit Deverreur über den Fall, der aber meint,
daß Bazaine feit entſchloſſen fei, ihn erjchießen
zu laffen, um die beiden franzöfiihen Officiere
zu rähen, und ber ift nicht der Mann, ber ſo
leicht von einem einmal gefaßten Entſchluß abzus
bringen wäre.’
‚Aber wie entfliehen? — wie iſt es möglich?“
rief Lucido, fih an dieje legte Hoffnung klam—
Se 7
5 =
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E
23
mernd — „wenn es mit Geld abzumachen wäre,
ob wie gern wollte ich das geben!‘‘
„Ich glaube fat, es iſt möglich,” nidte Ro:
neiro, „aber nicht mit einer Fleinen Summe,
denn der Gefängnifwärter muß mit ihm ent-
fliehen und thut das nicht, wenn er nicht feine
Zufunft gefichert bekommt.“
„Und wie viel glaubjt Du, daß er verlangen
wird 7’
„sh denke, er wird mit fünftaujend Peſos
zufrieden fein.‘
„Sieb ihm das — — ihm mehr!“ rief der
Vater mit leuchtenden Blicken, „aber mach' mir
den Sohn frei und ich will es Dir auf meinen
Knieen danken.“
„Ja ich ſelber kann es nicht; dazu brauchen
wir einen Pfaffen,“ nickte nachdenkend Roneiro,
„aber ich glaube, ich kenne den richtigen Mann.
Der höhere Klerus wird darüber jubeln, wenn
der Kaiſer unſerer Partei durch ſolch ein Ur—
theil gewiſſermaßen einen Schlag verſetzt, aber
die niedere Geiſtlichkeit hat kein Intereſſe dabei,
wird überhaupt von den Kirchenfürſten ſchlecht
behandelt, und iſt deshalb leicht zu gewinnen,
Ueberlaß das mir — ich ſuche ihn augenblidlich
24
auf, und wenn es nody möglich ijt es durch—
zuführen, jo bringt ber es fertig.‘
‚Und wer ift der?“ frug Santiago — „kenne
ich ihn?“
„Padre Sorra. Er gehört zu einem jener
Convente, die allein auf ihren Privatverbdienft,
auf Mefjelejen und andere Firdliche Functionen,
wie au Sammlungen bei Feten angewiejen
find und Schon dadurch dem überreichen Klerus
neidisch entgegenjtehen. Mit Geld ift bei denen
Alles zu machen, und wenn ein zu einem ſol—
hen Zweck geeigneter Menſch erijtirt, jo iſt es
mein Padre. — Aber gieb Di deshalb noch
nicht zu großer Hoffnung bin, Carlos. — Die
uns gegönnte Zeit ift faſt zu kurz. Bor allen
Dingen werd’ ih mit Sorra jelber jpredhen,
und dann müſſen wir Mauricio veranlafjen, daß
er einen Geijtlichen verlangt, nad welchem er
außerdem, wie ich fürdhte, Fein großes Bedürf—
niß jpüren wird.‘
„Er har fih von Gott und feinem ehrlichen
Namen abgewandt,' Flagte Carlos Lucido —
„oh, mein Sohn — mein Sohn — er wird elend
zu Grunde gehen!‘
„Veremos,“ jagte Roneiro ruhig — ‚aber
weiß Einer von Ihnen no ein anderes Mittel,
dem unglücklichen jungen Mann zu helfen?“
„Ich fürchte nein, fagte Rodriguez — „ich
bin mit Bazaine, der durch jeine Heirat} ja aud)
mit mir verwandt wurde, ziemlich genau befannt
und war heute Morgen bei ihm, aber umjonit.
Bon der Seite ift Nichts zu hoffen, und wenn
ver Kaiſer jelber Gnade verjagt bat, jo bleibt
allerdings Nichts übrig als Flucht — wenn er
überhaupt noch zu retten iſt.“
„But, Caballeros,“ nidte Roneiro, „dann
werde ich an meine Mifjion gehen, und morgen
Früh, compadre, jage ih Dir Antwort, ob ic
Hoffnung habe. Den Kopf hoch, Mann, nod)
lebt Mauricio und es ift nicht Alles verloren!”
*
* +
Zu dem AJuftizminijter Escudero trat Mars
Ihall Bazaine in das Gemah und jchien heute
in ungewöhnlicher Aufregung.
Escudero, der feine, höflihe Mericaner, em:
pfing den DDberbefehlshaber der franzdfijchen
„Hilfstruppen‘ auf das artigjte, aber der Trans
zoſe jchien eben nicht in der Stimmung, lang:
weilige Formen zu beobadten, und ſich in einen
ber nächſten Stühle werfend, fagte er:
26
„Señor, das geht nicht länger jo fort — wir
müſſen energijch gegen das Gefindel auftreten,
oder wir erreichen Nichts, als dag wir ein jedes
Jahr von vorn den nämlidyen Feldzug beginnen,
wie wir ihn im vorigen hatten.‘
„Ich weiß nit, was der Herr Marihall
meinen,‘ ſagte Escudero freundlih, ‚aber ich
follte denken, Ihre Truppen wären energiich ge—
nug vorgegangen. Die legten Nachrichten lauten
außerordentlich günftig.‘
„Der Teufel dank’ es ihnen! brummte Ba—
zaine. „Sie wundern ji doch wohl nicht, daß
unjere franzöfiihen Regimenter das mericanijche
Gefindel werfen, wo fie mit ihm zufammentreffen,
aber was hilft das? Wir treiben fie aus jedem
Platz hinaus, den wir angreifen, aber wir müß—
ten eine halbe Million von Soldaten hier haben,
um jeden Hauptplaß nur befeftigt zu halten.
Sobald wir ung zurüdziehen, rüden dieſe Raub:
banden, die fich Soldaten des Präfidenten Juarez
nennen, wieber vor, und das ift ein Spiel, das
Menſchen, die von trodenen Tortillas leben, wohl
aushalten und eine unbeftimmte Anzahl von
Jahren fortjegen können, an denen wir aber
zulegt mit dem Kaiferreich zu Grunde gehen.“
„Aber jo weit die Berichte reihen, die wir
27
erhalten haben,‘ ſagte der Meinijter, „Sind
doch jämmtliche Kriegsoperationen auf das glück—
lihjte gelungen, und die heutige Nachricht be=
ftätigt jogar, was jhon vor ein paar Tagen ges
meldet wurde, daß nämlich Juarez endlich nad
dem Norden hinauf — man vermuthet jogar,
über die Grenze getrieben ſei. Die Liberalen
behaupteten allerdings, er babe ſich in Paſo del
Norte, einem kleinen erbärmlichen Grenzfleden,
fejtgejeßt, aber das ijt nicht wahrſcheinlich, denn
was wollte er dort? ch kenne den Platz genau,
er könnte jich dort faum mit fünfzig Anhängern
für furze Zeit vielleiht am Leben halten.‘
„Und das iſt es gerade, was ich Ihnen jagen
wollte,‘ rief Bazaine. — „Juareäz iſt jeßt that-
jähhlich über die Grenze getrieben und die Revo—
[ution vorbei — und, wenn er es nicht wäre,
ſein Präfidentichafts-Termin überhaupt in wes
nigen Wochen abgelaufen. Alle die, welde ung
nad diejer Zeit mit den Waffen in ber Hand
gegenüberjtehen, find Nichts als gemeine Straßen-
räuber — Banden, die berumziehen, einzig zu
dem Zweck, Feind und Freund auszuplündern,
und dem muß ein Ende gemacht werden, oder
ich jelber bitte Seine Majeftät den Kaijer Na—
poleon mich von hier abzuberufen. Ich bin mit
25
Freuden willens, mid, jedem geordneten Heer
oder jeder berehtigten Macht entgegen zu
jtellen; ich erkenne jelbit einzelne Guerillabanden
an, jo wie fie von einem bejtimmten Oberhaupt
birigivt werden und irgend Etwa — und wenn
es jelbjt nur eine dee wäre, verfechten, aber ich
bin fein Polizei:Officiant, der genöthigt werden
fann ih das ganze Jahr mit Verbredern
berumzujchlagen, und dem man dann nicht einmal
bie Macht einräumt, die Schuldigen, wenn er jie
wirflicy gefaßt hat, zu züchtigen.‘
„Ich verjtehe Sie nit, Herr Marſchall.“
„Dann will ih ganz deutlich reden,‘ ſagte
Bazaine. — „Der Kaiſer'muß, wenn er meine
Unterjtügßung feiner Macht auch nur noch jo
viel für nöthig Hält, ein Decret erlajien, das
die jegt noch umberjtreifenden Banden für
vogelfrei erklärt — Räuber und Mordbrenner,,
bie e8 außerdem nur find. Der eigentliche Krieg
ijt beendet und der Erpräfident über die Grenze
gejagt, wir haben e8 von diefem Augenblif an
aljo mit Feiner Kriegsmacht mehr zu thun,
jondern allein mit übriggebliebenen und zurück—
gelafjenen Banditen, die wir bei Gott nicht,
wenn wir jie erwilhen, als Kriegsgefangene
behandeln können. Wir erklären den Krieg
29
für beendet, denn wir haben ein volles Recht
dazu, und wer von dba ab mit den Waffen in
der Hand gefangen wird, joll als gewöhnlicher
Bandit behandelt, das heißt erichoffen oder ge=
bangen werden, wie e8 ber Fall gerade mit ſich
bringt.‘
„Herr Marſchall,“ ſagte Escudero, „das iſt
ein Capitel, was wir jchon verjchiedene Male
mit Seiner Majeftät, aber ohne Erfolg verhan—
belt Haben. Der Kaijer weigert ſich auf dag
entſchiedenſte zu derartigen Maßregeln zu grei-
fen, fo lange Juarez auch nur einen Schatten
von Recht auf feiner Seite bat. Er hofft immer
noch durch ſtrenge Gerechtigkeit den Feind zu
überzeugen, daß er e8 mit feinem Eroberer, ſon—
dern mit einem Monarchen zu thun babe, ber
wirklich nur das Beſte des Landes will und den
Frieden deſſelben anjtrebt. Und haben wir denn
auh nicht in den zahlreichen Loyalitätserflä-
rungen, die ihm in den legten Wochen fajt von
allen nordiſchen Städten zugegangen find, die
Beweise, daß ihm die Mehrzahl, ſelbſt der Libe—
ralen zuneigt? Den Leuten dort mußte fich zu=
legt die Ueberzeugung aufdrängen, daß Juarez
nicht der Mann war, gegen einen Marimilian
aufzutreten, und nicht allein Officiere der Libe—
30
ralen, nein, zahlreiche Präfecten haben ebenfalls
an uns gejchrieben, ihren völligen Uebertritt zum
Kaijertbum erklärt und uns jelber gebeten,
Truppen in ihre Ortichaften zu legen, um
berumihwärmenden Banden der Liberalen bie
Spige bieten zu können.“
„Und da haben Sie den ewigen Refrain vom
Lied!’ brach Bazaine, der bis jetzt ungebulbig
den Boden mit dem Fuß geflopft Hatte, aus —
„Truppen wollen fie haben, weil fie wiflen, daß
wir uns jelbjt beföftigen und für Alles, mas
wir brauchen, baar bezahlen — Truppen, nur
um nicht jelber in bie VBerlegenheit fommen zu
müfjen, ihr Eigentbum zu vertbeidigen. Wir
koſten jie Nichts, jondern bringen ihnen noch
Geld, aber faum haben wir den Rüden gewandt
und ein Juarez'ſches Streifcorps rüdt in den
Drt ein, jo jubeln jie dem auch, wieder entgegen
und erklären jih als die beiten und treuejten
Republikaner. Nicht eine Centime gebe ich Ihnen
für all’ die Loyalitätsadrejjen ſolcher Menjchen,
denn wie ber Wind weht, jo drehen fie fich, und
das nämliche Concept, das fie heute in Abjchrift
an den Kaijer eingejandt haben, dient ihnen
vielleicht acht Tage jpäter, mit ein paar ver=
änderten Worten, um es einem der Liberalen
31
Banden: Generale zu Füßen zu legen. Geben
Sie mir mit Ihren Adreſſen; ich halte mich an
die wahre und nadte Wirklichkeit, an die Men-
jhen, wie ich jie in den Jahren gefunden habe
und wie jie jind, und demnach gebe ich Ihnen
mein Wort, daß Sie ſich aud nicht eine Stunde
auf ſolche Verſicherungen verlajien können.
Nein, geſpielt haben wir genug mit ihnen und
jedem menſchlichen Völkerrechte Genüge geleiſtet,
das weiß Gott. Jetzt wird es Zeit, daß wir
ihnen die Zähne zeigen, und ich erkläre Ihnen
hiermit, Señor, daß ich in demſelben Moment
um meine Abberufung einkomme und meine
Soldaten von dem ſogenannten „Kriegsſchau—
platze“ zurückziehe, wo mir der Kaiſer jetzt noch,
nach zahlloſen Mahnungen, erklärt, daß er von
ſeiner paſſiven Politik nicht abſtehen will. Er—
läßt er ein ſolches Decret und giebt er mir die
Vollmacht es auszuführen, dann ſtehe ich Ihnen
dafür ein, daß ich Ihnen das ganze Land nicht
allein erobere — denn das iſt jetzt ſchon ge—
ſchehen, — nein daß ich es auch unterwerfe und
in Beſitz halte, bis er ſeine eigene Armee (was,
beiläufig geſagt, etwas lange dauert) auf den
Füßen hat; erläßt er es aber nicht, dann mag
er ſich auch die Folgen zuſchreiben und mir
32
nachher feine Vorwürfe machen, denn von dem
Augenblid an trete ich zurüd und er mag das
Commando übergeben, wem er will. Mich bannt
bier nicht allein der Befehl meines Kaiſers, nein,
auch meine eigene Ehre, und wahrlich, die will
ih nicht dadurch auf's Spiel ſetzen, daß id
weiter Nichts thue als Kriegsgefangene machen,
jie höflich und mit jeder Rüdjicht durch das Land
escortire und abliefere, und dann adyt oder vier:
zehn Tage jpäter den nämlichen Schuften wieder
gegenüberftehe, die, A la caballero, auf Ehren:
wort entlajfen wurden und nicht einmal wiſſen
oder beachten, was das zu bebeuten hat. Ich
babe, das gejtehe ih Ahnen aufrichtig, diefe Art
von Kriegführung bis zum Ueberdruß fatt, und
mit meinen Officieren ift das ebenjo der Tal.
Mir find gewillt, unfer Leben jeden Tag für
den Raifer in die Schanze zu jchlagen — das
ijt unfer Beruf — aber wir müfjen auch dabei
jehben, daß wir Etwas erreihen. Mit den Da—
naiden wollen wir nicht jchöpfen oder einen
Siſyphusſtein den Berg hinaufrollen.‘
‚Und wäre es nicht bejler, Herr Marjchall,
daß Sie das Seiner Majeftät in einer Denk—
Schrift oder nur in einem Brief auseinander:
ſetzten?“ frug der Miniiter.
33
„Wozu die ewige Schreiberei ?” ſagte Bazaine
barſch — „ich habe, jeitdem ih in Merico bin,
mehr Briefe gejchrieben als früher in meinem
ganzen Leben, und es jet fatt befommen. Sie
jind der Hauptrathgeber des Kaijers und er hält
viel auf Sie — in Ihren VBerwaltungszweig
fällt aud) die ganze Angelegenheit, denn wir
haben es jeßt nicht mehr mit Soldaten, fondern
nur mit Räuberbanden zu thun, die den öffent:
lihen Frieden des Staates und die Sicherheit
jeiner Bewohner jtören, und gegen dieje müfjen
ftrenge — müfjen die äußerſten Maßregeln er:
griffen werben, wenn wir irgend Etwas erreichen
wollen. Seten Sie in Ihrem Minifterium ein
ſolches Gejeß auf — ich bin gern bereit, es mit
Ihnen privatim durchzuberathen — und ich ftehe
Ihnen nachher für den Erfolg.‘
„Und weshalb erlajjen Sie nicht jelber eine
jolde Drdre an Ihre Truppenkörper?“ frug
Escudero.
Bazaine z0g jeine Brauen finiter zufammen.
„Ich glaube,’ jagte er, „ich habe mit Ihnen
oder Ramirez das nämliche Thema ſchon einmal
verhandelt — aber die Antwort ijt einfach ge-
nug: Ich babe zu befehlen, wo ich einem wirf-
lihen Feind gegenüberjtehe, und fenne die
Fr. Gerjtäder, In Merico. III. 3
34
Kriegsgejeße civilifirter Völker gut genug, um
Niemandes Rath oder Unterftügung zu verlangen.
Hier aber hat der Krieg aufgehört — die Sol:
daten können nur noch zum Schuß der „Gens—
darmen‘ dienen, und wo es Gejeße über bie
Unterthanen des Kaijers giebt, da jteht mir, als
franzöſiſchem Feldherrn, feine Macht und feine
Gewalt zu — und ih habe auch Fein Intereſſe
dabei,“ jeßte er, Furz abbrechend, Hinzu. „Will
fih der Kaijer al’ diefe Räuberbanden confer:
viren und groß ziehen — eh bien — dann iſt
das feine Sache; dann fann und darf er aber
auch Feinen franzöſiſchen Marſchall dazu verwen-
den wollen, fie ihm einzufangen, und mein
Dienst bier in Merico iſt aus. — Leben Sie
wohl, Señor, das Thema ijt jegt genügend durch—
geiproden, und verlangt der Kaijer mih in
der Sache zu ſprechen, jo bin ich auch dazu er—
bötig, ihm meine Forderung noch einmal per=
ſönlich vorzutragen. — Doch ih muß fort,
Señor, und hoffe nur, daß Sie mir recht bald
eine günſtige Nachricht darüber mittheilen
können.“
Damit ſtand er auf, grüßte kurz und mili—
täriſch, und verließ ohne weiteren Aufenthalt
Escudero's Haus.
J
Der Flüchtige.
—
Der zur Hinrihtung Mauricio’s beitimmte
Morgen brad) an, aber in dem Gefängniß jelber
herrfchte die größte Verwirrung und Alles lief
durcheinander. — Soldaten hatten ſämmtliche
Ausgänge um das Dreis und PVierfache wie ge—
wöhnlich bejett, und ein franzöſiſcher Obriſt
wetterte in dem Raum auf franzöjiich und jpa-
nisch umher — der Gefangene war entfloben.
Allerdings ging das Gerücht, er fei einer
Patrouille begegnet, und dieſe jett unmittelbar
auf jeinen erjen, jo daß man hoffen dürfe ihn
wieder zu befommen, aber die Sache an und für
ſich blieb diejelbe, denn der Gefängnigwärter
batte jich mit ihm aus dem Staub gemacht, und
der Franzoſe jegt nicht einmal jemand Beſtimm—
3*
36
tes, an den er ji mit feinem Grimm wenden
fonnte. Es blieb ihm Nichts übrig, als die ganze”
mericanifche Nation in Grund und Boden hinein
zu verdammen und zu verfludhen — und das
that er redlich.
Reiter jprengten jeßt durch die Straßen nad)
allen Richtungen hin — Batrouillen wurden aus—
gejandt, um jämmtliche Wege dicht um Merico,
wo ein Ausweichen nicht gut möglich war, feit
zu überwadyen, und ftrenger Befehl gegeben, den
Flüchtigen, wie e8 ei, todt oder lebendig wieder
abzuliefern, während zu gleicher Zeit Lucido's
Haus von einer Abtheilung Polizei bis in bie
legten Räume durchſucht und, als man dort Nichts
fand, ein Doppelpojten vor die Thür gejtellt
wurde, der ftrengen Befehl hatte, Niemanden
weder aus noch ein zu lajien.
Senior Lucido, über dieje Beſchränkung jeiner
Freiheit entrüjtet, wollte dagegen protejtiren,
wurde aber mit der größten Strenge abgemwiejen,
und der DOfficier jagte es ihm auf den Kopf zu,
daß nur er allein den Wächter mit Geld bejtodhen
habe, um den Sohn zu retten — und wer hätte
e8 dem Vater verdenken können!
Bazaine war außer jih, denn gerade die
Gonjervativen, obgleid er eine Tochter aus ihrer
37
Mitte zum Weib genommen, hatten ihn troßdem
in ber leßten Zeit nur zu deutlich fühlen lafien,
daß ihnen der franzöfiiche Uebermuth doch mit
ber Zeit Täftig wurde. Sie ſprachen e8 offen
aus, daß fie die franzöſiſche Regierung zu Ende
wünjhten, und zogen ſich mehr und mehr von
ben Franzoſen zurüd. — Und wie würden fie jeßt
im Stillen jubeln, daß fie den läſtigen Gäften eine
Ihon fiher geglaubte Beute entrifjen hatten!
Und doch ſchien ihr Triumph noch Feines:
wegs gefichert, denn wenn es auch Mauricio
gelungen war aus dem Gefängnig felber zu
entfommen, jo ſah er fih dadurch doch noch
immer nicht gerettet, denn ein ganz eigenthüms
liher und unglüdliher Zufall brachte nämlich
die Verfolger, ohne zu ahnen wer er wirklich
jei, no in den Straßen der Stadt auf jeine
Fährte.
Diht vor dem Gefängnig hatte er fi von
feinem Retter getrennt, weil er überzeugt war,
feine Flucht allein viel ungefährdeter fortjegen
zu fönnen. In den Straßen von Mexico gab
e8 allerdings ſogenannte serenos oder Nacht:
wächter, die in unrubigen Zeiten auch wohl
Vorbeipaffirende anriefen, fie aber nie anbielten,
und da noch Niemand um feine Flut wiflen
38
konnte, war auch eine Entdeckung nicht zu fürchten.
Er braudte nur langjam feinen Weg zu ver:
folgen, um fich , erjt einmal aus der Stadt, in
bie Berge zu wenden; ja er wußte jelbjt in den
fleinen benachbarten Ortichaften überall Bekannte,
die nie daran gedacht hätten, ihn an die Fran:
zojen auszuliefern.
Unglüclicherweile für ihn war. aber gerade
in diefer Naht und in einer Fleineren Straße,
die hinter der Kirche San Auguitin bin und
mit der Straße Plateros parallel lief, ein Er—
morbeter von den Serenos gefunden worden —
und derartige Fälle Famen allerdings nicht etwa
jelten vor. |
Das aber bradte die Leute auf die Füße,
denn man hoffte den Mörder noch unterwegs
zu finden, und Patrouillen waren requirirt wor—
den, um fie zu unterjtügen. Da, als Mauricio
gerade in die Straße einbog, kam dieje Pa=
trouille um die andere Ede und rief ihn an, und
bavon erjchredt, trieb ihn fein böſes Gewiflen,
fein Heil in der Flucht zu juchen.
Südlich für ihn dämmerte gerade ber Tag
und Indianer wie Milchverfäufer waren jchon
in die Stadt gefommen. Ein folder Mild-
farren hielt auch gerade vor dem Haufe des Hof—
39
frifeurs Don Pedro Gaspard, und die Soldaten,
denen ſchon der Befehl geworden, auf den Flüch—
tigen zu feuern, drüdten nicht ab, weil fie dann
beftimmt auch den armen unjchuldigen Händler
mit getroffen hätten. Außerdem fonnte ihnen
der Flüchtige auch gar nicht entgehen, denn unten
von der Kirche herauf famen ebenfalls Serenos,
und ein in die Luft gefeuerter Schuß gab denen
dad Zeichen, bei der Hand zu fein, während jie
jegt zujprangen, um den zu verhaften, der jich
ihnen nicht hatte jtellen wollen.
Hinter dem Milchfarren fam er aber nicht
wieder vor, und als jie diejen jest in vollem
Anjturm umzingelten, erklärte der bejtürzte In—
dianer, ein Mann jei allerdings bier eben in
das Haus hineingejprungen und habe die Thür
hinter ſich zugejchlagen, das Hausmädchen aber
nicht zurüdgefehrt, um die Mil abzuholen, -
und er wiſſe Nichts weiter. Da drin mußte er
noch ſtecken.
Dort drinnen alſo, und die Patrouille machte
auch gar keine Umſtände, ſich den Eingang
zu erzwingen. Mit den Kolben donnerten ſie
gegen die von innen verſchloſſene Thür an, daß
das ganze Haus davon erzitterte, und es dauerte
auch gar nicht lange, ſo öffnete jih oben ein
40
Fenſter und Don Pedro felber, aus feſtem Schlaf
aufgeftört, eine weiße Nachtmütze über fein
Ihwarzgelocdtes Haar gebunden, auf die er in
der Eile vergeflen hatte, jah heraus und frug,
was es in’s Himmels Namen gäbe.
„Abra! policia!“ (öffne, Polizei) war aber
bas Einzige, was ihm erwiedert wurde, und daß
ih die Leute da unten nicht auf eine Unter:
handlung einlaffen würden, bewiefen fie ſchon
durch die unausgefeßten und ihre Ungeduld kenn—
zeichnenden Kolbenſtöße. Wenn er aber wirt:
lich nicht gleich. öffnete, wußte er gewiß, daß
fie ihm die Thür einſchlagen würden, womit fie
außerdem jchon bejchäftigt Schienen, und mit dem
reinjten Gewifjen von der Welt flog er mehr als
er ging die Treppe hinab, um die Störenfriede
einzulafien. &8 war einmal Faijerliche Polizei,
und der fonnte er ſich gerade als Hoffrijeur
nicht widerjeßen.
Wenige Minuten jpäter jhob er den Riegel
zurüd und wollte aufjchliegen — aber e8 war
ſchon aufgeſchloſſen, und die Patrouille drang,
während natürlich der Ausgang jcharf bewacht
blieb, in das Haus hinein.
Daß nun ber Fleine Spanier Nidht8 von dein
Flüchtling wiffen konnte, davon waren die Sol—
41
baten jelber überzeugt, denn dieſer hatte jeden
fall8 nur das erjte bejte offene Haus benüßt, um
augenblidlihen Schuß darin zu finden. Der
junge Officier, der die Patrouille führte, ſagte
deshalb auch nur ganz kurz:
„Señor, eben bat fi ein Verbrecher in Ahr
Haus geflüchtet.‘
„In mein Haus? rief Don Pedro bejtürzt,
„aber wie iſt das möglich, es war ja von innen
zugeriegelt.'’
„Das Haus ftand gerade offen, weil das
Mädchen Milch holte — er wird jelber wieder
zugeriegelt haben. Wir müfjen Ihre Wohnung
von oben bis unten durchſuchen.“
„Alle Zimmer?“ frug Don Pedro, der an
ſeine noch nicht angekleidete Frau dachte.
„Alle, das heißt bis wir den Burſchen haben
— entgehen kann er uns nicht, Ihre Azotea*)
iſt doch zugeſchloſſen?“
„Sicherlich und verriegelt dazu. Dahinaus
kann er nicht, wenn er nicht weiß, wo der Schlüſ—
ſel hängt.“
„Nehmen Sie den Schlüſſel gleich an ſich,
damit wir vollkommen ſicher ſind.“
Azotea ‚ das flache Dach des Hauſes, zu dem ſtets
eine Treppe binaufführt.
42
„Aber er hängt in meinem Schlafzimmer.‘
„Gut, dann faffen wir ihn auch. Hat Yhr
Haus noch einen Ausgang nad hinten ?‘
„Rein — wir find vollfommen abgeſchloſſen.“
„Deſto bejjer und nun en avant! Jedes Zim—
mer, was durchſucht it, wird feit verſchloſſen und
der Schlüfjel abgezogen.‘
„Das wird nachher eine jchöne Eonfujion mit
den Schlüjjeln geben,‘ dachte Don Pedro, hütete
jih aber wohl etwas zu jagen und Äußerte nur
— „bitte Herr Hauptmann oder Obriſt — ent:
Ihuldigen Sie, wenn ich Ihren Rang nicht fenne
— das ganze Haus jteht zu Ihrer Dispofition
— Seine Majeftät der Kaijer hat feinen treueren
Freund in Merico als mich.”
„Sehr jhön, monsieur,” nidte der DOfficier,
ohne von den Worten weiter Notiz zu nehmen,
denn ein Theil der Soldaten ſtürmte jchon die
Treppe hinauf, während fich die anderen unten
vertheilten, um ihre Nachforſchungen gleich dort
zu beginnen.
Don Pedro eilte jest, jo rajch er fonnte, zu
dem Schlafzimmer feiner Frau hinauf, um fie
aufzufordern ſich rafch anzuziehen, denn dem
Beſuch entging fie niht — aber er fand bie
43
Thür von innen verriegelt und rief durch's
Schlüſſelloch:
„Oeffne, Cornelia — wir müſſen uns raſch
ankleiden — das Haus wird durchſucht — es
hat ſich ein Verbrecher hereingeflüchtet!“ |
Keine Antwort. Er legte fein Ohr an die
Thür und glaubte, daß er Jemand flüftern höre.
War das Mädchen darin? „Cornelia!“ rief er
nohmals — ‚öffne, liebes Kind — jte werden
gleih auch zu Dir fommen, und wenn Du dann
niht aufmachſt, jchlagen fie die Thür ein —
wahrhaftig, fie thun es!‘
Wieder das Flüſtern — aber weshalb ant:
wortete jeine Frau nicht ?...
„Zwei Mann auf die Azotea!” dröhnte da
die Stimme des Officiers dur) das Haus, und
biejer wandte fich jegt an den, noch immer an
jeiner eigenen Thür Pochenden, um zu erfahren,
wo der Aufgang dazu jei.
„Ja, ih will ja eben hinein,‘ ſagte der un-
glüklihe Mann — „aber meine Frau zieht fich
gerade an und macht nicht auf.”
„And führt Feine andere Thür auf die Azotea,
als durch Ihr Schlafzimmer?‘
„Doch — dieſe bier gleich nebenan — aber
bie ijt von innen doppelt verriegelt.’
44
„Erſuchen Sie die Señora, augenblicklich
zu öffnen,“ rief aber der Officier — „es ſollte
mir leid thun, Gewalt brauchen zu müſſen, aber
ich habe meine Pflicht zu erfüllen.“ |
„Cornelia — Herz — mad)’ auf!“ bat ihr
Gatte; „Du mußt aufmahen — die Polizei,
der Kailer verlangen es!‘
Keine Antwort — e8 war, als ob da innen
eine Thür ginge und wieder geſchloſſen würde,
aber weiter fein Laut, und jeßt wurde der Offt:
cier jelber mißtrauiſch.
„Abra la puerta!’ rief er feinen Soldaten
zu, und er brauchte feinen zweiten Befehl zu
geben. Der erjte Kolbenjtoß, den. der Soldat —
ein breitfchulteriger Burſche — gegen das Schloß
that, jprengte die Thür auseinander, als ob ſie
bon Glas gewejen wäre, und mit einem Auf:
ſchrei flüchtete Donna Cornelia, die unfern davon
ftand, in die entferntejte Ede des Gemachs. Ein
Blick umher überzeugte die Yeute nun allerdings,
daß fih Niemand weiter im Gemach jelber be—
fand, aber mögliche Verftede gab es doch genug,
die alle durdhforjcht werben mußten.
„Wo iſt die Thür zur Azotea?“ frug ber
Officier, ohne bis jeßt von der Dame bie ge-
ringjte Notiz zu nehmen.
45
„Durch diefe Kammer hier, Señor — e8 it
mein Ankleidezimmer — und dann über ben
fleinen Vorplatz,“ rief Don Pedro.
‚Die Thüren find auf —“
„Wohl der Kühle wegen aufgelaffen, Señor,“
fagte Don Pedro, aber doch felber etwas eritaunt,
wenn er fih aud davon Nichts merken ließ,
denn vorher waren jie fejt verjchlofjen gewejen,
und was fonnte jeine Frau dort zu thun haben?
Hatte jie jich vielleiht vor dem Lärm veriteden
wollen? Der junge Officier aber, den blanfen
Degen in der Fauſt, Schritt raſch hindurch, hatte
aber faum den fogenannten Borfaal betreten,
bejjen Thür ebenfalls weit aufftand und von dem
aus eine, aber wie Don Pedro verjichert, doppelt
verriegelte Pforte nach dem Entree führte, als
er feinen Leuten zurief: „Hierher, Kameraden —
bie Thür der Azotea iſt geöffnet — der Vogel
ijt da hinaus; bejeßt das Schlafzimmer — Keiner
hinaus — und ſechs von Euch bier hinauf!‘
Nie ein Wetter jtürmte er die etwas jteile
Stiege hinan und erreichte glei darauf das
offene flahe Dach, das aber mit den übrigen
Dächern jo weit in Verbindung jtand, daß ſich
ein Menjc leicht von einem zum andern jchwin:
gen konnte. Raſch jprang er dort auf eine der
46
angebraditen Bänfe, um einen bejjeren Ueber:
blif nah allen Ridhtungen bin gewinnen zu
können, aber vergebens — nirgends lieg fich ein
lebendes Wefen mehr erkennen — der obere Theil
der Häufer, jo weit er ihn von bier aus über:
ſehen Fonnte, lag leer und öde, und wenn ber
Flüchtige bier hinausgeitiegen, jo hatte er aud
einen Schlupfwinfel gefunden, um ſich zu ver:
jteden — und nad welder Richtung follte man
ihn von bier aus verfolgen?
Der Officier that das Einzige, was er unter
diefen Umitänden thun Eonnte, er ließ zwei
Mann Wache oben und einen dritten an ber
Treppe, um augenblidlih den Alarm zu geben,
wenn Jene etwas Verdächtiges bemerken jollten.
Darnad beendete er jeine Unterfuhung des gan—
zen Haufes von oben big unten, ohne jedoch das
Geringfte zu finden, und das konnte natürlich
feine Laune nicht verbejlern. Er mußte jeine
Soldaten wieder abrufen — nur die Wachen
auf der Azotea jollten noch bleiben, denn es war
ja doch möglich, daß ſich der Flüchtige wieder
hervorwagte; ehe er aber Don Pedro's Haus ver—
ließ, ſagte er mit ſtrenger Miene zu dem kleinen
Spanier, der aber ſo zerſtreut ſchien, daß er die
Worte kaum vernahm:
4
„Señor, die Sache mit der Azotea it ſehr
verdächtig, — (Don Pedro gab ihm darin in
feinem Herzen Recht) ich fürchte, Ihre Frau Ge:
mablin bat jich verleiten lajjen, einem Verbrecher
zur Flucht zu verhelfen — ich werde jedenfalls
die Anzeige meines Verdachtes machen müfjen
und Sie haben das Meitere darüber zu ge—
wärtigen.‘'
„Sehr ſchön,“ jagte Don Pedro — mit feinen
Gedanken ganz wo anders, und der Boden brannte
ihm unter den Füßen, daß nur das Militär
erit das Haus verließe, denn er verlangte mit
feiner Frau eine Privatbeſprechung.
„Den Soldaten auf der Azotea,‘ fuhr dann
der Officer fort — „werden Sie nachher ein
Frühſtück bejorgen, das fie einzeln einzunehmen
haben, um ihren Poſten nicht zu verfäumen —
Vorwärts, marſch — wir können bier vor der
Hand Nichts mehr nüßen.” Damit marjchirte
er mit feinen „Leuten“ wieder auf die Straße
hinaus, wo ſich eine Menge Bolt gefammelt hatte,
um zu jehen, was e8 da gäbe, ließ fie dann in
Reih' und Glied treten und kehrte auf die Haupt-
wache zurüd, um dort Bericht abzujtatten.
Kaum war er fort, als Don Pedro in das
Zimmer jeiner rau trat, dort mit einer furcht—
48
baren Ruhe aus einer Schieblade jeinen Revolver
nahm, und dann mit finjteren Bliden auf bie
Gattin zuging.
„Sornelia — Weib! Wer war der Mann,
mit dem, Du bier geflüftert und dem Du dann
den Schlüfjel zur Azotea gegeben ?‘
Die Frau zögerte einen Moment mit ber
Antwort, ohne jedoch im geringjten Furcht zu
zeigen, denn jie wußte recht gut, daß der Revolver
gar nicht geladen war — überlegte fie erjt, ob
fie leugnen oder eingejtehen follte? — aber
es dauerte nicht lange. Verächtlich die Lippen
aufwerfend, jagte fie: ‚Machen Sie fih nicht
lächerlih, Don Pedro; was weiß ich, wer ber
Mann war. — As das Mädchen, die Suſa,
unten auf der Straße die Milch nehmen wollte,
jprang er an ihr vorüber in's Haus und bie
Treppe hinauf, und ehe ich nur jchreien konnte,
jtand er mit einer großen Piſtole vor mir und
verlangte den Schlüfjel zum Dad. Erjt glaubte
ih, e8 wäre ein Räuber und er wollte meinen
Schmud, als er aber nur den Sclüfjel ver-
langte, gab ich ihn mit Vergnügen hin. Sollte
ih mich des Schlüfjels wegen todtſchießen lajjen ?
Dir wäre es am Ende recht geweſen.“
‚Und woher fannte der Fremde in jolcher
49
Weife Hausgelegenheit, daß er mir, der ich bie
große Treppe hinunterſprang, auf der Fleinen
auswih? — Was hattet Ihr denn zufammen zu
flüftern, als ih vor der Thür jtand und Ein
laß begehrte, heh? weshalb öffneteſt Du nicht,
als Du hörteſt daß ich es jei? — weshalb habt
Ihr geflüftert? frag’ ich.“
„Er ſprach leiſe,“ fagte Cornelia, ſich ſtolz
abwendend, „weil er wahrſcheinlich fürchtete,
draußen gehört zu werden. Glaubſt Du, daß ich
allein mit einem Menſchen, der von der Straße
hereinſpringt und mir die Piſtole auf die Bruſt
ſetzt, ſchreien ſoll? Ich konnte vor Angſt kaum
einen Laut über die Lippen bringen.“
„Und weshalb haſt Du das nicht dem Offi—
cier geſagt, als er bier war — jo daß ich jetzt
noch gar in Verdacht fomme, nicht loyal zu fein,
und weshalb hat die Suja nicht gejchrieen ?
Warum, frag’ ih, Habt Ahr Beide das Alles
heimlich abgemacht?“
„Lege nur den Revolver fort und blamire
Dich nicht,“ ſagte ſeine Frau, ein wirklich reizen—
des junges Weib von kaum achtzehn Jahren —
„ich habe Dir den Grund ſchon genannt, und
gehe jetzt hinunter, denn ich muß mich anziehen.
Fr. Gerſtäcker, In Merico. III. 4
90
Du biſt wohl am Ende gar eiferfüdhtig auf den
Menſchen und glaubjt, er habe weiter nichts zu
thun gehabt, als mir in den zwei Minuten eine
Yiebeserflärung zu machen? Es ijt wahrhaftig
zu abjurd und Du wirft alle Tage unausjteh-
licher.‘
Don Pedro jtedte den Revolver in die Tajche,
drehte jih um, verließ das Zimmer und jtieg
langjam die Treppe hinab. Unten aber traf er
die Suja, die eben im Begriff war das Haus
auszufehren, und ſich ungemein eifrig dabei zeigte.
„Suſa,“ jagte er mit finjter zufammengezo:
genen Brauen, mit der Rechten in der Taſche
noch immer den Revolver haltend, während er
die Linke auf ihre Schulter legte — „wer war
ber Menſch, der heute Morgen in unfer Haus
flüchtete 2°
„kero Señor,“ jagte das Mädchen, ein brau=
nes junges Ding, aber mit verjhmigten Augen,
die fie jett freilich nicht zu dem Herrn aufichlug,
jondern um jo viel eifriger in ihrer Arbeit fort:
zufahren juchte, — „wie fol ich das willen?
ih war jelber erjchroden genug, und er jprang
jo vajh an mir vorüber, und der Gang war
auch fo dunfel — und fie wollten ihn fangen
den armen jungen Menſchen.“
01
„Und woher weißt Du, Suja, daß es ein
junger Mann war, wenn Du in dem bunfeln
Gang Nichts jehen konnteſt?“
Suja wurde blutroth und wußte nicht gleich,
was fie antworten jollte; da nahm Don Pedro
langjam die rechte Hand aus ber Tajche, bielt
ihr den Revolver gegen den Kopf und jagte mit
bohler Stimme:
„Sufa, bereite Did), vor Deinen Gott zu
treten — Du haſt feine zwei Minuten mehr zu
leben. Wer war der Fremde?“
Die Andianerin warf einen ſcheuen Blid
nah ber Bewegung bes Armes hin, erkannte
aber faum die drohend auf fie gerichtete furdht-
bare Waffe, als fie mit einem Aufjchrei vor
ihrem Herrn in die Kniee brach und mit vor
Angſt faſt erftichter Stimme ausrief:
„Gnade, Gnade! Senior, ih will ja Alles
befennen, ob, nur um Gottes willen, tödten Sie
mich nicht!“
„Sage mir dann — wer war ber Fremde?“
murmelte Don Pedro düſter.
„Suja!l Suſa!“ rief die Stimme der Herrin
von oben nieder.
„Wer war ber Fremde,” fagte Don Pedro,
und jeine Stimme Flang geilterhaft — „ich zähle
4%
92
eins, zwei, drei. Wenn Du nicht antworteit,
biſt Du bei drei eine Keiche.‘
„Sula — Sufa! jo fomm doch!“ rief es
wieder.
„Eins — zählte Don Pedro — „zwei —“
„Don Mauricio Lucido,“ jtöhnte das Mädchen.
„Ha!“ rief Don Pedro — ‚er war ſchon
öfter hier im Haufe?’
„Ja —“
„Meine Frau kennt ihn?
—
„Suſa — Suſa — kommſt Du denn noch
nicht, oder ſoll ich Dir Beine machen?“
Don Pedro ſtand vernichtet — er hätte in
dem Augenblick das Mädchen noch viel mehr
fragen können, aber der Kopf wirbelte ihm, und
wie er nur die Hand von ihrer Schulter nahm,
floh das ſcheue Ding wie ein Reh von ihm fort,
die Treppe hinauf. Don Pedro achtete aber
nicht mehr auf ſie — er betrachtete die Waffe
in ſeiner Hand, aber der Revolver war in der
That nicht geladen; ſo ihn wieder in der Taſche
bergend, ſchritt er hinüber in den Laden. Don
Julio hatte dieſen eben geöffnet und war gerade
beſchäftigt Seife zu ſchlagen und ſich ſelber
zu raſiren. So früh kamen ſelten Kunden und
53
er behielt da genügende Zeit für ſich — was im
Hauſe vorging, kümmerte ihn außerdem nicht.
Don Pedro — ſehr häufig etwas feierlich in
ſeinem ganzen Weſen, ſchritt ruhig und ohne an
einen Morgengruß zu denken, zu einem der
Kundenſtühle, die jeder vor einem Spiegel ſtan—
den. Er wählte den, von dem aus er das Bild
der Kaiſerin am beſten erkennen konnte, warf
noch einen langen Blick darauf, ſeufzte tief und
ſagte dann, während er ſeinen Hals entblößte,
mit vollkommen ruhiger Stimme:
„Don Julio, ſeien Sie ſo gut und ſchneiden
Sie mir den Hals ab!“
Don Julio, auf die Worte gar nicht achtend
und am linken Daumen noch das Meſſing—
Seifennäpfchen, ging ruhig auf den Principal
oder Compagnon (man wußte eigeutlich nicht
recht was er war) zu — Don Pedro rührte ſich
nicht — und ſtrich ihm mit dem Pinſel in's
Geſicht. Der Hoffriſeur aber, als er die Seife
ſpürte, fuhr in aller Wuth in die Höhe und ſchrie:
„Siel! um mir den Hals abzujchneiden,
brauden Sie mich doch nicht vorher einzuſeifen.“
„Um Ihnen was —?“ rief Don Julio im
höchſten Erjtaunen aus.
„Den Hals follen Eie mir abjchneiden,‘‘
54
wiederholte da Don Pedro mit der größten Ruhe,
indem er ſeinen Platz wieder einnahm. „Sie
können nachher das ganze Geſchäft übernehmen
und meine Frau heirathen.“
„Sind Sie verrückt geworden?“ rief Don
Julio, in der That mit einiger Berechtigung
aus. — „Was fällt Ihnen denn ein? — was iſt
denn geſchehen? das war ja ein Heidenſkandal
heute Morgen im Haus.“
Don Pedro antwortete nicht; er ſah ſtill und
düſter vor ſich nieder, endlich ſtand er auf,
wiſchte ſich die Seife aus dem Geſicht — ge—
waſchen hatte er ſich noch nicht, und that das
auch nie Morgens vor dem Frühſtück — und
ſagte dann, indem er dem Barbier die Hand auf
die Schulter legte:
„Julio — wiſſen Sie, was es iſt zu lieben
— und verrathen zu werden? Kennen Sie die
Schlange, die ich an meinem Buſen groß ge—
zogen? — Sie heißt Cornelia. Ich gehe jetzt
aus,“ ſetzte er dann ruhiger hinzu — „wenn
Jemand nach mir fragen ſollte; ich komme
vor zehn Uhr nicht wieder nach Hauſe!“ — Und
damit ſetzte er ſeinen breitrandigen Hut auf und
verließ den Laden.
* *
55
Die Sonne neigte fi) dem Horizont, und in
ber Calle Jeſus jtand, wie an jenem Abend, eine
ihlanfe Frauengejtalt in ihren Rebozo eingehüllt
und ſchaute barrend bald die Straße hinab, bald
hinauf — und hatte da viele, viele Abende jo
geitanden. Aber vergebens hordhte jie den klap—
pernden Hufen eines berbeitrabenden Pferdes.
Wenn ja eins fam, fo war es nie das rechte,
und leife und verjtoblen wiſchte fie dann die
verrätheriihe Thräne von den Wimpern.
Und die Sonne ſank — der Himmel färbte
fih in ein dunfles Blau, dem dann raſch jene
bleigrauen Tinten folgten. „Die Sterne funfele
ten nieder und die Nacht hatte ihr Reich be=
gonnen.
„Er fommt wieder nicht,‘ flüfterte das Mäde
hen mit einem recht tief aus der Bruſt hervorge—
holten Seufzer — „arme Mercedes — und dag
jollte die Woche vor. der Hochzeit fein, auf bie
ich mich nun bie langen Monde jo gefreut — hab’
ich denn jo harte Strafe verdient, Santisima ?'
Noch einmal horchte fie hinaus — „Noch bis
hundert will ich zählen, und wenn er dann nicht
ba iſt, kommt er auch heute Abend nicht mehr.
Eins, zwei, brei, vier, fünf, ſechs,“ — immer
langjamer zählte fie, um den Zeitraum recht hin—
96
aus zu dehnen — er fam nit — „hundert“ —
fie Horchte wieder — „hunderteins — hundertzwei,
hundertdrei“ — Die Straße lag todtenftill, und
fejt in ihre Mantille eingehüllt, ſchritt fie durch
das Haus, über den Hof und in ihr dunkles
Kimmerlein. — Aber die Nacht war jo lang —
Ihlafen fonnte das arme Kind ja doch nicht,
denn Angit und Ungewißheit peinigten jie, und
jie zündete fih die Yampe an, um nod) ein wenig
ihre Kleider auszubejjern, oder auch in einem Ge-
betbuche zu lejen, das ihr Geronimo einjt mitge-
bracht.
Die Oellampe verbreitete einen matten, dü—
ſtern Schein in dem Gemach, und wenn ſie den
Kopf manchmal wandte, ſchauderte ſie vor ihrem
eigenen Schatten zuſammen. So ſaß ſie eine
Stunde — ſaß ſie zwei, und das Herz war ihr
ſo voll, ſo ſchwer, daß ſie manchmal ſich auf—
richten mußte, um nur wieder einmal frei und
ordentlich Athem zu ſchöpfen.
Jetzt legte ſie ihre Arbeit zuſammen und
wollte eben die Lampe auslöſchen, als ſie zuſam—
menſchrak, denn es ſchien ihr faſt, als ob ſie
draußen die Hausthür hätte öffnen hören —
— es war Nichts — ſie hatte ſich getäuſcht —
und doch trat ſie zum Fenſter hin und lauſchte
97
hinaus. — Da war ridtig ein Schritt auf dem
Pflafter des Hofes — doch wie viele Parteien
wohnten dort gerade — noch fünf familien aus
Ber ihr — es war jedenfalls Jemand, ber zu
einer von denen gehörte — wer jollte zu ihr
fommen. Sie ſchloß den Laden wieder und
wandte jich auf’8 Neue ihrer Lampe zu, als jie
bis in die innerjten Faſern ihres Herzens zus
fammenzudte, denn mit leifem Finger pochte es
an ihre Thür — deutlich konnte fie den Laut
vernehmen, und nicht zu athmen wagte fie jeßt,
denn jie fürdtete die Wirklichkeit und — fürch—
tete auch wieder, daß e8 in Nichts zerfließen
fünne.
Da nod einmal — jet hatte fie jich nicht ge:
täuſcht — das war ein Finger gewejen, der ihre
Thür berührt — aber wenn Geronimo, weshalb
hätte er jo Schüchtern angepocht, und wer Anders
hätte fie um dieſe Stunde der Naht aufgeludht
— aufjuhen dürfen ?
Einen Moment ftand jie unſchlüſſig — aber
fie mußte Gewißheit haben, und nur mit ihrer
rechten Hand an die Seite fühlend, ob noch das
Heine, aber jcharfe Meſſer in ihrem Gürtel ſtak,
Ihritt fie entjchloffen auf die Thür zu und ſchob
den Riegel zurüd.
98
„Wer ift da? was ſucht Ihr bier jo ſpät?“
„Ich bin es — Rodolfo, Señorita,“ flüfterte
die Stimme zurück. „Seid ruhig — ich habe
Euch eine Kunde zu bringen.“
„Eine Kunde von ihm, von Geronimo?“
„Bſt — nennt den Namen nicht ſo laut,“
ſagte der Sambo, als er jetzt in die Thür trat,
an der ſie ihm Raum gab — „kann ich Euch
auf wenige Minuten ſprechen — meine Zeit iſt
gemeſſen.“
„Tretet ein,“ ſagte Mercedes, aber ſie ſelber
hörte kaum, daß die Worte über ihre Lippen
glitten; der ſcheue Blick, den der Sambo zurück
in den Hof warf, kündete Unheil.
Rodolfo ſchien ſich auch wirklich nicht ganz
behaglich zu befinden, denn wie er nur den Raum
betreten hatte, drückte er die Thür wieder zu und
ſchob den Riegel vor, und faſt unwillkürlich zuckte
des Mädchens Hand nach der Waffe — aber ſie
hatte von dem Burſchen Nichts zu fürchten, denn
wie er ſich nun ſicher im Zimmer fand, warf
er ſich auch auf den einen Stuhl und ſagte dann
wild und verbiſſen:
„Weiß der Teufel, was heute da draußen
los iſt, aber alle Straßen wimmeln von Solda—
ten, und wohin man tritt, begegnet man Pa—
59
trouillen, denen man faum wieder aus dem Wege
ſchlüpft!“
„Woher kommt Ihr — weshalb ſucht Ihr
mich noch in der Nacht auf — wo iſt Geronimo?
wißt Ihr von ihm?“
Der Sambo ſchwieg, er ſah ſcheu und ſtill
vor ſich nieder.
„Redet, Mann!“ bat aber das Mädchen —
„wenn Ihr wüßtet, was ich die letzten Tage
ausgeſtanden, wo dunkle Gerüchte die Stadt
durchliefen!“ |
„Gerüchte? — von was? frug lauernd ber
Sambo, und es war augenscheinlich, daß er jel-
ber jih fürdhtete, mit der Sprade herauszu—
fommen. j
„Gerüchte,“ jagte das Mädchen flüjternd —
„die mich mit meiner dunfeln und furchtbaren
Ahnung gepeinigt haben, Gerüchte von einem vers
ſuchten Ueberfall auf die Boft, von — einem er:
Ichojlenen Dfficier — von —“
„Bon —?“ ſagte lauernd der Sambo.
„Bon — gerichteten Verbrechern, die ihre
Strafe erlitten — Ihr jchweigt? wißt Ihr die
Mahrheit? Menſch, jpannt mich nicht länger auf
die Folter — wo — um ber barmberzigen Mut:
ter Gottes willen — iſt Geronimo ?!“
60
Der Sambo jhwieg nod immer — e8 war,
als ob die Worte nicht über jeine Lippen wollten,
endlich aber — was half es, das Geheimniß län:
ger zu bewahren, denn erfahren mußte jie e8
bob, und deshalb war er ja eigentlich, hierher—
gefommen, fagte er mit leifer Stimme:
„Er war dabei.‘
„Wer? Geronimo!” kreiſchte Mercedes auf.
„Bit — um Gottes willen jeid ruhig, oder
Ihr felber wäret nicht vor dem franzöſiſchen Lum—
pengejindel jiher — ja — Geronimo.”
„Und todt?“
„Todt,“ wiederholte eintönig der Sambo.
„Ich kam zu jpät fie zu warnen,” fuhr er dann
iheu fort — „die Canaillen hatten fi in den
Hinterhalt gelegt, und als ich vorüber wollte,
bielten jie mir ihre Gewehre vor und zwangen
mich, bei ihnen als ihr Gefangener zu bleiben.
Woher fie Wind befommen haben mußten, weiß
der Teufel — ich begreife e8 nicht, aber Gero—
nimo hatte mich bejtellt, und ein Anderer, ein
junger Gaballero, follte no zu uns ſtoßen,
denn wir waren diesmal ſchwach an Mannſchaft.“
„Wie ift fein Name?’ hauchte Mercedes, bie
mit halbgeöffneten Lippen und ftieren Bliden
den Worten gelaufcht.
61
„Was kümmert Euch der Name,‘ brummte
der Sambo — „aber er konnte nicht fommen,
aus irgend weldhem Grunde hatten fie ihn an
dem nämlichen Abend verhaftet, und heute Mor—
gen ijt er, jo viel ich weiß, erjchoffen. Der ganze
Kram ijt verrathen gewefen — durch wen fann
ich jelber nicht ergründen, und ſelbſt meinen
Namen wijjen fie, denn als ich heute Nachmittag
in mein Quartier fam, waren fie dort gewefen
und hatten nad mir gefragt. Da wird's Zeit,
daß ich dem Pla bier Adios ſage!“
Mercedes hörte nicht was er ſprach — die
Worte Fangen ihr nur wie dumpfes Meeres:
braujen vor den Ohren. — Todt — ber eine
Gedanke umfaßte Alles — todt. So ftand fie,
die Hand auf den Tiih geitügt, auf dem die
Lampe brannte, minutenlang vor dem Mann,
und der Sambo jelber wagte nicht das peinliche
Schweigen zu breden, bis endlich eine neue
Frage von ihren Lippen glitt — „und feine
Leiche 2
„Hm! — brummte der Sambo verlegen,
„die Franzoſen, — Hunde die e8 find — wifjen ja
nit, wie jie einen Chriſtenmenſchen behandeln
müſſen — jie hingen die Leihen an den Bäu—
men auf.‘
62
„San-ti-si-ma, jtöhnte Mercedes. Aber es
war zu viel für die Unglüdlihe gewejen, und
ohnmächtig brad fie wo fie ftand zufammen.
Rodolfo jprang wohl zu, aber er fam zu fpät,
um jie aufzufangen.
Er war ein gewöhnlicher gemeiner Banbit,
wie Tauſende feiner Landsleute, und würde ſich
nicht das geringjte Gemwifjen daraus gemacht haben,
einen Fremden um einer Unze Goldes willen aus
dem Hinterhalt niederzufchießen und zu berauben,
und doch trieb ihn jet ein Zug von Mitleiden,
der Unglüdlichen beizujtehen. Mit einer Zart—
beit, die man einem ſolchen Menjchen faum hätte
zutrauen jollen, hob er fie in die Höhe und legte
jie auf ihr Bett, dann nahm er den Waflerfrug,
tränfte ein Tuch mit der klaren Fluth und
fühlte ihr die Schläfe, bis jie wieder zu ſich
fam. — Über Mercedes erholte ji) raſch — der
Schlag war plöglid gefommen und hatte jie
niedergemworfen, aber ihr jtarfer Geijt raffte ſich
empor, und jcheu vor der Berührung des Sambo
zurücbebend, jagte fie:
„Ich danfe Euch — es ift beſſer jegt — mir
wurde es plößlich jo jchwarz vor den Augen —
aber — was war doch gleich gejchehen — ad
mein Gott! vief jie, als jie mit der Erinnerung
63
an das Gehörte von ihrem Lager emporfuhr
— „ich weiß, was Ihr mir fagtet — und die
Leichen ?“
„Den erjten Tag,” fagte der Sambo ſcheu
— „‚getrauten wir uns nicht hinan, denn wir
mochten gerade nicht bei der Arbeit ermwilcht
werden, aber in der nächſten Nacht gewann id)
eine Anzahl Indianer mir zu helfen, und da —
haben wir ihnen wenigjtens ein „ehrliches“ Be:
gräbnig gegeben und ein Holzkreuz zu ihren
Köpfen aufgeſtellt.“
„Wo war es?“
„An den Penuelos.“
„Weit unten?“
„Nein, gleich unterhalb da, wo der Weg
die Biegung macht. Man kann das Kreuz vom
Weg aus ſehen, und die friſch aufgeworfene
Erde zeigt ja deutlich genug das Grab.“
„Und was trieb Euch zu mir?“
„Euch Kunde zu geben von Geronimo's Tod
— denn erfahren mußtet Ihr es ja doch!“
Mercedes ſtand, das Antlitz in den Händen
bergend — Thränen hatte ſie nicht, ihr Schmerz
war zu furchtbar und vernichtend. — Da wieder
pochte ein ſcheuer Finger an den Laden, und
64
Rodolfo jelber fuhr erfchredt empor — was
war das?
„Mercedes!“ flüfterte von außen eine leije
Stimme, „Du haft noch Licht, Mädchen — um
der heiligen Jungfrau willen öffne Deine Thür.‘
„Wer ift das?” flüfterte Rodolfo und fah
das Mädchen jcheu an, aber Mercedes jchüttelte
den Kopf,
„Wer wird es fein? — ein Unglüdlicher,
der um der heiligen Jungfrau willen bittet —
laß ihn ein.’
„Aber zu diefer Stunde der Nacht?‘
„Und bift Du nicht zu bderjelben Zeit ge—
kommen?“ — Sie fchritt zur Thür und ſchob
den Riegel zurüd, aber einen leifen Schrei, einen
Ruf von Shrek, Zorn und Staunen jtieß fie
aus, als fie Mauricio Lucido erkannte, der
todtenbleih, faum noch im Stande fih auf den
Füßen zu halten, bereintaumelte und in die Kniee
zu jinfen drohte.
„Ich kann nicht mehr, ftöhnte er dabei —
„die Verfolger haben mich den ganzen Tag ge:
begt, und eben nur wieder entging ich mit ge—
nauer Noth ihren Reitern — gönne mir ein
Obdach, Mercedes — gönne mir Schuß, oder id)
bin verloren.‘
Das Mädchen hatte fich bei dem Anblic des
jungen Verbrechers hoch aufgerichtet, ihr Auge
blißte, ihre ganze Geftalt hob fi, aber mit
einem plöglichen Griff ihrer Hand das verborgene
Mefler aus feiner Scheide reigend, rief fie aus:
„Wenn mich je in meinem Leben gelüjtet bat,
ven Stahl in eines Menſchen Bruft zu ftoßen,
jo ift es die Deine, Bube. Geronimo war
arm, mühſelig mußte er fein Leben frilten unb
ver Mammon verblendete ihn — er wurde Ichledt.
Du aber, in Glanz und Reichthum erzogen, mit
Allem umgeben, was Dein Herz begehren ober
erhoffen fonnte — Du mußteft auch noch den
Unglüflichen verführen Dir zu helfen, um Mittel
zu Ihaffen, Deinen Laftern zu fröhnen. ort!
binaus mit Dir, Bube, oder mein Gejchrei ſoll
die Nachbarn berbeirufen, daß fie Dich den Ge:
rihten übergeben — Geronimo gehangen und
Du frei — fort, oder beim ewigen und rächenden
Gott — ich felber vergreife mid an Dir I”
„Mercedes! bat Mauricio erichredt.
„Hinaus!“ jchrie aber das Mädchen ganz
außer jih, und der gellende Ton ihrer Stimme
ballte jo über den Hof, daß die Nachbarn in der
That ſchon aufmerkſam wurden und eine Thür
ich öffnete. Dann aber fürchtete — für
Fr. Gerſtäcker, In Merico. II,
— —— DZ
66
ſeine eigene Sicherheit, und Mauricio's Hand—
gelenk ergreifend, flüſterte er ihm zu:
„Kommt — ich führe Euch — ich weiß einen
ſichern Platz.“
„Ich kann nicht weiter,“ ſtöhnte der junge
Verbrecher — „laß ſie mir das Meſſer in's Herz
ſtoßen — was liegt daran — meine Kräfte ſind
erſchöpft und die Straße draußen lebt von Sol—
daten.“
„Nur wenige Schritte noch —“ drängte
Rodolfo — „wir brauchen nicht auf die Straße
— kommt!“ |
„Hinaus mit Dir, Bube!“ ſchrie da wieder
das junge, jet zu rajender Wuth entflammte
Meib — „hinaus jag’ ich!’
Rodolfo antwortete nicht mehr. Seinen
rechten Arm um. Mauricio’s Leib jchlingend, hob
er ihn fajt mehr als er ihn z0g, auf den Hof,
über diejen bin und in den dunfeln Gang —
dort aber tappte er nad) der Treppe, und langjam
und mühjam führte er ihn hinan und höher und
höher hinauf.
Mercedes warf, wie nur die Männer den
engen Raum verlaffen hatten, die Thür in’s
Schloß und ſchob den Riegel wieder vor —
dann aber fühlte fie auch, wie ihre Kräfte
67
von ihr widhen — jie taumelte auf’8 Bett,
und jest erjt, jest, wo fie ſich allein mit
ihrem Schmerz und Elend wußte, jetzt erjt war
das ganze Gefühl ihres Verlaſſenſeins zu voller,
furdtbarer Klarheit in ihr erwadht — jeßt fand
ie Thränen, und ihr Antlig in den Kiſſen ber-
gend, jchluchzte jie laut.
| 3.
Das Unabhängigkeitsfefl.
Der Kaijer feierte heute zum zweiten Mal
das Unabhängigkeitsfejt Mericos in jeinem neuen
Reich; diesmal aber in der Hauptſtadt felber,
und zu dem Zweck war in dem Palacio an der
Plaza de Armas eine große glänzende Geſellſchaft
geladeri worden.
Was die reihe Stadt dabei an brillanten
Toiletten entwideln fonnte, wurde an dieſem
Tage aufgeboten, und man hatte auch wirklich
Urjache, ſich des Feſtes zu freuen, denn es ſchien
jest wirflih, als ob der ganze blutige Bürger:
frieg, der jeit Jahrzehnten auf dem unglüd=
lichen Land gelegen und es ausgejogen, jeinem
Ende nahe.
Die Feinde waren verjagt, und der ganze
*
69
Norden faſt — einzelne Banden abgerechnet,
deren man nicht jo leicht Habhaft werben konnte
— von ihnen rein gefegt; die Situation fing an
fih zu Hären, und Marimilian — wenn er jid)
auch wohl die noch vorliegenden Schwierigkeiten
nicht verhehlte — gewann doch nad und nad)
felber Vertrauen zu jeiner eigenen Sache.
Es war an diejem Tage, bei der Anrede an
pie Verjammelten, daß er die denfwürdigen und
Jeider prophetiſchen Worte ſprach:
„Keine Macht der Welt kann mich in meiner
Pfliht wanfend machen. Ach kann jterben, aber
ih werde zu den Füßen unjerer glorreichen
Sahne fterben, weil feine menſchliche Gewalt im
Stande wäre, mid von dem Poſten zu ver:
treiben, auf den das Vertrauen des Landes mid)
berufen hat.“
Und Marimilian meinte es. ehrlich und treu;
das hat er bis zum lebten Augenblid ſeines
Lebens bewiejen, und die mexicaniſchen Granden
jubelten ihm zu — nicht etwa, weil fie das be=
griffen und mit ihm fühlten, — von al’ Senen,
die dort um ihn waren, hätte wohl fein Zweiter
jo gehandelt — aber weil ihnen die Worte ge—
fielen und jie ſich dachten, daß fie in ähnlicher
Stellung wohl ebenjo geſprochen hätten.
70
Das aber, was das Herz des Fürftenjohnes in
biefem Augenbli bewegte und ihn zwang, in
jeiner Rede inne zu halten, weil er fühlte, daß
ihm die Thränen in die Augen jtiegen — das
lag ihren Herzen fern, und fie hätten ſich nicht
einmal ba bineindenfen, viel weniger denn jo
handeln können.
Das jchien aber auch gar nicht der Zweck der
heutigen Berfammlung, denn zu ernitem Nach—
benfen waren die gepußten Damen und mit Orden
bededten Herren wahrlich nicht hierher gefommen.
Eie wollten ſich amüfiren, und bejonders bie
Damen waren außerordentlich geipannt auf den
weiteren Verlauf, da auch an diefem Tage ge—
rade wieder mehrere Frauen Orden des heiligen
Carlos — wie das Gerücht ging — an bie jchöne
Welt vertheilt werben follten.
Indeſſen hatten fich die Herren bald zu Grup—
pen zujammengefunden, und alle Schattirungen
des großen Reiches — von dem hoben Klerus
an, ber ſich natürlich ebenfalls eingefunden, ob=
gleich er gerade damals mit dem Kaiſerreich auf
geipanntem Fuße lebte, bis zu den Liberalen, die
tbeils im eigenen Cabinet Marimilian’® fun—
girten, theils ihm nod mit den Waffen in ber
Hand gegenüberftanden, aber auch, trog Allem,
1
noch zahlreich in der Hauptjtadt lebten, und ihre
Zeit abwarteten — waren vertreten.
Erzbiihof Labaftiva wie die ganze hohe
Geijtlichfeit in ihrem vollen Ornat itanden in
ber einen Fenſterböſchung mit dem Biſchof von
Puebla und dem von Dajaca zufammen, die beide
zu dem hohen Feſte — und aud wohl zu einer
PBrivatconferenz — herübergelommen.
„Der Kaifer jcheint Vertrauen zu feiner Re:
gierung gewonnen zu haben,‘ fagte leije lächelnd
der Bilhof von Puebla, indem er feinen Blid
nachdenfend über die Verſammlung jchweifen
lieg — „keine Macht der Welt — aber er bat
wohlweislih die Macht Gottes ausgenommen,
und ber wird er ſich doc wohl noch zuleßt beu—
gen müſſen.“
„Iſt e8 begründet, Monſeñor,“ frug ber
Biſchof von Dajaca Labaftida, „daß der Kaifer
einen neuen Boten nad) Rom ſchickt, um ſich dort
jeiner Geſandtſchaft unzujchliegen und einen Aus—
gleich mit dem heiligen Vater zu bewirken?“
„Es ift jo — allerdings,‘ nidte der Erzbi—
ſchof — ‚Seinen Hofcaplan.”
„Und glauben Sie, daß der Etwas ausrichten
wird, ausrichten kann?“
„Quien sabe,“ ſagte der Kirchenfürjt, und
72
fajt wie ein Lächeln zudte e8 um feine Lippen
— ‚für uns fönnte aber nichts Günftigeres ge—
Ihehen, denn bier ift die Entſcheidung nod
nit reif, und bie Frage wird dadurch nur auf
einige Zeit offen gehalten und hinausgeſchoben.“
„Und verjäumen wir nicht Zeit dabei?” frug
der hochwürdige Biſchof von Puebla.
„Señores Obispos,“ ſagte Labaſtida, „Sie
dürfen mir zutrauen, daß ich keine Zeit ver—
ſäume. Unſere Emiſſäre ſind überall thätig und
arbeiten für uns, jetzt mehr als je, gerade an
der Sielle, auf die wir unſere größte Hoffnung
ſetzen — im Capitol zu Waſhington, ja der
Druck wird ſchon fühlbar, der von dort bevor—
ſteht.“
„Aber zu Gunſten des Indianers.“
„Bah! deſſen Termin iſt in wenigen Wochen
abgelaufen, und Sie glauben doch nicht, daß
wir dieſe Marionette, dieſen überall geſchlagenen
und davongelaufenen General Ortega zu fürchten
haben? In wenigen Monaten, ja vielleicht Wo—
chen iſt der Krieg mit Juarez beendet — ich
habe ſogar heute eine Depeſche erhalten, die
ganz beſtimmt meldet, daß er über den Rio-Grande,
alſo über die Grenze gegangen ſei, um nicht den
franzöſiſchen und Mejia's Truppen in die Hände
73
zu fallen. Die Hauptſache ift jeßt, daß wir —
ſobald die Liberalen wirklich volljtändig bejiegt
find — den Rüdzug der Franzoſen aus Merico
bewirken, und darin unterjtüßt uns Seine Ma:
jeftät gewiß. — Dann muß Miramon zurüd,
und ich gebe Ihnen mein Wort, dag wir von
dem Augenblid an auch das Schidjal des Kaiſer—
reihs in unferer Hand halten — aber wer iſt
die junge Dame, mit der fich die — dort
ſo freundlich unterhält?“
„Sie wurde mir vorhin gezeigt,“ erwiederte
der Biſchof von Puebla; „es iſt eine Señorita
aus Mazatlan, die ſich neulich in höchſt eigen—
thümlicher Weiſe hervorgethan, um einen jungen
Herrn aus der hieſigen haute volée als Straßen—
räuber zu denunciren.“
„Ab, Donña Ricarda — ich habe davon ge:
hört,‘ nickte Labaſtida; „ein Kleines intelligentes
Geſchöpf, und wir hätten ung feine al Hilfs:
arbeiterin wünjchen können.“
„Sie hält zu unferer Partei?“
„Vermuthlich — wie alle Frauen, obgleich
ih e8 nicht bejtimmt weiß, aber fie bat ung
durch ihr keckes Vorgehen jedenfalls einen großen
Dienft für jpätere Zeiten geleitet, denn zwijchen
der Regierung und der Partei der Confervativen
74
ijt jeit der YJeit ein entichiedener Mißton ent:
ftanden. Señor Lucido fehlt zum Beijpiel heute;
ih babe mich ſchon vergebens überall nad ihm
umgejchaut.‘ |
„Er ift der Vater des jungen Verbrechers?“
„Ja — man bat ihm jetzt den Proceß ge—
macht, weil er den Wärter beitochen haben ſoll.“
„Wie ich gehört babe, hat ihn ein Geiftlicher
befreit '
„Die alte Geſchichte,“ ſagte Labaſtida achjel-
zudend — „es gejhieht Nichts gegen die Ge-
jeße im ganzen Reih, wo nicht ein Geiftlicher
die Hand im Spiel gehabt haben joll.‘
Der Biſchof von Dajaca, der fich nicht für
den Fall intereffirte, Hatte indefjen ſtill vor fich
niedergejehen und feinen eigenen Gedanken nad:
gehangen; jeßt jagte er, aufſchauend:
„Und wenn die Sache in Rom nun body durd
den neuen Boten eine rajchere Erledigung fände,
als wir es jet glauben und für gut finden?
Wir find nicht aller unferer Leute ſicher.“
„Beruhigen Sie ſich, Senior,‘ fagte Yabajtida
lächelnd, „es gejchieht dort Nichts ohne unjere
Bewilligung.‘
Nicht weit davon, in Eleiner Entfernung,
ftand eine Gejellfchaft vornehmer Herren, die ſich
75
eigentlich nur dadurch auszeichneten, daß fein
Einziger von ihnen allen einen Orden trug. Es
waren unjere alten Freunde Roneiro, Baftiani,
Rodriguez, Zamacona, Almeja und noch mandye
Andere, die eben auch die Rede des Kaifers be-
proben hatten und fih im Ganzen jehr günſtig
darüber Außerten.
„Eigenthümlich iſt es doch,‘ jagte Don Ro:
neiro, „daß gerade der Kaifer, und zwar ein Ab:
fömmling der alten ſpaniſchen Herrſcher, den
Tag jo bejonders. feiert, wo die Macht jeiner
eigenen Ahnen auf dem nämlidhen Boden ges
broden wurde — es will mir nicht recht in den
Kopf.‘
„Ja,“ nidte Zamacona, „komiſch Flingt’s
allerdings, und ich weiß eigentlih nicht, wie
gerade Marimilian dazu kommt — aber hübſch
ift’8, daß er unfere alten Traditionen und Er:
innerungen ehrt, und wird ihm bei Vielen fehr
body angerechnet.“
„Und was meinte er mit den Worten: Keine
Macht der Welt?" fagte de la Barra, der nod
nicht lange zu der Gruppe getreten war. „Ba:
zaine jtand mir gerade gegenüber, jo daß ich ihr
beobachten fonnte, und der fchnittein bitterböjes
Geſicht dabei.‘ |
76
„Die Amerikaner jedenfalls,” erwiederte Ro—
briguez, „denn die legten Nachrichten zeigen deut—
lih genug, daß die Yankees auf unjere Regies
rung neidijch werden.“
‚Bon dort droht ihm feine Gefahr,‘ meinte
der alte Baſtiani Fopfichüttelnd; „die haben vor
der Hand noch genug mit fich felber zu thun,
und werden wohl eine Weile mit den Säbeln
raſſeln. Wenn wir uns hier nur mit unferem
Kaiſer feititelen, dann fünnen wir uns aud
darauf verlafjen, daß wir von Denen Nichts zu
fürdten brauden. Caramba — die Regierung
der Union wird genug mit den dortigen Re:
publiltanern zu thun befommen, als daß jie jich
ber mericanijchen jo jehr annehmen jollte. Das
Einzige, was dort böjes Blut macht, ijt bie
franzöfiiche Intervention, das bewaffnete Ein
treten einer Macht, die von Europa bherüber
ihre Kriegsjchiffe gejandt bat, um einem ame:
rikaniſchen Reich Gejege vorzufchreiben. So:
bald das aber einmal aufhört, hat auch der ame—
rifaniijhe Einjprud nicht mehr viel zu jagen,
denn ich müßte mich jehr irren, aber das ameri:
kaniſche Volk hat jest für eine Weile Krieg
genug gehabt, als daß es felber muthwillig einen
neuen vom Zaun brechen jollte.‘‘
77
Rodriguez war hinüber zu Roneiro getreten,
und ihn etwas bei Geite ziehend, fagte er
leije:
„Alſo Mauricio ijt glüdlich entfommen? Ich
habe wenigitens bis jet noch nichts vom Gegen=
theil gehört.‘
„Wir haben heute einen Brief aus dem In—
nern gehabt,‘ flülterte Roneiro zurüd; „er iſt
außer Gefahr und dem armen Lucido ift ber
furdtbare Tag erjpart.‘
„Man bat ihm den Proceß gemacht.‘
„Bah,“ jagte Roneiro — „das war ein Un:
finn der franzöfiihen Behörden. Kein Menſch
fann ihm Etwas beweifen, und er hat aud in
der That Nichts mit der ganzen Sache zu thun
gehabt — das wird vorübergehen, aber... ich
fürdte für Mauricio. Er iſt in jchlecdhte Ge:
jelfchaft gerathen, und wenn er jo fortfährt, muß
er zu Grunde gehen.‘
„Quien sabe,“ jagte Rodriguez, „junges
Volk macht wohl manchmal einen bummen Streid,,
rafft jich aber troßdem wieder empor. Sch bin
recht von Herzen frob, daß die Sache jo erledigt
ift, nody dazu, da gerade aus meinem Haufe her—
aus, ja ich fönnte jagen aus meiner eigenen
Familie, der Streich fiel, der leicht einen unheil—
78
baren Riß zwijchen zwei alten Freunden hätte
hervorrufen können.” —
Um das Raijerpaar drängten ſich bejonders
die Damen, und Marimilian jelber verkehrte auf
das freundlichite mit ihnen. Er jchien heute in
bejonders heiterer Stimmung; jeine blauen Augen
leuchteten in Glück und freude, und Jedem, mit
dem er jich unterhielt, hatte er etwas Angeneh—
mes oder Freundliches zu jagen.
Der Marſchall Bazaine hatte Schon verſchie—
dene Male verjudht, zu dem Kaijer zu jprechen,
aber wenn ihm bdiejer nicht abſichtlich auswich,
jo traf es ſich doch immer jo zufällig, daß er in
einem ganzen Kreije von Mädchen und rauen
itand, wenn ihm der Marſchall nahte, daß diefer,
ohne entjchiedenen Verſtoß gegen die Etikette,
nicht gut zu ihm gelangen fonnte.
Labaſtida hatte recht gejehen — Ricarda San
Blas war den Herrichaften dur eine der Hof:
bamen vorgejtellt worden und wurde auf das
berzlichite von ihnen begrüßt.
„Mein Liebes Fräulein,“ jagte der Kaijer,
„wenn alle $hre Landsleute eben jo viel Muth und
Entjhlofjenheit zeigten, wie Sie bewiejen haben,
jo würden wohl faum mehr Raubanfälle auf den
Diligencen vorfallen, jo aber lafjen fie ſich fort:
19
während geduldig plündern und das Gejindel be=
fommt dadurch nur Muth.’
„Die beiden franzöſiſchen Officiere wurden aus
dem Hinterhalt verwundet —“
„Ja, ich weiß, Señorita,“ jagte der Kaijer,
und ein finjterer Ausdruck zog über jein Antlig
— „auch hat, wie Sie wohl gehört haben, hr
fühnes Auftreten wenigitens zu dem Reſultat
geführt, daß wir einen Theil der Bande erwiſch—
ten und bejtrafen fonnten. Der Hauptverbrecher
freilih ift, Dank der Unbejtechlichfeit unjerer
vortrefflichen Unterbeamten entwijcht.‘‘
„Wenn ich es Shnen aufrichtig gejtehen joll,
Majeſtät,“ jagte das junge Mädchen, das ſich
nit im geringjten befangen fühlte — „ſo bin
ih den Betreffenden dafür vom Herzen dankbar,
venn als die Zeit herannahte, wo Jemand, der
durh mich den Gerichten überliefert worden, den
Tod erleiden jollte, ergriff mich doch eine ganz
unfagbare Angit, und ich glaube fajt ich wäre
frank geworben und hätte jedenfall$ mein gan—
zes Leben lang ein peinliches nagendes Gefühl
behalten.’ |
„Dann denken Sie, wie mir zu Muthe jein
muß, liebes Fräulein,‘ erwiederte der Kaijer mit
weicher Stimme, „wo id jo manches Todesur—
80
theil zu unterſchreiben gezwungen bin, wenn ich
nicht meinen Pflichten gegen das Land untreu
werden will — aber Gott weiß wie ungern ich
es thue, und wie manche ſchwere Stunde es mich
koſtet.“
„Oh, wie fühl' ich das jetzt mit Ihnen, Ma—
jeſtät,“ ſprach das junge Mädchen bewegt, und
die Kaiſerin, von einer augenblicklichen Regung
ergriffen, trat zu ihr und küßte ſie auf die Stirne.
„Ich wünſche,“ ſagte ſie freundlich, „daß
Sie uns auch draußen auf Chapultepec einmal
beſuchen — wir fehen nicht viel Gäjte bei uns,
benn bie Zeiten waren bis jeßt zu ernſt, aber
hoffentlich fol das von nun an befjer werben.
Halten Sie ſich länger in Merico auf?”
„Wohl nod einige Monate — ich erwarte mei-
nen Bater hier, Majejtät, um mic) abzuholen, denn
ich möchte die weite Reife nicht allein machen.‘
„Um jo mehr möchte ich Sie dann nody in
den nächſten Tagen ſehen,“ ſagte die Kaijerin,
‚da ich ſelbſt auf Tängere Zeit abwejend zu fein
gedenfe — ich gehe, wie es jeßt bejtimmt ift,
nad Yucatan.“
‚Rad Yucatan, Majeftät — in das wilde
Land!’ rief Ricarda bejorgt, „und jo weit von
bier fort.‘
81
„uUnſer Reich ift groß — falt zu groß,” er
wieberte die Kaijerin jeufzend, „und es iſt nöthig,
auch unjeren dortigen Unterthanen zu zeigen,
daß wir an fie denfen — aber ich glaube das
Drdensfeit beginnt, — nein, bleiben Sie in un:
ferer Nähe, Kind,‘ jebte jie lächelnd hinzu, als
fie fab, daß ſich Ricarda mit einer tiefen Verbeu—
gung zurüdziehen wollte — „es wäre doch möglich,
daß wir Sie noch gebrauchten.‘
Der Kaifer war etwas zur Seite getreten und
jah in einem ber Fenſter feinen Minijter Rami—
rez ernſt und finnend ftehen; er näherte ſich ihm
und jagte lächelnd:
„Run, amigo? ſo finjter und nachdenkend?
Sie jheinen die Freude des heutigen Feſtes
nicht zu theilen.“
„Do, Majeſtät,“ jagte der Angerebete, in:
dem er jich mit der Hand über die Stirne ftrid)
— „doch — ich dachte nur gerade an Etwas.’
„Haben Sie eine unangenehme Nachricht ber
kommen?“
„Nein — im Gegentheil. Es ſcheint ſich zu
beſtätigen, daß Juarez wirklich über die Grenze
geflohen iſt, wenn ich dem auch keine große Be—
deutung beilege.“
„Keine Bedeutung?“ ſagte der ee. verwune
Fr. Gerftäder, In Merico. II. 6
82
dert — „und bat es nicht alle Bedeutung für ung,
wenn er das Land verläßt?”
„Wenn er nad den Norditaaten ginge, ja,
Majeität, aber nicht, wenn er feinen Aufent-
halt an dem Grenzfluß genommen und bei drohen:
ber Gefahr einmal überjeßt, um glei darnach
zurüdzufehren. Erſtlich läßt fih das gar nicht
controliren, und dann kann man es, jo lange er
feinen Aufenthalt noch auf mexicaniſchem Bo—
den hat, auch fein Verlaſſen des Landes nennen.”
„Und was hatten Sie ſonſt noch auf dem
Herzen ?''
„Ich möchte Majeftät Heute nicht mit Ge:
ſchäften behelligen.“
„Und betrifft es geſchäftliche Dinge?“
„Eigentlich nicht — es iſt mehr ein Gnaden—
geſuch.“
„Dann unbedingt heraus damit! Wen be—
trifft es?“
„Porfeirio Diaz.“
„Und was verlangt er?“
„Er bittet darum, aus dem Fort Guadelupe
und aus den Händen der Franzoſen heraus, die
ihn, wie es ſcheint, nicht beſonders behandeln,
nach Puebla gebracht zu werden.“
„Ich habe ihm ja das Anerbieten machen
8
lafien, auf Ehrenwert frei zu jein,‘ ſagte der
Raifer.
„Das will er nicht annehmen,‘ erwiederte
ahjelzufend Ramirez, „er fönne jih nicht bin:
den, nie wieder für jein Vaterland die Waffen
zu ergreifen.”
„Diaz ijt ein Ehrenmann,” nickte der Kaifer.
„Das ift er, Majeftät,‘‘ bejtätigte ver Mi-
nifter, „und ich würde unfer Reich für gefichert
halten, wenn ich ihn gewinnen könnte.“
„Aber es ſcheint nicht möglich ?'
Ramirez jchüttelte den Kopf. ‚Nein, Maje-
ftät, erift entjchiedener NRepublifaner, wenn aud)
fein Freund von Juarez, und wird feine Mei:
nung nic ändern.‘
„Haben Sie mit Bazaine über fein Geſuch
geſprochen?“
„Ja — der Marſchall iſt entſchieden dagegen,
denn er behauptet, nur im Fort ſelber könne er
für die Sicherheit gerade dieſes Gefangenen
haften, und es hätte Mühe genug gekoſtet ihn
zu bekommen.“
„Er hat vielleicht Recht,“ ſagte Maximilian,
„aber die Schufte laſſen ſie mir entkommen und
die ehrlichen Leute wollen ſie abſolut feſthalten.
Ich will, daß Porfeirio Diaz' Wunſch erfüllt
6*
84
werde, ih — möchte ebenfalls nicht franzöſiſcher
Kriegsgefangener ſein. Er joll nad Puebla ge:
Ihafft und gut behandelt werden, verjtehen Sie
mich — nur ftreng bewacht, wenn er jein Ehren—
wort nicht geben will, aber gut behandelt, denn
wir müſſen den Herren zeigen, daß wir aud
bie Feinde ehren, wenn jie fich tapfer und
wader benehmen, und das hat der General bis
jegt entſchieden gethan.“
„Befehlen Majeſtät, daß ich eine Ordre da—
hin veranlaſſen ſoll?“
„Ja — und ſobald als möglich. — Vom
Norden haben Sie keine nähere Nachricht?“
„Vom Kriegsſchauplatz, Majeſtät?“
„Nein, ich meine aus den Staaten.“
„Keine, als die letzte Botſchaft, die ſich aller—
dings ſehr entſchieden über uns ausſpricht.“
„Bah, laſſen Sie die' Herren ſprechen! Wenn
wir nur hier handeln, haben wir ſie nicht
mehr zu fürchten, und ich glaube, wir ſind
dazu auf dem beſten Weg. — Aber ich muß zur.
Kaiferin — fie jieht ſich jchon nah mir um.
Alfo vergeflen Sie die Ordre nah Puebla
nicht.‘ —
Die Ordensfeier begann jegt — der Kailer
vertheilte jelber einige Orden an jeine Officiere
85
jomohl, ale aud an verjchiedene Diplomaten und
Givilperjonen.
Auch die Kaijerin vergab den Orden des hei:
ligen Carlos heute wieder an einzelne Damen,
bo fiel die Vertheilung viel ſpärlicher aus als
das erjte Mal, und es jchien fait, als ob jie mit
der Würde zu geizen gedenfe, wodurd jie dann
ja auch einen um jo höheren Werth erbielt.
Zulegt winfte die Kaijerin freundlich der
Heinen Ricarda, die unfern davon ftand und fich
an dem Schauspiel erfreut hatte. Charlotte hielt
den Orden in der Hand und jagte lächelnd:
„Señorita San Blas, für Sie babe ich dieſe
legte Decoration aufgejpart, als ein Zeichen,
dag wir, der Kaifer und ich, zu fchäßen wiſſen,
wie muthig und rechtlich dabei, jelbjt Rang und
Einfluß nicht fürdtend, Sie ſich in einer ſchwie—
rigen Lage benommen haben. Tragen Sie bdieje
Auszeichnung als Erinnerung an uns, wenn Sie
in Ihre ferne Provinz zurüdfehren, und bewahren
Sie ung immer ein freundliches Angedenken.“
„Majeftät! rief Ricarda, deren Wangen erit
erbleichten, bis fie fich plöglich mit Purpurröthe
färbten, ‚aber wie fomme id) armes Mäbchen
zu dieſer Ehre?‘
Wieder bog fi die Kaijerin zu ihr nieder
86
und füßte ihre Stirn, und als fie von ihr zu:
rüdtrat, wurde Ricarda jo von ihren Freundinnen
umringt und mit Glückwünſchen überjchüttet,
daß ſie gar nicht zu Athem fam und ſelbſt ver:
gap der hohen Frau zu banken.
Rechts davon, aber ebenfall8 abgejondert von
ben Uebrigen, ftanden ein paar Herren, die früher
entichieden zur liberalen Partei gehörten, ſich
lange gegen das Kaiſerthum gewehrt, jetzt aber
auch ihre Unterwerfung unter die beſtehenden
Berhältnifje erklärt hatten. Beide waren Prä:
fecten in Tamaulipas, und jet nur nach der
Hauptjtadt gefommen, um in ihren Aemtern als
Faiferliche Unterthanen bejtätigt zu werden. Daß
jie den Eid dabei leiften mußten, binderte fie
nicht bejonders. Kehrte Juarez wieder zurüd
oder wurde dieje Regierung gejtürzt und von
einer andern erjeßt, gut, dann fügten jie ſich
der mit Vergnügen und all’ der Bereitwilligfeit,
die fie der jegigen zeigten. Die Hauptjahe war
eben nur, daß fie Präfecten blieben.
Beide hatten übrigens etwas Aehnliches noch
in ihrem Leben nicht gejehen, und jie betrachte-
ten das glänzende Schaujpiel mit ftiler Bewun:
derung.
„Hm, ſagte endlih der Eine — „Com—
87
pañero, die Sache iſt eigentlich gar nicht jo übel.
Wie viele glüdlihe Menſchen macht heute der
Kaifer mit ſolch' einem Stückchen Band oder
einem Stern, und wie wenig fojtet das! Wenn
Juarez zurüdfommt und geſcheidt ift, führt er
das ebenfalls ein.‘
„Und glaubft Du, daß Juarez wirklich *
einmal hier in den Palaſt einzieht?“
„Quien sabe — unglaublichere Dinge ſind
ſchon geſchehen, und wundern ſollt' es mich gar
nicht. Dreimal haben ſie ihn ſchon aus Chihua—
hua hinausgejagt, und immer war er wieder da.“
„Wo er nur die Soldaten herkriegt!“
„Jetzt wirbt er ja oben in den Vereinigten
Staaten, und nach dem blutigen Krieg, den ſie
dort vier Jahre geſchlagen, läuft Geſindel genug
an der Grenze herum. Kennjt Du Benroſa?“
„Den Arriero? gewiß.‘
„Run der Fam gerade von Paſo del Norte
herunter und war beiihm. Gewehre und Muni:
tion und Alles, was er haben will und nöthig
bat, liegt ihm ganz bequem auf der andern
Seite vom Fluß. Er braudt nur zu bezahlen
und berüber zu jchaffen. Kanonen haben fie ihm
ſogar ſchon geichieft, und Soldaten von dort ber
jollen fich bei ihm in Maſſe anmwerben lafjen.‘
88
„Caramba, dann geht's auch bald wieder los,
und wir hätten am Ende bejjer gethan, die Furze
Zeit Urlaub zu nehmen.’
„So lange die Franzoſen im Lande find, kön—
nen fie Nichts machen,’ jagte kopfſchüttelnd der
Sreund, „und jo lange find wir vollfommen
jiher — ſobald aber die einmal abziehen und
wir Luft befommen, erkläre ich mich augenblid-
lich wieder für die Republif.’
„Und weshalb glaubit Du, daß fih das
Kaijerreich nicht halten kann?“
„Weil es nicht für uns paßt,‘ jagte fein
älterer Geführte — „das mag recht gut in einem
andern Land jein, wo ſie's jo von Klein auf
gewohnt gewejen, aber wie ich hier ſchon bei
den Beamten herum gehört habe, jo ijt Keiner
recht zufrieden, denn der Kaiſer best und treibt
in einem fort, und es jol Alles gleich auf ein-
mal fertig werden. Das geht bei uns nit —
das mag er von daheim gewohnt fein, aber wir
in Merico find gar nicht in jolder Eile und
fönnen’s ruhig abwarten. — Und wie werden
die Soldaten mit Ererciren gejchunden, wozu?
Wenn fie nur einen Berg hinauflaufen und rich
tig Schießen können, weiter brauden jie bei ung '
Nichts. — Und dann will er mit den paar Gene:
89
ralen ausfommen! — Ave Maria, Yuarez bat
nit den zehnten Theil von den Soldaten und
gewiß fechsmal mehr Generale, denn das cifert
die Mannſchaft au mehr an. Und was jollen
die Leute nicht Alles können, die er anjtellt.
Das geht nit, amigo — ja vielleicht cine
Weile, aber zulegt Eriegen ſie's Alle jatt, und
dann iſt's auf einmal vorbei. Nein, die Haupt:
\ahe bleibt, daß wir uns den Rüden decken,
und das denk’ ich denn auch jedenfalls zu thun.
Wer ijt denn der alte Herr, mit dem der Kaijer
jegt ſpricht?“
„Das ift ja der frühere General von Juarez,
der alte Vidaurri.“
„Der iſt's? Na, in deſſen Haut möchte ich
auch nicht jteden, wenn ihn Juarez einmal er:
wiſcht — iſt doch ein verwünjcht gefährliches
Spiel, was die Leute da mit einander treiben.‘
Der Kaijer hatte ſich eine Weile mit Vidaurri
unterhalten, jegt ging er nach der andern Seite
des Saales hinüber und begegnete dba wieder
Fernando NRamirez.
„Ad Ramirez, beantworten Sie mir doch eine
Frage.“
„Majeſtät?“
„Glauben Sie, daß Porfeirio Diaz — wenn
90
er jetzt entkäme — wieder ein Heer auf die Beine
brächte und gegen uns zöge?“
„Wenn's keinen Präſidenten und keine Re—
publik mehr giebt, gewiß nicht, Majeſtät — ich
glaube nicht, daß General Diaz gerade einen neuen
Bürgerkrieg beginnen würde — im andern Fall
aber gewiß.“
„Hm,“ nickte Maximilian leiſe und nad:
denkend vor ſich hin — „wir müſſen doch ſehen,
daß wir ihn auf unſere Seite ziehen,“ und Ra—
mirez zunickend ſchritt er weiter.
An die Feier*) im Palais knüpfte ſich aber
natürlich auch eine andere in der Stadt, denn
das mericanifhe Volk läßt fich ſolche Gelegen-
beiten nie entgehen, wo es Feſtzüge veranjtalten
und Feuerwerk abbrennen fann. Reden werden
dabei vom Volke nicht gehalten, und getrunfen
wird auch nicht jo viel, außer in den Pulquerien,
denn eigentlih unmäßig kann man die Meri-
*) Es ift in der That eigenthbümlih, daß Kaijer Maxi—
milian den 16. September als Unabhängigkeitsfeft feierte, denn
das ift gerade der Tag, an welchem im Jahre 1823 der Fall
Sturbide’s, des letzten Kailers, entjchieden wurde, und man
war in den letten Jahrzehnten gewohnt gemwejen ihn nur in
diefem Sinn zu celebriren. Marimilian ſprach allerdings ent-
fchieven aus, daß der Tag dem Ausbruch der erften Revolu-
tion gegen das ſpaniſche Joch gelte.
91
caner nicht nennen. Nur der Indianer trinft
jih zuweilen einen Raujch in dem Agavenjaft an.
Die Feuerwerke beginnen übrigens in Merico
jowohl, wie in allen ſüdamerikaniſchen Re:
publifen jchon ſtets am hellen Tag, denn das Volf
fann es nie erwarten, und zahlloſe Raketen
wurden deshalb der Sonne jelber in's Gejicht
geworfen. Was that’s, day man ſelber nicht viel
davon jah, man hörte doch den zijchenden Strahl,
der in die Höhe jchwirrte, Hoch oben in einem
Knall endete und dann ein Fleines weißes zer:
fließendes Wölkchen in der blauen Luft zurück—
ließ. Das war vollfommen genügend, um ſich zu
amüjiren.
Eine Mafje Raketen und bengalijche Feuer
wurden aber auch für den Abend noch aufge:
ipart, Jund außerdem ergingen ſich die unteren
Klafjen des Volfes in zahlreihen Aufzügen, in
denen fie wirklich Außerordentliches leijten.
Die Mericaner lieben, wie ſchon im Eingang
erwähnt, bei folhen Feten fehr die Allegorie
und zeigen darin nicht jelten viel Geſchmack. So
findet man reizende Aufftellungen von Wachs—
figuren, die allegorifch bald ganz Amerika, bald
Merico allein, bald die Freiheit darjtellen und,
von Fahnen ummeht, bald mit Maffen, bald mit
92
Füllhörnern und Landesprobucten jo geſchmack—
volle als ſinnig gedachte Gruppen bilden. Bei
ihren Feſten fehlen jie aber nie, und jedenfalls
muß es gewifle Requijiteure geben, die, wie für
ein Theater bejtimmt, alle derartigen Dinge, wie
Kleidung, Waffen, Symbole, jelbjt phantaftifche
Tuhrwerfe, vorräthig haben und dann zu be—
jtimmten Zeiten ausleihen.
Ein jedenfalls jchon jehr oft und zu den ver—
ichiedeniten Zwecken benußter Mufchelwagen, das
heißt ein Fleiner auf Federn liegender Kajten,
dejien oberer Theil eine rieſige, nachgeformte
Muſchel bildete, trug auch heute wieder die Haupt=
figuren, und zwar das Kaiferpaar jelber — ein
paar Fleine Kinder, die man als Kaifer und
Kaijerin, wenn aud im Kleinen, aber wirklich
täufchend ähnlich nachgebildet hatte. Beſonders
gelungen war auch der blonde, vorn getheilte
Bart, den der Fleine Burjche mit großer Würde
trug, und die Fleine Kaiſerin grüßte, während
das Volk das phantaftiiche Fuhrwerk umjubelte,
huldvoll nach allen Seiten,
Es versteht jih von jelber, daß ber Magen
mit mericanijchen Flaggen drapirt war, über dem
Paar aber, durh eine eijerne und gebogene
Stange befeftigt, jchwebte die Göttin der „reis
93
heit in einem langen weißen Kleid .mit einer
Krone auf dem Kopf, in der redhten Hand eine
mericanifche Fahne, in ber linfen einen Xorbeer:
franz haltend.
Lärmende Mufif zog vorher, und beleuchtet
. wurde die bunte wunderliche Schaar der Leperos,
die den Zug umbrängte, durch zahlreiche quals
mende Kienfadeln, die den Wagen rings um:
‚gaben und ihr rothes, fladerndes Licht auf ihn
warfen.
Sp wandte jich der Zug, dem fich bald an:
dere Fleinere anjchloffen, zuerft vor den Pa—
lacio, bielt dort, und donnernde „Vivas Mari:
miliano, viva Carlota!“ tönten und lärmten jo
lange durch die Nacht, bis das Kaiferpaar ge—
jwungen war ſich auf dem Balcon zu zeigen und
allerdings durch dieſes Schauſpiel überrajcht
wurde. — Es hat jedenfalls etwas Eigenthümliches,
oben an einem Fenſter zu ſtehen und ſich ſelber
unten in einem Wagen ſitzen zu ſehen, und der
Kaiſer ſelbſt lachte herzlich. Die Kaiſerin ſchien
ſich weniger darüber zu freuen, aber beide
dankten huldvoll herab, denn ſicherlich war das
Ganze doch gut gemeint, und dann ſetzte ſich der
Zug wieder in Bewegung, um wenigſtens die
Hauptſtraßen der Stadt zu durchziehen.
94
Vebrigens verlief das ganze Feſt ohne die
geringjte Unordnung, denn wenn man es auch
wohl gern zu einer Demonjtration gegen bie
überall gehaßten Franzofen benützt hätte, jo wagte
man das doch nicht auf offener Straße. Gerade
die Franzoſen hatten damals noch die volle
Macht in Händen. — Sn einzelnen, ausjchließ:
lid von Mericanern beſuchten Bulquerien, in
denen man eine kleine Schaubühne impropifirt
hatte, mußte freilich die franzöfiiche Nation an
dem Abend zu Spott: und Zerrbildern die Fi—
guren liefern, ohne daß es jedoch weitere Folgen
gehabt hätte, als daß man darüber ladte und
dann ruhig nad) Haufe ging.
Die mericanifche Nation iſt blutbürftig in
ihren Kriegen, aber nie zanf- oder jtreitfüchtig
bei ihren Feſtlichkeiten.
4.
Der Xeberfall bei Holedad.
—
In den nächſten Tagen des September (65)
gelangten nur Siegesnadhrichten nad) der Haupt
itabt, denn während bie faiferlich mericanifchen
wie franzöfiihen Truppen mehr und mehr nad)
dem äußerſten Norden binaufrüdten, zeigte es
jih, daß es Fein Heer mehr dort gebe, um fi
ihnen entgegen zu jtellen, und Juarez entweder
einen Zufluchtsort in den Gebirgen gejucht, oder
— Merico ganz verlaſſen habe.
In der Hauptitadt folgten ſich Feſt auf Feſt,
jo am 20. die Enthüllung ber einfachen, aber
hübſchen Statue des Befreiers von Merico, Mo-
relos’, auf der Fleinen Plaza Guardiola — Mo-
relos, der arme Dorfgeiftliche im Prieiterrod,
aber mit dem Schwert in der Hand — e8 war
96
der hundertſte Geburtstag beflelben — und wie
drängte fi) das Volk bei dieſer Gelegenheit um
den Kaiſer, in dem bejonders die Armen und
bisher Gedrückten ihren Beſchützer erfannt hatten
— wie jubelten die Mafjen ihm zu! War es da
ein Wunder, daß er fih als den „Ermwählten
des Volkes“ betrachten mußte, und find unjere
Fürſten daheim weniger von ihrer Unfehlbarfeit
überzeugt, wenn jie fi von Jugend auf von '
Menſchen umgeben fehen, deren einziger Beruf
es ijt, jie in die Wolfen zu heben und vor ihnen
zu kriechen?
Bazaine indefjen, mit faum überjtandenen
Flitterwochen, befam es fatt, ewig mit feiner
Armee hinter einzelnen Banden herzuhetzen, bie
bald da bald dort auftaudten, und — je ver-
zweifelter die Sache ihrer Partei jtand, deſto
graufamer und raubluftiger auftraten. Das war
fein Krieg mehr mit einem geordneten Heer,
das man bejiegen oder von ihm gejchlagen werden
konnte, das waren nicht weiter al8 Gensbarmerie-
fampfe mit Räuberbanden, und mehr und mehr
drängte er jetzt die Minifler, ein ſchon lange
entworfenes und von dem ganzen Minijterium
durchberathenes Decret, als dejjen Urheber man
mit recht gutem Gewiſſen ihn allein betrad:
ten fann, dem Kaifer zur endlichen Unterichrift
und Inkraftſetzung vorzulegen.
Aber nody immer, jo oft ihm auch ſchon da—
von geſprochen war, hatte ſich Marimilian da—
gegen gefträubt, e8 zu unterzeichnen — er kannte
den Inhalt, ja er hielt ji auch für ein ſolches
Decret jogar in feinem vollen Recht, denn ein
noch viel jchärferes hatte Juarez jelber im Jahre
1862 erlaffen und mit voller Strenge häufig
ausgeführt, aber er fürdhtete, daß er dann Feine
Gontrole mehr, weder über feine mexicaniſchen
noch die franzöliihen Truppen haben, und alles
vergofjene Blut nur diefem Gejege zugejchrieben
werden würde.
Bazaine wünjchte es hauptſächlich, einestheilg
ſowohl um mit dem wirflihen Raubgeſindel fer—
tig zu werben, das fih nur noch Dijfidenten
nannte und unter dem Schuß eines ehrlichen
Namens alle nur erdenkbaren Schandthaten ver-
übte, und andererjeitS auch um das Volk ein-
zufhüchtern und zu verhindern, daß es noch
immer wieder von Zeit zu Zeit fi) unter Juarez'
oder irgend eines andern republifaniichen Füh—
vers Fahne jammle, wodurd es den Krieg end:
[08 machte.
Das Minifterium, das damals fat nur aus
Fr. Gerftäder, In Merico. III. 7
38
liberalen &lementen beitand, ſah auch gar
nicht etwa eine außerordentlihe oder zu grau:
jame Mapregel darin, und der ganze Widerftand
dagegen lag nur allein noch in dem für Merico
fajt zu weichen Herzen Marimilian’s. Aber jchon
fühlte er jelber, daß er endlich nachgeben müſſe,
und als ſich die Unbilden bäuften, als fich ber:
ausjtellte, dag in dieſem Augenblick wirklich
nur noch Banden das Land burdjitreiften, bie
wohl auf den Namen von NRäubern, aber nie
auf den von Soldaten Anſpruch machen fonnten,
da gab er feine Juftimmung zu dem am 3. Ok:
tober von jeinem Minijterium erlaffenen Decret
— ohne e8 aber noch zu unterzeichnen. Bazaine
wollte es augenbliklih hinausgeſandt haben,
aber der Kaijer, der jich die ſchweren Folgen
defjelben nicht verhehlte, juchte das noch hinaus
zu jchieben. Es follte gefhehen — ja — e8
mußte erlafien werden, er ſah das jelber ein,
aber — er wünſchte es doch noch auf einige
Zeit hinaus zu zögern.
Die Eijenbahn von Vera-Cruz nad der
Hauptitadt war in Angriff genommen, aber bie
jest erjt die kurze Strede dem Berfehr über:
geben, welche die Franzoſen nach ihrer Ankunft
von Vera:Eruz nad Soledad gebaut, um ihren
99
Truppen den furdtbar bejchwerlihen Mari
dur die Sümpfe der Tierra Galiente oder bes
beiken Landes zu erfparen, wie auch um fie raſch
aus dem vom gelben Fieber heimgeſuchten Di:
ftrict der Küfte zu fchaffen. Ebenſo konnten fie
nur mit Hilfe diefer Bahnſtrecke darauf rechnen,
Kriegsbedarf und Lebensmittel in das höhere
Land zu Schaffen, denn ein Transport bdiefer
Gegenftände wäre in der Negenzeit durch bie
Sümpfe zur Unmöglichkeit geworden.
Es giebt faum einen praditvolleren Pflanzen
wuchs, aber auch kaum ein wilderes Terrain als
diefe Strede, und fo wundervoll die Ausficht
nad beiden Seiten bes Weges ift, wenn man
im bequemen Eiſenbahn-Coupé bindurdfliegt,
jo undurchbringlich zeigen fi oft die Sümpfe
für den Wanderer, der durch Schlamm unb
Schlingpflanzen, von Inſecten gepeinigt, von
giftigen Neptilien bedroht, feine Bahn da hin:
dur juchen müßte. Trocdene Stellen höher ge—
legenen Landes finden fich aber troßdem hier
und da. In allen Ebenen, mögen fie von Bäu—
men bewachfen fein oder ſich zu ungebeuern
Llanos oder Prairien ausdehnen, ift das Land
ſtets wellenförmig, und wie ſelbſt das Meer
feine vollfommen ebene Fläche kennt, und fich
7*
100
bei wodenlanger Windſtille jogar in langjamen
wohl, aber mächtigen Dünungen hebt und be-
wegt, jo zeigen ſich aud auf dem feiten Land
der niederen Dijtricte jtetS höhere Streifen, die
es nad bejlimmten, der Tage angemefjenen Rich:
tungen durchziehen.
Auf diefen Strihen halten fi dann in der
Wildniß, jo lange die Regenzeit dauert, die Thiere
des Waldes, und auf ihnen fiedelt jich der Menſch
an, wenn er jich einen Pla zu einer Wohnung
judt. — Auf diejen Strichen ziehen jih auch
die Verkehrswege hin, die einen Diftrict mit dem
andern verbinden, und ſchmale Pfade, mit dem
Mefjer oder der „Macheta“ ausgehauen, führen
dann gewöhnlich auf Streden hin, die grünen
Bogengängen gleihen und von wehenden Bal-
menfronen und dicht ineinander verwachjenen
und mit prachtvollen Blüthen bedeckten Schling =
pflanzen überwuchert jind.
Auf einem jolhen Höhenftrich, der quer durch
den weiten Sumpf führte und von pradtvollen
Bäumen bejtanden war, hatte früher eine Kleine
indianiiche Anjievelung gelegen, von der aber
jegt nur noch einzelne Pfoften einer dort er:
richteten Hütte Kunde gaben. Der Boden war,
wie überall in. diejen Striden, auperordenilich
101
frudtbar, und der jung aufgewachjene Urwald
rings umber zeigte deutlich, daß da auch früher
ein ziemlich ausgedehntes Stüd Land urbar ge—
macht worden — aber da fam die Seudhe — die
Frau ſtarb und zwei der Kinder, und ber In—
bianer, in abergläubiicher Scheu, verließ fein
mit Schwerer Arbeit bergelitelltes Beſitzthum, um
an einem neuen, noch nicht durd) den Tod ent:
weihten Plaß von vorn zu beginnen.
Wir daheim verlaffen nur wenn wir müſſen
und mit jchwerem Herzen die Gräber unjerer
Lieben — der Indianer in Südamerifa, wenn
er das ihm Liebſte hat begraben müſſen, meibet
den Platz für immer, weil er fürchtet, daß böje
Geifter über der Stätte ſchweben.
Der Pla& war jebt zur Wildniß zurückgekehrt,
und wäre lange wieder mit Palmen und anderen
breitblätterigen Schößlingen überwuchert worden,
aber die Linie des franzöfiichen Angenieurs, der
ih die Bahn zu den Höhen fuchte, führte ge—
rade hindurch, und breit ausyehauen dehnte ſich
die Strede, die gegen Weiten führte.
Wie till und öde aber auch ſonſt der Platz
gelegen und nur dann und wann einmal für
Momente belebt wurde, wenn der Zug vorüber:
braufte und feine häßlichen Rußflocken hinein in
102
die Wipfel der Palmen jtreute, jo lebendig zeigte
er fich heute, denn aus der Wildniß, dem faum
noch erkennbaren Pfad folgend, den die Hand
des Menſchen meijt durh das Dickicht ausge-
Ihlagen, brang es hervor in bunter, wilder
Scdaar.
Die Guerilas Mericos, wie jie jih nann—
ten, aber faſt nur Raubgejindel, der verdorben—
ten Menfchenrace angehörend, famen dort heraus,
mit zerfegten Hüten und Kleidern, mit alten Se:
vapen und bloßen Füßen, aber mit Musteten
bewehrt, mit Revolvern beſteckt und die wunder:
lihjt geformten Säbel, Pallaſche, Degen oder
aud) gewöhnliche Machetas unter den linfen Sats
teldeden.
Das waren die Schwärme, bie fih einem
jtehenden Heer entzogen, weil fie jih in feine
‚Ordnung finden fonnten. Das waren die Patrio—
ten, die jegt in Juarez’ Namen plünderten, weil
ihnen der Kaijer nicht gejtattete, es in dem jei-
nigen zu thun — Menſchen aus der unteriten
Hefe, nicht des Volkes, nein, der menschlichen
Geſellſchaft — Mandye von ihnen mit jelbjt ge—
machten Generalsrang und goldenen Epauletten,
aber nichtS weiter als gemeine Straßenräuber
und Mordbrenner, und wenn jie die Fremden
103
haßten, war es nur allein deshalb, weil dieſe
ihre Wege freuzten und Ordnung in ein Land
bringen wollten, das gerade nur in der Anarchie
zu athmen ſchien.
Als ſie, aus dem Dickicht hervorbrechend, die
Bahn erreichten, hielten die Erſten mit ihren
Pferden an und horchten aus, ob ſie noch nicht
das Raſſeln des nahen Zuges vernehmen könnten,
aber Nichts war zu hören als der ſchnarrende
Laut eines Volkes Guacharakas — des mexica—
niſchen Faſans, das ſich unfern davon in ſeiner
geräuſchvollen Art den beſten Sitz in den Zwei—
gen eines Baumes ſtreitig machte, oder vielleicht
ein Schwarm von Papagaien, der mit ſcharfem
Flügelſchlag über die Baumwipfel dahinſtrich. —
Und mehr und mehr traten in den Sonnenſchein
der Lichtung, denn drinnen im Walde herrſchte
tiefe Dämmerung, bis ſich etwa hundert Reiter
auf kleinen und zähen Pferden dort verſammelt
hatten. — Und mehr und mehr folgten dieſen
zu Fuß — wilde Trupps, einer nach dem andern
drängte jih heraus — gelbbraune Gejichter,
die wochenlang Fein Wafjer gejehen und den
Begriff von Seife gar nicht Ffannten. — Neger,
das weiße Auge vor innerlicher Luft rollend,
denn ein ganz bejonderes Vergnügen erwartete
104
fie hier, Sambos und alle Mijchlingsracen die—
jer Länder, mit nur wenig wirflid Weißen da—
zwiichen, aber fajt feinem einzigen Vollblut: $n:
bianer, jo drängten fie hervor, mehr und mehr,
bis jie den ganzen weiten Raum erfüllten und
zutegt etwa 250 Fußgänger und 100 Berittene
auf dem Bahnkörper hielten, um die nädjten
Befehle ihrer Oberen zu erwarten.
Wie fie aber da lauernd ftand, die wüſte un—
heimliche Schaar, paßte fie vortrefflih zu dem
wilden Wald, der fie umgab, und bildete do
auch wieder einen Mißton in dem Bild jtillen
Triedens und heiliger Ruhe, in der die Natur
bier Schlummerte.
Doch bald fam Leben in den Schwarm. Es
waren Einzelne unter ihnen, welche genau wuß—
ten, in welcher Zeit der von Vera-Cruz erwar:
tete Zug dort abging und bier eintreffen würbe.
— Die Sonne zeigte ihnen dabei ficher genug,
in wie weit ſie jich beeilen mußten, und jet gaben
die Führer der Schaar ihre Befehle, die auch
pünftlih und ohne Widerrede befolgt wurden.
Die Reiter führten ihre Pferde in das Dickicht
hinein und banden jie dort an, ob fie Etwas zu
freien fanden oder nicht blieb fich gleih. — Sie
hatten nicht einmal Gefühl für ihre Mitmenfchen,
105
viel weniger denn für arme Thiere — e8 waren
ja nur „Beſtias“, und jo lange fie eben laufen
und das Gewicht eines Reiters tragen Fonnten,
wurden fie benügt — bradyen fie zufammen, nun
gut, dann mochten ſich die Japolotas*) an ihnen
mälten und die nächſte bejte Hacienda mußte
friſche liefern.
Aber auch die Fußgänger hatten wenigiteng
zum Theil ihre Waffen bei Seite geftellt und
gingen dann an die ganz für fie pafjende Beſchäf—
tigung: die Eiſenbahnſchienen aufzubrecdhen und die
hberausgenommenen jo zu legen, daß der Jug in
jie einlenfen, natürlich entgleifen und dann zum
Theil umfchlagen mußte — und nur furze Zeit
brauchten fie zu der Arbeit.
Die übrigen Geſellen madten fi indeß
daran, im der „tobten Rodung“, wie man eine
jolhe verlaffene und verwilderte Anfiedelung in
den Nordjtaaten von Amerifa nennen würbe,
nah dort noch übrig gebliebenen Fruchtbäumen
zu ſuchen. Aber die Ausbeute zeigte ſich als eine
ſehr geringe, denn in dem dichten, darüber auf:
gewucherten Waldſchatten wollten die früher da
angepflanzten Früchte nicht mehr gedeihen, und
*) Die Aasgeier jener Gegenden, auch caring crows ober
Zamuros genannt.
106
außer einem einzigen Japotabaum, an dem jie
ih aber auch nur mit den abgefallenen Früchten
begnügen mußten, da er zum Bejteigen viel zu
hoch und ftarf war, fanden fie gar nichts.
Die mit dem Schienenaufbredhen Beſchäf—
tigten entwicelten übrigens, jo faul jie ſich aud)
gewöhnlich zeigen mochten, eine ganz anerkennens—
werthe TIhätigfeit, und machten ihre Sache dabei
ſo geſchickt, daß man unmwillfürlich zu der Ber:
muthung fam, jie wären nicht zum eriten Mal
babei gewejen, und erjt als fie jich feſt ver:
gewifjert hatten, daß der Jug unmöglich wieder
auf die anderen Schienen jpringen fünne, wur:
den Poſten ausgejandt, um das Nahen des er-
warteten — den man indeflen jhon auf eine
weite" Strefde voraus auf den Schienen hören
fonnte, rechtzeitig anzumelden.
Die Truppe jchien übrigens gewiſſermaßen
organijirt und beftand aus zwei verſchiedenen
Banden, die fi) unfern von dort vereinigt und
beijchlofjen hatten, den Ueberfall gemeinjchaftlich
zu unternehmen. Man wußte allerdings, daß
demjelben franzdjiiches Militär beigegeben fei,
aber mehr als Polizei gegen einzelne Straßen:
räuber, als um einer wirklichen Guerillabande
Troß zu bieten, und fürchtete e8 deshalb nicht.
107
Die Führer der Schaar hatten jih unter
einer dicht am Weg jtehenden Palme gelagert.
Die beiden eigentlichen Bandenführer gehörten
allerdings der Mijchlingsrace an, aber aud) drei
Creolen, von rein weißem Blut, befanden ſich,
unter ihnen, und Einer bejonders, der gar nicht
in eine jolche Geſellſchaft zu gehören jchien.
Er trug einen allerdings Ihon vom Wetter
mitgenommenen, aber doc feinen Panamahut,
eine koſtbare Serape, wie jie ſich eigentlich nur
in den Händen der reicheren Mericaner finden
und oft jo viel Eoften wie ein echter türfijcher
Shawl, überhaupt jehr elegantes Reitzeug und
hatte auch in feinem ganzen Benehmen Etwas,
das ihn wejentlic von der Menjchenflafje, von
der er fich bier umgeben fand, unterjchied. —
Und doc, gehörte er zu ihnen, wenn aud nicht
ihren Gefinnungen, doch ihren Zweden nad),
und fonnte die Zeit kaum erwarten, daß ber,
jeinem Geſchick verfallene Zug diejen für ihn
verderblichen Platz erreichte.
Es war Silveftre Almeja, der Patricierjohn
aus Merico, der fi hier einer Bande von
Straßenräubern angejchloffen, nur um feiner
Rache zu genügen.
Der junge Graf Deverreur war nämlid) vom
108
Dberconmando in befonderer Miffion nach Vera—
Cruz gejandt worden und mußte, wie Sil-
veftre auf irgend welche Art erfahren, heute
wieder von bort abreifen, um zur rechten Zeit
‚in der Hauptjtabt einzutreffen. Der junge Toll:
fopf aber, in Eiferfuht und Haß gegen die ganze
Nation, hatte Kunde von dem Beitehen diejer
Banden erhalten, und mit ihnen vereint jeßt
beichlofien, den Zug aufzuheben.
Was Eonnte dieſen Menſchen auch Er-
wünſchteres kommen, als ein folches Unter:
nehmen! Allerdings zählten fie jich zu den dem
Kaijerreih noch nicht Veigetretenen und nannten
ih Nepublifaner, aber fie hatten auch feine an—
bere Regierung über ji, oder mußten wenig:
jtens nicht, wo fie ji) befand und ob fie über:
haupt noch bejtehe. Und was that dag? — mit
dem weiten wilden Land zum Schuß, wohin
ihnen, wenn jie ji von den begangenen Stra:
Ben abzogen, die Gegner nur mit großen An:
ftrengungen und ſehr jchwerfällig folgen Fonn-
ten, wußten jie fich ziemlich jicher, und verloren
auch Nichts bei einem ſolchen Leben.
Soldaten mußten fie doc fein. Hielten
fie fich in der Nähe der Hauptſtadt auf, jo wur:
ben fie von den kaiſerlich mexicaniſchen Heer:
109
führern gepreßt und ohne Weiteres in die Armee
eingereihbt, und zogen jie ſich nach Norden hin—
auf, wo jeßt wieder der vom Kaiſerreich ab-
gefallene Cortina ein Heer jammelte oder Negrete
an Banden zujammenzog, was er befommen
fonnte, jo Half ihnen das auch Nichts, denn
denen entgingen jie nocdy weniger. Alſo war es
für jie viel vortheilhafter, auf derartige Weije
einen „‚Eleinen Krieg‘ zu führen, der ihnen
einestheils nicht einmal ſo viel perjönlidhe Ge—
fahr bot, als der größere, und dann — die Haupt:
ſache — den ganzen Nutzen des Erfolges in ihre
eigenen Taſchen lenkte. Daß fie dabei Freund
wie Feind plünderten und brandichagten, fam gar
niht in Betracht.
Ueberhaupt war auch die ganze mericanijche
jugend faft in einem ſolchen Leben aufgewachjen
und groß geworben, denn ſeit den leßten zwan—
zig Jahren fajt hatten fie Nichts als Revolu—
tionen und Pronunciamentos in ihrem Land
gehabt. Sie wurden verwilderi und mußten
verwildert werden, und wo fie mit Fleiß und
Arbeit gar nichts verdienen Eonnten, jahen fie
ih natürlich nach einer andern, mehr lohnenden
Beihäftigung um.
Der ganze Schwarm hatte ſich bis jet bunt
110
und wild über den Bahnförper hin und Her
getrieben und babei geplaubdert und gelacht, als
ch es ſich hier um ein Fleines unfchuldiges Ver—
gnügen handle, jet plößlich aber jtanden Alle
til und regungslos, denn ein kurzer, kreiſchen—
der Schrei tönte durch den Wald — e8 war dag
Zeichen, und wenn fie ſich jtill hielten, Fonnten
jie felber deutlih den bumpf rafjelnden Laut
hören, der in den Schienen zu vibriren jchien. —
Der Zug Fam.
Die Führer ſprangen empor — raſche Befehle
ſchallten durcheinander, und in die Büſche hinein
tauchte das Geſindel nach beiden Seiten, ſo daß
wenige Minuten ſpäter die durch den Urwald
gehauene Bahn wieder ſo ſtill und lautlos lag
als vorher. — Die einzigen ſichtbaren lebenden
Weſen waren ein paar Aasgeier, die den Men—
ſchenſchwarm da unten in hoher Luft wachſam
umkreiſten. Es waren das alte Bekannte, und
ſie wußten aus Erfahrung, daß es in deren Nähe
immer reichliche Nahrung gab — ſei das nun
an Thier- oder Menſchengebein.
Immer noch dauerte aber das Nahen des be—
drohten Zuges länger, als ſie anfangs geglaubt,
denn der Windzug ſtrich von Oſten herüber, und
der Schall tönte weithin über das Land; aber
111
lauter und deutlicher wurde auch das Geräuſch
der Flappernden Räder, und jegt endlich jtieg
ver dunfle Dualm, den der Windzug in gleicher
Schnelle mit dem Train dahintrieb, body über
die Maldung empor.
Kaum noch zweihundert Schritt von der ge—
fährbeten Stelle entfernt, tönte ein ſcharfer Pfiff.
— Der Locomotivführer Hatte die Gefahr in
dem unterbrochenen oder jchräg abführenden Ge:
leis erfannt — aber zu ſpät. Wohl ließ er den
Dampf ausftrömen und die Bremfer thaten ihre
Pflicht, aber ehe fie im Stande waren den ganzen
Zug zum Halten zu bringen, ja ehe er nur anfing
merklich Tangjamer zu geben, erreichten jchon bie
Räder der Locomotive die aus der Richtung gelegten
Schienen und ſchoſſen ſeitab — der Zug drängte
nad) und fing an zu holpern, die Majchine, in
weichen Boden gerathen, ſchlug um — die nächſten
Wagen preßten darauf, und in das Angſtgeſchrei
der’ Paſſagiere Fnatterten jeßt die Schüſſe der
im Hinterhalt liegenden Buben und trieben
die Verwirrung in den Wagen auf den Gipfel-
punkt,
Glücklicherweiſe zertrümmerten nur bie eriten
Wagen, in denen fi einzig und allein Güter
und gar Feine Paflagiere befanden; zwei von
112
den Bafjagierwaggons jlürzten um, ohne aber
ſchwere Beſchädigungen zu veranlafjen, dagegen
wurden durch die Kugeln ver Guerillas drei Paſſa—
giere auf der Stelle getödtet und viele verwundet,
und das Gejchrei der zahlreihen Schaar der An:
greifer, die jeßt jauchzend und brüllend aus dem
Wald herausbraden, machte einen Widerjtand‘
der wenigen wirklichen Soldaten im Zug zur
Unmöglichkeit. Dieje wurden aud gleich ent—
waffnet und gebunden, und nun gingen bie
Banpden vereinigt daran, die Paſſagiere regelrecht
auszuplündern, als ob das nothwendig mit zu
einem Treiheitsfrieg gehöre.
Das Gepäd luden die Räuber dann auf ihre
Thiere, und damit die Beraubten nicht zu raſch
den Unfall anzeigen und Verfolger auf ihre
Fährte bringen könnten, trieben fie alle Gefan=
genen mit jich in den Wald hinein. Sie jchieden
dabei die Nationalitäten auseinander, ließen
aber nur die Franzoſen gebunden und jchickten
endlich die Uebrigen, als jie ſich volllommen
jiher glaubten, zurück. Sie mochten jehen, wie
jie den Weg wieder allein nad der Station
fanden. *
Die Franzoſen hatten ſich indefjen raſch in
ihr Schidjal gefunden; man fonnte fie ja doch
113
nur al8 Kriegsgefangene behandeln, und bie
Guerillas durften überhaupt nicht wagen fie
lange zurücdzubalten. Ueberall in den benach—
barten Orten lagen jtarfe Beſatzungen ihrer
Landsleute, und kamen die erjt auf ihre Spur,
jo waren fie verloren.
Graf Deverreur marſchirte mit den übrigen
Gefangenen, allerdings nicht in jehr heiterer
Stimmung. Es war mit zufammengebundenen
Händen ein jchlechtes Gehen auf ben fajt un:
wegiamen Pfaden in der Wildniß, und die Ges
fangenen wußten ja dabei nicht einmal, wohin
man fie gegenwärtig jchleppen wolle. Daß fie
bon der ganzen Nation gehaßt wurden, war ihnen
außerdem fein Geheimniß.
Während jie jo jchweigend und finjter vor
ih Hinbrütend weiter fohritten, fprengte einer
der Reiter dicht an den Trupp heran und Lüftete
jehr artig, aber Doch mit unverkennbar höhniſchem
Zug um die Lippen, feinen Hut.
„Habe ich nicht das Vergnügen, Graf De:
verreur bier zu begrüßen ?'
Der junge Franzofe ſah erftaunt auf —
„Señor Almeja?“ rief er aber im nächſten Mo-
ment überrajcht aus — „Sie als ein Feind des
Kaiferreihs und in dieſer Truppe
Fr, Gerftäder, In Merico. II. 8
114
„Das fommt Ihnen wunderbar vor, nicht
wahr?‘ Lächelte Silveſtre, „Sie würden noch
Wunderbareres erleben, wenn Sie Gelegenheit
hätten ſich länger in Merico aufzuhalten.”
„Ich denke nicht daran es jo bald zu verlafjen,
lagte der junge Graf finfter — „doch id ap—
pellire jeßt an Sie, Senior: Sit das eine Be—
handlung für Kriegsgefangene, fie gebunden und
ausgeplündert durch ſolchen Wald zu führen ?
Es liegt doc) hier wahrhaftig nicht die geringjte
Gefahr vor, dag wir entfliehen oder ua
leiiten könnten.“
„Es it Ihnen unbequem, wie ?' lächelte ber
junge Mann, deſſen Augen vor Genugthuung
blisten, „läßt ji aber freilich nicht Ändern.
Wie befindet jich Ihre Frau Gemahlin ? Hoffent-
lid gut.‘
Deverreur Fonnte der Hohn in der Trage
nicht entgehen, aber einen jcheuen Bli warf er
zu dem jugendlichen Verbrecher empor, als die—
jer mit bebauernder Stimme und wie zu fich
jelber vedend Hinzufegte: „Schade um das
arme, bildhübſche Wejen; jo jung noch und ſchon
Wittwe!“
„Was wollen Sie damit ſagen?“ erwiederte
er finſter; „entweder die Schaar hier iſt eine
115
Räuberbande, und dann kann ich doch nicht
denken, daß Sie fih in Ihrer Stellung im Leben
der angejchlofien hätten, oder es find Guerillas,
und dann können jie uns als nichts Anderes
als eben Kriegsgefangene betrachten.‘
„Veremos,“ lädelte GSilvejtre, „aber ich
glaube, wir befinden uns an Ort und Stelle,
denn ich jehe die Führer halten und die Vorderen
ih um fie jammeln. Auf Wiederjehen, Herr
Graf!“ und damit gab er jeinem Thier die Sporen
und jprengte nad) vorn, um fich der Berathung
anzujchließen. -
Deverreur blickte umher, konnte aber Feine
Spur von irgend einer menjhlihen Wohnung
oder nur ein Zeichen von Cultur entdeden.
Etwas höheres Land jchienen fie hier erreicht zu
haben; der Boden bob fih und die Vegetation
zeigte jich von der in der Niederung verjchieden ;
vor ihnen lag jogar eine Fleine Walpblöße, bie
von hohen, mächtigen Laubholzbäumen eingefaßt
ſtand — ſonſt war Alles Wildniß wie bisher
und der Platz fonnte höchſtens zu einem Rajt:
punft ausgeſucht fein.
Die Gefangenen wurden beordert bier zu
halten. Sie waren außerdem durch den langen
Marih und die Hitze zum Tode erſchöpft, und
8*
116
die Meiften warfen ſich auch, wie ihnen nur der
Befehl wurde, auf den Boden nieder.
Deverreur nur fonnte fi eines Mißtrauens
nicht erwehren, denn die Worte des Mericaners
hatten drohend geflungen, und er Fannte ihn ja
recht gut als feinen früheren und unglüdlichen
Nebenbuhler. Er blidte umher und bemerkte
jeßt, wie ich die, Banditen gleihenden Burſche
mehr und mehr um jie fammelten, ohne jedoch
bis jet noch irgend eine Spur von Feindſelig—
feit zu zeigen. Sie lachten im Gegentheil
untereinander und jchienen ganz befonders guter
Laune.
Da ritt einer der Führer, welcher der Maſſe
von Lißen und alter Stickerei nad), die er trug,
und die er jich jedenfalls von franzöfiihen Uni-
formen heruntergetrennt und auf feine Jade Hatte
ſetzen laſſen, wenigſtens ein General fein mußte,
an die Gefangenen hinan und jagte finiter:
„Franzoſen, Ihr feid hier in unfer Land
gebrochen und Habt es verwüſtet, wie unjere
Brüder und Kameraden erſchlagen: Ihr müßt
jterben!‘
„Señor!“ rief da Deverreug, ber bier jeine
ſchlimmſte Befürchtung betätigt fand, „Sie dür—
fen uns nicht töbten. Wir find nichts als Kriegs-
31%
gefangene, und für jebes Leben, das Sie hier
näbmen, würde der Marſchall von Franfreid)
hundert der Ihrigen fordern!‘
„Caracho,‘ lachte der Burſch, und jein Auge
bligte wild und tückiſch über die Schaar jeiner
Opfer, die aus etwa jechzehn Soldaten, Unter:
officieren und Gemeinen, beitand. — „Ich will
Euch zeigen,"was wir dürfen, und was Euren
Marihall betrifft, jo ilt der Hanf, an dem er
gehängt werben joll, wohl auch ſchon gewachſen.
‘hr jeid in das Land gefommen und in das
Innere gedbrungen, aber Ihr werdet nod) bie
heilige Jungfrau auf den Knieen bitten, daß
jie Euch wieder hinaushilft — Adelante mu-
chachos !’’
„Señor Almeja!’ rief Deverreur. „ch ftelle
uns unter Ihren Schuß. Sie werden nicht dul—
den, dag man ung hier mit faltem Blut morbet !”
„Alles, was ich für Sie thun kann, Señor,“
jagte Silveitre, indem er ruhig feinen Revolver
aus dem Holjter zog, während ver jett auf die
Franzoſen eindringende Schwarm die Meſſer aus
den Gürteln riß, „it: daß ich Ihnen eine Fleine
Erleihterung verſchaffe“ — und damit feuerte er
jeine Waffe in faum zwei Schritt Entfernung
auf den Unglüdlichen ab.
118
Es war dies das Zeichen für die Megelei
gewejen, und eine Scene begann jeßt, die zu be—
Ichreiben jicy die Feder jträubt. — Aber nur mit
Mefjern und Macetas wurden die armen, ver=
theidigungslofen, ja jelbjt gebundenen Menſchen
niedergemadht, und als am nächſten Morgen
eine den Räubern nacgejandte Colonne belgi-
Iher Truppen den Schauplaß erreichte, ſchauder—
ten die doch an Schlacdhtjcenen gewöhnten Sol-
daten zujammen vor dem furdtbaren Anblid,
der jih ihnen bot. — Aber ein Racheichrei
rang fi auch von ihren Lippen und fie nahmen
die Berfolgung jest, von einigen Mericanern
geführt, mit einer Wuth auf, die fie Müdigkeit
und Anjtrengung vergejjen liegen.
Die beiden bis dahin vereinigten Banden
hatten indefien, etwa eine Legua von dieſer
Mordicene, in deren Nähe fie ſich doch nicht bes
haglich fühlten, an einem murmelnden Berg—
ftrom, der aus dem höheren Land herabfam, Halt
gemacht, um ſich vor allen Dingen nad) den ge—
babten Strapazen auszuruhen, wie auch in Ruhe
bie gemachte Beute zu theilen.
Silveſtre Almeja hielt fich ziemlich fern davon.
Er hatte, was er erjtrebt, erreicht und als jeinen
Beuteantheil nur die beiden mit Silber reich
119
beihlagenen Revolver feines Nebenbuhlers und
— deſſen Trauring zu fi genommen. Geine
Nahe war erjt halb, wenn er nicht die treuloje
Geliebte ebenfalls elend machen konnte, und Ge-
legenheit fand fich leicht, ihr den Ring nad)
Merico zu jenden.
Hier aber trennten fich die beiden Züge wie-
der, und General Sona, wie der Führer des einen
hieß, beichloß, jih auf den Weg nad) Puebla
bin zu begeben, und dort an den Gumbres oder
in jener Gegend zu wegelagern, wo die Straße
aus dem Thal direct an den Höhen hinan und
auf die Hochebene jteigt, während Xilla, der an-
dere Bandenführer, den Staat San Luis Potofi
zu erreichen gedachte, und dabei eine Menge
eigener Pläne hatte. Seinen Leuten erklärte er
übrigens, daß er fich mit einer der nördlichen
Banden zu vereinigen wünjche.
Diefem ſchloß ih Silveitre an, und zwar
mit dem feſten Entichluß, den Kampf gegen bie
verhaßten Franzoſen in allem Ernit fortzujegen,
und nah Norden zu mußte er ja mit Juarez'
Truppen zujammentreffen. Er war natürlich nicht
gejonnen, jich bei den Kleinen Naubzügen zu be=
tbeiligen, ſah aber auch Feine Möglichkeit, um
allein und unberaubt durch das Land zu kom—
120
men. Xilla jedoch, obgleich er bejtimmt erklärte,
ebenfalls zu Juarez ſtoßen zu wollen, machte
nicht die geringjten Anjtalten, dies in Wirklich:
feit zu thun, jondern befand fi bier als un—
umjchränkter Herricher und Gebieter einer Bande
von jeßt fajt zweihundert Mann viel behaglicher,
und 309 jih nur langjam durch die Berge der
größeren Stadt Yalacingo zu, die er durch
einen Handjtreich zu nehmen und zu brandichagen
hoffte.
Indeß aber waren die Behörden nicht uns
thätig gewejen, denn der Raubanfall der bis jest
bo wenigjtens vollfommen jiher geglaubten
Eijenbahn hatte jie wachgerüttelt. Bon Vera—
Cruz jelber ging ein jtarfer Truppenförper ab,
um die Spur der Bande zu verfolgen; in Ori—
zaba wurden Truppen aufgeboten, und aus Jalapa
zog ebenfalls ein Corps dort jtationirter belgi-
iher Truppen aus, um die Gegend nad allen
Richtungen bin abzufpüren. Es dauerte aud
gar nicht lange, jo kamen dieſe auf die Fährten
ber Marodeure, die ſchon dafür jorgten, ihren
Weg mit niedergebrannten Hacienden und Blut
zu kennzeichnen.
Nördlich von Orizaba, unmittelbar an der
Grenze der beiden Staaten Vera-Cruz und Puebla
121
in einem wundervollen Thale, das fih jchon
gegen die Höhen von Perote anneigte und einen
prachtvollen Blid auf den mit ewigem Schnee
bededten Krater Drizaba gewährte, hatte Xilla’s
Bande ihr Lager aufgefchlagen.
Die Scenerie war wahrhaft wundervoll; zu
Füßen der Stelle, auf dem die Schaar lagerte,
brad ſich ein wilder Bergjtrom über mächtige
Felsmaſſen die Bahn zu Thal, braufend und
Ihäumend einem Abgrund zu, der den ganzen
jüdweltlihen Hang begrenzte, während Links
davon eine mehr jchräg abfallende Senkung, mit
baumartigen Cactus und jtadhligen Agaven be-
wacjen, einen fajt undurchdringlichen Wall nach
diejer Richtung hin bildete — im Norden aber,
von Blüthenbüjchen überjäet, hob fich die erjte
Sebirgsihiht, von herrlichen Bäumen bededt,
empor und zeigte oben an den Höhen jchon
dunkles Nadelholz, während tief unten, wenn
das Auge dem Einjchnitt folgte, noch breit
blätterige Tropenpflanzen fihtbar waren. Das
Ganze aber in unbejchreibliher Majeftät über-
ragte der gewaltige Schneefegel, der Drizaba,
der mit in der Sonne funkelndem und blitendem
Gipfel das weite Land beherrichte, während aus
jeinen falten Schluchten fortwährend weiße be—
122
wegliche Nebel emporitiegen, fih um fein Haupt
zu phantaftilchen Bildern und Figuren formten,
und dann, wenn ſie eine wärmere Luftſchicht er—
reichten, zu Duft auseinanderflofien.
Silveitre hatte fich von den Uebrigen abaejon-
dert gehalten, benn er fing an fi der Bande
zu ſchämen, mit der ihn feine Reidenjchaft ver-
eint. Außerdem mußte er auch jet wohl mer—
ten, daß Xilla gar nicht beabjichtigte weit nach
Norden zu ziehen, jondern dieſe Gebirgsfette eben
nur aufgejudht babe, um von bier aus, wenn es
ihm gerade pafje, Raubzüge in die Nachbarichaft
zu unternehmen — aber das lag wahrlich nicht
in jeinen Plänen.
Die Bande jelber befand jich in vortrefflicher
Laune. Gie hatte an dem nämlidhen Morgen
einem armen ndianer, der zwölf mit Pulque—
fchläuchen beladene Ejel trieb, den ganzen Vor—
rath mit den Ejeln abgenommen, und hielt jeßt
hier am grünen Waldesjaume ein lang entbehr-
tes Gelage. Selbſt Killa jhien dem doch immer
beraufchenden Getränk etwas ſtark zugeiprocdhen
zu haben, und als ji ihr „vornehmer Com:
pañero“, wie fie ihn zuweilen nannten — ihnen
gar nicht anjchliegen wollte, jondern allein und
büfter brütend unter dem Baum liegen blieb,
123
da ding er mit einem gefüllten Horn zu ihm
hinüber, und vor ihm ftehen bleibend, jagte er
lachend:
„Caracho! Compañero — Du liegit ja da fo
allein und einjam, als ob Du gar nicht zu uns
gehörtejt oder — am Ende gar nichts mit ung
zu thbun haben wollteft — heh? Da trink ein-
mal — famofe Pulque, die die Rothhaut nah
Salacingo bineinjchleppen wollte — aber die kön—
nen wir bier bejjer gebrauchen, heh?“
„Ih will Euch Etwas fagen, Compañero,“
meinte Silveftre, ohne aber das gebotene Horn
zu nehmen, ‚das Leben bier bei Euch gefällt mir
auch nicht, denn das Ganze läuft auf Nichts als
Rauben und Plündern hinaus, und deshalb bin
ih nicht zu Euch geitoßen.‘‘
„In der That nicht, und zu was jonit,
Señor, wenn man fragen darf?‘ jagte der
Bandenführer mit einem höhniſchen Lächeln —
„etwa den Damen unterwegs den Hof zu machen?
Die jungen Seoritas auf der legten Hacienda
ihienen Ihnen jehr zu gefallen.”
„Seht zum Teufel,’ brummte Silveitre —
„Ihr wißt jelber recht gut, weshalb — um fran=
zöſiſche Trupps zu überfallen und aufzureiben,
124
und denen geht Ihr gerade auf das jorgfältigjte
aus dem Weg.’
„Und einfach genug, weshalb,’ lachte Killa,
„weil bei denen Nichts als Blei und Falter
Stahl zu holen ift, und ich mein Heer vergrößern
und nicht decimiren lafjen will. Morgen oder
übermorgen jedoch, Compañero, den?’ ich, machen
wir einen guten Zug. Geftern ift ung ein Burfche
aus Salacingo zugelaufen. Dort liegt nur eine
fleine Truppe Kaijerlicher, lauter Mericaner, und
die Gefängniffe ſtecken voll. Sch kenne das Nejt gut
genug. Mit Tagesgrauen fallen wir darüber her,
brechen erjt die Gefängnifje auf und dann —“
er ſchwieg erichredt, denn oben an dem über
ihnen liegenden DBergeshbang und im Walde
drinnen ertönte in dem Moment ein jcharf klin—
gendes und herausforderndes Trompetenfignal,
und in wilder Haft jprang die Scaar ber
Guerillas empor, denn bier gerade, den Abgrund
und cactusbemachjenen Hang vor fi, hätten fie
feinem Feind begegnen mögen. Und dod Fang
das wie das Signal zum Angriff der Gegner,
das jie gut genug fannten, und dem ſie oft jchon
in wilder Flucht ausgewichen waren.
Die Leute griffen ihre, in aller Ruhe bei
Seite gejtellten Gewehre und Waffen auf; bie
125
Reiter ſprangen mit zitternden Knieen nad) ihren
Dferden. Dieje aber jcheuten vor dem plößlichen
Anprall, warfen ungeberdig die Köpfe in bie
Höhe und fingen an zu jpringen und zu ftampfen,
jo daß eine völlige Verwirrung in dem über:
rumpelten Lager entitand.
Xilla, das Horn mit Pulque, das er noch
immer in der Hand bielt, zu Boden jchleudernd,
war, den Degen aus der Scheide reißend, zu
jeinen Leuten zurüdgejprungen und jchrie feinen
Befehl zum Sammeln über den Hang hin —
das war aber faum nöthig, denn der Schwarm
drängte fich von jelber zufammen, um nur erjt
einmal zu jehen, mit welchem Feind fie e8 hier
zu thun befamen. Darüber jollten fie allerdings
nit lange in Ungewißheit bleiben. Bon rechts
und links und gerade über ihnen antworteten
ih die Trompetenſtöße — die Büſche rafchelten
und brachen, und heraus aus dem Wald, mit
bunten bligenden Uniformen und Gewehren
drangen die Rächer gegen die Bande vor.
Das belgiihe Corps war etwa anderthalb
Stunden von dort entfernt, die Straße einhaltend,
nad) Norden marſchirt, da jie die legten Nach—
tihten vermuthen ließen, daß fich die Guerillas
nah jener Richtung gewandt. Da erreichten fie
126
eine Hacienda am Weg, die das Raubgejindel
erit an dem nämlihen Morgen überfallen und
ausgeplündert hatte. Sie fanden auch den Plaß
noch in voller furdhtbarer Aufregung, und von
einer benachbarten Ortjchaft waren jogar die Be—
wohner bewaffnet herübergefommen, um die
Räuber, wenn nöthig, mit vertreiben zu helfen.
Das Landvolk befam es endlich jatt, von diejen
zügellojen Banden heimgejudht zu werden, vor
denen fie ji Faum eine Naht ruhig auf ihr
Lager werfen Fonnten, und oft jahrelange Ar—
beit in einer einzigen Stunde durch jie zerjtört
ſahen.
Da gerade, während die belgiſche Colonne
dort hielt, der ſich zwei franzöſiſche Officiere mit
einer Patrouille angeſchloſſen, traf der arme In—
dianer ein, dem die Räuber an dem Morgen
ſeine Eſel mitſammt ihrer Ladung weggenom—
men und ſogar ſein Leben bedroht hatten, wenn
ſie ihm noch irgend wieder begegnen würden.
Der arme Teufel aber, dem Alles, was er auf
der Welt bejaß, mit den Thieren verloren ging,
dachte gar nicht daran, fein Eigenthum aufzu=
geben, ohne wenigjtens zu jehen, wohin jich die
Räuber defjelben wenden würden. Mit der jeiner
Race überhaupt eigenen Schlauheit folgte er
127
ihnen deshalb, und als er — fid immer vor:
ichtig außer Sicht haltend, endlich ſah, wo jie
ihr Lager aufichlugen, eilte er zurüd und nad)
Jalacingo zu, um von dort bei der faijerlichen
Garnijon Hilfe zu fuchen. Da traf er unter:
wegs auf der geplünderten Hacienda die belgijche
Truppe, meldete feinen Unfall und den jegigen
Aufenthalt ver Räuber, und erbot jich natürlich
mit Freuden, ven Soldaten zum Führer zu dienen.
Denen jchlofien ſich aber jetzt jomwohl die
jämmtlihen Leute von der Hacienda an, als
auch die aus der Nachbarſchaft herübergefom-
menen DBewaffneten. Der Indianer aber, ver
das Terrain genau fannte und wußte, daß die
Guerilas von der Stelle aus, wo fie ich be—
fanden, im Süden vollfommen eingehemmt lagen,
und nur den Bergjtrom auf- oder abwärts, oder
gerade in den Wald hinein entfliehen fonnten,
brachte die Belgier nicht allein zu dem richtigen
Bunft, fjondern theilte fie auch dort ein. Die
Soldatentrupps jollten von rechts und links, den
Bergitrom herauf und Hinunter drüden; bie
Hacienderos aber blieben mit ihren Hilfsmann=
Ichaften im. Centrum, jo daß fie den Feind, der
nadhläffig genug gewejen war, im Gefühl jeiner
Sicherheit auch nicht eine einzige Wache auszu—
128
Stellen, vollfommen umzingelten, ehe er nur eine
Ahnung von ihrer Nähe hatte.
Jetzt erjt wurde das Signal zum Angriff
gegeben — zuerjt von dem Centrum aus, da den
Hacienderos ein Signalift zugetheilt worden —
und jeßt von links und rechts, während die Sol-
baten, ihre Gewehre gefällt, aus dem Dieicht
herausbrachen und, jowie fie den Feind in einem
wirren Knäuel zufammen fanden, fich ihres
Sieges gewiß mußten.
„Halt, Feuer!’ Eine Salve Fnatterte in bie
dicht gedrängten Maffen hinein, die, von drei
Geiten zugleich angegriffen, gar nicht gleich wuß—
ten, nad) welcher Richtung hin fie ihre Gewehre
abfeuern jollten, und als fie erjt die Teinde ge—
nau erkannten, war es zu ſpät. Vereinzelte
Schüſſe gaben fie, aber meift ohne zu zielen,
und jeßt, mit gefälltem Bajonette und dem don:
nernden Hurrahruf, ftürmten die waderen Belgier
hinein in die Räuberjchaar.
Flucht? — ja — aber wohin? über den Ab:
grund in die ftachhligen Cactus und Aloe hin—
ein? Ehe fih die feigen Verbrecher bejannen,
waren die Rächer mitten unter ihnen, und
„Gnade!“ fchrieen die ihrem Geſchick Verfalle:
129
nen, indem fie ihre Gewehre fort und ſich auf
die Kniee niederwarfen.
Doc gerade dieſe Belgier waren es gewejen,
die erit ganz Fürzlih den Schlahtpla und bie
Iheußlih verftümmelten Opfer diejer Elenden
gefunden, und Rache war jeßt ihr einziges Gefühl.
Jetzt hatte das Glüd des Krieges ihnen den Sieg
in die Hand gegeben, und blutgierig, wie nicht
ein Tiger, nicht ein Wolf, wie nur ein Menſch
ſein kann, wütheten fie unter ihren Opfern.
Diefe flohen jest wohl nad allen Seiten,
aber Rettung brachte ihnen das nidt. Diele
Iprangen in den Abgrund, aber das jchroffe Ge-
ttein hielt fie nicht, und elend zerjchellten fie in
den Tiefen. — Andere rannten in ihrer Todes—
angſt in den mit Cactus dicht bewachſenen Hang,
aber ſchon nach kurzer Strede blieben jie zwijchen
den Iharfen Dornen jteden und lieferten den
nachſpringenden Hacienderos ein treffliches Ziel
für ihre Revolver und Schrotgewehre.
Awanzig oder dreißig, meijtens Verwundete,
fielen in die Hände der Sieger; ber belgiiche
Obrift jedoch, der den Zug commandirte, modte
Nichts mit den Gefangenen zu thun haben. Den
Tod hatten fie allerdings verdient, aber er fcheute
ſich, Henkersdienſte an ihnen zu EN Nicht
xt. Gerftäder, An Merico. III.
130
jo die Merifaner, deren Eigenthum geraubt oder
zerjtört, deren Vieh weggetrieben, deren Frauen
und Töchter mißhandelt worden. Im Nu hatten
fie den Ueberwundenen die Hände zujammen-
gejhnürt, und ohne weiteren Zeitverluft wurden
Stride berbeigejhafft, um jie an den nächjten
Bäumen aufzuhängen.
Unter diejen befand ſich Silveitre Almeja,
der mit zerjchofjenem rechten Arm feinen Wider—
ſtand mehr hatte leiften können; aber jein Herz
hörte auf zu jchlagen, als er die furdtbaren
Vorbereitungen zum Tode ſah, und ben belgijchen
Dbrijt anrufend, bot er ein Löfegeld für jein
Reben.
„Wer find Sie?’ fagte der Obrijt finjter.
„Mein Name ift Almeja — mein Bater ijt
einer der angejehenften und einflußreichiten Män—
ner in Merico — id) bieten Ihnen zehntaujend
Peſos Löſegeld.“
„Und wie kommen Sie da zwiſchen dieſe
Bande?“
„Durch Zufall — ich bin ihr Gefangener,
nicht ihr Mitgenoſſe —“
„Caracho, das lügſt Du, Schuft!“ ſchrie der
ichwerverwundete Xilla, der fich ebenfalls unter
dem Kleinen Trupp befand, „haft Du ung nit
151
felber erſt auf die Fährte gebradyt, um den fran-
zöjiihen Grafen abzufangen 2“
„Deverreur!” jchrie da ein franzöfiicher Of:
ficier, — ‚er war mit auf dem Zug und, beim
Himmel! der Schurke dort trägt noch immer einen
feiner Revolver, die ich oft bei ihm gejehen.‘
„Macht mit ihm, was Ihr wollt,‘ ſprach
rubig der belgijche Obrift, indem er ſich langſam
abwandte — „er gehört mit zur Bande. Hauptz
mann Defour, geben Sie das Zeichen zum Sam—
meln, daß wir den Pla bier jo rajch als möglich
verlaſſen.“
„Herr Obriſt,“ rief Silveſtre in Todesangſt
— „Sie können mich doch nicht den blutdür—
ſtigen Henkern hier überlaſſen? Mein Vater
wird —“
„Sie haben ſich der blutdürſtigen Bande
angeſchloſſen,“ erwiederte der Obriſt kalt, „fo
legen Sie ſich auch jetzt mit der Geſellſchaft,
zwiſchen die Sie ſich gebettet haben. Das iſt kein
Krieg mehr, das iſt Raub und Mord, und
Räuber und Mörder dürfen ſich eben nicht be—
lagen, wenn fie den Strick als Lohn finden.‘
„Ich wende mid an den Kaiſer!“ jchrie
Silvejtre verzweiflungsvol, „ich verlange ein
Gericht —“
9%
132
„Das jol Dir werden, mein Burſche,“ fchrie
einer der Hacienderos, indem er auf ihn los—
ging und ihm einen Strid um die Kehle jchlug.
Der Obrijt wandte ſich jchaudernd ab — aber
er hatte hier Nichts mehr zu thun — jein Auf:
trag war erfüllt, und die Gerichtspflege Fonnte
er recht gut den Mericanern überlafien.
Einige Minuten jpäter hatte der Obriſt jeine
Truppen wieder geordnet, die wenigen Verwun—
beten — Todte hatten fie nur zwei — wurben
auf ZTragbahren gelegt, um jie hinüber nad
Salacingo zu jchaffen, und dem Fluß abwärts
folgend ſuchte er jeßt auch die Spur der andern
Bande aufzufinden.
Und die Gefangenen? — &8 jpielte ſich mit
ihnen nur eine jener Taujende von Greueljcenen
ab, an denen das unglüdliche Land jo reich jchon
jeit Jahrzehnten war. Die Aasgeier wußten
wohl, weshalb jie ven Trupps Bewaffneter auf
ihren Wegen folgten.
5.
Das Detober-Decret.
Das reizend gelegene Schloß Chapultepec
hatte jih unter der ſchaffenden Hand des Kaijers
fehr zu feinem Vortheil verändert. Die ganz
gejhieft im Innern angelegten Räume wurden,
wenn auch nicht eben glänzend oder Faijerlich,
doch ganz wohnlich und elegant hergerichtet, und
der Fleine Garten oben auf der Höhe des Hügel8,
und eigentlich unmittelbar am Schloßhof, war
von geſchickten Händen fleißig rejtaurirt oder,
beifer gefagt, neu gejchaffen worden, während
reihe Blumenbeete auch den,breiten, in den Parf
dinabführenden Weg umgaben.
Auch unten im Parf hatte man viel gearbeitet,
die kryſtallklaren Quellen dort in großen ge=
mauerten Rejervoirs gefangen, die Wege aus-
134
geitochen und mit gelben Kies beitreut, Blumen=
beete überall angelegt, und ſelbſt den unter den
mächtigen Gedern gelegenen Raſen gepflegt und
davor bewahrt, daß er von den Bejuchern rüd-
ſichtslos zeritampft wurbe.
Ebenjo waren die Hallen oben, die nach dem
Garten zu lagen, mit Frescogemälden aus der
Mythologie geziert.
Bis dahin aber hielt jih Marimilian noch
immer von größeren Gejellichaften zurüd, denn
feine Thätigfeit wurde in der That den ganzen
Tag über, und gar nicht jelten bis jpät in Die
Nacht hinein, in Anjprud genommen. In den
Abendſtunden jehnte er ſich dann aber nad) Ruhe
und wollte allein fein,
Db er fih nicht manche von diefen Arbeiten
hätte erjparen Können, ijt eine andere Frage,
denn viele Gejege entwarf er, die allein auf dem
Papier blieben und fi, ſo ſegensreich jie in
einem civilifirten Land gewirkt haben würden,
bier, und bei der noch immer herrſchenden Gäh—
rung, als ganz unausführbar erwiejen.
Alles, was Marimilian that und anorbnete,
zeugte wohl von dem aufrichtigen Intereſſe, das
er an dem Land und feinen Bewohnern nahm,
von dem guten ehrlihen Willen, den er ihm ent—
135
gegenbradite, wie von einem wirklichen Studium
feiner Bebürfnifje, aber — er täufchte ſich entweder
jelber über den wirklichen, noch immer mehr als
revolutionären Zuſtand jeines Reiches, oder nahm
auch Alles, was er darüber hörte, viel zu leicht,
indem er den Gegner unterichäßte. Er fing in
der That an fein Haus zu tapezieren, ehe er es
unter Dach hatte. Die Sonne jchien ja, und
ihleht Wetter blieb vielleicht noch lange aus.
Lebt, und auch nur erjt in den legten Wo—
hen, gab er fih mehr einem gejelligen Leben
bin, und dazu trugen gewiß viel die guten Nach—
richten bei, die von allen Seiten, und gar nicht
jelten zugleich, eintrafen. Kein Tag in ber
Woche verlief faſt, wo ihm nicht eine neue
Siegesnahricht oder — was mehr noch bedeuten
wollte — Kunde hinterbracht wurde, daß ſich
diefe oder jene Ortſchaft, ja ganze Staaten für
das Kaijerreich erklärt Hatten und ihm hulpigten.
Welches Gebiet hatte denn Juarez nod im
Befiß, wenn er überhaupt das Neich wirklich
nicht verlaſſen? — Keine Quadratmeile mehr
von ganz Merico, die er wenigjtens feſt behaup—
ten konnte. Heimathlos jelbjt wurde er von Ort
zu Ort getrieben, und daß er babei noch aus—
hielt, ließ fihb nur dadurd erflären, daß jein
136
Präfidentichaftstermin noch immer nicht abgelau—
fen war, und er vielleicht einen Ehrgeiz darin
ſuchte, fi nur eben jo lange noch, wenigjtens
dem Namen nah, zu halten. Kam aber ber
Zeitpunft heran, der jet nur noch wenige Wo-
hen, und zwar im November, entfernt lag, dann
batte er allerdings eine vollgenügende Entſchul—
digung, vom Schauplat jeiner bisherigen Tha—
ten abzutreten und die undankbare Arbeit, ein
Reich ohne Land und Leute zu regieren, feinem.
Nachfolger zu überlafjen — wenn ſich wirklich
Jemand finden jollte, dem es nach einer ſolchen
Ehre gelüjtete. Allen menjchlichen Berechnungen
nach hörte aber dann auch der Mibderjtand, den
bie liberale Partei bis dahin hartnädig genug
geleijtet, von jelber auf, und dann durfte Maris
milian auch mit vollem Recht hoffen, in feinem
Reich an die inneren Reformen zu geben, bie
er bis jeßt ſchon mit jo vielem und noch immer
. nußlojem Fleiß ausgearbeitet und vorbereitet.
Auch Heute am 20. Detober war wieder eine
Kleine Geſellſchaft auf Schloß Chapultepec eine
geladen worden, unter ihnen Obrift Miguel
Lopez, zu dem jich der Kaiſer jehr freundlich ge:
ftellt und ihm ſogar an dem heutigen Tag fein
erſtes Kind aus der Taufe gehoben hatte. Auch
a
13%
Marihall Bazaine war zur Tafel gezogen wor:
den, hatte ſich aber entichuldigen laſſen, da eine
Anzahl wichtiger Depejchen erledigt werden muß—
ten, und nur gebeten, jpäter erjcheinen zu dürfen,
am dem Kaiſer noch Etwas vorzulegen, das feinen
Aufſchub mehr erleibe.
Unter den Damen befand jih auch Ricarda
San Blas — freilich nit mehr das heitere,
fröhliche Kind, das fie noch vor kurzer Zeit ges
wejen, denn fie jah jo bleich und leidend aus,
als jie am Arm ihres Onkels ven Salon betrat,
daß e8 der Kaijerin jelber auffiel und jie ſich theil—
nehmend nach der Urjache erfundigte. — Es war
aber nidhtS von Bedeutung, wie Señor Rodri—
quez entjchuldigend jagte — ein wenig Migräne
vielleicht oder eine Erkältung — das Wetter
war jo unjtät gewejen in, der legten Zeit, und
beige Tage folgten Falten und ſtürmiſchen jo
raid, daß überhaupt in der ganzen Stadt ber
Gejundheitszuftand ein feineswegs günftiger ge-
nannt werden fonnte.
Marimilian war heute außergewöhnlich heiter
— er erzählte viel bei Tafel und lachte und jcherzte,
nannte Lopez feinen compadre und hatte Jedem
fajt etwas Angenehmes zu jagen.
Nach der Tafel wurde der Kaffee unter der
138
Borhalle jervirt und im Garten jelber eingenom=
men, und der Kaiſer jtand mit den jungen Das
men und jchaute nach den immer herrlichen Ber:
gen hinüber, die heute wieder einmal nach lan—
gen, jtürmifchen und wolfigen Tagen die Häup—
ter frei und glänzend zum Himmel emporhoben.
Staatsminijter Ramirez, der ſich ebenfalls
mit oben befand, Hatte von einem aus Merico
berausfommenden Boten eine Depejche und einige
Privatbriefe für den Kaifer befommen und brachte
jie ihm jest.
„Gute Nachrichten, Majeftät,‘ rief er ihm
Ihon auf einige Schritt Entfernung entgegen,
„ſonſt würde ich Sie auch heute nicht damit be=
helligen.“
„Was giebt es, Ramirez — woher?“
„Von Unter-Californien, Majeſtät — der ganze
Staat, den noch nie ein franzöſiſcher oder kaiſer—
licher Soldat betreten, hat ſich freiwillig der Re—
gierung Eurer Majeſtät angeſchloſſen und bittet
in den Staatenbund aufgenommen zu werden.“
„In der That?“ ſagte Maximilian, indem
er die Depeſche nahm, und ein glücliches Lächeln
flog über jeine Züge — „das ijt ja eine unver-
hofft frohe Botichaft und eigentlih, neben Yu—
catan, der erjte Staat, der mir ohne dem geringjten
139
Druck von außen mit offenem Herzen entgegen-
fommt. Ich kann Shnen nicht jagen, mein lieber
Ramirez, wie mich das freut — und das Ans
dere —“
„Einzelne Briefe an Eure Majeftät — aber
die werden Seit haben.”
„Nein,“ fagte der Kaifer freundlid — „wie
böfe Nachrichten und Unglüdsfälle nie allein
fommen und eins immer das andere mit fich
bringt, jo auch gute Kunde. Heute habe ich bie
fefte Zuverficht, daß ich nichts Unangenehmes er—
fahren werde.” — Er öffnete den erjten Brief
und ſah dann gleich lächelnd zu den Damen auf.
— ‚Sehen Sie, daß ih Recht hatte? Mein
alter Pfarrer aus Dolores jchreibt mir, es fei
unferen Truppen gelungen, einer größeren Bande
nihtsnußigen Geſindels, das ſich raubend und
wegelagernd dort herumtrieb, habhaft zu werden.
Das Land wäre nun auch von dieſer ‘Plage
befreit und hoffentlich ginge e8 jetzt ruhigeren
Zeiten entgegen.‘
Er hatte den Brief an Ramirez zur Durch—
licht gegeben und erbrach den zweiten, den er
ebenfalls mit zufriedenem Kopfnicken überflogen.
„Ah, da it auch Etwas, was Sie vielleicht
interefjirt, Señorita,“ wandte jich der Kaiſer jebt
140
an Ricarda, „oder was wenigjtens mit jenem
Unfall, der Sie in der Diligence betroffen, in
Berbindung ſteht.“
„Mich, Majeſtät?“ fagte das junge Mäb-
chen erftaunt auffhauend, und ihr Antlik färbte
fi) mit höherer Röthe — „ich weiß nit, in
wie fern das möglich wäre ?’'
„Sie erinnern fich doch, daß ſich in der Tafche
jenes Menſchen, der durch Sie entlarvt und wahr—
ſcheinlich an weiterem Frevel verhindert wurde,
ein Brief vorfand, der auf ein neues Verbrechen
ſchließen ließ. Es glückte ja auch der damals
abgeſandten Patrouille, die Bande ſo ziemlich zu
vernichten.“
„Ich erinnere mich,“ ſagte Ricarda leiſe.
„Sie wiſſen aber wohl nicht,“ fuhr der
Kaiſer fort, „daß bei jenem Streifzug ein junger
belgiſcher Officier, der ſich als Freiwilliger der
Patrouille angeſchloſſen, ſchwer und hoffnungs—
los verwundet und nach Cuernavaca geſchafft
wurde.“
„Ich erinnere mich, Majeſtät,“ ſagte Ricarda
noch leiſer als vorher, aber ihre Wangen hatte
wieder jede Spur von Farbe verlaſſen, und faſt
unwillkürlich griff ſie nach der hinter ihr befind—
lichen Banklehne, um ſich daran zu ſtützen.
141
„Was fehlt Shnen, Señorita?“ rief ber
Kaijer beforgt aus. — „Sie werden unwohl —
die Eau de Cologne aus dem Haus — raſch!“
„sh danke Ihnen,‘ fagte das junge Mäd—
hen, jih gewaltiam fafjend, indem ſogar ein
Lächeln um ihre Rippen fpielte — „ich glaube
faft, Majeftät, das — eine Glas Champagner,
das ich bei Tafel getrunken, ijt mir ein wenig in
den Kopf geftiegen — wenn Sie erlauben, daß
ih mich ſetzen darf.’
„Aber beites Fräulein,” rief Marimilian,
wirflih um fie beforgt, und ſchob ihr jelber raſch
die Banf zurecht — „wie bleidy Sie plötzlich ge=
worden find, aber da fommt eine Stärkung. —
Sp — negen Sie Ihr Tuch damit; das wird Sie
erfriihen — mehr — nod mehr — es verfliegt
jonft zu raſch —
„sh danke Ihnen herzlich, Majeſtät,“ fagte
Ricarda — „aber es ift Schon vorüber — e8
war nur ein Moment — und idy habe Sie da—
dur in Ihrer Rede unterbrochen.‘
‚Ah ja fo, — was ih Ihnen mittheilen
wollte,’ fagte der Kaifer, der fie aber jest feit
anſah, während fi die umftehenden Damen
mit ihr bejchäftigten — ‚‚aber e8 betrifft Jeman—
142
den, den Sie feinenfalls fennen werden — einen
jungen belgifhen DOfficier — van Leuwen.“ —
Ricarda konnte doch nicht jo ſehr unmohl
jein, denn die Farbe kehrte wieder in ihr Antlit
zurüd und fie jagte leije:
„Herr Hauptmann van Leumwen war bei mei:
nem Onkel eingeführt.”
„Ach, dann wird es Sie gewiß freuen,‘’ rief
Marimilian, ‚zu hören, daß er jich gegenwärtig
außer Gefahr befindet. Die eine Kugel, welche
die Aerzte jehr beunruhigte — er hat zwei Schüfle
befommen — ijt gefunden und befeitigt, und er
fann hoffentlich bald wieder hergeſtellt ſein.“
„Majeſtät fennen ihn?’
„Er ift uns von daheim warm empfohlen
worden und aus einer dem belgijchen Hof ſehr
befreundeten Familie. Ich fürchtete auch ſchon für
ihn das Schlimmjte, denn er hat lange frant
gelegen. Was dieſes Raubgefindel jchon für Un—
heil angerichtet hat, ift unglaublich, und bier in
ber unmittelbaren Nähe der Stadt fangen fie
jet ebenfalls an. Es wird wirklich Zeit, daß
wir dem endlidy einmal ein Ende maden. —
Dan Leuwen ſoll ſich übrigens bei jener Attaque
ſehr ausgezeichnet haben, und ich freue mid dar—
auf, ihn bald wieder in der Hauptitadt zu jehen.
143
— A, Sie können |hon wieder auf den Füßen
itehen, Seforita — wie? lächelte gutmüthig
der Kaifer — „ja, junges Blut überfteht der-
artige Anfälle leicht; Sie jehen wieder blühend
aus, wie eine Rofe.
Die Kaijerin, die ih im Saal befunden, hatte
jest ebenfalls von dem leichten Unwohlfein ihres
jungen Gaftes gehört, und war berausgefommen
fie zu jehen. Ihr folgten einige der Herren,
Obriſt Lopez und Andere, und das Gejpräd)
wurbe jetzt bald allgemein, als ein Diener mel-
dete, dag Marihall Bazaince eben unten ein
getreten jei und augenblicklich ericheinen werde.
„Ah Bazaine,‘ jagte der Kaijer und jeßte
dann leife zu NRamirez hinzu: „wenn er uns
heute nur nicht den guten Tag verdirbt, denn
er fommt fajt nie, ohne etwas Unangenehmes
in der Taſche zu tragen.‘
„Ich glaube doch,” Tächelte der Minijter,
„daß Eure Majeftät Heute wenigjtens vor ihm
fiher find, oder wenn er Etwas bringt, wird es
gewiß etwas Gutes fein.’
„ie, Ramirez,“ ſagte der Kaiſer bejtimmt
und finfter — „von Frankreich blüht uns nichts
Gutes mehr, fo viel ahnt fmir, und Bazaine
würde nie der Träger defjelben fein.‘
144
„Er iſt Euer Majeltät zu jo großem Danf
verpflichtet —
„Gerade deshalb, Ramirez — gerade des—
halb,“ jagte der Kaijer raih, — „haben Sie nie
gefunden, daß jelbjtfüchtige oder ehrgeizige Men:
ihen Nichts weniger ertragen können, als Ver—
pflihtungen gegen irgend Jemand zu haben? Es
ift ihnen das eine drückende Laſt, der fie ſich
aber jelten auf die natürlichjte Art, durch wirf-
lihe Dankbarkeit, entledigen, jondern fie ſuchen
das jo viel als möglich abzujhütteln. Doch ich
irre mich vielleicht und thue ihm möglicherweiie
Unrecht — aber auf mich madıt er den Eindrud,
jo oft ich mit ihm zufammenfomme, und — gebe
Gott, dag wir ihn wie feine Truppen recht bald
in Merico entbehren können!“
Durch den kleinen Garten, von der Treppe
her, die von unten heraufführte, Fam der Mar:
hal in voller Uniform, und mit ftraffer Hal-
tung auf den Kaijer zugehend jagte er militärisch
grüßend:
„Majeſtät bitte ich mir zu verzeihen, daß ich
Ihrer gnädigen Einladung nicht früher Folge
leijten fonnte, aber es drängte jich gerade heute
Alles —“
„Keine Entihuldigungen, lieber Marſchall,“
145
jagte der Kaifer freundlid, „wir leben noch in
einer bewegten Zeit, wo wir uns nicht immer,
wenn wir es wohl möchten, von Geſchäften los—
machen fünnen. ch freue mich, Sie wenigjteng
noch hier zu jehen — und hoffentlid, haben Sie
heute Alles erledigt und dürfen fi Ruhe gönnen.
Mir ſelber,“ jegte er vorjihtig hinzu — „iſt
wenigjtens immer unendlid wohl zu Muthe,
wenn ich mich einmal auf kurze Zeit von allem
Geihäftlihen losgemacht habe.“
„Und trotzdem werde ich Eure Majeſtät ſelbſt
noch heute mit etwas Derartigem behelligen
müſſen,“ ſagte der Marſchall.
„Wenn die Sache nicht ſehr dringend iſt,
lieber Marſchall —“
„Sie iſt ſehr dringend, Majeſtät, oder ich
würde mir ſonſt dieſe Freiheit wahrlich nicht er—
laubt haben.“
Der Kaiſer zögerte einen Moment mit der
Antwort und ſah ſinnend und, wie es ſchien,
nicht beſonders guter Laune vor ſich nieder —
hatte er es denn nicht vorher gewußt? — aber
es war jedenfalls auch beſſer, was jetzt ab—
gemacht werden mußte, gleich zu thun, um
nachher den übrigen Abend frei zu haben, oder
Fr. Gerftäder, An Mexico. II. 10
146
das Gejhäft hätte bis: zulegt auf ihm gelegen
und ihm richtig den Tag verdorben.
„Dann bitte, treten Sie hier einen Moment
in den Salon, Herr Marſchall — lieber Ramire;,
wollen Sie uns nicht folgen? und nun jo raſch
als möglich, daß wir wieder zu den Damen
zurüdfommen.“
„Majeſtät,“ jagte ver Marſchall, als er ſich
mit dem Kailer und dem Staatsminifter allein
ſah — „das Räuberwejen nimmt im Lande der:
maßen überhand, daß wir energiihe Maßregeln
ergreifen müſſen, oder es wächſt uns über ven
Kopf. Sie haben doch jedenfalls über den Eiſen—
bahnüberfall Bericht erhalten 2?”
„Allerdings,‘ ſagte der Kaijer finjter — „es
war eine traurige Affaire, und ich hoffe nur, daß
die Buben ihrer Strafe nicht entgehen.”
„Ein großer Theil der Bande ift vernichtet
worden. Ich habe eben Depejchen von Salacingo
erhalten. Ein belgiiches Corps hat jie erreicht.”
„Ich wünjche, dag man mir den Führer des—
jelben nennt,” rief der Kaijer raſch — „er muß
ausgezeichnet werden !’'
„Ich babe feinen Namen hier bei mir, Ma—
jeftät, und wollte Sie jelber darum erſuchen.“
‚Bar e8 das, weshalb Sie mich zu ſprechen
147
wünjhten, Lieber Marſchall?“ frug der Kaiſer,
der neu aufathmete, raſch.
„Als Nebenjahe, ja,“ erwiederte Bazaine,
„die Hauptjache aber ift, Majeftät, dag Ihre bis»
her geübte Milde jebt zu unverzeihliher Schwäche
würde, wenn Sie noch länger darauf beharren
würden.‘
„Wie ſoll ich das verjtehen? — was meinen
Sie damit, Herr Marſchall?“
„Das Decret,“ ſagte Bazaine, „das ſchon
von allen Ihren Minijtern unterzeichnet ift, auf
dem aber noch immer der Name Eurer Majejtät
fehlt, um es rechtskräftig zu machen. Was aber
Ihre Milde für Folgen bat und haben mußte,
darüber erhielten wir gerade in leßter Zeit die
deutlichiten Beweije. Erinnern Sie ſich, Maje—
jtät, eines gewifjen Bandenchefs Aniceto Guz—
mann, der von uns auf frischer räuberifcher That
ertappt wurde und dem Sie im vorigen Jahre
troß meiner Abmahnungen das Leben ſchenkten?
Seit der Zeit hat der Burfche nichts Anderes
getban als geraubt, Leute ermordet und Contri—
butionen erhoben, bis es den Hacienderos zu
arg wurde und fie, ohne durch unjere Gejeße
geihügt zu fein, über die Bande berfielen und
ein blutiges Erempel jtatuirten. Sie jehen, das
10%
145
Bolt nimmt zuleßt das Recht in feine eigene
Hand, und wir zwingen es nicht allein dazu,
fondern — das Schlimmjte dabei — wir ge—
wöhnen e8 dadurch jelber wieder an die faum vers
gefiene Anarchie. Das ift auch nur ein Bei:
jpiel, ich könnte Euer Majejtät aber zwanzig
bernennen, und obenan den Schurken Cortina,
ber bier eine Zeit lang in feiner Generalsuniform
berumjtolzirte, uns den Eid leijtete und dann
ruhig wieder hinauf gegen Norden 309, weil er hier
Nichts zu rauben und zu ftehlen finden Eonnte.‘
„Sie wifjen, lieber Marſchall,“ fagte ber
Kaijer, „wie jehr ich mich ſtets gegen dieſes un:
glüdjelige Decret gefträubt habe.‘
„Ja, leider Gottes weiß ich es, Majejtät,
aber wenn es nicht nöthig wäre, würden dann
wohl Ihre ſämmtlichen Minifter, die außerdem
faft ohne Ausnahme der liberalen Partei an-
gehören, ihren Namen darunter gejegt haben ?
Da Stehen fie Alle nach der Reihe — hier Sefior
Ramirez obenan, Escudero, Dios Peza, Ejteva,
Gefar, Pezuela und Siliceo. Jh muß Ahnen
aufrichtig gejtehen, Majeftät, wenn Gie bie
Unterjchrift ablehnen, jo kann ich nicht länger
für meine Truppen einjtehen, denn immer wieber
biejelben Banden zu verfolgen, die fie ſchon zwei—
149
und dreimal in ihrer Macht gehabt, nur weil
die Regierung fich fträubt die Schuldigen zu
bejtrafen, während dadurch die Leben von jo
vielen unſchuldigen und braven Menfchen geopfert
werden, geht endlich über menschliche Geduld.“
Bazaine hatte das Decret aüf dem Tiſch aus:
gebreitet und der Kaijer, beide Hände aufgejtüßt,
verfolgte e8 aufmerffam mit den Bliden.
„sh fürchte, es wird uns falſch ausgelegt
werden,‘ ſagte er endlich — „die Leute draußen
kennen unſere mißlichen Verhältniffe zu wenig
und werden e8 nach ihrem Standpunkt beur-
theilen.“
„Aber, Majeſtät,“ rief Bazaine, „wir haben
es bier nur mit den Leuten drinnen zu thun,
und wie mir von Seiner Majeſtät dem Kaifer
Napoleon der ehrenvolle Auftrag geworden ift,
das Land Hier für Euer Majeftät in Bejig zu
nehmen, und die Feinde dejjelben zu jchlagen
oder zu vernichten, jo muß ich dazu auch den
Schuß der Geſetze haben, oder meine Pflicht hier
als erfüllt betrachten, denn ein wirkliches
Heer jteht uns nirgends mehr gegenüber.‘
„But, ſagte der Kaifer endlich — „aber
Artikel 14 Hier muß nod eine Aenderung er:
fahren — das Geſetz kann nicht in Kraft treten,
150
bis Juarez' Präjidentichaftstermin abgelaufen ijt,
was mit dem 30. November geihieht. Hier fteht
der 15. November als äußerſter Termin — ſetzen
wir dafür den 30, oder noch bejier, den 1. Des
cember!“
„Es wäre nicht nöthig, Majeſtät,“ ſagte der
Marſchall, „denn der Name Juarez iſt doch nur
noch ein Popanz, den dieſe Banden gebrauchen,
um ſich, wenn ſie erwiſcht werden, aus gemeinen
Straßenräubern in Diſſidenten zu verwandeln
und dadurch die Rechte der Kriegsgefangenen zu
beanſpruchen.“
„Aber wir müſſen ihnen Zeit geben, ſich zu
unterwerfen.“
„Und was hilft das? ſie laufen ja doch bei
der erſten Gelegenheit wieder davon. Uebrigens
thut der Artikel 14 ja auch vollkommen dem
Genüge. Es werden Alle amneſtirt, die, be—
waffneten Banden angehörend, ſich der Behörde
vor dem 15. November ſtellen — ſelbſtverſtanden
daß ſie ſeit Publication dieſes Geſetzes kein an—
deres Vergehen begangen haben.“
„So ſetzen wir ſtatt des 15. November den
1. December, denn das Decret braudt über—
haupt Zeit, bis es in die entfernteren Landes—
theile dringt.‘
151
„Bollfommen einverstanden, Majejtät,‘’ rief
Bazaine, der nur froh war, daß er den Kaifer
wenigitens fo weit hatte — „daß Sie aber bie
Unterfchrift nicht bereuen werden, mögen Gie
hen daraus erfehen, daß die Verborbenheit jelbft
unter den höheren Klafien immer mehr über:
band nimmt, fo lange die bisher geübte Milde
das Volk übermüthig machte. Zuerſt haben Sie
das Beifpiel an dem jungen Lucido bier in
Merico felber — neulich wurde bei Puebla eine
Räuberbande überrafht und theils erichlagen,
theil8 gefangen genommen, unter ben Räubern
befanden fich aber zwei mit ſchwarz angejtriche-
nen Gefichtern, und als man fie reinigte, er=
fannte man in ihnen zwei ganz angejehene
Dürger aus Puebla, die fich in folch’ beque-
mer Art einen kleinen Nebenverdienjt gemadt.
Ja noh mehr — der Sohn einer Tamilie
in biefer Stadt, die Majeftät felber mit Wohl:
wollen überhäuft, war bei dem Mord meiner
Yandsleute, die in dem Eifenbahnzug bei Soledad
den Buben in die Hände fielen, mitbetheiligt,
wurde aber von den waderen Belgiern gefangen
genommen und — nad vollem Recht an Ort
und Stelle mit den Uebrigen gehangen.‘
„Welcher Familie?” rief der Kaijer raſch.
152
„Der Familie Almeja,“ fagte Bazaine —
„Silvejtre Almeja war der Name des Verblen-
deten, der, wie er noch vor jeinem Tode troßig
geitand, den Grafen Deverreur mit eigener Hand
ermordet.‘
„Großer Gott!” rief der Kaiſer, „iſt es denn
nur möglich und denkbar? Und dieje Leute nen=
nen ih auh Menſchen?“
„Der arme Bater!” rief Ramirez aus —
„ob er wohl Schon davon Kunde hat?’
Bazaine zucte die Achjeln, „ich glaube faum,
denn ich habe erjt heute Morgen die Nachricht
befommen. Die Familie Roneiro weiß aber,
daß ihr Schwiegerjohn ermordet tft.’
„Silvejtre Almeja war aber fein Räuber,’
rief Ramirez erfchüttert, „und wenn er den jungen
Grafen erſchlug, geihah es aus Eiferfudt. Er
hatte fich vorher um Roneiro's Tochter beworben
und Graf Deverreur nahm ihm die Braut weg.”
„Er ſcheint dann das Nüßliche mit dem An:
genehmen verbunden zu haben,’ fagte Bazaine
falt, „denn die filberbefchlagenen Revolver des
Grafen wurden bei ihm gefunden, wie mir denn
auch berichtet ift, daß Keiner der Ermordeten
aud nur noch eine Kupfermünze in den Taſchen
gehabt habe. Was that denn jener Lucido? —
153
um dem Raub einen Anſchein von Patriotismus
zu geben, erſchoſſen fie zuerjt die franzöfiichen
Dfficiere, und dann plünderten fie die Poſt—
kutſche.“
„Nein — nein, das geht nicht länger!“ rief
der Kaiſer — „Sie haben Recht, Herr Marſchall
— dieſem Unweſen gegenüber müſſen wir
einmal Ernſt zeigen, oder unſere guten Unter—
thanen könnten uns mit Recht den Vorwurf
machen, daß wir ihre Sicherheit vernachläſſigt
haben, nur um das Raubgeſindel zu ſchonen.“
Er ging zu einem Seitentiſch, auf dem ein
Schreibzeug ſtand — noch zögerte er einen Mo—
ment — im Entſchluß ſelbſt war er ſchwankend
geworden, dann aber ſetzte er mit ſicheren Zügen
ſeinen Namen unter die Schrift, faltete ſie zu—
ſammen und reichte ſie raſch dem Marſchall, als
ob ihn das Papier drücke und er es von ſich
ſchieben wolle.
„Ich danke Ihnen aufrichtig, Majeſtät,“ ſagte
Bazaine, „und zwar in Ihrem eigenen Intereſſe,
denn Sie ſollen ſehen, wie raſch ſich die Banden
auflöſen und von der Amneſtie Gebrauch machen
werden, ſobald es nur erſt einmal im Land be—
kannt wird.“
„Aber es tritt vor dem 1. December nicht
154
in Kraft,‘ jagte der Kaijer beitimmt. „Ich will,
dat dem Volk Gelegenheit geboten werde, auch
die Milde des Gejeßes anzurufen.‘
„Das ift ja Schon in dem Gejeß jelber aus—
geiprodhen, Majejtät, aber nur befannt muß es
werden, daß mit dem Aufhören von Juarez'
Präfidentichaft Feine weitere Entihuldigung für
diefe Banden bleibt, und dann dürfen Sie
fich auch eines jegensreihen Erfolges verjichert
halten.”
Der Kaijer jtrich ich mit der Hand über die
Stirne und athmete tief auf.
„Es war ein jo ſchöner Tag geweſen,“ jagte
er halblaut vor ſich Hin — „doch jetzt Nichts mehr
von Gejchäften, Herr Marihall, wie? —“
„Gewiß nicht, Majeſtät,“ erwiederte Bazaine.
„Ich liebe es überhaupt nicht,‘ ſetzte ber
Kaiſer Hinzu, „bier oben auf meinem „Berg=
ſchloß“ damit bedrängtzu werden. Mein „Marter—
Faften‘’ ift der palacio in der Stadt, denn wenn
ich ihn betrete, gejchieht es mit dem Bewußtſein
und der Gewißheit, gequält zu werben. Hier
dagegen möchte ich gern frilihe Luft athmen und
heitere Menſchen um mich jehen, möchte felber
heiter fein, und das fann ih nicht, wenn ich
ewig an den Krebsſchäden des Landes arbeiten
155
und — boctern joll — Vamonoz Senores, die
Damen erwarten uns draußen, und wir bürfen
fie nicht zu lange allein laſſen.“
Die Kaiferin hatte ſich indeffen draußen im
Garten mit dem Obrift Lopez unterhalten, ber
ift von feinem Leben und überhaupt dem Trei-
ben der früheren Kriege und Nevolutionen er:
zählen mußte und dann nur binzufügte, wie
glüklih er fich jett und in der Gnabe feines
Kaifers fühle.
„D Señor,“ lächelte die Kaiferin dabei, „wir
iind ja jetzt auch eigentlich halbe Verwandte, denn
ih weiß, was ein compadre hier in Merico be—
deutet. ’’
„Majeſtät find jo gnädig,“ fagte der Obrift,
„und ih hoffe nur, daß mein Sohn einft ſich
der hohen, ihm heute widerfahrenen Ehre würdig
jeigen und fein Blut fo freudig für feinen er:
habenen Monarchen vergießen wird, wie e8 jein
Vater zu thun bereit ift.”
„Ich hoffe nicht, Obriſt,“ erwiederte die Kai—
jerin freundlich, „‚daß Sie Ihr Blut für ung
Opfern, fondern daß Sie es .für werthvollere
Dienfte auffparen jolen. Wir ftehen am Ende
des Krieges, und was uns noch zu thun bleibt,
it mehr friedlicher Art; aber es bedarf troßdem
156
treuer und guter Kräfte, bejonders ſolcher, Die
es ehrlich mit ihrem Vaterland meinen, und
ich weiß leider jchon aus Erfahrung, Herr Obrift,
daß deren nicht jo viel in Merico zu haben jind.
Können Sie e8 deshalb dem Kaijer verdenfen,
daß er ſich die Wenigen zu fihern ſucht? —
Do ich begreife nicht, was Marſchall Bazaine
jo Dringendes mit meinem Gemahl zu bejprechen
bat. Sie jcheinen da drinnen im eifrigen Ge—
ſpräch begriffen zu fein.‘
„Schwerlich etwas Gutes,’ jagte finjter der
Obriſt, der, wie alle Mericaner, die Franzoſen
nicht leiden fonnte — „wie glücklich wollte ich
ung preijen, wenn wir die — Herren nur erft
einmal wieder los wären !
„Und doch haben fie das Land erobern müjjen,
meinte Charlotte, die jelber für die franzöſiſchen
Truppen viel mehr Sympathien hatte, al8 der
Kaiſer.
„Weil wir ihnen beiſtanden, konnten ſie es,“
nickte Lopez, mit dem eigenthümlichen Stolz der
ganzen mexicaniſchen Race, „glauben Sie mir,
Majeſtät, Mexicaner können nur durch Mexi—
caner beſiegt werden.“
Die Kaiſerin lächelte, denn der Gegenbeweis
war ſchon verſchiedene Male geliefert worden,
197
aber jie mochte den Obriſt auch nicht Fränfen und
erwiederte Nichts darauf. In diefem Augenblid
trat auch der Kaijer wieder, von Bazaine und
Ramirez gefolgt, in den Garten — aber fein
Antlit Hatte den glüdlihen und zufriedenen
Ausdruck von vorhin verloren. Er ſah finfter
und in jich gefehrt aus, und das Lächeln war
aus jeinen Zügen gewichen. Er ſchritt auch zu
einem entfernteren Theile der Mauer, auf die
er jih mit dem rechten Ellbogen jtüßte und brü-
tend nach den beiden, jett im Abendroth glühen-
ven Bulfanen binüberjchaute.
Bazaine Hatte fih der Kaiferin vorgeftellt;
diefe unterhielt jich freundlich mit ihm und er—
fundigte fich nach feiner jungen Frau, über die
der Marſchall dann allerdings bald alles Andere
vergaß.
Lopez hatte ſich dem Kaijer zugewandt, ber
aber auf Nichts, was um ihn her vorging, achtete
und nur jtill nachgrübelnd in das Leere jchaute.
Zu Bazaine war aud jet der alte Vidaurri
getreten, und die Kaijerin, die jchon lange ge=
wünjcht mit ihrem Gemahl zu jprechen, zog ji)
von den Herren zurüd und ging zu ihm hinüber.
Es mußte etwas Wichtiges vorgefallen und
fonnte dabei nicht gerade angenehm geweſen jein,
158
der Kaiſer hätte ſich ſonſt nicht ſo zurückhaltend
gezeigt. Was war es nur, und durfte ſie es
nicht wiſſen? Mit leiſem Schritt näherte ſie ſich
ihm und legte ihre Hand auf ſeine Schulter.
„Was haft Du, Mar? frug ſie ſchuͤchtern.
Der Kaiſer ſchrak, wie aus tiefem Nachdenken,
empor, und ob es ihm fatal ſein mochte, ſich
überraſcht gezeigt zu haben, aber er fuhr in die
Höhe und ſagte viel rauher, als es ſonſt ſeine
Art war:
„Laß mich, mein Kind — laß mich — ich —
werde gleich wieder hinüber zur Geſellſchaft
kommen.“
Die Kaiſerin trat ſcheu zurück, und als ſie
das Antlitz wandte, ſah ſie unfern davon Obriſt
Lopez ſtehen, der mit finjter zufammengezogenen
Brauen die Scene beobachtet hatte. Ob fie nun
fürdten mochte, daß ſich der Obrijt jet gerade
an den Saifer wenden wolle, der augenjcheinlich
allein zu fein wünfchte, aber jie winkte ihm
zurüdzutreten, und als er fi ihr anjchloß, jagte
jie leiſe:
„Laſſen Sie den Kaijer jeßt — er hat jeden-
falls eine unangenehme Nachricht erhalten und
wünſcht einen Augenbli allein zu jein — und
Sie haben außerdem die Damen jo yanz ver-
159
nachläſſigt, Obrijt Lopez. Hat ſich meine Eleine
Ricarda wieder erholt?‘
„Vollkommen, Majeſtät,“ erwiederte der Obrijt
— „bei jo jungen Damen geht eine jolche augen=
blickliche Schwäche vajch vorüber. Gie können
von hier aus ihr heiteres Lachen hören.’
Das Antlitz der Kaijerin, das bis dahin
ebenfalls in ernite Falten gezogen war, klärte
ih auf; ein wehmüthiges Lächeln zog darüber
bin, und fie fagte feufzend: „Glückliche Jugend!
wie rafch die Sorgen an ſolch einer heitern Stirn
dabingleiten — aber Ricarda joll uns ein wenig
mujiciren. Sie iſt Meijterin auf dem Inſtrument.“
Die Kaijerin that das abfihtlih, denn jie
wußte, wie jehr der Kaifer Muſik liebe, und
hoffte ihn durch melodiſche Weiſen wieder in
ihren Kreis hineinzuziehen; aber Marimilian hielt
ih entfernt, und als er jich wieder dem Garten
zuwandte und dort auf den ebenfalls einjamen
Vidaurri traf, jchlog er jih ihm an und ging
oben an der Mauer eine lange Zeit mit ihm
und in ernjtem Gejpräh auf und ab.
Sp verfloß der Abend, und die Kaijerin, die
jegt wohl fühlte, day ihr Gatte gern allein jein
wollte, zog ji zurüd — — das Zeichen für
die Damen, daß die Gejelichaft aufgehoben jei.
160
Namirez war der Lebte, der ſich von bem
Kaijer verabjchiedete — da legte ihm Marimilian
die Hand auf die Schulter und jagte mit halb:
lauter Stimme:
„Habe id) e8 Ihnen nicht vorhergejagt, Ra—
mirez? — ic wußte es, daß er mir den Abend
verderben würde.‘
‚Aber ich glaube jelber, Majejtät, daß er
diesmal Recht hat.‘
„Gott gebe es, alter Freund,“ erwiederte der
Kaijer, drehte jih ab und jchritt langjam in das
Schloß zurüd.
Die Damen hatten in der Garderobe nod
ein wenig gezögert, bis jie alle mit ihren Toiletten
fertig waren, und Ricarda, welche die ihrige
früher beendete, ſtand draußen an ber Thür, die
Seiorita Rodriguez erwartend, als der Kaijer
vorüberfam. Sie verbeugte fich tief, Maximi—
lian aber, freundlidy ihren Gruß erwiedernd,
lagte lächelnd:
„Run wie ijt es, Señorita? fol ich es Sie
willen lafjen, wenn ich wieder Nachridht von
Guernavaca befomme ?'
„Ob, Majeſtät,“ jagte Ricarda, und es war
gut, daß die Dunfelheit ihr Erröthen verbarg,
denn fie war bei den Worten blutroth geworben
161
— „mein Onfel würde Ihnen gewiß jo banf-
bar fein.”
„And die Nichte nicht?’
„Wir nehmen innigen Antheil an dem Ver—
wundeten.“
„Schön — ich werde es nicht vergeſſen —
buenas noches, Señorita!“
Obrift Lopez jchritt mit Uraga die breite
Treppe hinab, die in den Schloßhof führte,
wo ihre Pferde fie vor der Wade dort er—
warteten.
„Merkwürdig,“ fagte Lopez, aber mehr feinen
eigenen Gedanken Worte gebend, als zu feinem
Begleiter ſprechend — „merkwürdig, wie gut ber
Kaiſer gegen Alle jein kann, und wie rauh er
manchmal die ebeljte Frau im ganzen Land —
die Kaiſerin behandelt.‘ |
„Rauh?“ fragte Uraga erjtaunt — „id habe
das noch nie bemerkt.’
„Raub bis zum äußerſten,“ rief Lopez heftig
aus, „und oft habe ich es jchon geſehen — aber
fie trägt e8 mit einer Engelsgeduld, und wenn
dieje Frau nicht Liebe und Verehrung verdient,
weldhe dann?“
„Sie find ja ganz begeijtert, Obrijt Lopez,“
lächelte der alte Uraga, „aber,“ ſetzte er erniter
Fr. Gerftäder, In Merico. LIT. 11
162
hinzu, „rechnen Sie das unferem Kaifer nicht
an, denn wenn ein Menſch auf der weiten Welt
Sorgen und den Kopf voll Gedanken Bat, fo iſt
er es!“
„Und weshalb?’ vief Lopez — „gebt ihm
nicht Alles nad Wunſch? laufen nicht von allen
Seiten Siegesnachrichten, Ergebenheitsadrefien
ein? Er hat jet das ganze weite Land in Befig
und feinen Gegner mehr, der es ihm ftreitig
machen könnte — was will er mehr?”
„Die Jugend,‘ fagte Uraga ruhig, „hat den
Bortheil, dag fie nur Alles von der rofigen
Seite fieht, und daher ftammt ihr fröhliches
Bertrauen auf die Zukunft; — im Alter aber
lernen wir Elarer jehen.’
„Aber der Kaijer ift ja auch nod) Ir
fagte Lopez.
„an Sahren, ja,’ nickte Uraga, — an
Erfahrung altert er hier in einem Jahre zehn,
und — glauben Sie mir, Obriſt Lopez, wir
gehen noch einer ſchweren Zeit entgegen.“
„Sie ſehen Gefahren, General, wo keine
ſind.“
„Veremos amigo,“ ſagte der alte Mann
ruhig, „aber da ſind unſere Pferde und wir
haben einen dunkeln Ritt vor uns — auch nicht
163
die Spur von Mondichein auf dem Weg. Doch
was thut's, wir können nur die Thiere aus—
traben lafjen, und die finden dann jchon von
jelber ihren Stall. Vamonos.‘
118
6.
RBuebla.
— —
Puebla de los angelos — die Stadt der
Engel, wie ſie vor alten Zeiten genannt wurde,
verdiente damals auch wohl den Namen ihrer
Lage nach, denn etwas Reizenderes als die Aus—
ſicht rings umher und zugleich Großartigeres
kann man ſich kaum denken — ja ſie wird in
dieſer Hinſicht wohl nur von der Hauptſtadt
ſelber übertroffen. — Aber was hat dieſe eine
Stadt der Engel dafür in den letzten Jahr—
zehnten gelitten — wie oft iſt ſie belagert und
erobert worden, wie oft, von Landeskindern wie
Fremden, beſchoſſen und verwüſtet, und trotz
alledem iſt ſie noch immer eine der ſchönſten
Städte des ſchönen Landes.
Man könnte freilich, wie Brocklyn bei New—
165
york die Stadt der Kirchen heißt, Puebla mit
eben dem Recht die Stadt der Klöfter nennen,
denn weit mehr als ein Drittheil des Weich—
Bildes umfafjen diejelben; aber wohin ift die alte
Pracht, mit der dieſe ausgejtattet waren, wohin
der geheimnißvolle Zauber, der fie früher in den
Augen bigotter Laien umgab? Nicht allein ame:
tifanische und franzöfiihe Kanonen haben ihre
Mauern gebrochen und ihre Wände zertrümmert,
jondern vernichtender noch als dieje wirkte das
Gejeß des früheren Präfidenten Juarez, der bie
Mönde austrieb und die Liegenfchaften für
Staatseigenthum erflärte.
Ssest liegen jie verödet und leer, und da. und
dort, von der Straße, wo eine der majfiven
Bände eingefchoffen worden und das Innere
bloßgelegt hatte, kann man die Pracht an herr:
lihen Säulen und vergoldeten Wänden erkennen,
die dort früher unter den frommen Dienern
der Kirche geherrſcht und aus der fie jeßt für
immer und alle Zeit vertrieben waren.
Im Innern merkte man indeß die Zerſtö—
tung der arg heimgejuchten Stadt noch nicht Jo
jehr, als in den Vorftädten, denn halbe Straßen
lagen dort in Trümmern, und Büſche wuchſen
jhon wieder aus dem Schutt der Zimmer heraus,
166
in denen früher glüdflihe und barmloje Men—
Ihen hauſten, bis fie die Kanonen der Feinde
unter ihren eigenen Mauern begruben oder ob—
dachlos hinaus in die Weite jagten. Und wo
ji früher Eleine Gärten an die Wohnungen ge:
Ihmiegt und prachtvolle Blüthen ihre duftenden
Kelche gehoben, da lag jett zwilchen Schutt und
Verwüſtung das Aas, das man aus der Stadt
binausgejchafft, und magere Hunde bifjen ſich
um ben eflen rap.
Aber Etwas muß man dem mericaniihen
Volk laſſen — e8 hat eine Lebenskraft, die an
das Inglaubliche grenzt, und viel mag die Ges
wohnheit dazu beitragen, Leben und Eigenthum
auch fein Jahr lang hintereinander gefichert zu
wiflen. Das Thatfähliche ließ fich freilich nicht
ableugnen — die Ebene hier oben, die Cortez
von Hunberttaufenden glüdlicher und zufriebener -
Menſchen bewohnt gefunden, wo der Acker- und
Gartenbau blübte, auch die zahlreihen Heerden
ihr Futter fanden, und Dorf an Dorf, Stabt
an Stadt ſich reihte,- ift im Verhältniß zu jener
Zeit eine Wüjte geworden — und wahrlich Fein
Wunder. Gerade hier in der Nachbarſchaft bei
Cholula war es, wo fi Cortez mit feiner ge—
panzerten und mit Keuerwaffen verjehenen Räu—
167
berbande zwiſchen die nadten Eingeborenen warf,
und nicht allein Tauſende von ihnen hinſchlach—
tete, jondern auch noch nad der Mekelei von
keinen Bfaffen ein Te Deum laudamus anjtim=
men lieg. — Was aber damals nicht vernichtet
wurde, jiechte jpäter unter dem verderblichen Eins
fHuß der Spanier dahin, rieb fich in ewigen Bürs
gerfriegen auf und erlag endlich auch noch zum
Üeberfluß fremden Einflüfen. Auf hundert,
die da früher glücklich lebten, kommt jegt kaum
nod ein einziger Sndianer, der halb in Elend
und unterdrückt fein Leben frijtet und von einer
Zukunft träumt, in welcher Oueßlatofl, der gute
Gott, wieder zu ihnen zurückkehren und fie be=
freien ſoll.
Und find jie wenigitens jeßt Chrijten ge—
worden? — Unter den Altären des neuen bluti=-
gen Gottes vergraben jie insgeheim ihre alten
Heinen Gößenbilder, und wenn ſie fi an ben,
ihnen als heilig bezeichneten Stellen zum Gebet
nieberwerfen müflen, ſind e8 nur die alten
Götter, die fie anrufen und zu denen fie flehen.
— Das iſt der Segen des Chriſtenthums, der
ihnen wurde, und ihren jeßigen Pfaffen verdan-
fen fie weiter Nichts, als daß dieſe das Land
ewig und unabläjlig zu neuen Revolutionen an—
168
reizen und treiben, und des Blutvergiegens bort
fein Ende ift.
Und troßdem berrjchte in ber inneren Stadt
veges buntes Leben, und das Volk tummelte fich
vergnügt und beiter auf dem Plaß oder in den
Nebenftraßen umher. — VBerfäufer jagen über=
all unter den Golonnaden des prächtigen Haupt—
plages und thaten gar nicht fo, als ob ſich
ihre Stadt in feindliher Gewalt befände, und
Franzoſen nicht allein die Hauptwadhe und bie
Thore bejegt hielten, nein auch oben in den bei=
den Forts die Kanonen auf fie gerichtet liegen,
um im Fall eines Aufjtandes noch einmal den
Ihon Halb in Trümmern liegenden Pla mit
ihren Granaten und Bollfugeln zu überjchütten.
Dazwifchen aber jchlenderten franzöſiſche Officiere,
mit den Señoritas Fofettirend, die ihnen, aber
ſcheu und oft mit einem veräcdtlihen Zug um
die Lippen auswichen, überall umber. Sie fühl-
ten ſich ja im Schuß ihrer Bajonnette ficher, und
die „große Nation‘ iſt überall zu Haufe, wo ſie
im Anfturm eben einmal ein neues Land genom=
men hat. Willen die Soldaten ja doc auch wohl
gut genug, daß fie ihre kurze Zeit benügen müſ—
fen, denn lange währt bei ihnen nie bie freude,
169
und was fie auch erobern — fie können es nur
felten behaupten.
Das müſſige Volt — die Leperos, wie Jie
ih in allen größeren Städten herumtreiben, be=
fand fich übrigens auf den Füßen, denn es gab
wieder Etwas zu jehen. ine franzdjiiche Pa-
trouille war einer Fleinen Guerilla-Bande hab:
haft geworden, die zwijchen Orizaba und Puebla
ihr Weſen getrieben, und außerdem hatte man
ihren Spion, einen Burſchen Namens Perez, auf:
gegriffen, der bier von Puebla aus der Bande
Kunde gegeben, wann fie einen guten ang er=
warten durfte. Das Gerücht ging, daß der Ver—
bredher heute erjchofjen werden jollte, und bag
verrichteten die Franzoſen dann auch jtets in
der Stadt jelber auf einem Fleinen Seitenplaße,
auf dem fid außerdem ein Zweigmarkt befand.
Es wäre zu weitläufig gewefen, der ewigen Exe—
cutionen wegen. immer vor die ziemlich ausge—
dehnte Stadt zu laufen. An einer alten Mauer
wurde ber Verurtheilte aufgejtellt, und fünf Ku:
geln bejeitigten ihn dann raſch, wonach er auf
einem Karren binausgefahren und eingefcharrt
wurde. Was jollte man mit dem Gefindel Um:
jtände machen, und außerdem hatte man ja auch
wirflichen Ladrones ſchon feit längerer Zeit ſelbſt
170
die Möglichkeit der „Gnade“ abgejchnitten. Ge—
fangen, gehangen oder der Kürze wegen erſchoſſen,
war der gewöhnliche Urtheilsſpruch der jetzigen
Herren des Landes, und in ſehr vielen Fäl—
len befanden ſie ſich dabei auch in ihrem vollen
Rechte.
Heute nun wieder marſchirte eine Abtheilung
von vierzig Mann, aber alle mit geladenen Ge—
wehren, da man ſich dem Volk gegenüber doch
nie ſicher fühlte, nach dem Hauptgefängniß mit
rieſigen Mauern, in welchem gewöhnlich immer
einige zwanzig Gefangene zuſammenſaßen und
dann nach und nach, wie man ſie zum Verhör
führen wollte, herausgeholt wurden. Die Thür
öffnete ſich — die Soldaten ſtanden mit aufge—
ſteckten Bajonnetten, um einen doch möglichen
Ausbruch zu verhindern, und der commandirende
Dfficier rief hinein:
„Ber von Euch heißt Ignacio Perez?’
Niemand antwortete.
„Perez! habt Ihr es nicht gehört? Wer von
Euch heißt jo?’
„Ich heiße Perez,‘ ſagte ein armer Teufel
in einer zerrifjenen Serape, der hinten in ber
Ede auf der Erde gelegen hatte.
„Komm mit, mein Burſch.“
171
Die Thür ſchließt jih wieder — der Ge—
fängniwärter bindet, auf Befehl des Dfficiers,
dem Unglüdlihen die Hände auf den Rüden,
und die Truppe marjchirt mit ihm ab, gerade
dem kleinen Plage zu. Der Burſch hatte bis
dahin auch noch immer geglaubt, daß man ihn
nur zum Verhör führen wollte, wie aber bie
Soldaten den gefürchteten Plaß, den er recht gut
fannte, erreichten, rief er in Todesangit aus:
„Pero, Senores — Sie wollen mid, doch nicht
todtihießen? Sch bin ja ganz unſchuldig uud
habe wahrhaftig das Huhn nicht geftohlen. Ich
fann e8 ja auch beweifen, und mein Bruder wird
heute Morgen in die Stabt fommen — ich war
ja gar nicht in Puebla, wie e8 gejtohlen wurde.’
Er befam von Niemandem eine Antwort —
die Leute hatten jchon eine Art Yertigfeit darin
erlangt. Wie er fih in aller Verzweiflung zur
Wehre jegen wollte, faßten ihn viere und trugen
ihn zu einem der Ringe, die in der Mauer be=
fejtigt waren, um die Pferde der Marftleute
daran anzuhängen. Dann band man ihn feit.
Das Volk wurde unruhig und fing an fi
zujammen zu rotten, aber die Straße herab kam
franzöſiſche Cavallerie, einen luſtigen Marie
blajend. Die Gewehre fnallten dazwiſchen —
172
die Kugeln jchlugen durch den Körper des Un:
glüdlihen, gegen die Mauer an. — Ein meri-
caniſcher Karrenführer ftand ſchon bereit, der
bie Leiche auflub und fortfuhr, und bie ganze
Truppe marſchirte dann mit Flingendem Spiel
nah dem großen Plate zurüd. — Was war
auch weiter gejhehen, als ein doch werthlofes
Reben ausgejtrihen und vernichtet.
Der Eompagnie entgegen jprengte ein höherer
DOfficier, zügelte neben dem Hauptmann, ber
biejelbe commanbdirte, jein Pferd ein und rief,
aber mit unterdrüdter Stimme:
„Sapristi, de Balle, was haben Sie gemadht ?
Sie haben eben einen faljhen Mann erſchoſſen!“
„Oaramba,“ rief Capitän de Valle aus —
„aber das iſt nicht möglih. Sch babe felber
feinen Namen aufgerufen und er bat ji) ge=
meldet.‘
„Sa, allerdings — er heißt auch Perez, aber
nicht Ignacio, ſondern Juan — und ift nur
auf Verdacht eines Fleinen, unbebeutenden Dieb-
ſtahls bier eingebradt. Der wirkliche Ignacio
Perez jaß gar nicht in jenem Klojter, jondern
oben in San LRorreto, und ijt eben erjt in bie
Stadt escortirt.‘
„Diable!“ fluchte der Hauptmann, „das ift
173
fatal — aber was maden wir jet — Sollen
wir den andern laufen laſſen?“
„Das geht nicht,“ erwieberte fein Vorgefeßter,
„der Befehl ift vom Obercommando da, ihn zu
erihießen, alfo holen Sie ihn lieber gleich.“
„Das Volk rottete fi aber ſchon jetzt zu—
jammen, wir befommen am Ende Skandal, und
e8 wird nachher nachgefragt, wer bei der erften
Execution erſchoſſen ſei.“
„Hm, das iſt wahr — gut, fo laſſen Sie es
mit der zweiten bis heute Abend — es ift über.
dies möglich, daß noch einige Andere dazu kom—
men. Aber nehmen Sie ſich das nächſte Mal
in Acht, de Valle. Ignacio Perez heißt ber
Burſch.“ Damit warf er fein Pferd herum und
iprengte wieder einem andern Theil der Stadt zu.
Auf dem Plage ftand eine Gruppe von jungen
Mädchen und rauen beifammen und unter:
hielten fich leife und gefchäftig mit einander. —
Es waren reizende, jchlanfe, jugendliche Geſtal—
ten, bie broncefarbenen Körper faum verhüllt,
und lebendig und beweglich dabei in allen ihren
Geberden.
Was braucht auch ein mericaniiches Mädchen
viel zu ihrer Garderobe, um ſich von Kopf zu
Fuß zu Eleiden: einen Kamm, um ihr volles,
172
die Kugeln jchlugen durch den Körper des Un:
glüdlichen, gegen die Mauer an. — Ein mexi—
caniſcher Karrenführer ſtand ſchon bereit, ber
bie Leiche auflub und fortfuhr, und die ganze
Truppe marjdirte dann mit klingendem Spiel
nah dem großen Plage zurüd. — Was war
auch’ weiter gejhehen, als ein doch werthlojes
Leben ausgejtrihen und vernichtet.
Der Compagnie entgegen jprengte ein höherer
Dfficier, zügelte neben dem Hauptmann, ber
biejelbe commanbirte, fein Pferd ein und rief,
aber mit unterdrüdter Stimme:
„Dapristi, de Valle, was haben Sie gemadt ?
Sie haben eben einen falihen Mann erſchoſſen!“
„Caramba,’ rief Capitän de Valle aus —
„aber das iſt nicht möglid. Sch Habe ſelber
feinen Namen aufgerufen und er bat fich ge:
meldet.“
„Ja, allerdings — er heißt auch Perez, aber
nicht Ignacio, ſondern Juan — und iſt nur
auf Verdacht eines kleinen, unbedeutenden Dieb—
ſtahls hier eingebracht. Der wirkliche Ignacio
Perez ſaß gar nicht in jenem Kloſter, ſondern
oben in San Lorreto, und iſt eben erſt in die
Stadt escortirt.“
„Diable!“ fluchte der Hauptmann, „das iſt
—
”
—#*
fatal — aber was mund ur —
mir den andern Lamten kai”
Das geht nit” —— — IT mm
der Befehl if nom —
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Ne möglic, da ze urn t wie
er 7 il er
h bin
er je
en ihn
Dr.’
ngebo-
2 woll-
ih —
© gefauft
hier bei
Schläge ge—
Hieh! Das
irten!'
4
174
lockiges Haar zujammen zu halten, ein weißes
Hemd und einen bunten Unterrod, ein Baar leichte
Schuhe und einen jchmalen aber langen Rebozo,
um den Oberkörper darin einzuhüllen, und bie
Toilette ift vollfommen fertig. Und wie gejchict
und kokett wijjen fie den leßteren um Schul:
tern und Kopf zu jchlagen, und wie blißen babei
die Augen und lächeln die Lippen!
„Habt Ihr's ſchon gehört?” fagte die Eine,
ein bildhübſches Ding von kaum fiebzehn Jah:
ren — „die Mutter hat's eben bei uns zu Haufe
erzählt, daß fie den Porfeirio Diaz heute aus
dem Fort herunter in die Stadt Schaffen? Der
Kaijer will es nicht länger leiden, daß ihn die
Franzoſen da oben jchlecht behandeln.‘
„Und was nüßt es ihm,’ ſagte Eine der An-
deren — ‚wenn fie ihn in das alte Kloſter jteden,
wo jie jeden Tag die unglüdlichen Menjchen her:
ausjchleppen und drüben an der Mauer todt-
Ihießen? Bor einer halben Stunde erjt haben
fie den Juan Perez erſchoſſen, einen jo braven
Burſchen wie ihn nur die Erde trägt, der feine
arme alte franfe Mutter jetzt gepflegt bat, jahre:
lang, und nur in die Stadt gefommen war, um
Mebicin für fie zu holen. O, das Elend! das
Elend!’
„And daß es die Männer nur leiden!’ fügte
eine Dritte hinzu, „iſt es denn nicht bald genug,
um ſelbſt uns Frauen rafend zu machen?”
„Aber was fönnen wir thun?“ fagte die Erite
wieder — „Sie fommen zu Tauſenden mit Ka—
nonen und Gewehren, und find geübter auf ben
Krieg wie wir. Konnten wir denn nur Puebla
gegen fie halten?“
„Weil fie das alte Weib, ven Gonzales Or—
tega, bier zum General hatten,‘ rief das junge
Ding wieder heftig aus — „verjtehe ich denn
nit mehr von der Belagerung einer Stadt wie
die Memmen — und jeßt, jagen fie, will er
Präfident werden an Juarez' Stelle — ich bin
nur ein ſchwaches Mädchen, aber kommt er je
wieder nach Puebla, fo reißen wir Frauen ihn
in Stüde und werfen ihn den Hunden vor.‘
„Er hat fih ja auch den Franzoſen angebo-
ten,” jagte die Erfte wieder — ‚aber die woll-
ten Nichts mit ihm zu thun haben.‘
„KRatürlich,” lachte eine Andere verächtlich —
„der wäre mir um einen Glaco zu theuer gefauft
gemwejen, ver Schuft — und wie hat er hier bei
ung gewirthichaftet, und wie hat er Schläge ge-
friegt, wo er fi nur immer blicken ließ! Das
ein General — pfui über den Schurken!‘
176
„Und jegt ijt er Gejandter oben bei den
Nordamerifanern, und uns haben fie das freche
franzöſiſche Gefindel hergeſchickt.“
„Aber doch immer lieber die Fremden,“ ſagte
eine junge Frau, „als Ortega zurück, der uns
die Männer von’ der Straße wegfangen ließ und
fie in eine Uniform ftedte.‘
„Aber e8 war doch wenigjtens ein Mericaner,‘'
ſprach die Erjte wieder.
„Ein Hund war eg,‘ rief die junge Frau,
„aber fein Mericaner, ber die Gloden von ber
Kathedrale läuten ließ und als die Leute aus ben
Häufern jtürzten, weil jie glaubten, daß ein Un-
glück gejchehen jei, die Straßen abjperrte und
die armen unglüdlihen Menjchen einfing, da—
‚mit fie für ihn todtgejchoflen wurden. Meinen
armen Mann traf an dem nämlidhen Abend eine
Kugel, und über die Schwelle, die er Morgens
noch friſch und gefund überjprungen, trugen jie
mir ihn Abends wieder als Leiche zurück.“
‚Ber fommt da wieder die Straße herunter ?"
rief ein junges Mädchen und deutete nach Nor:
den hinüber in die nächſte, von der Plaza ab:
führende Straße hinein.
„Was wird's fein,‘ jagte finfter die Frau —
177
„Soldaten, weiter Nichts, die ja den ganzen Tag
berüber und hinüber marjchiren.”’
„Aber das da drüben ift noch etwas Beſon—
deres. Siehſt Du nicht die vielen Menjchen,
die Hinterher ziehen und von den Franzoſen
zurüdgetrieben werden? Was mögen fie da nur
haben?“
Die jungen Frauen und Mädchen wandten
ſich der Richtung zu, und ſahen bald, daß es
hier allerdings etwas Ungewöhnliches geben mußte.
Wohl marſchirte eine geſchloſſene Colonne fran—
zoͤſſſcher Soldaten die Straße herauf, aber vorher
ſchritten, nicht im Marſch, ſondern willkürlich
zerſtreut, etwa ſieben oder acht franzöjiiche Offi—
ciere und zwiſchen ihnen ein Officier der Liberalen,
aber ohne Abzeichen oder Waffen — jedenfalls
ein Gefangener, der aber trotzdem auf das achtungs—
vollſte von den Franzoſen behandelt wurde. Sein
Name blieb auch kein Geheimniß, denn von
Mund zu Mund pflanzte er ſich fort: Porfeirio
Diaz! und mit ſtaunender Neugierde betrachtete
ihn das Volk.
Es gab auch vielleicht keinen Mann in ganz
Mexico, der einen beſſeren und unbeſcholteneren
Namen hatte als gerade dieſer General, und
Fr. Gerftäder, In Mexico. II. 12
178
wie tapfer er ich dabei in Dajaca benommen,
wo er zulett nur der Uebermadt wich und ſich
jelber gefangen gab, weil er nicht wollte, daß
die Stadt durch einen nußlofen und zulegt doch
vergeblihen Widerſtand zerjtört würde, wußte
man überdies jchon gut genug. Aber Puebla
fonnte Feine bejondere Sympathie für die Libe—
ralen haben, da in ber lebten Zeit dort ber
Ichlechtejte und erbärmlichite General den Ober:
befehl führte, den Merico vielleicht aufzumeijen
hatte: Gonzales Ortega. Dadurch war das Ver:
trauen zu Juarez’ Regierung vollftändig geſchwun—
den, und wenn man auch die Franzoſen, wie in
allen übrigen Städten des Kaiſerreichs, gründ—
(ich haßte, jo verſprach man ſich doc) Feine Beſſe—
rung von einem Wechſel nad) liberaler Richtung
bin, und dachte auch deshalb für jet an Feine
neue Revolution.
Aber für den General Diaz interefjirten jich
die Leute troßdem. Man wußte, daß er ein ehr:
licher, braver Mann jei und feine Soldaten
gut behbandle, was in den bamaligen ewigen
Nevolutionen den Führern jehr hoch angerechnet
wurde. Außerdem hatte e8 jich ausgejprochen,
daß er von den Franzoſen oben in Fort Guade—
lupe Schlecht behandelt worden wäre, und der Kaijer
179
jolle befohlen haben, ihn in einen bejjeren Ges
wahrjam zu bringen, und das Fonnte natürlid)
nur das Intereſſe für ihn fteigern.
Wie der Zug aber herankam, zeigte jich troß:
dem, dab ſich die franzöſiſchen Officiere jehr
freundlich mit ihm unterhielten. Er jchien we—
niger ein Gefangener, als ein Gejellihafter von
ihnen, wie er in der Mitte die Straße dahin—
Ihritt; viele Bürger von Puebla aber, die ihn
auf jeinem Wege trafen, grüßten ihn achtungs—
voll, und er dankte lächelnd nach allen Geiten.
Die Escorte bog in eine Seitenftraße ein, und
der Menſchenſchwarm, der ji mehr und mehr
vergrößerte, folgte ihr, ohne aber die geringjte
seindfeligfeit zu zeigen. Was hätten die Unbe—
waffneten, mit der Stadt noch dazu unter den
Kanonen der Forts, auch gegen die Uebermacht
ausrichten wollen. Nur zu begleiten wünfchten
lie den General, bis endlidy die Soldaten vor
einem der alten Klöfter, das aber unten jchon
in eine Kaferne umgewandelt worden, Halt mad):
ten. Dort waren einige wohnlide Räume für
den Gefangenen bejtimmt — wohnlidy nämlich,
je weit das im Bereich feiner Baulichfeiten lag.
Aber der General war ja doch auch nicht verwöhnt,
denn jahrelang hatte er ſich draußen im Feld
12*
150
berumgetrichen und machte wohl feinen Anſpruch
auf wirkliche Bequemlichkeiten.
In ſoweit nahm man aber auf ihn befündere
Rückſicht, als ſeine Zimmer, wenn auch mit
feſten Gittern verſehen, doch die wunderbar
ſchöne Ausſicht nach den Vulkanen zeigten. Er
konnte wenigſtens die freie ſchöne Welt ſehen,
wenn ihm auch nicht geſtattet wurde ſie zu be—
treten, und daß es ihm ſonſt an Nichts fehle,
dafür ſorgten ſchon die Bewohner der Stadt,
ob ſie nun der alten Republik oder dem Kaiſer—
reich anhingen. Porfeirio Diaz war als ein braver,
ehrenwerther Mann bekannt, und brave, ehren:
werthe Leute ſind viel zu ſelten in Mexico, um
ihnen nicht, wo man ſie wirklich traf, eine
Freundlichkeit zu erweiſen. Die Bürger von
Puebla ließen es ſich deshalb nicht nehmen, ihm,
ſo weit es anging, Erleichterungen ſeiner Haft
zu ſchaffen, und das ausgenommen, daß er auf
das ſtrengſte bewacht wurde, da man ihn mehr
als Andere der liberalen Führer zu fürchten hatte,
durfte er ſich eigentlich über Nichts beklagen.
Das Kloſter, in dem ſich General Diaz be—
fand, war an der Oſtſeite beſonders durch die
aus den Forts damals, nach der Einnahme durch
die Franzoſen, gefeuerten Schüſſe nicht unbe—
181
trähtlih beihädigt worden. Die bineingewor-
fenen Kugeln hatten jogar die eine Kuppel zur
Hälfte zerjtört und ihre Trümmer in die Kirche
hinabgeworfen,, und der eine Theil der Außen—
wand war ebenfalls eingeftürzt, jo daß man deut—
(ih von außen die wirklich geſchmackvollen Pfeiler:
gänge, die im Innern binführten, erfennen
fonnte. Faſt ganz unberührt blieben aber eines:
theil$ die unteren Räume, und dann audy alle
jene Zimmer, die in Welten und mit der Aus:
ſicht nach den Vulkanen zu lagen. Den unteren
Theil hatten die Franzoſen auch, wie gejagt, zu
einer Art von Kajerne benüßt, denn die Front
beherrichte zugleich einen nicht unwichtigen Theil
der Stadt. Nur die Rückſeite des Gebäudes
Ihien nicht benüßt zu werden — wozu aud) ?
Räumlichkeiten gab e8 genug in Puebla. Faſt
ſaͤnmtliche Klöjter jtanden leer und dem Ge-
brauch offen, und die ganze franzöjiiche Armee
würde in dieſen zahllojen und Leerjtehenven '
Bauten ein bequemes Unterfommen gefunden
haben. — Man fonnte eben mit dem beiten
Villen nicht Alles verwenden.
Gin £leiner Theil der Klöfter in Puebla
hatte allerdings ſchon Käufer gefunden, und einige
davon waren auch — troß dem Einſpruch der
182
Seiftlichfeit — in Wohngebäude verwandelt und
umgebaut worden, aber dem unaufbörlichen
Mühlen und Bohren des Klerus gelang es Doc,
die meiſten Kauflujtigen fern zu halten, denn
was fie an Schredbildern, bejonders vor den
Augen der Frauen, heraufbejhwören konnten,
thaten fie gewiß. Es gab ja gar feine Strafen,
weder im Himmel noch in der Hölle, die denen
nicht angedroht wurden, die jih an „Kirchen:
eigenthum“ vergriffen. Die Capitalijten zögerten
deshalb immer no, ihr Geld an eine Jolche,
wie jie glaubten, ungewijje und gefährliche Spe:
culation zu wagen, und man ließ deshalb vie
werthvollſten Bauftellen unbenüßt liegen.
Sp fam es denn, daß die ganze Reihe von
Gemächern, von denen Porfeirio Diaz zwei an:
gewiejen. befommen hatte, jeßt leer und unbe—
wohnt lag, aber eine Flucht von dort heraus
war bei den mächtigen Wänden und fejten, nod
dazu mit Vorlegeſchlöſſern verjehenen Thüren
troßdem nicht möglich. Außerdem gab es nur
zwei, aber ebenfalls zujammenlaufende Ausgänge,
der eine nach der Azotea des Klojters hinauf, der
andere durch den langen Gang, an der Azotea=
thür vorüber, und dort ftand ein Doppelpoiten,
der alle Stunden abgelöjt und revidirt wurde.
183
Borfeirio Diaz befand ſich allerdings in dem
Gewahrjam der Stadt, aber Marichall Bazaine
Ihien den Bewohnern von Puebla doch nicht jo
weit getraut zu haben, ihnen auch die Äußere
Bewahung des jedenfalls gefährlichen Gegners
zu überlaffen, und glaubte jich auf diefe Art am
beiten gegen jeden doc möglichen Fluchtverſuch
fiher zu ſtellen.
Sp vergingen at volle Tage, ohne dag fich
in ber Lage nur das Geringjte geändert hätte.
Porfeirio Diaz wurde allerdings von denen, die
er am meilten haßte — von den franzdfiichen
Eindringlingen, nicht mehr beläftigt, denn er
verkehrte nur mit der Stadt untergeordneten
Beamten und befam auch von diefen feinen
Unterhalt, wie Wein und Früchte genügend von
den Bürgern zugejandt, aber er hörte doch das
Aufſtoßen franzöfiiher Gewehrfolben auf dem
Steinboden der Gänge, und fah feine Möglich:
feit, fi feiner Haft nach irgend welcher Seite
durch die Flucht zu entziehen.
Der Abend des achten Tages dämmerte —
General Diaz ftand, die Stirn gegen das eiferne
Gitter feines Fenfters gepreßt, und fchaute ftill
und jchweigend hinaus, bis ſich tiefe und heute
faft vollfommene Dunkelheit auf die Erde legte.
. a v
184
Auf feinem Tiſch brannte eine kleine Lampe,
und der Schließer hatte ihm kurz vorher jein
Abendejjen daneben gejeßt, ohne daß er bis jetzt
noch Luft verjpürte es zu benügen. Sein Blid
hing an den düſteren Wolkenſchleiern, die über
den Himmel hinüber jagten und nur dann und
wann einmal einen helleren Streifen lichten Fir—
maments zeigten. Das Wetter hatte auch jchon
den ganzen Abend gedroht — jeßt aber brach es
plöglih los. Die Scleußen öffneten ſich —
Blitze zudten, der Donner rollte, und wie eine
Sündflutb Fam der Regen prafjelnd auf bie
unter ihm liegende ftile und menjcenleere
Straße .nieder. Diaz achtete es nicht, und ganz
in jeine trüben Gedanken vertieft, lehnte er jtill
am Gitter und jeufzte nur tief auf, als einzelne
der jchweren Tropfen, von dem Wind gejagt, auf
jein Haupt trafen — es waren ja Boten der
Freiheit und er — er Nichts als ein Gefangener,
machtlos in der Hand der Feinde, während fein
Baterland unter ihren Streiden blutete.
„Porfeirio Diaz,’ ſagte da eine tiefe, aber
doc) vorjichtig gedämpfte Stimme, und wie von
einer Natter geſtochen zudte er zujammen, denn
das war nicht der Ton, nicht die Anrede jeines
Wärters. Aber unwillfürlich auch fuhr er herum
185
und erkannte jetzt, unmittelbar neben dem Tiſch
und der darauf ftehenden Lampe, die Gejtalt eines
Mönchs, die in der langen Kutte, die Kapuze
halb über das Antlig gezogen, vegungslos ine
mitten der Stube jtand und die Wirfung zu
beobadhten ſchien, die fein Erjcheinen auf den
Gefangenen machte.
General Diaz gehörte vielleicht zu den auf-
geklärtejten Mericanern; er war nichts weniger
als abergläubiih und kannte Feine perjönliche
Furcht, und doc Fonnte er fih im erſten Mo:
ment eines leifen Schauers nicht erwehren, als
er fich bier, in der alten, öden Klofterzelle, jo
plöglich und ohne Vorbereitung der Gejtalt des
Mönchs gegenüber ſah. — Er hatte feinen Schritt,
fein Zurückſchieben eines Riegels oder einer
Thür gehört, die doch jonjt immer Lärm genug
machte, und wie aus dem Boden gewachſen ftand
die Gejtalt vor ihm, in ihrer Regungslofigkeit
jelbft mehr einer Erjcheinung als einem menſch—
lien Wejen gleihend. — Und war es ein Ge—
ſpenſt? — „Thorheit,“ rief es in ihm — nur
ein Gedanke war es, der ihm durch das Gehirn
zudte, aber auch jo flüchtig wieder verſchwand,
als er entjtanden. Im nächſten Augenblid ſchon
156
Ichlug er die Arme über der Bruft zufammen, und
mit vollfommen ruhiger Stimme fagte er:
„Quien vive? Ich jehe die Form, aber ich
fann das Geſicht nicht erfennen.‘
Der Mönch hob warnend den Arm.
„Richt jo laut, General,’ fagte er dabei —
„Ihre Wärter draußen brauden nicht zu wiſſen,
daß Sie Beſuch haben.‘
„Richt zu willen daß ich Beſuch Habe?‘
wiederholte Diaz erjtaunt, aber doc) der Warnung
folgend mit gedämpfter Stimme, „und auf welde
Weile haben Sie denn bei mir Eintritt gefunden,
frommer Padre?“
„Laſſen Sie fih das nicht kümmern, General, ‘‘
erwiederte der Mönch, indem er aber body einen
Moment aufmerffam nah der Thür hinüber
horchte, denn er ſchien fich nicht vollfommen jiher
zu fühlen — „ſo viel nur fei Ihnen gejagt, ich
fomme, wie Sie fich wohl leicht denken fünnen,
als Shriyreund, und bin vielleicht in furzer
Zeit im Stande, Ihre Felleln zu löſen.“
„In der That?‘ vief Diaz, der die Geftalt
aber noh immer mißtrauiſch betrachtete — er
hatte mit der Geiftlichfeit nie auf einem bejon=
ders intimen Fuß gejtanden, und fonnte fich nicht
gut denken, welches Intereſſe dieje gerade an ihm
187
nehmen jollte. Doc das mußte ſich ja bald auf:
flären, und rubig fuhr er fort: „So dürfte id
Sie alfo bitten, mir mitzutheilen, was Sie auf
jo geheimnißvolle Weiſe zu mir führt und —
wer Sie find.’
„Wer ich bin, General,” entgegnete ber
Mönd, ohne aber die Kapuze zu entfernen, die
fein Geficht noch volljtändig im Schatten hielt,
‚eben Sie an meinem Kleid — ein Diener der
Heiligen Kirche, ein Mitglied jener großen Brü—
derichaft, deren jchönes Ziel es iſt, die jündigen
Menihen auf Erden für den Himmel vorzu—
bereiten und ihre Bahn für Recht und Tugend
zu ebnen.‘
„Ein Schöner Beruf in der That,’ nidte
Diaz — „wenn er immer eingehalten würde und
fih nur auf das beſchränkte — doch was führt
Sie zu mir?”
„Der Wunſch, unjerem armen Baterland zu
helfen, es von jeinen Feinden zu befreien und
das Volk wieder — im Frieden — feinem Gott
zuzuführen.‘
„Und um das zu ermöglichen, juchen Sie
einen Gefangenen auf?" fagte Diaz bitter —
„aber ich verjtehe Sie überhaupt nicht. Droht
mir Gefahr und treibt Sie Ihr Beruf, mein
188
Seelenheil zu retten, jo beruhigen Sie jidh
darüber. Ich halte mich nicht für jündenfrei, aber
ih glaube, ich jtehe jo mit meinem Gott, daß
ih ihm ruhigen Herzens entgegentreten Fann.‘
„Keiner von uns kann das jagen, Porfeirio
Diaz,‘ erwiederte der Mönch, die Hand aufhe—
bend — „nicht der Reinjte — aber noch fei der
Tag ferne, der Sie von diefer Erde abruft. Nein,
die heilige Jungfrau hat Sie no zu Großem
auserjehen, und jie möge meinem ſchwachen
Worte Stärke verleihen, in Ihr Herz zu bringen
und dort zu zünden.”
„Sie ſprechen in Räthjeln, frommer Vater,’
jagte Diaz ruhig,. „aber Ihre Worte jcheinen
trogdem auf ein beftimmtes Ziel hinzudeuten.“
„Das thun jie in der That.’
„Dürfte ih Sie dann bitten, mir vor allen
Dingen Ihr Gejicht zu zeigen,‘ fagteda Diaz,
„nenn ich verfehre nicht gern mit Leuten, denen
ih nidt beim Sprechen in bie Augen ſehen
fann.‘
Der Mönd zögerte. — „Mein Auftrag,‘
jagte er endlich, „betrifft nicht mich perſönlich —
ih ſpreche nicht für mich, jondern für einen
Andern; der heutige Abend joll aud Nichts ent-
Iheiden — nur hierher gefommen bin ih, um
189
eine Frage an Sie zu richten, General — nur
Ihre Antwort darauf zu hören. Betrachten Sie
dann die Frage, als ob nicht ih — ein Menſch,
diefelbe an Sie gerichtet hätte, ſondern als ob
Sie der Alleinfeligmahhenden Kirche, bie ih in
diefem Augenblick vertrete, gegenüber jtänden.
Die Züge meines fremden Gefihts Fünnten Sie
nur darin ſtören — es ijt der Geijt, der zu Ihnen
Ipricht, nicht die Perſon.“
„Ich bin anderer Meinung,’ erwiederte Por:
feirio Diaz ruhig — „entweder Sie verhandeln
offen mit mir oder gar nit. Sch habe Sie
nicht gerufen, begreife audy nicht, was Sie von
mir erfragen wollen, verweigere aber jede weitere
Antwort, bis ich genau weiß, mit wen id) es
zu thun babe.” .
„Und wenn ich ein Gelübde abgelegt hätte,
Ihnen mein Antleg nicht zu zeigen 7
„Dann Fann ich Ihnen feinen befferen Rath
geben, frommer Padre, als mir, wenn die Sache
wirklich jo wichtig iſt, einen Andern Ihrer
Brüderfchaft Hierher zu fenden, mit dem ich im
Stande bin, in meiner Weife zu verkehren.‘
„Es ijt unfreundlic von Ihnen, General,‘
fagte der Geiſtliche, „daß Sie mich alfo drängen,
no dazu, da Nichts mich hierher geführt haben
190
fann, als nur der Wunſch, Ihnen nützlich zu
ſein. Dod wenn Gie e8 nicht anders wollen,
jo will ich mich au) darin Ihrem Wunſche fügen
— vielleiht haben Sie dann auch mehr Ver—
trauen zu mir, denn Sie fennen mid) von alten
Zeiten ber.‘
Mit diefen Worten warf er jeine Kapuze
zurüd, und als das Licht der Lampe auf feine
Züge fiel, rief Porfeirio Diaz wirklich erſtaunt
aus:
„Padre Zaloga — das ijt allerdings ein un—
erwartetes DBegegnen, aber unerklärlich wird mir
jegt erjt recht, was Sie, die rechte Hand bes
ehrwürdigen Erzbiſchofs, Tann hierher zu mir,
in meine Selle geführt haben. Ich glaubte
immer, ich jtünde bei Monfenor nicht beſonders
angejchrieben.”
„Und glauben Sie, dab Haß in der Bruft
eines frommen Ehrijten wohnen dürfe? Halten
Sie defjen bejonders unjern ehrwürbigen Erz—
biſchof fähig?“
Porfeirio Diaz lächelte. — „Laſſen Sie uns
damit die Zeit nicht verſäumen, würdiger Padre.
— Jetzt, da ich Ihre ſo wohlbekannten Züge
ſehe, fühle ich mich auch behaglicher — die dunkle
Kutte und das verhangene Geſicht kamen mir ſo
191
uhbheimlih vor, als ob ich midy wirklich mit
einem Geiſt aus dieſen alten Mauern unter
bielte. Nun werden wir auch rajch zu einem
Verſtändniß kommen, und fpredhen Sie jebt frei
von der Leber weg. — Wir haben feine Unterbre=
hung zu fürchten,’ jeßte er hinzu, als er jab, daß
der Padre wieder nad) der Thür hinüber horchte
— „um bieje Zeit bejucht mid Niemand mehr,
und wenn es wäre, höre ich immer vorher die
Rachen anrufen, die etwa dreißig Schritt von
bier entfernt zugleih den Gang und bie zur
Azoten führende Thür bewachen. Da, mein guter
Padre Zaloga, nehmen Sie den Stuhl — es it
der einzige, über den ich verfüge, und ich werde
mich indefjen bier auf mein Feldbett ſetzen —
und halt — ein Glas Wein trinfen Sie doc
auch? Die Luft ift kühl draußen und ber feurige
Xeres wird uns Beiden gut thun — glüdlicher:
weije habe ich wenigitens zwei Gläſer — ein
ein und ein Wafjerglas — bier frommer
Padre — die Republik ſoll leben!’
„Bebingungsweife — ja,” nickte der Padre,
der den Trunf nicht verweigern mochte und fein
Glas gegen den General bob und dann halb
leerte. — „Santisima!“ rief er aber, als er wie-
der abjeßte, ‚den Wein haben Euch die Fran—
192
zojen nicht als Gefängnißkoft geliefert, General.
Bejjeren Xeres wünjche ich meiner Tage nicht zu
trinken.“
„Er iſt von Freunden aus der Stadt, die mir
wohlwollen — doch jetzt zur Sache, Padre. Wich—
tiges muß es ſein, was Sie hergeführt, und ich
bin neugierig geworden.“
„Wichtiges iſt es auch in der That, —*
ſagte der Geiſtliche, der plötzlich wieder ernſt
wurde — „wichtig genug, um ſelbſt die Stunde
der Nacht zu entſchuldigen. — Doch ich brauche
keine langen Umſchweife zu machen. Sie ſelber
kennen die Lage des Landes beſſer, als ich im
Stande wäre ſie Ihnen zu ſchildern. Sie wiſ—
ſen, was das Kaiſerreich verſprach — und
was es hielt. Sie wiſſen aber auch, General,
wie die Kirche jetzt dem Staat gegenüberſteht.
Das Dach ſelbſt, das uns in dieſem Augenblick
Beide gegen den fluthenden Regen ſchützt, iſt
Zeuge deſſen, was geſchehen — was verbrochen
wurde, und was nicht etwa ein fremder Eroberer,
ſondern ſchon ein Landeskind ſündigte, das ſich
von dem heiligen Glauben losriß.“
„Oaramba padre mio,‘ ſagte Diaz, der er—
ftaunt den Worten des Mönchs hordhte, denn er
begriff noch immer die ganze Einleitung nicht,
193
„das mag Alles wahr jein oder nicht, aber was
habe ich jeßt damit zu thun, ih überhaupt,
denn wenn ich auch frei und an ber Spiße eines
Heeres jtände, die Geſchicke des Landes zu regeln
liegt ja doch nicht in meiner Macht.‘
„Aber, General, Sie jollen frei werden und
nicht allein an die Spitze eines Heeres, nein an
die Spike des Staates treten, wenn Sie ſich
der heiligen Kirche gegenüber verbindlich madyen
wollen, eben dieſen Staat nach hriftlichen Normen
einzurichten und dem Volk Gelegenheit zu geben,
jeine Herzen wieder der heiligen Mutter Gottes
und ihrem Sohne zuzuwenden.“
Diaz nahm leije die Unterlippe zwijchen die
Zähne, denn jebt fing er an zu begreifen, was
der Mönch, und keinenfalls aus eigenem An:
trieb, von ihm verlangte, aber er jchwieg, denn
er wünjchte mehr zu erfahren, und nur erjt als
ber Padre ebenfalls inne hielt und ihn erwar-
tungsvoll anjah, als ob er Antwort verlange,
lagte Diaz, langjam mit dem Kopf fchüttelnd:
„Und iftdasjegtnichtder all, Padre Zaloga?
sh halte es für ein Unglüd, daß ein Fremder
über uns regieren joll, für ein Unglüd, Merico _
ein Kaijerreich aufzudrängen, und habe mit allen
Kräften dagegen angefämpft, aber” jo viel ich
Fr. Gerjtäder, In Merico. III 13
194
weiß war es der Klerus jelber, der den fremden
Prinzen in das Land gerufen, und — was man
auch gegen feine Regierung einwenden könnte —
fein hriftliher Wandel ift wohl noch von Feiner
Seite angefochten.”
„Die Sünde aber, die Juarez begangen,‘
rief Zaloga eifrig, doch mit unterdrücdter Stimme,
„bat er betätigt und den Kirchenraub nody durd
Gejege geheiligt — aud die Botſchaft, die er
jet nah Rom gejandt, jol nicht etwa dort dem
heiligen Vater reuig feinen Fehler eingejtehen,
jondern ibm nur die Unmöglichkeit darlegen
anders zu handeln, als er es gethban. Bon bie:
jer Seite iſt alfo feine Hoffnung auf Befferung
der Zuftände, während wir eben jo gut wiflen,
was wir von Juarez zu erwarten haben, follte
dieſer je wieder in bie Hauptjtabt einziehen und den
Präfidentenjtuhl bejteigen. — Das Volk wünjdt
ihn auch nicht zurücd, fein Termin ift überhaupt
abgelaufen, und jet gilt e8 den Mann zu wählen,
der das meifte Vertrauen im Land bejigt und ihn
Garantien bietet, e8 zum Trieben zurüdzuführen.‘
„And wen halten Sie für den richtigen
Mann, Babre Zaloga,“ jagte General Diaz, in:
dem er dabei langjam jein Glas hob und den
Mein in einem langen Zuge einjchlürfte.
195
„Sie, General,’ jagte Zaloga bejtimmt.
„And unter welden Bedingungen?‘ frug
Torfeirio Diaz ruhig, während aber doch ein
leijes, kaum bemerfbares Lächeln um feine Lippen
zuckte.
„Unter keiner,“ erwiederte der Padre, „die
nicht jeder Ehrenmann annehmen, unter feiner,
die man nicht von jedem wirklichen Chriſten als
ſelbſtverſtändlich Fordern könnte — nur unter
der, daß Sie, rüdjichtslos gegen Alles, was
Ihnen entgegentreten jollte, die verbammlichen
Decrete über bie Güter der Todten Hand wieder
aufheben und die Bunkte erfüllen, die der heilige
Vater von dem Kaiſerreich als unumſtößliche
Bedingung verlangt hat.’
„Und die find?’
„Die nämliden, die ber heilige Vater durch
Monſeñor Meglia dem Kaiſerreich vorlegte,“ er—
wiederte Zaloga: „die katholiſche Religion, mit
Ausſchluß jeder andern — die Biſchöfe in Aus—
übung ihres Hirtenberufes vollkommen frei, die
Mönchsorden hergeſtellt, das Gut der Kirche un—
berührt, die Geiſtlichkeit muß den öffentlichen
wie den Privatunterricht beaufſichtigen — die
Bande, welche die Regierung der Kirche bis da—
bin auferlegt, müſſen zerriſſen werden.“
13*
196
„Und nachgeben würde der heilige Vater in
feinem Punkt?” fagte Porfeirio Diaz, ohne jegt
aber den Geijtlihen anzujehen, denn er hatte
jein halbgeleertes Glas in der Hand und ſchau—
felte e8, daß der Wein darin im Licht funfelte.
„Bir können nicht,‘ erwieberte Padre Zas
loga, „denn es find die Vorjchriften Gottes —
aber dafür bieten wir auh dem Präfidenten,
der auf diefer Bafis mit, uns unterhandelt, den
vollen Schuß der Kirche und des Klerus, und
Sie wiſſen recht gut, Herr General, was das in
Merico zu bedeuten hat.‘
Der Padre jhwieg und auch Porfeirio Diaz
war eine Zeit lang in jeine Gedanken vertieft.
Er ſah dabei zweimal nach feiner Uhr, und jteckte
fie body wieder, ohne gejehen zu haben welche
Zeit e8 jei, in die Taſche. Endlich jagte er:
„Und wenn ich auf dieſe Bedingungen nicht
eingehen könnte?’
„Ich will e8 nicht hoffen, General.‘
„Und wenn ich darauf einginge? wie wären
Sie im Stand mich zu befreien.‘
„Sorgen Sie fi) deshalb nicht,‘ ſagte der
Padre raſch, „dieſe alten Klöfter haben manche
geheime Gänge und die Franzoſen Feine Ahnung,
wie leicht wir, Die wir damit von Jugend
197
auf vertraut find, Zutritt zu ihnen finden
fünnen.‘
„Sut, mein frommer Padre Zaloga,“ erwies
derte da Porfeirio Diaz mit einem leichten Lä—
-heln um die Lippen, indem er aufitand und ben
Padre Scharf beobachtete — „ich jehe allerdings
zu meiner Verwunderung, daß wir Beide ganz
einige Verbündete in der Erreihung eines be—
ftimmten Zweckes find — den Sturz des Kaijer-
reichs und die Wiederherjtellung einer Republik,
und nur das eine Fatale bei der Sache bleibt,
da wir uns nicht über das Mein und Dein
verjtändigen können. Sie wollen Alles wieder
haben und wir Nichts herausgeben. Sie ſchnei—
den jogar jedes Verſtändniß, jedes Ueberein—
fommen gleich von vornherein ab, aljo wie joll
das werben ? eine permanente Revolution? Nein,
mein lieber Padre Zaloga, fagen Sie Ihrem
guten Erzbifchof, daß, er wohl ſchwerlich Jeman—
den findet, der für ihn die Kaftanien aus dem
Neuer holt. Wenn wir ung die Macht im Staat
erfämpfen, wollen wir fie auch nachher be—
baupten und nidt demüthig an den Klerus
übergeben. — Ob Kaiferreich, ob Republif, Ihr
jeid um Nichts bier gebefjert, denn Ihr habt
zu lange und zu arg im Land gewirthichaftet.‘’
198
„Und haben wir uns jo gänzlich in Ihnen
getäuscht, General ?’’ jagte Zaloga beſtürzt.
„Wenn Gie glaubten, daß Sie mit meiner
Hilfe eine Revolution in der Revolution ber:
vorrufen wollten, allerdings,‘ jagte Diaz feit.*
„Meine Kräfte, mein Blut und Leben gehören
dem DBaterland, und was ich dazu beitragen
kann, ihm bald — recht bald den Frieden wieder
zu geben, den es jo nothwendig braucht, ſoll
gewiß gejchehen, aber wahrlich nicht deshalb,
um es wieder unter das eben erſt abgejchüttelte
Joch des hohen Klerus zu zwingen.‘
„Dann, ſagte Padre Zaloga, ſich von
feinem Stuhl erhebend, „thut es mir allerdings
leid, Sie beläftigt und geſtört zu haben, Herr
General,’
„Sagen Sie das nicht,‘ rief Diaz, „ich kann
Sie verfihern, frommer Padre, daß es mir hödhjit
interefjant war, Ihre VBorfchläge gehört zu haben,
denn ich gewann badurd einen vollen Einblid
in Ihre friedliche und verjöhnliche Politif. Und
ift das der Segen, den die Kirche zu bringen
denkt, daß fie nur im Geheimen wühlt und bohrt
und Partei gegen Partei aufzubegen jucht? Ver:
gießen wir nur deshalb unfer Blut, um ſolchen
jelbjtfüchtigen Zweden zu dienen und von einem
199
eigenfinnigen alten Mann in Italien am Gängel-
band geleitet zu werben ?''
„General, das ijt Gottesläfterung!” rief Za—
loga bejtürzt, denn er hatte einen andern Erfolg
von jeiner Unterredung erhofft. Mit dem Be:
wußtfein aber, auch dieſen jtarren Kopf nicht zu
überzeugen, wenn er nicht von jelber, und dem
eigenen Intereſſe folgend, in die Bahn einlenfte,
brach er die Verhandlung kurz und ohne Wei-
tere ab. „Was Sie da gejagt, mögen Sie aber
vor Ihrem eigenen Gewifjen verantworten —
und bereinft vor Gott. — Wir hatten uns in
Ihnen getäufcht, und ich will nur Hoffen, daß
Stille und Einjamfeit von jetzt ab Ihren Geift
reumüthig dem einzigen Punkt zuführen möge,
der im Stande ift die Seele zum Heil und zur
ewigen Glüdjeligfeit zu führen. Der Herr jei
mit Ihnen — leben Sie wohl!”
„Warten Sie nody einen Moment, mein würs
diger Padre,“ fagte da lächelnd der General —
„wir trennen uns nod nicht jo bald — ich gehe
mit Ihnen.”
„Anjere Wege liegen getrennt, jagte kopf—
ſchüttelnd Padre Zaloga — „Alles würden wir
daran gejeßt haben Sie zu befreien, denn bie
Kirhe jcheut Fein Opfer, um ihren Gläubigen
200
zu helfen, aber für den abtrünnigen Sohn der
Kirche baden wir feine rettende Hand. — Der
Herr jei mit Ihnen!“ |
Diaz hatte nody während der Geijtliche ſprach
jeine Müße und jeine Serape vom Bett genom=
men, jetzt jagte er. lachend:
„Und glauben Sie, frommer Padre, daß ich
ein Solch entjeßlicher Thor wäre, Sie allein
gehen zu laſſen? Wo Sie unbemerft in mein
Gefängniß gefommen find, kann auch ich eben=
jo in Shrer Begleitung auspafjiren — jedenfalls
machen wir den Verſuch.“
„Das ift unmöglich!“ rief Jaloga erjchredt
aus, denn auf einen ſolchen Entihluß von Sei—
ten des Gefangenen hatte er nicht gerechnet, und
bod war eigentlich Nichts natürlicher. — „Sch
muß unten durch das offene Portal, in welchem
die Wache liegt, und wenn fie mid auch ſchon
paffiren laffen, mit Ihnen zufammen, würden
wir Beide angehalten — Beide eingeferfert wer—
‚den.‘ |
„In der That ?’’ lächelte Porfeirio Diaz, der
eine Gefahr natürli nur reizen fonnte, —
„aber wie nun, frommer Padre, wenn ich flüchtig
hindurchbreche und die erjte Ueberrafhung der
Wache benüge, um die dunfle Straße zu errei=
201
hen? — oder noch bejjer, wenn Sie mir Ahr
Gewand borgen, um langjam und demüthig hin—
durch zu fchreiten? Caramba, es ijt jedenfalls
den Verſuch werth. Sie können ſich feſt darauf
werlaſſen, daß ich Ihnen keine Schande machen
werde.“
„Es iſt unmöglich, Señor,“ entgegnete mit
ängſtlich unterdrückter Stimme Zaloga, denn er
malte ſich eben im Geiſt aus, mit welchem Geſicht
ibn der hochwürdige Erzbiſchof empfangen werde,
wenn er ihm die Antwort Porfeirio Diaz' und
zugleich die Kunde brächte, daß er ihm trotzdem
zur Flucht verholfen habe. Der Klerus verhehlte
es ſich wenigſtens nicht, daß ihnen General Diaz,
wenn nicht gewonnen, ein noch viel gefährlicherer
Feind werden könne, als es ſelbſt Juarez geweſen
oder je fein konnte, — „es iſt vollkommen un—
möglich, denn wir müſſen durch einen langen, von
Soldaten gefüllten Gang, und würden niederge—
ſchoſſen werden, ehe wir nur die Hälfte dejjelben
durchmeſſen hätten.‘
„Que importe, amigo,“ lachte der General,
„ſterben wir doch dann zuſammen und find aller
irdiihen Sorgen überhoben — Scherz bei Seite,“
jegte er aber plößlich, ernſt werbend, hinzu, „ich
bin feſt entfchloffen, diefe Gelegenheit nicht un—
. 202
benüßt vorüber zu laſſen, denn id, weiß genau,
daß fie mir, von diefer Seite wenigitens, nicht
wieber geboten wird. Sie fennen mid) aber, Za—
foga, wie ih Sie fenne und Ihnen wohl im
Vertrauen jagen kann, daß es feinen größeren
und nihtswürdigeren Schurken in ganz Merico
giebt, al8 Sie, frommer Padre.‘
„General Diaz!”
—„Ruhe,“ berrichte der General ihm zu — „bie
Spielerei hat ein Ende. Sie führen mich jet
denjelben Weg zurüd, den Sie bereingefommen,
und mehr als das, Sie begleiten mich weiter,
bis hinaus vor das Thor und volfommen aus
dem Bereich der franzöſiſchen Truppen, denn id)
traue Ihnen Alles zu — jelbjt Verrath. Während
der ganzen Zeit habe ich die Hand auf Ihrer
Schulter und fage Ahnen voraus, gefangen
gebe ich mich nicht wieder — ich werde entweder
frei, oder jterbe in diejer Naht — Sie aber mit
mir, und dieſes Meſſer,“ ſetzte er hinzu, indem
er das ihm gebrachte Tiichmefjer nahm und un:
ter feine Uniform barg, ‚‚genügt, um mein Wort
wahr zu machen.‘
„Aber Herr General!” "
„Kein Aber mehr, oder beim ewigen Gott! ich
thue Etwas, was mich vielleicht jpäter gereut.
203
Borwärts — Sie find vollftändig in meiner Ge-
walt, und daß ich nicht zögern werde davon Ger
braud zu maden, bedarf wohl Feiner Verfiche-
rung mehr.”
Der Padre warf einen verzweifelten Blick nad
der Thür, aber es half ihm Nichts, er war ein
mal in bie Falle gegangen, und Porfeirio Diaz
gerabe der Mann dazu, einen einmal gewon—
nenen Bortheil nicht wieder aus der Hand zu
geben.
„But,“ fagte er, „ich will e8 verfuchen und
Sie vor die Thür des Klofters bringen, aber
dann verlangen Gie Nichts mehr, det Sturm
raft da draußen, der Regen jchüttet auf bie
Erde nieder und die Wege vor der Stadt find
grundlos — meine Shwahe Gejundheit dazu —“
„Ste werden ſich jedenfalls einen Schnupfen
holen, frommer Padre,“ jagte der General ſpöt—
tiſch, „aber das ſchadet Nichts — ein paar warme
Schwefelbäder heben das Uebel augenblidlich wie:
der, und die haben Sie ja ganz in der Nähe.
Es bleibt bei dem, was ich gejagt habe, und ber
Regen und Sturm draußen begünftigen nur uns
fere Flut. Wollen Sie jedoch von mir einen
guten Rath annehmen, jo verjhaffen Sie mir
vorher eine ebenjolhe Kutte wie Sie tragen,
204
oder ih würde mich jonit in die unangenehme
Nothwendigkeit verſetzt jehen, Ihnen draußen bie
Ihrige abzunehmen, denn in der republifanijchen
Uniform wäre ich feine Stunde lang ficher.”
Padre Zaloga jeufzte tief auf, aber General
Diaz hatte Recht, under jelber ich leichtſinniger—
weile in die Gewalt eines Mannes gegeben,
der wahrlich feine Rüdjiht auf feinen Stand
genommen hätte, dem er ſich aljo jest wohl oder
übel fügen mußte. — Eine Wahl hatte er nicht
mehr.
„So fommen Sie,’ jagte er finjter, „denn
die Zeit vergeht, aber des Himmels Strafge=
riht —“
„Bit! bit! Feine Kindereien, amigo — idy
bin fein thörichter Indio,“ unterbrad ihn der
Seneral, „den Sie mit Ihren Spufgeihichten zu
fürdten machen fünnen. Doch nody eins — ſol—
len wir die Rampe mitnehmen, oder finden wir
den Weg im Dunfeln — und glauben Sie nit
etwa, daß Sie mir dabei entwilchen, denn was
ich einmal habe, halt’ ich feſt.“
„Fürchten Sie nicht, General, daß ich den Ver—
ſuch mache,’ ſagte Zaloga finiter, „denn meine
eigene Sicherheit hängt jett davon ab, daß wir
ungejehen entfommen — für mid brauchte ich
205
allerdings Feine Lampe, und babe auch weiter
unten ſchon eine jtehen, aber Sie jelber werden
im Dunfeln nicht vorwärts fünnen.‘
„Iſt der Strahl der Lampe von der Straße
aus zu ſehen?“ '
„Rein — die Treppe liegt im Innern des
Gebäudes.’
„But — dann vorwärts,’ fagte der General,
indem er die Rampe vom Tiſch nahm, „und nun,
mein waderer Führer, den Weg zur Freiheit!
Diaz fürdhtete aber mit Recht, daß ihm ver
ſchlaue Mönd, jo wie er nur wenige Schritte
Vorfprung gewann, in den rrgängen eines
jolden alten Klojters leicht entwiſchen könne;
die Serape über der Schulter, in der rechten
Hand die Lampe, legte er deshalb die Linke leicht
auf die Schulter feines Führers, jah ihn aber |
fragend an, als ihn der Geijtlihe in das nächite
Zimmer und dort nicht etwa gegen die Thür,
ſondern gerade auf die Wand zu führte, auf der
jih ein grobes Fresco-Gemälde, Petrus im Ge-
fängniß, befand. Zaloga wußte jedoch genau
Beiheid — er bog fih zur Erde nieder, und
dort eine Fleine Feder berührend, jchied jich was
auf dem Bild ein. gemaltes niederes und in
einen Keller hinabführendes Gewölbe jchien, von
206
der Wand ab und zeigte bald eine Fleine, faum
zwei Fuß hohe, gerundete Thür, finnreih und
verjtedt genug bier angebradt.
„Caramba,“ jagte Porfeirio Diaz leije, „der
Teufel traue den Mönchen, und zu was bat dieſe
Thür in früheren Zeiten gedient?”
„Quien sabe,“ erwiederte achjelgudend der
Padre — „ih weiß nur, daß fie erijtirt und
von den Franzoſen nicht entdedt wurde. Seht
jteigt vorfichtig hinab — die Treppe-ift ſteil —
oder laßt mich lieber voran, daß ih Euch die
Lampe halte.”
„No Compañero,“ ladte Diaz, „ſo leicht
entfommft Du mir nit — mir bleiben nod
länger beifammen.‘’
„Ihr traut mir nicht?‘
„Richt einen Fuß breit,” fagte der General,
und indem er fich jelber in die Deffnung ſchwang
— „ſo jet vamonos amigo — die Treppe ijt
bequem genug.” —
Der Padre folgte — er wußte, daß ihm feine
Wahl weiter blieb, denn hätte er Lärm gemacht,
jo würden ihn jedenfalls die franzöſiſchen Wachen
fejtgenommen haben, und daß fie das geiftliche
Gewand nicht achteten, hatten fie ſchon verſchie—
dene Male zur Genüge bewiejen. — Sekt waren
I: 2 u“
No 74
.207
tie Beide in dem engen Gang verſchwunden, nad
einer Kleinen Weile knackte die Feder wieder
ein, und hinter ihnen lag öde und leer das Ge—
fangniß des Generals — der Bogel war aus:
geflogen.
Digitized by GOOS$
7.
Die Exſcheinung.
In dieſen, den letzten, Wochen des Jahres
1865 konnte man glauben, daß das junge, auf—
keimende Kaiſerreich ſeine größten Schwierig—
keiten beſiegt habe und nun einer ruhigen Zeit
entgegengehe, aber troßdem gährte es ſchon
wieder in der Hauptſtadt. Eine Menge von
kleinen Anzeichen deuteten auf einen neuen
Sturm, der ſich wider das Reich erheben wollte,
und der einzige Mann in ganz Mexico, der es
nicht ſah, oder vielleicht nicht ſehen wollte,
war ber Kaiſer jelber. Mit unverdroffenem
Fleiß ging er daran, innere Reformen anzu=
bahnen, und während Kaijerin Charlotte ihre
bejchwerliche Reife nah Yucatan wirfli ans
getreten hatte, und ſich in diejer dem Kaiſerreich
14*
“
bes
u
-
212
von Anfang an geneigten ſüdlichen Provinz mit
Jubel empfangen und aufgenommen fand, mühte
ih Marimilian ab, die Zuftände eines inner:
lich zerrifjenen und aus allen Fugen gebrachten
Reiches wieder zu bejjern und zu heben. Schu:
len wurden errichtet, Concejjionen zu Eiſen—
bahnen gegeben und deren Bau begonnen, und
wenn auch die Finanzen des Landes noch jehr
im Argen lagen und faum eine Ausfiht auf
mögliche Befjerung zeigten, jo übernahmen es
doc endlich tüchtige franzöſiſche Finanzmänner,
fie zu regeln. — Daß man von den mericanifchen
feine wirkliche Hilfe erwarten durfte, hatte ſich
ſchon lange vordem gezeigt.
In vielen großen Häujern der Hauptſtadt
Merico war tiefe Trauer eingefehrt — die leg:
ten. Kämpfe hatten gar jo viel Blut gefojtet,
und Bazaine, mit jedenfalls geheimen Befehlen
von Frankreich, fing an feine eigenen Truppen
zu jhonen und an alle wirklich gefährdeten Punkte
Mericaner, Defterreicher oder Belgier vorzu—
Ichieben. — Aber auch die einzelnen Guerilla=
fämpfe rafften viele Menfjchenleben dahin, und
ob jie auch draußen im Wald die Leichen der
Gebliebenen verjcharrten, in den Familien blu=
*
213
teten die Herzen noch lange nach und trauerten
über die Geſchiedenen.
In Roneiro's Haus, das ſonſt zu einem der
glücklichſten und lebensfrohſten der Hauptſtadt
gehörte, war beſonders Sorge und Kummer
eingekehrt; die Fenſter blieben den ganzen Tag
verhangen. — Keiner der Inſaſſen zeigte ſich
draußen auf dem Balcon, ſelbſt die Hausthür
wurde feſt verſchloſſen gehalten und öffnete ſich
faſt nur dem Arzt oder den Dienſtleuten, die
gezwungen waren die nöthigen Bedürfniſſe für
den Hausſtand einzukaufen.
Die junge Wittwe des Grafen Deverreux lag
ſchwer erkrankt in dem nämlichen Zimmer, das
ſie als Mädchen inne gehabt. Die Mutter ſaß
bleich und mit thränengefüllten Augen an ihrem
Bett, und der alte Herr Roneiro lief in ſeinem
Arbeitszimmer auf und ab und verwünſchte ſich,
die Pfaffen, die Liberalen, die Kaiſerlichen und
die ganze Welt.
Das alte Leiden war aber auch wieder im
Hauſe ausgebrochen. Die Frauen verlangten
hartnäckig nach geiſtlichem Zuſpruch, und Padre
Miranda, nachdem ihn Roneiro ſchon früher
einmal getäuſcht, weigerte ſich auf das entſchie—
denſte ihnen zu willfahren.
214
Reneiro war jchon jelber beim Minijter ge=
wejen und hatte fih auf das Decret berufen,
das der Kaifer gegeben, wonad die Behörden
angehalten werden jollten, darauf zu ſehen,
daß die Geiftlichfeit die ihmen zuftehenden
Tunctionen verrichten müffe. Ein jpäteres Ge—
je aber, das Kirche und Staat unabhängig von
einander ftellte, hob das natürlich auf, und der
Minijter ſagte achjelzudend, daß er darüber aller—
dings an den Kaiſer berihten wolle, ibm aber
feine Hoffnung maden fönne, den Priejter zu
zwingen, fein Haus zu betreten. Die Re-
gierung wünjche überhaupt jeßt feinen weiteren
Conflict mit der Geiftlichfeit, da man noch immer
auf ein Berjtändnig mit dem heiligen Water
hoffe, und deshalb gerade einen neuen Abgejandten
dorthin geſchickt habe. |
Dabei blieb es, und Roneiro fehrte mit Groll
gegen die ganze Welt im Herzen in fein Haus
zurück.
Was hatten ſie nicht Alles von dem Kaiſer—
reich erhofft, und was hatte es bis jetzt für ſie
gethan? Frieden gebracht? Die Kriege hörten
nicht auf; das Land verzehrte ſich im Soldbe—
zahlen für ein zahlloſes Heer, und das war bis
jetzt nicht einmal im Stand geweſen, ſelbſt nur
215
die Landſtraßen in der Nähe der Hauptitadt von
NRäubern frei zu Halten. Den übermüthigen
Klerus gedemüthigt? — er zeigte ſich ſtarrſinni—
ger als je, und wo Juarez die Geiftlihen augen:
blicklich abjegte, die e8 wagten feinen Gejeßen
zuwider zu handeln, wie zum Beijpiel den ftör-
rifhen und unduldjamen Padre oje Sollano,
thaten bie Pfaffen jetzt gerade ungeſtraft
Alles was jie wollten, und brachten unjagbares
Unbeil in die Familien.
Und was hatten freilich die Mericaner jelber
gethban, um diejen Kaijer, von dem man Alles
verlangte, in feinen Mühen und Arbeiten zu
unterftügen? Nichts — gar nichts als die Hände
in den Schooß gelegt oder, wo fie zu irgend
Etwas verwandt werden jollten, ſich jo unfähig
und träge gezeigt, daß die Regierung endlich
förmlich dazu gezwungen wurde, fich auf fremde
Kräfte zu ftügen und fie heranzuziehen.
Gonjervative und Liberale (man wurde zu:
legt ganz confus, wer das eine oder das andere
jei, denn der Kaifer war in allen feinen Gefegen
und Verordnungen weit liberaler gewejen als
jelbjt Juarez oder feine Partei) ſchienen wirk—
lid darin zu wetteifern, wer fi) von ihnen am
theilnahmlojeften zeigen würde. Dafür hatten
216
fie ja jest einen Kaifer, und der mochte zufehen,
wie er mit den Schwierigkeiten zu Stande fäme
— von ihnen fonnte er das nicht verlangen.
Und doc hoben jich dabei Handel und Gewerbe,
und es ließ ſich nicht leugnen, daß das Land in
ber furzen Zeit dieſer Regierung, und troß den
ewigen Kriegen, einen bedeutenden Aufichwung
genommen hatte, aber das genügte den Leuten
troßdem nicht. — Es war viel gejchehen, ja aber
noch viel mehr zu thun übrig, und dabei fein
Ende abzujehen, wann es möglicherweije ge-
than werden könne.
Und jest follte Roneiro, nur weil der Kaiſer
für gut befunden hatte den Staat von der Kirche
zu trennen, fein ganzes theuer erfauftes und
prachtvoll eingerichtetes Beſitzthum wieder zu=
rüdgeben und das Haus, in dem er fi jo wohl
fühlte, verlafjen ? — &8 ging nicht — die Frauen
mußten fih ja doh am Ende beruhigen — feine
Tochter fich erholen, und daun — Ffonnte er
immer erjt abwarten, wie fich das Alles im Reich
gejtalten würde.
Es war Abend geworden und die Nacht ein—
gebrohen — noch ſpät fam der Arzt — heute
zum dritten Mal — um nad jeiner jungen
Kranken zu jehen, die ein heftiges Tieber über
217
itanden und viel phantafirt hatte, jich aber —
ein jehr gutes Zeichen — gegen Abend bedeutend
befjer fühlte. — Er verlie das Haus wieder —
das Thor wurde gejchlofjen und der breite Riegel
inwenbig vorgejchoben.
Die Kranke war in einen leichten Schlum=
mer gefallen, und die Mutter, die bei ihr wachte,
hatte ji auf das Sopha gelegt, um ein wenig
auszuruben. — Im Zimmer befanden fih noch
eine ziemlich rüftige Frau, Inez’ Amme, im Haus
an einen Diener verheirathet, und ein junges
Mädchen, das neben der Kranken Bett jaß und
abwechjelnd mit der Amme noch immer Falte
Umſchläge um ihre Stirn legte.
Es war Alles todtenjtill im Haus, nur das
regelmäßige Tidden der großen Broce- Wanduhr,
die auf dem Kaminjims ftand, jchallte wunder:
lih durch den hohen Raum, in dem man jelber
das leife Athmen der Schlafenden hören konnte.
„Inez!“ jagte da eine tiefe, monotone Stimme
— „Inez erwache!“
Das junge Mädchen, das der Schlafenden
noch kurz vorher den Umſchlag aufgelegt, war
ebenfalls ein wenig eingenickt, aber doch nicht ſo
feſt, um nicht die Stimme zu hören und ver—
wundert aufzufchauen. In dem hohen Gemad)
215
brannte eine einzige, noch dazu durch einen far—
bigen Schirm verjtellte Nachtlampe, und warf
wohl einen helfen Schein an die Dede, beleud-
tete aber nur jpärlich den unteren Raum.
Auch Inez' Mutter, die vor Ermüdung bie
Augen geſchloſſen, Hörte wie in einem Halb:
traum die Worte; ihr erjter Blick fiel aber auf
die emporfahrende junge Wärterin, und eben
wollte jie fragen, was ihre Tochter gerufen, als
fich der Ruf wiederholte: „Inez! Inez erwache!“
Blibesichnell drehten Beide das Antlit der
Richtung zu, aus der die Stimme jchallte, mit
einem Angſtſchrei aber fuhren die grauen empor,
als jie dort, unmittelbar vor einer dunfeln Gar-
dine, die ein Fleines Garderobezimmer von dem
Schlafgemach abſchloß, eine graue, ſich vegende
Geſtalt bemerften, die jeßt langjam den Arm
hob und in diefer Stellung verharrte.
Sp viel fie in dem Moment erfennen
fonnten, trug die Gejtalt eine graue Mönchs—
futte, an der die Kapuze ein wenig zurüdge:
Ihlagen war und ein todtenbleihes Menjchen:
antlig mit grauem wallenden Bart zeigte. Die
Züge aber jahen geijterhaft und verzerrt aus,
und wie drohend jchüttelte fie dabei den gehobe—
nen Arm.
219
Durch den Angitichrei waren aber auch bie
Kranke wie ihre Amme erwacht, und Inez' Blick
fiel unmittelbar auf die Erſcheinung, die faſt zu
Füßen ihres Bettes ftand. — „Ave Maria Pu-
riima!“ flüfterte fie, aber wieder erhob der Un-
heimliche jeine Stimme und fagte dumpf:
„pie Strafe Gottes bat Euch erreicht und
jeine Hand liegt auf diefem Haufe — Glied
nad; Glied wird fterben und abfallen. Das war
nur der erjte Schlag, der Euch getroffen, aber
das entweihte Heiligthum rächt das Verbrechen,
bis e8 durch den Tod Aller gefühnt ift. —
Wehe über Euch, Wehe!”
Die Form der Geftalt ſchmolz fajt mit dem
ebenfalls dunfeln Vorhang, vor dem fie jtand,
zuſammen, jebt bewegten fich die Falten deſſelben
— noch einmal tönte ein dumpfes ‚Wehe !“
daraus hervor, und mit einem wilden, faſt nicht
mehr irdiſch Flingenden Auffchrei ſank Inez ohn—
mächtig auf ihr Lager zurück. —
Die Mutter ſprang, alles Andere um ſich her
vergeſſend, zum Lager des Kindes, der Blick der
Frau aber wie der des jungen Mädchens haf—
tete noch immer an der Stelle, wo ſie die Er—
ſcheinung geſehen, ja noch immer zu ſehen
glaubten, bis ſie endlich den Faltenwurf des
I
in
dunfelbraunen Wollitoffes deutlih erkennen
fonnten. —
Roneiro befand fi) noch drüben in feinem
Zimmer — er konnte nicht Schlafen, denn theils
die Angit um die Tochter, theils die Sorge, ob
er nicht doch am Ende gezwungen jein würde
jein Haus und Grundftüd aufzugeben, ließen
ihn nicht ruhen, und den Arm aufgejtüßt, bie
Stirn in düjtere Falten gezogen, jaß er an ſei—
nem Tiſch, rauchte eine Cigarre nad) der andern,
und nippte dann und wann einmal an einem
mit Xeres gefüllten und neben ihm ſtehenden
Waſſerglas.
Jetzt plötzlich horchte er hoch auf — Fang
das nicht da drüben aus dem Krankenzimmer
ſeiner Tochter wie ein Schrei? — er hätte faſt
darauf ſchwören mögen, aber jetzt war Alles
wieder ruhig, er mußte ſich doch am Ende ge—
täuſcht haben. — Wieder zündete er ſich eine
friſche Cigarre an, aber in der Hand zerdrückte
er ſie, als er deutlich einen lauten Aufkreiſch
hörte, der kaum aus einer menſchlichen Bruſt zu
kommen ſchien. — Das mußte in Inez' Zim—
mer geweſen ſein, und in Todesangſt fuhr er
empor, ſtürzte hinüber an die Thür und wollte
hinein. Aber ſie war von innen verriegelt, und
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1: *
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221
laut und lange pochte er, ehe man ihm öffnete,
denn die Frauen darin waren ihrer Sinne nod
kaum mädtig.
„Am der heiligen Jungfrau willen, was ijt
bier vorgefallen?“ rief er, das Zimmer betretend,
das die Wärterin rajch wieder hinter ihm ver—
riegelte. — Die Worte erjtarben ihm aber auf
den Lippen — er ſah bie ausgejtredte Geftalt
ver geliebten Tochter, ſah die Mutter in Ber:
zweiflung darüber hingebeugt und fürchtete das
Schlimmfte.
„Inez!“ vief er mit vor Angjt zitternder
Stimme — „mein Kind! mein Kind!‘
Mit wanfenden Schritten eilte er zum Bett,
aber die Mutter, die mit der Tochter beichäftigt
alles Andere faſt darüber vergejien hatte, vief
in Glüf und Seligfeit aus: „Sie lebt — die
heilige Jungfrau fei gelobt! Das Schredliche
hat fie nicht getödtet !’ |
„Das Schredlihe! was?’ jagte Roneiro er:
ftaunt — „was iſt vorgefallen ?
„Dh, Senior, das Furchtbarſte!“ rief da die
Dienerin — „ber alte Brior vom Klofter war
bier — bei uns im Zimmer, und bat fein Wehe!
über uns ausgeſprochen. O Santisima — jeßt
ift Alles vorbei — Alles verloren!‘
ui
222
„Wer war hier?’ vief Roneiro aufmerkjam
werdend — „der Prior? — welder Prior? —
jetzt?“
„Der alte Prior des nämlichen Kloſters hier,
auf deſſen Grund wir leben,“ rief aber die alte
treue Dienerin mit zitternder Stimme — „o
Maria Santisima, fie haben’s ja jchon lange im
Haus erzählt, daß er umginge und feine Ruhe
hätte — jeßt iſt's gejchehen und wir find Alle
verflucht.“
Roneiro, der ſich erſt beruhigt hatte, als er
ſah daß ſeine ſchlimmſte Befürchtung wenig—
ſtens nicht eingetroffen ſei — daß ſein Kind,
ſeine Inez noch lebe, forſchte jetzt weiter nach
der ihm unbegreiflichen Erzählung, aber es
dauerte eine Weile, bis er einen zuſammen—
hängenden Faden fand, denn die Frauen waren
noch in ſo furchtbarer Aufregung und auch dabei
mit der Belebung der noch immer halb Bewußt—
loſen beſchäftigt, daß ſie nur in wirren, unzu—
ſammenhängenden Sätzen einen Bericht abjtatten
fonnten. Roneiro wollte auch die Erjcheinung
nur ihrer Aufregung und überjpannten Phan—
tajie zujchreiben — aber das jtellte ſich bald als
unmöglich heraus, denn es hatten fie vier Ber:
jonen zu gleidher Zeit an ein und derjelben
993
— RL
Stelle. gejeben und die nämlihen Worte gehört;
eine Täuſchung der Sinne jchien deshalb nicht
denkbar, und Noneiro, Jonjt nicht im geringften
abergläubijcher Natur, jchüttelte doch felber er—
ftaunt den Kopf.
Inez hatte jich indeß wenigjtens in foweit er—
bolt, daß fie die Augen aufichlug und von einem
ihr dargereichten Glas Wafler Etwas trank, und
Roneiro, jeßt völlig mit dem Thatbejtand ver-
traut, ging vor allen Dingen daran, das Zim—
mer zu unterfuden, um erjt einmal die Mög:
fichfeit bejtätigt zu finden, ob überhaupt ein
Fremder den Raum hätte betreten Fünnen. Er
traute dem Klerus Alles zu und wollte jich we:
nigitens jelbjt überzeugen.
Die Stube, in welcher Inez lag, hatte, wie
das in Klöftern die gewöhnliche Bauart ift, nur
eine einzige Thür nach dem Corridor hinaus,
durch welche auch Roneiro das Gemadh betreten.
Dieſe war aber allerdings, wie er fich vecht gut
erinnerte, von innen verriegelt geweien, und
dahinaus Fonnte aljo Niemand gegangen fein,
Dicht an dies Zimmer jtieß ein anderes klei—
neres Gemad, von Inez zu einer Garderobe be-
nugt, aber ohne Ausgang. Nur ein dicht ver:
gittertes Fenſter führte ebenfalls auf den Cor—
224
— Pa
ridor, und der vorſichtige Mexicaner prüfte jetzt
alle die Eiſenſtäbe, die jedoch ſämmtlich feſt und
unbeweglich ſaßen, und nicht einmal einem kleinen
Kind ein Durchſchlüpfen verſtattet hätten. Und
hielt ſich vielleicht noch Jemand hinter den überall
umherhängenden Kleidern verborgen, um jpäter
feine Zeit abzuwarten und den Platz heimlich zu
verlajjen ?
Roneiro befahl den Frauen an der Thür zu
bleiben, während er hinüber in jein Zimmer ging
um eine Waffe zu holen, ja er fühlte ſich da—
dur noch nicht einmal ficher, denn er zog von
innen den Schlüfjel ab und ſchloß von außen zu
— dann eilte er hinüber, holte feinen Revolver
und fehrte nun zurüd, um das Garderobezimmer
auf das genauejte zu unterfuhen — doch ohne
den geringjten Erfolg. Die alte Dienerin jchüt-
telte auch dabei fortwährend nur verächtlich den
Kopf, denn was fie gejehen hatte, verjtecte ſich
nicht hinter aufgehangenen Kleidern oder in
Schränfen, ſondern erjchien und verſchwand, wie
ein ordentlicher Geiſt es immer thut.
Das Gemach jelber, weit Eleiner als das
Zimmer, welches Inez bewohnte, war wie biejes
mit dunklem Holz, und in fünjtliher und ge=
Ichnigter Arbeit wirklich geſchmackvoll getäfelt,
225
und mochte in früherer Zeit wohl von dem Abt
oder Prior bewohnt gewejen jein, aber nirgends
ließ fi, jo genau Roneiro audy überall umher:
leudhtete, ein Ausweg erkennen, nody gab bie
Wand, wo er au immer gegen diejelbe Flopfte,
einen verjchiedenen Klang. Hinter den Kleidern
und in den Schränken hielt fih aber eben jo
wenig Jemand verjtedt, denn ein Wiejel hätte
ihm nicht bei feiner Unterfuchung entgehen fönnen,
viel weniger denn ein großer, ausgewachjener*
Mann, und er mußte zulegt, wohl oder übel,
eingeftehen, daß er die Erjcheinung jelber nicht
begreife. Wenn er aber glaubte, daß er die
Sache damit abgemacht habe, jo irrte er ji
vollſtändig, denn das Gejpenjt — und ein ſol—
es mußte es gewejen ſein — hatte einen
furchtbaren Eindruck auf die Frauen gemacht.
„Señor,“ ſagte die alte Dienerin mit |cheuer,
aber nichtsdejtoweniger fejter Stimme — „ich
bin jeßt neunzehn Jahr in Ihrem Haufe und
in Ihrer Familie, und eine bejjere Herrichaft
giebt e8 in Merico nicht, aber das Haus bier,
in dem Sie wohnen, ijt verflucht — der alte Prior
bat e8 jelber gejagt.‘
„Aber Candelaria, ich bitte Di um Gottes
Fr. Gerftäder, In Merico. II. 15
226 _
willen,’ rief Roneiro, „mach' Du mich nicht aud)
noch verrüdt.‘
„Rein, Señor, das will ich nicht,‘ erwiederte
die alte Perſon ernjthaft, ‚aber ih habe mein
Seelenheil auch vor Augen, und jo wohl id mid
jonjt hier fühlen mag, und ob mir aud das Herz
brechen wird, wenn id) von meiner Inez fort
muß, die ich jelber genährt und großgezogen
— ih darf nicht länger bleiben — ih muß
fort.‘
„Aber nicht ohne uns, Candelaria,“ ſprach
die Señorita mit eiferner Ruhe. „Das iſt die
legte Nacht, die ich in dieſem Haufe — nicht
ſchlafe, aber zubringe, weil ich nicht um Mitter:
nacht auf die Straße kann. Aber morgen in
aller Frühe paden wir unjere Sadhen zujammen
und verlafjen die Stätte, auf der der Fluch des
Himmels ruht.”
„Aber Dominga !’
„Rein Bautifta, nein,” ſagte mit fejter Ent-
Ihlofjenheit vie Frau, „was helfen mir alle Schäße
der Welt, wenn ich mein Kind verlieren —
wenn ih Euh Ale nad und nad abjterben
jehen joll, nein. Berfaufe Alles was wir haben,
meinen und Inez' Schmud — wir werden ihn
jo nicht länger brauchen, denn ein Leben trojt-
Iofen Jammers liegt vor uns, der Mönd hat
es gejagt und — die Todten lügen nit.‘
„Ob, fort von bier Mutter, — fort!” bat
auch jetzt Inez mit leijer, weicher Stimme,
„mir iſt es jest ſchon, als ob die Mauern über
uns zufammenftürzen müßten, als ob idy nicht
athmen Eönnte in den dumpfen Räumen.’
„Ja ich bleibe auch nicht länger, Señor,“
fagte das junge Mädchen fhüchtern, „ver Prior
bat uns Alle bier verflucht, und wenn ber Tag
anbricht, gehe ich in die Meſſe und Beichte.“
Roneiro nickte ſtill und ſchweigend vor fidh
bin. Das hatte ihm noch gefehlt, um dem Faß
den Boden auszuftogen — ein Geiſt mußte er—
jheinen, um ihn.rihtig von Haus und Hof zu
treiben. Aber er jah auch ein, daß es hier nicht
länger fo fort ging, wenn er nicht jelber verrüdt
werden wollte. Er begriff freilich das Ganze
eben jo wenig, da e8 ja alle Vier bezeugten und
feft darauf beftanden, und in feiner Verzweiflung
rief er endlich aus:
„Gut! morgen in aller Frühe ſuche ih uns ein
andere8 Quartier — verlaßt Euch darauf. Sch
halte mein Wort und hr follt feine weitere Nacht
mehr in dieſem — verwünſchten Haufe wohnen.
Aber jett gebt denn auch Frieden und laßt nur
15*
227
228
die Inez Ichlafen, denn mitten in der Nadt
können wir ja doch nicht auf die Straße ziehen.“
„Ob, hätteſt Du unferen Bitten vor langen
Monden jhon nachgegeben,‘ Elagte die Frau, —
„Vieles — Vieles wäre dann nicht jo gekommen!“
„Jetzt iſt e8 aber einmal gejchehen,‘ rief
Roneiro, deſſen Geduld fich ebenfalls an der
außerjten Grenze befand, „ſo jeht denn zu, wie
Ihr dieſe Naht noch verbringt, und beunruhigt
mir das Kind nicht zu jehr. Gandelaria, id
glaube Ihr thätet befjer, in Eure eigene Stube
zu gehen.”
„Ich? allein jeßt die Treppe hinunter und
über den dunfeln Gang, an dem die alte Capelle
liegt’ rief die alte Indianerin — „und wenn
Sie mir jagten, daß ich mein Gewicht in Gold
dafür befommen follte, icy thät’s nicht, Seiior —
nicht um alle Schäße der Welt. Heute find bie
Geifter der Verftorbenen in dem alten Haus
auf den Füßen, und es jollte mich gar nicht
wundern, wenn wir nody mehr Beſuch Friegten.”
Don Bautijta fuhr ſich in Verzweiflung mit
ber Hand dur die bunfeln Haare, aber er
wußte recht gut und aus langer Erfahrung, daß
mit den Frauen gar nichts anzufangen war,
jobald fie fi nur einmal irgend Etwas in ben
u:
4 2 :
Kopf gejeßt Hatten, was mit ihrem Glauben oder
Aberglauben zufammenhing. Außerdem begriff
er das Ganze jelber nicht, denn die Thür war
von innen verriegelt gemejen, einen andern
Ausweg gab es nicht, und daß jih jetzt Nie—
mand mehr in dem Zimmer befand — halt —
er hatte noch nicht unter dem Bett und Sopha
nachgeſehen. Er nahm die Lampe vom Tiſch und
leuchtete auch bier überall umber, während bie
Gandelaria freilich verächtlih dazu lächelte —
aber e8 war auch da Nichts. Was es auch ge—
wejen, wenn Förperlich — befand es fich nicht
mehr in ben beiden Räumen, und ein wirklicher
Spuf? Don Bautijta fing jelber an fih un:
behaglich zu fühlen, bot den rauen noch eine
haftige gute Nacht, ging zu der Tochter, küßte
jie leife und zärtlih auf die Stirn, und verließ
dann das Gemach, das die Kandelaria wieder rajch
und feſt hinter ihm verriegelte. Drüben aber warf
er fich angefleidet auf fein Lager, denn er wollte
wenigjtens für alle Fälle vorbereitet bleiben.
Die Nacht verjtrich übrigens von da ab voll»
fommen ruhig, und feine Störung fiel mehr vor
— das Schlimmjte war aud in der That ge—
ihehen, und wenn fih Don Bautifta jelber am
Morgen bei hellem Tag und mit ruhiger Ueber:
229
230
legung wieder fehr vor dem Gedanken fträubte,
fein Haus bier aufzugeben, blieb ihm doch zu=
legt feine andere Wahl. Nur eine Andeutung
dahin gegen den weiblichen Theil, und jie Alle
erklärten einjtimmig, daß jie dann hinaus auf
bie Plaza ziehen und lieber unter freiem Himmel
und in Sturm und Unwetter jchlafen wollten,
als noch eine Nacht in dieſen „heimgejuchten‘‘
Räumen, und damit war die Sade denn
allerdings erledigt.
Don Bautijta, der ja auch eine ſolche Mög-
lichkeit Schon feit jeiner Tochter Krankheit in’s
Auge gefaßt, wo die Klagen im eigenen Haus
begannen, wußte nicht weit von ihnen entfernt
eine ziemlich freundliche, wenn aud etwas be—
ſchränkte Wohnung, die ein franzöfiiher Com—
miffär mit feiner Familie bezogen hatte, jie aber
wieder räumen mußte, da er nah Vera-Cruz
verjeßt wurde. Dorthin ließ er dann über Tag
wenigitens das Nöthigite Schaffen, um doch den
rauen einige Bequemlichleiten zu bieten. Aber
er bejtand darauf, den Reſt der Sachen jo lange
in der alten Wohnung zu lafjen, bis er ein für
fie pajjendes und geräumiges Haus gefunden,
damit jie den fatalen Umzug nicht doppelt hätten.
Ueber die Rüdgabe jeines Haujes an den
231
Klerus behielt er fich übrigens im Stillen feinen
Entihluß noch vor, denn die Sache hatte no
Zeit und gar Feine Eile.
*
* *
Der Kaiſer war heute auf eine längere In—
ſpectionstour ausgeritten, und zwar um die con—
cejfionirte und ſchon ausgelegte und begonnene
Bahnſtrecke zu befichtigen, die von Merico aus
bor der Hand nad Apizaco führen jollte, um
ji jpäter mit der jetzt bis Pafo del macho be—
endeten und über Soledad von Vera-Cruz kom—
menden zu vereinigen, während Puebla eine
Zweigbahn nad) Norden zu legen beabjichtigte
und dadurch— dann ebenfalls ſowohl mit dem
Hafen wie der Hauptitadt in directe Verbindung
trat. Die Schwierigkeiten, welche der Bau dieſer
Bahn im Ganzen bot, waren in der That nicht
gering, denn eine Höhe von über 4000 Fuß
blieb zu überwinden, um die Hochebene von
Merico aus dem tieferen Land und der Tierra
caliente heraus zu erreichen, aber tüchtige eng:
liche Ingenieure hatten die Sache in die Hand
genommen, und enorme Bortheile mußten bem
Verkehr erwachſen, wenn die Sache Erfolg hatte.
Allein durfte Marimilian aber nit einmal
232
die Tour in der unmittelbaren Nähe jeiner
Hauptitabt unternehmen, denn jelbit bier war
man nicht fiher, ob nicht eine jo günitige Ge—
legenheit, jich des Oberhauptes zu bemächtigen,
von irgend einer Truppe benüßt werben würde,
und wenn es felbjt nur deshalb gewejen wäre,
um ein bedeutendes Löſegeld heraus zu prefjen.
Es begleitete ihn deshalb eine Escadron feiner
treuen öfterreihijhen Hujaren, den jungen
Grafen Khevenhüller an der Spite, und neben
dem Kaifer dahin jprengend flogen die waderen
Thiere jetzt, die Stadt hinter fich lafjend, an
Guadelupe, dem Gnabenort, vorüber, auf dem
ichmalen Damm dahin, der die beiden Seen
Tezcoco und St. Chriſtobä von einander trennt.
Aber fo heiter und mittheiljam der Kaiſer
ſonſt auf ſolchen Eleinen Ausflügen fein konnte,
und jo wohl er ſich gerade dann in ber freien
Luft und im Sattel fühlte, heute jchien er ernſt
und in fich gefehrt, und während jein Blick bald
rechts hinüber nad) ven Vulfanen, bald über die
Seen hin und nad) den fie umjchliegenden. Ber-
gen flog, hatten ſich doc, troß der eigenthüm—
lihen und pradtvollen Scenerie, die ji bier
vor ihm ausbreitete, jeine Brauen finjter zu—
jammengezogen, und trübe, ja recht ernite Ge—
233
banken mochten e8 auch fein, die fein Herz be—
wegten und feine Stirn verbüjterten.
Meiter und weiter verfolgte indeß die Truppe
in einem ſcharfen Trab ihren Weg; jchon hatten
fie die Seen Hinter fih, und an ihrer linken
Seite, während ſich rechts eine weite fruchtbare
Ebene, mit verjchiedenen Fleinen Ortichaften be—
ſät, ausdehnte, hoben fi die mit Mageh be-
pflanzten niederen Hügel.
Dieſe Magehhügel bilden eine wirklich ſonder—
bare und eigenthümliche Scenerie und geben ber
Landſchaft allerdings etwas Düfteres, Dedes, und
bo haftet das Auge wieder gern an ihnen, denn
jo fremd, jo wunderlich in ihrer ganzen Er-
Iheinung liegen fie da.
Die Mageh, eine der größten und ftärfiten
Agavenarten, die wild allerdings über bie ganze
Hochebene von Merico wächſt und bier auch ihre
eigentliche Heimath hat, wird aber bejonders in
diefer Gegend bis Apizaco und noch weit darüber
hinaus, wie rechts und links in alle Berg- und
Hügelfetten hinein, auf das jorgjamjte gepflegt,
in tief gegrabenen Boden und in lange Reihen
gepflanzt, und hen ihr Name „die Kuh des
Landes“ beweift, wie geſchätzt der Nuten ift, den
fie den Bewohnern Mericos liefert. — Was
234
wäre der Mericaner ohne Bulque! — Und dabei
find e8 ganz pradtvolle Pflanzen, von einem
dunkeln aber troßdem glänzenden Grün, die dicken
fleifhigen, von Saft durchſtrömten, aber aud
mit jcharfen Stacheln bewehrten Blätter —
man möchte fie faft Arme nennen, in grazidjer
gebogener Form jo weit oft ausbreitend, daß
eine einzige Pflanze einen Raum von 15—18 Fuß
im Durchmeffer in Anjpruh nimmt und damit
einen Flähenraum von oft mehr als 150 QDuadrat=
fuß bebedt.
Wo fie wild wachſen oder nur zu Heden
und Einfaſſungen benüßgt werden, treiben fie
auch einen riefigen Blüthenſchaft, einer Fleinen
Telegrapbenjtange gleich — in dieſen Pulque—
Anpflanzungen wird ihnen das aber nicht ge—
ftattet, denn gerade in der Zeit, wo dieſer Schaft
ausbredhen will, muß der Pflanze das Herz aus—
geftoßen und in der Mitte ein Beden geformt
werden, in bem ſich der ganze Saft nad und
nad anjammelt. Hat jie dann bahinein alle
ihre Kräfte erfchöpft, jo verwelft jie und ftirbt ab.
Dieſe Mageh find dort in langen, faft end—
loſen Reihen angepflanzt und ziehen fich oft, jo
weit ihnen das Auge nur folgen kann, zwijchen
und an den Hügeln bin und in die Thäler
235
hinein, und fleißiges Menſchenvolk kriecht da—
zwiſchen herum. Theils ſind dieſe beſchäftigt,
die jungen Sprößlinge von angezapften Stöcken
zu entfernen, damit ihnen nicht auch die Lebens:
fraft entzogen wird, theil8 um die Ernte an
jebem Tage aus der im Innern geformten „Caja“
mit einem langen Flaſchenkürbiß als Heber her-
auszuziehen und in mitgebradhte Schläuche zu
füllen, mit denen fie dann jchwerbeladen zu
Thal Feuchen.
Weiter jieht man aber dann an diejen Hän—
gen feinen Baum, feinen Strauch — nur ber
Mageh iſt das Wachsthum bier geftattet, und
nur zwilchen venjelben gedeiht noch ein bürftiges
Gras und wilde Feld- und Waldblumen in Fleinen
Bülchen.
Dort hinüber, der Thaljohle folgend, die fich
von da ab um die Gebirgskette der Vulkane nad)
Oſten hinüberzieht, Tag die ſchon abgejtedte und
bezeichnete, ja an manchen Stellen jelbjt in An-
griff genommene Bahn, die auch bier einem jehr
günftigen Terrain folgte, und ohne Schwierig
feit fajt bis zur Dftfeite der Gebirge getrieben
werden Fonnte.
Des Kaijers Antlib heiterte jich bier etwas
auf; er jah das gejhäftige Treiben, das er als
-
236
fein Werk betrachten fonnte — er wußte, wel:
hen Segen dieſe Bahn, erit einmal vollendet,
dem Lande bringen müſſe, und Schon darum fühlte
er eine Art Genugthuung, die fich jteigerte, als
er von den Arbeitern erfannt und mit en=
thuſiaſtiſchem Zuruf und Hütejchwenfen begrüßt
wurde.
Marimilian war leicht empfänglich für jolche
Eindrüde, Thränen jtiegen ihm dann in's Auge,
jein Antlit belebte fih, und freundlich und gütig
grüßte er nach allen Seiten. Er ſtieg bort für
furze Zeit vom Pferd und bejah fi die be—
gonnenen Arbeiten in der Nähe, ebenjo die raſch
errichteten Hütten der Arbeiter jelber, die mit
welfen Magehblättern gebect, nur an der Wetter:
jeite gefhüßt waren und einen höchſt eigenthüm—
lichen Anblid boten. Das Volk dort iſt aber
nicht verwöhnt und das Klima auch noch immer
mild genug, troß der hohen Lage, um nicht viel
Vorbereitungen gegen kalte Witterung zu er
fordern.
Der Kaiſer hatte feinen Zweck erreiht und
wenigftens mit eigenen Augen gejehen, daß ber
Bau der Bahn Scharf in Angriff genommen
wurde, War e8 dabei der Ritt in der frifchen
Morgenluft, war e8 der Anblick thätigen Lebens
237
und Fortſchritts gewejen, war es die frembartige
Scenerie, die ihn umgab und über die ſich freund-
lid dev blaue Himmel jpannte, aber er wurde
jelber freundlich und geſprächig und unterhielt
fih mit dem jungen Grafen an feiner Seite be=
jonders Tebhaft über die Hoffnungen, die er an
ven Bau der Eifenbahnen überhaupt für Merico
nüipfe. Dadurch mußte ja aud) ein ganz ans
deres, mehr geregeltes Leben entjtehen, und ber
Ackerbau viel Leichter auf den raſchen und bes
guemen Verkehrswegen jeine Producte verwerthen
fönnen, wie den Kohn feiner Thätigkfeit ernten.
Der Zug hatte fi) dabei anfangs in einem
leichten Trab gehalten und war endlich, um bie
Pferde abzufühlen und den Schönen Morgen wie
den Anbli der jeßt wieder vor ihnen aus—
gebreiteten Seen mit dem ganzen prachtvollen
Theile von Mertco befjer genießen zu können,
in Schritt gefallen, als fie einen Neiter auf der
Straße in vollem Galop hinter ſich heriprengen
hörten.
Die Hufaren hatten fih ſchon lange nad) ihm
umgejeben, aber den einzelnen Mann auch nicht
beachtet, bis er jeßt heranfam und jelber ein—
jügelte, um von den Lebten zu erfragen, wer an
der Spitze reite.
238
„Der Kaifer, amigo.”
„Caracho,” late ver Mann, „und was madt
der bier draußen ?' |
Die Hufaren hielten e8 unter ihrer Würde
ihm barauf zu antworten, und nur ber Eine
frug ibn: „Und wo fommft Du ber?’
„Bringe Depejchen für das Hauptquartier.”
„Gut, die kannſt Du gleich bier abgeben und
eriparjt den Weg.’
Der Mann jchüttelte den Kopf, fpornte aber
jest jein Pferd etwas mehr an, um nach vorn
und dann auch vorbei zu fommen, denn der Zug
ritt ihm zu langjam.
Das Wort: „ein Courier,’ Hatte fich indeß
unter der Schwabron nad) vornhin fortgepflanzt
und erreichte auch den jungen Obrift, der den
Kopf nad ihm wandte.
„Majeſtät, es jcheint ung ein Courier von
ber Küſte her überholt zu haben. Wünſchen Sie
ihn zu ſprechen?“
„Hat er Depefhen für mid?’ ſprach ber
Kaiſer raſch, jein Pferd einzügelnd.
„Depeihen für Seine Majeſtät?“ frug Graf
Khevenhüller den Boten, der jebt, mit der Hand
am Hut, an ihn heranritt. E8 war ein gewöhn-
licher Mericaner, ein Halbindianer, in Serape
239
und Sombrero, die Cherivalles aus einfacher
rohgegerbter Kuhhaut, ohne jede Verzierung. Ein
einzelner franzöfifher Courier wäre auch
überall der Gefahr ausgefegt gewejen, von ben
Liberalen oder felbft einzelnen Trupps der Landes—
finder angegriffen und erfchlagen zu werben; ben
Mericaner ließ man aber überall ruhig paffiren
und er war feiner Gefahr ausgejeßt.
„Rein, Señor,“ antwortete dieſer aber auf
die Frage — „nur für das Hauptquartier. Die
Depeſchen find direct an den Marſchall adreffirt
und ich darf jie nur in feine eigenen Hände
geben.’
Die Brauen des jungen Grafen zogen fich
finjter zufammen, und fein Bli fuchte flüchtig
das Antli des Kaijers, aber ein Lächeln glitt
über defjen Züge, und Graf Khevenhüller frug
nur noh — „Woher fommt $hr? von Vera:
Cruz?“
„Rein, Señor — nur von Puebla.“
„Und iſt da etwas Beſonderes vorgefallen,
muchacho?“ wandte ſich jetzt der Kaiſer ſelber
an ihn — „etwas Wichtiges?“
„Das ich nicht wüßte, Señor,“ ſagte der
Mann, der doch wohl den Kaiſer in ihm erkannte,
aber an die gehörige Anrede nicht gewöhnt war.
240
— ‚Bor ein paar Nächten ijt ihnen nur ber
General Diaz durchgebrannt.“
„Porfeirio Diaz?’ rief der Kaijer raſch.
„Ja, Señor — Borfeirio Diaz — rein weg,
und haben feine Spur wieder von ihm gefunden.
Man glaubt, daß die frommen Väter dahinter
ſtecken, und der franzöfifche General ift wüthend.“
Der Kaijer lächelte. „Da hätten die Pfaffen
doch einmal etwas Gefcheidtes gethan,“ wanbte
er fi in deutſcher Sprache zum Grafen. „Ich
halte diejen General Diaz für den anjtänbdigiten
Republifaner und gäbe viel darum, wenn id)
ihn für ung gewinnen könnte.“
„Er wird aber wieder ein Heer zujammen zu
bringen ſuchen,“ jagte der Graf.
Der Kaifer jchüttelte ven Kopf. — „Woher
ſoll er es nehmen? Nein, lieber Graf, ich glaube,
die Sache ijt jet vorbei. — Haben Sie denn
nicht gehört, daß jeßt Gonzales Ortega, ber
Juariſtiſche Werbecommifjär in den Vereinigten
Staaten, ſchon ebenfalls Anſpruch auf die Prä—
fident{haft mat? — aber Du kannſt gehen,
mein Burſche,“ wandte er fid an den Courier,
der noch mit dem Hut in der Hand langjam
neben dem Kaifer Hinritt — „gieb nur Deine
Depeſchen an den Marſchall ab, und dann
241
wieder fortfahrend jagte er: „Die Liberalen
wiſſen jetzt alſo jelber nicht mehr, wen fie zum
Präfidenten haben wollen. Juarez erklärt aller-
dings, daß er fortregieren werde, aber womit?
und fommt wirflic Ortega an die Reihe, jo iſt
der mit leichter Mühe abzufaufen. Nein, wie
ih mir Porfeirio Diaz denke, jo wird er fidh
jegt über den Stand der Dinge zu unterrichten
Juden und dann wahrlich felber den Frieden
niht mehr brechen.‘
„Es wäre ein Glüd, denn der Krieg wird
jet zu blutig geführt.‘
„Das ift es ja, was mir am Leben frißt,“
jagte der Kaijer, und wieder legte ſich jener
dunkle Schatten über feine Züge. „Haben Sie
gehört, wie Mendez da oben bei Uruapan ges
wüthet hat? General Arteaga, den Einzigen, der
noch ein wirkliches Heer befehligte, Salazar, den
andern Chef, und die beiden Obriften Diaz und
Villagomez bat er erichießen lafjen, ehe noch das
Octoberdecret in Wirkſamkeit treten follte, ja
eigentlich noch vor feiner Veröffentlichung, wo
er nur auf geheimem Wege Mittheilung davon
haben Fonnte. Das iſt aber Bazaine's Werk,
der jet um jeden Preis, fobald er fi nicht
dabei compromittirt, Ruhe haben will und, wie
Fr. Gerftäder, In Merico. II. 16
242
ich gehört Habe, jogar dem Decret noch einen
verihärften Zufaß gegeben hat.‘
„Es wird böjes Blut im Lande machen.’
„Gewiß, und das mit vollem Recht. Ich
babe auch augenblidlic einen Courier an Mendez
gefandt und ihm befohlen, jämmtlihe Kriegs:
gefangene, die noch in feinen Händen find, direct
ber nad Merico zu ſchicken. Ich will dieſe
Metzeleien nicht.”
„Arteaga hat fih übrigens auch viel zu
Schulden fommen laſſen,“ fagte der junge Graf.
„Ja, ich weiß es,“ nickte der Kaifer, ‚aber
ich bitte Sie, wer hier im Lande nicht? Nehmen
Sie diefe Dupin’ihe Contre-Guerilla. Giebt
e8 einen Mericaner im Land, der größere Scheuf:
lichkeiten verübt hat, als diefer ſonſt ganz tapfere
und unerjchrodene Dupin? Er ift der Schreden
des Landes, wohin er fommt. Was hat jener
General Marquez, der angeblich zum Kaiferthum
Iteht, in Tacubaya gethan? nicht allein die ge:
fangenen Officire, nein auch jelbjt — unglaublid
aber wahr — die Aerzte hat er erjchießen lafjen.
Was thun alle unſere mericaniichen Generale,
Mejia vielleiht ausgenommen? In Europa
würden wir als Wiedervergeltung für eine jolde
Sceußlichfeit im Krieg vielleicht berechtigt fein,
243
da ſolche Verbrechen dort nur als Ausnahmen
gelten fönnten und auch ausnahmsweije bejtraft
werden müßten. Hier aber ift e8 die Regel,
und ich jehe ein, daß man den Mord nicht zur
Regel machen kann, wenn man fich nicht jelber auf
eine Stufe mit diefen Menjchen jtellen will.‘‘
„Aber das Decret ijt nun einmal erlafjen,
Majeſtät.“
„Allerdings — aber ich habe ſchon nach ver—
ſchiedenen Richtungen hin und an unſere Leute
Contre-Ordres gegeben. Wollen die Fran—
zoſen in ſo blutiger Weiſe vorgehen, ſo mögen
ſie's auf eigene Verantwortung thun, aber ich
kann den Mexicanern wenigſtens zeigen, daß ich
nicht ihr Blut, ſondern ihr Glück und den Frie—
den ihres Landes will. — Sehen Sie dieſes
Land,“ rief er plötzlich, indem er ſeinem Thier
in die Zuͤgel griff und dadurch die ganze hinter
ibm berfommende Schwadron zum Stehen brachte
— ‚Sehen Sie dorthin, Khevenhüller, und jagen
Sie mir, ob Gott der Herr mit al’ der Pracht,
bie er über die Erde ausgejtreut, etwas Schö—
neres, etwas Herrlicheres gejchaffen! Es ijt nicht
möglich, joweit fih das Weltall dehnt — und
das Lamb in ewigem Aufruhr!‘
Sie hatten in der That hier einen der ſchön—
16%
re El ©
244
jten Bunfte erreicht. Nachdem jie den bie beiden
Seen trennenden Damm wieder pajfirt und ben
MWalfahrtsort Guadelupe erreicht hatten, lag
die Hauptſtadt mit ihren Häufermafjen und der
daraus emporragenden pradtvollen Kathedrale
vor ihnen. Dicht an ihrer Linken der Tezcoco:
jee, im Süboften ragten bie herrlidhen, in ber
Sonne ordentlih funfelnden Vulkane empor,
und ein ſolch unbejchreiblicher Schmelz lag über
der ganzen Landſchaft, daß er das Herz aud
eines weniger für Naturjchönheiten empfänglichen
Menſchen, als es Marimilian war, entzüct haben
würde.
„Das Paradies der Erde!” rief der Kaijer
aus. „Die Mericaner find wahrli in ihrem
Recht, wenn fie behaupten, Gott der Herr habe
ich, nahdem er die Welt erjchaffen, ein bejon-
beres Tenjter im Himmel offen behalten, um
immerbar auf fein Lieblingsland, auf Merico,
berabfchauen zu können. Und was haben bie
Menſchen daraus gemacht? Es ijt ein Jammer,
wenn man es bedenkt, und wie ſtolz könnte ich
ſein, wenn es mir beſtimmt wäre, dieſes Land
zu dem reichſten und glücklichſten zu machen. —
Doch kommen Sie — die Wünſche und Träume
helfen uns Nichts — wir wollen handeln.“
245
Und wieber ließ er feinem Thier die Zügel, und
der ganze Zug legte ben nochzübrigen Weg nad
der Hauptjtabt in einem ſchwachen und burd
Nichts mehr unterbrochenen Trab zurüd,
8.
In Guerrero.
Der wildejte und zerflüftetite Staat des wil—
den und zerflüfteten Merico ijt der Staat Guer—
rero, der jih vom 15. bis 17. Breitengrad jchräg
am jtilen Meer hinaufzieht und an feiner Oft:
grenze bis fajt an das der Hauptjtadt benachbarte
Euernavaca hinanreicht, wo fich der Kaifer in
bem alten Cortez:Balaft eine Sommerrejidenz
errichtet Hatte.
Hier in Guerrero hauſte der Togenannte
„alte Panther von Guerrero“ unumſchränkt und
verdankte diefen fajt poetiſchen Namen viel weni:
ger feiner Tapferkeit und feinen „echt republifa:
niſchen“ Gefinnungen, wie die republifanijde
Preffe in Amerifa und Europa e8 zu verbreiten
ſuchte, ſondern einzig und allein fowohl ber Un:
247
zugänglichleit als ebenjo Unbrauchbarkeit feines
wilden Landes.
Schon zu Zeiten der Spanier hatte Alvarez’
Vater, ein Indianer, der fich indefjen taufen ließ
und einen Spanischen Namen annahın, jenen ab=
gelegenen Theil der Berge, dem man bei ber
legten Eintheilung den Namen Guerrero gege:
ben, inne gehabt, und fich ziemlich unabhängig
dort von den ſonſt rückſichtslos herrichenden Vice:
Eönigen gehalten. — Als aber -in den jpäteren
Unabhängigfeitsfriegen und denen folgenden Re:
volutionen und Pronunciamentos die Regierun—
gen der Art wechjelten, daß, ehe die Kunde von
einem Präfidenten nach dem entfernten Dijtrict
gelangte, ſchon ein Anderer das Staatsruder
wieder an fich geriffen hatte, behauptete jich deſſen
Sohn Alvarez in feinem alten Reich — angeb:
ih al8 Gouverneur der in Merico zeitweilig
berrihenden Regierung, — in Wirklichkeit aber
vollfommen jo unabhängig wie ein wirklicher
Monarch, jo daß er auch nur felbjt ven Namen
einer Republik — blos der Bequemlichkeit wegen
und um langweilige Erörterungen zu vermeiden
— beibebielt.
Selbjt Juarez, dem fich vor der Intervention
jo ziemlich das ganze Land unterworfen, mußte
248
ihn in ſeiner natürlichen Feſtung, ſeinem Reich
anerkennen. Er wußte recht gut, daß es un—
möglich fein würde, den alten ſtarrköpfigen In—
dianer zu irgend Etwas, dem er fih nit gut—
willig fügte, zu zwingen, oder gar das Land zu
erobern und zu behaupten, und madıte deshalb,
Flugerweije, nicht einmal den Verſuch.
Lebt, nach der Intervention und nad) Grün—
dung des Kaiſerreichs, würde Alvarez wahrſchein—
lich eben jo wenig Etwas dagegen gehabt haben,
ben Kaifer, wie früher den Präfidenten anzuer—
fennen — er betrachtete das gerade jo, wie etwa
ein europäiſcher Staat eine Kaijerwahl in China,
die ihn weiter nicht berührte. — Was ging ihn
Merico an, jo lange er in feinem Kleinen Staat
fortregierte. Aber die Franzoſen, mit den Ber:
bältniffen des Landes nicht jo bekannt, und mit
dem Wunjch, dabei den in Guerrero liegenden,
nicht unbedeutenden Hafenplag Acapulco für fich
zu gewinnen, glaubten, ven Staat eben jo Leicht
erobern zu können, wie alle bie übrigen, und
rücdten denn auch von Guernavaca aus, wo die
Berge noch nicht jo wild und zerriffen find und
eher eine Paſſage möglidy machen, direct hinein.
Das aber nahm der alte Alvarez, der auch jebt
Ihon einen Sohn von nahe an dreißig Jahren
249
zur Stüße hatte, übel, rief jeine Pinto: ndianer
zulammen, bejeßte die beiten Päſſe und Ströme,
und trieb denn auch richtig die Franzoſen, denen
in dieſen Bergen ihre Gejhüge gar nichts
halfen, mit blutigen Köpfen wieder heim.
Tranzöfiiche Berichte meldeten allerdings, daß
franzöfiihe Truppen bis über den Mescal-Strom
und in das Herz des Landes vorgedrungen jeien,
um die Hauptjtadt zu belagern, wo jie freilich
wegen Mangel an Geſchütz und unzureichender
Mannſchaft den Verſuch hätten aufgeben müfjen.
Es iſt das aber nur einer der gewöhnlichen fran=
zoͤſiſchen Schlachtenberichte, die bejonders für die
große Nation fabricirt wurden und weiter feinen
Zwed hatten. E8 war einfach nicht wahr. Die
Franzoſen haben den Mescal, einen ganz anftän=
digen Strom, der an ber Oſtkette der Vulkane
entipringt, durch ganz Guerrero ftrömt und oben
im Norden die Grenze zwifchen diefem Staat
und Michoagan bildet, nie überfchritten. Sie
jind bis an defjen rechtes Ufer gefommen, aber
nicht weiter, und haben dann den Rückzug antre=
ten müffen. Sie wären aud in den Engpäffen
des inneren Landes verloren geweſen.
Alvarez herrſchte von dem Augenblid an
wieder jo unabhängig in feinen Bergen wie vor-
u
250
ber, und herrſchte jo noch — wenigjtens ber
Sohn — bis auf den heutigen Tag, ohne ſich
um den Kaiſer oder AJuarez zu kümmern. Er
bat jett allerdings einen Contre-Gouverneur in
einem früheren General Ximenes gefunden, aber
das hatten audy nur wieder die Beiden unter fich
auszumahen. Die Regierung in Merico be:
fümmert ſich Elugerweije gar nicht darum und
ift vollitändig zufrieden, wenn fie die Zölle in
Acapulco erheben kann.
Der Staat Guerrero ijt unermeßlih reich an
Tarbehölzern und wahrjheinlih aud an Mine:
ralien. In jeinen breiten Thälern könnten dabei
alle nur erdenklichen Producte gezogen werden,
denn was man anpflanzt gebeiht, aber e8 wird
faft Nichts angepflanzt. Die ewigen Revolutio-
nen, wenn jie auch Guerrero nidht bejonders
berührten, übten doch ihren verderblichen Einfluß
dadurch aus, daß die jungen Leute fortwährend
dem Land entzogen und an die Grenze gejchict
wurden, und ber Erport dedt nicht einmal den
Import des jpärlich bejiedelten wilden Landes.
Aber was für eine prachtvoll wilde Scenerie
bietet es nad) jeder Richtung, jeßt zu den Tro—
pen nieberjteigend, jet jich hoch in die gemäßigte
Zone zwiſchen Kiefer: und Fichtenwaldungen
251
dinein erhebend. Murmelnde Bergftröme ftürzen
dazwiſchen Bin, ſchmale aber teil auflaufende und
feldbedecte Hänge durchſchneiden das Land nad
jeder Richtung. Sa felbft den hindurchführen—
ben Hauptwegen folgend, die man faum Saum:
pfade nennen fann, find die armen Lajtthiere
fortwährend gezwungen, an jchroffen Hängen
emporzuflettern. Wenn fie den Gipfel aber kaum
erreicht, gähnt wieder ein Abgrund zu ihren
Füßen, den fie mehr binabrutichen als gehen
müffen, um an der andern Geite des unten
dahin jchießenden Bergftromes auf's Neue em=
porzuflimmen.
Kanonen auf diefen Wegen? Die eingebo:
tenen Soldaten find faum im Stand, ihre Mus—
feten auf jene Bergfättel zu jchleppen, und an
manchen Stellen könnten zwanzig Mann einen
Paß gegen eine ganze Armee vertheidigen.
Hier, hüben und drüben vom Mescal und
über das ganze weite Land bis zum ftillen Meer
zerftreut, haufen die Pintos oder jogenannten
„gemalten“ Indianer, ein wunderliches, ſämmt—
lid von einer eigenthümlichen Hautfranfheit ge=
zeichnetes Volk, das ſich aber troßdem vollfom=
men wohl und glücklich zu fühlen jcheint und
mit feiner gefledten oder punftirten Haut eben ſo
252
unbefangen in der Welt herumläuft, wie bei
uns mancher ältliche Herr mit einer volllommen
rothen oder fogar in’8 Blaue jpielenden Naſe
— ober mit Stern und Ordensihmud.
Woher diefe Krankheit rührt oder aus was
fie eigentlich bejteht, weiß fein Menſch. Man
ſieht und erfennt fie nur, wenn jie die Haut
erſt unheilbar angegriffen hat, ohne jedoch da—
durch den Körper felber nur im geringjten zu
ſchädigen. So viel wird behauptet, daß fie bei
näherer Berührung anjteden fol, aber auch das
wodurd iſt ein Räthſel und muß erjt nod
ergründet werben. |
Die Pintos find von ziemlich fupferbrauner
Farbe, und die häufigſte Bezeichnung an ihren
Körpern iſt durch blaue Punkte und Flecken,
die, unregelmäßig überall vertheilt, fih aber
am häufigiten auf der Brujt und an ben Armen
finden.
Röthliche Flecken ſchimmern bier und da mit
unter, ſehr oft fommen aber auch vollfommen
weiße vor, bejonders bei den Frauen, und zeigen
ih dann immer zuerft an den Händen. Es giebt
eine Menge von rauen, die vollfommen und
faft unnatürlich weiße Hände haben, aber biefe
Farbe reicht jelten über das Handgelenf, denn
253
dort jchließt jie, wie eine Manjchette, ein dunkel—
blauer oder rother Rand ein, und erſt weiter
an den Armen hinauf zeigen fie jich wieder.
Die Männer find dabei Fräftige, muskulöſe
Öeftalten, gewandt und ausbauernd, die Frauen
ſchlank und zart, mit oft wirklich hübſchen Ge—
ihtern.
Diefe Pintos nun, die Alvarez ſchon von ſei—
nem Hafenplatz Acapulco aus mit guten Waffen,
bejonders vortrefflihen amerifanijchen Bajonnet-
Gewehren verjehen Fonnte, Hatten allerdings
ihon zweimal die in ihr Land dringenden
Franzoſen zurüdgewiejen und glaubten vor einem
dritten Angriff ziemlich fiher zu fein. Troßdem
bien Diego Alvarez, der Sohn, dem der ſchon
alternde Vater ſeit Kurzem die Regierung ſei—
nes Staates überlajjen, ihnen nicht recht zu trauen
und lag nun, da Juarez im Norden gejchlagen
worden und audy der Süden fein Heer mehr ge=
gen den Kaijer in’s Feld ftellen konnte ober
wollte, mit einer nicht unbebeutenden Truppe
Soldaten in dem Fleinen Städtchen Mescal, am
linken Ufer des gleichnamigen Fluffes. Dort
beberrichte er den von Norden aus ber Haupt:
ftadt herführenden Weg vollftändig und hielt jo
gewiſſermaßen Wacht an jeiner eigenen Grenze
254
— an ber Grenze wenigjtens, die er bequem
vertheidigen fonnte. Das Wenige, was er da—
bei dem Feind von jeinem Lande preisgab, war
nicht des Haltens werth und Fonnte von ihm
auch, abgejchnitten von jeder Verbindung, nicht
gehalten werden.
Allerdings Hatten die Truppen bort Mühe
fih zu beföjtigen, denn die Leute erzeugen wohl
nothdürftig, was fie für fich felber brauchen,
aber der Fluß war filhreih, Vieh wurde eben=
falls herbeigetrieben, und außerdem giebt es fein
mäßigeres Volk als gerade dieje, in einem rau:
ben Land erzogenen Pintos, die fi mit dem
Wenigiten begnügen und Nichts verlangen, als
eben nur ihren Hunger und Durſt zu ftillen.
Fahrzeuge lagen ‚gar nicht auf dem Strom,
nicht einmal ein Canoe, und auch Fein menſch—
liches Wejen war an dem linken Ufer zu erfen:
nen, al8 an ber rechten fteilen Bank etwa zehn
Reiter mit einigen zwanzig beladenen Maulthie-
ren fihtbar wurden, bie aber kaum in feindlicher
Abjicht kommen Fonnten, oder ſie hätten ſich
nicht jo offen da gezeigt und ihre Lajtthiere jelbjt
bis zum Waſſerrand hinabgetrieben. Drüben
am Uferrand regte es fich aber doch jet — ein
einzelner Pojten, der im Waldesichatten und
255
unmittelbar am fühlen Uferbett gelegen, jprang
hinaus auf die Sandbank, und ohne erjt einen
Anruf der Fremden abzuwarten, feuerte er jeine
Muskete in die Luft ab.
Das war das Zeichen, und in dem Fleinen
Drt, der etwa 200 Schritt vom Ufer ab liegen
mochte, regte e8 fich und wurde lebendig. Trom—
meln wirbelten, Trompeten tönten, und faum
waren zchn Minuten vergangen, als fih ſchon
eine Fleine Truppe von Soldaten zeigte, bie
raſchen Laufs dem Uebergang zueilte, um jich bei
drohender Gefahr dort wenigjtens in die Schanze
zu werfen, bis das Hauptcorps nachrüden und
fie unterſtützen konnte.
Die Fremden ſchienen davon aber nicht die
geringſte Notiz zu nehmen und auch ziemlich
ſicher zu ſein, daß ſie nicht abgewieſen würden,
denn während ſich die Pintos drüben wie zu
einer verzweifelten Vertheidigung rüſteten, pack—
ten ſie ruhig ihre Laſtthiere und ſattelten ihre
Pferde ab, und bereiteten ſich ſo auf den Ueber—
gang über den Strom vor. Nur Einer der eben
Gekommenen hatte ſeine Kleider abgeworfen, und
Hemd und Hoſe in einen feſten Knäuel zuſam—
menrollend und mit einer Schnur umwickelnd,
warf er ſich ohne Weiteres in den raſch fließen
256
den Strom, bielt das Bündel mit dem linken
Arm hoch und troden aus dem Waffer, und
Ihwamm hinüber.
Die Pintos ſahen auch bald, daß fie es bier nur
mit einer Fleinen friedlichen Caravane zu thun
hatten, gebrauchten aber nichtsbejtoweniger jede
Borfiht, denn ſchon früher Hatten einmal die
Franzoſen verſucht ihre Aufmerkſamkeit einzig
und allein auf einen beſtimmten harmloſen Punkt
zu lenken, indeß eine größere Truppenmacht etwas
tiefer unten den Strom unbemerkt zu kreuzen
und dann den Platz zu überfallen ſuchte. Es
war ihnen aber nicht gelungen und auch heute
hielt Diego Alvarez alle jene Plätze, wo ein
Uebergang möglich war, jtreng bewadt. Mit
feinen außerdem überall am rechten Ufer zerjtreu:
ten Spionen braudte er denn auch kaum eine
Ueberrumpelung zu fürdten.
Der Bote indefjen, der von dem Zug hinüber
nach dem linken Ufer ſchwamm, wurde dort von
ein paar Leuten weniger in Empfang genommen
als freundlich begrüßt. Er war felber ein Pinto
von der Ditgrenze des Staates, aber er bradte
auch Leben in die Leute, denn er beorderte augen:
bliflih das Floß, um ihr Gepäck herüber zu
Ihaffen, und das allerdings gebrauchte lange
257
Zeit. Aber er theilte ihnen zugleih mit, daß
der Eigenthbümer oder Befehlshaber des Zuges
der aus den Händen der Franzoſen entflohene
General Porfeirio Diaz fei, der hier bei Alvarez
vor der Hand Schuß vor feinen Verfolgern ſuche,
und fofort wurde ein Bote an ihren General
abgejandt, um ihn davon zu benadrichtigen.
Indeſſen fam ein Indianer mit dem am Ufer
verjteft gewejenen Flofß an, das erallein, und
anſcheinend noch dazu mit ziemlicher Leichtigkeit
auf jeiner Schulter trug, und eigenthümlich, ja
originell genug war es hergeſtellt. Es beitand
nämlich — etwa fünf Fuß im Quadrat, aus
Nichts als mit einander verbundenen und waſſer—
dicht verjtopften “hohlen Flaſchenkürbiſſen, bie
allerdings, jo Elein der Raum jein modte, den
fe einnahmen, eine ganz bedeutende Tragfähig-
feit bejaßen.
Eine Strede am Fluß hinauf, um die Strö-
mung zu überwinden, legte der Pinto dann jein
ſchwankes Fahrzeug auf das Waſſer, ging noch
damit ein Stüd in jeihtem Waſſer, an der Sand:
bank hin, aufwärts, und dirigirte es dann, indem
er daneben herſchwamm, zum andern Ufer hin:
über, wo dann auch der General ohne Weiteres
mit jeinem Sattel und wenigem Gepäd darauf
Fr. Gerftäder, In Mertco. III. 17
258
Pla nahm und auf die nämliche Art übergejekt
wurde. |
Diego Alvarez hatte indeſſen ſchon von Por:
feirio Diaz’ Ankunft gehört und eilte ihm ent:
gegen, um ihn zu begrüßen.
Es war eine Kleine gedrungene Geftalt, Me:
jtize, mit einem ziemlich nichtsjagenden Geſicht
und niederer Stirn, furzen glatten Haaren
und einem flahen ſchwarzen Schnurrbart, aber
mit gutmüthigen Zügen, und der Willkommen
des in der That befreundeten Generals war in
der That ein herzlicher.
„Caramba! Don Borfeirio — wie mid das
freut, Sie einmal wieder und bei mir begrüßen
zu können — alſo glüdlich entflommen? San-
tisima, jie morden ja jetzt da drüben, was fie
unter die Hände kriegen.“
„Don Diego — id) freue mich nicht weniger,
Sie hier zu finden,’ fagte Diaz, indem er bie
dargebotene Hand nahm und herzlich Ichüttelte,
„und auch dabei auf freiem fichern Boden zu
jtehen. Hierher fommt fein Feind.”
| „Caracho, nein,“ lachte Diego, „das haben
- wir ihnen verfalgen; aber wurden Sie verfolgt?"
„Gehetzt haben fie mich bis über die Berge
hinaus,‘ lächelte Diaz, „und einmal wäre id
ihnen beinahe wieder in bie Hände gefallen.
Franzöſiſche Gensdarmen hatten den Plag ſchon
umzingelt, in dem ich verjtedt war, und ich bin
ziemlich feft überzeugt, daß fie mit dem Befehl
hinter mir hergeſchickt waren, mich ohne Weiteres
niederzufchießen, wo jie mich fünden.‘
„Und wo war das?
„Zwiſchen den beiden Vulkanen; aber der alte
Popocatepetl hat mich gerettet, und ſchickte da
plöglih, und faft aus heiterem Himmel, ein jo
furchtbares Unwetter nieder, wie ich es jelber
in jenen Bergen noch nicht erlebt. Ein Blik
folgte dem andern, einer immer greller und
zilhender dabei wie der andere, der Donner
tollte nicht mehr, jondern jchmetterte mit Ka—
nonenjchlägen drein; die Erde bebte jo heftig,
daß in der fteilen Schlucht, in der ich lag, ſchon
Steine anfingen abzubrödeln und loszurollen,
und eine Sturzfluth wujh vom Himmel nieder,
daß fie, Faum eine Biertelftunde jpäter, in rei-
Benden Bergitrömen zu Thal wälzte. Mir aber
war &8 zum Heil — die Pferde der Gensdarmen
bielten diefen furhtbaren Donnerjchlägen, die
ununterbrochen einander folgten, nit Stand —
das Rollen des Erdbebens mochte fie dabei eben:
falls {hen gemacht haben. Die Reiter mußten
17*
259
260
abjigen und die Thiere am ‚Zügel nehmen, und
fait unter den Hufen ber jtampfenden Pferde
fort, mit Lebensgefahr an einer fteilen und jebt
durch innere Gewalten erjchütterten Schlucht Hin,
froch ich, bis ich das lehmige, jprudelnde Waſſer
erreichen Fonnte, ſank hinein und entging jo
ungejehen der Gefahr.”
‚Ave Maria,“ jagte Eopfichüttelnd Don Diego,
‚daß diefe DBeitien unjere beiten Männer im
Land auf folde Art umberhegen dürfen. Aber
bier feid Ihr fiher, Don Porfeirio, und könnt
Euch von Euren Mühen und Gefahren aus:
ruhen.‘
„Keine Ruh’ für mich,’ jagte Porfeirio Diaz
fopfjchüttelnd, „jo lange nod fremde Hände
die Zügel unferer Regierung halten. Habt Ihr
Nachrichten hier vom Norden? Wie jteht es mit
Juarez?“
„Schlecht,“ ſagte Diego Alvarez, den Kopf
ſchüttelnd, „ich glaube gar nicht, daß er noch
auf mexicaniſchem Boden lebt — wenn ſo, jeden—
falls nur als Flüchtling und gehetzt wie Ihr.
Weshalb iſt er nicht auch nach Guerrero ge—
kommen?“
„Aus dem einfachen Grund, weil er dort
oben Amerikaner für unſere Sache zu werben
261
hofft,‘ fagte Diaz. „Wie ih ſchon in Puebla
hörte, ſprechen ſich die Nordamerifaner immer
entihiedener gegen das Kaiferreih aus. Die
franzöſiſchen Officiere unterhielten ſich mehr als
einmal ganz unbefangen felbjt in meiner Gegen—
wart davon, daß fie bald ihr ‚Schönes Frank
reich“ wiederfehen würden.‘
„Und auf welche Bartei ftüßt fih Mari:
milian jetzt beſonders?“
„Eigentlich auf gar keine,“ lachte Diaz. „Die
Klerikalen wühlen und bohren gegen ihn; die
Conſervativen ſind entrüſtet, daß der Kaiſer nur
mit liberalen Miniſtern regiert und Geſetze er—
laſſen hat, die ſelbſt Juarez nicht freiſinniger
haͤtte geben können, und gegen die ſie ſich die
langen Jahre immer mit Erfolg geſträubt —
zum Beiſpiel die Befreiung der Indianer von
ihrem Schuldzwang, freie Schulen und ſo weiter,
und die Liberalen, die um ihn ſind, fangen ſich
ebenfalls an unbehaglich zu fühlen, denn mit den
Finanzen ſteht es erbärmlich, und fie ſehen einen
Staatsbankerott vor Augen.“
„Si — Si — Si!” nickte Diego lachend,
„ich habe es immer geſagt, daß ich viel lieber
Gouverneur von Guerrero als Präſident oder
Kaiſer von ganz Mexico ſein möchte. Aber was
262
ſchafft Ihr dort über den Fluß berüber? doch
feine Munition? die haben wir mehr, als wir
verbrauchen können.‘ |
MNeein,“ fagte Diaz, „aber id) dachte mir,
daß Ihr hier fnapp an Provifionen würdet, und
habe an Mais mitgebradht, was ich unterwegs
auftreiben konnte. Die Maulthiere müfjen
übrigens zurüdgejchidt werben, und der Burjche,
ber bag übernimmt, bleibt gleidy mit ihnen am
andern Ufer.‘
„Bueno, Bueno!‘ rief Diego Alvarez, fich
vergnügt bie Hände reibend, „unſere Proviſions—
fendung von Providencia iſt ausgeblichen, und
wir haben jchon jeit zwei Tagen Feine Tortillas
gehabt. Der Mais kommt wie gerufen, und nun
haben wir wieder auf lange Zeit zu leben.‘
„Sind Provifionen bier [chwer zu befommen ?‘
„Nicht leicht, — weiter nad Oſten zu ift es
beſſer.“
„Dann halte ich mich hier auch nicht auf,“
ſagte General Diaz, „lange genug habe ich
müſſig liegen müſſen und ſehne mid darnach,
wieder an der Spitze eines Heeres zu ſtehen.“
„So wollt Ihr wieder vorbrechen und den
Krieg erneuern?“
„Sobald ich höre, daß Juarez wieder im
263
Norden eine Macht zufammen bat, werfe ich mich
nad Dajaca hinein. Dort ſtrömt mir Alles zu,
und wir bürfen den Feinden feine Ruhe lafjen.
Sie müffen gehetzt und beunruhigt werden auf
allen Seiten, müſſen einfehen lernen, daß jie
auf biefem Boden feinen Frieden finden, und
dann wollen wir doch einmal jehen, wer es
länger aushält, wir, die wir bier von Tortillas
und Wildfleifch leben, und in Hite und Näjle
ausdauern können ohne zu ermübden, ober ber
Feind, der Millionen nah Millionen herüber—
ſchicen muß, um nur feine Leute zu erhalten,
und die Gefallenen oder Gefangenen ebenfalls
nur mit ungebeuren Koften und neuen Men—
Ihenjendungen erjegen fanı. Uns Efojtet bie
Erhaltung eines einzelnen Soldaten nicht fo viel
Klacos wie ihn Peſos, und unjere Berge und
Schludten arbeiten für uns mit. Seid bereit,
Don Diego, und wenn der Tanz wieber im Nor=
den und Süden zugleich losgeht, dann brecht
hr von Meften aus mit Euern Pintes vor,
und Ihr werdet jehen, wie wir fie hinein in’s
Meer treiben, woher fie gefommen find. Merico
muß frei werden, oder — fie mögen uns eben=
falls todtjchlagen, wie fie fo viele Tauſende uns
jerer Brüder todtgefchlagen haben. ‘'
264
„Aber eine Weile haltet Ihr Euch doch bei
uns auf?”
„Ein paar Tage, ja, um zu ralten, denn ic
bin wirklich wandermüde, aber dann wieder fort
an die Arbeit.”
Die Leute unten am Fluß hatten indeſſen
nicht gejäumt, um bie verjchiedenen Ladungen
überzufchaffen,, aber es ging troßdem jehr lang:
ſam, denn zu ganz Mescal gehörte nur das eine
Floß und das konnte nicht mehr als eine Maul:
thierladung auf einmal überjhaffen, wenn es
nicht jeine Tracht der Gefahr des Durchnäſſens
ausjegen wollte. Der Fährmann felber wurde
aber dabei müde, denn jo hatte er ſich in langer
Zeit nicht angejtrengt, und der Fluß, mit jehr
ftarfer Strömung, war auch wahrlich gar nicht
jo jhmal, um das unausgejegte Hinüber- und
Zurüdihwimmen, noch dazu mit dem beladenen
Floß, zu einer leichten Arbeit zu machen. Bis
jpät in die Nacht hinein dauerte deshalb der
Transport, aber reges Leben herrſchte indefjen
in der kleinen Stadt, wo die Ankunft von einer
Sendung Mais natürlich Jubel verbreitet Hatte.
Stadt? — Wir mahen uns daheim einen
andern Begriff von einer Stadt, und doch galt
Mescal dafür im Innern Mericos, oder bean:
265
fpruchte wenigftens, jeiner Einwohnerzahl nad,
den Namen.
Ueber einen ziemlihen Tlächenraum lag es
wohl ausgedehnt, denn Grund und Boden hatte
feinen Werth, aber nicht ein einziges feites Haus
befand fih darin, Lehmwände natürlich aus:
genommen, die aber weder innen nod außen
„verpußt”” dem Ganzen einen etwas büjtern
Ausdrud gaben.
Jedes Haus ftand allein auf einem von
Menihen, Hunden, Hühnern und Schweinen voll:
ftändig kahl geitampften Pla, auf dem nur
einzeln ein paar Scattenbäume angepflanzt
waren, und jene wunderlichen Cactusheden, die
den Bortheil vor anderen Umzäunungen haben,
daß fie mit jedem Jahr höher und, dichter wer:
den — Ichlofjen dabei auch jedes Grundjtüd ein-
zeln ein. Hoc genug. waren die Heden in der
That, denn an manchen Orten ragten dieſe ſo—
genannten Kerzencactus, fünf bis acht Zoll im
Durchmeſſer, wie eine Stange von zwölf bis
achtzehn, ja zwanzig Fuß body empor, und bil:
beten dabei unten, durdy die neu auswachlenden
und mit ſcharfen Stacheln bewehrten Schöflinge,
eine wirklich undurchdringliche Wand.
Troftlos jah freilich dabei das Innere der
266
Häufer aus, und wenn fi die Eingeborenen
fo weit civilifirt hatten, daß ſie in einer feften
Stadt, und mit ein Flein wenig Arbeit, beifam-
menlebten, fo jchienen fie doch ihren Mangel an
allen Bebürfnifien vollſtändig beibehalten zu
baben; ja fie zeigten fogar weniger Neigung,
fi der geringen Bequemlichkeiten zu bedienen,
die fie in ihrem Bereich fanden, als felbft bie
Hunde, die jich zwifchen ihnen herumtrieben und
mager und hungrig genug ausſahen. Dieje, wo
fie e8 irgend haben Fonnten und wo es ihnen
verftattet wurde, fuchten wenigjtens zum Schlafen
gewöhnlich eine der hier und da ausgebreiteten
Matten, die Kinder dagegen nie, und wo fie ge:
rade ftanden, legten fie fi) auch, wenn fie aus:
ruhen oder jchlafen wollten, auf die blanfe Erbe
und in Shmuß und Staub ruhig nieder.
Diefe Matten bildeten dabei das einzige
Ameublement der Häujer, wenn man ein ba unb
dort mit einer Kuhhaut überfpanntes Gerüft aus-
nehmen wollte, das vielleicht dem Dberhaupt der
Familie zur Sclafjtelle diente. Kein Schranf,
fein Stuhl faft, ein paar nothhürftig zufammen=
gehämmerte Bänfe und ein feſt im Boden wur:
zelnder Tiſch, das war Alles, und der eiferne
Topf, in dem fie ihre Speifen, ihre Eopa und
267
ihren Mais zu Tortillas kochten, diente auch
gelegentlich den Frauen zum Waſchbecken, ohne
daß fi irgend wer davor gejcheut hätte Die
Leute dort mußten es eben nicht befier und waren
e8 nie im Leben anders gewohnt gewejen.
In der ganzen Stadt gab es auch Feine Po—
jada oder fein Wirthshaus noch einen Kauf:
laden. In früheren ruhigen Zeiten hatte man
wohl jogenannte Stände gehabt, wo verjchiedene
Arten von Lebensmitteln als: Xortillas, Eier,
ein paar Bananen oder Orangen 2c. zu Faufen
geweſen; aber das war jeßt ſchon lange durch
die vielen Soldaten aufgezehrt, und nur wenn
frifhe Zufuhr ber. von der Küfte oder aus ber
dortigen Nachbarſchaft Fam, eröffnete fi) damit
wieder ein Fleiner Handel. Tas Einzige, was
man jegt in ganz Mescal zu Faufen befommen
Eonnte, war die aus der gleichnamigen Agave
gebrannte „Agua ardiente“, ebenfalls Mescal
genannt — ein fcharfer aber nit unangenehm
Ihmedender Branntwein. Selbſt roher Zucker,
an dem es ſonſt doch wenigſtens nicht fehlte,
war nicht mehr zu bekommen.
In einem dieſer Häuſer, wohin Diego Al—
varez ſein Hauptquartier gelegt, logirte ſich Por—
feirio Diaz ebenfalls mit ein, und ſchien ſich
268
Ihon ganz an dieje Lebensart gewöhnt zu haben.
Dicht neben feinem Bettgeſtell, auf das er feine
Serape geworfen, Inetete eine Pinto-$ndianerin
mit den weißen Händen und blaurotben Ringen
und Kanten darum das Mehl für jeine Tor:
tillas, aber fie jchmedten ihm trogdem. Was
hatte er nicht Alles die legten Wochen ertragen
und durchgemacht — que importe — jein Kör-
per verlangte Nahrung, und wer ihm bie bot
und was ihm geboten wurde, blieb jich völlig
gleich.
Alvarez und Diaz beſprachen inbejjen ven
gegenwärtigen Stand des Landes, nad) den dürf—
tigen Berichten allerdings, die doch nur jpärlid
in biejen entfernten Theil drangen, und bod
hatten Beide fo ganz verjchiedene Intereſſen an
der Entwidelung des Dramas, das ſich in dieſem
Augenblid in ihrem Baterland abjpann.
PBorfeirio Diaz war einer der wenigen Re-
publifaner in Merico, die ſich feit davon über:
zeugt hielten, daß ihr Vaterland nur unter einer
jelbitjtändigen Regierung glüdlicdy werden könne,
und die deshalb Alles mit ihrem eigenen Leben
in die Schanze ſchlugen, ohne weiteren Ehrgeiz,
als mit Hand anzulegen an das große Werk ber
Befreiung.
269
Diego Alvarez war das gerade Gegentheil
von General Diaz. Schon Alvarez’ Vater hatte
man ben „Panther von Guerrero“ genannt und
ihn oft als Mufter eines freien Republifaners
aufgeftellt, und trotzdem blieb er Nichts als ein
Heiner Tyrann in einem Fleinen Kreis — ein
herrſchſüchtiger Indianer, deſſen ganzer Ehrgeiz
ih aber nur allein darauf bejchränfte, unum—
ſchränkter Präfident — unter dem Titel eines
Gouverneurs — in feinem eigenen Staat zu *
bleiben. Er würde mit Freuden feine Zuſtim—
mung zu der ganzen Bejeßung Mericos durch
die Fremden gegeben haben — vorausgejeßt nur,
dag man ihn unbebelligt ließ und Nichts in
feine Regierung dreinrebete, und erſt als er
jah, daß das nicht geſchah, griff er die Waffen
auf und wurde Republifaner.
Der junge Alvarez jchien deshalb auch gar
feine fo bejondere Luſt zu haben, ein fejtes Ver—
Iprehen zu geben, um die von Norden und Sü—
den zufammendrüdenden Operationen zu unter-
tügen. „Wenn jeder Gouverneur feinen eigenen
Staat gegen die Feinde hielte,” meinte er da—
bei, „ſo wäre e8 gar nicht möglich, daß dieſe
irgendwo Wurzel fafjen könnten,“ und Diaz hatte
Mühe genug, ihm zu beweilen, daß nicht eben
270
jeder Staat durdy feine eigene unbezwingliche
Lage gerade jo gejhügt wäre wie Guerrero.
Alvarez nahm aud Partei für Ortega’s An:
ſprüche auf die Präfidentichaft und wollte Nichts
davon hören, daß Gonzales Ortega vielleicht der
unfähigite Menſch in ganz Merico fei, ven Staat
zu regieren. —
Die Naht war indejjen eingebroden und in
Mescal hatten fich die Bewohner, an frühe Stun-
den gewöhnt, ſchon ſämmtlich zur Ruhe begeben.
Da ſchlugen plößlih alle Hunde im Ort an und
gleich darauf donnerte wieder der Schuß der alten
Muskete das Flußthal entlang — neuen Beſuch
am andern Ufer fündend. Ausgeſchickte Boten mel—
beten allerdings bald darauf, daß nur ein ein
zelner Reiter dort drüben harre und den Fähr—
mann verlange, biejer weigerte fich aber ent—
ſchieden, hinüberzufahren. — Wenn fie ihm
drüben jein Floß wegnahmen, war er’s [08 und
Niemand zahlte ihm dafür. Wer da aud) ei,
ev mochte entweder herüberſchwimmen, oder bis
zum andern Morgen drüben am Ufer bleiben —
er rührte fih an diefem Abend nicht mehr von
ber Stelle.
Dem fpäten Reiter blieb in der That nichts
weiter übrig, als dem Rath zu folgen, und
271
jein Pferd voraustreibend, ſchwamm er denn
auh in feinen Kleidern hinüber — die Nacht
war warm, was fonnte ihm geſchehen, und bis
morgen Früh wurden fie doch wieder troden.
Aber der Mann bradte wichtige Nachrichten.
— Oben den ungeheuern Weg von Mazatlan
fam er herunter und meldete nun Alvarez: Die
Nordamerifaner hätten am NRiv- Grande offen
Partei für Juarez ergriffen und jchon eine Stadt
auf mericanijcher Seite für die Liberalen erobert.
Baja California war wieder vom Katjerreich ab—
gefallen, in Sinaloa und Chihuahua wuchſen
neue GuerillasBanden wie aus dem Boden her:
aus, und das Gerücht ging, daß Juarez felber
an der Spitze eine aus amerifanijchen reis
willigen bejtehenden Heeres gegen Süden vor—
rüde.
„Don Diego,” jagte da Porfeirio Diaz, der
den Bericht des Boten mit der größten Span=
nung angehört, während Alvarez die Neuigkei—
ten ziemlich gleichgiltig hinzunehmen ſchien —
„morgen in aller Frühe breche ich nad) dem
Diten auf.’
„Pero amigo,‘ rief Diego erftaunt. „Ihr -
jeid kaum angefommen und noch todmüde —
was wollt Ihr im Oſten?“
272
„Zruppen werben und rüften und ben Kame-
raden im Norden helfen.‘
„Und woher wijjen wir, daß das Alles aud
begründet ijt? Caramba, der Weg ijt weit, und
jeit der Zeit, die der Mann gebraudyt hat um
hierher zu fommen, kann ſich wieder viel geän-
bert haben.”
‚Ah si amigo,“ rief Borfeirio Diaz — „aber
zum DBefjeren für ung. Mer weiß, ob nidt
Juarez Schon wieder in Durango jteht, und id
jolfte bier indeß müffig die Zeit verträumen ? —
No sirve! vamonos! Compañero, mir brennt ſchon
ber Boden bier unter den Füßen, und ich wollte,
die Nacht wäre erjt vorüber.”
‚Santa Maria,” lachte Diego, „Ihr jeid
gar nicht wie ein Mericaner, und ich glaube
wahrhaftig, Ihr habt franzöfifches Blut in Euren
Üdern. Immer unruhig, immer wie Quedfilber;
fein Wunder, dag Eud die Franzoſen nicht in
Puebla halten konnten. Ihr gleitet Einem zwi:
ſchen den Fingern durch.“
„Haben meine Thiere wohl ordentlich Futter
befommen ?“
„Sie find verfjorgt — habt feine Angft —
aber Ihr wollt doch nicht im Ernft ſchon —
Früh wieder aufbrechen?“
a
273
„Mit der Sonne, amigo, denn jeber Tag,
ben ich bier verjäume, ijt verloren.‘
„Und wo wollt Ihr Soldaten berfriegen ?’
„Quien sabe,“ lächelte Porfeirio Diaz —
„bis jest haben fie mih noch nidt im Stich
gelafjen. Aber nun zur Ruhe; ein paar Stunden
muß ich wenigjtens jchlafen, denn der Körper
verlangt jein Recht.“
Borfeirio Diaz hielt Wort. Einen rajtlo-
jeren Bandenführer gab es nicht im Heer ber
mericanifchen Liberalen. Mit Tagesanbrud Schon
trieb er feine Fleine Schaar von Leuten zuſam—
men. Zwei Thiere wurden mit Provifionen,
eins mit Munition bepadt, und noch ftand bie
Sonne feine Stunde hoch am Himmel, als der
Heine Zug auch jchon einem am Fluß hinauf:
führenden Pfad folgte, um in der Nachbar:
provinz auf's Neue die Tadel des Aufruhrs zu
erheben und dann mutbig gegen den Norden
aufzurüden.
Fr. Gerftäder, An Merico. II. 18
9.
Ricarda.
Ricarda San Blas war jetzt volle ſechs Mo—
nate in Rodriguez' Haus, und durch ihr liebes
heiteres Weſen ſo der Liebling der Familie ge—
worden, daß man ſich eine Trennung von ihr
gar nicht mehr denken konnte, und doch drohte
dieſe, denn der alte Seior San Blas Hatte von
Mazatlan gejchrieben, daß er mit dem nächſten
Monatsdpampfer von dort abreifen und über
Bera:Cruz nah Merico fommen würde, denn
die Wege im Innern waren jeßt jo unficher ge:
worden, daß er hätte fejt darauf rechnen können,
auf der Tour — wenn ihm nichts Schlimmeres
geihah, wenigjtens dreis oder viermal ausge:
plündert zu werben.
Und doch jchien Ricarda nicht mehr das fröh—
%
' R
—
liche, jorgloje Kind, dem Glück und jelbjt Ueber:
muth aus den Augen lachte, wie fie e8 gewejen,
als jie Rodriguez’ Haus zuerjt betreten. Sie war
in den furzen Monden zur finnigen Jungfrau
herangewachſen, und manchmal hatte e8 jogar den
Anſchein, als ob eine Art von Schwermuth Gewalt
über jie gewinne, die fie nur wieder mit Gewalt
von fih abjchütteln Fonnte. Aber troßdem zeigte
fie ſich jelbft in diefen Stunden immer jo engels-
gut gegen Ale, daß man ihr gern die Furze
Zeit, die fie fich in ſich ſelbſt verſchloß, nachſah
— leuchtete ihr Lächeln doch nachher um fo
freundlicher.
Nur in einer Sade harmonirte jie nicht
ganz mit dem alten Rodriguez und hatte da aud)
manchmal die Frauen gegen ſich. Sie war näm-
(ih eine entjchiedene Berehrerin des Kaijerpaars
ſowohl, als auch des Kaiferreihs, und nicht etwa
beshalb, weil jie von den Herrichaften bejonders
ausgezeichnet worden, jondern weil ihr flarer,
einfahyer Sinn e8 bald erfannte, daß es ber
Kaifer wirklich gut mit dem Land meine, und
Alles that, was in feinen Kräften jtand, um es
zu heben und vorwärts zu bringen.
Senior Rodriguez konnte Nichts, was fie ihm
zu des Kaifers Guniten jagte, leugnen, denn
18*
276
die Thatfachen ſprachen für fich ſelbſt, aber er
behauptete, — und das von dem Standpunkt
feiner Partei aus — daß er in eine fehr jchiefe
Richtung Hineingerathen jei, aus ber es ihn
Mühe koſten würde fih wieder herauszufinden.
Er befämpfte die Liberalen und regierte mit ihnen
zu gleicher Zeit, aljo er erkannte dadurch jtill:
Ihweigend an, daß ihre Grundjäße die richtigen
wären. Weshalb aber war er dann nad Merico |
gefommen, hatte fih zu einem Werkzeug Na—
poleon’s gebrauchen und Tauſende von Men:
jhen noch mit hinſchlachten laſſen? — e8 lag
fein Sinn barin.
„Aber war er nit vom Volk jelber ge-
wählt ?''
Don oje zudte die Achjeln. ‚Meine liebe
Ricarda,” jagte er, „Du Fannft zweimal in je-
dem Monat in Merico über ein Oberhaupt ab—
jtimmen lafjen, und Du wirft genau fo viel ver-
ſchiedene Refultate wie Abjtimmungen befommen.
Abjtimmung in Merico! — e8 ift das etwa das
Nämliche, als ob Du die genaue Zahl der Hirfche
angeben wollteft, die Du in unferen Wäldern
findeft — es ift eben eine Unmöglichkeit, denn
das eigentliche Volk entjcheidet fich erjt, wenn es
einen wirklihen Erfolg ſieht. Alles, was vor-
27
dem gejchieht, ijt entweder Comödie, oder bie
Stimmung eines Augenblids, die ſchon wieder
feine Geltung mehr hat, bis nur das Refultat
verzeichnet werden kann.“
„Und ift dann aber nicht der Kaifer durch
Mericaner getäujcht worden, die aljo doch eben—
falls wifjen mußten, wie es in ihrem Lande
ſtand?“
„Das mag ſein, aber wenn er ſich täu—
ſchen ließ, war es feine Schuld, und die muß
er jeßt büßen.“
„Und er meint eg fo gut — alle feine Geſetze,
die er erläßt, find jo rein menſchlich und vers
nünftig — nie für ihn felbft, nur immer zum
Beiten des Volkes berechnet.”
„Aber Ricarda,” jagte Señor Rodriguez, der
damit in eine Sadgaffe gerieth, „wer ift denn
das Volk eigentlih, wer bat denn die leitende
Hand im gejellfchaftlihen Leben jowohl, als auch
das Capital, um unfere Hilfsquellen zu vers
wertben? Die conjervative Partei, und mit ber
bat fih Seine Majeftät die größte Mühe gegeben
fie vor den Kopf zu ftoßen, wo fih ihm nur
irgend eine paſſende Gelegenheit dazu bot.‘
„Und fann man es allen Menſchen vecht
machen, guter Onkel?”
278°
„Mein, mein Kind,‘ erwiederte Rodriguez,
„aber der arme Kaifer, dem ich nicht den Willen
abjpreche ehrlich zu Handeln, hat es mit einer un=
glüdjeligen Gejchielichfeit dahin gebracht, es auch
Keinem, ohne Ausnahme, recht zu machen.”
„And ſucht er nicht die unteren Volksklaſſen
zu heben? — was hat er Alles für die Indianer
gethban ? er hat die Eclaverei gebrochen, die nicht
dem Namen mehr, doc der That nach auf den
Unglüdlihen lag, und dadurch Tauſende und
Taufende glüdlid gemacht.“
„Und auch das nur, wie alles Uebrige, Halb,’
entgegnete Rodriguez. „Er bat die Peonerie
von ihnen genommen, ja, aber ohne ihnen etwas
Anderes dafür zu bieten, und für den Augen—
blick find fie frei, aber auf wie lange? Anjtatt
ihnen Land anzuweijen, auf dem jie fich nieber=
laffen konnten — und wenn fie aud anfangs
nur das bauten, was jie jelber. nothdürftig zum
Leben brauchten, that er Nichts, als die Beſitzen—
den zu Ärgern, indem er ihre eingegangenen Ver—
pflihtungen aufhob und damit eine Menge von
Menſchen Schädigte, ohne denen, welchen er Gutes
thun wollte, den geringften Nußen zu bringen.
Ein oder zwei Jahre, ja, find fie vielleiht noch
ihre eigenen Herren, dann aber muß nad) und
279
nad wieder das nämliche Verhältnig eintreten,
was vorher beftand, und was dann?“
‚Aber bat er nicht ein Geſetz erlafien, das
ihnen auch Grundeigenthbum zuſichert?“
„sa, aber ſich aud, wieder von dem Klerus
beihwagen lafjen, e8 zurüd zu nehmen. Das ijt
e8 ja, Ricarda, was uns im Lande unficher
macht, das ewige Schwanfen von jeiner G©eite,
bald nad da= bald nach dorthin, weil er Allen
gereht werden will und es dadurch Keinem
wird. Dem Klerus ijt er, weil er einfah daß
er das Land ſonſt in die größte DVerlegenheit
brachte, feit entgegen getreten, aber dann auch
wieder giebt er ihm in einer Menge von Stüden
nah und macht ihn dadurch nur natürlich wie—
der übermüthig.”
„Und glaubjt Du, Onkel, rief Ricarda be—
wegt, „daß irgend -ein Menſch der Welt Merico
beſſer regieren könnte, als es Marimilian
thut?“
„Hm,“ ſagte Señor Rodriguez ausweichend,
„beſſer? das will ich nicht ſagen — aber jeden—
falls geſchickter, mein Herz.“
„Erfüllt er nicht treu und brav alle ſeine
übernommenen Pflichten?“
„Nichts dagegen einzuwenden, mein Schatz
280
— id bin feſt überzeugt, daß er mehr arbeitet
als alle feine Minijter zufammen. Er jollte
aber weniger arbeiten und mehr thun — er jollte
energiiher handeln.’
„Energiſcher handeln? und Habt hr nicht
jelber gegen das October-Decret geſprochen, weil
e8 zu blutig wäre?’
„Ja, aber da es einmal erlafjen ift, jollte es
auc ausgeführt werden. So hat er e8 aber jchon
nad) allen Seiten bin widerrufen laſſen, obne
daß fi jedoch die Franzoſen daran Fehren,
und wo ihn Jemand um Gnade bittet, läßt er
ihn laufen.‘
„Und jollte er das nicht thun, Onkel? ift
nicht die Gnade gerade das jchönfte und herrlichſte
Vorrecht der Krone?”
„Ja — aber,‘ — rief Don oje, der jet
feinen Ausweg mehr ſah. „Er hat Redht und
Du haſt Recht — ich babe aber au Recht.
Caramba, id) danfe meinem Schöpfer, daß id
nicht Kaijer von Merico bin; ich wüßte am Ende
felber nicht, wie ich es machen ſollte.“
„Und nod immer Fein Frieden im Land!”
jeufzte Ricarda.
„Frieden?“ rief Rodriguez, „jet gebt ber
Teufel erjt wieder recht 108. Daß die Franzoſen
281
nächſtens mit al’ den fremden Hilfstruppen ab—
marjchiren, ift nur noch ein öffentliches Ge—
beimniß. — Juarez jollte dabei nach Nordamerika
binein geflohen fein! Ja wohl, jein Kriegsmi—
nifter Negrete hat ſchon wieder eine Armee zu=
ſammen, und ftatt in Paſo del Norte rüdt er
auf’8 Neue ſcharf gegen Chihuahua herab, und
im Süden fteht es nicht beffer. Wenn es wahr
it, was man darüber hört, jo hat Porfeirio
Diaz auf feiner Flucht Guerrero glüdlidh er:
reicht, und rüjtet da unten wieder aus Leibes—
fräften. Es jollte mich gar nicht wundern, wenn
es der Kaiſer nächſtens wie Juarez felber macht,
und nur ftatt nach Norden hinauf, nad Süden
hinunter geht und jih in Yucatan feſtſetzt. Es
wäre, nebenbei gejagt, das Klügjte, was er über-
haupt thun könnte, denn dann fräßen fich hier
in kurzer Zeit die Liberalen jelber auf, und
nachher wäre es möglih, daß er zulekt, aus
lauter Berzweiflung, vom Volk jelber zurüdges
holt würde. Gott bejjere e8 — aber ich will
einmal einen Augenblid hinüber in die Lonja,
Kind, und ein paar Zeitungen lejfen. Gutes
ſteht natürlich nicht darin, aber man erfährt doch
einmal wieder etwas Neues.“
282
„Der Kaifer bat Almonte nad Paris ge-
ſchickt?“ ſagte Ricarda.
„Ja,“ nickte Rodriguez, „und das iſt ſchon
ein böſes Zeichen. Hol' der Böſe die Franzoſen!
ſag' ich — ſie haben unſer Land an den Rand des
Verderbens gebracht, und werden jetzt Maxi—
milian ebenfalls in der Patſche ſitzen laſſen —
und geſchieht ihm recht,“ ſetzte er unwirſch hinzu,
griff ſeinen Hut auf und verließ den Salon.
Ricarda war allein darin zurückgeblieben, wie
ſie ihr Onkel verlaſſen, die Hand auf den Tiſch
geſtützt, den Kopf geſenkt, und ohne daß ſie es
ſelber wußte, traten ihr ein paar Thränenperlen
in die Augen und tropften unbeachtet, ungehin—
dert auf ihr Kleid nieder. Hatte der Onkel
Etwas geſagt, das ſie gekränkt oder bekümmert?
Wenn ſo, gab ſie ſich ſelber keine Rechenſchaft
darüber, aber das Herz war ihr recht ſchwer ge—
worden, und langſam, ja wie unwillkürlich ſchritt
ſie hinüber zum Inſtrument, öffnete es und —
wußte ſelber nicht wie es kam, daß ſie heute gar
ſo ernſte und ſchwermüthige Weiſen ſpielte.
Die Thür öffnete ſich vorſichtig und einer der
Diener ſchaute herein.
„Señorita!“ ſagte er leiſe — er wollte die
junge Dame anreden, mochte ſie aber doch nicht
283
ftören, und wußte nun nicht recht, wie er es an—
fangen jollte — „Señorita!“
Ricarda, ganz im Spiel vertieft, hörte ihn
gar nicht, bis er doch endlich ſah, daß er auf
diefe Weife nie zum Ziel fommen würbe, ich
ein Herz faßte und auf fie zufam.
„Señorita!“
Ricarda ſah die ſich bewegende Geſtalt, und
den Kopf dorthin wendend, unterbrach ſie ihr
Spiel.
„Willſt Du Etwas von mir, Pablo?“
„Ja, Señorita — iſt ein Señor unten.“
„Señor Rodriguez iſt ausgegangen; ich glaube |
hinüber in die Lonja.“
„Nein — will nicht zu Señor Rodriguez
— will Señorita fprechen, ein franzdfiicher Of:
ficier.‘
„Ein franzöfiiher Officer, mich?" jagte
Nicarda erftaunt, „das ift jedenfalls ein Irr—
tbum — vielleicht die Señora — aber auch dieſe
ift noch nicht zurücgefehrt.”
„Nein, nicht die Señora,“ behauptete aber
Pablo, ‚Sondern die Señorita Ricarda, wie er
mir jelber gejagt hat.’
„Das ijt merfwürdig. Und wie heißt er?”
Pablo Fraßte ſich mit der linken Hand hinter
284
dem rechten Ohr — er hätte e8 bequemer haben
fönnen. Endlich jagte er — „ja caramba, den
Namen bat er mir genannt, aber er Flang jo
wunbderlich, ich habe ihn wieder vergeſſen.“
„Run,” fagte Ricarda, ‚irgend einen Grund
muß ber Beſuch doc haben, alfo führe den Herrn
nur bier herauf — vielleiht kommt auch bie
Señora bald zurüd.‘
Der Diener verſchwand wieder, Ricarda ſchloß
das Inſtrument und blieb erwartungsvoll mit-
ten in der Stube neben dem großen Tijch ftehen.
Was in aller Welt Fonnte ein franzöfifcher Offi-
cier ihr zu jagen haben, daß er jie, ‘und gerabe
ſie zu fpreden wünſche!
Die Teppiche, die den Vorſaal dedten, dämpf—
ten den Schall der Tritte, aber beutli hörte
fie das Klingen der Sporen, jebt öffnete ſich Die
Thür, und Ricarda faßte frampfhaft die Tijch-
platte, denn auf der Schwelle, bleich wie ein
Todter, mit eingefallenen Wangen und hohl lie—
genden Augen, jtand van Leuwen — fie hätte ihn
faum wieder erfannt, und hatte doch jo oft —
fo oft an ihn gedacht.
„Señorita,“ ſprach da der junge Dfficier,
indem er auf fie zufchritt und ihr treuberzig bie
— ar ⏑⏑—
285
Hand reichte — „ich komme, Sie um Verzeihung
zu bitten.“ —
„Mich, Señor?“ ſagte da Ricarda, die ſich
Mühe geben mußte ſich zu faſſen, und dabei doch
fühlte, wie ihr das verrätheriſche Blut zurück in
die Schläfe ſchoß.
„Daß ich mein Ihnen gegebenes Wort nicht
früher eingelöſt,“ erwiederte der junge Mann,
„aber faſt,“ ſetzte er wehmüthig lächelnd hinzu
— „wäre ich es gar nicht im Stand geweſen,
denn erſt geſtern erklärte mir der Arzt, daß er
glaube, ich könne Cuernavaca ohne Gefahr ver—
laſſen, und ſelbſt jetzt noch —“
Ricarda ſah, wie ſein Antlig plößlich eine
aſchfahle Färbung annahm, und behielt faum
Zeit, ihm einen Stuhl binzufchieben, in den er
finfen konnte. Dann griff fie raſch nad ber
Glode und wollte den Diener herbeirufen; van
Leuwen wehrte aber matt lächelnd ab und fagte
bittend: |
„Laſſen Sie es fein, Seiiorita — es ift ſchon
vorüber — es war nur eine augenblicliche
Schwäche; der große Blutverluft hat mich ein
wenig matt gemadt, und die Anjtrengung ber
Reife, die Nacht hindurch, war vielleicht zu viel.’
„Sie find erjt heute angekommen?“
286
„Bor etwa einer Stunde.”
„Sie hätten ruhen jollen.’
„Es it ſchon vorüber und — ließ mir eben
feine Ruhe mehr.” Er nahm dabei von feinem
Heinen Jinger den Ring mit dein Smaragd, und
ihn dem jungen Mädchen überreichend, ſagte er
mit mattem Lädheln: „Hier, mein räulein, wenn
auch jpät — viel ſpäter, als ich jelber gehofft —
löjfe ih mein Wort und bringe Ihnen ben ge—
raubten Ring zurüd. Der Bube jelber ift frei-
lich — Dank unserer ſchlechten Polizei — entkom—
men, aber feine Helfershelfer haben wenigitens
ihre Strafe erlitten.’
„Schon am nächſten Morgen hatten Sie das
Nencontre mit ben Räubern?“ fragte Ricarda,
indem fie den Ring, aber doch wie halb unjchlüj:
fig nahm — „oh, wie danfe ich Ihnen, dag Sie
mich von ber Angſt befreit haben, dieſes liebe
Andenken an der Hand jenes Buben zu wiſſen!“
— und unwillfürli fait bob fie den Ring an
ihre Lippen.
„Wir fanden in des jungen Lucido Taſche
einen Brief, der ihn aufforderte, an jenem Raub
Theil zu nehmen, und kamen dadurch auf bie
richtige Spur.”
„Großer Gott, fo hatte der Verbrecher jenen
287
Drief Schon bei fih, während er bier noch mit
uns verkehrte. — Wie ift e8 möglidy und denk—
bar — und aus folder Familie!‘
„Señorita,“ fagte van Leuwen büfter — „was
ih bis jeßt bier von Land und Leuten gefehen,
hat einen traurigen Eindrud auf mich gemadt.
Sie jelbjt find Mericanerin und ich glaube, daß
das Volk von Natur auch brav und gut ift, aber
dieje ewigen Kriege und Revolutionen haben es
verborben — e8 herricht fein Ehrgefühl mehr
unter den Männern, fein Bewußtjein, was ein
gegebenes Wort bedeutet, was fie ihrer Stellung
im Leben jhuldig find. Ein Mericaner verſpricht
Alles, was man von ihm verlangt, aber meift
immer nur aus einer gewijjen Artigfeit, um dem,
mit dem er gerade zujammentrifft, etwas Ange:
nehmes zu erzeigen und ihm ein Verlangen nicht
abzujchlagen. Aber damit glaubt er auch allen
Forderungen genügt zu haben, denn daß er bag
Verſprochene dann halten müjje, fällt ihm gar
nicht ein.‘
Ricarda nicdte mit dem Kopf, und van Leu—
wen, der erjt wieder eine Furze Zeit Athem
ihöpfen mußte, fuhr langjam fort:
„Und wie unzuverläffig im äußerten Grab
jie dabei in ihren Charakteren find, babe ich erjt
288
wieder deutlih während meiner langen Krank:
beit in Euernavaca gejehen. Ich lernte dort
viele Mericaner genauer kennen, al® es mir uns
ter anderen Umjtänden möglich gewejen wäre,
denn fie gaben fi mir ganz wie fie wirklich jind,
und ich fand unter ihnen liebe, gute Menjchen,
herzlich, gefällig, zutraulid und ehrlich, und alle
hingen fie mit voller Liebe an dem Kaijerpaar,
das ja fo oft auch dort zwifchen ihnen weilt.
Aber dabei beſprachen fie mit der größten Un—
befangenheit auch wieder den baldmöglichen Wed
jel einer Regierung und überlegten fih ſchon
in voller Ruhe, wie fih dann Alles wohl für
Cuernavaca geftalten würde. — Von einer Treue
und Anhänglichfeit an das Kaiferhaus Feine
Spur. — Nur das wirflich Beftehende hat des-
halb auch für fie eine Berechtigung — ijt es
bejeitigt, jo gehört es eben nur der Vergangen=
heit an.’
„Armer Kaiſer!“ ſagte Ricarda, „ich fürchte
jelber, daß Sie Recht haben, und es wird ihm
Nichts übrig bleiben, als ſich auf die zu ftüßen,
bie ihm in ein fernes Land gefolgt.“
Ban Leuwen jeufzte wehmüthig auf. — „Und
jelbjt das ift ein ſchlechter Troft für ihn,’ fagte
er, „denn mit Ausnahme feiner ihm treuen Sol:
254
baten und einiger Wenigen, bie es wirklich ehr:
ih mit ihm meinen, ijt er faft nur von aben=
teuerlihem Gefindel umgeben, die in dem Glau-
ben na Merico gingen, bier eine Fortjegung
ver alten, früher erbeuteten Schäße zu finden.
Die Leute ſehen fih getäufcht und fchimpfen
jeßt entweder auf das Kaiferreich, oder plündern
und ftehlen in ihren Reſſorts, auf was ihnen
verftattet wird die Hand zu legen. Ich weiß
nicht ob Alles wahr ift, was man mir darüber
erzählt Hat, aber wenn es auch nur die Hälfte
wäre, würde es binreichen, um bie Hälfte jeiner
Umgebung in's Zuchthaus zu Bringen. Er tft
im wahren Sinne des Wortes von Diebesgeſin—
del umgeben, und leider finden fich jelber im Of:
ftcierftande eine Menge von unbraudhbaren Aben:
teurern, die jich jegt nur die größte Mühe geben
den guten Namen, den bis dahin die Fremden
und bejonders die Deutihen im Yand gehabt
haben, völlig zu untergraben. Uns Belgier,
jegte er dann lädhelnd Hinzu, „haft das gewöhn—
lihe Bolf nur deshalb, weil es ung für Fran—
zojen Hält — aber Señorita,“ brach er ab, „ich
fürdte, daß ich Ihre Zeit zu ſehr in Anjprud
nehme,‘
Fr. Gerftäder, An Merico. II. 19
290
„Ob, wie dankbar bin ich Ihnen,‘ fagte das
junge Mädchen bewegt, „daß Sie troß Ihrer
förperlihen Schwäche den Weg hierher nicht ge:
ſcheut haben.‘
„Geſcheut?“ fagte van Leuwen wehmüthig —
„wenn Sie wüßten, wie idy mich darauf ge-
freut babe, und mußte jo lange, lange Monate
darauf harren — ja hatte jogar noch fortwährend
die Furcht, daß ich Sie nicht einmal mehr in
Merico antreffen würde. Glauben Sie aud nicht,‘
fuhr er lebendiger fort, ‚‚dap Ahnen der_Ring
verloren gewejen wäre‘, wenn ich meine böjen
Wunden etwa nicht überlebt hätte — wie es die
Aerzte allerdings fürchteten. Dem franzöſiſchen
Oberarzt hatte ich das feſte Verſprechen abgenom-
men, den Ring nach meinen Tode ficher in Ihre
Hände zu liefern — ich weiß, daß er es gehal-
ten hätte,” fette ev hinzu, indem ein leiſes Roth
jeine Wangen fürbte. „Wohl hätte ich ihn gleicy
von dort hierher jenden jollen, einmal aber fürch—
tete ic) die Unjicherheit der Straße, und dann —
wollte id) ja doch jo gern das Kleinod Ahnen
jelber überreihen. — Ihr Herr Onkel ijt nidt
zu Hauſe?“
„Nein — er ijt ausgegangen. Er würde ſich
jo freuen Sie zu jehen — und aud meinen
291
Vater,” ſetzte jie leije erröthend Hinzu, „erwarte
id in der nächſten Zeit.‘
„Um Sie abzuholen von hier?‘ rief van Leu:
wen fait erjchredt.
„Er fommt in der Abficht hierher ,‘‘ erwie—
berte leije das Mädchen.
Ban Leuwen ſchwieg; er jah jtil und bewegt
vor ji nieder, endlich jagte er:
„Wenn Sie es mir erlauben, Senorita, jo
juhe ich Ihren Onfel fpäter no einmal auf.
Ich fühle,‘ fette er rajch hinzu, „daß ich meinen
Kräften ein wenig zu viel zugetraut — id) muß
mid erſt Etwas erholen, aber ich hoffe, es wird
niht lange dauern. Ich war nie in meinem
Leben frank, und mein Körper wird jich raſch
wieder Fräftigen !’
„Sie find jo Jhwad jetzt?“ jagte Ricarda
theilnehmend, „Sie fünnen den Weg ja gar nicht
allein gehen — oh lajjen Sie mic) einen Diener
rufen, daß er Sie führt.‘
Dan Leuwen jchüttelte lächelnd den Kopf. —
„Es geht ſchon,“ jagte er, „nur noch ein wenig
langjam; unten an der ‘Plaza nehme ich mir dann
einen Wagen. Leben Sie wohl, Senorita,‘ und
ihre Hand ergreifend, hob er jie leiſe an die Yip-
pen und wandte jich zum Geben.
IN® .
292
‚Aber haben Sie denn auch Pflege?’ fragte
das junge Mädchen mit zitternden Lippen, „wer
ift um Sie, der Ihnen Hilfe Leiftet ?
„Ich babe meinen Burſchen,“ jagte der junge
Dfficier lächelnd, „‚der genügt. Mit einem Sol:
daten dürfen nicht zu viel Umſtände gemacht
werden, oder man brauchte nur die halbe Armee
für die Verwundeten. Wenn wir uns wieber:
jehen, hoffe ich wieder Fräftig auf den Füßen zu
ſein.“
Ricarda ſtand, als er ſchon lange das Zim—
mer verlaſſen hatte, noch immer auf derſelben
Stelle und ſah ihm nach, und ſo wehmüthig
ängſtlich ihre Züge bis dahin geweſen waren,
einen ſo finſtern, ja faſt ärgerlichen Ausdruck
nahmen ſie jetzt an, bis ſie zuletzt die kleine Fauſt
ballte. Mit dem Fuße ſtampfte ſie dabei den Bo—
den und rief aus:
„Iſt es denn nicht abſcheulich, daß wir uns
nur durch die Convenienz, und das was ſich
„ſchickt“ oder nicht ſchickt, das Leben ſelber ver—
bittern und vergällen, und unſeren Nebenmen—
ſchen gegenüber ſcheinbar kalt und theilnahmlos
bleiben müſſen, ſelbſt wenn uns unſer Herz noch
ſo ſehr dazu treibt, ihnen beizuſtehen. Wie
gern hätte ich den armen jungen Menſchen jetzt
293
*
ſelber die Treppe hinab- und meinetwegen auch
bis an ſein Quartier geführt. — Ich bin geſund
und kräftig und hätte es ſchon vermocht, aber
das Geſchrei und Gerede auch nachher in der
Stadt darüber hören mögen. — Und weshalb
kümmern wir uns eigentlich um das, was bie
Leute in der Stadt überhaupt reden? ſorgen
ſie ſich um uns? ſtehen ſie uns bei, wenn wir
leidend ſind? Sie denken nicht daran. — Und
jetzt liegt das arme junge Blut wieder da in
der alten Kaſerne, mit Niemandem um ſich, der
ihm zur Hand geht, als eben ſeinem Burſchen —
auch nur einem Soldaten. — Und wie lieb von
ihm, daß er mir den Ring gebracht — und ich
habe noch dazu vergeſſen, ihn nur zu fragen wie
er ihn bekommen.“ — Faſt unbewußt hob ſie
ihn wieder an bie Kippen und drückte einen Kuß
darauf.
„Wenn es bei ung zu Hauje wäre,’ ſetzte jie
dann überlegend hinzu, „dann müßte ich. aud)
genau was ich thäte — dann bäte ich Papa ein
fah, daß er den armen jungen Menjchen, ber
jo weit von feiner Heimath entfernt iſt, zu ſich
in’s Haus nähme, und an Pflege jollte es ihm
Ihon nicht fehlen, dafür wollt’ ich einjtehen —
aber hier — der Onfel? Er ift freilid immer
294
jo gut und behauptet, er fünne mir gar nichts
abichlagen und — das ganze Haus wäre zu meiner
Dispojition — wenn ich ihn aber nur um ein
ganz Fleines Zimmerchen bitte, jo jagt er doch
am Ende nein. Dan Leuwen bat Recht! Das
it eine recht ſchlechte Angewohnheit von uns
Mericanern, dag wir jo viel höflihe Nedens-
arten machen und doch im Grunde gar nichts
dabei meinen. — Und wenn ich nun einmal den
Verſuch machte? — Er ift doch auch gut kaiſer—
lich gejinnt — der junge DOfftcier iſt ein Lands—
mann der Kaijerin und eigentlich nur verwundet
worden, weil ich ihn in die Sache hineingebracht
babe. Ah was! Ich verfuh’s — wenn er
fommt, jag’ ich's ihm — böje Farin er nicht
werden, und — vielleicht thut er's, und das
wäre zu hübſch.“
Und in der Hoffnung flog jie wieder an's In—
ftrument, und hatte fie vorher recht trübe und
ſchwermüthige Melodien gejpielt, jo glitten ihre
Singer jet nur fo über die Tajten, und. die
Kinder famen herein und fingen im Zimmer an
mit einander zu tanzen.
Nach einer Stunde etwa kehrte Senior Ro:
driguez zurüd, und feine Stirn, die vecht ernjt
gewejen war, als er das Haus betrat, beiterte
per
295
ih auf, al8 er, auf feiner Schwelle jtehend, das
fröhliche Leben überjchaute, das fi vor ihm
entwicfelte.
„Das iſt recht, Ricarda, rief er lächelnd
aus, „daran erfenne ich wieder mein altes Nicht-
hen, die Glüf und Jubel binbringt, wohin fie
fommt. Wie lange habe ich Nichts hören müffen
ald Trauermärjche, Abſchieds- und Sehnjuchts:
lieder und Sonaten, bei denen man hätte vor
Wehmuth vergehen mögen. Das flingt wie alte
Zeiten, und wir haben es auch nöthig, mein
Kind, dag wir uns wieder heitere Familienkreiſe
ſchaffen, denn das Leben da draußen iſt ernſt
genug, und wird leider mit jedem Tag ernſter.“
Ricarda war tief erröthend vom Clavier auf—
geſprungen, denn zum erſten Mal kam ihr ſelber
in dieſem Augenblick der Gedanke, weshalb ſie
denn eigentlich heute gerade jo heiter und fait
ausgelafien jei. War es nur der Wiederbeſitz
ihres Ringes? Wenn fie hätte aufrichtig fein
wollen, jo mußte fie jich geitehen, day ſie in der
legten Stunde gar nicht an den gedacht — und
troßdem brauchte fie ihn jet zum Vorwand.
„Rathe einmal, Onfelhen, was ich bekommen
habe,‘ rief fie, indem ſie ihm ſchelmiſch dabei
anjah und ihre Hände binter jich hielt,
296
„Bas Du befommen haſt?“ frug Rodriguez,
während deſſen Frau jebt ebenfalls in's Zimmer
trat — „und von wem?’
„Ja, das mußt Du aud rathen.“
‚Aber wie kann ich das, Närrchen?“
‚Meinen Ring hab’ ich wieder,’ rief jie, ihm
die Hand mit dem Ring vor die Augen haltend.
„Den Ring,” rief Rodriguez rajch, „den Dir
Mauricio Lucido —“
„Den mir der Herr Räuber abgenommen hat
und an dem ich ihn erwiſchte.“
„Und wer hat ihn gebracht?“
Jetzt wurde Ricarda in der That ein wenig
roth, aber ſie antwortete doch ſo unbefangen als
nur möglich:
„Natürlich derſelbe, der ihn dem Räuber wie—
der abgenommen hat — Hauptmann van Leuwen.“
„Van Leuwen? lebt denn der noch?“ ſagte
Rodriguez mit einer faſt tödtlichen Gleichgiltig—
keit, „ich glaubte, der wäre damals erſchoſſen
worden.“
„Aber Onkelchen,“ rief Ricarda wirklich er—
ſchreckt aus, „was um ber heiligen Jungfrau
willen fällt Dir nur ein; er war ja nur jchwer
verwundet.‘
„Ja,“ jagte Rodriguez, „aber mir wurde er—
297
zahlt, er hätte drei Schußwunden erhalten und
wäre ihnen erlegen. Nun das freut mich, da
bat er es doch glücklich überjtanden — zähes
Volk, dieſe Fremden.”
„Aher überſtanden hat er es noch lange nicht,
Onkelchen — denken Sie ſich nur Tante, wie
er vor etwa einer Stunde hier bei mir war und
mir den Ring wiederbrachte, wurde er auf ein—
mal todtenbleich und konnte kaum auf einen
Stuhl ſinken, ſonſt wäre er zu Boden gefallen.“
„Das iſt aber ſehr leichtſinnig von ihm,“
ſagte die Dame, „ſchon Beſuche zu machen, wenn
man ſich noch ſo ſchwach fühlt. Er hätte ſich
erſt wieder ordentlich pflegen ſollen, ehe er an's
Ausgehen denken durfte.“
„Aber wo ſoll er ſich pflegen, beſtes Tant—
chen? Der arme Menſch hat ja hier keine an—
dere Heimath als die Kaſerne. Mir that es in
der Seele weh,“ fuhr ſie bewegt fort, „denn ich
hatte ihn eigentlich an jenem Abend gebeten,
mir den Ring wieder zu verſchaffen. Ich bin
alſo auch deshalb wahrſcheinlich die Schuld, daß
er ſo ſchwer verwundet wurde, und wenn Papa
bier in Mexico wohnte,‘ ſetzte fie halb ſchüchtern
hinzu, „ſo wüßte ich wohl was ich thäte.“
„Nun, mein Herz?’ jagte Rodriguez, dejjen
298
Gedanken aber indeß jchon wieder gewandert
waren, denn was fümmerte ihn der verwundete
belgiihe Dfficier, ‚was würdejt Du alfo thun?“
„Ich würbe Bapa bitten,’ ſagte Nicarda ent:
ihlojjen, „daß er ihn zu uns in das, Haug
nehme, damit er da jeine ordentliche Pflege be—
fommen fönnte.‘
‚ber Ricarda, was fällt Dir ein ?’’ rief die
Setora, „einen wildfremden Menichen, mit dem
man faum drei- oder viermal gejellihaftlich zu=
jammen gefommen. Das ginge doch unmög—
lich an.‘
„Und weshalb nicht?’ jagte das junge Mäd—
hen raſch, „gehört er nicht dadurch, daß er in
der Armee des Kaijers dient, auch völlig mit zu
ung?
„Mein liebes Kind,‘ ermwiederte Rodriguez
bedächtig, „ich fürchte faft, daß die ‚„„Armee‘‘ des
Kaijers nicht von jo gar langen Bejtand mehr
jein wird, denn die Anzeichen, daß uns wieder
eine Krijis bevorfteht, mehren ſich in erſchrecken—
der Weiſe.“
„Halt Du neuere Nachrichten, Joſé?“ rief
jeine rau bejorgt.
„Allerdings,“ nidte Rodriguez, „und nicht
eben bejonders günftige, denn wenn ich auch nicht
299
weiß, ob ſchon ein bejtimmter Armecbefehl dafür
eingetroffen ijt, jo unterliegt es doch kaum noch
einem Zweifel, daß der qute Kailer Napoleon
die Sache hier in Merico nicht etwa fatt bat,
aber doch von den amerifanijchen Staaten jo ge=
drängt und in der That mit einem Krieg bedroht
wird, um wahricheinlich in der allernächiten Zeit
jeinen Truppen Marjchbefehl zu geben und fie
in Vera-Cruz wieder einzujchiffen. Dann aber
befinden wir uns bier in der jehr angenehmen
Yage, die Liberalen unmittelbar darauf in der
Hauptjtadt erwarten zu dürfen, und die ganze
Geſchichte mit dem Kaiſerreich war Nichts, als
eben ein etwas ſehr Fojtipieliges und nachher
mißlungenes Erperiment.‘
„Aber das iſt nicht möglich!” vief Ricarda
erichredt. „Der Kaifer hat doc feine eigenen
Truppen und alle die mericanischen Negimenter,
die ihm Treue geſchworen haben. Wenn wir
jelber jeine Sache nicht aufgeben, jo kann Juarez
auch gar nicht wagen, mit feinen wilden Banden
auch nur gegen Merico anzurücden.‘
„Mit dem Anrücken,“ erwiederte Nodriguez
achſelzuckend, „scheint er ſchon auf dem beiten
Weg zu jein, denn die Zeitungen berichten, daß
jih die franzöfifhen Truppen im Norden jehr
300
paffiv verhalten, und dabei iſt Mejia in Mata—
moras fat eingejchlofjen, Negrete dagegen, Juarez’
Kriegsminijter, rüdt ſchon wieder gegen Chi:
huahua vor, und wir erleben jeßt zum britten
Mal die nämlihen Kämpfe, die wir nun in
jedem Jahr jeit 1863 gehabt haben. Daß
darüber das Land total zu Grunde geht, verfteht
fih außerdem von jelbit, und ehe wir einen ſol—
hen Zujtand permanent machen, wäre e8 doch
in der That wünjchenswerth, Seine Majejtät —
zögen mit den Franzoſen wieder friedlich ab.’
„Aber Onkel!” rief Ricarda entjegt, „und
habt Ahr nit Alle ihn mit zum Kaijer gewählt
und ihn veranlaßt, jeine friedliche Heimath zu
verlajien, um heraus in dies ftürmijche, unjelige
Sand zu kommen?“
Señor Rodriguez zudte mit den Achſeln.
„Wir glaubten, daß die Sache gehen würde,
und jie wäre auch gegangen, wenn Marimilian
die Leitung der Gejchäfte denen anvertraut hätte,
die früher für ihn eingejtanden waren. Er hat
das aber nicht für gut befunden, und ich ſehe
nun gar nicht ein, weshalb wir jeßt die Ver:
antwortung auf unjere Schultern nehmen
ſollten.“
„Aber Napoleon hat doch einen Vertrag mit
301
ihm abgeſchloſſen,“ bemerkte jhüchtern Ricarda,
„er darf ihn doch gar nit im Stich laſſen
und jeinen Feinden in die Hände geben ?“
„In der Politik, mein liebes Kind,“ erwies
derte ihr Onkel, ‚gebt eben Alles, und was man
in bürgerliden Berbältnifjen manchmal einen
Schurfenjtreih nennen würde, das kann bort
zur gerechtfertigten Nothwendigkeit werben.‘
„Das verjtehe ich nicht.‘
„Ja,“ lachte Rodriguez, „das geht manchen
gejheidteren Leuten jo, mein liebes Herz.‘
„Sp hältit Du die Sadhe des Kaijerreichs
für verloren ?”
„Das will ih noch nicht ſagen,“ bemerkte
der Onkel, „wer weiß denn wie jich Alles gejtals
ten mag, aber bedroht ijt fie jedenfalls, und
id — möchte jetzt Feine Actien zu fünfzehn Pros
cent darauf nehmen — ich fürdhte, es wäre ein
ſchlechtes Geſchäft.“
„Aber das, Onkelchen,“ ſagte Ricarda nach
einer kleinen Weile, indem ſie gewaltſam heiter
zu ſcheinen ſuchte, „hat doch eigentlich gar nichts
mit dem zu thun, worüber ich vorhin mit Dir
ſprach.“
„Und was war das, mein Herz?“
„Haſt Du es ſchon wieder vergeſſen?“ er—
302
wiederte Ricarda erröthend — „wir — ſprachen
von dem jo jchwer verwunbdeten belgijchen Of:
ftcier.‘
„Run? und? —“ |
„And — daß er dort wo er liegt gar Feine
Pflege hat, und dag — daß es fo gar hübſch
wäre, wenn ihn — wenn ihn Jemand zu jid
in's Haus nehmen könnte.“
„Das würde allerdings ganz angenehm für
ihn ſein,“ erwiederte Rodriguez ruhig, ‚aber
wer jol das thun, mein Kind, denn alle Ber:
wundeten fönnen wir dod) der Militär: Commij:
jion nicht abnehmen, Erſtlich würden wir un:
jere Häufer zu Spitälern machen, und dann —
haben wir dazu auch nicht die geringjte um
denkbare Verpflichtung.”
„Ich dachte nur, Onkelchen,“ jagte Ricarda,
ih an ihn jchmiegend, ‚weil Hauptmann 'van
Xeuwen doc eigentlih die Wunden meinet:
wegen befommen bat.‘
„Deinetwegen?“
„Ich war wenigſtens die Beratung: dar
er von der ganzen Sache Etwas erfuhr und jid
hineinmiſchte.“
„nam — und alſo auf den Hauptmann van
Leuwen jpeciell geht die Frage?“ jagte Rodri—
303
guez, indem er ſie forſchend anſah — „wenn er
Dir aber heute ſeinen Beſuch gemacht hat —
und es thut mir leid, daß ich gerade nicht zu
Hauſe war — jo muß er doch auch wieder her—
geſtellt ſein?“
„Ja — ſo halb und halb, aber ſo ſchwach
war er noch, daß er, wie ich Dir ja ſchon geſagt
habe, beinahe ohnmächtig geworden wäre.“
„Hm!“ — nickte Rodriguez langſam vor ſich
hin — „ich hätte gegen den Mann gerade Nichts
— er ſoll ſich überall ſehr anſtändig und be—
ſcheiden benommen haben, und iſt auch wahr—
ſcheinlich ein tapferer Soldat, aber die Sache,
in die er da gerade durch Dich verwickelt wurde,
iſt mir, wie ich Dir offen geſtehen muß, nicht
beſonders angenehm, denn obgleich ich vollkom—
men unſchuldig dabei bin, hat ſich doch Lucido
auffällig kalt gegen mich ſeit der Zeit ge—
zeigt. Außerdem ſcheint er ſich gerade in den
legten Monden den Klerikalen mehr zugeneigt
zu haben, denn der Erzbiſchof war neulich un—
endlich freundlich gegen ihn. Nähme ich jetzt
aber den nämlichen Officier zu mir in's Haus,
auf deſſen Anklage hin damals ſein Sohn ver—
haftet wurde und mit genauer Noth nur durch
die Flucht einem ſchimpflichen Tod entging, ſo
en
7—
“
d
304
würden jie das jicher als eine ganz entjchieben
ausgeſprochene Billigung jenes Vorfalls be
trachten.“
„Aber Onkel, war es denn nicht ein ganz
gemeiner Raubanfall!“ rief Ricarda beſtürzt aus.
„Quien sabe!“ ſagte Rodriguez, „in jetziger
Zeit weiß man Guerillas und Ladrones kaum
noch von einander zu unterſcheiden, und wenn
wir auch die Wirkung ſehen, es iſt unmöglich,
die Beweggründe dafür genau feſtzuſtellen.“
„Und das iſt allein die Rückſicht, die Dich
davon abhält?“ ſagte Ricarda leiſe.
„Ja und nein,“ erwiederte ihr Onkel, „ich
möchte mich außerdem auch nicht entſchiedener,
als es irgend nöthig iſt, gerade jetzt auf die
Seite irgend welcher Partei ſtellen, wo die näch—
ſten Wochen ſchon vielleicht im Stande ſind ſie
vollſtändig über den Haufen zu werfen. Nachher
bin ich compromittirt und habe mir ſelber die
Schuld zuzuſchreiben.“
Ricarda nickte langſam vor ſich hin mit dem
Kopf. „Ich begreife es,“ ſagte ſie kaum hör—
bar. „Du willſt abwarten, Onkel, auf welcht
Seite ſich ſchließlich der Sieg neigt, um dann
erſt Deinen Entſchluß zu faſſen.“
„Doch nicht ſo ganz. Doch nicht ſo ganz,
305
Herz," ſagte Rodriguez raſch, denn er jchämte
jih vielleicht, jein politiiches Programm mit jo
fablen, einfachen Worten bloßgeftellt zu jehen.
„Ich bin dem Kaiſer wirklich ergeben; ich ſehe
ein und fühle, daß er's gut mit dem Yand
meint, und ich — Hoffe zu Gott, daß es ihm
gelingen möge, das große Werk einer Reorga=
nilation unjeres Landes glücklich durchzuführen,
aber ih — ich möchte auch nicht den Ereignijfen,
denen der Einzelne ja doch nicht wibderjtehen
fann, vorgreifen und bin es mir jelber wie mei—
ner Familie ſchuldig, nicht leichtfinnig und in
ven Tag hinein zu handeln.‘
Ricarda hatte mit der rechten Hand an ihr Herz
gefaßt und war recht til und nachdenkend ge—
worden. Sie erwiederte auch Feine Sylbe, nicte
nur, dabei vor ſich auf die Erde jehend, daß jie
die Gründe billige, oder doch wenigftens be—
greife, und zog ji) dann auf ihr eigenes Zim—
mer zurüd.
Fr. Gerftäder, In Merico. IIL 20
10.
Frankreids Treubruch.
Rodriguez hatte nicht Jo ganz Unrecht gehabt,
wenn er in feiner Unterredung mit Ricarda feine
Meinung darüber ausgeiproden, daß das Kaiſer—
reih auf fchwanfenden Stüßen jtehe und im
Sinken jei. |
Wie Glüdsfälle jelten allein kommen, jo ilt
es auch in trüben Stunden, und war es bier
ihon aus dem Grunde, weil Eins eben das
Andere unrettbar nachzog. Die Lawine kann
am Gipfel eines Berges oft aus einer Kleinen,
fajt harmloſen Urjache entjtehen; ein einfacher
Schneeball rollt jie den Hang hinab, und ein
Kind könnte ihn aufhalten und zerprüden , aber
je weiter er jpringt, dejto mehr Schnee rafft er
zujammen, je riejiger wächſt er an, bis er zulegt
307
Dörfer und Wälder zertrümmert und in feinem
Sturz mit in den Abgrund reißt.
Im Jahr 1865 "Hatte fih das Kaiferthum
allem Anſchein nad mehr und mehr befeitigt.
Die franzölifhen und öſterreichiſch-belgiſchen
Truppen, wader dabei von ben beiden mericani-
jhen Generalen Mejia und Mendez unterjtügt,
trieben den Feind zu Paaren, wo jie mit ihm
zujammen trafen, und hatten eigentlich für kurze
Zeit das ganze ungeheure Reich, mit Ausnahme
Guerreros und einiger der entferntejten Staaten,
dem Kaiſerthum unterworfen.
Aber ein ſolch' ungeheures Land läßt ſich
wohl zeitweilig erobern, dod nie und nimmer
behaupten, wenn .man nicht Hunberttaufende von
Soldaten zur Berfügung hat und die Stellen,
die man gewonnen, auch bejegt halten Fann.
Schon mit dem Ende des Jahres wandte ji)
das Glück, und eigentlid) von der Zeit an, wo
die Kaijerin von ihrer Reije aus Yucatan zurüd:
febrte und bier die erjte Kunde von dem Tod
ihres Vaters, des Königs der Belgier, vernahm,
jhien der Gipfelpunft des Kaijerreichs erklom—
men zu jein und der Weg von da ab, allmählid
zwar im Anfang, doc) jteiler und jteiler, wie er
weiter dem Abgrund zulief, hinunter zu führen.
20%
308
Immer noch hielt es ſich aber wenigitens,.
Die franzdfiihen Truppen, wenn auch Bazaine
ihon geheime Snftructionen befommen zu haben
Ihien, thaten doch noch ihre Schuldigkeit und
Ihlugen fi tapfer, wohin man fie audy führte.
Aber ſchon im Frühjahr von 1866 zeigte ber
Oberbefehlshaber Feine Luft mehr zu neuen
Operationen, ſchickte an alle gefährlichen Punkte
Belgier und Defterreicher, und ſchien jein Heer
mehr und mehr von dem Kriegsſchauplatz zurüde
ziehen zu wollen.
Im Juni nahm er allerdings noch einmal
Chihuahua und trieb den damals wieder bis
dahin vorgedrungenen Juarez zurüd, dann aber
konnte es feinen Zweifel unterliegen, daß er bie
DOffenfive in Merico vollftändig aufgegeben habe.
Troßdem daß die Liberalen von allen Geiten
wieder beranrüdten und fühner und Fühner
wurden, je deutlicher fie jahen, daß ihnen nir—
gends mehr ernitlicher Widerſtand geboten wurde,
ließ ih der Marihall auf Feine weiteren Unter:
nehmungen mehr ein, ja jchien nur den einen
Zweck zu verfolgen, feine franzöfifhen Truppen
zu concentriven, um eines jedenfalls angefüns
bigten Befehls von daheim gewärtig zu fein.
Die geheimen Anhänger Juarez' jubelten na=
309
türlid, denn gerade in diefem Augenblid dem
Kaijerreih die ganze Hilfsarmee entziehen, hieß
geradezu nicht weniger, als ihm den Todesſtoß
geben. So wenigitens faßten e8 Jene auf, die
Merico und jeine Bevölferung genauer fannten.
Ter Klerus jelber aber, fo ſehnſüchtig er auf
den Moment gehofft hatte, wo er wieder freie
Hand befommen würde, befand ſich in Verlegen
beit, venn die Bedingungen waren noch nicht er=
füllt, unter denen er gern die ihm doch feind-
lichen Franzojen aus dem Land abziehen jehen
wollte. Juarez war, wie ſich faum leugnen ließ,
nod nicht vernichtet, jo oft ihn aud das Ge—
rücht jhon über die Grenze gejagt hatte, und
prahlerijche Zeitungsannoncen verfündeten, daß
jeine Armee völlig aufgerieben und zerjtreut jet.
Woher er iminer wieder jelbjt in jenen entlege-
nen Theilen des Landes neue Truppen befam,
blieb allerdings ein Räthſel, aber daß ſie da
waren, ließ fich nicht wegleugnen.
Die Liberalen folgten den Kaijerlichen, wo
aud immer ſich dieje zurüczogen, auf dem Fuß
und trieben dadurch das Land fajt zur Verzweif—
lung, denn die von beiden Theilen auferlegten
Contributionen nahmen fein Ende mehr.
Das alfo, was die Anhänger des Kaijerreichs
310
mit Bejorgnig erfüllte, die auffällige Unthätig-
feit der Franzoſen, deren ganze Armee ſich gar
nicht mehr um die Vorgänge im Land zu küm—
mern jchien und augenſcheinlich nur auf Befehle
von außen wartete, und die unverfennbare Rüh—
rigfeit der SJuariftiihen Banden im Norden, Sü—
den und Weiten ließ auch den Klerus zum erjten
Mal vielleicht bereuen, in jeinen Wühlereien ein
wenig zu voreilig gewejen zu jein — benn bie
Zeit war noch nicht gefommen, und es fehlte
ihnen ein Mann. |
Ya, wäre Miramon jebt in Merico gewejen,
jo hätte fich vielleicht Alles in der einfachiten
Weiſe regeln laſſen. Diejer, mit dem vollen
Vertrauen der Conjervativen wie des Klerus,
fonnte das von dem letzteren fanatifirte Volt
um fih ſammeln, und die Geiftlichen durften
wenigſtens auf einen Erfolg hoffen — aber was
nun?
Die Herren fühlten jet das dringende Be—
bürfnig fih auszufprehen und Rath und Troſt
einzuholen, und zu General de la Parra waren
deshalb auf den heutigen Tag wieder die Spigen
der Elerifalen Verſchwörung, die ſchon lange im
Stillen wühlte und bohrte, bejchieden worden.
Die Situation verlangte allerdings die volle
311
Aufmerkſamkeit der Betheiligten, und bringend
nöthige Mafregeln mußten berathen werden.
Die dort verjammelten Confervativen for:
derten deshalb auch den Erzbiichof auf das ent-
Ichiedenjte auf, Feine Zeit mehr zu verfäumen ;
das Teuer brannte ihnen in der That auf den
Nägeln, und in ihrem engeren Kreis tauchte
ſogar ſchon der Vorſchlag auf, den alten Präfi-
denten und Unrubeitifter Santa Anna wenig:
tens „in Borrath” zu haben, wenn Etwas bier
in Merico plößlich geſchehen jollte, was jchleunige
Abhilfe verlangte.
Ein neues Mitglied war ihnen babei zuge=
treten, ein Geiſtlicher, Ordonoz mit Namen, ein
ehrgeiziger Priejter und, wie allbefannt, ein na=
türliher Sohn Santa Anna’s, der jelbjtverjtänd:
fih hoffen durfte, augenblicklich einen Biſchofſitz
im Land zu erhalten, jobald fein Vater wieder
an die Negierung Fam.
Labaftida durchſchaute das Alles und mußte
es durchſchauen, denn wirklichen Patriotismus
brauchte er bei feinem der Herren vorauszujeßen.
Stand er diefem ja auch jelber genau jo fern.
Nur das eigene Intereſſe fonnte hier maßgebend
fein und trieb Alle, wo es gemeinjam wirkte,
auch zu gemeinfamem Handeln. Der Erzbiichof
312
traute aber dem alten Santa Anna felber nicht,
denn er wußte zu gut, wie oft ber ehrgeizige
und geldgierige Patron jeine Gejinnungen ge—
wechjelt und ſich der Partei rüdjichtslos ange—
ſchloſſen hatte, die für ihn jelber die nüglichite
und im Augenblid brauchbarſte ſchien. Aber troß-
dem durfte er feine eigene Herzensmeinung in
Gegenwart Ordonoz' doch nicht ausſprechen, denn
wer im ganzen Reih konnte jagen, wie jid)
Alles bei einem Umjturz des jetzt Beitehenden
gejtalten würde. Es war eben jo leicht möglid)
als nicht, daß Santa Anna wirklich wieder ein
mal auf kurze Zeit an’s Ruder fam, und hatte
er jelber ſich ihm dann feindlich gezeigt, jo ſetzte
er ſich natürlich nur jeiner Rache und Verfol—
gung aus.
Dies aber brachte ihn troßdem nicht in Ver:
legenheit. — Er jelber verſprach jich allerdings
feinen Erfolg nach diejer Richtung Hin und
wußte jogar, daß dem Klerus dadurch Feine
Sicherheit geboten wurde, aber es genügte viel:
leicht für den Moment. Redete er jetzt ſchein—
bar einer Berufung Santa Anna’s das Wort,
fo ſicherte er fich einestheil® den Rüden, und
gewann dann auch die — wenn aud nod jo
fleine — Partei des Erdictators für ſich, und
313
in dieſem Augenblid durfte er feine Hilfe
von der Hand weilen.
„Señores,“ fagte er deshalb, als ihm von
General de la Parra der Vorfchlag felber ge—
macht war, indem er nachdenkend, aber anſchei—
nend nicht unbefriedigt dazu mit dem Kopf nidte
— „ich muß Ihnen gejtehen, daß ich mich jelber
ſchon viel mit dem Gedanken bejchäftigt babe.
Das Einzige nur, was ich fürchte, fit, daß Ge—
neral Santa Anna vielleicht zögern würde, in
jeinem Alter, bei jo vorgerüdten Sahren, die
ſtille, ſichere Ruhe feines jetzigen Aufenthalts
mit dem ſtürmiſchen und ſelbſt gefahrvollen Leben
und Wirken in unſerem unruhigen Reich wieder
zu vertauſchen. Es iſt nicht gut denkbar.“
„Wenn mir Monſeñor erlauben,“ bemerkte
da Pater Ordonoz mit großer Befriedigung,
denn ſchon dieſe halbe Zuſtimmung erweckte in
ihm die Ausſicht auf eine neue glänzende Car—
riere, ‚jo kann ich Ihnen die beſtimmte Ver—
ſicherung geben, daß der General ſeinem gelieb—
ten Vaterland auch dieſes Opfer bringen wird,
wie er ihm ſchon ſo viele gebracht hat. Ich ſtehe
mit ihm in Correſpondenz, und er hat ſich dar—
über gegen mich unzweifelhaft ausgeſprochen.“
„In der That!“ ſagte Labaſtida mit ſeinem
314
glatten Geſicht, das, wenn er es wollte, aud
nicht den geringiten Ausdruck zeigte — „aber
ich weiß, daß fich der General immer aufopfes
rungsfähig bewiefen bat, und wenn ich es mir
recht überlege, wäre e8 vielleicht das Beſte, direct
eine Anfrage an ihn zu ftellen und jeine Mei—
nung zu hören.”
„Ih glaube kaum, daß das nöthig jein
würde,“ bemerfte Ordonoz.
„Das würde es in der That,“ erwiederte
aber Labaſtida, „denn dieſe Sache iſt doch zu
wichtig und folgenſchwer, um ſich darin nur ein—
fach auf eine Privatcorreſpondenz zu verlaſſen.
Eine directe Anfrage, worauf ſich der General
dann entſchieden ausſprechen und uns vor allen
Dingen erſt ſein Programm einſenden kann,
bringt Alles raſch in Ordnung, denn Sie wer—
den mir zugeſtehen, Señores, daß wir nach den
bitteren Erfahrungen, die wir mit Kaiſer Maxi—
milian gemacht, etwas vorſichtiger zu Werke gehen
müſſen. Iſt der General gewillt, auf unſere
Bedingungen feſt und ohne Klauſeln einzugehen,
gut, dann darf er ſich auch darauf verlaſſen, daß
ihn die Kirche mit allen ihr zu Gebote ſtehenden
Mitteln unterſtützen wird; iſt das aber nicht der
Fall, dann würde ſeine Regierung nur unnützer—
315
weije den Kampf erneuern und das Yand noch
in größeres Verderben bringen. Außerdem,
Señores,“ jeßte er hinzu, „babe ich Ahnen die
Mittheilung zu machen, daß ich den Zeitpunft
für gefommen erachte, wo wir alle unfere freunde
um uns jammeln müſſen. Sie erinnern fich,
was ich Ihnen früher darüber fagte. Ich babe
nun jeßt zu meiner freude gehört, daß Seine
Majejtät den General Marquez aus Europa
zurüdberufen bat, troß aller Mühe war es aber
nicht zu erlangen, daß dafjelbe auch mit General
Miramon geſchehe. Wie es jcheint, mißtraut
ibm der Kaiſer zu jehr, oder auch möglich, daß
die Liberalen Minijter eine zu ſtarke Oppofition
von jeiner Seite fürchten.“
„Aber wir brauden Miramon nothwendig
in Merico,‘ rief de la Parra aus — „mir
fönnen ihn nicht entbehren !’
„Das war auch meine Meinung,‘ nickte der
Erzbiſchof, ‚und deshalb habe ich dem General
mit dem legten Dampfer die ganz bejtimmte
Weiſung zugehen lajjen, unter jeder Bedingung
und unter welchem Vorwand auch immer, wenn
möglid, jhon mit Marquez zufammen nad)
Meerico zurüdzufehren. Wir dürfen Beide alfo
in nächſter Zeit erwarten, und Alles wirb und
316
muß jih dann raſch entjcheiven. Ich habe be=
jtimmte Nahriht aus Rom, daß die Sendung
Seiner Majeftät dort — mie das auch nicht
anders möglih war — vollfommen gejceitert
ijt, denn die Kirche kann ſich nicht in ragen,
bie nur von der Kirche einen Beſchluß verlangen,
mit irgend einer weltlichen Macht der Erde ver—
ftändigen — jo wenig wir uns mit Gott jelber
über unfere Sünden verjtändigen fünnen. So—
mit trifft denn Alles zujammen, was den Kaijer
zu einem bejtimmten Schritt treiben muß. Der
wird ihn dann in die entweder einzig richtige
und in der That einzig mögliche Bahn hinein—
lenfen, oder ihn zwingen, die Krone niederzulegen,
die ihm nocd feine Freude, dem Lande jelber
aber noch feinen Nußen gebradt, und es nur
zu lange von feinem Gott und dem wahren
Glauben entfernt gehalten bat.‘
„Und gejtatten mir die Herten vielleicht,‘
jagte da Ordonoz, der über die Rüdfehr Mira:
mon's nicht bejonders erfreut jchien, „daß ich in
Ihrem Namen, oder vielmehr in dem unfern
gemeinjchaftlich, eine jolhe Anfrage jtelle, wie
fie Monſeñor als nöthig erachtet ?'
Die Berfammlung jchwieg, denn mit der Ge—
wißheit, die jie eben erhalten, daß General Mi—
317
ramon ganz bejtimmt und bald zurückkehren
werde, fiel auch die Nothwendigkeit weg, Eanta
Anna wieder in das Land zu rufen, und trauen
mochte dem alten Antriguanten Kleiner. Aber die
Sade war einmal angeregt, man wußte ja über:
baupt auch noch nicht, ob Miramon wirklich fo
bald Fam, und einen Präfidenten, der Juarez ge—
wachſen war, mußten fie haben, wenn jie nicht den
Liberalen vollfommen freies Spiel laſſen wollten.
Labaſtida jagte deshalb nach kurzem Ueberlegen:
„Ich glaube wir thun wohl, wenn wir das
Anerbieten acceptiven, ich werde Ahnen dann
aber, Padre Ordonoz, vorher die Punkte auf:
jtellen, zu denen jih der General Flar und deut:
lich befennen muß, um nachher jedes Mißver—
ſtändniß unmöglich zu machen.‘
„Und ließe ſich das nicht gleich erledigen ?
frug Ordonoz. „In wenigen Stunden gebt der
Courier nah Vera-Cruz, der die Depefchen für
ben Habana-Dampfer hinabbringt.“
„Die Sade ift zu wichtig, um fie über’s Knie
zu brechen,” erwiederte der Erzbiſchof, dem ein
Aufſchub ganz erwünjcht fommen mochte. „Wenn
wir aud) einen Dampfer verjäumen, jo ift das
immer bejjer, als wenn wir mit dieſem eine viel:
leicht übereilte Handlung begehen. Ich werde
318
indejjen die Jujtimmung der benachbarten Biſchöfe
einholen und Ihnen dann die Bedingungen über:
geben. Das verhindert jedoch nicht,‘ ſetzte er
freundlich hinzu, „daß Sie ſchon mit diejer Poſt
an den General jchreiben, ihn von unjerem Ent:
ſchluß in Kenntniß jegen und auf den nädjten
Brief vorbereiten. Es wird im Gegentheil bie
Verhandlung fördern und bejchleunigen.‘‘
„And iſt es nicht möglid, daß wir in ber
Zwijchenzeit in Etwas handeln?‘ jagte der
überhaupt ungebuldige de la Parra, „dieſe Un:
gewißheit wird zulegt unerträglich und ijt jchlim:
mer als eine wirkliche Niederlage.‘
„Schaffen Sie Geld herbei,‘ jagte der Erz
biſchof lächelnd, „das wird das Nothwendigite
jein, was wir im entjcheidenden Augenblick brau:
hen,“ und aufjtehend, verabjchiedete er jich mit
jreundlihem Grup von jeinen Verbündeten,
=
* **
Maximilian hatte indeſſen die letzten Monate
in einer ernſtlichen Unruhe verbracht, denn die
Ungewißheit, wie ſeines Geſandten, Almonte's,
Vorſchläge in Paris aufgenommen werden wür—
den, quälte ſowohl jein Herz als feinen Geift.
Wohl erfannte er die immer drohender wer:
319
denden Zuſtände in jeinem Reich, aber ev wußte
aud, daß dies nur eine legte und verzweifelte
Anjtrengung der Liberalen jei, ein legtes Auf:
flackern des revolutionären Geijtes, der nur dann
erjt gefährlich werden Fonnte, wenn man ihm
eben Raum und Zeit ließ jih zu entwideln.
Jetzt nod ein Hauptichlag gegen jie geführt, und
jie mußten das Nugloje ihres Widerjtandes ein:
ſehen — nur diesmal noch ihre Banden ver:
nichtet und auseinander getrieben, und fein Re—
bellenchef der Welt hätte ein neues Heer aus
dem jchon überdies zu arg mißhandelten Land
berausprejjen Fönnen.
Aber dazu bedurfte er der Unterjtüßung
Frankreichs nur no auf wenige Monate, und
was thaten dieſe Truppen jeßt, die im Stande ge-
-wejen wären, den Aufruhr im Keim zu erfticen ?*)
Müſſig jtanden jie, Gewehr im Arm, und alle
*) Doctor Baſch jagt darüber in feinem vortrefflichen Buche
„Erinnerungen aus Mexico“: „Einem ruhenden Ungethüm
gleich lag von nun an bie franzöfiiche Armee unthätig da —
gleichgiltig zuiehend, wie die Diifidenten, durch die Paſſivität
Bazaine’s muthig gemacht, einen Plag nach dem andern nah—
men. Während dabei die Franzoſen Gewehr in Arm ftanden,
wurde die letzte militärische Stütze des Kailers, das öſterreichiſch—
beigiiche Freicorps dadurch, daß der Marichall daſſelbe in
kleinen Detachements erponirte, ſyſtematiſch zu Grunde gerichtet.”
320
dringenden Vorjtellungen an den Marjchall wur:
den nur durch Achjelzuden oder leere Entſchul—
digungen erwiedert. Marimilian fühlte, er war
nicht mehr Kaijer in feinem Reich, wo gerade
dieſe Hilfstruppen einen Staat im Staat bil-
deten, und mit einer jteigenden Ungeduld er:
wartete er deshalb Nachricht von Almonte, wel:
hen Erfolg er bei Napoleon gehabt, und ob
diejer feinen dringenden Vorſtellungen nad:
gegeben habe.
Und hoffte er wirklidh Etwas davon? Eine
dunkle, trübe Ahnung lag auf feiner Seele —
er wußte, wie die Vereinigten Staaten, die ben
Süden völlig überwunden hatten, Depeſchen auf
Depeſchen an Napoleon fandten. Und der Per:
trag, den er mit dem Kaifer der Franzoſen ab:
geichlofien! War es das erfte Mal, daß dieſer
Napoleon jein Wort gebrochen?
Es litt ihn heute nicht in Chapultepec — el
hatte hinüber nach Guernavaca gewollt, um dort
die Schon fälligen Berichte in aller Ruhe abzu:
warten, aber er ertrug e8 nicht, den Empfang
auh nur noch auf Stunden hinauszujcieben,
und wäre ihnen lieber bis Puebla entgegen:
gereilt. Da — wie er eben in feinem merica- |
nijchen Reitcoftüm, das er gewöhnlich auf jolden
|
——
Touren trug, ſein Pferd beſtiegen und in die Stadt
hineinreiten wollte, langte ein Courier des fran—
zöſiſchen Geſandten an, der ſich wahrſcheinlich
die Unannehmlichkeit erſparen wollte, die De—
peſchen Seiner Majeſtät perſönlich zu überreichen.
Der Kaiſer nahm ſie, ließ augenblicklich ſein
Pferd wieder abſatteln und eilte in ſein Zimmer
hinauf, das er hinter ſich abſchloß, um ſie un—
geſtört zu leſen.
Er blieb lange — lange. Die Kaiſerin hatte
erfahren, daß der franzöſiſche Conſul Papiere
geſandt habe; ſie ahnte was fie enthielten, und
es drängte fie, die Sorgen ihres Gemahls zu
theilen — 05, es konnte faum etwas Günftiges
jein, oder der Kaiſer hätte fich nicht jo lange ein—
geihlofjen, jondern ihr gute Kunde augenblid:
lich mitgetheilt.
Endlich — zwei volle Stunden waren ver:
gangen — öffnete ſich jeine Thür, und dem
draußen aufwartenden Lakaien jagte er ruhig:
„Ich laſſe die Kaiferin bitten, midy auf meis
nem Zimmer zu beſuchen.“ — Er braudte nicht
lange zu warten. Charlotte Hatte jchon jehn:
ſüchtig des Augenblicks geharrt, und als ſie jein
Gemach betrat, jtand Marimilian, die Arme auf
Fr. Gerftäder, In Merico. IH. 21
321
322
dem Rüden, aber bleih, wie jie ihn noch nie
gejehen, mitten in der Stube. Auf dem Tiſch
lagen die unheilvollen Papiere ausgebreitet, und
nur als die Kaiferin mit angjtvollen Bliden
vor ihm ftehen blieb, deutete er auf die Schrif-
ten und jagte: „Lies!“
„Was ift gejchehen, Mar?’ vief Charlotte,
und die Worte rangen fich ihr faſt von den Lippen.
„Was geſchehen iſt?“ jagte Marimilian Falt.
„Nichts als was ich die legten Monde jchon geahnt
babe; aber was gejchehen wird, Charlotte, it:
bag wir Abſchied von jenen herrlichen Bergen
da drüben nehmen und nach unjerem jtillen Mi-
ramare zurüdkehren.‘
„Mar!
„Lies, mein Kind,‘ jagte der Kaijer ruhig
— „der Brief der franzöfiihen Regierung ift
gerade nicht bejonders hübſch oder befonders
artig, aber er hat den Vortheil vor manchen an:
deren diplomatijchen Actenſtücken, daß er deut:
lid ijt, und das bleibt immer danfenswerth.‘
Die Kaijerin nahm jchweigend das Papier,
überflog e8 erjt mit den Augen und las es dann
langjam von vorn bis zum Schluß durch —
dann jagte jie leije, indem jie es zurüd auf den
Tiſch legte:
323
„So bridt ein Napoleon gejchlojjene Ver—
träge !’’ 1
„Sag’ lieber: jo tritt er jie mit Füßen!’
rief der Kaijer heftig aus — „ob, daß ich denen
nicht folgte, die es wirklich gut mit mir mein:
ten — daß ich einem Napoleon traute und mein
Leben — ja weit mehr als das, meine Ehre,
meinen Namen daran fette, ein Werkzeug feiner
Pläne zu werben!’
Der Kaiferin Antlit hatte ebenfalls eine
etwas bleichere Färbung angenommen, aber ernit
und ruhig ftand ſie ihrem Gatten gegenüber,
feine Spur von Schwäche zeigte die hohe fürjt-
liche Gejtalt der edlen Frau, und mit feiter
Stimme fagte fie:
„Keine Klage, Mar, über Gejchehenes und
Unabänderliches, jondern ruhig laß uns über-
legen, was wir jegt thun und wie wir handeln
fünnen, wenn Frankreich feine Drohung wirklich)
wahr macht und feine Truppen zurüdzieht.‘
„Wenn!“ fagte der Kaiſer bitter, „und
zweifeljt Du nad) diefem Brief noch an der be-
Ihlofjenen Thatſache?“
„Gut,“ erwiederte die Kaijerin feit — „ſo
nehmen wir e8 als eine Thatlache an und er=
wägen dann das Kür und" Wider einer jolden.
21*
324
Dies Wider ift jedenfalls die Verminderung
ber Armee um — wie ich nicht leugnen will, ihre
beften Zruppentbeile. Aber haben wir dafür nicht
unjere neu errichteten Jäger-Bataillone, unjere
Gazadores — der Grund zu einer echten mexicani—
ihen National-Armee? Die denjelben beigegebenen
franzöfiihen Dfficiere müjfjen bleiben — Na:
poleon fann fie nicht abrufen, denn der Vertrag
beiteht, daß fie noch acht Jahre nad Rüdzug der
franzöſiſchen Truppen im Land bleiben müljlen,
und wie viel größeren Ruhm haben wir, wenn
wir ohne Hilfe fremder Bajonnette, mit einer
wirfliden mericaniihen National-Armee unjern
Thron behaupten und dem Land den Frieden
wiedergeben ?''
„Täuſche Dich nicht, ſagte Marimilian ruhig,
„das dürften wir hoffen, wenn in diefem Augen
blif der Feind aus den Grenzen hinausgetrieben
und das Yand in Frieden wäre — aber ſchon
auf das Gerücht, daß die Franzoſen abmarſchiren,
raffen jich die Yiberalen nicht allein jchärfer zu—
jammen, jondern zahlloje unjerer jehr ungewifjen
Freunde fallen auch ab, weil jie einem Sieg der
Nepublifaner zuvorfommen und ihre eigene Haut
in Sicherheit bringen wollen. Glaube mir,
Gharlotte,‘ fette er ſeufzend hinzu, „ich habe
325
in den wenigen Jahren meine waderen merica=
niſchen Unterthanen, beſſer als mir lieb ift, kennen
lernen, und würde den Boden hier nie betreten
haben, wäre das früher der Tall geweſen. Es
ift vorbei — ich glaube nicht, daß ſich Napoleon
je zur Wenderung feines Beſchluſſes wird be—
wegen lajjen, und aufzwingen will ih mid
dem mericaniichen Volk nicht. Gott weiß es,
ih babe gethan, was in meinen Kräften ftebt,
um dem unglüdlichen, burd) Parteien zerriffenen
Land den Frieden zu geben, aber fie wollen
ihn nicht, und das iſt die Folge diejer ewigen
Kriege und Nevolutionen, die jeßt durch Mens
ihenalter fortdauern. Dieſe Leute find nicht
an Arbeit gewöhnt, jondern an ein wildes, aben=
teuerliches Leben; fie wurden darin geboren,
wurden darin groß gezogen; fie kennen es nicht
anders und wollen es nicht anders haben. ch
jehe, wie ich glaube, zu jpät ein, daß e8 Men:
ichenfräfte überjteigt, jie in eine vernünftige
Bahn zu bringen. Es find mit einem Wort
feine Acderbauer mehr, die den Samen in die
Erde legen und dann geduldig auf die Ernte
barren, jondern wie fie auch in ihren Spielen
nur der Leidenjchaft, nur dem Hazard fröhnen,
jo wollen fie den Erfolg auch augenblidlidh. Ich
326
werde es müde, mein Leben mit diefem Bolf zu
vergeuden. — Juarez, oder wer da will, jebe,
wie er mit ihm fertig wird — es war cin Er:
periment, und wenn aud mit jchwerem Herzen,
glaube ich doch, daß ich am beiten thue, wenn
ih meine Krone niederlege.”
„Und wem thäteft Du damit den größten
Gefallen?“ rief die Kailerin erregt aus —
„Niemand als gerade jenem Kaiſer, der es ge:
wagt, fein Spiel mit Dir zu treiben.- Mas ift
e8 denn anders, was Napoleon jeßt will, als
daß Du die Krone niederlegen folljt, wo er, von
der nordamerifaniichen Union gedrängt, zu feige
it für das gegebene Wort einzuftehen. Fürſten—
blut! — es bat noch nie in feinen Adern ge:
wallt — aus plebejiihem Stamm entjprofjen, ver:
mag er nicht jich in die Gefühle eines wirklichen
Fürſten hinein zu denfen, und träteft Du zurüd,
die Hände würde er jih im Stillen reiben und
mit feiner Großmuth nachher noch prahlen, mit
der er Dir einen Thron angeboten und aufge
baut, den Du nachher nicht im Stand gemejen
wärjt zu halten.”
Marimilian ſchwieg. — Die rechte Hand auf
den Tiſch geftügt, ſtarrte dr jtill und düſter, in
jeine eigenen finfteren Gedanfen vertieft, vor jih
327
nieder, und mit der Linken ſtrich und theilte er
ji den langen blonden Bart.
„Betrogen und verrathen,“ flüfterte-er dann,
nad einer längeren qualvollen Pauſe leije vor
ih Hin — „betrogen und verrathen und auf’s
Neue von einem Napoleon! — und die Welt? —
fie wird lachen über den thörichten Habsburger,
der ih, troß Allem und Allem ihm nod eine
mal anvertrauen Fonnte. Was befümmert fich
auch die Welt darum, weldhe Beweggründe
einen Fürſten leiten fonnten, einem ſolchen Ruf
zu folgen — kann fie fih in feine Seele dene
fen? — Und das leben fortan? — gedemüthigt
in der Erinnerung an die erlittene Schmad,
veripottet von der Mafje, verhöhnt in den Zei—
tungen, bedauert von den Befjergejinnten, und
das ijt der Wurm, der mir am Leben frejjen
wird — das Bedauern, das Mitleiden.”
An die Thür Elopfte ein leifer Finger —
Marimilian hörte es gar nicht, aber die Kaiſerin
trat zur Thür und öffnete. Es war ein Diener,
ber ihr auf jilbernem Teller eine Depejche über:
reichte, und Charlotte erjchraf, denn der Augen:
blif war nicht darnach angethan, etwas Gutes zu
bringen. — Aber was fam — das Schidjal
rollte, und je deutlicher fie die Gefahr überjehen
328
konnte, dejto leichter war vielleicht auch Abhilfe
möglich).
Sie-nahm das Couvert und ſchloß die Thür
wieder — es war ein Bericht aus Bazaine’8 Ca=
binet mit dem franzöfiichen Siegel, und ahnungs—
voll legte jie e8 auf den Tiſch.
Der Kaijer hatte anfangs nicht darauf geach—
tet, jest, aus jeinem Sinnen auffahrend, nahm
er das Couvert.
„Woher ?''
„Es jcheint von Bazaine.“
Er jagte fein Wort weiter, brach e8 auf und
durchlas die Schrift.
„Hahahaha!“ Tachte er aber, wie er faum halb
hindurch war — „es fann wirklich fomifch wer:
den, wenn jo Schlag auf Schlag trifft; aber bag
bringt die Sache zu einem Abſchluß. — Mejia
in Matamoras volljtändig gejchlagen und mit
dem Reit jeiner Armee auf franzöfiihen Schiffen
nah Vera-Cruz entfommen.”
„Mejia ?’ rief die Kaijerin erjchredt.
„Natürlich,“ late Marimilian bitter, „der
wadere Indianer hat ſich lange genug gehalten,
denn jchon jeit drei Monaten war er bedroht
und eingefchlofjen, und wie habe ich Bazaine ge-
beten, ihm Hilfe zu jhiden, was er- jo leicht von
329
der See aus hättethun können. Nein, der Herr
Marihall von Frankreich Hatte wahrjcheinlich
ſchon lange die Abjichten und Pläne jeines
hoben kaiſerlichen Herrn erfahren und jchonte
feine Truppen. Was lag auch an dem merica=
niſchen Heer, je früher das vernichtet wurde,
deſto rajcher Fonnte er mit feiner jungen rau
nad Frankreich zurückkehren. — Aber ich jelber
will mid bier nicht zu Tode ärgern,“ ſetzte er
finjter hinzu, indem er mit raſchen Schritten
und auf den Rüden gelegten Händen in dem
Gemach auf und ab ſchritt. „Sind die Mexica—
ner jo blind, daß fie felber in ihr Verderben
bineinrennen wollen, gut, ich werde jie nicht
länger halten. Morgen,” jeßte er entſchloſſen
binzu, indem er vor der Gattin jtehen blieb,
„werde ich dem verfammelten Minifterium meine
Entjagung vorlegen. Ich will nicht mehr ihr
Kaijer jein, denn es giebt fait feinen treuen
Mericaner, den ich zum Diener haben möchte. —
Selbjt die Minijter find? Schurfen — ich habe
beitimmte Beweije, daß Siliceo mit Juarez heim:
liche Correſpondenz geführt hat; von den An:
deren weiß ich allerdings nichts Beſtimmtes,
aber ich traue Keinem mehr. — Und aud ber
Klerus wühlt nah Herzensluft. In der Haupt:
330
jtabt ijt jogar eine Verſchwörung im Gang, an
deren Spiße diejer intriguirende Oberpfaffe, der
Erzbiichof, jteht. — Schon jeit Wochen habe ich
die Liſte der Verſchwörer in Händen — es ver:
räth ja auch, Gott ſei Dank, immer Einer den
Andern, und mit ſolchen Menſchen ſollte ich
allein regieren? — Nein, nun und nimmermehr.
Mein Entſchluß iſt gefaßt, ich danke ab, und
dann, Charlotte, kehren wir nicht nach Oeſter—
reich zurück, ſondern gehen nach Griechenland,
Egypten, oder machen vielleicht eine Reiſe nach
Oſtindien. Mich drängt's den Oſten zu ſehen,
denn der Weſten — der Himmel weiß es — hat
mir Leid genug gebracht.“
Die Kaiſerin hatte kein Wort erwiedert, be—
fand ſich aber augenſcheinlich in furchtbarer Auf—
regung — ihre Wangen glühten, ihre Augen
blitzten, und die weiße, mit Ringen bedeckte Hand
glitt ein paar Mal unbewußt und wie krampf—
haft über ihre Stirn.
„Nein,“ ſagte ſie endlich, und ein heftiges
Zittern durchlief dabei ihren ganzen Körper —
„nein — ſo ſollſt Du nicht von hier ſcheiden,
ſo lange noch die Möglichkeit vorhanden iſt, das
von Dir abzuwenden.“
„Aber die Möglichkeit iſt eben nicht mehr
331
vorhanden, Kind,‘ jagte der Kailer ruhig, denn
er war zu ſehr mit fich Jelber bejchäftigt, um
gleih die merfwürdige Veränderung zu bemerfen,
die mit der Kaiferin in den wenigen Minuten
vorgegangen.
„Doch — doch,“ ſagte Charlotte halb flüſternd,
indem ſie des Gatten Arm erfaßte und zu ihm
aufſah — „ich weiß es, ich trage die Schuld,
daß Du die ſchwere Krone auf Dein Haupt ge—
laden — ſage Nichts,“ unterbrach ſie ihn raſch,
als er ihr erwiedern wollte — „noch gedenke ich
der Stunde in Miramare, wo ich, von Rang und
Glanz geblendet, Dich umfaßte und Dich „mein
Kaiſer“ nannte. Das war der unglückſelige
Augenblick, der uns an die Küſte dieſer Wildniß
warf. An mir iſt es aber auch jetzt, Dir die
Laſt zu erleichtern und Hilfe zu ſchaffen, und
gelingt es mir nicht — wohl, dann gehen wir
zuſammen in's Exil, Max, und keine Klage
komme je über unſere Lippen.“
„Aber Charlotte,“ rief der Kaiſer bewegt,
„was haſt Du, Du biſt ſo ſonderbar erregt,
Deine Augen leuchten, Deine ganze Geſtalt bebt!“
„Nichts, Max,“ flüſterte die Kaiſerin, „als daß
ich Dir Hilfe bringen will, wenn Menſchenkräfte
es noch vermögen.“
332
„Du, Charlotte?“ rief der Kaijer kopfſchüt—
telnd,, „das ift unmöglid. Mir können nur
franzöjiihe Soldaten und Frieden mit der Kirche
Hilfe bringen.”
„Und Beides jchaffe ih Dir,’ fagte die Kai⸗
ſerin raſch, und wie mit dem Entſchluß hob ſich
ihr Körper wieder zu ſeiner vollen Höhe und
gewann Kraft und Feſtigkeit. — „Ich ſelber gehe
nach Paris —“
„Charlotte!“
„Und nach Rom,” fuhr die Kaiſerin fort.
„Wir thaten Unrecht, unſer Geſchick bis jeßt in
die Hände fremder Menſchen zu legen, die feis |
nen Theil daran nehmen und nicht mit berebter
Zunge dafür ſprechen fonnten. Louis Napoleon
!
|
war im Stande, die Vorfchläge eines mericani:
ſchen Generals zu verwerfen, aber glaubjt Du,
daß er es könnte, wenn ich ihm Aug’ in's Auge
ſehe? Glaubſt Du, daß er es wagt mir zu fa:
gen, er breche den Bertrag von Miramare?“
‚And wenn er e8 troßdem thut?“
„Nein — nein, und taufendmal nein — jelbit
ein Napoleon wäre das nicht im Stande — aber
mehr als das. In wenigen Monaten halt Du
Nahricht, dag uns das franzöſiſche Heer noch
eine Weile gefichert. ift — wenigjtens jo lange,
339
als wir es Brauchen, um dieje frechen Räuberjchaaren
nur nod einmal gründlich zu züchtigen und un—
jere eigene Nationalarmee zu organijiren. Dann
eile ich hinüber nad Stalien zum heiligen Vater,
und glaube mir, er wird meinen Vorjtellungen,
die er als gute Katholikin kennt, eben jo wenig
wibderjtehen, wie Napoleon.’
„Non possumus,” ſagte Marimilian büjter.
„Slaube e8 nicht,“ rief die Kaiferin raſch.
„Dem Menjhen, den Du zulegt nah Rom ge—
\andt, habe ich nie getraut — das, was in ſei—
nen Zügen lag, war nit Frömmigkeit, jondern
Heuchelei. — Er iſt falſch, und auch das frißt
mir in's Herz, daß ich, wenn auch in bejter Ab:
jiht und in treuem Glauben, ihn Dir eigentlich
zugeführt.’
„Aber woher dieſer Verdacht, Charlotte?’
„Ich weiß es nicht, aber jein ganzes Auftre:
ten in der legten Zeit, fein gleißneriſches Wejen
machten auf mic) den Eindrud, und aus ziemlid
jicherer Quelle weiß ich auch jet — leider zu jpät,
day er früher viel mit dem Erzbijchof verkehrte.
Er war ein Werkzeug Labaſtida's.“
„Und von wem weißt Du das?‘
„Laß das jegt — e8 bleibt jich gleich, aber
mein Entſchluß jteht feit. Ich jelber gehe nad
334
Paris und Rom — halte Dich nur fo lange.
Der Termin der Abberufung jheint noch nicht
fejt bejtimmt, und jo lange die Franzoſen im
Land jtehen, dürfen jene Banden nicht wagen,
ih der Hauptjtadt zu nahen. Das erjte Vor:
dringen der verbündeten Truppen jagt jie aber
wieder in ihre Wildniß zurück, und haben wir
erjt Frieden mit der Kirche gejchlofjen, jteht der
Klerus aud auf unferer Seite, dann Mar,
dann ijt der Sieg unjer — dann bringen wir
jelber auf Rüdberufung der franzöjiichen Armee,
und dann blüht auch ein neues Yeben für uns
auf.’
„Und ſoll ih Dich allein die weite gefahrvolle
Reife unternehmen laſſen?“
„Bar ich nicht allein in Yucatan?“ lächelte
die Kaiſerin; ‚und glaubjt Du, daß die Völker
Frankreichs und Staliens wilder jind, als jene
ungebändigten Indianer des Südens? Vertraue
mir, Mar, mein Rath führte Dich nad) Merico,
meine That joll Dir bier den Thron fichern,
und was auch jpäter fommen möge, wir haben
dann doch den Troſt, daß wir dem Schickſal
vereint unjere Häupter beugen können.“
11.
Der legte Abend.
—
Die Kunde, daß Kaijer Napoleon, von Ame-
rika gedrängt, jeine Truppen aus Merico zurüc-
ziehen werde, zucte wie ein Yauffeuer durch das
ganze Land, und es war merkwürdig, wie vajch
jie jich fowohl verbreitete, als auch wie gleich:
mäßig die Schlußfolgerungen waren, die man
darüber in allen Kreijen und bei allen Bar:
teien 309.
„Dann ift der Kaiſer verloren!’ lautete
überall, bei Freund wie Feind, gleichzeitig nad)
der Nachricht der erjte Ausruf, denn wer nur
im geringjten die Yortichritte beobachtet hatte,
welche die wieder von Tag zu Tag anwachjenden
Schwärme ber Liberalen, felbft noch den Fran:
zojen gegenüber, machten, der fonnte nicht mehr
BZ 2
-.
=
«
in Zweifel jein, wie ſich das Alles gejtalten müjle,
jobald die franzöfiiche Armee erſt einmal ganz
aus dem Land abzog.
Und troßdem war ber erjte Eindrud, den
dieje Nachricht hervorbrachte, eine allgemein freu:
dige, aber nicht etwa weil man feine Sympa—
tbien mit dem Kaijer hatte, jondern weil man
die Franzoſen bafte und fie unter jeder Bedin—
gung los zu werden wünſchte. Man Eonnte ja
auch dieje vollfommen übermüthig gewordene
Truppenmafje als nichts Anderes wie Eroberer
und Fremde betradhten, denn nur der Befehl
ihres Kaijers hatte fie in dies Land geworfen,
wie er jie jeßt im Stande war wieder zurüdzu:
ziehen. Wirklich heimiſch in Merico hatten ſich
nur Wenige gemacht, und felbft diefe gehörten
feiner bevorzugten Klaſſe, jondern nur, mit we:
nigen Ausnahmen, den verjchiedenen Gewerfen
an. Es waren das Friſeure, Schneider, Schub:
und Uhrmacher und Fleine Händler, die ein De:
tailwaarengejchäft in Merico oder einer ber an:
deren Städte errichteten, der eigentlihe Saß,
ber bei allen franzöfiichen Eroberungen, jobald
fie wieder aus dem Land getrieben werden, zurüd:
bleibt und feine Landsleute dann gewöhnlich nid
eben vortheilhaft repräjentirt.
396
337
Die natürlide Folge diejes Gerüchtes, das
indeffen nicht lange nur Gerücht bleiben jollte,
war denn auch vorauszujehen und dem merica=
nischen Charakter volllommen entjprechend. Die
bis dahin noch Unjhlüffigen und Zweifelhaften
— d. 5. alle Solche, die bis zu diejer Zeit noch
feinen directen Nußen aus dem Kaiſerreich ge—
zogen und nur noch auf für fie günftigere Zu—
ftände gehofft hatten, jahen ſich plößlich ihres
Schwankens enthoben und traten, wenn auch
nicht gleich offen, dod im Herzen ſchon, wieder
zur Partei der Liberalen über, und das machte
ih, wenn auch nod weniger in der Hauptjtadt,
doch ſchon glei vom Anfang an entjchieden ge—
nug im inneren Lande jelber bemerkbar.
Ale die Präfecten Eleinerer Städte im Nor:
den wie im Süden, die bisher freudig dem Kai-
jerreih den Eid geleiitet, hielten jich von dem
Augenblid an, wo das Glüd ihm den Rüden
zu wenden jchien, natürlich an Nichts mehr ge—
bunden — und galt au in Merico ein irgeud
welcher Regierung geleijteter Eid? —
Ebenjo jollte es ſich aber auch bald nod
fühlbarer unter den verjchiedenen Truppentheilen
bemerkbar machen, denn von dem Augenblid an,
wo der Rückzug der Franzoſen befannt wurde,
Fr. Gerftäder, In Merico. IM. 22
338
war auc nicht mehr ber geringite Verlag auf
fie. So lange jie fiegreich blieben und ſich in
ber Uebermadht befanden, bielten fie bei ihrer
Fahne aus, aber jelbit wo der Erfolg zweifel:
haft ſchien, verließen fie nicht jelten ihre Seite
und liefen gerade im entjcheidenden Moment zum
Feinde über.
In der Hauptſtadt jelber ergriff bei der Nach—
richt, wenn man auch ſeit längerer Zeit gewifjer:
maßen darauf vorbereitet gewejen, doch ein faft
paniſcher Schreden alle die, die unter der jeßigen
Regierung eine Anjtellung hatten oder überhaupt
mit ihr in näherer Verbindung ftanden. Was
Jollte jet werden? und raſch entjicheiden fonnten
ih dieje Leute ebenfalls nicht, denn wer wußte
denn, ob ſich das Kaiferreich nicht doch am Ende
mit der neu organifirten National-Armee bielt,
und dann gerade vielleicht unter dem Wolfe
mehr Zutrauen und, die Hauptjahe — Zulauf
gewann,
Dieje Herren befanden fich jedenfalls in einer
verzweifelten Yage, denn jo wenig fie gezögert
haben würden, ohne Weiteres bei Juarez einzu:
treten falls dieſer fiegreich gewejen wäre, jo
Ihien das doch nod immer im weiten Selbe,
und fie wußten deshalb nicht, was jie thun joll
339
ten — ihre Stellungen aufgeben oder den ferne
ren Erfolg abwarten.
Dahinein ſchlug das Gerücht von der Reife
der Kaijerin nad Europa, und wenn das aud
dem einfachſten Politifer zeigen mußte, daß bie
Sache des Kaijerreich8 wirklich verzweifelt jtand,
jobald die hohe Frau jelber eine ſolche böſe Mif-
ion übernehmen mußte, jo zögerte es doch auch
jedenfalls die Entjcheidung wieder hinaus, und
fonnte wenigjtens einen günftigen Erfolg haben.
Wer von Allen Fannte denn die Verhältniffe
in Europa jo genau, um vorausjagen zu können,
wie jich Alles gejtalten müſſe — und gab ſelbſt
Napoleon nicht nach, gelang es ihr nur den Papſt
günjtig zu jtimmen, oder fügte jie ſich im lebten
Augenblid jeinen Yorderungen, jo befam der
Kaijer bier mit einem Schlag den ganzen Kle—
rus auf Jeine Seite, und welden Einfluß ber,
bejonders auf die untere Schicht der Bevölkerung,
ausübte, war befannt genug — hatte er jich doch
in den letzten Jahren zur Genüge feindlich gel:
tend gemacht.
Alſo ſchwankte die Waage, aber das war den
Mericanern auch wieder in jofern recht, als
e8 die Entſcheidung noch eine Weile hinausjchob.
— Abwarten ſie thaten Nichts lieber als das,
22%
340
und bis dahin prägte jich ja auch wohl die Stim—
mung im Lande beutlicher aus.
Daß die Kaijerin ihre Reife nad) Europa feit
beftimmt hatte, unterlag feinem Zweifel mehr.
Das „Diario del Imperio“ brachte am 7. Juli
jelber die Nachricht: |
„Ihre Majejtät die Kaijerin reift morgen
nad Europa — Ihre Majejtät wird mericanijche
und verjchiedene internationale Tragen regeln.
Dieje Mijjion, welche unjer Souverän mit wah-
vem PBatriotismus erfaßt bat, ijt der größte Be—
weis von GSelbjtverleugnung, den ber Kaijer jei-
nem neuen Baterlande geben fonnte, um jo mehr,
als die Kaiferin fih an der Küjte von Vera-Cruz
der in der Regenzeit jo großen Gefahr des gel-
ben Fiebers ausſetzt. — Wir geben dieje Nach—
richt, damit das Publikum den wahren Zweck der
Reife Ihrer Majejtät kenne.‘
Merfwürdig ift dabei und wohl Beachtung
verdienend, daß fi die Deutjchen in Merico,
die doc faſt ausſchließlich der wohlhabenden
Klajje angehörten, nie und vom Anfang an nicht
für dag Kaiſerreich begeiitert, es wenigitens jo
wenig wie möglidy offen gezeigt hatten. War
es vielleicht deshalb, weil jie das Land zu genau
fannten und recht gut wußten, eine bleibende
341
Regierung ſei ein Ding der Unmöglichkeit für
Merico; war es, weil fie im eriten Anfang
einem djterreihiichen Prinzen, der von einem
Napoleon eingefeßt wurde, nicht recht trauten
und dann jpäter, als fie den Tiebenswürbigen
und edlen Charakter des Mannes näher kennen
lernten, erſt recht einjahen, wie er nie im Stande
fein würde, dies ordnungslofe Gefindel zuſam—
menzufchweißen. Aber fie Hatten einmal Fein
Vertrauen zu der Regierung und hielten ſich
ihr auch fo viel als möglich fern. Ja fie ver:
fehrten felbjt nicht einmal gern — Ausnahmen
natürlich zugejtanden — mit jenen Deutjchen,
die dem Kaifer von Europa aus gefolgt waren,
weil e8 fich bald herausftellte, daß es meiſt Aben-
teurer und Schuldenmadher waren, und ben deut—
hen Namen in Merico, der bis dahin ehren:
voll genug-bejtanden, leicht in Mißcredit brin—
gen konnten — und auch wirfli hier und ba
braten.
Im Ganzen war aber die Stimmung in ber
Hauptitadt einerechtgedrücte, denn das Kaiferpaar
hatte fich bei allen Parteien dort, perſönlich wenig:
ftens, Liebe und Achtung erworben, und was
jollten jeßt die dem Hofe näher ftehenden Damen
in ber Refidenz anfangen, wenn die Kaijerin
342
eine jolhe Reije unternahm -— ja vielleicht nicht
einmal zurüdfehrte. Es war wirklich ein zu troſt—
lojer Zujtand.
Aber auch noch für andere Kreije jchien dieje
Kunde ein jchwerer Schlag, denn wie viel taus
jend Menjchen hängen in einer Reſidenz vom
Hofe ab! ä
Don Pedro Gaspard war in Verzweiflung,
denn er gerade, als Hoffrifeur Ihrer Majeftät,
fand ſich durch diefe Reife völlig an die Luft
gejegt. Hoffrijeur der Kaijerin und die Kaiſe—
rin in Europa — es war völlig undenkbar, und
nur wie das erjte Gerücht von der beabjichtigten
Miſſion zu ihm drang, tauchte eine unbejtimmte
Hoffnung in ihm auf, daß er. vielleicht befohlen
würde, jih dem Gefolge Ihrer Meajejtät anzu=
jhliegen — ſie fonnte ja auch gar nicht ohne
ihn fertig werden. — ber feine Boticdhaft er—
reichte ihn, obgleich er ji von dem Moment an
fejt zu Haufe hielt — man jchien ihn vergefjen
zu haben,
Da faßte er den fühnen Entſchluß, jelber
nad Chapultepec zu reiten und der Majejtät
feine Dienjte anzubieten — jie hatte vielleicht
gar nicht gewagt, e8 von ihm zu fordern. Aber
bort jtand ihm eine wirkliche Demüthigung be-
343
vor, denn er, Don Pedro Gaspard, der früher
das Vorrecht vor taujend und taujend Anderen
genofjien, nicht einmal angemeldet zu werben,
wenn er Morgens zur bejtimmten Stunde fam,
mußte jegt erleben, day er nicht einmal vorges
lafien wurde.
„Ihre Majeftät nahm Niemanden mehr an
— etwaige Rechnungen jollte er an bie betref=
fende Stelle einreichen,
„Etwaige Rechnungen —“ e8 gab ihm ordent=
lih einen Stih durch's Herz, und jo wurde
jeine wirkliche Hingebung für die Kaijerin von
diejen „Bedientenſeelen“ aufgefagt — denn daß
Ihre Majeftät jelber nicht einen ſolchen Verdacht
gefagt haben fonnte, war natürlich.
Sn düfterer Stimmung fehrte er nad) Haufe
zurüd, und wohl gingen ihm aucd noch andere
Dinge außer diejer JZurücdjegung durch den Kopf.
Er jelber brauchte nämlich wieder nothwendig
einen neuen Waarenvorrath, und gerade in den
nächſten Tagen hatte ihm die Kaiferin einen Auf:
trag für ihren geringen Bedarf geben wollen, der
ihn dann vollfommen berechtigte, das Hundert-
fache für jeine eigene Rechnung, und dabei in dem
Fall natürlid Fracht: und jteuerfrei, mitfommen
zu lajjen.
344
Der Auftrag war nun nicht allein durch bie
unglüdjeligen Ereignifje unnöthig geworden und
total in die Brüche gegangen, jondern er felber
lat ebenfalls fejt und vollftändig auf dem Trock—
nen. Beſtellen konnte er ja natürlih für fich
jelber, jo viel er wollte, aber dann mußte er
aud Fracht und Steuer dafür bezahlen, und nur
eine Möglichkeit gab es vielleicht, um das noch
abzuwenden. Er erinnerte fich zum großen Theil
ber Bojten, über welche Ihre Majeftät mit ihm
Ihon geſprochen — er wußte ja auch genau,
was fie urfprünglich brauchte, und wenn fie zu—
rüdfam, war es deshalb wünjchenswerth, daß
fie e8 vorfand. Ob der Auftrag alſo nun jchon
direct gegeben worden, fam gar nicht darauf an
— er betrachtete ihn fo, und wenn er heute
mit dem nad) Vera-Cruz abgehenden Courier
ſchrieb, jo ließ ſich noch vielleicht Alles auf das
bejte reguliren. Der Auftrag war dann vor
der Abreije der Kaiferin gejtellt und ging ben
gewöhnlichen Weg — daß er ſich auch nur einen
Augenblid deshalb hatte bejinnen können, und
fein Pferd fühlte die Sporen und flog nur mit -
ihm jo dahin, der Hauptjtadt wieder zu.
Don Pedro war heute weich gejtimmt. Er
jollte die Kaiferin, feine Kaiferin und Be:
345
Ihüßgerin, nicht mehr vor ihrer Abreije ſehen; er
‚war aber aud wieder in fofern guter Laune,
die ihm fein guter Einfall mit der Bejtellung,
dba er diesmal nach Belieben ausdehnen Eonnte,
auch wieder einen außergewöhnlich reichen Ges
winn in Ausficht ſtellte. Durch die bisher im
vollen Maße benüßte Vergünftigung war er der
Hauptlieferant für faft alle Frifeure in Merico
geworden, da dieje durch ihn ihre Waaren viel
billiger beziehen konnten, als wenn fie diefelben
direct verjchrieben hätten, und daß er damit viel
Geld verdiente, läßt fich denken.
Don Pedro befand fih auch in der That in
ganz leiblichen Verhältnifjen und hätte mit einis
ger Einſchränkung recht gut und behaglich leben
fönnen, ‚aber der Dünkel als Hoffrijeur war
ihm in den Kopf geftiegen. Er mußte ein pracht—
volles Reitpferd und einen jilberbededten Sattel
baben, er mußte in der Stadt brillant auftreten.
Er fing überhaupt an Etwas liederlich zu wer—
den, und zwar jeit der Zeit, wo er die Untreue
feiner Frau entdecte und wohl eine Woche lang
über Selbjtmorbgedanfen brütete. — Das hatte
ih allerdings ſeitdem gelegt, aber. das ehelihe
Glück ſchien von da an geftört. Er lebte aller:
dings mit feiner jungen Frau noch in ein und
346
derjelben Wohnung, aber volljtändig getrennt;
jie ſahen fich eigentlih nur bei Tiſche, um —
wie Don Pedro bemerkte, in den Augen der Welt
den Schein zu vermeiden, — aber fie hatten
jeit jenem Tage und nad) einer jehr heftigen Scene
fein Wort mehr mit einander gewechjelt, und
Don Pedro ihr vor etwa adht Tagen endlich ge:
Ichrieben, dag er eine Scheidung wünſche — jo
weit jie nämlich unter Katholifen möglich und
ausführbar jei.
Don Pedro war des Jwanges jatt und wünschte
noch leichtjinniger zu werden.
Er jap jest in feinem „Comptoir“, wie es
das Schild draußen an der Thür bezeichnete, das
jih aber von anderen Räumen gleichen Namens
wejentlich unterjchied. Es war jein eigentliches
Arbeitszimmer, mit einem großen runden Tiſch
in der Mitte, auf dem eine Anzahl von Hauben:
föpfen — einige mit aufgejtecten Yoden, einige
vollfommen kahl — die hervorragenditen Punkte
bildeten. Einer von diejen, dem an dem kah—
len Schäbel ein riefiger Ehignon jtaf, jah wirk—
lich geijterhaft aus. Aber rund um den Til
herum waren auch noch feitgeijchraubte Kifjen be—
fejtigt, an welchen alle nur erdenklichen „haari—
gen” Arbeiten hingen und theils angefangen,
347
theils in der Vollendung begriffen jchienen —
unter ihnen auch viele „Phantaſieſtücke“ von
fühnem Entwurf, denn es war der Stolz Don
Pedro's, troß Paris, neue Moden jelber in
Merico einzuführenZund die Eingeborenen damit
in Erſtaunen zu jeßen.
Heute brauchte er aber — was jehr jelten
vorfiel — einen Theil des Tiſches zum Schrei—
ben; er hatte aljo eins von diejen Kiffen abge—
Ihraubt und bei Seite gejhoben, um Ellbogen:
raum zu gewinnen, und jaß eben und entwarf
die Bejtellung, zu der ihm allerdings nur wes
nige Stunden Zeit blieben, wenn er nicht den
günftigen Augenblid verfäumen wollte. Hierbei
vermißte er allerdings jchwer jeine Frau, die
jonjt immer dieje fchriftlichen Arbeiten, der fran-
zöfiihen Sprache vollfommen mächtig, entworfen
und gewöhnlich nur den dritten Theil dev Zeit
dazu gebraucht hatte, die er jelber darauf ver:
wenden mußte. Aber Don Pedro war viel zu
jtolz, jie, von der er im Begriff jtand ſich voll»
kommen loszujagen, um eine Gefälligfeit und
um ihre Hilfe zu bitten, eher wäre er gejtorben.
Nachdem er aber jchon zwei Briefbogen mit dem
überall umherklebenden Haaröl fledig und voll-
jtändig unbrauchbar gemacht hatte, ging er eben
348
in voller Verzweiflung an einen dritten, als es
draußen leije an die Thür pochte.
„Pntra!“ rief er heftig, denn eine Störung
fonnte er jet gar nicht gebrauchen — „quien
es?"
Die Thür öffnete fih langſam, und als er
unwirih den Kopf dorthin wendete — jtand
Cornelia, jein junges bilphübjches. Weib, das
diejes Zimmer jeit Monden nicht betreten hatte,
auf der Schwelle. — Sie hielt einen offenen
Brief in der Hand — die Loden hingen ihr
aufgelöft um die Schultern, ihre Wangen waren
bleih, ihre Augen in Thränen, thre jchlanke,
üppige Geſtalt jtand gebeugt, wie aufgelöft in
Schmerz und Zerknirſchung.
„Pedro!“ hauchte jie mit leiſer, kaum hör:
barer Stimme — „Pedro!“
Don Pedro ſah ſie ſtarr und erſtaunt an —
„Cornelia!“ — So hinreißend ſchön war ſie ihm
ſelbſt in der Zeit ſeiner erſten Liebe kaum er—
ſchienen, und doch falſch — doch treulos.
„Pedro!“ ſagte da die Frau wieder und trat
einen Schritt näher, ohne aber die Augen noch
zu dem beleidigten Gatten zu erheben — ſie
wagte es nicht — „Pedro, haſt Du mir dieſen
Brief geſchrieben, und wußte Dein Herz davon,
a
349
als Dir diefe graufamen Zeilen aus der Feder
flojjen 2
„Cornelia,“ fagte Don Pedro, „Du — Du
hajt mich ſchwer beleidigt und bitter — bitter
gefränft! Es ijt bejler, dag —
„Sollen wir Beide elend werden, Pedro, nur
auf einen falihen Verdacht von Deiner Seite
hin?“ jagte die junge Frau; „halt Du mir nur
einmal verjtattet mich zu vertheidigen ?'
„Vertheidigen?“ rief ihr Gatte, „und war
da eine VBertheidigung möglih? Halt Du den
Berführer nicht bei Dir aufgenommen und ihm
zur Flucht verholfen, und fam id, jelber nicht
dadurch in den Verdacht, jein Mitwifjer zu fein ?
ja durfte ich dieſen Verdacht nur von mir ab—
wälzen, wenn die Welt nicht meinen ganzen
Jammer, mein ganzes Elend erfahren ſollte?“
„Und dennoch Haft Du mir Unrecht gethan,
Pedro,‘ hauchte die junge Frau, „dennoch habe
ih unjchuldig die langen Wochen, ob, jo furcht—
bar gelitten I’
„Unſchuldig, Cornelia?” rief Don Pedro,
von jeinem Stuhl auffahrend, „willft Du mich
wahnjinnig machen!”
„Kur darauf hin,‘ ſagte die junge Frau
bitter, „haft Du mid) verdammt, daß Dir mein
350
Mädchen ſagte, jener Fremde habe jhon öfter
unſer Haus betreten — iſt dem nicht jo?“
„Und war das nicht genug?”
„Aber hat fie Dir gejagt — haft Du fie nur
gefragt, weshalb? — Bon blinder Eiferjucht ge=
trieben, fiel Div nur das Schlimmſte ein, und
nicht einmal eine Vertheidigung wollteft Du
mir gejtatten. Jetzt aber, wo ih von Dir ſchei—
den, vielleicht auf immer jcheiden ſoll, muß id
reden. — „jener Fremde warb um die Hand
meiner Schweiter — meine Eltern wollten ihre
Einwilligung nicht geben, und nur um mein
Nürwort zu erlangen hat er mich mehrere Male
aufgeſucht. — St das jo verdbammenswerth,
daß Du mich deshalb eines Verbrechens anflagen
durfteſt?“
„Cornelia!“ rief Don Pedro erſchreckt.
„Dem Geliebten meiner Schweſter,“ fuhr die
junge Frau fort, „die ich nicht durch ſeinen
Verluſt elend machen wollte, gab ich an jenem
furchtbaren Morgen den Schlüſſel zu unſerer
Azotea — das iſt meine Schuld, das mein ganzes
Vergehen, und nun handle, wie Du es vor
einem höheren Richter einſt verantworten kannſt.
Ich füge mich Allem.“
„Cornelia!“ rief Don Pedro, von der wirk—
Ber !
lih entzüdenden Erjcheinung der jchuldig Ge—
glaubten jchon halb bezwungen, „der Geliebte
Deiner Schweiter, fagjt Du —“
„War jener Unglüdliche, den die franzöſiſchen
Häfher verfolgten. Kannjt Du mich verdammen,
daß ich ihn venen nicht überliefern wollte, denn
haft Du mich nicht erſt die Franzoſen als unsere
ſchlimmſten Feinde hafjen gelehrt?‘
Don Pedro flog in ihre Arme, und er mußte
jest um Verzeihung bitten, daß jie ihm nicht
zürne. Aber ja auch nur feine grenzenloje Liebe
zu ihr hatte ihn jo verblendet — und jo elend
gemacht.
Aber jetzt war feine Zeit zu einer weiteren
Erklärung, denn die Beitellung mußte fort nad)
Paris, und faum zehn Minuten jpäter ja Cor:
nelia an ihrem kleinen Schreibtiih in ihrer
Stube, und Don Pedro ſtand hinter ihr, Glück
und Seligleit im Herzen, und — bdictirte ihr
die Aufgabe für jo und jo viel Seifen, Bürjten,
Schwämme, Odeurs und andere Barfümerien.
351
*
* *
An dem Tag herrſchte im Schloſſe Chapul—
tepec eine trübe, gedrückte Stimmung, denn vom
frühen Morgen an wurde fchon gepackt und
392
erpedirt, um das Gepäd der Kaijerin meilt auf
Maulthiere zu laden und mit Escorte an bie
Küfte zu jenden. Waren doch die Wege nad)
dem legten Regen noch jo grundlos, daß man
nicht wagen durfte, die Sachen auf Karren zu
befördern.
Der Kaiſer jelber blieb mit der Kaijerin
lange in jeinem Zimmer eingejchlofjen, denn
viel und Wichtiges war noch zu beſprechen, um
diejen entjcheidenden und, wie jid) Beide nicht
verhehlen Eonnten, aud legten Schritt völlig
vorbereitet und mit Bedadht zu thun. Maxi—
milian jelber war niedergejchlagen; er hatte
wenig Hoffnung und das Vertrauen auf den
Kailer Napoleon volljtändig verloren. Den uns
verjöhnlichen, herrſchſüchtigen Charakter des hohen
Klerus fannte er außerdem viel zu gut, um nicht
Alles zu befürdten, wo man eines Nachgebens
von ſeiner Seite bedurfte, denn nur dadurch
wurde eine VBerjtändigung mit dem Lande möglid).
Non possumus! Das war die Antwort biejer
Herren, bis fie wirflid mußten, dann fonnten
jie auch, aber nicht eher, denn aus freien Stüden
geben jie fein Titelchen ihrer Macht oder ihres
Einflujjes aus den Händen,
Am nächſten Morgen wollte die Kaijerin die
393
Hauptitadt verlafjen, und Mafjen von Equipagen
mit der hohen Ariftofratie Mericos fuhren vor,
um ji von der Fürſtin zu verabichieden — aber
ed wurde Niemand mehr angenommen. Das
Herriherpaar wollte die wenigen ihm noch ver-
gönnten Stunden auch allein und ungeſtört ver-
leben, und was dieſe Formen alle bebeuteten,
wußten fie außerdem gut genug.
Charlotte jelber aber befand ſich in einer ge-
hobenen, fait freudigen Stimmung, und ver-
trauensvoll blickte jie der Zukunft entgegen.
Sie jollte ja auch Handeln, wollte jelber bel-
fend eingreifen in das Geſchick des Reiches, und
mit dem Bewußtjein ihrer Stellung und Fähig—
feit, das übernommene jchwere Werk auch zu
Ende zu führen, jchwellte ihr Stolz und freudige
Zuverjicht die Bruft.
„In kurzer Seit hörft Du von mir, Mar,
jagte fie freundlich, als jie am Arm des Gatten
durch die offenen Gänge des Eleinen oberen Gar:
tens jchritt und dann an der Mauer, welche die
Ausjiht nad Oſten und über die Hauptjtadt und
die Bergfette eröffnete, jtehen blieb — „wir
hätten ven alten Almonte nie zu Napoleon jchiden
jolen. Er iſt ein braver, guter Mann und
meint e8 jicher ehrlih, aber Du kennſt ja die
Fr. Gerftäder, In Merico. III. 23
304
Mericaner, rüdfichtsvoll bis zum äußerſten und
überglüflih, wenn fie Etwas, das ihnen heute
unbequem ift, auf den nächſten Tag verjchieben
fönnen. Daß der ſchlaue Franzofe leicht mit
ihm fertig wurde, iſt natürlih, und außerdem
war ja doch auch Almonte nicht jo in die mit
Napoleon gepflogene Gorrejpondenz eingeweiht,
und durfte es nicht fein. Er Fannte nicht die
Mittel, die ihn allenfalls zwingen bürften,
jein uns gegebenes Wort zu halten, und mußte
in jeiner untergeordneten Stellung doc immer
nur ehrerbietig und vermittelnd auftreten. Da
jtehe ich dem Kaifer anders gegenüber, und in
meiner Gegenwart wagt er auc feine leeren
Ausflühte — darf fie nicht wagen, und wird
ih wahrlich hüten mir zu gejtehen, daß er einer
einfachen Drohung jener faum erjt von fchweren
Schlägen erjtandenen Republik gehorfam weiche.”
„Er wird Dih mit Verjprehungen, Zus
jiherungen abzufertigen ſuchen.“
„Aber nur mit folden, die er ſchriftlich
in meine Hände legt.‘
‚Und der Papſt?“ |
„Als wir ihn das legte Mal ſahen, fannten
wir die Verhältnijje, denen wir bier entgegen=
gingen, jelber nicht — fie waren uns wenigjtens
355
anders — falſch — geſchildert worden. Es iſt
nicht denkbar, daß er ſein Ohr vollkommen der
Wahrheit verſchließen, ja mehr noch, daß er
blind gegen die Gefahr ſein ſollte, der er das
Eigenthum und die Macht der Kirche hier aus—
ſetzte, wenn er unſere Regierung zur Abdankung
zwingt und den Republikanern dadurch nur
wieder die volle Macht in die Hände giebt.
Weiß er doch, was er von dieſen allein zu hof—
fen hat, während wir bereit ſind, Alles zu
thun was in unſeren Kräften ſteht. Nein, Max
— habe beſſeres Vertrauen. Wir waren un—
glücklich in der Wahl unſeres ausgeſandten Boten
und haben dadurch Zeit verſäumt, das iſt Alles
— Du ſollſt ſehen, wie ſich das Alles ändert,
wenn ihnen eine Kaiſerin gegenübertritt. —
Sieh! dort hinüber liegt meine Bahn,“ ſagte ſie,
als ſie mit erregter Stimme den Arm gegen die
im matten Sternenlicht weiß blinkenden Schnee—
rieſen ausſtreckte — „dort hinüber, und von
dort kommt Dir auch bald wieder freudige Kunde
von mir. Behalte die alten treuen Berge im
Auge — ſie ſollen die Grüße zwiſchen Dir und
mir vermitteln.“
„Du haſt guten Muth, Charlotte,“ ſagte der
Kaiſer, wehmüthig lächelnd, indem er ſie mit dem
23*
356
linfen Arm an ji z0g und einen Kuß auf ihre
Stirn preßte, „jo gehe denn mit Gott, und er
mag geben, daß Did Dein Vertrauen nicht
täufcht. — Aber die Nacht wird fühl — es muß
ſchon jpät fein — fieh, wie das fühliche Kreuz
jeine Stellung verändert hat, jeitdem wir bier
auf und ab gehen. Komm. mit hinein — id
muß außerdem noch einige Briefe für Did
ſchreiben.“
„Laß mich noch einige Augenblicke hier drau—
Ben, Max,“ bat die Kaiſerin, „meine Stirne
brennt und die kühle Luft thut mir wohl — ich
folge Dir bald —“
„Aber bleib nicht zu lange — Du darfſt nicht
krank auf Deiner Reiſe werden.“
Der Kaiſer wandte ſich den inneren Räumen
zu und Charlotte ſchritt indeſſen noch eine kurze
Weile im Garten auf und ab. Doch lange er—
trug ſie auch nicht den Zwang, den ſie ſich an—
gethan, um dem Gatten gegenüber heiter und zu—
verſichtlich zu erſcheinen. Auf einer der Bänke
ſank ſie in ſich ſelbſt zuſammen, barg das Ant:
litz in den Händen, und das faſt krampfhafte
Zucken des ſchlanken Körpers verrieth nur zu
deutlich, welcher furchtbare Schmerz in ihrer
Bruſt wühle und ſich die Bahn in's Freie ſuche.
357
— Aber lange dauerte das nicht — nur das
Berürfniß batte fie gefühlt, jich einmal, und
wenn auch nur auf Momente, auszuweinen —
jegt war das vorüber. Bon ihrem Sig fich er:
bebend, jchüttelte fie jtolz die Thränen aus den
Augen, als ob fie jich jelber einer ſolchen Schwäche
ſchäme, und folgte dann mit fejten Schritten
ihrem Gatten in das Schloß. Der Kampf hatte
begonnen, und jie war fejt gewillt Allem, was
jih ihr auch in den Weg ftellen follte, feſt und
königlich die Stirn zu bieten.
Dicht über der Stelle falt, wo fie gejellen
und geweint und wo fi die Mauer, nad bein
unteren Theil des Gartens zu, wieder höher hob,
regte fich oben in den Büſchen eine dunkle Ges
ftalt — laujchte noch eine Weile, und fprang
dann in den inneren Garten hinab. Aber nur
wenige Schritte eilte fie in dem jchmalen Weg
bin — dort lag etwas Helles — ein Handſchuh,
ben die Kaiferin verloren. Der Fremde, wer es
aud war, bob ihn vom Boden auf, preßte ihn
in wilder Xeidenfchaft an die Lippen, barg ihn
dann in feiner Brufttajche und flob, aus Furcht,
bier entdecft zu werden, wieder zu der Mauer
zurüd, die er erkletterte — noch einmal den
ſcheuen Blick zurüdwarf, ob er auch von Nies
358
mandem beobachter werde, und dann an einer
dort lehnenden Stange zu dem hier ziemlich jteil
auflaufenden Bergeshang niederglitt.
Dort erwartete ihn eine andere dunfle Ge-
jtalt, welche die Stange bielt, von dem Abenteuer
aber nicht bejonders erbaut jchien.
„Seid hr denn des hellen Teufels, Obriſt!“
rief er aus — „Ihr wart drüben im Garten,
wie?“
„Ja,“ antwortete der Kletterer eben ſo leiſe,
— „aber jetzt fort —“
„Und wenn ſie Euch da dort erwiſcht hätten
— Caracho — und nachher den Berg abgeſperrt.
Was in des Henkers Namen hattet Ihr denn da
drin zu thun? — das war reiner Wahnſinn!“
„Laß nur — komm Jablonsky,“ rief der
Andere wieder, „es iſt geglückt und Niemand hat
mich geſehen.“
„Und war die Kaiſerin noch dort?“
„Nein — ſchon in das Schloß zurückge—
gangen.“
„Und was in aller Welt hattet Ihr da drüben
zu thun?“
„Fort von hier — wir dürfen keine Zeit
mehr verſäumen. Was machen wir mit der
Stange?“
359
‚Verdamm das alte Schwere Ding, der Gärt—
ner mag ſehen, wie er die wieder findet und
zurüdbringt, wenn er jie jelber brauchen jollte.
Ich wollte aber, wir wären erjt wieder draußen;
der ganze Hof Ihwärmt heute von Menſchen,
und eine Escorte ijt auch ſchon da, um die Laſt—
thiere zu geleiten.“ |
„Wir gehen dur den unteren Park fort,‘
jagte der Andere wieder, und die beiden Männer
ſprangen jet, die Treppe nicht einhaltend, quer
über die Blumenanlagen nieder, den Gang hinab,
bis fie die mächtigen Eedern unten am Fuße des
Hügels erreihten und in deren Schatten dann
verſchwanden.
Und ſtill und ſchweigend ſtanden die rieſigen
Bäume da unten — in ihren mächtigen Wipfeln
flüſterte nur leiſe der Nachtwind, und die feuch—
ten Blätter blitzten und glitzerten im Sternen—
ſchein. So hatten ſie Jahrhunderte geſtanden
und Kaziken, Vice-Könige, Präſidenten und
Kaiſer unter ihren Zweigen dahinwandeln und
verſchwinden ſehen — und wieder ſchied eine
Kaiſerin auf Nimmerwiederkehren — ade, ade —
ihre Blätter rauſchten fort, kommenden Ge—
ſchlechtern entgegen.
12.
DBergunter.
Wenn es eine peinliche Zeit in der Gejchichte
des Kaiſerreichs giebt, jo find es die Monate
von Juli bis October des Jahres 1866. In
diefen concentrirte ſich alles Unheil, was über
den Kaijer hereinbrechen follte, in einzelnen, bald
Hleineren, bald größeren Schlägen, und es ge-
hörte wahrlich ein ftarfer Geift dazu, um, ohne
im Stand zu fein da felber einzugreifen, ihnen
ruhig die Stirn zu bieten und darunter aus:
zubalten.
Die Katjerin hatte fih unter der innigiten
Theilnahme des Publifums felbft in Vera-Cruz,
das jih bis dahin dem Kaiferreich gegenüber
ziemlich abwartend verhalten, nach Europa ein:
geihifft, und die Ungewißheit über ihre Sen:
361
dung kam noch dazu, die Lage quälend, ja zuleßt
faft unerträglich zu maden.
Vorher, ehe Napoleon mit fchroffer Hand den
Bertrag von Miramare einfach brach, berrjchte
Zuverfiht im Reich, daß ſich, troß allen ein
zelnen Unglüdsfällen, doch noch Alles günjtig
geftalten müſſe — Später, als alle Hoffnungen
zufammengebrodhen waren, ftand man wohl einem
Unheil, einer Gefahr entgegen — aber man jtand
ihr doch entgegen — fie war da und drohte nicht
nur immer in einzelnen Fleinen Zeichen und
ſchwärzer und jchwärzer aufjteigenden Wolken.
Gerade in jenen Monaten aber fam Alles
zujammen, was im Stande iſt jelbjt den Muth
eines Helden aufzureiben, denn Tropfen nad
Tropfen fiel auf den einen Punkt, Stern nad
Stern erlofh, und Marimilian zeigte da wahr:
lih mehr Mannesmuth und Ausdauer als jpäter,
wo er fi unbefümmert dem feindlichen Teuer
ausjegte und dem Tode Faltblütig in’s Auge
ſchaute.
Dieſer Rückzug der Franzoſen war Thatſache
geworden. Bazaine hatte ſich allerdings noch
einmal an die Spitze geſtellt, um angeblich den
Norden wieder von Juariſtiſchen Banden zu be—
freien, in Wirklichkeit aber nur um die Concen=
362
tration feiner Heeresmajjen zu überwachen und
überall bin, wo diejen Gefahr drohen Fünne,
gleich jelber Fräftig einzugreifen.
Das Verhältnig zwifhen dem Kaifer und
dem Marjchall war denn aud jchon, troß aller
böflichen Briefe, die fie noch wechlelten, ein jehr
geipanntes und unerquidliches geworden. Als
ber Marjchall die Hauptitadt verließ und jich
beim Kaiſer verabfchieden wollte, nahm ihn diejer
gar nicht mehr an, was natürlich den jtolzen
Teldherrn auf das Außerjte erbitterte.
Bon überall, aus allen nördlichen und ſüd—
lihen Provinzen trafen dabei die Nachrichten
ein, daß fich die Städte, wie jie von den ran:
zojen nad) und nad) geräumt wurden, augen=
blieklich für die Republif erklärten, denn ohne
weiteren Schuß wären jie auch ſonſt von den
nachrücdenden Liberalen einfach bejegt und aus:
geplündert worden. Die belgiſchen Truppen,
von dem franzöjiichen Obercommando jchon jeit
längerer Zeit auf das ſchlimmſte behandelt und
in einzelnen Kleinen Corps an die gefährlichiten
Stellen gefandt, wo fie aufgerieben werden m u $:
ten, und auch aufgerieben wurden, dabei mit
Löhnung und Lebensunterhalt gekürzt, fingen
an gegen dieje Behandlung zu rebelliren. Die
363
mericanijchen Truppen dagegen wurden von ge—
wiffenlofen Führern, die jet den Sieg auf der
andern Geite jahen, gleich bataillonsweije zu
den Fiberalen übergeführt und hatten jelber nicht
das Geringjte dagegen einzuwenden.
Am 15. Auguft war der Kaijer, dem jekt
nur daran lag, die Dinge bier einfach zu halten
bis er gewiſſe Nachrichten von Europa befam,
wieder von Quernavaca, wo er Furze Zeit ver:
weilt, zurücdgefehrt und im Palacio in der Stadt
abgeitiegen, als ihn jein Minijter Escudero um
ein Furzes Gehör bat, da er ihm etwas Wich—
tiges zu jagen habe. |
„Gewiß nichts Gutes, mein lieber Escudero,‘’
lachte der Kaifer, „darauf wollte ich wetten, jelbjt
wenn Ihr Gejicht nicht Schon Ahr Verräther
wäre. — Aber fommen Sie; was e8 auch jei,
ich bin es fchon gewohnt faſt an jedem Tag meine
Portion verjhluden zu müſſen, und die Frans
zojen tragen dazu, das weiß der Himmel, das
Meifte bei. — Das fag’ id) Ihnen aber,’ feßte
er mit finfter zufammengezogenen Brauen hinzu
— „wenn es mir die Herren zu bunt machen,
ſtecke ich meine Krone in die Tafche und laſſe
mich zum Präfidenten wählen. Ach weiß dann
wenigitens, daß ich meinem treuen freund Na:
364
poleon wie feinem biedern Marjchall einen diden
Strih durch die Rehnung mache.“
„Majejtät,‘ jagte Escudero ernjt — „es be=
trifft diesmal nicht die Franzoſen, jondern Leute,
auf die wir bis jeßt geglaubt haben ung feit
verlafien zu dürfen. Haben Sie das Manifelt
Santa Anna's gelejen ?'
Der Kaiſer lachte laut auf und rief aus:
„Den Himmel jei gedankt, wenn Sie nichts
Schlimmeres für mid haben — da — da ilt
es,“ rief er, indem er in die Tafche griff und
eine Drudichrift herausholte. „Hier haben Sie
feine denfwürdigen Worte, mit denen das alte
Chamäleon den Mantel nad dem Winde hängt,
bier: ‚Landsleute! Am denfwürdigen 2. De:
cember 1822 machte ich die Worte zu meinem
Motto: Nieder mit dem Kaijertbum, es lebe die.
Republik! und jetzt wiederhole ich mit Enthu:
fiasmus die nämlidhen Worte, aber von einem
fremden Boden aus, auf dem ich als Verbannter
lebe.’ Daß diejer Menſch feine Scham mehr
im Herzen bat, lieft man aus jedem Buchſtaben,
oder glaubt er, das mexicaniſche Volk habe ein
jo Schlechtes Gedächtniß, um fih nicht zu erin-
nern, daß er auch mehrere Male rief: „Nieder
mit der Republik!‘ und ſich jelber ſchon „Ho—
365
heit“ nennen ließ? Sit e8 denn möglich, daß
es ſolche verädtlihe Charaktere giebt, — und
glauben Sie wirklich, daß der Menjch noch eine
Zufunft in Merico bat? wonad ich Ihnen denn
- freilich gejtehen müßte, daß ich darauf verzidh-
ten möchte, über ein folches Volk zu regieren.”
„Mein, Majeſtät,“ fagte Escudero, „daß
Santa Anna noch eine Jufunft in Merico
bat, glaube ich nicht, aber troßdem doch noch
einen Fleinen Anhang, der in jofern nicht ohne
Einfluß ift, da er zu den Bejigenden gehört und
jih an die Kirche anschließt.‘
„Aha — jene ‚Heine aber mächtige Partei“,
die wir Schon aus Erfahrung Fennen — eine jaubere
Geſellſchaft gewöhnlich, die das Wort Patriotis-
muß ſtets im Munde führen, ohne nur einmal zu -
wijjen, was e8 bedeutet. Aber laſſen Sie die
Herren gewähren. Ich Fenne fogar eine ganze
Geſellſchaft derjelben Hier in der Stadt, die mir
Ihon lange denuncirt wurde, aber fie find voll:
ftändig ungefährlich, denn was fünnen fie be-
zweden — was wollen jie nur?‘
„Das, Majeftät, erwiederte Escudero, „muß
ich geftehen, weiß ich auch nicht und begreife es
nicht, wenn jie nicht noch Geheimeres im Hinter-
halte haben; aber daß jene Verſchwörung, von
366
der Majeſtät jhon, wie ich glaube, unterrichtet
find, wirflid in allernäcdjter Zeit, jogar am
morgenden Tage einen Ausbruch beabfichtigt, der
nichts Geringeres bezwedt als eine Regentſchaft
einzujegen und ſich indejjen der Perſon Eurer
Majejtät zu verfihern, ‚dafür bier dieſe Beweife,
die jogar zwei Herren aus Euer Majeftät näd:
ter Nähe compromittiren.‘
Der Kaiſer nahm jchweigend die Papiere,
aber er hielt die Unterlippe zwilchen die Zähne
gezwängt, und jein jonjt jo gutes Auge hatte
etwas Finfteres, fat Feindſeliges. War es doch
auch faſt zu viel für eine Menfchennatur, ſich
nur immer von Verrath umgeben zu wiflen, wo
er jelber noch dazu allen denen nur Liebes und
‚Gutes erzeigt, und fie jhon aus Dankbarkeit
an ſich gefettet glaubte.
Still und lautlos überjahb und prüfte er die
Papiere, und leije und langjam nidte er dazu
mit dem Kopfe, aber immer drohender wurde fein
Antlit. Endlich jagte er langjam:
„Wo ſind die Herren jeßt?‘
„In dieſem Augenblick, wie ich bejtimmt weiß,
in de la Parra's Haus zu einer legten Berathung
verjammelt.‘
„Dann laſſen Sie augenbliklih das Haus
367
umzingeln und jämmtliche Berräther binden und
in das Gefängniß werfen.‘
„Sie haben den Tod verdient.’
„Nein! — rief der Kaiſer rafh und faft
wie erfchredt — „kein Blut mehr — es iſt Blut
genug gefloſſen meinethalben. An der Schlacht,
ja, wenn es jein muß — aber fein Juſtizmord
mehr.“
„Und wollten ſie nicht unſagbares Elend wie—
der über die Hauptſtadt bringen? Das iſt die
Partei, Majeſtät, die damit prahlte, Sie gewählt
zu haben, und von dem erſten Moment an, wo
Sie nicht ihren trügeriſchen Rathſchlägen folgten,
Nichts gethan haben, als gegen Sie zu intri—
guiren.“
„Ich weiß es — ich weiß es,“ nickte der—
Kaiſer, „aber ich will kein Blut mehr. — Sie
ſollen verbannt werden. Sie ſollen nach Vera—
Cruz geſchickt und nach Yucatan transportirt
werden — nur kein Blut mehr.“
„Und wenn ſich Monjetor zwiſchen ihnen fin:
den ſollte?“
„Dann laffen Sie ihn mit den Anderen‘ —
rief der Kaiſer in erjter Aufwallung, aber er
unterbrach ſich raſch — „nein,“ jagte er ruhiger
— „es gebt nit. Die Kaiſerin iſt jeßt jelber
368
auf ihrem Weg nah Rom — ick will nit bier
ihrer Friedensmiſſion entgegenwirfen. Der Pfaffe
mag laufen», Der Klerus überſchätzt außerdem
bie Macht, die er im Lande zu haben glaubt,
oder das Volk würde nicht zu jeinen Ärgjten Fein
den, den Liberalen, in jolden Mafjen überlaufen.
Was die Menjchen wollen, begreife ich auch nicht,
denn jo weit ich e8 überjehen kann, haben jte
Niemanden, als diejen alten Blutfauger Santa
Anna, auf den fie ſich möglicherweije jtüßen
fönnten. Doc wie dem auch ſei, lieber Escu—
dero — verjäumen Sie feinen Moment Zeit, um
das Fojtbare Neſt auszunehmen, und — jtatten
Sie mir nachher Bericht ab. Ach werde Sie jpä-
ter bier wieder erwarten.‘
*
* *
Escudero, früher der liberalen Partei ange—
hörig, jetzt aber dem Kaiſereich, dem er ſchon
wichtige und wirklich treue Dienſte geleiſtet, warm
ergeben, ſäumte nicht den Befehl gegen die Häup—
ter der conſervativen und klerikalen Partei aus—
zuführen, hatte er doch ſchon in der That vor—
her alle Vorbereitungen dazu getroffen und de
la Parra's Haus ſcharf und genau bewachen
laſſen.
369
Die Ueberrafhung gelang auch volljtändig;
nit allein die Treppen, jondern audy die Azo—
tea der nächſten Häuſer waren bejeßt, ehe die
Verſchwörer nur eine Ahnung der Gefahr hatten,
in der fie fich befanden. |
In dem Augenblid, wo die Polizei das Haus
betrat, wollte e8 der Erzbijchof verlaffen und
erſchrak jichtlih, als er die bewaffnete Schaar
erblickte. Er drehte auch augenblidlidy wieder
um, aber Einer der Leute, der dahin ſchon jeine
Vollmacht hatte, trat ihm in den Weg und jagte
jehr artig und vollfommen bejtimmt:
„Monjeior, wir haben Auftrag, Jeden zu
verhaften, den wir da oben finden. Um Ahnen
Unannehmlichfeiten zu erjparen, möchte ich Sie
erſuchen, jeßt gerade nicht wieder zurüdzugehen.”'
„Und würden Sie mich hindern?" ſagte der
Erzbiſchof Scharf und ftolz.
„Allerdings, Monſeñor,“ erwiederte der Offi-
cier, „ſchon Ihres eigenen Beiten wegen. Nüßen
fönnen Sie den Herren da oben doch Nichts
mehr.‘
„Und auf weſſen Befehl geſchieht das?“
„Auf Seiner Majejtät Befehl und Anklage
wegen Hochverraths.“
Der Erzbiſchof erbleichte, aber er erwiederte
Fr. Gerjtäder, In Merico. IIL 24
370
fein Wort mehr, drehte ji) ab und fchritt die
Straße hinab.
Indeſſen hatte die Dienerjchaft oben ſchon
zitternd Bericht erftattet, daß das Haus be-
jet und alle Ausgänge verjperrt wären, und
die Verihworenen fprangen entjeßt von ihren
Stühlen auf. Nur de la Parra behielt feine
volle Ruhe.
„Was wollen Sie, Señores,“ ſagte er lä-
helnd — „Sie find meine Gäſte; mehr Wein
und Gläſer herein, muchacho; wollen die Herren
ein Glas mit uns leeren, jo jollen fie uns will-
fommen fein,‘ — aber jeine Ruhe jollte ihm
diesmal Nichts nüßen.
Im nächſten Augenblick wurde die Thür auf-
geftopen und ber junge Officier trat, von etwa
zwanzig Bewaffneten gefolgt, in den Saal,
Ohne jih bier aber nur mit irgend einer
Frage oder Antwort aufzuhalten, rief er, unfern
. der Thür ftehen bleibend:
„Im Namen des Kaijers verhafte ih Gie
Alle wegen Hocverraths. Der Erite, der fi
widerjeßt, wird niedergeſchoſſen. Sie find meine
Gefangenen.‘
„Caramba, Señor,“ rief de la Parra las
hend aus — „Sie müflen aus PVerfehen in
371
ein faljches Haus gerathen fein. Hier wohne
id) — General de la Parra, und diefe Herren —“
„Sind jest, wie Sie felber, meine Gefan-
genen. Vorwärts, Compañeros, bindet den Herren
die Hände auf den Rüden und ſechs bleiben im
Anſchlag. Es iſt bitterer Ernſt, Señores.“
Ein Tumult entſtand jetzt — Ordonoz als
Prieſter trat den Soldaten entgegen, aber im Nu
hatten ſie ihn gefaßt und gebunden, und mit
allen Thüren beſetzt, ſelber waffenlos und der
Uebermacht gegenüber, hätte Widerſtand ihre Lage
nur verſchlimmern können. In wenigen Minuten
waren ſie ſicher verwahrt, und eben ſollten ſie
hinab escortirt werden, als die Damen vom Haufe
in Todesangjt herbeiftürzten und durch ihr Ge—
Ichrei jih das auf der Straße ſchon zujammen=
laufende Volk noch mehr da ſammelte.
Die Gensdarmerie ließ es aber gar nicht
heran, und nur ein Qrompetenfignal, das vor
dem Haus gegeben wurde, rief Hilfe herbei,
falls die Volksmaſſe es verſuchen follte die Ge—
fangenen zu befreien. Aber man hatte jidy in
dem Charakter des gefürdteten Aufruhrs voll:
fommen geirrt, denn auf der Straße jeßte ſich
von Mund zu Mund der Schrei fort, man habe
ben Kaijer ermorden wollen — das jeien die
24*
312
Mörder, und die Wuth der Indianer wäre ben
Gefangenen bald verberblid geworben. Trotz—
dem gelang e8 der Gensdarmerie, fie ficher in
das Gefängniß abzuliefern, und wenige Tage
ſpäter wurden fie, diesmal in rajcher Gerichts—
pflege, nach Vera-Cruz hinab escortirt und von
bort auch wirklih, troß aller Bittfchriften um
Gnade, mit denen man jebt den Kaijer über:
Ihüttete, nah ihrem Beitimmungsort Yucatan
abgeführt.
Der Kaijer war hart geworden, er fing an
einzujehen, daß er diejem Volke gegenüber
mit Milde nicht länger regieren Tonnte, und
doch auch wieder hielt ihn die Ungewißheit, im
der er noch immer über ben Erfolg der Kaijerin
Ihwebte, von weiteren entjcheidenden Schritten
zurüd. Er ſchwankte in feinen Entjhlüfjen und
wurde mißtrauifch gegen feine ganze Umgebung,
ja zuleßt jelbjt gegen fein Minijterium, das ihm
eben Alles verjprodhen und Nichts gehalten —
als ob ein anderes Minifterium, aus anderen
Elementen zufammengejeßt — fo lange e8 eben
Mericaner blieben — anders gehandelt hätte. Es
lag einmal in dem Blut diefer Menjchenrace,
und fo guten Willen fie auch manchmal zeigen
373
mögen, ein ſolcher Charakter läßt fich eben nicht
jo raſch Ändern und ijt nicht abzufchütteln.
Und troßdem verjuchte er eine Aenderung
herbeizuführen, denn mit den Liberalen, die ihm
überall feindlich entgegentraten, glaubte er nicht
länger regieren zu können.
Er nahm jegt für Juſtiz und Finanzen zwei
höhere franzdfiihe Beamte in fein Cabinet und
Ihien auch mit dieſen energiſch vorgehen zu
wollen, Aber auch hier kreuzte Amerifa und,
von dieſem eingejchüchtert, der wortbrüchige Na—
poleon feine Pläne. Die Franzofen wurden
nicht bejtätigt, und eine furze Zeit ſchwankte der
Kaifer zwijchen beiden Parteien, bis endlich der
indeß zurüdgefehrte Padre Filcher, der in Rom
natürlich gar nichts ausgerichtet und wohl auch
faum je dazu die Abjicht gehabt hatte, den Aus—
ſchlag gab.
Wunderbarerweile fette der Kaijer in dies
fen Menjchen, in jener Zeit wenigftens, ein uns
bejchränftes Vertrauen, und unter feinem Ein=
fluß wurde jett Teodoſio Lares, der ganz dem
Klerus ergebene Bräfident des oberjten Gerichts—
bofes, mit der Bildung eines neuen Miniftes
riums betraut, wobei es fidy von ſelbſt verftand,
a 374
daß er nur feine eigenen Gejinnungsgenofjen
dort hinein nahm.
Marimilian ſelber leugnete allerdings, daß
es ein vollftändiger Syſtemwechſel jei, den er
damit beabfidhtige, und ſprach auch wohl darin
die Wahrheit — e8 ſollte vielleicht nur ein Ver—
ſuch jein, ein Schwanten zwiſchen den beiden
Elementen, mit einem Wort ein Hinauszögern
der Katajtrophe, bis bejtimmte Nachricht von
Europa eintreffen Eonnte.
Dabei jcheint den Kaifer auch befonders ber
Wunſch, ja die Sehnſucht geleitet zu haben, das
franzöfiihe Heer, das jet unthätig dalag und
dem Land nur eine Lajt war, endlich los zu
werben und, troß Frankreich, Merico mit Mexi—
canern weiter zu regieren. in Kabeltelegramm
über Amerifa hatte ſchon Gerüchte gebracht, daß
der Kaijerin Miſſion in Franfreich jelber als
gejcheitert betrachtet werden könne — jeßt war
Marimilian’s einzige Hoffnung eine Ausſöhnung
mit dem Papſt, auf die er, nach Padre Fiſcher's
Berichten, feſt rechnete, und Klerus wie Conſer—
vative jäumten denn auch nicht, ihm mit Ver—
Iprehungen reichlich Troft einzufprehen — mexi—
caniſche Verjprechungen !
Sp nahte der 16. September heran — das
375
dritte Mal, daß ihn der Kaiſer als das Unab-
bängigfeitsfejt der Mericaner feierte. Sonder:
barerweije aber hatte fih in der Hauptitabt
felber das eigenthümliche Gerücht verbreitet, der
Kaifer werde dieſen Tag und dieſe Gelegenheit
ergreifen, um jeine Krone niederzulegen und dem
Lande feine wirklihe Unabhängigkeit — d. h.
jeine gewöhnliche Anarchie zurüdzugeben.
Daß die Kaijerin in Paris ihren Zweck nicht
erreicht, ja jogar eine ſtürmiſche Zuſammenkunft
mit Louis Napoleon gehabt habe, wußte man
Ihon aus franzöfifchen Zeitungen, und der Papſt?
— was Fonnte der Papſt ihr helfen, wo die Li—
beralen, die jih nodh nie um den Klerus ge=
fümmert, jegt mit jedem Tage an Macht wuch—
jen und die eigentlichen Gentraljtaaten Mericos
enger und euger einjchlojjen.
Die ganzen nörblihen Provinzen befanden
ih wieder in ihren Händen, und Juarez war
zum vierten Mal nah Chihuahua zurüdgefehrt.
Im Süden ſtand Borfeirio Diaz wieder mit einer
jtarfen Armee, die von Woche zu Mode, von
Tag zu Tag wuchs. Im Welten hatten die Dil:
jidenten ſämmtliche Hafenftädte bejeßt, und ſelbſt
in dem Nachbarſtaat rüjftete ſich Alvarez, um bie
Republikaner zu unterjftüßen. — Und welde
376
Macht hatte er felber ihnen entgegen zu ftellen?
Seine waderen öſterreichiſchen Hufaren, ja und
vielleicht die belgifchen Truppen, aber auf alles
Andere durfte er jich nicht verlafjen, denn felbit
bie in Cazadores-Bataillone eingereihten Meri:
caner zeigten ſich unzuverläfjig, und ſogar oft
gefährlich ihrer Dejertionen wegen. War es ba
denkbar, daß der Kaifer, nur von feinem ritter-
lichen Geijt getrieben, trog Allem und Allem aus:
halten würde auf feinem Poſten? Die Mexi—
caner konnten ſich das nicht. denfen, denn jie
begriffen ein jolches Gefühl nicht einmal, waren
alfo aud, gar nicht im Stande, es in dem Her—
zen eines Andern vorauszujeßen.
In dem eigentlichen gefnechteten Volksſtamme
Mericos, den Indianern, erwachte aber mit der
Furcht vor dem Verluſt des einzigen Mannes,
der je Theil an ihnen genommen, aud) die Liebe
zu ihm. Rührend waren die Zeichen von Ans
bänglichfeit und Vertrauen, die fie ihm ſchon
an jeinem legten Geburtstag gegeben und jebt
wieder erneuten. Blumenjpenden brachten jie
ihm, und ihre Oberhäupter hielten Anreden an
den Herrjcher, in denen fie ihm fagten, wie er
ihre alleinige Stüße jei, und ihn baten, bei ihnen
auszubarren.
377
Möglich, daß diefe Beweife einfachen Ber:
trauens den ſchon ſchwankenden Monarden bes
wogen, dem Schicfjal trotzig die Stirn zu bieten,
Kehrte er jeßt nah Europa zurüd, was erwar—
tete ihn dort? Das Bewußtſein eines verfehl-
ten Xebens, zertrümmerte Hoffnungen und ber
Spott ber Menge, die nicht beurtheilen Fonnte
oder wollte, wie wader er bier gekämpft. —
Mögli auch, daß der Klerus noch außerdem
Alles aufbot, ihn gerade in dieſem Augenblid
zum Ausharren zu bewegen, denn bie Kirche
hatte Niemanden, um ihn gerade jeßt zu ers
jeßen, und die Macht ber Liberalen wuchs er—
ſchreckend an.
Der Kaiſer blieb und ſprach im großen, dicht
von Menſchen gedrängten Iturbide-Saal des
kaiſerlichen Palaſtes jene denkwürdigen, aber für
ihn verhängnißvollen Worte:
„Noch ſtehe ich feſt auf dem Platze, auf wel—
chen der Wille der Nation mich berufen, ungeach—
tet aller Schwierigkeiten, ohne in meinen Pflich—
ten zu ſchwanken, denn ein rechter Habs—
burger verläßt ſeinen Poſten nicht im
Momente der Gefahr.“
„Behalt es wohl — wir werden's nicht ver—
378
geffen, jagt der Mephiſto im Fauſt und — bie
Geijtlichkeit ſtand dabei und hörte es.
Bon jet an z0g fi der Kaiſer nad) Cuer—
navaca zurüd, und wenn er audy verjprochen hatte
auf feinem Poſten auszuharren, jo deutete doch
ſchon der ganze Charakter der Rede an, für wie
verzweifelt und hoffnungslos er felber die Lage
hielt. Er war fid) auch von diejer Zeit an wohl
far bewußt, daß er nicht lange mehr Kaifer
von Merico bleiben werde, aber auch eben fo
fejt entichloffen, nicht lebend der Gewalt oder
dem feigen Drängen des franzöſiſchen Kaijers zu
weichen. In ehrenvoller Weije wollte er das
Land verlajjen, und deshalb tauchte wieder die
dee eines allgemeinen Congrejjes — einer
wirfliden Abjtimmung in ihm auf.
Bon allen Provinzen jollte das mericanifche
Volk frei und ungehindert feine Vertreter ſen—
den — im offenen Congreß jollten dieſe erklären,
welche Regierungsform und wen zum Oberhaupt
fie verlangten, und dann fonnte er mit gutem Ge:
wiſſen, und frei das Haupt erhoben, einer Krone
entjagen, die für ihn bis jegt nur Dornen, aber
feine Rojen getragen.
Die Idee eines ſolchen Congreſſes war jo
Ihön als edel gedacht, und kam allein aus ſei—
379
nem eigenen Herzen, aber fie jcheiterte an zwei
unüberwindliden Schwierigfeiten, oder wurbe
vielmehr vor der Hand hinausgejchoben.
Die erjte war die nämliche, welche nicht ein=
mal eine Eroberung, viel: weniger denn Be—
jeßung und Erhaltung des ganzen Reiches ge—
jtattet hatte: die ungeheure Ausdehnung dejjelben,
wozu jet noch die volljtändige Unficherheit
ſämmtlicher Straßen im Innern fam, wie daß
fie außerdem noch in der Regenzeit unpafjirbar
wurden. Die zweite der Widerſtand, den ber
Gedanke felbft bei feinem jetigen Minifterium
und der Partei fand, welcher dafjelbe angehörte.
Jetzt hielten jie, wie fie glaubten, das Heft in
Händen und wollten fi dafjelbe nicht durch
eine Abjtimmung, wenn folche-jelbjt möglich ge=
wejen wäre, entreißen laſſen. Was galt ihnen
der Kaiſer — die Perſon? — Nichts — ihre
Sache aber Alles, Mocte das Land darüber
zu Grunde gehen, wenn fie fih nur ihre Vor:
rechte fiherten. Die „kleine“ Partei war wie-
ber einmal mächtig geworben und ber Kaifer
in ihren Händen — mehr verlangten fie nicht,
und jie wären die Letzten geweſen, auch nur ein
Jota freiwillig davon abzutreten.
Der Kaifer, der, wohin er griff, auf Nichts
380
als Schwierigfeiten ſtieß, ermübdete zulett. Seine
Minifter wie der Klerus wiegten ihn derart mit
Berjprehungen ein, daß er, wenn er nicht ſel—
ber daran glaubte, doch wenigitens beſchloß, der
Sache vor der Hand ihren Lauf zu laffen. End—
ih mußte ja doch auch bejtimmte Nachricht
von der Kaijerin fommen.
Zu dem Minifterium wurde unter dem Prä—
jidenten Lacunza und ganz nad Vorſchlag des
Padre Filcher, der ſich dem Kaiſer bald unent=
behrlih zu mahen wußte, ein neuer Staats—
rath aus rein confervativen Elementen ernannt,
und der Kaiſer erfreute fich indefjen wenigſtens
feines Sommeraufenthalts in Euernavaca, aus
dem er aber auch in trüber Weife aufgerüttelt
werden jollte.
Eine neue Verſchwörung war entdedt wor—
den, bejtimmt, ihn auf dem Weg von Euernavaca
aufzuheben. — Zu weldhem Zweck? Kein Menſch
wußte e8, und der Präfect von Tlalpam, General
D’Horan, der fie entdeckt Haben wollte, gebrauchte
die Vorjiht, ſämmtliche „Mortimers“ gleich
hängen zu lafjen, jo daß eine weitere Unterſu—
hung unmöglich wurde.
Aber den Kaiſer litt e8 auch nicht mehr in
Euernavaca, wo er fih außerdem noch jo viel
weiter außer dem Bereihh eines jet täglich
erwarteten Courier befand. Er kehrte nad
Chapultepec zurüd, wurde aber hier bald von
einem heftigen Wechfelfieber erfaßt, das fein Arzt,
der erjt Fürzlich bei ihm eingetretene Doctor
Baſch, der ungejunden Lage des von Sümpfen
umgebenen Chapultepec zujchrieb. Er drang in
den Kaiſer, feine Rejidenz nad der Hauptitabt
jelber zu verlegen, wo er ſich jedenfalls in ge:
fünderer Luft befand.
In den eriten Tagen des Monats October
fiedelte der Kaifer in den Palacio von Merico
über, und erhielt bier bald die Nachricht, daß
mit dem am 10. eintreffenden Poſtdampfer Ge—
neral Caſtelnau, Perſonaladjutant des Kaijers
Napoleon, mit für ihn jedenfalls wichtiger Bot—
Ihaft anfommen werde.
Am 14. hätte der Herr mit ber gewöhn:
lihen Diligence in Merico fein fünnen — aber
er fam nicht — Tag nady Tag verging und er
lieg Nichts von fih hören. Gutes verfündete
das feineswegs, und ſchon diefe Rüdjichtslofig-
feit des Abgefandten übte auf die Gemüths-
ſtimmung des Kaifers einen höchſt nacdhtheiligen
Einfluß aus.
381
382 |
Doctor Baſch ſchildert diefe Tage in feinem
Bud mit den wenigen, aber treffenden Worten -
„Die, wenn aud nicht bedeutende Erfranfung
des Kaijers, die wirren politiihen Zuſtände, die
Geldverlegenheit, die Zögerung Gajtelnau’s, die
Unzufriedenheit mit dem conjervativen Mini—
ſterium, deſſen Repräfentanten ihm nie recht be-
bagen wollten, erzeugten in dieſen Tagen im
Kaijer eine tiefe geijtige Verftimmung und Ab—
ſpannung.“ — Und dod war das Alles nur das
Borjpiel zur Kataſtrophe.
Bergunter ! der Stein rollte.e Der arme
Kaijer ſtand allein, verratben faſt von allen
Seiten, auf die er ſich vertrauend wendete, und
die wenigen Menſchen, die es wirklich treu und |
ehrlicy mit ihm meinten, bejaßen feinen Einfluß
und fonnten ihm nicht helfen — und ihr Rath? |
Padre Fiſcher war der Geheimjecretär des Kai— |
ſers und lenkte jett das lede Staatsjchiff mit
fundiger und ruhiger Hand — dem Abgrund |
entgegen!
Ende des dritten Bandes.
Druck von G. Fig in Naumburg eg,
In Merice
Vierter Band.
— ——— —
Digitized hy GC
n Mexico
— — —
Ein Charakterbild
von
Sriedrid Gerſtäcker.
Zweite Auflage.
Vierter Band.
(Erſter Theil.)
dena,
Hermann Goftenoble.
1877,
is
ar
Inhaltsverzeidhniß.
Erfter Theil.
. Der Wendepunkt
. In Orizaba
. Der Abzug ber Franzoſen
.Nach Duerdtaro .
. In Duerdtaro
. Während der Belagerung
. Der Berrath .
Zweiter Theil,
. General Marquez
Fluchtverſuche
. Die Berräther :
. Das Ende eines braven Mannes
. Die Republikaner
. Schluß .
ee Zn
1.
Der Wendepunkt.
Am 18. October früh war Minijterrath im
Schloß geweſen und zum Mittag jeit längerer
Zeit wieder zum erſten Mal eine größere Gejell-
Ihaft zum Diner geladen worden, bei dem fich
der Kaiſer heiterer als gewöhnlich zeigte.
Die Gäſte gehörten faſt ausſchließlich der
conjervativen Partei an, und Marimilian ſprach
jih befonders befriedigt darüber aus, daß er
Nachricht erhalten habe, wie die Kaijerin in
nächſter Zeit zurückkehren würde. Er äußerte
babei auch ziemlich entichieden, daß er feine frü—
here Idee: einen National-Congreß, noch feines:
wegs aufgegeben habe, jondern nur die Ankunft
ber Kaiſerin erwarten wolle, um mit ihr ben
wichtigen und enticheidenden E dhritt zu a
Fr. Gerftäder, In Merico. IV,
2
Seine Minijter wollten allerdings Nichts davon
willen, aber e8 müjje doh am Ende gehen, wenn
man nur ernjtlich wolle, und die Herren im
inneren Land bürften fi) auch nicht weigern,
eine vielleicht lange und unbequeme Reiſe zu
machen, wenn man dadurch dem endlojen Blut:
vergießen im ganzen Reich ein gebieterijches Halt
zurufen könne.
Der Kaijer jchien ungewöhnlich lebhaft und
geiprädhig und hob auch die Tafel etwas fpäter
als jonft auf, wonad er ſich dann wieder in
jein Arbeitszimmer zurüdzog, um vielleicht nod)
eingelaufene Geſchäfte zu erledigen.
Die Gäſte, unter denen ſich auch aus der
wieder zu Gnaben aufgenommenen Partei ein
paar alte Bekannte von uns, Yucido, Roneiro
und Bajtiani befanden, jchlenderten langjam
über die Plaza ihren eigenen Wohnungen zu,
bis die Lebteren, Lucido's Haus pafjirend, von
dieſem eingeladen wurden, noch ein wenig zu
ihm beraufzulommen und den Abend vielleicht
dei einer Partie zu verbringen.
„Was fangen wir ſonſt an, Señores,“ fagte
Zucido, „die Zeiten gehen jeßt ihren ruhigen
Gang, und Ändern fönnen wir dod Nichts in
ihrem Lauf — vamonos; der Abend vergeht
a WET oe
® % 5
damit, und wer weiß, was der folgende Tag ung
wieder bringt.‘
„Der Kaijer war heute vortrefflicher Laune,“
bemerfte Roneiro, als fie, der Einladung fol-
gend, die Treppe hinaufjtiegen und oben auf
dem mit Blumen und Ziergewächſen bededten,
ven Hof umlaufenden Corridor hinjchritten —
„er Iheint gute Nachrichten erhalten zu haben.“
„Es kamen gerade noch ein paar Depejchen,
als wir fortgingen,‘ bemerkte Bajtiani — „und
der Henfer traue den Dingern; man weiß nie,
was darin ſteckt.“
„Belonders gut können fie Faum fein,‘ be:
merkte Lucido, ‚das Ganze iſt doh nur eine
Salgenfrift, und ich möchte wohl willen, was
unjere höhere Geiftlichfeit eigentlih im Werke
hat. Sie entwicelt jebt eine ganz merfwürdige
Thätigfeit und hat eigentlich die Hände in allen
Geſchäften. Nächſtens werden wir wohl, was
mich aud gar nicht wundern jollte, den Wider:
vuf des ‚Faijerlich kirchlichen Decrets, wie der
ſämmtlichen leyes de reforma zu lejen befommen.
Apropos, Roneiro, wie ift es denn mit Deinem
Haus? Haben Did) die dort umgebenden Ge:
Ipenjter in Ruhe gelaſſen?“
„Ich gäbe was darum,‘ jagte Roneiro, „wenn
1*
3
enge
*
* me. $
4
ih berausbefommen Fönnte, wer mir damals den
Streich gejpielt, denn daß es ein ſolcher geweien,
unterliegt feinem Zweifel — aber es war ge:
ihift gemadt und meine Damen im Haus
ihienen rein des Teufels. Sch hätte jie Feine
Nacht mehr unter dem Dache halten können.“
„Und wie ift es mit Deinem Beſitzthum —
bat es die Kirche wieder?“
‚„Caramba, Lucido, wie die Dinge jest lau:
. fen,‘ jagte Roneiro, fich hinter dem Ohr Fragen,
‚0 jollte es mid gar nicht wundern, wenn fie
e8 wieder bekäme, denn ber Klerus jegelt jeht
vor dem Winde, mit aller Leinwand gejeßt; aber
„abwarten‘ iſt mein Motto, und ich bin nidt
leichtjinnig genug gewejen, voreilige Verſprechen
zu geben.‘
„Halt aber doch ein anderes Quartier ge:
nommen ?'
„Weil ich mußte — das alte aber deshalb
nod nicht aufgegeben. Padre Miranda hat es
mir allerdings jchon ein paar Mal abgeforbert,
und verlangt, ich jolle es, um nur mein Gewiſſen
frei zu befonmen, auf feinen Namen perjönlid
überjchreiben lafjen, aber ih — traue dem from:
men Manne nicht recht und habe jo meinen
eigenen Verdacht. Nun — veremos: die Sad
5
hat jedenfalls noch Zeit, und wir werden ja
ſchon in der nächſten Zeit erfahren, wie ſich
Alles geſtaltet.“
„Mir thut der Kaiſer leid,“ ſagte Baſtiani,
indem er ſich auf einen Stuhl an dem nächſten
Fenſter warf — „Caramba, er hat ſich die ganze
Zeit über wie ein Ehrenmann benommen, und
wir müſſen uns jchämen, wenn wir jehen, wie
fih ihm gegenüber einzelne Mericaner und nod)
dazu ſolche betragen, die Anjpruch darauf machen
die höchiten Stellen im Staat einzunehmen.‘
‚Meinen Sie Juarez?“
„Juarez weniger, obgleich der auch wohl fein
Mittel jcheuen würde um jeinen eigentlichen
Zweck zu erreichen, aber dieſer Lump, biefer
Gonzales Ortega, der Sonora und California
baja mit Vergnügen verjhadern will, nur um
die Bereinigten Staaten auf jeiner Seite und
gegen Juarez zu haben. Pfui über den Burfchen,
und der Kaijer hat doch die Franzoſen ganz ruhig
abfahren laſſen, als fie jih nur Sonora aus—
bedingen wollten.‘‘
‚Und dann Santa Anna,’ lachte Roneiro’
„die Klerifalen müflen ihm dod Hoffnung ge—
macht haben, oder er hätte nie die Unverjchämt-
beit gehabt, wieder auf jo plumpe und alberne
vypagnzsı —
6
Weiſe aufzutreten — und das find Alles Mexi—
caner. Es iſt wahrhaftig eine Schande — Ba:
ſtiani hat Recht.‘
„Wie wird es aber mit der Anleihe, die er
erheben will?‘ meinte Lucido; ‚er braucht viel
Geld in der nächſten Zeit, und wir follen es da
natürlich jchaffen, wie ihm ſein Minijterium
verſprochen hat.‘
„Dann mag aud) fein Minifterium jehen,
wo es die Gapitalien berbefommt,‘ jagte Ro-
neiro troden. „Jetzt, wo wir bedroht werden
der Kirche ihr ſämmtliches Eigenthum zurüd zu
geben, jollen wir uns auch wohl noch von dem
Legten entblößen, was uns geblieben iſt? Ich
für meine Perſon kann mich auf etwas Derarti:
ges gar nicht einlafjen.‘
„Und womit joll er regieren?’ meinte Ba:
Itiani.
„Quien sabe,“ erwiederte Noneiro. „IH
babe außerdem Nicht? damit zu thun und Fein
Intereſſe dabei, denn die Liberalen ſichern und
wenigitens die Güter der Todten Hand.’
„Confisciren aber ſonſt Alles, was fie von
uns draußen finden.‘
„Wenn wir ung ftart compromittiren, ja.
Ich für meinen Theil habe aber bis jegt geſucht
und
7
jo wenig Lärm als möglich zu maden, und
denfe mich auch ferner auf der fihern Seite zu
halten.‘
„Bitte, nehmen Sie Plag, Baſtiani,“ fagte
Lucido, — „compadre, jeße Dich hierher — wir
Eönnen unfer Spiel beginnen.‘
„Apropos, Lucido,“ rief Baftiani, indem er
den bezeichneten Plaß einnahbm — „haben Sie
denn lange Nichts von Mauricio gehört? Der
it ja rein wie verſchwunden.“
„Kein Wort,” jagte Yucido jeufzend — „der
Junge macht mir viele Sorgen, und muß den
einen dummen Streich jchwer büßen. Wenn
ihm nur fein Unglüdf widerfahren ift. — Was
giebt’8, muchacho?“ — Die Frage galt einem
der Diener, der heraufgefommen und in ber
Thür jtehen geblieben war. „Was haft Du?’
„Señor, da unten ijt ein Mann,‘ jagte der
Indianer, „der Sie zu ſprechen verlangt.‘
„Ein Mann? was für ein Mann?’
„Quien sabe,“ jagte der Indianer — „ſieht
ein bischen abgerifjen aus — Lepero no mas.”
„Dann jol er morgen wieder fommen —
heute habe ich feine Zeit.‘
Der Diener verfhwand und die Herren zogen
ihre Karten, um bie verfchiedenen Pläße zu beſtim—
8
men, als der Burſche zurückkam und wieder mel—
dete, der „Fremde“ ließe ſich nicht abweiſen —
er müſſe den Herrn nothwendig und gleich
ſprechen. Er wolle auch Nichts haben, ſondern
brächte ihm eine wichtige Nachricht.
Eine wichtige Nachricht? Jedenfalls konnte
man ihn hören, und Roneiro rief ſelber: „So
laß ihn doch nur heraufkommen! Die paar
Minuten können wir ja noch warten.“
Wenige Minuten ſpäter trat ein brauner
Burſche, jedenfalls ein Sambo, denn er war
bunfler als jelbjt die Indianer, in den eleganten
Calon, in den er eigentlicy nicht recht hinein zu
pajjen oder fich behaglich darin zu fühlen fchien.
Mißtrauiſch glitten auch jeine Blicke über die
beiden anwejenden Herren bin — aber nur für
einen Moment — dann hafteten feine Augen auf
dem Diener, und Lucido merkte bald, daß er ben
entfernt wünjchte.
„Es iſt gut, muchacho,” jagte er zu dem Bur:
jhen, „warte draußen an ber Treppe, bis id
Di wieder rufe. — Und nun, amigo, was
ſoll's — id) habe nicht lange Zeit und dies hier
find Freunde, vor denen Du reden Fannjt. Ober
ift es ein Geheimnif, dag mid allein betrifft?”
„Senior Roneiro und Bajtiani,‘ fagte ber
*
Sambo, „werben, denk’ ich wohl, dabei bleiben
koͤnnen.“
„Caramba! und woher kennſt Du uns, mein
Burſche?“
„Werde ich Sie nicht kennen, während ich
faſt im Stande bin, jedes Kind in Mexico beim
Namen zu nennen,“ lachte der Sambo; „aber
die Sache betrifft Ihren Sohn, Señor Lucido,
von dem ich Ihnen Grüße bringe!”
„Mauricio? — er lebt?" rief Lucido raſch
und erfreut.
„Sr lebt?” grinjte der Sambo — „gewiß
lebt er und befindet ſich vortrefflih und gerade
auf dem Weg nad) der Hauptſtadt.“
„Um der Jungfrau willen,” rief Señor Lu—
cido erſchreckt — „er darf die Stadt nicht betre=
ten, oder er ift verloren.‘
„Hahaha,“ lachte der Burſche — ‚er fommt
langjam aber ficher, und wenn er bier eintrifft,
thut ihm feine Seele was.”
„Wie meinft Du das?
Beil er in Juarez’ Hauptquartier jtedt und
jetzt deſſen Geheimſecretär geworben iſt,“ lachte
der Sambo.
„Bei Juarez? und wo ſteht der?“ riefen die
drei Herren zugleich aus.
10
„Ja wo er jeßgt jteht, iſt jchwer zu jagen,“
meinte achjelzudfend der Sambo, ‚denn als id
fie verließ, rüdten fie langjam auf Durango vor,
und jind jetzt entweder noch dort, oder jtehen
wieder darüber hinaus und hierher zu.‘
‚Aber das ijt nicht möglich,‘ rief Lucibo,
„Durango halten ja noch die Franzoſen bejegt.‘
Der Sambo jchüttelte mit dem Kopf — „Hat:
ten es — ja, nidte er, „ziehen aber überall
langiam ab und überlaſſen uns die Pläte mit
dem größten Vergnügen.”
„Und hat Fein Kampf mehr zwiſchen ihnen
und den Liberalen jtattgefunden 2” rief Baſtiani.
„Kampf!“ fagte der Sambo — „denken gar
nicht daran. Es giebt jeßt Feine bejjeren Freunde
auf der Welt, als die Franzoſen und Liberalen,
und ihre VBorpojten fommen jogar zuweilen zu:
ſammen und verfehren mit einander. Iſt gerade
als ob eine Partei aus einem Haufe auszieht
und die andere ein — fällt gar fein böſes Wort
mehr zwifchen ihnen vor. — Selbit die Officiere
halten Verkehr untereinander.‘
„Franzoſen und Juariſten?“ rief Baſtiani
erſtaunt.
„Ja,“ lachte der Sambo, „ob ſie Alle Jua—
riſten find, weiß die heilige Jungfrau, aber plüns
11
dern thun fie vedlich, wohin fie fommen, Einige
in Juarez', Einige in Ortega's und Einige in
Ruiz’ Namen. Einige von den Yührern haben
ih auch jelber pronuneirt — man jagte, wie
ich fortging, daß Cortina Anſprüche mache, weil
ihn feine Bande gewählt habe. Das giebt jich
aber Alles; wenn jie erjt zuiammenfommen, dann
bat ber Recht, der die meijten Truppen zählt,
und die Anderen laufen doch Alle zu ihm über.‘
„Und meinem Mauricio gebt es gut?’ vief
Lucido. — „Gott jei Danf, daß ich nur wieder
einmal Nachricht von dem Jungen habe.”
„Junge?“ fagte der Sambo ladyend; „er tft
ein ſehr vornehmer Herr geworden, und Alle,
die einmal ſpäter eine Anjtellung wollen, müſſen
zu ibm kommen, und caracho — id) denke, er
verjteht jie auszudrüden.‘
Baſtiani warf einen Bli auf Yucido hinüber,
und der alte Herr ſchien von dem Bericht über
bes Sohnes Thätigfeit nicht gerade bejonders
erbaut, aber was wollte er auch madyen — er
mußte doch jedenfalls jehen, wie er ſich in viel:
leicht jchwierigen und gefährlichen Verhältnifjen
durchwand, und das Alles änderte jich ficherlich,
wenn er wieder nach dev Hauptjtadt zurückkehrte.
Baltiani jchien fich übrigens mehr für das Ver:
12
hältniß zwilchen den franzöjiichen und liberalen
Truppen zu intereffiren, denn die Sache fam
ihm noch immer ein wenig unglaublih vor
und er wollte mehr davon willen. Der Sambo
Ihien das Alles aber als jelbitverjtändlich zu
behandeln.
„Ave Maria, Señor,“ rief er aus, „das ift
ja doc jo natürlich wie nur Etwas. Die Tran:
zojen haben uns jchon vor einiger Zeit gemel:
det, daß fie abziehen und feinen Kampf mehr
mit uns haben wollen. Sie würden ung nicht
beläjtigen, fie verlangten aber auch dafür —
und nit mehr als recht und billig, daß wir
fie Alles ruhig fortichaffen ließen, was ihr Eigene
thbum wäre und was jie unterwegs brauchten,
und da veriteht es ſich doch von jelbit, daß un—
fere Führer darauf eingingen. Jetzt iſt Alles
ein Herz und eine Seele, und wo wir ihnen
einen Gefallen thun fünnen, thun wir’ mit
Vergnügen. Nur die belgiichen Treicorps, bie
mit den Franzoſen Nichts zu thun haben und
bier im Land bleiben wollen, find uns ein
paar Mal in die Finger gelaufen. Wenn bie
Franzoſen linfs und rechts von ihnen abmar:
Ihirten, geriethen jie uns in bie Fänge, und
13
dann ging es ihnen natürlich ſchlecht. Hol’ die
Schufte der Teufel!“
„Es iſt unglaublich,“ ſagte Bajtiani, „und
da jagt der Kaifer noch, daß ein rechter Habs—
burger jeinen Poſten nicht verlaffen dürfe? Ca-
ramba, wenn ein rechter Habsburger unter jol:
hen Berhältniffen noch einen Gran gejunden
Menjchenverjtandes hat, jo madt er, daß er
fortfommt, denn das ift Fein ehrlicher Kampf
mehr, das ift Schurferei, und er felber an allen
Eden und Enden verrathen und verkauft.‘
‚Der Sambo jah ihn etwas erjtaunt an, denn
er wußte nicht recht, was er aus den Worten
machen jolle; Lucido Aber, der einem ganz ans
dern Ideengang gefolgt war und fich verwünjcht
wenig um das Schickſal des Kaiferreihs küm—
merte, jo er nur feinen eigenen Sohn in Sicher:
heit wußte, ſagte plöglich:
„Und wie beißt Du eigentlich, mein Burjche,
und wie bilt Du mit meinem Sohn befannt ge—
worden ?''
Die Trage kam jo plößlih und unerwartet,
daß fie den Sambo fait in Verlegenheit gebracht
hätte, aber wer fannte auch hier feinen Namen,
und er erwiederte ruhig:
„Rodolfo, Señor. — Hatte früher eine Fleine
14
Tulqueria in Zacubaya, wo der junge Herr,
wenn er dort hinauskam, fein Pferd einitellte
und füttern ließ. Er hat immer viel von mir
gehalten und — da er wußte, daß er fi auf
mich verlajjen fonnte, mir auch den Auftrag an—
vertraut, jeinen Eltern Nachricht von ihm zu
bringen. Hätten ſich doch ſonſt wohl jeinetwe-
gen geängſtigt.“
‚Aber weißt Du, mein Burſche,“ jagte Ba:
itiani, ‚daß Du in des Teufels Küche fommen
kannſt, wenn fie Dich hier al8 Spion aufgreifen?
Verwünſcht Furzen Proceß würden Sie mit Dir
maden, darauf Fannjt Du Did) verlafjen, und
ih möchte wahrhaftig nicht in Deiner Haut
ſtecken.“
„No tenga cuidado Señor,“ lachte der Sambo;
„erſtlich bin ich hier viel zu bekannt, und dann
würde ich mich augenblicklich als Deſerteur an—
geben und mich einige Wochen hier füttern laſſen.
Nichts iſt leichter, als nachher wieder bei einer
günſtigen Gelegenheit zu entwiſchen.“
„Troſtloſe Zuſtände,“ ſagte Baſtiani, langſam
den Kopf ſchüttelnd — „nicht um eine Million
Revenuen möchte ich mexicaniſcher Kaiſer ſein!“
„Ich gleich,“ lachte Rodolfo — „dann ver—
kaufte ich ein ganzes Jahr lang nichts weiter
15
als Generals:Patente, und wenn ich in der gan—
zen Armee feine Seele weiter ald Generale hätte,
jeßte ich mich auf ein Schiff und führe mit mei—
nem Geld davon.”
„Der Burſche hat Verſtand,“ lachte Roneiro,
„oder doch wenigjtens Nahahmungstrieb, denn
etwas Neues wäre das nicht. Andere haben es
ihon vor ihm gethan und werben es aud noch
nad ihm thun. — Alſo Mauricio befindet ji)
im feindlichen Hauptquartier! Das ijt wirklich
nicht übel, und er wird es dann wohl nächſtens
jelber zu regiltriren haben, wenn jeines Vaters
Güter von den Tiberalen confiscirt werden. Eine
größere Konfufion kann doch wahrhaftig in fei:
nem Land der Welt herrichen, und anjtatt befjer
zu werden, wird es immer ärger.’
„Und kehrſt Du wieder zurück?“ frug Rucido.
„Sobald ich mich hier ein wenig umge:
ſehen habe, ja,” nicte Rodolfo, „muß nod eine
Menge Aufträge an verjchiedene Gaballeros hier
ausrichten und aud) wieder mitnehmen.’ |
„Und von wen, amigo?“ frug Baltiani.
„Quien sabe,“ lachte der Burſche — „iſt viel
bejjer Feine Namen zu nennen, um Niemanden
in Verlegenheit zu bringen — find aber feine
Leperos, jo viel kann ih Sie verfichern.‘
„Kann ich mir denken,“ jagte der alte Herr
— „natürlich wird es jeßt bei Vielen Zeit, ſich
den Rüden zu decken. Hol’ fie der Teufel!‘
„Dann komm, ehe Du die Stadt verläßt, nod
einmal bei mir vor, amigo,“ ſagte Lucido — „id
werde Dir Aufträge an meinen Sohn mitgeben.
Das vorderhband für den Herweg,“ ſetzte er
hinzu, indem -er dem fehr erfreuten Burjchen
zwei Goldunzen in die Hand drückte. „Es ver:
ſteht jih aber von ſelbſt, daß Du Mauricio’s
Namen nicht bier in der Stadt nennit.‘
„Gewiß nicht — gewiß nicht, Señor,“ rief
der Burſche betheuernd, „nur,“ ſetzte er pfiffig
hinzu — „mit einer einzigen Ausnahme, bie aber
Nichts mit der Politik zu Ichaffen Hat und ihn
auch nicht in Gefahr bringt — doc, jeßt muchas
gracias, Eenor — Caraija, das giebt einen gu—
ten Tag, und die Goldfüchle find bei uns draußen
jelten geworden. Alſo ehe ich wieder abgebe,
frage ich bier noch einmal an,’ und mit einer
nicht ungeſchickten Berbeugung verließ er ben
Salon. "
Die drei Herren aber blieben, als er burd
die Thür verjchwunden war, noch Jeder über
feinen eigenen Gedanken brütend ftehen — fie
16
4
17
hatten ihr Spiel ganz vergejlen, und bie eben
gehörte Kunde war auch allerdings wichtig genug.
Sie Alle wußten ja wohl, daß jich die Fran—
zojen nad) und nad zurüdziehen und das Land
räumen würden, Keiner aber jchien geglaubt zu
haben, daß das in ſolcher Weije und in jo freund»
-liher Beziehung zu den bisherigen Feinden ge:
Ihehen könne. Bazaine mußte aljo mit dem
feindlihen Hauptquartier förmliche Verabredun—
gen getroffen haben, und in dem Falle jtand ihm
aud gar nichts im Weg, feine Truppen fait jo
raſch zuſammen zu ziehen, als fie nur die weiten
Streden marſchiren konnten. Im Intereſſe ſei—
ner Soldaten lag das gewiß, er ſchonte Men—
ihenleben, daß fie aber damit das Kaijerreich
vollfommen im Stiche liegen und ihm nicht ein—
mal Zeit gaben, für jeine eigene Bertheidigung
gerüftet zu jein, war eben jo gewiß. Sämmt—
lihe bisher giltig gewejenen Berträge jchienen
aljo aufgehoben oder gebrochen, und daß in dem
Fall hier die Sache eine rafhe und bösartige
Wendung nehmen mußte, blieb außer aller Frage.
„Das Einzige, was ich nicht begreife,“ jagte
Baltiani endlich, indem er jeinen Gedanken Worte
gab, „iſt ver Klerus, der jo lange an dem Kaijer:
reich herumgebohrt hat, bis es ihm endlich ge=
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 2
18
lungen ift e8 zu Grunde zu richten, und jebt
ichließt er wieder Freundfchaft, wo ihm bie Li—
beralen ſchon auf dem Genid figen. Er fann
doch gar nicht glauben, daß er im Stande iſt
e8 wieder lebensfähig zu machen.”
„Ich weiß auch nicht,” meinte Roneiro, „was
die Schwarzen dabei noch in petto haben, denn”
daß die Amerikaner die Fremden aus dem Land
haben wollen, ift gewiß. Es find nun einmal
Republikaner und dulden fein neues Kaiſerreich.“
„Ach was, jagte Baltiani finjter, „der ver—
dammte Schneider, den fie jet zum Präfidenten
haben, Fümmert fich verwünjcht wenig um Re—
publik oder Kaiferreich, und die Amerifaner jelber
— hol' fie der Henker — e8 iſt ja doch nur Alles
Nedensart in ihrer Republik. Uns wollen fie
bier mit freien Inſtitutionen beglüden und
Ihimpfen auf die Knechtſchaft einer Monarchie,
mit der Regierung aber gerabe, in der bie
ſchmachvollſte Tyrannei und Knechtſchaft, Säbel-
wirtbichaft, Despotismus und Gott weiß was
jonft noh zu Haufe iſt — mit Rußland,
Ihließen fie ein enges Freundſchaftsbündniß
und die armen Polen mögen zum Teufel gehen.
Die ſcheeren fih nicht um ein Princip, ſondern
um den Dollar — das iſt Alles, und wenn ihnen
19
Marimilian den Hals vollihieben Fönnte, möchte
Juarez und die Republik ruhig jehen, wo ſie
blieben. Ein liberaleres Regime, als es unfer
Kaiſer bis jest hier geführt hat, giebt es nicht
auf der Welt, aber nein, fie lafjen ihn nicht,
bis er fich den Pfaffen wieder in die Arme wirft.’
„Amigos, jagte Lucido, der indefjen feine
eigenen Gedanken verfolgt und zu einem ziem=
lih angenehmen Rejultat dabei gelangt war;
denn wenn ſich jein Sohn gut mit Juarez jtand
und diefer nächſtens wieder die Dbergewalt be=
kam, jo hatte er natürlich Nichts für fein Eigen-
tbum zu fürdten — „wir ändern doch Nichts
am Lauf der Ereigniffe — beginnen wir unfer
Spiel und warten wir das Uebrige ruhig ab.’
„Sie müſſen mich heute entſchuldigen, Lucido,“
lagte Baftiani mürriſch — „id habe den Kopf
vol und wahrlich Feine Gedanken auf das Spiel,
aber da kommt Rodriguez — der kann den dritten
Mann abgeben. Ach will einen Spaziergang
machen und meinen Aerger an bie Ruft ſetzen —
adios’’ — und draußen nahm er feinen Hut und
Ihritt auf die Straße hinaus.
* *
*
2*
20
Kaiſer Marimilian war an dem Nachmittag
eben in jein Zimmer gegangen, aber eine merk—
würbige Unruhe hatte ihn erfaßt, über die er
jih gar feine Rehenihaft geben Fonnte. Er
nahm ein Bud, auf, aber er konnte nicht lejen,
warf es wieder hin und ſchritt unruhig auf
und ab.
Staatsrath Herzfeld, der jeine Hauptgejcäfte
in diejer Zeit leitete, jaß an dem einen Tiid,
mit einer Correfpondenz bejchäftigt, und Doctor
Baſch, der Leibarzt des Kaifers, kam jebt eben:
falls, wie gewöhnlih nah Tiſch, in das Cabinet,
als ein Beamter der Telegraphenjtation zwei
Kabeldepeſchen aus Europa bradte und fie dem
Staatsrath überreichte. *)
Der Kaijer war blaß geworden, als ber
Deamte nur gemeldet wurde. Er ahnte Unheil,
wenn er auch noch nicht wußte, von welcher Seite
er es erwarten jollte. Eins der Telegramme
war vom Grafen Bombelles, der die Kaiferin
auf ihrer Reife begleitet hatte, und aus Mira:
mare batirt — das.andere von Gaftillo, dem ehe
maligen Minifter und jegigen Gefandten in
Rom, fam von dort. -
*) Doctor Baſch als Augenzeuge ſchildert dieſe Scene,
wenn aud nur in furzen Worten, doch genau in feinem Buche.
21
„Herzfeld,“ jagte der Kaijer, während er bie
Depeſchen einen Moment in ber Hand hielt und
dann vor ihn auf den Tiſch legte — „das find
feine guten Nadhrichten, die fie bringen —
ich fühle es — ich habe es ſchon gefühlt, jeit
fie fih in der Stadt befinden — lefen Sie —
fefen Sie!‘
„Majeſtät jorgen fich gewiß umſonſt,“ fagte
der Staatsrath beruhigend, indem er die De:
pefhen erbradh und die Dediffrirung begann.
„Sie können uns gerade recht gute Kunde
bringen — aber wir werden ja gleich ſehen.“
Der Kaifer nahm feinen Spaziergang im
Zimmer wieder auf, warf aber ungeduldig den
Blick nad) dem Staatsrath hinüber, der, anſchei—
nend etwas verlegen, die Papiere herüber und
hinüber rüdte und mit einander verglich. Es
war, als ob er den Sinn nicht jo rafch heraus:
finden Fünne.
„Run, Herzfeld, was ift’8? was melden fie?’
„Ich weiß nicht,‘ fagte der Staatsrath, auf
das eifrigjte mit feiner Arbeit befchäftigt — „ich
begreife nicht recht — die Chiffern paſſen nicht
genau. Go viel ich bis jeßt herausbefommen
habe, ijt Jemand in Miramare frank geworben.‘
„Krank?“ rief der Kaifer raſch — „ob das
22
iſt jedenfalls die alte Bario! aber bu Lieber
Gott, deshalb hätten fie doch nicht zu telegra-
pbiren brauden. — Sit es für deren Familie
bier ?'
„Ich kann es noch nicht fagen, Majeftät —
gejtatten Sie mir noch einen Augenblid.”
Doctor Baſch zog fi in fein Zimmer zurüd
— rüdjihtsvol in feinem ganzen Wejen, fam
es ihm vor, als ob der Staatsrath dem Kaijer
die Depeche nicht in feiner Gegenwart enthüllen
wolle, und er ging dem deshalb aus dem Weg.
Herzfeld aber jcheute ſich überhaupt, dem Kaifer
den Inhalt mitzutheilen, denn es war eine ſchwere
und forgenvole Nachricht, die fie brachte, und
während er jich jtellte, al8 ob er den Sinn nicht
herausfinden könnte, überlegte er doch nur hin
und ber, ob e8 überhaupt möglich jei, das, was
bier mit flaren Worten ftand, ihm vorzuenthal:
ten. Marimilian wurde aber nur zu bald miß—
trauifh. Staatsrath Herzfeld wußte ſtets mit
ber Dediffrirung vortrefflich umzugehen, weshalb
zögerte er gerade heute jo lange?
„Herzfeld,“ ſagte er endlih, indem er vor
ihm ftehen blieb, ‚ich weiß es — es muß etwas
Schredliches fein, was Sie da haben — theilen
23
Sie mir e8 lieber mit — ic) bin auf das Xergite
gefaßt.‘
„Majeſtät,“ jagte da der Staatsrath, alfo
gedrängt — „ih weiß aud gar nicht, ob ich
Ihnen den Inhalt verheimlihen darf. Es be—
trifft Ihre Majeſtät die Kaiſerin ſelber — ſie iſt
ſchwer erkrankt und — einem dortigen, ſehr ge—
ſchickten Arzt, dem Doctor Riedel, übergeben.“
„Riedel? — Riedel?“ — ſagte der Kaiſer
raſch — „ich habe den Namen nie gehört — was
behandelt er?“
Herzfeld zuckte die Achſeln. „Ich weiß es
nicht, Majeftät — Doctor Baſch iſt vielleicht eher
im Stande, Ihnen darüber Auskunft zu geben.’
„Baſch — wo ijt er? — lafjen Sie ihn augen:
blilih rufen. Er wird auf feinem Zimmer
fein,’ rief Marimilian in furchtbarer Aufregung
— „bitte, lieber Herzfeld, er ſoll augenblicklich
herüberkommen.“
Der Staatsrath war ſchon aufgeſprungen,
um den Befehl auszuführen, und der Kaiſer,
der ſich in einem wirklich qualvollen Zuſtand
befand, blieb mitten im Zimmer ſtehen und ſah
nur fortwährend nach der Thür, durch welche
der Erwartete eintreten mußte. Er brauchte nicht
lange zu harren, denn der Doctor folgte dem
24
Rufe augenblidlid — aber ſchon in der Thür
rief ihm der Kaifer entgegen — und Thränen
füllten dabei feine Augen:
„Baſch — Fennen Sie den Doctor Riedel in
Wien?“
Doctor Baſch erbleichte. Schon der Name ent—
büllte ihm die ganze Wahrheit — des Furcht—
baren, des Gefchehenen — aber was Half bier
leugnen? Mit fat tonlofer Stimme fagte er:
„Ja, Majeftät, — e8 iſt — der Director ber
Irrenanſtalt.“
Der Kaiſer war todtenbleich geworden — den
Arm ausgeſtreckt, ſtand er vor dem Arzt — aber
er erwiederte kein Wort; nur das Geſicht barg
er jetzt in beiden Händen und blieb ſo mehrere
Minuten ſtill und regungslos — endlich ſagte er
leiſe und kaum hörbar: „Großer Gott, das iſt
fürchterlich!“
Herzfeld wollte einige Worte des Troſtes an
ihn richten, aber er winkte ihm mit der Hand:
„Jetzt nicht — jest nicht — laſſen Sie mir
Ruhe,’ jagte er leije, aber freundlich, „ich muß
das Entſetzliche erjt Har in mir überdenken —
e8 erſt fihten. Nachher — ſpäter — der Schlag
fam zu plötzlich — unerwartet — ih muß mir
erjt jelber darüber Elar werden.”
25
Die beiden Herren fühlten, daß fie dem Kai—
jer in diefem Augenblid feinen größeren Dienft
erweifen konnten, als ihn allein und ſich jelber
zu überlafjen, und zogen ſich zurüd. Eine qual—
volle Stunde modte e8 aber geweſen jein, bie
Marimilian da in feinem kaiſerlichen Schloß
verlebte, doch fie hatte ihm genügt, fi zu ſam—
meln und feine Lage Elar zu überbenten, und als
er zu feinem gewöhnlichen Abendipaziergang auf
die Azoten des Palaſtes hinaufſtieg, ſchickte er
nach jeinem Arzt, um ihm dort wie imıner Ge:
ſellſchaft zu leiſten.
Doctor Baſch folgte augenblicklich dem Ruf
und ſchritt ſchweigend neben Maximilian eine
Weile auf und ab. Aber wie ſich der Kaiſer
auch ſonſt an dem reizenden Anblick da oben
ergötzte, an den wirklich ſchönen Formen der
Kathedrale an der einen — an den Vulkanen
an der andern Seite — an dem wunderlich
geformten und oben wie flach abgeſchnittenen
Häuſermeer, das ihn umgab, an den Seen und
Bergen, welche die Stadt da draußen einſchloſſen,
oder an dem geſchäftigen und regen Leben, das
über die Plaza zu ſeinen Füßen herüber und
hinüber wogte, heute ſah er von dem Allen Nichts,
und ſein immer ſo klares, offenes Auge blickte
26
düſter und in fich gekehrt vor fich nieder. Wo—
mit ſich aber jein Geift in der Zeit bejchäftigte,
zeigte er bald in der nächſten Trage, die er jebt
plöglich an den neben ihm jtehen bleibenden Arzt
richtete:
‚Bas meinen Sie, Balh? ſoll ich bleiben
oder gehen?“
Es mochte das der nämliche Gegenjtand fein,
der den Arzt beichäftigt hatte, wenn er fi auch
über die Sache ſelbſt viel Flarer war, als ber
Kaijer e8 jein konnte. Er hatte lange jchon,
mit den Mitteln, über welche Marimilian ver-
fügte, und unter dem Bolt, das ihn umgab, bie
Unbaltbarfeit der jegigen Zuſtände erkannt, ja
fürdhtete jogar, nicht mit Unrecht, für den Für:
jten jelber und erwiederte deshalb nach Furzer
Baufe, aber ruhig und bejtimmt:
„Ich glaube, Euer Majeftät werden nidht
im Land verbleiben können.“
„Wird aber wohl Jemand daran glauben,
daß ich wegen der Krankheit der Kaijerin nad)
Europa gehe.‘
„Suer Majeftät,” erwiederte Doctor Bald,
„haben wohl der Gründe genug, und Europa
wird anerkennen, daß Sie nicht mehr verpflichtet
27
ind in Merico zu bleiben, da Frankreich vor:
zeitig jeine Verträge gelöſt hat.’
Der Kaijer jann einen Moment — fein
Ideengang warf ſich auf feine Umgebung.
„Was glauben Sie, weldher Anficht wohl
Hersfeld und Filcher darüber find ?’
„sch bin der Meinung, Majejtät, daß Herz:
feld meine Anficht theilen wird, und was Padre
Fiſcher betrifft,’ ſetzte er achjelzudend Hinzu,
„ſo flößt er mir in der That fein rechtes Ver:
trauen ein. Er iſt Geiftliher, und bei aller
Ehrlichkeit, die ich bei ihm vorausjege, werben
ibm doch die Vortheile feiner, eigenen Partei
immer höher jtehen, als die jpeciellen Intereſſen
Euer Majeſtät.“
Wieder nahm der Kaifer feinen Spazier-
gang auf, über die legten Worte augenjcheinlich
nahgrübelnd.
„sa — ja — Sie haben Recht,’ fagte er
nad) einer Weile, ohne aber feinen Gang wieder
zu unterbrehen — „Sie haben Redt, Bald,
die Frage ift nur die, wie ſich Alles am beiten
regeln läßt. Gott weiß es, ich habe meine Pflicht
gethban, und mehr als das — fein Menſch we-
nigjtens könnte mehr von mir verlangen, und
28
trogdem fühle ich, daß mir Spott und Hohn in
meine Einfamfeit folgen werben.’
„Und gejchieht denn Etwas in ber Welt,
Majejtät, was nicht hier und da von ſchmutzigen
Charafteren begeifert wird? Wenn Sie mit ji
jelber im Klaren find, darf Sie das Andere
wenig kümmern.“
„Ich babe bier feine Ruhe mehr,’ ſagte der
Kaifer wieder nach kurzer Baufe, „mein Herz ift
daheim bei meiner armen Charlotte, und Jähe ich
nur, daß ich hier noch Gutes wirfen könnte, wie
gern wollte ih Alles ertragen — aber fie laſſen
mid nicht. Die Menſchen Hier find vielleicht
gut, ja, aber indolent bis zum äußerſten und
immer nur auf ihr eigenes Intereſſe bedacht.
Sie haben fein Vaterland, und ich fürdhte, ich
bin mehr Mericaner als die Meijten von ihnen.
Mit jolhen Menſchen ift aber fein Staat zu
gründen und zu befeitigen, denn es fehlt ihnen
jedes edle Motiv, und ich wenigjtens tauge nicht
dazu, ein jolches Volk zu regieren. — Jh muß
fort, jo viel fteht feſt,“ ſetzte er nach einer klei—
nen Weile hinzu, „ich kann nit, und will
nicht bleiben, wo nur die Ruhe eines Theils
des Landes mit ewigem Blutvergießen aufrecht
erhalten werden fann. Es find ja feine Men:
29
ſchen, es find Tiger, und ſelbſt untereinander
Ihladten fie jih ab. Die eine Trage bleibt
nur jegt, ſoll ih gleich gehen, ober nur auf
das Ziel nach einem feiten Plan Losarbeiten ?
Am liebjten ginge ich gleich. Ach bin müde —
— recht von Herzen müde und bedarf der
Ruhe.‘
„Aber, Majeſtät,“ erwiederte Doctor Baſch,
„mod iſt Fein Grund zu eilen, und der Ent-
Ihluß von zu hoher Bedeutung und Tragweite,
als ihn unndöthigerweije zu überjtürzen. Nur
die Vorarbeiten werden nit Tage, nein, viels
leicht Wochen und Monate verlangen.‘
Der Kaiſer nickte jtill vor jih Hin. „Nach
unſeren Anfichten haben Sie Recht, Bald,
unſere deutjche Gewifjenhaftigfeit zwingt uns zu
ſolchem Handeln. Ein Mericaner würde vajcher
damit fertig werden, und ſich verwünjcht wenig
darum fümmern, was mit bem Lande oder ber
Ordnung darin würde, wenn er die Hand erjt
einmal davon abgezogen. Aber was auch fomme,
ih will jo handeln, daß ich mir jelber feinen
Vorwurf zu machen braude. Mag mid) die Welt
dann richten. — Uebermenſchliches kann und
darf fie nicht von mir verlangen. — Seht ſchicken
Sie mir Hersfeld und Bilimeck, ih will mit
30
ihnen jprehen. Ich weiß, die meinen es we—
nigjtens gut mit mir, und wiffen auch, was ich
meiner Stellung jhuldig bin — gehen Sie, lie-
ber Baſch, und morgen — ſprechen wir weiter
über die Sade. Und noch Eins — e8 läßt mir
bier in ber Stadt feine Ruhe mehr. Sie glauben
freilih, daß mir die fumpfige Umgebung Cha—
pultepecs nicht heilfam iſt, aber — was mid
jeßt drüct, ift mehr als Wechlelfieber — id muß .
wieder hinaus auf meinen ftilen Berg — fort
bier aus der Hauptitadt. Der Entihluß, ben
ich jeßt gefaßt, bedarf einer ruhigen Erwägung,
und dann aud) — wenn damit im Reinen, will
ih nicht darin gefjtört werben; denn was mir
da Alles bevorjteht, weiß ich Schon. Alſo forgen
Sie, lieber Baſch, dag wir morgen Früh wieder:
nad Chapultepec überfiedeln können.“
2.
In Orizaba.
In der Hauptſtadt war in dieſen Tagen —
etwas ſehr Ungewöhnliches — die eigentlich
klerikale wie conſervative Partei außerordentlich
thätig geweſen, um die ſich jetzt in ihren Händen
befindende Sache des Kaiſerthums zu fördern,
das heißt vor allen Dingen den Kampf mit den
Liberalen aufzunehmen, um die immer näher
rückende Gefahr von der Hauptſtadt, alſo von
ihren eigenen Köpfen abzuwenden.
Beide Parteien hatten genug auf die Fran—
zoſen und deren Aufenthalt im Land geſchimpft,
und ihren Abzug herbeigeſehnt — jetzt aber kam
er ihnen doch noch faſt zu raſch, denn das, was
man von ihnen erwartet: die gänzliche Zerſpren—
gung oder Vernichtung der Liberalen, hatten ſie
32
nicht erfüllt, und im Gegentheil ſchien der raſt—
loſe Gegner auf fait unerflärliche Weije wieder
über frifhe Truppen zu verfügen, wenn man
ihn jhon total niedergeworfen glaubte. Wie
Tellus, jobald er die Erde berübrte, gewann er
neue Kräfte, und es blieb in der That nichts
Anderes übrig, als ihn in der Luft zu zer-
drüden.
Wäre das nun durch Verſprechungen, Redens—
arten und Phrajen möglidy gewejen, jo hätten
e8 die Mericaner auch ficherlih mit leichter
Mühe erreiht, denn an allen denen fehlte es
nit. In Wirklichkeit ſchien fih aber nur
immer Einer auf den Andern zu verlajien,
und Wenige blieben, die wirkli im Intereſſe
der guten Sache mit Opferfreudigfeit vorgingen.
Einzelne fanden fih in der That dafür, und
unter biejen namentlich Baftiani, Rodriguez und
Almeja, dagegen Roneiro, wie Yucido de Vega,
und jelbjt die Herren Minifter, die fajt Alle
ein bedeutendes Vermögen befaßen, ficherten
allerdings ihre Hilfe zu, juchten aber vor ber
Hand noch durch allerlei Ausflüchte Zeit zu ges
winnen. Dan mußte doc erjt jehen, wie jid
die Saden geitalteten und ob der Gtaat nidt
vielleicht auch jo wieder zuſammengeflickt werden
39
fonnte, ohne daß fie jelber zu tief in ihre eige—
nen Geldbeutel griffen.
Auch der Klerus hielt jogar noch merkwür—
digerweife mit Geld zurück. Traute auch er den
Zuftänden nicht recht, oder hatte er noch an—
dere Pläne in Bereitihaft? das leßtere war jeden—
falls das Wahrjcheinlichere, und doch jchien ge—
vade dies Zögern bie Gefahr immer mehr herauf
zu beſchwören.
Thatfache war, daß die hohe Geiftlichkeit, in
ihrem übermüthigen Stolz und Dünkel immer
nur auf ihre Rechte und den gefährdeten Glau—
ben pochend, ihr Ziel Schon überjchofjen hatte.
Nun erſt, als fie den Abgrund vor ſich be-
merkte, in den das auch ihre Anterejjen mit
tragende Staatsfuhrwert, von durchgehenden
Pferden vorwärts gerifjen, zu ſtürzen drohte, ver—
juhte fie zu ſpät die Zügel der Thiere in die
Hand zu befommen. Ausweichen wäre vielleicht
noch möglich gewejen, aber non possumus —
das wollten fie nicht. Alles was jie verlangten,
war halten oder umfehren — und das ging
nicht mehr an.
Wie ein Wetterfchlag traf da mittenhinein
die Nachricht von der Erfranfung der Kaiferin
und dem Gerücht, der Kaijer beabjichtige nad)
Fr Gerftäder, In Merico. IV. 3
34
Drizaba zu gehen, um ben Nachrichten, bie er
aus Europa erwartete, näher zu jein.
Natürlich glaubte das fein Menſch — Orizaba
lag jhon an der Grenze der Tierra caliente, gar
nicht fo weit mehr von Vera-Cruz entfernt —
Drizaba war aljo nur die Ausrede, und ber
Kaifer wollte Merico verlaſſen und auf ſeine
Dornenfrone bier verzichten. Was anders fonnte
man auch mit dem jeßt völlig ausgejprochenen
Abzug der Franzoſen erwarten; e8 gab gar nichts
Natürlicheres. Mit Hilfe franzöfiiher Bajon=
nette war er in das Land gefommen, und daß
er e8 wieder verließ, jobald dieje abzogen, vers
ſtand fich eigentlih von ſelbſt. Hatte er doch
auch jetzt ſchon drei volle Jahre regiert, und
in Merico war man gar nicht mehr daran ge=
wöhnt, ein politifches Oberhaupt viel länger
als drei Monate ungejtürzt in jeinem Amt zu
ſehen.
Den größten Schrecken aber bekam das con—
ſervative Miniſterium, mit dem pfaffenfreund—
lihen Lares an ber Spitze. Den Herren war
die Sache außer dem Spaß, denn ging ber
Kaiſer jegt, wo fie gar Niemanden im Land
hatten, auf den fie fich verlaffen und ben fie an
feine Stelle fegen konnten, fo lag die ganze Ver:
30
antwortlichfeit der Regierung allein auf ihren
Schultern. Sie jollten Geld Ichaffen, wo eben
feins zu jchaffen war, wenn fie es nicht aus
ihrer eigenen Taſche gaben; fie jollten eine Armee
„aus der Erde ſtampfen“, wo ihnen die Soldaten
jo raſch davonliefen, wie fie eingefleidet wur—
den; ſie jollten die Forderungen ihrer eigenen
Partei wie die des Klerus befriedigen, wo fie
ihre eigenen forderungen nicht einmal befriedigt
befommen konnten — fie follten überhaupt Etwas
thun und jelbitjtändig handeln, wie die Verant—
wortung dafür übernehmen, und das paßte
ihnen natürli nicht, denn unter ſolchen Be-—
dingungen hatten jie das Bortefeuille nicht über
nommen, und würden es nie übernommen haben.
Die Folge davon war, daß das ganze Mini-
fterium augenblidlih zufammentrat und nad
ſehr Ffurzer Berathbung den einjtimmigen Be:
Ihluß faßte, dem Kaiſer zu erflären, falls er
bie Refidenz verlafje, auch ihre Entlafjung an=
zunehmen und jid nad) einem neuen Mini:
fterium umzufehen. Mit diefer Erklärung wurde
der Minijterpräfident Lares nad) Chapultepec
hinausgeſchickt — aber nicht vorgelafjen.
Chapultepee bot an dem Tag überhaupt ein
bewegtes Bild, denn nicht allein der Minifter-
53*+
36
präfident, jondern ein großer Theil der Nobili-
tät Mericos war herausgefahren, um den Kailer
dringend zu bitten, den für bie Stadt fo ge:
fährlichen Plan, fie ohne Kaifer zu Laffen, auf:
zugeben. Auch die Prinzeſſin Sturbide, eine
alte, etwas heftige und bewegliche, babei aber
ehr jtolze Dame, die der Kaiſer jogar mit dem
Namen „Couſine“ ehrte, fuhr im größten Staat
vor, denn daß ihre ephemere Erijtenz bejonders
an dem Berbleiben des Kaiſers hing, war jelbit-
verſtändlich — aber auch fie wurde nicht vorge:
laſſen. Der Kaifer Hatte ſich vollftändig abge:
ſchloſſen und Doctor Baſch das höchſt fatale
Amt überkommen, alle Beſuche ohne Unter—
ſchied abzuweiſen, was ihm auch bei Allen
ziemlich leicht wurde — nur bei der etwas künſt—
lich gemachten Prinzeſſin nicht, die den armen
Doctor mit einer wahren Fluth von Vorwürfen
überſchüttete. Aeltere Damen ſind nun einmal
leicht irritirt — beſonders zweijährige Prinzeſſin—
nen — aber es half Nichts. Selbſt dieſe mußte
wieder abziehen, und die Reiſe des Kaiſers nach
Orizaba war beſtimmt.
Uebrigens bekam Marſchall Bazaine durch
Staatsrath Herzfeld Kunde, daß das Miniſterium
mit ſeiner Abdankung gedroht habe und das
Be
|
37
Land alfo nach der Abreife des Kaifers ohne Re—
gierung bleiben würde, was jedenfalls jofort eine
Revolution hervorgerufen hätte. In dem Fall
aber befanden fi die Franzoſen im Land in
einer ſchlimmen Lage, denn überall waren noch
Heine Trupps ftationirt, deren Zuſammenzie—
bung, der ungeheuern Entfernungen wegen, nicht
jo raſch hatte bewerfjtelligt werden können, und
dieſe wären dann natürlich der größten Gefahr
ausgejeßt gewejen. Bazaine wußte auch zu gut,
wie man bie Franzoſen im ganzen Land haßte,
denn oft genug war e8 vorgefommen, daß man
aus Trupps von Gefangenen nur dieſe ausgelefen
und erſchoſſen oder nichtswürdig hingemorbet
hatte, und auf ihm jelber lag die VBerantwor:
tung, fie ficher zu ftellen. Das aber fonnte nur
dadurch gejhehen, daß vor ber Hand nod eine
mericanifche Regierung an ber Spitze blieb.
Ein gleiches Intereſſe hatten aber die Kleri-
falen, denn ihnen konnte Nichts daran liegen,
baß der Kaifer in einem Augenblid abdankte,
wo fie noch nicht einmal wußten, ob fein Erfah:
mann Miramon auf der Heimfahrt begriffen ſei
oder nicht. Padre Filcher wurde von Labaftiba
jelber beauftragt, alle Kräfte aufzubieten, um
ben Rüdtritt des Minifteriums zu verhindern,
38
denn das mußte den Kaijer nur in jeinem Ent-
ſchluſſe beftärfen, und der Klerus dachte die Ver—
antwortung eben jo wenig allein zu übernehmen,
wie die Conjervativen.
Bazaine arbeitete Fräftiger in dem nämlichen
Sinn. Ein derber, mit verjtedten Drohungen
untermijchter Brief ging an das Minijterium ab
— ber Raijer mußte freie Hand behalten, um
Napoleon’8 gegenwärtig dringenditen Wunſch —
jeine Abdankung zu erreihen und ihn jicher
außer Land zu bringen. Wurde das dann nur
noch furze Zeit bingezögert, — und fo rajch ent—
ſchloß jih Marimilian überhaupt nicht — jo
hatte Bazaine wenigjtens alle jeine Truppen jo
weit zujammengezogen, daß feine birecte Ge—
fahr mehr zu befürchten war, und Merico? —
was fümmerte ihn Merico, ſobald er nur den
ibm gegebenen Befehlen und Wünjchen feines
Souveräns nahfam. In Frankreich erwarteten
ihn zudem, das wußte er gut genug, alle mög»
lihen Ehren und Genüffe, und er wenigitens
fonnte dort auf feinen Xorbeeren ausruhen.
Marimilian hatte diefes Mal wenigjtens
jeinen Entjhluß aufredht erhalten, und zwar
bauptjählih wohl nur dadurch, daß er Nie:
mandem gejtattete, weiter auf ihn einzuwirken.
39
Er wollte nad Orizaba und er ging trog allen
Hinderniffen.
Am 21. October, ſchon Morgens vier Uhr,
brach der Kaifer, von einer breihundert Mann
jtarfen, vom Obriſt Kodolid commanbdirten Hus
ſaren-Escorte geleitet, von Chapultepec nad
Drizaba auf. In feiner Begleitung befanden jid)
Doctor Baſch, Profeffor Bilimed, Padre Fijcher,
ber fih merfwürdigerweile im Vertranen bes
Kaifers hielt, Feliciano Rodriguez, ein Sohn
des alten Rodriguez in Merico, als Flügeladju—
tant, Arroyo, als einziger Minifter, und noch
einige mericanifche Dfficiere.
Der Kaiſer fuhr in einem mit vier weißen
Maulthieren beipannten Wagen, aber er war
büfter und in ſich verjchloffen, dern außer dem
Schmerz und der Sorge um die Gattin fühlte
er ſich aud gegen den franzöſiſchen Abgejandten,
ben Grafen Caſtelnau, evbittert, der mit einer
unbegreiflihen Rüdjichtslofigfeit in Vera-Cruz
gezögert hatte ihm feine Botjchaft des franzö—
ſiſchen Kaiſers auszurichten. Jetzt mußte er
ihm auf der Straße begegnen, aber er war feit
entichlofjen, ihn nicht zu ſprechen. Sein Grol
gegen Frankreich wuchs mit jeder Stunde, und
ſtill, in fi gekehrt und vor ji Hinbrütend ſaß
40
er in feinem leichten Wagen, während die Sce-
nerie fait unbeadhtet an ihm vorüberglitt. Nur
dann und wann raffte er fih aus feinem qual-
vollen Grübeln faſt gewaltjam empor, und als
der erſte Raftplat Ayotlan erreicht wurde und
ber Zug bort wirflid mit dem franzöſiſchen Ge—
jandten zufammentraf, verweigerte Marimilian
auf das entſchiedenſte jedes Begegnen mit ihm.
Er mußte vorüberfahren und feinen Weg zum
franzöjiihen Hauptquartier fortjegen.
Das erfte Nachtquartier wurde auf ber Has
cienda Socyapan gehalten, und bier verbradte
der unglüdlihe Monarch noch eine unglüdlichere
Nacht, denn hier kämpfte er noch einmal ben
Entſchluß der Abdanfung durd, ja er war nahe
baran, fie glei von diefem Orte aus zu batiren.
Was ihn bejonders zu peinigen jchien, war
der Gedanke an das viele vergofjene Blut in Me—
rico: „Ich will nicht, daß meinethalben noch mehr
Blut im Lande vergofjen werde,” fagte er, und
nod an dieſem Abend widerrief er das ihm von
Bazaine abgebrungene Decret vom 3. October.
Und weiter ging die Reife gegen Oſten —
überall, wo Rajt gehalten wurde, famen babei
Deputationen der Einwohner und Eingeborenen,
um ihr Beileid auszudrüden, und Blumen brach—
— —
41
ten ſie dabei und ſtreuten dem unglücklichen
Monarchen Blumen auf den Weg.
Armer Kaiſer! — Das von je geknechtete
Volk fühlte, was Du ihm warſt, aber es hatte
nie die Macht oder Gewalt in Händen, wie in
allen dieſen ſüdlichen Republiken — die Creolen
und Miſchlingsracen regierten — das Volk hatte
nur Blumen für ſeinen Kaiſer — und Thränen.
In Orizaba wurde der Kaiſer von den Be—
wohnern auf das herzlichſte begrüßt, aber ſein
Geiſt war gedrückt, ſein Herz ſchwer, und kein
Lächeln kam auf ſeine Lippen.
*) „Es iſt pſychologiſch leicht erklärlich, wenn
die Stimmung Maximilian's ſich in dieſen Tagen
immer mehr verdüſterte. Es war für ihn der
harte Augenblick gekommen, wo er durch eigene
Entſchließung, durch ſelbſteigenſte Erklärung den
Stab über das Unternehmen brechen ſollte, deſſen
Schwierigkeiten er nie verkannt, dem er aber
mit jugendlicher Begeiſterung, mit Opferwillig—
keit und unter dem Einſatz ſeiner Perſon das
Leben geweiht hatte. Er mußte zurücktreten von
*) Es iſt nicht möglich, ſeinen damaligen Zuſtand wie
feine Geſühle kürzer und beſſer zu ſchildern, als es Doctor
Baſch in ſeinen „Erinnerungen“ thut, und ich laſſe deshalb
den darauf bezüglichen Satz hier folgen.
42
der Berwirflihung ber großen Idee der Rege—
neration eines verfommenen Bolfes, und nad
alle dem, was er in Merico erlebt, mit dem bit-
tern Gefühl in der Bruſt fi abwenden, daß
nur ber Verrath Derer, die fich feine Freunde
nannten, das Werk zu Falle gebracht hatte. Er
jah ein, daß diefem Lande noch lange nicht zu
helfen jei; in feinem Innern hatte er Merico
bereit8 aufgegeben, nicht gewillt, noch länger ber
Vaſall Frankreichs zu bleiben. Orizaba war für
ihn nur eine Rubeftation. Die Abvanfung als
joldhe Eojtete dem Kaijer feinen Kampf mehr,
nur jträubte fich jein Selbitgefühl dagegen, durch
biejfen Act dem ganzen Lande gegenüber befennen
zu müffen, daß er fi ohne Unterjtüßung ber
Franzoſen nicht mehr behaupten fünne und —
daß er fih von Louis Napoleon habe täufchen
laſſen. Als Souverän das Land zu verlaflen
und in Europa jeine vollen Rechtsanſprüche
und Rechtstitel aufrecht zu erhalten, litt jeine
Ehrenhaftigfeit nit. Seinem verjtörten Ges
müth wäre es eine Erleichterung gewejen, wenn
er fih von der drüdenden Laſt diejfer „Würde
ohne Macht“, diejer aufdringlichen Etikette ohne
Wahrheit befreien und nad) Europa zur Franken
Kaiferin hätte reifen können, deren Schidjal fo
43
tief an jeinem Herzen nagte. Nur in diejen in—
neren Gründen und nicht in der Unflarheit über
feinen Entfhluß, nur in diefem Dilemma ber
Gefühle lag es, wenn der Kaijer ſchwankte und
noch nicht jein letztes Wort ſprach.“
In dieſem Zuſtand verbrachte Marimilian
Wochen, ohne ſich aber auch von außen beein—
fluſſen zu laſſen. Alle möglichen Verſuche wur—
den dabei gemacht, ihn von ſeinem, jetzt ziemlich
feſtſtehenden Vorſatz, das Land zu verlaſſen, ab—
zubringen, aber er wich Allem aus, wenn ſich
auch nicht leugnen läßt, daß Manches auf ihn
einen Eindruck hinterließ. Beſonders war es
der engliſche Conſul Scarlett, der Geſchäfte in
Mexico abzuwickeln hatte, wozu er den Kaiſer
nothwendig brauchte, und der deshalb ſein Mög—
lichſtes verſuchte, ihn in ſeinem Entſchluß wan—
kend zu machen.
Der Kaiſer hielt ſich noch feſt, obgleich die
Vorſtellungen Scarlett's, der ihm als Ausländer
gewiflermaßen unabhängig gegenüber jtand, nicht
ohne Einfluß auf ihn blieben.
Merkwürdigerweije hatte ſich Padre Fischer
bie ganze Zeit ziemlich neutral verhalten, und
in der That wußte er felber nicht, wozu er ſich
44
jetzt eigentlich entichließen jollte, denn von Vera—
Cruz fam noch immer Feine Nachricht, die ihn
hätte bejtimmen Fönnen.
Es war noch in der erjten Hälfte des Me:
nats November, aber ſchon gegen bie Mitte
bejjelben zu, als Padre Filcher, demüthig wie
immer, in das Gemach des Kaijers trat, um
jeine Befehle zu vernehmen.
„Willen Sie, wer angekommen iſt, Filcher 9
rief ihm der Kaifer entgegen, der in den legten
Tagen viel von feiner bisherigen Apathie ab—
gejhüttelt zu haben ſchien und ſich ſchon wie—
ber einzelnen Arbeiten hingegeben hatte.
„Don Merico, Majeftät?‘‘
„Rein — in Vera-Cruz.“
„In Vera-Cruz?“ rief der Padre erftaunt,
jeßte aber rajch Hinzu: „Sind gute Nachrichten
eingetroffen, Majeſtät?“ Er dachte in biejem
Augenblid nur an die Kaiferin.
Ein wehes Gefühl zudte durch des Kaijers
Antlid — ein Seufzer bob feine Bruft, und er
erwieberte leije:
„Ich jagte nicht daß e8 gute wären — zwei
Señores find angefommen; aber es fällt mir ges
rabe ein, daß Sie biefelben wahrſcheinlich gar
nicht perjönlich Fennen, alſo auch Fein weiteres
45
Snterefle daran nehmen werden — Miramon
und Marquez, die beiden Generale.‘
Hätte er in diefem Augenblick jeines Geheim-
jecretärs Geficht beobachtet, jo würde e8 ihm faum
haben entgehen können, wie biejer bei der un:
geahnten Antwort die Farbe wechſelte. Fiſcher
war aber jeit langen Sahren gewohnt eine
eigenen Gefühle zu verbergen, und als die erfte
Ueberrafhung überwunden, fagte er mit ruhiger
Stimme:
„Ab, ich erinnere mich — ich glaube, Euer
Majeftät fagten mir davon, daß Sie die beiden
Generale zurücdberufen hätten.’
„Rein — ich nicht,” erwiederte Marimilian.
„Marquez, ja — er wurde jchon vor ſechs Monaten
zurüdberufen, um jeinen vollfommen unnüßen
Aufenthalt in Europa zu erjparen, Miramon
dagegen hat weder Befehl noch Erlaubniß erhal-
ten, nach Merico zurüdzufehren, und ich begreife
nicht recht, was ihn dazu veranlaßt haben kann.“
„sn ber That?‘
„Er ſcheint fih auch nicht ganz ficher zu
fühlen, denn er hat telegraphifch anfragen lafien,
ob er fommen dürfe.’
„Und haben ihm Majeſtät die Erlaubniß er:
theilt 2
46
„Weshalb nicht?” ſagte der Kaifer jeufzend;
„es find Mericaner, und die Furze Zeit, bie idy
noch hier im Land verbringen werde, macht es
mir gleichgiltig, ob fie bier find oder nicht.
Sie werden wohl Beide ſchon heute Abend ein=
treffen.”
„In der That?‘ ſagte Filcher gedanfenvoll,
denn eine wahre Fluth von Gombinationen ſchoß
ihm durch's Hirn. „Es jollen, wie ich gehört
habe, ausgezeichnete Generale fein.’
‚Bas man in Merico wahrjcheinlih aus—
gezeichnete Generale nennt,‘ jagte der Kaiſer
achjelzudend. „Marquez ift dabei feiner Grauſam—
feit wegen berüdtigt, und auch Miramon hat
wohl Manches zu verantworten — und wer nicht.
in dieſem armen Land!” ſetzte er jeufzend hinzu.
„Aber es kann Nichts helfen — fie find einmal
da und — wie ich faft fürchte, nicht zu einer ſehr
glüdlihen Zeit eingetroffen.”
„And wollen Majejtät diejelben ſehen?“
„Es wird fih nit gut vermeiden laſſen,“
ſagte Marimilian nach kurzem Nachdenken, „Tann
auch weiter feine Conſequenzen haben; body bitte,
ſchicken Sie mir den Doctor berüber — ich fühle
mich wieder unmwohl — das läftige Fieber will
nicht von mir laſſen, und ich werde auch nicht:
—
eher geſund, bis ich nicht wieder auf blauen Wo—
gen ſchaukele. Ich ſage Ihnen, ich habe eine
ordentliche Sehnſucht nach blauem Waſſer.“
Padre Fiſcher, als er den Kaiſer verließ, be—
fand ſich in nicht geringer Aufregung, denn hin—
ſichtlich Miramon's hatte er vom Erzbiſchof La—
baſtida ganz beſtimmt formulirte Aufträge, und
es war unumgänglich nothwendig, daß er ihn
ſprach, ehe er eine Unterredung mit dem Kaiſer
hatte. Darnach mußte ſich ja dann auch erſt
genau beſtimmen, welcher Richtung er ſelber
folgen ſolle.
Dazu ſtanden ihm übrigens alle Mittel zu
Gebote, und außerdem kam ihm auch die Poſt—
verbindung zwiſchen Mexico und Orizaba darin
zu ſtatten. Die Diligence traf jeden Abend,
durch die entſetzlich ſchlechten Wege aufgehalten,
erſt gewöhnlich gegen acht Uhr in Orizaba ein.
Es verſtand ſich dabei von ſelbſt, daß die beiden
Herren im Hötel de las Diligencias abſtiegen
und an dem Abend, und fo jpät, nicht mehr bei
dem Kaijer, der in dem Haufe eines Señor Bri—
gas rejidirte, eingeführt werden Fonnten.
Padre Fiſcher verfäumte nicht, die Ankunft
der Poſt zu erwarten. Den General Marquez
fannte er perjönlidy von früher, Miramon nicht,
47
48
aber das jchadete Nichts, denn er trug eine Eleine
Karte des Erzbijchofs bei fich, die ihn bei dem
etwas jtolzen Mericaner raſch einführen mußte.
Wenige mit ihm gewechſelte Worte genügten
au, das zu bewirken, und während Marquez,
ermübet von der Marterfahrt in einem jolcden
Magen und auf folden Wegen, fein Lager juchte,
blieb Padre Fiſcher mit General Miramon nod
erjt eine kurze Weile bei einer Flaſche Haute
Sauterne in der Wirthsitube fißen, und Beide
Ichritten dann, um ungeftörter |prechen zu können,
zu einem Spaziergang in bie dunkle Nacht
hinaus.
Schweigend wanderten fie noch eine kurze
Strede neben einander bin, der Straße folgend,
bie auf den Borego zu führte, jenem unmittel-
bar an der Stadt liegenden Hügel, der damals
von dem volfommen unfähigen General Gonzales
Ortega mit zahlreiher Mannſchaft bejekt war
und von den Franzoſen, welde die Bejagung
überrafhten, mitten in der Naht genommen
wurde.
„And was ift es eigentli, was Sie mir zu
Tagen Haben?’ begann da endlich Miramon,
denn bier war Fein Laufcher mehr zu fürchten,
„Monſeñor weilt darauf in feinen Zeilen bin,
Pi
und ich glaube doc, daß Sie von ihm vollitän-
big inftruirt find?
„Bolfommen, mein General,” erwieberte
freundlich der Padre, „und ic ſchätze mich glück—
ih, Sie hier getroffen zu haben, da von Ihrer
Entiheidung nicht allein des Kaijers Reife, ſon—
bern auch wahrſcheinlich das Glück Mericos ab—
hängt.‘
„Ich bitte Ste, fommen Sie raſch zur Sache,
wir verfhwenden mit Vorreden nur Zeit.”
„Gut denn, ich darf vorausfegen daß Sie
mit den Anfichten und Wünſchen Monſeñors
volllommen vertraut find, nicht wahr?”
„Sp weit es meine Stellung zu ihm betrifft,
glaube ich ja; der Erzbifchof hat jih mir immer
jehr freundlich gezeigt und darf das Nämliche
don mir erwarten.‘
„Wiſſen Sie genau, wie die Verhältniſſe hier
ſtehen?“
„Genau kann ich nicht ſagen; ich weiß nur
das, was man ſich in Vera-Cruz ziemlich all—
gemein erzählt: daß der Kaiſer geſonnen ſei
abzudanken und nur hier in Orizaba noch Sta—
tion gemacht habe, um einige Geſchäfte abzu—
wickeln.“
„Es iſt das einestheils richtig,“ Fiſcher,
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV,
49
50
„aber doch auch noch nicht jo ganz ausgemadht.
Der Kaifer ſchwankt noch, und es wäre möglich
ihn zurüdzubalten, wenn es für nöthig befunden
werden jollte. Uebrigens gebe ih zu, daß er
mehr nad) Europa als nad) Merico neigt, und
ein Drud nad dorthin rafchere Wirkung haben
und leichter jein würde — aber ih meine, ob
Sie die gegenwärtigen mericanijchen Verhältnifje
genau fennen und wifjen, wie es im Lande ſteht?“
„Das eben noch nicht,” jagte Miramon, „und
ih bin begierig, fie Fennen zu lernen. Mir
jheint aber, daß es im Lande jelber jo ungün=
jtig als möglich ausfieht, ja daß es in der That
faum jchlimmer werden kann. Ich verdenfe es
dem Kaiſer wahrlih nit, daß er das Tede
Staatsſchiff unter ſolchen Umftänden verläßt und
ih in einem Boot zu retten ſucht. Die ganze
Sade ijt verfahren, wenn ich audy nicht genau
beurtheilen kann, wer die Schuld trägt.‘
‚And glauben Sie, daß eine Beſſerung mög:
Lich iſt?“
„Wenn der Kaijer jet gebt — ſehr jchwer.
An feinem Namen hängt wenigjtens noch eine
Partei, die fi einer andern anjdhließen und
dieſe verftärten fann; verläßt er aber das Land,
jo löſt fi dieſe natürlid auf und der alte
91
Kampf beginnt wieder allein zwijchen Liberalen
und Conjervativ-Klerifalen, und jegt — wie mir
Iheint — fehr zu Ungunften der leßteren.‘
„Der Erzbiſchof,“ ſagte Fiſcher leije und
mit Betonung, „hofft, daß fih ein Mann ge:
funden babe, der’ den Kaijer erjeßen und ber
Kirche wie dem Land eine große Stüße werben
koͤnne.“
Miramon ſchwieg eine Weile und ſchritt ſtill
und mit geſenktem Haupt neben dem Padre
hin, endlich ſagte er:
„Señor, ich will Ihnen entgegenkommen, um
raſch ein Verſtändniß zu erreichen und unſere
Unterredung abzukürzen, denn ich muß Ihnen
geſtehen, daß ich von der heutigen Reiſe müde
und erſchöpft bin. Ich weiß, welchen Mann
Sie meinen und welches große Vertrauen Mon—
ſeñor in mich ſetzt, aber — ich glaube, er täuſcht
ſich darin und hofft mehr auf mich und meinen
Namen, als ihm der Erfolg gewährleiſten kann.“
„General Miramon!“
„Bitte, laſſen Sie mich ausreden, ich ſelber
habe vor der Hand keine ſolche Zuverſicht, und
bin überhaupt in der langen Zeit meiner Ab—
weſenheit viel zu fremd im Land geworden, um
jetzt leichtſinnigerweiſe mit beiden Füßen zugleich
4%
52
in ein ſehr bösartig aufgeftörtes Wespenneft
hinein zu jpringen. Daß Marimilian hier in
Merico nicht bleibt und nicht bleiben Fann, ba=
von bin ich feſt überzeugt, und ich an feiner
Stelle ginge jeßt; aber in unſerem Intereſſe
liegt e8 jedenfalls ihn noch hier zu halten. Dann
(äßt fich eher abjehen was gejchehen kann, und
ob e8 möglich ift, mit den nod vorhandenen
Kräften einen Erfolg zu erzielen. Jh Tenne
Ihre fogenannte National:Armee noch nicht ein
mal, aus ber wir ohnedies mit Abzug des Kai:
jers alle tüchtigen und fremden Elemente augen=
blieflich verlieren werden, und dann wieder auf
eine unjerer jehr traurigen und unzuverläffigen
Levas angewiejen blieben. Und wie fteht es
mit den Finanzen ?’’
„General Miramon,‘ fagte Fiſcher beftimmt,
„könnte ſich feit darauf verlaffen, daß ihm alle
Hilfsquellen feiner mächtigen Partei zu Gebote
ftänden.‘
„Wenn Sie das dem Kaijer jagen, glaubt er
e8 Ihnen vielleicht,‘ erwiederte Miramon, und
ein leichtes, ſpöttiſches Lächeln zucte dabei um
jeine Mundwinkel, ‚aber ich jelber fenne meine
waderen Compatrioten viel zu genau, um nicht
zu willen, was id) von derartigen Berjprehungen
99
zu halten habe. Nein, verehrter Herr, wie bie
Saden jest ftehen, und das werde ich auch dem
Erzbiſchof gleich morgen Früh fchreiben, denke
ih gar nicht daran, in eine verfehlte Specu—
tion als Hauptchef hineinzutreten. Marimilian
muß deshalb noch für kurze Zeit im Lande
bleiben, noch dazu, da er ſich, wie ih aus ber
Minifterlifte jehe, vollfommen unjerer Partei
zugewendet hat. — Was dann jpäter werden
wird? — veremos.” u
Fiſcher war fjchweigend neben ihm herge—
ihritten; er wußte, daß Miramon Recht hatte,
und theilte feine Anficht vollflommen. Der Kaijer
durfte Merico in diefem Augenblid noch nicht
verlaſſen, wo er felber ja auch darnad) drängte,
ein in Rom verſprochenes Concordat ihm abe
zuringen. Jetzt war der günjtige Moment, ſo—
bald er nur bewogen werden fonnte nach Merico
zurücdzufehren, denn weich gejtimmi und nieder—
gedrückt, ift ver Menjch weit eher für einen geijt-
lihen Zuſpruch empfänglih, als im Gefühle
feiner Macht und Stärfe oder in vollem Glüd.,
Dann aber lebten auch noch im Lande, wie jich
der Padre nicht verhehlen Fonnte, große Sym—
pathien für des Kaifers Perfon, die ſich bejtimmt
noch ausnüßen liegen. — WMiramon — ber
04
Kaiſer — was lag an den Perjonen, wenn nur
die Kirche ihren Zweck erreichte und bie ver-
Iorene Macht wiedergewann.
„Dann find wir einig, General, fagte er
plöglich, während er auf ber Straße, in ber fie
fih Ihon lange wieder gewandt hatten, jtehen
blieb, ‚aber ich muß Ihnen im Voraus bemer:
fen, e8 wird fchwer halten, den Kaifer jetzt noch
zum Bleiben, oder vielmehr zum Zurückgehen
zu bewegen.”
„Ich bliebe nit an feiner Stelle,” ſagte
Miramon troden.
„Aber es giebt Mittel, fette Fiſcher nach—
benfend hinzu, „die nur vorfichtig angewendet
werden müflen, da er verjchiedene Leute in feiner
Umgebung bat, denen der Boden hier unter den
Füßen brennt.‘
„Und e8 gehört Fein beſonders feines Gefühl
dazu, das zu merken,’ lachte der General. „Nun
es wird fich ja bald zeigen, was zu maden ift.
Bon mir jehen Sie aber vor der Hand volljtändig
ab, um mich als Lückenbüßer bier einzufchieben.
Daß ich unfere Partei mit allen Kräften unter:
ftügen werde — ſelbſt im Dienft des Kaifers,
darauf können Sie fih verlaflen, weiter aber
vor der Hand Nichts.’
95
„Und General Marquez?’
„Wird zu mir halten. — Doc es ijt jpät
geworden, und wir find ja wieder in der Nähe
meines Hötels — alſo hasta mañana. — Bis
um welche Zeit glauben Sie, daß wir uns dem
Kaiſer am beiten vorjtellen können?“
„Um zehn Uhr etwa.’
„Hat er Nichts über meine Rüdfehr ge:
äußert?”
„Er ſchien anfangs etwas erjtaunt darüber
— fonft Nichts. Für den Augenblid bat er an
Merico das Intereffe verloren, und Sie konnten
dafür allerdings zu Feiner glüdlicheren Zeit ein-
treffen.‘
Miramon neigte leife das Haupt und jchritt
dem Hötel zu, während jich Fiſcher abwandte,
um fein eigenes Duartier im Haufe Briga’s
aufzufuhen. Es ging ihm jelber viel im Kopf
herum und er mußte Flar darüber mit ſich wer-
den. — Uebrigens jchlief er die Nacht fat gar
nit, jondern ging erſt wohl eine Stunde in
feinem Zimmer auf und ab, dann ſetzte er ſich
hin, jchrieb bis zwei Uhr Morgens Briefe und
ſchickte Schon mit Sonnenaufgang einen Courier
damit fort nad der Hauptſtadt. Die Briefe
waren, der eine an den Erzbijchof Labaſtida, der
56
andere an den jeßigen Minifterpräfidenten Lares,
der dritte nah Puebla adreffirt.
Der Kaijer empfing am nächſten Morgen bie
beiden Generale und unterhielt fich ziemlich leb—
haft mit ihnen, ſchien aber erjtaunt, als Mi-
ramon ihm, auf eine Andeutung bin, daß er
möglicherweife das Land verlaffen werde, zu—
vedete, zu bleiben, und jeinen Degen zugleich
dem Kaijerreich zur Verfügung ftellte. Er hatte
das wohl faum, nad Allem was er früher über
Miramon gehört, erwartet, verhielt fich aber
troßdem ablehnend dabei, und wich auch dem
Geſpräch bald wieder aus.
Eine Woche faft verging noch fo, in welcher
aber Miramon und Marquez auf Filcher’s An—
rathen in Orizaba blieben, und jet trafen von
verjchiebenen Seiten Petitionen ein, bie theils
von Merico, theils von Puebla, und mit Unter:
jchriften bededt, den Kaijer dringend baten, im
Land und an ihrer Spite zu bleiben.
Die Blumen, die das Volk dem Kaijer unter
wegs in den Wagen und vor die Hufe feiner
Thiere warf, waren natürlich gewejen und famen
aus dem Herzen. Dieje Deputationen aber und
Adreffen waren fünftlih und gemacht, und ließen
deshalb auch den Kaifer volllommen Falt. Sein
57
Entſchluß jtand feft, abzudanfen und nach Europa
zu geben, fobald er nur erjt einmal die Sicher:
beit feiner Hilfstruppen garantirt befommen
hatte. Er hörte die Reden ruhig mit an, erwie:
derte aber nur abwehrend darauf und correipon=
dirte indeffen mit Marſchall Bazaine, dem er
feine Abficht anzeigte, wie mit dem Minijterium
in Merico, das er aufforderte, mit dem Staats
rath nad) DOrizaba zu fommen und feine Abdan—
fung entgegen zu nehmen.
Miramon ließ indeß nicht nach. Auch er ver—
folgte ein bejtimmtes Ziel, und während er ſich
mit jugendlihem euer demjelben bingab, juchte
"er auch den Kailer, den er vor der Hand nod
gebrauchte, dafür zu gewinnen. Er wie Mar:
quez, Beide tüchtige Soldaten, ſchilderten dabei
mit großer Xebendigkeit bie verjchiedenen mög:
lihen Operationspläne, um ben Feind zu werfen
und bie Liberalen gänzlich zu vernichten, und ber
Verdacht, den fie dabei ausjtreuten, daß bie
Franzoſen nämlich in ihrem Kampf gegen Juarez
nicht ehrlich gehandelt und allem Anjchein nad)
gar nicht beabjichtigt Hatten ihn vollftändig auf-
zureiben, nur um den Kaiſer dadurch jo viel
länger von fich abhängig zu halten, fiel -— wenn
aud jedenfalls ungereht — doc auf fruchtbaren
58
Boden. Marimilian, gegen Bazaine und fein
undankbares, rüdjichtslojet Benehmen erbittert,
traute ihm jett Alles zu.
Auch die friegeriihen Schilderungen beſchäf—
tigten ihn, wenn fie auch nod vor der Hand
feinen entjcheidenden Einfluß auf ihn ausübten.
Sie wirkten jedenfalls mit, und zwei Momente
brachten die Sache endlich zum vollen Ausichlag.
Das eine war die Antwort bes franzöfiichen
Hauptquartiers auf feinen Brief, und zwar von
Bazaine, Dano und Laſtelnau unterjchrieben.
Die Herren, entzüdt von dem Gedanken, den ver:
rathenen Kaiſer jo weit gebracht zu haben, daß
er wirflih abdanfe und Louis Napoleon da=
beim feine weiteren Schwierigkeiten bereite,
ſchrieben im höchſten Grade unvorjichtig und be—
zogen fi ſchon auf „die neue Regierung‘, bie
fie jedenfalls im Auge hatten.
Der Kaijer war empört darüber, und immer
deutlicher und klarer wurde ihm die Stellung, zu
ber ihn das franzöſiſche Cabinet herabgewürbigt
— zu faum mehr als einer Puppe, die man eben
an= und ausziehen Fonnte.
Zu gleicher Zeit traf das Minijterium mit
bem gejammten Staatsrath in Orizaba ein. Die
Herren mochten wohl fühlen, daß es dem Kaijer
59
bob mit feinem Entſchluß, das Reich zu ver:
laſſen, Ernjt fei, und fie griffen zu einem le&ten
und graujamen Mittel, den bisher von allen
Seiten im Stich gelafjenen Kaiſer, dem fie keins
ihrer Verſprechen gehalten Hatten, an jein in
Merico gejprohenes Wort zu mahnen:
„Ein rechter Habsburger verläßt feinen Poſten
nicht im Augenblid der Gefahr.‘
Bon dem Augenblid an war Marimilian’s
Schickſal bejiegelt. Daß man ihm taujend= und
taujendmal das Wort gebrochen, verſchwand in
dem Gefühl, die eigene Ehre verpfändet und ein
gejeßt zu haben, und wenn auch noch dann und
warın die Sehnſucht nah Europa in ihm er—
wachte, er war ſich doch von da an klar bewußt,
Merico nicht eher verlaffen zu wollen, bis er
beffen Zujtände geregelt — etwas Undenfbares
an fich jelbjt — und einen National:Congreß zu:
jammenberufen habe, der frei und unabhängig
über die Regierungsform entjcheiden jolle.
Der Staatsrath und das Minifterium hielten
jegt in Drizaba ihre Situngen und beſchloſſen
in der Majorität, den Kaifer zu erjuchen, bie
Krone zu behalten. Marimilian jtellte ihnen
feine Bedingungen: jehs Unmdglidhfeiten;
Berufung eines National:Congrefjes, ausreichende
60
finanzielle Mittel, um ven Regierungs-Voranſchlag
jiher zu ſtellen, Rekrutirung für eine National:
Armee, Colonifation des Landes, Regelung ber
Trage zwilchen Merico und Frankreich, und Her:
jtellung eines guten Vernehmens zwiſchen Merico
und ber Union.
Die Konfervativen hatten den Monarchen,
wo jie ihn haben wollten, und fagten nun zu
Allem ja. Waren es doch nur VBerjprehungen,
bie man von ihnen verlangte, und Marimilian
dadurch der Verbündete ihrer Partei geworben.
Der Kaiſer Fehrte nad Merico zurüd.
3.
Der Abzug der Firanzofen.
In der Hauptjtabt Merico befand fih alle
Melt heute auf den Füßen, und es war falt als
0b das größte Feſt gefeiert werden ſollte. Die
Balcone waren faft jfümmtlih von Damen in
lichten Kleidern angefüllt, in den Straßen jpreng=
ten Reiter auf und ab, und das Volk hielt be=
ftimmte Straßen und faſt jämmtlihe Pläße
Ihon von frühem Morgen an beſetzt. Was
hatten die Leute auch zu thun? fie verjäumten
Nichts, und während fie hier ein buntes Schau=
jpiel erwartete, war das Ganze in Wirklichkeit
ein et für Merico. So freundlid man näm—
lich die Franzoſen bei ihrem erſten Eintreffen
— wenigjtens von verjchiedenen Seiten, bejon-
ders von ber Nriftofratie aus, bewilllommt hatte,
62
jo jehr freute man ſich jeßt, fie wieder [os zu
werden. Man war ihrer müde geworben und
längere Bekanntſchaft jchien nicht, wie das zu:
weilen der Fall ift, genügt zu haben, zwei jo
entgegengejegte Elemente ineinander zu ſchmelzen.
Die Franzoſen Hatten fih auh im Ganzen
nicht jo liebenswürbig benommen, wie man ihnen
das gewöhnlich nachſagt. Der Uebermuth, mit
dem jie bejonders in der leßten Zeit auftraten,
verlegte den Nationaljtolz der überdies jtolzen
Mericaner, und mande Xactlofigfeit, bie fich
vor Allem der Marihall zu Schulden fommen
ließ, machte jogar in höheren Kreiſen — bie bis
jeßt noch allein zu der „großen Nation’ gehal—
ten, böjes Blut. Man war fie ſatt und über:
jatt geworden, und als fie fi endlich zum Ab:
marjch rüfteten, jubelte die ganze Stabt.
In der Calle San Francisco in Rodriguez’
Haufe Hatte ſich ebenfalls ein Kreis von Be—
fannten eingefunden, denn man wußte, daß Ba—
zaine dort mit feiner Suite noch im großen
Pomp, als ob e8 einen Siegeszug gelte, vorbei:
defiliren würde — und doch war es nur eine
ſchmähliche Niederlage, welche die franzöfiiche Po:
litik Hier erlitten — ein einfacher Zwang, ben
die Vereinigten Staaten auf die „große Nation‘
63
ausgeübt, und die „civilifatorifche Armee’ wurde
einfadh von der nordiſchen Republik nad) Haufe
geſchickt.
So ſtill aber auch die Zeit bis jetzt in Ro—
driguez' Hauſe verfloſſen ſein mochte, da ſich der
alte Herr, der ſich ſo viel als möglich von Po—
litik fern hielt, ſchon deshalb häufig mit ſeinen
alten Freunden in Conflict befand, ſo angefüllt
war es heute, und nicht etwa nur von Gäſten
oder Beſuchern, die das Schauſpiel des Vorüber—
marſches der abziehenden Armee herbeigelockt.
Ricarda's Vater, der ſeine Ankunft von Monat
zu Monat abgeſchrieben, da ihn die unglückſeligen
politiſchen Verhältniſſe Mazatlans zwangen, ſei—
nen Aufenthalt in der bald von den Kaiſerlichen,
bald von den Diſſidenten genommenen und mit
Zwangsanleihen belegten Stadt zu verlängern,
war endlich eingetroffen, aber nicht, um feine
Tochter nad dem Staat Sinalva, an die Küfte
des jtillen Meeres zurüdzuführen, jondern um
mit feiner ganzen Familie nad) Spanien über:
zufiedeln, und endlich einmal diejen ewigen Re:
volutionen und Kämpfen zu entgehen, wie fein
Leben in Ruhe und Frieden zu genießen.
Ob dazu Spanien gerade der pafjende Pla
war, bleibt dahingeſtellt, aber er hoffte doch, dort
64
wenigftens in geregeltere Verhältniffe zu kom—
men, als fie ihm Merico hier bieten Fonnte —
und ungeregeltere gab es ja doch nirgendwo auf
der weiten Welt.
Roneiro und Bajtiani waren ebenfalls mit
ihren rauen herübergeflommen — auch Inez
— aber wie verändert hatte ſie die Furze Zeit!
Was war aus dem einjt jo blühenden, bildſchönen
Mädchen geworden? eine Matrone, bleih und
abgezehrt, mit hohlliegenden Augen und einge—
fallenen Wangen, und fein Lächeln trat mehr
auf die bleichen Lippen.
Da öffnete ſich die Thür wieder ohne vor—
berige Anmeldung, und zwei junge Officiere be=
traten den Raum.
„Feliciano!“ rief Rodriguez erfreut. „Junge,
wo fommjt Du ber? — und caramba — Gefior
van Leuwen — Sie Hätte id wahrlich nicht
wieder erfannt — Sie ſehen friſch und blühend
aus.“ |
„Den hab’ ih mir in Puebla aufgefifcht,
lachte der junge Feliciano. „Er wollte nach Haufe
zurüd, aber ich litt es nicht und Habe ihn für
unjere Armee gepreßt.‘
„Es bat nicht viel Ueberredung gebraucht,“
jagte van Leumwen Halb ſcheu, indem jein Blick
wie juchend durch das Zimmer flog — „id war
felber noch mit mir im Kampf, was ich thun —
ob ich gehen oder bleiben ſolle.“
„Und von Ihren Wunden jind Sie voll:
fommen geheilt?‘
„Bollflommen, wenn es aud) etwas lange ge=
dauert hat.’
„Und fennen Sie alte Freunde nicht mehr ?’’
jagte da eine leife Stimme dicht hinter feinem
Rüden, und als er ſich haftig darnach umdrehte,
fand, wie mit Purpur übergofjen, aber ihn
freundlich anlächelnd, Ricarda vor ihm und ftredte
ihm die Eleine Hand entgegen.
„Seforita!” rief der junge Officier, „wie
glüdlih bin ih, Ahnen wieder begegnen zu
dürfen |’
„Wirklich?“ lächelte wehmüthig das junge
Mädchen — „und war Ahnen das Haus ver—
boten, daß Sie ſich feit langen Monden nicht
von jelber wieder bei uns jehen ließen ?'
Ban Leuwen erröthete und ſchwieg einen Mo-
ment. Endlich ſagte er: „Als ich mein Kranfen=
jimmer verließ, wagte ich nicht, mich Ihnen bier
wieder aufzudrängen — der Dienft ließ mir aud)
feine lange Zeit zur Ruhe — ich wurde, wie
ih faum wieder im Sattel figen konnte, nad
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 5
66
Dajaca beordert, dort aber gerieth unjere ganze
Bejagung, von der Uebermacht des Feindes fait
erbrüdt, in Gefangenſchaft, und erjt jeit wenigen
Tagen von Porfeirio Diaz freigegeben, find wir
wieder in Puebla angelangt.”
„So waren Sie gefangen ?'
„Kriegsglück — doch wie ich höre, ift Ahr
Herr Vater bier. Dürfte ih Sie bitten mid)
ihm vorzujtellen ?“
Señor San Blas unterhielt jich — an einem
der Fenſter mit ſeinem alten Freund Baſtiani
und ſchien auch von der neuen Bekanntſchaft
nicht beſonders erbaut; er verbeugte ſich wenig—
ſtens gegen den jungen Mann viel kälter und
zurückhaltender, als das ſonſt ſeine Art war,
und ſelbſt Ricarda ſah ihn betroffen an. Er
wandte ſich auch gleich wieder zu ſeinem früheren
Geſpräch zurüd und jagte, als er mit Baltiani
aufs Neue allein war:
„Ich würde e8 für ein großes Glück für
Merico halten, wenn recht viele fleißige fremde
Arbeiter und Coloniſten berüberfämen und das
Land bebauen, wie dem Verkehr mit anderen
Nationen mehr zugänglich machen wollten, aber
dieje freinden Herren Officiere, die dem Kaijer
hierher nad Merico gefolgt find, wollen wir
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ihnen doch Lieber jchenfen, denn es jind weiter
Nichts als Abenteurer, die ſich Hier goldene Berge
geträumt und nun, da jie nicht einmal ihren
Sold befommen, vom Schuldenmadhen leben.
Wir haben da böje Erfahrungen in Mazatlan
gemadht und in Vera-Cruz wird noch viel mehr
darüber erzählt.‘‘
„Es giebt viele rühmliche Ausnahmen,‘ jagte
Baſtiani.
„Das mag ſein,“ nickte San Blas, „aber
man muß gewöhnlich erſt verwünſcht ſchwer da—
für bezahlen, um ſie aus der übrigen Maſſe
heraus zu finden, und ich möchte den Verſuch
nicht noch einmal machen.“
„Ich halte dieſen Belgier dafür — ich bin
früher einigemal mit ihm zuſammengekommen,
und er hat ſich ſtets tüchtig und beſcheiden be—
nommen — er iſt auch, glaube ih, für ſeinen
Unterhalt hier nicht allein auf ſeinen Sold an—
gewieſen.“
„Deſto beſſer für ihn,“ erwiederte San Blas
kurz abwehrend und warf von da an nur manch—
mal den Blick nach ſeiner Tochter hinüber, um
zu ſehen, ob ſie ſich noch immer mit dem jungen
Fremden unterhielt.
„Ihnen ſcheinen ſie in Mazatlan bös mitgeſpielt
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zu haben,“ fagte Baftiani, „der arme Ort bat
ja aud ein paar Mal die Befiter gewechjelt.”
„Die Liberalen,” fagte der alte Herr, „von
denen wir auch nur das jchledhtejte und nichts-
nußigjte Gefindel da binüber befamen, haben
gewirthichaftet wie die Räuber und werben jekt
das Geſchäft fortjegen. Unter dem Vorwand,
daß ich zur Faiferlihen Partei gehöre — was
gar nicht einmal der Fall war, confiscirten fie
mir meine zwei Hacienden — mußten fie dann
aber natürlich wieder herausgeben, und ich war
froh, als ich fie endlih, wenn aud kaum zu
ihrem balben Werthe, an einen Amerifaner ver:
faufen fonnte. Nein — idy habe jett das Elend
in unjerem Vaterland faft an die zwanzig Jahre
mit durchgemacht und bin es jatt geworden. Der
Kaijer will Eoloniften in dus Land ziehen —
Ave Maria, e8 wird ihm jchwer werden, nur
die Leute bier zu halten, die jet barin
wohnen.”
„Aber das iſt nicht möglich 1’ rief der unfern
von ihnen jtehende Rodriguez, der fich mit feis
nem Sohne unterhielt, und bie beiden Herren
wandten jich ihm zu, um zu hören, um was es
ſich bier handle.
„Und es iſt trotzdem ſo, Vater,“ ſagte Feli—
er T
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ciano, „denn ich habe e8 mit meinen eigenen
Augen gejehen.‘
„Was ift es, Rodriguez ?''
„Die Franzoſen,“ jagte Feliciano, „haben in
den legten Tagen und vor ihrem Abzug nichts
weiter gethan, als ihre Munition zerjtört, was
fie nicht eben mitführen fonnten, anjtatt fie dem
Kaijer zu überliefern.‘'
„Es ſieht ihnen ähnlich,” nickte Baftiani,
„aber woher weißt Du das, Feliciano?“
„Seltern Morgen befahl mir der Kaifer,
Civilfleiver anzulegen und ihn auf einem Elei:
nen Spaziergang zu begleiten. Ich wußte nicht,
was er beablichtigte, befolgte aber natürlich raſch
den Befehl, und wir jchritten dann der Eitadelle
zu, in die wir Eintritt verlangten. Der fran:
zöſiſche Poſten, der uns nicht kannte, weigerte
ihn, der Kaijer trat aber ruhig vorwärts, und
als die beiden Soldaten einjpringen wollten, rief
ih ihnen zu: „Seine Majeſtät!“ Die armen
Teufel wußten jeßt natürlich nicht, ob die Ordre,
Niemanden einzulajien, auch auf den Kaijer aus:
gedehnt ſei — konnten es fich wenigjtens nicht
denken und ließen uns pafjiren, und drinnen im
Hofe fanden wir jeßt die ganze franzöſiſche Be—
jagung emjig damit beſchäftigt, ihre Geſchoſſe zu
70
zerichlagen und unbrauchbar zu machen, und dag
Pulver haben fie in die Sequia geworfen, nur
damit e8 nicht für das Faiferlihe Heer zurüd:
bliebe. — Ja wie mir mexicaniſche Kameraden
verficherten, find fie jo weit gegangen, daß ſie
auf dem Mari im Innern ihnen befchwerliche
Munition fogar an die Liberalen verfauft
haben.“
„Schöne Verbündete!“ lachte Baſtiani — „und
was ſagten ſie, als ſie den Kaiſer erkannten?“
„Der commandirende Officier,“ erwiederte
Feliciano, „ſchien auf das äußerſte beſtürzt, und
mir that der arme Teufel leid, denn es war nicht
ſeine Schuld. Er hatte nur die Befehle Ba—
zaine's auszuführen, aber was konnte er auch
machen? Er erkannte den Kaiſer natürlich augen—
blicklich, ſchoön an feinem getheilten Bart und der
ganzen impoſanten Erſcheinung, und die Wache
mußte in's Gewehr treten, aber die fatale Arbeit
war auch weder zu beſeitigen, noch zu verheim—
lichen — eine Unterbrechung hätte nicht einmal
genützt, ſondern die Sache eher noch verſchlim—
mert. So nahm denn das Zerſtörungswerk ſei—
nen ruhigen Fortgang, und der Kaiſer ging
dazwifchen herum und ſah ihnen, mit einem halb
ſarkaſtiſch Tächelnden, halb verächtlichen Blid zu.
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68 war die größte moralijche Niederlage, die
fie erleiden fonnten, und Bazaine jol außer
fih gewejen fein, als er e8 erfuhr.‘
„Daß Bazaine Santa Anna’s Staatsfutjche
ebenfalls verfauft hat, wißt Ihr doch?’ jagte
Roneiro.
Die Geſellſchaft lachte. „Das iſt nicht übel,‘
rief Rodrigüez, ‚an wen denn?’
„An Almeja — was der damit maden will,
weiß Gott.‘
„Nun, fein ganzes Mobiliar in Buena Bifta
hat er ja ebenfalls verkauft, und das gehörte
eigentlich der Stadt,” meinte Feliciano. „Er
macht Alles zu Geld, ja ich weiß aus guter
Quelle, daß eine Mafje Kriegsmaterial jogar,
und zwar mit bejonderer VBorjiht vergraben
ift, wofür er wahrjcheinlih von den Liberalen
Bezahlung erhalten Hat — aber wir wiffen den
Pla, ein franzöfiicher Officier, dem das doch
ſelbſt zu arg erjcheinen mochte, hat ihn verrathen,
und jobald die Herren fort find, werden wir die
feine Erbichaft antreten. Pfui Teufel, haben
ich diejfe Herren hier noch die lebte Zeit benom—
men und wirflid ihr Schlimmjtes gethan, um
ben Verbündeten ihres Souveräns zu Grunde
zu richten !’' |
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„Das Beite war der Befehl Bazaine's,“ jagte
Baftiani, „daß alle franzöſiſchen Unterthanen als
Dejerteure betrachtet werden follten, die in ben
mericanijchen Corps blieben; und doch find dieje
gerade von dem Marjchall jelber errichtet worden.”
„Es war eine Schmach!“ rief Feliciano, „und
eine Menge franzöjiihe DOfficiere haben auch
Dagegen protejtirt. Caramba, der Proteſt ift
Iharf genug und der Marſchall von Frankreich
befommt darin einige höchſt pifante Sachen zu
böven — aber er bat ein dies Tell und beruft
fih nur einfach auf die Befehle des Kaiſers.“
„And vielleiht mit Recht!’ fagte van Leu:
wen. ‚Napoleon jol außer fi darüber fein,
daß Marimilian nicht ihm zu Gefallen abdanfen
will. Die ganze Sache wäre dann glatt ver—
laufen, er hätte am Neujahrstag wieder eine
hübſche Thronrede halten können, wie er bie
Gelbjtbejtimmung der Völfer achte, mit den üb:
lihen Phraſen dabei, und Seine Majejtät der
Kaifer von Merico wäre bei Seite geſchoben
worden.‘
„Aber doch nicht Alle haben jich den Befehlen
des Marſchalls gefügt, rief Feliciano — „bier
Freund van Leumwen und viele brave Soldaten
find zurüdgeblieben, und wie hat fich der belgifche,
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wie der öfterreichiiche Gejandte bemüht, fie zu
bewegen, ihren Kaijer im Stich zu laſſen!“
„Diefe beiden Gejandten?” rief Ricarda,
„das ift doch nicht denkbar. Sind fie denn nicht
gerade von ihren Regierungen bierher gejandt
worden, um ben Kaijer zu unterjtüßen ?'
„Das folte man eigentlich glauben,‘ jagte
van Leumwen » ‚dem jcheint aber nicht jo. Ich
weiß wenigſtens, daß Monfieur Hoorids, mein
Gefandter, mir jpeciell dringende Borjtellungen
gemacht hat, mich nicht diefem unglüdjeligen
Unternehmen anzujchliegen, und eben jo tactlos
bat fich der öfterreihijhe Gejandte Baron Lago
benommen. &s jcheint überhaupt, als ob beide
Regierungen die unfähigjten Männer ihres gan:
zen Reiches auf diejen doch Bun Poſten ge:
ſandt hätten.’
| „Da kommen fie!” rief Rodriguez’ jüngjter
Sohn, ein Knabe von vierzehn Jahren, der bis jeßt
an einem der Balcone auf Wache gejtanden und
das Nahen der Truppen — weniger aus patrio:
tiihem Gefühl, als aus Neugierde, mit Sehn:
judt erwartet haben modte — „ich kann jchon
die Mufif hören und da drängen aud jchon die
Leute die Straße herab.‘
Im Nu füllten fih die Balcone der langen
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Front des Hauſes — die Kinder unten hinter
den Gittern, die Damen voranftehend, die Her—
ren hinter ihnen, und bunt genug ſahen bie
Häuferreiben aus — aber wahrlid nidht von
Fahnen und Blumenihmud.
Der General en chef Forey jchrieb von
Merico aus am 10. Juni 1863 mit feiner ge:
wöhnlihen Bejcheidenheit und Einfachheit an den
Kriegsminijter Randon:
„Soeben bin ih an der Spite der Armee in
Merico eingezogen. Mit noch ganz bewegtem
Herzen richte ich dieſe Depejche an Euer Ercellenz,
um Ihnen zu melden, daß die Bevölkerung
dieſer Hauptſtadt — Alle mitfammen — bie
Armee mit einem Enthufiasmus empfangen hat,
der an Mahnfinn grenzte. Die Soldaten Frank—
veihs find buchſtäblich von den Kränzen und
Sträußen erdbrüdt worden, wovon nur ber
Einzug der aus Stalien zurüctehrenden Armee
in Paris am 14. Auguft 1859 eine Vorftellung
geben fann. Ich babe mit allen Officieren des
Generalftabes in der prächtigen Kathedrale bie-
jer Hauptjtadt, die von einer unermeßlichen Men:
Ihenmenge erfüllt war, einem Tedeum beige:
wohnt, dann defilirte die Armee in bewunderungs—
würdiger Haltung vor mir unter dem Rufe: Es
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lebe der Kaiſer, es lebe die Kaiſerin! Nach dem
Parademarſch habe ich im Regierungsgebäude die
Behörden empfangen, welche Reden an mich hiel—
ten. Dieſes Volk iſt hungrig nach Ordnung,
Gerechtigkeit und wahrer Freiheit. In meiner
Antwort an die Repräſentanten habe ich ihnen
das Alles im Namen des Kaifers verheißen. Mit
der nächſten Gelegenheit werde ich die Ehre ha—
ben, Ihnen weitere Details über diefen, in der Ge—
ſchichte beifpiellofen Empfang zu liefern, der die Be—
deutung eines politiichen Ereigniffes von unermeß—
lihem Nachhall hat. Der General en chef Forey.“
Ganz von der bodenlojen Arroyanz und
Uebertreibung biejes Berichtes abgejehen, der nur
in jofern etwas Wahres hatte, al8 die haute volde
in Merico, aljo die Confervativen und Klerika—
len, die damals einrüdenden Franzoſen allerdings
mit Zurufen und Blumen begrüßten, während
bie in der Minorität befindlichen Liberalen und
das überhaupt nicht in Betracht kommende Volk
fie nur düfter und fchweigend empfing — weld)
ein Unterjchied zwijchen heute und damals, und
body lagen nur wenige Jahre dazwilchen.
Die Damen Mericos, die meift in ihre Re-
60508 gehüllt auf den Balconen Ichnten und aus
Neugier den Abzug der Truppen beobachteten,
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hatten feinen Gruß, feine Blume mehr für die
Scheidenden — kein Tuch wurde ihnen geweht,
feine Fahne geſchwenkt. Hier und da von irgend
einem Hötel, wo ſich franzöfiihe Damen be—
fanden, verfuchte man wohl eine ſchwache De:
monftration, aber dieſe einzelnen Beifallsrufe
machten — wie ein Lüfter brennendes Licht in
einem weiten Saal die Dunkelheit — fo bier
die öde, unheimliche Stille, die auf der Menſchen—
mafje lag, nur noch bemerfbarer, und wenn dieſe
nicht in Flüche und Verwünſchungen über bie
bisherigen Unterdrüder ausbrad, jo war es nur
die Furcht vor ben ſcharfen Waffen, die fie davon
zurückhielt.
Was freilich konnten die franzöſiſchen Sol—
daten dafür? Sie hatten ſich wacker wie immer
geſchlagen, und Gefahren und Entbehrungen mit
bewunderungswürdiger Ausdauer ertragen. Sie
waren nicht verantwortlich für die faule Politik
ihres Kaiſers, für das mehr als zweideutige Be—
nehmen ihres Höchſt-Commandirenden, und ſelber
froh, dieſem unerquicklichen Zuſtande hier in
Mexico enthoben zu ſein, wo fie recht gut fühl—
ten, wie verhaßt fie dem ganzen Volk geworden,
zogen fie jeßt wieder leichten Herzens der Hei-
math entgegen.
77
Boran dem Zug ritt der Marſchall von Franke
veih, von feinem ganzen glänzenden, mit Orden
bedeckten Stab gefolgt, und war das Volk ftill
und theilmahmlos, jo mußte die Militärmujif
dafür dejto raufchenderen Lärm machen. Wohl
warfen die Dfficiere nad) den Balconen freund:
lihe Blide und auch wohl Kußhände hinauf,
aber verächtlich drehten die mericanifchen Damen
die Köpfe ab, und die galanten Herren durften
fih Feines Grußes der dunfeln Augen rühmen.
Sp zogen ſie vorbei durd die Galle San
Francisco und Galle de los Plateros der Plaza
zu, und über dieje bin, am Palacio vorüber bei
der Sarita San Antonio hinaus.
So Stil und fchweigend aber aud) faſt ſämmt—
ide Bewohner der Stadt den Abzug der Unter
drüder hinnahmen, an einem Haus in der Calle
de los Plateros hatte es jich der Beſitzer nicht
verjagen fünnen, ein Zeichen feiner innigen Freude
anzubringen, und das war an dem des wadern
Don Pedro Gaspard, des „Hoffriſeurs“ der Kai—
ferin und Gapuchin oder Altipaniers von Grund
der Geele aus. Er haßte die Franzoſen nicht
allein deshalb, weil ſie feinen Kaijer jchlecht be=
handelt und die unglüdliche Kaijerin zum Wahn:
jinn getrieben hatten, fondern auch jchon, weil
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er — vielleicht mit etwas Webertreibung, von
ihnen behauptete, daß immer „der dritte Mann
Friſeur wäre”. Er batte es ſich deshalb aud
nicht verſagen können, an jeinem Haufe — und
zwar aus Vorſorge transparent, weil er fie in
Verdacht gehalten, daß fie bei Nacht abmarjchiren
würden — ein Ffleines rundes Schild mit den
mericanijchen Farben anzubringen, auf dem nur
die zwei, aber doppelt unterjtrichenen Wörter
ftanden „bon voyage“ — darum ber aber hatte
er einen Kranz von gelben Todtenblumen ange:
bradt. Ueber dem Schild nun ftand er auf
jeinem kleinen Balcon, betrachtete fich mit inner:
liher Schadenfreude den Abzug der verhapten
Nation und beobachtete den Eindrud, den bie
jpöttifche Inſchrift auf fie machen würde.
Links von ihm, am andern Balconfeniter,
ftand feine junge Frau mit ihrer bildhübjchen
Schweiter. Don Pedro täufchte ſich aber doch
über die Wirkung, denn bie Franzoſen lachten
als fie vorübergingen und warfen dem finfter
dareinichauenden Friſeur, wie ben beiden jungen
Damen nebenan auf das unverfchämtefte Kup:
bände zu. Sie fchienen den unverfennbaren in:
grimm des Kleinen Mannes mit dem großen
Lockenkopf gar nicht zu beachten, oder jid am
wr
79
Ende gar noch darüber zu amüfiren, und Don
Pedro Hatte feinen Zwed vollfommen verfehlt.
Unter der Menge, die dem Zuge folgte, be=
fand ſich auch ein tunfelfarbiger Indianer oder
Sambo, der ebenfalls die Blicke feſt auf den
einen Balcon geheftet hielt, und zwar auf ben,
auf welchem die Damen ftanden, ohne daß man
ihn jedoch von da beachtet hätte. Die Menſchen—
menge hatte ſich, den Franzoſen folgend, ſchon
auf die Plaza hinausgezogen — der Sambo hielt
ih noch immer auf der andern Geite ber
Straße und ſchien endlih die Geduld zu ver-
lieren. Er trat mitten auf den Weg und nahm
den Hut ab.
Die Damen waren auf dem Balcon ftehen
geblieben, um die Anzüge auf den übrigen zu
mujtern, aber die einzelne Geſtalt mußte ihre
Aufmerffamfeit dorthin lenken. Cornelia’ Schwe-
fter wenigjtens bemerkte ihn und jagte lächelnd
zu ihr:
„Hat der Schwarze Señor da unten Dich ge-
grüßt ?’‘
Eornelia warf nur einen Blid auf ihn,
aber fie hatte ihn im Nu erkannt und war auf:
fällig blaß geworden. In diefem Augenblid
trat Don Pedro zu feiner Frau und Schwäge-
80
rin heraus und fagte, ſich vergnügt die Hände
reibend:
„Sp, Seioritas, die Herren wären wir end—
(ich los, nachdem fie freilich alles nur erdenkliche
Unheil angerichtet; aber wiebderfommen werben
die nicht, davor find wir fiber. — Wohin
willft Du, Cornelia 9
„sch komme gleich zurüd — ih — hole mir
nur ein Taſchentuch!“
Die Schweiter ſah ihr etwas erftaunt nad,
denn Cornelia batte ihr Taſchentuch bis dahin
in der Hand gehalten, und wie von einem plöße
lihen Gedanfen ergriffen, juchte ihr Blick den
Sambo unten. Diejer aber jchritt jett langjam,
den Balcon nicht weiter beadhtend, auf das Haus
zu, als ob er in den Laden wolle. Don Pedro
plauderte indefjen da oben nach Herzensluſt von
allen Stadtneuigfeiten, die Merico gerade da—
mals in joldem Ueberfluß erfüllten — glüdlicher
Menſch, er war nur jelig, daß er die „franzö—
fifhe Nation’ los wurde, die ihm bis dahin
wie ein Alp auf der Bruft gelegen. — Die fran:
zöſiſchen Friſeure gingen freilich troßdem nicht
mit, denn in der Stadt wimmelte e8 noch von
ihnen.
Seine Schwägerin blieb neben ihm auf dem:
81
Balcon ſtehen und hörte ihm zu — leiſe bog fie
jich ein Flein wenig nach rechts, daß fie die Haus—
thür im Auge behielt.
Der Sambo ftand dort. Da wurde der Rie—
gel von innen zurüdgejchoben — ſie fonnte das
Geräufch deutlich Hören — und eine Hand ftredte
ich heraus, die ein Papier hielt — es war bie
Hand ihrer Schweiter. Im nächſten Augenblicd
hatte der Sambo das Bapier unter feinem Bondyo,
und ſchritt damit, rajcher als er bisher gegangen,
die Straße hinab. —
Die Geſellſchaft in Rodriguez’ Haus war in-
deſſen mit ihren Blicken der langen franzöfischen
Colonne gefolgt, bis fie auf die Plaza einbog
und ihren Augen entjchwand.
Pan Leuwen und Ricarda Hatten ſich auf
dem einen Balcon mit einigen von Rodriguez’
jüngeren Kindern zufammengefunden.
„Und jo ganz ohne Abjchied wollten Sie
und verlafien und nad Europa zurückkehren?“
jagte das junge Mädchen, als Bazaine mit feinem
Stabe vorüber war und der Anblick dadurch
feinen Reiz verlor — „war das aud) recht von
Ihnen?“
„Ricarda,“ ſagte da van Leuwen bewegt, „ich
wagte es nicht, Ihnen wieder unter die Augen
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV. 6
82
zu treten, denn wir Fremden haben Ihrem Lande
feinen Frieden gebracht, fondern ihm nur viel
— oh, jo entjeglich viel Blut gefoftet! Ich fürch—
tete, daß Gie uns Alle haſſen würden.‘
„Und ijt Ihr Kaijer, iſt Shre Kaiferin auch
deshalb zu ung gekommen?“ fagte Ricarda weich
— „haben fie nicht Alles geopfert, was einen
Menſchen an dies Leben feſſeln kann, und treu
und ehrlid) die ganze Zeit gehalten, was fie und
verjprohen? Glauben Sie, dag wir Mericaner
feinen Unterjchied zwilchen denen zu machen
wiſſen, die es wirklich gut mit uns meinen,
und joldyen, die nur der Ehrgeiz und die Erobe-
rungslujt eines einzigen böjen Mannes herüber—
getrieben ?''
„Sp zürnen Sie uns nicht?“
„Zürnen!“ fagte Ricarda wehmüthig, „ich lebe
nun fo lange in Merico und bin wohl ein jtiller,
aber aufmerffamer Zeuge des Kanıpfes gewejen,
den Ahr braver Kaijer hier gegen eine Unmög—
lichkeit angefämpft bat: nämlich das mericanijche
Volk für die Sade jeines eigenen Vaterlandes zu
begeijtern. Nehmen Sie meinen Onkel, er ijt
ein jo braver, ehrenhafter Mann, wie Gie ihn
nur im weiten Reich finden fönnen, und ben:
nody hat er Fein Herz für das Land, in dem er
83
geboren wurde, für das Volk, das ihn umgiebt
und aufwachſen ſah. Nur jein eigenes In—
terejje wie das feiner Partei leitet ihn. — Die
Angst, daß die confervative ‘Partei einen Theil
ihrer Rechte und Bejigthümer verlieren könne,
trieb ihn, zuerjt für den Kaifer mit zu jtimmen
— neigte ihn dann wieder dejjen Feinden zu,
und bat ihn jeßt wieder bewogen, alle Mittel
aufzubieten, Marimilian im Land zu halten. Er
ift fein bejonderer freund des Klerus und voll:
fommen dagegen, daß diejem die liegenden Gründe
wieder überwiejen würden, aber er gebt jeßt
troßdem Hand in Hand mit der Geijtlichkeit,
weil er in diejer eine Unterftüßung aud für feine
Intereſſen zu finden glaubt. — Und jo find fie
Ale — Alle,“ ſetzte fie traurig mit dem Kopf
Ihüttelnd hinzu, ‚und Ihr armer Kaifer, wenn
er jeinem Worte treu bleibt, wird und muß in
diefem Lande untergehen.”
„Sp glauben Sie nicht, daß er im Stande
ift eine wirkliche National-Armee zu jchaffen,
die jeinen Thron ftüßen und feinen Feinden be-
weijen kann, daß er auch ohne fremde Bajon-
nette im Stande wäre die mericanijche Fahne hoch
zu halten 2“
„ein, ſagte Ricarda ruhig. — „Er wird
6*
84
Einzelne finden, die treu und ehrlich zu ihm
halten — und ich glaube, daß Feliciano Einer
von dieſen ift — aber er wird die Mafje nur
an jich zu feffeln vermögen, jo lange das Glüd
ihm treu bleibt — länger nicht. Das eben ift
ja das Unglück unjeres jchönen Landes, daß
bier feine Treue und fein Glauben herricht.
Der Berrath it den politiihen Führern zur
zweiten Natur geworden. — „Er hat fich pro:
nuncirt‘‘, jagen die Leute einfach, wenn ein Ge:
neral eine Handlung begeht, die ihn in jedem
europätichen Yande für ewig infam machen würde
— das heißt er bat feinen Fahneneid gebrochen
und ſich zeitweilig, weil e8 ihm gerade paßte und
er jeinen eigenen Nuten dabei jah, entweder der
Bartei des Gegners angejchlofien, oder auch auf
eigene Hand einen Fleinen Raubzug unternom:
men. — Es ijt möglih, daß ih zu jchwarz
ſchildere,“ fette fie vajch Hinzu — „ich will es
zu Gott hoffen, denn es wäre fürchterlich, aber
was ich bis jetzt vom Land gejehen, wo fich body
Alles um die Hauptitadt dreht, drängt mir faſt
die Gewißheit jolher Zuſtände auf. Selbſt die
Jugend ift Shon in Grund und Boden hinein
verborben, und Sie haben da die Beijpiele an
dem jungen Lucido wie Alıneja, die den edelſten
nd
85
Familien des Landes angehören; was Fünnen
Sie da von Anderen erwarten ?”
‚Und troßdem halte id) aus!’ rief van Leuwen.
„Es ift möglih daß wir untergehen, aber fo
lange ber Kaifer fein Ziel nicht aufgiebt, bleibe
ih ihm treu, und ih weiß, daß noch viele
wacdere Herzen jo denken wie ih. Der edle
Graf Khevenhüller, der wadere Hammerftein
und Kodolih haben ihm ihren Arm geliehen,
und wenn wir nur ein ganz klein wenig Unter:
jtüßung bei Ihren Landsleuten finden, jegen wir
e8 durch. — Der Kaiſer will jet einen Natio—
nal-Congreß berufen.” |
„Halo! Tachte in diejen Augenblid Rodri—
guez, der zu dieſem Fenſter hinübergetreten war
und dba das junge Paar im eifrigen Geſpräch
fand — ‚‚treibft Du Politik, Ricarda, und ver:
handelt Ihr über den National: Congreß ? — Dar:
über zerbrecht Euch den Kopf nicht, Kinder, denn
aus dem wird im Leben Nichts.’
„Und bat nicht das Minifterium dem Kaijer
veriprocdhen, ihn zufammen zu rufen?” rief Ri—
carda faft heftig aus.
„Ja, das bat es,“ nickte Rodriguez, „weil
ie ihm eben Alles verſprochen haben, was er
verlangte, aber eine Unmöglichkeit Fünnen fie
86
deshalb doch nicht erzwingen. Die Liberalen
haben die ganzen nördlichen Dijtricte nicht allein
bejegt, jondern jind auch ſchon wicder an unfere
Grenzjtaaten vorgedrungen, und ift es nun denk—
bar, daß da heraus die Leute fommen jollten, um
für Marimilian zu ſtimmen?“
„Aber das verlangt er ja gar nicht,” fagte
das in Eifer erglühende Mädchen. ‚Nur ihre
einfache ehrliche Meinung jollen fie jagen, und
wenn jie die Republik wollen, jo gebt er einfach
und überläßt das Land jeinem eigenen Ge—
ſchick.“
„Ja wohl,“ nickte Rodriguez, „und die Be—
ſitzenden in den Händen der Liberalen. Nein,
Herz, das verſtehſt Du nicht — ein ſolcher Con—
greß, wenn überhaupt ausführbar, wäre ein Un—
glück für das Land — aber er iſt auch nicht
ausführbar und nur eine von des Kaiſers recht
gut gemeinten, aber phantaſtiſchen Ideen. — Es
kommt eben Niemand, und die Sache verläuft —
da ſogar der Klerus nicht einmal damit einver—
ſtanden iſt — im Sande.“
„Hatte ich Recht?“ ſagte Ricarda leiſe und
wehmüthig, als ſie zu van Leuwen aufſah —
„armer Kaiſer!“
Ueber die Plaza marſchirte das abziehende
87
Heer der Franzofen und an dem Palaſt des
Kaiſers vorüber, aber überall an den kaiſerlichen
Zimmern waren die Vorhänge niedergelafjen,
und fein lebendes Wejen ließ fich dort erkennen.
An dem Flügel wohl, wo die Dienerjchaft wohnte,
waren einige Balcone mit Lakaien und weib-
lichen Dienftboten gefüllt, aber jelbjt die Faijer-
lihen Beamten hatten Tact genug gehabt, ji
nicht da draußen zu zeigen.
Unten vorüber ritt der Marſchall und warf
einen mürriſchen Blick nach den gefchlofjenen Fen—
ftern hinüber — die Mufif hatte gerade aufge:
hört zu fpielen, und laut und deutlich jchallte
ber jchwere, gleichförmige Schritt der Mafjen
über die Plaza. Der Marfchall winkte — nicht
fo wollten und durften fie die Stadt verlajien,
jondern mit wehenden Fahnen und Flingendbem
Spiel. Das Mufifcorps feßte wieder zu einem
wilden, ftürmiichen Mari an, mit jchmetternden
Trompeten und dröhnenden Paufenjchlägen, als
ob es die Schläfer da drinnen, in dem todten=
ftillen Palafte aus ihrer Ruhe auffchreden wolle.
— Umfonft — die Gardinen blieben fejt ver:
Ihlofjen, kein Gruß des Faiferlichen Herrn ver—
abichiedete die Truppe — fein Dank — den ber
gemeine Soldat und die unteren Officiere wohl
88
verdient hätten, begleitete jie auf ihren weiten
und nody mühjeligen Weg.
Still und gebrüdt marſchirten aber auch die
Soldaten an dem Palaſt vorüber, denn jie wuß—
ten jelber recht gut, daß. fie hier ein unerfülltes
Verfprehen, ein gebrochenes Wort zurüdließen.
Die niedergelafjenen Vorhänge waren ber ftille
Vorwurf, der — menu er ihnen auch nicht galt,
doch fie mit traf. Sie jelber verließen ja wohl
gern das Land, das ihnen allerdings Siege, aber
nie einen Erfolg gebracht, aber fie jahen aud
Ale im Geift den zürnenden Monarchen, den
ihr Kaijer in das Land gerufen, und ben jie
jeßt, von mehr und mehr herandrängenden ein:
den bedroht, allein und faſt ſchutzlos zurüdliepen.
Doch die Trompeten fchmetterten brein, bie
große Trommel jchlug den Tact dazu, und bore
bei defilirte das Heer, die Thore Mericos zu
erreichen. Hinter den niedergelafjenen Garbinen
aber jtand Marimilian, die linfe Hand auf dem
Rüden, mit der Rechten nur eben den Vorhang
genug zurüdgehalten, um hindurch zu jehen, und
jhaute jtil und ſchweigend, und einen redht bit-
tern Zug um die Lippen, auf das Heer feiner
Verbündeten hinab, bis auch der legte Mann
verjhwunden war.
4.
Nach Querétaro.
— 7e—
Wo nur die Franzoſen aus dem inneren Land
abzegen, da rückten die Liberalen nach. Juarez
hatte zuerſt ſeine Reſidenz von Paſo del Norte
wieder nad) Chihuahua verlegt, dann weiter ſüd—
lih nad; Durango, jegt ſogar ſchon nad) Zaca—
tecas, und es war die höchſte Zeit geworden,
feinem Vordrängen ein Ende zu madhen und
ben Republifanern zu zeigen, daß das Kaijer-
reich auch noch die militärische Gewalt in Hän—
den habe, wenn auch die franzöfiichen Bajonnette
in ihre Heimath zurüdfehrten.
Klerifale wie Confervative machten in biejer
Zeit wirfli außergewöhnliche Anftrengungen,
um ein achtunggebietendes Heer aufzubringen,
denn fie ſahen recht gut ein, daß ihnen die Ge-
90
fahr jelber näher und näher rücke. Marquez
zeigte jich darin bejonders thätig, und der „Schlach—
ter von Tacubaya“, wie er eigentlich im Lande
hieß, bejaß dazu gerade Kenntniß des Landes
und der Bevölferung, wie Energie genug.
Dem Grafen Khevenhüller war es ebenfalls
gelungen, aus den Reiten der öſterreichiſchen und
belgijchen Legion ein Hufarenregiment zu bilden,
wie Baron von Hammerftein noch ein Infanterie—
Bataillon zu Stande brachte, troßdem daß ber
ſchwachköpfige Baron Lago, der öſterreichiſche Ge-
Ihäftsträger, wie fein würdiger College, der bel:
giſche Legationsfecretär Hoorids Alles thaten,
um dem SKaijer aud) feine legte Stüße zu ent:
ziehen, und Lago die Officiere des djterreichijchen
Eorps zulegt veranlaßte, ein Promemoria gegen
ihn zu erlaffen, das ihn förmlid an den Pran—
ger jtellt.
General Mejia, der Indianer, jtand jegt in
Dueretaro — Mendez mit guten Truppen in
Morelia im Staat Michoacan, und Miramon,
der bejte General vielleiht, den Mexico hatte,
wurde beordert, die Offenfive gegen Juarez’ Ban:
den zu ergreifen, bie freilich jegt, unter General
Escobedo’s Führung, zu einem mächtigen Heer
von faſt 25,000 Mann jtarf angejchwollen waren.
91
Miramon paßte übrigens dazu vortrefflid.
Mit nur einer Escorte verließ er Merico; als
er in Queretaro anfam, hatte er ſchon eine
Compagnie, und mit einem Regiment warf er
ih von dort aus, ohne auch nur einen Moment
Zeit zu verjäumen, gegen ZJacatecas.
ZJacatecas, die Hauptitadt des Staates glei-
hen Namens, ijt nur durch den Staat Guana—
‚jato und einen jchmalen Streifen Jaliscos von
Queretaro entfernt, und Juarez hatte fi) damit
nicht allein der Hauptſtadt Schon um ein Be:
deutendes genähert, Jondern befand jich auch ge:
rade im Glück, denn fein gefährlichiter Gegen-
candidat Gonzales Ortega war durch fein ge-
wöhnliches ungeſchicktes Mandvriren den Jua—
riiten in die Hände gefallen, und Escobedo fing
ſchon an jeine Truppen zu vereinigen, um
Queretaro zu nehmen, wonad er dann ben
Schlüſſel zur Hauptjtadt in Händen gehalten
hätte.
Die alten Deutichen bauten ihre Burgen auf
hohe Berge oder feljige Hügel, um von denen
aus das Land zu beherrihen. Die Mericaner
dagegen haben fait alle ihre wichtigen Städte
in Bergfeffel oder Thäler bineingebaut, was
auch in früheren Jahrhunderten vielleicht nicht
92
viel zu jagen hatte. Jetzt aber, mit unjeren
vervollfommneten Geſchützen, wird faſt jede Stadt
- in die Hände des Feindes gerathen, der im Stand
ift die benachbarten Höhen zu bejeßen.
Zacatecas wie aud) Queretaro liegen in einem
ſolchen Kefjel und eignen fi deshalb nur dann
zu einer Feſtung, wenn der General, der ben
Pla behaupten will, auch Mannſchaft genug
befigt, um fämmtlihe Hügel in den Feſtungs—
rayon hinein zu ziehen.
Juarez jelber .aber dachte bier natürli an
feine Belagerung. Durd feine Epione war er
von bem, was in der Hauptjtabt vorging, volle
fommen gut unterrichtet — er wußte die Trans
zojen im Abziehen begriffen, er kannte dabei die
Schwierigfeiten, die fih dem Kaiſer entgegen:
jtellten, jo rajch eine NationaleArmee zu organi—
firen, und bielt fih nicht allein in Zacatecas
vor einem Angriff vollftändig ficher, jondern war
eben mit einigen feiner Generale eifrig beſchäf—
tigt, die Route zu bejtimmen, die fie weiter nad)
Süden zu nehmen wollten.
Zacatecas lag im Sommer furdtbar heiß,
denn die e8 umjchließenden Hügel verhindern
faft jeden Luftzug, von welder Eeite er auch
foımmen möge. Die Stadt felber ift, auch wenn
93
man von außen fommt, erſt in ganz furzer Ent:
fernung fichtbar, bis ſie jich plößlih, auf etwa
eine halbe Stunde Wegs, zeigt, wie jie den
tiefen Windungen eines engen Thales, das man
faft eine Ravine nennen Fönnte, folgt. Nur
gleih dahinter fteigt ein hoher Berg, La Bufa,
empor, auf defjen Gipfel eine Capelle ſteht.
Wie arm iſt das Volk dort und wie gebrüdt,
denn die hohe Lage dieſer Gegend, mit den wohl
mineralreichen, aber fonjt trodenen und uns
frudtbaren Hängen, bietet dem Aderbau nicht
die Vortheile, die e8 den wohlhabenden Vieh—
zühtern gewährt — aber troßdem erheben ſich
aus den ärmlichen Wohnungen der Eingeborenen
heraus hohe prachtvolle Kirhen und Klöfter mit
reihgejhmücten Thürmen. Die Kirhe hatte
Geld oder wußte es zu befommen, und wenn
ie aus den armen unglüdlichen Bewohnern des
Landes auch den lebten Blutstropfen heraus:
preſſen ſollte — geſchieht doch das Alles nur
„zum Ruhme Gottes’'.
Unmittelbar an der nicht unſchönen Plaza,
in dem Negierungsgebäude und in einem hoben
luftigen Saal, deſſen Thüren und Fenfter weit
geöffnet jtanden, hatten ſich die Generale mit
Juarez und feinem Minifter Lerdo de Tejada
y4
verfammelt, um die weiteren Kriegsbewegungen
zu berathen und dann mit Escobedo's Hilfe, der
berbeigerufen werben jollte, auszuführen.
Negrete, der General und treue Kriegsminiiter,
der in jchwerer Zeit bei dem damals von allen
Seiten verfolgten Präfivdenten ausgehaiten, war
mit Juarez für ein unmittelbares Vorgehen,
Ihon des moralifchen Eindruds wegen, den es
im Lande machen mußte. Er fannte feine Lands—
leute, die fih nur von dem augenblidlihen Er—
folg beherrſchen und leiten laſſen, und hoffte
dadurch die noch ſchwankenden Staaten Guana=
jato, Qüeretaro und Michoacan raſch für ji
zu gewinnen — Lerdo de Tejada dagegen, ein
Greole vom reinſten Waſſer und von ſehr ariſto—
fratiiher Haltung, jprad ſich ganz bejtimmt
dagegen aus.
Sebt hatten fie in’ Zacatecas fejten Fuß und
waren jo Legua nad) Legua in das bis dahin
jtet8 vom Feinde gehaltene Terrain vorgerüdt;
wagten fie jich aber unvorbereitet zu weit nad
Süden vor, jo fonnten jie entweder von Mendez’
Shmwärmen aus Michoacan, oder jelbjt von
Mejia abgejchnitten und im Rücken bedroht, oder,
was fajt eben jo jhlimm war, gezwungen wer:
den wieder zurüdzumeichen, und verloren dann
95
auch jebenfall8 durch Meberläufer einen Theil
ihres Heeres.
„Wenn wir aber jett vorbrängen,‘ fagte
Quarez, „ſo Haben wir Escobedo an unjerer
Flanke und PBorfeirio Diaz im Süden, der wahr:
lid) Mendez genug bejchäftigen wird — Mari:
miliano Tann dabei noch Fein ordentliches Heer
auf den Füßen haben und hat es nicht, und wir
find vielleicht im Stande, in gerader Richtung
auf die Hauptjtadt zu marjchiren. Wer dieſe
bat, hat das Land, und Alvarez in Guerrero jagt
uns ja ebenfalls feine Hilfe zu.‘
‚„Marimiliano bat die Hauptitadt und bes-
halb das Yand noch immer nicht,“ bemerkte Te:
jada troden — „ich bin für ein langjames, aber
ficheres VBorrüden, das ung feinen Bortheil aus
Händen geben läßt, während wir doc allwöchent—
lid) wenigjtens neuen Grund und Boden ge—
winnen und den Feind dadurch immer enger
einſchließen und von feinen Hilfsquellen ab—
ſchneiden!“
„Miramon iſt von Mexico ausgezogen,“ ſagte
Negrete, „und hat ſich, wie unſere Spione be—
richten, mit einer Handvoll Leute nach Quere—
taro hineingeworfen, um uns wahrſcheinlich den
Platz ſtreitig zu machen. Ich glaube ſelber,
96
wir thäten am beften, uns gar nicht mit Quere—
taro aufzuhalten, jondern direct auf bie Haupt
ſtadt zu marſchiren.“
Juarez war aufgeſtanden und hinaus auf
den Balcon getreten, von wo er die Ausſicht
über die flachen Dächer der Stadt nach den da—
hinterliegenden Hügeln hatte.
„Was ſind das für Reiter,“ rief er da plötz—
lich, „die dort über die Höhe ſprengen? Was
iſt das für ein Lärm und Aufruhr in der Stadt
ſelber?“
Negrete war im Nu an ſeiner Seite, aber
ſchon tönte ihnen von unten herauf der Ruf ent—
gegen: „Der Feind! der Feind! — Die Kaiſer—
lichen! — Heilige Jungfrau! wir ſind ver—
loren!“ | |
Wie ein Wetter jagten dort drüben wilde
Zanzenreiter am Hang hin — mehr und mehr,
ein Schwarm folgte dem andern, und es war
feinem Zweifel mehr unterworfen, daß von
irgend einer feindlichen Partei ein Angriff auf
die Stadt felber unternommen wurbe.
Die Sitzung war im Nu aufgelöft — bie
Dfficiere jprangen die Treppe hinab nad ihren
Pferden, und Juarez, noch unjchlüjjig, was er
tbun — bier die Entjcheidung abwarten ober
97
jelber auf Flucht denfen ſolle — folgte ihnen.
Um Lerdo und die Uebrigen kümmerte fi Nie—
mand mehr. — Uber es blieb ihnen audy wahr:
ih nicht lange Zeit, denn Miramon, an der
Spige feiner Lanzenreiter, den blanfen Säbel
in der Kauft, befand fih ſchon früher in der
gar nicht einmal befejtigten Stadt, ehe die dort
liegenden Truppen nur an Widerſtand denken
fonnten.
Selbit im Angeficht des Feindes, der mit
donnernden Hufen die Straße herunter fprengte,
warf ji) der Präfident Juarez auf eins der
DOfficierpferde, die noh am Regierungsgebäubde
angebunden jtanden, jtieß ihm die Eporen in
die Seite und floh in wilder Flucht die Straße
hinab — ihm nad) die Reiter. Miramon jelber
hatte ihn erfannt, jo nahe waren fie ſchon ge=
fommen, und mit dem Rufe: „Juarez!“ den
Säbel in der Redten, einen Revolver in der
Linken, fein Pferd nur nody mit den Schenfeln
lenfend, fchien fein Rappe mit ihm die Straße
dahin zu fliegen. Aber Juarez kannte hier Orts—
gelegenbeit, oder er wäre dem flüchtigen Rappen
nie entgangen, und welden Einfluß jein Tod
an diefem Tage auf das Fünftige rn bes
Fr. Gerftäder, In Merico IV.
98
Kaijerreich8 gehabt haben möhte — wer fann
es jagen?!
Miramon hob fchon die Iinfe Hand, um mit
einem Revolverihuß das Pferd des Präfidenten
oder den Präjidenten jelber — was fümmerte
e8 ihn, in den Staub zu werfen, da glitt Juarez
mit feinem Thier in eine enge Geitengajle ein,
und gewann dadurch, ohne daß Miramon die
Zügel des eigenen XThieres greifen und ihm
folgen fonnte, einen, wenn aud Eleinen Por:
ſprung durch die Seitengafje, bier aber erreichte
der Flüchtige zugleich den Hang, an dem bin er
ſchräg hinauf floh, und der Zufall — wenn wir
einen Zufall wollen gelten lajjen, hatte es ge:
fügt, daß er ein tüchtiges, an jolden rauhen
Boden gewöhntes Pferd gefunden.
Miramon war viel befjer beritten al& er,
aber ihn trug ein Pferd aus dem flachen Lande,
und fo raſch er den Gegner damit in ber Ebene
eingeholt haben würde, bier gewann Juarez an
Raum, und der tapfere junge General, jeßt
überall von anderen Flüchtigen des Feindes ſchon
umgeben, mußte die koſtbare Beute im Stide
laffen, um nicht ſelber abgejchnitten und ge
fangen zu werben.
Der Sieg war übrigens vollftändig. Außer
99
einer Mafje Gefangenen madten bie Kaijerlichen
aud eine nicht unbedeutende Beute an Kriegs:
material und Provifionen, wie denn auch die,
allerdings ſchwache Kriegskaſſe des Präfidenten
in ihre Hände fiel.
Schlachtenglück — drei Tage jpäter traf Mi:
ramon auf Escobedo's ganze Armee und wurde
jo gründlich gefchlagen, day er fich wieder nad)
Queretaro wenden mußte, um nicht ganz auf:
gerieben zu werden. Zwar erfodht er noch einen
Sieg über eine andere Schaar Republikaner, die
er unterwegs antraf, aber feine Truppe war
doch demoralijirt, und er burfte nicht wagen
es weiter im offenen Felde mit dem an Zahl
jo weit überlegenen Gegner aufzunehmen.
Bei diefem Sieg Escobedo's war es, daß ber
Juariſtiſche General 109 fremde gefangene Sol:
daten in echt blutiger mexicaniſcher Weije er—
ſchießen ließ, unter dem Vorwand, daß die In—
tervention vorbei ſei und er alle Fremden
als Banditen behandeln werde.*)
*) Es ift Das eine Aeußerung, die fpäter die Runde
durch alle europäifhen Zeitungen machte und dieſe das
Schlimmſte für alle im Land anfäffigen Fremden fitrchten
ließ. Escobedo bewies fpäter bei Queretaro, daß er fo blut-
dürftige Gefinnungen nicht bege. !
| * *
*
7*
100
Der Minijterratö war in der Hauptjtadt ver:
jammelt, und den Herren fing es an jchmwül in
der neuen Ordnung der Dinge zu werben.
Damals, als ihnen nur daran lag, den Kaiſer
zu überreden, nad) der Hauptjtadt zurüdzufehren,
damit fie felber nicht die Verantwortung eines
zertrümmerten Reiches trugen, hatten fie wahr:
lih mit ihren Berfprehungen nicht gegeizt, und
bon Padre Filher, wie Miramon und Marquez
veblich dabei unterftüßt, gelang es ihnen aud,
den Kaifer, mit jedem Mittel, das ihnen zu
Gebote jtand, in ihr Net zu loden.
Monate waren aber vergangen und Nichts
gejchehen in der ganzen Zeit, als daß ein paar
Taufend Soldaten im Felde ftanden. Dabei
fehlte es an Allem. Goldene Berge hatte be
ſonders Padre Filcher zugefagt, die ganze Schatz—
fammer ber Klerifalen, die dem Kaifer zu Ge:
bote ſtehen jollte, und jedes Tauſend Thaler
mußte mühſam zujammengetragen werden, wo
man Millionen gebraudyt hätte, um nur bie
Hälfte des Verſprochenen zu erfüllen.
Zugleich fing der Kaifer an die Unmöglich—
feit eines Congrefjes einzufehen, da er barin
auch von Feiner Seite unterftüßt wurde, ja jo:
gar Beweiſe in Händen hielt, wie beide Parteien,
101
Klerifale jowohl als Confervative, demjelben,
troß gegebenen Worts, direct entgegen arbeiteten.
Und böje Nachrichten dazu aller Art: General
Mendez hatte Morelia und Micyvacan, von Por:
feirio Diaz bedrängt, räumen müſſen; Alvarez
rüftete in Guerrero ein Heer; dicht bei Vera—
Cruz in Mevdellin ſtanden ſchon die Republikaner,
und nah Miramon’s legter Niederlage im Nor:
den gewann Escobedo’s Heer auch, mehr und
mehr Macht und Ausdehnung.
Die Minijter waren jelber in Verzweiflung,
aber nicht etwa des Kaijers wegen — was küm—
merte jie Marimilian, der fremde Fürftenjohn,
und hätten fie jich Frieden und Macht mit jeinem
Tod erfaufen können, nicht einen Augenblic
würden fie gezögert haben. Über wie dann,
wenn er jetzt — gereizt und verjtimmt und von
allen Seiten getäuſcht, nun doc endlich das Land
verließ und ſie preisgab. Um ihn verdient
hatten jie es gewiß, und jie begriffen jelber nicht,
daß er jo lange bei ihnen ausgehalten und immer
ihren Berjprehungen und Zufiherungen glau:
ben fonnte. — Es war unbegreiflid.
Der Minijterrath hielt jih, wie vorerwähnt,
in der Hauptjtadt verfammelt, und Lares, ber
jhlaue Mericaner, der ſich bis jet mit allen:
102
möglichen Ausflüchten und Hinzögerungen durch—
gewunden, hatte eben mit feinen Genofjen über-
legt, wie man bejonders die Kirchenpartei zu
Geldvorſchüſſen bewegen könnte, die ſich dahin
noch immer weigerte, weil der Kaifer bis jet
fein bejtimmtes Geſetz zur Löſung der Rechts—
frage über die Güter der Todten Hand erlaffen.
Da öffnete ſich plößlich die Thür, und die Herren
fuhren merklich bejtürzt von ihren Sitzen empor,
denn auf der Schwelle ſtand der Kaiſer und bes
trachtete ſich ftill und jchweigend, die Hände auf
den Rüden gelegt, das Concilium.
„Majestät, jagte Yares, der fich zuerſt faßte,
indem er mit feiner friechenden Freundlichkeit
auf den Kaijer zuging — „wir find eben im
Begriff zu berathen, wie wir den Staatsſchatz
am rajcheiten füllen können.“
„Damit haben Sie fi lange bejchäftigt,
jagte der Kaifer troden, „ohne bis jeßt zu einem
Rejultat zu gelangen — aber Sefiores, das muß
anber8 werden, denn ich fange an die Ges
duld zu verlieren.”
„Majeſtät können verfichert fein, daß wir —“
„Noch weiter fortberathen werben, bis ber
Staat zu Grunde gegangen iſt,“ unterbrady ihn
der Kaiſer ftreng — „wir jtehen jet am Rande
103
eines Staatsbankerotts, und ich bin nicht ge=
jonnen, den, müſſig die Hände in dem Schooß,
abzuwarten. Sie haben doc jedenfalls gehört
wie e8 im Lande zugeht? — Sie wiljen babei,
was Sie mir verfproden und unter welchen
Bedingungen ih Ahnen wieder bicrher ge=
folgt bin 9’
„Majeftät Fünnen verfichert fein, daß wir
nit allen Kräften für Sie zu wirken juden,
und ich glaube feit, dag ſich noch Alles gut ge—
jtalten kann.“
„So lafien Sie Ihren Rath hören,” jagte
der Kaifer, indem er fich auf einen leer jtehen=
den Stuhl warf, während ihn die Minifter noch
umftanden. Er war gereizt und fühlte, daß bie
Rüdfichten ein Ende haben mußten.
„Das MWichtigjte iſt,“ ſagte Lares, „daß
Juarez' Heer im Norden gejprengt oder ver:
nidhtet wird.‘
„Aber wie?’ frug der Kaijer mit einem bit-
ter jarfoftiichen Zug um den Mund — „viels °
leicht gingen die Herren auseinander, wenn Gie
Ihre Verſprechungen auch auf die Liberalen aus:
dehnen wollten.‘
„Majeſtät thun mir Unrecht,“ fagte Lares
mit gefränftem Chrgefühl. „Die heilige Junge
104
frau weiß, wie ich gearbeitet und mich gemüht
babe, um Euer Majeſtät zu dienen, aber be
denfen Sie die Furze Zeit. Es ift Alles vor:
bereitet.‘
„Gut — gut — id will Ihnen glauben —
und Ihr Rath jetzt?“
„Majeſtät,“ ſagte Lares nad einer furzen
Paufe, „unjere Generale find vortrefflid —
bejiere Führer als Miramon und Mejia bat
Merico nicht aufzumeilen, aber — Sie Eennen
unſere Soldaten, die in den fteten Nevolutionen
auch gewohnt gemwejen find, von einer Partei
zur andern überzumwechieln. Sie find unzuver:
läjfig bis auf den legten Mann, weil ihnen bie
Begeijterung für die Sache fehlt, und die ver:
mag nur Eins ihnen zu geben.‘
„Und das iſt?“ ſagte Marimilian gejpannt.
„Die Gegenwart Euer Majejtät bei ber
Armee,‘ erwiederte Lares entſchloſſen.
Marimilian jah ihn groß und überrajcht an.
Es war ein bingeworfenes, perfides Wort
vielleicht — der Wunſch des ſchlauen Mericaners,
ben Kaifer in das innere Land zu dirigiren und
feiner Perſon dort ficher zu fein — vielleidt
auch wirklich die Hoffnung, daß fein Einfluß bei
der Armee diefe zu größeren Anftrengungen treis
= 2
—
105
ben würde — aber es hatte in des Kaiſers Seele
gezündet, und Marimilian erfaßte rajch den Ge—
danken, der ihn aus diefem müſſigen Leben banger
Zweifel auf einmal und mit einem Schlag zu
Thaten, zum Handeln treiben jollte.
„Rah Queretaro!’ rief er und jprang von
feinem Stuhl empor — „nad Queretaro — an
die Spite der Armee, die eigene Kraft an dem
Feind verfuhhen! Er ging mit raſchen Schritten
in bem Saal auf und ab — „nach Queretaro!“
Und plötzlich vor Lares jtehen bleibend, ſagte er
mit fejter, entjchlofjener Stimme — ‚und glau:
ben Sie mir die Mittel dazu verichaffen zu
fönnen 2°
‚Aber wie dürfen Majeftät nur daran zweis
feln,“ erwiederte der Minifterpräfident, dem ſich
bei der Frage eine Laft von der Seele wälzte,
denn das drohende Gewitter war für heute ab:
gelenkt, und morgen? ‚‚que madana,” was küm—
merte ihn der morgende Tag, der mochte für jich
jelber forgen.
Und Marimilian’s Geilt war in der That
auf eine andere Fährte gebracht. Er vergaß ben
Congreß, den er bis dahin als einzige Möglich:
feit feines ferneren Bleibens in Merico hinge—
ftelt. Die Erbitterung über die Xreulofigfeit,
106
die ihn von allen Seiten umgab, mochte wohl
auch eine Haupttriebfeder gewejen fein, daß er
ſich aus feiner bisherigen Lethargie emporrüttelte;
aber er wollte handeln, er wollte mit dem Schwert
beweijen, daß er im Stande fei, die gegen das
Kaiferreich andrängende Revolution zu zücdhtigen.
Der alte Stolz der Habsburger erwachte in ihm,
und mit blißenden Augen rief er aus:
„Sie haben Recht, Lares, Sie haben Recht —
da liegt eine Möglichkeit — und eine Mög:
lichkeit in meine Hand gegeben. Hier ift Et:
was, wo id nicht immer und ewig von bem
guten und böjen Willen Anderer abhängig bin
— bier fann ich jelber handeln, jelber eingrei:
fen. Nah Queretaro! Treffen Sie alle nöthi:
gen Vorbereitungen; ich werde mich jelber an
die Spite der Armee ftellen. Aber Zeit ift babei
nicht zu verfäumen — nicht Ihre gewöhnlichen
Mahnungen: pacienecia — paciencia. Meine
Geduld ift erihöpft — erjhöpft bis zum legten
Tropfen binab, und das Schickſal des Reiches
jowohl als das meine muß fich entjcheiden.”
„Majeſtät können fich feſt darauf verlaffen,”
ſagte Lares — „heute haben wir den 9. Februar
— am 12. Morgens können Sie an der Spige
Ihres Heeres die Stadt verlaffen — fo weit Geld
ı 2
—
—
107
wenigftens im Stande ift alle Ihre Bebürfnifie
zu befriedigen.‘
„Schaffen Sie nur Geld, Lares,“ nidte der
Kaifer — „alles Uebrige wollen wir jchon be—
forgen, aber diesmal Wort halten,‘ jeßte er mit
dem Finger drohend Hinzu. „Ich will Ihnen
folgen, und Sie können fi darauf verlafien,
daß ich das Begonnene durchführe, oder dabei
untergehe; aber ich verlange dafür aud) jegt von
Ihnen jede in Ihren Kräften ftehende Unter—
ftüßung, oder — wir find eben die längjte Zeit
Freunde geweſen“ — und fi) abwendend, ver:
ließ Marimilian, ganz von dem neuen, ihn feſ—
jelnden Gedanfen erfaßt, den Eaal, nicht etwa
um ſich mit feinem Cabinet darüber zu beratben,
jondern nur im eigenen Herzen den Entichluß
noch einmal zu erwägen. Zu erwägen? es blieb
ibm ja feine andere Wahl: entweder mußte er
jest, von feinen treuen Defterreichern und Bel:
giern begleitet, flüchtig das Land verlafjen, oder
den enticheidenden Echlag jelber führen. Die
Würfel waren gefallen:-Nady Queretaro !
In der Statt hatte fich indeflen wohl bie
Kunde verbreitet, daß Verftärfungen nad Que:
retaro gejandt werden jollten und General Mar:
quez jelber mit ausmarſchiren würde; aber daß
108
der Kaifer fih an die Epige der Armee ftellen
wolle, davon ahnte fein Menſch Etwas, ja man
hielt es nicht für möglich, daß er überhaupt die
Stadt verlafjien und die Regierung gerade in
dieſer fritiichen Zeit anderen Händen übergeben
fönne. Das Gerücht, der Kaifer wolle nad
Queretaro, lief allerdings in vertrauten Kreijen
um, wurde aber nicht geglaubt; wußten body) bie
öjterreichiichen Dfficiere gar nichts davon, und
biefen wäre doch vor allen Anderen Kunde ge—
worden. Was erzählte fi das Volk nicht Alles
in diejer Zeit; e8 jchien das eben nur ein Mär:
hen wie taujend andere mehr.
Sndejjen.war in Merico auch ein deutſcher
Dfficier Prinz Salm:Salm mit feiner Gattin
eingetroffen, der den amerifanijchen Krieg mit
gemacht, das unthätige Friedensleben bort aber
dann fatt befommen und fchon vor einiger Zeit
dem Kaiſer jeine Dienfte angeboten hatte. Er
wurde aud angenommen und machte einige
Streifzüge gegen den Feind mit; jeßt aber wie:
der außer Dienft, war 28 fein jehnlichjtes Ber:
langen, den Kaifer begleiten zu dürfen. Er hatte
ebenfalls das Gerücht gehört und bat augen=
blicklich den preußiſchen Geſandten, Baron Mag:
nus, ſich in dieſem Sinne für ihn zu verwen—
109
den. Der Baron fam feinem Wunjche mit
Bereitwilligfeit nad), wurde aber abjchlägig be—
ſchieden.
Unterdeſſen war der 12. Februar herangerückt
und es zur Gewißheit geworden, welchen Plan
Maximilian gefaßt; aber noch immer hatte das
Minijterium, troß unausgejegten Verſprechungen,
nicht einmal die nothwendigiten Gelder herbei-
Ihaffen können, und dabei befanden ſich die öfter:
reichiſchen Officiere in faſt fieberhafter Aufre—
gung, denn ihnen war noch keine Ordre gewor—
den, ſich zu rüſten, und es hieß ſogar, der Kaiſer
wolle ſich jetzt, wo die Franzoſen abgezogen ſeien,
auch einzig und allein nur von mexicaniſchen
Generalen und Soldaten umgeben wiſſen und
ſeine beſten und treueſten Truppen, die Deut—
ſchen, in der Hauptſtadt zurücklaſſen.
Der Kaiſer befand ſich im Palaſt, ungeduldig
und erbittert gegen ſeine Miniſter bis zum äußer—
ſten, da ſie ihm nie ihr Wort hielten, und alſo
auch jetzt noch kein Geld herbeigeſchafft hatten,
als ſich Graf Khevenhüller bei ihm melden ließ.
— Er zögerte einen Moment, aber er wußte
aud genau, was der junge und wadere Chef
der Hujaren von ihm wollte, und doch Fonnte
er ihm nicht willfahren. Der Graf trug ihm
110
auch jein Anliegen mit bemwegter Stimme vor.
Was war ihnen Allen Merico; nur des Kaijers
wegen hatten fie bier ausgehbalten, um ihn mit
ihren Leibern und Schwertern zu deden, wenn
ihm Gefahr, drohe und dieje mit ihm zu theilen,
aber nicht thatenlos bier zu barren, während er
dem Kampf entgegenginge. Für was Anderes
fonnten fie gelten als gewöhnliche Landsknechte,
jobald er jie bier in der Hauptitadt lieg — ihr
Dienft hatte dann feine Weihe verloren.
Der Kaijer war jelber gerührt, aber mit fejter
Stimme erwiebderte er:
„Lieber Khevenhüller, wenn ich meinem Her:
zen folgen dürfte, jo glauben Sie mir ficher,
daß ich Sie und Ihre wadere Truppe nicht zurüd:
ließe, aber einestheil® muß ih die Hauptitadt
in treuen Händen wiffen, wenn ich dort draußen
rubig und forgenfrei für mein Recht einjtehen
fol, und dann — muß ich mich jeßt allein als
Mericaner zeigen, wenn ich das Vertrauen des
mericanifchen Volkes gewinnen will. Ich laſſe
alle Europäer bier zurüd — jelbft dem Prin—
zen Salm babe ich nicht gejtattet mich zu beglei—
ten. Ich will mid ganz in ihre Hände geben,
um ihnen zu beweijen, wie ich ihnen vertraue.
Vertrauen erwedt Bertrauen.‘
411
Khevenhüller jchüttelte traurig mit dem Kopfe.
„Nicht bei dieſem Boll, Majeſtät,“ ſagte
er — „ſie ſind falſch und treulos. Geben Sie
ſich nicht in ihre Hände, denn eben ſo wenig Dank—
barkeit wie Erbarmen haben Sie von ihnen’ zu
erwarten.”
„Sie find zu hart in Ihrem Urtheil, Kheven—
büller” — ſagte der Kaifer freundlihd — „es
giebt noch wadere Leute unter ihnen. Nehmen
Sie meinen alten Mejia, den ich in Queretaro
finde — nehmen Sie Lopez. Selbſt Marquez,
jo wild und blutdürſtig er fein mag, hält feit
zu ung — Wenn es nöthig fein jollte, laſſe ich
Sie nachkommen, verlaffen Sie fih darauf.”
„Ah, wenn Sie meiner Bitte Gehör geben
wollten, Majejtät — in einer Stunde Eönnten
wir gerüjtet fein.‘
„Es geht nit — e8 gebt nit und — ift
feſt beſchloſſen,“ entgegnete der Kaifer, „ſagen
Sie das Ihren Kameraden. — Ich werde Ahr
Wohl ſtets im Auge behalten, weil ich weiß, daß
ih in der äußerſten Noth immer noch eine feite
Stüge an Ihnen habe. — Ich darf ja auch nicht,“
legte er Hinzu, „alle meine Kräfte auf einmal
in’s Feld führen, und glaube wohl zu thun,
wenn ich mir die beiten zur Rejerve aufbewahre.“
112 :
Un dem nämlichen Abend brachte endlich das
Minijterium, wo es Millionen verjprocdhen hatte,
mit größter Mühe etwa 50,000 Peſos zu:
jammen, und am nädften Morgen brady ber
Zug, mit dem Kaifer an der Spite, nah Que—
retaro auf.
Die Deutſchen und Belgier blieben zurüd, und
nur Prinz Salm, praftijch und unermüdlich dem
einmal gejtedten Ziel nachjtrebend, hatte e8 mit
des Baron Magnus Hilfe ermögliht, nod in
ber leßten Stunde dem Stabe des General Bis
baurri, der dem Kaifer folgen follte, zugetheilt
zu werben.
Padre Fijcher war in der Hauptitabt zurück—
geblieben.
5.
In Querétaro.
Mit Jubel wurde der Kaifer in Queretaro
jelber empfangen, denn die Stadt war gut kai-
jerlih gefinnt. Sie gerade, die fih durd einen
großen Gewerbfleiß auszeichnete, brauchte und
verlangte Ruhe und Ordnung, und wußte recht
gut, daß Beides unter den republifanischen
Wirthichaften nicht möglich ſei; von dem Kaijer-
teih dagegen erhoffte fie eine DBefjerung und
hatte ſchon früher den Faiferlichen Herrn lieb:
gewonnen, als er fie auf feiner erjten Reiſe
befuchte,. Wohin Marimilian aud) fam, gewann
er ja Alles durch fein einfaches, offenes und un:
verfennbar redliches Wejen für ji.
„Queretaro,*) eine Stadt von 40,000 Ein=
*) Doctor Baſch: „Erinnerungen“,
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. ' 8
114
wohnern, bildet ein in jchräger Richtung von
Nordojt nah Südweſt Liegendes Rechteck. Ent—
lang der nördlichen Seite fließt der Rio-Blanco,
ein Fleiner, aus der Sierra Gordo kommender
Fluß. Nur gegen Weiten jchliegt ſich die Stadt
an eine weit ausgedehnte Ebene, weldye im Hinter
grund mit den Bergen von Guadalajara abge=
Ichlofien wird. In einem ſpitzen Bogen um die
Stadt, der nur an einer Stelle durhbroden
wird, wo der Rio-Blanco fein Bett geebnet hat,
liegen in der Richtung von Süd nad Norboit:
der Gimentario, die Euejta china, die Loma de
gareta und die Kanada — nördlich und weſtlich
La Cantera und San Pablo. Der Stadt näher
und parallel mit San Pablo ijt der Hügel
San Gregorio, das wejtlihe Ende bildet der
Hügel Jacal.
„Mitten aus der Deffnung diejes Gebirgs-
bogens erhebt fih am wejtlihen Ende der Stadt
der Gerro de las Campanas. Bon bier aus
überblidt man, gegen Norden gewendet, ben
San Gregoriv, San Pablo a la EContira, rechts
die Stadt mit dem fih am Äußerjten Ende erhe—
benden Klojter Eruz und hinter diefem die Cueſta
hina — links die Ebene von Guadalajara.‘
Alle diefe Höhen waren während der Bela-
115
gerung vom Feind bejegt, mit Ausnahme bes
Gerro de las Campanas und des am öſtlichen
Ende der Stadt auf einem Felſen erbauten Klo»
ſters Cruz.
Soweit die Einzelheiten der Stadt. Im
Ganzen eignete ſich aber, wie man daraus er—
ſehen kann, wohl kaum ein Platz in ganz Mexico
weniger dazu, eine Belagerung darin abzuwar—
ten, als gerade Queretaro, denn in dem Thal—
keſſel lag es faſt rings von Bergen eingeſchloſ—
ſen und den Geſchützen der Belagerer vollkom—
men preisgegeben. — Aber den Fehler theilte es
auch mit faſt allen übrigen Städten des Landes,
und Queretaro, das als „Schlüſſel von Mexico“
galt, ſollte nun einmal gehalten werden.
Der Kaiſer hatte jetzt die Führung des Gan—
zen übernommen und umſichtig wie thätig zeigte
er ſich dabei, und traf alle möglichen Vorberei—
tungen, um den Ort ſo gut und vortheilhaft als
möglich zu befeſtigen. Draußen aber auf den
umliegenden Höhen fingen die Truppen der Li—
beralen an ſich zu ſammeln, und es dauerte auch
in der That nicht lange, bis ſie einen gemein—
ſamen und heftigen Sturm gegen die ſchon faſt
eingeſchloſſene Stadt verſuchten — das bekam
ihnen aber übel. Durch die Tapferkeit der
8*
116
Führer, bejonders bes alten Indianers Mejia, der
die Gavallerie befehligte, wie des Prinzen Salın,
dem der Kaiſer die Führung der Cazadores
(Säger) übertragen hatte, wurden fie in glän—
zender Weiſe zurüdgejchlagen.
Wieder und wieder verſuchten ſie nun wohl
Eingang zu gewinnen, aber wieder und wieder
mußten ſie ſich mit Verluſten zurückziehen, doch
— die Siege wurden nie verfolgt. Obgleich be—
ſonders Mejia dahin drängte, wußte Marquez,
auf den der Kaiſer außerordentlich viel gab, je—
den ſolchen entſcheidenden Schlag zu vermeiden,
und die Liberalen behielten immer wieder Zeit
ſich zu erholen und auf's Neue zu ſammeln, wäh—
rend die Belagerten Truppen verloren, die
ſie nicht wieder erſetzen konnten.
Was für ein buntes, reges Leben herrſchte
indeſſen in dem ſonſt ſo ſtillen Queretaro, und
man hätte kaum glauben ſollen, daß man ſich in
einer engbelagerten Stadt befand. Aber der gute
Muth der kaiſerlichen Truppen trug daran die
Schuld, denn wo man auch noch mit dem Feind
zuſammengetroffen war, hatte man ihn geſchlagen,
und dadurch bekamen die Soldaten nicht allein
ein Gefühl der Ueberlegenheit, ſondern auch der
Sicherheit, inſofern ſie ſich jeden Augenblick be—
117
wußt waren, einen Ausgang aus ber Stadt,
wenn jie diefelbe einmal verlafen wollten,
auch foreiren zu Eönnen.
Aber eine Verſtärkung der Garnijen jchien
troßdem nöthig, und Weiſung war jchon vor
längerer Zeit an das Minijterium nach Merico
gegangen, um die fremden Truppen, bejonders
Graf Khevenhüller’s Hufaren mit Baron Ham—
merſtein's Bataillon und der gezogenen Batterie,
nad Queretaro zu fenden und dann einen ent=
Iheidenden und zugleich vernichtenden Schlag
gegen Escobedo’8 Armee zu führen; doch fie
famen nicht und ber Kaiſer fing an ungeduldig
zu werden.
Un der Plaza befand jih ein von einem
Franzoſen gehaltenes Kaffeehaus, in und vor
dem ſich die Officiere gewöhnlich zufammenfan=
ben, um Neuigfeiten zu hören oder mit einan=
ber über die Tagesereigniffe zu plaudern. War
man doch ſtets ficher, dort wenigjtens irgend wen
zu treffen, mit dem man ſich ein Stündchen uns
terhalten konnte.
Bor dem Kaffeehauje aber jchräg über die
Plaza hinüberjchneidend gingen zwei mericanifche
Dfficiere im eifrigen Gefpräh auf und ab —
e8 war General Marquez und Obriſt Lopez,
118
und Marquez’ überdies finjteres und höchſt un
ſympathiſches Geſicht Hatte ſich Heute in nod
dunflere Falten gezogen, während Obriſt Lopez,
ber ihn fait um eine Kopfhöhe überragte, bie
Sade, um die e8 fich handelte, viel ruhiger zu
nehmen ſchien und nur dann und wann einmal
einen vorfichtigen, wie forjchenden Seitenblid nach
feinem Begleiter binabwarf.
„Alſo die Sache iſt feſt beſchloſſen?“
„Ja,“ nickte Marquez, „im Kriegsrath wur—
den die verſchiedenen Anträge vorgenommen, ob
und in welcher Weiſe wir einen Rückzug bewerk—
ſtelligen, vder uns in Queretaro halten wollen.
Ich ſtimmte natürlich mit Mejia für das Letztere
— auch Miramon war dafür. Ferner wurde
beſchloſſen, daß ich mit Vidaurri nach Mexico
durchbrechen ſolle, um Verſtärkungen herbei zu
ziehen, welche die Herren da drinnen nicht von
ſelber ſchicken wollen.“
„Und werden Sie gehen?“
„Gewiß —“
„Und wieder zurückkehren?“ Die Frage war
nur leicht hingeworfen und Lopez ſah dabei ruhig
und unbefangen vor ſich nieder, als ihn der
raſch zu ihm aufgeſchlagene Blick des Generals
traf.
119
„Wie meinen Sie das, Obrift?” frug er
ſcharf.
„Oh nur, ob Sie die Verſtärkungen ſelber
herführen oder indeſſen den Oberbefehl in Mexico
übernehmen werden,“ ſagte Lopez, „oder iſt
vielleicht General Vidaurri dazu beſtimmt? In
letzter Zeit hat der Kaiſer ſo häufig mit ſeiner
Regierung gewechſelt, daß man nie vorherſagen
kann, was geſchieht.“
„Ich werde ſelber zurückkehren,“ erwiederte
Marquez‘, durch die Antwort wie es ſchien be—
ruhigt — „wenn ſich — der Kaiſer nämlich hier
ſo lange halten kann; denn wie ich von Ueber—
läufern gehört, iſt eine andere ſtarke Colonne
der Liberalen im Anzuge — ich glaube Riva
Palacio's Armee. Wir werden hier, ſelbſt mit
den Fremden, alle Hände voll zu thun be—
kommen.“
„Und der Kaiſer,“ ſagte Lopez nachdenkend,
„ſetzt ſich dabei der Gefahr fortwährend auf eine
faſt unbegreifliche, jedenfalls thörichte Weiſe
aus. In den am ſchärfſten beſchoſſenen Stellen
verkehrt er mit einer Unbefangenheit, als ob er
ein gefeites Leben hätte. Wenn er fiele, was
würde dann?“
Marquez ſchwieg und ſah ſtill und brütend
120
vor fih nieder — ob er feinem Begleiter nicht
traute? — ob ihn die eigenen Gedanken joweit
bejchäftigten? — und Lopez fuhr lächelnd fort:
„Es iſt nit unwahrſcheinlich, daß es dann
einen Streit unter ben Generalen um die Ober:
berrijchaft gäbe — Miramon iſt ſehr ehrgeizig,
aber — bei Einigen nicht beijonders beliebt —
Mendez haft ihn.‘
„Ich begreife Miramon überhaupt nicht,”
jagte Marquez wieder nad einer furzen Pauſe
und fajt wie mit fich ſelber redend — „ob er
auf etwas Derartiges jpeculirt? — aber er fönnte
ih da verrechnet haben. Fällt ver Kaijer, jo ift
bie Armee vemoralifirt, und er jelber muß wiſſen,
daß er feinen größeren Feind im ganzen Land
hat als Juarez.“ |
„Er jtüßt fh auf den Klerus.’
„Der ihm verwünjcht wenig in Queretaro
nüßen würde. Wiffen Sie, Lopez, daß Santa
Anna wieder unterwegs nah Merico iſt?“
‚„Caramba!” rief der Obrijt erjtaunt aus,
„daß er fi nur nicht die Finger verbrennt, denn
ich glaube, der Kaiſer würde wenig Umjtände mit
ihm machen.“
„Der Kaiſer thäte ihm Nichts,‘ ſagte Marquez
verädhtlih, „und wenn er ihn heute zum Ge—
121
fangenen hätte — er ſchickte ihn höchſtens wieder
fort. Das ift auch feine Kriegführung, wie er
fie treibt. Alle diefe Führer, Escobedo, Eortina,
PBorfeirio Diaz und viele Andere noch hatte er
in jeiner Gewalt, aber anjtatt fie unſchädlich zu
machen, ließ er fie wieder laufen und muß jeßt
dafür bezahlen.’
„Und was glauben Sie, daß mit uns ge=
Ihähe, wenn Escobedo die Stadt mit Sturm
naͤhme?“
„Das will ich Ihnen nicht wünſchen,“ ſagte
Marquez trocken, „denn Sie würden nie Gele—
genheit bekommen die Sache ſpäter zu erzählen.“
„Glauben Sie wirklich?“
„Ich bin es feſt überzeugt — ebenſo,“ ſetzte
er mit finſter zuſammengezogenen Brauen hinzu,
„wie ich die Schufte ſofort erſchießen ließe, wenn
ſie in meine Hände fielen.“
„Und wenn man ſich nun durchſchlagen könnte,“
ſagte Lopez nachdenkend.
„Wenn es zur rechten Zeit geſchähe,“ erwie—
derte Marquez mit ſcharfer Betonung der Worte,
„ja. Der Kaifer hat aber wunderliche Begriffe
von Ehre — Begriffe, die ihm bier in Merico
noch großen Schaden thun werden. Er wird e8
nie allein verfuchen, und da es mit ber ganzen
122
Armee im Kriegsrath abgelehnt wurde, werben
Sie wohl aushalten müſſen.“
Wieder ſah Lopez den General von ber Seite
an, ohne aber Etwas zu äußern — das Wort
Sie Hang gar nicht, als ob er ſich jelber dabei
mit inbegriffen halte.
„Es ift doch ſonderbar,“ ſagte Lopez nad
einer Weile, „daß das jekige Minifterium in
Merico eben jo faul zu jein jcheint, als die frü—
beren Liberalen. Uns haben fie Alles verfprochen,
als fie den Kaifer zurüdhaben wollten, und was
geſchieht jeßt? Gar nichts. _
„Das iſt die alleinige Schuld be Kaiſers
ſelber,“ brummte Marquez, „er hat ebenfalls
dem Klerus Verſprechungen gemacht und bis
jetzt Nichts gehalten. Hob er, ſobald er nach
ber Hauptſtadt zurückkehrte, die leyes de reforma
direct auf, jo wußte der Klerus, woran er mit
ibm war — jeßt trauen fie ihm nicht, bis fie erjt
Beweife in Händen halten.‘
„Und die werben fie befommen, wenn er
unterliegt und Juarez wieder im Land regiert.
Nachher dürften fie die Folgen ihrer Saumjelig=
feit bereuen.‘
„Das geſchieht nie, Lopez,‘ jagte Marquez
raſch, indem er einen flüchtigen Blick umherwarf,
123
ob fie von Jemandem gehört werden Fönnten,
„das geſchieht nie — dagegen find Vorſorgen
getroffen.‘
„Und glauben Sie, General, daß Miramon
ihm in der Regierung folgen. wird 2’
Der General jhwieg, endlich fagte er achjel-
zudend: „Quien sabe — wunderlichere Dinge find
geihehen und Miramon hat jedenfalls einen
großen Anhang — wenn auch vielleicht manche
Feinde. Die Klerifalen halten bejonders viel
auf ihn, und es ift möglich, daß er es mit de:
nen ehrlich meint.’
„Sie trauen ihm nicht recht ?”
„sh weiß es nicht — ja und nein — er hat
ih in der legten Zeit verändert und fcheint dem
Kaijer treu anzuhängen.”
„And thun wir das nicht Alle? erwiederte
Lopez unbefangen.
„Ja — gewiß, erwiederte zögernd der Ge:
neral, „aber das Baterland geht wieder allem
Andern vor und zu deſſen Beten müfjen wir
eben Alles opfern — ſelbſt unfer eigenes Leben.
Dod, amigo, die Zeit drängt — id habe noch
viele Vorbereitungen zu treffen, um meinen etwas
gefährlihen Marſch anzutreten.‘
„Wie viel Mann Escorte nehmen Sie mit?"
124
„Es iſt noch nicht bejtimmt, circa tauſend.“
„Das wird unſere Beſatzung ſehr ſchwächen.“
„Sie behalten noch immer über ſechstauſend
zurück — alſo adios! — Halten Sie aber die
Augen offen, denn ſo lange wir im Stande ſind
die Stadt Mexico zu behaupten, haben wir nicht
verloren und können, wenn wir wollen, den
Kampf von Neuem aufnehmen.“
„Und keine Nachricht iſt von der Kaiſerin
eingetroffen?“
„Bon der Kaiſerin?“ ſagte Marquez, „nicht
daß ich wüßte. Nur kurz vorher, ehe wir Merico
verließen, traf ein Bericht ein, lautete aber jehr
böſe.“
„Der Kaiſer ſelber ſcheint ſich wenig darum
zu kümmern,“ ſagte Lopez finſter, „ich habe ihn
nie ſo heiter geſehen als gerade jetzt.“
„Menſchennatur,“ lachte Marquez, „er war
niedergeſchlagen, wo er Nichts zu thun hatte.
Jetzt, in voller Beſchäftigung, iſt die Kaiſerin
längſt vergeſſen;“ und dem Obriſten einen Gruß
zuwinkend, ſchritt er die Straße hinab, ſeiner
eigenen Wohnung zu.
* *
*
125
In einer Seitenjtraße, nicht weit von ber
Plaza, war Obriftlieutenant Jablonsky vom Re—
giment der Kaijerin einquartiert.
Jablonsky trug allerdings einen polniſch klin—
genden Namen, war aber Bollblut Mericaner,
jogar mit einer Fleinen Mifhung indianijcher
Race, und entftammte jedenfalls der unterjten
Shit der Bevölferung; aber er galt als der
intime Freund des Obrijt Lopez, mit dem er
Ihon viele Fährlichfeiten getheilt, war deshalb
in deflen Regiment getreten und rajch, viel rajcher
avancirt, al8 er es wohl feinen, überhaupt jehr
zweifelhaften Verdienſten zuſchreiben fonnte. Es
war ein roher, ungebildeter Burſche, — ein echter
mexicaniſcher Soldat, wie ſie die ewigen Revo—
lutionen in's Leben gerufen: tapfer, wo es das
eigene Leben zu vertheidigen galt, aber ſonſt
raſch bei der Hand, wo es zu plündern und zu
brandſchatzen gab, und deshalb auch gar nicht
mit der ſtrengen Disciplin in dem kaiſerlichen
Heer einverſtanden. Lopez ſelber wenigſtens hatte
oft Mühe genug, ihn von Ungehörigkeiten zurück
zu halten.
Jablonsky ſchien aber ſein rauhes Weſen in
dieſem Augenblick ganz abgelegt zu haben, denn
neben ihm, auf dem nämlichen Tiſch, auf deſſen
126
eine Ede er ſich halb geſetzt, war ein junges,
bildhübjches, aber bleih und ernſt ausſehendes
Mädchen damit bejchäftigt, die Wäſche des Kai
jer8 und feiner nädjten Umgebung, bie jie zu
bejorgen hatte, auszuplätten und zujammen zu
legen.
„Aber Mercedes,’ jagte der Obriftlieutenant
vorwurfsvoll, „Du giebjt mir auf alle meine
Tragen feine Antwort. Denkſt Du denn, Mäd—
hen, daß ich es nicht ehrlich mit Dir meine?’
„sh kann Euch nicht in’s Herz ſehen,“ fagte
das junge Mädchen ruhig, ‚‚aber ich bitt’ Euch,
mic zufrieden zu lafjen. — Ob Ihr Ernſt macht
over nicht, was kümmert's mih — habe genug
gehabt von Euresgleichen.‘
„Caracho amiga,‘ lachte der Burjche. „Du
Iprichjt ja verwünjcht vornehm; weißt Du, wel—
hen Rang ich in der Armee habe?‘
„Weiß es nicht und brauch’ es nicht zu willen, ’“
jagte das Mädchen finfter,. „wenn es ein ein=
facher Handwerfer wäre, ließe fih vielleicht
ein Wort darüber reden — wenn aud nicht mit
Euch.“ |
„Hoho,“ lachte Jablonsky, „möchteſt wohl
gar Kaiſerin werden? Nun, der Platz iſt bald
frei, denn mit der Carlota geht's zu Ende.“
127
„Schämt Euch, von der armen unglüdlichen
Frau jo zu reden!‘ rief das Mädchen heftig —
„habt Ihr je Menjchen wie biejes Kaijerpaar
an der Spite Eurer Regierung gehabt? — Nie
— denn hr verdient fie nicht; aber Dank darf
ber Kaiſer troßdem nicht von Euch erwarten,
denn er läßt Euch nicht rauben und plündern,
‚wie Ihr's von je gewohnt gewejen.’
„Oaracho,“ ladıte der Herr Obrijtlieutenant,
indem er ſcharf auf feinem Siß herumrückte. —
„Mädel, Du haft eine fcharfe Zunge und weißt,
daß Dir Nichts gefchehen kann — aber laß Du
das den Obrijt hören.“
Das Mädchen warf veräcdtlich die Lippen
empor, erwiederte aber fein Wort, ſondern fuhr
in ihrer Arbeit fort, und Jablonsky's Augen
hingen in ftiller Bewunderung an der jchlanfen
und üppigen und dabei jo gejchmeidigen Gejtalt.
Da verbunfelte plößlih der Körper eines Offi—
ciers das Fenſter — e8 war Lopez, und auf einen
Mint von ihm fprang Jablonsky von feinem
Eiß auf und eilte nad ber Thür, ohne daß
ihn Mercedes auch nur einen Blick nachges
worfen hätte — was fümmerte jie der Officier
— jie trug Haß und Bitterfeit im Herzen —
feine Liebe.
128
„Kun, Obriſt, wie ftehen die Sachen?“ frug
Jablonsky, als er hinaus auf die Straße fam
— „etwas Neues 9 |
„Ja,“ ſagte Lopez finfter, „aber ich weiß
niht, ob es etwas Gutes if. Marquez gebt
nad Merico.‘
-„Caracho! fol fih durchſchlagen?“
„sa, und Berjtärfung bringen — bie fremden
Truppen.‘
„Sm — und wird er es thun?“
„Quien sabe, — id) traue ihm nicht — er
bat fich ein paar Mal im Geſpräch verjchnappt.
Wir werden wohl bier allein in der ZJalle jigen
bleiben.“
„Angenehm,’ jagte Jablonsky, „und die Ye
bensmittel werden fnapp, das Geld rar, und feine
Gelegenheit, neues anzufchaffen. Ich wäre für's
Hinausbreden. Wenn wir uns jeßt in einer
andern Stadt feitjegen, fünnen wir wieder von
born anfangen.‘
‚Und wie wollen wir die Geihüße mit fort:
bringen? Es geht nicht.‘
„Hier in dem verdammten Neſt,“ jagte ber
treue Freund des Obrijten, „paſſirt uns nod) ein
Unglüd. Ich traue der Bande nicht. Wenn und
Marquez im Stiche läßt, jißen wir fejt, und
129
nachher unter der liberalen Regierung dürfen
wir ung nur nad) einer Anjtellung als Lepero
umſehen.“
„Du ſcheinſt Dir da ſchon eine Lepera aus—
geſucht zu haben,“ ſagte Lopez mit einem Seiten—
blick auf den Burſchen, der in ſeiner Officiers—
uniform ebenſo ausſah, wie ein Hausknecht im
Frack.
„Hol' der Teufel das ſtolze, hochnaſige Ding!“
brummte Jablonsky; „merkwürdig übrigens, wie
all' das Frauenzeug hier in Queretaro an dem
Kaiſer hängt. Ich glaube, ſie ließen ſich mit
dem größten Vergnügen alle mit einander für
ihn todtſchlagen. — Was ſo ein Titel nicht
thut!“
Lopez ſchwieg und ſchritt ſchweigend neben
dem Gefährten die Straße hinab. — „Wir
müſſen's abwarten,“ ſagte er endlich — „aber
— haſt Du lange keine Nachrichten von — drau—
ben erhalten?“
„Es ſteht nicht beſonders, wie es ſcheint. Die
Soldaten bekommen ſchlechte Verpflegung, aber
immer mehr neuen Zuzug. Hätte im Leben nicht
geglaubt, daß Juarez noch ſo viele Leute auf die
Beine bringen könnte.“
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV. 9
150
„Es find viele Amerikaner darunter.”
„Eine ganze Menge, und verwünjct gute
Schügen dazu. Sie haben uns jchon einzelne
Poſten weggepußt.‘
„Der Bote iſt no nicht zurüdgefehrt ?"
„Nein — und wird aud nicht,” knurrte
Jablonsky, „jie haben ihn gehangen.“
„Gehangen?“ rief Lopez erichredt.
Sablonsfy nickte. „Ich weiß es von einem
Deferteur. Sie hielten es für einen Vorwand
und den armen Teufel für einen Spion — aber
que importe — er hat's überjtanden.‘‘
Lopez nicte langfam vor ſich bin, aber bie
Kunde ſchien einen unangenehmen Eindrud auf
ibn gemadt zu haben. Mit einem kurzen
„Hasta luego“ drehte er fih von Jablonskh
ab und verfolgte jeinen Weg allein die Straße
hinan. —
Als Marquez den Obriſt Lopez verlajien
hatte, begegnete ihm bald darauf General Mi:
ramon zu Pferde, der ausgeritten war, um bie
Poſten zu bejichtigen. Als er Marquez bemerkte,
jtieg er ab, nahm fein Thier am Zügel und
Ichritt neben dem Freund ber.
„Nun amigo,“ fagte Marquez, „haben Sie
noch Aufträge für mid) in der Hauptftadt? Wie
151
es jheint, werde ich vom Kaifer genug befommen,
um ein Laftthier damit zu beladen.’
„Keine von mir, Marquez,” ſagte kopfſchüt—
telnd der junge General, ‚als daß Sie felbjtver-
ftändlih meine Frau aufjudhen und ihr fagen,
wie Sie uns hier verlaffen haben.‘
„And für das Minijterium? — für Mon—
jenor ?”’ fagte Marquez mit einem halb lauern
den Blick.
Miramon jchüttelte langjam den Kopf. „Nein,
Marquez,” ſagte er endlich, „ich brauche Ihnen
nit zu jagen, daß wir Beide andere Pläne im
Kopf hatten, als wir dem Kaifer nach Queretaro
folgten. Sch Fannte damals Marimilian wenig
oder gar nicht, und was ich von ihm in Ori—
zaba gefehen, Fonnte mich nicht befonders gün—
tig für ihn ftimmen — das Vaterland galt mir
höher.’
„Und jest? frug Marquez Leije.
„Jetzt,“ vief Miramon, „bin id) fejt entſchloſ—
jen, bei ihm auszuharren in Freud’ und Leid,
und meine einzige Sehnjucht ijt, daß wir die
Hilfstruppen bald befommen, um bie liberalen
Schufte zu Paaren zu treiben.”
„Und was wird Monjeior dazu jagen ?’
„Monſeñor,“ erwiederte Miramon finfter,
9#*
132
‚wird einjehen lernen, daß es ſich noch immer
bejjer mit dieſem Kaiſer, als mit dem Indianer
fährt. Marimilian ift ein Ehrenmann, und ich
glaube und bin überzeugt, daß Merico noch fein
würdigeres Oberhaupt gehabt.”
„Caramba,” lachte Marquez, ‚auch nicht
unter Präjident Miramon’s Regierung ?’'
„Auch nicht unter der meinigen,“ jagte ber
junge Mann entjchloffen und bejtimmt. „Ich
babe jelber dieje ewigen und zwedlofen Revolu—
tionen ſatt und fürchte, Monſeñor thut nicht wohl
“ daran, fie immer nur mehr zu jchüren. Ich we:
nigſtens möchte nicht Präfident werden und da=
bei die Pflicht übernehmen, die leyes de reforma
‚aufzuheben, denn ich weiß, daß ich meinen ©iß
nur mit den Waffen in der Hand zu vertheis
digen und feinen Augenblick Ruhe hätte.‘
„Und glauben Sie, daß wir jobald Ruhe
befommen, amigo?”
„Ja,“ ſagte Miramon raſch und bejtimmt.
„Bringen Sie uns bald die nöthige Verſtärkung,
dann zweifle ich auch keinen Augenblick daran,
daß wir dieſe wild zuſammengeleſenen Schwärme
Escobedo's werfen und vernichten oder noch
beſſer, durch einen einzigen entſcheidenden Sieg
zu uns herüberziehen können. — Caramba, ich
133
hatte den Indianer fchon feft und hätte dem
Kaifer wahrlich Feine Gelegenheit gegeben, ihn
zu begnadigen, denn darin ift er ſchwach — aber
die Zeit Fehrt vielleicht zurüd und dann mag er
fi wehren.”
„Hm,“ nidte Marquez leife vor ſich hin, „Jo
jtehen alfo die Sachen — und wenn mich nun
Monſeñor direct fragt, was foll ich ihm fagen 2
„Daß er auf mid für feine Zwecke nicht mehr
zählen darf,‘ erwiederte Miramon beftimmt,
„denn das einzige Ziel, dem er entgegenjtrebt,
könnte ich ihm jo wenig erfüllen, wie der Kaiſer.“
„Und wenn er nun doch Jemanden fände,
der e8 unternähme?“
Die Frage war nur leicht und flüchtig hin—
geworfen, Miramon jah aber raſch und fajt er—
ihredt den Freund an und rief:
„Santa Anna? Die Herren werden nicht
wahnfinnig genug fein, den Erbfeind Mericos
wieder in das Land zu rufen — das Elend, das
ihm folgen würde, wäre unabjehbbar — aber
Thorheit,‘ fette er gleich darauf verächtlich hin—
zu — „der Blutjauger wird jid hüten, merica=
niihen Boden wieder zu betreten.”
„And wenn er nun jchon in diefen Tagen in
Vera-Cruz gelandet fein ſollte,“ erwieberte Mar—
154
que — „die letten Berichte, die ich erhielt,
laſſen e8 mich vermuthen.‘' |
„Berichte? von wem ?’'
„Que importe.‘
„Dann, beim ewigen Gott,” rief Miramon
heftig aus, „Sind die Priejter Landesverräther,
und damit haben fie auch ihr ganzes Spiel bloß—
gelegt. Marimilian — id) oder Santa Anna —
wer ihnen nur ihre Macht ficherte, war ihnen
gleich, und zu derjelben Zeit hielten fie alſo drei
Eiſen im euer, um das zu jchmieden, was
ihnen nurden größten Nußen verſprach. Hätten
Sie nicht Luft, Präfident zu werden, Marquez?"
legte er mit unverfennbarer Bitterfeit im Tone
hinzu.
Marquez fchüttelte lachend den Kopf. „Wüßte
nicht, daß ich bejonderes Verlangen darnach
trüge, und würde mid auf andere Weile zu ver:
forgen juchen.‘’
Miramon jah den General bejtürzt an. Es
lag Etwas in den boshaft lächelnden Zügen des
Mannes, das ihm nicht gefiel. — „Sie kehren zurüd,
Marquez,’ rief er heftig aus — ‚gewiß? Eönnen
wir uns fejt darauf verlaſſen?“
„Caramba,‘ lachte Marquez, „ſchon die Frage
ift eine Beleidigung — babe ih Ihnen nicht
135
Allen mein Ehrenwort gegeben, in ſpäteſtens
vierzehn Tagen wieder mit den fremden Truppen
in Queretaro zu fein? Glauben Sie, daß ich
mih in Merico in die Minijterwirthichaft
miſchen mödhte? So raſch ich die Leute rüjten
fann, fißen wir auf und denken den Herren Es—
cobedo und Conſorten nachher hier eine Fleine
Ueberraſchung zu bereiten.‘
„Alſo ein Wort, ein Mann?
„Run, veriteht fih von felber — in ſpäte—
tens vierzehn Tagen bin ich zurück; halten fich
aber die deutichen Negimenter dazu, jo ijt es ſo—
gar möglih, daß ich in etwa acht oder neun
Tagen wieder da bin. Es fol uns ſchon Fein
Gras unter den Hufen wachen.‘
„Sut,” jagte Miramon, „dann kann ſich
nod Alles glücklich geitalten, denn mit den Bur—
hen da draußen werden wir fertig. Wohin
gehen Sie jetzt?“
„Um meine Vorbereitungen zu treffen und
den alten Vidaurri ein wenig anzutreiben. —
Wir müfjen jedenfalls in der Nacht aufbrechen,
damit ich nicht die ganze feindliche Armee auf
den Hals befomme.
136
Wenige Tage vergingen — Marquez war aus
Dueretaro mit etwa 1100 Mann und feinem
wie Vidaurri’s Stab ausgebrodyen, und Dejerteure,
bon denen fajt jeden Tag Einzelne zu den Kais
jerlihen überfamen, berichteten auch, daß er
glücklich durchgeſchlüpft ſei. Hatte fich der Feind
aber, der jogar vermuthete daß der Kaijer mit
entkommen jei — über die Zahl der ausgerüd:
ten Truppen getäujcht, oder glaubte er vielleicht
Queretaro jet mit einem Handftreich nehmen
zu können, wo die liberale Armee jogar nod
anjehnliche Verſtärkung durch Riva Palacio und
zwei andere Bandenchefs erhalten, aber ſie fingen
an ſich da draußen zu rühren. Am zweiten Tag
fand ein allgemeiner und für mexicaniſche Ver—
hältniſſe ungemein jtürmijcher Angriff auf Que—
retaro jtatt, der, freilich von dem kleinen Häuf-
lein der Belagerten mit außerordentlicher Tapfer-
feit und jo energiſch zurüdgeichlagen wurde, daß
bie weiß gefleideten Soldaten da draußen bie
dunfeln Hänge aller Drten mit ihren Leibern
deckten. Escobedo mußte feine ſtürmenden Maſſen
zurücdziehen und ließ Taufende von Todten und
VBerwundeten auf dem Blan.
Prinz Salm, Mendez, Miramon, Mejia, fie
Alle Hatten wie die Löwen gefochten, und wirk—
137
liche Begeifterung herrſchte in dem Kleinen Heer.
Jetzt noch die deutjchen Negimenter herbei, und
Escobedo fonnte, troß feiner jechsfachen Ueber:
zahl, an feine eigene Sicherheit denken.
In Queretaro bereitete fich indeffen ein ganz
eigener Act vor, nämlich die Ordensverleihung,
die in ſolchen Fällen, jo kindiſch fie auch manch—
mal jein mag, ihre Weihe erhält.
Die Generale Miramon, Mejia, Caſtillo,
Arellano, Mendez und Valdez — und als be=
ſondere Auszeichnung für bewiejene Tapferkeit auch
Obriſt Prinz Salm in der eriten Reihe, erhiel-
ten die broncene Medaille für Tapferkeit — die
auf der einen Seite das Bruftbild des Kaiſers,
auf der andern in einem Lorbeerkranz die In—
ſchrift: Al merito militar (dem militäriichen Ver—
bienjt) trug, und welche der Kaiſer einem eben
jelber an die Bruft ſteckte; ebenjo die ‚übrigen
Dfficiere, die bei der Action betheiligt gewejen
waren. Unterofficiere und Gemeine erhielten die
goldene und jilberne Medaille, wie fie ſich aus—
gezeichnet hatten,
Mit der broncenen Medaille war der Kaijer
am geizigjten, und jie wurde an einem rothen
Bande, das Bruftbild nad) außen, getragen.
Als fi der Kaifer nad) Bertheilung der Or—
138
den entfernen wollte, ging General Miramon
auf Obrift Pradillo, der die Orden trug, zu,
nahm eine broncene Medaille, trat damit vor den
Kaijer, und indem er fie demjelben an die Bruft
jtedte, fagte er folgende Worte:
„Eure Majeftät baben Ihre Officiere und
Mannjchaften decorirt, als ein Zeichen der An:
erfennung für Tapferkeit, Treue und Ergeben:
beit. Dem ZTapferjten von Allen, welder uns
jtets in allen Gefahren und Entbehrungen zur
Seite jtand, und uns mit dem erhabenjten,
glänzenditen Beijpiele ſtets vorangegangen iſt,
nehme ich mir hiermit im Namen Eurer Majeſtät
Heeres die Freiheit, dieſes Zeichen der Tapferkeit
und der Ehre zu verleihen, welches Sie mehr
als jeder Andere verdienen.‘
Der Kaifer war ſehr überraſcht und gerührt
von dem finnreichen und jchönen Acte, umarmte
den General Miramon, nahm die Medaille an
und trug fie feitdem als feine erjte und vor-
nehmſte Decoration, allein gegen die VBorjchrift,
nit das Portrait, jondern die Seite mit der
Auffchrift nach außen. *)
*) Prinz Salm's „Queretaro“, in welchem umfaſſen—
den Buche der Prinz auch eine ſo detaillirte, wie feſſelnde
Erzählung der einzelnen Kämpfe giebt.
139
Der Eindrud, den dieje Fleine, aber wirklich
erhebende eier auf das Militär nicht allein,
fondern auf die ganze Stadt machte, war unbes
ſchreiblich, Marimilian hatte jich ja Schon durch
fein jchlichtes, freundliches Weſen die Herzen
Aller gewonnen, und überall jubelte man ihm
jeßt entgegen, wo er fi nur zeigte. Das Mi—
Litär brauchte viel, und den Einwohnern von
Queretaro wurden jchwere Opfer auferlegt, um
nur die nothwendigſten Bebürfniffe der Soldaten
berbeizujchaffen, aber Niemand weigerte jich zu
geben was in feinen Kräften jtand; gejchah es
doch für den Kaifer, und ging er als Sieger
aus diefem Kampfe hervor, jo wußten fie auch,
daß fie mit Vertrauen einer ruhigen und glück—
lichen Zeit für ihr Land entgegenjehen Fonnten.
6.
Während der WBelagerung.
Subel und Feitgelage, Illumination, Teuer:
werf, Bälle und indianifche Aufzüge in ber
Hauptitadt.
General Marquez — jest vom Kaifer zum
lugartenjente (Stellvertreter) in Merico ernannt
(er verheimlichte den wirklichen Auftrag, in dem
er gelommen war), brachte die beiten Nachrichten
aus Queretaro. Sie wären in allen Gefechten
jiegreich gewefen, und die liberalen Truppen jo
bemoralifirt, daß fie nad) jeder Schlacht mehr
Ueberläufer befamen, als fie Todte und Ber:
wunbete verloren hatten. Die Armee vergrößerte
ih dadurd fortwährend und der Kaijer gedachte
in näcjter Zeit einen Hauptjchlag gegen den
Feind zu führen, der der Belagerung bort ein
Ihleuniges Ende machen würbe.
141
Marquez jelber aber, anjtatt feine vom Kaiſer
befohlenen Aufträge auszuführen, rüſtete ſich,
um gegen den Puebla bebrohenden Porfeirio
Diaz auszuziehen, und freudig folgten ihm da—
hin jeßt die deutſchen Regimenter. In jofern
nur fam er dem Auftrag Marimilian’s nad),
daß er den vollfommen untüchtigen, ja auch vers
rätherifchen Lares abjette und Vidaurri die Stel:
lung eines Minifjterpräfidenten und Finanz—
minijters übertrug. Ibarran wurde zum Minis
fter des Innern beitimmt.
Wie das jebt in der Stadt lebte und ſchwirrte
— Marquez braudjte freilich viel Geld zu feinen
nächſten Operationen, aber die Reichen gaben
es willig, denn jie erhofften nun bald eine bejjere,
glückliche Zeit, und felbjt daß er die vom Kaijer
ſtreng abgeſchaffte Leva wieder einführte, und
aufgriff was er an militärfähiger Mannjchaft
aufgreifen fonnte, wurde von den Eonfervativen
vollfommen gebilligt. Sie jelber waren ja nicht
von der Maßregel betroffen, und zu einem legten
entjcheidenden Schlag mußte auch Jeder jein
Schherflein beitragen, ſei es in Geld, fei es mit
der eigenen Haut.
Die Geiftlichkeit war indeffen in Merico
jelber übermüthiger denn je geworden, und mit
142
Marquez zur Hilfe, der ſich ganz der Flerifalen
Partei angejchlofjen hatte, regierte fie faſt allein,
beherrjchte wenigftens die Familien volljtändig.
Marquez jelber Fonnte natürlich nicht bie
leyes de reforma wieder aufheben, denn er be=
ſaß fein weiteres Terrain als die Hauptſtadt
jelber, aber er ließ die Pfaffen wenigitens nach
Herzenslujt wirthichaften. In feinem Haufe,
das früher der Geijtlichfeit gehört hatte, wurden
mehr die Sacramente gereicht oder irgend eine
heilige Handlung verrichtet, ja Labaftida ging
jogar jo weit, alle Bewohner deſſelben, bis zur
Dienerichaft hinab, zu ercommuniciren, — Eine
Procefjion folgte dabei der andern durch bie
Straßen; die Gloden wurden faſt den ganzen
Tag geläutet und riefen ununterbroden zum Ge—
bet, und die Priefter felber traten mit einem
Stolz und Hochmuth auf, der unerträglich zu
werden drobte.
Das Alles jhwand aber in dem einen Gefühl
baldigen Sieges, und mit einer wirklich fabel-
haften Zuverjicht gaben ji die Bewohner von
Merico in einer Zeit diefem Glauben hin, wo
die Faijerlihen Truppen überhaupt nur nod
drei oder vier größere Städte im ganzen Land
bejett hielten, und aller Drten und Enden, jelbjt
143
in der Hauptitadt, von Tag zu Tag enger ein=
geihlojjen wurden. Aber die Hoffnung verläßt
uns ja nie, und um fo lieber und leichter ver—
traute man den endlich einmal günjtigen Be—
richten des eingetroffenen Generals, da fo lange
Zeit verflojjen war, in der nur ungünftige
Berichte die Hauptitadt in fteter, faft ununter—
brochener Aufregung gehalten. Außerdem ſpra—
hen aud eine Maſſe Einzelheiten dafür, daß
er die Wahrheit rede, denn hätte der Kaifer
Ihon fo viel Truppen in Queretaro entbehren
fönnen, wenn er ſich nicht ſtark genug fühlte,
dem Feind die Spiße zu bieten.
Mit Jubel ſah man auch die treffliche Armee
— Marquez, den man als einen tüchtigen Ges
neral kannte, an der Spibe, dem Feind ent—
gegen ziehen. Es waren zwei Snfanteriebriga=
ben in der Stärfe von 2000 Mann, und unter
ihnen das 15. Regiment, befehligt vom Obrijts
lfieutenant Hammerftein, mit faſt nur Oeſter—
reihern und Belgiern, wie einem Fleinen Theile
mericaniicher Soldaten. Die Cavallerie beitand
aus der Brigade Quiroga, einer ausgezeichneten
Truppe, dem wadern Khevenhüller Hufarenregis:
ment, der vom Obriſt Widenburg befebligten
Sensdarmerie und einem Negiment bevittener
144
Gazadores, dabei mit 18 Gefhüten — und wie
kehrte jie zurüd.
Am 30. März war Marquez mit bem zu=
verläjfigften Heer, das je in Merico vereint ge—
ftanden, aus der Hauptſtadt ausgerüdt, und am
11. April, Nachts 10 Uhr, kehrte er auf abgehetz—
ten Thieren, wenige DOfficiere zur Begleitung,
ein Flüchtling, in die Stadt zurüd — eilte in
fein Hauptquartier, ſchloß fih in fein Zimmer
ein und verkehrte mit Niemandem mehr. Aller:
dings wurden feine Dfficiere, ein paar Meri-
caner, mit ragen bejtürmt, was aus dem ganzen
Heere geworden, bas fie mitgenommen, aber fie
fonnten feine andere Auskunft geben, als daß
es vernichtet ſei. — War e8 doch bie einzige
Entſchuldigung, die fie für fich hatten, denn
ließ es ſich denfen, daß fie jelber nur in feiger
Flucht entkommen jeien und ihre Kameraden,
die ganze ihnen anvertraute Truppe im Stiche
gelaffen haben jollten ?
Und troßdem war es ſo. Schon am nächſten Tag
zogen die waderen deutſchen Truppen in geordnetem
Zug, als ob fie von einem Manöver fämen, in
die Hauptitabt ein. Sie waren halb verhungert,
ja und zum Tode ermattet, ihre Reihen auch ge—
lichtet, aber trotzdem ſchwenkten die Hujaren,
ez
*
7
*
ehe ſie ihre Kaſerne aufſuchten; nach der
Plaza ihres Kaiſers ein, und als ſie in Sicht
kamen, donnerte ein lautes Viva el emperador
von ihren Lippen.
Und wilde Gerüchte zogen dabei durch bie
Stadt; Porfeirio Diaz fei im Anzuge — ja
ſchon vor den Thoren. Die Läden wurden ge»
Ihloffen, die Frauen flüchteten in die Häufer,
und es brauchte Stunden lang, bis man ji
überzeugte, daß die Gefahr wohl drohe, aber
feineswegs jo nahe jei, um fie unmittelbar zu
gefährden. — Weiter aber verlangten die Bes
wohner auch Nichts, um ji ganz wieder ihrem
gewöhnlichen Zuwarten hinzugeben — und doch
batten fie in der Gefahr geſchwebt. Wäre Ge:
neral Diaz nämlich Scharf nachgerückt, jo fiel die
Hauptitadt Merico jedenfalls in feine Hände,
denn die mericanijchen Truppen zeigten ſich in
diefer Zeit volljtändig demoralijirt. Porfeirio
Diaz war aber felber durch die Tapferkeit der
deutſchen Truppen geſchädigt worden und brauchte
geraume Zeit, ym nur feine Todten zu beerdigen
und feine Verwundeten unterzubringen. Dann
aber zog er langjam gegen die Hauptſtadt vor
— Buebla war gefallen, und er fonnte nun
gr. Gerftäder, In Merico. IV, 10
145
146
feine jämmtliden Truppen bazu verwenden,
Merico felber zu belagern.
In Rodriguez’ Haufe, der. in diefem Augen:
bli, und bejonders feit der legten Schwenkung
Marimilian’s zu Gunften ver Konjervativen,
wieder einmal feſt am Kaiſerthum hielt, hatte
ji indejjen Manches verändert, und beſonders
war durch den gezwungenerweije lange aus:
gedehnten Beſuch jeines Schwagers San Blas
viel Leben und Bewegung in das Haus ge
fommen. Mexicaniſche Gaftfreundichaft kennt
aber feine Grenzen, und jo oft San Blas auf
ganz ernitlich gewillt war, mit jeiner Familie
in eins der jeßt ziemlich verlafjenen Hötels zu
ziehen, jo oft erflärte Rodriguez, daß San Blas
ih von dem Augenblid au nicht weiter als
jein Verwandter geriren jolle, denn er würde
jede Berbindung mit ihm abbrechen.
Pla& genug hatte er im Haus, um nod eine
ſolche Familie aufzunehmen, zu leben gab es
auch noch genug,“ obgleich die Lebensmittel jeit
der Belagerung ſchon bedeutenn im Preis ge:
jtiegen und im Allgemeinen oft ſchwer zu bejchaffen
waren, was alſo fonnte ihn veranlaffen, in ein
Hötel zu ziehen? Gar nichts, und wie hätten
fich die Familien in Merico nachher darüber auf: , |
147
gehalten. E8 wäre unerhört gewejen, und er
durfte ihm das gar nicht anthun. °
San Blas wußte dabei, daß er jelber unter
ähnlichen Verhältniffen auch genau jo gehan—
belt haben würde und weigerte fi denn auch
nicht länger, jeines Echwagers Gaſtfreundſchaft
anzunehmen, der noch außerdem erflärte, daß
er Ricarda auf feinen all hergeben könne —
San Blas möge machen, was er wolle, aber
das Mädchen bliebe unter jeder Bedingung im
Haus,
San Blas hatte in Merico felber einen alten
Freund aus früheren Zeiten gefunden, oder viel:
mehr einen jüngeren, denn er zählte mindejtens
fünfzehn Jahre weniger als er — ben General
D’Horan, früheren Präfecten von Xlalpam,
jeßigen ber Hauptſtadt, der ſich in letzter Zeit
bejonders dadurch ausgezeichnet, daß er eine
Verſchwörung gegen das Leben des Kaijers ent-
becfte und in energijcher, faſt zu — Weiſe
dagegen einſchritt.
Es gingen allerdings — Gerüchte
um, nach denen die ganze Verſchwörung bezweifelt
und O'Horan bezichtigt wurde, daß er eine An—
zahl von Leuten habe in aller Geſchwindigkeit
hängen laſſen, weil er von ihnen Ausſagen be—
10*
148
fürdhtete, die ihn jelber compromittiren Fonnten.
Wer aber hatte in diefer Zeit der Parteileiden—
Ichaften feine Feinde, und da ihm gar nichts
bewiefen werden konnte (die Leute waren alle
todt), jo ſchwieg aud) das Gerücht, da fich aufer-
bem noch D’Horan der Sahe des Kaijerreichs
treu ergeben zeigte und als ein entſchieden aus—
geſprochener Feind der Liberalen auftrat.
General D’Horan war, was man einen
Ihönen Mericaner nennt — ein Mann in feinen
beiten Jahren, mit einem intelligenten Geficht
und fcharfen, fajt zu unrubigen dunfeln Augen,
dabei lebendig und ein vortrefflicher Gejellichaf-
ter, ohne befondere Bildung wohl, aber mit einer
natürlichen Art von Mutterwiß begabt; felbit
Rodriguez fühlte fi wohl in jeiner Geſellſchaft
oder ſah ihn doc wenigftens gern in feinem
Haufe, in dem er bald, wenn auch nicht ein täg—
licher, doch jedenfalls jehr häufiger Gaft wurde.
Seine Bergangenheit Fonnte man allerdings
nicht ganz rein nennen; es wurde ihm Manches
zur Laſt gelegt, und mit bejonderer Unbefangen=
beit hatte er ſchon verjchiedene Male, je nad
Befinden, die Parteien gewechjelt, ja jollte früher
jogar ein leidenjchaftlicher Liberaler gewefen fein.
Aber lieber Gott — wie wenig Menfchen in
— —
149
Mexico hatten überhaupt eine „reine“ Ver—
gangenheit, und die Parteien zu wechſeln, konnte
in einem Lande nicht als Verbrechen gelten, wo
das beſonders unter den Generalen überhaupt
zu den Alltäglichkeiten gehörte.
O'Horan bekleidete übrigens jetzt eine an—
geſehene und bevorzugte Stellung in Mexico,
galt ſehr viel bei Marquez und ſchien ſich —
wie blieb ziemlich gleichgiltig, was ja in Europa
ebenjo der Fall iſt — ein bedeutendes Vermögen
erworben zu baden. Er lebte wenigjtens auf
vornehmem Fuß, hielt ſich ein paar prachtvolle
Keitpferde und galt überall in der Hauptitadt
für einen „Caballero“.
Uebrigens fonnte es in Rodriguez’ Haufe
nicht lange ein Geheimniß bleiben, daß jeine
Beſuche nicht allein dem befreundeten San Blas,
jondern vorzugsweile deſſen Tochter Ricarda
galten, gegen die er ſich äußerſt liebenswürdig
zeigte, ohne ſich jelber freilich einer bejondern
Auszeichnung rühmen zu Eönnen.
San Blas hatte es jedenfalls eben jo gut
bemerkt, jchien aber dieje halbe Bewerbung nicht
ungern zu jehen. Er modte den General gern
leiden und — hoffte durch ihn eine Ableitung
für eine in Ricarda's Herzen aufglimmende
150
Leidenihaft — vielleicht jegt nur nod) ein In—
terejje, das fie, wie ihm nicht entgangen war,
an dem jungen belgiihen Officier gewonnen.
Die Fremden hatten ihm aber in Mazatlan
fein Haus zerfchoffen und feine beften Pferde
aus dem Stall geholt — er Fonnte ihnen das
nicht vergeſſen, und wenn er ſich auch geitehen
mußte, daß van Leuwen vollfommen unjhuldig
dabei gewejen, ja nicht einmal Franzoſe war,
jo — ſprach er doch franzöfiih und war auf
einem franzöſiſchen Schiff in ihr Land gefommen
— ſah aud wie ein Franzoſe aus und — er
behielt nun einmal ein Vorurtheil gegen ihn.
Uebrigens hatten jie ſehr lange Nichts von
van Leuwen gehört, und San Blas gab jih ſchon
ber jtilen Hoffnung hin, daß er — ebenjo wie
taujend Andere feiner Landsleute, wie überhaupt
der Fremden, einfach verjchollen wäre. Man
erinnerte jich wohl noch feiner dann und wann,
aber er wurde doch nicht weiter gejehen und mo=
derte vielleiht in irgend einer wilden Berg—
Ihlucht im Lande drinnen. Die unrubige Zeit
in der Hauptitabt nahm auch in diefen Tagen
die Aufmerkjamfeit fait Aller viel zu jehr in
Anſpruch, und nur Ricarda allein hatte vielleicht
des Berlorenen gedacht.
151
Ein junger DOfficier, ven linfen Arm in ber
Binde, den Kopf mit einem Tuch umwunden,
und dabei bleich und. erfchöpft, ftieg mühſam bie
Treppe in Rodriguez’ Haus hinauf und bat den
Diener, ihn bei dem Hausherren zu melden. Ehe
diefer aber im Stande war den Auftrag aus—
zuführen, öffnete fich eine Seitenthür und Ri—
carda, bleich und erregt, trat heraus und eilte
auf ihn zu.
„Señor,“ rief fie aus — „um ber heiligen
Jungfrau willen, was iſt Ihnen geſchehen? —
Sie ſehen todtenbleich aus.’
Das war allerdings in dem Moment der Fall
gewejen, als er die Treppe erjtiegen hatte, jebt
freilich färbten ſich feine Wangen wieder ein
wenig, als er das junge Mädchen erfannte und
ihr mit einem glüdlichen Lächeln die Hand ent—
gegenreichte.
„Nichts als ein wenig Blutverluft, Señorita,“
fagte er dabei. — „Sie haben uns draußen
tüchtig zufammengehauen und ich — jcheine wirk—
lich Unglüd in der militäriichen Carrière zu
haben. Während Hunderte meiner Kameraden
aus dem wildejten Melde Feine Schramme mit
nad) Haufe gebracht, bin ich felber fünf ver-
ſchiedene Male verwundet worden, und kann noch
152
Gott danken, daß ich die Kraft behielt, im Sattel
zu bleiben.‘
„Dieſer unglüdjelige Krieg — aber wollen
Sie nicht eintreten? — Ruhe thut Ihnen Noth,
— Wir hatten jchon gehört, Sie verwundet
wären.‘
„Wenn Sie mid nur nod) einen Augenblid
entihuldigen — mein Bein ift durch das Treppen—
fteigen ein wenig jteif geworden.”
„sh führe Sie” — jagte Ricarda herzlich,
indem fie feinen Arm ergriff — „ſtützen Sie fi
nur feſt auf mid — ic lafje nidt nah —
fommen Sie.’
Ban Leumwen wollte ſich jträuben, aber es
half ihm Nichts — e8 ging au ſchon viel beffer.
Die Wunden waren glüclicherweife ſämmtlich
nicht gefährlich gewelen, und jeine gejunde Na—
tur überwand das Alles.
„Caramba, Don Guillelmo,‘ rief ihm aber
Rodriguez entgegen, als er ihn in der Thür mit
feiner Begleiterin erblickte. — „Sie jind ja über
und über eingebunden. Alle Wetter! Ahnen
haben fie bös mitgefpielt.‘‘
„Ja, Señor,“ nidte der junge Officer —
„ich ſagte e8 auch jchon zur Señorita — id} habe
Unglüf im Feld, und wenn ich diesmal noch
153
gefund aus Merico binausfomme — was. bis
jest freilich den Anjchein nicht jo bat, jo hänge
ich den Soldatenrod und Säbel an den Nagel.
Meine Haut ift jeßt ſchon ziemlich wie ein
Sieb.‘
Im Zimmer befanden ſich noch San Blas,
der den jungen Officier ziemlich Fühl grüßte,
und General O’Horan, der Präfect von Merico.
„Ich weiß nicht, ob fich die Herren fennen —
Capitano van Leuwen und General O’Horan —
ber Präfect diejer guten Etadt und ein intimer
Freund unferes Haujes — bitte, nehmen Sie
aber Platz, Capitän — Sie jehen wirklich an=
gegriffen aus.’
„Sie hätten noch nicht alısgehen jollen, lieber
Capitän,“ jagte auch Señora Rodriguez, die ihn
freundlich grüßte und ihm einen Stuhl binfchob,
„daß Ihnen auch das Ihr Arzt erlaubt hat!“
„Ich bin vollfommen wohl, Sefora,‘ lächelte
der junge DOfficier — „nur zu Fuß will bas
Bein nicht recht mit fort, und könnte ich die be=
nachbarten Schwefelquellen beſuchen, jo wäre
ih in acht Tagen wieder vollftändig bergeftellt,
aber die Liberalen jcheinen die Eur nicht für
nöthig zu halten, denn fie laſſen Niemanden
hinaus — die Stadt ijt ja eng eingejchlojjen,‘‘
154
„Und Halb ausgehungert dazu,” ſetzte Ri—
carda hinzu.
„Jun, fagte van Leuwen bitter — „wenn
wir noch ein paar folde Züge mit General
Marquez an der Spibe unternehmen, jo werben
Sie wenigjtens uns Soldaten los, denn ber
General hat eine ausgezeichnete Geſchicklichkeit
entwidelt, eine Armee zu ruiniren.‘
„General Marquez iſt ein ausgezeichneter
Feldherr,“ erwiederte O'Horan, dem nicht ent=
gangen war daß Ricarda's Blide länger auf
der Gejtalt des jungen DOfficiers vermeilten, als
ihm angenehm jein mochte — mit einiger Schärfe.
„Das mag ſein,“ nicte van Leuwen büjter
vor fih Hin, „ausgezeichnet hat er wenigjtens
mandverirt, um die fremden Truppen aufzus
reiben. — Er ijt entweder ein Schuft ober
eine Memme.“
„Señor,“ rief der Bräfect, von feinem Stuhle
emporfahrend, ‚wie können Sie e8 wagen, in
ſolcher Art von dem Höchſt-Commandirenden, dem
Lugarteniente des Kaifers, zu reden ?’
„Das ilt die allgemeine Stimme über ihn in
allen deutjchen Regimentern,“ jagte van Leuwen
gleichgiltig, „und bannte uns nicht unjer dem
Kaijer gegebenes Wort nah Merico, die Stadt
155
zu halten, wir marſchirten heute noch mit klin—
gendem’ Spiele hinaus und ließen Ihren Lu—
garteniente jehen, wie er allein fertig würde.“
„Das iſt Rebellion!‘
„Rennen Sie’s, wie Sie wollen,’ fagte van
Leuwen verächtlich — „es war Verrath, wie
uns Marquez behandelt bat.”
„Er mußte in die Stadt zurüd, um biefe
gegen den Feind zu behaupten.”
„And war allerdings in großer Eile das zu
bewerkjtelligen,” lachte van Yeumwen. — „Außer:
dem aber,’ jeßte er finjter hinzu, „‚gebt ein Ge—
rücht in der Stadt, daß er noch ein anderes
faules Spiel treibe, denn General Arellano aus
Queretaro ift vor einiger Zeit in diefen Mauern
gejehen worden und feit der Zeit verjchwunden,
Was für Nachrichten bat er gebraht? — Fein
Menſch erfährt c8, und ich fürdte faſt, unjer
General Spielt ein gefährliches Spiel mit feiner
eigenen Armee.‘
„Es iſt unerhört,” rief O’Horan empört
aus, „daß ein unterer Officier jolche furchtbare
Anſchuldigungen gegen feinen Vorgeſetzten in
die Welt jtreuen darf. Herr! wiſſen Sie, daß
Sie Kerkerſtrafe für dieſes Vergehen verdient
haben ?‘
156
„Herr Präfect,“ - jagte van Leuwen verächts
lich, „ih bin jest nicht im Dienft, und wir
Deutſchen haben nun einmal unfere eigene und
jehr beftimmte Meinung über diefen Herrn Ge—
neral gefaßt, den jeine Landsleute felber nicht
anders nennen, al8 den Schlädter von Ta—
cubaya.“
„Señores,“ ſagte O'Horan jetzt ernſtlich auf—
ſtehend, „Sie müſſen mich entſchuldigen, wenn
ich ſolchen Reden gegenüber es nicht mit meiner
Pflicht vereinbaren kann, länger in dieſer Ge—
ſellſchaft zu bleiben! Möglich auch, daß Sie
Beide mir ſpäter einmal die Verleumdungen
dieſes jungen unübexlegten Mannes bezeugen
müſſen. Auf dem Statthalter Seiner Majeſtät
darf kein ſolcher Makel haften, und herrſcht
wirklich ein ſolcher rebelliſcher Geiſt in dem ganzen
Fremdencorps, ſo iſt es die höchſte Zeit, daß
dagegen energiſch eingeſchritten wird.‘‘
„Aber beſter O'Horan,“ rief Rodriguez, „Sie
dürfen, was junges, hitziges Blut ſagt und vor—
ſprudelt, nicht ſo ernſt auffaſſen. Die Leute ſind
in dem letzten Treffen arg mitgenommen, und
haben ſich wirklich brav gehalten.“
„Sie haben nur ihre Pflicht gethan,“ ſagte
D’Horan giftig.
157
„Und das ift mehr, als der Lugarteniente
von ih jagen kann,“ bemerkte van Leuwen
troden.
„Genug und übergenug — hasta - luego,
Setores — Señoritas; ich lege mid Ihnen zu
Füßen,‘ und damit verließ er haftig und zum
äußerjten gereizt den Saal.
- Rodriguez jchüttelte, als er die Thür hinter
ich in’s Schloß gebrüdt, den Kopf. Er jah Ri-
carda's angftvollen Blif auf van Leuwen ge—
deftet und jagte:
„Mein lieber van Leumwen, ich fürdite, Sie
haben ſich einen hier in der Stadt jehr einfluß:
reihen und mächtigen Mann höchſt unnöthiger—
weile zum Feind gemacht, und fich jelber bei
der Sache in Gefahr gebracht. D’Horan geht
jedenfalls direct zu Marquez, und dieſer — ift zu
Allem fähig.‘
„Nur dazu nicht, mit unferen NRegimentern
anzubinden,‘’ jagte van Leuwen trotzig; „die Er—
bitterung gegen ihn iſt furchtbar, und nur die
Liebe zu unſerem Kaiſer und das ihm gegebene
Wort hat uns bis jetzt abgehalten, direct trotz
allen Befehlen dieſes Schlächters von Tacubaya
hinauf nach Queretaro zu marſchiren und ſelber
zu ſehen, wie es dorten ſteht.“
158
„Sie erwähnten vorher,‘ ſagte San Blas,
der indejjen Fein einziges Wort gejprocdhen, wohl
aber D’Horan wie van Leuwen ſcharf beobachtet
hatte, „des Generals Arellano. Wer will ihn
gejehen haben ?'' |
„Mexicaniſche Dfficiere, Señor, die ihn ge=
nau fennen. — Er iſt bemerkt worden, wie er
Abends Spät in den Convent Santiago trat;
jelbjt die wachthabenden Soldaten, bie früher
unter ihm gedient, haben ihn erkannt, aber von
dem Augenblid an blieb er jpurlos verſchwunden
und wir fürchten jeßt mit Recht, daß er böfe
Nachrichten oder doch Befehle gebradht, die ung
jelbjt betreffen, ohne daß jih General Marquez
bemüfjigt ſähe fie befannt zu machen.”
„Aber was Fünnte er dabei haben?”
„Quien sabe,“ — aber glauben Sie mir,
Señor, wir haben volle Urfache, den Mericanern,
wenn e8 auch Ihre Landsleute find, nicht mehr
zu trauen, denn wir wiſſen gut genug, daß jie
uns bajjen und jest nur noch unfere Zahl und
Macht fürdten. Nicht ungegründet ift der Ver—
dacht, daß uns Marquez abjihtlih im Stich
gelajjen. Wer weiß denn, welcdhem von feinen
Plänen wir im Wege ftehen, und was dieſen
Freund von ihm, den Präfecten von Merico
159
betrifft, jo circuliren über ihn ebenfalls abjon=
derliche Gerüchte.”
„Welcher Art?’ frug San Blas raſch.
„Zuerſt wird beftimmt behauptet, daß jene
ganze Verſchwörung in Tlalpam damals, wobei
«8 auf eine Ermordung des Kaijers follte ab»
geliehen jein, gar nicht eriftirt hat. Zwölf Per—
jonen find allerdings auf O'Horan's Befehl auf:
gehängt worden —“ |
‚Aber lieber Freund, das iſt ein altes
Märchen.”
„Aber der Dreizehnte nicht,’ fuhr van Leuwen
fort, „der ebenfalls um die Sadhe wußte und
nah deſſen Ausjage jet D’Horan jelber ber
Vierzehnte geweſen fein ſollte. Es handelte ſich
auch gar nicht um die Ermordung, ſondern nur
um die Gefangennehmung des Kaiſers, die aber
verrathen wurde, und damit ſeine Vertrauten ihn
nicht — was ſie jedenfalls gethan hätten,
verriethen, ließ er ſie einfach hängen.“
„Und wer iſt dieſer Dreizehnte?“
„Ein'junger Liberaler, der glücklich zu Juarez
entkommen iſt und gegen Gefangene ſelber die
Ausſage gemacht hat. Kommen die Liberalen je
"nah Merico ‚herein, fo iſt O'Horan der Erſte,
-160
ber erjchoflen wird, darauf können Sie ſich ver—
laſſen.“
„Weil er treu am Kaiſer gehangen?“
„Nein, weil er zwölf Liberale gehangen, die .
ihm gefährlich zu werden drohten.“
„Und der Rache eines ſolchen Mannes haben
Sie ſich ausgeſetzt?“ fagte Ricarda bejorgt.
„Haben Sie feine Angſt, Señorita,“ lächelte
aber van Leuwen, „gerade ſolche Burjchen find
feig, und er wird es nicht wagen, irgend Etwas
gegen Einen von uns Fremden zu unternehmen
— ſelbſt Marquez nicht.”
„Marquez ijt zu Allem fähig, jagte Rodri—
guez, „er brandichagt jeßt die Stadt, und ung
find bier wenigjtens bedeutende Contributionen
auferlegt, aber ebenfo den Fremden — alle Läden
der Groß: und Kleinhändler jtehen ja gejchloj-
fen, und fein Menſch ift mehr jeines Eigen=
thums ſicher.“
Ein dumpfes Murmeln und Geſchrei tönte
von der Straße herauf, und als Ricarda an ein
Fenſter eilte, ſah ſie eine Menſchenmenge, die
ſich ſchräg gegenüber gegen ein Haus warf, die
Läden aufbrach und die Thür einſchlug. Es war
das der Laden eines der Franzoſen, der Lebens—
mittel und Getränke, beſonders Delieateſſen,
161
feinere Weine und Liqueure bielt, und wenige
Minuten fpäter jtürmte jhon die Mafje in das
Haus hinein, und fam bald mit Beute beladen
wieder heraus. — E8 war ber Beginn einer
Reihe ſolcher VBerzweiflungsacte, deren ſich das
halb ausgehungerte Volk, die Leperos und ähn—
lihes Gefindel mit voller Luft und vom Prä—
fecten unbeläftigt bingaben.
Dan Leuwen war ebenfalls an das Tenjter
zu Ricarda getreten. — „Da fängt es an,” fagte
er, „und wir werden Mühe haben einen Auf:
ruhr zu dämpfen. Das Volk verlangt ſchon
jeit gejtern die Mebergabe der Stadt an Por:
feirio Diaz, aber Marquez weigert fich auf das
beftimmtejte und darf ſich darin audh auf ung
Fremde verlafjjen.”
„Sie wollen wieder fort?’ |
„Ih muß. — Ich will in meine Kaſerne
gehen. Man kann nicht wiffen, was für Befehle
gegeben werden.“
„Aber Sie können doch feinen Dienft thun?“
„Wenn es fein muß, gewiß — zu Pferd,
und mit dem rechten Arm gejund, geht es vor=
trefflihd — der linfe iſt nicht jo weit verlegt,
daß ich nicht mit ber linfen Hand die Zügel halten
könnte.“
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV. 11
162
„Sie werben fi tödten,“ hauchte Ricarda.
„Und würden Sie um mid trauern, Seño—
rita 2" |
Ricarda antwortete ihm nicht, aber ihr Blid
traf ihn, und mit freudig blikenden Augen rief
er aus: — „est iſt Alles gut, Ricarda, und
recht von Herzen danke ich Ihnen dafür!
„Für was, Señor?“ ſagte San Blas, ber
hinübergetreten war und jeiner Tochter Arm
ergriff.
„Kür ein freundliches Wort, Señor,“ fagte
der junge Mann bewegt, „und glauben Sie mir,
fie find uns jpärlicdy genug in ber legten Zeit
zugetheilt worden. Für wen vergießen wir unjer
Blut? Für unjern Kaijer, befjen ganzes und
einziges Streben es ijt, Merico glüdlich zu ma—
hen, und wie wird ibm, wirb uns bafür ge-
dankt? Nur mißtrauiſch betrachtet man überall
die Fremden, als ob wir gerade als Eroberer
in das Land gefommen wären. Glauben Sie
mir — wenn wir Merico einmal wieder ver—
lafjen, werden nur Wenige an das Rand mit Liebe
und Dankbarkeit zurückdenken.“ —
Ueber das Pflajter der Straße Flapperten bie
Iharfen Hufichläge einer Reiterpatrouille — e8
waren Khevenhüller-Hujaren, die im jcharfen
163
Trab die Calle San Francisco berabfamen und
im Nu den Pöbelhaufen zufammentrieben. Der
ganze in Angriff genommene Raben war freilich
ſchon jo ziemlich ausgeraubt,. aber fie verhüteten
doc) weitere Ercefje, und ließen dann einen Theil
ihrer Patrouille dort zurüd, während der Reft
weiter ritt, um bie en Straßen ab—
zufegen.
Ban Leuwen hatte ſich der Familie empfohlen
und ſtieg langſam die Treppe hinunter — ſein,
durch einen Streifſchuß verwundetes Bein hin—
derte ihn beſonders auf der Treppe. Die Straße
lag wie verödet, denn die Leperos hatten ſich
vor der drohenden Soldatentruppe ſcheu nach
anderen Stadttheilen zurückgezogen. Weit war
er aber noch nicht auf ſeinem Weg zur Kaſerne
gegangen, als er den Präfecten O'Horan be—
merkte, der mit vier Mann zur Begleitung ihm
entgegenkam und ihn raſch, ſchon an der Uni—
form und dem in der Binde getragenen Arm er—
kennen mußte. Quer über die Straße ſchritt er
auch direct auf ihn zu, und ihn mit einem trium—
phirend lächelnden Blick betrachtend, ſagte er:
„Señor Capitano — Sie werben ſich wohl noch
der Worte erinnern, die Sie vor kaum einer halben
Stunde äußerten — Sie ſind mein Gefangener.“
11*
164
„In weflen Namen ?' vief van Leuwen hef—
tig aus, und feine rechte Hand fuhr rajch und
zornig nad) dem Korb jeines Säbels — im Nu
fielen ihm aber die Häfcher in den Arm und ber
Präfect rief höhniſch:
„Wenn es Sie zu wiſſen intereſſirt, Señor
— im Namen des Kaiſers.“
„Das iſt eine niederträchtige, infame Lüge!“
ſchrie der Officier, indem er gewaltſam ſeinen
rechten Arm — wenn auch vergebens, frei zu be—
kommen ſuchte — „Schuft, verdammter, dafür
ſollſt Du mir büßen!“
Aber ſein Sträuben half ihm Nichts, die
Burſchen hatten den überdies wundenſchwachen
Mann zu feſt und ſicher gepackt, und wenn ſich
auch die wenigen Menſchen, die ſich auf der
Straße befanden, wunderten, was die Polizei
mit einem Officier der deutſchen Huſaren zu
thun haben könne, ſo dachte doch Niemand
daran, ſich hinein zu miſchen. Es war nun
einmal eine wilde, tolle Zeit in der Stadt, Auf—
ruhr an allen Ecken und Enden, und wohin
man den Blick wandte, Verrath oder Mißtrauen
— wer wußte denn, oder kümmerte ſich auch nur
darum, was der da verbrochen hatte und was
man von ihm wollte.
165
Da Flapperten hinter ihnen die Hufe einer
beranfommenden Hufarenpatrouille, und Ges
neral D’Horan, gerade mit feinem bejonders
guten Gewiffen und den Hufaren au nicht recht
trauend, wollte mit feinem Gefangenen raſch in
das nächſte Haus treten — aber die Hausthür
war verfchloffen. Er pochte heftig an, doch Nie:
mand öffnete ihm — die Leute wollten mit
den Vorgängen auf der Strafe Nichts zu thun
haben, und dachten gar nicht daran, fie" zu fich
herein und in das “innere des Haujes zu laffen.
Die Hufaren waren indefjen auch Schon zu
nabe in einem jcharfen Trabe berangefommen,
denn fie hatten die rothe Uniform eines ber
Ihrigen erfannt, den fie zu ihrem Erjtaunen
in den Händen der Givilbehörde ſahen. Ueber
die Gewalttbätigfeit der Handlung ließ ihnen
aber der Gefangene jelber jchon feinen Zweifel.
Ihm war die herantrabende Patrouille ebenfalls
nicht entgangen, und wie er fie nur in Rufes
Nähe wußte, ſchrie er ihnen auch ſchon fein: „Zu
Hilfe, Kameraden !” entgegen.
Rittmeilter Scyindler von den Khevenhüllern
commandirte den Fleinen Zug, war aber, fein
Pferd Schon Scharf im Zügel und den blanfen
Säbel überdies in der Fauſt, mit wenigen Süßen
166
bei der Gruppe, die den jungen Officier noch
immer gefaßt hielt, und frug bier mit jeinem
ſehr gebrochenen Spanish, was das bedeuten
jollte.
„Schindler ‚ rief ihm van Leuwen in deut—
ſcher Sprade zu, „thun Sie mir einmal ben
Gefallen und hauen Sie dem Schuft, dem Prä—
fecten, eins mit der flachen Klinge um die Ohren,
das verſtehen die Canaillen am allerjchncliten.‘
Schindler aber, der den Präfecten ebenfall® er—
fannte, war dod) zu vorfidhtig, um den bejchei-
benen Wunſch gleich fo ohne Weiteres zu er:
füllen. — O'Horan jelber antwortete auch jofort:
„Der Herr bier ift mein Gefangener, im
Namen des General Marquez, des Stellvertre=
ters des Kaiſers. Er hat verrätheriiche Reden
geführt.”
„Caracho!’ rief der Rittmeijter, der die jpa=
niihe Sprache bejjer verſtand, als er ſich darin
auszubrüden wußte — „weiter Nichts, und ba
werft Ihr Euch zu Fünfen auf einen verwuns
beten Dfficier? Laßt ihn los, Carachos, oder
ih baue Euch mit der Plempe über die Schädel,
daß Euch die Haare vom Kopf berunterfliegen.‘
„Señor!“ rief O’Horan fajt außer fi vor
Wuth. „Ich bin PBräfect in Merico, und wenn
167
Gie fih unterjtehen, in meine Rechte einzugreis
Ten,
Ban Leuwen indeſſen hatte kaum feinen rech—
ten Arm frei bekommen, als er auch den Säbel
aus der Scheide riß.
„Hund von einem feigen nichtswürdigen Mexi—
caner,“ ſchrie er den erſchrocken zurückweichenden
Präfecten an, „öffne den verrätheriſchen Mund
noch zu einem einzigen Worte, und ich jtoße Dir
den Säbelforb in die Zähne — fort oder beim
Himmel ich vergefle, daß Du an den Galgen ge—
hörſt, und gebe Dir einen ehrlichen Soldatentod.“
„Wenn Shr was von ung wollt,‘ fagte aber
auh der Rittmeifter finfter, ‚jo meldet Eu
beim Grafen Khevenhüller und beflagt Euch bei
dem. Das wäre no jchöner, wenn wir ung
auch noch jollten von der Polizei in den Straßen
abfangen laſſen. Kir müflen jo ſchon Eure
Dienjte thun. — Geht und treibt Euer eigenes
Gefindel auseinander, da habt Ihr genug Arbeit.
— Herr van Leuwen, nehmen Sie ein Pferd von
Einem meiner Leute. — Sie find noch jo ſchwach
auf den Beinen.‘’
D’Horan, der dem jungen hitköpfigen Belgier
nicht recht traute, war ein paar Schritte zurüd:
getreten. Jetzt rief er dem Rittmeifter zu:
168
„Sie haben mir über dieſe Mißhandlung
der öffentlichen Gewalt Rechenſchaft zu geben!’
Die Officiere fümmerten fi) aber gar nicht um
ihn, die Hufaren lachten und ber kleine Zug ver=
folgte jeßt langfam feinen Weg nad) der Kaferne
zu. Von einzelnen Balconen aus aber, auf welche
bier und da Damen herausgetreten waren, winf:
ten fie den Hufaren, bie fich erjt wieder vor ganz
furzer Zeit jo bejonders ausgezeichnet batten,
mit ihren Tüchern zu, und Rittmeijter Schindler
dankte auf das huldvollſte mit feinem Säbel.
Die nächſten Tage verliefen, außer einigen
Brodfrawallen, zu denen bas arme Volk durch
Hunger getrieben wurde, und bei welchem fich
hier und da die Polizei jelber betheiligte, ziem-
lich ruhig. Einzelne Gebäude wurden erbrochen,
fogar das große Theater, von dem e8 hieß daß
Maisvorräthe darin aufgeltapelt jeien, obgleich
man freilich nur fehr wenig fand. |
Uber mehr noch fait als leibliche Noth, die
jet unter allen Schichten der Bevölkerung
fühlbar wurde, quälte die Einwohner von Merico
die Ungewißheit über Alles, was außerhalb vor:
ging und nur in dumpfen, beunrubigenden Ge—
rüchten nad innen feine Bahn fand. — Woher
die Nachrichten famen, man wußte es nicht —
169
es war, als ob jie in der Luft lägen; aber bald
flüfterte man fih von Mund zu Mund zu —
Queretaro fei genommen und ber Kaijer gefan=
gen. — Andere wieder hatten „von irgend wem“
gehört, daß Santa Anna in Vera-Cruz gelandet
ſei und dann ein neuer Bürgerkrieg vor der Thür
stand.
Andere Gerüchte durchliefen aber auch wieder
die. Etadt, die gerade das Gegentheil behaupte:
tefi. Nach diejen jollte der Kaiſer Escobedo’s
Armee voljtändig geihlagen haben und im Ans
rüden auf die Hauptitadt fein — woher fie ka—
men? — wer wußte es, wer Fümmerte ji) darum
— man glaubt ja jo gern, was man wünfct.
Mieder hieß es: das von den Liberalen ge-
nommene Puebla habe jich für das Kaiſerreich
erflärt und die Beſatzung vertrieben; dann: die
Hälfte des DBelagerungsheeres fei abgegangen,
um den von Diten und Norden anrüdenden Feind
zu befämpfen und fich mit den gejchlagenen Trup—
pen zu vereinigen, furz, e8 war ein Gewirre von
unverfolgbaren Gerüchten, von denen ſich bis
jet noch keins auf irgend eine thatjächliche
Weiſe bejtätigte, daß e8 die Bewohner der’ ein
gejchlofjenen Hauptjtadt fajt zur Verzweiflung
trieb.
170
Dabei wurde Merico aber immer jchärfer
beſchoſſen und enger eingejchloffen, und faft zu je-
ber Stunde am Tag flogen die Kugeln in bie
Stadt hinein und verwundeten und tödteten Ein:
zelne — aber man hatte fi jo daran gewöhnt,
daß man die Gefahr zulegt faft gar nicht mehr
achtete und viel begieriger geworden war, Neues
draußen und aus erfter Hand zu hören, als
feine Glieder ficher hinter feiten Mauern zu
wiſſen.
Die Alameda, der -eigentlihe Spaziergang
ber Mericaner, war allerdings in ben eriten
Tagen der Belagerung, bejonders da auch dort
einige Kugeln einjchlugen, völlig verödet gelajjen
und fein Menſch wagte ſich dort hinaus — jetzt
Ihwärmte es wieder in den Abendjtunden von
Beſuchern, und jelbjt Damen fcheuterf fi nicht,
oft unter jchwirrenden Kugeln Hin, unter den
Ihattigen Bäumen derſelben ihre Promenade zu
machen, um da und dort Befannte zu treffen,
die ihnen doch vielleicht etwas Bejtimmtes
mittheilen fonnten.
Dahinein brachte der „Diario del Imperio“
eine Nachricht, die Allen wieder neuen Muth
gab: „Slaubwürbige Perjonen,’ hieß es, „welche
von Maravatio abgingen, verfichern, daß am 13.
171
Escobebo einen allgemeinen und heftigen Sturm
auf Queretaro unternommen, von den Kaiſer-—
lichen aber total zurüdgefchlagen worden fei und
400 Mann verloren babe. Escobedo's Truppen
jeien nicht mehr zum Stehen zu bringen BEREIeN
und bejertirten in Maſſe.“
Man glaubte e8 die erften Stunden und
zweifelte dann wieder daran,
Darnach erſchien ein Faiferliches Handbillet in
bemjelben officielen Blatte, welches ankündigte,
daß fi Seine Majeftät jhon auf dem Wege nad)
Merico befinde, der große Train aber, wie bie
ben Eolonnen mafjenhaft angefchloffenen Fami—
lien von Queretaro die Ankunft verzögerten.
Es war kaum möglich, an diefem Gerücht zu
zweifeln, aber troßdem ftiegen wieder Zweifel
auf, denn Kaufleute aus Merico, weldye directe
Driefe erhielten, berichteten an Obriſt Kodolich,
daß Queretaro am 15. Mai beftimmt gefallen
und der Kaiſer ein Gefangener ber Liberalen jei
— aber es waren nur Gejchäftsbriefe, auf die jte
ji beriefen — feine bejtimmte Ordre, fein Be—
fehl vom Kaifer jelber, die Waffen niederzulegen,
und die waceren Defterreicher fonnten auf jolche,
wenn aud faſt zu glaubhafte Berichte die Etabt
nicht übergeben. Noch war eine Möglichkeit
172
vorhanden, daß auch die Kaufleute getäufcht feien,
wenn auch die ſchlimme Nachricht mehr und mehr
Glauben in der Hauptftadt fand.
Da plötzlich Täuteten eines Tages alle Glocken
— Sanonendonner erjchallte, jo daß die Libera—
len draußen glaubten, es fei in der Stadt eine
Revolution ausgebrodhen, und zu ftürmen ver—
ſuchten. Aber fie wurden in entjchiedener Weife
zurüdgemwiejen, denn Jubel berrichte in ber gan—
zen Armee — und weshalb?
General Arellano hatte ſich — wie es hieß,
der Armee des Kaiſers vorausgejchlichen und war
verkleidet in die Stadt gefommen. Er bradte
bie günftigften Nachrichten. Dueretaro mußten
die Kaiferlichen allerdings aus Mangel an Le—
bensmitteln räumen. Escobedo aber jei voll:
jtändig geichlagen und fiegreich zog das Faijer-
liche Heer feiner Hauptjtadt wieder zu.
An dem Abend war große Sllumination in
der Stadt und ein prachtvolles Feuerwerk jandte
die flammenden Rafeten dem jternenhellen Him=
mel zu. Die Belagerungstruppen draußen vor
den Wällen zerbradhen fi den Kopf, was da
drinnen jo Glückliches paffirt jein könne, ja hör-
ten jogar mit der Beſchießung der Stadt auf,
um erſt einmal Näheres zu erfahren.
173
Marquez ritt von feinem Stab begleitet durch
die Stadt, und fein fonngebräuntes finfteres Ge—
fiht, das jetzt noch eine häßliche Schußnarbe
entjtellte, da er ſich erſt kürzlich den früher ge=
tragenen Bollbart abrafirt, ſtrahlte vor Ber:
gnügen,
Die Mericaner find leicht erregt. Obgleich
die Leute faſt Nichts mehr zu efjen hatten, wur—
ben doch überall gleich Bälle- und Yeltivitäten
arrangirt. Die Indianer hielten Aufzüge in den
Straßen, und man gab fi) dem vollen Jubel
eines baldigen Sieges hin.
7.
Der Derrath.
Hatte die Garnijon wie bie ‚Bewohner ber
Hauptjtadt Merico mit dringender Noth und
einiger Ungewißbeit zu fämpfen, jo war Beides
nicht minder in dem eng eingejchlojjenen Quere-
taro ber Fall. In Merico erwartete man ftünd-
lich die Ankunft des Kaiſers — bier dagegen bie
bes General Marquez, und wie bie Regierung
dort falfche aber ungünjtige Nachrichten verbrei-
ten ließ, um die Soldaten nicht zu entmuthigen
und das Volk zu DEruNIgEN, jo war das RUN:
auch bier der Tall.
Der Kaijer jelber, wie die oberen Generale
zweifelten jest, nachdem Marquez ſchon über
ſechs Wochen ausgeblieben, nicht mehr an feinem,
wie an Bidaurri’s Verrath, aber troßdem bielten
175
fie e8 geheim, und nicht einmal feinem Leibarzt
Doctor Baſch theilte der Kaifer feine Ueberzeu—
gung mit, jondern ſuchte au ihn guten Muthes
zu erhalten.
Bis dahin Hatte fih nun der Kaifer nod
immer auf das entichiedenfte geweigert Quere—
taro aufzugeben, troßdem daß ihm jelber ber
größte Theil feiner Generale zuredete ſich nad)
der benadhbarten Sierra Gorda durchzuſchlagen,
wo General Mejia bejonders von den Indianern
verehrt wurde. Marimilian nannte den Plaß
jelber zuweilen eine „Maufefalle”, hielt es aber
einestheil® nicht mit feiner militärifhen Ehre
vereinbar, da er das ſchwere Geſchütz in Feindes
Hand lafjen mußte, und zeigte ſich auch um das
Schickſal der Stadt jelber bejorgt, die jo treu
und aufopfernd zu ihm gehalten. Aber jetzt
drängte ihn doc Alles zu einem entjcheidenden
Schritt, und er fing jelber an verbittert gegen
ein Volk zu werben, das ihm nur all’ feine Treue
mit Berrath und Undank lohnte..
Wie hatte Lares und fein Minifterium Wort
und Handſchlag gegeben, ihn treu und aufrichtig
zu unterjtüßen und ihm nad beiten Kräften zu
dienen, und was hatten jie getban? Die Trup—
pen, die er nachgejandt verlangte, jchidten fie
176
nicht ab, wahrjcheinlich weil fie wußten, daß fie
jih in der Hauptſtadt befjer und ficherer auf
dieſe Fremden Soldaten verlafjen konnten, als
auf ihre eigenen. — Marquez dann, der Elende,
und jelbjt Vidaurri, den er vor allen Anderen
treu gehalten — wie hatten jie ihm gelohnt —
nur dadurch, daß fie ihn volljtändig im Stiche
ließen, um ihre eigenen — vielleicht verrätheri-
ſchen, jedenfalls jelbjtjüchtigen Pläne zu verfol-
gen. — Und durfte er ſelbſt bier in der Feſtung
Allen trauen? Die Generale waren ſtets un:
einig untereinander, befonders Mendez und Mi:
ramon, und oft famen ihm Andeutungen zu, daß
Der oder Jener es nicht ehrlich mit ihm meine.
Gegen Miramon bejonders hatte er ja nod
immer jelber von früher ber einen, wenn aud
durch nichts Directes begründeten, doch audy nicht
ganz grundlofen Verdacht, und nur das ſtets
offene Benehmen des ‚jungen Generals‘, wie
er ihn im Geipräh mit Anderen gewöhnlid-
nannte, zerjtreute immer wieder jedes Mißtrauen,
dem er dann und wann body vielleicht Raum ges
ben wollte. Zu einem vollen Gefühl der Sider-
heit kam er indefjen nie, und trotzdem Fonnten
bie gerade, von denen er ſich volljtändig über:
zeugt halten durfte, daß fie es wirflich treu und
177
ehrlich mit ihm meinten, wie Doctor Baſch, Obrift
Prinz Salm und jein waderer indianischer General
Mejia, nie einen wirklichen Einfluß bei ihm ge=
winnen. Sie durften ſich im Gegentheil feit davon
überzeugt halten, daß, wer na cd) ihnen zum Kaifer
fam und eine befjere Ueberredungsgabe bejaß,
auch ficher ihre Rathichläge wieder in den Schat—
ten ftellte, oder ganz über ben Haufen warf.
Wie lange ſchon hatten ihm dieſe gerathen,
die unglüdjelige Feſtung, die wohl ein wichtiger
Punkt für das ganze Reich war, zu einer Zeit
aber, wo das Reich jchon eigentlih gar nicht
mehr dem Kaijer gehörte und er ſich nur noch im
Befit weniger Städte befand, im Stich zu lafjen —
Er wollte nit hören, bis er jeßt endlich doch
fühlte, daß er bier Nichts in der Gottes Welt
that und thun Fonnte, als fich jelber am Leben
zu halten und die Seinigen in nußlojfen Schar:
mügeln nad) und nad) zwar langjam, aber ficher
aufzureiben. Jetzt endlich entſchloß er ſich dem
immer beftigeren Drängen bes alten Mejia und
des Prinzen Salm nadzugeben.
In einem Kriegsrath wurde fejtgeitellt, den
Feind am nächſten Morgen an zwei beftimmten
Punkten anzugreifen und zu bejchäftigen und wo
möglich dabei zurüdzujchlagen. Dann, jobald
12
Fr. Gerftäder, An Merico. IV.
178
man ihn in Verwirrung gebracht, jollte das ganze
Heer, nur mit Jurüdlafjung ber ſchweren Ge:
ſchützſtücke, aufbrechen und direct in die benad):
barte Sierra Gorda eindringen, die Mejia’s Hei:
math bildete, und wo er von den bort haufenden
zahlreihen Indianerbanden allgeliebt und ver-
ehrt war.
Der Ausfall fand ftatt, und zwar mit jo un-
erwartet günjtigem Erfolg, daß die ganze Bela:
gerungs: Armee in Verwirrung gerieth. Caſtillo
und Miramon leiteten den Angriff. Major
Pittner mit den Gazadores nahm gleih im
eriten Anlauf die erjte feindliche Linie und die
dortige Batterie — und rollte mit Miramon
zur Unterftüßung die ganze feindliche Linie
auf. Die Liberalen ſuchten ihr Heil in wil—
der Flucht, 15 Gefhüße, 7 Fahnen und 547
Gefangene mit 21 Officieren fielen den Kai—
jerlihen in die Hände; dazu Mafjen von Mu:
nition, Waffen, Gepäd und Proviant.
Auch Caſtillo drang fiegreih vor und nahm
6 Geſchütze, und die Niederlage des Feindes
Ihien vollfommen.
Anftatt aber nun diefen unerwartet günftig
ausgefallenen Schlag zu benugen und den ſchon
in den Eleinjten Theilen vorbereiteten Plan zum
179
Durchbrechen der feindlichen — jeßt völlig auf:
gelöjten Linien auszuführen, zeigte der Kaijer
aufs Neue Luft feine Stellung zu behaupten,
benn er fonnte das ihm unangenehme Gefühl
nicht abjchütteln, gewiffermaßen vor dem Feind
zu fliehen.
„Wahrhaftig, Mejia,“ jagte er zu dem alten
treuen Indianer, der ihn drängte den Moment
zu benüßen, „mir will es nicht in den Kopf,
vor einem Maulthiertreiber das Haſen—
panier zu ergreifen, und Escobedo ijt ja doch
nicht8 weiter.’
„Majeſtät,“ fagte Mejia in feiner trodenen
und derben Weiſe, „haben ſich ſchon mehrfach
in ähnlicher Art geäußert, aber doch wohl nur
den europäiſchen Begriff von Maulthiertreibern
mit herübergebracht. Hier in Mexico und in all'
ben ſüdlichen Ländern iſt ein richtiger, Arriero
ftets ein jehr geachteter Mann, und man kann
nur die tüchtigften Leute dazu gebrauchen. Da—
bei haben fie genaue Terrainkenntniß, das Wich—
tigjte in Merico für einen General, und daß es
Escobedo aud nit an Muth fehlt, Hat er uns
Ihon ein paar Mal bewiejen. Wir fißen außer:
dem bier eingefeilt, während er da draußen fort»
während neue Juzüge befommen kann und das
12%
180
ganze Land zur Verfügung hält. Der Pla
wird bier zu warm für ung — bod wozu das
Alles noch einmal wiederholen, was jchon über
und über bejprodhen und berathen wurde. Nur
beilen können Sie verjichert jein, ein günftigerer
Moment, um den Kopf bier ehrenvoll aus der
Schlinge zu ziehen, fommt nicht wieder.”
„Aber mein guter Mejia,‘ jagte der Kaiſer,
„es bat jich ja doch heute deutlich gezeigt, daß
uns der Feind, wenn wir nicht bleiben wollen,
gar nicht halten kann. Er verfügt über größere
Truppenmaſſen, ja, aber fie find vertheilt, und
wo wir jet mit ihm zujfammentrafen, haben wir
ihn doch vor ung her gejagt.‘
Mejia zucte einfach mit den Achjeln. Er
war fein großer Redner, und wozu noch einmal
wiederholen, was er ſchon Alles gejagt hatte.
Vergebens bemühte ſich auch jegt Prinz Salm
den Kaifer zu überreden, ohne weiteres Zögern
den Zug in die Sierra Gorda anzutreten. Der
jiegesgewifje Miramon, der felber feinen Mo:
ment an dem Erfolg zweifelte, wo fie heute einen
jo glänzenden Sieg errungen, bejtärfte ben
Kaifer nur in jeinem Bertrauen und überres
dete ihn leicht, feinen Abmarſch noch zu verzö—
gern — glaubte er doc) felber, daß er das mit
181
diefen wackeren Truppen zu jeder Stunde, und
warn er es für gut finden follte, ermöglichen
würde,
Dadurch verfäumte man bie Zeit. — Der
Sieg follte verfolgt und noch ein neuer Angriff
unternommen werben, aber dem Teinde waren
lange Stunden gelafien, um von Escobedo's
Hauptquartier mächtige Verſtärkungen herbei zu
ziehen, und Miramon’s neue Angriffs-Colonnen
wurden jest zurüdgemworfen.
Der Kaijer war jelber an ber Spibe feines
Heeres — er wollte nicht weichen — in einem
wahren Kugelregen feuerte er felber die Truppen
an —- umjonft — fie waren nicht zu halten,
und der Lebte von den Seinigen, nur von dem
Prinzen Salm und Miramon begleitet, ritt er
im Schritt in die Stadt zurüd.
Allerdings glaubte der Feind jet vielleicht
den günftigen Moment erfaßt zu haben, um die
Stadt gleich jelber mit zu nehmen, mußte feinen
Vebermuth aber jchwer büßen. Er wurde mit
furchtbaren Verluſten zurüdgeworfen und befette
nun wieder die Höhen, welche die Kaiferlichen
heute Morgen erjt genommen.
Diefem Hauptausfall folgten noch einige klei—
nere, meijt mit Erfolg gefrönte, aber die Si—
182
tuation blieb deshalb dieſelbe — nur mehr Ver—
wundete befam man, nur enger jchloß der Feind,
der immer mehr Zuzug erhielt, die Stadt ein.
Der Kaifer war in biefer Zeit jehr nieder:
gedvrüdt — die Stadt wurde unaufhörlich be-
ihofjen, und Granaten plaßten überall in ben
Straßen. Er achtete e8 nicht — es war oft
als ob er den Tod förmlich fuche, jo wanderte
er ruhig und jtundenlang an den gefährbetiten
Stellen umher, aber er war wie gefeit, und wenn
um ihn in unmittelbarer Nähe jelbjt Granaten
plaßten, berührte ibn doch nie auch nur ein
Splitter.
Dieſer Zuſtand wurde aber auf die Länge
der Zeit unerträglich — die Lebensmittel hatten
in der Stadt in einem Grade abgenommen, der
das Schlimmſte befürchten ließ. Man beſchloß
endlich in einem wieder gehaltenen Kriegsrath
in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai mit dem
ganzen Reſt der kleinen Armee durchzubrechen
und die Sierra zu gewinnen.
Diesmal aber war es Mejia — der um einen
Aufſchub, und zwar nur von 24 Stunden bat.
Man beabfichtigte während des Abzuges eine
Anzahl von Indianern zu bewaffnen, die indeß
die Wälle bejegen und den Feind glauben maden
183
jollten, daß das eigentliche Heer noch in Quere—
taro ftehe. — Mejia wünjchte noch mehr Ge:
wehre berbeizujchaffen — e8 Fam ja nit auf
24 Stunden an.
An dem nämlidhen Abend lie ſich Obrift
Lopez bei dem Kaijer, bei dem ſich gerade Prinz
Salm befand, melden und bat um nur wenige
Minuten Gehör.
Der Kaiſer hatte den Obriſten gern — Lopez
bejaß, bei einer hübſchen perſönlichen Erſchei—
nung, etwas Gewinnendes und jelbjt Elegantes
in jeinem ganzen Wejen, das nicht ohne Einfluß
auf Marimilian geblieben war. Wußte er doch
auc dabei, daß gerade Lopez ihm vor allen An—
beren in vielen Stüden zu großem Danf ver:
pflichtet war, und hielt fi von feiner Treue
deſto fejter überzeugt.
Der Kaifer hatte ein Feines Wachtelhündchen,
das er gewöhnlid; Baby nannte, und das mit
großer Treue an ihm hing.
Es war au mit allen Menſchen freundlich
und biß nie, konnte aber fjonderbarerweife ge=
rabe Lopez nicht leiden und knurrte jedesmal,
ſobald er in feine Nähe fam. Heute, wie er
nur bie Stube betrat, und ehe der Obrilt ein
Wort jagen Fonnte, fuhr Baby wüthend von fei=
184
nem Lager auf und gegen den Officier an, und
bellte und ſchien jo außer fi, daß es der Kaiſer
faum beruhigen Fonnte.
„Aber was Taufend, Baby — was haft Du
nur heute,‘ ſagte Marimilian, indem er es
jelber aufnahm und leicht Elopfte — ‚was fällt
Dir denn ein? Kehren Sie fih nicht daran,
Lopez — wer weiß denn, was dem Fleinen un=
gezogenen Ding durch den Kopf gefahren ift —
was führt Sie zu mir?
„Eine Bitte, Majeſtät!“ fagte der Obrift,
ber jichtlih durch den Zorn des Fleinen Thieres
in Berlegenheit gerathen war, ‚ich wollte Ma—
jeftät erfudhen, daß Obrijtlieutenant Jablonsky
von der Cavallerie mit feinen Leuten eine Linie
ber Cruz am Pantheon bejeßen dürfe. Die In—
fanterie ift überdies fo enorm mit Wachen über:
laden, und die Cavallerie im Gegentheil ge—
Ihont worden, daß man ihr wohl eine Erleichte=
rung gönnen kann.“
„Gern, gern,‘ fagte der Kaifer freundlid —
‚ih bin Ihnen fogar dankbar dafür, lieber
Obriſt. Sonft Steht Alles gut? Keine Neuig=
feiten 9
Des Obriften Augen bligten für einen Mo—
ment auf — aber es war auch in der That
2 Die
2
-
nur ein Moment, und mit ruhiger Stimme er—
wieberte er:
„Richt, dag ih müßte, Majeftät — bas
Neuefte, was wir haben, find die Granaten, bie
uns der Feind jo freigebig in die Stadt jchüttet.‘
Der Kaijer winkte wehmüthig lächelnd mit
der Hand. „Wir werden ihm die Mühe bald
eriparen, lieber Obriſt — alſo richten Sie es fo
ein, wie Sie es für gut finden. — Daß mir bie
Leute aber wachſam find!’
„Majeſtät können fich fejt auf fie verlafjen.‘'
„Merkwürdig,“ jagte der Kaifer zu Prinz
Salm, als Lopez das Zimmer verlafien Hatte,
„daß mein Fleiner Baby den Obrijten nicht leiden
mag. Wenn ich abergläubijch wäre, würde ich
das Gefühl theilen.‘
„Es iſt ſonderbar,“ fagte der Prinz, „aber
Hunbe haben manchmal einen richtigen Inſtinct.
Uebrigens halte ih den Obrijten jelber für
ehrlih. Wenn er es niht wäre, Meajeftät,
welchem Mericaner jolten Sie nachher noch
trauen ?*
Der Kaifer feufzte, aber er ermwiederte nichts
weiter, und als auch Doctor Baſch das Zimmer
betrat, nahm das Geſpräch bald eine andere
Wendung.
185
186
Obriſt Lopez indefjen ging in bie Stabt
hinab, aber in düſterem unbeilvollen Sinnen.
Die Arme verſchränkt, ven Kopf gejenft, das faſt
glühende Auge auf den Boden gebeftet, jchritt
er in fein Grübeln vergraben vorwärts und
achtete nicht auf das, was um ihn ber vor—
ging.
„Halo, Lopez — jo in Gedanken?“ — rief
ibn da plöglih eine Stimme an — Obrijt
Guzmann, der dicht an ihm vorüberging, ohne
baß er ihn bemerft hätte — „it Etwas vorge—
fallen ?”
„Vorgefallen?“ jagte Lopez, raſch und fait
erichredt den Kopf hebend — „nein — nicht,
daß ich wüßte — wenigjtens nicht bier im Lager.’
„Sie kennen die Nachrichten von Europa, die
heute eingetroffen ſind?“
„don ber SKaijerin ?’ rief Obrift Lopez
heftig, und feine ganze Geſtalt bebte — „wohl
fenne ich fie — aber ihr ift wohl. Sie hatte
feine Freude und fein Glüf im Leben — mag
fie Frieden im Tode finden — aber wer brachte
die Nachricht 2’
„Ein Dejerteur — Escobebo ſoll eine De—
peſche erhalten haben.“
„Arme Frau,” ſagte Lopez düſter — „Sie
187
opferte fi für Merico, während dieſer Schatten=
Faifer lich zu einem Bandenführer herabwürdigte.“
„Lopez? rief Obriſt Guzmann erihredt —
„was fällt Euch ein — hat der Kaijer nicht wie
ein tapferer Soldat jein Recht vertheidigt 2’
„Ja,“ fagte Lopez, dem die Worte vielleicht
nur in der Uebereilung entihlüpft waren —
‚das bat er allerdings — er iſt tapfer.‘
„Und theilt alle Entbehrungen feines Heeres
willig ?”
„Auch das thut er —“
„Und iſt ein befjerer Mericaner als Juarez
und Ortega zujammen.”
„Möglich, ſagte Eos ‚Pape — „aber er
war ein Schlechter Gatte —“
„Ein ſchlechter Gatte? Was fällt Euch ein?
Die Kaiſerin hing mit unendlicher Liebe an ihm.“
„Aber er war kalt und unfreundlich ge—
gen ſie.“
„Thorheit — wer hat Euch das Märchen
aufgebunden? Außer ſich war er, als er von
ihrer Krankheit hörte, und man verheimlicht ihm
ja auch deshalb nur ihren jetzt erfolgten Tod.“
„Ich weiß es,“ ſagte Lopez düſter — „es —
es mag ſein, daß ich mich irre. Seine Umge—
bung ſprach nur davon.“
188
„Seine Hausbiener? — eine ſchöne Bande,
bie er fi da mitgebradht hat. Sie ftehlen wie
die Raben. Als ich in Cuernavaca einmal bei
ihm war, hatte er nicht einmal Butter in der
Hofhaltung, und als er in das Dorf fchicte,
wollten fie ihm ohne Geld Feine ſchicken. Sein
Derwalter, oder was der Kerl war, hatte wochen—
lang die Butter gefauft, nicht bezahlt und dann
für baar Geld wieder verkauft, aljo doppelt ge—
jtohlen, und bie Faiferlihe Hofhaltung befam
Nichts. Das find auch die Halunfen, die, wenn
das Kaijertbum einmal zufammenbricht, mit ge=
füllten Geldbeuteln und Koffern nad Haufe
zurüdkehren und dann noch womöglih eine
Penfion-für die ‚treuen Dienfte‘ verlangen, die.
fie geleiftet. — Hol’ fie der Teufel!”
Lopez erwieberte Nichts darauf; er war ſtill und
in ficy gekehrt, und als er bald darauf Jablonsky
begegnete, nahm er deffen Arm und fehritt mit
ihm die Straße hinab.
*
* *
Der Ausfall war auf die nächſte Nacht ver-
Ihoben worden, aber jchon in dieſer jollte Alles
gerüftet bleiben, und der Kaifer hatte jogar be-
foblen, daß die Leib-Escorte und die Huſaren
189
ihre Thiere gefattelt ließen. Sie fonnten ſich
nachher über Tag ausruhen und reichlich Futter
befommen.
Die Vorbereitungen waren volljtändig ges
troffen, Alles reife: und marfjchfertig, und das
fleine Gepäd lag jchon bereit, um im lebten
Moment auf Pferden und Maultbhieren mit
genommen zu werden.
Doctor Baſch war noch ſpät beim Kaifer.
„Ich bin jehr erfreut,‘ ſagte er ihm, „daß
e8 endlich einmal zum Schluß fommt. Ich habe
auch die beite Hoffnung. Theilweiſe baue ich
auch auf mein jtetes gutes Glüd, das mich bis
jetzt noch nicht verlafien bat, und — halten Sie
es für ein VBorurtheil oder nicht — aber morgen
ift der Namenstag meiner Mutter, und ich glaube,
der wird mir Glüd bringen.‘
Eilf Uhr Nachts war es, als Lopez, völlig an—
gekleidet, in feinem Fleinen Gemach mit rajchen,
haftigen Schritten auf und ab ging — fein Säbel
wie feine Revolver lagen auf dem Tiſch und
neben ihnen ein Geldgurt mit Silber gefüllt,
das er aus der Reijefafje des Kaiſers befommen
hatte, um e8 für diefen zu jichern.
Da Elopfte es leife an die Thür, und auf
fein heftiges entra öffnete Jablonsky dieſelbe.
190
„Caracho!’ fagte diefer leiſe, indem er ſich
fheu im Zimmer umjah — „was ijt nun im
Wind? — der Kaiſer ſchickt und verlangt nad
Euch.“
Lopez wurde todtenbleich — endlich ſtammelte
er: „Zu dieſer Stunde der Nacht?“
„Seine Majeſtät haben oft wunderliche Ideen,“
ſagte der Burſche, „aber diesmal begreife ich
ſelber nicht was es ſein kann. Der Teufel wird
doch nicht etwa ſein Spiel gehabt haben?“
„Wer iſt draußen?“
„Mein eigener Schwager Pedro, der heute
bei ihm die Wache hat, aber er behauptet, auch
nichts weiter zu wiſſen, als daß ihn der Kaiſer
abgeſchickt habe, Euch zu rufen.“
Lopez blieb ſecundenlang, den Blick auf den
Gefährten geheftet, im Zimmer ſtehen — endlich
ſagte er mit finſterer Entſchloſſenheit in den
ſtrengen Zügen, indem er ſeinen Degen um—
ſchnallte und ſeine Revolver in ſeine Uniform
hineinſchob:
„Was kommen ſoll, kommt doch — vielleicht
nur etwas früher — ich gehe.“
„Und wenn ſie Euch zurückbehalten — was
wird nachher?“
„Unſinn — es iſt nicht möglich, daß ſie auch
191
nur eine Ahnung haben — aber führe mein
Pferd unten an die Thür und Halte es bort
bereit.‘
„Und ich bleibe dann in der Falle ſitzen.“
„Du kannſt das Deinige auch mitbringen.
Vorwärts — wir dürfen ihn nicht lange warten
lafien. Er ijt außerdem immer mißtrauifh —“
„Und bat doc) jo wenig Grund dazu,‘ Tachte
Jablonsky — „aber vamonos compaäero. In
einer Bierteljtunde wiſſen wir woran wir find
— was wird mit dem Gelde da?’
Lopez zögerte — Einen Moment war es, als
ob er es dem Freunde übergeben wollte, aber
ob er auch dieſem .nicht traute, er jchnallte es
felber um, und raſch fchritt er dann hinaus, um
dem Befehl des Kaifers nachzukommen. — Seine
Befürchtungen aber, welche er auch gehabt ha—
ben mochte, zerjtreuten jofort die freundlichen
Worte, mit denen ihn fein Faiferlicher Herr be=
grüßte.
„Ich konnte mir doch denken, lieber Lopez,“
lagte er, „daß Sie noch nicht fchliefen, und —
wollte Ihnen gern noch eine kleine Freude be—
reiten, denn morgen in dem Wirrwarr werben
wir an Anderes zu denken haben. Hier,‘ fügte
er hinzu, indem er von feinem Tiſch eine der
192
Bronce-Tapferfeitsmedaillen nahm und fie dem
bejtürzt vor ihm jtehenden Dfficier an die Bruft
heftete — „nehmen Sie dies Ehrenzeihen, das
ic Ihnen Schon längere Zeit zugedacht. — Eigent—
lich bat fie jeder Einzelne meiner waderen Sol—
baten verdient, aber ih fann ja nit Alle
decoriren.”
„Majejtät find jo gnädig,“ ftammelte Lopez
auf's tiefite beſchämt.
„Aber eine Bitte habe ich dafür an Sie, und
ich verlaſſe mich feſt darauf, daß Sie dieſelbe
erfüllen — eine ernſte Bitte, Lopez!“
„Bedarf es da noch einer Verſicherung, Ma—
jeſtät?“
„Gut,“ ſagte der Kaiſer, als er vor ihm
ſtand, ihm die rechte Hand auf die Schulter
legte und ihm ſtill in's Auge ſah. — „So hören
.Sie, Lopez. Ich — möchte den Feinden nicht
gern lebendig in die Hände fallen — verſpre—
chen Sie mir, daß, wenn ich beim Durchbrechen
durch die Armee vielleicht verwundet würde und
in Gefahr wäre gefangen zu werden — Sie —
mit einer mitleidigen Kugel mein Leben enden
wollen — nur nicht Gefangener werden — ver—
ſprechen Sie mir das!“
„Majeſtät,“ rief Lopez jetzt wirklich beſtürzt
- : u
ar 8
E| *
193
— „aber was könnte Ihnen, ſelbſt als Gefan—
gener, geſchehen?“
„Nur nicht gefangen, Lopez!“ rief Maxi—
milian in unverkennbarer Aufregung — „nur
nicht gefangen. Geben Sie mir Ihr Wort
als Ehrenmann, daß Sie mich lieber tödten
wollen.“*)
Lopez zögerte noch immer, in die dargereichte
Hand einzuſchlagen.
„Und wenn ich Sie nun darum bitte,“ ſagte
der Kaiſer, „ich hätte ja noch andere Freunde,
aber ich fürchte wohl mit Recht, daß ſie Vorur—
theil oder Weichherzigkeit davon abhielte. Schla—
gen Sie ein, Lopez.“
„Gut denn, Majeſtät,“ ſagte der Obriſt, in—
dem er ſeine Hand in die des Kaiſers legte, mit
entſchloſſener Stimme, und ſein Auge blitzte da—
bei in unheimlicher Gluth. — „Ihr Wunſch ſoll
erfüllt werden. Verlaſſen Sie ſich auf mich.“
„Ich danke Ihnen — ich wußte es,“ nickte
der Kaiſer befriedigt, indem er die Hand zurück—
309g — „und nun, mein lieber Lopez, legen Sie
ſich no) ein paar Stunden jchlafen. Ich kann
Ihnen die Verſicherung geben, daß Sie mich jehr
*) Nach des Kaiſers eigener Ausfage.
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 13
194
beruhigt haben. Ich gehe Allem, was jett kom:
men mag, mit feiter Zuverſicht entgegen.”
Der Kaiſer ſchritt noch lange in feinem Zim—
mer auf und ab. In feinem VBorzimmer hatte
von zehn Uhr Abends an ein Mericaner, aber
ein treuer Burjche, der an dem Kaijer von gan—
zem Herzen hing, die Wache. Um ein Uhr hatte
jih Maximilian niedergelegt, aber um halb drei
Uhr Schon mußte Pedro den Doctor Baſch wecken,
da er einen heftigen Kolifanfall befommen, der
jih aber nad) etwa einer Stunde gab.
Es modte halb Fünf fein, als die Thür leiſe
geöffnet wurde, und Pedro, der ſich dahin wandte,
erfannte zu jeinem Erjtaunen feinen Schwager
Jablonsky, der mit leijem Schritt in dag Zim:
mer ſchlich.
„Schläft der Kaiſer?“ frug er flüjternd.
„Ja,“ nickte Pedro — „was willft Du, An:
tonio?“
Jabloͤnsky ſah ſich ſcheu um. „Dem Kaiſer
eine Mittheilung machen,“ flüſterte er zurück.
„Jetzt?“ ſagte Pedro kopfſchüttelnd — „der
Kaiſer iſt eben erſt eingeſchlafen — er war
krank. Du kannſt jetzt nicht zu ihm — komm
morgen wieder.“
„Ich kann nicht — es iſt wichtig,“ ſagte aber
195
der Obrijtlieutenant, und feine dunfeln Augen
bligten dabei im Zimmer umber, ohne denen
Pedro's zu begegnen — „nur wenige Worte find
e8 — dann — mag er jchlafen.‘
„Höre, mein Burſche,“ jagte der ältere Mexi—
caner, der ihn indejjen aufmerfjam und aud
mißtrauiſch betrachtet hatte — ‚‚was haft Du denn
eigentlih ? — Du kommſt mir fo jonderbar vor!’
„Ich? — Nichts — was fol ich haben —
aber lag mich hinein, Pedro,‘ flüjterte er ihm
zu — „es jol Dein Schaden nit fein — id)
muß den Kaiſer jprechen, der Feind iſt in der
Stadt und doch Alles verloren.‘
‚Der Feind!” rief Pedro entjeßt.
„Bit — nicht jo laut — wir dürfen ihn nicht
erſchrecken,“ meinte Jablonsky, „ich komme gleic)
zurück.“
„Halt, Compañero,“ ſagte da Pedro, indem
er ſeinen Arm ergriff — „iſt der Feind wirklich
in der Stadt, ſo muß der Kaiſer allerdings ge—
weckt werden und Du magſt ihm Deine Nachricht
bringen, aber“ — ſetzte er drohend hinzu, indem
er einen Revolver von dem nächſten Tiſche nahm,
„hüte Dich, amigo — mit Dir iſt nicht Alles
richtig!“
„Aber Pedro!“ rief Jablonsky beſtürzt —
13*
196
„ei vernünftig — e8 ijt doch Alles vorbei —
Du ſollſt —“.
„Wird dem Kaiſer da drinnen ein Haar ge—
krümmt — und die Thür bleibt offen — ſo ſchieße
ich Dich über den Haufen wie einen tollen Hund.“
„Aber Pedro, biſt Du wahnſinnig?“ flüſterte
Jablonsky zurück.
„Vollkommen bei Verſtand, amigo,“ nickte
der Burſche — „geh und mache Deine Meldung
raſch, aber hier an der Thür halte ich Wache —
lebendig verläßt Du das Zimmer nicht wieder,
wenn Du böſe Abſichten haſt, und ſagſt Du noch
ein Wort, jo rufe ich die Wache — vorwärts,
wenn Du einen Auftrag haſt.“
Jablonsky biß die Zähne zufammen, aber er
fannte den jtarrföpfigen Burſchen gut genug. —
zögerte er, jo wurde deſſen Mißtrauen überhaupt
nur noch gerechtfertigter, und mit einem halb:
laut gemurmelten Caracho betrat er das Schlaf:
zimmer des Kaiſers. Wohl warf er nod) einmal
den Blick zurüd, aber in der Thür jtand Pebre,
mit dem Revolver in der Hand, und den Arm
des Schlafenden jeßt ergreifend und fchüttelnd,
rief er mit lauter Stimme:
„Majeftät — ftehen Sie auf! Der Feind iſt
in der Cruz!“
197
„Der Feind?“ rief der Kaifer, der halb an—
gekleidet auf feinem Bette lag, indem er raſch
emporfuhr — ‚in ber Cruz?“
„Wir find verratben — fort, jo jchnell Sie
können — ich will die Uebrigen alarmiren“ —
und hinaus jtürzte er, indeß Pedro jelber über
die furchtbare Nachricht entjegt ftand — und doch
berrjchte eine durd Nichts unterbrodhene Stille
in dem weiten Gebäube.
Unmittelbar nachher wurden Doctor Bald
und dann Prinz Salm, aber diefe durch ben
Dbrijten Lopez alarmirt, der verftört zu ihnen in
das Zimmer drang und jie beijchwor, den Kaijer
zu retten, — und ringsumber dieje fabelbafte
Ruhe — fein Poſten auf feinem Plate, der Markt
jelbft war menjchenleer und öde, und fein Sol:
dat zu jehen.
Prinz Salm und Doctor Baſch eilten zum
Kaifer — fie fanden ihn jchon vollfommen an—
gekleidet, ven Säbel umgeichnallt, in jeder Hand
einen Revolver, aber jo ruhig, al8 ob es einen
Spaziergang gelte.
„Salm, wir find verrathen!’” rief er dem
Prinzen zu — „laffen Sie Hufaren und Leib:
Escorte ausrüden. — Wir wollen nach dem Cerro
198
und fehen, wie wir die Sache in Orbnung brin=
gen. Ich werde gleich Folgen.‘
Der Prinz erfüllte die Aufträge — als er
zurüd eilte, traf er den Kaijer, aber jchon traten
ihm feindliche Soldaten entgegen, die Marimilian
aufhalten wollten. Obrift Don Joſé Rincon Gal—
lardo commandirte die Truppe. Er erfannte au
jedenfall8 im Augenblid den Kaijer, wandte jich
aber an feine Soldaten und fagte: „Que pasen
— son paysanos’ (fönnen pajliren, find Lands»
leute (Freunde).
Die Soldaten. traten zur Seite — der Kai—
fer mit feiner Begleitung jchritt vorüber, und
als der Prinz den Kaijer fragend anſah, jagte
dieſer lächelnd:
„Sehen Sie, es ſchadet niemals, wenn man
Gutes thut. Man findet zwar unter Jwanzigen
neunzehn Undanfbare, aber doch hier und ba einen
Dankbaren. Das hat fi joeben bewährt. Die
Mutter des feindlihen Dfftciers, der uns paſſi—
ren ließ, war ſehr häufig bei der Kaijerin, bie
ihr viele MWohlthaten erwiejfen hat. — Thun
Sie Gutes, Salm, wenn immer Sie fünnen.‘‘ *)
Der Kaijer z0g ſich jest mit feinen Beglei—
*) Prinz Salm’s „Querétaro“.
199
tern nad) dem Gerro de las Gampanas hinüber,
ohne daß er von feindlichen Truppen aufgehals
ten worden wäre — als Lopez, beritten und be—
waffnet, hinter ihm hergeſprengt fam und in
ihn drang, jich in das Haus des Banquiers Rubio
zu flüchten; allein der Kaijer, der noch immer
feine Ahnung von dem Ichändlichen Verrath diejes
Buben hatte — ſagte entichloffen: ‚Nein —
ich verftede mich nicht!” — ja er wollte nicht
einmal jeinen ihm wahrſcheinlich von Lopez ge=
brachten Scheden bejteigen, weil jeine Begleiter
dann hätten gehen müſſen.
Auf dem Cerro de las Campanas ftellte fich
der Fleine Trupp endlich, um den ſich ein Bruch—
theil der Armee gefammelt hatte — waren doch
bie mericanijchen Truppen, nad) Art diefer Krieg:
führung, jhon fait ſämmtlich zu den Feinden
übergegangen. Was jollten fie jich für eine ver:
Iorene Sache todtſchießen laſſen, und militärifches
Ehrgefühl war ein Wort, das fie nicht einmal
dem Namen nach Fannten.
Indeſſen Hatte General Miramon verfucht,
Truppen zu ſammeln und Wibderftand zu leijten,
um eine der Straßeneden bog aber feindliche
Gavallerie, und der Officier, feinen Revolver
auf den General abdrüdend, verwundete ihn im
200
Geſicht, daß er zu Boden ſtürzte. Man trug ihn
allerdings in das Haus des ihm befreundeten
Doctor Licea, derihn aber natürlich augenblicklich
an die Liberalen verrieth. Er konnte jich doch nicht
jelber in Ungelegenheit bringen, eines Freun—
Des wegen!
Die Feinde rückten jet gegen def Cerro vor
und begannen ihn zu bejhießen. — Der Prinz
ſtand neben dem Kaifer.
„Jetzt, Salm, eine glüdliche Kugel!‘ flüjterte
ihm diefer zu — aber jie fam nit. — Er
wandte jih an Mejia und frug ihn, ob es mög:
lich ſei, ſich durchzuſchlagen. — Zu ſpät — ber
Pla war von Feinden umzingelt, ein Durd-
bauen zur Unmöglichkeit geworden — ſelbſt
MWiderftand wäre bier Wahnfinn gewejen. Die
weiße Flagge mußte aufgezogen werden, und der
Kaiſer Marimilian war Gefangener in den Hän—
ben feiner Feinde.
In Mexito.
— — — —
Ein Charakterbild
von
FSriedrid Gerſtäcker.
Zweite Auflage.
Vierter Band.
(Zweiter Theil.)
dena,
Hermann Goftenoble,
1877.
Digitized by GSo
8.
General Marquez.
An der Hauptitabt Merico blieb in den näch—
ften Tagen anfcheinend Alles beim Alten, wenn
auch der Kaufmannsjtand, durch Privatbriefe
unterrichtet, feinen Augenblick mehr an der Ein-
nahme Queretaros und der Gefangenjchaft des
Kaifers zweifelte. Die Einnahme der Feſtung
bejtritt die Regierung nicht, aber dagegen er:
klärte das ‚„Diario del Imperio“ auf das ber
ftimmtefte und brachte immer neue, angeblich
authentiſche Berichte, daß der Kaijer mit feiner
ganzen Armee Queretaro geräumt babe und fi
auf dem Marſch nad Merico — ja endlich ſchon
ganz in der Nähe befinde.
Bei den deutſchen Obrijten war inbeffen eine
Dame, die Prinzeß Salm, die Gemahlin bes in
204
Dueretaro befindlihen Prinzen Salm, außer:
ordentlich thätig gewejen, um fie zur Uebergabe
zu bewegen und zu dem Zweck zwilhen Merico
und dem Hauptquartier des Porfeirio Diaz fort:
während, bald zu Pferd, bald zu Fuß bin und
ber gewechſelt. Sie hatte genaue Nachrichten von
Queretaro und fürdhtete natürlich für das Leben
ihres Gatten, wie das des Kaijers, wenn bier
längerer Wibderjtand geleijtet würde. Die beut=
Ihen Obrijten Kodolich und Graf Khevenhüller
lehnten aber natürlich ein derartiges Anfinnen
auf das entſchiedenſte ab, bis fie nicht erit die
volle Gewißheit hätten, daß der Kaiſer wirklich
gefangen ſei; wonach die Sache dann allerdings
verloren und weiteres Blutvergießen nußlos und
jelbjt verbrecheriich gewejen wäre.
General Diaz befam das ewige Drängen ohne
Erfolg aber auch fatt, er mißtraute der Señora
außerdem, bie fortwährend mit feinen Dfficieren,
bei denen er Bejtehung fürdhtete, verfehrte. Er
verweigerte jede Unterhandlung weiter mit ihr
und ertheilte ihr nur wibderjtrebend, und auf die
Bitten einflußreicher Leute hin, die Erlaubnig,
nad) Queretaro zu gehen und fi dort von dem
Stand der Dinge zu überzeugen.
Dies war die Situation, als am 28. Mai in
205
der Hauptſtadt die Nachricht zur öffentlichen
Kenntniß gelangte, daß eine telegraphiiche Des
pejche des Kaifers aus Queretaro eingetroffen fei,
worin der preußilche Gejandte, Baron Magnus,
aufgefordert wurde, fich in Begleitung ber Ad—
vocaten Riva Palacio (Vater des Auariftifchen
Generals) und Martinez de la Torre — Beide
befannte Liberale — zum Kaiſer nad) Queretaro
zu begeben, da er in den nächſten Tagen vor ein
Kriegsgericht gejtellt werden ſollte. Gleichzeitig
eintreffende Privatbriefe bejtätigten Alles; Mar—
quez aber, den man mit Recht bejchuldigte, an
ihn gerichtete, eigenhändige PBrivatbriefe des
Kaijers unterjchlagen zu haben — erflärte das
Telegramm an Baron Magnus für gefälfcht und
legte der Abreije der Advocaten wie Diplomaten
mehrere Tage Hindernifje in den Weg, bis es
die fremden Gejandten endlih doch durchſetzten
und ber preußijche, belgiſche, öfterreichiiche und
jpäter auch der italienifche Gejandte am 1. und
2. Juni die Hauptitadbt verließen. — Eulalio
Drtega, ebenfalls ein tüchtiger und gleich jo der
liberalen Partei getreuer Advocat, ſchloß ſich
ihnen an.
Die Noth in der Stadt nahm indefjen mehr
und mehr überhband, das Volk rottete ſich zu—
206
fammen, und der Präfeet General O’Horan
jtellte fich verichiedene Male jelber an die Spiße
folder Raubbanden, und erbrad Läden und
Häufer, wo man aufgefpeicherte Xebensmittel ver—
muthen durfte. — Dabei wurde die Stadt auf
das hartnädigite von außen ber bejhoffen, und
viele unglückliche Menjchen ereilte eine Kugel
mitten in der Straße. — Was Fümmerte das
aber Marquez — er verkehrte außer mit O’Horan
fajt mit Niemandem, und hielt fih abgejchlofjen
von Allen, allein über jeinen dunfeln, verrätheri=
ihen Plänen brütend.
Padre Fiſcher jpielte indejjen in Merico eine
jehr unglüdlide Role, denn wie gern und
häufig die Conſervativen wie Klerifalen nod
in Orizaba feinen Rath gejudht und feine Hilfe
erbeten hatten, jo jihienen jie Beides jegt voll:
fommen entbehren zu fünnen, denn — man
brauchte ihm nicht mehr. Der Kaijer war fo
ziemlidy aufgegeben worden — in gut unter=
richteten Kreijen wußte man jchon genau, wie
es mit ihm jtand und daß von daher feine Hilfe
mehr fommen fonnte — wozu aljo jollte der
ebenfalls bei Seite gejeßte Badre dienen — er
fonnte nur noch läſtig werden.
Allerdings hatte ihn der Kaijer in Merico
207
gewiſſermaßen als Aufficht für das Minijterium
zurüdgelajjen, mit dem Auftrag, genauen Be—
richt über dejjen Thätigkeit zu geben. Man lief
ihn aber Schon unter Lares gar nicht mehr zu
den Berathungen, und das jeßige, von Marquez
eingejeßte, Minijterium hatte überhaupt Feine
Verpflichtungen gegen ihn — oder wenn dod),
jo jeßte es jich über diejelben hinweg.
Padre Filcher mochte aber jchon jelber ahnen,
wie die Sade ftand, und verjuchte fein Heil bei
dem Erzbiſchof — freilich mit nicht beſſerem Er:
folg. Der ftolze Priejter kannte den einfachen.
Badre nicht mehr, dem er fi früher, als er
ihn nothwendig gebraucht, jo huldvoll gezeigt,
und überall abgewiejen und zurüdgejegt, warf
ich Fiſcher jegt mit deſto größerem Eifer auf
die Wiſſenſchaften, und jchleppte aus der Na—
tional-Bibliothef eine Menge Bände in eine
Wohnung, die er auch mit beſtem Erfolg für ſich
elber *) jtudirte.
Erzbiſchof Labaſtida hatte einen geheimen
Sourier von Bera-Cruz befommen und augen
*) Padre Fifher hat erft ganz kürzlich eine äußerſt
vertbuolle mexicaniſche Bibliothek bier in Europa durch
luction auf den Markt gebradht und eine jehr bedeutende
Summe dafür gelöft.
208
bliklih nad Marquez geſchickt und ihn zu ſich
bitten laſſen. Sp eifrig diejer nämlich, früher
mit ihm unterhandelte, jo faft entjchieden zog er
fih von dem Klerus zurüd, als er endlich merkte,
dag auch diefer nur Verjprehungen für ihn
hatte, und immer auf das hartnädigjte ver:
langte, er, Marquez, müſſe erjt Garantien geben,
daß er es wirklich ehrlich mit der Kirche meine.
— Das aber jollte er dadurch bethätigen, daß er
ohne Weiteres und rechtskräftig als Stellver—
treter des nun doch einmal bejeitigten Kaiſers
die leyes de reforma aufhob und ein Concordat
mit dem Klerus abjichloß.
Die Jumuthung an fi war jchon Wahn:
finn, aber was fümmerte ji der ehrgeizige und
habgierige Priefter um irgend welche Partei,
jo lange er die jeinige — und jei ed nur vor der
Hand durd ein todtes Geſetz — wieder an bie
Spite brachte. Marquez hatte ſich auch direct
geweigert und mit Recht betont, daß er dazu
keine Vollmacht beſitze — er fühlte ja ſelber recht
gut, daß er keinen genügenden Anhang im Land
habe, um einen derartigen Schritt, der ihm ſel—
ber noch dazu nicht den geringſten Nutzen brachte,
zu wagen. Der Verkehr zwiſchen ihm und dem
Erzbiſchof war deshalb faſt vollſtändig abgebro—
209
hen, und etwas Wichtiges mußte es jein, das
diefen heute veranlaßte, feine Gegenwart und
eine Unterredung zu verlangen. Er folgte denn
au der Aufforderung, und fand den Kirchen—
fürften in jeinem Gemad mit einem unterge-
ordneten Geiftlihen, Padre Zaloga, allein und
ihn erwarten.
Als er es betrat, Fam ihm Labaftiva mit ge—
winnender Freundlichkeit entgegen und jagte,
ihm die Hand reichend und herzlich ſchüttelnd:
„Aber amigo mio — Sie machen ſich ja jo
jelten, daß man Sie wirflid) halb mit Gewalt
citiren muß, um Ihrer nur einmal auf ein
Viertelftündchen habhaft zu werden.“
„Monſeñor,“ erwiederte Marquez troden und
zurücdhaltend, denn er kannte den Prieſter zu
gut, um nicht zu wiflen, daß dieje Aufnahme,
nad Allem, was bisher zwijchen ihnen vorges
fallen, einen ganz bejondern Grund haben müffe.
Er war deshalb auf feiner Huth. — „Sie wiffen
gewiß recht gut, wie e8 uns in der Stadt geht,
und daß ein Oberbefehlshaber in einer jo lange
Ihon und fo eng eingefchloffenen Stadt gerade
niht auf Roſen gebettet if. Wir Haben für
unjere Soldaten jehr wenig Nahrung und für
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 14
1)
210
unjere Pferde faſt gar feine mehr, und lange
halten wir es jeßt nicht mehr aus.‘
„Sie haben Recht, Lieber Freund,“ nidte ber
Erzbiſchof, plößlich ernjt werbdend, „und es ilt
fogar die höchſte Zeit, daß ein entjcheidender
Schlag geführt wird; denn jobald die fremden
Truppen die Bejtätigung befommen, daß ber
Kaifer wirklich gefangen ift, jo dürfen wir nicht
mehr auf fie rechnen.‘
„Ein entjcheidender Schlag ?'' lachte Marquez
bitter — „und womit? Die Pferde jelber find
jo matt, daß fie faum noch ihre Reiter tragen
fönnen, und wenn wir uns hinauswürfen —
wohin 7
Der Erzbiichof faßte ihn am Arm, bog jich
zu ihm hinüber und jagte halb flüfternd, indem
er ihn feſt anjab:
„Wiſſen Sie, daß Santa Anna an der meri-
caniſchen Küfte gelandet, daß er in diefem Augen—
bli, wenn auch noch unter anderem Namen, in
Vera-Cruz ift und feine Partei um ſich ge=
fammelt bat?“ |
„Caracho!” entfuhr es unwillfürlidh den
Lippen des Soldaten — ‚und woher haben Sie
die Kunde?’
„Da fteht mein Bote,” ſagte der Erzbiſchof
211
triumphirend, auf den Padre zeigend, „direct
fommt er von Vera-Cruz herauf und hat ung
die gute Kunde gebracht.‘
„Und feine Partei hat er um ſich gefammelt 2‘
fagte Marquez finiter, mit dem Kopf jhüttelnd
— ‚wer wird das fein! Die nämlihe Gejchichte
wie bier in der Stadt. Ein paar Dußend Men:
hen, die Minifter, Poftmeifter, Steuerbeamte
oder font etwas Derartige8 werden wollen, und
vor und nad) Gott jchwören, daß fie willeng
ind Blut und Leben für ihn zu opfern, aber
nicht einmal daran denfen, aud nur etwas Aehn—
liches zu verjudhen. Gehen Sie mir mit Ihren
Parteien, Monfenor, ich kenne fie zur Ge:
nüge und zum Efel, und weiß, was ih von
ihnen zu halten babe.’
„Gut, lieber Freund,” jagte da der Erz:
bilchof, indem er langſam und lächelnd mit dem
Kopf nidte — „ich kenne ſehr genau bie Be—
weggründe, die Sie veranlafjen jo zu denken,
wie Sie fih da eben ausjprehen — doch jehen
wir davon ab und hören Sie vor allen Dingen,
was uns ber Padre über die Zuſtände in Vera:
Cruz — nad) eigener Anfchauung, wohlverftan-
ben, und nicht auf ein bloßes Gerücht Hin —
berichten fann. Er bat jelber mit Santa Anna
14*
212
geiprodhen, und was er Ihnen fagt, darauf dür—
fen Sie ſich verlafjen.”
„And was ijt das?"
„Erzählen Sie, Zaloga, was haben Sie in
Vera-Cruz gejehen ?’
„Geſehen, Monſeñor,“ entgegnete der Padre
unterwürfig, „noch nicht viel, aber gehört deſto
mehr. Santa Anna iſt voller Hoffnung und
Zuverſicht. Er iſt in ſeinen Kreiſen mit Jubel
aufgenommen, denn man ſetzt jetzt auf ihn ſeine
letzte Hoffnung. Juarez' Regiment iſt überall
verhaßt, ſelbſt bei den Fremden, weil ſie wiſſen, wie
er mit der Douane gewirthſchaftet hat. Der reli—
giöſe Sinn des Volkes empört ſich dabei in dem Ge—
danken, ihn wieder das Ruder ergreifen zu ſehen.“
Um Marquez’ Lippen zuckte ein ſpöttiſches
Lächeln, aber er erwieberte fein Wort, und ber
Padre fuhr fort:
„Ganz Bera:Cruz befand ſich in Bewegung,
wenn’ fich die Leute auch der faiferlich gejinnten
oder wenigjtens jo gehaltenen Befaßung wegen
noch nicht Öffentlich darüber ausfprechen durften.
Soldaten jelber waren, wie ih aus ganz ficherer
Duelle weiß, jhon gewonnen, denn fie haben
von Marimilian wenig gejehen und betradhten
ihn nur als einen Freinden, der ihnen von den
*
213
überall verhaßten Franzoſen aufgezwungen wurde.
Ein einziger Aufruf Santa Anna’s, und die
ganze Garnifon geht, wie ein Mann, zu ihm
über, aber er bat ihn bis jeßt noch nicht gewagt,
weil er fi im Lande gar feiner Unterjtüßung
iiher weiß — das heißt Feiner Armee, auf
die er fich werfen könnte, und die dann natürlich
raſch zu Tauſenden anjchwellen würde.‘
„Und wozu das Alles? Haben wir eine
ſolche?“ ſagte Marquez bitter, „und kann ich
mich, ſobald ſich die deutſchen Regimenter von
uns zurückziehen, etwa auf meine jetzt ſchon de—
moraliſirten Mexicaner verlaſſen? Schon bei
Puebla würden ſie in hellen Haufen zum Feind
übergehen und, wenn es ſein müßte, ſelbſt ihren
Führer verrathen. Ich bin überhaupt gar nicht
fiher, ob ich noch einen einzigen Soldaten in
der ganzen Stadt behalte, jobald der Sturz des
Kaijers erjt einmal befannt wird. Nicht daß
die Soldaten jelber des Dienjtes müde wären,
aber ihre Weiber, die jett zu einem fabelhaften
Schwarm angewadhjen find, drängen und treiben
fie fortwährend zum Defertiren, und — ich habe
Ihon ein paar Erempel ftatuiren müffen, um
dem nur Einhalt zu thun.‘
„Ganz mit Ihnen einverjtanden, Generals
214
lieutenant,” nidte Labaſtida, und ſein ftolzes
Auge blidte den kleinen vor ihm jtehenden und
den fcheuen, tücifchen Blick abwendenden Mann
an, „ganz mit Ihnen einverjtanden. Sie haben
bie Eituation vollfommen richtig erfaßt, ſcheinen
aber nur nody nicht auf den Ausweg verfallen
zu jein, der uns allein aus diejer Lage retten
und dem ganzen Krieg plößlid eine für ung
günftige Wendung geben kann.“
„Ich verftehe Sie nicht, Monſeñor,“ jagte
der General, „ſprechen Sie deutlicher.‘
„Sut denn — fo hören Sie mit wenigen Wor—
ten. Wir haben mericanifche Truppen noch ge=
nug, um die Stadt wochenlang gegen die Angreifer
zu halten, jobald wir jie nur ein Flein wenig
auch äußerlich unterftügen. Laſſen Sie das
meine Sorge während Ihrer Abwefenheit fein.‘
„Während meiner Abweſenheit?“
„Ja — Sie nehmen Ihre beiten Truppen
indeß — wenigjtens Ihre ganze Cavallerie, die
Ihnen dod im Augenblil wenig in der Stadt
nüßt, und nur zur erjten Unterjtüßung auch von
dem deutſchen Infanterie-Regiment, das Gie
nachher, wo Sie wollen, zurücklaſſen können,
um raſcher vorwärts zu dringen, und brechen
durch. Dieſem erſten, mit aller Wucht geführten
215
Anprall widerfteht der Feind nidt. Sie ge:
winnen jedenfalls das offene Land und werfen
ih dann ohne Weiteres und ohne den geringe
ten Aufenthalt nad Vera-Cruz. Raſcher als
Sie nod, eilt Ihnen Padre Zaloga bier voraus,
ber jeden Bergpfad Fennt und die Mittel von
uns erhält, jeine Reife ununterbrochen und auf
friichen Thieren zurüczulegen, denn wir haben
überall unfere Poſten, und ſobald Sie Vera:
Cruz erreihen, pronuncirt jih Santa Anna in
ber Stadt, nimmt den für uns wichtigen Hafen,
der uns die ganzen Zölle fichert, vereinigt fich
mit Ihnen und Fehrt dann mit Ahnen bierher
zurüd nad Merico, während Ihnen unterwegs
Alles zuftrömt. — Denfen Sie an Miramon:
mit fieben Mann 309 er bier aus der Haupt-
ſtadt aus, mit einem Bataillon fam er nad
Queretaro und mit mehreren Regimentern jchlug
er gleich darauf den Feind, Santa Anna an
Ihrer Spike und das Banner ber heiligen
Sungfrau von Guadelupe — und das ganze
Heer des Feindes geht zu Ahnen über.‘
Marquez hatte ihm till und fehweigend zu—
gehört, und fein dunfles Auge baftete, während
er ſprach, Scharf und finnend auf dem Prälaten.
Er täujchte ſich nicht über die Gefinnung von
216
Porfeirio Diaz’ Truppen, wie es der Prieiter
in jeiner Berblendung that, der da glaubte, wenn
er nur das Kreuz erhöbe, müßte ſich das ganze
Volk ihm beugen. Die Zeit war vorüber —
aber andere Pläne waren es, die ihm durd den
Sinn kreuzten, ſich aber merkwürdig leiht —
bei einem ganz andern Ziele freilich, mit denen
des Kirchenfürften vereinigen lichen und ihm
bie Hand zu reichen jchienen.
Hier bot jich eine günftige Gelegenheit, zum
Meeresufer zu entfommen; den deutſchen
Truppen gegenüber war leicht ein Vorwand ges
funden — er brauchte ihnen nur unterwegs zu
fagen, dag Marimilian aus QDueretaro ausge
brochen fei, und fie fich in der Nähe der Küjte
mit ihm vereinigen wollten. Draußen fanden
fie auch Unterhalt genug, und daß fie ihre Bahn
ungehemmt verfolgen Fonnten, davon war er
überzeugt. Nur Geld mußte er haben, und was
nachher aus den Truppen wurde, wenn er fie
nicht mehr brauchte, was kümmerte das ben
Schlädter von Tacubaya — es waren Fremde,
weshalb kamen jie überhaupt nad Merico ?
Langjam nicte er mit dem Kopfe — und
Santa Anna naher? Aber welche Verpflich-
tungen hatte er gegen den? — ausgenommen
217
bie Chancen zeigten ſich volllommen zu bejjen
Gunsten — do ſchien das nicht wahrjcheinlich,
denn der Erdictator Fonnte, wie er das recht
gut wußte, auf Feine wirklichen Sympathien im
Lande rechnen. Eine kleine Partei mochte wohl
noch an ihm hängen und auf ihn zählen, um
ihre eigenen Zwecke dabei zu verfolgen, aber dieſe
war nicht mächtig genug, um auf fie zu vertrauen
— man fonnte fie höchſtens, wenn es fi nö:
thig zeigen follte, für einen Moment benüßen.
„Es ift möglich, Monſeñor,“ ſagte er nad
einer Heinen Pauſe, in der ihn der Erzbiſchof
erwartungsvoll anjah, ich aber vergebens be=
mübte, das in feinen Zügen zu lejen, was jeßt
in feinem Innern vorging — „es iſt vielleicht
ausführbar.‘
„Vielleicht?“ rief Labaftida raſch — „es iſt
ein ſicherer Sieg, dem Sie entgegengehen, und
der Ihnen die beſte Waffe in die Hand giebt,
Rache und Vergeltung an Juarez wie an den
Feinden der Kirche zu nehmen. Santa Anna iſt
in dieſem Augenblick nach dem Verrath Mira—
mon's an der Kirche der einzige Mann in ganz
Mexico, der nach des Kaiſers Sturz über das
Volk verfügen kann, und Sie mit ihm vereint
ſind unüberwindlich.“
218
„Veremos-veremos“ — nidte der General —
„wir können wenigjtens den Verſuch machen.‘
‚Aber lange zögern dürfen Sie nicht!" rief
der Erzbiihof — „die fremden Gejandten find
nah Queretaro aufgebroden, und wir wifjen
nicht, welche Mittel jie finden, um den beutjchen
Obriſten Nachricht zu jenden. Wir find wenig—
jtens feinen Tag mehr ſicher.“
„Nein — nein, ich weiß es!” rief Marquez,
„rebelliiches Geſindel, die Schon jett heimlich mit
dem Feind verfehrt haben — aber jo geht es“ —
rief er plößlich, jich Hoc; emporrichtend, aus —
„über welche Geldmittel verfügen Sie, Mon=
ſeñor?“
„Ich ſtelle Ihnen zwanzigtauſend Peſos zur
Verfügung.“
„In Gold natürlich?“
„In Gold.“
„Gut“ — nickte Marquez — „es iſt freilich
nicht viel, aber ich denke, ich kann das Andere
in den nächſten Tagen zuſammentreiben,“ und
ein boshaftes Lächeln zuckte dabei um ſeine Lip—
pen. „Bis wann haben Sie das Geld bereit?“
„Zu jeder Stunde — und außerdem noch
einen kleinen Vorrath Mais, den ich für meine
Thiere aufgeſpart, mit dem Sie aber den Pfer—
219
den, ehe Sie den Marſch antreten, ein gutes,
reichliches Kutter geben mögen.”
„Das ift nöthig,” rief Marquez raid —
‚aber das fparen wir bie für die letzte Stunde
auf — und nun adios, denn mein Plan ver-
langt Borbereitung und ih muß jet mit Mi—
nuten geizen.‘
„Gott ſegne Sie,’ fagte der blut: und macht—
gierige Prieiter, indem er beide Hände gegen
den hundertfahen Mörder erhob, und Marquez,
der ſich fromm und ehrfurdtsvoll befreuzte und
verneigte, verließ raſch den Saal.
Am nächſten Morgen in aller Frühe durch—
eilten eine Anzahl von Ordonnanzen die Stadt,’
die aber heute nur Privathäujer, und zwar bie
der angejehenften und reichjten Bewohner Meri:
cos aufſuchten. Sie überbradten auch ſämmt—
lich eine gleichförmig, aber jehr artig lautende
Aufforderung an die verjchiedenen Herren, jich
nämlid) um neun Uhr in dem Convent von Sant:
iago, in dem gegen Guadelupe zu liegenden
Fort, wo Marquez jein Hauptquartier hatte, ein
zufinden.
Mas fie da jollten? Die Ordonnanzen zudten
auf bie verjchiedenen Fragen mit ten Edhultern.
Sie wußten es nit — es war nur ber Befehl
220
vom Dbercommando, und fie baten die Herren,
pünktlich zu erjcheinen.
Noneiro, Lucido, Almeja, Rodriguez, alle
dieſe Herren erhielten foldhe Einladungen — aber
dieje nicht allein, auch faſt fämmtliche in Merico
angejejjene fremde Kaufleute (Franzofen, Deutjche,
Amerikaner, Engländer, jelbjt einige Conjuln
unter ihnen), und als ſie nach und nad) dort ein-
trafen, wurden fie hinauf in den Convent und
in einen großen, langen und öden Saal, eine
Urt von Corridor geführt, der allerdings nicht
wie ein Empfangszimmer für ſolche ausgewählte
Gejellihaft ausjah. Es befand ſich weder Stuhl
noch Tiſch noch Bank darin, feine Gardinen an
den Fenſtern — gar nichts in dem ganzen weis
ten Raum als die öden Wände, die dadurch na=
türlich nicht freundlicher wurden, daß eine An—
zahl von Soldaten unter Waffen auf dem vor—
deren Gang pojtirt ftanden — und auch bort
blieben.
Es modten in bem weiten Raum einige
dreißig Herren verfammelt fein und gingen jeßt,
da ſich überall Bekannte zujammen trafen, ihre
Cigarren rauchend, auf und ab. Sie erwarteten
auch nichts Anderes, als dag Marquez jelber
erſcheinen und vielleicht eine Anrede an fie hal
221
ten würde, die natürlich nichts Anderes be—
zweden Fonnte, als eine Geldforderung an fie
zu ſtellen. Dahin verjtändigten ſich übrigens
bald Alle untereinander, daß man dieſer Res
gierung, die in der That kaum ſelbſt eine pro=
vilorische genannt werben Fonnte, fein Geld mehr
anvertrauen dürfe, denn auf eine Wiederbezah-
lung wäre nie zu rechnen gewejen. Die nächſten
Tage ſchon mußten ja aud eine Entfheidung
bringen; die erjte jichere, oder vielmehr officielle
Kunde, die von Queretaro Fam, denn ſichere
Kunde hatten jie jhon von dort her — und dann
blieb dem jegigen Obercommandanten von Merico
Nichts auf der Welt übrig, als mit den Siegern
zu capituliren. Das Kaiferreih war gefallen,
und die jeßige Faiferliche Regierung in der Haupt—
ſtadt ja doch nur noch eine auf Furze Zeit Fünft-
lich, und ſogar widerrechtlich bingehaltene.
Da trat ein Ordonnanz-Officier in den Saal.
Er hielt eine Anzahl von Zetteln in der Hand,
und ſich mit einem berjelben an den ihm nächſt—
ftehenden Herrn — e8 war Almeja, wendend,
ſprach er einige Worte mit ihm, die aber eine
heftige Entgegnung von deſſen Seite hervor:
riefen. |
Hier jhien eine Aufklärung der räthjelhaften
222
Einladung zu folgen, und Alles drängte jet
berzu, um zu hören um was es jich denn eigent:
lih handle, denn was den Einen bier betraf,
interejjirte fie wahrſcheinlich Alle.
„Caramba, Señor,“ hörten fie jeßt, wie Al—
meja jagte, „General Marquez muß jedenfalls
glauben, daß ich in Gold ſchwimme, ober es aud)
baufenweije bei mir im Haufe liegen habe. Das
ijt jedenfalls ein etwas unzarter Scherz, den ſich
ber General mit uns erlaubt.‘
„Was ift es, Almeja?’ frug Lucido, der auf
ihn zuging — „was haben Sie?"
„Ob, Nichts ‚' Lachte der Angeredete — „nur
eine Kleinigkeit. General Marquez verlangt von
mir, daß ich ihm heute Morgen zwanzigtaujend
Pejos auszahle.“
„Zwanzigtauſend Peſos?“ riefen die ihm
Nächiten, viel weniger erjtaunt als erjchredt, denn
im Stillen berechneten ſich Alle gleich, was man
nach diefem Maßſtabe jegt von ihnen fordern
würde — „aber das ijt ja nicht möglich !‘'
„Für die anderen Herren,‘ fagte der Dr:
donnanz-Officier ruhig, der wie ein Fels in dem
allgemeinen Sturm jtand, „habe ich ebenfalls
bie Karten — Señor Rodriguez hier die Ihrige.“
„Zwölftaufend Peſos,“ ftammelte der Herr,
223:
wie er nur einen Blick darauf warf — „das
wäre nicht übel.’
„Setor Roneiro — bier die Ihrige,“ fuhr
der Officier fort, ohne fi) irre machen zu laſſen
— „Señor Gonzales — Senior Galway — weldyer
von ben Herren ift das?’
„Ich heiße Galway,“ fagte eine nicht ſehr
große aber jehnige Geftalt, ein Amerikaner, ber
die Hände in den Taſchen, den Hut hinten auf
dem Kopf, langjam beranfam und ben für ihn
beftiminten Zettel nahm. Kaum hatte er übri-
gens den Blid darauf geworfen, als er lachend
ausrief:
„Dreihundert Unzen ? — ich wollte, ich wäre jo
reich,’ und den Zettel mitten auseinander reißend,
drehte er ſich ab und jchritt der Thür zu. Der
Drdonnanz:Officier ließ ihn aud ruhig geben,
jo wie er aber dort, mit der größten Noncha—
lance, die Soldaten pafjiren wollte, hielten ihm
diefe einfach ihre Bajonnette vor, und die ver—
fammelten Herren, die jämmtlih aufmerfjame
Zeugen dieſer Scene gewejen, jahen jegt deut—
lich, daß fie wirklich Gefangene waren und ſich
in den Händen des gewifjenlojejten Schurken
von ganz Merico, in denen bed General Marquez
befanden.
224
Der Officier hatte fi indeſſen um bieje
Zwijchenfcene anjcheinend gar nicht befüümmert;
nur ein leichtes, halb ſpöttiſches Lächeln fpielte
um feine Lippen, und ruhig vertheilte er indefjen
die noch übrigen Zettel, die er in der Hand hielt,
an bie Betreffenden. Jetzt jtellte ſich auch bald
heraus, daß Fremde wie Mericaner ziemlich uns
parteiiich, wie man etwa ihre VBermögensverhält:
niffe abgeihäßt Hatte, verurtheilt worden
waren (denn ein Zwangs anlehen Fonnte man
es nicht einmal nennen), jo und fo viel Tauſend
Peſos Strafe für ihre Eriftenz zu zahlen.
Sutwillig fügte fih übrigens Keiner — die
Fremden beriefen ſich aufihre Ausnahmeſtellung
im Reiche, die Mexicaner auf ihre leeren und
ſchon durch den Krieg ausgeſogenen Kaſſen, der
Officier hatte Nichts als ein Achſelzucken für ſie,
und ſagte, als ſich der erſte Sturm gelegt zu
haben ſchien:
„Señores, ich erfülle hier nur die Befehle
meines Chefs — beruhigen Sie ſich, es wird ſich
Alles reguliren laſſen. Hier in dem Nebenzim—
mer ſteht Schreibmaterial — ich werde augen—
blicklich Jemanden zu Ihnen ſenden, mit dem
Sie ſich über die Summe, die Sie unmittelbar
zur Verfügung haben, verſtändigen können.“
225
„Gut, Senior,” rief Almeja — „dann erlau:
ben Sie uns aber aud, daß wir uns ohne Wei-
teres in unjere Geſchäftslocale zurüdverfügen
dürfen, um dort jelber nachzuſehen, denn dar—
auf wird hier Keiner von ung Allen vorbereitet
fein.’
„Das bedauere ich, verehrter Herr,’ erwies
derte, wenn aud mit größter Höflichkeit, der
Officier — „betrachten Sie fih nicht etwa als
Gefangene, aber — mir ijt ftrenge Ordre gewor=
den Sie hier zurüd zu halten, bis Sie fih nicht
allein entschieden, jondern das auch vorher be—
ftimmte Geld berbeigejchafft haben. Nehmen Sie
ih nur Zeit dazu, feßte er freundlich hinzu,
„Sie jollen gar nicht gedrängt werden — cor=
reſpondiren Sie mit Ihren verfchiedenen Häufern,
vereinigen Sie jidy untereinander.‘
„Und dazu dürfen wir dies Local nicht ver:
laſſen?“ rief Roneiro, der fih auf feinem
Zettel ebenfalls mit einer runden Summe von
15,000 Pejos verzeichnet fand.
„Das allerdings nicht,‘ jagte der Officier.
„Caramba Senior, fagte Alıneja, dem der
Schreck über die 20,000 Peſos doch in die Glie—
der gefahren war, indem er fich mit feinem Tuch
den falten Schweiß von der Stirn wilchte, „das
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 15
226
it — Sie nehmen mir das nicht übel, ein
wunberliches Benehmen gegen Männer gerade,
die ihr ganzes Leben eben der Partei gewidmet
haben, zu der ſich der General jelber befennt.
Und geht die Ordre direct von ihm aus?“
„Direct von ihm, Senior.”
„Und bat er fjelber die aufgeführten Namen
geſehen?“
„Nicht allein das, Señor, ſondern auch eigen—
händig die beigefügten Summen ausgefüllt.“
„In der That? — ſehr freundlich und
liebenswürdig von dem General — aber es iſt
doch kein Gedanke daran, daß wir die von uns
verlangten Summen auch nur zahlen können,
davon ganz abgejehen, ob wir die Handlung bil-
ligen oder nicht, und uns für diefe Regierung
aufopfern möchten.‘
„Der betreffende Finanzbeamte wird augen-
bliklih zu Ihrer Verfügung Itehen, verehrter
Herr —“
„Sehr ſchön — jehr ſchön,“ nidte Almeja,
„und indefjen wird uns dann wohl verjtattet,.
e8 uns bier jo bequem als möglich zu machen,‘
feßte er mit einem bittern Blick auf die kahle
und trojtlofe Umgebung Hinzu. — „Caramba
Senior, das ift eine unwürdige Behandlung, die
227
ung bier zu Xheil wird, und wir haben es
wahrlich nicht gerade um General Marquez ver:
dient. Doc wie dem auch jei, wir werden ung
vor der Hand dem fügen müſſen — dürfte ich
Sie nur jetzt,“ fuhr der alte Herr fort, indem
er jich überall im Zimmer umſah, „erſuchen,
einen Diener nad einer Flaſche Waſſer und
einem Glas zu jenden. Mir Elebt die Zunge
am Gaumen.“
„Ich bedauere jehr, verehrter Herr,’ erwie:
derte der Dfficier mit äußerſter Höflichkeit,
„Ihnen darin nicht willfahren zu können. Es
ift ftrenger Befehl gegeben, die Herren in feiner
Weiſe mit Lebensmitteln zu verſorgen.“
„Caramba!’ rief Almeja aus — „auch jelbjt
fein Glas Waſſer?“
„Auch ſelbſt Fein Glas Waſſer,“ ſagte der
Officier beſtimmt — „es hängt ja von den Herren
ab, in kürzeſter Friſt wieder auf freiem Fuß zu
ſein.“ Damit empfahl er ſich, nach einer ach—
tungsvollen Verbeugung gegen die Gefangenen.
Er gab ſich aber nicht einmal die Mühe, den
Spott zu verbergen, der in ſeinen Zügen lag,
und ließ die Verſammelten in nicht geringer
Aufregung zurück.
Im Nu hatte es ſich nämlich im Saal aus—
15*
228
geiproden, daß man Almeja felber ein Glas
Waſſer verweigerte, es lag aljo auf der Hand,
wie man gegen fie vorzugehen gedachte; mit Höf-
lichkeit und dabei Folterzwang durch Hunger —
allerdings der jchnellite Weg um zum Ziel zu
fommen. — Und trogdem bejchlofien einige ber
Herren, e8 auf das Schlimmite anfommen zu
laflen. Der verſprochene Finanzbeamte erjchien
allerdings ſehr bald und bradte die Furcht—
famjten dahin, ſich valch zu fügen. Er beitand
auch nicht fejt auf den angegebenen, und viel-
leicht abjichtlic jo Hoch gegriffenen Summen,
die, wie er recht gut wußte, in Wirflichfeit nicht
herbeigefchafft werden fonnten. Er ließ fünfzig
und mehr Procent von feinen Forderungen ab,
erflärte aber auch dabei auf das bejtimmtelte,
daß Keiner der Herren den Convent, der indejjen
von den draußen liegenden Liberalen unaufhör:
lich Scharf bejchoffen wurde, verlafjen dürfe, bis
er fih nicht der „mothwendigen Forderung der
Regierung‘’ gefügt habe.
Einige der Herren weigerten fich aber troß-
dem und erklärten, fie Fönnten und würden das
Geld nicht unter ſolchem Zwang berbeijchaffen,
und man ließ fie dann auch ruhig gewähren, ja
befümmerte ſich gar nicht um fie.
229
Unter diejen befand fich auch der Amerikaner
Galway, einige Deutſche und einzelne Mericaner,
die ji) nicht denken Fonnten, daß das Ganze
mehr als eine free Drohung fein würde; aber
die Naht brah an — eine Forderung, die fie
ftellten, nach Lebensmitteln ausjchiden zu dür—
fen, wurde mit einfachen Achjelzucen beantwortet;
dabei jchien das Feuern von draußen heftiger
als je zu werden, und jogar dort, wo fie ſich
befanden, Eonnten fie fühlen, wie die jchweren
Kugeln gegen das Steingebäude fchmetterten,
ohne daß bis jeßt eine derjelben zu ihnen herein
geichlagen wäre.
Sie baten jebt die Soldaten, ihnen Matraßen
oder wenigjtens eine Dede für die Nacht zu ver:
Ihaffen. — Die Leute fchüttelten fchweigend mit
dem Kopf, jo gern jie auch wohl jelber — gegen
eine gute Belohnung natürlich — bereit gewejen
wären, die verjchiedenen Wünjche zu erfüllen.
Sie wurden zu jtreng überwacht und durften
ihre Poſten nicht verlaſſen.
Einige der Gefangenen waren ältliche Herren,
die für ihre Geſundheit fürdhteten, wenn jie,
noch dazu ohne Xebensmittel, gezwungen würden,
eine zweite ſolche Naht durchzumachen — ſie
gaben am nächſten Morgen nach. Das Geld
230
nachdem fo viel als möglich abgehandelt, wurde
herbeigejchafft, und man entließ fie dann mit der
größten Artigfeit.
Galway, auf feine Nationalität troßend, hielt
noch bis zulegt aus, aber auch er fand bald,
daß ihm die ganzen Vereinigten Staaten Nichts
nügen fonnten, wenn er bier verhungerte, und
nachdem er feinen Beitrag auf hundert Gold:
unzen heruntergehandelt hatte, zahlte er ebenfalls.
*
* *
Am 9. Juni, etwa nach Mitternacht, gab
Marquez plötzlich den Befehl, daß alle Adjutan—
ten ihre Pferde bereit halten ſollten — Ordon—
nanzen flogen nach allen Richtungen, und etwa
gegen zwei Uhr kam der Befehl zum Aufſitzen.
Marquez, ein großer Theil der Generale und
ſämmtliche Adjutanten mit ihren Ordonnanzen
verſammelten ſich (etwa vierzig Pferde zuſammen)
im Kloſter San Jago und ritten von dort aus,
ohne daß Jemand, als die oberen Befehlshaber
vielleicht, eine Ahnung gehabt hätte, was beab—
ſichtigt wurde. Galt es nur eine Recognosci—
rung, einen ernſtlichen Ausfall, einen Durchbruch
vielleicht gegen Queretaro? — Die Leute zer—
brachen ſich darüber den Kopf. Da raſſelte plöß=
231
lich die Artillerie dur die Etraßen heran, bie
NRifleros de la Frontera und die Gensbarmerie
folgte, die Huſaren jchlofjen fih an, und es blieb
jest feinem Zweifel mehr unterworfen, daß ir:
gend ein entjcheidender Schlag ausgeführt und
gewagt werden jollte. — Aber das Fonnte nicht
gegen QDueretaro gehen, denn bei der Galzada
S. Antonio Abad, gerade nah) Süden zu, ging
der Zug, und Queretaro lag im Norden, oder
wollte Marquez den Feind täufchen, und nachher
erjt die Schwenfung machen ?
Draußen, unmittelbar vor der Stadt wurde
Halt gemacht und das Ausfallscorps geordnet,
bis etwa drei Uhr Morgens die Jäger den Befehl
erhielten vorzudringen und fi in wildem Ans
fturm gegen die nächſte Schanze zu werfen. Aber
mit heftigem Gewehrfeuer wurden fie empfangen
und fonnten nicht, troß allem Heldenmuth, in
die mit tiefen Gräben umzogenen ——
gelangen.
Jetzt donnerten die rothen Huſaren heran
und Allen voran ihr wackerer und heldenmüthi—
ger Führer Graf Khevenhüller — umſonſt —
Rittmeiſter Schädler erhielt gleich beim erſten
Anprall einen Schuß mitten in die Stirn, und
ein furchtbares Kleingewehrfeuer, von ſauſenden
232
Granaten unterjtüßt, zeigte den Stürmenben nur
zu deutlich, daß fie es mit einer unverhältniß—
mäßigen und noch dazu wohlvorbereiteten Leber:
macht zu thun hatten.
Nah faſt vierftündigem Gefecht und Klein:
gewehrfeuer ſah Marquez, daß ein Durdbrud
nicht möglich ſei — er gab den Befehl zum
Rüdzug, und das blutige Feld von Todten und
Berwundeten bedeckt, von dem jebt fiegreichen
Feind verfolgt, wurde die Truppe in bie Stadt
und hinter die Wälle zurücgetrieben.
Marquez hatte in feiner Begleitung zwei
ſchwer bepadfte Maultbiere, denen er nicht von
der Seite wich, und hinter ihnen ritt er erſt ſel—
ber wieder in die garrita ein.
I.
In derjelben Zeit, in der Marquez fein fre—
velhaftes Spiel in der Hauptſtadt trieb, und
Menſchenleben muthwillig in die Schanze ſchlug,
nur um jeine eigenen felbjtjüchtigen Pläne zu
fördern, erwartete Kaijfer Marimilian im Ge:
fängniß von Queretaro daß Kriegsgericht feiner
Feinde und hatte Schon fajt mit dem Leben ab—
geſchloſſen.
Der Kaiſer war, da längerer Widerſtand auf
dem Cerro de las Campanas Wahnſinn geweſen,
und das kleine Häufchen ſeiner Getreuen ſich
ergeben hatte, nach der Cruz, als dem feſteſten
») Wenn ich hierbei manche Namen verändert babe, jo
geſchah e8 nur, um noch in Merico Lebenden feine Unan—
nebmlichkeiten zu bereiten.
234
Plat gebracht worden, und wurde bort natürlich
Iharf bewacht, aber Escobedo jelber hatte be—
fohlen, ihm jede mögliche Bequemlichfeit zu ge=
ftatten, von denen ihm freilich wenig genug
geblieben jchien. Sein Zimmer hatte man, mit
Ausnahme des Feldbettes und eines Fauteuils,
rein ausgeplündert — feine jilberne Wafchtoilette
ſtahl Lopez eigenhändig, aber man gejtattete dem
Kaijer wenigitens den Verkehr mit feinen ges
treuen Mitgefangenen und überhaupt jede Frei—
heit, die fich mit feiner Lage eben vertrug.
Freilich drängten fih auch viele DOfficiere
hinzu, um den Marimiliano de Habsburgo mit
eigenen Augen zu fehen, und Biele waren ihm
läftig — Manche aber auch lieb, wie z. B. Obrijt
Gallardo, der nicht zuerjt die Hand an ben
Monarchen legen wollte und ihn pajfiren ließ.
Alle diefe Officiere erzählten aber jet auch
freimüthig den ſchändlichen, nichtswürdigen Ver—
rath, durch den ſie, von Miguel Lopez geleitet,
die Cruz und damit Queretaro genommen, was
der Kaiſer im Anfang gar nicht glauben wollte.
„Iſt e8 denn möglich, it e8 nur denkbar, ‘‘
rief er aus, „daß Lopez, Lopez, an dem ich
Alles gethan, ein folder nichtswürdiger Schurfe
fein Fonnte! Und in demjelben Augenblide, wo
235
feine Helfershelfer ſchon bereit jtanden, wo
Alles vorbereitet war, um mid, feinen Wohl:
thäter, zu verderben, kommt er herein zu mir,
nimmt von mir die TapferfeitSmedaille und küßt
mir dafür die Hand — wahrlich ein Judaskuß
dem, den er fchon verrathen hatte — pfui über
den Menjhen ! — Und was wird jegt mit ihm?“
„Que quiere, Majeſtät,“ jagte Gallardo —
„ſolche Menſchen benügt man, wenn man fie
gerade braucht, aber giebt ihnen nachher einen
Tritt. Ich traf ihn Heute, und er hatte bie
Trechheit mich anzureden und mich zu bitten, ihm
zu einer Stelle behilflih zu fein — ich fagte
ihm aber: die einzige paflende Stelle, die ich
für ihn wüßte, jei an einem Baum mit einem
Strid um den Hals. Ich glaube, er wird ung
bier nicht lange läſtig fallen.
„Und Marquez ?'
„Halt ih noch in Merico mit Hilfe der
europäifhen Truppen und veröffentlicht alle
Tage Berichte, daß Sie mit der Armee unter:
wegs wären und zum Entſatze kämen.“
„Aber er hatte neue, ftrengere Befehle, ohne
Säumen hierher nah Queretaro mit der Caval:
lferie zu kommen.“
„Bar ein Glüf für uns, daß er es nicht
236
that,’ jagte ein anderer der Dfficiere, „ſo bat
er ſich gefallen, jelber Kaijer in der Hauptjtadt
zu jpielen, über die er viel Elend gebracht. Ich
weiß nicht wer jchlimmer iſt, er oder Lopez.‘
„Bon Allen verrathen,“ murmelte der
Kaijer bitter vor fih bin, „von Allen, auf die
ich zählen mußte, weil ich jie für meine Freunde
hielt. Bon den Pfaffen — das wundert mich
nicht — das ijt deren Natur — von den Tran:
zojen — ich war ein Thor, ihnen zu glauben —
nur das jchmerzt, ſolche Undankbarfeit von denen
zu erleben, für die wir Alles gethban, was in
unferen Kräften ftand.‘
Er blieb an dem Tag ſehr niedergejchlagen.
Veberhaupt trat jeßt, nachdem die erjte Aufregung
vorüber war, ein Grad der Erſchlaffung ein,
indem fi auch fein altes Leiden wieder ein—
ftellte. Der mericaniihe Militärarzt, den man
Klugheit halber noch zugezogen, trug jeßt dar:
auf an, daß der Kaifer eine andere Wohnung
angewiejen befomme, und man brachte die Ge:
fangenen dann, aber unter jtrenger Bewadhung,
in das Klojter Terejita.
Ein Befehl war indefien erlaffen, daß ſich
alle Faiferlihen Dfficiere, die noch verſteckt lagen,
melden follten, oder man würde fie, wenn jie
237
nachträglich entdecdt würden, ohne Weiteres todt-
Ihießen. Einige thaten es, Mendez aber, ber
recht gut wußte, daß fein Leben doch verfallen fei,
jobald man nur feiner habhaft werde, blieb ver-
borgen, wurde aber natürlich von feinem eigenen
Diener für Geld verrathen und augenblicklich zur
Srecution hinausgeführt — und dazu fchienen
die Liberalen allerdings berechtigt.
Mendez war e8 gewejen, der nur nach dem
Gerücht des October-Decrets, und ehe es noch
ſelbſt gejeglih in Kraft getreten, die beiden
mericanifhen Generale - Arteaga und Galazar
hatte erjchießen laſſen.
Man bradte ihn nach der Aufßeren Mauer
der Plaza de Torros, in der Nähe der Alameda,
wo er von einem Detachement der Gazadores de
Galeano von rüdmwärts erjchoflen werden
jollte, wie es in Merico mit Perfonen gejchieht,
die von der Gegenpartei des Verrathes bezichtigt
werden. Mendez wollte jich aber durchaus nicht
in dieje Stellung fügen. Auf einem Knie ruhend,
drehte er jih um als es Inallte, hob den Hut
in die Höhe, rief Viva Merico und fiel auf das
Gefiht — war aber nicht todt und bei voller Be-
finnung, denn er zeigte mit dem inger- hinter
dag Ohr, um anzudeuten, daß man borthin
238
ſchießen und ihn tödten möge — was aud) einer
ber Cazadores that. *) |
Escobedo ijt faſt in allen über Merico er—
ſchienenen Büchern als ein grauſames Sceujal
dargejtellt worden, deſſen Drängen allein Juarez
habe nachgeben müfjen, um bes Kaijers Tod zu
befeblen. Nach Allem aber, was ich jelber an
Ort und Stelle über ihn gehört, und was aud
außerdem aus allen den Schriften, die ihn fonft
ſchmähen, hervorleuchtet, iſt das nicht allein nicht
der Fall, jondern er hat fi jogar in Allem, was
den unglüdlichen Gefangenen betraf, höchit ehren—
haft und ſogar theilnehmend bewiejen, und war
entrüftet darüber, als er erfuhr, daß einer feiner
Generale den Kaifer für eine Nacht in die Todten-
gruft des Klofters gejperrt hatte.
Es war ihm aud von der höchſten Regierung
anfangs der Befehl geworden, alle höheren Of:
ficiere auf der Stelle erſchießen zu laſſen; aber
er hatte fich nicht allein geweigert, ihn auszu—
führen, ſondern machte Juarez jelbjt Vorſtel—
lungen, daß etwas Derartiges ohne vorhergegan:
genes NRechtsverfahren nicht zuläjjig wäre.
Daß Graufamkeiten in jeinem Heer verübt
*) Prinz Sulm: „Queretaro‘.
239
worden jind, liegt im mericaniichen Charafter,
und er fann nicht dafür verantwortlich gemacht
werben, denn es ijt jehr die Frage, ob er darum
wußte. Marquez ließ auch — auf dem Zug
nach Queretaro die unterwegs gefangenen Gue—
rilas, die den Zug aufhalten wollten, heimlich
und gegen den Befehl Marimilian’s erjchießen,
und e8 wird Niemandem einfallen, deshalb dem
Kaifer einen Vorwurf zu machen. Außerdem
liegt jeder Grund vor, zu glauben, daß Esco-
bedo um ſpätere Kluchtverfuche des Kaifers wußte
und jchwieg, oder doch Nichts jah, fo lange es
eben möglid war.
Die Theilnahme, die des Kaiſers Schickſal
indejjen im Land erwedte, war allgemein, und
fteigerte jih, als man anfing an jeiner Begna=
digung zu zweifeln.
Nah Dueretaro war indefjien auch ein in
Merico anſäſſiger amerilaniiher Kaufmann
Thomjon gelommen, den jeine Reifen bis nad)
San Louis und in das Hauptquartier von Juarez
geführt. Er mochte auch dort wohl die Gewiß-
heit erhalten haben, daß an eine Rettung Maris
milian’s nicht mehr gedacht werden dürfe, wenn
er nicht im Stande jei, „ſich felber zu belfen‘‘.
Dean beſprach es wenigftens dort ziemlich offen,
—
240
daß Juarez wohl leicht bewogen werden fönne,
jeinen Tod in Verbannung zu verwandeln, daß
aber fein, bei ihm allmächtiger Minifter Lerbo
de Tejada auf dem Tode Marimilian’s aus po=
litiſchen Gründen feſt bejtehe, und davon nicht
wanfen und weichen wolle.
Thomfon, ein nichts weniger als poetijcher,
aber durchaus praftifcher Kopf, faßte da den Ent:
Ihluß, den Kaifer, wenn es irgend möglich ſei
— und was iſt in Merico mit Geld nicht möglid
— zu befreien, und reifte zu dem Zweck nad
Dueretaro, wo e8 ihm leicht gelang, Zutritt zu
Marimilian zu befommen. scobedo legte Nie:
mandem Etwas in den Weg, und wo er jelber
perjönlid um eine Gunſt für den Kaiſer an:
gegangen wurde, bewilligte er fie jtets, ja er |
hatte fogar ſchon eine längere Unterredung mit
Marimilian gehabt, um Unterhandlungen mit
Juarez zu: feinen Gunjten einzuleiten.
Der Kaijer empfing Thomſon gütig wie alle
Uebrigen, und ſchien nur ftußig zu werden, als
diejer feinem Fluchtplan Worte gab. Stand es
wirklich jo jchlimm mit ihm, daß man ſchon an
etwas Derartiges denfen mußte? Thomſon übri—
gens, auf einen Widerſtand oder ein Zögern
vorbereitet, ließ ihn den erjten Tag Ruhe, ben
241
Vorſchlag zu überdenken, und fam erjt am näch—
ten darauf zurüd. Er felber hatte fi unter:
deflen mit den gewöhnlich Wache haltenden Of—
ficieren befannt gemacht, und'ſich bald überzeugt,
daß es gar jo Feine große Mühe koſten würde,
dieſe Herren zu kaufen.
Einmal gab es wirflih nur ſehr wenig ganz
rohes Dificiersvolf unter den Liberalen, das jich
an der Gefangenjchaft des Kaijers und auf feinen
Tod freute — die Meilten nahmen mehr oder
weniger Theil an dem Schickſal eines Mannes,
von dem jie von Tag zu Tag mehr gute und
edle Züge erzählen hörten, und — hatten außer:
dem eine unüberwindlide Schwäche für die lan=
desüblihe Münzjorte.
Der Kaijer äußerte gleich anfangs zwei Be-
denfen gegen einen Fluchtplan. Erjtlich war e8
ibm, wie er jagte, ein unangenehmes Gefühl,
„davonzulaufen‘‘ — und dann Fönne er gar
nicht daran denken, ohne die mit ihm am mei:
ten Gefährdeten, wie Miramon, Mejia und
Prinz Salm, zu entfliehen, und das bot aller=
dings ſchon mehr Schwierigkeiten, war aber
troßdem durchzuführen.
Prinz Salm wurde mit in das Geheimniß
gezogen und ging raſch und Ba Ru den
Fr. Gerjtäder, An Merico. IV.
242
Plan ein. — Alles, nur nicht der Gefangene
diefer Menjchen und von ihrer Willfür abhängig
bleiben — aber der Kaijer ſchwankte. — Er bielt
es nicht mit jeiner „militäriſchen Ehre“ verträg—
lich, und der Prinz hatte Mühe genug, ihn zu
überzeugen, wie er der gerade genug gethan,
und auch noch andere Pflichten babe, um fein
Leben zu erhalten.
Dem Prinzen gelang es dabei, ohne bejondere
Schwierigfeit, den Officier für fih zu gewinnen,
der am häufigiten die Wache hatte. Die Gar: |
nijon von Queretaro war nämlich ſchon ſehr zu=
ſammengeſchmolzen, da man alle entbehrlichen
Truppen nad) der Hauptjtabt dirigirt hatte, um
bort die Belagerung und Einnahme derjelben zu
unterjtüßen.
Der Kaufmann Thomfon war indefjen auch
nicht müſſig geweſen und hatte für Pferde und
Maffen gejorgt, um fie zu der noch jpäter zu be=
ftimmenden Zeit bereit zu halten. Geld beſaß
der Kaifer no für die nädhjten Ausgaben, um
feinen Rettern wenigjtens eine Abzahlung zu
machen. — Das Uebrige jollte dann angewiejen
werben.
Der erfte Officier mußte übrigens noch einen
zweiten gewinnen, ohne defjen Mithilfe die Flucht
243
nicht bewerfftelligt werden Fonnte, und Alles
Ihien fih jo günftig als möglich zu geftalten.
In diefer Zeit traf die Prinzeſſin Salm in
Queretaro ein, der es nach unjagbarer Mühe
und Ueberwindung aller möglichen Schwierig
feiten endlicdy gelang, ihren Gatten aufjuchen zu
dürfen.
Thomjon hatte davon gehört und fich wieder
Zutritt zu dem Kaiſer zu verjchaffen gewußt, dem
er einmal Bericht abjtatten und dann eine drin=
gende Bitte an’s Herz legen wollte,
Der Kaifer empfing ihn wie immer freund:
lich, und nach Furzer Einleitung jagte er dann:
„Es ſteht Alles gut, Majeſtät — Prinz Salm
hat tüchtig vorgearbeitet, die nöthigen Officiere
ſind gewonnen, ſo daß wir bereit ſein müſſen,
ſchon in nächſter Zeit auszubrechen, aber eine
Bitte habe ich an Sie.“
„Und die iſt, lieber Thomſon?“
„Wie ich heute gehört habe, iſt eine Dame
eingetroffen, die Prinzeſſin Salm. — Wenn
Ihnen an dem Gelingen unſerer Flucht auch
nur das Geringſte liegt, ſo theilen Sie ihr keine
Sylbe über unſern Plan mit, oder geſtatten ihr
gar, daß fie ſich hineinmiſcht.“
„Sie irren fih, Thomſon,“ jagte der Kaifer.
16*
244
— „Die Prinzeffin ift uns treu und aufridtig
ergeben und an Berrath nicht zu denken.“
„Davon ſpreche ih nicht, Majejtät, und
fürchte feinen Verrath von ihrer Seite,” fagte
Thomfon, „wo aber bei einer ſolchen Sache Da:
men die Hand mit im Spiel haben, geht es je=
des Mal fchief, denn fie Fönnen den Mund
nicht halten.”
„Ich glaube, die Prinzeſſin fann ——
wo ſie will.“
„Möglich,“ ſagte Thomſon nach einigem Zau—
dern, „aber — ich habe in meinem Leben nichts
Beweglicheres und Unruhigeres geſehen, als dieſe
Dame iſt — ich kenne ſie ſchon von Mexico her.
Sie wechſelte dort fortwährend aus der Stadt
in das feindliche Lager und zurück —“
„Um Vermittlungsverſuche zu machen.“
„Ich weiß es, aber ſie trieb es in einer ſo
raſtloſen Weiſe, daß ſie Porfeirio Diaz zuletzt
ausweiſen ließ und ihr nur ſchwer die Erlaub—
niß gab, nach Queretaro zu gehen. Sie würde,
mit allem Eifer für die Sache, hier mehr ver—
derben als gut machen, und ich bitte Euer Ma—
jeſtät dringend, mir nur hier zu folgen.“
„Wenn ihr nur der Prinz ſelber nicht ſchon
davon geſprochen hat!“
„Dann gebe ich feinen Claco für unjern
ganzen Plan.’
Der Kaiſer lachte. „Sie haben jchlecdhtes
Vertrauen auf weibliche Bundesgenofjen, und
doch leiften fie manchmal vortreffliche Dienſte.“
Thomſon jchüttelte mit dem Kopf. „Ich will
wünjchen, daß ich mich irre, Majeftät,” fagte er,
„aber das Beſte wäre, daß wir fie auf Furze
Zeit von hier entfernten — e8 arbeitet ſich beſſer.“
„Ich werde mit dem Prinzen ſprechen,“ jagte
der Kaifer nach Furzem Nachdenken, ‚aber gerade
die Prinzeſſin Scheint mir jehr rejolut.‘
„Das ijt fie, bejtätigte Thomfon. — „Ich
glaube nicht, daß es noch eine zweite Dame in
Merico giebt; die mehr Strapazen erträgt —
und durchmacht, und Fein Cavalleriſt ſitzt feiter
im Sattel als fie, aber Alles was ich fürchte,
it übertriebener oder verfehrter Eifer, und
außerdem ift fie der Spanischen Sprache gar nicht
mächtig. — Wie gefagt — ich bitte Majejtät
dringend, ſich nicht mit ihr einzulaſſen.“
„Schön, Shön, lieber Thomjon, wir wollen
die Sache bedenken. Sie haben vielleicht Recht,
und wenn das Unglüd nicht Schon geſchehen ift,
fol fie von mir Nichts darüber erfahren — oder
doch jedenfalls zur Vorficht ermahnt werden.”
246
Damit war vor der Hand Nichts weiter zu
thun und Thomſon kehrte in die Stadt zurüd,
um noch nöthige Anordnungen zu treffen.
Am naͤchſten Morgen bejuchte die Prinzeſſin
den Kaifer wieder, aber er brauchte Nichts mehr
an jie zu verratben, denn fie wußte ſchon Alles
von ihrem Gatten und — ſchien mit dem Plan
nicht einverftanden. Sie hatte den einen Officier
gejehen und traute ihm nicht — die Leute woll-
ten nur Geld erprejien, weiter Nichts — bei einem
jolhen Vorhaben müfje man ſich an höhere
Dfficiere wenden, die auch wirklich eine Flucht
fihern könnten — dieje unteren Officiere hingen
ja nur von einem Befehl ihrer Oberen ab, der
— ſelbſt zufällig gegeben, die ganze Sache über
ben Haufen werfen fonnte. — Auch dieſem Thom—
jon, den fie fennen gelernt hatte, traute fie nicht
— es war aber möglich, daß er es ehrlich meine,
wenn aud immer mit ihm gewagt.
„Aber Prinzeſſin, Sie ſehen zu ſchwarz,“
ſagte der Kaiſer freundlich — „es iſt wahr, ich
bin jetzt von Verrath umgeben geweſen, aber
ſoll es denn gar keine ehrlichen Menſchen auf
der Welt mehr geben?“
„Gut, Majeſtät,“ ſagte die Prinzeſſin, „als—
dann verſprechen Sie mir wenigſtens, vorher nach
247
Baron Magnus und einigen tüdhtigen Rechts—
gelehrten zu jenden, und — hören Sie erjt deren
Meinung — ih will mit Freuden felber nad)
Merico reifen und fie holen.’
„Sie wollen dieje böje und gefahrvolle Reife
für mich machen?” jagte der Kaijer herzlich —
„wie kann ich das Alles Ihnen danken.‘
„Alles, Alles will ih für Sie thun,“ rief
die Prinzeſſin leidenjchaftlich, ‚‚aber folgen Sie
nur diejes Mal meinem Rath, Majeftät. Mein
Leben gäbe ich ja jo gern für das Ihre Hin,
wenn ich es damit erfaufen Fünnte, aber — mir
jagt eine Ahnung, dag Sie den Weg zur Flucht,
den fie mit Hilfe dieſer Menſchen ſuchen, nicht
offen finden werden. Aber einmal die Sache
mißglüdt, und Sie find verloren, denn ein zwei—
te8 Mal wird man Ihnen keine Gelegenheit mehr
geben. Warten Sie die Gejandten ab.‘
„Aber indejjen geht die Sache hier ihren
Gang,‘ fagte der Kaijer. „Juarez drängt und
die Gejandten werden zu jpät eintreffen.‘
„Und ijt es nicht möglih Aufichub zu er—
langen ?’’
‚Man müßte fih an Juarez jelber wenden
— und wer fann das thun ?''
„Das iſt dann das Wichtigere,’ rief die
“248
Prinzeffin, augenblidlich bereit, irgend welchen
Ihmierigen Auftrag zu übernehmen. — „Laffen
Sie mid machen, Majeftät,‘‘ fügte fie mit herz—
gewinnendem Lächeln hinzu — „ich habe es mir
nun einmal in den Kopf gejegt, Sie zu retten,
und was ich unternehme, führe ih auch ficher
durch.‘
„Täuſchen Sie ſich nicht, Prinzeſſin,“ ſagte
der Kaiſer gutmüthig. — „Sie würden da viel—
leicht das Unmögliche verſuchen — doch vere—
mos — wunderbarere Dinge ſind geſchehen.“
Die Prinzeſſin führte ihren Vorſatz in der
That durch. Der Obriſt Villanueva bei den
Liberalen, der aber ganz durch die Ueberredung
der Prinzeſſin ihrer Seite gewonnen worden,
rieth jetzt ſelber dem Kaiſer, ein paar Zeilen an
Juarez zu ſchreiben und ihn um 14 Tage Auf—
ſchub zu bitten, um ſowohl ſeine Vertheidiger
von Mexico kommen zu laſſen, als auch alles
nöthige Material herbeizuſchaffen, und es gelang
der Dame bei einer perſönlichen Zuſammenkunft
mit Juarez, zu welchem Zweck ſie beſonders die
beſchwerliche Tour nach Luis Potoſi machte, ihm
wenigſtens drei Tage Aufſchub abzuringen. In—
deſſen war nach Mexico telegraphirt worden, um
den preußiſchen Geſandten herbeizurufen, da
249
fih der döfterreihifche als völlig unbrauchbar
und nußlos zeigte. Er war ein diplomatijcher
Schattenmann voller Furt und Bedenfen, eine
adelige Puppe, wie fie leider nur zu oft in
fremde Welttheile geſchickt werden, um das deutjche
Volk dort würdig zu vertreten. Dieſe Yeute find
völlig nußlos in der Heimath, und man iſt ba
tböricht genug, fie nach außen als Repräjentan:
ten zu ſchicken, wo fie auch eine Weile eine Rolle
fpielen, bis wirfli einmal etwas Ernjtliches
von ihnen verlangt wird. Dann tritt ihre Nutz—
Lofigkeit zu Tage, und fie ziehen fich ſpäter mit
ein paar unverbienten Orden mehr und einer
großen Penſion in's Privatleben zurüd.
Die Prinzeſſin kehrte nah ſehr Furzer Zeit
mit der Ordre des Auffhubs, der dem Proceß
eine längere Dauer gab, zurüd, war aber jehr
unglüdlih als fie hörte, daß die Flucht doch
ausgeführt werden follte, und verjuchte nochmals
aber umſonſt ihre Beredſamkeit an dem Kaiſer,
ber jeßt fejt entichloffen jchien den Verſuch zu
wagen. Es war Alles vorbereitet, auch die Reife
ber Prinzeſſin nad) Merico jollte verſchoben wer:
ben, bis man wußte, ob die Flucht gelingen werde
oder nid.
Ein dritter Officier hatte indeſſen in bas
250
Geheimnig gezogen werden müffen, und am
2. Juni traf Alles jo günftig zufammen, daß dieje
drei gerade die Wache hatten. E83 wurde nun
auch definitiv feitgeitellt, dag die Flucht in der
nächſten Nacht ftattfinden jolle.
‚Außer durh die Gavalleriewahe an der
Treppe,” erzählt Prinz Salm, „und die Infan—
teriewadhe vor dem Thor des Klojters wurden
die Gefangenen durch Feine andere bewadt. Die
Dfficiere waren gewonnen, und die Soldaten
folgten ohne zu denken den Dfficieren. Der
Rittmeilter nahm ſogar eine Escorte mit. In
ber Stadt lagen nur einige Truppen in den
Häufern zerjtreut, und die Straßen wurden nicht
ſpäter als bis eilf Uhr von kleinen Infanterie—
Patrouillen durchzogen. Vor der Stadt jtanden
feine Bolten und feine Truppe überhaupt zwildhen
bort und ber Sierra Gorda.“
An diefen Tage fam Miramon’s Gemahlin
nad) Queretaro und es wurde ihr gejtattet, ihren
Mann 'zu jehen, aber um ein Uhr traf eine tele—
graphiiche Depejche von Merico ein mit der Nach—
richt, dat Baron Magnus mit den beiden erjten
Advocaten Mericos, Martinez de la Torre und
Riva Balacio, unterwegs jei.
Die Prinzeſſin Hatte ji die größte Mühe
251
gegeben, den Kaiſer noch zu bewegen, wenigjteng
die Anfunft der Gejandten und der Advocaten
abzuwarten, aber er jchien diesmal entjchlofjen
zu fliehen, denn er ahnte was ihm bevorjtand,
und wollte es nicht abwarten.
Unruhig ging er an dem Nachmittag in ſei—
nem Zimmer auf und ab — alle Vorbereitungen
waren getroffen und nur die Nacht mußte abge=
wartet werden, um Queretaro unter Itarfer Be:
gleitung und fait ohne Gefahr zu verlafjen. Da
verlangte eine alte Frau zu dem Kaijer gelajjen
zu werden, die, wie fie jagte, einige Kuchen für
ihn gebacken hatte und fie ihm jelber bringen
wolle. Er war immer gut mit den armen Leu—
ten gewejen, und wenn jie auch arm jei, wolle
fie ihm doch ihre Dankbarkeit zeigen.
Die Soldaten ließen fie dur, blieben aber
— mie ihr Befehl lautete, bei der offenen Thür
ftehen, und die Alte reichte jet dem, darüber
allerdings überraſchten Monarchen das Kleine
Körbchen, indem fie ihn bat, die dürftige Gabe
freundlich anzunehmen. Bon den Soldaten un:
bemerkt, jchob jie aber dabei das eine Brödchen,
während ihr Bli den Kaiſer traf, ein wenig
vor — e8 war das jedenfalls ein Zeichen, jchüt=
tete die Brödchen dann aus, und jedes Geſchenk
252
verweigernd, eilte fie, jo rajch jie fonnte, wieder
zurüd und auf die Straße.
Marimilian Fannte aber jchon dicje Art, Kleine
Zettel in Brod zu verſtecken — er hatte mehrere
in der nämlichen Weije erhalten, und wie er
ih nur unbemerft wußte, brach er das bejtimmte
Brödchen auf. Ein unheimliches Gefühl befchlich
ihn jedody dabei — was für eine Nachricht Fonnte
es jein, die ihm jeßt noch mit ſolcher Vorſicht
gefandt wurde, wo er fajt offen mit allen feinen
Freunden verfehren durfte — etwas Gutes ſchwer—
ih — und feine Ahnung Hatte ihn nicht ge—
täufcht. In dem Bröbchen war allerdings ein
fleiner Zettel verborgen, auf’ dem aber nur, mit
augenjcheinlich verſtellter Handſchrift die Worte
Itanden:
„Hüten Sie jih — die Leute, mit denen Sie
fliehen wollen, find Verräther.“
Ein recht wehes, bitteres Lächeln zudte um
des Kaifers Lippen, als er die Worte las. und
den Zettel dabei faſt unbewußt in lauter Kleine
Stückchen zerpflüdte.
„Alles Berräther,” — murmelte er endlich
balblaut vor fih Hin — ‚alles Berräther —
giebt e8 denn feinen ehrlichen Menjchen mehr in
Mexico?“
255
Er ging von jegt an mit raſchen Schritten
in feinem Eleinen Gemach auf und ab — nad:
denfend die Hände, wie er e8 gewöhnlich that,
auf den Rüden gelegt und den Kopf etwas.ge-
fenft — endlich jchicfte er nad Prinz Salm, der
raſch zu ihm eilte.
„Lieber Salm,“ jagte er, jet wieder voll»
fommen ruhig, „da die Gejandten unterwegs
find, ift die Reife Shrer Frau nad Merico uns
nüß geworden. Außerdem habe ich bejchlofjen,
daß wir in dieſer Nacht nicht fliehen wollen.‘
„Majejtät! rief Salm wirklich erfchredt aus,
„das Kann nicht Ihr Ernjt fein — Mlles iſt
vorbereitet — Alles — Sie brauden nur Ihr
Zimmer zu verlajien, aufzujigen und davon zu
reiten. Sämmtliche Officiere, die heute bie
Mache haben, find gewonnen, ich bitte Sie drin=
gend von diejem unglüdjeligen Gedanken abzu:
ſtehen.“
„Es geht nicht, lieber Salm,“ entgegnete aber
der Kaiſer freundlich — „denken Sie nur, was
die fremden Geſandten ſagen würden, wenn ſie
von Mexico hier ankämen und ich ihnen durch—
gegangen wäre.“
„Ihrem Gott würden ſie danken,“ rief Prinz
- Salm eifrig, „denn damit wäre ja Alles erreicht,
254
was jie jegt nur vielleiht mit vieler Mühe —
oder gar nicht — erjtreben könnten. Ob, Ma:
jeität, ich bitte Sie dringend, folgen Sie nur
dies eine Mal meinem Rathe — Gie befinden
fih in größerer SI, als Sie vielleicht
glauben!
„So ſchnell geht es nicht, lieber Salm,“ lä—
chelte der Kaijer, „und dann — habe id aud
Ihrer Frau verſprochen, bier zu bleiben, bis die
Gejandten eintreffen — mein Berfprehen muß
ih doch halten?”
„Majeſtät!“ rief Prinz Salm bewegt, ‚‚meine
Frau fann Ihnen Fein ſolches Verjprehen ab:
genommen haben — und ficher nicht für ben
Tall, dag Sie ſich früher retten würden. Alles,
was fie will, ijt ja doch aud nur, Sie in rei:
heit und Sicherheit zu ſehen.“
Der Kaifer jchüttelte den Kopf. — „Bitte,
Iprehen Sie mit den DOfficieren — wir müffen
es auf einen andern Abend verjchieben, auf ein
paar Tage fommt es ja doh nit an.‘
Prinz Salm ging, kehrte aber bald zurüd,
um dem Kaiſer auf’8 Neue Borjtelungen zu
machen. Die Dfficiere waren außer id, denn
fie wollten einmal das ihnen verjprodene Geld
verdienen, und dann lag ihnen auch daran, von ”
255
bier fortzufommen. Es wußten zu viele Per—
jopen um den Fluchtplan — jeßt fei die Sache
noch ein Geheimniß und die Ausführung fo gut
wie gelungen, allein eine Gelegenheit wie bie
heutige fomme nie wieder.
Es war umjonft. So leicht ſich der Kaifer
ſonſt zu irgend Etwas bereden ließ, heute gab er
nicht nad).
„Wo tft Thomſon?“ frug er nad) einer klei—
nen Weile.
„Thomſon, Majeftät, iſt heute Mittag abge:
reift, um nicht nach gelungener Flucht in den
Verdacht der Beihilfe zu fommen. Er konnte
auch bier Nichts mehr nüßen, denn es ijt Alles
jo durdhaus geordnet und vorbereitet, daß für
ihn Nichts mehr zu thun blieb. Wenn Majeſtät
nur wollten —“
„Heute nicht, lieber Salm — heute nicht
— die Herren müſſen ja in den nächſten Tagen
fommen.”
Die Naht verging — und ber Kaiſer blieb
Sefangener — der günjtige Moment war ver:
ftrihen. |
Wie er dem Drängen der treu an ibm hän—
genden Dfficiere nicht nachgegeben hatte, als
er noch aus Queretaro ausbrechen Fonnte —
256
bis es zu jpät war — jo aud) hier. Zu jpät!
zu ſpät!
Am nächſten Tage jchon zeigten ſtrengere
Maßregeln und die Entfernung der früheren
Wachen, daß Escobedo Alles wiſſen mußte —
wenn er es nicht ſchon früher gewußt hatte.
Prinz Salm wie alle übrigen Officiere wur—
den von dem Kaiſer getrennt und im Caſino
untergebracht, wie ebenfalls unter ſtrenge Be—
wachung und Aufſicht geſtellt, die ſogar ſo weit
ging, daß man ihnen nicht einmal mehr ein Eß—
beſteck erlaubte.
Als Doctor Baſch, der ebenfalls vom Kaiſer
getrennt geweſen war, aber ſehr bald wieder die
Erlaubniß erhielt, zu ihm zu gehen, bei ihm
eintrat, ſagte ihm Maximilian, indem er mit
ihm über die jetzt vollſtändig geſtörten Flucht—
pläne ſprach: „Das haben wir nur den Weibern
zu verdanken — ich glaube, die Miramon muß
geſchwätzt haben.“*)
Die nächſten Tage vergingen in großer Un—
ruhe, denn das Kriegsgericht ſollte ſeine Sitzun—
gen beginnen‘ und zwar — als dem größten
Raum in Queretaro, wo man auch dem Publiftum
*), Bajh: „Erinnerungen“, Band II. 1%.
t en
——*
=]
den Zutritt gejtatten fonnte — im Theater
Iturbide. Wie unwürdig das fei, dem Kaijer
gegenüber, ſah man natürlich nichtein. Sowie man
aber auch nur dem Kaifer die Mittheilung machte,
erklärte er augenblicklich auf das bejtimmtefte,
daß er nicht dort perjönlich erjcheinen würde,
und babei blieb e8. |
Die Gejandten gaben ſich indefjen im Verein
mit den gefommenen Advocaten die größte Mühe,
den Kaiſer gar nicht vor ein Kriegsgericht zu
bringen, jondern ihn den @ivilgerichten zu über:
weifen, wodurch die ganze Sache jchon ein an:
dere Anjehen befam, und nicht von unreifen
mexicaniſchen Dfficieren, fondern von wirflichen
Suriften entjchieden wurde. Man hatte ben
Kaifer allerdings mit den Waffen in der Hand
gefangen genommen, aber doch nicht in ber
Schlacht befiegt, jondern nur von einem Ber:
räther gefauft — aber Lerdo de Tejada wollte be—
jonders das DctobersDecret gegen ihn als Haupt
anjhuldigung erhoben wijjen, obgleidy e8 ber
Kaiſer jelber faſt nie hatte ausführen, jondern
fajt ohne Ausnahme Gnade walten lafjen, und
damit war das Urtheil jchon von vornherein
geiproden. Der Angeklagte jollte außerdem
Fr. Gerftäder, An Merico. IV. 17
258
nah dem Geſetz vom 25. Januar gerichtet
werden. *)
Sämmtliche, dem Kaijer meiſt freundlich ge—
finnte Officiere, die darüber befragt wurden,
erklärten auch achjelzudend, daß fie die feite
Ueberzeugung hätten, der Kaijer würde zum Tod
verurtheilt und das Urtheil dann jedenfalls
von Juarez bejtätigt werden, und jet war e$
Prinzejjin Salm, die auf Flucht drang und den
Kaijer dahin zu überreden juchte.
Marimilian dagegen, dem man auch wohl
bieje jchlimmen Anzeichen veröffentlicht Hatte,
vertraute immer noch feſt auf die Hilfe bes
preußijchen Vertreters und die jeiner Advocaten,
und wollte, als ihm die Prinzeffin den Vorſchlag
machte, Nichts davon wijjen.
„Ich bin überzeugt, liebe Prinzeſſin,“ jagte
er, „daß Sie es gut und aufrichtig mit mir
meinen, aber — Damen jind doc vielleicht für
jo Etwas nit die pafjenden Werkzeuge, und jo
ehr ih Escobedo’8s Schonung nad dem erjten
Fluchtverſuche anerfenne, jo würde ein zweiter,
wenn entdecdt, unjere Yage jehr verſchlimmern.“
*) Das Geſetz vom 25. Januar, in dem Juarez alle
mit den Waffen in der Hand Betrofiener zum Tode ver-
urtbeilte.
259
„Aber ich gehe jicher, Meajejtät!” rief bie
Prinzejjin, im Eifer für ihre Sache erglühenp,
„und Alles iſt Schon vorbereitet. Den Obrijt
Billanueva, der in der Stadt befehligt, habe ich
vollitändig gewonnen und von ihm ift fein
Verrath zu fürdten — nur nod ein anderer
Dbrift, der die Gefängniffe unter feiner Aufficht
bat, Riva PBalacio, muß gewonnen werben, und
alle diefe Menſchen jind mit Gold zu Faufen.
Ich jtehe Ihnen für den Erfolg, wenn Sie mid
mit den entjprehenden Mitteln ausjtatten.‘
Der Kaijer hatte das Vertrauen verloren,
aber dem dringenden Zureden der Dame fonnte
er zulett nicht widerjtehen. Schon ihre Worte
ließen ihn ahnen, daß jeine Sache doch vielleicht
gefährlicher jtünde, als er anfangs geglaubt —
er gab jeine Zujtimmung, und fröhlichen Herzens
eilte die unermüdliche Frau an ihr Werf.
17*
10.
Die Derräfher.
Marquez war mit feinen Ausfallstruppen ge:
Ihlagen worden, und wenn man aud in Me
rico wußte, daß der Fleinen Zahl eine furdt:
bare Uebermacht, noch dazu hinter befeitigten
Werfen, gegenüber geftanden, jo machte es doch
in der Stadt einen höchſt peinlihen Eindrud,
denn was fonnten fie jegt noch hoffen.
Die Stadt jelber ſah auch verödet aus —
alle Läden waren gejchlofien, die Bewohner wagten
ih faum noch auf die Straße, denn das „euer
der Belagerer wurde von Tag zu Tag heftiger,
und trübe Nachrichten von außen dienten nidt
dazu, den Belagerten friſchen Muth zu geben.
Sp wenig man bis jest wirklich geglaubt, da
Dueretaro genommen und ber Kaifer gefangen
261
fei, jo drängte ſich doh der Maſſe endlich die
Meberzeugung auf, daß es im inneren Lande nicht
gut jtehen könne, ſonſt hätte man jchon in
diefer langen Zeit bejtimmte Nachricht haben
müſſen — aber Gewißheit fehlte, und bie
waceren öjterreichiichen Führer, Graf Kheven-
büller und Obriſt Kodolich, wiejen alle Verſuche
bes liberalen Oberbefehlsbabers, die Waffen in
einer boffnungslojfen Sache niederzulegen, auf
das entſchiedenſte zurüd.
Da gelangte plöglic am 16. Juni ein Brief
von Baron Lago aus Tacubaya, dicht bei Merico,
an den Grafen Khevenhüller, der jeden Zweifel
zerjtreuen mußte und dem Ganzen eine entjchie=
dene Wendung gab.
Baron Rago, der öſterreichiſche Gejchäftsträger,
aus Furcht, ſein koſtbares Leben gefährdet zu
jehen, hatte allerdings den Kaiſer in feinen leßten
Tagen und in der höchſten Gefahr verlaſſen —
bier aber traf feine Kunde zur rechten Zeit ein,
um weiteres DBlutvergießen und Unheil zu ver:
hüten.
Der Brief lautete: „Lieber Graf — Ich made
Ihnen officiell zu wifjen, daß der Kaifer Mari-
milian ji) in Queretaro, von wo id) am heuti=
gen Abend hier eingetroffen bin, in Gefangen:
2062
Ihaft befindet. Er wurde am 15. Mai mit ſei—
ner ganzen Armee und allen feinen Generalen
gefangen genommen.
„Ich babe Seine Majeftät zu wiederholten
Malen in feinem Gefängniß in dem Klojter be
las Capuchinas gejprodhen. Ohne Zweifel hat
General Marquez einen eigenhändigen Brief
Seiner Majeftät, den Ihnen Herr v. Magnus
gelendet bat, bejeitigt. In dieſem Briefe be=
fiehlt Ihnen Seine Majeftät jowie allen übrigen
Dfficieren öfterreihiicher Nationalität, fürderhin
jedes Blutvergießen zu vermeiden, |
„Ich erlaube mir nun, Ihnen dies, in meiner
Eigenſchaft als öſterreichiſcher Gejchäftsträger,
mitzutbeilen, indem ih Gie und die anderen
Dfficiere der genannten Nationalität für jedes,
von nun an für eine verlorene Sache vergofjene
Blut jedes Defferreichers verantwortlich erkläre,
und dies zwar gegenüber Geiner FE. f. öſter—
reichiſchen Majeftät.
„Empfangen Sie Herr Graf ıc.
Baron de Lago.’
Der lebte Sab war eine — Schwachheit, um
ein ganz mildes Wort zu gebrauchen; Dejterreidh
hatte jih lange von den nad Merico gezogenen
Soldaten losgejagt, fand es fogar fpäter gegen
das „Princip“, Officiere von dort wieder anzu—
jtellen, und gejtattete eg nur ausnahmsweije. Aber
ber Brief jelber klärte endlih die Situation
und bradte das unnatürliche Verhältniß in Me:
rico zu einem Abſchluß. —
Im erzbiihöflichen Palais ſaß an dem näm-
lihen Nachmittag Labaſtida und jchrieb verjchie=
dene Briefe, horchte aber dabei immer unmwills
fürlih nad der Thür. — Er hatte den General
Marquez zu fich bitten laſſen, und erwartete ihn
Ihon jeit fajt zwei Stunden, ohne daß er ber
Aufforderung gefolgt wäre.
Endlich meldete ein im VBorzimmer jtationir-
ter Padre den Oberbefehlshaber der Stadt, und
gleich darauf betrat Marquez in voller Uniform,
aber bleih und mit finjter zufammengepreßten
Zügen den Raum.
„Monſeñor hatten gewünſcht mich zu ſpre—
hen, fagte er, ‚und es trifft jich dabei jehr
gut, denn ich wäre auch von felber heute zu
Ahnen gekommen. Was ijt es, das Gie mir
mitzutbeilen haben ?’'
„Nichts Gutes, Lieber Marquez,‘ jagte der
Erzbifchof, „nichts. Gutes in der That. Aber was
hätte Sie zu mir geführt?” |
„Ich möchte Ihre Neuigfeit zuerjt hören,“
264
fagte Marquez troden, „vielleicht ift es das Näm-
liche, was ich erfahren habe.“
„Schwerlid,‘ rief Labajtida, „dann bringen
Sie mir eine andere Unglüdsbotichaft.‘
„Es kommt felten eine allein,“ late Mar:
quez bitter, ‚„aljo was war es?“
„Santa Anna ijt von den Liberalen gefan—
gen genommen,’ jagte der Erzbiſchof mit unter:
drüdter Stimme, „und Bera-Eruz jelber viel:
leicht jchon, während wir bier jpredhen, in ihren
Händen.”
„In der That?” fagte Marquez, ohne jedoch
bejondere Aufregung deshalb zu zeigen, „ilt Ihr
Bote zurück?“
„Denken Sie fich die Niederträchtigfeit von
Porfeirio Diaz," rief aber der Kirchenfürjt, und
jeine Augen blitten dabei vor Zorn und In—
grimm — „den Boten, den Padre Zaloga, haben
fie aufgefangen — er hatte noch andere wichtige
Papiere aus Puebla bei jih, die jet verloren
find — den Brief aber, der mir über Santa
Unna Kunde giebt, ſchickt mir General Diaz hier
herein, und zwar zugleid) mit einem Zettel,
worin er uns einfach anzeigte, daß er den „wür—
digen Padre“ als Spion habe hängen laſſen.“
Ein ſpöttiſches, faſt verächtlihes Lächeln
265
zucte um Marquez’ Lippen, aber er hielt es nicht
einmal der Mühe werth, darauf zu antworten.
„Da bringe ich noch bejjere Kunde,” ſagte
er nad einer Pauſe, „diejen Brief haben bie
fremden Obrilten heute von dem djterreichifchen
Geſandten erhalten.‘
„Sp wijjen fie Alles?’ rief der Erzbiſchof
raſch.
„Gewiß —“
„Und was haben ſie beſchloſſen zu thun.“
„Was konnten ſie beſchließen? Sie weigern
ſich, weitere Dienſte zu thun, und die Geſchichte
iſt aus.“
Der Erzbiſchof ſah den General ſtarr und
erbleichend an.
„Und was gedenken Sie zu thun?“
„Mich nicht von den Liberalen erwiſchen zu
laſſen,“ erwiederte Marquez trocken.
„Und die Stadt?“
Der General zuckte die Achſeln. — „Unſere
Truppen können ſie nicht allein mehr halten,“
ſagte er ruhig, „und werden ſich hüten, einen
weiteren Verſuch dahin zu machen.“
„Und wenn man ihnen Geld verſpräche?“
„Monſeñor haben ſchon zu viel verſprochen,“
ſagte der General ruhig, „daß Ihnen kein Menſch
266
mehr glaubt. Jetzt aber hülfe auch nicht ein-
mal mehr Geld, und wenn es der Klerus wirk—
lih baar aus den Händen gäbe — es tjt zu
jpät. Hätten Sie den Kaifer unterftüßt, jo.
fonnten Sie mit dem noch zu einem Verſtändniß
fommen — mit den Liberalen ijt dag, wie. Sie
vecht gut jelber wijjen, nicht mehr möglich, und
Sie mögen jetzt jehen, wie Sie mit denen fertig
werden.“
„Und iſt das all' der Dank, den wir von
Ihnen zu erwarten haben, General?“ ſagte La—
baſtida, ſich ſtolz emporrichtend.
„Dank?“ erwiederte Marquez bitter — „ich
wüßte in der That nicht, Monſeñor, wofür ich
Ihnen Dank ſchuldig wäre, denn von allem An—
fang an hatten Sie nur das Intereſſe des Klerus
im Auge und hielten ſich zu dem, der Ihnen
Ausſicht bot, das zu fördern. Ich habe es ver—
ſucht, aber es ging eben nicht — das Volk wird
doch mit den Jahren klüger. War es ſonſt noch
Etwas, das Sie mir mitzutheilen hatten?“
„Und ſoll denn wirklich Alles verloren ſein!“
rief der Erzbiſchof in Verzweiflung.
„Darüber werden Sie ſich mit dem Präſi—
denten Juarez verſtändigen müſſen, Monſeñor,“
erwiederte kalt der General, machte dem Erz—
267
biſchof eine tiefe Verbeugung und verließ das
Haus,
Unter dem Militär entwicdelte jich jest eine
ganz eigenthümliche, aber dabei faſt unheimliche
Regſamkeit, denn mit der Gewißheit, daß das
Kaijerreich gejtürzt und der Kaiſer gefangen jei,
dachten die fremden Truppen gar nicht mehr
daran, für General Marquez oder irgend einen
Mexicaner den Krieg fortzuführen. Ihre Führer
erflärten augenblidlih dem General Marquez,
daß jie mit Porfeirio Diaz jelber über ihren Zug
nad) der Küjte in Unterhändlung treten würden
— erhielten aber gar feine Antwort. Marquez
blieb überhaupt von dem Augenblik an vers
Ihwunden. Nachdem mam ihn nody bei General
Andrade hatte vorfahren ſehen, ſetzte er ſich in
feinen Wagen, und fein Menſch war im Stande
anzugeben, wohin er ſich gewendet.
Das Commando in der Stadt, oder vielmehr
ben Oberbefehl über die jeßt unaufhaltſam ein
tretende Verwirrung, übernahm General Tavera,
aber auch ihm blieb nicht weiter übrig, als mit
bem Feind zu capituliren — e8 wäre ihm nicht
möglich geweſen, die jeßt von den deutſchen
Truppen aufgegebene Stadt auch nur gegen
einen Anjturm des Feindes zu halten, jelbjt
268
wenn er noch Lebensmittel für feine Soldaten
gehabt hätte.
Die fremden Truppen aber zogen, wie es
mit Porfeirio Diaz ausgemadht worden, ſämmt-
lid in den faijerlihen Palaſt, in deſſen Hof:
räumen fie jich lagerten. Die Thore wurden ge—
ſchloſſen, und die ausgeſteckte weiße Fahne deutete
an, daß fie alle Feindſeligkeiten eingejtellt hätten.
Lebt erit befamen fie jichere Nachrichten von
ihrem SKaifer, und mit weldhem Weh es bie
treuen Herzen erfüllte, läßt jich denken.
Am 21. endlich marſchirte Porfeirio Diaz in
mujterhafter Ordnung in die Stadt. Es war
eine raub ausjehende Armee, die Soldaten meiſt
barfuß oder mit Sandalen, in Leinwandhojen,
oft ohne Jacken jelbjt, aber vortrefjlich bewaffnet
und in jtrenger Disciplin gehalten. Den Sol:
baten war unter Zodesjtrafe jede Gewaltthat
verboten, auch der Verfauf von ſpirituöſen Ge:
tränfen in der Stadt für die erſten drei Tage
bei jchwerer Strafe unterjagt.
Der Klerus aber mußte — wo er am lieb:
ten die ganze Armee der Liberalen ercommus=
nicirt hätte, zu Mittag ein Tedeum abhalten und
alle Glocken läuten laſſen — fie beuteten den
Frieden.
269
Mährend die Gloden noch erflangen, bie
Soldaten aber ſchon meilt Alle ihre Quartiere
bezogen und die Officiere jich zerjtreut hatten,
um ihre alten, lange nicht gejehenen Bekannten
und Verwandten wieder aufzufuchen, ritten zwei
Reiter in mericaniiher Tracht über die Plaza
und bogen nad einer der Geitenjtraßen ein.
Diejer folgten fie eine furze Strede, bis fie ein
Fleines aber freundliches Haus erreichten.
Der Eine von ihnen, eine fehr ftaitliche Ge:
alt mit ſchwarzem Schnurrbart und Militä-
riijhem in feinem ganzen Wefen, bielt bier,
jprang vom Pferd, warf feinem Begleiter bie
Zügel zu und Flopfte mit dem Hammer an bie
Pforte. E8 dauerte auch nur wenige Momente,
jo erjchien ein indianifher Burfche, der aber
mehr erihroden als erfreut ſchien, den Caballero
dba zu finden.
„Jun, muchacho,‘ fagte dieſer, „Du ſchnei—
beit ja ein ſehr bejtürztes Gefiht — iſt bie
Señora zu Haufe?‘
„Ah, Senior Lopez!’ rief der Junge, „ſind
Sie wieder da? Nein, die Señora ift nicht zu
Haufe — ſchon feit drei Tagen nicht.‘
„Seit drei Tagen?” rief Lopez erjtaunt —
„und wo jonft iſt fie?’
270
„Bei ihren Eltern,‘ ſagte der Burjche, „und
ih weiß nicht, warın jie wiederfommt.”
Lopez warf ihm einen düſtern, mißtrauifchen
Blick zu, erwieberte aber fein Wort, drehte fid)
ab, jchritt hinaus, jprang wieder in den Sattel
und trabte die Straße hinab, dem Haufe feiner
Schwiegereltern zu. — Was konnte nur feine
Frau bewogen haben, ihre eigene Heimath zu
verlajjen? Aber das Alles mußte er ja bald er—
fahren, und jchärfer ließ er fein Pferd aus
traben, um die Stätte rajch zu erreichen.
Bier oder fünf Straßen modten die Beiden
etwa pajjirt fein, ohne ein Wort mit einander
gewechjelt zu Haben, als jie wieder an einem
größeren und ſehr eleganten Haufe anhielten,
und wieder ſprang Lopez aus dem Sattel und
£lopfte an die Pforte — aber Niemand antwor=
tete oder fam um zu öffnen.
Sein Begleiter — Obrijtlieutenant Jablonsky,
hatte wohl, als ſich Jener eben dem Haufe
näherte, eine Frauengeſtalt bemerft, die auf ben
einen Balcon trat. Sie warf aber nur einen
flüchtigen Blif hinab und verſchwand dann
wieder, und Jablonsky glaubte natürlid, dat
ſie nun einen Diener zum Deffnen jenden würde
— aber es fam Niemand. Xopez Flopfte jebt
Din 230 —
tl
jtärfer und anhaltend, und ließ zuleßt den
Hammer jo raſch und tönend auf das Eijen
niederfallen, daß das ganze Haus davon erbebte
und die Nachbarinnen ſchon auf die‘ Balcone
hinaustraten. Endlidy wurden unten Schritte
gehört, die Thür dffnete fih und ein junges
Mädchen jtand im Gang.
„Die Señora im Haus?‘ rief Lopez, der fie
recht gut Fannte, — „wie geht es Dir, Ma:
nuelita 2”
„Meine Schweiter fommt gleich,’ erwiederte
die Señorita, ohne aber nur den Gruß mit
irgend einem Wort oder Blid zu erwiedern. —
Lopez wollte aud an ihr vorüber und durch den
unteren Gang der Treppe zueilen, als er jeine
junge rau erblicte, die mit dem Kind auf dem
Arm ihm entgegenfam, feiner Umarmung aber
auswich und ihm nur den erjchredten Knaben
entgegenbielt.
„Da, rief fie, und ihr Antlik war dabei
todtenbleich, aber ihre Augen blisten und ihre
ganze Geitalt zitterte — „da haft Du Dein Kind,
Verräther — Verräther an Deinem Kaifer
und Wophlthäter, an dem Pathen Deines eige-
nen Knaben!’
„Querida!“ rief Lopez entjeßt, indem er vor
212 -
dem jprühenden Bli des jungen Weibes ſcheu
einen Schritt zurüdtrat — „was ift Dir?’
„Was mir iſt?“ rief aber die Frau, ben
Knaben auf den Boden fegend, indem fie ſich zu
ihrer vollen Höhe aufrichtete, „und das fragft
Du auch noh? — Traidor! — weißt Du, wie
Dih das Wort, einem Judas gleich, durch bie
Welt treiben wird? Da, nimm Deinen Knaben
— Du haft ihm die Schmach, den Fluch Deines
Namens gelafjen, und er wird ein Verräther
werden, wie Du ſelbſt — aber dann weidhe von
dieſer Schwelle, denn verflucht ift jelbjt der Boden,
auf dem Du ſtehſt!“
„Mm ber heiligen Jungfrau willen!’ rief
Yopez, die Arme nad) ihr ausjtredend; aber das
junge Weib flog den Gang zurüd, und das
Kind, das fi) aufgerafft hatte und jo klein war,
daß es faum laufen Fonnte, juchte jchreiend ihr
zu folgen.
Lopez Stand, das Geficht in den Händen ber=
gend, vernichtet und gebrochen, dann raffte er
fih empor — er zögerte — jollte er ihr nad?
— er wagte es nicht — den ſchreienden Knaben
aufgreifend und an fich prejiend, Fühte er das
Kind, aber fehte es wieder auf den Boden,
dann aus dem Haus wanfend, ergriff er bie
er
= *
9 ER
* 7
273
Zügel feines Pferdes und ſchwang ji in ben
Sattel.
„Caracho, Lopez!‘ rief ihm fein Begleiter
zu, — ‚was iſt Eu? Ihr ſeht ja käſeweiß aus,
— Etwas vorgefallen im Haus?’
Lopez antwortete ihm nicht, fein Thier fühlte
die Sporen, und im Galop jprengte er die
Straße hinab — wohin? — er wußte es jelber
faum, und das Thier flog mit ihm den Weg ent—
lang — Jablonsky war aber jhon an feiner
Seite.
„Compañero!“ jagteer, ‚ich halte es jeßt nicht
länger aus — adıt Stunden find wir nun ge:
ritten, ohne daß auch nur ein Biffen Brod oder
ein Tropfen Wein über unjere Lippen gefommen
iſt — das wird langweilig, Da vorn ijt eine
Pulqueria, und ih muß wenigjtens ein Glas
Wein trinfen oder ih kann mic nicht mehr im
Sattel halten” — und obne Weiteres voraus:
Iprengend, zügelte er fein Pferd dort ein, jprang
hinab, band e8 draußen an einen Ring und trat
in das “innere.
Es war die nämliche Bulqueria a los descon-
tentos, die Jablonsky jhon von früher her gut
genug Fannte und wußte, daß man dort ein
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 18
2974
gutes Glas ſpaniſchen Wein befam. — Lopez
folgte ihm fajt willenlos. Die Zunge Elebte ihm
jelber am Gaumen, und er fühlte, daß er einer
Stärfüng bedürfe. Der Raum im Innern war
freilih mit Menſchen gefüllt, denn das drängte
und wogte nur jo beute durd die Straßen.
Wurde doc die Stadt nicht mehr beſchoſſen, und
Jeden trieb es Neues von draußen und Nach—
richten theils von Queretaro, theils von anderen
Drten ber zu hören. Ebenjo hatte fich bier eine
Anzahl der Liberalen Dfftciere verjammelt, um
die Tagesneuigfeiten zu bejpredhen, und meilt
die Tijche im benachbarten Zimmer bejegt. Einige
ſtanden aber auch an dem Schenkſtand jelber,
um ſich ihre Gläjer füllen zu lafjen, und ber
Wirth hatte faum Hände genug, um ihnen Allen
zu willfahren.
Zwiſchen bdiefe hinein trat Yablonsfy, und
Niemand achtete auf ihn. Wer auch Fannte den
Burſchen. Jeder hatte jelber genug mit fich zu
thbun, und eben jo wenig würde man jeinen
Kameraden, der ihm dicht folgte, bemerft haben,
wäre nicht Einzelnen dejjen jo merkwürdig blei—
ches Geſicht aufgefallen.
„Caracho!‘ flüfterte einer der Officiere dem
andern zu — „Sieh ’mal den Gaballero an; ich
glaube, der bat nicht einen Tropfen Blut mehr
in den Baden.‘
Der Angeredete hielt gerade ein großes Glag
Wein in der Hand, daß er ſich jelber am Schenk—
tiſch geholt hatte, und war eben im Begriff da=
von zu trinken. Ueber das Glas hin jah er
nach dem Bezeichneten hinüber, als er e8 raid
und fajt wie erjchredt wieder abjegte und laut
ausrief: .
„xopez! Purisima !‘
„Lopez? — wer? welcher?“ rief eg im be-
nachbarten Zimmer — „Miguel?
Lopez hatte den Blick dem, der feinen Namen
nannte, zugewandt und einen Freund erfannt,
mit dem er früher viel verkehrt — aber es lag
ihm jegt Nichts daran, alte Befanntjchaften wie:
der anzufnüpfen — er wäre audh am liebiten
gleich wieder umgekehrt, aber das hätte Aufjehen
erregt. -— Was fümmerten ihn die DOfficiere —
nur ein Glas Wein wollte er trinken, und dem
Andern nur leicht zunidend, trat er zum Schenf-
tiſch.
Lopez — der Name hatte aber wie Feuer ge—
zündet, denn es wurde gerade in der Zeit faſt
von Nichts weiter in Mexico geſprochen, als
von der Einnahme von Queretaro, bei der ge—
15°
276
rabe diejer Lopez den Kaiſer verrathen und ihn
und die Feſtung für 3000 Unzen an Escobebo
verfauft hatte. — „Miguel Lopez?” rief es von
allen Seiten. — Die Officiere wollten den Mann
jelber jehen und drängten herbei. Der Erite
aber, ein Hauptmann Ejtella, der ſich von jeinem
Erjtaunen erholt hatte, rief, indem er einen Schritt
auf Lopez zutrat:
‚And Du Schurfe wagſt es, unter ehrliche
Leute, unter Soldaten zu kommen und mit
ihnen an einen Tiſch zu treten und von einem
Wein trinfen zu wollen? Caracho!’ Und mit
dem zwilchen den Zähnen hervorgeziichten Fluch,
goß er in aller Wuth dem Buben den Wein,
den er noch in der Hand hielt, in’s Geficht hinein.
Lopez griff, faft außer fih, nach der Seite,
wo er jedenfalls jeinen Revolver trug, aber jekt
brady der Sturm von allen Seiten gegen ihn los.
„Hinaus mit dem Schuft — hinaus mit ber
Canaille!“ rief es, jelbjt der Wirth griff in Ent-
vüftung nad einer vollen Flaſche, die er ver—
fehrt in der Hand hielt — ‚auf die Straße mit
dem Verräther, oder beſſer nod, an den Galgen
mit ihm!’ Und wer etwas Flüffiges in der Hand
hielt, goß es über ihn, ja Gläfer wurden nach
ihm gefchleudert; ein großes Pulqueglas barft
27
ihm am Kopf, und nur durch den Hut wurde
die Wucht deſſelben gebrochen.
Lopez warf ſcheu den Blick umher, aber er
ſah auch im Nu, daß er hier Alle gegen ſich
hatte. Selbſt ſein Helfershelfer Jablonsky drückte
ſich vorſichtig von ihm fort, um nicht in den
Verdacht zu kommen, daß er zu ihm gehöre, und
dann gleiche Mißhandlung zu erfahren, und der
Verräther, feige wie er ſich immer gezeigt, floh
aus der Thür, warf ſein Pferd los und ſich in
den Sattel, und jagte, wie von Furien gepeitſcht,
die Straße hinab. — Wohin er floh? Niemand
hat es erfahren — unter anderem Namen mag er
wohl das Land verlaſſen haben, aber ſelbſt Mexico,
das Land des Verraths und Treubruchs, mochte
dieſen nichtswürdigen Verräther nicht auf
ſeinem Boden dulden.
Auch Marquez war verſchwunden, hielt ſich
aber noch, wie man beſtimmt wußte, in der
Stadt verſteckt, und Porfeirio Diaz hatte
10,000 Peſos auf feinen Fang geießt, jo daß
bie Polizei einen außerordentlihen Eifer ent—
wicdelte, um ihn aufzujpüren.
Ebenjo fahndete man auf den Präfecten O'Ho—
ran, der in Tlalpam die zwölf Liberalen hatte
hängen lajjen. .
278
Draußen am Nordende Mericos, in einer
vollfommen abgelegenen Gegend, wo nur bie
ärmſten Bewohner der Stadt in Shmuß und Dürf—
tigfeit lebten und in den legten Tagen der Be:
logerung, wo die Kugeln immer dichter flogen,
auch faſt alle ihre elenden Baraden verlajlen
hatten, jchien noch die eine von diejen Hütten
bewohnt. Eine alte rau wenigitens ſtand vor
der Thür draußen und mußte wohl Jemanden
erwarten, denn fie jah fortwährend die Straße
hinunter und ging nur mandhmal in ihre elende
Kammer zurüd. Dort hatte fie eine Kranke im
Bett liegen, mit der fie, aber auch nur leiſe
flüfternd, einige Worte wechlelte.
Wieder war fie herausgefommen und erjchraf
fihtlih, denn dicht vor der Thür bemerkte ſie
zwei Fremde. — Sie wollte ji wenden und in
bas Haus zurüdgehen, aber der Eine, der mit
bem Andern ein paar Worte geflüftert hatte,
eilte ihr raſch nad) und fagte:
„Ob, Señora — erlauben Sie mir eine Frage
— wohnen Sie bier ganz allein ?‘
„Ja,“ brummte die rau — „weshalb ?‘
„Oh — ih — fude einen guten Freund,
dem ich gern Etwas fagen wollte.‘
„Ja, dann müflen Sie ihn wo anders ſuchen,“
fnurrte die Alte, deren Gejiht in taujend Flei-
nen alten lag, während die zufammengefniffe:
nen grauen Augen daraus vorbligten — und
damit eilte jie über den Hof jchräg hinüber, und
würde im nächſten Moment auch die Thür er:
reicht und jedenfalls hinter fich zugeworfen und
verriegelt haben. Der Kremde jchien aber nicht
geſonnen, ſich jo abfertigen zu lafjen. Mit ein
paar Säben war er an ihrer Seite.
„Seid Ahr ein Räuber?’ jchrie das Weib
entjeßt, indem jie ihn zurüctzufchieben ſuchte. —
„Und glaubt hr, daß es bei einer armen alten
Frau Etwas zu ftehlen gäbe? Fort mit Euch,
oder bei —“
„Pſt,“ warnte aber der Fremde, der auch gar
nicht wie ein Mericaner ausſah. „Ich weiß,
wen Ihr bei Euch Habt, und muß ihn jprechen.
Seid Ahr vernünftig, jo jol Euch Fein Leid ge=
ſchehen — und ihm aud nicht. Nehmt Ihr aber
feinen guten Rath an, dann rufe ich den näch—
ſten Soldaten, der vorbeigeht, und was dann
geſchieht, wißt Ihr.“
„Wer ſeid Ihr?“ rief das Weib, an allen
Gliedern zitternd, „und was wollt Ihr?“
„Ich bin ein Amerikaner,“ ſagte der Fremde,
„und muß den General ſprechen — weiter Nichts.“
280
„Welchen General — ih weiß von feinem
General,” rief aber die Alte, während fich der
Fremde jedoch ohne Weiteres in die Thür drängte,
„da jeht jelber — ijt das etwa einer?” Und jie
deutete dabei auf dag in der Ede befindliche Bett,
auf dem, mit dem Rüden nad) dem Zimmer zu,
eine Gejtalt, mit einer Serape zugedeckt, lag,
die aber eine Frauenmütze über die Ohren gezo—
gen hatte. | |
Der Fremde beobachtete die angebliche Kranke
etwa eine halbe Minute und ließ dann ben Blick
im Zimmer umberjchweifen. Der Raum jah
öde genug aus, fahle Wände, ein paar wacdlige
Seflel, ein alter Tiſch — außerdem war es bei
dem gejchlofjenen Laden faſt ganz dunkel. Der
Fremde ftieß aber ohne Weiteres den Laden auf
— unter dem Bett jah er ein zuſammengeſchnür—
tes Bündel, und ein anderes, wie es bie India—
ner gewöhnlich zu Markte tragen, lag noch mit=
ten in ber Stube,
„Wer ijt die Frau?“
„Meine kranke Tochter,’ ſagte die Alte finiter.
„Habt Ihr Euch nun überzeugt? — und nun
geht, daß Ihr fie mir nicht ftört; fie hat in al’
dem Lärm und Trubel in der Stadt überdies
in den le&ten Tagen Feine Stunde Ruhe gehabt.‘
281
Der Fremde war nicht jo leicht abgewiejen
— er betrachtete fich die Gejtalt etwas genauer
— die breiten Schultern gehörten Feiner Frau
an, er jchien auch feiner Sache zu gewiß, und
jih einen Stuhl nehmend, rücdte er ihn ruhig an
das Bett, Jette fih darauf, nahm dann einen
Revolver aus der Taſche und ſagte mit der größ:
ten Freundlichkeit:
„General Marquez, dürfte ih Sie vielleicht
erſuchen, fich einmal einen Augenbli umzudre=
ben — bitte, geben Sie jih feine Mühe,‘ fette
er hinzu, als er bemerkte, daß die Kranfe eine
fait Erampfhafte Bewegung unter ber Dede
machte — „mein Revolver bier ijt im guter
Drdnung, und außerdem hält noch ein Freund
von mir draußen an der Thür Wache. Sie müfjen
mir Rede jtehen, aber fürdten Sie auch Nichts
für Ihre Sicherheit. Wenn Sie meinen Wunſch
erfüllen, joll Ahnen nicht das Geringſte gejche:
hen, und ich denke gar nicht daran Gie zu ver:
rathen.“ | |
Die Geftalt rührte ih nicht — jie lag jebt
til und regungslos, und die Alte ſagte zitternd:
„Aber um der heiligen Sungfrau willen,
Senior, was reden Sie nur — es ijt meine franfe
Tochter und ftodtaub nod dazu. Sie fönnten
282
eine Stunde auf fie einfchwaßen und fie würde
feine Sylbe davon hören.‘
„So,“ fagte der Fremde, indem er von ſei—
nem Stuhl aufſtand — „das iſt dann etwas
Anderes — So werde ich mir nur erlauben, als
Wache bier zu bleiben, und meinen Freund in
deſſen nad einer Patrouille ſchicken. Behüten
Sie nur fo lange die franfe Tochter, Señora“
— und mit langjamen Schritten ging er nach
der Thür.
Da plöglich richtete fich die Gejtalt im Bette
empor, und der fremde, ſich vajch wendend, hielt
den Revolver gegen fie gerichtet, aber er hatte
Nichts für fich zu fürdten. Er ftarrte in das
leihenblaffe und durd eine alte Schußwunde
arg entitelfte Geftcht des gefürchteten Generals,
das mit der Frauenmütze auch einen halb komi—
ſchen, halb graujigen Anblid bot.
„Bas wollen Sie — wer find Sie?” rief
er dabei, und der Fremde jah recht gut, daß auch
er in der rechten Hand eine Waffe trug, aber
er bob fie nicht, ſondern hielt jie nur frampf=
haft umjpannt und blickte den Eindringling mit
feinen böfen, ftechenden Augen, in denen ein
ganzes Meer von Haß und doc auc zugleich
von Furdt lag, an.
233°
„Oh, Santisima,“ rief da die Frau, auf ihre
Kniee niederfallenn, „ich babe ihn auf meinen
Armen berumgetragen, ich Fonnte ihn ja nicht
verrathen! Erbarmen — Erbarmen !’
„Señora,“ jagte der Fremde mit voller Ruhe,
„ſchreien Sie nicht jo — ich habe Ahnen fchon
vorher gejagt, daß ich ihn nicht verrathen will
— General, kennen Sie mich nicht mehr
„Nein,“ jagte der General finfter und riß.
dabei die Müte von feinem Kopf herab, denn
er fühlte, daß er lächerlich darin ausjehen mußte.
„Dann will ih mich Ihnen jelber vorjtellen,
erwiederte der Amerikaner. „Mein Name tft
Galway — erinnern Sie ji meiner jet? Es
find noch faum acht Tage her — vielleicht etwas
länger, daß Sie jo freundlich waren — mid,
wie eine Anzahl von Kaufleuten aus der Stadt,
einzuladen, wonah Gie uns dann zwangen,
Ihnen bedeutende Summen Geldes auszuzahlen.
Mich hielten Sie damals zwei Tage ohne einen
Biſſen Efjen oder einen Trunk Wafjer einge:
jperrt, bis mich der Hunger zwang, Ihnen zu
willfahren, und ich war genöthigt, Ihnen hundert
Unzen zu übergeben.‘
Als Marquez jchwieg, fuhr der Amerikaner
freundlich fort:
254
‚sh war glüdlidy genug, gerade Zeuge zu
jein, wie Sie diefen Schlupfwinfel juchten, und
eine Weile habe ich mit mir gefämpft, ob ich die
auf Ihren Yang ausgejegten zehntaufend Peſos
verdienen jolle oder nicht. Die Sache hat aber
einen Hafen. Mitleid für Sie hielt mich natür=
lich nicht ab, denn Eie find vielleicht der abge-
feimtefte und blutgierigite Schurke, den die Welt
trägt, und haben den Tod taujendfacd verdient.
Aber die liberale Regierung macht von der meri=
caniihen Tugend: Alles zu verjprehen und gar
Nichts zu halten, Feine Ausnahme. Lopez, der
Dueretaro und den Kaiſer verrieth, bat ebenfalls
Nichts befommen, und ich würde nur Mühe ge:
habt und aller Wahrjcheinlichfeit nach gar nichts
weiter al8 das Vergnügen erreicht haben, Ihrer
Erecution beizuwohnen. Ich habe mir deshalb
die Sache anders überlegt. — Geben Sie mir
die hundert Unzen, die Sie mir frecher Weiſe
abgenommen, wieder zurüd und machen Sie dann,
daß Sie fortkommen — id werde Ihnen nicht
babei im Wege jein. Weigern Sie fih, jo be—
finden Sie fi eine halbe Stunde jpäter in ben
Händen der liberalen, und was dann mit Ihnen
geihieht, wifjen Sie — den alten General Bi:
daurri haben fie auh vor etwa anderthalb
Stunden binausgejchleppt und von hinten er:
ſchoſſen.“
Marquez war todtenbleich geworden. „Und -
wer bürgt mir dafür,” fagte er mit heiferer
Stimme — „daß Sie das Geld nehmen und nicht
doc nachher hingehen und mich verrathen ?'
„Sie urtheilen nach jich felber, befter Gene:
ral,“ lächelte der Amerifaner. — „Schon daß
ih nicht mehr Geld von Ihnen erpreſſe, als
wirflidy mein Eigenthum ift, mag Ihnen den
Beweis liefern — außerdem gebe ich Ihnen mein
Ehrenwort, daß weder ich, nody mein freund ba
draußen Siein den nächſten vierundzwanzig Stun:
den anzeigen werden. Bis dahin wünjchen wir
Ihrer Gegenwart enthoben zu fein. Wie ilt es,
haben Eie ſich entichlofjen ?’‘
„Ja,“ ſagte Marquez finfter, indem er unter
die Bettdecke griff und einen Fleinen Ead mit
Unzen bervorholte — „es bleibt mir nichts An:
deres übrig.” Er langte mit der Hand hinein
und hatte raſch hundert Stück abgezählt, die er
dem Amerikaner reichte — ‚Sind Sie jebt zu=
frieden ?'
Der Amerifaner zögerte: „Die Zinſen möchte
ih nicht gern verlieren — ich bitte Sie, nod
eine zuzulegen.‘
286
Marquez lachte. „Sie find wirklich praktiſch,“
jagte er — ‚und was wird jet? — Können
Sie mir behilflich fein, von hier fortzufommen?
Ich gebe Ihnen —“
„Bitte, nein,‘ unterbrady ihn. aber Galway
— „das iſt Ihre Sache und geht über unjern
Eontract. — Nicht einen Finger würde ich be
wegen, um Sie vom Galgen zu retten. ch habe
nur verjproden, Sie nicht zu verrathen, würde
Sie aber mit Vergnügen hängen ſehen. Aljo
adios, Setor — unfer Gejhäft ift beendet!”
Und ohne fich weiter um den General oder die
Frau zu fümmern, jchob er feinen Revolver
wie das Gold in feine Taſchen und verließ das
Haus.
11.
Das Ende eines braven Mannes.
Ich möchte nicht im Thal verderben,
Den legten Blid beengt von Zwang.
Auf einem Berge möcht’ ich iterben,
Bei gold’nem Sonnenuntergang.
Marimilian.
Maximilian und ſeine Generale wurden nach
dem letzten verſäumten und dann natürlich ruch—
bar gewordenen Fluchtverſuch allerdings viel
ſtrenger bewacht als vorher, ohne daß ſich jedoch
Escobedo ſelber Härten gegen den Kaiſer erlaubt
hätte. Im Gegentheil trat er immer vermittelnd
ein, wo ihn untere Officiere roh behandeln woll—
ten. Er hatte ſogar ſchon früher die Erlaubniß
gegeben, daß der Kaiſer ein eigenes und beque—
mes Haus bewohnen ſolle, was aber durch die
Proteſte eines rohen Burſchen, eines General
288
Gonzales, dem damals die Bewahung anvertraut
worden, bintertrieben wurde, und einigermaßen
hatte ſich auch Escobedo dem Willen feiner Offi—
ciere zu fügen, wenn er nicht jede Verantwortung
Ipäter allein tragen wollte.
Es war übrigens augenjcheinlih, daß wenig:
tens alle befjer gejinnten Mericaner durch das
liebenswürdige und edle, wie ſtandhafte Beneh:
men des Kaijers nad) und nad und mehr und
mehr für ihn eingenommen wurden, und Mandher
von ihnen würde vielleicht nicht ungern feine
Flucht geiehen Haben. Das rohe Volk be=
hielt aber troßdem die Oberhand, und Lerbo be
Tejada hatte ja einmal feinen Tod bejchlofien.
Es jollte ein Erempel Europa gegenüber jtatuirt
werden, daß Fein fremder Fürſt es je wieder
wage, die Hand nad) der mericanifchen Kaijer:
krone auszuſtrecken.
Das Kriegsgericht über den von allen Sei—
ten faſt verrathenen Monarchen war in vollem
Gang, und damit auch ſein Tod beſchloſſen, denn
das nichtsnutzigſte Geſindel ſaß über ihn zu Ge—
richt und eine Appellation von dieſem gab es
nicht mehr. Der Kaiſer hatte auch ſchon mit
dem Leben abgeſchloſſen. „Das Einzige, um
was ich ſie bitten werde,“ ſagte er zu ſeinem
284
Arzte, dem Doctor Baſch — „iſt, daß jie mein
Leben allein nehmen — mein Blut das Einzige
jein laffen, was vergofien wird — fie fünnen
lich damit genügen laſſen.“
Indeſſen bejuchte ihn in diefen Tagen bie
Prinzeſſin Salm nod verjchiedene Male und
verkehrte außerdem häufig in der Stadt mit ver:
Ihiedenen feindlichen Obrijten, bejonders mit
Obriſt Villanueva, der engliſch ſprach und den
ſie ja auch ſchon früher für jich gewonnen. Sie
hatte e8 jich in den Kopf gejeßt, den Kaiſer un:
ter jeder Bedingung zu retten, und mit einer
fabelhaften Ausdauer verfolgte jie diejen Plan —
freilich nur mit der fchon früher ausgeſprochenen
Idee, daß man fih nicht mit geringeren Perſo—
nen dabei einlafien dürfe, jondern ſich an höhere
Dfficiere wenden müſſe, wobei Gold dann ber
Hebel fein jollte, der fie gefügig machte.
Sp viel Geld hatte aber der Kaijer natürlich
nicht baar bei fich, und konnte es auch jetzt nicht,
wo ih das Ganze um Tage handelte, jo raſch
berbeifchaffen — Baron Lago — der wahre
Strohmann eines Gefandten, war ebenfalls nicht
im Stande, bier zu helfen, und der Kaifer jtellte
endlich zwei Wechſel, jeden von 100,000 Peſos
aus, die auf das Faiferlihe Haus und feine Tas
Fr. Gerjtäder, In Merico. IV. 19
290
milie lauteten und von Baron Lago, als öfter:
reihiijhem Gejandten, ebenfalls unterschrieben
wurden.
Der legtgenannte Herr ſcheint aber über feine
Unterjchrift jehr in Angjt geweſen zu fein, denn
als ihm Doctor Baſch die Wechſel noch einmal
brachte, um aud die Unterjchrift der übrigen
Gejandten zu befommen, lief er in heller Ber:
zweiflung in jeinem Jimmer auf und ab. — „Sie
werben ung Alle hängen,’ rief er dabei, „lie
werden uns Alle hängen, ohne dem Kaiſer Etwas
nüßgen zu können,” und mit einer Scheere jchnitt
er jeinen Namen wieber ab.
Als man es jpäter dem Kaijer erzählte und
ihm die Worte wiederholte, lachte diefer verächt—
li und jagte: „Und weldy ein Unglück wäre
bas gewejen? Die Welt hätte dadurch wahrlid;
feinen Verluſt erlitten.’
Die Prinzeſſin nun — in der fejten Ueber:
zeugung, mit Geld Alles auszurichten, forderte
Riva Palacio — einen der wenigen ehrenwerthen
mericanijhen Obriiten direct auf, ihr bei der
Flucht des Kaijers behilflich zu jein, und bot
ihm dafür den einen Wechjel von 100,000 Dol:
lars. Villanueva hatte ſich Schon um den näm—
lichen Preis bereit gefunden. War es nun, da
291
der Verſuch ihn zu bejtehen zu jchroff an Pa—
lacio herantrat, oder ihm auch zu direct geftellt
worden war, da die Prinzejjin nur wenige
Worte Spaniſch ſprach, aber — er lehnte es
nicht allein nur ab, jondern brachte jogar den
Sluchtverfuh zur Anzeige bei Escobedo, und
das Schnitt dem Kaiſer dann die legte Hoff:
nung ab.
Prinzeſſin Salm befam augenblicklich Befehl,
Queretaro zu verlajjen, und das Schiefal Mari:
milian’s war entjchieden.
Die Comödie im Theater Iturbide in Quere-
taro, wo das Sriegsgericht auf der Bühne ſaß,
fpielte fih ab. Der Kaifer und die Generale
Miramon und Mejia wurden zum Xode verur:
theilt, das Urtheil mußte Escobedo bejtätigen,
und am 16. jollte die Ercution jtattfinden.
Indeſſen hatte das Gerücht von dem Tode
der Kaijerin mehr Verbreitung gefunden, jeine
wenigen Getreuen fürdhteten, daß es dem Kaijer
von anderer Seite einmal plötzlich und uner—
wartet zu Ohren kommen könnte, und beichlofjen
endlih, es ihm mitzutheilen. Er nahm es —
jelber ſchon auf feinen Tod gefaßt, ruhiger Hin,
als man erwarten Fonnte.
„Sin Band weniger, das mid) an dieje Erde
19*
292
feſſelt,“ jagte er leife, als es ihm Mejia mit-
getheilt hatte, und blieb dann ftill und in ſich
gekehrt.
Am Morgen des 16., während der Kaijer
beihäftigt war Abſchiedsbriefe zu jchreiben, kam
gegen eilf Uhr Vormittags Obrijt Miguel Palacio,
mit ihm General Refugio Gonzales — ihnen
folgte eine Truppe Soldaten, die ſich ſchweigend
auf dem Vorplag aufitellten.
Bei offener Thür las der neue Fiscal Gon=
zales dem Kaiſer jebt das Urtheil vor, ber es
mit ruhig lächelnder Miene anhörte; wie aber
nur der Fiscal geendet, fagte er zu Doctor Baſch,
auf die Uhr zeigend: „Auf drei Uhr ijt die
Stunde angejegt — Sie haben nody mehr als
drei Stunden Zeit und können ruhig Alles
vollenden.”
Der Fiscal wendete jich zum Gehen, als Ma—
rimilian plötzlich frug:
„zu wem gehen Sie jetzt?"
„gu General Mejia.“
„Dürfte ih Sie bitten, einen Augenblid zu
warten — General Mejia bat Beſuch — nur
einen Augenblick,“ — und er jchritt jelber hin—
über zu feinem treuen Indianer. Bor kaum
einer halben Stunde ıhatte er nämlich gejehen,
293
bag Mejia’s Frau ihn befuchte, und felbit in
dieſem Augenblicke dachte er daran, wie furcht—
bar es für die Gattin fein müſſe, dem Vorleſen
bes Urtheils zuzuhören. Er trat hinüber in
Mejia’s Zelle, und den Arm der rau in den
jeinen ziehend, jagte er:
„Kommen Sie, Seiora — Sie müjjen jeßt
Ihren Gatten für furze Zeit allein laſſen —
fehren Sie nachher zurück“ — und damit führte
er jie dem Ausgang zu.
Miramon, der wohl ahnte, was das Alles
bedeute, war Zeuge diejer Fleinen Zwiſchenſecene
gewejen — er trat, als der Kaijer zurückkehrte,
auf ihn zu und fagte:
„Majeſtät — das ijt gar nicht Mejia’s
Frau.“
„Und was thut das?“ ſagte der Kaiſer weich
— „es iſt eine Frau,“ — und damit ſchritt er
in ſeine eigene Zelle zurück.
Gegen Mittag kam der Beichtvater Pater
Soria. — „Ich beichte nicht Jedem, der Geiſt—
licher iſt,“ ſagte der Kaiſer zu Doctor Baſch, „und
habe den Padre rufen laſſen, um zu erfahren,
ob wir uns über gewiſſe Vorfragen einigen
können.“
Um drei Uhr war der zum Tode verurtheilte
294
Monarch völlig bereit zum Sterben,*) als der
Dbrijt ein Telegramm brachte, das die Erecution
drei Tage hinausjchob.
„Das ift hart,’ fagte der Kaifer, „denn id
hatte ſchon ganz mit der Welt abgeſchloſſen,“ —
und es war hart, denn e8 verlängerte nur bie
Todesqualen der doh dem Tode Verfallenen.
— Und die Tage vergingen, ſchwache Hoffnung
lebte nod in den Herzen der treuen Meniden,
die ihn umftanden — aber vergebens. Der dritte
Tag fam — Baron Magnus, der preußiſche Ge:
jandte, der fih mit jeder Aufopferung ange:
jtrengt hatte, den Kaijer zu retten, während ber
öfterreichijche Geſandte gar nichts that, hatte
umjonjt diefen Auffchub von Juarez verlangt.
Um halb jieben Uhr Morgens Fam der Obrift
Palacio mit der Wachtmannſchaft, um den Kailer
abzuholen, der ernst, aber vollfommen gefaßt von
ven Seinen Abſchied nahın.
Die Verurtheilten wurden, während die ganze
Beſatzung von Queretaro aufmarſchirt ftand, auf
Wagen zu dem Gerro de las Campanas — dem:
jelben, wo er ſich feinen Feinden ergeben hatte,
hinausgeführt.
*) Die Einzelheiten dieſer Stunden bat Doctor Bald
einfach und ergreifend in feinen „Erinnerungen“ geſchildeil.
295
Als er aus dem dumpfigen Kloſter auf die
freie Straße trat, ſah fich der Kaifer ringsum,
athmete mit voller Bruft die friſche Morgenluft
ein und jagte: „Welch ein herrlicher Tag! —
einen jolden habe ih mir immer zum Sterben
gewünſcht.“
Und wie öde lag die Stadt — die Straßen
waren menſchenleer — die Läden geſchloſſen
— keine Neugierigen auf den Balconen, noch
auf den Dächern der Häuſer — allgemeine
Trauer herrſchte in Queretaro, denn man hatte
dort den unglücklichen Kaiſer von Herzen lieb
gewonnen und beklagte tief ſein gewaltſames
Ende.
Auf dem Hügel de las Campanas, ber bie
freundliche Stadt mit ihren zahlreichen Thürmen
und Kuppeln voll überfchaute, und fajt unmittels
bar neben der Stelle, wohin ſich die Berrathenen
damals zurücdgezogen, jchritt der Kaifer in das
nach dem Gerro hin offene Quarıe, umarmte
noch einmal feine beiden Xodesgefährten und
ftellte fih dann feit und ruhig den Soldaten
gegenüber, An ihm vorbei gingen Miramon
und Mejia. Miramon blieb wenige Schritte
von dem Kaiſer ftehen, und Mejia, anftatt an
296
jeiner andern Seite zu bleiben, ging noch über
Miramon hinaus. *)
Noh einmal trat der Kaijer vor und gab
jedem der Soldaten, die bejtimmt waren auf
ihn zu ſchießen, die Hand und eins ber neu ge=
prägten Zwanzig-Dollar:Goldjtüde mit jeinem
Bild darauf. „Schießt gut — ſchießt gerade hier:
her !’’ jagte er, auf fein Herz deutend, und ging
dann zu jeinem Platz zurüd.
Dann ſprach er mit Earer Stimme die Worte:
„Mericaner — möge dieſes Blut das legte jein,
das für das Wohl des Baterlandes vergofjen
wird!“
Miramon wies in wenigen Worten den Vor—
wurf des Verrathes zurück — Mejia rief nur:
„Viva Mejico — viva el Emperador!“
Die Büchſen knallten — die drei Opfer
ſtürzten gut getroffen zu Boden; „Jombre!“
flüſterte der Kaiſer, als er zuſammenbrach, dann
war Alles vorbei. —
Und warum länger bei dem furchtbaren Bild
verweilen. Ein edles Herz hatte da ausgeſchla—
*) Es wird gewöhnlich erzählt, der Kaifer babe Mira-
mon ben Ehrenplat in der Mitte zugewiefen, aber das - ift
unrichtig. Wie fie fich aufftellten, obne wohl in biefem
Augenblid an den Rang zu benfen, blieben fie fieben.
297
gen. Marimilian, der Erzherzog von Dejterreich,
war nad Merico in dem fejten Glauben ge=
fommen, von dem Volk wirklich berufen zu fein,
und mit dem Willen, nur dem Land Heil und
Segen zu bringen — und was fand er? Der:
rath und Treubruh, wohin er den Fuß ſetzte,
eine jchwanfende Maſſe, die ihn heut’ vielleicht
mit lautem Jubel als Kaifer begrüßte, um mor:
gen jchon, jtatt der Blumen und Kränze, Steine
auf ihn zu Schleudern — ein verfommenes, durch
endloje Revolutionen demoralijirtes und geſunke—
nes und dod in blindem Eigendünfel befangenes
Volk, das durch Phrafen einen Moment für
jede Sache Hingerijjen werben Fonnte, und
augenbliklih nüchtern wurde, jobald man bas
geringjte Opfer von ihm jelbjt verlangte.
Dabinein trat, an der Hand Napvleon’s,
Marimilian, ein Prinz, ein Seemann, ein Poet
und außerdem ein braver, ehrliher Mann, der
jich an jein Wort gebunden hielt, und nie glaubte
er genug gethan und feine Pflicht erfüllt zu
haben. Sp treu und rein fein eigenes Herz
war, jo fonnte und wollte er auch nit an die
Schlehtigfeit anderer Menſchen glauben, und
jelbjt zuweilen gewarnt, flammerte er ſich noch
immer an die Möglichfeit an, daß es feine Um—
238
gebung dod gut und ehrlich mit ihm meine, bis
fie faſt Ale — Ale — mit nur ſehr wenig
Ausnahmen auf jein jinfendes Haupt den Fuß
jegten, um darüber bin die eigene Sicherheit
zu Juchen.
Bon Allen wurde er verratben — am jhmäh-
lichjten von Louis Napoleon jelber und, jeinem
würdigen Marihall Bazaine, von Marquez, von
Lopez, den er mit Wohlthaten überbäuft, von
jeinen eigenen Minijtern und Räthen, ja von
jeiner eigenen Dienerjchaft, die nur ihre Koffer
füllte und dann zurück nah Haufe floh, um
ihren Herrn und Wohlthäter zu verunglimpfen.
Die, für die er das Wenigjte im Stande war
zu thun, hielten am treuejten bei ihm aus, und
zu ſpät jah er ein, daß er weit bejjer deren
Rath gefolgt wäre, als auf die zu hören, die
ih ihm aufdrängten und ſich feine Freunde
nannten.
Zu Spät! wie oft ſchon ijt das verhängniß—
volle Wort einem Fürſten verderblidy geworden
— zu jpät! — wie oft wird es ihnen nod) zum
Verderben werden.
Und doch kann die Gejchichte nie einen, Bor:
wurf auf das Haupt des mexicaniſchen Katjers
Marimilian häufen. Er fiel — ja — aber wie
2399
ein Mann, wie ein Held, wie ein Fürft. Seine
Feinde opferten ihn — aber er hinterließ feinen
Feind, und jelbjt die rohen Mericaner ftanden
erſchüttert an feiner Leiche.
„Era una alma grande!’ (es war eine große
Seele) jagte der Obriſt Palacio, als er von der
Hinrichtung zurückehrte, und mehr Thränen find
ihm in Merico, auf fremder Erde, nachgeweint
worden, wie vielleicht irgend einem andern Für—
ten der Welt, denn erjt nach feinem Tode ſahen
die Mericaner ein, was er ihnen gewejen —
was jie an ihm verloren.
Die Bewohner von Queretaro waren außer
ih. Sie hatten die lange und ſchwere Bela
gerung ertragen, fie waren gezwungen gewejen
für das Heer zu forgen, und dabei Hunger und
Elend mit ihm zu theilen, aber ein förmlicher
Enthuſiasmus herrſchte in der Stadt für den ge—
mordeten Kaijer.
Die Frauen ftrömten hinaus auf die Richt:
ftätte, netten Tücher mit dem vergofjenen koſt—
baren Blut, fammelten Steine und Erde von der
‚Stelle, auf derer gefallen, und deckten den Platz
mit Blumen.
Ein Eleiner Erdhügel wurde dort aufgewors
fen und ein robes, ſchwarz angemaltes Holzfreuz
300
barauf errichtet — aber ſchon in den erjten
Tagen war dus Kreuz in Splitter gejchnitt und
entführt, als theures Angedenfen.
Man errichtete ein anderes und wieder ein
anderes — das Volk wurde nicht müde. Die
Damen gingen in Trauer — das Volk umjam—
merte die Stätte, bis endlich die Behörden der
Liberalen, denen e8 unter dieſen Ovationen für
den Gerichteten unheimlich zu werden anfing,
und der Gouverneur von Queretaro den Befehl
gab, den ganzen Platz der Erde gleich zu maden.
Die Adobie-Mauern, vor denen die Opfer
geitanden, wurden abgerijjen, die Fleinen Erb:
hügel zeritört, die dort wachjenden Cactuspflanzen
abgeichlagen, und ſelbſt das genügte noch nicht,
denn aus der Stadt jelber lieg man Schutt hinauf=
fahren und die ganze Stätte dicht damit bededen,
jo daß die Stelle verihwand und Niemand mehr
wußte, wo er die Blumen hinlegen jollte, die
faſt allnächtlich noch den Opferplatz ſchmückten. —
In den Straßen jtanden die Frauen und
jammerten und wehflagten, als der Zug ber
Soldaten von der Richtſtätte zurüdkehrte.
Ein junges Weib lehnte an der Ede, den
Kopf mit dem Rebozo verhüllt, und jammerte
laut — es war Mercedes. Ein Halb: Indianer,
ee
— — —
ein Soldat und roher Burſche, trat zornig auf
ſie zu.
„Um wen weinſt Du, Dirne?“
„Um meinen Kaiſer!“ rief die Jammernde,
ſich jͤh und zornig emporrichtend — „biſt Du
Einer ſeiner Mörder?“
„Warte muchacha, das ſollſt Du mir büßen!“
rief der Bube und riß den Revolver aus dem
Gürtel. Blitzſchnell aber zuckte ein Meſſer in
des Weibes Hand, und den Arm treffend, daß
die Waffe zu Boden fiel, floh ſie die Straße
entlang. --
Juarez felber kam einige Tage jpäter auf
feinem Weg nad) Merico durch Dueretaro —
aber es war ihm unheimlich in dem Ort. Dieje
Dede, die Trauer um ihn ber that ihm weh —
Kein Jubelruf begrüßte ihn, Fein freundliches
Wort; wo er fich jehen ließ, trafen ihn nur
iheue, vorwurfsvolle Blicke, und ſchon mit
Tagesgrauen am nächſten Morgen jegte er feine
Reife nach der Hauptſtadt fort.
12.
Die Republikaner.
Mujterhafte Ordnung hielt unterdeg Bor:
feirio Diaz in der Stadt; die Eleinjte Uebertre-
tung der gegebenen Befehle wurde aber auch auf
das jtrengjte bejtraft, und die Soldaten wußten
recht gut, daß der General nicht mit ji) ſpaßen
laſſe.
Aeußerſt achtungswerth betrug er ſich eben—
falls gegen die fremden Truppen, während ſich
der öſterreichiſche und belgiſche Conſul auf das
niedrigſte benahmen, und deshalb auch Proteſte
von allen Seiten hervorriefen. Obriſt Kodolich
und Graf Khevenhüller hatten (getrennt von
dem mexicaniſchen Oberbefehlshaber — jetzt Ge—
neral' Tavera, da General Marquez nirgends
mehr zu finden war) direct mit Porfeirio Diaz
303
unterhandelt, und es wurde ihnen ehrenvoller
Abzug, nach Kriegsgebrauch, in ihre Heimath ge—
ſtattet.
Lerdo de Tejada proteſtirte allerdings ſpäter
dagegen, aber Porfeirio Diaz hielt das gegebene
Wort aufrecht, oder drohte ſelber ſeine Stelle
niederzulegen, und Juarez wußte, welchen Ein—
fluß gerade dieſer General im ganzen Lande
hatte, wenn er ihn eben benützen wollte. Die
fremden Truppen, die ſchon aus Merico aus—
marjchirt waren, wurden allerdings, in Folge:
davon, noch in Puebla zurüdgehalten, aber man
erwartete wenigjtens jeden Tag die Zuficherung
des Präfidenten, daß ihrem Weitermarſch Nichts
mehr im Wege jtehen jollte. —
Die Familie Roneiro hatte indejjen, nachdem
fie ihr altes bequemes Haus verlajjen, die ganze
Zeit über jene gemiethete und höchſt unbequeme
Etage bewohnt, die damals offen gejtanden.
Señora Roneiro drängte allerdings fortwährend
in ihren Gatten, ein neues Haus zu Faufen,
damit jie jich dort wieder behaglicher einrichten
fonnten, aber einestheil8 waren Roneiro's Ein:
fünfte im legten Jahr wirklich fo beſchränkt
worden, daß er mit ben verjchiedenen Anleihen
und Marquez’ letter Erprefiung von 6000 Peſos
304
nur auf das Nothwendigite angewieſen blieb,
und anderntheil® mochte er auch jein wohl:
erworbenes Eigentbum — und wenn es bie
Kirche beanjprudte — noch nicht für verloren
geben. Die Berhältnifje in Merico jtanden das
ganze Jahr jo ungewig und jchwanfend, daß
man gar nicht vorausjagen Fonnte, wie fid
Alles wenden und gejtalten würde.
Allerdings ließ der Klerus ihn verjchiedene
Male drängen, das Grundeigentbum, um nur
jein Gewiſſen zu befreien, einer geiftlihen Per:
jon zuzufchreiben, und zwar dem Erzbiſchof als
Dberhirten, da das Gejet noch nicht geregelt war,
welches die Güter der Todten Hand dem Klerus
zurüdgab, aber er wi immer aus — ver—
ſprach es allerdings, und weshalb nit — ließ
ji) aber auf nichts Bejtimmtes, und bejonders
nichts Schriftliche ein, und wartete eben jeine
Zeit ab, bis denn aud richtig die Liberalen
wieder an das Ruder famen.
Indeſſen hatte ſich aber in Roneiro’s Familie
Alles freundlicher gejtaltet, denn Inez' größter
Schmerz war überwunden. Sie beweinte ihren
jungen Gatten wohl noch zuweilen, aber jie war
doc; wieder heiterer geworden, und hatte jogar
bie Trauerfleider ſchon abgelegt. Da traf bie
305
Kunde von ber Hinrihtung Marimilian’s in
Merico ein, und wirkte befonders niederdrüdend
auf die rauen der bejjeren Kreije, und über-
haupt ſolche, die dem Hof näher gejtanden hatten.
Die meilten Familien legten aud in der That
um den geliebten Monarchen, dejjen Verluſt fie
erſt jeßt recht jchmerzlih fühlten, tiefe Trauer
an, und man ſah in der Zeit fajt feine Dame
in ganz Merico, die nicht vollfommen jchwarz
gekleidet ging.
Und eine Trauerfunde jagte dabei die andere,
denn jeßt erjt, mit freigegebener Communication,
wurden die Einzelheiten jener furchtbaren Kämpfe
befannt, die dort im Innern das Schidjal des
ganzen Landes entichieden hatten.
Auch Rodriguez’ Familie Hatte einen ſchweren
Verluſt erlitten, denn der immer heitere und
wadere Feliciano war bei der VBertheidigung von
Queretaro und einem Ausfall, bei dem er fich
ganz bejonders hervorgethan, durch einen Schuß
in die Stirn getödtet worden. Und wie viele
Familien hatten liebe Todte zu beklagen!
Die Familie ſaß bei ihrem Mittagsmahl,
als fih die Thür öffnete und ein General ber
Liberalen auf der Schwelle jtand. Roneiro
ſah allerdings raſch und erjtaunt empor, benn
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 20
306
feine Diener hatten jtrengen Befehl, Nieman-
den unangemelbet herein zu laffen, die Eſſens—
ftunde aber überhaupt nie zu ftören, body im
Nu erkannte er- den Fremden, und aufiprin=
gend rief er, indem er ihm die Hand entgegen:
jtredte:
„Don Porfeirio! laſſen Sie ſich auch einmal
bei ung ſehen?“
„wie geht e8, Don Bautifta ?’’ Tächelte ber
General, indem er bie gebotene Hand nahm und
herzlich ſchüttelte „und die Damen? — mir
find uns lange nicht begegnet und ich kann Ihnen
nicht jagen, wie ich mich freue, Sie Alle bier
wieder zu begrüßen.‘
„And viel bat fich in der Zeit verändert.‘
„Viel!“ nidte Porfeirio bebeutungsvoll.
„And mit wie viel Blut!’ jeufzte die Señora.
„Mufte denn der arme Kaiſer fterben? Er
hat es jo treu — jo ehrlih mit dem Land ge
meint.‘
„Señora,“ jagte ber General ausweichend —
„ih verjtehe wohl nit genug von ber hohen
PBolitif, und weiß nicht, ob es nöthig war, —
ich bedauere aber felber feinen Tod, und mödte
von Herzen wünjhen, daß ein anderer Ausweg
möglich gewefen wäre. — Doch es ift einmal ge:
un A
——4
2
307
ſchehen und nicht mehr zu ändern und — viel:
leicht auch gut für das Land, denn wir haben
jett nicht mehr zu fürdten, daß es noch einem
andern fremden Fürſten gelüften jollte, die Hand
nach unferer Oberherrihaft auszuſtrecken.“
„And hört denn das Blutvergießen ſelbſt jeßt
noch nicht auf?’ klagte Inez, — „mir bebt e8
immer durch das Herz, wenn ih einen Schuß
höre.”
„Kur nody Zwei find es, die wir haben
müſſen,“ fagte General Diaz ernſt — „Ges
neral Marquez, der nicht allein uns, ſondern
auch jeinen Kaijer verrathen hat, und den Schurfen
D’Horan, den bisherigen Präfecten von Merico —
Marquez’ Helfershelfer, wo e8 galt die liberal
Gefinnten zu plündern und zu bejtehlen, wäh—
rend er indejjen heimlich mit unferen Truppen
draußen verkehrte und ihnen jeden beabjichtigten
Ausfall verrieth. — Aber feine Stunden find
gezählt, wenn wir ihn erwilchen, und daß er fidh
hier noch in der Stadt verjtecdt hält, weiß ich
gewiß. Er hat mehrmals verſucht, Unterhand-
lungen mit mir angufnüpfen. Bis jet war er
mir freilich zu ſchlau, aber ich habe die Hoff:
nung noch nicht aufgegeben. — Doch laſſen Sie
uns von etwas Anderem reden, als diejen trau
20*
308
rigen und troßdem nicht zu vermeidenden Dingen.
Ich bin jo glücklich darüber, daß der entjeßliche
Bürgerfrieg vorüber tft und e8 Feine zwei Par:
teien mehr im Lande giebt — Feine wenigſtens,
die jich, Bruder gegen Bruder, mit den Waffen
in der Hand befämpfen können und dürfen.”
„Man erzählt fi) in der Stadt, daß Sie die
größten und geredhtejten Anſprüche auf den Stuhl
des Präfidenten hätten,” ſagte Roneiro, „und
wenn Sie ein Wort ſprächen —“
„Denn es nur von dem einen Wort abhängt,‘’
erwieberte Porfeirio Diaz ernit, ‚jo wird es nie
geſprochen werden, denn Gott wolle verhüten,
daß ich die Faum gelöſchte Tadel des Bürger:
frieges muthwillig felber und von Neuem ent
zünden folte. Nein, Bautifta — das Volf mag
wählen — ich habe meine Schulbigfeit gethan,
und möchte nicht auf eine Rifte mit den Namen
Marquez, Bidaurri und Lopez Fommen.‘
„And wo ijt Lopez?”
„Ich weiß es nicht,” ſagte Porfeirio Diaz
mit finfter zufammengezogenen Brauen. „Er
war bier, und hätte ich meinen Willen gehabt,
fo mußte er hängen, ber zehnfache Berräther,
aber — er bat einen Paß von Escobedo, und ba
diefer außerdem nicht beſonders freundlih auf
309
mich zu ſprechen ift — und ich weiß eigentlich)
nicht weshalb — jo mochte ich es ihm nicht zu
Leide thun. Seit gejtern ijt der Verräther übri—
gens auch verihwunden, und Niemand weiß,
wohin er jih gewandt. Dod, was ich fragen
wollte, compadre — weshalb find Sie denn aus
Ihrem großen, hübſchen Haufe aus- und in die—
fen Winfel hineingezogen? Ich hatte Mühe, Sie
nur aufzufinden.‘
Roneiro jah etwas verlegen nach feiner Frau
hinüber. „Es find das eigenthümliche Umjtände,‘
ſagte er, „die fih nicht jo rajch erzählen lajjen.
— Rir — wir hatten jo viele Schwierigkeiten
im Haus — unangenehme Störungen mit —“
„Der Geiftlichkeit, wie?’ Lächelte der General.
„Run ja — die Geiftlichfeit machte uns in
vielerlei Art ſolche Schwierigkeiten, daß ich es
endlich jatt befam und bier herüber 309.“
Porfeirio Diaz warf einen Blick auf die
Señora, denn er konnte ſich recht gut denken,
was ihn dazu getrieben hatte; endlich ſagte er:
„And wifjfen Sie nicht, daß wir jet wieder
die Herren im Land find und nicht der Klerus?
Heute ijt der Befehl vom Hauptquartier einge—
troffen und wird morgen veröffentlicht werden,
daß alle die alten, diefem gegenüber gegebenen
310
Gejege in Kraft treten. Der Klerus darf Fein
Grundeigenthum befiten, bie Klöfter find ſämmt—
lich aufgehoben, die Geiftlichen dürfen fich nicht
mehr im Ornat auf der Straße bliden laffen
— ſämmtliche Proceffionen außerhalb der Kirchen
jind verboten — das ewige Läuten mit den Gloden,
bas Einen zur Verzweiflung bringen fann, wird
auf das Nothwendigfte beſchränkt —“
„Aber wir haben ein Zeichen des Himmels
gehabt, Señor!“ rief die Señora, die fich nicht
länger halten konnte, „wir durften nicht länger
in dem Gott geweihten Haufe bleiben.’
„Ein Zeichen des Himmels!’ fagte der Ge:
neral erjtaunt, „wie verſteh' ich das?“
„Eine Erſcheinung — der Prior des alten
Kloſters.“
Der General warf fragend den Blick auf
Roneiro und dieſer ſagte achſelzuckend:
„Es war in der That Etwas, das ich ſelber
nicht verſtehe — eine Erſcheinung bei vollkommen
verſchloſſener Thür, die von drei oder vier ver—
ſchiedenen Perſonen zu gleicher Zeit geſehen wurde.
Ich habe dabei Alles ſelber auf das genaueſte
unterfucht, aber auch nicht die geringjte Erklä—
rung für das, mir jelber Unerflärliche gefunden,
und — ben Frauen wurde es darnach fo unheim:
311
lich in dem alten Gebäude, daß ich des lieben
Friedens wegen endlich dieſe Wohnung juchte,
wo wir menigjtens Ruhe gefunden haben.‘
„Alſo eine Erſcheinung,“ ſagte Porfeirio
Diaz, der mit der geſpannteſten Aufmerkſamkeit
den Worten gelauſcht hatte — „und wie ſah ſie
aus? — bitte, beſchreiben Sie mir einmal die—
ſelbe, Señora — Sie glauben nicht, wie ich mich
dafür intereſſire.“
„Mich ſchaudert es jetzt noch, wenn ich nur
daran zurückdenke,“ ſagte zitternd die Frau, „es
war ein Mönch in ſeinem langen grauen Ge—
wand, aber mit todtenbleichen Zügen und ordent—
lich funkelnden Augen.“
„Ein Mönch?“
„Ja — noch ſehe ich ſein weites, wallendes
graues Gewand vor mir, und fahre manchmal in
der Nacht mit einem Schrei empor, wenn id)
davon träume und die fürdhterlichen Worte höre,
die er damals geſprochen.“
„Und was waren die Worte, Señora?“
„Ich werde fie ewig im Gedächtniß tragen,”
jtöhnte die Frau. „Die Strafe Gottes hat Euch
erreicht, ſagte er mit hohler, geijterhafter
Stimme, „und feine Hand liegt auf diejem
Haufe — Glied nah Glied wird abfallen. Wehe
312
Euch — wehe!” und erbebend barg fie ihr Geſicht
in den Händen.
„Wer wohnt jest dort drüben, Bautiſta?“
frug jest Porfeirio, Tich zu diefem wendend —
„Geiſtliche?“
„Nein — Niemand — ich habe die Schlüſſel
noch nicht aus den Händen gegeben.“
„Sehr gut,“ nickte der General, „und könn—
ten wir nicht einmal einen Spaziergang hinüber
machen?“
„Gewiß könnten wir das — aber weshalb?“
„Das ſage ich Ihnen nachher — vielleicht
begleiten uns die Damen?“
„Ich kann die Schwelle nicht wieder Aber⸗
ſchreiten,“ rief die Señora entſetzt.
„Und dennoch bitte ich Sie darum,“ erwie—
derte der General, „denn es wäre doch möglich,
daß wir dort den Schlüſſel zu einem Geheimniß
fänden.“
„Den Schlüſſel zu einem Geheimniß?“
„Vertrauen Sie ſich mir getroſt an — ich —
habe einige Erfahrung in derlei Dingen, und
Sie ſelber brauchen Nichts zu fürchten. Außer—
dem iſt es ſehr zu wünſchen, daß Freund Bau—
tiſta das Haus nicht ohne alle Aufſicht läßt,
denn — doch davon ſpäter. Kommen Sie nur,
313
Sefiorita — ber Fleine Spaziergang wird Ihnen
ganz aut thun, und am hellen Tag fürchten Sie
ih doch wahrhaftig nicht, die Räume wieder zu
betreten, in denen Sie jo mande Nadıt ruhig
und ungeftört gejchlafen haben 2
Er lieg auch nit nad, bis fih die Damen
zum Ausgehen rüjteten — verlangte nur noch
von Roneiro ein Licht, das er entzweibrach und
in die Taſche ſteckte, und begleitete fie dann ohne
Meiteres hinüber in das altbewohnte Haus.
Unterwegs aber, als er dem erjten Officier be—
gegnete, beorderte er eine kleine Patrouille zu
dem Gebäude, , die dort unten an der Thür auf
feine weiteren Befehle warten jollte.
Roneiro öffnete indejjen unten, und die Señora
hing fich zitternd an des Generals Arm, der nur
Mühe hatte, fie zu berubigen. Sp jtiegen fie
die Treppe hinauf und erreichten jenes Zimmer,
in dem fie damals die furdtbare Erſcheinung
gehabt.
Porfeirio Diaz betrat es zuerft und warf
den Bli überall umher.
„Und wo erſchien der Mönch 9’
„port in jenem Vorhang.“
„Und die Thür bier war von innen ver—
ſchloſſen?“
314
„Ja, denn als ich unmittelbar darnach kam,
mußte jie erſt geöffnet werden, ehe ich inlaß
bekommen konnte.“
„Bueno — dann werden wir einmal ſe—
hen, was das benachbarte Cabinet birgt, denn
hier iſt er doch auch wahrſcheinlich wieder ver⸗
ſchwunden?“
„Allerdings!“
General Diaz frug Nichts weiter, betrat den
benachbarten kleinen Raum und ſah ſich aufmerk—
ſam darin um. Es war hier übrigens ziemlich
dunkel — ein vergittertes Fenſter führte aller—
dings auf den Corridor hinaus, ließ aber, mit
den Gardinen davor, nur wenig Licht herein.
Porfeirio zögerte auch nicht lange — er dachte
an ſeine Erſcheinung in dem alten Kloſter von
Puebla, zündete eins der Lichter an und begann
bei dem Schein deſſelben die Wände des kleinen
eichengetäfelten Gemachs auf das ſorgfältigſte
zu unterſuchen. Er brauchte nicht lange Zeit
dazu — in der einen Blume fand er einen eiſer—
nen Schieber, der jedenfalls einen Zweck haben
mußte, und als er etwa eine halbe Minute lang
daran probirt und gedrückt, wie geſchoben, fühlte
er, wie das ganze Getäfel ſich bewegte und
zugleich eine ſchmale, etwa vier Fuß hohe Thür
315
aufjprang, aus der ihm eine bumpfe, Fellerartige
Luft entgegenwehte.
‚Caramba,‘‘ rief Senior Roneiro, „was ijt
das ? — eine Thür hier, in dem Garderobe: und
Ankleidezimmer meiner Tochter!“
„Und ein Gang darunter,‘ lachte der Gene:
ral — „aber wir wollen bald dahinter fommen,
wohin er führt. Sie, meine Damen, jehen hier
aber, auf welche natürliche Weije die Erſchei—
nung, wie Sie glaubten, bei Ihnen eingetre-
ten und — troß der verſchloſſenen Thür wieder
verſchwunden ijt. Auf gleiche Weile fam in dem
Klojter, in dem ich in Puebla gefangen faß, ein
Mönd zu mir und mußte mich jehr gegen ſei—
nen Willen befreien, und es jollte mich gar nicht
etwa wundern, wenn Padre Zalogä auch bei
diejer Komödie die Hand mit im Spiel gehabt
hätte.‘
„Padre Zaloga?” rief die Sefiora erjtaunt.
‚Allerdings, und ein Schuft durch und durd),
nicte ber General, „den Labaſtida zu allen ſchmutzi—
gen Arbeiten gebrauchte und der nicht jelten noch
Thmußigere auf eigene Hand unternahm — aber
der hat wenigjtens feinen Lohn, denn es ijt der
Nämliche, den ich neulich, als wir ihn mit ver—
rätherifchen Briefen erwijchten, hängen ließ.‘
316
„O beilige Jungfrau!’ rief die Señora ent—
ſetzt — „einen Padre?“
„Wir haben keine Umſtände mit ihm gemacht,“
nickte der General; „aber jetzt wollen wir doch
einmal unterſuchen, wohin dieſer Gang führt
und mit welchem andern Hauſe er noch in Ver—
bindung ſteht. Dies war ein Franciscanerkloſter,
nicht wahr Bautiſta?“
„Es war dem heiligen Sebaſtian geweiht,
wurde aber von Franciscanermönchen bewohnt.“
„Ganz richtig, bueno — veremos —“ und
ſich über die Veranda nach dem Hof zu beugend,
rief er zwei von ſeinen Soldaten herauf, entzün—
dete die Lichter und ſtieg dann mit ihnen die
allerdings ſehr enge und verſteckte, aber doch be—
queme Treppe hinab. Unten fanden ſie noch eine
Auszweigung, der eigentliche Hauptweg führte
aber tiefer hinab in einen Keller oder einen tie—
fer gelegenen und ſehr niederen gewölbten Gang,
der etwa dreihundert Schritt in gerader Richtung
fortlief und endlich wieder eine Treppe erreichte.
Diejer auffolgend, kamen fie zu einer andern
verjchlofjjenen Pforte, an der fi aber auch ein
nod recht gut erhaltener, nur ein wenig roftig
gewordener Drüder befand, und als es ihnen
gelang, diejen, allerdings mit einiger Mühe, zu
“4
317
öffnen, ſahen fie fih in den jetzt öden und-un=
benüßten, weil verlafjenen Räumen des alten
Urfulinerinnenflofter8 am andern Ende ber näch—
iten Quadra.
Die Unterfuhung hatte eine reihliche Stunde
gedauert und Roneiro war ſchon ungeduldig
geworden. Die Damen füllten jedoch ihre Zeit
indeß jehr leicht damit aus, die alten Räume,
“in denen fih noch mande von ihren Sachen be—
fanden, einmal zu revidiren. Da ftellte ſich denn
die allerdings nicht angenehme Thatjache heraus,
daß einige ihrer Schränke gewaltjam geöffnet
und dann wieder in's Schloß gedrüdt waren.
Ob ihnen Saden fehlten, ließ ſich allerdings
nicht jo raſch bejtimmen, aber eine fremde Hand,
und zwar feinesfalls die eines Geijtes, war un:
zweifelhaft dabei bejchäftigt gewejen, und da man
dieje natürlich nur dort fuchen fonnte, wo bie
damals geglaubte Erſcheinung herrührte, jo fühl—
ten fih auch jelbjt die Damen über joldyen Ein—
griff in ihr Privateigentbum empört.
Endlich Fehrte Porfeirio von feiner Ent—
deckungsreiſe zurüd und berichtete, wo fie den
Ausgangspunkt gefunden hätten.
„Sehen Sie, Señora,“ ſagte er, dabei tief
aufjeufzend — „mit ſolchem Gejindel haben .
318
wir es bier zuthun, und nur den einzigen Troit,
daß wir das Unglüd mit vielen anderen Staa—
ten theilen. Dieje Klöfter find nur der Aufent:
baltsort von faulen und leider zu oft gefähr:
lihen Müfjiggängern. Eine Religion der Liebe
haben fie auf den Lippen, und Haß, Unfrieden
und nicht felten ſogar Sünde tragen fie in bie
Welt hinein. Und glauben Sie nun, daß Gott,
der Allwifjende und Gerechte, in ſolche Hände
die Kraft zu jegnen und zu fluchen legen würde?
Es iſt nicht gut denkbar, und wenn aud nidt
in allen Stüden, darin ftimme ich gewiß mit
Juarez überein, daß dieſe faulen Nejter von
der Erde weggefegt werben müſſen, damit eine
freiere, gejündere Luft über das Land wehe.“
„Aber wenn fie uns allen geijtlichen Troit,
alle kirchlichen Verrichtungen verſagen —“ Flagte
die Frau in Angſt.
„Sie werden gezwungen werden,“ ſagte
Porfeirio Diaz beſtimmt, „und wenn Freund Bau—
tiſta meinem Rath folgt, ſo läßt er hier vor
allen Dingen diefen Gang, dort wo er an der
Grenze ſeines Hauſes abſchneidet, zumauern, und
bis das geſchehen iſt, den Eingang hier oben
verbarrikadiren oder vernageln, und zieht dann
ruhig wieder in ſein Eigenthum. Ich garantire
‚319
Ahnen aud, daß Sie feine weiteren Erſcheinun—
gen haben jollen, weil die Geijter von jebt an
gezwungen werden, bie natürlichen Ein- und
Ausgänge zu benüßen — und das paßt ihnen
nicht, denn dabei Fönnte ihnen einmal der Rück—
zug abgejchnitten werden. Doch adios — id)
babe noch viel zu thun, da wir in den nächſten
Tagen Juarez erwarten, und bin noch nicht ein=
mal im Stand gewejen, jelbjt meine beiten Freunde
aufzujuchen.‘
„Waren Sie ſchon bei Rodriguez?’
„Nein, noch nicht; ich will aber noch heute
Abend oder doch ſpäteſtens morgen Früh zu ihm.
— Was ich Sie fragen wollte — O'Horan ging
ja wohl dort häufig ein und aus?’
„Allerdings, aber nicht Rodriguez zu Liebe;
er bewarb ſich vielmehr um ein junges, jehr
Hübjches und reiches Mäddyen — eine Verwandte
Kodriguez’, die jchon längere Zeit dort wohnt —
— San Blas.“
„Von Mazatlan?“ rief Porfeirio raſch.
„Allerdings.“
„Und iſt San Blas hier?“«
„Erſt kürzlich gekommen, ja.“
„Und der hätte ſeine Tochter dem Schurken
3230
geben können? Da find wir vielleicht noch ge—
rade zur rechten Zeit gekommen.“
„Ich glaube kaum, * ihn das Mädchen ge—
nommen hätte.‘
„Ich hoffe doch nicht, daß ihn Rodriguez bei
fich verftecht Hält?” rief Diaz, von einem plöß-
lichen Gedanken erfaßt, raſch. „Die Möglichkeit
ilt da, denn er ſcheint wie in den Boden hinein
verſchwunden, und bort iſt allerdings noch nicht
nad) ihm geſucht worden. Kehrt aber erjt Jua—
ve; hier nad) Merico zurüf und wird er dann
bei ihm gefunden, jo Fann es ihn in jchlimme
Berlegenheiten bringen.‘
„Es wäre ein verwünſchter Streich!” fagte
Roneiro — „wenn Sie nun einmal zu ihm gin—
gen und mit ihm ſprächen — ihn warnten? Er
fennt felber O'Horan nicht jo genau und läßt
ſich vielleiht aus Nüdjiht für San Blas zu
einem gefährlihen Schritt verleiten.‘
„Gut — dann werde ich ihn jetzt aufjuchen,”
nidte Porfeirio Diaz — „ich möchte ihn nicht in
Berlegenheiten bringen und — muß doch meine
Pflicht thun. Alſo, Señora, rihten Sie fih nur
auf meine Verantwortung bier wieder häuslich
in Ihrer alten Wohnung ein. Daß Sie von
Geiftererfheinungen nicht wieder beläftigt wer:
ori
den, dafür jtehe ich Ihnen, und follte es in an=
derer Meile gejchehen, jo wenden Sie ſich direct
an Juarez und Sie werben jehen, wie raſch er
Ihnen Hilfe Schafft. Das Reih der Pfaffen
in biejem Lande ijt zu Ende, und gebe nur Gott,
dag wir aud in anderer Hinficht einer Befjerung
entgegengehen !‘‘
* " *
In Rodriguez' Hauſe hatte die Familie ein
paar recht trübe Tage verlebt, denn die Nachricht
von des Sohnes Tod, fo ehrenvoll er auch immer
gefallen und jo wader er ji benommen, jchlug
ihnen eine tiefe Wunde. — Aber jelbjt der Kai—
fer hatte ja fterben müflen und ber Tod eine
furchtbare Ernte in dem jchönen Land gehalten
— durften fie da murren, daß der Unerbittliche
auch in ihren Kreis den Arm gejtredt? — Welche
Familie im ganzen weiten Reich war verjchont
geblieben? Faſt Feine von allen, die jie kann—
ten — eine jede hatte ihr Opfer bringen müjjen,
in biejer oder einer andern Art, und die Hand
des Schickſals lag jchwer auf dem weiten Land.
Sn jofern nur hatte die augenblidliche Situa—
tion eine Bejjerung erfahren, daß den Räuber:
banden, die fi bis dahin überall gezeigt, ein
Fr. Gerftäder, In Merico. IV.
322
Bormwand genommen war, bewaffnet das Land
zu durchziehen. Die Liberalen waren Sieger
und jegt die Herren im Neid, und unter ihrem
Banner konnten feine Plünderungen mehr geübt
werden, ja Porfeirio Diaz’ Schaaren madten
jogar mit einigen Horden, die fie trotzdem noch
abfingen, fo kurzen Proceß, daß die übrigen doch
iheu wurden und — wenn fie das Stehlen nun
einmal nicht lafjen fonnten, einen andern Schau:
plab ſuchen mußten, als die Straße zwiſchen
Merico und Vera-Cruz.
Señor San Blas beſchloß auch deshalb jeht
ſeine Reiſe nach der Küſte anzutreten, denn man
wußte ja gar nicht, wie lange dieſer, verhältniß—
mäßig ſichere Zuſtand dauern würde, Sein
Hausgepäck befand ſich ja noch außerdem in der
Hafenſtadt, und wenn er ſich jetzt mit einigen
Maulthieren einem der nach Vera-Cruz faſt
allwöchentlich ein paar Mal abgehenden Militär—
züge anſchloß, durfte er darauf rechnen, unter—
wegs nicht beläſtigt zu werden. Nur der Ge—
ſundheitszuſtand ſeiner Tochter ängſtigte ihn, und
er wußte nicht einmal recht dabei, ob er es
einem körperlichen oder geiſtigen Leiden zuſchrei—
ben ſollte.
Van Leuwen, der junge belgiſche Officier,
323
hatte nämlich wenige Tage vor ber Uebergabe
der Hauptjtadt ganz offen bei Ricarda’8 Vater
um bie Hand der Tochter angehalten, um die fid)
in der gleihen Zeit O'Horan bewarb, war aber
von San Blas in wohl jehr artiger, aber aud)
eben jo entſchiedener Weiſe abgewiefen worden.
Ban Leuwen gehörte allerdings, wofür er ihm
jelbjt hier die Beweiſe zu bringen ſich erbot,
einer reihen und angejehenen Familie in jeinem
Baterlande an, aber der Mericaner Hatte num
einmal eine Abneigung gegen alle Fremden,
und troßdem daß er recht gut fühlte, wie auch
feiner Tochter der junge Mann nicht gleichgiltig
ſei, konnte er doch das Vorurtheil nicht über:
winden und beging fogar die Unvorfichtigkeit,
die Werbung O'Horan's gegen Ricarda zu be:
fürworten.
Ricarda war außer jih — mit Abſcheu wies
fie die Berbindung mit einem Mann, den fie —
wenn fie auch feinen Grund dafür angeben fonnte
— aus voller Seele haßte, zurüd, und gerieth
dabei in eine ſolche Aufregung, daß fie Krämpfe
befam, und jo wohl zwölf Stunden in einem
nicht unbedenflidhen Zuſtand verharrte. Davon
hatte jie ſich jett allerdings wieder erholt, aber
jie blieb jeit der Zeit bleich und im ſich gefehrt,
21*
324
ja jelbjt theilnahmlos gegen Alles, was fie um:
gab, und der Vater, der mit voller Tiebe an ſei—
nem Kinde hing, hoffte jeßt nur noch von einem
Scenen= oder Luftwechjel Heilung für das jchwere
Leid, das auf ihrem Herzen lag.
Ban Leumwen felber betrat, nach der Abwei—
Jung, Rodriguez’ Haus nicht wieder, und vermied
es auf das forgfältigjte, ſelbſt Ricarda zu be
gegnen. Er hatte fih auch überhaupt nod nit
volljtändig von feinen Wunden erholt, und als
die Fremdenlegion, oder vielmehr die fremden
Regimenter, unmittelbar nad) der Capitulation,
Erlaubniß und zugleich Befehl erhielten, gegen
Puebla abzumarjchiren, verwandte fich jeim Arzt
für ihn bei Porfeirio Diaz, der e8 gern bewils
ligte, daß er wenigſtens noch acht oder zehn Tage
in Merico bleiben durfte, um fich erjt zu kräf—
tigen. Nachher Fonnte er dann den Seinigen
folgen, die ja auch bald darnach, auf Befehl des
PBräfidenten, in Puebla internirt wurden und
jest dort noch immer auf deſſen weitere Befehle
warteten.
Aber auch von O'Horan wurde Ricarda nidt
weiter beläjtigt, denn jhon während die Unter:
handlungen über die Uebergabe im Werke waren,
fam er noch einmal zu Can Blas, hatte mit
—
een:
* I Toni “
“
325
biefem eine geheime, aber jehr haſtige Unter:
rebung und blieb von dem Augenblid an, ebenjo
wie Marquez, mit dem er überhaupt jehr häufig
zufammen gewejen, vollftändig verſchwunden.
Die Tage vergingen indefjen den Bewohnern
der Stadt merkwürdig ftil. Sie waren gewohnt
gewejen, den ewigen Kanonendonner draußen
und das Einſchlagen der Kugeln im Innern,
durch die Straßen Flappernde Cavallerie-Maſſen,
Trompeten-Gejchmetter und Trommel-Rafjeln zu
hören. Sebt plöglid war Alles ſtill — bie
Soldaten der Liberalen, die ſehr jtreng unter
Aufſicht gehalten wurden, befam man fat gar
nicht zu jehen, und es gab Stunden am Tag,
in denen die Stadt wie ausgejtorben lag.
Es war heute jo. In der ſonſt jo belebten
Galle San Francisco ließ fich fait Fein Menſch
jehen — nur ein paar Leperos fchlenderten da
und bort hinab, denn jie fühlten fich jetzt ficher,
daß fie nicht mehr aufgegriffen und mit einer
Musfete in der Hand gegen den Feind gejchidt
wurden.
Die Familie Rodriguez hatte ſich in dem
Salon verfammelt, denn Bajtiani, der alte Freund
des Haujes, der jelber nad) Queretaro gereift,
um dort Genaueres über die ftattgehabten Vor-
326
gänge zu erfahren, war zurückgekehrt und be—
richtete die einzelnen Umftände von des Kaifers
Tod, wie edel er ſich noch benommen, wie helden—
müthig er jeinem Schidjal die Stirn gezeigt,
und wie wahr und aufridhtig er von den Be:
wohnern Queretaros betrauert werde.
Die Frauen bejonders lauſchten den Worten
mit der größten Aufmerfjamfeit und Thränen
Itanden in Ricarda’s Augen. Da öffnete einer
der Diener die Thür und meldete: „Señor Lucido.“
„za ihn eintreten, muchacho — laß ihn
eintreten!’ rief Rodriguez, „wozu denn nur bie
Anmeldung — Du weißt doc, wie befreundet
wir jind.’’
Er hatte noch nicht ausgeſprochen, als ber
Diener zurüdtrat und jtatt bes Erwarteten Mau:
ricio Lucido auf der Schwelle ſtand.
„Buenos dias Senoritas y caballeros!’ fagte
der Eintretende, nach allen Seiten freundlich und
zutraulich grüßend, indem er den Hut, den er
noch in der Hand hielt, gegen die Damen
ſchwenkte. „IH Tann Shnen gar nicht fagen,
wie ich mich freue, Sie nach fo langer Zeit ein-
mal wieder zu jehen. Wie geht es Ihnen Allen ?“
Todtenftille herrichte in dem Raum — Nie:
mand rührte fich, nur Ricarda war, ihren Augen
327
faum trauend, von ihrem Sitz emporgefahren.
Mauricio jelber jchien das aber gar nicht zu
bemerfen, denn mit jeiner jelbjtgefällig lächelnden
Miene fuhr er fort: „Das war allerdings eine
böfe und jchwere Zeit, aber wir haben die ver—
malebdeiten Franzoſen wenigftens aus dem Land
gejagt und diejen deutſchen Kaiſer, der fich bier
ein Recht über freie Mericaner anmaßte, durd)
ein halb Dutend Kugeln zur Raifon und zur
Ruhe gebracht, und jetzt wollen wir einmal Den
jeben, der e8 wieder wagen wird in’s Land zu
fommen, wenn wirihn nicht darin haben wollen.
Caramba, den Spaß in Queretaro hätten Sie
mit durchmachen jollen — Señor Rodriguez, ich
freue mich herzlich, Sie begrüßen zu Fönnen,
und er reichte dabei dem alten Herrn die Hand,
der jo verblüfft über das Ganze war, daß er fie
ihm nicht weigerte.‘
„Sieh da!” fuhr jet der unverwüſtliche
Mauricio, indem er fih im Kreis umjah und
Nicarda bemerkte, fort — „da finde ich ja aud)
nocd eine alte Befannte, Dofia Ricarda — como
esta Senorita! Wenn Sie wühten, wie ich mich
darnach gejehnt habe, Sie wieder begrüßen zu
dürfen !’
Ricarda hatte ihr Auge feſt auf ihn gerichtet,
328
aber Feine Muskel ihres Angefichts rührte jich,
und ihre Augenjterne bligten und funfelten ihn
an, als ob fie ihn damit durchbohren wollte.
Mauricio ſchien das Alles aber nicht zu fühlen,
oder abjichtlich zu ignoriren, denn mit lächelnder
Miene begrüßte er jeßt die übrigen Damen,
bis ji) Rodriguez doch endlich jo weit von feinem
Staunen erholte, daß er eine Trage an ihn richtete:
„aber Don Mauricio! — wo fommen Sie
ber? — Wo waren Sie jo lange?’
„Ich?“ jagte der junge Mann vergnügt, „bei
Juarez natürlid — etwas wie Geheimfecretär
und völlig im Vertrauen des Präfidenten, zus
gleich aber auch Obrift bei den Truppen —
hatte eine bejondere Guerillafchaar unter mir —
prächtige Jungen, Cara — Caramba, nur ein
bischen wild!’
„Und jetzt?“
„Da wir nun fiegreich in die Hauptjtabt ein=
gerüct find, hat mir der Bürgerpräjident, in
Anerkennung meiner Berbienjte um bie gute
Sache,” fagte der junge Mann ftolz, „die Prä-
fectur in Tejalisfa, der zweitgrößten Stadt Du—
vangos, gegeben, und ich bin nur hierhergekom—
men, um meine Familie einmal wieberzujehen
und meine Gejchäfte zu arrangiren.‘
329
„sn der That? — eine Präfectur?“ ſagte
San Blas, dem Señora Rodriguez leije und
raſch die früheren Erlebnifje des jungen Herrn
zugeflüftert, „das muß ich gejtehen. —“
„Und warum nit?” frug Mauricio, ihm
den Kopf zuwendend, „ab, Don Rodriguez, mit
wem habe ich dort die Ehre?’
„Sehor San Blas aus Mazatlan — Bater
der Señorita —“
„Ah, wirklich? ſehr angenehm, verehrter
Herr, in Ihnen den Vater einer ſo liebenswür—
digen Tochter kennen zu lernen; doch was fin—
den Sie darin Auffälliges? Wir, die wir auf—
richtig und treu an der Sache des Vaterlandes
gehangen haben, müſſen doch auch jetzt, da uns
der Sieg geworden, dafür belohnt werden, wäh—
rend man natürlich die kaiſerlichen Beamten und
Verräther über Bord wirft. Der Staat braucht
jetzt tüchtige und ehrliche Kräfte, um ſich von
ſeinen langen Leiden zu erholen.“
„Und deshalb hat man Sie zum Präfecten
gemacht, Mauricio?“ ſagte Baſtiani, der bis da—
hin etwas abſeits geſtanden, trocken.
„Ah, Señor Baſtiani!“ rief Mauricio, der
raſch den Kopf dahin drehte und die Worte über—
hört zu haben ſchien — „amigo mio, wie freue
330
ich mich, Sie wieder begrüßen zu können,“ und
er trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand.
Der alte Baftiani legte aber die feinigen, ohne
die Bewegung zu beachten, auf den Rüden und
fagte ruhig:
„Die Freude ift dann jedenfalls eine aus—
Ihliegliche, Setor, denn id) empfinde nicht das
Geringfte davon.‘
„Seior! fuhr Mauricio auf, ber dieje
Andeutung nicht falfch verftehen fonnte, „was
wollen Sie damit jagen ?’
„Für den Augenblick,“ erwiederte der alte
Herr ernjt, „und in dem Haufe des Señor Ro—
driguez gar nichts; wünſchen Sie aber wirklich
zu wiffen, was ich über Sie denke, Señor, dann
fann das vielleicht unten auf der Straße ge—
Ichehen, denn ich hoffe wenigftens, daß Sie mein
Haus nicht mit Ihrem Beſuch beehren werden.”
„Caramba — das iſt ſtark!“ rief Mauricio,
doch außer Faflung gebracht, und jih in feiner
Verlegenheit an Ricarda wendend, riefer: „Has
ben Sie ſchon etwas Nehnliches gehört, Señorita?“
„Gehört ja,” — erwiederte aber die junge
Dame, fih hoch emporrichtend, „doch nody nie
eine ſolche Frechheit gejehen, daß ein Straßen
räuber e8 wagte, das Haus achtbarer Leute zu
331
betreten, während er genau weiß, daß jie ihn
fennen und — verachten.‘
„Señorita!“ rief Mauricio, und feine Augen
funfelten in verbaltener Wuth, der er aber doch
feinen ‚weiteren Ausdrud zu geben wagte —
„alſo das nennen Sie Straßenraub, wenn fich
wacere Batrioten zufammenjdhaaren, um bie
frechen Eindringlinge und Feinde des Landes zu
vernichten? Das nennen Sie Straßenraub, wenn
diefe Märtyrer der Freiheit —“
„Koffer plündern und jelbft den Damen
Schmud abnehmen,” unterbrady ihn mit tiefer
Stimme Baltiani.
„Señor Rodriguez!’ rief Mauricio halb außer
fich, „dulden Sie, daß man in Ihrem Haufe —“
‚Meiner Seel’, Señor,“ ſagte aber jelbit
der alte gute Rodriguez acdjelzudend — ‚Sie
waren thöricht, dies Haus wieder zu betreten. Ich
hoffe, Sie reifen bald nad, Tejalisfa, wie?“
Mauricio warf einen Blid im Kreis umber.
In allen Familien, die er bis jett aufgeſucht,
war er, als Lucido's Sohn, auf das zuvor:
fommendite empfangen worden, und Niemand
hatte auch nur eine Andeutung auf frühere Kleine
Unannehmlichfeiten, dem Präfecten von Tejalisfa
gegenüber, gewagt — und hier? — aber er fühlte,
332
daß gerade bier, wo er früher Verjäumtes wieder
gut zu machen beffte, jeine Rolle ausgefpielt jei,
und mit einem jtolzen Blick im Kreife umber,
der aber leider feine Anerkennung fand, blieb er
noch einen Moment ftehen, drehte fich dann um
und verließ, den Kopf erhoben, ohne weiteren
Gruß den Raum.
Sein Abgang erlitt aber noch eine Störung.
Er hatte mit voller, vernichtender Würde dieſe
Geſellſchaft verlaſſen wollen, wie er aber nun
die Thür öffnete, trat ihm der General Por:
feirio Diaz entgegen, und vollfommen aus ber
Rolle fallend, grüßte ihn der „freie Republi—
kaner“ auf das unterthänigfte. PBorfeirio Diaz
war jeßt der — man Fonnte recht gut jagen —
beliebtejte Mann im Rei, ja hier in Merico
zweifelte jogar Niemand daran, daß er bei ber
nächſten Präfidentenwahl die Stimmenmajorität
befommen würde.
Porfeirio Diaz nahm übrigens jehr wenig
Notiz von ihm Er warf nur einen flüchtigen
Blick auf den an ihm Vorbeigleitenden, und trat
dann, herzlich begrüßt von Allen, in den Salon,
während Mauricio, heimlich die Zähne zuſammen—
knirſchend, die Treppe hinab eilte und fich in
333
den Sattel des unten am Haufe angehangenen
Pferdes ſchwang.
‚General Diaz — Caramba!’ rief Bajtiani,
ihm entgegen eilend und ihm die Hand reichend
— ‚‚wie lange haben wir einander nicht gejehen!
Wie geht's, hombre — jchwere Zeiten durch—
gemadt, wie?”
„Schwere Zeiten, Baſtiani,“ ſagte der Ge:
neral herzlich; ‚wie geht’8 Rodriguez? San
Blas! alter Freund! ſehen wir uns auch einmal
wieder? GSenoritas, ich hoffe nicht, dag ich Sie
ſtöre.“
„General,“ ſagte Rodriguez treuherzig —
„Sie ſind in jedem Haus willkommen, und
doppelt hier, unter alten Freunden.“
„Wer war der junge Mann, der da an mir
vorüberfuhr? Er ſah auffallend blaß aus.“
„Der junge Lucido, der hier wegen Straßen—
raub eingefangen wurde,“ ſagte Baſtiani trocken,
„dann entfloh und jetzt mit Juarez als Präfect
von Tejaliska zurückkehrt. Die Stadt kann ſich
gratuliren — und der Staatsſchatz auch.“
Porfeirio Diaz zuckte mit den Achſeln. „Mein
lieber Baſtiani,“ ſagte er lächelnd, „wenn Sie
verlangen, daß alle unſere Beamten ehrliche
Leute ſein ſollen, ſo würden Sie ſehr viele
334
Stellen unbeſetzt laſſen müſſen. Die ewigen Revo-
Iutionen haben unjer junges Volk demoralifirt,
und wir brauchen lange Jahre der Ruhe, um das
wieder auszugleichen — do, Rodriguez, amigo,
ich möchte nur zwei Worte mit Ihnen unter vier
Augen ſprechen — nur eine Trage an Sie rid:
ten, denn meine Zeit ijt beſchränkt.“
Rodriguez Schritt mit ihm zu einem entfernten
Fenſter, und er fuhr hier leiſe fort: „Wiſſen
Sie, wo fih O'Horan aufhält?‘
„Der Präfect? — nein,‘ lautete die ruhige
Antwort.
„Er hat fich alfo nicht bei Ihnen verborgen,
amigo!?’.
„Bei mir? Wahrhaftig nicht. Aber was haben
Sie gegen ihn? Fit denn nicht Schon genug Blut
gefloſſen?“ |
„O'Horan ijt ein nihtswürdiger Schurke,‘
lagte Diaz, ‚ein Verräther an beiden Theilen.
Er hat —“
„Wenn das ift, lieber General,” unterbrad
ihn Rodriguez, mit einem Blick auf San Blas,
„dann bitte, jagen Sie, was Sie zu jagen haben,
laut. Sie find hier unter Freunden, und —
mir liegt viel daran, daß gerade San Blas ba
drüben erfährt, was Sie zu jagen haben. Er
330
hält viel von O’Horan und hätte ihn jogar gern
in feine Familie aufgenommen.”
„Den Schurken?” rief Porfeirio. — „Aber
Sie haben mid, jeßt beruhigt,” ſetzte er laut
hinzu, „und ich kann Ihnen nun auch jagen,
weshalb ich wünjche, auf die Spur dieſes Buben
zu fommen. O'Horan hat nicht allein, als er
Präfect in Tlalpam war, zwölf Liberale Morgens
überfallen und nur deshalb hängen lafjen, weil
er fürdhtete, daß jeine eigenen Umtriebe dem
Kaifer zu Ohren fümen, ſondern auch den Un—
ſeren wieder während ber Belagerung fortwährend
genaue Kunde gegeben, wann und wo die Bejaßung
einen Ausfall beabjichtigte, jo daß wir die leßtere
jedesmal mit blutigen Köpfen zurüdweijen fonn=
ten. Wir haben allerdings feinen Verrath be-
nüßt, aber dem Berräther troßdem nicht jeine
übrigen Verbrechen vergefjen. Sch glaube kaum,
daß es, jelbjt Lopez und Marquez nicht ausge=
nommen, einen nichtswürdigeren Halunfen in
Merico giebt, als diejen O'Horan. Doc, lieber
Rodriguez — Señoritas, ih muß fort. — Es
ift Schon jpät geworden — Apropos! ich Fomme
eben aus Roneiro’8 altem Haus. Haben Gie
einmal von der dortigen Geijtergejchichte ge=
hört?“
336
„Bon der Erſcheinung? gewiß!” rief die
Señora, „hat fie ſich wiederholt %
„Das nicht,’ lachte Porfeirio Diaz — „aber
wir haben die geheime Thür gefunden, die durch
einen verſteckten Gang das Urfulinerinnenflofter
mit bem ber Sranciscaner verbindet; und gerabe
dieſe Thür liegt in dem Gabinet, in dem fich ber
angebliche alte Prior des Klofters gezeigt und
feine Mummerei abgejpielt hat. Nun, den Herren
ift das Handwerk jett gelegt und fie werden —
wenigjtens in Roneiro's Haufe, gewiß nicht wies
ber Geijter und Verſteckens ſpielen.“
Borfeirio Diaz hatte hierauf das Zimmer ver—
lafien, und San Blas, der jchweigend feinen
Worten gelaufcht, ſagte endlich:
„Giebt e8 denn noch einen Menjchen hier in
ganz Merico, dem man trauen Fönnte? it es
denn nicht entjeßlih, daß unjer Volk derartig
gefunfen ift, und dürfen wir es den Fremden
verbdenfen, wenn fie die Achjeln über unjere Zu—
ftände zuden ?'
„sh wußte es, Vater,‘ jagte Ricarda, ſich
an ihn ſchmiegend, „Sein Geſicht, fein jcheuer,
ewig ausweichender Blif Fonnte nicht lügen;
D’Horan war ein böjer, ſchlechter Menſch; ich wäre
397
mein ganzes Leben unglüdlic ‚mit ihm geworden
— und Du wollteit es haben, Vater.“
San Blas nidte jelber, traurig zujtimmend,
mit dem Kopf. — „Wer fonnte e8 denken,‘ jagte
er — „mer konnte es denken! — aber ich made
es gut, Ricarda — ich werde Dir nie wieder im
Wege ſtehen.“
„Nie, Vater?“ jagte Ricarda bewegt; ehe
aber San Blas Etwas darauf erwiebern Fonnte,
öffnete ein Diener die Thür und bat Señor Ro—
briguez, einmal in jein Zimmer hinüber zu
fommen — e8 ſei ein Herr bort, der ihn zu
ſprechen wünjche.
„Ein Herr? — drüben in meinem Zimmer?
Mer ijt e8 und weshalb fommt er nicht herein?’
„Sr — bat mid, den Señor nur zu rufen.”
Rodriguez ging Eopfichüttelnd hinaus —
draußen auf dem Eorridor ftand van Leumen,
ſtreckte ihm die Hand entgegen und fagte be—
wegt:
„Señor, ich wollte dieſe Stadt — diejes Land
nicht verlafjen, ohne wenigitens von Ihnen, in
deſſen gaftlihem Haufe ich jo viele frohe Stun:
ben verlebte, Abjchied genommen und Ihnen
nochmals von Herzen dafür gedankt zu haben.‘
„Mein lieber guter Hauptmann,‘ „teste Ro⸗
jr. Gerſtäcker, In Mexico. IV.
338
briguez freundlich — „aber weshalb fommen Sie
nicht herein 2
„Ich wollte Sie bitten, den Damen nachher
meine Grüße auszurichten, Sie wifjen, was —“
„Sie find voljtändig geheilt ?’' jagte Rodri—
guez, der ihn genau und forjchend betrachtet hatte.
„Wenigſtens jo weit, um uigefährbet den
Mari antreten zu können. Sch habe ein gutes
Pferd und hoffe die Freunde bald einzuholen.”
„Und find Sie gezwungen, heute abzu-
reijen 2‘
„Sezwungen? — Nein — General Diaz bat
ih jo anjtändig gegen uns Alle benommen,
baß von Zwang, bejonders den Verwundeten
gegenüber, gar feine Rede ijt — aber mid) drängt
e8 jelber fort — der Heimath wieder zu.‘
Rodriguez jah ihm ein paar Secunden ernft
in’8 Auge, dann nahm er plöglich jeimen rechten
Arm und jagte:
„Kommen Sie einmal mit.’
„Wohin, Señor?“
„Kommen Sie nur mit — meiner Frau we—
nigjtens dürfen Sie nicht jo davonlaufen —“
„Ich wünſchte Niemandem mehr läjtig zu
fallen,‘ Jagte van Leuwen zögernd. Rodriguez ließ
aber gar feine Einwendung gelten, jondern zog
339
den jungen Mann, mehr als biefer eigentlich
freiwillig ging, in den Salon hinüber. Dort
öffnete er auch ohne Weiteres die Thür, und
ihn vorjtellend rief er:
„Sefioritas, ein junger Mann, ber treu bei
feinem wadern Kaiſer ausgehalten und fein
Blut bier im Land vergofjen hat, will Merico
wieder verlajjen. — Er fol aber nicht daheim
erzählen Fünnen, daß die Partei der Liberalen
ben Kaiſer erjchoffen habe und wir Anderen
uns diejer dann wieder ohne Weiteres zugeneigt
und denen den Rüden gewandt hätten, mit denen
wir früher befreundet gewejen. Nehmen Gie
wenigjtens die Verficherung mit fi, Señor, daß
brave Männer bier in Merico auch Ihrem
braven Kaijer ein warmes und treues Andenken
bewahren, und dabei recht gut fühlen, was er
gewollt hat und weshalb er e8 leider nicht aus—
führen konnte.“
Ban Leuwen börte faum, was er |prad, jein
Auge war Ricarda’s DBli begegnet, und wie
gebannt jtand er an der Schwelle. Oh, er hatte
jie ja nicht wiederſehen — fih und ihr den
Schmerz, die Bein der Trennung erjparen wollen,
und troßdem fegnete er jetzt den Augenblid, der
ihm noch einmal, und wenn es auch das letzte Mal
. 22*
340
fein jollte, gejtattete, in ihre treuen guten Augen
zu ſchauen.
San Blas hatte indefjen ebenfalls geſucht
dem Auge der Tochter zu begegnen, aber ſie
wandte jih ihm nicht zu; mit Halbgeöffneten
tippen, mit erniten, faſt wehmüthigen Bliden
bing Ricarda an der edlen Gejtalt des jungen
Mannes.
„Señoritas — Señor San Blas,“ jagte er
endlich mit leijer Stimme — „es war nicht mein
Wille, Sie nohmals zu beläftigen ; Senior Ro—
briguez mag mir bezeugen, daß er mich — halb mit
Gewalt — bier hereingeführt. Und doc) bin ich ihm
dankbar dafür,‘ fette er fajt noch Teiler Hinzu,
„denn er giebt mir dadurch Gelegenheit, aud
Ihnen, Seiiora, ein leßtes Lebewohl zu jagen und
— Ahnen für das Wohlwollen zu danken, mit
dem Sie einen armen Fremden in Ihr Haus
aufgenommen. Ich reite morgen nad Puebla,
um mich dort unjerem Zug anzufchliegen und
in Vera-Cruz das Schiff zu erreihen, das mid)
der Heimath wieder entgegenführt. Leben Sie
wohl und — bewahren Sie mir ein freundliches
Andenfen, denn — jeien Sie verfihert — meine
Gedanken werden oft bei Ihnen weilen, und nie
werde ich die — glücklichen Tage vergejjen, die
341
ich in Shrer Mitte verlebt.” — Noch einmal
wandte er ſich zu Rodriguez und jchüttelte ihm,
gegen das in ihm aufjteigende Gefühl ankämpfend,
tiefbewegt die Hand.
Ricarda war Schon lange von ihrem Stuhl
aufgejtanden und langjam, während er jpradh
und wie von einer inneren Gewalt getrieben, um
den Tiſch herumgeſchritten. Jetzt jtand fie neben
ihm — vor ihm, den DBlid aber zu Boden ge—
jenft, "und während ihre Farbe rafch wechfelte,
jeßt ſchwand, -jeßt wiederfam, jagte fie leije, mit
faum börbarer Stimme:
„Mnd Sie wollten fort von bier, Seüor —
fort, ohne mir auch nur die Hand zum Abſchied
zu reichen ?'’
„Señorita,“ bat van Leuwen, und ein tiefer,
Ihmerzlicher Seufzer rang fi) aus feiner Bruft
— ,‚wenn ich mir diefes Glück verjagte —
‚Mein Vater,” unterbrad) ihn da das junge
Mädchen, ohne aber noch den Blick, jelbjt nur
auf einen Moment, zu ihm zu erheben, „hat mir
furz vorher, ehe Sie famen, oder vielmehr in
demjelben Augenblid, ein Verſprechen gegeben
und — darauf hin wage ich es, Ihnen ein An—
denfen anzubieten.‘
342
„Ein Andenken, Señorita — und glauben
Sie, daß es deſſen bedürfe?“
„Laſſen Sie mich ausreden,“ ſagte fie, indem
fie wie abwehrend die Hand gegen ihn hob und
dann langjam und gebanfenvoll den nämlichen
goldenen Reif, vom Finger zog, den er jelber
ihr damals zurüdgebradt; „kennen Sie diejen
Ring? — nehmen Sie das —“
„Señorita —“
„Aber es knüpft ſich eine Bedingung daran,“
fuhr das junge Mädchen jetzt tief erröthend fort,
„ic habe, als ich den Reif aus Ihrer Hand
zurüd erhielt, einen heiligen Schwur bei mir
jelber gethan, mich nie wieder von dieſem Kleinod
zu trennen, und — wenn Gie den Ring neh:
men — jo — müjjen Sie mid — jelber mit-
nehmen.”
„Ricarda!“ rief van Leuwen in höchſter Auf:
regung und jeinen Sinnen faum trauend aus.
„Ricarda! rief aber auch der Vater, „was
thuſt Du?“
„Das Einzige, Vater,“ fagte da die Jung—
frau, fi hoch und ftolz emporrichtend, „was ich
tbun fann, um uns Beide nicht elend für ein
ganzes Leben zu lajjen. Dein Wort hab’ ich,
und wie ich weiß, daß dies brave Herz in treuer
343
und wahrer Liebe an mir hängt, jo brauche auch
ich mich der Neigung nicht zu ſchämen, die mich
zu ihm zieht. Dein bin ich, Guillelmo, für mein
ganzes Leben — willjt Du mich haben?’
„Ricarda I” jauchzte da van Leuwen in voller
Seligfeit empor, „mein, Mädchen, mein ?’'
„Dein für immer!“ hauchte die Jungfrau und
neigte, während er jie im jubelnder Luft um—
ſchlang, ihr Haupt an feine Bruft.
Rodriguez rieb fich vergnügt die Hände. ‚Das
iſt geſcheidt,“ rief er aus, „ich habe es dem ar:
men Ding an den Augen angejehen, wie fie fich
gegrämt und gehärmt hat, und doch ift nie eine
Klage über ihre Lippen gefommen, und daß fie
den Schuft, den O'Horan, nicht wollte, Tann ihr
wahrhaftig Niemand verdenfen.‘
„Und fort aus Merico,” bat da das junge
Mädchen, noch immer an der Bruft des Geliebten,
„Tort aus dem Land des Bluts und der Verrätherei
— jeine Berge find ſchön, und blau ijt fein
Himmel, aber fein Boden ijt roth gefärbt und ich
jehne mich nach Frieden.‘
* El > na [ [ 1 >= i
13.
5ch Lu.
Glückliche Menſchen waren es, die an dem
Abend um Rodriguez' Tiſch verſammelt blieben,
denn San Blas, wenn er auch halb im Ernſt,
halb im Scherz meinte, ſeine Tochter hätte ihn
ſo raſch nicht beim Wort zu nehmen brauchen,
mochte doch auch fühlen, daß er durch ſein Jawort
das Glück des einzigen Kindes begründe), und
da er jelber gejonnen war Merico zu verlafien,
blieb es jih dann ziemlich glei, ob er nad)
Spanien oder Belgien 309.
Nicht jo friedlih und im Herzen froh und
glücklich verbradhte eine andere Familie, in ber
Berlängerung der nämlihen Straße,*) diejen
*) Die Straßen von Merico wecfeln ihre Namen von
einer Ede zur andern und erbalten dadurch — während
fie ſchnurgerade Die ganze Stadt durchziehen, ojt 12—14 ver-
ſchiedene Benennungen.
345
Abend, und zwar Don Pedro Gaspardb, ber
frühere Hoffrijeur. Erſtens hatte er heute —
um Unannehmlichfeiten zu vermeiden — ſein
Schild abnehmen müfjen, damit er jeinen Titel
davon entfernen Fonnte, dann wieder einmal einen
heftigen Auftritt mit feiner wohl fehr jchönen,
aber auch jehr reizbaren jungen Frau gehabt,
und drittens — nod) das Schlimmfte von Allem
— eine jehr unangenehme Nachricht erhalten.
Die bedeutende Waarenjendung nämlich, die
er jchon vor längerer Zeit von Europa vers
Ihrieben, war allerdings von dort gleich ab=
gegangen und in Vera⸗Cruz angekommen. Die
Verhältniſſe hatten ſich aber indeſſen ſchon ſo
geändert, daß man die Güter, auf denen eine
bedeutende Steuer laſtete, nicht mehr zollfrei unter
dem Namen der in Europa kranken Kaiſerin
abgeben wollte. Don Pedro ſollte die Steuer
-bezahlen, weigerte ſich und wandte ſich deshalb
an das kaiſerliche Cabinet. Von dort erhielt er
aber die Antwort, daß die Regierung keineswegs
beabſichtige, eine Parfümeriehandlung anzulegen,
alſo auch von ſieben großen Kiſten mit Pomaden,
Haarölen und ſonſtigen Parfümerien keinen Ge—
brauch zu machen wiſſe.
Don Pedro nun, ſelber knapp an Geld, ließ
346
die Waaren monatelang in Vera-Cruz liegen,
denn die Steuer betrug mehr ald der Werth ber:
felben, bis er endlich von dort Nachricht befam,
daß man bie Güter verauctioniren würde, wenn
er fih nicht bald darüber enticheide. — Was
follte er tbun? — Die Saden Eojteten ihn we—
nigftens Nichts, da fie auf den Namen der Kai—
ferin bejtellt waren — er gab Auftrag, fie in
Vera-Eruz für ihn zu verzollen, erhielt aber dabei
zugleih die Rechnung für die Seefracht, und
hatte jet auch noch die enormen Transportkojten
von Vera-Cruz nah Merico, die ihm jeßt eben=
falls nicht gejhenft wurden — und alles das
trug früher die Faiferliche Kaſſe.
Ein Unglüf fommt aber nie allein. Wie er
Ihon glaubte, daß nun Alles in Ordnung wäre,
erhielt er an dem nämlichen Abend die Nachricht,
die Kijten wären allerdings in Merico angefom:
men, eine berjelben aber auf dem Transport
unterwegs durch Umjchlagen der Fuhre geborjten
und etwa um ihren halben Inhalt geplündert wor—
den, und dann — ba bie Franzoſen früher Be—
ſchlag auf die Douane in Vera-Cruz gelegt, müfle
er auch bier die jämmtlidhen Waaren noch einmal
verzollen. Morgen Früh um eilf Uhr ſolle er
347
nur auf die Steuer fommen, um bort Alles in
Augenjhein zu nehmen und zu reguliren.
Don Pedro gerieth in Verzweiflung: die Kai—
ferin war nach Europa gegangen und bort ſter—
bensfranf oder gar wahnfinnig geworden —
denn in Merico erhielt man bejjere Nachrichten
als oben in Queretaro — den Kaijer hatten fie
ermordet — die ganze Monarchie wieder über
den Haufen gejtürzt und den früheren Hofitaat
natürlich gründlich mit ausgefegt — was jollte
da aus dem Hoffrifeur werden! In Schulden
ſtak er außerdem bis über die Ohren.
Don Julio lehnte in der Ede und ſchliff,
aus Mangel an anderer Bejchäftigung, feine
Mefjer. — Oben auf dem einen Balcon des
Hauſes jtand die junge Señora Gaspard, und-bie
Straße herunter fam ein Sambo, jehr anjtändig
gekleidet und mit einer großen rothen Roſe vorn
im Knopfloch, und warf den Blick Hinauf. Die
Señora nahm ihr weißes Taſchentuch und ließ
es einen Moment berunterhängen, dann trat fie
in die Stube zurüd, und der Sambo, ohne fidh
weiter umzufeben, ging unten in den Raben, wo
er Don Pedro juft mit dem nur mit feiner
Arbeit befhäftigten Don Julio eifrig geſticu—
lirend fand.
348
Etwa vierzig Schritte Hinter ihm kam eim
junger Gaballero die Straße herab — er jdritt
an dem offenen Laden vorüber, ſah hinein, ver—
folgte feinen Weg nod etwa zwanzig Ecdhritte,
drehte wieder um, paffirte den Laden zum zweiten
Mal mit abgewandtem Kopf, und jchlüpfte dann
raſch in die Hausthür hinein, an der gerade: der
Riegel zurüdgefchoben wurde,
„Rafiren, Señor?“ frug Don Julio im La⸗
den und betrachtete ſich den Burſchen, der ihm
ſo merkwürdig bekannt vorkam, wenn er ſich auch
nicht gleich erinnern konnte, wo er ihn wohl ge—
ſehen haben mochte.
„Ja, Compañero,“ nickte der Sambo, indem
er nach ſeinem Bart griff — „aber paciencia —
nur einen Moment — ich möchte erſt gern et—
was Geſchäftliches abmachen. Señor,“ wandte
er ſich dann an Don Pedro — „haben Sie
Waarenvorrath genug, um mir einen kleinen La—
den für das Innere herzurichten? — aber ich
brauche ziemlich viel und Sie müßten mir ver—
nünftige Preiſe ſtellen.“
„Señor,“ rief Don Pedro, denn da öffnete ſich
eine ungeahnte Einnahmequelle, „werden ſowohl
mit meinen Waaren wie Preiſen zufrieden fein.
Aber was wünjden Sie? — Id habe eben
349
friſche Kiſten befommen, die noch auf der Steuer
liegen, die ich aber morgen Früh jchon frei machen
Tann. Ich bin im Stande, Ihnen damit ſechs
Laden einzurichten.’
„Das paßt vortrefflic,‘ nicdte der Sambo,
indem er eine Goldunze auf den Tiſch warf.
„pann bitte ih Sie, mir heute nur einige Pro—
ben einzupaden und die Engrospreife dabei zu
bemerken. — Jh wohne in Dajaca und beab:
jichtige mit meinem Compagnon bort den Laden
zu eröffnen. Können wir vielleicht einmal daran
gehen, um die Proben auszujuhen? — OB bitte,
Señor,“ wandte er ſich jetzt an Don Julio, der
eben den Laden verlafjen wollte, „vielleicht rafiren
Sie mid), während Don Pedro die Sachen zu=
jammenjtellt — wie?"
„Gewig — warum nicht,‘ erwieberte der
Barbier, indem er fajt mechaniſch nach feinem
Handwerkszeug griff, — „bitte, jegen Sie ſich.“
„Aber nicht wahr, Don Pedro, Sie ftellen
mir die Sachen gleich zufammen. ch habe nicht
lange Zeit.”
„Ich bin ſchon dabei, Señor,“ erwiederte ber
Hoffrifeur, und begann jeßt feine verschiedenen
Gefache durchzuſtöbern und die einzelnen Stüde
auf den Ladentiſch zu jtellen, die ſich der Sambo,
- in = nn ee —
350
während Don Julio ſeinen Bart operirte, von
Zeit zu Zeit herüberzeigen ließ.
Kaum zehn Minuten hatten indeß für den
geheimnißvollen Beſuch genügt, der hinter Don
Pedro's Rücken deſſen Haus betreten. Es war
Mauricio Lucido, der jetzt die Treppe wieder
herunter und aus der Thür glitt, und dann,
ohne den Laden nochmals zu paſſiren, die Straße
hinaufſchritt. |
Der Sambo war indeflen rafirt, hatte ſich
jeine Einkäufe zufammenpaden laſſen und folgte
nun der Richtung, die Mauricio vor ihm ge=
nommen. —
Die Nacht verging ruhig und einzelne Pa—
trouillen durchzogen wohl die Straßen, mehr
aber aus alter Gewohnheit und der Ordnung
wegen, als daß man irgend eine Störung der
öffentlihen Ruhe befürdtet hätte. Sollte doch
am nädjten Tage ſchon der Präfident Juarez
wieder in feine Hauptjtadt einziehen, und Feine
der ihm feindlidy gefinnten ‘Parteien hatte die
geringjte Macht mehr in Händen, um felbjt nur
eine Gegendemonjtration, vielweniger denn etwas
wirklich Feindliches zu wagen.
Das Kaijerreih war gejtürzt, Juarez bis zur
nächſten Wahl unbejtreitbar Präfident, und wer
351
der Klerifale noch Conjervative dachten auch nur
für einen Moment daran, fi) dem durch Wort
oder That zu widerjegen.
Der nächte Morgen dämmerte — den Kanal
herein, der die Indianer aus ben zahlreichen
Heinen Dörfern an den Seen herüberbradhte,
famen ihre jhmalen frucht- und blumenbeladenen
Boote angefhwommen, und jammelten jih an
dem bafür bejtimmten Markt, während die Waſſer—
träger — jene eigenthümliche Klajje von Men=
hen, die jelbjt ohne Laſt mit vorgebeugtem
Körper gehen und ſich auch durd ihre Kleidung,
wie bejonders durch ihre runde Müte von allen
übrigen Mericanern unterjcheiden, ſchon lange
an der Wafjerleitung unten ihre irdenen Gefäße
gefüllt haben und jegt mit langjamem, aber
fejtem Gang, eine mächtige Steinfrufe mit einem
Zragband über den Kopf auf dem Rüden lie-
gend, eine andere, um das Gleichgewicht herzus
jtellen, vorn hängend, ihre verjchiedenen Kunden
aufjuchen und mit Wafjer verjorgen.
Da donnern die Hufe eines Pferdes im ge—
treten Earriere durch die nod immer ftillen
Straßen, und die darauf verfehrenden Indianer
weichen jcheu zur Seite, als fie einen der wils
ben Lanzenreiter, die ihnen Escobedo aus den
352
x
Dergen heruntergefandt, in ihm erfennen. Er
fliegt über die Plaza und ber dortigen Haupt:
wache zu.
In derjelben Zeit faſt gleitet eine fcheue
Menſchengeſtalt, in eine zerlumpte Serape gehüllt,
daß fie das Geficht verdeckt und nur ein paar
wild umberfliegende Augen fihtbar läßt, barfuß
wie ein Lepero und den Kopf mit einem gebrüd-
ten Filzhut bebedt, die Calle San Francisco
Ihräg hinauf.
Rodriguez’ Haus ift ſchon geöffnet, denn eben
lenkt ein Maulthiertreiber fein Thier dort hinein,
und zwar mit einem wunderlichen Fuhrwerk —
eine Kuhhaut hinten nachjchleifend, mit der er
im inneren Hof verſchwand. Auf joldhe Art wer:
den nämlich gefallene Thiere aus den Käufern
fort und hinaus vor die Garrita oder das Thor
geihafft, und gerade die Leute, die jich mit die—
jer Arbeit bejchäftigten, wurden jet von allen
Seiten in Anfprud genommen. Eine Menge
von Thieren, Pferde fowohl wie Hunde und Ejel,
waren während ber Belagerung von einjchlagen=
ben Kugeln verwundet, viele auch in der Straße
getödtet worden, ja jogar hier und da wegen
Futtermangel vor Ermattung zufammengebrodhen
und verhungert, und dieſe mußten alle jegt
353
fortgejchafft werben, damit fie die Luft nicht
verpejteten.
Rodriguez jelber hielt jih einen Eſel, mit
dem Einer feiner Leute jeden Morgen nach der
Waſſerleitung ging, um den ziemlich bedeutenden
Waſſerbedarf für fein Haus herbeizufchaffen.
Der arme Ejel war nun, gerade am legten Tag
ber Belagerung, nachdem er den Weg jo oft
ungefährdet zurücgelegt, von einer Kugel in die
Hüfte verwundet worden, und troß aller Pflege
gejtern eingegangen. Natürlich mußte er aus
dem Haus gejchafft werden, und die Kubhaut
wurde zu dem Zweck bejtellt. Aber hinter ihr
glitt der Lepero oder wer er jonft war, den Filz:
but tief in die Augen gebrüdt, in das Haus,
und auf Einen der Xeute zueilend, flüjterte er
dieſem haſtig zu:
„Wo iſt Señor Rodriguez?“
„Jeſus!“ rief der Burſche erſchreckt aus —
„Señor O'Horan!“
„Ruhig muchacho, ruhig,“ drängte aber der
Flüchtige, indem er dem Indianer einen Peſo in
die Hand drückte — „ich werde von den Libe—
ralen verfolgt — Du bekommſt mehr, wenn Du
mich nicht verräthſt. — Wo iſt Dein Herr?“
„Er kommt eben die Treppe herunter, um
Fr. Gerftäder, In Mexico. IV, 23 Ä
354
auszureiten‘’ — flüjterte der Burſche — „da
ſteht ſchon fein Pferd gejattelt.‘
D’Horan warf einen Blid auf das Pferd,
aber in diefem Aufzug auf dem filberbededten
Sattel wäre er, mit den Berfolgern ohnedies
auf den Ferſen, wohl ficher in den Straßen auf:
gefallen — und doch jchien es jeine einzige Ret—
tung. Er warf bie Serape über bie rechte
Schulter hinauf und jprang zu dem Pferd, um
den Zügel aus dem Ring zu Iöjen — da klap—
perte eine Patrouille die Straße herab und hielt
vor dem Haug, und als er erjchredt hinüber
horchte, börte er, wie Gewehrfolben vor dem
Thorweg aufgejtoßen wurden — zu ſpät. —
Selbſt die Treppe konnte er jeßt nicht mehr er—
reichen, ohne, vor der offenen Hausflur vorüber,
ben Augen der Verfolger preisgegeben zu wer—
den, und in Todesangſt glitt er in ben Stall
hinein, in welchem ber Indianer gerade den ge:
fallenen E&jel bei den Beinen vorziehen wollte,
um ihn dann auf die Kuhhaut zu werfen. Dort
wurde ein ſolches gefallenes Thier dann mit
einer zweiten bebedt, damit das Aas, während
man es durch bie Stadt fchleifte, den Worüber:
gehenden feinen eflen Anblic bot.
In demjelben Moment, in dem Señor Ro=
355
driguez, mit Feiner Ahnung was in feinem
Haufe vorging, die Treppe langfam berunterfam
und, jeine Reitpeitfche unter dem linken Arm, ſich
nod die Handſchuhe anzog — marſchirte bie
Patrouille in das Haus herein und Rodriguez
blieb erſtaunt auf der unteren Stufe ſtehen.
„Caballeros,“ ſagte er überraſcht, „welcher
Urſache verdanke ich die Ehre Ihres gemein—
ſchaftlichen Beſuches?“
„Seddor,“ ſagte der Officier, der die Patrouille
führte, indem er militäriſch grüßte, „wir ſind
einem Verräther auf der Spur, der ſich vor
wenigen Minuten in dieſes Haus geflüchtet hat.“
„In dieſes Haus?“
„Ja — die Leute auf der Straße haben ihn
bemerkt.“
„Kenne ich ihn?’
„Der Präfeet O'Horan.“
„D’Horan? Caramba!“ rief Rodriguez wirk—
lich erichredt — „aber Sedores, ich komme eben
von oben, und gebe Ihnen mein Ehrenwort,
baß ich Niemanden gejehen babe — das ift ein
Irrthum.“
„Es iſt möglich, Señor,“ erwiederte der Of:
fieier, „aber er kann ſich noch hier unten befin—
den. Uebrigens ſtehen vor den Nachbarhäuſern
23*
356
und auf deren Azoteas jebt ebenfalls Wachen,
jo daß er uns nicht mehr entgehen kann. Meine
Pflibt aber ift, Ihre Wohnung zu durchſuchen
— ic bedauere jehr, jedoh Sie wiffen —“
„Thun Sie Ihre Schuldigkeit, Seiior —
Mateo jpring hinauf zu den Damen und jag’
ihnen, daß fie fih augenblidlich anfleiden —
jie befämen Beſuch —“
Mateo fprang, was er laufen fonnte, denn
er hatte nicht einmal eine Tafche, wo er den eben
erhaltenen Peſo hinſtecken fonnte, und fürdhtete
fih, ausgefragt zu werben. — Aber er wußte ja
auch, daß gerade der Präfect ein Freund bes
Hauſes jei, und durfte den doch nicht verrathen.
Im Hof wurden jegt Wachen pojtirt, um
dort die Unterfuhung der unteren Räume vor=
zunehmen, während der Officier felber die Viſi—
tation der oberen leiten wollte. Nur zwei Mann
wurben vorausgejandt, um die Thür nad ber
Azotea oder dem flahhen Dach zu bejeßen.
Bor dem Stall ftand noch immer das Maul:
thier, neben der halbangelehnten Thür. Dieje
wurde jett aufgejtoßen und der Junge, der bie
Reitung der Wasfuhre hatte, nahm fein Maul:
tbier am Zügel, um e8 aus dem Hof zu lenken.
„Cuidado Gaballeros!’ rief er dabei, da ihm
357
die Soldaten im Weg ftanden, und biefe wichen
lachend zur Seite. Sie fannten derartige Frachten
gut genug; gewöhnlich fingen bie todten Ge—
Ichöpfe, die man folder Art aus dem Meg
Ichaffte, auch ſchon an zu riechen, und ihre Nach—
barichaft war deshalb nicht angenehm. Ja bie
elle jelber, die zu joldhen Transporten jo lange
benüßt wurden, als jie noch zujammenhielten,
Itanfen ebenfalls und fahen außerdem hochſt: uns
appetitlich aus,
Der Burfche trieb fein Maulthier jchärfer an,
die Laſt holperte über die hohe Stallfchwelle her:
unter auf das Pflafter des Hofes, durch diejen
bin und den Haupteingang, und hinaus auf bie
Straße. Dort angefommen, jprang aber ber
Burſche nod außerdem felber auf fein Thier
und jchlug es dann mit beiden Haden, um jo
viel raſcher aus der Garrita hinaus zu kommen.
Unten bei den Soldaten blieb noch ein Lieutes
nant, ein junges Officierhen von kaum mehr
vielleicht als höchſtens 17 Jahren, ebenjo ein
Pojten von 4 Mann auf dem Hof aufgeftellt,
und die Übrigen wurden nun in Küche, Vor—
vatbsfammer und die anderen unteren Räume
herumgeſchickt, um dort überall genau zu vevis
diren. — Der Stall ftand jeßt offen und war
308
vollfommen Leer, denn Rodriguez’ Pferd befand
fih noch draußen im Hof angebunden.
Der junge Lieutenant warf jelber einen Blick
in den Stall hinein, aber dort hätte ſich Nie—
mand verjteden Fönnen. Nur ganz hinten in
der einen Ede lag ein Kleiner Haufen zuſammen—
gefehrter Miſt mit etwas Stroh. Er trat hinein,
jah fih darin um und kam nad wenigen Mi—
nuten wieder heraus,
Auf dem Hof ſtand ein Kleiner brauner
unge von vielleicht fünf bis ſechs Jahren, in
einem kurzen Hemdchen, das faſt die Farbe ſei—
ner Haut hatte, und betrachtete jich halb jcheu,
halb neugierig die Soldaten, die über jein ver—
dutztes Geſicht lachten.
„Buenos dias muchachito,“ ſagte der junge
Officier, der wieder aus dem Stall kam, zu dem
Kleinen und bog ſich zu ihm nieder. — „Wie
geht es Dir, mein Jüngelchen?“
„Gut,“ ſagte der Junge, ſich verlegen mit
ſeinem Hemdärmel die Naſe wiſchend.
„Sage mir einmal, mein Junge, wie viel
Eſel ſind Euch denn crepirt?”
„Eſel,“ erwiederte der Junge, ihn anjtarrend
— „nur Einer — wir haben doc nur den einen, |
den Burrito, und den haben fie todtgeſchoſſen.“
399
„Ab, hm!“ nidte ihm der DOfficier zu und
fprang dann nah der Hausthür, wo nod
eine avalleriepatrouille von acht Mann hielt.
„Raſch, muchachos,’” rief er diejer zu — „vier
von Euch, jo ſchnell Euch Eure Pferde tragen,
hinter dem Lepero ber, der eben mit dem tobdten
Eſel diefes Haus verließ. Wohin zu hat er jih
gewandt?’
„Dort hinunter, Señor — wahrjcheinlich nach
der Garrita de Peralvillo zu. Mas follen wir
mit ihm? Bringen wir ihn zurüd?‘
„Das iſt nit nöthig. — Seht nur nad,
was er unter der Haut hinten berjchleift. — Sit
e8 ber Entflohene, jo kommt Einer hierher, um
augenblidlih Meldung zu machen, und die Ans
deren jchaffen ihn gleich auf die Hauptwache.‘
„Caracho!’ rief der eine Soldat — „ſo ein
Halunke“ — und wie ein Wetter jauften die
Burſchen ihrer Beute nad.
* *
In dem Fleinen Laden des Don Pedro Gas—
pard ging der Beſitzer defjelben mit raſchen und
ungeduldigen. Schritten auf und ab, und jedes—
mal wenn er zurüd in die halbe Slasthür Fam,
jah er nad) feiner Uhr und murmelte dann leiſe,
360
zornige Flüche zwiſchen den Zähnen durch. End—
lich — endlich öffnete ſich dieſe, und herein, mit
wie immer haſtigem und geſchäftigem Schritt, ein
Lächeln auf den Lippen, trat Don Julio, der
Barbier.
„Aber jetzt bitte ich Sie um Alles in der
Welt, Don Julio,“ rief Don Pedro, ſich mit der
ganzen ausgeſpreizten linken Hand durch die
Locken fahrend, „Sie wiſſen doch, daß ich um
eilf Uhr auf die Steuer muß, und es fehlen kaum
noch zehn Minuten daran. Wo haben Sie denn
nur geſteckt?“
„Don Pedro!“ rief Julio, ſich in etwas thea—
traliſcher Stellung vor ihm poſtirend. Don Julio
hatte früher wirklich einmal auf der Bühne ge—
mimt. „Der heutige Morgen war tauſend Peſos
werth. Wiſſen Sie, was ich geſehen habe?“
„Einen Eſel in jedem Spiegel, an dem Sie
vorbeigingen,“ knurrte der Hoffriſeur — „habe
ich Sie ausgeſchickt, um Maulaffen feil zu
halten.“
„Die Execution O'Horan's, des Präfecten,“
rief aber Don Julio mit Pathos — „eben hatten
ſie ihn erwiſcht.“
„Das geſchieht ihm Recht!“ rief Don Pedro,
durch die Nachricht etwas milder geſtimmt —
361
„Präfect, ein jchöner Präfeet — der jelber mit
in die Häufer geht und ftehlen Hilft.‘
„Das war der Hungersnoth wegen,“ jagte
Don Julio.
„So?“ rief Don Pedro, „meine Pomade und
Seife haben fie dann wohl gegefjen, wie? Aber
wo ijt er erwilcht worden ?'
„Dicht vor der Garrita de Peralvillo,“ erzählte
Don Julio, jeßt ganz in feinem Element. „Ich
fam gerade die Straße herab, wo mir einer von
den efelhaften Kerlen begegnete, die das Aas
aus der Stadt auf einer alten Kuhhaut hinaus—
fahren. Ich wich ihm auch jchon jorgfältig aus,
als ich plößlich vier Cazadores de Galeanos bie
Straße heraufiprengen ſah und ſehr erjtaunt
war, daß fie neben dem jchmierigen Lepero
anbielten; der Burſche ſchien auch Feine bejon=
dere Luft zu haben fich mit ihnen einzulafjen,
denn er peitjchte nur jhärfer auf jein Maulthier
ein, aber die Soldaten machten verwünjcht wenig
Umftände. Einer fprang vor und nahm ben
Zügel des Thieres, das jeßt wohl jtehen bleiben
mußte, ein anderer riß die alte Kuhhaut herunter,
die jonjt immer auf dem Cadaver liegt, und
caramba! darunter jtedte der Präfect, und
santisima! wie ſah der Burjche aus! Im Nu
—
v -
-
+
362
hatten fie ihın aber die Hände auf dem Rüden
zufammengebunden, und jeßt ging's auf die
Hauptwache.”
„And Sie natürlich mit?”
„Nun veriteht fih! Gehört denn das nicht
mit zu meinem Beruf? Ih muß ja doch wijjen,
was in der Stadt vorgeht; und fo was friegt
man natürlich im Leben nicht wieder zu ſehen.“
„Nun? und weiter?” rief Don Pedro, der
jelber neugierig wurbe.
„Na, Sie können fidy etwa denken, was ber
Schuft O’Horan für ein Gejiht madte; kreide—
weiß jah er aus, und dann erklärte er in feiner
Todesangſt jelbjt den indianiichen Solvdaten, die
fih den Henfer darum jcheerten, auf welcher
Bartei er gejtanden, daß er immer ein guter
Liberaler und während der Belagerung wie oft
bei ihnen draußen gewejen wäre, um ihnen ans
zuzeigen, wann ihnen Gefahr drohte.”
„Die Canaille!“ rief Don Pedro.
„Ja, und indeſſen hatten jich doc eine Menge
Leute gefammelt und auch Caballeros zu Fuß
und zu Pferd dazwilchen, und wie die das hör—
ten, wie fingen die auf den Schuft zu ſchimpfen
an, und die Soldaten hatten Mühe genug, ſich
freie Bahn zu halten. Aber wie das Wetter ban—
363
den fie ihn zwijchen die Pferde, und der muchacho
mit dem Maultbier, der ihm forthelfen gewollt,
bufchte indefjen wohl nit um die nächſte Ede
und madıte daß er aus dem Weg kam.“
„Kun? und was wird jet mit ihm?‘
„Mit dem Jungen? — Fort ijt er. Den
finden fie nicht wieder.”
„Eſel! ich frage mit dem Bräfecten
„Mit dem? was joll da weiter werden? Kaum
hatten wir ihn auf die Plaza gebradyt — und das
Verhör konnte kaum zehn Minuten gedauert
haben,. denn ich überlegte mir gerade no), ob
ih die Sache abwarten oder nad) Haufe gehen
follte, da famen fie jchon wieder mit ihm heraus;
ein Karren, der gerade vorbeifuhr, wurde an—
gerufen und der Gefangene darauf geworfen,
und fort ging’s im Carriere über das Pflafter,
daß ih Faum nachkommen Fonnte und ber Ge:
bundene wie ein Klumpen Elend auf dem Karren
in die Höhe flog — blau und braun muß er
gewejen jein, als er draußen ankam, aber lange
Umjtände machten jie nicht mit ihm. Er hatte,
wie fie jagten, den armen Menjchen, die er in
Tlalpam aufhängen ließ, auc Feine Zeit ges
lafien, ihre Sünden zu beichten, weil er recht
gut wußte, daß fie dann erzählen würden, wie
364
er jelber eben jo gut zu ihnen gehört, und ba
follte er eben jo wenig Zeit zum Beichten be-
fommen. Gleich vor der Garrita draußen mach—
ten fie Halt, warfen ihn vom Wagen herunter,
ließen ihn draußen, mit dem Gefiht nad dem
See zu, niederfnien und ſchoſſen ihn von Hinten,
wie einen Verräther, der er war, todt.“
„Hol' ihn der Teufel!‘ jagte Don Pedro an
Stelle einer Grabrede, „aber jeßt muß ich fort,
Don Julio, um meine Saden von ber Steuer
zu bolen, und wenn der Sambo indejjen fommen
ſollte — wie beißt er gleich 2?’
„Ja, th weiß feinen Namen gar nicht,”
fagte Don Julio.
‚Na, das iſt einerlei, dann jagen Sieihm, daß
er eine halbe Stunde wartet — ich bin gleich
wieder ba.‘
Damit ging er hinauf, um feinen Hut zu
holen, und fand feine Frau ſchon fertig wie zum
Ausgehen angezogen.
„Willſt Du in die Stadt, mein geben 2“ frug
er freundlich, denn die beiden Gatten hatten fich
heute Morgen wieder verjöhnt, und Cornelia jah
wirflich reizend aus. Es war eine der hübjche-
ften jungen Frauen in Merico und blühte wie
eine Rofe. |
365
‚Rein, Pedro,’ jagte Cornelia freundlich,
indem fie ihm die Lippen zum Kuß bot — „id
warte, bi8 Du wieder nad) Haufe fommft, und
vielleicht gehen wir dann den Nachmittag zuſam—
men auf die Alameda.“ |
„Sewiß, mein Schat, gewiß — Alles was
Du willſt,“ erwiederte ihr zärtlicher Gatte —
„wie ſchön Du heute wieder ausfiehft, Du biſt
doc) die Perle der Stadt, Geliebte.‘
„Du Schmeichler,“ jagte fie lächelnd und gab
ihm einen Fleinen Schlag auf die Wange, „aber
bleibe nicht zu lange fort. Die häßliche Douane
hält Did) immer auf Stunden von Haus ent:
fernt.‘
„Ich werde die Herren heute zufammentreis
ben, Kind, vief Don Pedro, „daß wir jobald
als irgend möglich zu Stande kommen, adios
Queridba — adios!“
Eornelia jtand auf dem Balcon, als er feine
Wohnung verließ, und winkte ihm noch zu, jo
weit fie ihn auf der Straße jehen fonnte; dann
trat fie in’s Zimmer zurüc, jchrieb einen klei—
nen, jehr kurzen Brief, und ſah dann wieder die
Straße hinauf, als ob jie ihn erwarten wollte,
— aber er fonnte ja feine Gefchäfte noch nicht
beendet haben.
366
Etwa eine halbe Stunde mochte noch vergan=
gen fein, da rafjelte ein fleiner, von zwei kräf—
tigen Pferden gezogener Wagen herbei und hielt
vor dem Haus. Darauf jaß, mit einem jungen
Burſchen als Kuticher, der Sambo, den Don
Julio kaum erjpäht hatte, als er auch ſchon die
Thür aufriß.
„Don Pedro zu Haufe?” frug biefer, ſprang
vom Bock und trat zugleich in den Laden.
„Bitte ſich nur ein halb Stündchen zu gebul:
den, Señor,“ bat Don Julio, „holt gerabe bie
Güter von der Steuer. Sie haben den Wagen
gleich mitgebracht, wie ?'
„Allerdings,“ nidte ver Sambo — „und fann
mir die Sadhen indefjen wohl nod einmal be-
trachten.“
Während er den Barbier unten im Laden be—
ſchäftigte, hatte die Señora oben eine große
Thätigkeit entwickelt. Mit Hilfe des Pferde—
knechtes im Hauſe und ihres Mädchens ließ ſie
zwei nicht ſehr große Koffer hinabſchaffen und
auf den Wagen ſtellen, dann nahm ſie ſelber
darauf mit dem Mädchen Platz, und der Sambo
drinnen, der ſein Geſchirr fortwährend im Auge
behalten, ſah das kaum, als er zu Don Julio
ſagte:
367
„Run auf Wiederfehen, Compatero, — id
muß jeßt fort — kleine Spazierfahrt mit ben
Damen — viele Grüße an Don Pedro — bitte
mich bejtens zu empfehlen —“ und ihm freund=
lich zuwinfend, jprang er auf den Wagen, und
fort rafjelte das Fleine Fuhrwerk, was bie Pferde
laufen fonnten.
Don Julio blieb mit offenem Mund in ber
Thür ftehen. Wohin fuhr denn die Señora —
und das Mädchen? — und zwei Koffer hatten fie
auf dem Wagen jtehen — und der Sambo? —
caramba, hatte er denn nicht Bomabde, und Gott
weiß was ſonſt no, auf feinen Wagen laden
wollen ?
Aber was ging’s ihn an — die Señora hatte
ibn wahrhaftig nody nie gefragt, ob fie irgend
Etwas thun oder lafjen jolle, und er auch nicht
die Aufficht weder über fie, noch das Mädchen.
Wer fonnte denn auch fagen, ob Don Pedro
nicht von der Reije wußte und volllommen da—
mit einverjtanden war? Wenn er nah Hauje
fam, fand ji) das Alles.
Don Pedro blieb aber lange, und als er ein
traf, fchien er in furdhtbarer Aufregung.
„Wiſſen Sie, Don Julio,‘ rief er, vor dem
Barbier jtehen bleibend und ihm die Hand auf
368
die Achſel legend, ‚daß man mir meine Waaren
nicht ausliefern will!”
„Ihre Waaren! weshalb nicht?”
„Das ſchurkiſche Handlungshaus oder die
Fabrik hat Beichlag darauf gelegt, weil fie noch
nicht bezahlt find und die Kaiferin nicht mehr
in Merico ift. — War der Sambo hier?“
„Ja,“ ſagte Don Julio troden, „und ijt mit
Ihrer Frau davongefahren.‘
Don Pedro jah ihn ſtarr und verwundert an.
„Bon was reden Sie jeßt wieder — was fajeln
Sie? — Was hat meine Frau mit dem Sambo
zu tbun?”
„Das weiß ich nicht,” fagte Don Julio
troden, ‚‚aber fortgefahren ijt jie mit ihm, und
bie Juana auch, und haben auch zwei Koffer
mitgenommen.‘
Don Pedro fuhr wie ein Blitz zum Laden
hinaus und die Treppe hinauf. Dort oben blieb
er etwa eine halbe Stunde; als er wieder zurüd-
fam, jah er etwas blaß und jehr ernit aus und
Ihritt auf Don Julio zu. Er hielt ein Fleines
Briefhen in der Hand,
„Don Julio,“ ſagte er mit faſt tonlofer
Stimme.
„Señor?“ fagte diefer bejtürzt.
369
Don Pedro machte eine Pauſe, als ob er
über Etwas nachdenke, dann fuhr er langjam
und feierlich fort:
“ „Wie gefällt Ihnen Californien ?’
Don Julio ftarrte ihn verblüfft an. War
die „Meiſterin“ durchgegangen und Hatte ber
Meiſter darüber den Verſtand verloren ?
„Wie gefällt Ihnen Californien?’ wieder—
holte dumpf Don Pedro.
Don Julio erſchrak, aber Leute in einem ſol—
chen Zuſtand darf man, wie er aus ſeiner ärzt—
lichen Erfahrung wußte, nicht reizen, und er
erwiederte deshalb, anſcheinend auf die Unter—
haltung eingehend:
„Ih nun, es ſoll ganz hübſch in Californien
ſein — nur daß die Leute dort alle lange Bärte
tragen.“
Don Pedro ſah wieder eine Weile vor ſich
nieder, endlich ſagte er, ſeinem Gefährten den
Brief hinreichend:
„Da leſen Sie, Don Julio, was mir meine
Gattin ſchreibt — leſen Sie laut — ich möchte
es gern noch einmal hören.“
Don Julio las: „Señor — wenn Sie dieſe
Zeilen erhalten, bin ich außer dem Bereich Ihrer
Macht und in den Armen, wie unter dem Schutz
Fr. Gerſtäcker, In Merico. IV. 24
370
bes Geliebten — Caramba,“ unterbradh er ji
dabei — „doch nicht etwa des Sambo?“
„Bitte, fahren Sie fort,” ſagte Don —
„es kommt noch hübſcher.“
„Ich habe Sie nie geliebt — ich würde Sie
nie lieben, und Ihre rauhe, unmännliche Be—
handlung hat ſogar die geringe Neigung, die ich
früher für Sie gefühlt, in Haß verwandelt —
Sie ſind ein Scheuſal.“
Don Julio ſah den Friſeur verdutzt an, die—
ſer winkte ihm aber nur weiter zu leſen, und er
ſagte: „Ja, nun ſind wir gleich fertig; hier ſteht
nur noch — „lebe wohl auf ewig — Deine
Cornelia.“ — Deine? Jeſus! Der Brief iſt nicht
übel — aber wenn Sie ſich jetzt auf Ihr Pferd
ſetzen, holen Sie ſie gewiß noch ein — da ſind
ſie hinunter gefahren.“
„Seien Sie kein Eſel, Don Julio,“ erwie—
derte Don Pedro ruhig — „ich denke gar nicht
daran, ſie wieder zu holen — Don Julio
haben Sie Luſt mit nach Californien zu gehen?“
„Nach Californien?“ rief Don Julio erſtaunt,
„aber was fällt Ihnen denn ein?“
„Das will ich Ihnen ſagen — meine Frau
iſt treulos und — fort, — ich reiße die Natter
aus meinem Herzen, — meine Waaren bekomme
311
ich aber auch nicht, troßdem ich die Steuer in
Vera-Cruz dafür bezahlt habe. — Jetzt wäre ich
ruinirt — verſchuldet bin ich bis über die Ohren,
das letzte Mögliche habe ich heute auf mein
Maarenlager aufgenommen — fehshundert Dol-
lars — es iſt aber nicht zwei mehr werth, und
ih ginge bier meinem Ruin entgegen. Dawider
giebt e8 aber nur ein Mittel — Californien
— gehen Sie mit?"
„Hm — die Sache wäre nicht fo übel, aber
— erjtlih babe ich nicht genug Neijegeld, und .
dann: wie fommen wir bier fort?”
„Mit dem Geld, womit ich heute die Steuer
bezahlen wollte. Wir gründen in San Trans
cisco eine Barbierftube — „‚Hoffrifeur der Kai:
jerin von Merico” — nad) und nad zahlen Sie
mir das Reijegeld ab. — Wenn Gie jebt auf
die Diligence-Dffice gehen, können Sie zwei Plätze
nad) Euernavaca nehmen — einen für ſich und
einen für den Jungen. Ich made Morgens
meinen gewöhnlichen Spazierritt und begleite
Sie — mein Pferd nehme ich mit.‘
„Hm — das ginge vielleiht — und Sie
wollen die Frau im Stich laſſen?“
„Ich?“ jagte Don Pedro — „hat jie mich
nicht im Stich gelaſſen?“
24*
372
„And wenn Ihre Gläubiger Wind befommen ?"
„Dann find wir über alle Berge nad Aca—
pulco — dort treffen wir gerade den Dampfer
nah San Francisco! — Don Julio, in Ealifor-
nien blüht unjer Glück.“
„And unjer Gepäd?’‘
„Was wir no mitnehmen können, nehmen
wir mit — vier Eleine Koffer — was wir jeßt
einpaden, ijt Alles reiner Verdienſt, und mit
etwas Geld kommen wir au noch hin.‘
„Sinverftanden!” ſagte Don Julio, in die
dargebotene Hand jchlagend — „dann werben
ſich unſere Kunden morgen jelbjt rajiren müfjen.
Da reißt alfo die ganze Barbierjtube aus, Junge
und Alles —“
„Hier haben Sie Geld — zwei Pläße auf
der Diligencia nad) Cuernavaca — aber Maul
halten und meinen Namen nicht nennen — ver:
ſtanden?“
Don Julio brauchte keine weitere Ermahnung.
In Mexico ſah es doch jetzt ſchlecht genug aus
— verdient wurde faſt gar nichts mehr, und je
eher er ſelber hier fortkam, deſto beſſer.
Am nächſten Morgen Früh um ſechs Uhr
verließ die Diligencia voll mit Paſſagieren,
und drei außerdem oben an Deck, die Hauptſtadt.
re,
313
Voraus fprengte ein Fleiner Caballero in mexi—
canifher Tracht mit großen Sporen, riejigem
Filzhut und furzer, reich mit filbernen Knöpfen
bejegter Jade.
Derartige Reiter gab e8 jebt, wo bie Paſſage
vor die Thore der Stadt erft feit wenigen Wochen
wieber freigegeben worden, in Menge, und es
war natürlih, daß fie die frühen Fühlen Mor:
genftunden zu ihren Ausflügen benügten. Gepäd
führte er außerdem nicht bei fi — nicht einmal
eine Satteltafhe — wie hätte er $Jemandem, der
ihm begegnete, auffallen können!
Das war der lebte Morgen, an dem Don
Pedro Gasparb in Merico gejehen wurde. —
Aber das Leben in den Straßen, als es ſpä—
ter wurde und nun Jedermann erwarten Fonnte,
daß Juarez, der hartnädige indianiſche Präſi—
dent, der nur ausgehalten Hatte, weil er fein
Volk genau Fannte, bald feinen Einzug halten
würde,
Die Stadt zeigte ſich auch heute wieder feſt—
lich geſchmückt — die Balcone waren mit Krän—
zen und Guirlanden geziert, von fehr vielen
Häufern wehten mericanifche Flaggen nieder, und
in den Straßen, in denen die Armee ber Libe-
374
ralen Spalier bildete, drängte ſich das Volf und
wogte langjam herüber und hinüber.
Endlich donnerten die Kanonen — das Zeichen,
daß der Präfident das Weichbild jeiner ‚‚getreuen
Stadt’ betreten habe, und die Bewegung wurde
lebendiger.
Aufeinem braunen Hengjt, mit Lerdo de Te—
jada, feinem Staatsminijter, neben fih und von
jeinem ganzen Stab gefolgt, ritt Juarez lang:
fam ein. Hier und da von den Balconen flogen
ihm einzelne Sträuße zu — die unvermeiblichen
Hofpoeten waren ebenfalls wieder thätig: auf
weißen, grünen und rotben Bändern jtanden
darauf gedrudte Gedichte, die immer nur einer
feinen Aenderung beburften, um auf alle Ge—
legenheiten zu pafjen, aber das eigentlihe Volk
— die Indianer — verhielt jich till.
Der ganze Einzug glich mehr einer Leichen
ceremonie, wie dem verjprocdhenen Beginn einer
neuen Aera, oder der jogenannten neu gewon=
nenen Freiheit und Unabhängigkeit des Landes.
Es mochte dem Präjidenten jelber unheimlich
vorkommen, denn er gab Befehl, daß die Mufik
ipielen ſolle. ,
Das Mufifcorps der Cazadores de Galeano
iprengte voraus, und bald jchmetterte der mexi—
Br
375
caniſche Jubelmarſch, dev Marſch von Zaragoza,
dur die bis dahin jo jtillen Straßen ; hinter
dem Präfidenten aber, acht Mann Hoch, ritten
die Cazadores in ihren grauen, ziemlich Fleid-
ſamen Uniformen, ihre achtſchüſſigen Büchſen über
die Schultern gehangen, und jet erſt Fam ein
wenig Leben in die Straße, benn die Muſik regte
aud die Zuſchauer auf.
Die Gloden läuteten dabei von allen Kirchen
— es jollte ja von nun an Trieden im Land
herrſchen — aber gab es irgend Jemanden, ber
daran glaubte? — Wer wird nun als eriter Prä—
tendent auftreten.? war bie Trage, die man ſich
überall zuflüfterte — — Porfeirio Diaz? — Ortega?
— Quien sabe! Damit tröjteten jie ſich — aber
die Republif war vor der Hand wenigjtens wie
der hergejtellt, und der Kaiſer? — Seine hohe -
edle Geitalt fchritt wohl vor Manches Augen
vorüber, als er den Fleinen braunen Indianer
da mit düſter zujammengezogenen Brauen auf
feinem großen Pferd hängen Jah, aber — er
war troßdem der Sieger — der Tag gehörte
fein, und die bei allen ſolchen Aufzügen üblichen
Seltlichfeiten mußten ihren Fortgang haben.
Teuerwerfe wurden von zwei Uhr Nachmit—
tags bis ſpät in die Nacht noch abgebrannt, und
376
dann fanden, wie e8 bunfelte, auch wieber bie
gewöhnlichen phantaftiihen Umzüge ftatt. Ja
der nämliche Wagen, in dem bei des Kaijers
Einzug das Feine Kaiferpaar en miniature ge—
jefjen, fehlte eben jo wenig, nur daß er eine Um-
wandlung erfahren.
Statt dem Kaiferpaar von damals ſaß jetzt
ein in bie mexicaniſchen Karben gefleidetes Kind
darin — vielleiht und ſehr wahrjcheinlich das
nämliche, das damals die Kaiferin vorgejtellt —
als Republif Merico. Auch felbjt der näm-
lihe Engel ſchwebte noch darüber — nur bie
Krone hatten fie ihm abgejchraubt und dafür
eine Jacobinermüße aufgejeßt, doch trug er noch
immer biejelbe mericanijche Fahne in der einen
und den Lorbeerkranz in der andern Hand. Das
paßte ja auf Alles.
Die nächſte Zeit verlief jtil genug und noch
immer lag eine brüdende Schwüle auf der Stabt;
denn e8 war nicht möglich, ſich jo rajch wieder
in die neuen Berhältniffe hinein zu leben —
ſelbſt nicht in dem an ſolchen Wechſel doch ge—
wöhnten Merico. Viele aber, die jich compro=
mittirt glaubten, verließen auch die Hauptjtadt,
um der liberalen Regierung wenigjtens unter
den Augen weg zu fommen, Manche jogar das
377
ganze Land, denn Wenige nur glaubten an einen
dauernden Frieden für das arme, in feinen in—
nerjten Tiefen zerrüttete Reich — und body waren
ſelbſt von den durch die Intervention hereingeführ-
ten Fremden Manche zurüdgeblieben — bejonders
Aerzte, au franzöjiiche Schneider und Frijeure,
denen dabei nicht das Geringjte in den Weg ge—
legt wurde.
Der Lebte fat, der aus des Kaiſers engerer
Umgebung das Land verließ, war Padre Fiſcher,
der allerdings noch hochfahrende Hoffnungen ge=
habt und auf den Bildofsfiß von QDueretaro
Ipeculirt zu haben jcheint. — Wie ihn aber die
Eonfervativen hatten fallen laſſen, als er ihnen
nichts mehr nüßen konnte, jo kehrte ihm auch
jeßt der Klerus den Rüden. . Er war nicht mehr
zu brauden und Fonnte gehen.
Vebrigens jchien er die letzten Monate in
Merico recht gut angewendet zu haben, denn fo
leicht er in die Hauptſtadt gefommen, mit jo
vielem Gepäck beladen verließ er diejelbe wieder.
Aber Niemand kümmerte fich darum, und bejon=
ders eine Anzahl ſchwerer Bücherfijten jchaffte er
fort. Auch Hatte er in der lebten Zeit wieder
einigen Verkehr mit der Regierung, und man
erzählte jich in der Hauptjtadt, daß er dem Prä—
378
fidenten einen Theil des geheimen Archivs Ma—
zimilian’s um 3000 Peſos verfauft habe. Un—
mittelbar darauf veröffentlichte diejelbe jedenfalls
die Schriften, die er unter den Händen gehabt,
unter dem Titel: Documentos oficiales de los
traidores, para servir a la historia de la inter-
vencion.*) — Bon ihm felber nahm natürlidy
Niemand mehr Notiz.
Das Kaijerreih war todt und die Republik
hatte gejiegt, aber des Kaiſers Andenken war
deshalb noch nicht erlofchen. Juarez ließ aller:
dings in der nächiten Zeit überall und von
Allem, was Marimilian geftiftet — jelbft von
der Statue, die er dem Unabhängigfeitshelden
Morelos geſetzt, feinen Namen entfernen und,
wo das nicht anders ging, jelbjt aus den Gtei-
nen hberausmeißeln, aber troßdem bewahrte man
überall im weiten Reich die Erinnerung an den
Geſchiedenen.
In der Hauptſtadt gab es faſt keinen einzi—
gen Laden, wo nicht die Photographien des Kai—
ſers und der Kaiſerin, ja ſelbſt in Apotheoſen,
in den Fenſtern ausgeſtellt geweſen wären —
ebenſo die Bilder von Miramon, Mejia und
*) Officielle Documente der Verräther — zur Geſchichte
der Intervention.
er
379
Mendez. Ein Calendario Marimiliano, der eine
Geſchichte des mericanifchen Kaijerreihs gab
und des Kaiſers Wirken in den lebendigjten
und anerfennendjten Worten jchilderte, wurde
überall in den Straßen verfauft, und war raſch
ſchon in zweiter Auflage vergriffen.
Und Merico jelber? Juarez erhielt bei der
nädjten, bald darnach jtattfindenden Wahl wie—
der die meilten Stimmen, und der einzig wirk—
lich gefährliche Gegner, den er dabei hatte, Por—
feirio Diaz, dachte zu edel, um einen neuen
Bürgerkrieg heraufzubeſchwören — der Trieben
war vor der Hand gejihert — aber auch nur
vor der Hand. Am Norden tauchten bald wie-
der Pronunciamentos auf, und einzelne Banden
durchzogen und brandicdhaßten das Land und
hoben Levas aus — ja jelbjt Juarez’ eigerter
Kriegsminijter aus ſchwerer Zeit, der bis dahin
immer treu zu ihm gehalten, Negrete, Eonnte
der Berjuhung von zwei Millionen Peſos nicht
wibderjtehen. Er warf ih, als die Conbucta
mit dem Gold von der Hauptſtadt abgegangen
war, nad Puebla und juchte fie abzufangen,
wurde aber freilich darin gejtört und mußte mit
jeiner Bande nah Michvacan hinein flüchten, wo
er ber Regierung Troß bot. |
380
Merico! — Kann man e8 den Indianern ver—
denfen, wenn fie behaupten, daß ihr Land bas
Ihönfte und von Gott am meiſten bevorzugte
der Erde wäre? Es ift in der That ein wirk—
liches Paradies und mit Allem ausgeftattet,
um Millionen von Menſchen eine glüdlidhe Hei:
math zu gewähren; mit einem herrlichen Klima,
mit metallreihen Bergen, fruchtbaren Zriften,
foftbaren Waldungen — und was war e8 big jet,
feit die Spanier den Fuß darauf gejegt? ein
Qummelplaß wilder, zügellojer Leidenſchaften, ein
Feld, das nur immer mit Blut gebüngt und nie
geerntet wurde, eine Juchtjtätte von Miſchlings—
racen, die, anjtatt das Volk zu veredeln, nur
immer jchledhtere Eremplare zu Tage förberten
und in der Anarchie allein ihre Freiheit fanden.
° &o liegt e8 jeßt — ſo liegen faft alle ſüd—
amerifanijchen NRepublifen, von ewigen Bürger:
friegen blutgetränkt, von Stellenjägern aus—
gejogen, von Pfaffen durchwühlt, ein lebendiges
Beijpiel, in was ſolche Menſchen .jelbjt ein
Paradies zu verwandeln im Stande find!
Ende.
Drud von G. Pätz in Naumburg 9/5
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