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Full text of "In Mexico ein Charakterbild"

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IN MEXICO: EIN 
CHARAKTERBILD 


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In Merico 


Dritter Band. 


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In Mexico, 


—— — —— 


Ein Charakterbild 


von 


Sriedrich Gerſtäcker. 


— — ——— 


Zweite Auflage. 


Dritter Band. 


(Erſter Theil.) 


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dena, 
Hermann Coftenoble. 
1877. 


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Inhaltsverzeidhniß, 


— — — 


Erſter Theil. 
A los descontentos . 


. Der Flüchtige 


Das Unabhängigkeitsfeft . 


. Der Ueberfall bei Solebab 
. Das Dectober-Decret 


PBuebla . 
Zweiter Theil, 


. Die Erjdheinung 

. In ©uerrero . 

. Ricarda j 

. Frankreichs Treubruch 
. Der letzte Abend 

. Bergunter 


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1; 
A los descontentos, 


In der Calle Delago, ziemlih am äußeren 
Ende der Stadt, lag eine der vornehmeren Puls: 
querien, die fich eigentlich erjt ſeit ber Zeit 
etablirt Hatte, wo eine Mafje von eingeborenen 
„Generalen’ die Stadt überſchwemmten und dann 
natürlich ihre gewohnte Pulque nicht mifjen, aber 
auch nicht gern mit den gemeinen Soldaten ver- 
fehren wollten. Die fremden Dfficiere hielten fich 
jelbftverftändlich von dieſer Menſchenklaſſe zurück, 
die vollfommen der unteren Schidht der Meri- 
caner angehörte, aber doch einen höheren Rang, 
eine höhere Stellung beanjpruchte, und fo fam es 
denn, daß dieje Pulqueria, die ein unternehmen» 
der Mericaner gründete, entjtand und von ihm, 


jei es duch Ahnungsvermögen, jei = dadurch, 
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. III. 


2 


baß er jeine Landsleute ſchon genau Tannte, 
a los descontentos*) „zu den Unzufriedenen‘’ 
getauft wurde. 

Am Anfang nahm man allerdings dieſe 
Ueberjchrift jeines Haufes für Scherz und ſchrieb 
fie der Pulque zu, mit der jeine Gäſte nicht zu— 
frieden fein follten, aber nach gar nicht jo langer 
Zeit ſammelte fich dort allerdings eine Menſchen— 
Flafje, die auf den Namen der „Unzufriebenen‘' 
mit dem größten Recht Anſpruch machen Fonnte, 
denn fie glaubte alle Urfache dazu zu haben. 

Die Militär-Organijation war nämlich, ob— 
gleich ſchon lange entworfen, doch jetzt erjt wirk— 
lich in Kraft getreten, und jo viel fich der Kaifer 
davon verſprach und mit Recht davon verjpredhen 
durfte, hätte er es nämlich mit einem andern 
Bolfe als den Milhlingsracen Südamerikas 
zu thun gehabt, jo jtieß er bier damit do in 
ein Wespenneft. 

In den „Descontentos“ verjammelten fich 


*) Alle diefe Pulquerien in der ganzen Stadt haben 
eine ähnliche, oft fomiiche Ueberfchrift, und die Mericaner 
zeigen darin eine befondere Naivetät: „Al amor de un 
turco“, „zur Liebe eines Türken“ lautet eine — „zum guten 
Sohn“ eine andere, „zur Braut eines Lepero“, „zum guten 
Vorſatz“, „zum Gewinn eines Loſes“, „zur Tapferkeit eines 
Soldaten‘ und andere ähnliche mehr. 


3 


jet allabendlich beſonders alle jene Höheren 
Dfficiere, bauptfählih Generale, die in den 
legten Monaten von Juarez zu den Kaijerlichen 
übergegangen waren. Sie hatten fid nicht allein 
gegenfeitig Nichts vorzumerfen, jondern auch 
ziemlich gleiche Intereſſen und — bie Haupt- 
lache: gleiche Anfichten über Kriegführung,. das 
beit jo lange kämpfen, als e8 bequem ging, und 
dann entweder davon=, oder zum Feind überlaus 
fen. Sebt bedrohte fie aber Alle zugleich ein 
und daſſelbe Schieffal, oder war jchon über jie 
hereingebrochen, das nämlich: bei der jeßigen 
militärifchen Eintheilung als überflüffig ange 
jehen und zur Dispofition gejtellt zu werden, 
wobei ſie natürlich, wenn auch nicht ihren Titel 
— denn an dem bielten fie fejt — doch jedenfalls 
ihren Gehalt einbüßen mußten. Das war zu viel 
für fie und die „Undankbarkeit des Kaijerreichs‘’ 
ihr jtehendes Geſpräch geworden. 

Anfangs freilich ſchimpften fie wohl darüber, 
hielten e8 aber no immer nur für eine Art 
von Schreckſchuß, denn fie Fonnten ſich nicht 
dbenfen, daß man wagen würde, jie ganz und 
ohne Weiteres bei Seite zu jchieben. Es verjtand 
ſich von jelbit, daß fie dafür irgend einen andern 
fetten Poſten, womöglidy an der Steuer, befom= 

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4 


men mußten, und was jchadete e8, wenn fie da— 
von auch nicht das Geringite verjtanden. War 
das nicht von jeher fo gewejen und ſolche Poſten 
nur als Belohnungen für geleijtete Dienfte ge— 
geben worden? und fonnte man es nicht mit 
der Zeit erlernen? — Aber auch das blieb aus, 
und die Entrüjtung unter dieſen Herren wurde 
natürlich allgemein. 

Die Pulqueria war ebenfalls, wie die anderen, 
ausgemalt, aber mit lauter Schladhtbildern, die 
man jedoch vorjichtigerweile dem Befreiungs— 
friege entnommen hatte, um nicht etwa Jeman— 
des Gefühle hier zu verlegen. Nur eine einzige 
Wand blieb dem Sturm bes Forts Guadelupe 
bei Puebla durch die Franzojen gewidmet, wo 
diefe von dem General Zaragoza fo entſchieden 
zurüdgeworfen wurden. Die Franzoſen haften 
fie Alle, ob jie nun gerade unter dem Sailer 
oder unter den Xiberalen dienten, und auf jene 
„Waffenthat“ der Mericaner jegten jie Alle ihren 
Stolz. 

Heute nun gerade waren verjchiedene Decrete 
ausgegeben worden, und viele diejer durch Re— 
volutionen gemachter, aber jonjt ganz unfähiger 
Generale ſchienen gerade dieſen Tag gewiljer- 
maßen als legten Termin erhofft zu haben, um 


5 


doch am Ende noch bedacht zu werden — ſie ſahen 
ſich getäuſcht, und beſonders Einzelne, die früher 
im Heere des Feindes eine gewiſſe Rolle geſpielt, 
fühlten ſich, ihrer Meinung nach, auf das un— 
verzeihlichſte zurückgeſetzt. 

An dem einen großen Tiſch, der nahe zu 
dem, auf die Straße hinausführenden Fenſter 
ſtand, ſaßen etwa acht oder neun ſolche „höhere“ 
Officiere, die großen Pulquegläſer vor ſich, die 
Arme auf den Tiſch geſtemmt, und ein Caracho 
nach dem andern rang ſich unter den naſſen 
Schnurrbärten vor, die nur manchmal mit den 
Fingern abgeſtrichen wurden. Ein Taſchentuch 
führte wohl keiner der Herren bei ſich. Sie be— 
fanden ſich auch in einer fatalen Lage, denn ge— 
lernt hatte Keiner von ihnen Etwas, um ſich der 
menſchlichen Geſellſchaft nützlich zu machen. Ohne 
Krieg oder Revolution konnten ſie nicht beſtehen, 
ſie waren es von Jugend auf ſo gewohnt ge— 
weſen und darin aufgewachſen, und was ſollte 
jetzt aus ihnen werden, wo ſie den Liberalen den 
Rücken gekehrt und von dieſem fremden übermü— 
thigen Kaiſer gar nicht gebraucht, ja nicht einmal 
anerkannt wurden? 

Da trat eine nicht ſehr hohe, aber ſehnige 
Geſtalt in die Thür, mit broncefarbenem Geſicht, 


6 


vollem Schwarzen Bart und ebenjolhem gelodten 
Haar, aus bejjen Antlig ein -paar funfelnde 
Augen bervorbligten und mit einem gemiljen 
Hohn über die Säfte hinzuſchweifen fchienen. 

„Haloh, Cortina — fomm hierher, Com: 
pañero — wo bilt Du jo lange geblieben ?’ 
riefen jie ihm zu — „ſeit einer Stunde warten 
wir Schon auf Did.‘ 

„Run, Caballeros,“ lachte der —— 
ingrimmig in den Bart hinein — „ich dächte, 
Ihre Zeit erlaubte Ihnen das, denn zu thun 
haben Sie Nichts — Caracho! ein ganzes Neſt voll 
ausgenommener Generale und alle ſchon flügge.“ 

„Hol' Dich der Teufel!“ knurrte Einer der— 
ſelben — „einen Rath ſollſt Du uns geben, was 
wir thun können, nicht Dich über uns luſtig 
machen — oder biſt Du etwa beſſer daran?“ 

„Einen Rath?“ rief Cortina, indem er ſeinen 
Hut hinten auf den Kopf rückte und ſich auf den 
ihm hingeſchobenen Seſſel warf — „ſeid Ihr 
wirklich rathlos und gefällt es Euch nicht mehr 
in Mexico? — Zum Henker auch, es wird hübſch 
hier, denn die Sache fängt an drunter und 
drüber zu gehen.“ 

„Iſt Etwas vorgefallen?“ riefen Drei, Vier 
zugleich. 


„Vorgefallen? Bah, Nichts — ein halb 
Dutend gehangen, was ijt das, aber Seine Ma: 
jeität fängt an den Krieg bis an’s Meſſer zu 
führen, und wir fönnen froh fein, daß wir bier 
im Trodnen fißen.‘’ 

„Den Teufel auh — wer ijt gehangen ?' 
tief e8 jeßt durcheinander, denn Keiner fühlte 
ih jo ganz fiber, ob nicht. ein paar Bekannte 
oder Freunde unter ben aljo Abgeurtheilten jein 
fönnten. 

„Ja, was weiß ich's!“ fagte Cortina achſel— 
zuckend; „Kriegsgelder wurden auf der Diligence 
transportirt, und ein halb Dutzend Liberaler 
machte ſich auf, um ſie abzufangen; eine fran— 
zöſiſche Escorte ſcheint ihnen aber in die Quere 
gekommen zu ſein, und wenn die „Nachbarn“ 
ſie nicht beerdigt haben, hängen die wackeren 
Burſchen noch draußen in den Bäumen der 
Penuelos.“ 

„Caracho! die Franzoſen waren das?“ 

„Run gewiß — heißt ja jet Alles Straßen: 
räuber und wird bald noch beſſer werden. Bas 
zaine joll gejagt Haben, daß nächſtens ein Ge: 
jet herausfommt, wonad die ganze Armee von 
Juarez als Straßenräuber betrachtet und be— 
bandelt wird.” 


8 


„Dann hängen fie aber auch drüben eben, 
den fie von den Kaijerlichen erwijchen.‘ 

„Wird bald nicht mehr Bäume genug im 
Walde geben, für all’ die Früchte,‘ lachte Cortina. 
„Jungens, jebt wird's hübſch in Merico, jebt 
geht eigentlich unfere Zeit an, und dabei jollten 
wir hier ruhig jiten und die Hände in ben 
Schooß legen ? VBerbrannt will ich werden, wenn 
ich's thue — ich gehe wieder nad) Norden.‘ 

„Zum Alten ?' riefen Mehrere zugleich. 

„Quien sabe,” fagte Cortina, die Achfeln 
zudend — „wer weiß, wo der ſteckt und ob er noch 
viel Soldaten hat — können's auch nod) eine Weile 
abwarten, denn gejtern hört’ ih, daß Bazaine 
jelber mit einer Armee hinauf will, um ihn zu 
fangen oder über die Grenze zu treiben.” 

„Dann iſt die Gejhichte aus.’ 

„Roc lange nicht — dann geht fie erjt an!’ 
rief Cortina, fein PBulqueglas dabei bis auf 
den Grund leerend — „nachher fommt entweder 
Drtega oder ein Anderer, das bleibt jich aleich 
— aber da oben jtehen bleiben können bie 
Franzoſen nicht — e8 liegt zu weit ab von ber 
Hauptjtadt, und jo wie fie wieder anfangen ji 
zurüdzuziehen, dann find wir hinterher und — 


Purisima ! — nicht einen Augenblid Ruhe wollen 
wir ihnen gönnen.” 

„Bas it denn daran?“ frug jebt ein Anderer. 
„Die Amerikaner hier in der Stadt erzählen, 
daß der Kaiſer Napoleon nächſtens alle jeine 
Soldaten nah Hauſe ſchicken werde, weil die im 
Norden es nicht länger leiden wollten.‘ 

„Das wäre Recht,“ nidte Cortina, ingrims 
mig vor ſich hinlachend — „nachher wollten wir 
bier bald unter den „feinen“ Officieren auf: 
räumen. In der Luft liegt übrigens was, denn 
die Pfaffen Fommen wieder an's Tageslicht, wie 
die Maulwürfe vor einem Gewitter — haben 
mir auch Schon Propofitionen gemacht, mag aber 
mit den Schwarzröden Nichts zu thun haben. 
So lange fie ung brauchen, find wir gut genug, 
aber kaum iſt's vorüber, jo zahlen jie mit Mefjen 
und Segen.‘ 

‚Nach Vera-Cruz zu jollen ſich auch wieder 
Schaaren von AJuariften zufammengezogen haben 
— id) hörte davon in der Stadt.” 

„Ja,“ nickte Cortina, „gehört hab’ ich's auch, 
weiß aber nicht, ob was dran iſt. Wenn ſie 
nur nicht den Porfeirio Diaz eingeſperrt hätten 
— bei dem wäre gleich wieder anzukommen.“ 

„Zu dem möcht' ich aber nicht,“ knurrte ein 


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Fleiner gelbbrauner Burſch mit einer riefigen 
Narbe über das ganze Geficht hinüber — „fau— 
ler Kram das. Der bat feine eigenen Soldaten 
hängen lafjen, wenn fie einmal geplündert hat— 
ten — mit dem ijt’s Nichts !’ 

„Und weshalb fol man feine Haut zu Marfte 
tragen,‘ vief ein Anderer, der ein einziges rie= 
ſiges Epaulett auf der linken Schulter trug, 
„wenn man nicht auch wenigjtens Etwas dafür 
bat. Soll mid nur wundern, wie lange dies— 
mal das Kaijerreich dauert — bat ja jchon bei- 
nahe anderthalb Jahr bejtanden — hätt’s ihm 
gar nicht zugetraut.” 

„Ich gehe morgen nad Dueretaro hinauf,” 
fagte Eortina — „wer geht mit ?’’ 

„erden aber erſt um Urlaub einfommen 
müſſen,“ lachte der mit der Narbe. 

„Hol' fie der Teufel!” knirſchte Cortina 
zwijchen den Zähnen durch — „ich bin mit mei: 
nem Urlaub fertig und wieder ein freier Mann. 
Hinter Queretaro brauche ich feine acht Tage 
Zeit, um eine Truppe tüdhtiger Kerle zuſammen 
zu bringen.‘ 

‚And wär’ es da doch nicht am Ende bejler, 
die Franzojen erjt ihren Zug nad Norden ma= 
hen zu laſſen. Jedenfalls rüdfen fie gegen 


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Chihuahua und Monterey, und wir wifjen dann 
eher, woran wir ſind.“ 

„Rechts und links davon haben wir Platz ge— 
nug,“ lachte Cortina, „und wenn wir uns nad) 
Guerrero hineinwerfen follten. ch gehe.‘ 

„Dann, den ich, gehe ich auch,“ fagte der 
mit der Narbe — „und Du, Carlos ?’' 

„Zu verfäumen hab’ ich hier Nichts — laßt 
uns Alle in’s Land gehen. Borberhand maden 
wir nur eine Vergnügungsreife, und find wir 
erit einmal drin, jo jehen wir bald jelber, wie 
die Sachen ſtehen.“ 

„Sin Wort ein Mann !” rief Eortina. „Wann 
breden wir auf?’ 

„Richt zuſammen,“ warnte ein Anderer — 
„wir dürfen feinen Verdacht erregen, ſonſt jißen 
uns die Beltien auf dem Naden. Laßt uns ein- 
zeln gehen und in Queretaro treffen wir dann 
zujammen.‘ 

„Auch gut, und jett Adios, Caballeros — 
auf ein fröhliches Leben wieder in den Bergen !‘ 


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Im Haufe Don Carlos Luecido's, in den pracht— 
vollen und behäbigen Räumen herrſchte eine 
furchtbare Aufregung, denn die Gerichte jchienen 


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diesmal wenig Umjtände mit dem gefangenen 
Verbrecher machen zu wollen, wenn er auch der 
Sohn eines der reichjten Leute in Merico war. 
Mauricio, darauf gerade troßend, hatte auch ein 
geltanden, daß er bei dem Meberfall der Dili- 
gence betheiligt gewejen, aber natürlich nur aus 
politiihen Motiven. Er jtehe entſchieden auf - 
Ceiten der Liberalen, erflärte er ganz offen, und 
babe das Kaiſerthum nod) nie anerfannt. Ihre 
Abjicht jei auch allein gewejen, die beiden fran= 
zöſiſchen Dfficiere gefangen zu nehmen, um fie 
gegen gefangene Dfficiere der Liberalen aus: 
wecjeln zu Fönnen, aber der hartnädige Wider 
jtand der Franzoſen, von dem er felber noch bie 
Narbe trug, babe feine Begleiter erbittert und 
den Tod der Beiden zur Folge gehabt. 

Seine Ausfagen halfen ihm Nichts. — Ri: 
carda San Blas, wie fie e8 van Leuwen ver— 
ſprochen, trat jelber als Zeugin gegen ihn auf. 
— 68 war Nichts als ein ganz gemeiner Raub— 
anfall gewejen, gerade wie der zweite, der durch 
ben gefundenen Brief vereitelt wurde, und man 
hatte die Schüſſe abgefeuert,.ehe nur der Magen 
ordentlich hielt, alfo ven einer Gefangennahme 
ber DOfficiere gar Feine Rede fein Fonnte, 

Mauricio Lucido, zum Tode veruriheilt, follte 


13 


am nächſten Morgen erjchofjen werden, denn es 
war nöthig geworden, dem liederlichen jungen 
Volk der Stadt ein Beilpiel zu geben, daß fie 
feine bevorzugte Klafje bildeten, jondern jih den 
Geſetzen und der Ordnung ebenfo fügen mußten, 
wie alle Anderen. 

Der Kaifer felber unterfchrieb das Todes: 
urtheil und war fo empört über biefen Tall, 
daß er, wie es hieß, nicht einmal Lucido's Mut: 
ter, die ihn um Gnade für den Sohn bitten 
wollte, vorlieg. — Umjonjt hatte fie jich wenige 
tens an Padre Fiſcher gewandt, der, als ber 
Kailer von Euernavaca zurüdkehrte, Hofcaplan 
geworden. Er verjprah ihr allerdings, fein 
Möglichites zu thun, aber jein Weg blieb, wie 
er ihr jpäter fagte, erfolglos, denn der Kaijer 
wolle gerade in biejem alle, wo jchon jo viele 
Verbrecher aus den unteren Klaſſen hingerichtet 
worden waren, feine Gnade walten lajjen. 

Arme Mutter! Padre Fiſcher hatte fich wohl 
gehütet zu dem Kaiſer zu Deinen Gunften zu 
ſprechen, denn was konnte der Flerifalen Partei 
erwünjchter fein, als daß gerade die Partei, die 
noch am innigjten zum Kaiſerreich hielt, gegen 
daſſelbe erbittert wurde. Der Kaijer mußte nad 
und nach einjchen lernen, daß er Niemanden 


14 


mehr hatte, auf den er ſich ſtützen Fonnte, als 
eben die Geijtlichkeit, und dahin erjt einmal ge- 
langt, und der Sieg konnte ihr nicht ausbleiben. 

Die Frauen im Haufe ſaßen und weinten; 
die Dienerfchaft wehflagte, und der alte Yucido 
ging mit auf den Rüden gelegten Händen und 
finfter zufammengezogenen Brauen in feinem 
Zimmer auf und ab. Boten waren dabei nad) 
den verfchiedenften Richtungen ausgejandt, um 
die Freunde zu einer Berathung einzuladen, 
und nad und nach trafen fie jeßt ein. Aber es 
war fein fröhliches Zuſammenſein, wie es ſonſt 
jo oft in diefen Räumen ftattgefunden, fondern 
ernjt und jchweigend jammelten ſich die Herren, 
die „Großen des Reiches’, wie man fie recht 
gut hätte nennen fönen, in dem luftigen Gemach. 
Sie drüdten dem Freund til und jtumm die 
Hand, aber Feder jcheute jih, zuerit von dem 
zu beginnen, was ihnen Allen doch ſchwer und 
brüdend genug auf dem Herzen lag. Aber es 
half Nichts — einmal mußte doch das Eis ge= 
brochen werden und Roneiro nahm zuerſt das Wort. 

„Compadre,“*) jagte er herzlich, indem er 


*) Gevatter; die Pathenſchaft gilt in allen dieſen ſpa— 
niihen Kolonien faft mehr al® bei uns ein naher Berwandt- 
ſchaftsgrad. 


15 


zu Lucido ging und ihm die Hand auf die Schul: 
ter legte — ‚Du weißt, id nehme an dem June 
gen fait jo viel Theil als Du felber, denn ich 
babe ihn aus der Taufe gehoben und ihn mit 
unter meinen Augen aufwachjen jehen.‘‘ 

„Ich weiß es, Compadre — ich weiß es,” 
erwiederte Yucido bewegt, und der jtarfe Mann 
mußte ſich Mühe geben die Thränen zurüd- 
zuzwängen, ‚und daß er jeßt jo enden ſollte!“ 

„Bir find bergefommen, um das mit Dir 
zu berathen,‘ jagte Roneiro — „noch iſt es dod) 
vielleicht möglich, einen Ausweg zu finden.’ 

Lucido jchüttelte wehmüthig mit dem Kopf. — 
„Wir haben Alles verſucht,“ jagte er, „meine 
Frau war felbjt oben beim Kaiſer, ijt aber 
gar nicht vorgelafien worden. Es ijt vorbei 
— der Junge hat jchwer gefehlt, aber jo zu 
büßen!“ | 

„Mauricio war in der legten Zeit verwil- 
dert,‘ nidte Roneiro jeufzend, „und wir jelber 
fonnten in den jo bewegten Tagen nicht jo auf 
ihn Acht geben, wie wir e8 wohl gejollt. Er ijt 
in schlechte Gejellihaft gerathen — das viele 
fremde leichtfertige Volk, Abenteurer, die nur 
nach Merico kamen, um bier ein Vermögen zu 
jammeln, und als fie das nicht jo leicht fanden, 


16 


zu allen möglichen Kunftgriffen ihre Zuflucht 
nahmen. Was aber um ber heiligen Jungfrau 
willen, Rodriguez, konnte Ihre Nichte bewegen, 
in jo entjchieden feindlicher Weife gegen ben 
Jungen aufzutreten? Es ift unerbört, und ohne 
ihr Zeugniß wäre er nie zum Tode verurtheilt 
worden.’ 

„Bott weiß es,“ fagte Rodriguez, mit den 
Achſeln zudend, „das ſonſt jo beſcheiden einfache, 
ja ſchüchterne Weſen war ganz wie umgewechſelt. 
Den erſten Tag ſaß ſie ſtill und ſtumm, und 
verkehrte faſt mit Niemandem, als aber am Abend 
ſpät die Nachricht kam, daß der Ueberfall gegen 
die Räuber an den Penuelos geglückt und Alle, 
mit Ausnahme eines Einzigen, der entkommen 
war, ihre Strafe erhalten hätten, die Patrouille 
ſelber auch, mit nicht einmal einem Verwundeten 
zurückkehrte, nur ein belgiſcher Hauptmann ſollte 
erſchoſſen ſein, — da trat ſie bleich und erregt, 
wie ich ſie nie geſehen, vor uns hin und ſchwur, 
daß Mauricio Lucido den Tod erleiden müßte. 
Wir haben Alles verſucht, ſie von ihrem Ent— 
ſchluß abzubringen — umſonſt, es war nicht 
möglich; das ſonſt ſo ſcheue Mädchen ſchien wie 
verwandelt, und ernſt und entſchloſſen verfolgte 
ſie ihre Bahn.“ 


17 


‚Welcher Partei gehört ihr Vater an?” frug 
Roneiro. 

„So viel ih weiß, den Liberalen,“ fagte 
Rodriguez, „obgleich er zu den bejten Familien 
von Ean Blas gehört. Er war aber von je 
ein Schwärmer, bat alle feine Indianer frei 
und ihnen eigenes Rand gegeben, um e8 zu be- 
wirtbichaften, und gerieth jchon deshalb mit den 
Klerifalen in Streit. Sonft ift er aber einer 
der rechtichaffeniten Leute die ich Fenne, und, 
wie ich oft und oft von meiner Schwefter gehört 
babe, der bejte Vater und Gatte.“ 

„Es bat jo fein ſollen,“ ftöhnte Lucido — 
„und den einzigen Sohn — den einzigen Sohn!’ 

„Ich begreife gar nicht,’ ſagte jebt Baltiani, 
der ſich ebenfalls unter den Freunden befand, 
‚daß der Kaijer gerade diesmal jo hartnädig 
auf dem XTodesurtheil beitehen ſollte. Es ilt 
ſonſt gar feine Art nit. Wiſſen Sie aud) ge— 
wiß, Lucido, daß er von dem Beſuch Ihrer Sat: 
tin in Kenntniß geſetzt war?‘ 

Lucido nickte ftil mit dem Kopf. ‚Sein 
Hofcaplan bat es jelber übernommen, ihr die 
Audienz zu erwirfen, aber ſchon nach kurzer Zeit 
fehrte er zurüd und jagte: ber Kaijer wolle dies: 

Fr. Gerftäder, In Merico. III. 2 


18 


mal dem Geſetz jeinen vollen Lauf laffen, denn: 
e8 gäbe in Merico feine bevorzugte Klaſſe.“ 

„Und das Alles dafür, daß gerade dieje be— 
porzugte Klafje ihn auf den Thron gejeßt!‘ rief 
Santiago, ein Schwager Lucido's, der bedeu— 
tende Bejißungen in Puebla hatte und fich ge: 
rade auf Bejuh in Merico befand — „ohne 
bieje „bevorzugte Klaſſe“ ſäße er noch als armer 
Erzherzog auf feinem Felſenſchloß von Miramare, 
während er jet der Herricher des ſchönſten Lan: 
des der Welt iſt —“ 

„Und ich weiß nicht,‘ meinte Bajtiani troden, 
„ob er dort nicht bejjer und ruhiger ſäße als hier, 
denn mein Wort zum Pfande, ich möchte nicht 
an jeiner Stelle jein.‘ 

„Bir können ihn wieder dorthin ſchicken,“ 
warf ein anderer Conjervativer, Doblada Santa 
Eruz, ein, „denn für die Intereſſer unjerer 
Partei hat er, jo lange er ſich Re befindet, noch 
Nichts gethan.“ 

„Ich halte ihn für einen ehrenwerthen Mann,“ 
ſagte Baſtiani. 

„Aber den brauchen wir hier nicht!“ rief 
Doblado heftig aus — „wir brauchen einen 
tüchtigen Mann, der das Land im Zaum 
hält und ſich auf die Leute, die ſeine Freunde 





19 


jind, oder ſich wenigitens bis jest als jeine 
Freunde gezeigt haben, ſtützt. Was wir bier 
brauchten, war ein Oberhaupt, das uns unjer 
Eigenthum garantirte, und was hat Marimilian 
getban? — e8 im Gegentheil gerade in Frage 
geſtellt!“ 

„Caramba no,” rief Baſtiani — „ich dächte 
gerade dadurch, daß er die Geſetze der todten 
Hand anerkannte und den Klerikalen, die ſich 
feſte Rechnung gemacht ihn auf ihre Seite 
zu bekommen, ſo feſt entgegentrat, hat er mehr 
gethan, als wir von ihm und ſeinen Anteceden— 
tien nach erwarten durften.“ 

„Dann hätte er auch dieſe Geſetze einfach 
anerkennen und jetzt nicht auf eine Reviſion der 
in unruhigen Zeiten geſchloſſenen Käufe dringen 
müſſen,“ rief Santiago. „Damals ſind aller— 
dings Unregelmäßigkeiten vorgekommen, das gebe 
ich zu, aber es war in der Zeit nicht anders 
möglich, und konnte auch, da es todte Liegen— 
ſchaften betraf, Niemandem zum Schaden ge— 
reichen. — Aber nein, das ſoll hier Alles nach 
europäiſchem Muſter und in einer alten, ge— 
ſtempelten Form regiert werden, und das geht 
nun einmal nicht in Mexico.“ 


„Santiago hat Recht,“ nickte gtonelvo, „Id 
2* 


20 


bin gewiß ein Freund bes Kaifers und von Ans 
fang an gewejen, und er hat fid) mir und meiner 
Familie aud immer freundlich gezeigt, aber dieſe 
Revifion der Verkäufe war ein Zankapfel, ven 
er nicht in das Lager der Feinde, jondern in 
das feiner treuejten Freunde und Anhänger warf, 
und das nur den Advocaten nüßen wird. Ich 
jelber befinde mich mit all’ meinen neuen Liegen- 
Ihaften in der Stadt jhon in einen höchſt un: 
angenehmen Proceß verwidelt, und wenn wir 
unferes Eigentbums nicht einmal gejichert fein 
ſollen, fo jehe ich eigentlih gar nicht ein, wes— 
halb wir es nicht eben jo gut der Kirche zurück— 
geben könnten. Dadurch befümen wir wenig: 
tens Frieden im eigenen Haus und mit unferen 
Familien.“ 

„Der Kaiſer iſt ein Fremder,“ ſagte finſter 
Doblado, „und wird ewig ein Fremder bei uns 
bleiben, denn er verſteht uns nicht. Vermitteln 
will er in einem fort, keinem Menſchen Unrecht 
thun und Alle zu Freunden machen, und da— 
durch erwirkt er fich gerade das Gegentheil. Wer 
bier in Merico regieren will, der muß einer 
bejtimmten ‘Bartei angehören und dieſe jo mäde 
tig zu machen juchen, daß fie allen anderen bie 
Spige bieten fann, jonjt wird aus der ganzen 


21 


Sache Nichts und er jeßt ſich eben, wie das 
Sprihwort jagt, jehr einfach zwiſchen ein paar 
Stühle hinein. Ja er thut gerade das Gegen- 
theil — vom Bapit erbittet er ji einen Nun— 
tus und ſchickt eine Geſandtſchaft nah Rom, 
wirft aber in berjelben Zeit alle Verordnungen 
und Befehle des heiligen Vaters über den Haus 
fen, — Juarez treibt er mit den Liberalen aus 
dem Lande, und bildet, während er das thut, 
fein ganzes Minifterium fajt aus lauter Libe— 
ralen, — die Eonjervativen jtreichelt er mit der 
einen Hand durch Anerkennung der Reform: 
gejege, und zu gleicher Zeit ftellt er durch die 
Revifionen ihr Befigthum in Frage, giebt dabei 
die Indianer frei, oder entbindet jie vielmehr 
ihrer eingegangenen Verpflichtungen und erkennt 
jelber unjere geſellſchaftlichen Vorrechte nicht 
mehr an. Von wem verlangt er jeßt, daß ſie 
zu ibm ſtehen jolen? welde Partei bat er 
wirklich für fi gewonnen? Das Voll? — das 
it eine gedanfenloje Maſſe, die faum ben Be: 
griff eines wirklichen Kaijers kennt und die wir 
heute, die Klerifalen morgen für ſich verwenden 
fönnen, und was barf er von den Indianern 
hoffen? Nein, er mag ein ganz guter Mann fein, 
aber er ſpielt ein gefährliches Spiel, oder tappt 


22 


blindlings in fein Unglüd hinein, und findet 
ih einmal wieder eines ſchönen Tages auf ber 
Rückreiſe nach jeinem Felſenſchloß. Unjere Bars 
teien aber bier in Merico zu verjchmelzen und 
eine einzige daraus zu machen, das bringt er 
nicht fertig, und — brächte fein Gott zu Wege.“ 

„Mein Sohn! mein Sohn!” ftöhnte Yucido, 
der ſich auf einen Stuhl niedergelafjen, und bie 
krampfhaft gefalteten Hände babei zwijchen ben 
Knieen hielt. Was Fümmerte ihn jebt die Polis 
til des Landes, was Gewinn oder Verluſt — 
was Kaijer und Reid — er jammerte um fein 
Kind, und Roneiro, der eine Zeit lang ſinnend 
am Fenſter geftanden und hinaus auf die Straße 
gejehen Hatte, drehte fih endlich um und 
fagte: 

„Es giebt nur nod) einen Weg, um Mauricio 
zu, retten, und das iſt die Flucht. Vorhin ſprach 
ich mit Deverreur über den Fall, der aber meint, 
daß Bazaine feit entſchloſſen fei, ihn erjchießen 
zu laffen, um die beiden franzöfiihen Officiere 
zu rähen, und ber ift nicht der Mann, ber ſo 
leicht von einem einmal gefaßten Entſchluß abzus 
bringen wäre.’ 

‚Aber wie entfliehen? — wie iſt es möglich?“ 
rief Lucido, fih an dieje legte Hoffnung klam— 





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23 


mernd — „wenn es mit Geld abzumachen wäre, 
ob wie gern wollte ich das geben!‘‘ 

„Ich glaube fat, es iſt möglich,” nidte Ro: 
neiro, „aber nicht mit einer Fleinen Summe, 
denn der Gefängnifwärter muß mit ihm ent- 
fliehen und thut das nicht, wenn er nicht feine 
Zufunft gefichert bekommt.“ 

„Und wie viel glaubjt Du, daß er verlangen 
wird 7’ 

„sh denke, er wird mit fünftaujend Peſos 
zufrieden fein.‘ 

„Sieb ihm das — — ihm mehr!“ rief der 
Vater mit leuchtenden Blicken, „aber mach' mir 
den Sohn frei und ich will es Dir auf meinen 
Knieen danken.“ 

„Ja ich ſelber kann es nicht; dazu brauchen 
wir einen Pfaffen,“ nickte nachdenkend Roneiro, 
„aber ich glaube, ich kenne den richtigen Mann. 
Der höhere Klerus wird darüber jubeln, wenn 
der Kaiſer unſerer Partei durch ſolch ein Ur— 
theil gewiſſermaßen einen Schlag verſetzt, aber 
die niedere Geiſtlichkeit hat kein Intereſſe dabei, 
wird überhaupt von den Kirchenfürſten ſchlecht 
behandelt, und iſt deshalb leicht zu gewinnen, 
Ueberlaß das mir — ich ſuche ihn augenblidlich 


24 


auf, und wenn es nody möglich ijt es durch— 
zuführen, jo bringt ber es fertig.‘ 

‚Und wer ift der?“ frug Santiago — „kenne 
ich ihn?“ 

„Padre Sorra. Er gehört zu einem jener 
Convente, die allein auf ihren Privatverbdienft, 
auf Mefjelejen und andere Firdliche Functionen, 
wie au Sammlungen bei Feten angewiejen 
find und Schon dadurch dem überreichen Klerus 
neidisch entgegenjtehen. Mit Geld ift bei denen 
Alles zu machen, und wenn ein zu einem ſol— 
hen Zweck geeigneter Menſch erijtirt, jo iſt es 
mein Padre. — Aber gieb Di deshalb noch 
nicht zu großer Hoffnung bin, Carlos. — Die 
uns gegönnte Zeit ift faſt zu kurz. Bor allen 
Dingen werd’ ih mit Sorra jelber jpredhen, 
und dann müſſen wir Mauricio veranlafjen, daß 
er einen Geijtlichen verlangt, nad welchem er 
außerdem, wie ich fürdhte, Fein großes Bedürf— 
niß jpüren wird.‘ 

„Er har fih von Gott und feinem ehrlichen 
Namen abgewandt,' Flagte Carlos Lucido — 
„oh, mein Sohn — mein Sohn — er wird elend 
zu Grunde gehen!‘ 

„Veremos,“ jagte Roneiro ruhig — ‚aber 





weiß Einer von Ihnen no ein anderes Mittel, 
dem unglücklichen jungen Mann zu helfen?“ 

„Ich fürchte nein, fagte Rodriguez — „ich 
bin mit Bazaine, der durch jeine Heirat} ja aud) 
mit mir verwandt wurde, ziemlich genau befannt 
und war heute Morgen bei ihm, aber umjonit. 
Bon der Seite ift Nichts zu hoffen, und wenn 
ver Kaiſer jelber Gnade verjagt bat, jo bleibt 
allerdings Nichts übrig als Flucht — wenn er 
überhaupt noch zu retten iſt.“ 

„But, Caballeros,“ nidte Roneiro, „dann 
werde ich an meine Mifjion gehen, und morgen 
Früh, compadre, jage ih Dir Antwort, ob ic 
Hoffnung habe. Den Kopf hoch, Mann, nod) 
lebt Mauricio und es ift nicht Alles verloren!” 


* 
* + 


Zu dem AJuftizminijter Escudero trat Mars 
Ihall Bazaine in das Gemah und jchien heute 
in ungewöhnlicher Aufregung. 

Escudero, der feine, höflihe Mericaner, em: 
pfing den DDberbefehlshaber der franzdfijchen 
„Hilfstruppen‘ auf das artigjte, aber der Trans 
zoſe jchien eben nicht in der Stimmung, lang: 
weilige Formen zu beobadten, und ſich in einen 
ber nächſten Stühle werfend, fagte er: 


26 


„Señor, das geht nicht länger jo fort — wir 
müſſen energijch gegen das Gefindel auftreten, 
oder wir erreichen Nichts, als dag wir ein jedes 
Jahr von vorn den nämlidyen Feldzug beginnen, 
wie wir ihn im vorigen hatten.‘ 

„Ich weiß nit, was der Herr Marihall 
meinen,‘ ſagte Escudero freundlih, ‚aber ich 
follte denken, Ihre Truppen wären energiich ge— 
nug vorgegangen. Die legten Nachrichten lauten 
außerordentlich günftig.‘ 

„Der Teufel dank’ es ihnen! brummte Ba— 
zaine. „Sie wundern ji doch wohl nicht, daß 
unjere franzöfiihen Regimenter das mericanijche 
Gefindel werfen, wo fie mit ihm zufammentreffen, 
aber was hilft das? Wir treiben fie aus jedem 
Platz hinaus, den wir angreifen, aber wir müß— 
ten eine halbe Million von Soldaten hier haben, 
um jeden Hauptplaß nur befeftigt zu halten. 
Sobald wir ung zurüdziehen, rüden dieſe Raub: 
banden, die fich Soldaten des Präfidenten Juarez 
nennen, wieber vor, und das ift ein Spiel, das 
Menſchen, die von trodenen Tortillas leben, wohl 
aushalten und eine unbeftimmte Anzahl von 
Jahren fortjegen können, an denen wir aber 
zulegt mit dem Kaiferreich zu Grunde gehen.“ 

„Aber jo weit die Berichte reihen, die wir 





27 


erhalten haben,‘ ſagte der Meinijter, „Sind 
doch jämmtliche Kriegsoperationen auf das glück— 
lihjte gelungen, und die heutige Nachricht be= 
ftätigt jogar, was jhon vor ein paar Tagen ges 
meldet wurde, daß nämlich Juarez endlich nad 
dem Norden hinauf — man vermuthet jogar, 
über die Grenze getrieben ſei. Die Liberalen 
behaupteten allerdings, er babe ſich in Paſo del 
Norte, einem kleinen erbärmlichen Grenzfleden, 
fejtgejeßt, aber das ijt nicht wahrſcheinlich, denn 
was wollte er dort? ch kenne den Platz genau, 
er könnte jich dort faum mit fünfzig Anhängern 
für furze Zeit vielleiht am Leben halten.‘ 
„Und das iſt es gerade, was ich Ihnen jagen 
wollte,‘ rief Bazaine. — „Juareäz iſt jeßt that- 
jähhlich über die Grenze getrieben und die Revo— 
[ution vorbei — und, wenn er es nicht wäre, 
ſein Präfidentichafts-Termin überhaupt in wes 
nigen Wochen abgelaufen. Alle die, welde ung 
nad diejer Zeit mit den Waffen in ber Hand 
gegenüberjtehen, find Nichts als gemeine Straßen- 
räuber — Banden, die berumziehen, einzig zu 
dem Zweck, Feind und Freund auszuplündern, 
und dem muß ein Ende gemacht werden, oder 
ich jelber bitte Seine Majeftät den Kaijer Na— 
poleon mich von hier abzuberufen. Ich bin mit 


25 


Freuden willens, mid, jedem geordneten Heer 
oder jeder berehtigten Macht entgegen zu 
jtellen; ich erkenne jelbit einzelne Guerillabanden 
an, jo wie fie von einem bejtimmten Oberhaupt 
birigivt werden und irgend Etwa — und wenn 
es jelbjt nur eine dee wäre, verfechten, aber ich 
bin fein Polizei:Officiant, der genöthigt werden 
fann ih das ganze Jahr mit Verbredern 
berumzujchlagen, und dem man dann nicht einmal 
bie Macht einräumt, die Schuldigen, wenn er jie 
wirflicy gefaßt hat, zu züchtigen.‘ 

„Ich verjtehe Sie nit, Herr Marſchall.“ 

„Dann will ih ganz deutlich reden,‘ ſagte 
Bazaine. — „Der Kaiſer'muß, wenn er meine 
Unterjtügßung feiner Macht auch nur noch jo 
viel für nöthig Hält, ein Decret erlajien, das 
die jegt noch umberjtreifenden Banden für 
vogelfrei erklärt — Räuber und Mordbrenner,, 
bie e8 außerdem nur find. Der eigentliche Krieg 
ijt beendet und der Erpräfident über die Grenze 
gejagt, wir haben e8 von diefem Augenblif an 
aljo mit Feiner Kriegsmacht mehr zu thun, 
jondern allein mit übriggebliebenen und zurück— 
gelafjenen Banditen, die wir bei Gott nicht, 
wenn wir jie erwilhen, als Kriegsgefangene 
behandeln können. Wir erklären den Krieg 


29 


für beendet, denn wir haben ein volles Recht 
dazu, und wer von dba ab mit den Waffen in 
der Hand gefangen wird, joll als gewöhnlicher 
Bandit behandelt, das heißt erichoffen oder ge= 
bangen werden, wie e8 ber Fall gerade mit ſich 
bringt.‘ 

„Herr Marſchall,“ ſagte Escudero, „das iſt 
ein Capitel, was wir jchon verjchiedene Male 
mit Seiner Majeftät, aber ohne Erfolg verhan— 
belt Haben. Der Kaijer weigert ſich auf dag 
entſchiedenſte zu derartigen Maßregeln zu grei- 
fen, fo lange Juarez auch nur einen Schatten 
von Recht auf feiner Seite bat. Er hofft immer 
noch durch ſtrenge Gerechtigkeit den Feind zu 
überzeugen, daß er e8 mit feinem Eroberer, ſon— 
dern mit einem Monarchen zu thun babe, ber 
wirklich nur das Beſte des Landes will und den 
Frieden deſſelben anjtrebt. Und haben wir denn 
auh nicht in den zahlreichen Loyalitätserflä- 
rungen, die ihm in den legten Wochen fajt von 
allen nordiſchen Städten zugegangen find, die 
Beweise, daß ihm die Mehrzahl, ſelbſt der Libe— 
ralen zuneigt? Den Leuten dort mußte fich zu= 
legt die Ueberzeugung aufdrängen, daß Juarez 
nicht der Mann war, gegen einen Marimilian 
aufzutreten, und nicht allein Officiere der Libe— 


30 


ralen, nein, zahlreiche Präfecten haben ebenfalls 
an uns gejchrieben, ihren völligen Uebertritt zum 
Kaijertbum erklärt und uns jelber gebeten, 
Truppen in ihre Ortichaften zu legen, um 
berumihwärmenden Banden der Liberalen bie 
Spige bieten zu können.“ 

„Und da haben Sie den ewigen Refrain vom 
Lied!’ brach Bazaine, der bis jetzt ungebulbig 
den Boden mit dem Fuß geflopft Hatte, aus — 
„Truppen wollen fie haben, weil fie wiflen, daß 
wir uns jelbjt beföftigen und für Alles, mas 
wir brauchen, baar bezahlen — Truppen, nur 
um nicht jelber in bie VBerlegenheit fommen zu 
müfjen, ihr Eigentbum zu vertbeidigen. Wir 
koſten jie Nichts, jondern bringen ihnen noch 
Geld, aber faum haben wir den Rüden gewandt 
und ein Juarez'ſches Streifcorps rüdt in den 
Drt ein, jo jubeln jie dem auch, wieder entgegen 
und erklären jih als die beiten und treuejten 
Republikaner. Nicht eine Centime gebe ich Ihnen 
für all’ die Loyalitätsadrejjen ſolcher Menjchen, 
denn wie ber Wind weht, jo drehen fie fich, und 
das nämliche Concept, das fie heute in Abjchrift 
an den Kaijer eingejandt haben, dient ihnen 
vielleicht acht Tage jpäter, mit ein paar ver= 
änderten Worten, um es einem der Liberalen 





31 


Banden: Generale zu Füßen zu legen. Geben 
Sie mir mit Ihren Adreſſen; ich halte mich an 
die wahre und nadte Wirklichkeit, an die Men- 
jhen, wie ich jie in den Jahren gefunden habe 
und wie jie jind, und demnach gebe ich Ihnen 
mein Wort, daß Sie ſich aud nicht eine Stunde 
auf ſolche Verſicherungen verlajien können. 
Nein, geſpielt haben wir genug mit ihnen und 
jedem menſchlichen Völkerrechte Genüge geleiſtet, 
das weiß Gott. Jetzt wird es Zeit, daß wir 
ihnen die Zähne zeigen, und ich erkläre Ihnen 
hiermit, Señor, daß ich in demſelben Moment 
um meine Abberufung einkomme und meine 
Soldaten von dem ſogenannten „Kriegsſchau— 
platze“ zurückziehe, wo mir der Kaiſer jetzt noch, 
nach zahlloſen Mahnungen, erklärt, daß er von 
ſeiner paſſiven Politik nicht abſtehen will. Er— 
läßt er ein ſolches Decret und giebt er mir die 
Vollmacht es auszuführen, dann ſtehe ich Ihnen 
dafür ein, daß ich Ihnen das ganze Land nicht 
allein erobere — denn das iſt jetzt ſchon ge— 
ſchehen, — nein daß ich es auch unterwerfe und 
in Beſitz halte, bis er ſeine eigene Armee (was, 
beiläufig geſagt, etwas lange dauert) auf den 
Füßen hat; erläßt er es aber nicht, dann mag 
er ſich auch die Folgen zuſchreiben und mir 


32 


nachher feine Vorwürfe machen, denn von dem 
Augenblid an trete ich zurüd und er mag das 
Commando übergeben, wem er will. Mich bannt 
bier nicht allein der Befehl meines Kaiſers, nein, 
auch meine eigene Ehre, und wahrlich, die will 
ih nicht dadurch auf's Spiel ſetzen, daß id 
weiter Nichts thue als Kriegsgefangene machen, 
jie höflich und mit jeder Rüdjicht durch das Land 
escortire und abliefere, und dann adyt oder vier: 
zehn Tage jpäter den nämlichen Schuften wieder 
gegenüberftehe, die, A la caballero, auf Ehren: 
wort entlajfen wurden und nicht einmal wiſſen 
oder beachten, was das zu bebeuten hat. Ich 
babe, das gejtehe ih Ahnen aufrichtig, diefe Art 
von Kriegführung bis zum Ueberdruß fatt, und 
mit meinen Officieren ift das ebenjo der Tal. 
Mir find gewillt, unfer Leben jeden Tag für 
den Raifer in die Schanze zu jchlagen — das 
ijt unfer Beruf — aber wir müfjen auch dabei 
jehben, daß wir Etwas erreihen. Mit den Da— 
naiden wollen wir nicht jchöpfen oder einen 
Siſyphusſtein den Berg hinaufrollen.‘ 

‚Und wäre es nicht bejler, Herr Marjchall, 
daß Sie das Seiner Majeftät in einer Denk— 
Schrift oder nur in einem Brief auseinander: 
ſetzten?“ frug der Miniiter. 





33 


„Wozu die ewige Schreiberei ?” ſagte Bazaine 
barſch — „ich habe, jeitdem ih in Merico bin, 
mehr Briefe gejchrieben als früher in meinem 
ganzen Leben, und es jet fatt befommen. Sie 
jind der Hauptrathgeber des Kaijers und er hält 
viel auf Sie — in Ihren VBerwaltungszweig 
fällt aud) die ganze Angelegenheit, denn wir 
haben es jeßt nicht mehr mit Soldaten, fondern 
nur mit Räuberbanden zu thun, die den öffent: 
lihen Frieden des Staates und die Sicherheit 
jeiner Bewohner jtören, und gegen dieje müfjen 
ftrenge — müfjen die äußerſten Maßregeln er: 
griffen werben, wenn wir irgend Etwas erreichen 
wollen. Seten Sie in Ihrem Minifterium ein 
ſolches Gejeß auf — ich bin gern bereit, es mit 
Ihnen privatim durchzuberathen — und ich ftehe 
Ihnen nachher für den Erfolg.‘ 

„Und weshalb erlajjen Sie nicht jelber eine 
jolde Drdre an Ihre Truppenkörper?“ frug 
Escudero. 

Bazaine z0g jeine Brauen finiter zufammen. 
„Ich glaube,’ jagte er, „ich habe mit Ihnen 
oder Ramirez das nämliche Thema ſchon einmal 
verhandelt — aber die Antwort ijt einfach ge- 
nug: Ich babe zu befehlen, wo ich einem wirf- 
lihen Feind gegenüberjtehe, und fenne die 

Fr. Gerjtäder, In Merico. III. 3 


34 


Kriegsgejeße civilifirter Völker gut genug, um 
Niemandes Rath oder Unterftügung zu verlangen. 
Hier aber hat der Krieg aufgehört — die Sol: 
daten können nur noch zum Schuß der „Gens— 
darmen‘ dienen, und wo es Gejeße über bie 
Unterthanen des Kaijers giebt, da jteht mir, als 
franzöſiſchem Feldherrn, feine Macht und feine 
Gewalt zu — und ih habe auch Fein Intereſſe 
dabei,“ jeßte er, Furz abbrechend, Hinzu. „Will 
fih der Kaijer al’ diefe Räuberbanden confer: 
viren und groß ziehen — eh bien — dann iſt 
das feine Sache; dann fann und darf er aber 
auch Feinen franzöſiſchen Marſchall dazu verwen- 
den wollen, fie ihm einzufangen, und mein 
Dienst bier in Merico iſt aus. — Leben Sie 
wohl, Señor, das Thema ijt jegt genügend durch— 
geiproden, und verlangt der Kaijer mih in 
der Sache zu ſprechen, jo bin ich auch dazu er— 
bötig, ihm meine Forderung noch einmal per= 
ſönlich vorzutragen. — Doch ih muß fort, 
Señor, und hoffe nur, daß Sie mir recht bald 
eine günſtige Nachricht darüber mittheilen 
können.“ 

Damit ſtand er auf, grüßte kurz und mili— 
täriſch, und verließ ohne weiteren Aufenthalt 
Escudero's Haus. 





J 
Der Flüchtige. 


— 


Der zur Hinrihtung Mauricio’s beitimmte 
Morgen brad) an, aber in dem Gefängniß jelber 
herrfchte die größte Verwirrung und Alles lief 
durcheinander. — Soldaten hatten ſämmtliche 
Ausgänge um das Dreis und PVierfache wie ge— 
wöhnlich bejett, und ein franzöſiſcher Obriſt 
wetterte in dem Raum auf franzöjiich und jpa- 
nisch umher — der Gefangene war entfloben. 

Allerdings ging das Gerücht, er fei einer 
Patrouille begegnet, und dieſe jett unmittelbar 
auf jeinen erjen, jo daß man hoffen dürfe ihn 
wieder zu befommen, aber die Sache an und für 
ſich blieb diejelbe, denn der Gefängnigwärter 
batte jich mit ihm aus dem Staub gemacht, und 
der Franzoſe jegt nicht einmal jemand Beſtimm— 

3* 


36 


tes, an den er ji mit feinem Grimm wenden 
fonnte. Es blieb ihm Nichts übrig, als die ganze” 
mericanifche Nation in Grund und Boden hinein 
zu verdammen und zu verfludhen — und das 
that er redlich. 

Reiter jprengten jeßt durch die Straßen nad) 
allen Richtungen hin — Batrouillen wurden aus— 
gejandt, um jämmtliche Wege dicht um Merico, 
wo ein Ausweichen nicht gut möglich war, feit 
zu überwadyen, und ftrenger Befehl gegeben, den 
Flüchtigen, wie e8 ei, todt oder lebendig wieder 
abzuliefern, während zu gleicher Zeit Lucido's 
Haus von einer Abtheilung Polizei bis in bie 
legten Räume durchſucht und, als man dort Nichts 
fand, ein Doppelpojten vor die Thür gejtellt 
wurde, der ftrengen Befehl hatte, Niemanden 
weder aus noch ein zu lajien. 

Senior Lucido, über dieje Beſchränkung jeiner 
Freiheit entrüjtet, wollte dagegen protejtiren, 
wurde aber mit der größten Strenge abgemwiejen, 
und der DOfficier jagte es ihm auf den Kopf zu, 
daß nur er allein den Wächter mit Geld bejtodhen 
habe, um den Sohn zu retten — und wer hätte 
e8 dem Vater verdenken können! 

Bazaine war außer jih, denn gerade die 
Gonjervativen, obgleid er eine Tochter aus ihrer 


37 


Mitte zum Weib genommen, hatten ihn troßdem 
in ber leßten Zeit nur zu deutlich fühlen lafien, 
daß ihnen der franzöfiiche Uebermuth doch mit 
ber Zeit Täftig wurde. Sie ſprachen e8 offen 
aus, daß fie die franzöſiſche Regierung zu Ende 
wünjhten, und zogen ſich mehr und mehr von 
ben Franzoſen zurüd. — Und wie würden fie jeßt 
im Stillen jubeln, daß fie den läſtigen Gäften eine 
Ihon fiher geglaubte Beute entrifjen hatten! 

Und doch ſchien ihr Triumph noch Feines: 
wegs gefichert, denn wenn es auch Mauricio 
gelungen war aus dem Gefängnig felber zu 
entfommen, jo ſah er fih dadurch doch noch 
immer nicht gerettet, denn ein ganz eigenthüms 
liher und unglüdliher Zufall brachte nämlich 
die Verfolger, ohne zu ahnen wer er wirklich 
jei, no in den Straßen der Stadt auf jeine 
Fährte. 

Diht vor dem Gefängnig hatte er fi von 
feinem Retter getrennt, weil er überzeugt war, 
feine Flucht allein viel ungefährdeter fortjegen 
zu fönnen. In den Straßen von Mexico gab 
e8 allerdings ſogenannte serenos oder Nacht: 
wächter, die in unrubigen Zeiten auch wohl 
Vorbeipaffirende anriefen, fie aber nie anbielten, 
und da noch Niemand um feine Flut wiflen 


38 


konnte, war auch eine Entdeckung nicht zu fürchten. 
Er braudte nur langjam feinen Weg zu ver: 
folgen, um fich , erjt einmal aus der Stadt, in 
bie Berge zu wenden; ja er wußte jelbjt in den 
fleinen benachbarten Ortichaften überall Bekannte, 
die nie daran gedacht hätten, ihn an die Fran: 
zojen auszuliefern. 

Unglüclicherweile für ihn war. aber gerade 
in diefer Naht und in einer Fleineren Straße, 
die hinter der Kirche San Auguitin bin und 
mit der Straße Plateros parallel lief, ein Er— 
morbeter von den Serenos gefunden worden — 
und derartige Fälle Famen allerdings nicht etwa 
jelten vor. | 

Das aber bradte die Leute auf die Füße, 
denn man hoffte den Mörder noch unterwegs 
zu finden, und Patrouillen waren requirirt wor— 
den, um fie zu unterjtügen. Da, als Mauricio 
gerade in die Straße einbog, kam dieje Pa= 
trouille um die andere Ede und rief ihn an, und 
bavon erjchredt, trieb ihn fein böſes Gewiflen, 
fein Heil in der Flucht zu juchen. 

Südlich für ihn dämmerte gerade ber Tag 
und Indianer wie Milchverfäufer waren jchon 
in die Stadt gefommen. Ein folder Mild- 
farren hielt auch gerade vor dem Haufe des Hof— 


39 


frifeurs Don Pedro Gaspard, und die Soldaten, 
denen ſchon der Befehl geworden, auf den Flüch— 
tigen zu feuern, drüdten nicht ab, weil fie dann 
beftimmt auch den armen unjchuldigen Händler 
mit getroffen hätten. Außerdem fonnte ihnen 
der Flüchtige auch gar nicht entgehen, denn unten 
von der Kirche herauf famen ebenfalls Serenos, 
und ein in die Luft gefeuerter Schuß gab denen 
dad Zeichen, bei der Hand zu fein, während jie 
jegt zujprangen, um den zu verhaften, der jich 
ihnen nicht hatte jtellen wollen. 

Hinter dem Milchfarren fam er aber nicht 
wieder vor, und als jie diejen jest in vollem 
Anjturm umzingelten, erklärte der bejtürzte In— 
dianer, ein Mann jei allerdings bier eben in 
das Haus hineingejprungen und habe die Thür 
hinter ſich zugejchlagen, das Hausmädchen aber 
nicht zurüdgefehrt, um die Mil abzuholen, - 
und er wiſſe Nichts weiter. Da drin mußte er 
noch ſtecken. 

Dort drinnen alſo, und die Patrouille machte 
auch gar keine Umſtände, ſich den Eingang 
zu erzwingen. Mit den Kolben donnerten ſie 
gegen die von innen verſchloſſene Thür an, daß 
das ganze Haus davon erzitterte, und es dauerte 
auch gar nicht lange, ſo öffnete jih oben ein 


40 


Fenſter und Don Pedro felber, aus feſtem Schlaf 
aufgeftört, eine weiße Nachtmütze über fein 
Ihwarzgelocdtes Haar gebunden, auf die er in 
der Eile vergeflen hatte, jah heraus und frug, 
was es in’s Himmels Namen gäbe. 

„Abra! policia!“ (öffne, Polizei) war aber 
bas Einzige, was ihm erwiedert wurde, und daß 
ih die Leute da unten nicht auf eine Unter: 
handlung einlaffen würden, bewiefen fie ſchon 
durch die unausgefeßten und ihre Ungeduld kenn— 
zeichnenden Kolbenſtöße. Wenn er aber wirt: 
lich nicht gleich. öffnete, wußte er gewiß, daß 
fie ihm die Thür einſchlagen würden, womit fie 
außerdem jchon bejchäftigt Schienen, und mit dem 
reinjten Gewifjen von der Welt flog er mehr als 
er ging die Treppe hinab, um die Störenfriede 
einzulafien. &8 war einmal Faijerliche Polizei, 
und der fonnte er ſich gerade als Hoffrijeur 
nicht widerjeßen. 

Wenige Minuten jpäter jhob er den Riegel 
zurüd und wollte aufjchliegen — aber e8 war 
ſchon aufgeſchloſſen, und die Patrouille drang, 
während natürlich der Ausgang jcharf bewacht 
blieb, in das Haus hinein. 

Daß nun ber Fleine Spanier Nidht8 von dein 
Flüchtling wiffen konnte, davon waren die Sol— 


41 


baten jelber überzeugt, denn dieſer hatte jeden 
fall8 nur das erjte bejte offene Haus benüßt, um 
augenblidlihen Schuß darin zu finden. Der 
junge Officier, der die Patrouille führte, ſagte 
deshalb auch nur ganz kurz: 

„Señor, eben bat fi ein Verbrecher in Ahr 
Haus geflüchtet.‘ 

„In mein Haus? rief Don Pedro bejtürzt, 
„aber wie iſt das möglich, es war ja von innen 
zugeriegelt.'’ 

„Das Haus ftand gerade offen, weil das 
Mädchen Milch holte — er wird jelber wieder 
zugeriegelt haben. Wir müfjen Ihre Wohnung 
von oben bis unten durchſuchen.“ 

„Alle Zimmer?“ frug Don Pedro, der an 
ſeine noch nicht angekleidete Frau dachte. 

„Alle, das heißt bis wir den Burſchen haben 
— entgehen kann er uns nicht, Ihre Azotea*) 
iſt doch zugeſchloſſen?“ 

„Sicherlich und verriegelt dazu. Dahinaus 
kann er nicht, wenn er nicht weiß, wo der Schlüſ— 
ſel hängt.“ 

„Nehmen Sie den Schlüſſel gleich an ſich, 
damit wir vollkommen ſicher ſind.“ 


Azotea ‚ das flache Dach des Hauſes, zu dem ſtets 
eine Treppe binaufführt. 





42 


„Aber er hängt in meinem Schlafzimmer.‘ 

„Gut, dann faffen wir ihn auch. Hat Yhr 
Haus noch einen Ausgang nad hinten ?‘ 

„Rein — wir find vollfommen abgeſchloſſen.“ 

„Deſto bejjer und nun en avant! Jedes Zim— 
mer, was durchſucht it, wird feit verſchloſſen und 
der Schlüfjel abgezogen.‘ 

„Das wird nachher eine jchöne Eonfujion mit 
den Schlüjjeln geben,‘ dachte Don Pedro, hütete 
jih aber wohl etwas zu jagen und Äußerte nur 
— „bitte Herr Hauptmann oder Obriſt — ent: 
Ihuldigen Sie, wenn ich Ihren Rang nicht fenne 
— das ganze Haus jteht zu Ihrer Dispofition 
— Seine Majeftät der Kaijer hat feinen treueren 
Freund in Merico als mich.” 

„Sehr jhön, monsieur,” nidte der DOfficier, 
ohne von den Worten weiter Notiz zu nehmen, 
denn ein Theil der Soldaten ſtürmte jchon die 
Treppe hinauf, während fich die anderen unten 
vertheilten, um ihre Nachforſchungen gleich dort 
zu beginnen. 

Don Pedro eilte jest, jo rajch er fonnte, zu 
dem Schlafzimmer feiner Frau hinauf, um fie 
aufzufordern ſich rafch anzuziehen, denn dem 
Beſuch entging fie niht — aber er fand bie 


43 


Thür von innen verriegelt und rief durch's 
Schlüſſelloch: 

„Oeffne, Cornelia — wir müſſen uns raſch 
ankleiden — das Haus wird durchſucht — es 
hat ſich ein Verbrecher hereingeflüchtet!“ | 

Keine Antwort. Er legte fein Ohr an die 
Thür und glaubte, daß er Jemand flüftern höre. 
War das Mädchen darin? „Cornelia!“ rief er 
nohmals — ‚öffne, liebes Kind — jte werden 
gleih auch zu Dir fommen, und wenn Du dann 
niht aufmachſt, jchlagen fie die Thür ein — 
wahrhaftig, fie thun es!‘ 

Wieder das Flüſtern — aber weshalb ant: 
wortete jeine Frau nicht ?... 

„Zwei Mann auf die Azotea!” dröhnte da 
die Stimme des Officiers dur) das Haus, und 
biejer wandte fich jegt an den, noch immer an 
jeiner eigenen Thür Pochenden, um zu erfahren, 
wo der Aufgang dazu jei. 

„Ja, ih will ja eben hinein,‘ ſagte der un- 
glüklihe Mann — „aber meine Frau zieht fich 
gerade an und macht nicht auf.” 

„And führt Feine andere Thür auf die Azotea, 
als durch Ihr Schlafzimmer?‘ 

„Doch — dieſe bier gleich nebenan — aber 
bie ijt von innen doppelt verriegelt.’ 


44 


„Erſuchen Sie die Señora, augenblicklich 
zu öffnen,“ rief aber der Officier — „es ſollte 
mir leid thun, Gewalt brauchen zu müſſen, aber 
ich habe meine Pflicht zu erfüllen.“ | 

„Cornelia — Herz — mad)’ auf!“ bat ihr 
Gatte; „Du mußt aufmahen — die Polizei, 
der Kailer verlangen es!‘ 

Keine Antwort — e8 war, als ob da innen 
eine Thür ginge und wieder geſchloſſen würde, 
aber weiter fein Laut, und jeßt wurde der Offt: 
cier jelber mißtrauiſch. 

„Abra la puerta!’ rief er feinen Soldaten 
zu, und er brauchte feinen zweiten Befehl zu 
geben. Der erjte Kolbenjtoß, den. der Soldat — 
ein breitfchulteriger Burſche — gegen das Schloß 
that, jprengte die Thür auseinander, als ob ſie 
bon Glas gewejen wäre, und mit einem Auf: 
ſchrei flüchtete Donna Cornelia, die unfern davon 
ftand, in die entferntejte Ede des Gemachs. Ein 
Blick umher überzeugte die Yeute nun allerdings, 
daß fih Niemand weiter im Gemach jelber be— 
fand, aber mögliche Verftede gab es doch genug, 
die alle durdhforjcht werben mußten. 

„Wo iſt die Thür zur Azotea?“ frug ber 
Officier, ohne bis jeßt von der Dame bie ge- 
ringjte Notiz zu nehmen. 


45 


„Durch diefe Kammer hier, Señor — e8 it 
mein Ankleidezimmer — und dann über ben 
fleinen Vorplatz,“ rief Don Pedro. 

‚Die Thüren find auf —“ 

„Wohl der Kühle wegen aufgelaffen, Señor,“ 
fagte Don Pedro, aber doch felber etwas eritaunt, 
wenn er fih aud davon Nichts merken ließ, 
denn vorher waren jie fejt verjchlofjen gewejen, 
und was fonnte jeine Frau dort zu thun haben? 
Hatte jie jich vielleiht vor dem Lärm veriteden 
wollen? Der junge Officier aber, den blanfen 
Degen in der Fauſt, Schritt raſch hindurch, hatte 
aber faum den fogenannten Borfaal betreten, 
bejjen Thür ebenfalls weit aufftand und von dem 
aus eine, aber wie Don Pedro verjichert, doppelt 
verriegelte Pforte nach dem Entree führte, als 
er feinen Leuten zurief: „Hierher, Kameraden — 
bie Thür der Azotea iſt geöffnet — der Vogel 
ijt da hinaus; bejeßt das Schlafzimmer — Keiner 
hinaus — und ſechs von Euch bier hinauf!‘ 

Nie ein Wetter jtürmte er die etwas jteile 
Stiege hinan und erreichte glei darauf das 
offene flahe Dach, das aber mit den übrigen 
Dächern jo weit in Verbindung jtand, daß ſich 
ein Menjc leicht von einem zum andern jchwin: 
gen konnte. Raſch jprang er dort auf eine der 


46 


angebraditen Bänfe, um einen bejjeren Ueber: 
blif nah allen Ridhtungen bin gewinnen zu 
können, aber vergebens — nirgends lieg fich ein 
lebendes Wefen mehr erkennen — der obere Theil 
der Häufer, jo weit er ihn von bier aus über: 
ſehen Fonnte, lag leer und öde, und wenn ber 
Flüchtige bier hinausgeitiegen, jo hatte er aud 
einen Schlupfwinfel gefunden, um ſich zu ver: 
jteden — und nad welder Richtung follte man 
ihn von bier aus verfolgen? 

Der Officier that das Einzige, was er unter 
diefen Umitänden thun Eonnte, er ließ zwei 
Mann Wache oben und einen dritten an ber 
Treppe, um augenblidlih den Alarm zu geben, 
wenn Jene etwas Verdächtiges bemerken jollten. 
Darnad beendete er jeine Unterfuhung des gan— 
zen Haufes von oben big unten, ohne jedoch das 
Geringfte zu finden, und das konnte natürlich 
feine Laune nicht verbejlern. Er mußte jeine 
Soldaten wieder abrufen — nur die Wachen 
auf der Azotea jollten noch bleiben, denn es war 
ja doch möglich, daß ſich der Flüchtige wieder 
hervorwagte; ehe er aber Don Pedro's Haus ver— 
ließ, ſagte er mit ſtrenger Miene zu dem kleinen 
Spanier, der aber ſo zerſtreut ſchien, daß er die 
Worte kaum vernahm: 


4 


„Señor, die Sache mit der Azotea it ſehr 
verdächtig, — (Don Pedro gab ihm darin in 
feinem Herzen Recht) ich fürchte, Ihre Frau Ge: 
mablin bat jich verleiten lajjen, einem Verbrecher 
zur Flucht zu verhelfen — ich werde jedenfalls 
die Anzeige meines Verdachtes machen müfjen 
und Sie haben das Meitere darüber zu ge— 
wärtigen.‘' 

„Sehr ſchön,“ jagte Don Pedro — mit feinen 
Gedanken ganz wo anders, und der Boden brannte 
ihm unter den Füßen, daß nur das Militär 
erit das Haus verließe, denn er verlangte mit 
feiner Frau eine Privatbeſprechung. 

„Den Soldaten auf der Azotea,‘ fuhr dann 
der Officer fort — „werden Sie nachher ein 
Frühſtück bejorgen, das fie einzeln einzunehmen 
haben, um ihren Poſten nicht zu verfäumen — 
Vorwärts, marſch — wir können bier vor der 
Hand Nichts mehr nüßen.” Damit marjchirte 
er mit feinen „Leuten“ wieder auf die Straße 
hinaus, wo ſich eine Menge Bolt gefammelt hatte, 
um zu jehen, was e8 da gäbe, ließ fie dann in 
Reih' und Glied treten und kehrte auf die Haupt- 
wache zurüd, um dort Bericht abzujtatten. 

Kaum war er fort, als Don Pedro in das 
Zimmer jeiner rau trat, dort mit einer furcht— 


48 


baren Ruhe aus einer Schieblade jeinen Revolver 
nahm, und dann mit finjteren Bliden auf bie 
Gattin zuging. 

„Sornelia — Weib! Wer war der Mann, 
mit dem, Du bier geflüftert und dem Du dann 
den Schlüfjel zur Azotea gegeben ?‘ 

Die Frau zögerte einen Moment mit ber 
Antwort, ohne jedoch im geringjten Furcht zu 
zeigen, denn jie wußte recht gut, daß der Revolver 
gar nicht geladen war — überlegte fie erjt, ob 
fie leugnen oder eingejtehen follte? — aber 
es dauerte nicht lange. Verächtlich die Lippen 
aufwerfend, jagte fie: ‚Machen Sie fih nicht 
lächerlih, Don Pedro; was weiß ich, wer ber 
Mann war. — As das Mädchen, die Suſa, 
unten auf der Straße die Milch nehmen wollte, 
jprang er an ihr vorüber in's Haus und bie 
Treppe hinauf, und ehe ich nur jchreien konnte, 
jtand er mit einer großen Piſtole vor mir und 
verlangte den Schlüfjel zum Dad. Erjt glaubte 
ih, e8 wäre ein Räuber und er wollte meinen 
Schmud, als er aber nur den Sclüfjel ver- 
langte, gab ich ihn mit Vergnügen hin. Sollte 
ih mich des Schlüfjels wegen todtſchießen lajjen ? 
Dir wäre es am Ende recht geweſen.“ 

‚Und woher fannte der Fremde in jolcher 


49 


Weife Hausgelegenheit, daß er mir, der ich bie 
große Treppe hinunterſprang, auf der Fleinen 
auswih? — Was hattet Ihr denn zufammen zu 
flüftern, als ih vor der Thür jtand und Ein 
laß begehrte, heh? weshalb öffneteſt Du nicht, 
als Du hörteſt daß ich es jei? — weshalb habt 
Ihr geflüftert? frag’ ich.“ 

„Er ſprach leiſe,“ fagte Cornelia, ſich ſtolz 
abwendend, „weil er wahrſcheinlich fürchtete, 
draußen gehört zu werden. Glaubſt Du, daß ich 
allein mit einem Menſchen, der von der Straße 
hereinſpringt und mir die Piſtole auf die Bruſt 
ſetzt, ſchreien ſoll? Ich konnte vor Angſt kaum 
einen Laut über die Lippen bringen.“ 

„Und weshalb haſt Du das nicht dem Offi— 
cier geſagt, als er bier war — jo daß ich jetzt 
noch gar in Verdacht fomme, nicht loyal zu fein, 
und weshalb hat die Suja nicht gejchrieen ? 
Warum, frag’ ih, Habt Ahr Beide das Alles 
heimlich abgemacht?“ 

„Lege nur den Revolver fort und blamire 
Dich nicht,“ ſagte ſeine Frau, ein wirklich reizen— 
des junges Weib von kaum achtzehn Jahren — 
„ich habe Dir den Grund ſchon genannt, und 
gehe jetzt hinunter, denn ich muß mich anziehen. 

Fr. Gerſtäcker, In Merico. III. 4 


90 


Du biſt wohl am Ende gar eiferfüdhtig auf den 
Menſchen und glaubjt, er habe weiter nichts zu 
thun gehabt, als mir in den zwei Minuten eine 
Yiebeserflärung zu machen? Es ijt wahrhaftig 
zu abjurd und Du wirft alle Tage unausjteh- 
licher.‘ 

Don Pedro jtedte den Revolver in die Tajche, 
drehte jih um, verließ das Zimmer und jtieg 
langjam die Treppe hinab. Unten aber traf er 
die Suja, die eben im Begriff war das Haus 
auszufehren, und ſich ungemein eifrig dabei zeigte. 

„Suſa,“ jagte er mit finjter zufammengezo: 
genen Brauen, mit der Rechten in der Taſche 
noch immer den Revolver haltend, während er 
die Linke auf ihre Schulter legte — „wer war 
ber Menſch, der heute Morgen in unfer Haus 
flüchtete 2° 

„kero Señor,“ jagte das Mädchen, ein brau= 
nes junges Ding, aber mit verjhmigten Augen, 
die fie jett freilich nicht zu dem Herrn aufichlug, 
jondern um jo viel eifriger in ihrer Arbeit fort: 
zufahren juchte, — „wie fol ich das willen? 
ih war jelber erjchroden genug, und er jprang 
jo vajh an mir vorüber, und der Gang war 
auch fo dunfel — und fie wollten ihn fangen 
den armen jungen Menſchen.“ 


01 


„Und woher weißt Du, Suja, daß es ein 
junger Mann war, wenn Du in dem bunfeln 
Gang Nichts jehen konnteſt?“ 

Suja wurde blutroth und wußte nicht gleich, 
was fie antworten jollte; da nahm Don Pedro 
langjam die rechte Hand aus ber Tajche, bielt 
ihr den Revolver gegen den Kopf und jagte mit 
bohler Stimme: 

„Sufa, bereite Did), vor Deinen Gott zu 
treten — Du haſt feine zwei Minuten mehr zu 
leben. Wer war der Fremde?“ 

Die Andianerin warf einen ſcheuen Blid 
nah ber Bewegung bes Armes hin, erkannte 
aber faum die drohend auf fie gerichtete furdht- 
bare Waffe, als fie mit einem Aufjchrei vor 
ihrem Herrn in die Kniee brach und mit vor 
Angſt faſt erftichter Stimme ausrief: 

„Gnade, Gnade! Senior, ih will ja Alles 
befennen, ob, nur um Gottes willen, tödten Sie 
mich nicht!“ 

„Sage mir dann — wer war ber Fremde?“ 
murmelte Don Pedro düſter. 

„Suja!l Suſa!“ rief die Stimme der Herrin 
von oben nieder. 

„Wer war ber Fremde,” fagte Don Pedro, 
und jeine Stimme Flang geilterhaft — „ich zähle 

4% 


92 

eins, zwei, drei. Wenn Du nicht antworteit, 
biſt Du bei drei eine Keiche.‘ 

„Sula — Sufa! jo fomm doch!“ rief es 
wieder. 

„Eins — zählte Don Pedro — „zwei —“ 

„Don Mauricio Lucido,“ jtöhnte das Mädchen. 

„Ha!“ rief Don Pedro — ‚er war ſchon 
öfter hier im Haufe?’ 


„Ja —“ 

„Meine Frau kennt ihn? 

— 

„Suſa — Suſa — kommſt Du denn noch 


nicht, oder ſoll ich Dir Beine machen?“ 

Don Pedro ſtand vernichtet — er hätte in 
dem Augenblick das Mädchen noch viel mehr 
fragen können, aber der Kopf wirbelte ihm, und 
wie er nur die Hand von ihrer Schulter nahm, 
floh das ſcheue Ding wie ein Reh von ihm fort, 
die Treppe hinauf. Don Pedro achtete aber 
nicht mehr auf ſie — er betrachtete die Waffe 
in ſeiner Hand, aber der Revolver war in der 
That nicht geladen; ſo ihn wieder in der Taſche 
bergend, ſchritt er hinüber in den Laden. Don 
Julio hatte dieſen eben geöffnet und war gerade 
beſchäftigt Seife zu ſchlagen und ſich ſelber 
zu raſiren. So früh kamen ſelten Kunden und 


53 


er behielt da genügende Zeit für ſich — was im 
Hauſe vorging, kümmerte ihn außerdem nicht. 

Don Pedro — ſehr häufig etwas feierlich in 
ſeinem ganzen Weſen, ſchritt ruhig und ohne an 
einen Morgengruß zu denken, zu einem der 
Kundenſtühle, die jeder vor einem Spiegel ſtan— 
den. Er wählte den, von dem aus er das Bild 
der Kaiſerin am beſten erkennen konnte, warf 
noch einen langen Blick darauf, ſeufzte tief und 
ſagte dann, während er ſeinen Hals entblößte, 
mit vollkommen ruhiger Stimme: 

„Don Julio, ſeien Sie ſo gut und ſchneiden 
Sie mir den Hals ab!“ 

Don Julio, auf die Worte gar nicht achtend 
und am linken Daumen noch das Meſſing— 
Seifennäpfchen, ging ruhig auf den Principal 
oder Compagnon (man wußte eigeutlich nicht 
recht was er war) zu — Don Pedro rührte ſich 
nicht — und ſtrich ihm mit dem Pinſel in's 
Geſicht. Der Hoffriſeur aber, als er die Seife 
ſpürte, fuhr in aller Wuth in die Höhe und ſchrie: 

„Siel! um mir den Hals abzujchneiden, 
brauden Sie mich doch nicht vorher einzuſeifen.“ 

„Um Ihnen was —?“ rief Don Julio im 
höchſten Erjtaunen aus. 

„Den Hals follen Eie mir abjchneiden,‘‘ 


54 


wiederholte da Don Pedro mit der größten Ruhe, 
indem er ſeinen Platz wieder einnahm. „Sie 
können nachher das ganze Geſchäft übernehmen 
und meine Frau heirathen.“ 

„Sind Sie verrückt geworden?“ rief Don 
Julio, in der That mit einiger Berechtigung 
aus. — „Was fällt Ihnen denn ein? — was iſt 
denn geſchehen? das war ja ein Heidenſkandal 
heute Morgen im Haus.“ 

Don Pedro antwortete nicht; er ſah ſtill und 
düſter vor ſich nieder, endlich ſtand er auf, 
wiſchte ſich die Seife aus dem Geſicht — ge— 
waſchen hatte er ſich noch nicht, und that das 
auch nie Morgens vor dem Frühſtück — und 
ſagte dann, indem er dem Barbier die Hand auf 
die Schulter legte: 

„Julio — wiſſen Sie, was es iſt zu lieben 
— und verrathen zu werden? Kennen Sie die 
Schlange, die ich an meinem Buſen groß ge— 
zogen? — Sie heißt Cornelia. Ich gehe jetzt 
aus,“ ſetzte er dann ruhiger hinzu — „wenn 
Jemand nach mir fragen ſollte; ich komme 
vor zehn Uhr nicht wieder nach Hauſe!“ — Und 
damit ſetzte er ſeinen breitrandigen Hut auf und 


verließ den Laden. 


* * 


55 


Die Sonne neigte fi) dem Horizont, und in 
ber Calle Jeſus jtand, wie an jenem Abend, eine 
ihlanfe Frauengejtalt in ihren Rebozo eingehüllt 
und ſchaute barrend bald die Straße hinab, bald 
hinauf — und hatte da viele, viele Abende jo 
geitanden. Aber vergebens hordhte jie den klap— 
pernden Hufen eines berbeitrabenden Pferdes. 
Wenn ja eins fam, fo war es nie das rechte, 
und leife und verjtoblen wiſchte fie dann die 
verrätheriihe Thräne von den Wimpern. 

Und die Sonne ſank — der Himmel färbte 
fih in ein dunfles Blau, dem dann raſch jene 
bleigrauen Tinten folgten. „Die Sterne funfele 
ten nieder und die Nacht hatte ihr Reich be= 
gonnen. 

„Er fommt wieder nicht,‘ flüfterte das Mäde 
hen mit einem recht tief aus der Bruſt hervorge— 
holten Seufzer — „arme Mercedes — und dag 
jollte die Woche vor. der Hochzeit fein, auf bie 
ich mich nun bie langen Monde jo gefreut — hab’ 
ich denn jo harte Strafe verdient, Santisima ?' 

Noch einmal horchte fie hinaus — „Noch bis 
hundert will ich zählen, und wenn er dann nicht 
ba iſt, kommt er auch heute Abend nicht mehr. 
Eins, zwei, brei, vier, fünf, ſechs,“ — immer 
langjamer zählte fie, um den Zeitraum recht hin— 


96 


aus zu dehnen — er fam nit — „hundert“ — 
fie Horchte wieder — „hunderteins — hundertzwei, 
hundertdrei“ — Die Straße lag todtenftill, und 
fejt in ihre Mantille eingehüllt, ſchritt fie durch 
das Haus, über den Hof und in ihr dunkles 
Kimmerlein. — Aber die Nacht war jo lang — 
Ihlafen fonnte das arme Kind ja doch nicht, 
denn Angit und Ungewißheit peinigten jie, und 
jie zündete fih die Yampe an, um nod) ein wenig 
ihre Kleider auszubejjern, oder auch in einem Ge- 
betbuche zu lejen, das ihr Geronimo einjt mitge- 
bracht. 

Die Oellampe verbreitete einen matten, dü— 
ſtern Schein in dem Gemach, und wenn ſie den 
Kopf manchmal wandte, ſchauderte ſie vor ihrem 
eigenen Schatten zuſammen. So ſaß ſie eine 
Stunde — ſaß ſie zwei, und das Herz war ihr 
ſo voll, ſo ſchwer, daß ſie manchmal ſich auf— 
richten mußte, um nur wieder einmal frei und 
ordentlich Athem zu ſchöpfen. 

Jetzt legte ſie ihre Arbeit zuſammen und 
wollte eben die Lampe auslöſchen, als ſie zuſam— 
menſchrak, denn es ſchien ihr faſt, als ob ſie 
draußen die Hausthür hätte öffnen hören — 
— es war Nichts — ſie hatte ſich getäuſcht — 
und doch trat ſie zum Fenſter hin und lauſchte 


97 


hinaus. — Da war ridtig ein Schritt auf dem 
Pflafter des Hofes — doch wie viele Parteien 
wohnten dort gerade — noch fünf familien aus 
Ber ihr — es war jedenfalls Jemand, ber zu 
einer von denen gehörte — wer jollte zu ihr 
fommen. Sie ſchloß den Laden wieder und 
wandte jich auf’8 Neue ihrer Lampe zu, als jie 
bis in die innerjten Faſern ihres Herzens zus 
fammenzudte, denn mit leifem Finger pochte es 
an ihre Thür — deutlich konnte fie den Laut 
vernehmen, und nicht zu athmen wagte fie jeßt, 
denn jie fürdtete die Wirklichkeit und — fürch— 
tete auch wieder, daß e8 in Nichts zerfließen 
fünne. 

Da nod einmal — jet hatte fie jich nicht ge: 
täuſcht — das war ein Finger gewejen, der ihre 
Thür berührt — aber wenn Geronimo, weshalb 
hätte er jo Schüchtern angepocht, und wer Anders 
hätte fie um dieſe Stunde der Naht aufgeludht 
— aufjuhen dürfen ? 

Einen Moment ftand jie unſchlüſſig — aber 
fie mußte Gewißheit haben, und nur mit ihrer 
rechten Hand an die Seite fühlend, ob noch das 
Heine, aber jcharfe Meſſer in ihrem Gürtel ſtak, 
Ihritt fie entjchloffen auf die Thür zu und ſchob 
den Riegel zurüd. 


98 


„Wer ift da? was ſucht Ihr bier jo ſpät?“ 

„Ich bin es — Rodolfo, Señorita,“ flüfterte 
die Stimme zurück. „Seid ruhig — ich habe 
Euch eine Kunde zu bringen.“ 

„Eine Kunde von ihm, von Geronimo?“ 

„Bſt — nennt den Namen nicht ſo laut,“ 
ſagte der Sambo, als er jetzt in die Thür trat, 
an der ſie ihm Raum gab — „kann ich Euch 
auf wenige Minuten ſprechen — meine Zeit iſt 
gemeſſen.“ 

„Tretet ein,“ ſagte Mercedes, aber ſie ſelber 
hörte kaum, daß die Worte über ihre Lippen 
glitten; der ſcheue Blick, den der Sambo zurück 
in den Hof warf, kündete Unheil. 

Rodolfo ſchien ſich auch wirklich nicht ganz 
behaglich zu befinden, denn wie er nur den Raum 
betreten hatte, drückte er die Thür wieder zu und 
ſchob den Riegel vor, und faſt unwillkürlich zuckte 
des Mädchens Hand nach der Waffe — aber ſie 
hatte von dem Burſchen Nichts zu fürchten, denn 
wie er ſich nun ſicher im Zimmer fand, warf 
er ſich auch auf den einen Stuhl und ſagte dann 
wild und verbiſſen: 

„Weiß der Teufel, was heute da draußen 
los iſt, aber alle Straßen wimmeln von Solda— 
ten, und wohin man tritt, begegnet man Pa— 


59 


trouillen, denen man faum wieder aus dem Wege 
ſchlüpft!“ 

„Woher kommt Ihr — weshalb ſucht Ihr 
mich noch in der Nacht auf — wo iſt Geronimo? 
wißt Ihr von ihm?“ 

Der Sambo ſchwieg, er ſah ſcheu und ſtill 
vor ſich nieder. 

„Redet, Mann!“ bat aber das Mädchen — 
„wenn Ihr wüßtet, was ich die letzten Tage 
ausgeſtanden, wo dunkle Gerüchte die Stadt 
durchliefen!“ | 

„Gerüchte? — von was? frug lauernd ber 
Sambo, und es war augenscheinlich, daß er jel- 
ber jih fürdhtete, mit der Sprade herauszu— 
fommen. j 

„Gerüchte,“ jagte das Mädchen flüjternd — 
„die mich mit meiner dunfeln und furchtbaren 
Ahnung gepeinigt haben, Gerüchte von einem vers 
ſuchten Ueberfall auf die Boft, von — einem er: 
Ichojlenen Dfficier — von —“ 

„Bon —?“ ſagte lauernd der Sambo. 

„Bon — gerichteten Verbrechern, die ihre 
Strafe erlitten — Ihr jchweigt? wißt Ihr die 
Mahrheit? Menſch, jpannt mich nicht länger auf 
die Folter — wo — um ber barmberzigen Mut: 
ter Gottes willen — iſt Geronimo ?!“ 


60 


Der Sambo jhwieg nod immer — e8 war, 
als ob die Worte nicht über jeine Lippen wollten, 
endlich aber — was half es, das Geheimniß län: 
ger zu bewahren, denn erfahren mußte jie e8 
bob, und deshalb war er ja eigentlich, hierher— 
gefommen, fagte er mit leifer Stimme: 

„Er war dabei.‘ 

„Wer? Geronimo!” kreiſchte Mercedes auf. 

„Bit — um Gottes willen jeid ruhig, oder 
Ihr felber wäret nicht vor dem franzöſiſchen Lum— 
pengejindel jiher — ja — Geronimo.” 

„Und todt?“ 

„Todt,“ wiederholte eintönig der Sambo. 
„Ich kam zu jpät fie zu warnen,” fuhr er dann 
iheu fort — „die Canaillen hatten fi in den 
Hinterhalt gelegt, und als ich vorüber wollte, 
bielten jie mir ihre Gewehre vor und zwangen 
mich, bei ihnen als ihr Gefangener zu bleiben. 
Woher fie Wind befommen haben mußten, weiß 
der Teufel — ich begreife e8 nicht, aber Gero— 
nimo hatte mich bejtellt, und ein Anderer, ein 
junger Gaballero, follte no zu uns ſtoßen, 
denn wir waren diesmal ſchwach an Mannſchaft.“ 

„Wie ift fein Name?’ hauchte Mercedes, bie 
mit halbgeöffneten Lippen und ftieren Bliden 
den Worten gelaufcht. 


61 


„Was kümmert Euch der Name,‘ brummte 
der Sambo — „aber er konnte nicht fommen, 
aus irgend weldhem Grunde hatten fie ihn an 
dem nämlichen Abend verhaftet, und heute Mor— 
gen ijt er, jo viel ich weiß, erjchoffen. Der ganze 
Kram ijt verrathen gewefen — durch wen fann 
ich jelber nicht ergründen, und ſelbſt meinen 
Namen wijjen fie, denn als ich heute Nachmittag 
in mein Quartier fam, waren fie dort gewefen 
und hatten nad mir gefragt. Da wird's Zeit, 
daß ich dem Pla bier Adios ſage!“ 

Mercedes hörte nicht was er ſprach — die 
Worte Fangen ihr nur wie dumpfes Meeres: 
braujen vor den Ohren. — Todt — ber eine 
Gedanke umfaßte Alles — todt. So ftand fie, 
die Hand auf den Tiih geitügt, auf dem die 
Lampe brannte, minutenlang vor dem Mann, 
und der Sambo jelber wagte nicht das peinliche 
Schweigen zu breden, bis endlich eine neue 


Frage von ihren Lippen glitt — „und feine 
Leiche 2 
„Hm! — brummte der Sambo verlegen, 


„die Franzoſen, — Hunde die e8 find — wifjen ja 
nit, wie jie einen Chriſtenmenſchen behandeln 
müſſen — jie hingen die Leihen an den Bäu— 
men auf.‘ 


62 


„San-ti-si-ma, jtöhnte Mercedes. Aber es 
war zu viel für die Unglüdlihe gewejen, und 
ohnmächtig brad fie wo fie ftand zufammen. 
Rodolfo jprang wohl zu, aber er fam zu fpät, 
um jie aufzufangen. 

Er war ein gewöhnlicher gemeiner Banbit, 
wie Tauſende feiner Landsleute, und würde ſich 
nicht das geringjte Gemwifjen daraus gemacht haben, 
einen Fremden um einer Unze Goldes willen aus 
dem Hinterhalt niederzufchießen und zu berauben, 
und doch trieb ihn jet ein Zug von Mitleiden, 
der Unglüdlichen beizujtehen. Mit einer Zart— 
beit, die man einem ſolchen Menjchen faum hätte 
zutrauen jollen, hob er fie in die Höhe und legte 
jie auf ihr Bett, dann nahm er den Waflerfrug, 
tränfte ein Tuch mit der klaren Fluth und 
fühlte ihr die Schläfe, bis jie wieder zu ſich 
fam. — Über Mercedes erholte ji) raſch — der 
Schlag war plöglid gefommen und hatte jie 
niedergemworfen, aber ihr jtarfer Geijt raffte ſich 
empor, und jcheu vor der Berührung des Sambo 
zurücbebend, jagte fie: 

„Ich danfe Euch — es ift beſſer jegt — mir 
wurde es plößlich jo jchwarz vor den Augen — 
aber — was war doch gleich gejchehen — ad 
mein Gott! vief jie, als jie mit der Erinnerung 


63 


an das Gehörte von ihrem Lager emporfuhr 
— „ich weiß, was Ihr mir fagtet — und die 
Leichen ?“ 

„Den erjten Tag,” fagte der Sambo ſcheu 
— „‚getrauten wir uns nicht hinan, denn wir 
mochten gerade nicht bei der Arbeit ermwilcht 
werden, aber in der nächſten Nacht gewann id) 
eine Anzahl Indianer mir zu helfen, und da — 
haben wir ihnen wenigjtens ein „ehrliches“ Be: 
gräbnig gegeben und ein Holzkreuz zu ihren 
Köpfen aufgeſtellt.“ 

„Wo war es?“ 

„An den Penuelos.“ 

„Weit unten?“ 

„Nein, gleich unterhalb da, wo der Weg 
die Biegung macht. Man kann das Kreuz vom 
Weg aus ſehen, und die friſch aufgeworfene 
Erde zeigt ja deutlich genug das Grab.“ 

„Und was trieb Euch zu mir?“ 

„Euch Kunde zu geben von Geronimo's Tod 
— denn erfahren mußtet Ihr es ja doch!“ 

Mercedes ſtand, das Antlitz in den Händen 
bergend — Thränen hatte ſie nicht, ihr Schmerz 
war zu furchtbar und vernichtend. — Da wieder 
pochte ein ſcheuer Finger an den Laden, und 


64 


Rodolfo jelber fuhr erfchredt empor — was 
war das? 

„Mercedes!“ flüfterte von außen eine leije 
Stimme, „Du haft noch Licht, Mädchen — um 
der heiligen Jungfrau willen öffne Deine Thür.‘ 

„Wer ift das?” flüfterte Rodolfo und fah 
das Mädchen jcheu an, aber Mercedes jchüttelte 
den Kopf, 

„Wer wird es fein? — ein Unglüdlicher, 
der um der heiligen Jungfrau willen bittet — 
laß ihn ein.’ 

„Aber zu diefer Stunde der Nacht?‘ 

„Und bift Du nicht zu bderjelben Zeit ge— 
kommen?“ — Sie fchritt zur Thür und ſchob 
den Riegel zurüd, aber einen leifen Schrei, einen 
Ruf von Shrek, Zorn und Staunen jtieß fie 
aus, als fie Mauricio Lucido erkannte, der 
todtenbleih, faum noch im Stande fih auf den 
Füßen zu halten, bereintaumelte und in die Kniee 
zu jinfen drohte. 

„Ich kann nicht mehr, ftöhnte er dabei — 
„die Verfolger haben mich den ganzen Tag ge: 
begt, und eben nur wieder entging ich mit ge— 
nauer Noth ihren Reitern — gönne mir ein 
Obdach, Mercedes — gönne mir Schuß, oder id) 
bin verloren.‘ 





Das Mädchen hatte fich bei dem Anblic des 
jungen Verbrechers hoch aufgerichtet, ihr Auge 
blißte, ihre ganze Geftalt hob fi, aber mit 
einem plöglichen Griff ihrer Hand das verborgene 
Mefler aus feiner Scheide reigend, rief fie aus: 

„Wenn mich je in meinem Leben gelüjtet bat, 
ven Stahl in eines Menſchen Bruft zu ftoßen, 
jo ift es die Deine, Bube. Geronimo war 
arm, mühſelig mußte er fein Leben frilten unb 
ver Mammon verblendete ihn — er wurde Ichledt. 
Du aber, in Glanz und Reichthum erzogen, mit 
Allem umgeben, was Dein Herz begehren ober 
erhoffen fonnte — Du mußteft auch noch den 
Unglüflichen verführen Dir zu helfen, um Mittel 
zu Ihaffen, Deinen Laftern zu fröhnen. ort! 
binaus mit Dir, Bube, oder mein Gejchrei ſoll 
die Nachbarn berbeirufen, daß fie Dich den Ge: 
rihten übergeben — Geronimo gehangen und 
Du frei — fort, oder beim ewigen und rächenden 
Gott — ich felber vergreife mid an Dir I” 

„Mercedes! bat Mauricio erichredt. 

„Hinaus!“ jchrie aber das Mädchen ganz 
außer jih, und der gellende Ton ihrer Stimme 
ballte jo über den Hof, daß die Nachbarn in der 
That ſchon aufmerkſam wurden und eine Thür 
ich öffnete. Dann aber fürchtete — für 


Fr. Gerſtäcker, In Merico. II, 


— —— DZ 


66 


ſeine eigene Sicherheit, und Mauricio's Hand— 
gelenk ergreifend, flüſterte er ihm zu: 

„Kommt — ich führe Euch — ich weiß einen 
ſichern Platz.“ 

„Ich kann nicht weiter,“ ſtöhnte der junge 
Verbrecher — „laß ſie mir das Meſſer in's Herz 
ſtoßen — was liegt daran — meine Kräfte ſind 
erſchöpft und die Straße draußen lebt von Sol— 
daten.“ 

„Nur wenige Schritte noch —“ drängte 
Rodolfo — „wir brauchen nicht auf die Straße 
— kommt!“ | 

„Hinaus mit Dir, Bube!“ ſchrie da wieder 
das junge, jet zu rajender Wuth entflammte 
Meib — „hinaus jag’ ich!’ 

Rodolfo antwortete nicht mehr. Seinen 
rechten Arm um. Mauricio’s Leib jchlingend, hob 
er ihn fajt mehr als er ihn z0g, auf den Hof, 
über diejen bin und in den dunfeln Gang — 
dort aber tappte er nad) der Treppe, und langjam 
und mühjam führte er ihn hinan und höher und 
höher hinauf. 

Mercedes warf, wie nur die Männer den 
engen Raum verlaffen hatten, die Thür in’s 
Schloß und ſchob den Riegel wieder vor — 
dann aber fühlte fie auch, wie ihre Kräfte 


67 


von ihr widhen — jie taumelte auf’8 Bett, 
und jest erjt, jest, wo fie ſich allein mit 
ihrem Schmerz und Elend wußte, jetzt erjt war 
das ganze Gefühl ihres Verlaſſenſeins zu voller, 
furdtbarer Klarheit in ihr erwadht — jeßt fand 
ie Thränen, und ihr Antlig in den Kiſſen ber- 
gend, jchluchzte jie laut. 


| 3. 
Das Unabhängigkeitsfefl. 


Der Kaijer feierte heute zum zweiten Mal 
das Unabhängigkeitsfejt Mericos in jeinem neuen 
Reich; diesmal aber in der Hauptſtadt felber, 
und zu dem Zweck war in dem Palacio an der 
Plaza de Armas eine große glänzende Geſellſchaft 
geladeri worden. 

Was die reihe Stadt dabei an brillanten 
Toiletten entwideln fonnte, wurde an dieſem 
Tage aufgeboten, und man hatte auch wirklich 
Urjache, ſich des Feſtes zu freuen, denn es ſchien 
jest wirflih, als ob der ganze blutige Bürger: 
frieg, der jeit Jahrzehnten auf dem unglüd= 
lichen Land gelegen und es ausgejogen, jeinem 
Ende nahe. 

Die Feinde waren verjagt, und der ganze 


* 


69 


Norden faſt — einzelne Banden abgerechnet, 
deren man nicht jo leicht Habhaft werben konnte 
— von ihnen rein gefegt; die Situation fing an 
fih zu Hären, und Marimilian — wenn er jid) 
auch wohl die noch vorliegenden Schwierigkeiten 
nicht verhehlte — gewann doch nad und nad) 
felber Vertrauen zu jeiner eigenen Sache. 

Es war an diejem Tage, bei der Anrede an 
pie Verjammelten, daß er die denfwürdigen und 
Jeider prophetiſchen Worte ſprach: 

„Keine Macht der Welt kann mich in meiner 
Pfliht wanfend machen. Ach kann jterben, aber 
ih werde zu den Füßen unjerer glorreichen 
Sahne fterben, weil feine menſchliche Gewalt im 
Stande wäre, mid von dem Poſten zu ver: 
treiben, auf den das Vertrauen des Landes mid) 
berufen hat.“ 

Und Marimilian meinte es. ehrlich und treu; 
das hat er bis zum lebten Augenblid ſeines 
Lebens bewiejen, und die mexicaniſchen Granden 
jubelten ihm zu — nicht etwa, weil fie das be= 
griffen und mit ihm fühlten, — von al’ Senen, 
die dort um ihn waren, hätte wohl fein Zweiter 
jo gehandelt — aber weil ihnen die Worte ge— 
fielen und jie ſich dachten, daß fie in ähnlicher 
Stellung wohl ebenjo geſprochen hätten. 


70 


Das aber, was das Herz des Fürftenjohnes in 
biefem Augenbli bewegte und ihn zwang, in 
jeiner Rede inne zu halten, weil er fühlte, daß 
ihm die Thränen in die Augen jtiegen — das 
lag ihren Herzen fern, und fie hätten ſich nicht 
einmal ba bineindenfen, viel weniger denn jo 
handeln können. 

Das jchien aber auch gar nicht der Zweck der 
heutigen Berfammlung, denn zu ernitem Nach— 
benfen waren die gepußten Damen und mit Orden 
bededten Herren wahrlich nicht hierher gefommen. 
Eie wollten ſich amüfiren, und bejonders bie 
Damen waren außerordentlich geipannt auf den 
weiteren Verlauf, da auch an diefem Tage ge— 
rade wieder mehrere Frauen Orden des heiligen 
Carlos — wie das Gerücht ging — an bie jchöne 
Welt vertheilt werben follten. 

Indeſſen hatten fich die Herren bald zu Grup— 
pen zujammengefunden, und alle Schattirungen 
des großen Reiches — von dem hoben Klerus 
an, ber ſich natürlich ebenfalls eingefunden, ob= 
gleich er gerade damals mit dem Kaiſerreich auf 
geipanntem Fuße lebte, bis zu den Liberalen, die 
tbeils im eigenen Cabinet Marimilian’® fun— 
girten, theils ihm nod mit den Waffen in ber 
Hand gegenüberftanden, aber auch, trog Allem, 


1 


noch zahlreich in der Hauptjtadt lebten, und ihre 
Zeit abwarteten — waren vertreten. 

Erzbiihof Labaftiva wie die ganze hohe 
Geijtlichfeit in ihrem vollen Ornat itanden in 
ber einen Fenſterböſchung mit dem Biſchof von 
Puebla und dem von Dajaca zufammen, die beide 
zu dem hohen Feſte — und aud wohl zu einer 
PBrivatconferenz — herübergelommen. 

„Der Kaifer jcheint Vertrauen zu feiner Re: 
gierung gewonnen zu haben,‘ fagte leije lächelnd 
der Bilhof von Puebla, indem er feinen Blid 
nachdenfend über die Verſammlung jchweifen 
lieg — „keine Macht der Welt — aber er bat 
wohlweislih die Macht Gottes ausgenommen, 
und ber wird er ſich doc wohl noch zuleßt beu— 
gen müſſen.“ 

„Iſt e8 begründet, Monſeñor,“ frug ber 
Biſchof von Dajaca Labaftida, „daß der Kaifer 
einen neuen Boten nad) Rom ſchickt, um ſich dort 
jeiner Geſandtſchaft unzujchliegen und einen Aus— 
gleich mit dem heiligen Vater zu bewirken?“ 

„Es ift jo — allerdings,‘ nidte der Erzbi— 
ſchof — ‚Seinen Hofcaplan.” 

„Und glauben Sie, daß der Etwas ausrichten 
wird, ausrichten kann?“ 

„Quien sabe,“ ſagte der Kirchenfürjt, und 


72 
fajt wie ein Lächeln zudte e8 um feine Lippen 
— ‚für uns fönnte aber nichts Günftigeres ge— 
Ihehen, denn bier ift die Entſcheidung nod 
nit reif, und bie Frage wird dadurch nur auf 
einige Zeit offen gehalten und hinausgeſchoben.“ 

„Und verjäumen wir nicht Zeit dabei?” frug 
der hochwürdige Biſchof von Puebla. 

„Señores Obispos,“ ſagte Labaſtida, „Sie 
dürfen mir zutrauen, daß ich keine Zeit ver— 
ſäume. Unſere Emiſſäre ſind überall thätig und 
arbeiten für uns, jetzt mehr als je, gerade an 
der Sielle, auf die wir unſere größte Hoffnung 
ſetzen — im Capitol zu Waſhington, ja der 
Druck wird ſchon fühlbar, der von dort bevor— 
ſteht.“ 

„Aber zu Gunſten des Indianers.“ 

„Bah! deſſen Termin iſt in wenigen Wochen 
abgelaufen, und Sie glauben doch nicht, daß 
wir dieſe Marionette, dieſen überall geſchlagenen 
und davongelaufenen General Ortega zu fürchten 
haben? In wenigen Monaten, ja vielleicht Wo— 
chen iſt der Krieg mit Juarez beendet — ich 
habe ſogar heute eine Depeſche erhalten, die 
ganz beſtimmt meldet, daß er über den Rio-Grande, 
alſo über die Grenze gegangen ſei, um nicht den 
franzöſiſchen und Mejia's Truppen in die Hände 


73 


zu fallen. Die Hauptſache ift jeßt, daß wir — 
ſobald die Liberalen wirklich volljtändig bejiegt 
find — den Rüdzug der Franzoſen aus Merico 
bewirken, und darin unterjtüßt uns Seine Ma: 
jeftät gewiß. — Dann muß Miramon zurüd, 
und ich gebe Ihnen mein Wort, dag wir von 
dem Augenblid an auch das Schidjal des Kaiſer— 
reihs in unferer Hand halten — aber wer iſt 
die junge Dame, mit der fich die — dort 
ſo freundlich unterhält?“ 

„Sie wurde mir vorhin gezeigt,“ erwiederte 
der Biſchof von Puebla; „es iſt eine Señorita 
aus Mazatlan, die ſich neulich in höchſt eigen— 
thümlicher Weiſe hervorgethan, um einen jungen 
Herrn aus der hieſigen haute volée als Straßen— 
räuber zu denunciren.“ 

„Ab, Donña Ricarda — ich habe davon ge: 
hört,‘ nickte Labaſtida; „ein Kleines intelligentes 
Geſchöpf, und wir hätten ung feine al Hilfs: 
arbeiterin wünjchen können.“ 

„Sie hält zu unferer Partei?“ 

„Vermuthlich — wie alle Frauen, obgleich 
ih e8 nicht bejtimmt weiß, aber fie bat ung 
durch ihr keckes Vorgehen jedenfalls einen großen 
Dienft für jpätere Zeiten geleitet, denn zwijchen 
der Regierung und der Partei der Confervativen 


74 


ijt jeit der YJeit ein entichiedener Mißton ent: 
ftanden. Señor Lucido fehlt zum Beijpiel heute; 
ih babe mich ſchon vergebens überall nad ihm 
umgejchaut.‘ | 

„Er ift der Vater des jungen Verbrechers?“ 

„Ja — man bat ihm jetzt den Proceß ge— 
macht, weil er den Wärter beitochen haben ſoll.“ 

„Wie ich gehört babe, hat ihn ein Geiftlicher 
befreit ' 

„Die alte Geſchichte,“ ſagte Labaſtida achjel- 
zudend — „es gejhieht Nichts gegen die Ge- 
jeße im ganzen Reih, wo nicht ein Geiftlicher 
die Hand im Spiel gehabt haben joll.‘ 

Der Biſchof von Dajaca, der fich nicht für 
den Fall intereffirte, Hatte indefjen ſtill vor fich 
niedergejehen und feinen eigenen Gedanken nad: 
gehangen; jeßt jagte er, aufſchauend: 

„Und wenn die Sache in Rom nun body durd 
den neuen Boten eine rajchere Erledigung fände, 
als wir es jet glauben und für gut finden? 
Wir find nicht aller unferer Leute ſicher.“ 

„Beruhigen Sie ſich, Senior,‘ fagte Yabajtida 
lächelnd, „es gejchieht dort Nichts ohne unjere 
Bewilligung.‘ 

Nicht weit davon, in Eleiner Entfernung, 
ftand eine Gejellfchaft vornehmer Herren, die ſich 


75 


eigentlich nur dadurch auszeichneten, daß fein 
Einziger von ihnen allen einen Orden trug. Es 
waren unjere alten Freunde Roneiro, Baftiani, 
Rodriguez, Zamacona, Almeja und noch mandye 
Andere, die eben auch die Rede des Kaifers be- 
proben hatten und fih im Ganzen jehr günſtig 
darüber Außerten. 

„Eigenthümlich iſt es doch,‘ jagte Don Ro: 
neiro, „daß gerade der Kaifer, und zwar ein Ab: 
fömmling der alten ſpaniſchen Herrſcher, den 
Tag jo bejonders. feiert, wo die Macht jeiner 
eigenen Ahnen auf dem nämlidhen Boden ges 
broden wurde — es will mir nicht recht in den 
Kopf.‘ 

„Ja,“ nidte Zamacona, „komiſch Flingt’s 
allerdings, und ich weiß eigentlih nicht, wie 
gerade Marimilian dazu kommt — aber hübſch 
ift’8, daß er unfere alten Traditionen und Er: 
innerungen ehrt, und wird ihm bei Vielen fehr 
body angerechnet.“ 

„Und was meinte er mit den Worten: Keine 
Macht der Welt?" fagte de la Barra, der nod 
nicht lange zu der Gruppe getreten war. „Ba: 
zaine jtand mir gerade gegenüber, jo daß ich ihr 
beobachten fonnte, und der fchnittein bitterböjes 
Geſicht dabei.‘ | 


76 


„Die Amerikaner jedenfalls,” erwiederte Ro— 
briguez, „denn die legten Nachrichten zeigen deut— 
lih genug, daß die Yankees auf unjere Regies 
rung neidijch werden.“ 

‚Bon dort droht ihm feine Gefahr,‘ meinte 
der alte Baſtiani Fopfichüttelnd; „die haben vor 
der Hand noch genug mit fich felber zu thun, 
und werden wohl eine Weile mit den Säbeln 
raſſeln. Wenn wir uns hier nur mit unferem 
Kaiſer feititelen, dann fünnen wir uns aud 
darauf verlafjen, daß wir von Denen Nichts zu 
fürdten brauden. Caramba — die Regierung 
der Union wird genug mit den dortigen Re: 
publiltanern zu thun befommen, als daß jie jich 
ber mericanijchen jo jehr annehmen jollte. Das 
Einzige, was dort böjes Blut macht, ijt bie 
franzöfiiche Intervention, das bewaffnete Ein 
treten einer Macht, die von Europa bherüber 
ihre Kriegsjchiffe gejandt bat, um einem ame: 
rikaniſchen Reich Gejege vorzufchreiben. So: 
bald das aber einmal aufhört, hat auch der ame— 
rifaniijhe Einjprud nicht mehr viel zu jagen, 
denn ich müßte mich jehr irren, aber das ameri: 
kaniſche Volk hat jest für eine Weile Krieg 
genug gehabt, als daß es felber muthwillig einen 
neuen vom Zaun brechen jollte.‘‘ 


77 

Rodriguez war hinüber zu Roneiro getreten, 
und ihn etwas bei Geite ziehend, fagte er 
leije: 

„Alſo Mauricio ijt glüdlich entfommen? Ich 
habe wenigitens bis jet noch nichts vom Gegen= 
theil gehört.‘ 

„Wir haben heute einen Brief aus dem In— 
nern gehabt,‘ flülterte Roneiro zurüd; „er iſt 
außer Gefahr und dem armen Lucido ift ber 
furdtbare Tag erjpart.‘ 

„Man bat ihm den Proceß gemacht.‘ 

„Bah,“ jagte Roneiro — „das war ein Un: 
finn der franzöfiihen Behörden. Kein Menſch 
fann ihm Etwas beweifen, und er hat aud in 
der That Nichts mit der ganzen Sache zu thun 
gehabt — das wird vorübergehen, aber... ich 
fürdte für Mauricio. Er iſt in jchlecdhte Ge: 
jelfchaft gerathen, und wenn er jo fortfährt, muß 
er zu Grunde gehen.‘ 

„Quien sabe,“ jagte Rodriguez, „junges 
Volk macht wohl manchmal einen bummen Streid,, 
rafft jich aber troßdem wieder empor. Sch bin 
recht von Herzen frob, daß die Sache jo erledigt 
ift, nody dazu, da gerade aus meinem Haufe her— 
aus, ja ich fönnte jagen aus meiner eigenen 
Familie, der Streich fiel, der leicht einen unheil— 


78 


baren Riß zwijchen zwei alten Freunden hätte 
hervorrufen können.” — 

Um das Raijerpaar drängten ſich bejonders 
die Damen, und Marimilian jelber verkehrte auf 
das freundlichite mit ihnen. Er jchien heute in 
bejonders heiterer Stimmung; jeine blauen Augen 
leuchteten in Glück und freude, und Jedem, mit 
dem er jich unterhielt, hatte er etwas Angeneh— 
mes oder Freundliches zu jagen. 

Der Marſchall Bazaine hatte Schon verſchie— 
dene Male verjudht, zu dem Kaijer zu jprechen, 
aber wenn ihm bdiejer nicht abſichtlich auswich, 
jo traf es ſich doch immer jo zufällig, daß er in 
einem ganzen Kreije von Mädchen und rauen 
itand, wenn ihm der Marſchall nahte, daß diefer, 
ohne entjchiedenen Verſtoß gegen die Etikette, 
nicht gut zu ihm gelangen fonnte. 

Labaſtida hatte recht gejehen — Ricarda San 
Blas war den Herrichaften dur eine der Hof: 
bamen vorgejtellt worden und wurde auf das 
berzlichite von ihnen begrüßt. 

„Mein Liebes Fräulein,“ jagte der Kaijer, 
„wenn alle $hre Landsleute eben jo viel Muth und 
Entjhlofjenheit zeigten, wie Sie bewiejen haben, 
jo würden wohl faum mehr Raubanfälle auf den 
Diligencen vorfallen, jo aber lafjen fie ſich fort: 


19 


während geduldig plündern und das Gejindel be= 
fommt dadurch nur Muth.’ 

„Die beiden franzöſiſchen Officiere wurden aus 
dem Hinterhalt verwundet —“ 

„Ja, ich weiß, Señorita,“ jagte der Kaijer, 
und ein finjterer Ausdruck zog über jein Antlig 
— „auch hat, wie Sie wohl gehört haben, hr 
fühnes Auftreten wenigitens zu dem Reſultat 
geführt, daß wir einen Theil der Bande erwiſch— 
ten und bejtrafen fonnten. Der Hauptverbrecher 
freilih ift, Dank der Unbejtechlichfeit unjerer 
vortrefflichen Unterbeamten entwijcht.‘‘ 

„Wenn ich es Shnen aufrichtig gejtehen joll, 
Majeſtät,“ jagte das junge Mädchen, das ſich 
nit im geringjten befangen fühlte — „ſo bin 
ih den Betreffenden dafür vom Herzen dankbar, 
venn als die Zeit herannahte, wo Jemand, der 
durh mich den Gerichten überliefert worden, den 
Tod erleiden jollte, ergriff mich doch eine ganz 
unfagbare Angit, und ich glaube fajt ich wäre 
frank geworben und hätte jedenfall$ mein gan— 
zes Leben lang ein peinliches nagendes Gefühl 
behalten.’ | 

„Dann denken Sie, wie mir zu Muthe jein 
muß, liebes Fräulein,‘ erwiederte der Kaijer mit 
weicher Stimme, „wo id jo manches Todesur— 


80 


theil zu unterſchreiben gezwungen bin, wenn ich 
nicht meinen Pflichten gegen das Land untreu 
werden will — aber Gott weiß wie ungern ich 
es thue, und wie manche ſchwere Stunde es mich 
koſtet.“ 

„Oh, wie fühl' ich das jetzt mit Ihnen, Ma— 
jeſtät,“ ſprach das junge Mädchen bewegt, und 
die Kaiſerin, von einer augenblicklichen Regung 
ergriffen, trat zu ihr und küßte ſie auf die Stirne. 

„Ich wünſche,“ ſagte ſie freundlich, „daß 
Sie uns auch draußen auf Chapultepec einmal 
beſuchen — wir fehen nicht viel Gäjte bei uns, 
benn bie Zeiten waren bis jeßt zu ernſt, aber 
hoffentlich fol das von nun an befjer werben. 
Halten Sie ſich länger in Merico auf?” 

„Wohl nod einige Monate — ich erwarte mei- 
nen Bater hier, Majejtät, um mic) abzuholen, denn 
ich möchte die weite Reife nicht allein machen.‘ 

„Um jo mehr möchte ich Sie dann nody in 
den nächſten Tagen ſehen,“ ſagte die Kaijerin, 
‚da ich ſelbſt auf Tängere Zeit abwejend zu fein 
gedenfe — ich gehe, wie es jeßt bejtimmt ift, 
nad Yucatan.“ 

‚Rad Yucatan, Majeftät — in das wilde 
Land!’ rief Ricarda bejorgt, „und jo weit von 
bier fort.‘ 


81 


„uUnſer Reich ift groß — falt zu groß,” er 
wieberte die Kaijerin jeufzend, „und es iſt nöthig, 
auch unjeren dortigen Unterthanen zu zeigen, 
daß wir an fie denfen — aber ich glaube das 
Drdensfeit beginnt, — nein, bleiben Sie in un: 
ferer Nähe, Kind,‘ jebte jie lächelnd hinzu, als 
fie fab, daß ſich Ricarda mit einer tiefen Verbeu— 
gung zurüdziehen wollte — „es wäre doch möglich, 
daß wir Sie noch gebrauchten.‘ 

Der Kaifer war etwas zur Seite getreten und 
jah in einem ber Fenſter feinen Minijter Rami— 
rez ernſt und finnend ftehen; er näherte ſich ihm 
und jagte lächelnd: 

„Run, amigo? ſo finjter und nachdenkend? 
Sie jheinen die Freude des heutigen Feſtes 
nicht zu theilen.“ 

„Do, Majeſtät,“ jagte der Angerebete, in: 
dem er jich mit der Hand über die Stirne ftrid) 
— „doch — ich dachte nur gerade an Etwas.’ 

„Haben Sie eine unangenehme Nachricht ber 
kommen?“ 

„Nein — im Gegentheil. Es ſcheint ſich zu 
beſtätigen, daß Juarez wirklich über die Grenze 
geflohen iſt, wenn ich dem auch keine große Be— 
deutung beilege.“ 


„Keine Bedeutung?“ ſagte der ee. verwune 
Fr. Gerftäder, In Merico. II. 6 


82 


dert — „und bat es nicht alle Bedeutung für ung, 
wenn er das Land verläßt?” 

„Wenn er nad den Norditaaten ginge, ja, 
Majeität, aber nicht, wenn er feinen Aufent- 
halt an dem Grenzfluß genommen und bei drohen: 
ber Gefahr einmal überjeßt, um glei darnach 
zurüdzufehren. Erſtlich läßt fih das gar nicht 
controliren, und dann kann man es, jo lange er 
feinen Aufenthalt noch auf mexicaniſchem Bo— 
den hat, auch fein Verlaſſen des Landes nennen.” 

„Und was hatten Sie ſonſt noch auf dem 
Herzen ?'' 

„Ich möchte Majeftät Heute nicht mit Ge: 
ſchäften behelligen.“ 

„Und betrifft es geſchäftliche Dinge?“ 

„Eigentlich nicht — es iſt mehr ein Gnaden— 
geſuch.“ 

„Dann unbedingt heraus damit! Wen be— 
trifft es?“ 

„Porfeirio Diaz.“ 

„Und was verlangt er?“ 

„Er bittet darum, aus dem Fort Guadelupe 
und aus den Händen der Franzoſen heraus, die 
ihn, wie es ſcheint, nicht beſonders behandeln, 
nach Puebla gebracht zu werden.“ 

„Ich habe ihm ja das Anerbieten machen 


8 


lafien, auf Ehrenwert frei zu jein,‘ ſagte der 
Raifer. 

„Das will er nicht annehmen,‘ erwiederte 
ahjelzufend Ramirez, „er fönne jih nicht bin: 
den, nie wieder für jein Vaterland die Waffen 
zu ergreifen.” 

„Diaz ijt ein Ehrenmann,” nickte der Kaifer. 

„Das ift er, Majeftät,‘‘ bejtätigte ver Mi- 
nifter, „und ich würde unfer Reich für gefichert 
halten, wenn ich ihn gewinnen könnte.“ 

„Aber es ſcheint nicht möglich ?' 

Ramirez jchüttelte den Kopf. ‚Nein, Maje- 
ftät, erift entjchiedener NRepublifaner, wenn aud) 
fein Freund von Juarez, und wird feine Mei: 
nung nic ändern.‘ 

„Haben Sie mit Bazaine über fein Geſuch 
geſprochen?“ 

„Ja — der Marſchall iſt entſchieden dagegen, 
denn er behauptet, nur im Fort ſelber könne er 
für die Sicherheit gerade dieſes Gefangenen 
haften, und es hätte Mühe genug gekoſtet ihn 
zu bekommen.“ 

„Er hat vielleicht Recht,“ ſagte Maximilian, 
„aber die Schufte laſſen ſie mir entkommen und 
die ehrlichen Leute wollen ſie abſolut feſthalten. 
Ich will, daß Porfeirio Diaz' Wunſch erfüllt 

6* 


84 


werde, ih — möchte ebenfalls nicht franzöſiſcher 
Kriegsgefangener ſein. Er joll nad Puebla ge: 
Ihafft und gut behandelt werden, verjtehen Sie 
mich — nur ftreng bewacht, wenn er jein Ehren— 
wort nicht geben will, aber gut behandelt, denn 
wir müſſen den Herren zeigen, daß wir aud 
bie Feinde ehren, wenn jie fich tapfer und 
wader benehmen, und das hat der General bis 
jegt entſchieden gethan.“ 

„Befehlen Majeſtät, daß ich eine Ordre da— 
hin veranlaſſen ſoll?“ 

„Ja — und ſobald als möglich. — Vom 
Norden haben Sie keine nähere Nachricht?“ 

„Vom Kriegsſchauplatz, Majeſtät?“ 

„Nein, ich meine aus den Staaten.“ 

„Keine, als die letzte Botſchaft, die ſich aller— 
dings ſehr entſchieden über uns ausſpricht.“ 

„Bah, laſſen Sie die' Herren ſprechen! Wenn 
wir nur hier handeln, haben wir ſie nicht 
mehr zu fürchten, und ich glaube, wir ſind 
dazu auf dem beſten Weg. — Aber ich muß zur. 
Kaiferin — fie jieht ſich jchon nah mir um. 
Alfo vergeflen Sie die Ordre nah Puebla 
nicht.‘ — 

Die Ordensfeier begann jegt — der Kailer 
vertheilte jelber einige Orden an jeine Officiere 


85 


jomohl, ale aud an verjchiedene Diplomaten und 
Givilperjonen. 

Auch die Kaijerin vergab den Orden des hei: 
ligen Carlos heute wieder an einzelne Damen, 
bo fiel die Vertheilung viel ſpärlicher aus als 
das erjte Mal, und es jchien fait, als ob jie mit 
der Würde zu geizen gedenfe, wodurd jie dann 
ja auch einen um jo höheren Werth erbielt. 

Zulegt winfte die Kaijerin freundlich der 
Heinen Ricarda, die unfern davon ftand und fich 
an dem Schauspiel erfreut hatte. Charlotte hielt 
den Orden in der Hand und jagte lächelnd: 

„Señorita San Blas, für Sie babe ich dieſe 
legte Decoration aufgejpart, als ein Zeichen, 
dag wir, der Kaifer und ich, zu fchäßen wiſſen, 
wie muthig und rechtlich dabei, jelbjt Rang und 
Einfluß nicht fürdtend, Sie ſich in einer ſchwie— 
rigen Lage benommen haben. Tragen Sie bdieje 
Auszeichnung als Erinnerung an uns, wenn Sie 
in Ihre ferne Provinz zurüdfehren, und bewahren 
Sie ung immer ein freundliches Angedenken.“ 

„Majeftät! rief Ricarda, deren Wangen erit 
erbleichten, bis fie fich plöglich mit Purpurröthe 
färbten, ‚aber wie fomme id) armes Mäbchen 
zu dieſer Ehre?‘ 

Wieder bog fi die Kaijerin zu ihr nieder 


86 


und füßte ihre Stirn, und als fie von ihr zu: 
rüdtrat, wurde Ricarda jo von ihren Freundinnen 
umringt und mit Glückwünſchen überjchüttet, 
daß ſie gar nicht zu Athem fam und ſelbſt ver: 
gap der hohen Frau zu banken. 

Rechts davon, aber ebenfall8 abgejondert von 
ben Uebrigen, ftanden ein paar Herren, die früher 
entichieden zur liberalen Partei gehörten, ſich 
lange gegen das Kaiſerthum gewehrt, jetzt aber 
auch ihre Unterwerfung unter die beſtehenden 
Berhältnifje erklärt hatten. Beide waren Prä: 
fecten in Tamaulipas, und jet nur nach der 
Hauptjtadt gefommen, um in ihren Aemtern als 
Faiferliche Unterthanen bejtätigt zu werden. Daß 
jie den Eid dabei leiften mußten, binderte fie 
nicht bejonders. Kehrte Juarez wieder zurüd 
oder wurde dieje Regierung gejtürzt und von 
einer andern erjeßt, gut, dann fügten jie ſich 
der mit Vergnügen und all’ der Bereitwilligfeit, 
die fie der jegigen zeigten. Die Hauptjahe war 
eben nur, daß fie Präfecten blieben. 

Beide hatten übrigens etwas Aehnliches noch 
in ihrem Leben nicht gejehen, und jie betrachte- 
ten das glänzende Schaujpiel mit ftiler Bewun: 
derung. 

„Hm, ſagte endlih der Eine — „Com— 


87 


pañero, die Sache iſt eigentlich gar nicht jo übel. 
Wie viele glüdlihe Menſchen macht heute der 
Kaifer mit ſolch' einem Stückchen Band oder 
einem Stern, und wie wenig fojtet das! Wenn 
Juarez zurüdfommt und geſcheidt ift, führt er 
das ebenfalls ein.‘ 

„Und glaubft Du, daß Juarez wirklich * 
einmal hier in den Palaſt einzieht?“ 

„Quien sabe — unglaublichere Dinge ſind 
ſchon geſchehen, und wundern ſollt' es mich gar 
nicht. Dreimal haben ſie ihn ſchon aus Chihua— 
hua hinausgejagt, und immer war er wieder da.“ 

„Wo er nur die Soldaten herkriegt!“ 

„Jetzt wirbt er ja oben in den Vereinigten 
Staaten, und nach dem blutigen Krieg, den ſie 
dort vier Jahre geſchlagen, läuft Geſindel genug 
an der Grenze herum. Kennjt Du Benroſa?“ 

„Den Arriero? gewiß.‘ 

„Run der Fam gerade von Paſo del Norte 
herunter und war beiihm. Gewehre und Muni: 
tion und Alles, was er haben will und nöthig 
bat, liegt ihm ganz bequem auf der andern 
Seite vom Fluß. Er braudt nur zu bezahlen 
und berüber zu jchaffen. Kanonen haben fie ihm 
ſogar ſchon geichieft, und Soldaten von dort ber 
jollen fich bei ihm in Maſſe anmwerben lafjen.‘ 


88 


„Caramba, dann geht's auch bald wieder los, 
und wir hätten am Ende bejjer gethan, die Furze 
Zeit Urlaub zu nehmen.’ 

„So lange die Franzoſen im Lande find, kön— 
nen fie Nichts machen,’ jagte kopfſchüttelnd der 
Sreund, „und jo lange find wir vollfommen 
jiher — ſobald aber die einmal abziehen und 
wir Luft befommen, erkläre ich mich augenblid- 
lich wieder für die Republif.’ 

„Und weshalb glaubit Du, daß fih das 
Kaijerreich nicht halten kann?“ 

„Weil es nicht für uns paßt,‘ jagte fein 
älterer Geführte — „das mag recht gut in einem 
andern Land jein, wo ſie's jo von Klein auf 
gewohnt gewejen, aber wie ich hier ſchon bei 
den Beamten herum gehört habe, jo ijt Keiner 
recht zufrieden, denn der Kaiſer best und treibt 
in einem fort, und es jol Alles gleich auf ein- 
mal fertig werden. Das geht bei uns nit — 
das mag er von daheim gewohnt fein, aber wir 
in Merico find gar nicht in jolder Eile und 
fönnen’s ruhig abwarten. — Und wie werden 
die Soldaten mit Ererciren gejchunden, wozu? 
Wenn fie nur einen Berg hinauflaufen und rich 
tig Schießen können, weiter brauden jie bei ung ' 
Nichts. — Und dann will er mit den paar Gene: 


89 


ralen ausfommen! — Ave Maria, Yuarez bat 
nit den zehnten Theil von den Soldaten und 
gewiß fechsmal mehr Generale, denn das cifert 
die Mannſchaft au mehr an. Und was jollen 
die Leute nicht Alles können, die er anjtellt. 
Das geht nit, amigo — ja vielleicht cine 
Weile, aber zulegt Eriegen ſie's Alle jatt, und 
dann iſt's auf einmal vorbei. Nein, die Haupt: 
\ahe bleibt, daß wir uns den Rüden decken, 
und das denk’ ich denn auch jedenfalls zu thun. 
Wer ijt denn der alte Herr, mit dem der Kaijer 
jegt ſpricht?“ 

„Das ift ja der frühere General von Juarez, 
der alte Vidaurri.“ 

„Der iſt's? Na, in deſſen Haut möchte ich 
auch nicht jteden, wenn ihn Juarez einmal er: 
wiſcht — iſt doch ein verwünjcht gefährliches 
Spiel, was die Leute da mit einander treiben.‘ 

Der Kaijer hatte ſich eine Weile mit Vidaurri 
unterhalten, jegt ging er nach der andern Seite 
des Saales hinüber und begegnete dba wieder 
Fernando NRamirez. 

„Ad Ramirez, beantworten Sie mir doch eine 
Frage.“ 

„Majeſtät?“ 

„Glauben Sie, daß Porfeirio Diaz — wenn 


90 


er jetzt entkäme — wieder ein Heer auf die Beine 
brächte und gegen uns zöge?“ 

„Wenn's keinen Präſidenten und keine Re— 
publik mehr giebt, gewiß nicht, Majeſtät — ich 
glaube nicht, daß General Diaz gerade einen neuen 
Bürgerkrieg beginnen würde — im andern Fall 
aber gewiß.“ 

„Hm,“ nickte Maximilian leiſe und nad: 
denkend vor ſich hin — „wir müſſen doch ſehen, 
daß wir ihn auf unſere Seite ziehen,“ und Ra— 
mirez zunickend ſchritt er weiter. 

An die Feier*) im Palais knüpfte ſich aber 
natürlich auch eine andere in der Stadt, denn 
das mericanifhe Volk läßt fich ſolche Gelegen- 
beiten nie entgehen, wo es Feſtzüge veranjtalten 
und Feuerwerk abbrennen fann. Reden werden 
dabei vom Volke nicht gehalten, und getrunfen 
wird auch nicht jo viel, außer in den Pulquerien, 
denn eigentlih unmäßig kann man die Meri- 





*) Es ift in der That eigenthbümlih, daß Kaijer Maxi— 
milian den 16. September als Unabhängigkeitsfeft feierte, denn 
das ift gerade der Tag, an welchem im Jahre 1823 der Fall 
Sturbide’s, des letzten Kailers, entjchieden wurde, und man 
war in den letten Jahrzehnten gewohnt gemwejen ihn nur in 
diefem Sinn zu celebriren. Marimilian ſprach allerdings ent- 
fchieven aus, daß der Tag dem Ausbruch der erften Revolu- 
tion gegen das ſpaniſche Joch gelte. 





91 


caner nicht nennen. Nur der Indianer trinft 
jih zuweilen einen Raujch in dem Agavenjaft an. 

Die Feuerwerke beginnen übrigens in Merico 
jowohl, wie in allen ſüdamerikaniſchen Re: 
publifen jchon ſtets am hellen Tag, denn das Volf 
fann es nie erwarten, und zahlloſe Raketen 
wurden deshalb der Sonne jelber in's Gejicht 
geworfen. Was that’s, day man ſelber nicht viel 
davon jah, man hörte doch den zijchenden Strahl, 
der in die Höhe jchwirrte, Hoch oben in einem 
Knall endete und dann ein Fleines weißes zer: 
fließendes Wölkchen in der blauen Luft zurück— 
ließ. Das war vollfommen genügend, um ſich zu 
amüjiren. 

Eine Mafje Raketen und bengalijche Feuer 
wurden aber auch für den Abend noch aufge: 
ipart, Jund außerdem ergingen ſich die unteren 
Klafjen des Volfes in zahlreihen Aufzügen, in 
denen fie wirklich Außerordentliches leijten. 

Die Mericaner lieben, wie ſchon im Eingang 
erwähnt, bei folhen Feten fehr die Allegorie 
und zeigen darin nicht jelten viel Geſchmack. So 
findet man reizende Aufftellungen von Wachs— 
figuren, die allegorifch bald ganz Amerika, bald 
Merico allein, bald die Freiheit darjtellen und, 
von Fahnen ummeht, bald mit Maffen, bald mit 


92 


Füllhörnern und Landesprobucten jo geſchmack— 
volle als ſinnig gedachte Gruppen bilden. Bei 
ihren Feſten fehlen jie aber nie, und jedenfalls 
muß es gewifle Requijiteure geben, die, wie für 
ein Theater bejtimmt, alle derartigen Dinge, wie 
Kleidung, Waffen, Symbole, jelbjt phantaftifche 
Tuhrwerfe, vorräthig haben und dann zu be— 
jtimmten Zeiten ausleihen. 

Ein jedenfalls jchon jehr oft und zu den ver— 
ichiedeniten Zwecken benußter Mufchelwagen, das 
heißt ein Fleiner auf Federn liegender Kajten, 
dejien oberer Theil eine rieſige, nachgeformte 
Muſchel bildete, trug auch heute wieder die Haupt= 
figuren, und zwar das Kaiferpaar jelber — ein 
paar Fleine Kinder, die man als Kaifer und 
Kaijerin, wenn aud im Kleinen, aber wirklich 
täufchend ähnlich nachgebildet hatte. Beſonders 
gelungen war auch der blonde, vorn getheilte 
Bart, den der Fleine Burjche mit großer Würde 
trug, und die Fleine Kaiſerin grüßte, während 
das Volk das phantaftiiche Fuhrwerk umjubelte, 
huldvoll nach allen Seiten, 

Es versteht jih von jelber, daß ber Magen 
mit mericanijchen Flaggen drapirt war, über dem 
Paar aber, durh eine eijerne und gebogene 
Stange befeftigt, jchwebte die Göttin der „reis 


93 


heit in einem langen weißen Kleid .mit einer 
Krone auf dem Kopf, in der redhten Hand eine 
mericanifche Fahne, in ber linfen einen Xorbeer: 
franz haltend. 

Lärmende Mufif zog vorher, und beleuchtet 
. wurde die bunte wunderliche Schaar der Leperos, 
die den Zug umbrängte, durch zahlreiche quals 
mende Kienfadeln, die den Wagen rings um: 
‚gaben und ihr rothes, fladerndes Licht auf ihn 
warfen. 

Sp wandte jich der Zug, dem fich bald an: 
dere Fleinere anjchloffen, zuerft vor den Pa— 
lacio, bielt dort, und donnernde „Vivas Mari: 
miliano, viva Carlota!“ tönten und lärmten jo 
lange durch die Nacht, bis das Kaiferpaar ge— 
jwungen war ſich auf dem Balcon zu zeigen und 
allerdings durch dieſes Schauſpiel überrajcht 
wurde. — Es hat jedenfalls etwas Eigenthümliches, 
oben an einem Fenſter zu ſtehen und ſich ſelber 
unten in einem Wagen ſitzen zu ſehen, und der 
Kaiſer ſelbſt lachte herzlich. Die Kaiſerin ſchien 
ſich weniger darüber zu freuen, aber beide 
dankten huldvoll herab, denn ſicherlich war das 
Ganze doch gut gemeint, und dann ſetzte ſich der 
Zug wieder in Bewegung, um wenigſtens die 
Hauptſtraßen der Stadt zu durchziehen. 


94 

Vebrigens verlief das ganze Feſt ohne die 
geringjte Unordnung, denn wenn man es auch 
wohl gern zu einer Demonjtration gegen bie 
überall gehaßten Franzofen benützt hätte, jo wagte 
man das doch nicht auf offener Straße. Gerade 
die Franzoſen hatten damals noch die volle 
Macht in Händen. — Sn einzelnen, ausjchließ: 
lid von Mericanern beſuchten Bulquerien, in 
denen man eine kleine Schaubühne impropifirt 
hatte, mußte freilich die franzöfiiche Nation an 
dem Abend zu Spott: und Zerrbildern die Fi— 
guren liefern, ohne daß es jedoch weitere Folgen 
gehabt hätte, als daß man darüber ladte und 
dann ruhig nad) Haufe ging. 

Die mericanifche Nation iſt blutbürftig in 
ihren Kriegen, aber nie zanf- oder jtreitfüchtig 
bei ihren Feſtlichkeiten. 





4. 
Der Xeberfall bei Holedad. 


— 


In den nächſten Tagen des September (65) 
gelangten nur Siegesnadhrichten nad) der Haupt 
itabt, denn während bie faiferlich mericanifchen 
wie franzöfiihen Truppen mehr und mehr nad) 
dem äußerſten Norden binaufrüdten, zeigte es 
jih, daß es Fein Heer mehr dort gebe, um fi 
ihnen entgegen zu jtellen, und Juarez entweder 
einen Zufluchtsort in den Gebirgen gejucht, oder 
— Merico ganz verlaſſen habe. 

In der Hauptitadt folgten ſich Feſt auf Feſt, 
jo am 20. die Enthüllung ber einfachen, aber 
hübſchen Statue des Befreiers von Merico, Mo- 
relos’, auf der Fleinen Plaza Guardiola — Mo- 
relos, der arme Dorfgeiftliche im Prieiterrod, 
aber mit dem Schwert in der Hand — e8 war 


96 


der hundertſte Geburtstag beflelben — und wie 
drängte fi) das Volk bei dieſer Gelegenheit um 
den Kaiſer, in dem bejonders die Armen und 
bisher Gedrückten ihren Beſchützer erfannt hatten 
— wie jubelten die Mafjen ihm zu! War es da 
ein Wunder, daß er fih als den „Ermwählten 
des Volkes“ betrachten mußte, und find unjere 
Fürſten daheim weniger von ihrer Unfehlbarfeit 
überzeugt, wenn jie fi von Jugend auf von ' 
Menſchen umgeben fehen, deren einziger Beruf 
es ijt, jie in die Wolfen zu heben und vor ihnen 
zu kriechen? 

Bazaine indefjen, mit faum überjtandenen 
Flitterwochen, befam es fatt, ewig mit feiner 
Armee hinter einzelnen Banden herzuhetzen, bie 
bald da bald dort auftaudten, und — je ver- 
zweifelter die Sache ihrer Partei jtand, deſto 
graufamer und raubluftiger auftraten. Das war 
fein Krieg mehr mit einem geordneten Heer, 
das man bejiegen oder von ihm gejchlagen werden 
konnte, das waren nicht weiter al8 Gensbarmerie- 
fampfe mit Räuberbanden, und mehr und mehr 
drängte er jetzt die Minifler, ein ſchon lange 
entworfenes und von dem ganzen Minijterium 
durchberathenes Decret, als dejjen Urheber man 
mit recht gutem Gewiſſen ihn allein betrad: 





ten fann, dem Kaifer zur endlichen Unterichrift 
und Inkraftſetzung vorzulegen. 

Aber nody immer, jo oft ihm auch ſchon da— 
von geſprochen war, hatte ſich Marimilian da— 
gegen gefträubt, e8 zu unterzeichnen — er kannte 
den Inhalt, ja er hielt ji auch für ein ſolches 
Decret jogar in feinem vollen Recht, denn ein 
noch viel jchärferes hatte Juarez jelber im Jahre 
1862 erlaffen und mit voller Strenge häufig 
ausgeführt, aber er fürdhtete, daß er dann Feine 
Gontrole mehr, weder über feine mexicaniſchen 
noch die franzöliihen Truppen haben, und alles 
vergofjene Blut nur diefem Gejege zugejchrieben 
werden würde. 

Bazaine wünjchte es hauptſächlich, einestheilg 
ſowohl um mit dem wirflihen Raubgeſindel fer— 
tig zu werben, das fih nur noch Dijfidenten 
nannte und unter dem Schuß eines ehrlichen 
Namens alle nur erdenkbaren Schandthaten ver- 
übte, und andererjeitS auch um das Volk ein- 
zufhüchtern und zu verhindern, daß es noch 
immer wieder von Zeit zu Zeit fi) unter Juarez' 
oder irgend eines andern republifaniichen Füh— 
vers Fahne jammle, wodurd es den Krieg end: 
[08 machte. 

Das Minifterium, das damals fat nur aus 

Fr. Gerftäder, In Merico. III. 7 


38 


liberalen &lementen beitand, ſah auch gar 
nicht etwa eine außerordentlihe oder zu grau: 
jame Mapregel darin, und der ganze Widerftand 
dagegen lag nur allein noch in dem für Merico 
fajt zu weichen Herzen Marimilian’s. Aber jchon 
fühlte er jelber, daß er endlich nachgeben müſſe, 
und als ſich die Unbilden bäuften, als fich ber: 
ausjtellte, dag in dieſem Augenblick wirklich 
nur noch Banden das Land burdjitreiften, bie 
wohl auf den Namen von NRäubern, aber nie 
auf den von Soldaten Anſpruch machen fonnten, 
da gab er feine Juftimmung zu dem am 3. Ok: 
tober von jeinem Minijterium erlaffenen Decret 
— ohne e8 aber noch zu unterzeichnen. Bazaine 
wollte es augenbliklih hinausgeſandt haben, 
aber der Kaijer, der jich die ſchweren Folgen 
defjelben nicht verhehlte, juchte das noch hinaus 
zu jchieben. Es follte gefhehen — ja — e8 
mußte erlafien werden, er ſah das jelber ein, 
aber — er wünſchte es doch noch auf einige 
Zeit hinaus zu zögern. 

Die Eijenbahn von Vera-Cruz nad der 
Hauptitadt war in Angriff genommen, aber bie 
jest erjt die kurze Strede dem Berfehr über: 
geben, welche die Franzoſen nach ihrer Ankunft 
von Vera:Eruz nad Soledad gebaut, um ihren 


99 


Truppen den furdtbar bejchwerlihen Mari 
dur die Sümpfe der Tierra Galiente oder bes 
beiken Landes zu erfparen, wie auch um fie raſch 
aus dem vom gelben Fieber heimgeſuchten Di: 
ftrict der Küfte zu fchaffen. Ebenſo konnten fie 
nur mit Hilfe diefer Bahnſtrecke darauf rechnen, 
Kriegsbedarf und Lebensmittel in das höhere 
Land zu Schaffen, denn ein Transport bdiefer 
Gegenftände wäre in der Negenzeit durch bie 
Sümpfe zur Unmöglichkeit geworden. 

Es giebt faum einen praditvolleren Pflanzen 
wuchs, aber auch kaum ein wilderes Terrain als 
diefe Strede, und fo wundervoll die Ausficht 
nad beiden Seiten bes Weges ift, wenn man 
im bequemen Eiſenbahn-Coupé bindurdfliegt, 
jo undurchbringlich zeigen fi oft die Sümpfe 
für den Wanderer, der durch Schlamm unb 
Schlingpflanzen, von Inſecten gepeinigt, von 
giftigen Neptilien bedroht, feine Bahn da hin: 
dur juchen müßte. Trocdene Stellen höher ge— 
legenen Landes finden fich aber troßdem hier 
und da. In allen Ebenen, mögen fie von Bäu— 
men bewachfen fein oder ſich zu ungebeuern 
Llanos oder Prairien ausdehnen, ift das Land 
ſtets wellenförmig, und wie ſelbſt das Meer 
feine vollfommen ebene Fläche kennt, und fich 

7* 


100 


bei wodenlanger Windſtille jogar in langjamen 
wohl, aber mächtigen Dünungen hebt und be- 
wegt, jo zeigen ſich aud auf dem feiten Land 
der niederen Dijtricte jtetS höhere Streifen, die 
es nad bejlimmten, der Tage angemefjenen Rich: 
tungen durchziehen. 

Auf diefen Strihen halten fi dann in der 
Wildniß, jo lange die Regenzeit dauert, die Thiere 
des Waldes, und auf ihnen fiedelt jich der Menſch 
an, wenn er jich einen Pla zu einer Wohnung 
judt. — Auf diejen Strichen ziehen jih auch 
die Verkehrswege hin, die einen Diftrict mit dem 
andern verbinden, und ſchmale Pfade, mit dem 
Mefjer oder der „Macheta“ ausgehauen, führen 
dann gewöhnlich auf Streden hin, die grünen 
Bogengängen gleihen und von wehenden Bal- 
menfronen und dicht ineinander verwachjenen 
und mit prachtvollen Blüthen bedeckten Schling = 
pflanzen überwuchert jind. 

Auf einem jolhen Höhenftrich, der quer durch 
den weiten Sumpf führte und von pradtvollen 
Bäumen bejtanden war, hatte früher eine Kleine 
indianiiche Anjievelung gelegen, von der aber 
jegt nur noch einzelne Pfoften einer dort er: 
richteten Hütte Kunde gaben. Der Boden war, 
wie überall in. diejen Striden, auperordenilich 


101 


frudtbar, und der jung aufgewachjene Urwald 
rings umber zeigte deutlich, daß da auch früher 
ein ziemlich ausgedehntes Stüd Land urbar ge— 
macht worden — aber da fam die Seudhe — die 
Frau ſtarb und zwei der Kinder, und ber In— 
bianer, in abergläubiicher Scheu, verließ fein 
mit Schwerer Arbeit bergelitelltes Beſitzthum, um 
an einem neuen, noch nicht durd) den Tod ent: 
weihten Plaß von vorn zu beginnen. 

Wir daheim verlaffen nur wenn wir müſſen 
und mit jchwerem Herzen die Gräber unjerer 
Lieben — der Indianer in Südamerifa, wenn 
er das ihm Liebſte hat begraben müſſen, meibet 
den Platz für immer, weil er fürchtet, daß böje 
Geifter über der Stätte ſchweben. 

Der Pla& war jebt zur Wildniß zurückgekehrt, 
und wäre lange wieder mit Palmen und anderen 
breitblätterigen Schößlingen überwuchert worden, 
aber die Linie des franzöfiichen Angenieurs, der 
ih die Bahn zu den Höhen fuchte, führte ge— 
rade hindurch, und breit ausyehauen dehnte ſich 
die Strede, die gegen Weiten führte. 

Wie till und öde aber auch ſonſt der Platz 
gelegen und nur dann und wann einmal für 
Momente belebt wurde, wenn der Zug vorüber: 
braufte und feine häßlichen Rußflocken hinein in 


102 


die Wipfel der Palmen jtreute, jo lebendig zeigte 
er fich heute, denn aus der Wildniß, dem faum 
noch erkennbaren Pfad folgend, den die Hand 
des Menſchen meijt durh das Dickicht ausge- 
Ihlagen, brang es hervor in bunter, wilder 
Scdaar. 

Die Guerilas Mericos, wie jie jih nann— 
ten, aber faſt nur Raubgejindel, der verdorben— 
ten Menfchenrace angehörend, famen dort heraus, 
mit zerfegten Hüten und Kleidern, mit alten Se: 
vapen und bloßen Füßen, aber mit Musteten 
bewehrt, mit Revolvern beſteckt und die wunder: 
lihjt geformten Säbel, Pallaſche, Degen oder 
aud) gewöhnliche Machetas unter den linfen Sats 
teldeden. 

Das waren die Schwärme, bie fih einem 
jtehenden Heer entzogen, weil fie jih in feine 
‚Ordnung finden fonnten. Das waren die Patrio— 
ten, die jegt in Juarez’ Namen plünderten, weil 
ihnen der Kaijer nicht gejtattete, es in dem jei- 
nigen zu thun — Menſchen aus der unteriten 
Hefe, nicht des Volkes, nein, der menschlichen 
Geſellſchaft — Mandye von ihnen mit jelbjt ge— 
machten Generalsrang und goldenen Epauletten, 
aber nichtS weiter als gemeine Straßenräuber 
und Mordbrenner, und wenn jie die Fremden 


103 


haßten, war es nur allein deshalb, weil dieſe 
ihre Wege freuzten und Ordnung in ein Land 
bringen wollten, das gerade nur in der Anarchie 
zu athmen ſchien. 

Als ſie, aus dem Dickicht hervorbrechend, die 
Bahn erreichten, hielten die Erſten mit ihren 
Pferden an und horchten aus, ob ſie noch nicht 
das Raſſeln des nahen Zuges vernehmen könnten, 
aber Nichts war zu hören als der ſchnarrende 
Laut eines Volkes Guacharakas — des mexica— 
niſchen Faſans, das ſich unfern davon in ſeiner 
geräuſchvollen Art den beſten Sitz in den Zwei— 
gen eines Baumes ſtreitig machte, oder vielleicht 
ein Schwarm von Papagaien, der mit ſcharfem 
Flügelſchlag über die Baumwipfel dahinſtrich. — 
Und mehr und mehr traten in den Sonnenſchein 
der Lichtung, denn drinnen im Walde herrſchte 
tiefe Dämmerung, bis ſich etwa hundert Reiter 
auf kleinen und zähen Pferden dort verſammelt 
hatten. — Und mehr und mehr folgten dieſen 
zu Fuß — wilde Trupps, einer nach dem andern 
drängte jih heraus — gelbbraune Gejichter, 
die wochenlang Fein Wafjer gejehen und den 
Begriff von Seife gar nicht Ffannten. — Neger, 
das weiße Auge vor innerlicher Luft rollend, 
denn ein ganz bejonderes Vergnügen erwartete 


104 


fie hier, Sambos und alle Mijchlingsracen die— 
jer Länder, mit nur wenig wirflid Weißen da— 
zwiichen, aber fajt feinem einzigen Vollblut: $n: 
bianer, jo drängten fie hervor, mehr und mehr, 
bis jie den ganzen weiten Raum erfüllten und 
zutegt etwa 250 Fußgänger und 100 Berittene 
auf dem Bahnkörper hielten, um die nädjten 
Befehle ihrer Oberen zu erwarten. 

Wie fie aber da lauernd ftand, die wüſte un— 
heimliche Schaar, paßte fie vortrefflih zu dem 
wilden Wald, der fie umgab, und bildete do 
auch wieder einen Mißton in dem Bild jtillen 
Triedens und heiliger Ruhe, in der die Natur 
bier Schlummerte. 

Doch bald fam Leben in den Schwarm. Es 
waren Einzelne unter ihnen, welche genau wuß— 
ten, in welcher Zeit der von Vera-Cruz erwar: 
tete Zug dort abging und bier eintreffen würbe. 
— Die Sonne zeigte ihnen dabei ficher genug, 
in wie weit ſie jich beeilen mußten, und jet gaben 
die Führer der Schaar ihre Befehle, die auch 
pünftlih und ohne Widerrede befolgt wurden. 
Die Reiter führten ihre Pferde in das Dickicht 
hinein und banden jie dort an, ob fie Etwas zu 
freien fanden oder nicht blieb fich gleih. — Sie 
hatten nicht einmal Gefühl für ihre Mitmenfchen, 





105 


viel weniger denn für arme Thiere — e8 waren 
ja nur „Beſtias“, und jo lange fie eben laufen 
und das Gewicht eines Reiters tragen Fonnten, 
wurden fie benügt — bradyen fie zufammen, nun 
gut, dann mochten ſich die Japolotas*) an ihnen 
mälten und die nächſte bejte Hacienda mußte 
friſche liefern. 

Aber auch die Fußgänger hatten wenigiteng 
zum Theil ihre Waffen bei Seite geftellt und 
gingen dann an die ganz für fie pafjende Beſchäf— 
tigung: die Eiſenbahnſchienen aufzubrecdhen und die 
hberausgenommenen jo zu legen, daß der Jug in 
jie einlenfen, natürlich entgleifen und dann zum 
Theil umfchlagen mußte — und nur furze Zeit 
brauchten fie zu der Arbeit. 

Die übrigen Geſellen madten fi indeß 
daran, im der „tobten Rodung“, wie man eine 
jolhe verlaffene und verwilderte Anfiedelung in 
den Nordjtaaten von Amerifa nennen würbe, 
nah dort noch übrig gebliebenen Fruchtbäumen 
zu ſuchen. Aber die Ausbeute zeigte ſich als eine 
ſehr geringe, denn in dem dichten, darüber auf: 
gewucherten Waldſchatten wollten die früher da 
angepflanzten Früchte nicht mehr gedeihen, und 

*) Die Aasgeier jener Gegenden, auch caring crows ober 
Zamuros genannt. 


106 


außer einem einzigen Japotabaum, an dem jie 
ih aber auch nur mit den abgefallenen Früchten 
begnügen mußten, da er zum Bejteigen viel zu 
hoch und ftarf war, fanden fie gar nichts. 

Die mit dem Schienenaufbredhen Beſchäf— 
tigten entwicelten übrigens, jo faul jie ſich aud) 
gewöhnlich zeigen mochten, eine ganz anerkennens— 
werthe TIhätigfeit, und machten ihre Sache dabei 
ſo geſchickt, daß man unmwillfürlich zu der Ber: 
muthung fam, jie wären nicht zum eriten Mal 
babei gewejen, und erjt als fie jich feſt ver: 
gewifjert hatten, daß der Jug unmöglich wieder 
auf die anderen Schienen jpringen fünne, wur: 
den Poſten ausgejandt, um das Nahen des er- 
warteten — den man indeflen jhon auf eine 
weite" Strefde voraus auf den Schienen hören 
fonnte, rechtzeitig anzumelden. 

Die Truppe jchien übrigens gewiſſermaßen 
organijirt und beftand aus zwei verſchiedenen 
Banden, die fi) unfern von dort vereinigt und 
beijchlofjen hatten, den Ueberfall gemeinjchaftlich 
zu unternehmen. Man wußte allerdings, daß 
demjelben franzdjiiches Militär beigegeben fei, 
aber mehr als Polizei gegen einzelne Straßen: 
räuber, als um einer wirklichen Guerillabande 
Troß zu bieten, und fürchtete e8 deshalb nicht. 


107 


Die Führer der Schaar hatten jih unter 
einer dicht am Weg jtehenden Palme gelagert. 
Die beiden eigentlichen Bandenführer gehörten 
allerdings der Mijchlingsrace an, aber aud) drei 
Creolen, von rein weißem Blut, befanden ſich, 
unter ihnen, und Einer bejonders, der gar nicht 
in eine jolche Geſellſchaft zu gehören jchien. 

Er trug einen allerdings Ihon vom Wetter 
mitgenommenen, aber doc feinen Panamahut, 
eine koſtbare Serape, wie jie ſich eigentlich nur 
in den Händen der reicheren Mericaner finden 
und oft jo viel Eoften wie ein echter türfijcher 
Shawl, überhaupt jehr elegantes Reitzeug und 
hatte auch in feinem ganzen Benehmen Etwas, 
das ihn wejentlic von der Menjchenflafje, von 
der er fich bier umgeben fand, unterjchied. — 
Und doc, gehörte er zu ihnen, wenn aud nicht 
ihren Gefinnungen, doch ihren Zweden nad), 
und fonnte die Zeit kaum erwarten, daß ber, 
jeinem Geſchick verfallene Zug diejen für ihn 
verderblichen Platz erreichte. 

Es war Silveftre Almeja, der Patricierjohn 
aus Merico, der fi hier einer Bande von 
Straßenräubern angejchloffen, nur um feiner 
Rache zu genügen. 

Der junge Graf Deverreur war nämlid) vom 


108 


Dberconmando in befonderer Miffion nach Vera— 
Cruz gejandt worden und mußte, wie Sil- 
veftre auf irgend welche Art erfahren, heute 
wieder von bort abreifen, um zur rechten Zeit 
‚in der Hauptjtabt einzutreffen. Der junge Toll: 
fopf aber, in Eiferfuht und Haß gegen die ganze 
Nation, hatte Kunde von dem Beitehen diejer 
Banden erhalten, und mit ihnen vereint jeßt 
beichlofien, den Zug aufzuheben. 

Was Eonnte dieſen Menſchen auch Er- 
wünſchteres kommen, als ein folches Unter: 
nehmen! Allerdings zählten fie jich zu den dem 
Kaijerreih noch nicht Veigetretenen und nannten 
ih Nepublifaner, aber fie hatten auch feine an— 
bere Regierung über ji, oder mußten wenig: 
jtens nicht, wo fie ji) befand und ob fie über: 
haupt noch bejtehe. Und was that dag? — mit 
dem weiten wilden Land zum Schuß, wohin 
ihnen, wenn jie ji von den begangenen Stra: 
Ben abzogen, die Gegner nur mit großen An: 
ftrengungen und ſehr jchwerfällig folgen Fonn- 
ten, wußten jie fich ziemlich jicher, und verloren 
auch Nichts bei einem ſolchen Leben. 

Soldaten mußten fie doc fein. Hielten 
fie fich in der Nähe der Hauptſtadt auf, jo wur: 
ben fie von den kaiſerlich mexicaniſchen Heer: 





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führern gepreßt und ohne Weiteres in die Armee 
eingereihbt, und zogen jie ſich nach Norden hin— 
auf, wo jeßt wieder der vom Kaiſerreich ab- 
gefallene Cortina ein Heer jammelte oder Negrete 
an Banden zujammenzog, was er befommen 
fonnte, jo Half ihnen das auch Nichts, denn 
denen entgingen jie nocdy weniger. Alſo war es 
für jie viel vortheilhafter, auf derartige Weije 
einen „‚Eleinen Krieg‘ zu führen, der ihnen 
einestheils nicht einmal ſo viel perjönlidhe Ge— 
fahr bot, als der größere, und dann — die Haupt: 
ſache — den ganzen Nutzen des Erfolges in ihre 
eigenen Taſchen lenkte. Daß fie dabei Freund 
wie Feind plünderten und brandichagten, fam gar 
niht in Betracht. 

Ueberhaupt war auch die ganze mericanijche 
jugend faft in einem ſolchen Leben aufgewachjen 
und groß geworben, denn ſeit den leßten zwan— 
zig Jahren fajt hatten fie Nichts als Revolu— 
tionen und Pronunciamentos in ihrem Land 
gehabt. Sie wurden verwilderi und mußten 
verwildert werden, und wo fie mit Fleiß und 
Arbeit gar nichts verdienen Eonnten, jahen fie 
ih natürlich nach einer andern, mehr lohnenden 
Beihäftigung um. 

Der ganze Schwarm hatte ſich bis jet bunt 


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und wild über den Bahnförper hin und Her 
getrieben und babei geplaubdert und gelacht, als 
ch es ſich hier um ein Fleines unfchuldiges Ver— 
gnügen handle, jet plößlich aber jtanden Alle 
til und regungslos, denn ein kurzer, kreiſchen— 
der Schrei tönte durch den Wald — e8 war dag 
Zeichen, und wenn fie ſich jtill hielten, Fonnten 
jie felber deutlih den bumpf rafjelnden Laut 
hören, der in den Schienen zu vibriren jchien. — 
Der Zug Fam. 

Die Führer ſprangen empor — raſche Befehle 
ſchallten durcheinander, und in die Büſche hinein 
tauchte das Geſindel nach beiden Seiten, ſo daß 
wenige Minuten ſpäter die durch den Urwald 
gehauene Bahn wieder ſo ſtill und lautlos lag 
als vorher. — Die einzigen ſichtbaren lebenden 
Weſen waren ein paar Aasgeier, die den Men— 
ſchenſchwarm da unten in hoher Luft wachſam 
umkreiſten. Es waren das alte Bekannte, und 
ſie wußten aus Erfahrung, daß es in deren Nähe 
immer reichliche Nahrung gab — ſei das nun 
an Thier- oder Menſchengebein. 

Immer noch dauerte aber das Nahen des be— 
drohten Zuges länger, als ſie anfangs geglaubt, 
denn der Windzug ſtrich von Oſten herüber, und 
der Schall tönte weithin über das Land; aber 


111 


lauter und deutlicher wurde auch das Geräuſch 
der Flappernden Räder, und jegt endlich jtieg 
ver dunfle Dualm, den der Windzug in gleicher 
Schnelle mit dem Train dahintrieb, body über 
die Maldung empor. 

Kaum noch zweihundert Schritt von der ge— 
fährbeten Stelle entfernt, tönte ein ſcharfer Pfiff. 
— Der Locomotivführer Hatte die Gefahr in 
dem unterbrochenen oder jchräg abführenden Ge: 
leis erfannt — aber zu ſpät. Wohl ließ er den 
Dampf ausftrömen und die Bremfer thaten ihre 
Pflicht, aber ehe fie im Stande waren den ganzen 
Zug zum Halten zu bringen, ja ehe er nur anfing 
merklich Tangjamer zu geben, erreichten jchon bie 
Räder der Locomotive die aus der Richtung gelegten 
Schienen und ſchoſſen ſeitab — der Zug drängte 
nad) und fing an zu holpern, die Majchine, in 
weichen Boden gerathen, ſchlug um — die nächſten 
Wagen preßten darauf, und in das Angſtgeſchrei 
der’ Paſſagiere Fnatterten jeßt die Schüſſe der 
im Hinterhalt liegenden Buben und trieben 
die Verwirrung in den Wagen auf den Gipfel- 
punkt, 

Glücklicherweiſe zertrümmerten nur bie eriten 
Wagen, in denen fi einzig und allein Güter 
und gar Feine Paflagiere befanden; zwei von 


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den Bafjagierwaggons jlürzten um, ohne aber 
ſchwere Beſchädigungen zu veranlafjen, dagegen 
wurden durch die Kugeln ver Guerillas drei Paſſa— 
giere auf der Stelle getödtet und viele verwundet, 
und das Gejchrei der zahlreihen Schaar der An: 
greifer, die jeßt jauchzend und brüllend aus dem 
Wald herausbraden, machte einen Widerjtand‘ 
der wenigen wirklichen Soldaten im Zug zur 
Unmöglichkeit. Dieje wurden aud gleich ent— 
waffnet und gebunden, und nun gingen bie 
Banpden vereinigt daran, die Paſſagiere regelrecht 
auszuplündern, als ob das nothwendig mit zu 
einem Treiheitsfrieg gehöre. 

Das Gepäd luden die Räuber dann auf ihre 
Thiere, und damit die Beraubten nicht zu raſch 
den Unfall anzeigen und Verfolger auf ihre 
Fährte bringen könnten, trieben fie alle Gefan= 
genen mit jich in den Wald hinein. Sie jchieden 
dabei die Nationalitäten auseinander, ließen 
aber nur die Franzoſen gebunden und jchickten 
endlich die Uebrigen, als jie ſich volllommen 
jiher glaubten, zurück. Sie mochten jehen, wie 
jie den Weg wieder allein nad der Station 
fanden. * 

Die Franzoſen hatten ſich indefjen raſch in 
ihr Schidjal gefunden; man fonnte fie ja doch 





113 


nur al8 Kriegsgefangene behandeln, und bie 
Guerillas durften überhaupt nicht wagen fie 
lange zurücdzubalten. Ueberall in den benach— 
barten Orten lagen jtarfe Beſatzungen ihrer 
Landsleute, und kamen die erjt auf ihre Spur, 
jo waren fie verloren. 

Graf Deverreur marſchirte mit den übrigen 
Gefangenen, allerdings nicht in jehr heiterer 
Stimmung. Es war mit zufammengebundenen 
Händen ein jchlechtes Gehen auf ben fajt un: 
wegiamen Pfaden in der Wildniß, und die Ges 
fangenen wußten ja dabei nicht einmal, wohin 
man fie gegenwärtig jchleppen wolle. Daß fie 
bon der ganzen Nation gehaßt wurden, war ihnen 
außerdem fein Geheimniß. 

Während jie jo jchweigend und finjter vor 
ih Hinbrütend weiter fohritten, fprengte einer 
der Reiter dicht an den Trupp heran und Lüftete 
jehr artig, aber Doch mit unverkennbar höhniſchem 
Zug um die Lippen, feinen Hut. 

„Habe ich nicht das Vergnügen, Graf De: 
verreur bier zu begrüßen ?' 

Der junge Franzofe ſah erftaunt auf — 
„Señor Almeja?“ rief er aber im nächſten Mo- 
ment überrajcht aus — „Sie als ein Feind des 
Kaiferreihs und in dieſer Truppe 

Fr, Gerftäder, In Merico. II. 8 


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„Das fommt Ihnen wunderbar vor, nicht 
wahr?‘ Lächelte Silveſtre, „Sie würden noch 
Wunderbareres erleben, wenn Sie Gelegenheit 
hätten ſich länger in Merico aufzuhalten.” 

„Ich denke nicht daran es jo bald zu verlafjen, 
lagte der junge Graf finfter — „doch id ap— 
pellire jeßt an Sie, Senior: Sit das eine Be— 
handlung für Kriegsgefangene, fie gebunden und 
ausgeplündert durch ſolchen Wald zu führen ? 
Es liegt doc) hier wahrhaftig nicht die geringjte 
Gefahr vor, dag wir entfliehen oder ua 
leiiten könnten.“ 

„Es it Ihnen unbequem, wie ?' lächelte ber 
junge Mann, deſſen Augen vor Genugthuung 
blisten, „läßt ji aber freilich nicht Ändern. 
Wie befindet jich Ihre Frau Gemahlin ? Hoffent- 
lid gut.‘ 

Deverreur Fonnte der Hohn in der Trage 
nicht entgehen, aber einen jcheuen Bli warf er 
zu dem jugendlichen Verbrecher empor, als die— 
jer mit bebauernder Stimme und wie zu fich 
jelber vedend Hinzufegte: „Schade um das 
arme, bildhübſche Wejen; jo jung noch und ſchon 
Wittwe!“ 

„Was wollen Sie damit ſagen?“ erwiederte 
er finſter; „entweder die Schaar hier iſt eine 


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Räuberbande, und dann kann ich doch nicht 
denken, daß Sie fih in Ihrer Stellung im Leben 
der angejchlofien hätten, oder es find Guerillas, 
und dann können jie uns als nichts Anderes 
als eben Kriegsgefangene betrachten.‘ 

„Veremos,“ lädelte GSilvejtre, „aber ich 
glaube, wir befinden uns an Ort und Stelle, 
denn ich jehe die Führer halten und die Vorderen 
ih um fie jammeln. Auf Wiederjehen, Herr 
Graf!“ und damit gab er jeinem Thier die Sporen 
und jprengte nad) vorn, um fich der Berathung 
anzujchließen. - 

Deverreur blickte umher, konnte aber Feine 
Spur von irgend einer menjhlihen Wohnung 
oder nur ein Zeichen von Cultur entdeden. 
Etwas höheres Land jchienen fie hier erreicht zu 
haben; der Boden bob fih und die Vegetation 
zeigte jich von der in der Niederung verjchieden ; 
vor ihnen lag jogar eine Fleine Walpblöße, bie 
von hohen, mächtigen Laubholzbäumen eingefaßt 
ſtand — ſonſt war Alles Wildniß wie bisher 
und der Platz fonnte höchſtens zu einem Rajt: 
punft ausgeſucht fein. 

Die Gefangenen wurden beordert bier zu 
halten. Sie waren außerdem durch den langen 
Marih und die Hitze zum Tode erſchöpft, und 

8* 


116 


die Meiften warfen ſich auch, wie ihnen nur der 
Befehl wurde, auf den Boden nieder. 

Deverreur nur fonnte fi eines Mißtrauens 
nicht erwehren, denn die Worte des Mericaners 
hatten drohend geflungen, und er Fannte ihn ja 
recht gut als feinen früheren und unglüdlichen 
Nebenbuhler. Er blidte umher und bemerkte 
jeßt, wie ich die, Banditen gleihenden Burſche 
mehr und mehr um jie fammelten, ohne jedoch 
bis jet noch irgend eine Spur von Feindſelig— 
feit zu zeigen. Sie lachten im Gegentheil 
untereinander und jchienen ganz befonders guter 
Laune. 

Da ritt einer der Führer, welcher der Maſſe 
von Lißen und alter Stickerei nad), die er trug, 
und die er jich jedenfalls von franzöfiihen Uni- 
formen heruntergetrennt und auf feine Jade Hatte 
ſetzen laſſen, wenigſtens ein General fein mußte, 
an die Gefangenen hinan und jagte finiter: 

„Franzoſen, Ihr feid hier in unfer Land 
gebrochen und Habt es verwüſtet, wie unjere 
Brüder und Kameraden erſchlagen: Ihr müßt 
jterben!‘ 

„Señor!“ rief da Deverreug, ber bier jeine 
ſchlimmſte Befürchtung betätigt fand, „Sie dür— 
fen uns nicht töbten. Wir find nichts als Kriegs- 


31% 


gefangene, und für jebes Leben, das Sie hier 
näbmen, würde der Marſchall von Franfreid) 
hundert der Ihrigen fordern!‘ 

„Caracho,‘ lachte der Burſch, und jein Auge 
bligte wild und tückiſch über die Schaar jeiner 
Opfer, die aus etwa jechzehn Soldaten, Unter: 
officieren und Gemeinen, beitand. — „Ich will 
Euch zeigen,"was wir dürfen, und was Euren 
Marihall betrifft, jo ilt der Hanf, an dem er 
gehängt werben joll, wohl auch ſchon gewachſen. 
‘hr jeid in das Land gefommen und in das 
Innere gedbrungen, aber Ihr werdet nod) bie 
heilige Jungfrau auf den Knieen bitten, daß 
jie Euch wieder hinaushilft — Adelante mu- 
chachos !’’ 

„Señor Almeja!’ rief Deverreur. „ch ftelle 
uns unter Ihren Schuß. Sie werden nicht dul— 
den, dag man ung hier mit faltem Blut morbet !” 

„Alles, was ich für Sie thun kann, Señor,“ 
jagte Silveitre, indem er ruhig feinen Revolver 
aus dem Holjter zog, während ver jett auf die 
Franzoſen eindringende Schwarm die Meſſer aus 
den Gürteln riß, „it: daß ich Ihnen eine Fleine 
Erleihterung verſchaffe“ — und damit feuerte er 
jeine Waffe in faum zwei Schritt Entfernung 
auf den Unglüdlichen ab. 


118 


Es war dies das Zeichen für die Megelei 
gewejen, und eine Scene begann jeßt, die zu be— 
Ichreiben jicy die Feder jträubt. — Aber nur mit 
Mefjern und Macetas wurden die armen, ver= 
theidigungslofen, ja jelbjt gebundenen Menſchen 
niedergemadht, und als am nächſten Morgen 
eine den Räubern nacgejandte Colonne belgi- 
Iher Truppen den Schauplaß erreichte, ſchauder— 
ten die doch an Schlacdhtjcenen gewöhnten Sol- 
daten zujammen vor dem furdtbaren Anblid, 
der jih ihnen bot. — Aber ein Racheichrei 
rang fi auch von ihren Lippen und fie nahmen 
die Berfolgung jest, von einigen Mericanern 
geführt, mit einer Wuth auf, die fie Müdigkeit 
und Anjtrengung vergejjen liegen. 

Die beiden bis dahin vereinigten Banden 
hatten indefien, etwa eine Legua von dieſer 
Mordicene, in deren Nähe fie ſich doch nicht bes 
haglich fühlten, an einem murmelnden Berg— 
ftrom, der aus dem höheren Land herabfam, Halt 
gemacht, um ſich vor allen Dingen nad) den ge— 
babten Strapazen auszuruhen, wie auch in Ruhe 
bie gemachte Beute zu theilen. 

Silveſtre Almeja hielt fich ziemlich fern davon. 
Er hatte, was er erjtrebt, erreicht und als jeinen 
Beuteantheil nur die beiden mit Silber reich 


119 


beihlagenen Revolver feines Nebenbuhlers und 
— deſſen Trauring zu fi genommen. Geine 
Nahe war erjt halb, wenn er nicht die treuloje 
Geliebte ebenfalls elend machen konnte, und Ge- 
legenheit fand fich leicht, ihr den Ring nad) 
Merico zu jenden. 

Hier aber trennten fich die beiden Züge wie- 
der, und General Sona, wie der Führer des einen 
hieß, beichloß, jih auf den Weg nad) Puebla 
bin zu begeben, und dort an den Gumbres oder 
in jener Gegend zu wegelagern, wo die Straße 
aus dem Thal direct an den Höhen hinan und 
auf die Hochebene jteigt, während Xilla, der an- 
dere Bandenführer, den Staat San Luis Potofi 
zu erreichen gedachte, und dabei eine Menge 
eigener Pläne hatte. Seinen Leuten erklärte er 
übrigens, daß er fich mit einer der nördlichen 
Banden zu vereinigen wünjche. 

Diefem ſchloß ih Silveitre an, und zwar 
mit dem feſten Entichluß, den Kampf gegen bie 
verhaßten Franzoſen in allem Ernit fortzujegen, 
und nah Norden zu mußte er ja mit Juarez' 
Truppen zujammentreffen. Er war natürlich nicht 
gejonnen, jich bei den Kleinen Naubzügen zu be= 
tbeiligen, ſah aber auch Feine Möglichkeit, um 
allein und unberaubt durch das Land zu kom— 


120 


men. Xilla jedoch, obgleich er bejtimmt erklärte, 
ebenfalls zu Juarez ſtoßen zu wollen, machte 
nicht die geringjten Anjtalten, dies in Wirklich: 
feit zu thun, jondern befand fi bier als un— 
umjchränkter Herricher und Gebieter einer Bande 
von jeßt fajt zweihundert Mann viel behaglicher, 
und 309 jih nur langjam durch die Berge der 
größeren Stadt Yalacingo zu, die er durch 
einen Handjtreich zu nehmen und zu brandichagen 
hoffte. 

Indeß aber waren die Behörden nicht uns 
thätig gewejen, denn der Raubanfall der bis jest 
bo wenigjtens vollfommen jiher geglaubten 
Eijenbahn hatte jie wachgerüttelt. Bon Vera— 
Cruz jelber ging ein jtarfer Truppenförper ab, 
um die Spur der Bande zu verfolgen; in Ori— 
zaba wurden Truppen aufgeboten, und aus Jalapa 
zog ebenfalls ein Corps dort jtationirter belgi- 
iher Truppen aus, um die Gegend nad allen 
Richtungen bin abzufpüren. Es dauerte aud 
gar nicht lange, jo kamen dieſe auf die Fährten 
ber Marodeure, die ſchon dafür jorgten, ihren 
Weg mit niedergebrannten Hacienden und Blut 
zu kennzeichnen. 

Nördlich von Orizaba, unmittelbar an der 
Grenze der beiden Staaten Vera-Cruz und Puebla 


121 


in einem wundervollen Thale, das fih jchon 
gegen die Höhen von Perote anneigte und einen 
prachtvollen Blid auf den mit ewigem Schnee 
bededten Krater Drizaba gewährte, hatte Xilla’s 
Bande ihr Lager aufgefchlagen. 

Die Scenerie war wahrhaft wundervoll; zu 
Füßen der Stelle, auf dem die Schaar lagerte, 
brad ſich ein wilder Bergjtrom über mächtige 
Felsmaſſen die Bahn zu Thal, braufend und 
Ihäumend einem Abgrund zu, der den ganzen 
jüdweltlihen Hang begrenzte, während Links 
davon eine mehr jchräg abfallende Senkung, mit 
baumartigen Cactus und jtadhligen Agaven be- 
wacjen, einen fajt undurchdringlichen Wall nach 
diejer Richtung hin bildete — im Norden aber, 
von Blüthenbüjchen überjäet, hob fich die erjte 
Sebirgsihiht, von herrlichen Bäumen bededt, 
empor und zeigte oben an den Höhen jchon 
dunkles Nadelholz, während tief unten, wenn 
das Auge dem Einjchnitt folgte, noch breit 
blätterige Tropenpflanzen fihtbar waren. Das 
Ganze aber in unbejchreibliher Majeftät über- 
ragte der gewaltige Schneefegel, der Drizaba, 
der mit in der Sonne funkelndem und blitendem 
Gipfel das weite Land beherrichte, während aus 
jeinen falten Schluchten fortwährend weiße be— 


122 


wegliche Nebel emporitiegen, fih um fein Haupt 
zu phantaftilchen Bildern und Figuren formten, 
und dann, wenn ſie eine wärmere Luftſchicht er— 
reichten, zu Duft auseinanderflofien. 

Silveitre hatte fich von den Uebrigen abaejon- 
dert gehalten, benn er fing an fi der Bande 
zu ſchämen, mit der ihn feine Reidenjchaft ver- 
eint. Außerdem mußte er auch jet wohl mer— 
ten, daß Xilla gar nicht beabjichtigte weit nach 
Norden zu ziehen, jondern dieſe Gebirgsfette eben 
nur aufgejudht babe, um von bier aus, wenn es 
ihm gerade pafje, Raubzüge in die Nachbarichaft 
zu unternehmen — aber das lag wahrlich nicht 
in jeinen Plänen. 

Die Bande jelber befand jich in vortrefflicher 
Laune. Gie hatte an dem nämlidhen Morgen 
einem armen ndianer, der zwölf mit Pulque— 
fchläuchen beladene Ejel trieb, den ganzen Vor— 
rath mit den Ejeln abgenommen, und hielt jeßt 
hier am grünen Waldesjaume ein lang entbehr- 
tes Gelage. Selbſt Killa jhien dem doch immer 
beraufchenden Getränk etwas ſtark zugeiprocdhen 
zu haben, und als ji ihr „vornehmer Com: 
pañero“, wie fie ihn zuweilen nannten — ihnen 
gar nicht anjchliegen wollte, jondern allein und 
büfter brütend unter dem Baum liegen blieb, 


123 


da ding er mit einem gefüllten Horn zu ihm 
hinüber, und vor ihm ftehen bleibend, jagte er 
lachend: 

„Caracho! Compañero — Du liegit ja da fo 
allein und einjam, als ob Du gar nicht zu uns 
gehörtejt oder — am Ende gar nichts mit ung 
zu thbun haben wollteft — heh? Da trink ein- 
mal — famofe Pulque, die die Rothhaut nah 
Salacingo bineinjchleppen wollte — aber die kön— 
nen wir bier bejjer gebrauchen, heh?“ 

„Ih will Euch Etwas fagen, Compañero,“ 
meinte Silveftre, ohne aber das gebotene Horn 
zu nehmen, ‚das Leben bier bei Euch gefällt mir 
auch nicht, denn das Ganze läuft auf Nichts als 
Rauben und Plündern hinaus, und deshalb bin 
ih nicht zu Euch geitoßen.‘‘ 

„In der That nicht, und zu was jonit, 
Señor, wenn man fragen darf?‘ jagte der 
Bandenführer mit einem höhniſchen Lächeln — 
„etwa den Damen unterwegs den Hof zu machen? 
Die jungen Seoritas auf der legten Hacienda 
ihienen Ihnen jehr zu gefallen.” 

„Seht zum Teufel,’ brummte Silveitre — 
„Ihr wißt jelber recht gut, weshalb — um fran= 
zöſiſche Trupps zu überfallen und aufzureiben, 


124 


und denen geht Ihr gerade auf das jorgfältigjte 
aus dem Weg.’ 

„Und einfach genug, weshalb,’ lachte Killa, 
„weil bei denen Nichts als Blei und Falter 
Stahl zu holen ift, und ich mein Heer vergrößern 
und nicht decimiren lafjen will. Morgen oder 
übermorgen jedoch, Compañero, den?’ ich, machen 
wir einen guten Zug. Geftern ift ung ein Burfche 
aus Salacingo zugelaufen. Dort liegt nur eine 
fleine Truppe Kaijerlicher, lauter Mericaner, und 
die Gefängniffe ſtecken voll. Sch kenne das Nejt gut 
genug. Mit Tagesgrauen fallen wir darüber her, 
brechen erjt die Gefängnifje auf und dann —“ 
er ſchwieg erichredt, denn oben an dem über 
ihnen liegenden DBergeshbang und im Walde 
drinnen ertönte in dem Moment ein jcharf klin— 
gendes und herausforderndes Trompetenfignal, 
und in wilder Haft jprang die Scaar ber 
Guerillas empor, denn bier gerade, den Abgrund 
und cactusbemachjenen Hang vor fi, hätten fie 
feinem Feind begegnen mögen. Und dod Fang 
das wie das Signal zum Angriff der Gegner, 
das jie gut genug fannten, und dem ſie oft jchon 
in wilder Flucht ausgewichen waren. 

Die Leute griffen ihre, in aller Ruhe bei 
Seite gejtellten Gewehre und Waffen auf; bie 





125 


Reiter ſprangen mit zitternden Knieen nad) ihren 
Dferden. Dieje aber jcheuten vor dem plößlichen 
Anprall, warfen ungeberdig die Köpfe in bie 
Höhe und fingen an zu jpringen und zu ftampfen, 
jo daß eine völlige Verwirrung in dem über: 
rumpelten Lager entitand. 

Xilla, das Horn mit Pulque, das er noch 
immer in der Hand bielt, zu Boden jchleudernd, 
war, den Degen aus der Scheide reißend, zu 
jeinen Leuten zurüdgejprungen und jchrie feinen 
Befehl zum Sammeln über den Hang hin — 
das war aber faum nöthig, denn der Schwarm 
drängte fich von jelber zufammen, um nur erjt 
einmal zu jehen, mit welchem Feind fie e8 hier 
zu thun befamen. Darüber jollten fie allerdings 
nit lange in Ungewißheit bleiben. Bon rechts 
und links und gerade über ihnen antworteten 
ih die Trompetenſtöße — die Büſche rafchelten 
und brachen, und heraus aus dem Wald, mit 
bunten bligenden Uniformen und Gewehren 
drangen die Rächer gegen die Bande vor. 

Das belgiihe Corps war etwa anderthalb 
Stunden von dort entfernt, die Straße einhaltend, 
nad) Norden marſchirt, da jie die legten Nach— 
tihten vermuthen ließen, daß fich die Guerillas 
nah jener Richtung gewandt. Da erreichten fie 





126 


eine Hacienda am Weg, die das Raubgejindel 
erit an dem nämlihen Morgen überfallen und 
ausgeplündert hatte. Sie fanden auch den Plaß 
noch in voller furdhtbarer Aufregung, und von 
einer benachbarten Ortjchaft waren jogar die Be— 
wohner bewaffnet herübergefommen, um die 
Räuber, wenn nöthig, mit vertreiben zu helfen. 
Das Landvolk befam es endlich jatt, von diejen 
zügellojen Banden heimgejudht zu werden, vor 
denen fie ji Faum eine Naht ruhig auf ihr 
Lager werfen Fonnten, und oft jahrelange Ar— 
beit in einer einzigen Stunde durch jie zerjtört 
ſahen. 

Da gerade, während die belgiſche Colonne 
dort hielt, der ſich zwei franzöſiſche Officiere mit 
einer Patrouille angeſchloſſen, traf der arme In— 
dianer ein, dem die Räuber an dem Morgen 
ſeine Eſel mitſammt ihrer Ladung weggenom— 
men und ſogar ſein Leben bedroht hatten, wenn 
ſie ihm noch irgend wieder begegnen würden. 
Der arme Teufel aber, dem Alles, was er auf 
der Welt bejaß, mit den Thieren verloren ging, 
dachte gar nicht daran, fein Eigenthum aufzu= 
geben, ohne wenigjtens zu jehen, wohin jich die 
Räuber defjelben wenden würden. Mit der jeiner 
Race überhaupt eigenen Schlauheit folgte er 


127 





ihnen deshalb, und als er — fid immer vor: 
ichtig außer Sicht haltend, endlich ſah, wo jie 
ihr Lager aufichlugen, eilte er zurüd und nad) 
Jalacingo zu, um von dort bei der faijerlichen 
Garnijon Hilfe zu fuchen. Da traf er unter: 
wegs auf der geplünderten Hacienda die belgijche 
Truppe, meldete feinen Unfall und den jegigen 
Aufenthalt ver Räuber, und erbot jich natürlich 
mit Freuden, ven Soldaten zum Führer zu dienen. 
Denen jchlofien ſich aber jetzt jomwohl die 
jämmtlihen Leute von der Hacienda an, als 
auch die aus der Nachbarſchaft herübergefom- 
menen DBewaffneten. Der Indianer aber, ver 
das Terrain genau fannte und wußte, daß die 
Guerilas von der Stelle aus, wo fie ich be— 
fanden, im Süden vollfommen eingehemmt lagen, 
und nur den Bergjtrom auf- oder abwärts, oder 
gerade in den Wald hinein entfliehen fonnten, 
brachte die Belgier nicht allein zu dem richtigen 
Bunft, fjondern theilte fie auch dort ein. Die 
Soldatentrupps jollten von rechts und links, den 
Bergitrom herauf und Hinunter drüden; bie 
Hacienderos aber blieben mit ihren Hilfsmann= 
Ichaften im. Centrum, jo daß fie den Feind, der 
nadhläffig genug gewejen war, im Gefühl jeiner 
Sicherheit auch nicht eine einzige Wache auszu— 


128 


Stellen, vollfommen umzingelten, ehe er nur eine 
Ahnung von ihrer Nähe hatte. 

Jetzt erjt wurde das Signal zum Angriff 
gegeben — zuerjt von dem Centrum aus, da den 
Hacienderos ein Signalift zugetheilt worden — 
und jeßt von links und rechts, während die Sol- 
baten, ihre Gewehre gefällt, aus dem Dieicht 
herausbrachen und, jowie fie den Feind in einem 
wirren Knäuel zufammen fanden, fich ihres 
Sieges gewiß mußten. 

„Halt, Feuer!’ Eine Salve Fnatterte in bie 
dicht gedrängten Maffen hinein, die, von drei 
Geiten zugleich angegriffen, gar nicht gleich wuß— 
ten, nad) welcher Richtung hin fie ihre Gewehre 
abfeuern jollten, und als fie erjt die Teinde ge— 
nau erkannten, war es zu ſpät. Vereinzelte 
Schüſſe gaben fie, aber meift ohne zu zielen, 
und jeßt, mit gefälltem Bajonette und dem don: 
nernden Hurrahruf, ftürmten die waderen Belgier 
hinein in die Räuberjchaar. 

Flucht? — ja — aber wohin? über den Ab: 
grund in die ftachhligen Cactus und Aloe hin— 
ein? Ehe fih die feigen Verbrecher bejannen, 
waren die Rächer mitten unter ihnen, und 

„Gnade!“ fchrieen die ihrem Geſchick Verfalle: 


129 


nen, indem fie ihre Gewehre fort und ſich auf 
die Kniee niederwarfen. 

Doc gerade dieſe Belgier waren es gewejen, 
die erit ganz Fürzlih den Schlahtpla und bie 
Iheußlih verftümmelten Opfer diejer Elenden 
gefunden, und Rache war jeßt ihr einziges Gefühl. 
Jetzt hatte das Glüd des Krieges ihnen den Sieg 
in die Hand gegeben, und blutgierig, wie nicht 
ein Tiger, nicht ein Wolf, wie nur ein Menſch 
ſein kann, wütheten fie unter ihren Opfern. 

Diefe flohen jest wohl nad allen Seiten, 
aber Rettung brachte ihnen das nidt. Diele 
Iprangen in den Abgrund, aber das jchroffe Ge- 
ttein hielt fie nicht, und elend zerjchellten fie in 
den Tiefen. — Andere rannten in ihrer Todes— 
angſt in den mit Cactus dicht bewachſenen Hang, 
aber ſchon nach kurzer Strede blieben jie zwijchen 
den Iharfen Dornen jteden und lieferten den 
nachſpringenden Hacienderos ein treffliches Ziel 
für ihre Revolver und Schrotgewehre. 

Awanzig oder dreißig, meijtens Verwundete, 
fielen in die Hände der Sieger; ber belgiiche 
Obrift jedoch, der den Zug commandirte, modte 
Nichts mit den Gefangenen zu thun haben. Den 
Tod hatten fie allerdings verdient, aber er fcheute 
ſich, Henkersdienſte an ihnen zu EN Nicht 


xt. Gerftäder, An Merico. III. 


130 


jo die Merifaner, deren Eigenthum geraubt oder 
zerjtört, deren Vieh weggetrieben, deren Frauen 
und Töchter mißhandelt worden. Im Nu hatten 
fie den Ueberwundenen die Hände zujammen- 
gejhnürt, und ohne weiteren Zeitverluft wurden 
Stride berbeigejhafft, um jie an den nächjten 
Bäumen aufzuhängen. 

Unter diejen befand ſich Silveitre Almeja, 
der mit zerjchofjenem rechten Arm feinen Wider— 
ſtand mehr hatte leiften können; aber jein Herz 
hörte auf zu jchlagen, als er die furdtbaren 
Vorbereitungen zum Tode ſah, und ben belgijchen 
Dbrijt anrufend, bot er ein Löfegeld für jein 
Reben. 

„Wer find Sie?’ fagte der Obrijt finjter. 

„Mein Name ift Almeja — mein Bater ijt 
einer der angejehenften und einflußreichiten Män— 
ner in Merico — id) bieten Ihnen zehntaujend 
Peſos Löſegeld.“ 

„Und wie kommen Sie da zwiſchen dieſe 
Bande?“ 

„Durch Zufall — ich bin ihr Gefangener, 
nicht ihr Mitgenoſſe —“ 

„Caracho, das lügſt Du, Schuft!“ ſchrie der 
ichwerverwundete Xilla, der fich ebenfalls unter 
dem Kleinen Trupp befand, „haft Du ung nit 


151 


felber erſt auf die Fährte gebradyt, um den fran- 
zöjiihen Grafen abzufangen 2“ 

„Deverreur!” jchrie da ein franzöfiicher Of: 
ficier, — ‚er war mit auf dem Zug und, beim 
Himmel! der Schurke dort trägt noch immer einen 
feiner Revolver, die ich oft bei ihm gejehen.‘ 

„Macht mit ihm, was Ihr wollt,‘ ſprach 
rubig der belgijche Obrift, indem er ſich langſam 
abwandte — „er gehört mit zur Bande. Hauptz 
mann Defour, geben Sie das Zeichen zum Sam— 
meln, daß wir den Pla bier jo rajch als möglich 
verlaſſen.“ 

„Herr Obriſt,“ rief Silveſtre in Todesangſt 
— „Sie können mich doch nicht den blutdür— 
ſtigen Henkern hier überlaſſen? Mein Vater 
wird —“ 

„Sie haben ſich der blutdürſtigen Bande 
angeſchloſſen,“ erwiederte der Obriſt kalt, „fo 
legen Sie ſich auch jetzt mit der Geſellſchaft, 
zwiſchen die Sie ſich gebettet haben. Das iſt kein 
Krieg mehr, das iſt Raub und Mord, und 
Räuber und Mörder dürfen ſich eben nicht be— 
lagen, wenn fie den Strick als Lohn finden.‘ 

„Ich wende mid an den Kaiſer!“ jchrie 
Silvejtre verzweiflungsvol, „ich verlange ein 
Gericht —“ 


9% 


132 


„Das jol Dir werden, mein Burſche,“ fchrie 
einer der Hacienderos, indem er auf ihn los— 
ging und ihm einen Strid um die Kehle jchlug. 
Der Obrijt wandte ſich jchaudernd ab — aber 
er hatte hier Nichts mehr zu thun — jein Auf: 
trag war erfüllt, und die Gerichtspflege Fonnte 
er recht gut den Mericanern überlafien. 

Einige Minuten jpäter hatte der Obriſt jeine 
Truppen wieder geordnet, die wenigen Verwun— 
beten — Todte hatten fie nur zwei — wurben 
auf ZTragbahren gelegt, um jie hinüber nad 
Salacingo zu jchaffen, und dem Fluß abwärts 
folgend ſuchte er jeßt auch die Spur der andern 
Bande aufzufinden. 

Und die Gefangenen? — &8 jpielte ſich mit 
ihnen nur eine jener Taujende von Greueljcenen 
ab, an denen das unglüdliche Land jo reich jchon 
jeit Jahrzehnten war. Die Aasgeier wußten 
wohl, weshalb jie ven Trupps Bewaffneter auf 
ihren Wegen folgten. 





5. 
Das Detober-Decret. 


Das reizend gelegene Schloß Chapultepec 
hatte jih unter der ſchaffenden Hand des Kaijers 
fehr zu feinem Vortheil verändert. Die ganz 
gejhieft im Innern angelegten Räume wurden, 
wenn auch nicht eben glänzend oder Faijerlich, 
doch ganz wohnlich und elegant hergerichtet, und 
der Fleine Garten oben auf der Höhe des Hügel8, 
und eigentlich unmittelbar am Schloßhof, war 
von geſchickten Händen fleißig rejtaurirt oder, 
beifer gefagt, neu gejchaffen worden, während 
reihe Blumenbeete auch den,breiten, in den Parf 
dinabführenden Weg umgaben. 

Auch unten im Parf hatte man viel gearbeitet, 
die kryſtallklaren Quellen dort in großen ge= 
mauerten Rejervoirs gefangen, die Wege aus- 





134 


geitochen und mit gelben Kies beitreut, Blumen= 
beete überall angelegt, und ſelbſt den unter den 
mächtigen Gedern gelegenen Raſen gepflegt und 
davor bewahrt, daß er von den Bejuchern rüd- 
ſichtslos zeritampft wurbe. 

Ebenjo waren die Hallen oben, die nach dem 
Garten zu lagen, mit Frescogemälden aus der 
Mythologie geziert. 

Bis dahin aber hielt jih Marimilian noch 
immer von größeren Gejellichaften zurüd, denn 
feine Thätigfeit wurde in der That den ganzen 
Tag über, und gar nicht jelten bis jpät in Die 
Nacht hinein, in Anjprud genommen. In den 
Abendſtunden jehnte er ſich dann aber nad) Ruhe 
und wollte allein fein, 

Db er fih nicht manche von diefen Arbeiten 
hätte erjparen Können, ijt eine andere Frage, 
denn viele Gejege entwarf er, die allein auf dem 
Papier blieben und fi, ſo ſegensreich jie in 
einem civilifirten Land gewirkt haben würden, 
bier, und bei der noch immer herrſchenden Gäh— 
rung, als ganz unausführbar erwiejen. 

Alles, was Marimilian that und anorbnete, 
zeugte wohl von dem aufrichtigen Intereſſe, das 
er an dem Land und feinen Bewohnern nahm, 
von dem guten ehrlihen Willen, den er ihm ent— 


135 


gegenbradite, wie von einem wirklichen Studium 
feiner Bebürfnifje, aber — er täufchte ſich entweder 
jelber über den wirklichen, noch immer mehr als 
revolutionären Zuſtand jeines Reiches, oder nahm 
auch Alles, was er darüber hörte, viel zu leicht, 
indem er den Gegner unterichäßte. Er fing in 
der That an fein Haus zu tapezieren, ehe er es 
unter Dach hatte. Die Sonne jchien ja, und 
ihleht Wetter blieb vielleicht noch lange aus. 

Lebt, und auch nur erjt in den legten Wo— 
hen, gab er fih mehr einem gejelligen Leben 
bin, und dazu trugen gewiß viel die guten Nach— 
richten bei, die von allen Seiten, und gar nicht 
jelten zugleich, eintrafen. Kein Tag in ber 
Woche verlief faſt, wo ihm nicht eine neue 
Siegesnahricht oder — was mehr noch bedeuten 
wollte — Kunde hinterbracht wurde, daß ſich 
diefe oder jene Ortſchaft, ja ganze Staaten für 
das Kaijerreich erklärt Hatten und ihm hulpigten. 

Welches Gebiet hatte denn Juarez nod im 
Befiß, wenn er überhaupt das Neich wirklich 
nicht verlaſſen? — Keine Quadratmeile mehr 
von ganz Merico, die er wenigjtens feſt behaup— 
ten konnte. Heimathlos jelbjt wurde er von Ort 
zu Ort getrieben, und daß er babei noch aus— 
hielt, ließ fihb nur dadurd erflären, daß jein 


136 


Präfidentichaftstermin noch immer nicht abgelau— 
fen war, und er vielleicht einen Ehrgeiz darin 
ſuchte, fi nur eben jo lange noch, wenigjtens 
dem Namen nah, zu halten. Kam aber ber 
Zeitpunft heran, der jet nur noch wenige Wo- 
hen, und zwar im November, entfernt lag, dann 
batte er allerdings eine vollgenügende Entſchul— 
digung, vom Schauplat jeiner bisherigen Tha— 
ten abzutreten und die undankbare Arbeit, ein 


Reich ohne Land und Leute zu regieren, feinem. 


Nachfolger zu überlafjen — wenn ſich wirklich 
Jemand finden jollte, dem es nach einer ſolchen 
Ehre gelüjtete. Allen menjchlichen Berechnungen 
nach hörte aber dann auch der Mibderjtand, den 
bie liberale Partei bis dahin hartnädig genug 
geleijtet, von jelber auf, und dann durfte Maris 
milian auch mit vollem Recht hoffen, in feinem 
Reich an die inneren Reformen zu geben, bie 
er bis jeßt ſchon mit jo vielem und noch immer 
. nußlojem Fleiß ausgearbeitet und vorbereitet. 
Auch Heute am 20. Detober war wieder eine 
Kleine Geſellſchaft auf Schloß Chapultepec eine 
geladen worden, unter ihnen Obrift Miguel 
Lopez, zu dem jich der Kaiſer jehr freundlich ge: 
ftellt und ihm ſogar an dem heutigen Tag fein 
erſtes Kind aus der Taufe gehoben hatte. Auch 


a 


13% 


Marihall Bazaine war zur Tafel gezogen wor: 
den, hatte ſich aber entichuldigen laſſen, da eine 
Anzahl wichtiger Depejchen erledigt werden muß— 
ten, und nur gebeten, jpäter erjcheinen zu dürfen, 
am dem Kaiſer noch Etwas vorzulegen, das feinen 
Aufſchub mehr erleibe. 

Unter den Damen befand jih auch Ricarda 
San Blas — freilich nit mehr das heitere, 
fröhliche Kind, das fie noch vor kurzer Zeit ges 
wejen, denn fie jah jo bleich und leidend aus, 
als jie am Arm ihres Onkels ven Salon betrat, 
daß e8 der Kaijerin jelber auffiel und jie ſich theil— 
nehmend nach der Urjache erfundigte. — Es war 
aber nidhtS von Bedeutung, wie Señor Rodri— 
quez entjchuldigend jagte — ein wenig Migräne 
vielleicht oder eine Erkältung — das Wetter 
war jo unjtät gewejen in, der legten Zeit, und 
beige Tage folgten Falten und ſtürmiſchen jo 
raid, daß überhaupt in der ganzen Stadt ber 
Gejundheitszuftand ein feineswegs günftiger ge- 
nannt werden fonnte. 

Marimilian war heute außergewöhnlich heiter 
— er erzählte viel bei Tafel und lachte und jcherzte, 
nannte Lopez feinen compadre und hatte Jedem 
fajt etwas Angenehmes zu jagen. 

Nach der Tafel wurde der Kaffee unter der 


138 


Borhalle jervirt und im Garten jelber eingenom= 
men, und der Kaiſer jtand mit den jungen Das 
men und jchaute nach den immer herrlichen Ber: 
gen hinüber, die heute wieder einmal nach lan— 
gen, jtürmifchen und wolfigen Tagen die Häup— 
ter frei und glänzend zum Himmel emporhoben. 

Staatsminijter Ramirez, der ſich ebenfalls 
mit oben befand, Hatte von einem aus Merico 
berausfommenden Boten eine Depejche und einige 
Privatbriefe für den Kaifer befommen und brachte 
jie ihm jest. 

„Gute Nachrichten, Majeftät,‘ rief er ihm 
Ihon auf einige Schritt Entfernung entgegen, 
„ſonſt würde ich Sie auch heute nicht damit be= 
helligen.“ 

„Was giebt es, Ramirez — woher?“ 

„Von Unter-Californien, Majeſtät — der ganze 
Staat, den noch nie ein franzöſiſcher oder kaiſer— 
licher Soldat betreten, hat ſich freiwillig der Re— 
gierung Eurer Majeſtät angeſchloſſen und bittet 
in den Staatenbund aufgenommen zu werden.“ 

„In der That?“ ſagte Maximilian, indem 
er die Depeſche nahm, und ein glücliches Lächeln 
flog über jeine Züge — „das ijt ja eine unver- 
hofft frohe Botichaft und eigentlih, neben Yu— 
catan, der erjte Staat, der mir ohne dem geringjten 


139 


Druck von außen mit offenem Herzen entgegen- 
fommt. Ich kann Shnen nicht jagen, mein lieber 
Ramirez, wie mich das freut — und das Ans 
dere —“ 

„Einzelne Briefe an Eure Majeftät — aber 
die werden Seit haben.” 

„Nein,“ fagte der Kaifer freundlid — „wie 
böfe Nachrichten und Unglüdsfälle nie allein 
fommen und eins immer das andere mit fich 
bringt, jo auch gute Kunde. Heute habe ich bie 
fefte Zuverficht, daß ich nichts Unangenehmes er— 
fahren werde.” — Er öffnete den erjten Brief 
und ſah dann gleich lächelnd zu den Damen auf. 
— ‚Sehen Sie, daß ih Recht hatte? Mein 
alter Pfarrer aus Dolores jchreibt mir, es fei 
unferen Truppen gelungen, einer größeren Bande 
nihtsnußigen Geſindels, das ſich raubend und 
wegelagernd dort herumtrieb, habhaft zu werden. 
Das Land wäre nun auch von dieſer ‘Plage 
befreit und hoffentlich ginge e8 jetzt ruhigeren 
Zeiten entgegen.‘ 

Er hatte den Brief an Ramirez zur Durch— 
licht gegeben und erbrach den zweiten, den er 
ebenfalls mit zufriedenem Kopfnicken überflogen. 

„Ah, da it auch Etwas, was Sie vielleicht 
interefjirt, Señorita,“ wandte jich der Kaiſer jebt 


140 


an Ricarda, „oder was wenigjtens mit jenem 
Unfall, der Sie in der Diligence betroffen, in 
Berbindung ſteht.“ 

„Mich, Majeſtät?“ fagte das junge Mäb- 
chen erftaunt auffhauend, und ihr Antlik färbte 
fi) mit höherer Röthe — „ich weiß nit, in 
wie fern das möglich wäre ?’' 

„Sie erinnern fich doch, daß ſich in der Tafche 
jenes Menſchen, der durch Sie entlarvt und wahr— 
ſcheinlich an weiterem Frevel verhindert wurde, 
ein Brief vorfand, der auf ein neues Verbrechen 
ſchließen ließ. Es glückte ja auch der damals 
abgeſandten Patrouille, die Bande ſo ziemlich zu 
vernichten.“ 

„Ich erinnere mich,“ ſagte Ricarda leiſe. 

„Sie wiſſen aber wohl nicht,“ fuhr der 
Kaiſer fort, „daß bei jenem Streifzug ein junger 
belgiſcher Officier, der ſich als Freiwilliger der 
Patrouille angeſchloſſen, ſchwer und hoffnungs— 
los verwundet und nach Cuernavaca geſchafft 
wurde.“ 

„Ich erinnere mich, Majeſtät,“ ſagte Ricarda 
noch leiſer als vorher, aber ihre Wangen hatte 
wieder jede Spur von Farbe verlaſſen, und faſt 
unwillkürlich griff ſie nach der hinter ihr befind— 
lichen Banklehne, um ſich daran zu ſtützen. 


141 


„Was fehlt Shnen, Señorita?“ rief ber 
Kaijer beforgt aus. — „Sie werden unwohl — 
die Eau de Cologne aus dem Haus — raſch!“ 

„sh danke Ihnen,‘ fagte das junge Mäd— 
hen, jih gewaltiam fafjend, indem ſogar ein 
Lächeln um ihre Rippen fpielte — „ich glaube 
faft, Majeftät, das — eine Glas Champagner, 
das ich bei Tafel getrunken, ijt mir ein wenig in 
den Kopf geftiegen — wenn Sie erlauben, daß 
ih mich ſetzen darf.’ 

„Aber beites Fräulein,” rief Marimilian, 
wirflih um fie beforgt, und ſchob ihr jelber raſch 
die Banf zurecht — „wie bleidy Sie plötzlich ge= 
worden find, aber da fommt eine Stärkung. — 
Sp — negen Sie Ihr Tuch damit; das wird Sie 
erfriihen — mehr — nod mehr — es verfliegt 
jonft zu raſch — 

„sh danke Ihnen herzlich, Majeſtät,“ fagte 
Ricarda — „aber es ift Schon vorüber — e8 
war nur ein Moment — und idy habe Sie da— 
dur in Ihrer Rede unterbrochen.‘ 

‚Ah ja fo, — was ih Ihnen mittheilen 
wollte,’ fagte der Kaifer, der fie aber jest feit 
anſah, während fi die umftehenden Damen 
mit ihr bejchäftigten — ‚‚aber e8 betrifft Jeman— 


142 


den, den Sie feinenfalls fennen werden — einen 
jungen belgifhen DOfficier — van Leuwen.“ — 

Ricarda konnte doch nicht jo ſehr unmohl 
jein, denn die Farbe kehrte wieder in ihr Antlit 
zurüd und fie jagte leije: 

„Herr Hauptmann van Leumwen war bei mei: 
nem Onkel eingeführt.” 

„Ach, dann wird es Sie gewiß freuen,‘’ rief 
Marimilian, ‚zu hören, daß er jich gegenwärtig 
außer Gefahr befindet. Die eine Kugel, welche 
die Aerzte jehr beunruhigte — er hat zwei Schüfle 
befommen — ijt gefunden und befeitigt, und er 
fann hoffentlich bald wieder hergeſtellt ſein.“ 

„Majeſtät fennen ihn?’ 

„Er ift uns von daheim warm empfohlen 
worden und aus einer dem belgijchen Hof ſehr 
befreundeten Familie. Ich fürchtete auch ſchon für 
ihn das Schlimmjte, denn er hat lange frant 
gelegen. Was dieſes Raubgefindel jchon für Un— 
heil angerichtet hat, ift unglaublich, und bier in 
ber unmittelbaren Nähe der Stadt fangen fie 
jet ebenfalls an. Es wird wirklich Zeit, daß 
wir dem endlidy einmal ein Ende maden. — 
Dan Leuwen ſoll ſich übrigens bei jener Attaque 
ſehr ausgezeichnet haben, und ich freue mid dar— 
auf, ihn bald wieder in der Hauptitadt zu jehen. 


143 


— A, Sie können |hon wieder auf den Füßen 
itehen, Seforita — wie? lächelte gutmüthig 
der Kaifer — „ja, junges Blut überfteht der- 
artige Anfälle leicht; Sie jehen wieder blühend 
aus, wie eine Rofe. 

Die Kaijerin, die ih im Saal befunden, hatte 
jest ebenfalls von dem leichten Unwohlfein ihres 
jungen Gaftes gehört, und war berausgefommen 
fie zu jehen. Ihr folgten einige der Herren, 
Obriſt Lopez und Andere, und das Gejpräd) 
wurbe jetzt bald allgemein, als ein Diener mel- 
dete, dag Marihall Bazaince eben unten ein 
getreten jei und augenblicklich ericheinen werde. 

„Ah Bazaine,‘ jagte der Kaijer und jeßte 
dann leife zu NRamirez hinzu: „wenn er uns 
heute nur nicht den guten Tag verdirbt, denn 
er fommt fajt nie, ohne etwas Unangenehmes 
in der Taſche zu tragen.‘ 

„Ich glaube doch,” Tächelte der Minijter, 
„daß Eure Majeftät Heute wenigjtens vor ihm 
fiher find, oder wenn er Etwas bringt, wird es 
gewiß etwas Gutes fein.’ 

„ie, Ramirez,“ ſagte der Kaiſer bejtimmt 
und finfter — „von Frankreich blüht uns nichts 
Gutes mehr, fo viel ahnt fmir, und Bazaine 
würde nie der Träger defjelben fein.‘ 


144 


„Er iſt Euer Majeltät zu jo großem Danf 
verpflichtet — 

„Gerade deshalb, Ramirez — gerade des— 
halb,“ jagte der Kaijer raih, — „haben Sie nie 
gefunden, daß jelbjtfüchtige oder ehrgeizige Men: 
ihen Nichts weniger ertragen können, als Ver— 
pflihtungen gegen irgend Jemand zu haben? Es 
ift ihnen das eine drückende Laſt, der fie ſich 
aber jelten auf die natürlichjte Art, durch wirf- 
lihe Dankbarkeit, entledigen, jondern fie ſuchen 
das jo viel als möglich abzujhütteln. Doch ich 
irre mich vielleicht und thue ihm möglicherweiie 
Unrecht — aber auf mich madıt er den Eindrud, 
jo oft ich mit ihm zufammenfomme, und — gebe 
Gott, dag wir ihn wie feine Truppen recht bald 
in Merico entbehren können!“ 

Durch den kleinen Garten, von der Treppe 
her, die von unten heraufführte, Fam der Mar: 
hal in voller Uniform, und mit ftraffer Hal- 
tung auf den Kaijer zugehend jagte er militärisch 
grüßend: 

„Majeſtät bitte ich mir zu verzeihen, daß ich 
Ihrer gnädigen Einladung nicht früher Folge 
leijten fonnte, aber es drängte jich gerade heute 
Alles —“ 

„Keine Entihuldigungen, lieber Marſchall,“ 





145 


jagte der Kaifer freundlid, „wir leben noch in 
einer bewegten Zeit, wo wir uns nicht immer, 
wenn wir es wohl möchten, von Geſchäften los— 
machen fünnen. ch freue mich, Sie wenigjteng 
noch hier zu jehen — und hoffentlid, haben Sie 
heute Alles erledigt und dürfen fi Ruhe gönnen. 
Mir ſelber,“ jegte er vorjihtig hinzu — „iſt 
wenigjtens immer unendlid wohl zu Muthe, 
wenn ich mich einmal auf kurze Zeit von allem 
Geihäftlihen losgemacht habe.“ 

„Und trotzdem werde ich Eure Majeſtät ſelbſt 
noch heute mit etwas Derartigem behelligen 
müſſen,“ ſagte der Marſchall. 

„Wenn die Sache nicht ſehr dringend iſt, 
lieber Marſchall —“ 

„Sie iſt ſehr dringend, Majeſtät, oder ich 
würde mir ſonſt dieſe Freiheit wahrlich nicht er— 
laubt haben.“ 

Der Kaiſer zögerte einen Moment mit der 
Antwort und ſah ſinnend und, wie es ſchien, 
nicht beſonders guter Laune vor ſich nieder — 
hatte er es denn nicht vorher gewußt? — aber 
es war jedenfalls auch beſſer, was jetzt ab— 
gemacht werden mußte, gleich zu thun, um 
nachher den übrigen Abend frei zu haben, oder 

Fr. Gerftäder, An Mexico. II. 10 





146 


das Gejhäft hätte bis: zulegt auf ihm gelegen 
und ihm richtig den Tag verdorben. 

„Dann bitte, treten Sie hier einen Moment 
in den Salon, Herr Marſchall — lieber Ramire;, 
wollen Sie uns nicht folgen? und nun jo raſch 
als möglich, daß wir wieder zu den Damen 
zurüdfommen.“ 

„Majeſtät,“ jagte ver Marſchall, als er ſich 
mit dem Kailer und dem Staatsminifter allein 
ſah — „das Räuberwejen nimmt im Lande der: 
maßen überhand, daß wir energiihe Maßregeln 
ergreifen müſſen, oder es wächſt uns über ven 
Kopf. Sie haben doch jedenfalls über den Eiſen— 
bahnüberfall Bericht erhalten 2?” 

„Allerdings,‘ ſagte der Kaijer finjter — „es 
war eine traurige Affaire, und ich hoffe nur, daß 
die Buben ihrer Strafe nicht entgehen.” 

„Ein großer Theil der Bande ift vernichtet 
worden. Ich habe eben Depejchen von Salacingo 
erhalten. Ein belgiiches Corps hat jie erreicht.” 

„Ich wünjche, dag man mir den Führer des— 
jelben nennt,” rief der Kaijer raſch — „er muß 
ausgezeichnet werden !’' 

„Ich babe feinen Namen hier bei mir, Ma— 
jeftät, und wollte Sie jelber darum erſuchen.“ 

‚Bar e8 das, weshalb Sie mich zu ſprechen 


147 
wünjhten, Lieber Marſchall?“ frug der Kaiſer, 
der neu aufathmete, raſch. 

„Als Nebenjahe, ja,“ erwiederte Bazaine, 
„die Hauptjache aber ift, Majeftät, dag Ihre bis» 
her geübte Milde jebt zu unverzeihliher Schwäche 
würde, wenn Sie noch länger darauf beharren 
würden.‘ 

„Wie ſoll ich das verjtehen? — was meinen 
Sie damit, Herr Marſchall?“ 

„Das Decret,“ ſagte Bazaine, „das ſchon 
von allen Ihren Minijtern unterzeichnet ift, auf 
dem aber noch immer der Name Eurer Majejtät 
fehlt, um es rechtskräftig zu machen. Was aber 
Ihre Milde für Folgen bat und haben mußte, 
darüber erhielten wir gerade in leßter Zeit die 
deutlichiten Beweije. Erinnern Sie ſich, Maje— 
jtät, eines gewifjen Bandenchefs Aniceto Guz— 
mann, der von uns auf frischer räuberifcher That 
ertappt wurde und dem Sie im vorigen Jahre 
troß meiner Abmahnungen das Leben ſchenkten? 
Seit der Zeit hat der Burfche nichts Anderes 
getban als geraubt, Leute ermordet und Contri— 
butionen erhoben, bis es den Hacienderos zu 
arg wurde und fie, ohne durch unjere Gejeße 
geihügt zu fein, über die Bande berfielen und 


ein blutiges Erempel jtatuirten. Sie jehen, das 
10% 


145 


Bolt nimmt zuleßt das Recht in feine eigene 
Hand, und wir zwingen es nicht allein dazu, 
fondern — das Schlimmjte dabei — wir ge— 
wöhnen e8 dadurch jelber wieder an die faum vers 
gefiene Anarchie. Das ift auch nur ein Bei: 
jpiel, ich könnte Euer Majejtät aber zwanzig 
bernennen, und obenan den Schurken Cortina, 
ber bier eine Zeit lang in feiner Generalsuniform 
berumjtolzirte, uns den Eid leijtete und dann 
ruhig wieder hinauf gegen Norden 309, weil er hier 
Nichts zu rauben und zu ftehlen finden Eonnte.‘ 

„Sie wifjen, lieber Marſchall,“ fagte ber 
Kaijer, „wie jehr ich mich ſtets gegen dieſes un: 
glüdjelige Decret gefträubt habe.‘ 

„Ja, leider Gottes weiß ich es, Majejtät, 
aber wenn es nicht nöthig wäre, würden dann 
wohl Ihre ſämmtlichen Minifter, die außerdem 
faft ohne Ausnahme der liberalen Partei an- 
gehören, ihren Namen darunter gejegt haben ? 
Da Stehen fie Alle nach der Reihe — hier Sefior 
Ramirez obenan, Escudero, Dios Peza, Ejteva, 
Gefar, Pezuela und Siliceo. Jh muß Ahnen 
aufrichtig gejtehen, Majeftät, wenn Gie bie 
Unterjchrift ablehnen, jo kann ich nicht länger 
für meine Truppen einjtehen, denn immer wieber 
biejelben Banden zu verfolgen, die fie ſchon zwei— 


149 


und dreimal in ihrer Macht gehabt, nur weil 
die Regierung fich fträubt die Schuldigen zu 
bejtrafen, während dadurch die Leben von jo 
vielen unſchuldigen und braven Menfchen geopfert 
werden, geht endlich über menschliche Geduld.“ 

Bazaine hatte das Decret aüf dem Tiſch aus: 
gebreitet und der Kaijer, beide Hände aufgejtüßt, 
verfolgte e8 aufmerffam mit den Bliden. 

„sh fürchte, es wird uns falſch ausgelegt 
werden,‘ ſagte er endlich — „die Leute draußen 
kennen unſere mißlichen Verhältniffe zu wenig 
und werden e8 nach ihrem Standpunkt beur- 
theilen.“ 

„Aber, Majeſtät,“ rief Bazaine, „wir haben 
es bier nur mit den Leuten drinnen zu thun, 
und wie mir von Seiner Majeſtät dem Kaifer 
Napoleon der ehrenvolle Auftrag geworden ift, 
das Land Hier für Euer Majeftät in Bejig zu 
nehmen, und die Feinde dejjelben zu jchlagen 
oder zu vernichten, jo muß ich dazu auch den 
Schuß der Geſetze haben, oder meine Pflicht hier 
als erfüllt betrachten, denn ein wirkliches 
Heer jteht uns nirgends mehr gegenüber.‘ 

„But, ſagte der Kaifer endlich — „aber 
Artikel 14 Hier muß nod eine Aenderung er: 
fahren — das Geſetz kann nicht in Kraft treten, 


150 


bis Juarez' Präjidentichaftstermin abgelaufen ijt, 
was mit dem 30. November geihieht. Hier fteht 
der 15. November als äußerſter Termin — ſetzen 
wir dafür den 30, oder noch bejier, den 1. Des 
cember!“ 

„Es wäre nicht nöthig, Majeſtät,“ ſagte der 
Marſchall, „denn der Name Juarez iſt doch nur 
noch ein Popanz, den dieſe Banden gebrauchen, 
um ſich, wenn ſie erwiſcht werden, aus gemeinen 
Straßenräubern in Diſſidenten zu verwandeln 
und dadurch die Rechte der Kriegsgefangenen zu 
beanſpruchen.“ 

„Aber wir müſſen ihnen Zeit geben, ſich zu 
unterwerfen.“ 

„Und was hilft das? ſie laufen ja doch bei 
der erſten Gelegenheit wieder davon. Uebrigens 
thut der Artikel 14 ja auch vollkommen dem 
Genüge. Es werden Alle amneſtirt, die, be— 
waffneten Banden angehörend, ſich der Behörde 
vor dem 15. November ſtellen — ſelbſtverſtanden 
daß ſie ſeit Publication dieſes Geſetzes kein an— 
deres Vergehen begangen haben.“ 

„So ſetzen wir ſtatt des 15. November den 
1. December, denn das Decret braudt über— 
haupt Zeit, bis es in die entfernteren Landes— 
theile dringt.‘ 


151 


„Bollfommen einverstanden, Majejtät,‘’ rief 
Bazaine, der nur froh war, daß er den Kaifer 
wenigitens fo weit hatte — „daß Sie aber bie 
Unterfchrift nicht bereuen werden, mögen Gie 
hen daraus erfehen, daß die Verborbenheit jelbft 
unter den höheren Klafien immer mehr über: 
band nimmt, fo lange die bisher geübte Milde 
das Volk übermüthig machte. Zuerſt haben Sie 
das Beifpiel an dem jungen Lucido bier in 
Merico felber — neulich wurde bei Puebla eine 
Räuberbande überrafht und theils erichlagen, 
theil8 gefangen genommen, unter ben Räubern 
befanden fich aber zwei mit ſchwarz angejtriche- 
nen Gefichtern, und als man fie reinigte, er= 
fannte man in ihnen zwei ganz angejehene 
Dürger aus Puebla, die fich in folch’ beque- 
mer Art einen kleinen Nebenverdienjt gemadt. 
Ja noh mehr — der Sohn einer Tamilie 
in biefer Stadt, die Majeftät felber mit Wohl: 
wollen überhäuft, war bei dem Mord meiner 
Yandsleute, die in dem Eifenbahnzug bei Soledad 
den Buben in die Hände fielen, mitbetheiligt, 
wurde aber von den waderen Belgiern gefangen 
genommen und — nad vollem Recht an Ort 
und Stelle mit den Uebrigen gehangen.‘ 

„Welcher Familie?” rief der Kaijer raſch. 


152 


„Der Familie Almeja,“ fagte Bazaine — 
„Silvejtre Almeja war der Name des Verblen- 
deten, der, wie er noch vor jeinem Tode troßig 
geitand, den Grafen Deverreur mit eigener Hand 
ermordet.‘ 

„Großer Gott!” rief der Kaiſer, „iſt es denn 
nur möglich und denkbar? Und dieje Leute nen= 
nen ih auh Menſchen?“ 

„Der arme Bater!” rief Ramirez aus — 
„ob er wohl Schon davon Kunde hat?’ 

Bazaine zucte die Achjeln, „ich glaube faum, 
denn ich habe erjt heute Morgen die Nachricht 
befommen. Die Familie Roneiro weiß aber, 
daß ihr Schwiegerjohn ermordet tft.’ 

„Silvejtre Almeja war aber fein Räuber,’ 
rief Ramirez erfchüttert, „und wenn er den jungen 
Grafen erſchlug, geihah es aus Eiferfudt. Er 
hatte fich vorher um Roneiro's Tochter beworben 
und Graf Deverreur nahm ihm die Braut weg.” 

„Er ſcheint dann das Nüßliche mit dem An: 
genehmen verbunden zu haben,’ fagte Bazaine 
falt, „denn die filberbefchlagenen Revolver des 
Grafen wurden bei ihm gefunden, wie mir denn 
auch berichtet ift, daß Keiner der Ermordeten 
aud nur noch eine Kupfermünze in den Taſchen 
gehabt habe. Was that denn jener Lucido? — 


153 


um dem Raub einen Anſchein von Patriotismus 
zu geben, erſchoſſen fie zuerjt die franzöfiichen 
Dfficiere, und dann plünderten fie die Poſt— 
kutſche.“ 

„Nein — nein, das geht nicht länger!“ rief 
der Kaiſer — „Sie haben Recht, Herr Marſchall 
— dieſem Unweſen gegenüber müſſen wir 
einmal Ernſt zeigen, oder unſere guten Unter— 
thanen könnten uns mit Recht den Vorwurf 
machen, daß wir ihre Sicherheit vernachläſſigt 
haben, nur um das Raubgeſindel zu ſchonen.“ 

Er ging zu einem Seitentiſch, auf dem ein 
Schreibzeug ſtand — noch zögerte er einen Mo— 
ment — im Entſchluß ſelbſt war er ſchwankend 
geworden, dann aber ſetzte er mit ſicheren Zügen 
ſeinen Namen unter die Schrift, faltete ſie zu— 
ſammen und reichte ſie raſch dem Marſchall, als 
ob ihn das Papier drücke und er es von ſich 
ſchieben wolle. 

„Ich danke Ihnen aufrichtig, Majeſtät,“ ſagte 
Bazaine, „und zwar in Ihrem eigenen Intereſſe, 
denn Sie ſollen ſehen, wie raſch ſich die Banden 
auflöſen und von der Amneſtie Gebrauch machen 
werden, ſobald es nur erſt einmal im Land be— 
kannt wird.“ 

„Aber es tritt vor dem 1. December nicht 


154 


in Kraft,‘ jagte der Kaijer beitimmt. „Ich will, 
dat dem Volk Gelegenheit geboten werde, auch 
die Milde des Gejeßes anzurufen.‘ 

„Das ift ja Schon in dem Gejeß jelber aus— 
geiprodhen, Majejtät, aber nur befannt muß es 
werden, daß mit dem Aufhören von Juarez' 
Präfidentichaft Feine weitere Entihuldigung für 
diefe Banden bleibt, und dann dürfen Sie 
fich auch eines jegensreihen Erfolges verjichert 
halten.” 

Der Kaijer jtrich ich mit der Hand über die 
Stirne und athmete tief auf. 

„Es war ein jo ſchöner Tag geweſen,“ jagte 
er halblaut vor ſich Hin — „doch jetzt Nichts mehr 
von Gejchäften, Herr Marihall, wie? —“ 

„Gewiß nicht, Majeſtät,“ erwiederte Bazaine. 

„Ich liebe es überhaupt nicht,‘ ſetzte ber 
Kaiſer Hinzu, „bier oben auf meinem „Berg= 
ſchloß“ damit bedrängtzu werden. Mein „Marter— 
Faften‘’ ift der palacio in der Stadt, denn wenn 
ich ihn betrete, gejchieht es mit dem Bewußtſein 
und der Gewißheit, gequält zu werben. Hier 
dagegen möchte ich gern frilihe Luft athmen und 
heitere Menſchen um mich jehen, möchte felber 
heiter fein, und das fann ih nicht, wenn ich 
ewig an den Krebsſchäden des Landes arbeiten 





155 


und — boctern joll — Vamonoz Senores, die 
Damen erwarten uns draußen, und wir bürfen 
fie nicht zu lange allein laſſen.“ 

Die Kaiferin hatte ſich indeffen draußen im 
Garten mit dem Obrift Lopez unterhalten, ber 
ift von feinem Leben und überhaupt dem Trei- 
ben der früheren Kriege und Nevolutionen er: 
zählen mußte und dann nur binzufügte, wie 
glüklih er fich jett und in der Gnabe feines 
Kaifers fühle. 

„D Señor,“ lächelte die Kaiferin dabei, „wir 
iind ja jetzt auch eigentlich halbe Verwandte, denn 
ih weiß, was ein compadre hier in Merico be— 
deutet. ’’ 

„Majeſtät find jo gnädig,“ fagte der Obrift, 
„und ih hoffe nur, daß mein Sohn einft ſich 
der hohen, ihm heute widerfahrenen Ehre würdig 
jeigen und fein Blut fo freudig für feinen er: 
habenen Monarchen vergießen wird, wie e8 jein 
Vater zu thun bereit ift.” 

„Ich hoffe nicht, Obriſt,“ erwiederte die Kai— 
jerin freundlich, „‚daß Sie Ihr Blut für ung 
Opfern, fondern daß Sie es .für werthvollere 
Dienfte auffparen jolen. Wir ftehen am Ende 
des Krieges, und was uns noch zu thun bleibt, 
it mehr friedlicher Art; aber es bedarf troßdem 





156 


treuer und guter Kräfte, bejonders ſolcher, Die 
es ehrlich mit ihrem Vaterland meinen, und 
ich weiß leider jchon aus Erfahrung, Herr Obrift, 
daß deren nicht jo viel in Merico zu haben jind. 
Können Sie e8 deshalb dem Kaijer verdenfen, 
daß er ſich die Wenigen zu fihern ſucht? — 
Do ich begreife nicht, was Marſchall Bazaine 
jo Dringendes mit meinem Gemahl zu bejprechen 
bat. Sie jcheinen da drinnen im eifrigen Ge— 
ſpräch begriffen zu fein.‘ 

„Schwerlich etwas Gutes,’ jagte finjter der 
Obriſt, der, wie alle Mericaner, die Franzoſen 
nicht leiden fonnte — „wie glücklich wollte ich 
ung preijen, wenn wir die — Herren nur erft 
einmal wieder los wären ! 

„Und doch haben fie das Land erobern müjjen, 
meinte Charlotte, die jelber für die franzöſiſchen 
Truppen viel mehr Sympathien hatte, al8 der 
Kaiſer. 

„Weil wir ihnen beiſtanden, konnten ſie es,“ 
nickte Lopez, mit dem eigenthümlichen Stolz der 
ganzen mexicaniſchen Race, „glauben Sie mir, 
Majeſtät, Mexicaner können nur durch Mexi— 
caner beſiegt werden.“ 

Die Kaiſerin lächelte, denn der Gegenbeweis 
war ſchon verſchiedene Male geliefert worden, 


197 


aber jie mochte den Obriſt auch nicht Fränfen und 
erwiederte Nichts darauf. In diefem Augenblid 
trat auch der Kaijer wieder, von Bazaine und 
Ramirez gefolgt, in den Garten — aber fein 
Antlit Hatte den glüdlihen und zufriedenen 
Ausdruck von vorhin verloren. Er ſah finfter 
und in jich gefehrt aus, und das Lächeln war 
aus jeinen Zügen gewichen. Er ſchritt auch zu 
einem entfernteren Theile der Mauer, auf die 
er jih mit dem rechten Ellbogen jtüßte und brü- 
tend nach den beiden, jett im Abendroth glühen- 
ven Bulfanen binüberjchaute. 

Bazaine Hatte fih der Kaiferin vorgeftellt; 
diefe unterhielt jich freundlich mit ihm und er— 
fundigte fich nach feiner jungen Frau, über die 
der Marſchall dann allerdings bald alles Andere 
vergaß. 

Lopez hatte ſich dem Kaijer zugewandt, ber 
aber auf Nichts, was um ihn her vorging, achtete 
und nur jtill nachgrübelnd in das Leere jchaute. 

Zu Bazaine war aud jet der alte Vidaurri 
getreten, und die Kaijerin, die jchon lange ge= 
wünjcht mit ihrem Gemahl zu jprechen, zog ji) 
von den Herren zurüd und ging zu ihm hinüber. 
Es mußte etwas Wichtiges vorgefallen und 
fonnte dabei nicht gerade angenehm geweſen jein, 


158 


der Kaiſer hätte ſich ſonſt nicht ſo zurückhaltend 
gezeigt. Was war es nur, und durfte ſie es 
nicht wiſſen? Mit leiſem Schritt näherte ſie ſich 
ihm und legte ihre Hand auf ſeine Schulter. 

„Was haft Du, Mar? frug ſie ſchuͤchtern. 

Der Kaiſer ſchrak, wie aus tiefem Nachdenken, 
empor, und ob es ihm fatal ſein mochte, ſich 
überraſcht gezeigt zu haben, aber er fuhr in die 
Höhe und ſagte viel rauher, als es ſonſt ſeine 
Art war: 

„Laß mich, mein Kind — laß mich — ich — 
werde gleich wieder hinüber zur Geſellſchaft 
kommen.“ 

Die Kaiſerin trat ſcheu zurück, und als ſie 
das Antlitz wandte, ſah ſie unfern davon Obriſt 
Lopez ſtehen, der mit finjter zufammengezogenen 
Brauen die Scene beobachtet hatte. Ob fie nun 
fürdten mochte, daß ſich der Obrijt jet gerade 
an den Saifer wenden wolle, der augenjcheinlich 
allein zu fein wünfchte, aber jie winkte ihm 
zurüdzutreten, und als er fi ihr anjchloß, jagte 
jie leiſe: 

„Laſſen Sie den Kaijer jeßt — er hat jeden- 
falls eine unangenehme Nachricht erhalten und 
wünſcht einen Augenbli allein zu jein — und 
Sie haben außerdem die Damen jo yanz ver- 


159 


nachläſſigt, Obrijt Lopez. Hat ſich meine Eleine 
Ricarda wieder erholt?‘ 

„Vollkommen, Majeſtät,“ erwiederte der Obrijt 
— „bei jo jungen Damen geht eine jolche augen= 
blickliche Schwäche vajch vorüber. Gie können 
von hier aus ihr heiteres Lachen hören.’ 

Das Antlitz der Kaijerin, das bis dahin 
ebenfalls in ernite Falten gezogen war, klärte 
ih auf; ein wehmüthiges Lächeln zog darüber 
bin, und fie fagte feufzend: „Glückliche Jugend! 
wie rafch die Sorgen an ſolch einer heitern Stirn 
dabingleiten — aber Ricarda joll uns ein wenig 
mujiciren. Sie iſt Meijterin auf dem Inſtrument.“ 

Die Kaijerin that das abfihtlih, denn jie 
wußte, wie jehr der Kaifer Muſik liebe, und 
hoffte ihn durch melodiſche Weiſen wieder in 
ihren Kreis hineinzuziehen; aber Marimilian hielt 
ih entfernt, und als er jich wieder dem Garten 
zuwandte und dort auf den ebenfalls einjamen 
Vidaurri traf, jchlog er jih ihm an und ging 
oben an der Mauer eine lange Zeit mit ihm 
und in ernjtem Gejpräh auf und ab. 

Sp verfloß der Abend, und die Kaijerin, die 
jegt wohl fühlte, day ihr Gatte gern allein jein 
wollte, zog ji zurüd — — das Zeichen für 
die Damen, daß die Gejelichaft aufgehoben jei. 


160 


Namirez war der Lebte, der ſich von bem 
Kaijer verabjchiedete — da legte ihm Marimilian 
die Hand auf die Schulter und jagte mit halb: 
lauter Stimme: 

„Habe id) e8 Ihnen nicht vorhergejagt, Ra— 
mirez? — ic wußte es, daß er mir den Abend 
verderben würde.‘ 

‚Aber ich glaube jelber, Majejtät, daß er 
diesmal Recht hat.‘ 

„Gott gebe es, alter Freund,“ erwiederte der 
Kaijer, drehte jih ab und jchritt langjam in das 
Schloß zurüd. 

Die Damen hatten in der Garderobe nod 
ein wenig gezögert, bis jie alle mit ihren Toiletten 
fertig waren, und Ricarda, welche die ihrige 
früher beendete, ſtand draußen an ber Thür, die 
Seiorita Rodriguez erwartend, als der Kaijer 
vorüberfam. Sie verbeugte fich tief, Maximi— 
lian aber, freundlidy ihren Gruß erwiedernd, 
lagte lächelnd: 

„Run wie ijt es, Señorita? fol ich es Sie 
willen lafjen, wenn ich wieder Nachridht von 
Guernavaca befomme ?' 

„Ob, Majeſtät,“ jagte Ricarda, und es war 
gut, daß die Dunfelheit ihr Erröthen verbarg, 
denn fie war bei den Worten blutroth geworben 





161 


— „mein Onfel würde Ihnen gewiß jo banf- 
bar fein.” 

„And die Nichte nicht?’ 

„Wir nehmen innigen Antheil an dem Ver— 
wundeten.“ 

„Schön — ich werde es nicht vergeſſen — 
buenas noches, Señorita!“ 

Obrift Lopez jchritt mit Uraga die breite 
Treppe hinab, die in den Schloßhof führte, 
wo ihre Pferde fie vor der Wade dort er— 
warteten. 

„Merkwürdig,“ fagte Lopez, aber mehr feinen 
eigenen Gedanken Worte gebend, als zu feinem 
Begleiter ſprechend — „merkwürdig, wie gut ber 
Kaiſer gegen Alle jein kann, und wie rauh er 
manchmal die ebeljte Frau im ganzen Land — 
die Kaiſerin behandelt.‘ | 

„Rauh?“ fragte Uraga erjtaunt — „id habe 
das noch nie bemerkt.’ 

„Raub bis zum äußerſten,“ rief Lopez heftig 
aus, „und oft habe ich es jchon geſehen — aber 
fie trägt e8 mit einer Engelsgeduld, und wenn 
dieje Frau nicht Liebe und Verehrung verdient, 
weldhe dann?“ 

„Sie find ja ganz begeijtert, Obrijt Lopez,“ 
lächelte der alte Uraga, „aber,“ ſetzte er erniter 

Fr. Gerftäder, In Merico. LIT. 11 





162 


hinzu, „rechnen Sie das unferem Kaifer nicht 
an, denn wenn ein Menſch auf der weiten Welt 
Sorgen und den Kopf voll Gedanken Bat, fo iſt 
er es!“ 

„Und weshalb?’ vief Lopez — „gebt ihm 
nicht Alles nad Wunſch? laufen nicht von allen 
Seiten Siegesnachrichten, Ergebenheitsadrefien 
ein? Er hat jet das ganze weite Land in Befig 
und feinen Gegner mehr, der es ihm ftreitig 
machen könnte — was will er mehr?” 

„Die Jugend,‘ fagte Uraga ruhig, „hat den 
Bortheil, dag fie nur Alles von der rofigen 
Seite fieht, und daher ftammt ihr fröhliches 
Bertrauen auf die Zukunft; — im Alter aber 
lernen wir Elarer jehen.’ 

„Aber der Kaijer ift ja auch nod) Ir 
fagte Lopez. 

„an Sahren, ja,’ nickte Uraga, — an 
Erfahrung altert er hier in einem Jahre zehn, 
und — glauben Sie mir, Obriſt Lopez, wir 
gehen noch einer ſchweren Zeit entgegen.“ 

„Sie ſehen Gefahren, General, wo keine 
ſind.“ 

„Veremos amigo,“ ſagte der alte Mann 
ruhig, „aber da ſind unſere Pferde und wir 
haben einen dunkeln Ritt vor uns — auch nicht 


163 


die Spur von Mondichein auf dem Weg. Doch 
was thut's, wir können nur die Thiere aus— 
traben lafjen, und die finden dann jchon von 
jelber ihren Stall. Vamonos.‘ 


118 


6. 
RBuebla. 


— — 


Puebla de los angelos — die Stadt der 
Engel, wie ſie vor alten Zeiten genannt wurde, 
verdiente damals auch wohl den Namen ihrer 
Lage nach, denn etwas Reizenderes als die Aus— 
ſicht rings umher und zugleich Großartigeres 
kann man ſich kaum denken — ja ſie wird in 
dieſer Hinſicht wohl nur von der Hauptſtadt 
ſelber übertroffen. — Aber was hat dieſe eine 
Stadt der Engel dafür in den letzten Jahr— 
zehnten gelitten — wie oft iſt ſie belagert und 
erobert worden, wie oft, von Landeskindern wie 
Fremden, beſchoſſen und verwüſtet, und trotz 
alledem iſt ſie noch immer eine der ſchönſten 
Städte des ſchönen Landes. 

Man könnte freilich, wie Brocklyn bei New— 





165 


york die Stadt der Kirchen heißt, Puebla mit 
eben dem Recht die Stadt der Klöfter nennen, 
denn weit mehr als ein Drittheil des Weich— 
Bildes umfafjen diejelben; aber wohin ift die alte 
Pracht, mit der dieſe ausgejtattet waren, wohin 
der geheimnißvolle Zauber, der fie früher in den 
Augen bigotter Laien umgab? Nicht allein ame: 
tifanische und franzöfiihe Kanonen haben ihre 
Mauern gebrochen und ihre Wände zertrümmert, 
jondern vernichtender noch als dieje wirkte das 
Gejeß des früheren Präfidenten Juarez, der bie 
Mönde austrieb und die Liegenfchaften für 
Staatseigenthum erflärte. 

Ssest liegen jie verödet und leer, und da. und 
dort, von der Straße, wo eine der majfiven 
Bände eingefchoffen worden und das Innere 
bloßgelegt hatte, kann man die Pracht an herr: 
lihen Säulen und vergoldeten Wänden erkennen, 
die dort früher unter den frommen Dienern 
der Kirche geherrſcht und aus der fie jeßt für 
immer und alle Zeit vertrieben waren. 

Im Innern merkte man indeß die Zerſtö— 
tung der arg heimgejuchten Stadt noch nicht Jo 
jehr, als in den Vorftädten, denn halbe Straßen 
lagen dort in Trümmern, und Büſche wuchſen 
jhon wieder aus dem Schutt der Zimmer heraus, 


166 


in denen früher glüdflihe und barmloje Men— 
Ihen hauſten, bis fie die Kanonen der Feinde 
unter ihren eigenen Mauern begruben oder ob— 
dachlos hinaus in die Weite jagten. Und wo 
ji früher Eleine Gärten an die Wohnungen ge: 
Ihmiegt und prachtvolle Blüthen ihre duftenden 
Kelche gehoben, da lag jett zwilchen Schutt und 
Verwüſtung das Aas, das man aus der Stadt 
binausgejchafft, und magere Hunde bifjen ſich 
um ben eflen rap. 

Aber Etwas muß man dem mericaniihen 
Volk laſſen — e8 hat eine Lebenskraft, die an 
das Inglaubliche grenzt, und viel mag die Ges 
wohnheit dazu beitragen, Leben und Eigenthum 
auch fein Jahr lang hintereinander gefichert zu 
wiflen. Das Thatfähliche ließ fich freilich nicht 
ableugnen — die Ebene hier oben, die Cortez 
von Hunberttaufenden glüdlicher und zufriebener - 
Menſchen bewohnt gefunden, wo der Acker- und 
Gartenbau blübte, auch die zahlreihen Heerden 
ihr Futter fanden, und Dorf an Dorf, Stabt 
an Stadt ſich reihte,- ift im Verhältniß zu jener 
Zeit eine Wüjte geworden — und wahrlich Fein 
Wunder. Gerade hier in der Nachbarſchaft bei 
Cholula war es, wo fi Cortez mit feiner ge— 
panzerten und mit Keuerwaffen verjehenen Räu— 


167 


berbande zwiſchen die nadten Eingeborenen warf, 
und nicht allein Tauſende von ihnen hinſchlach— 
tete, jondern auch noch nad der Mekelei von 
keinen Bfaffen ein Te Deum laudamus anjtim= 
men lieg. — Was aber damals nicht vernichtet 
wurde, jiechte jpäter unter dem verderblichen Eins 
fHuß der Spanier dahin, rieb fich in ewigen Bürs 
gerfriegen auf und erlag endlich auch noch zum 
Üeberfluß fremden Einflüfen. Auf hundert, 
die da früher glücklich lebten, kommt jegt kaum 
nod ein einziger Sndianer, der halb in Elend 
und unterdrückt fein Leben frijtet und von einer 
Zukunft träumt, in welcher Oueßlatofl, der gute 
Gott, wieder zu ihnen zurückkehren und fie be= 
freien ſoll. 

Und find jie wenigitens jeßt Chrijten ge— 
worden? — Unter den Altären des neuen bluti=- 
gen Gottes vergraben jie insgeheim ihre alten 
Heinen Gößenbilder, und wenn ſie fi an ben, 
ihnen als heilig bezeichneten Stellen zum Gebet 
nieberwerfen müflen, ſind e8 nur die alten 
Götter, die fie anrufen und zu denen fie flehen. 
— Das iſt der Segen des Chriſtenthums, der 
ihnen wurde, und ihren jeßigen Pfaffen verdan- 
fen fie weiter Nichts, als daß dieſe das Land 
ewig und unabläjlig zu neuen Revolutionen an— 


168 


reizen und treiben, und des Blutvergiegens bort 
fein Ende ift. 

Und troßdem berrjchte in ber inneren Stadt 
veges buntes Leben, und das Volk tummelte fich 
vergnügt und beiter auf dem Plaß oder in den 
Nebenftraßen umher. — VBerfäufer jagen über= 
all unter den Golonnaden des prächtigen Haupt— 
plages und thaten gar nicht fo, als ob ſich 
ihre Stadt in feindliher Gewalt befände, und 
Franzoſen nicht allein die Hauptwadhe und bie 
Thore bejegt hielten, nein auch oben in den bei= 
den Forts die Kanonen auf fie gerichtet liegen, 
um im Fall eines Aufjtandes noch einmal den 
Ihon Halb in Trümmern liegenden Pla mit 
ihren Granaten und Bollfugeln zu überjchütten. 
Dazwifchen aber jchlenderten franzöſiſche Officiere, 
mit den Señoritas Fofettirend, die ihnen, aber 
ſcheu und oft mit einem veräcdtlihen Zug um 
die Lippen auswichen, überall umber. Sie fühl- 
ten ſich ja im Schuß ihrer Bajonnette ficher, und 
die „große Nation‘ iſt überall zu Haufe, wo ſie 
im Anfturm eben einmal ein neues Land genom= 
men hat. Willen die Soldaten ja doc auch wohl 
gut genug, daß fie ihre kurze Zeit benügen müſ— 
fen, denn lange währt bei ihnen nie bie freude, 








169 
und was fie auch erobern — fie können es nur 
felten behaupten. 

Das müſſige Volt — die Leperos, wie Jie 
ih in allen größeren Städten herumtreiben, be= 
fand fich übrigens auf den Füßen, denn es gab 
wieder Etwas zu jehen. ine franzdjiiche Pa- 
trouille war einer Fleinen Guerilla-Bande hab: 
haft geworden, die zwijchen Orizaba und Puebla 
ihr Weſen getrieben, und außerdem hatte man 
ihren Spion, einen Burſchen Namens Perez, auf: 
gegriffen, der bier von Puebla aus der Bande 
Kunde gegeben, wann fie einen guten ang er= 
warten durfte. Das Gerücht ging, daß der Ver— 
bredher heute erjchofjen werden jollte, und bag 
verrichteten die Franzoſen dann auch jtets in 
der Stadt jelber auf einem Fleinen Seitenplaße, 
auf dem fid außerdem ein Zweigmarkt befand. 
Es wäre zu weitläufig gewefen, der ewigen Exe— 
cutionen wegen. immer vor die ziemlich ausge— 
dehnte Stadt zu laufen. An einer alten Mauer 
wurde ber Verurtheilte aufgejtellt, und fünf Ku: 
geln bejeitigten ihn dann raſch, wonach er auf 
einem Karren binausgefahren und eingefcharrt 
wurde. Was jollte man mit dem Gefindel Um: 
jtände machen, und außerdem hatte man ja auch 
wirflichen Ladrones ſchon feit längerer Zeit ſelbſt 


170 
die Möglichkeit der „Gnade“ abgejchnitten. Ge— 
fangen, gehangen oder der Kürze wegen erſchoſſen, 
war der gewöhnliche Urtheilsſpruch der jetzigen 
Herren des Landes, und in ſehr vielen Fäl— 
len befanden ſie ſich dabei auch in ihrem vollen 
Rechte. 

Heute nun wieder marſchirte eine Abtheilung 
von vierzig Mann, aber alle mit geladenen Ge— 
wehren, da man ſich dem Volk gegenüber doch 
nie ſicher fühlte, nach dem Hauptgefängniß mit 
rieſigen Mauern, in welchem gewöhnlich immer 
einige zwanzig Gefangene zuſammenſaßen und 
dann nach und nach, wie man ſie zum Verhör 
führen wollte, herausgeholt wurden. Die Thür 
öffnete ſich — die Soldaten ſtanden mit aufge— 
ſteckten Bajonnetten, um einen doch möglichen 
Ausbruch zu verhindern, und der commandirende 
Dfficier rief hinein: 

„Ber von Euch heißt Ignacio Perez?’ 

Niemand antwortete. 

„Perez! habt Ihr es nicht gehört? Wer von 
Euch heißt jo?’ 

„Ich heiße Perez,‘ ſagte ein armer Teufel 
in einer zerrifjenen Serape, der hinten in ber 
Ede auf der Erde gelegen hatte. 

„Komm mit, mein Burſch.“ 





171 


Die Thür ſchließt jih wieder — der Ge— 
fängniwärter bindet, auf Befehl des Dfficiers, 
dem Unglüdlihen die Hände auf den Rüden, 
und die Truppe marjchirt mit ihm ab, gerade 
dem kleinen Plage zu. Der Burſch hatte bis 
dahin auch noch immer geglaubt, daß man ihn 
nur zum Verhör führen wollte, wie aber bie 
Soldaten den gefürchteten Plaß, den er recht gut 
fannte, erreichten, rief er in Todesangit aus: 

„Pero, Senores — Sie wollen mid, doch nicht 
todtihießen? Sch bin ja ganz unſchuldig uud 
habe wahrhaftig das Huhn nicht geftohlen. Ich 
fann e8 ja auch beweifen, und mein Bruder wird 
heute Morgen in die Stabt fommen — ich war 
ja gar nicht in Puebla, wie e8 gejtohlen wurde.’ 

Er befam von Niemandem eine Antwort — 
die Leute hatten jchon eine Art Yertigfeit darin 
erlangt. Wie er fih in aller Verzweiflung zur 
Wehre jegen wollte, faßten ihn viere und trugen 
ihn zu einem der Ringe, die in der Mauer be= 
fejtigt waren, um die Pferde der Marftleute 
daran anzuhängen. Dann band man ihn feit. 

Das Volk wurde unruhig und fing an fi 
zujammen zu rotten, aber die Straße herab kam 
franzöſiſche Cavallerie, einen luſtigen Marie 
blajend. Die Gewehre fnallten dazwiſchen — 


172 


die Kugeln jchlugen durch den Körper des Un: 
glüdlihen, gegen die Mauer an. — Ein meri- 
caniſcher Karrenführer ftand ſchon bereit, der 
bie Leiche auflub und fortfuhr, und bie ganze 
Truppe marſchirte dann mit Flingendem Spiel 
nah dem großen Plate zurüd. — Was war 
auch weiter gejhehen, als ein doch werthlofes 
Reben ausgejtrihen und vernichtet. 

Der Eompagnie entgegen jprengte ein höherer 
DOfficier, zügelte neben dem Hauptmann, ber 
biejelbe commanbdirte, jein Pferd ein und rief, 
aber mit unterdrüdter Stimme: 

„Sapristi, de Balle, was haben Sie gemadht ? 
Sie haben eben einen faljhen Mann erſchoſſen!“ 

„Oaramba,“ rief Capitän de Valle aus — 
„aber das iſt nicht möglih. Sch babe felber 
feinen Namen aufgerufen und er bat ji) ge= 
meldet.‘ 

„Sa, allerdings — er heißt auch Perez, aber 
nicht Ignacio, ſondern Juan — und ift nur 
auf Verdacht eines Fleinen, unbebeutenden Dieb- 
ſtahls bier eingebradt. Der wirkliche Ignacio 
Perez jaß gar nicht in jenem Klojter, jondern 
oben in San LRorreto, und ijt eben erjt in bie 
Stadt escortirt.‘ 

„Diable!“ fluchte der Hauptmann, „das ift 


173 


fatal — aber was maden wir jet — Sollen 
wir den andern laufen laſſen?“ 

„Das geht nicht,“ erwieberte fein Vorgefeßter, 
„der Befehl ift vom Obercommando da, ihn zu 
erihießen, alfo holen Sie ihn lieber gleich.“ 

„Das Volk rottete fi aber ſchon jetzt zu— 
jammen, wir befommen am Ende Skandal, und 
e8 wird nachher nachgefragt, wer bei der erften 
Execution erſchoſſen ſei.“ 

„Hm, das iſt wahr — gut, fo laſſen Sie es 
mit der zweiten bis heute Abend — es ift über. 
dies möglich, daß noch einige Andere dazu kom— 
men. Aber nehmen Sie ſich das nächſte Mal 
in Acht, de Valle. Ignacio Perez heißt ber 
Burſch.“ Damit warf er fein Pferd herum und 
iprengte wieder einem andern Theil der Stadt zu. 

Auf dem Plage ftand eine Gruppe von jungen 
Mädchen und rauen beifammen und unter: 
hielten fich leife und gefchäftig mit einander. — 
Es waren reizende, jchlanfe, jugendliche Geſtal— 
ten, bie broncefarbenen Körper faum verhüllt, 
und lebendig und beweglich dabei in allen ihren 
Geberden. 

Was braucht auch ein mericaniiches Mädchen 
viel zu ihrer Garderobe, um ſich von Kopf zu 
Fuß zu Eleiden: einen Kamm, um ihr volles, 


172 


die Kugeln jchlugen durch den Körper des Un: 
glüdlichen, gegen die Mauer an. — Ein mexi— 
caniſcher Karrenführer ſtand ſchon bereit, ber 
bie Leiche auflub und fortfuhr, und die ganze 
Truppe marjdirte dann mit klingendem Spiel 
nah dem großen Plage zurüd. — Was war 
auch’ weiter gejhehen, als ein doch werthlojes 
Leben ausgejtrihen und vernichtet. 

Der Compagnie entgegen jprengte ein höherer 
Dfficier, zügelte neben dem Hauptmann, ber 
biejelbe commanbirte, fein Pferd ein und rief, 
aber mit unterdrüdter Stimme: 

„Dapristi, de Valle, was haben Sie gemadt ? 
Sie haben eben einen falihen Mann erſchoſſen!“ 

„Caramba,’ rief Capitän de Valle aus — 
„aber das iſt nicht möglid. Sch Habe ſelber 
feinen Namen aufgerufen und er bat fich ge: 
meldet.“ 

„Ja, allerdings — er heißt auch Perez, aber 
nicht Ignacio, ſondern Juan — und iſt nur 
auf Verdacht eines kleinen, unbedeutenden Dieb— 
ſtahls hier eingebracht. Der wirkliche Ignacio 
Perez ſaß gar nicht in jenem Kloſter, ſondern 
oben in San Lorreto, und iſt eben erſt in die 
Stadt escortirt.“ 

„Diable!“ fluchte der Hauptmann, „das iſt 


— 
” 


—#* 


fatal — aber was mund ur — 
mir den andern Lamten kai” 
Das geht nit” —— — IT mm 
der Befehl if nom — 
etſchießen, aljo ak So 3 zu Ä 
„Das Vol mie u rm zu2_ n 
lammen, wir befommer or m Zur la 
8 wird nahher — 
Erecution erihoiier m“ dr: 
HHm, das if mir — ri Inge 
Mit der zweiten dis 2er Br benn 
Ne möglic, da ze urn t wie 
er 7 il er 
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er je 
en ihn 
Dr.’ 
ngebo- 
2 woll- 






















ih — 

© gefauft 

hier bei 

Schläge ge— 

Hieh! Das 
irten!' 


4 


174 


lockiges Haar zujammen zu halten, ein weißes 
Hemd und einen bunten Unterrod, ein Baar leichte 
Schuhe und einen jchmalen aber langen Rebozo, 
um den Oberkörper darin einzuhüllen, und bie 
Toilette ift vollfommen fertig. Und wie gejchict 
und kokett wijjen fie den leßteren um Schul: 
tern und Kopf zu jchlagen, und wie blißen babei 
die Augen und lächeln die Lippen! 

„Habt Ihr's ſchon gehört?” fagte die Eine, 
ein bildhübſches Ding von kaum fiebzehn Jah: 
ren — „die Mutter hat's eben bei uns zu Haufe 
erzählt, daß fie den Porfeirio Diaz heute aus 
dem Fort herunter in die Stadt Schaffen? Der 
Kaijer will es nicht länger leiden, daß ihn die 
Franzoſen da oben jchlecht behandeln.‘ 

„Und was nüßt es ihm,’ ſagte Eine der An- 
deren — ‚wenn fie ihn in das alte Kloſter jteden, 
wo jie jeden Tag die unglüdlichen Menjchen her: 
ausjchleppen und drüben an der Mauer todt- 
Ihießen? Bor einer halben Stunde erjt haben 
fie den Juan Perez erſchoſſen, einen jo braven 
Burſchen wie ihn nur die Erde trägt, der feine 
arme alte franfe Mutter jetzt gepflegt bat, jahre: 
lang, und nur in die Stadt gefommen war, um 
Mebicin für fie zu holen. O, das Elend! das 
Elend!’ 





„And daß es die Männer nur leiden!’ fügte 
eine Dritte hinzu, „iſt es denn nicht bald genug, 
um ſelbſt uns Frauen rafend zu machen?” 

„Aber was fönnen wir thun?“ fagte die Erite 
wieder — „Sie fommen zu Tauſenden mit Ka— 
nonen und Gewehren, und find geübter auf ben 
Krieg wie wir. Konnten wir denn nur Puebla 
gegen fie halten?“ 

„Weil fie das alte Weib, ven Gonzales Or— 
tega, bier zum General hatten,‘ rief das junge 
Ding wieder heftig aus — „verjtehe ich denn 
nit mehr von der Belagerung einer Stadt wie 
die Memmen — und jeßt, jagen fie, will er 
Präfident werden an Juarez' Stelle — ich bin 
nur ein ſchwaches Mädchen, aber kommt er je 
wieder nach Puebla, fo reißen wir Frauen ihn 
in Stüde und werfen ihn den Hunden vor.‘ 

„Er hat fih ja auch den Franzoſen angebo- 
ten,” jagte die Erfte wieder — ‚aber die woll- 
ten Nichts mit ihm zu thun haben.‘ 

„KRatürlich,” lachte eine Andere verächtlich — 
„der wäre mir um einen Glaco zu theuer gefauft 
gemwejen, ver Schuft — und wie hat er hier bei 
ung gewirthichaftet, und wie hat er Schläge ge- 
friegt, wo er fi nur immer blicken ließ! Das 
ein General — pfui über den Schurken!‘ 


176 


„Und jegt ijt er Gejandter oben bei den 
Nordamerifanern, und uns haben fie das freche 
franzöſiſche Gefindel hergeſchickt.“ 

„Aber doch immer lieber die Fremden,“ ſagte 
eine junge Frau, „als Ortega zurück, der uns 
die Männer von’ der Straße wegfangen ließ und 
fie in eine Uniform ftedte.‘ 

„Aber e8 war doch wenigjtens ein Mericaner,‘' 
ſprach die Erjte wieder. 

„Ein Hund war eg,‘ rief die junge Frau, 
„aber fein Mericaner, ber die Gloden von ber 
Kathedrale läuten ließ und als die Leute aus ben 
Häufern jtürzten, weil jie glaubten, daß ein Un- 
glück gejchehen jei, die Straßen abjperrte und 
die armen unglüdlihen Menjchen einfing, da— 
‚mit fie für ihn todtgejchoflen wurden. Meinen 
armen Mann traf an dem nämlidhen Abend eine 
Kugel, und über die Schwelle, die er Morgens 
noch friſch und gefund überjprungen, trugen jie 
mir ihn Abends wieder als Leiche zurück.“ 

‚Ber fommt da wieder die Straße herunter ?" 
rief ein junges Mädchen und deutete nach Nor: 
den hinüber in die nächſte, von der Plaza ab: 
führende Straße hinein. 

„Was wird's fein,‘ jagte finfter die Frau — 





177 


„Soldaten, weiter Nichts, die ja den ganzen Tag 
berüber und hinüber marjchiren.”’ 

„Aber das da drüben ift noch etwas Beſon— 
deres. Siehſt Du nicht die vielen Menjchen, 
die Hinterher ziehen und von den Franzoſen 
zurüdgetrieben werden? Was mögen fie da nur 
haben?“ 

Die jungen Frauen und Mädchen wandten 
ſich der Richtung zu, und ſahen bald, daß es 
hier allerdings etwas Ungewöhnliches geben mußte. 
Wohl marſchirte eine geſchloſſene Colonne fran— 
zoͤſſſcher Soldaten die Straße herauf, aber vorher 
ſchritten, nicht im Marſch, ſondern willkürlich 
zerſtreut, etwa ſieben oder acht franzöjiiche Offi— 
ciere und zwiſchen ihnen ein Officier der Liberalen, 
aber ohne Abzeichen oder Waffen — jedenfalls 
ein Gefangener, der aber trotzdem auf das achtungs— 
vollſte von den Franzoſen behandelt wurde. Sein 
Name blieb auch kein Geheimniß, denn von 
Mund zu Mund pflanzte er ſich fort: Porfeirio 
Diaz! und mit ſtaunender Neugierde betrachtete 
ihn das Volk. 

Es gab auch vielleicht keinen Mann in ganz 
Mexico, der einen beſſeren und unbeſcholteneren 


Namen hatte als gerade dieſer General, und 
Fr. Gerftäder, In Mexico. II. 12 


178 


wie tapfer er ich dabei in Dajaca benommen, 
wo er zulett nur der Uebermadt wich und ſich 
jelber gefangen gab, weil er nicht wollte, daß 
die Stadt durch einen nußlofen und zulegt doch 
vergeblihen Widerſtand zerjtört würde, wußte 
man überdies jchon gut genug. Aber Puebla 
fonnte Feine bejondere Sympathie für die Libe— 
ralen haben, da in ber lebten Zeit dort ber 
Ichlechtejte und erbärmlichite General den Ober: 
befehl führte, den Merico vielleicht aufzumeijen 
hatte: Gonzales Ortega. Dadurch war das Ver: 
trauen zu Juarez’ Regierung vollftändig geſchwun— 
den, und wenn man auch die Franzoſen, wie in 
allen übrigen Städten des Kaiſerreichs, gründ— 
(ich haßte, jo verſprach man ſich doc) Feine Beſſe— 
rung von einem Wechſel nad) liberaler Richtung 
bin, und dachte auch deshalb für jet an Feine 
neue Revolution. 

Aber für den General Diaz interefjirten jich 
die Leute troßdem. Man wußte, daß er ein ehr: 
licher, braver Mann jei und feine Soldaten 
gut behbandle, was in den bamaligen ewigen 
Nevolutionen den Führern jehr hoch angerechnet 
wurde. Außerdem hatte e8 jich ausgejprochen, 
daß er von den Franzoſen oben in Fort Guade— 
lupe Schlecht behandelt worden wäre, und der Kaijer 


179 


jolle befohlen haben, ihn in einen bejjeren Ges 
wahrjam zu bringen, und das Fonnte natürlid) 
nur das Intereſſe für ihn fteigern. 

Wie der Zug aber herankam, zeigte jich troß: 
dem, dab ſich die franzöſiſchen Officiere jehr 
freundlich mit ihm unterhielten. Er jchien we— 
niger ein Gefangener, als ein Gejellihafter von 
ihnen, wie er in der Mitte die Straße dahin— 
Ihritt; viele Bürger von Puebla aber, die ihn 
auf jeinem Wege trafen, grüßten ihn achtungs— 
voll, und er dankte lächelnd nach allen Geiten. 

Die Escorte bog in eine Seitenftraße ein, und 
der Menſchenſchwarm, der ji mehr und mehr 
vergrößerte, folgte ihr, ohne aber die geringjte 
seindfeligfeit zu zeigen. Was hätten die Unbe— 
waffneten, mit der Stadt noch dazu unter den 
Kanonen der Forts, auch gegen die Uebermacht 
ausrichten wollen. Nur zu begleiten wünfchten 
lie den General, bis endlidy die Soldaten vor 
einem der alten Klöfter, das aber unten jchon 
in eine Kaferne umgewandelt worden, Halt mad): 
ten. Dort waren einige wohnlide Räume für 
den Gefangenen bejtimmt — wohnlidy nämlich, 
je weit das im Bereich feiner Baulichfeiten lag. 
Aber der General war ja doch auch nicht verwöhnt, 


denn jahrelang hatte er ſich draußen im Feld 
12* 


150 


berumgetrichen und machte wohl feinen Anſpruch 
auf wirkliche Bequemlichkeiten. 

In ſoweit nahm man aber auf ihn befündere 
Rückſicht, als ſeine Zimmer, wenn auch mit 
feſten Gittern verſehen, doch die wunderbar 
ſchöne Ausſicht nach den Vulkanen zeigten. Er 
konnte wenigſtens die freie ſchöne Welt ſehen, 
wenn ihm auch nicht geſtattet wurde ſie zu be— 
treten, und daß es ihm ſonſt an Nichts fehle, 
dafür ſorgten ſchon die Bewohner der Stadt, 
ob ſie nun der alten Republik oder dem Kaiſer— 
reich anhingen. Porfeirio Diaz war als ein braver, 
ehrenwerther Mann bekannt, und brave, ehren: 
werthe Leute ſind viel zu ſelten in Mexico, um 
ihnen nicht, wo man ſie wirklich traf, eine 
Freundlichkeit zu erweiſen. Die Bürger von 
Puebla ließen es ſich deshalb nicht nehmen, ihm, 
ſo weit es anging, Erleichterungen ſeiner Haft 
zu ſchaffen, und das ausgenommen, daß er auf 
das ſtrengſte bewacht wurde, da man ihn mehr 
als Andere der liberalen Führer zu fürchten hatte, 
durfte er ſich eigentlich über Nichts beklagen. 

Das Kloſter, in dem ſich General Diaz be— 
fand, war an der Oſtſeite beſonders durch die 
aus den Forts damals, nach der Einnahme durch 
die Franzoſen, gefeuerten Schüſſe nicht unbe— 


181 


trähtlih beihädigt worden. Die bineingewor- 
fenen Kugeln hatten jogar die eine Kuppel zur 
Hälfte zerjtört und ihre Trümmer in die Kirche 
hinabgeworfen,, und der eine Theil der Außen— 
wand war ebenfalls eingeftürzt, jo daß man deut— 
(ih von außen die wirklich geſchmackvollen Pfeiler: 
gänge, die im Innern binführten, erfennen 
fonnte. Faſt ganz unberührt blieben aber eines: 
theil$ die unteren Räume, und dann audy alle 
jene Zimmer, die in Welten und mit der Aus: 
ſicht nach den Vulkanen zu lagen. Den unteren 
Theil hatten die Franzoſen auch, wie gejagt, zu 
einer Art von Kajerne benüßt, denn die Front 
beherrichte zugleich einen nicht unwichtigen Theil 
der Stadt. Nur die Rückſeite des Gebäudes 
Ihien nicht benüßt zu werden — wozu aud) ? 
Räumlichkeiten gab e8 genug in Puebla. Faſt 
ſaͤnmtliche Klöjter jtanden leer und dem Ge- 
brauch offen, und die ganze franzöjiiche Armee 
würde in dieſen zahllojen und Leerjtehenven ' 
Bauten ein bequemes Unterfommen gefunden 
haben. — Man fonnte eben mit dem beiten 
Villen nicht Alles verwenden. 

Gin £leiner Theil der Klöfter in Puebla 
hatte allerdings ſchon Käufer gefunden, und einige 
davon waren auch — troß dem Einſpruch der 


182 


Seiftlichfeit — in Wohngebäude verwandelt und 
umgebaut worden, aber dem unaufbörlichen 
Mühlen und Bohren des Klerus gelang es Doc, 
die meiſten Kauflujtigen fern zu halten, denn 
was fie an Schredbildern, bejonders vor den 
Augen der Frauen, heraufbejhwören konnten, 
thaten fie gewiß. Es gab ja gar feine Strafen, 
weder im Himmel noch in der Hölle, die denen 
nicht angedroht wurden, die jih an „Kirchen: 
eigenthum“ vergriffen. Die Capitalijten zögerten 
deshalb immer no, ihr Geld an eine Jolche, 
wie jie glaubten, ungewijje und gefährliche Spe: 
culation zu wagen, und man ließ deshalb vie 
werthvollſten Bauftellen unbenüßt liegen. 

Sp fam es denn, daß die ganze Reihe von 
Gemächern, von denen Porfeirio Diaz zwei an: 
gewiejen. befommen hatte, jeßt leer und unbe— 
wohnt lag, aber eine Flucht von dort heraus 
war bei den mächtigen Wänden und fejten, nod 
dazu mit Vorlegeſchlöſſern verjehenen Thüren 
troßdem nicht möglich. Außerdem gab es nur 
zwei, aber ebenfalls zujammenlaufende Ausgänge, 
der eine nach der Azotea des Klojters hinauf, der 
andere durch den langen Gang, an der Azotea= 
thür vorüber, und dort ftand ein Doppelpoiten, 
der alle Stunden abgelöjt und revidirt wurde. 


183 


Borfeirio Diaz befand ſich allerdings in dem 
Gewahrjam der Stadt, aber Marichall Bazaine 
Ihien den Bewohnern von Puebla doch nicht jo 
weit getraut zu haben, ihnen auch die Äußere 
Bewahung des jedenfalls gefährlichen Gegners 
zu überlaffen, und glaubte jich auf diefe Art am 
beiten gegen jeden doc möglichen Fluchtverſuch 
fiher zu ſtellen. 

Sp vergingen at volle Tage, ohne dag fich 
in ber Lage nur das Geringjte geändert hätte. 
Porfeirio Diaz wurde allerdings von denen, die 
er am meilten haßte — von den franzdfiichen 
Eindringlingen, nicht mehr beläftigt, denn er 
verkehrte nur mit der Stadt untergeordneten 
Beamten und befam auch von diefen feinen 
Unterhalt, wie Wein und Früchte genügend von 
den Bürgern zugejandt, aber er hörte doch das 
Aufſtoßen franzöfiiher Gewehrfolben auf dem 
Steinboden der Gänge, und fah feine Möglich: 
feit, fi feiner Haft nach irgend welcher Seite 
durch die Flucht zu entziehen. 

Der Abend des achten Tages dämmerte — 
General Diaz ftand, die Stirn gegen das eiferne 
Gitter feines Fenfters gepreßt, und fchaute ftill 
und jchweigend hinaus, bis ſich tiefe und heute 
faft vollfommene Dunkelheit auf die Erde legte. 


. a v 


184 


Auf feinem Tiſch brannte eine kleine Lampe, 
und der Schließer hatte ihm kurz vorher jein 
Abendejjen daneben gejeßt, ohne daß er bis jetzt 
noch Luft verjpürte es zu benügen. Sein Blid 
hing an den düſteren Wolkenſchleiern, die über 
den Himmel hinüber jagten und nur dann und 
wann einmal einen helleren Streifen lichten Fir— 
maments zeigten. Das Wetter hatte auch jchon 
den ganzen Abend gedroht — jeßt aber brach es 
plöglih los. Die Scleußen öffneten ſich — 
Blitze zudten, der Donner rollte, und wie eine 
Sündflutb Fam der Regen prafjelnd auf bie 
unter ihm liegende ftile und menjcenleere 
Straße .nieder. Diaz achtete es nicht, und ganz 
in jeine trüben Gedanken vertieft, lehnte er jtill 
am Gitter und jeufzte nur tief auf, als einzelne 
der jchweren Tropfen, von dem Wind gejagt, auf 
jein Haupt trafen — es waren ja Boten der 
Freiheit und er — er Nichts als ein Gefangener, 
machtlos in der Hand der Feinde, während fein 
Baterland unter ihren Streiden blutete. 

„Porfeirio Diaz,’ ſagte da eine tiefe, aber 
doc) vorjichtig gedämpfte Stimme, und wie von 
einer Natter geſtochen zudte er zujammen, denn 
das war nicht der Ton, nicht die Anrede jeines 
Wärters. Aber unwillfürlich auch fuhr er herum 


185 


und erkannte jetzt, unmittelbar neben dem Tiſch 
und der darauf ftehenden Lampe, die Gejtalt eines 
Mönchs, die in der langen Kutte, die Kapuze 
halb über das Antlig gezogen, vegungslos ine 
mitten der Stube jtand und die Wirfung zu 
beobadhten ſchien, die fein Erjcheinen auf den 
Gefangenen machte. 

General Diaz gehörte vielleicht zu den auf- 
geklärtejten Mericanern; er war nichts weniger 
als abergläubiih und kannte Feine perjönliche 
Furcht, und doc Fonnte er fih im erſten Mo: 
ment eines leifen Schauers nicht erwehren, als 
er fich bier, in der alten, öden Klofterzelle, jo 
plöglich und ohne Vorbereitung der Gejtalt des 
Mönchs gegenüber ſah. — Er hatte feinen Schritt, 
fein Zurückſchieben eines Riegels oder einer 
Thür gehört, die doch jonjt immer Lärm genug 
machte, und wie aus dem Boden gewachſen ftand 
die Gejtalt vor ihm, in ihrer Regungslofigkeit 
jelbft mehr einer Erjcheinung als einem menſch— 
lien Wejen gleihend. — Und war es ein Ge— 
ſpenſt? — „Thorheit,“ rief es in ihm — nur 
ein Gedanke war es, der ihm durch das Gehirn 
zudte, aber auch jo flüchtig wieder verſchwand, 
als er entjtanden. Im nächſten Augenblid ſchon 


156 


Ichlug er die Arme über der Bruft zufammen, und 
mit vollfommen ruhiger Stimme fagte er: 

„Quien vive? Ich jehe die Form, aber ich 
fann das Geſicht nicht erfennen.‘ 

Der Mönch hob warnend den Arm. 

„Richt jo laut, General,’ fagte er dabei — 
„Ihre Wärter draußen brauden nicht zu wiſſen, 
daß Sie Beſuch haben.‘ 

„Richt zu willen daß ich Beſuch Habe?‘ 
wiederholte Diaz erjtaunt, aber doc) der Warnung 
folgend mit gedämpfter Stimme, „und auf welde 
Weile haben Sie denn bei mir Eintritt gefunden, 
frommer Padre?“ 

„Laſſen Sie fih das nicht kümmern, General, ‘‘ 
erwiederte der Mönch, indem er aber body einen 
Moment aufmerffam nah der Thür hinüber 
horchte, denn er ſchien fich nicht vollfommen jiher 
zu fühlen — „ſo viel nur fei Ihnen gejagt, ich 
fomme, wie Sie fich wohl leicht denken fünnen, 
als Shriyreund, und bin vielleicht in furzer 
Zeit im Stande, Ihre Felleln zu löſen.“ 

„In der That?‘ vief Diaz, der die Geftalt 
aber noh immer mißtrauiſch betrachtete — er 
hatte mit der Geiftlichfeit nie auf einem bejon= 
ders intimen Fuß gejtanden, und fonnte fich nicht 
gut denken, welches Intereſſe dieje gerade an ihm 





187 


nehmen jollte. Doc das mußte ſich ja bald auf: 
flären, und rubig fuhr er fort: „So dürfte id 
Sie alfo bitten, mir mitzutheilen, was Sie auf 
jo geheimnißvolle Weiſe zu mir führt und — 
wer Sie find.’ 

„Wer ich bin, General,” entgegnete ber 
Mönd, ohne aber die Kapuze zu entfernen, die 
fein Geficht noch volljtändig im Schatten hielt, 
‚eben Sie an meinem Kleid — ein Diener der 
Heiligen Kirche, ein Mitglied jener großen Brü— 
derichaft, deren jchönes Ziel es iſt, die jündigen 
Menihen auf Erden für den Himmel vorzu— 
bereiten und ihre Bahn für Recht und Tugend 
zu ebnen.‘ 

„Ein Schöner Beruf in der That,’ nidte 
Diaz — „wenn er immer eingehalten würde und 
fih nur auf das beſchränkte — doch was führt 
Sie zu mir?” 

„Der Wunſch, unjerem armen Baterland zu 
helfen, es von jeinen Feinden zu befreien und 
das Volk wieder — im Frieden — feinem Gott 
zuzuführen.‘ 

„Und um das zu ermöglichen, juchen Sie 
einen Gefangenen auf?" fagte Diaz bitter — 
„aber ich verjtehe Sie überhaupt nicht. Droht 
mir Gefahr und treibt Sie Ihr Beruf, mein 


188 


Seelenheil zu retten, jo beruhigen Sie jidh 
darüber. Ich halte mich nicht für jündenfrei, aber 
ih glaube, ich jtehe jo mit meinem Gott, daß 
ih ihm ruhigen Herzens entgegentreten Fann.‘ 

„Keiner von uns kann das jagen, Porfeirio 
Diaz,‘ erwiederte der Mönch, die Hand aufhe— 
bend — „nicht der Reinjte — aber noch fei der 
Tag ferne, der Sie von diefer Erde abruft. Nein, 
die heilige Jungfrau hat Sie no zu Großem 
auserjehen, und jie möge meinem ſchwachen 
Worte Stärke verleihen, in Ihr Herz zu bringen 
und dort zu zünden.” 

„Sie ſprechen in Räthjeln, frommer Vater,’ 
jagte Diaz ruhig,. „aber Ihre Worte jcheinen 
trogdem auf ein beftimmtes Ziel hinzudeuten.“ 

„Das thun jie in der That.’ 

„Dürfte ih Sie dann bitten, mir vor allen 
Dingen Ihr Gejicht zu zeigen,‘ fagteda Diaz, 
„nenn ich verfehre nicht gern mit Leuten, denen 
ih nidt beim Sprechen in bie Augen ſehen 
fann.‘ 

Der Mönd zögerte. — „Mein Auftrag,‘ 
jagte er endlich, „betrifft nicht mich perſönlich — 
ih ſpreche nicht für mich, jondern für einen 
Andern; der heutige Abend joll aud Nichts ent- 
Iheiden — nur hierher gefommen bin ih, um 








189 


eine Frage an Sie zu richten, General — nur 
Ihre Antwort darauf zu hören. Betrachten Sie 
dann die Frage, als ob nicht ih — ein Menſch, 
diefelbe an Sie gerichtet hätte, ſondern als ob 
Sie der Alleinfeligmahhenden Kirche, bie ih in 
diefem Augenblick vertrete, gegenüber jtänden. 
Die Züge meines fremden Gefihts Fünnten Sie 
nur darin ſtören — es ijt der Geijt, der zu Ihnen 
Ipricht, nicht die Perſon.“ 

„Ich bin anderer Meinung,’ erwiederte Por: 
feirio Diaz ruhig — „entweder Sie verhandeln 
offen mit mir oder gar nit. Sch habe Sie 
nicht gerufen, begreife audy nicht, was Sie von 
mir erfragen wollen, verweigere aber jede weitere 
Antwort, bis ich genau weiß, mit wen id) es 
zu thun babe.” . 

„Und wenn ich ein Gelübde abgelegt hätte, 
Ihnen mein Antleg nicht zu zeigen 7 

„Dann Fann ich Ihnen feinen befferen Rath 
geben, frommer Padre, als mir, wenn die Sache 
wirklich jo wichtig iſt, einen Andern Ihrer 
Brüderfchaft Hierher zu fenden, mit dem ich im 
Stande bin, in meiner Weife zu verkehren.‘ 

„Es ijt unfreundlic von Ihnen, General,‘ 
fagte der Geiſtliche, „daß Sie mich alfo drängen, 
no dazu, da Nichts mich hierher geführt haben 


190 


fann, als nur der Wunſch, Ihnen nützlich zu 
ſein. Dod wenn Gie e8 nicht anders wollen, 
jo will ich mich au) darin Ihrem Wunſche fügen 
— vielleiht haben Sie dann auch mehr Ver— 
trauen zu mir, denn Sie fennen mid) von alten 
Zeiten ber.‘ 

Mit diefen Worten warf er jeine Kapuze 
zurüd, und als das Licht der Lampe auf feine 
Züge fiel, rief Porfeirio Diaz wirklich erſtaunt 
aus: 

„Padre Zaloga — das ijt allerdings ein un— 
erwartetes DBegegnen, aber unerklärlich wird mir 
jegt erjt recht, was Sie, die rechte Hand bes 
ehrwürdigen Erzbiſchofs, Tann hierher zu mir, 
in meine Selle geführt haben. Ich glaubte 
immer, ich jtünde bei Monfenor nicht beſonders 
angejchrieben.” 

„Und glauben Sie, dab Haß in der Bruft 
eines frommen Ehrijten wohnen dürfe? Halten 
Sie defjen bejonders unjern ehrwürbigen Erz— 
biſchof fähig?“ 

Porfeirio Diaz lächelte. — „Laſſen Sie uns 
damit die Zeit nicht verſäumen, würdiger Padre. 
— Jetzt, da ich Ihre ſo wohlbekannten Züge 
ſehe, fühle ich mich auch behaglicher — die dunkle 
Kutte und das verhangene Geſicht kamen mir ſo 


191 


uhbheimlih vor, als ob ich midy wirklich mit 
einem Geiſt aus dieſen alten Mauern unter 
bielte. Nun werden wir auch rajch zu einem 
Verſtändniß kommen, und fpredhen Sie jebt frei 
von der Leber weg. — Wir haben feine Unterbre= 
hung zu fürchten,’ jeßte er hinzu, als er jab, daß 
der Padre wieder nad) der Thür hinüber horchte 
— „um bieje Zeit bejucht mid Niemand mehr, 
und wenn es wäre, höre ich immer vorher die 
Rachen anrufen, die etwa dreißig Schritt von 
bier entfernt zugleih den Gang und bie zur 
Azoten führende Thür bewachen. Da, mein guter 
Padre Zaloga, nehmen Sie den Stuhl — es it 
der einzige, über den ich verfüge, und ich werde 
mich indefjen bier auf mein Feldbett ſetzen — 
und halt — ein Glas Wein trinfen Sie doc 
auch? Die Luft ift kühl draußen und ber feurige 
Xeres wird uns Beiden gut thun — glüdlicher: 
weije habe ich wenigitens zwei Gläſer — ein 
ein und ein Wafjerglas — bier frommer 
Padre — die Republik ſoll leben!’ 
„Bebingungsweife — ja,” nickte der Padre, 
der den Trunf nicht verweigern mochte und fein 
Glas gegen den General bob und dann halb 
leerte. — „Santisima!“ rief er aber, als er wie- 
der abjeßte, ‚den Wein haben Euch die Fran— 


192 


zojen nicht als Gefängnißkoft geliefert, General. 
Bejjeren Xeres wünjche ich meiner Tage nicht zu 
trinken.“ 

„Er iſt von Freunden aus der Stadt, die mir 
wohlwollen — doch jetzt zur Sache, Padre. Wich— 
tiges muß es ſein, was Sie hergeführt, und ich 
bin neugierig geworden.“ 

„Wichtiges iſt es auch in der That, —* 
ſagte der Geiſtliche, der plötzlich wieder ernſt 
wurde — „wichtig genug, um ſelbſt die Stunde 
der Nacht zu entſchuldigen. — Doch ich brauche 
keine langen Umſchweife zu machen. Sie ſelber 
kennen die Lage des Landes beſſer, als ich im 
Stande wäre ſie Ihnen zu ſchildern. Sie wiſ— 
ſen, was das Kaiſerreich verſprach — und 
was es hielt. Sie wiſſen aber auch, General, 
wie die Kirche jetzt dem Staat gegenüberſteht. 
Das Dach ſelbſt, das uns in dieſem Augenblick 
Beide gegen den fluthenden Regen ſchützt, iſt 
Zeuge deſſen, was geſchehen — was verbrochen 
wurde, und was nicht etwa ein fremder Eroberer, 
ſondern ſchon ein Landeskind ſündigte, das ſich 
von dem heiligen Glauben losriß.“ 

„Oaramba padre mio,‘ ſagte Diaz, der er— 
ftaunt den Worten des Mönchs hordhte, denn er 
begriff noch immer die ganze Einleitung nicht, 





193 


„das mag Alles wahr jein oder nicht, aber was 
habe ich jeßt damit zu thun, ih überhaupt, 
denn wenn ich auch frei und an ber Spiße eines 
Heeres jtände, die Geſchicke des Landes zu regeln 
liegt ja doch nicht in meiner Macht.‘ 

„Aber, General, Sie jollen frei werden und 
nicht allein an die Spitze eines Heeres, nein an 
die Spike des Staates treten, wenn Sie ſich 
der heiligen Kirche gegenüber verbindlich madyen 
wollen, eben dieſen Staat nach hriftlichen Normen 
einzurichten und dem Volk Gelegenheit zu geben, 
jeine Herzen wieder der heiligen Mutter Gottes 
und ihrem Sohne zuzuwenden.“ 

Diaz nahm leije die Unterlippe zwijchen die 
Zähne, denn jebt fing er an zu begreifen, was 
der Mönch, und keinenfalls aus eigenem An: 
trieb, von ihm verlangte, aber er jchwieg, denn 
er wünjchte mehr zu erfahren, und nur erjt als 
ber Padre ebenfalls inne hielt und ihn erwar- 
tungsvoll anjah, als ob er Antwort verlange, 
lagte Diaz, langjam mit dem Kopf fchüttelnd: 

„Und iftdasjegtnichtder all, Padre Zaloga? 
sh halte es für ein Unglüd, daß ein Fremder 
über uns regieren joll, für ein Unglüd, Merico _ 
ein Kaijerreich aufzudrängen, und habe mit allen 
Kräften dagegen angefämpft, aber” jo viel ich 

Fr. Gerjtäder, In Merico. III 13 


194 


weiß war es der Klerus jelber, der den fremden 
Prinzen in das Land gerufen, und — was man 
auch gegen feine Regierung einwenden könnte — 
fein hriftliher Wandel ift wohl noch von Feiner 
Seite angefochten.” 

„Die Sünde aber, die Juarez begangen,‘ 
rief Zaloga eifrig, doch mit unterdrücdter Stimme, 
„bat er betätigt und den Kirchenraub nody durd 
Gejege geheiligt — aud die Botſchaft, die er 
jet nah Rom gejandt, jol nicht etwa dort dem 
heiligen Vater reuig feinen Fehler eingejtehen, 
jondern ibm nur die Unmöglichkeit darlegen 
anders zu handeln, als er es gethban. Bon bie: 
jer Seite iſt alfo feine Hoffnung auf Befferung 
der Zuftände, während wir eben jo gut wiflen, 
was wir von Juarez zu erwarten haben, follte 
dieſer je wieder in bie Hauptjtabt einziehen und den 
Präfidentenjtuhl bejteigen. — Das Volk wünjdt 
ihn auch nicht zurücd, fein Termin ift überhaupt 
abgelaufen, und jet gilt e8 den Mann zu wählen, 
der das meifte Vertrauen im Land bejigt und ihn 
Garantien bietet, e8 zum Trieben zurüdzuführen.‘ 

„And wen halten Sie für den richtigen 
Mann, Babre Zaloga,“ jagte General Diaz, in: 
dem er dabei langjam jein Glas hob und den 
Mein in einem langen Zuge einjchlürfte. 


195 





„Sie, General,’ jagte Zaloga bejtimmt. 

„And unter welden Bedingungen?‘ frug 
Torfeirio Diaz ruhig, während aber doch ein 
leijes, kaum bemerfbares Lächeln um feine Lippen 
zuckte. 

„Unter keiner,“ erwiederte der Padre, „die 
nicht jeder Ehrenmann annehmen, unter feiner, 
die man nicht von jedem wirklichen Chriſten als 
ſelbſtverſtändlich Fordern könnte — nur unter 
der, daß Sie, rüdjichtslos gegen Alles, was 
Ihnen entgegentreten jollte, die  verbammlichen 
Decrete über bie Güter der Todten Hand wieder 
aufheben und die Bunkte erfüllen, die der heilige 
Vater von dem Kaiſerreich als unumſtößliche 
Bedingung verlangt hat.’ 

„Und die find?’ 

„Die nämliden, die ber heilige Vater durch 
Monſeñor Meglia dem Kaiſerreich vorlegte,“ er— 
wiederte Zaloga: „die katholiſche Religion, mit 
Ausſchluß jeder andern — die Biſchöfe in Aus— 
übung ihres Hirtenberufes vollkommen frei, die 
Mönchsorden hergeſtellt, das Gut der Kirche un— 
berührt, die Geiſtlichkeit muß den öffentlichen 
wie den Privatunterricht beaufſichtigen — die 
Bande, welche die Regierung der Kirche bis da— 


bin auferlegt, müſſen zerriſſen werden.“ 
13* 


196 


„Und nachgeben würde der heilige Vater in 
feinem Punkt?” fagte Porfeirio Diaz, ohne jegt 
aber den Geijtlihen anzujehen, denn er hatte 
jein halbgeleertes Glas in der Hand und ſchau— 
felte e8, daß der Wein darin im Licht funfelte. 

„Bir können nicht,‘ erwieberte Padre Zas 
loga, „denn es find die Vorjchriften Gottes — 
aber dafür bieten wir auh dem Präfidenten, 
der auf diefer Bafis mit, uns unterhandelt, den 
vollen Schuß der Kirche und des Klerus, und 
Sie wiſſen recht gut, Herr General, was das in 
Merico zu bedeuten hat.‘ 

Der Padre jhwieg und auch Porfeirio Diaz 
war eine Zeit lang in jeine Gedanken vertieft. 
Er ſah dabei zweimal nach feiner Uhr, und jteckte 
fie body wieder, ohne gejehen zu haben welche 
Zeit e8 jei, in die Taſche. Endlich jagte er: 

„Und wenn ich auf dieſe Bedingungen nicht 
eingehen könnte?’ 

„Ich will e8 nicht hoffen, General.‘ 

„Und wenn ich darauf einginge? wie wären 
Sie im Stand mich zu befreien.‘ 

„Sorgen Sie fi) deshalb nicht,‘ ſagte der 
Padre raſch, „dieſe alten Klöfter haben manche 
geheime Gänge und die Franzoſen Feine Ahnung, 
wie leicht wir, Die wir damit von Jugend 








197 


auf vertraut find, Zutritt zu ihnen finden 
fünnen.‘ 

„Sut, mein frommer Padre Zaloga,“ erwies 
derte da Porfeirio Diaz mit einem leichten Lä— 
-heln um die Lippen, indem er aufitand und ben 
Padre Scharf beobachtete — „ich jehe allerdings 
zu meiner Verwunderung, daß wir Beide ganz 
einige Verbündete in der Erreihung eines be— 
ftimmten Zweckes find — den Sturz des Kaijer- 
reichs und die Wiederherjtellung einer Republik, 
und nur das eine Fatale bei der Sache bleibt, 
da wir uns nicht über das Mein und Dein 
verjtändigen können. Sie wollen Alles wieder 
haben und wir Nichts herausgeben. Sie ſchnei— 
den jogar jedes Verſtändniß, jedes Ueberein— 
fommen gleich von vornherein ab, aljo wie joll 
das werben ? eine permanente Revolution? Nein, 
mein lieber Padre Zaloga, fagen Sie Ihrem 
guten Erzbifchof, daß, er wohl ſchwerlich Jeman— 
den findet, der für ihn die Kaftanien aus dem 
Neuer holt. Wenn wir ung die Macht im Staat 
erfämpfen, wollen wir fie auch nachher be— 
baupten und nidt demüthig an den Klerus 
übergeben. — Ob Kaiferreich, ob Republif, Ihr 
jeid um Nichts bier gebefjert, denn Ihr habt 
zu lange und zu arg im Land gewirthichaftet.‘’ 


198 


„Und haben wir uns jo gänzlich in Ihnen 
getäuscht, General ?’’ jagte Zaloga beſtürzt. 

„Wenn Gie glaubten, daß Sie mit meiner 
Hilfe eine Revolution in der Revolution ber: 
vorrufen wollten, allerdings,‘ jagte Diaz feit.* 
„Meine Kräfte, mein Blut und Leben gehören 
dem DBaterland, und was ich dazu beitragen 
kann, ihm bald — recht bald den Frieden wieder 
zu geben, den es jo nothwendig braucht, ſoll 
gewiß gejchehen, aber wahrlich nicht deshalb, 
um es wieder unter das eben erſt abgejchüttelte 
Joch des hohen Klerus zu zwingen.‘ 

„Dann, ſagte Padre Zaloga, ſich von 
feinem Stuhl erhebend, „thut es mir allerdings 
leid, Sie beläftigt und geſtört zu haben, Herr 
General,’ 

„Sagen Sie das nicht,‘ rief Diaz, „ich kann 
Sie verfihern, frommer Padre, daß es mir hödhjit 
interefjant war, Ihre VBorfchläge gehört zu haben, 
denn ich gewann badurd einen vollen Einblid 
in Ihre friedliche und verjöhnliche Politif. Und 
ift das der Segen, den die Kirche zu bringen 
denkt, daß fie nur im Geheimen wühlt und bohrt 
und Partei gegen Partei aufzubegen jucht? Ver: 
gießen wir nur deshalb unfer Blut, um ſolchen 
jelbjtfüchtigen Zweden zu dienen und von einem 


199 
eigenfinnigen alten Mann in Italien am Gängel- 
band geleitet zu werben ?'' 

„General, das ijt Gottesläfterung!” rief Za— 
loga bejtürzt, denn er hatte einen andern Erfolg 
von jeiner Unterredung erhofft. Mit dem Be: 
wußtfein aber, auch dieſen jtarren Kopf nicht zu 
überzeugen, wenn er nicht von jelber, und dem 
eigenen Intereſſe folgend, in die Bahn einlenfte, 
brach er die Verhandlung kurz und ohne Wei- 
tere ab. „Was Sie da gejagt, mögen Sie aber 
vor Ihrem eigenen Gewifjen verantworten — 
und bereinft vor Gott. — Wir hatten uns in 
Ihnen getäufcht, und ich will nur Hoffen, daß 
Stille und Einjamfeit von jetzt ab Ihren Geift 
reumüthig dem einzigen Punkt zuführen möge, 
der im Stande ift die Seele zum Heil und zur 
ewigen Glüdjeligfeit zu führen. Der Herr jei 
mit Ihnen — leben Sie wohl!” 

„Warten Sie nody einen Moment, mein würs 
diger Padre,“ fagte da lächelnd der General — 
„wir trennen uns nod nicht jo bald — ich gehe 
mit Ihnen.” 

„Anjere Wege liegen getrennt, jagte kopf— 
ſchüttelnd Padre Zaloga — „Alles würden wir 
daran gejeßt haben Sie zu befreien, denn bie 
Kirhe jcheut Fein Opfer, um ihren Gläubigen 


200 


zu helfen, aber für den abtrünnigen Sohn der 
Kirche baden wir feine rettende Hand. — Der 
Herr jei mit Ihnen!“ | 

Diaz hatte nody während der Geijtliche ſprach 
jeine Müße und jeine Serape vom Bett genom= 
men, jetzt jagte er. lachend: 

„Und glauben Sie, frommer Padre, daß ich 
ein Solch entjeßlicher Thor wäre, Sie allein 
gehen zu laſſen? Wo Sie unbemerft in mein 
Gefängniß gefommen find, kann auch ich eben= 
jo in Shrer Begleitung auspafjiren — jedenfalls 
machen wir den Verſuch.“ 

„Das ift unmöglich!“ rief Jaloga erjchredt 
aus, denn auf einen ſolchen Entihluß von Sei— 
ten des Gefangenen hatte er nicht gerechnet, und 
bod war eigentlich Nichts natürlicher. — „Sch 
muß unten durch das offene Portal, in welchem 
die Wache liegt, und wenn fie mid auch ſchon 
paffiren laffen, mit Ihnen zufammen, würden 
wir Beide angehalten — Beide eingeferfert wer— 
‚den.‘ | 

„In der That ?’’ lächelte Porfeirio Diaz, der 
eine Gefahr natürli nur reizen fonnte, — 
„aber wie nun, frommer Padre, wenn ich flüchtig 
hindurchbreche und die erjte Ueberrafhung der 
Wache benüge, um die dunfle Straße zu errei= 


201 


hen? — oder noch bejjer, wenn Sie mir Ahr 
Gewand borgen, um langjam und demüthig hin— 
durch zu fchreiten? Caramba, es ijt jedenfalls 
den Verſuch werth. Sie können ſich feſt darauf 
werlaſſen, daß ich Ihnen keine Schande machen 
werde.“ 

„Es iſt unmöglich, Señor,“ entgegnete mit 
ängſtlich unterdrückter Stimme Zaloga, denn er 
malte ſich eben im Geiſt aus, mit welchem Geſicht 
ibn der hochwürdige Erzbiſchof empfangen werde, 
wenn er ihm die Antwort Porfeirio Diaz' und 
zugleich die Kunde brächte, daß er ihm trotzdem 
zur Flucht verholfen habe. Der Klerus verhehlte 
es ſich wenigſtens nicht, daß ihnen General Diaz, 
wenn nicht gewonnen, ein noch viel gefährlicherer 
Feind werden könne, als es ſelbſt Juarez geweſen 
oder je fein konnte, — „es iſt vollkommen un— 
möglich, denn wir müſſen durch einen langen, von 
Soldaten gefüllten Gang, und würden niederge— 
ſchoſſen werden, ehe wir nur die Hälfte dejjelben 
durchmeſſen hätten.‘ 

„Que importe, amigo,“ lachte der General, 
„ſterben wir doch dann zuſammen und find aller 
irdiihen Sorgen überhoben — Scherz bei Seite,“ 
jegte er aber plößlich, ernſt werbend, hinzu, „ich 
bin feſt entfchloffen, diefe Gelegenheit nicht un— 


. 202 


benüßt vorüber zu laſſen, denn id, weiß genau, 
daß fie mir, von diefer Seite wenigitens, nicht 
wieber geboten wird. Sie fennen mid) aber, Za— 
foga, wie ih Sie fenne und Ihnen wohl im 
Vertrauen jagen kann, daß es feinen größeren 
und nihtswürdigeren Schurken in ganz Merico 
giebt, al8 Sie, frommer Padre.‘ 
„General Diaz!” 

—„Ruhe,“ berrichte der General ihm zu — „bie 
Spielerei hat ein Ende. Sie führen mich jet 
denjelben Weg zurüd, den Sie bereingefommen, 
und mehr als das, Sie begleiten mich weiter, 
bis hinaus vor das Thor und volfommen aus 
dem Bereich der franzöſiſchen Truppen, denn id) 
traue Ihnen Alles zu — jelbjt Verrath. Während 
der ganzen Zeit habe ich die Hand auf Ihrer 
Schulter und fage Ahnen voraus, gefangen 
gebe ich mich nicht wieder — ich werde entweder 
frei, oder jterbe in diejer Naht — Sie aber mit 
mir, und dieſes Meſſer,“ ſetzte er hinzu, indem 
er das ihm gebrachte Tiichmefjer nahm und un: 
ter feine Uniform barg, ‚‚genügt, um mein Wort 
wahr zu machen.‘ 

„Aber Herr General!” " 
„Kein Aber mehr, oder beim ewigen Gott! ich 
thue Etwas, was mich vielleicht jpäter gereut. 


203 


Borwärts — Sie find vollftändig in meiner Ge- 
walt, und daß ich nicht zögern werde davon Ger 
braud zu maden, bedarf wohl Feiner Verfiche- 
rung mehr.” 

Der Padre warf einen verzweifelten Blick nad 
der Thür, aber es half ihm Nichts, er war ein 
mal in bie Falle gegangen, und Porfeirio Diaz 
gerabe der Mann dazu, einen einmal gewon— 
nenen Bortheil nicht wieder aus der Hand zu 
geben. 

„But,“ fagte er, „ich will e8 verfuchen und 
Sie vor die Thür des Klofters bringen, aber 
dann verlangen Gie Nichts mehr, det Sturm 
raft da draußen, der Regen jchüttet auf bie 
Erde nieder und die Wege vor der Stadt find 
grundlos — meine Shwahe Gejundheit dazu —“ 

„Ste werden ſich jedenfalls einen Schnupfen 
holen, frommer Padre,“ jagte der General ſpöt— 
tiſch, „aber das ſchadet Nichts — ein paar warme 
Schwefelbäder heben das Uebel augenblidlich wie: 
der, und die haben Sie ja ganz in der Nähe. 
Es bleibt bei dem, was ich gejagt habe, und ber 
Regen und Sturm draußen begünftigen nur uns 
fere Flut. Wollen Sie jedoch von mir einen 
guten Rath annehmen, jo verjhaffen Sie mir 
vorher eine ebenjolhe Kutte wie Sie tragen, 


204 


oder ih würde mich jonit in die unangenehme 
Nothwendigkeit verſetzt jehen, Ihnen draußen bie 
Ihrige abzunehmen, denn in der republifanijchen 
Uniform wäre ich feine Stunde lang ficher.” 

Padre Zaloga jeufzte tief auf, aber General 
Diaz hatte Recht, under jelber ich leichtſinniger— 
weile in die Gewalt eines Mannes gegeben, 
der wahrlich feine Rüdjiht auf feinen Stand 
genommen hätte, dem er ſich aljo jest wohl oder 
übel fügen mußte. — Eine Wahl hatte er nicht 
mehr. 

„So fommen Sie,’ jagte er finjter, „denn 
die Zeit vergeht, aber des Himmels Strafge= 
riht —“ 

„Bit! bit! Feine Kindereien, amigo — idy 
bin fein thörichter Indio,“ unterbrad ihn der 
Seneral, „den Sie mit Ihren Spufgeihichten zu 
fürdten machen fünnen. Doch nody eins — ſol— 
len wir die Rampe mitnehmen, oder finden wir 
den Weg im Dunfeln — und glauben Sie nit 
etwa, daß Sie mir dabei entwilchen, denn was 
ich einmal habe, halt’ ich feſt.“ 

„Fürchten Sie nicht, General, daß ich den Ver— 
ſuch mache,’ ſagte Zaloga finiter, „denn meine 
eigene Sicherheit hängt jett davon ab, daß wir 
ungejehen entfommen — für mid brauchte ich 





205 


allerdings Feine Lampe, und babe auch weiter 
unten ſchon eine jtehen, aber Sie jelber werden 
im Dunfeln nicht vorwärts fünnen.‘ 

„Iſt der Strahl der Lampe von der Straße 
aus zu ſehen?“ ' 

„Rein — die Treppe liegt im Innern des 
Gebäudes.’ 

„But — dann vorwärts,’ fagte der General, 
indem er die Rampe vom Tiſch nahm, „und nun, 
mein waderer Führer, den Weg zur Freiheit! 

Diaz fürdhtete aber mit Recht, daß ihm ver 
ſchlaue Mönd, jo wie er nur wenige Schritte 
Vorfprung gewann, in den rrgängen eines 
jolden alten Klojters leicht entwiſchen könne; 
die Serape über der Schulter, in der rechten 
Hand die Lampe, legte er deshalb die Linke leicht 
auf die Schulter feines Führers, jah ihn aber | 
fragend an, als ihn der Geijtlihe in das nächite 
Zimmer und dort nicht etwa gegen die Thür, 
ſondern gerade auf die Wand zu führte, auf der 
jih ein grobes Fresco-Gemälde, Petrus im Ge- 
fängniß, befand. Zaloga wußte jedoch genau 
Beiheid — er bog fih zur Erde nieder, und 
dort eine Fleine Feder berührend, jchied jich was 
auf dem Bild ein. gemaltes niederes und in 
einen Keller hinabführendes Gewölbe jchien, von 


206 


der Wand ab und zeigte bald eine Fleine, faum 
zwei Fuß hohe, gerundete Thür, finnreih und 
verjtedt genug bier angebradt. 

„Caramba,“ jagte Porfeirio Diaz leije, „der 
Teufel traue den Mönchen, und zu was bat dieſe 
Thür in früheren Zeiten gedient?” 

„Quien sabe,“ erwiederte achjelgudend der 
Padre — „ih weiß nur, daß fie erijtirt und 
von den Franzoſen nicht entdedt wurde. Seht 
jteigt vorfichtig hinab — die Treppe-ift ſteil — 
oder laßt mich lieber voran, daß ih Euch die 
Lampe halte.” 

„No Compañero,“ ladte Diaz, „ſo leicht 
entfommft Du mir nit — mir bleiben nod 
länger beifammen.‘’ 

„Ihr traut mir nicht?‘ 

„Richt einen Fuß breit,” fagte der General, 
und indem er fich jelber in die Deffnung ſchwang 
— „ſo jet vamonos amigo — die Treppe ijt 
bequem genug.” — 

Der Padre folgte — er wußte, daß ihm feine 
Wahl weiter blieb, denn hätte er Lärm gemacht, 
jo würden ihn jedenfalls die franzöſiſchen Wachen 
fejtgenommen haben, und daß fie das geiftliche 
Gewand nicht achteten, hatten fie ſchon verſchie— 
dene Male zur Genüge bewiejen. — Sekt waren 


I: 2 u“ 
No 74 


.207 


tie Beide in dem engen Gang verſchwunden, nad 
einer Kleinen Weile knackte die Feder wieder 
ein, und hinter ihnen lag öde und leer das Ge— 
fangniß des Generals — der Bogel war aus: 


geflogen. 








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7. 
Die Exſcheinung. 


In dieſen, den letzten, Wochen des Jahres 
1865 konnte man glauben, daß das junge, auf— 
keimende Kaiſerreich ſeine größten Schwierig— 
keiten beſiegt habe und nun einer ruhigen Zeit 
entgegengehe, aber troßdem gährte es ſchon 
wieder in der Hauptſtadt. Eine Menge von 
kleinen Anzeichen deuteten auf einen neuen 
Sturm, der ſich wider das Reich erheben wollte, 
und der einzige Mann in ganz Mexico, der es 
nicht ſah, oder vielleicht nicht ſehen wollte, 
war ber Kaiſer jelber. Mit unverdroffenem 
Fleiß ging er daran, innere Reformen anzu= 
bahnen, und während Kaijerin Charlotte ihre 
bejchwerliche Reife nah Yucatan wirfli ans 
getreten hatte, und ſich in diejer dem Kaiſerreich 

14* 


“ 
bes 
u 
- 


212 


von Anfang an geneigten ſüdlichen Provinz mit 
Jubel empfangen und aufgenommen fand, mühte 
ih Marimilian ab, die Zuftände eines inner: 
lich zerrifjenen und aus allen Fugen gebrachten 
Reiches wieder zu bejjern und zu heben. Schu: 
len wurden errichtet, Concejjionen zu Eiſen— 
bahnen gegeben und deren Bau begonnen, und 
wenn auch die Finanzen des Landes noch jehr 
im Argen lagen und faum eine Ausfiht auf 
mögliche Befjerung zeigten, jo übernahmen es 
doc endlich tüchtige franzöſiſche Finanzmänner, 
fie zu regeln. — Daß man von den mericanifchen 
feine wirkliche Hilfe erwarten durfte, hatte ſich 
ſchon lange vordem gezeigt. 

In vielen großen Häujern der Hauptſtadt 
Merico war tiefe Trauer eingefehrt — die leg: 
ten. Kämpfe hatten gar jo viel Blut gefojtet, 
und Bazaine, mit jedenfalls geheimen Befehlen 
von Frankreich, fing an feine eigenen Truppen 
zu jhonen und an alle wirklich gefährdeten Punkte 
Mericaner, Defterreicher oder Belgier vorzu— 
Ichieben. — Aber auch die einzelnen Guerilla= 
fämpfe rafften viele Menfjchenleben dahin, und 
ob jie auch draußen im Wald die Leichen der 
Gebliebenen verjcharrten, in den Familien blu= 


* 


213 


teten die Herzen noch lange nach und trauerten 
über die Geſchiedenen. 

In Roneiro's Haus, das ſonſt zu einem der 
glücklichſten und lebensfrohſten der Hauptſtadt 
gehörte, war beſonders Sorge und Kummer 
eingekehrt; die Fenſter blieben den ganzen Tag 
verhangen. — Keiner der Inſaſſen zeigte ſich 
draußen auf dem Balcon, ſelbſt die Hausthür 
wurde feſt verſchloſſen gehalten und öffnete ſich 
faſt nur dem Arzt oder den Dienſtleuten, die 
gezwungen waren die nöthigen Bedürfniſſe für 
den Hausſtand einzukaufen. 

Die junge Wittwe des Grafen Deverreux lag 
ſchwer erkrankt in dem nämlichen Zimmer, das 
ſie als Mädchen inne gehabt. Die Mutter ſaß 
bleich und mit thränengefüllten Augen an ihrem 
Bett, und der alte Herr Roneiro lief in ſeinem 
Arbeitszimmer auf und ab und verwünſchte ſich, 
die Pfaffen, die Liberalen, die Kaiſerlichen und 
die ganze Welt. 

Das alte Leiden war aber auch wieder im 
Hauſe ausgebrochen. Die Frauen verlangten 
hartnäckig nach geiſtlichem Zuſpruch, und Padre 
Miranda, nachdem ihn Roneiro ſchon früher 
einmal getäuſcht, weigerte ſich auf das entſchie— 
denſte ihnen zu willfahren. 


214 


Reneiro war jchon jelber beim Minijter ge= 
wejen und hatte fih auf das Decret berufen, 
das der Kaifer gegeben, wonad die Behörden 
angehalten werden jollten, darauf zu ſehen, 
daß die Geiftlichfeit die ihmen zuftehenden 
Tunctionen verrichten müffe. Ein jpäteres Ge— 
je aber, das Kirche und Staat unabhängig von 
einander ftellte, hob das natürlich auf, und der 
Minijter ſagte achjelzudend, daß er darüber aller— 
dings an den Kaiſer berihten wolle, ibm aber 
feine Hoffnung maden fönne, den Priejter zu 
zwingen, fein Haus zu betreten. Die Re- 
gierung wünjche überhaupt jeßt feinen weiteren 
Conflict mit der Geiftlichfeit, da man noch immer 
auf ein Berjtändnig mit dem heiligen Water 
hoffe, und deshalb gerade einen neuen Abgejandten 
dorthin geſchickt habe. | 

Dabei blieb es, und Roneiro fehrte mit Groll 
gegen die ganze Welt im Herzen in fein Haus 
zurück. 

Was hatten ſie nicht Alles von dem Kaiſer— 
reich erhofft, und was hatte es bis jetzt für ſie 
gethan? Frieden gebracht? Die Kriege hörten 
nicht auf; das Land verzehrte ſich im Soldbe— 
zahlen für ein zahlloſes Heer, und das war bis 
jetzt nicht einmal im Stand geweſen, ſelbſt nur 


215 


die Landſtraßen in der Nähe der Hauptitadt von 
NRäubern frei zu Halten. Den übermüthigen 
Klerus gedemüthigt? — er zeigte ſich ſtarrſinni— 
ger als je, und wo Juarez die Geiftlihen augen: 
blicklich abjegte, die e8 wagten feinen Gejeßen 
zuwider zu handeln, wie zum Beijpiel den ftör- 
rifhen und unduldjamen Padre oje Sollano, 
thaten bie Pfaffen jetzt gerade ungeſtraft 
Alles was jie wollten, und brachten unjagbares 
Unbeil in die Familien. 

Und was hatten freilich die Mericaner jelber 
gethban, um diejen Kaijer, von dem man Alles 
verlangte, in feinen Mühen und Arbeiten zu 
unterftügen? Nichts — gar nichts als die Hände 
in den Schooß gelegt oder, wo fie zu irgend 
Etwas verwandt werden jollten, ſich jo unfähig 
und träge gezeigt, daß die Regierung endlich 
förmlich dazu gezwungen wurde, fich auf fremde 
Kräfte zu ftügen und fie heranzuziehen. 

Gonjervative und Liberale (man wurde zu: 
legt ganz confus, wer das eine oder das andere 
jei, denn der Kaifer war in allen feinen Gefegen 
und Verordnungen weit liberaler gewejen als 
jelbjt Juarez oder feine Partei) ſchienen wirk— 
lid darin zu wetteifern, wer fi) von ihnen am 
theilnahmlojeften zeigen würde. Dafür hatten 


216 


fie ja jest einen Kaifer, und der mochte zufehen, 
wie er mit den Schwierigkeiten zu Stande fäme 
— von ihnen fonnte er das nicht verlangen. 
Und doc hoben jich dabei Handel und Gewerbe, 
und es ließ ſich nicht leugnen, daß das Land in 
ber furzen Zeit dieſer Regierung, und troß den 
ewigen Kriegen, einen bedeutenden Aufichwung 
genommen hatte, aber das genügte den Leuten 
troßdem nicht. — Es war viel gejchehen, ja aber 
noch viel mehr zu thun übrig, und dabei fein 
Ende abzujehen, wann es möglicherweije ge- 
than werden könne. 

Und jest follte Roneiro, nur weil der Kaiſer 
für gut befunden hatte den Staat von der Kirche 
zu trennen, fein ganzes theuer erfauftes und 
prachtvoll eingerichtetes Beſitzthum wieder zu= 
rüdgeben und das Haus, in dem er fi jo wohl 
fühlte, verlafjen ? — &8 ging nicht — die Frauen 
mußten fih ja doh am Ende beruhigen — feine 
Tochter fich erholen, und daun — Ffonnte er 
immer erjt abwarten, wie fich das Alles im Reich 
gejtalten würde. 

Es war Abend geworden und die Nacht ein— 
gebrohen — noch ſpät fam der Arzt — heute 
zum dritten Mal — um nad jeiner jungen 
Kranken zu jehen, die ein heftiges Tieber über 


217 


itanden und viel phantafirt hatte, jich aber — 
ein jehr gutes Zeichen — gegen Abend bedeutend 
befjer fühlte. — Er verlie das Haus wieder — 
das Thor wurde gejchlofjen und der breite Riegel 
inwenbig vorgejchoben. 

Die Kranke war in einen leichten Schlum= 
mer gefallen, und die Mutter, die bei ihr wachte, 
hatte ji auf das Sopha gelegt, um ein wenig 
auszuruben. — Im Zimmer befanden fih noch 
eine ziemlich rüftige Frau, Inez’ Amme, im Haus 
an einen Diener verheirathet, und ein junges 
Mädchen, das neben der Kranken Bett jaß und 
abwechjelnd mit der Amme noch immer Falte 
Umſchläge um ihre Stirn legte. 

Es war Alles todtenjtill im Haus, nur das 
regelmäßige Tidden der großen Broce- Wanduhr, 
die auf dem Kaminjims ftand, jchallte wunder: 
lih durch den hohen Raum, in dem man jelber 
das leife Athmen der Schlafenden hören konnte. 

„Inez!“ jagte da eine tiefe, monotone Stimme 
— „Inez erwache!“ 

Das junge Mädchen, das der Schlafenden 
noch kurz vorher den Umſchlag aufgelegt, war 
ebenfalls ein wenig eingenickt, aber doch nicht ſo 
feſt, um nicht die Stimme zu hören und ver— 
wundert aufzufchauen. In dem hohen Gemad) 


215 


brannte eine einzige, noch dazu durch einen far— 
bigen Schirm verjtellte Nachtlampe, und warf 
wohl einen helfen Schein an die Dede, beleud- 
tete aber nur jpärlich den unteren Raum. 

Auch Inez' Mutter, die vor Ermüdung bie 
Augen geſchloſſen, Hörte wie in einem Halb: 
traum die Worte; ihr erjter Blick fiel aber auf 
die emporfahrende junge Wärterin, und eben 
wollte jie fragen, was ihre Tochter gerufen, als 
fich der Ruf wiederholte: „Inez! Inez erwache!“ 

Blibesichnell drehten Beide das Antlit der 
Richtung zu, aus der die Stimme jchallte, mit 
einem Angſtſchrei aber fuhren die grauen empor, 
als jie dort, unmittelbar vor einer dunfeln Gar- 
dine, die ein Fleines Garderobezimmer von dem 
Schlafgemach abſchloß, eine graue, ſich vegende 
Geſtalt bemerften, die jeßt langjam den Arm 
hob und in diefer Stellung verharrte. 

Sp viel fie in dem Moment erfennen 
fonnten, trug die Gejtalt eine graue Mönchs— 
futte, an der die Kapuze ein wenig zurüdge: 
Ihlagen war und ein todtenbleihes Menjchen: 
antlig mit grauem wallenden Bart zeigte. Die 
Züge aber jahen geijterhaft und verzerrt aus, 
und wie drohend jchüttelte fie dabei den gehobe— 
nen Arm. 





219 


Durch den Angitichrei waren aber auch bie 
Kranke wie ihre Amme erwacht, und Inez' Blick 
fiel unmittelbar auf die Erſcheinung, die faſt zu 
Füßen ihres Bettes ftand. — „Ave Maria Pu- 
riima!“ flüfterte fie, aber wieder erhob der Un- 
heimliche jeine Stimme und fagte dumpf: 

„pie Strafe Gottes bat Euch erreicht und 
jeine Hand liegt auf diefem Haufe — Glied 
nad; Glied wird fterben und abfallen. Das war 
nur der erjte Schlag, der Euch getroffen, aber 
das entweihte Heiligthum rächt das Verbrechen, 
bis e8 durch den Tod Aller gefühnt ift. — 
Wehe über Euch, Wehe!” 

Die Form der Geftalt ſchmolz fajt mit dem 
ebenfalls dunfeln Vorhang, vor dem fie jtand, 
zuſammen, jebt bewegten fich die Falten deſſelben 
— noch einmal tönte ein dumpfes ‚Wehe !“ 
daraus hervor, und mit einem wilden, faſt nicht 
mehr irdiſch Flingenden Auffchrei ſank Inez ohn— 
mächtig auf ihr Lager zurück. — 

Die Mutter ſprang, alles Andere um ſich her 
vergeſſend, zum Lager des Kindes, der Blick der 
Frau aber wie der des jungen Mädchens haf— 
tete noch immer an der Stelle, wo ſie die Er— 
ſcheinung geſehen, ja noch immer zu ſehen 
glaubten, bis ſie endlich den Faltenwurf des 


I 


in 


dunfelbraunen Wollitoffes deutlih erkennen 
fonnten. — 

Roneiro befand fi) noch drüben in feinem 
Zimmer — er konnte nicht Schlafen, denn theils 
die Angit um die Tochter, theils die Sorge, ob 
er nicht doch am Ende gezwungen jein würde 
jein Haus und Grundftüd aufzugeben, ließen 
ihn nicht ruhen, und den Arm aufgejtüßt, bie 
Stirn in düjtere Falten gezogen, jaß er an ſei— 
nem Tiſch, rauchte eine Cigarre nad) der andern, 
und nippte dann und wann einmal an einem 
mit Xeres gefüllten und neben ihm ſtehenden 
Waſſerglas. 

Jetzt plötzlich horchte er hoch auf — Fang 
das nicht da drüben aus dem Krankenzimmer 
ſeiner Tochter wie ein Schrei? — er hätte faſt 
darauf ſchwören mögen, aber jetzt war Alles 
wieder ruhig, er mußte ſich doch am Ende ge— 
täuſcht haben. — Wieder zündete er ſich eine 
friſche Cigarre an, aber in der Hand zerdrückte 
er ſie, als er deutlich einen lauten Aufkreiſch 
hörte, der kaum aus einer menſchlichen Bruſt zu 
kommen ſchien. — Das mußte in Inez' Zim— 
mer geweſen ſein, und in Todesangſt fuhr er 
empor, ſtürzte hinüber an die Thür und wollte 
hinein. Aber ſie war von innen verriegelt, und 


* m 
-. 
1: * 
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221 


laut und lange pochte er, ehe man ihm öffnete, 
denn die Frauen darin waren ihrer Sinne nod 
kaum mädtig. 

„Am der heiligen Jungfrau willen, was ijt 
bier vorgefallen?“ rief er, das Zimmer betretend, 
das die Wärterin rajch wieder hinter ihm ver— 
riegelte. — Die Worte erjtarben ihm aber auf 
den Lippen — er ſah bie ausgejtredte Geftalt 
ver geliebten Tochter, ſah die Mutter in Ber: 
zweiflung darüber hingebeugt und fürchtete das 
Schlimmfte. 

„Inez!“ vief er mit vor Angjt zitternder 
Stimme — „mein Kind! mein Kind!‘ 

Mit wanfenden Schritten eilte er zum Bett, 
aber die Mutter, die mit der Tochter beichäftigt 
alles Andere faſt darüber vergejien hatte, vief 
in Glüf und Seligfeit aus: „Sie lebt — die 
heilige Jungfrau fei gelobt! Das Schredliche 
hat fie nicht getödtet !’ | 

„Das Schredlihe! was?’ jagte Roneiro er: 
ftaunt — „was iſt vorgefallen ? 

„Dh, Senior, das Furchtbarſte!“ rief da die 
Dienerin — „ber alte Brior vom Klofter war 
bier — bei uns im Zimmer, und bat fein Wehe! 
über uns ausgeſprochen. O Santisima — jeßt 
ift Alles vorbei — Alles verloren!‘ 


ui 


222 


„Wer war hier?’ vief Roneiro aufmerkjam 
werdend — „der Prior? — welder Prior? — 
jetzt?“ 

„Der alte Prior des nämlichen Kloſters hier, 
auf deſſen Grund wir leben,“ rief aber die alte 
treue Dienerin mit zitternder Stimme — „o 
Maria Santisima, fie haben’s ja jchon lange im 
Haus erzählt, daß er umginge und feine Ruhe 
hätte — jeßt iſt's gejchehen und wir find Alle 
verflucht.“ 

Roneiro, der ſich erſt beruhigt hatte, als er 
ſah daß ſeine ſchlimmſte Befürchtung wenig— 
ſtens nicht eingetroffen ſei — daß ſein Kind, 
ſeine Inez noch lebe, forſchte jetzt weiter nach 
der ihm unbegreiflichen Erzählung, aber es 
dauerte eine Weile, bis er einen zuſammen— 
hängenden Faden fand, denn die Frauen waren 
noch in ſo furchtbarer Aufregung und auch dabei 
mit der Belebung der noch immer halb Bewußt— 
loſen beſchäftigt, daß ſie nur in wirren, unzu— 
ſammenhängenden Sätzen einen Bericht abjtatten 
fonnten. Roneiro wollte auch die Erjcheinung 
nur ihrer Aufregung und überjpannten Phan— 
tajie zujchreiben — aber das jtellte ſich bald als 
unmöglich heraus, denn es hatten fie vier Ber: 
jonen zu gleidher Zeit an ein und derjelben 


993 


— RL 


Stelle. gejeben und die nämlihen Worte gehört; 
eine Täuſchung der Sinne jchien deshalb nicht 
denkbar, und Noneiro, Jonjt nicht im geringften 
abergläubijcher Natur, jchüttelte doch felber er— 
ftaunt den Kopf. 

Inez hatte jich indeß wenigjtens in foweit er— 
bolt, daß fie die Augen aufichlug und von einem 
ihr dargereichten Glas Wafler Etwas trank, und 
Roneiro, jeßt völlig mit dem Thatbejtand ver- 
traut, ging vor allen Dingen daran, das Zim— 
mer zu unterfuden, um erjt einmal die Mög: 
fichfeit bejtätigt zu finden, ob überhaupt ein 
Fremder den Raum hätte betreten Fünnen. Er 
traute dem Klerus Alles zu und wollte jich we: 
nigitens jelbjt überzeugen. 

Die Stube, in welcher Inez lag, hatte, wie 
das in Klöftern die gewöhnliche Bauart ift, nur 
eine einzige Thür nach dem Corridor hinaus, 
durch welche auch Roneiro das Gemadh betreten. 
Dieſe war aber allerdings, wie er fich vecht gut 
erinnerte, von innen verriegelt geweien, und 
dahinaus Fonnte aljo Niemand gegangen fein, 

Dicht an dies Zimmer jtieß ein anderes klei— 
neres Gemad, von Inez zu einer Garderobe be- 
nugt, aber ohne Ausgang. Nur ein dicht ver: 
gittertes Fenſter führte ebenfalls auf den Cor— 


224 


— Pa 


ridor, und der vorſichtige Mexicaner prüfte jetzt 
alle die Eiſenſtäbe, die jedoch ſämmtlich feſt und 
unbeweglich ſaßen, und nicht einmal einem kleinen 
Kind ein Durchſchlüpfen verſtattet hätten. Und 
hielt ſich vielleicht noch Jemand hinter den überall 
umherhängenden Kleidern verborgen, um jpäter 
feine Zeit abzuwarten und den Platz heimlich zu 
verlajjen ? 

Roneiro befahl den Frauen an der Thür zu 
bleiben, während er hinüber in jein Zimmer ging 
um eine Waffe zu holen, ja er fühlte ſich da— 
dur noch nicht einmal ficher, denn er zog von 
innen den Schlüfjel ab und ſchloß von außen zu 
— dann eilte er hinüber, holte feinen Revolver 
und fehrte nun zurüd, um das Garderobezimmer 
auf das genauejte zu unterfuhen — doch ohne 
den geringjten Erfolg. Die alte Dienerin jchüt- 
telte auch dabei fortwährend nur verächtlich den 
Kopf, denn was fie gejehen hatte, verjtecte ſich 
nicht hinter aufgehangenen Kleidern oder in 
Schränfen, ſondern erjchien und verſchwand, wie 
ein ordentlicher Geiſt es immer thut. 

Das Gemach jelber, weit Eleiner als das 
Zimmer, welches Inez bewohnte, war wie biejes 
mit dunklem Holz, und in fünjtliher und ge= 
Ichnigter Arbeit wirklich geſchmackvoll getäfelt, 








225 


und mochte in früherer Zeit wohl von dem Abt 
oder Prior bewohnt gewejen jein, aber nirgends 
ließ fi, jo genau Roneiro audy überall umher: 
leudhtete, ein Ausweg erkennen, nody gab bie 
Wand, wo er au immer gegen diejelbe Flopfte, 
einen verjchiedenen Klang. Hinter den Kleidern 
und in den Schränken hielt fih aber eben jo 
wenig Jemand verjtedt, denn ein Wiejel hätte 
ihm nicht bei feiner Unterfuchung entgehen fönnen, 
viel weniger denn ein großer, ausgewachjener* 
Mann, und er mußte zulegt, wohl oder übel, 
eingeftehen, daß er die Erjcheinung jelber nicht 
begreife. Wenn er aber glaubte, daß er die 
Sache damit abgemacht habe, jo irrte er ji 
vollſtändig, denn das Gejpenjt — und ein ſol— 
es mußte es gewejen ſein — hatte einen 
furchtbaren Eindruck auf die Frauen gemacht. 

„Señor,“ ſagte die alte Dienerin mit |cheuer, 
aber nichtsdejtoweniger fejter Stimme — „ich 
bin jeßt neunzehn Jahr in Ihrem Haufe und 
in Ihrer Familie, und eine bejjere Herrichaft 
giebt e8 in Merico nicht, aber das Haus bier, 
in dem Sie wohnen, ijt verflucht — der alte Prior 
bat e8 jelber gejagt.‘ 

„Aber Candelaria, ich bitte Di um Gottes 

Fr. Gerftäder, In Merico. II. 15 


226 _ 


willen,’ rief Roneiro, „mach' Du mich nicht aud) 
noch verrüdt.‘ 

„Rein, Señor, das will ich nicht,‘ erwiederte 
die alte Perſon ernjthaft, ‚aber ih habe mein 
Seelenheil auch vor Augen, und jo wohl id mid 
jonjt hier fühlen mag, und ob mir aud das Herz 
brechen wird, wenn id) von meiner Inez fort 
muß, die ich jelber genährt und großgezogen 
— ih darf nicht länger bleiben — ih muß 
fort.‘ 

„Aber nicht ohne uns, Candelaria,“ ſprach 
die Señorita mit eiferner Ruhe. „Das iſt die 
legte Nacht, die ich in dieſem Haufe — nicht 
ſchlafe, aber zubringe, weil ich nicht um Mitter: 
nacht auf die Straße kann. Aber morgen in 
aller Frühe paden wir unjere Sadhen zujammen 
und verlafjen die Stätte, auf der der Fluch des 
Himmels ruht.” 

„Aber Dominga !’ 

„Rein Bautifta, nein,” ſagte mit fejter Ent- 
Ihlofjenheit vie Frau, „was helfen mir alle Schäße 
der Welt, wenn ich mein Kind verlieren — 
wenn ih Euh Ale nad und nad abjterben 
jehen joll, nein. Berfaufe Alles was wir haben, 
meinen und Inez' Schmud — wir werden ihn 
jo nicht länger brauchen, denn ein Leben trojt- 


Iofen Jammers liegt vor uns, der Mönd hat 
es gejagt und — die Todten lügen nit.‘ 
„Ob, fort von bier Mutter, — fort!” bat 
auch jetzt Inez mit leijer, weicher Stimme, 
„mir iſt es jest ſchon, als ob die Mauern über 
uns zufammenftürzen müßten, als ob idy nicht 
athmen Eönnte in den dumpfen Räumen.’ 

„Ja ich bleibe auch nicht länger, Señor,“ 
fagte das junge Mädchen fhüchtern, „ver Prior 
bat uns Alle bier verflucht, und wenn ber Tag 
anbricht, gehe ich in die Meſſe und Beichte.“ 

Roneiro nickte ſtill und ſchweigend vor fidh 
bin. Das hatte ihm noch gefehlt, um dem Faß 
den Boden auszuftogen — ein Geiſt mußte er— 
jheinen, um ihn.rihtig von Haus und Hof zu 
treiben. Aber er jah auch ein, daß es hier nicht 
länger fo fort ging, wenn er nicht jelber verrüdt 
werden wollte. Er begriff freilich das Ganze 
eben jo wenig, da e8 ja alle Vier bezeugten und 
feft darauf beftanden, und in feiner Verzweiflung 
rief er endlich aus: 

„Gut! morgen in aller Frühe ſuche ih uns ein 
andere8 Quartier — verlaßt Euch darauf. Sch 
halte mein Wort und hr follt feine weitere Nacht 
mehr in dieſem — verwünſchten Haufe wohnen. 


Aber jett gebt denn auch Frieden und laßt nur 
15* 


227 


228 


die Inez Ichlafen, denn mitten in der Nadt 
können wir ja doch nicht auf die Straße ziehen.“ 

„Ob, hätteſt Du unferen Bitten vor langen 
Monden jhon nachgegeben,‘ Elagte die Frau, — 
„Vieles — Vieles wäre dann nicht jo gekommen!“ 

„Jetzt iſt e8 aber einmal gejchehen,‘ rief 
Roneiro, deſſen Geduld fich ebenfalls an der 
außerjten Grenze befand, „ſo jeht denn zu, wie 
Ihr dieſe Naht noch verbringt, und beunruhigt 
mir das Kind nicht zu jehr. Gandelaria, id 
glaube Ihr thätet befjer, in Eure eigene Stube 
zu gehen.” 

„Ich? allein jeßt die Treppe hinunter und 
über den dunfeln Gang, an dem die alte Capelle 
liegt’ rief die alte Indianerin — „und wenn 
Sie mir jagten, daß ich mein Gewicht in Gold 
dafür befommen follte, icy thät’s nicht, Seiior — 
nicht um alle Schäße der Welt. Heute find bie 
Geifter der Verftorbenen in dem alten Haus 
auf den Füßen, und es jollte mich gar nicht 
wundern, wenn wir nody mehr Beſuch Friegten.” 

Don Bautijta fuhr ſich in Verzweiflung mit 
ber Hand dur die bunfeln Haare, aber er 
wußte recht gut und aus langer Erfahrung, daß 
mit den Frauen gar nichts anzufangen war, 
jobald fie fi nur einmal irgend Etwas in ben 


u: 
4 2 : 


Kopf gejeßt Hatten, was mit ihrem Glauben oder 
Aberglauben zufammenhing. Außerdem begriff 
er das Ganze jelber nicht, denn die Thür war 
von innen verriegelt gemejen, einen andern 
Ausweg gab es nicht, und daß jih jetzt Nie— 
mand mehr in dem Zimmer befand — halt — 
er hatte noch nicht unter dem Bett und Sopha 
nachgeſehen. Er nahm die Lampe vom Tiſch und 
leuchtete auch bier überall umber, während bie 
Gandelaria freilich verächtlih dazu lächelte — 
aber e8 war auch da Nichts. Was es auch ge— 
wejen, wenn Förperlich — befand es fich nicht 
mehr in ben beiden Räumen, und ein wirklicher 
Spuf? Don Bautijta fing jelber an fih un: 
behaglich zu fühlen, bot den rauen noch eine 
haftige gute Nacht, ging zu der Tochter, küßte 
jie leife und zärtlih auf die Stirn, und verließ 
dann das Gemach, das die Kandelaria wieder rajch 
und feſt hinter ihm verriegelte. Drüben aber warf 
er fich angefleidet auf fein Lager, denn er wollte 
wenigjtens für alle Fälle vorbereitet bleiben. 
Die Nacht verjtrich übrigens von da ab voll» 
fommen ruhig, und feine Störung fiel mehr vor 
— das Schlimmjte war aud in der That ge— 
ihehen, und wenn fih Don Bautifta jelber am 
Morgen bei hellem Tag und mit ruhiger Ueber: 


229 


230 


legung wieder fehr vor dem Gedanken fträubte, 
fein Haus bier aufzugeben, blieb ihm doch zu= 
legt feine andere Wahl. Nur eine Andeutung 
dahin gegen den weiblichen Theil, und jie Alle 
erklärten einjtimmig, daß jie dann hinaus auf 
bie Plaza ziehen und lieber unter freiem Himmel 
und in Sturm und Unwetter jchlafen wollten, 
als noch eine Nacht in dieſen „heimgejuchten‘‘ 
Räumen, und damit war die Sade denn 
allerdings erledigt. 

Don Bautijta, der ja auch eine ſolche Mög- 
lichkeit Schon feit jeiner Tochter Krankheit in’s 
Auge gefaßt, wo die Klagen im eigenen Haus 
begannen, wußte nicht weit von ihnen entfernt 
eine ziemlich freundliche, wenn aud etwas be— 
ſchränkte Wohnung, die ein franzöfiiher Com— 
miffär mit feiner Familie bezogen hatte, jie aber 
wieder räumen mußte, da er nah Vera-Cruz 
verjeßt wurde. Dorthin ließ er dann über Tag 
wenigitens das Nöthigite Schaffen, um doch den 
rauen einige Bequemlichleiten zu bieten. Aber 
er bejtand darauf, den Reſt der Sachen jo lange 
in der alten Wohnung zu lafjen, bis er ein für 
fie pajjendes und geräumiges Haus gefunden, 
damit jie den fatalen Umzug nicht doppelt hätten. 

Ueber die Rüdgabe jeines Haujes an den 


231 


Klerus behielt er fich übrigens im Stillen feinen 
Entihluß noch vor, denn die Sache hatte no 
Zeit und gar Feine Eile. 


* 
* * 


Der Kaiſer war heute auf eine längere In— 
ſpectionstour ausgeritten, und zwar um die con— 
cejfionirte und ſchon ausgelegte und begonnene 
Bahnſtrecke zu befichtigen, die von Merico aus 
bor der Hand nad Apizaco führen jollte, um 
ji jpäter mit der jetzt bis Pafo del macho be— 
endeten und über Soledad von Vera-Cruz kom— 
menden zu vereinigen, während Puebla eine 
Zweigbahn nad) Norden zu legen beabjichtigte 
und dadurch— dann ebenfalls ſowohl mit dem 
Hafen wie der Hauptitadt in directe Verbindung 
trat. Die Schwierigkeiten, welche der Bau dieſer 
Bahn im Ganzen bot, waren in der That nicht 
gering, denn eine Höhe von über 4000 Fuß 
blieb zu überwinden, um die Hochebene von 
Merico aus dem tieferen Land und der Tierra 
caliente heraus zu erreichen, aber tüchtige eng: 
liche Ingenieure hatten die Sache in die Hand 
genommen, und enorme Bortheile mußten bem 
Verkehr erwachſen, wenn die Sache Erfolg hatte. 

Allein durfte Marimilian aber nit einmal 


232 


die Tour in der unmittelbaren Nähe jeiner 
Hauptitabt unternehmen, denn jelbit bier war 
man nicht fiher, ob nicht eine jo günitige Ge— 
legenheit, jich des Oberhauptes zu bemächtigen, 
von irgend einer Truppe benüßt werben würde, 
und wenn es felbjt nur deshalb gewejen wäre, 
um ein bedeutendes Löſegeld heraus zu prefjen. 
Es begleitete ihn deshalb eine Escadron feiner 
treuen öfterreihijhen Hujaren, den jungen 
Grafen Khevenhüller an der Spite, und neben 
dem Kaifer dahin jprengend flogen die waderen 
Thiere jetzt, die Stadt hinter fich lafjend, an 
Guadelupe, dem Gnabenort, vorüber, auf dem 
ichmalen Damm dahin, der die beiden Seen 
Tezcoco und St. Chriſtobä von einander trennt. 

Aber fo heiter und mittheiljam der Kaiſer 
ſonſt auf ſolchen Eleinen Ausflügen fein konnte, 
und jo wohl er ſich gerade dann in ber freien 
Luft und im Sattel fühlte, heute jchien er ernſt 
und in fich gefehrt, und während jein Blick bald 
rechts hinüber nad) ven Vulfanen, bald über die 
Seen hin und nad) den fie umjchliegenden. Ber- 
gen flog, hatten ſich doc, troß der eigenthüm— 
lihen und pradtvollen Scenerie, die ji bier 
vor ihm ausbreitete, jeine Brauen finjter zu— 
jammengezogen, und trübe, ja recht ernite Ge— 


233 


banken mochten e8 auch fein, die fein Herz be— 
wegten und feine Stirn verbüjterten. 

Meiter und weiter verfolgte indeß die Truppe 
in einem ſcharfen Trab ihren Weg; jchon hatten 
fie die Seen Hinter fih, und an ihrer linken 
Seite, während ſich rechts eine weite fruchtbare 
Ebene, mit verjchiedenen Fleinen Ortichaften be— 
ſät, ausdehnte, hoben fi die mit Mageh be- 
pflanzten niederen Hügel. 

Dieſe Magehhügel bilden eine wirklich ſonder— 
bare und eigenthümliche Scenerie und geben ber 
Landſchaft allerdings etwas Düfteres, Dedes, und 
bo haftet das Auge wieder gern an ihnen, denn 
jo fremd, jo wunderlich in ihrer ganzen Er- 
Iheinung liegen fie da. 

Die Mageh, eine der größten und ftärfiten 
Agavenarten, die wild allerdings über bie ganze 
Hochebene von Merico wächſt und bier auch ihre 
eigentliche Heimath hat, wird aber bejonders in 
diefer Gegend bis Apizaco und noch weit darüber 
hinaus, wie rechts und links in alle Berg- und 
Hügelfetten hinein, auf das jorgjamjte gepflegt, 
in tief gegrabenen Boden und in lange Reihen 
gepflanzt, und hen ihr Name „die Kuh des 
Landes“ beweift, wie geſchätzt der Nuten ift, den 
fie den Bewohnern Mericos liefert. — Was 


234 


wäre der Mericaner ohne Bulque! — Und dabei 
find e8 ganz pradtvolle Pflanzen, von einem 
dunkeln aber troßdem glänzenden Grün, die dicken 
fleifhigen, von Saft durchſtrömten, aber aud 
mit jcharfen Stacheln bewehrten Blätter — 
man möchte fie faft Arme nennen, in grazidjer 
gebogener Form jo weit oft ausbreitend, daß 
eine einzige Pflanze einen Raum von 15—18 Fuß 
im Durchmeffer in Anjpruh nimmt und damit 
einen Flähenraum von oft mehr als 150 QDuadrat= 
fuß bebedt. 

Wo fie wild wachſen oder nur zu Heden 
und Einfaſſungen benüßgt werden, treiben fie 
auch einen riefigen Blüthenſchaft, einer Fleinen 
Telegrapbenjtange gleich — in dieſen Pulque— 
Anpflanzungen wird ihnen das aber nicht ge— 
ftattet, denn gerade in der Zeit, wo dieſer Schaft 
ausbredhen will, muß der Pflanze das Herz aus— 
geftoßen und in der Mitte ein Beden geformt 
werden, in bem ſich der ganze Saft nad und 
nad anjammelt. Hat jie dann bahinein alle 
ihre Kräfte erfchöpft, jo verwelft jie und ftirbt ab. 

Dieſe Mageh find dort in langen, faft end— 
loſen Reihen angepflanzt und ziehen fich oft, jo 
weit ihnen das Auge nur folgen kann, zwijchen 
und an den Hügeln bin und in die Thäler 


235 


hinein, und fleißiges Menſchenvolk kriecht da— 
zwiſchen herum. Theils ſind dieſe beſchäftigt, 
die jungen Sprößlinge von angezapften Stöcken 
zu entfernen, damit ihnen nicht auch die Lebens: 
fraft entzogen wird, theil8 um die Ernte an 
jebem Tage aus der im Innern geformten „Caja“ 
mit einem langen Flaſchenkürbiß als Heber her- 
auszuziehen und in mitgebradhte Schläuche zu 
füllen, mit denen fie dann jchwerbeladen zu 
Thal Feuchen. 

Weiter jieht man aber dann an diejen Hän— 
gen feinen Baum, feinen Strauch — nur ber 
Mageh iſt das Wachsthum bier geftattet, und 
nur zwilchen venjelben gedeiht noch ein bürftiges 
Gras und wilde Feld- und Waldblumen in Fleinen 
Bülchen. 

Dort hinüber, der Thaljohle folgend, die fich 
von da ab um die Gebirgskette der Vulkane nad) 
Oſten hinüberzieht, Tag die ſchon abgejtedte und 
bezeichnete, ja an manchen Stellen jelbjt in An- 
griff genommene Bahn, die auch bier einem jehr 
günftigen Terrain folgte, und ohne Schwierig 
feit fajt bis zur Dftfeite der Gebirge getrieben 
werden Fonnte. 

Des Kaijers Antlib heiterte jich bier etwas 
auf; er jah das gejhäftige Treiben, das er als 


- 


236 


fein Werk betrachten fonnte — er wußte, wel: 
hen Segen dieſe Bahn, erit einmal vollendet, 
dem Lande bringen müſſe, und Schon darum fühlte 
er eine Art Genugthuung, die fich jteigerte, als 
er von den Arbeitern erfannt und mit en= 
thuſiaſtiſchem Zuruf und Hütejchwenfen begrüßt 
wurde. 

Marimilian war leicht empfänglich für jolche 
Eindrüde, Thränen jtiegen ihm dann in's Auge, 
jein Antlit belebte fih, und freundlich und gütig 
grüßte er nach allen Seiten. Er ſtieg bort für 
furze Zeit vom Pferd und bejah fi die be— 
gonnenen Arbeiten in der Nähe, ebenjo die raſch 
errichteten Hütten der Arbeiter jelber, die mit 
welfen Magehblättern gebect, nur an der Wetter: 
jeite gefhüßt waren und einen höchſt eigenthüm— 
lichen Anblid boten. Das Volk dort iſt aber 
nicht verwöhnt und das Klima auch noch immer 
mild genug, troß der hohen Lage, um nicht viel 
Vorbereitungen gegen kalte Witterung zu er 
fordern. 

Der Kaiſer hatte feinen Zweck erreiht und 
wenigftens mit eigenen Augen gejehen, daß ber 
Bau der Bahn Scharf in Angriff genommen 
wurde, War e8 dabei der Ritt in der frifchen 
Morgenluft, war e8 der Anblick thätigen Lebens 


237 


und Fortſchritts gewejen, war es die frembartige 
Scenerie, die ihn umgab und über die ſich freund- 
lid dev blaue Himmel jpannte, aber er wurde 
jelber freundlich und geſprächig und unterhielt 
fih mit dem jungen Grafen an feiner Seite be= 
jonders Tebhaft über die Hoffnungen, die er an 
ven Bau der Eifenbahnen überhaupt für Merico 
nüipfe. Dadurch mußte ja aud) ein ganz ans 
deres, mehr geregeltes Leben entjtehen, und ber 
Ackerbau viel Leichter auf den raſchen und bes 
guemen Verkehrswegen jeine Producte verwerthen 
fönnen, wie den Kohn feiner Thätigkfeit ernten. 

Der Zug hatte fi) dabei anfangs in einem 
leichten Trab gehalten und war endlich, um bie 
Pferde abzufühlen und den Schönen Morgen wie 
den Anbli der jeßt wieder vor ihnen aus— 
gebreiteten Seen mit dem ganzen prachtvollen 
Theile von Mertco befjer genießen zu können, 
in Schritt gefallen, als fie einen Neiter auf der 
Straße in vollem Galop hinter ſich heriprengen 
hörten. 

Die Hufaren hatten fih ſchon lange nad) ihm 
umgejeben, aber den einzelnen Mann auch nicht 
beachtet, bis er jeßt heranfam und jelber ein— 
jügelte, um von den Lebten zu erfragen, wer an 
der Spitze reite. 


238 


„Der Kaifer, amigo.” 

„Caracho,” late ver Mann, „und was madt 
der bier draußen ?' | 

Die Hufaren hielten e8 unter ihrer Würde 
ihm barauf zu antworten, und nur ber Eine 
frug ibn: „Und wo fommft Du ber?’ 

„Bringe Depejchen für das Hauptquartier.” 

„Gut, die kannſt Du gleich bier abgeben und 
eriparjt den Weg.’ 

Der Mann jchüttelte den Kopf, fpornte aber 
jest jein Pferd etwas mehr an, um nach vorn 
und dann auch vorbei zu fommen, denn der Zug 
ritt ihm zu langjam. 

Das Wort: „ein Courier,’ Hatte fich indeß 
unter der Schwabron nad) vornhin fortgepflanzt 
und erreichte auch den jungen Obrift, der den 
Kopf nad ihm wandte. 

„Majeſtät, es jcheint ung ein Courier von 
ber Küſte her überholt zu haben. Wünſchen Sie 
ihn zu ſprechen?“ 

„Hat er Depefhen für mid?’ ſprach ber 
Kaiſer raſch, jein Pferd einzügelnd. 

„Depeihen für Seine Majeſtät?“ frug Graf 
Khevenhüller den Boten, der jebt, mit der Hand 
am Hut, an ihn heranritt. E8 war ein gewöhn- 
licher Mericaner, ein Halbindianer, in Serape 





239 


und Sombrero, die Cherivalles aus einfacher 
rohgegerbter Kuhhaut, ohne jede Verzierung. Ein 
einzelner franzöfifher Courier wäre auch 
überall der Gefahr ausgefegt gewejen, von ben 
Liberalen oder felbft einzelnen Trupps der Landes— 
finder angegriffen und erfchlagen zu werben; ben 
Mericaner ließ man aber überall ruhig paffiren 
und er war feiner Gefahr ausgejeßt. 

„Rein, Señor,“ antwortete dieſer aber auf 
die Frage — „nur für das Hauptquartier. Die 
Depeſchen find direct an den Marſchall adreffirt 
und ich darf jie nur in feine eigenen Hände 
geben.’ 

Die Brauen des jungen Grafen zogen fich 
finjter zufammen, und fein Bli fuchte flüchtig 
das Antli des Kaijers, aber ein Lächeln glitt 
über defjen Züge, und Graf Khevenhüller frug 
nur noh — „Woher fommt $hr? von Vera: 
Cruz?“ 

„Rein, Señor — nur von Puebla.“ 

„Und iſt da etwas Beſonderes vorgefallen, 
muchacho?“ wandte ſich jetzt der Kaiſer ſelber 
an ihn — „etwas Wichtiges?“ 

„Das ich nicht wüßte, Señor,“ ſagte der 
Mann, der doch wohl den Kaiſer in ihm erkannte, 
aber an die gehörige Anrede nicht gewöhnt war. 


240 
— ‚Bor ein paar Nächten ijt ihnen nur ber 
General Diaz durchgebrannt.“ 

„Porfeirio Diaz?’ rief der Kaijer raſch. 

„Ja, Señor — Borfeirio Diaz — rein weg, 
und haben feine Spur wieder von ihm gefunden. 
Man glaubt, daß die frommen Väter dahinter 
ſtecken, und der franzöfifche General ift wüthend.“ 

Der Kaijer lächelte. „Da hätten die Pfaffen 
doch einmal etwas Gefcheidtes gethan,“ wanbte 
er fi in deutſcher Sprache zum Grafen. „Ich 
halte diejen General Diaz für den anjtänbdigiten 
Republifaner und gäbe viel darum, wenn id) 
ihn für ung gewinnen könnte.“ 

„Er wird aber wieder ein Heer zujammen zu 
bringen ſuchen,“ jagte der Graf. 

Der Kaifer jchüttelte ven Kopf. — „Woher 
ſoll er es nehmen? Nein, lieber Graf, ich glaube, 
die Sache ijt jet vorbei. — Haben Sie denn 
nicht gehört, daß jeßt Gonzales Ortega, ber 
Juariſtiſche Werbecommifjär in den Vereinigten 
Staaten, ſchon ebenfalls Anſpruch auf die Prä— 
fident{haft mat? — aber Du kannſt gehen, 
mein Burſche,“ wandte er fid an den Courier, 
der noch mit dem Hut in der Hand langjam 
neben dem Kaifer Hinritt — „gieb nur Deine 
Depeſchen an den Marſchall ab, und dann 


241 


wieder fortfahrend jagte er: „Die Liberalen 
wiſſen jetzt alſo jelber nicht mehr, wen fie zum 
Präfidenten haben wollen. Juarez erklärt aller- 
dings, daß er fortregieren werde, aber womit? 
und fommt wirflic Ortega an die Reihe, jo iſt 
der mit leichter Mühe abzufaufen. Nein, wie 
ih mir Porfeirio Diaz denke, jo wird er fidh 
jegt über den Stand der Dinge zu unterrichten 
Juden und dann wahrlich felber den Frieden 
niht mehr brechen.‘ 

„Es wäre ein Glüd, denn der Krieg wird 
jet zu blutig geführt.‘ 

„Das ift es ja, was mir am Leben frißt,“ 
jagte der Kaijer, und wieder legte ſich jener 
dunkle Schatten über feine Züge. „Haben Sie 
gehört, wie Mendez da oben bei Uruapan ges 
wüthet hat? General Arteaga, den Einzigen, der 
noch ein wirkliches Heer befehligte, Salazar, den 
andern Chef, und die beiden Obriften Diaz und 
Villagomez bat er erichießen lafjen, ehe noch das 
Octoberdecret in Wirkſamkeit treten follte, ja 
eigentlich noch vor feiner Veröffentlichung, wo 
er nur auf geheimem Wege Mittheilung davon 
haben Fonnte. Das iſt aber Bazaine's Werk, 
der jet um jeden Preis, fobald er fi nicht 
dabei compromittirt, Ruhe haben will und, wie 

Fr. Gerftäder, In Merico. II. 16 


242 


ich gehört Habe, jogar dem Decret noch einen 
verihärften Zufaß gegeben hat.‘ 

„Es wird böjes Blut im Lande machen.’ 

„Gewiß, und das mit vollem Recht. Ich 
babe auch augenblidlic einen Courier an Mendez 
gefandt und ihm befohlen, jämmtlihe Kriegs: 
gefangene, die noch in feinen Händen find, direct 
ber nad Merico zu ſchicken. Ich will dieſe 
Metzeleien nicht.” 

„Arteaga hat fih übrigens auch viel zu 
Schulden fommen laſſen,“ fagte der junge Graf. 

„Ja, ich weiß es,“ nickte der Kaifer, ‚aber 
ich bitte Sie, wer hier im Lande nicht? Nehmen 
Sie diefe Dupin’ihe Contre-Guerilla. Giebt 
e8 einen Mericaner im Land, der größere Scheuf: 
lichkeiten verübt hat, als diefer ſonſt ganz tapfere 
und unerjchrodene Dupin? Er ift der Schreden 
des Landes, wohin er fommt. Was hat jener 
General Marquez, der angeblich zum Kaiferthum 
Iteht, in Tacubaya gethan? nicht allein die ge: 
fangenen Officire, nein auch jelbjt — unglaublid 
aber wahr — die Aerzte hat er erjchießen lafjen. 
Was thun alle unſere mericaniichen Generale, 
Mejia vielleiht ausgenommen? In Europa 
würden wir als Wiedervergeltung für eine jolde 
Sceußlichfeit im Krieg vielleicht berechtigt fein, 


243 


da ſolche Verbrechen dort nur als Ausnahmen 
gelten fönnten und auch ausnahmsweije bejtraft 
werden müßten. Hier aber ift e8 die Regel, 
und ich jehe ein, daß man den Mord nicht zur 
Regel machen kann, wenn man fich nicht jelber auf 
eine Stufe mit diefen Menjchen jtellen will.‘‘ 

„Aber das Decret ijt nun einmal erlafjen, 
Majeſtät.“ 

„Allerdings — aber ich habe ſchon nach ver— 
ſchiedenen Richtungen hin und an unſere Leute 
Contre-Ordres gegeben. Wollen die Fran— 
zoſen in ſo blutiger Weiſe vorgehen, ſo mögen 
ſie's auf eigene Verantwortung thun, aber ich 
kann den Mexicanern wenigſtens zeigen, daß ich 
nicht ihr Blut, ſondern ihr Glück und den Frie— 
den ihres Landes will. — Sehen Sie dieſes 
Land,“ rief er plötzlich, indem er ſeinem Thier 
in die Zuͤgel griff und dadurch die ganze hinter 
ibm berfommende Schwadron zum Stehen brachte 
— ‚Sehen Sie dorthin, Khevenhüller, und jagen 
Sie mir, ob Gott der Herr mit al’ der Pracht, 
bie er über die Erde ausgejtreut, etwas Schö— 
neres, etwas Herrlicheres gejchaffen! Es ijt nicht 
möglich, joweit fih das Weltall dehnt — und 
das Lamb in ewigem Aufruhr!‘ 

Sie hatten in der That hier einen der ſchön— 

16% 


re El © 


244 


jten Bunfte erreicht. Nachdem jie den bie beiden 
Seen trennenden Damm wieder pajfirt und ben 
MWalfahrtsort Guadelupe erreicht hatten, lag 
die Hauptſtadt mit ihren Häufermafjen und der 
daraus emporragenden pradtvollen Kathedrale 
vor ihnen. Dicht an ihrer Linken der Tezcoco: 
jee, im Süboften ragten bie herrlidhen, in ber 
Sonne ordentlih funfelnden Vulkane empor, 
und ein ſolch unbejchreiblicher Schmelz lag über 
der ganzen Landſchaft, daß er das Herz aud 
eines weniger für Naturjchönheiten empfänglichen 
Menſchen, als es Marimilian war, entzüct haben 
würde. 

„Das Paradies der Erde!” rief der Kaijer 
aus. „Die Mericaner find wahrli in ihrem 
Recht, wenn fie behaupten, Gott der Herr habe 
ich, nahdem er die Welt erjchaffen, ein bejon- 
beres Tenjter im Himmel offen behalten, um 
immerbar auf fein Lieblingsland, auf Merico, 
berabfchauen zu können. Und was haben bie 
Menſchen daraus gemacht? Es ijt ein Jammer, 
wenn man es bedenkt, und wie ſtolz könnte ich 
ſein, wenn es mir beſtimmt wäre, dieſes Land 
zu dem reichſten und glücklichſten zu machen. — 
Doch kommen Sie — die Wünſche und Träume 
helfen uns Nichts — wir wollen handeln.“ 


245 


Und wieber ließ er feinem Thier die Zügel, und 
der ganze Zug legte ben nochzübrigen Weg nad 
der Hauptjtabt in einem ſchwachen und burd 
Nichts mehr unterbrochenen Trab zurüd, 


8. 
In Guerrero. 





Der wildejte und zerflüftetite Staat des wil— 
den und zerflüfteten Merico ijt der Staat Guer— 
rero, der jih vom 15. bis 17. Breitengrad jchräg 
am jtilen Meer hinaufzieht und an feiner Oft: 
grenze bis fajt an das der Hauptjtadt benachbarte 
Euernavaca hinanreicht, wo fich der Kaifer in 
bem alten Cortez:Balaft eine Sommerrejidenz 
errichtet Hatte. 

Hier in Guerrero hauſte der Togenannte 
„alte Panther von Guerrero“ unumſchränkt und 
verdankte diefen fajt poetiſchen Namen viel weni: 
ger feiner Tapferkeit und feinen „echt republifa: 
niſchen“ Gefinnungen, wie die republifanijde 
Preffe in Amerifa und Europa e8 zu verbreiten 
ſuchte, ſondern einzig und allein fowohl ber Un: 





247 


zugänglichleit als ebenjo Unbrauchbarkeit feines 
wilden Landes. 

Schon zu Zeiten der Spanier hatte Alvarez’ 
Vater, ein Indianer, der fich indefjen taufen ließ 
und einen Spanischen Namen annahın, jenen ab= 
gelegenen Theil der Berge, dem man bei ber 
legten Eintheilung den Namen Guerrero gege: 
ben, inne gehabt, und fich ziemlich unabhängig 
dort von den ſonſt rückſichtslos herrichenden Vice: 
Eönigen gehalten. — Als aber -in den jpäteren 
Unabhängigfeitsfriegen und denen folgenden Re: 
volutionen und Pronunciamentos die Regierun— 
gen der Art wechjelten, daß, ehe die Kunde von 
einem Präfidenten nach dem entfernten Dijtrict 
gelangte, ſchon ein Anderer das Staatsruder 
wieder an fich geriffen hatte, behauptete jich deſſen 
Sohn Alvarez in feinem alten Reich — angeb: 
ih al8 Gouverneur der in Merico zeitweilig 
berrihenden Regierung, — in Wirklichkeit aber 
vollfommen jo unabhängig wie ein wirklicher 
Monarch, jo daß er auch nur felbjt ven Namen 
einer Republik — blos der Bequemlichkeit wegen 
und um langweilige Erörterungen zu vermeiden 
— beibebielt. 

Selbjt Juarez, dem fich vor der Intervention 
jo ziemlich das ganze Land unterworfen, mußte 


248 


ihn in ſeiner natürlichen Feſtung, ſeinem Reich 
anerkennen. Er wußte recht gut, daß es un— 
möglich fein würde, den alten ſtarrköpfigen In— 
dianer zu irgend Etwas, dem er fih nit gut— 
willig fügte, zu zwingen, oder gar das Land zu 
erobern und zu behaupten, und madıte deshalb, 
Flugerweije, nicht einmal den Verſuch. 

Lebt, nach der Intervention und nad) Grün— 
dung des Kaiſerreichs, würde Alvarez wahrſchein— 
lich eben jo wenig Etwas dagegen gehabt haben, 
ben Kaifer, wie früher den Präfidenten anzuer— 
fennen — er betrachtete das gerade jo, wie etwa 
ein europäiſcher Staat eine Kaijerwahl in China, 
die ihn weiter nicht berührte. — Was ging ihn 
Merico an, jo lange er in feinem Kleinen Staat 
fortregierte. Aber die Franzoſen, mit den Ber: 
bältniffen des Landes nicht jo bekannt, und mit 
dem Wunjch, dabei den in Guerrero liegenden, 
nicht unbedeutenden Hafenplag Acapulco für fich 
zu gewinnen, glaubten, ven Staat eben jo Leicht 
erobern zu können, wie alle bie übrigen, und 
rücdten denn auch von Guernavaca aus, wo die 
Berge noch nicht jo wild und zerriffen find und 
eher eine Paſſage möglidy machen, direct hinein. 

Das aber nahm der alte Alvarez, der auch jebt 
Ihon einen Sohn von nahe an dreißig Jahren 


249 


zur Stüße hatte, übel, rief jeine Pinto: ndianer 
zulammen, bejeßte die beiten Päſſe und Ströme, 
und trieb denn auch richtig die Franzoſen, denen 
in dieſen Bergen ihre Gejhüge gar nichts 
halfen, mit blutigen Köpfen wieder heim. 

Tranzöfiiche Berichte meldeten allerdings, daß 
franzöfiihe Truppen bis über den Mescal-Strom 
und in das Herz des Landes vorgedrungen jeien, 
um die Hauptjtadt zu belagern, wo jie freilich 
wegen Mangel an Geſchütz und unzureichender 
Mannſchaft den Verſuch hätten aufgeben müfjen. 
Es iſt das aber nur einer der gewöhnlichen fran= 
zoͤſiſchen Schlachtenberichte, die bejonders für die 
große Nation fabricirt wurden und weiter feinen 
Zwed hatten. E8 war einfach nicht wahr. Die 
Franzoſen haben den Mescal, einen ganz anftän= 
digen Strom, der an ber Oſtkette der Vulkane 
entipringt, durch ganz Guerrero ftrömt und oben 
im Norden die Grenze zwifchen diefem Staat 
und Michoagan bildet, nie überfchritten. Sie 
jind bis an defjen rechtes Ufer gefommen, aber 
nicht weiter, und haben dann den Rückzug antre= 
ten müffen. Sie wären aud in den Engpäffen 
des inneren Landes verloren geweſen. 

Alvarez herrſchte von dem Augenblid an 
wieder jo unabhängig in feinen Bergen wie vor- 


u 


250 


ber, und herrſchte jo noch — wenigjtens ber 
Sohn — bis auf den heutigen Tag, ohne ſich 
um den Kaiſer oder AJuarez zu kümmern. Er 
bat jett allerdings einen Contre-Gouverneur in 
einem früheren General Ximenes gefunden, aber 
das hatten audy nur wieder die Beiden unter fich 
auszumahen. Die Regierung in Merico be: 
fümmert ſich Elugerweije gar nicht darum und 
ift vollitändig zufrieden, wenn fie die Zölle in 
Acapulco erheben kann. 

Der Staat Guerrero ijt unermeßlih reich an 
Tarbehölzern und wahrjheinlih aud an Mine: 
ralien. In jeinen breiten Thälern könnten dabei 
alle nur erdenklichen Producte gezogen werden, 
denn was man anpflanzt gebeiht, aber e8 wird 
faft Nichts angepflanzt. Die ewigen Revolutio- 
nen, wenn jie auch Guerrero nidht bejonders 
berührten, übten doch ihren verderblichen Einfluß 
dadurch aus, daß die jungen Leute fortwährend 
dem Land entzogen und an die Grenze gejchict 
wurden, und ber Erport dedt nicht einmal den 
Import des jpärlich bejiedelten wilden Landes. 

Aber was für eine prachtvoll wilde Scenerie 
bietet es nad) jeder Richtung, jeßt zu den Tro— 
pen nieberjteigend, jet jich hoch in die gemäßigte 
Zone zwiſchen Kiefer: und Fichtenwaldungen 


251 


dinein erhebend. Murmelnde Bergftröme ftürzen 
dazwiſchen Bin, ſchmale aber teil auflaufende und 
feldbedecte Hänge durchſchneiden das Land nad 
jeder Richtung. Sa felbft den hindurchführen— 
ben Hauptwegen folgend, die man faum Saum: 
pfade nennen fann, find die armen Lajtthiere 
fortwährend gezwungen, an jchroffen Hängen 
emporzuflettern. Wenn fie den Gipfel aber kaum 
erreicht, gähnt wieder ein Abgrund zu ihren 
Füßen, den fie mehr binabrutichen als gehen 
müffen, um an der andern Geite des unten 
dahin jchießenden Bergftromes auf's Neue em= 
porzuflimmen. 

Kanonen auf diefen Wegen? Die eingebo: 
tenen Soldaten find faum im Stand, ihre Mus— 
feten auf jene Bergfättel zu jchleppen, und an 
manchen Stellen könnten zwanzig Mann einen 
Paß gegen eine ganze Armee vertheidigen. 

Hier, hüben und drüben vom Mescal und 
über das ganze weite Land bis zum ftillen Meer 
zerftreut, haufen die Pintos oder jogenannten 
„gemalten“ Indianer, ein wunderliches, ſämmt— 
lid von einer eigenthümlichen Hautfranfheit ge= 
zeichnetes Volk, das ſich aber troßdem vollfom= 
men wohl und glücklich zu fühlen jcheint und 
mit feiner gefledten oder punftirten Haut eben ſo 


252 


unbefangen in der Welt herumläuft, wie bei 
uns mancher ältliche Herr mit einer volllommen 
rothen oder fogar in’8 Blaue jpielenden Naſe 
— ober mit Stern und Ordensihmud. 

Woher diefe Krankheit rührt oder aus was 
fie eigentlich bejteht, weiß fein Menſch. Man 
ſieht und erfennt fie nur, wenn jie die Haut 
erſt unheilbar angegriffen hat, ohne jedoch da— 
durch den Körper felber nur im geringjten zu 
ſchädigen. So viel wird behauptet, daß fie bei 
näherer Berührung anjteden fol, aber auch das 
wodurd iſt ein Räthſel und muß erjt nod 
ergründet werben. | 

Die Pintos find von ziemlich fupferbrauner 
Farbe, und die häufigſte Bezeichnung an ihren 
Körpern iſt durch blaue Punkte und Flecken, 
die, unregelmäßig überall vertheilt, fih aber 
am häufigiten auf der Brujt und an ben Armen 
finden. 

Röthliche Flecken ſchimmern bier und da mit 
unter, ſehr oft fommen aber auch vollfommen 
weiße vor, bejonders bei den Frauen, und zeigen 
ih dann immer zuerft an den Händen. Es giebt 
eine Menge von rauen, die vollfommen und 
faft unnatürlich weiße Hände haben, aber biefe 
Farbe reicht jelten über das Handgelenf, denn 


253 


dort jchließt jie, wie eine Manjchette, ein dunkel— 
blauer oder rother Rand ein, und erſt weiter 
an den Armen hinauf zeigen fie jich wieder. 

Die Männer find dabei Fräftige, muskulöſe 
Öeftalten, gewandt und ausbauernd, die Frauen 
ſchlank und zart, mit oft wirklich hübſchen Ge— 
ihtern. 

Diefe Pintos nun, die Alvarez ſchon von ſei— 
nem Hafenplatz Acapulco aus mit guten Waffen, 
bejonders vortrefflihen amerifanijchen Bajonnet- 
Gewehren verjehen Fonnte, Hatten allerdings 
ihon zweimal die in ihr Land dringenden 
Franzoſen zurüdgewiejen und glaubten vor einem 
dritten Angriff ziemlich fiher zu fein. Troßdem 
bien Diego Alvarez, der Sohn, dem der ſchon 
alternde Vater ſeit Kurzem die Regierung ſei— 
nes Staates überlajjen, ihnen nicht recht zu trauen 
und lag nun, da Juarez im Norden gejchlagen 
worden und audy der Süden fein Heer mehr ge= 
gen den Kaijer in’s Feld ftellen konnte ober 
wollte, mit einer nicht unbebeutenden Truppe 
Soldaten in dem Fleinen Städtchen Mescal, am 
linken Ufer des gleichnamigen Fluffes. Dort 
beberrichte er den von Norden aus ber Haupt: 
ftadt herführenden Weg vollftändig und hielt jo 
gewiſſermaßen Wacht an jeiner eigenen Grenze 


254 


— an ber Grenze wenigjtens, die er bequem 
vertheidigen fonnte. Das Wenige, was er da— 
bei dem Feind von jeinem Lande preisgab, war 
nicht des Haltens werth und Fonnte von ihm 
auch, abgejchnitten von jeder Verbindung, nicht 
gehalten werden. 

Allerdings Hatten die Truppen bort Mühe 
fih zu beföjtigen, denn die Leute erzeugen wohl 
nothdürftig, was fie für fich felber brauchen, 
aber der Fluß war filhreih, Vieh wurde eben= 
falls herbeigetrieben, und außerdem giebt es fein 
mäßigeres Volk als gerade dieje, in einem rau: 
ben Land erzogenen Pintos, die fi mit dem 
Wenigiten begnügen und Nichts verlangen, als 
eben nur ihren Hunger und Durſt zu ftillen. 

Fahrzeuge lagen ‚gar nicht auf dem Strom, 
nicht einmal ein Canoe, und auch Fein menſch— 
liches Wejen war an dem linken Ufer zu erfen: 
nen, al8 an ber rechten fteilen Bank etwa zehn 
Reiter mit einigen zwanzig beladenen Maulthie- 
ren fihtbar wurden, bie aber kaum in feindlicher 
Abjicht kommen Fonnten, oder ſie hätten ſich 
nicht jo offen da gezeigt und ihre Lajtthiere jelbjt 
bis zum Waſſerrand hinabgetrieben. Drüben 
am Uferrand regte es fich aber doch jet — ein 
einzelner Pojten, der im Waldesichatten und 


255 


unmittelbar am fühlen Uferbett gelegen, jprang 
hinaus auf die Sandbank, und ohne erjt einen 
Anruf der Fremden abzuwarten, feuerte er jeine 
Muskete in die Luft ab. 

Das war das Zeichen, und in dem Fleinen 
Drt, der etwa 200 Schritt vom Ufer ab liegen 
mochte, regte e8 fich und wurde lebendig. Trom— 
meln wirbelten, Trompeten tönten, und faum 
waren zchn Minuten vergangen, als fih ſchon 
eine Fleine Truppe von Soldaten zeigte, bie 
raſchen Laufs dem Uebergang zueilte, um jich bei 
drohender Gefahr dort wenigjtens in die Schanze 
zu werfen, bis das Hauptcorps nachrüden und 
fie unterſtützen konnte. 

Die Fremden ſchienen davon aber nicht die 
geringſte Notiz zu nehmen und auch ziemlich 
ſicher zu ſein, daß ſie nicht abgewieſen würden, 
denn während ſich die Pintos drüben wie zu 
einer verzweifelten Vertheidigung rüſteten, pack— 
ten ſie ruhig ihre Laſtthiere und ſattelten ihre 
Pferde ab, und bereiteten ſich ſo auf den Ueber— 
gang über den Strom vor. Nur Einer der eben 
Gekommenen hatte ſeine Kleider abgeworfen, und 
Hemd und Hoſe in einen feſten Knäuel zuſam— 
menrollend und mit einer Schnur umwickelnd, 
warf er ſich ohne Weiteres in den raſch fließen 





256 


den Strom, bielt das Bündel mit dem linken 
Arm hoch und troden aus dem Waffer, und 
Ihwamm hinüber. 

Die Pintos ſahen auch bald, daß fie es bier nur 
mit einer Fleinen friedlichen Caravane zu thun 
hatten, gebrauchten aber nichtsbejtoweniger jede 
Borfiht, denn ſchon früher Hatten einmal die 
Franzoſen verſucht ihre Aufmerkſamkeit einzig 
und allein auf einen beſtimmten harmloſen Punkt 
zu lenken, indeß eine größere Truppenmacht etwas 
tiefer unten den Strom unbemerkt zu kreuzen 
und dann den Platz zu überfallen ſuchte. Es 
war ihnen aber nicht gelungen und auch heute 
hielt Diego Alvarez alle jene Plätze, wo ein 
Uebergang möglich war, jtreng bewadt. Mit 
feinen außerdem überall am rechten Ufer zerjtreu: 
ten Spionen braudte er denn auch kaum eine 
Ueberrumpelung zu fürdten. 

Der Bote indefjen, der von dem Zug hinüber 
nach dem linken Ufer ſchwamm, wurde dort von 
ein paar Leuten weniger in Empfang genommen 
als freundlich begrüßt. Er war felber ein Pinto 
von der Ditgrenze des Staates, aber er bradte 
auch Leben in die Leute, denn er beorderte augen: 
bliflih das Floß, um ihr Gepäck herüber zu 
Ihaffen, und das allerdings gebrauchte lange 


257 


Zeit. Aber er theilte ihnen zugleih mit, daß 
der Eigenthbümer oder Befehlshaber des Zuges 
der aus den Händen der Franzoſen entflohene 
General Porfeirio Diaz fei, der hier bei Alvarez 
vor der Hand Schuß vor feinen Verfolgern ſuche, 
und fofort wurde ein Bote an ihren General 
abgejandt, um ihn davon zu benadrichtigen. 

Indeſſen fam ein Indianer mit dem am Ufer 
verjteft gewejenen Flofß an, das erallein, und 
anſcheinend noch dazu mit ziemlicher Leichtigkeit 
auf jeiner Schulter trug, und eigenthümlich, ja 
originell genug war es hergeſtellt. Es beitand 
nämlich — etwa fünf Fuß im Quadrat, aus 
Nichts als mit einander verbundenen und waſſer— 
dicht verjtopften “hohlen Flaſchenkürbiſſen, bie 
allerdings, jo Elein der Raum jein modte, den 
fe einnahmen, eine ganz bedeutende Tragfähig- 
feit bejaßen. 

Eine Strede am Fluß hinauf, um die Strö- 
mung zu überwinden, legte der Pinto dann jein 
ſchwankes Fahrzeug auf das Waſſer, ging noch 
damit ein Stüd in jeihtem Waſſer, an der Sand: 
bank hin, aufwärts, und dirigirte es dann, indem 
er daneben herſchwamm, zum andern Ufer hin: 
über, wo dann auch der General ohne Weiteres 


mit jeinem Sattel und wenigem Gepäd darauf 
Fr. Gerftäder, In Mertco. III. 17 


258 


Pla nahm und auf die nämliche Art übergejekt 
wurde. | 

Diego Alvarez hatte indeſſen ſchon von Por: 
feirio Diaz’ Ankunft gehört und eilte ihm ent: 
gegen, um ihn zu begrüßen. 

Es war eine Kleine gedrungene Geftalt, Me: 
jtize, mit einem ziemlich nichtsjagenden Geſicht 
und niederer Stirn, furzen glatten Haaren 
und einem flahen ſchwarzen Schnurrbart, aber 
mit gutmüthigen Zügen, und der Willkommen 
des in der That befreundeten Generals war in 
der That ein herzlicher. 

„Caramba! Don Borfeirio — wie mid das 
freut, Sie einmal wieder und bei mir begrüßen 
zu können — alſo glüdlich entflommen? San- 
tisima, jie morden ja jetzt da drüben, was fie 
unter die Hände kriegen.“ 

„Don Diego — id) freue mich nicht weniger, 
Sie hier zu finden,’ fagte Diaz, indem er bie 
dargebotene Hand nahm und herzlich Ichüttelte, 
„und auch dabei auf freiem fichern Boden zu 
jtehen. Hierher fommt fein Feind.” 
| „Caracho, nein,“ lachte Diego, „das haben 
- wir ihnen verfalgen; aber wurden Sie verfolgt?" 

„Gehetzt haben fie mich bis über die Berge 
hinaus,‘ lächelte Diaz, „und einmal wäre id 








ihnen beinahe wieder in bie Hände gefallen. 
Franzöſiſche Gensdarmen hatten den Plag ſchon 
umzingelt, in dem ich verjtedt war, und ich bin 
ziemlich feft überzeugt, daß fie mit dem Befehl 
hinter mir hergeſchickt waren, mich ohne Weiteres 
niederzufchießen, wo jie mich fünden.‘ 

„Und wo war das? 

„Zwiſchen den beiden Vulkanen; aber der alte 
Popocatepetl hat mich gerettet, und ſchickte da 
plöglih, und faft aus heiterem Himmel, ein jo 
furchtbares Unwetter nieder, wie ich es jelber 
in jenen Bergen noch nicht erlebt. Ein Blik 
folgte dem andern, einer immer greller und 
zilhender dabei wie der andere, der Donner 
tollte nicht mehr, jondern jchmetterte mit Ka— 
nonenjchlägen drein; die Erde bebte jo heftig, 
daß in der fteilen Schlucht, in der ich lag, ſchon 
Steine anfingen abzubrödeln und loszurollen, 
und eine Sturzfluth wujh vom Himmel nieder, 
daß fie, Faum eine Biertelftunde jpäter, in rei- 
Benden Bergitrömen zu Thal wälzte. Mir aber 
war &8 zum Heil — die Pferde der Gensdarmen 
bielten diefen furhtbaren Donnerjchlägen, die 
ununterbrochen einander folgten, nit Stand — 
das Rollen des Erdbebens mochte fie dabei eben: 


falls {hen gemacht haben. Die Reiter mußten 
17* 


259 


260 


abjigen und die Thiere am ‚Zügel nehmen, und 
fait unter den Hufen ber jtampfenden Pferde 
fort, mit Lebensgefahr an einer fteilen und jebt 
durch innere Gewalten erjchütterten Schlucht Hin, 
froch ich, bis ich das lehmige, jprudelnde Waſſer 
erreichen Fonnte, ſank hinein und entging jo 
ungejehen der Gefahr.” 

‚Ave Maria,“ jagte Eopfichüttelnd Don Diego, 
‚daß diefe DBeitien unjere beiten Männer im 
Land auf folde Art umberhegen dürfen. Aber 
bier feid Ihr fiher, Don Porfeirio, und könnt 
Euch von Euren Mühen und Gefahren aus: 
ruhen.‘ 

„Keine Ruh’ für mich,’ jagte Porfeirio Diaz 
fopfjchüttelnd, „jo lange nod fremde Hände 
die Zügel unferer Regierung halten. Habt Ihr 
Nachrichten hier vom Norden? Wie jteht es mit 
Juarez?“ 

„Schlecht,“ ſagte Diego Alvarez, den Kopf 
ſchüttelnd, „ich glaube gar nicht, daß er noch 
auf mexicaniſchem Boden lebt — wenn ſo, jeden— 
falls nur als Flüchtling und gehetzt wie Ihr. 
Weshalb iſt er nicht auch nach Guerrero ge— 
kommen?“ 

„Aus dem einfachen Grund, weil er dort 
oben Amerikaner für unſere Sache zu werben 


261 


hofft,‘ fagte Diaz. „Wie ih ſchon in Puebla 
hörte, ſprechen ſich die Nordamerifaner immer 
entihiedener gegen das Kaiferreih aus. Die 
franzöſiſchen Officiere unterhielten ſich mehr als 
einmal ganz unbefangen felbjt in meiner Gegen— 
wart davon, daß fie bald ihr ‚Schönes Frank 
reich“ wiederfehen würden.‘ 

„Und auf welche Bartei ftüßt fih Mari: 
milian jetzt beſonders?“ 

„Eigentlich auf gar keine,“ lachte Diaz. „Die 
Klerikalen wühlen und bohren gegen ihn; die 
Conſervativen ſind entrüſtet, daß der Kaiſer nur 
mit liberalen Miniſtern regiert und Geſetze er— 
laſſen hat, die ſelbſt Juarez nicht freiſinniger 
haͤtte geben können, und gegen die ſie ſich die 
langen Jahre immer mit Erfolg geſträubt — 
zum Beiſpiel die Befreiung der Indianer von 
ihrem Schuldzwang, freie Schulen und ſo weiter, 
und die Liberalen, die um ihn ſind, fangen ſich 
ebenfalls an unbehaglich zu fühlen, denn mit den 
Finanzen ſteht es erbärmlich, und fie ſehen einen 
Staatsbankerott vor Augen.“ 

„Si — Si — Si!” nickte Diego lachend, 
„ich habe es immer geſagt, daß ich viel lieber 
Gouverneur von Guerrero als Präſident oder 
Kaiſer von ganz Mexico ſein möchte. Aber was 


262 


ſchafft Ihr dort über den Fluß berüber? doch 
feine Munition? die haben wir mehr, als wir 
verbrauchen können.‘ | 

MNeein,“ fagte Diaz, „aber id) dachte mir, 
daß Ihr hier fnapp an Provifionen würdet, und 
habe an Mais mitgebradht, was ich unterwegs 
auftreiben konnte. Die Maulthiere müfjen 
übrigens zurüdgejchidt werben, und der Burjche, 
ber bag übernimmt, bleibt gleidy mit ihnen am 
andern Ufer.‘ 

„Bueno, Bueno!‘ rief Diego Alvarez, fich 
vergnügt bie Hände reibend, „unſere Proviſions— 
fendung von Providencia iſt ausgeblichen, und 
wir haben jchon jeit zwei Tagen Feine Tortillas 
gehabt. Der Mais kommt wie gerufen, und nun 
haben wir wieder auf lange Zeit zu leben.‘ 

„Sind Provifionen bier [chwer zu befommen ?‘ 

„Nicht leicht, — weiter nad Oſten zu ift es 
beſſer.“ 

„Dann halte ich mich hier auch nicht auf,“ 
ſagte General Diaz, „lange genug habe ich 
müſſig liegen müſſen und ſehne mid darnach, 
wieder an der Spitze eines Heeres zu ſtehen.“ 

„So wollt Ihr wieder vorbrechen und den 
Krieg erneuern?“ 

„Sobald ich höre, daß Juarez wieder im 


263 


Norden eine Macht zufammen bat, werfe ich mich 
nad Dajaca hinein. Dort ſtrömt mir Alles zu, 
und wir bürfen den Feinden feine Ruhe lafjen. 
Sie müffen gehetzt und beunruhigt werden auf 
allen Seiten, müſſen einfehen lernen, daß jie 
auf biefem Boden feinen Frieden finden, und 
dann wollen wir doch einmal jehen, wer es 
länger aushält, wir, die wir bier von Tortillas 
und Wildfleifch leben, und in Hite und Näjle 
ausdauern können ohne zu ermübden, ober ber 
Feind, der Millionen nah Millionen herüber— 
ſchicen muß, um nur feine Leute zu erhalten, 
und die Gefallenen oder Gefangenen ebenfalls 
nur mit ungebeuren Koften und neuen Men— 
Ihenjendungen erjegen fanı. Uns Efojtet bie 
Erhaltung eines einzelnen Soldaten nicht fo viel 
Klacos wie ihn Peſos, und unjere Berge und 
Schludten arbeiten für uns mit. Seid bereit, 
Don Diego, und wenn der Tanz wieber im Nor= 
den und Süden zugleich losgeht, dann brecht 
hr von Meften aus mit Euern Pintes vor, 
und Ihr werdet jehen, wie wir fie hinein in’s 
Meer treiben, woher fie gefommen find. Merico 
muß frei werden, oder — fie mögen uns eben= 
falls todtjchlagen, wie fie fo viele Tauſende uns 
jerer Brüder todtgefchlagen haben. ‘' 


264 


„Aber eine Weile haltet Ihr Euch doch bei 
uns auf?” 

„Ein paar Tage, ja, um zu ralten, denn ic 
bin wirklich wandermüde, aber dann wieder fort 
an die Arbeit.” 

Die Leute unten am Fluß hatten indeſſen 
nicht gejäumt, um bie verjchiedenen Ladungen 
überzufchaffen,, aber es ging troßdem jehr lang: 
ſam, denn zu ganz Mescal gehörte nur das eine 
Floß und das konnte nicht mehr als eine Maul: 
thierladung auf einmal überjhaffen, wenn es 
nicht jeine Tracht der Gefahr des Durchnäſſens 
ausjegen wollte. Der Fährmann felber wurde 
aber dabei müde, denn jo hatte er ſich in langer 
Zeit nicht angejtrengt, und der Fluß, mit jehr 
ftarfer Strömung, war auch wahrlich gar nicht 
jo jhmal, um das unausgejegte Hinüber- und 
Zurüdihwimmen, noch dazu mit dem beladenen 
Floß, zu einer leichten Arbeit zu machen. Bis 
jpät in die Nacht hinein dauerte deshalb der 
Transport, aber reges Leben herrſchte indefjen 
in der kleinen Stadt, wo die Ankunft von einer 
Sendung Mais natürlich Jubel verbreitet Hatte. 

Stadt? — Wir mahen uns daheim einen 
andern Begriff von einer Stadt, und doch galt 
Mescal dafür im Innern Mericos, oder bean: 


265 


fpruchte wenigftens, jeiner Einwohnerzahl nad, 
den Namen. 

Ueber einen ziemlihen Tlächenraum lag es 
wohl ausgedehnt, denn Grund und Boden hatte 
feinen Werth, aber nicht ein einziges feites Haus 
befand fih darin, Lehmwände natürlich aus: 
genommen, die aber weder innen nod außen 
„verpußt”” dem Ganzen einen etwas büjtern 
Ausdrud gaben. 

Jedes Haus ftand allein auf einem von 
Menihen, Hunden, Hühnern und Schweinen voll: 
ftändig kahl geitampften Pla, auf dem nur 
einzeln ein paar Scattenbäume angepflanzt 
waren, und jene wunderlichen Cactusheden, die 
den Bortheil vor anderen Umzäunungen haben, 
daß fie mit jedem Jahr höher und, dichter wer: 
den — Ichlofjen dabei auch jedes Grundjtüd ein- 
zeln ein. Hoc genug. waren die Heden in der 
That, denn an manchen Orten ragten dieſe ſo— 
genannten Kerzencactus, fünf bis acht Zoll im 
Durchmeſſer, wie eine Stange von zwölf bis 
achtzehn, ja zwanzig Fuß body empor, und bil: 
beten dabei unten, durdy die neu auswachlenden 
und mit ſcharfen Stacheln bewehrten Schöflinge, 
eine wirklich undurchdringliche Wand. 

Troftlos jah freilich dabei das Innere der 


266 


Häufer aus, und wenn fi die Eingeborenen 
fo weit civilifirt hatten, daß ſie in einer feften 
Stadt, und mit ein Flein wenig Arbeit, beifam- 
menlebten, fo jchienen fie doch ihren Mangel an 
allen Bebürfnifien vollſtändig beibehalten zu 
baben; ja fie zeigten fogar weniger Neigung, 
fi der geringen Bequemlichkeiten zu bedienen, 
die fie in ihrem Bereich fanden, als felbft bie 
Hunde, die jich zwifchen ihnen herumtrieben und 
mager und hungrig genug ausſahen. Dieje, wo 
fie e8 irgend haben Fonnten und wo es ihnen 
verftattet wurde, fuchten wenigjtens zum Schlafen 
gewöhnlich eine der hier und da ausgebreiteten 
Matten, die Kinder dagegen nie, und wo fie ge: 
rade ftanden, legten fie fi) auch, wenn fie aus: 
ruhen oder jchlafen wollten, auf die blanfe Erbe 
und in Shmuß und Staub ruhig nieder. 

Diefe Matten bildeten dabei das einzige 
Ameublement der Häujer, wenn man ein ba unb 
dort mit einer Kuhhaut überfpanntes Gerüft aus- 
nehmen wollte, das vielleicht dem Dberhaupt der 
Familie zur Sclafjtelle diente. Kein Schranf, 
fein Stuhl faft, ein paar nothhürftig zufammen= 
gehämmerte Bänfe und ein feſt im Boden wur: 
zelnder Tiſch, das war Alles, und der eiferne 
Topf, in dem fie ihre Speifen, ihre Eopa und 


267 


ihren Mais zu Tortillas kochten, diente auch 
gelegentlich den Frauen zum Waſchbecken, ohne 
daß fi irgend wer davor gejcheut hätte Die 
Leute dort mußten es eben nicht befier und waren 
e8 nie im Leben anders gewohnt gewejen. 

In der ganzen Stadt gab es auch Feine Po— 
jada oder fein Wirthshaus noch einen Kauf: 
laden. In früheren ruhigen Zeiten hatte man 
wohl jogenannte Stände gehabt, wo verjchiedene 
Arten von Lebensmitteln als: Xortillas, Eier, 
ein paar Bananen oder Orangen 2c. zu Faufen 
geweſen; aber das war jeßt ſchon lange durch 
die vielen Soldaten aufgezehrt, und nur wenn 
frifhe Zufuhr ber. von der Küfte oder aus ber 
dortigen Nachbarſchaft Fam, eröffnete fi) damit 
wieder ein Fleiner Handel. Tas Einzige, was 
man jegt in ganz Mescal zu Faufen befommen 
Eonnte, war die aus der gleichnamigen Agave 
gebrannte „Agua ardiente“, ebenfalls Mescal 
genannt — ein fcharfer aber nit unangenehm 
Ihmedender Branntwein. Selbſt roher Zucker, 
an dem es ſonſt doch wenigſtens nicht fehlte, 
war nicht mehr zu bekommen. 

In einem dieſer Häuſer, wohin Diego Al— 
varez ſein Hauptquartier gelegt, logirte ſich Por— 
feirio Diaz ebenfalls mit ein, und ſchien ſich 


268 


Ihon ganz an dieje Lebensart gewöhnt zu haben. 
Dicht neben feinem Bettgeſtell, auf das er feine 
Serape geworfen, Inetete eine Pinto-$ndianerin 
mit den weißen Händen und blaurotben Ringen 
und Kanten darum das Mehl für jeine Tor: 
tillas, aber fie jchmedten ihm trogdem. Was 
hatte er nicht Alles die legten Wochen ertragen 
und durchgemacht — que importe — jein Kör- 
per verlangte Nahrung, und wer ihm bie bot 
und was ihm geboten wurde, blieb jich völlig 
gleich. 

Alvarez und Diaz beſprachen inbejjen ven 
gegenwärtigen Stand des Landes, nad) den dürf— 
tigen Berichten allerdings, die doch nur jpärlid 
in biejen entfernten Theil drangen, und bod 
hatten Beide fo ganz verjchiedene Intereſſen an 
der Entwidelung des Dramas, das ſich in dieſem 
Augenblid in ihrem Baterland abjpann. 

PBorfeirio Diaz war einer der wenigen Re- 
publifaner in Merico, die ſich feit davon über: 
zeugt hielten, daß ihr Vaterland nur unter einer 
jelbitjtändigen Regierung glüdlicdy werden könne, 
und die deshalb Alles mit ihrem eigenen Leben 
in die Schanze ſchlugen, ohne weiteren Ehrgeiz, 
als mit Hand anzulegen an das große Werk ber 
Befreiung. 


269 


Diego Alvarez war das gerade Gegentheil 
von General Diaz. Schon Alvarez’ Vater hatte 
man ben „Panther von Guerrero“ genannt und 
ihn oft als Mufter eines freien Republifaners 
aufgeftellt, und trotzdem blieb er Nichts als ein 
Heiner Tyrann in einem Fleinen Kreis — ein 
herrſchſüchtiger Indianer, deſſen ganzer Ehrgeiz 
ih aber nur allein darauf bejchränfte, unum— 
ſchränkter Präfident — unter dem Titel eines 
Gouverneurs — in feinem eigenen Staat zu * 
bleiben. Er würde mit Freuden feine Zuſtim— 
mung zu der ganzen Bejeßung Mericos durch 
die Fremden gegeben haben — vorausgejeßt nur, 
dag man ihn unbebelligt ließ und Nichts in 
feine Regierung dreinrebete, und erſt als er 
jah, daß das nicht geſchah, griff er die Waffen 
auf und wurde Republifaner. 

Der junge Alvarez jchien deshalb auch gar 
feine fo bejondere Luſt zu haben, ein fejtes Ver— 
Iprehen zu geben, um die von Norden und Sü— 
den zufammendrüdenden Operationen zu unter- 
tügen. „Wenn jeder Gouverneur feinen eigenen 
Staat gegen die Feinde hielte,” meinte er da— 
bei, „ſo wäre e8 gar nicht möglich, daß dieſe 
irgendwo Wurzel fafjen könnten,“ und Diaz hatte 
Mühe genug, ihm zu beweilen, daß nicht eben 


270 


jeder Staat durdy feine eigene unbezwingliche 
Lage gerade jo gejhügt wäre wie Guerrero. 

Alvarez nahm aud Partei für Ortega’s An: 
ſprüche auf die Präfidentichaft und wollte Nichts 
davon hören, daß Gonzales Ortega vielleicht der 
unfähigite Menſch in ganz Merico fei, ven Staat 
zu regieren. — 

Die Naht war indejjen eingebroden und in 
Mescal hatten fich die Bewohner, an frühe Stun- 
den gewöhnt, ſchon ſämmtlich zur Ruhe begeben. 
Da ſchlugen plößlih alle Hunde im Ort an und 
gleich darauf donnerte wieder der Schuß der alten 
Muskete das Flußthal entlang — neuen Beſuch 
am andern Ufer fündend. Ausgeſchickte Boten mel— 
beten allerdings bald darauf, daß nur ein ein 
zelner Reiter dort drüben harre und den Fähr— 
mann verlange, biejer weigerte fich aber ent— 
ſchieden, hinüberzufahren. — Wenn fie ihm 
drüben jein Floß wegnahmen, war er’s [08 und 
Niemand zahlte ihm dafür. Wer da aud) ei, 
ev mochte entweder herüberſchwimmen, oder bis 
zum andern Morgen drüben am Ufer bleiben — 
er rührte fih an diefem Abend nicht mehr von 
ber Stelle. 

Dem fpäten Reiter blieb in der That nichts 
weiter übrig, als dem Rath zu folgen, und 


271 
jein Pferd voraustreibend, ſchwamm er denn 
auh in feinen Kleidern hinüber — die Nacht 
war warm, was fonnte ihm geſchehen, und bis 
morgen Früh wurden fie doch wieder troden. 

Aber der Mann bradte wichtige Nachrichten. 
— Oben den ungeheuern Weg von Mazatlan 
fam er herunter und meldete nun Alvarez: Die 
Nordamerifaner hätten am NRiv- Grande offen 
Partei für Juarez ergriffen und jchon eine Stadt 
auf mericanijcher Seite für die Liberalen erobert. 
Baja California war wieder vom Katjerreich ab— 
gefallen, in Sinaloa und Chihuahua wuchſen 
neue GuerillasBanden wie aus dem Boden her: 
aus, und das Gerücht ging, daß Juarez felber 
an der Spitze eine aus amerifanijchen reis 
willigen bejtehenden Heeres gegen Süden vor— 
rüde. 

„Don Diego,” jagte da Porfeirio Diaz, der 
den Bericht des Boten mit der größten Span= 
nung angehört, während Alvarez die Neuigkei— 
ten ziemlich gleichgiltig hinzunehmen ſchien — 
„morgen in aller Frühe breche ich nad) dem 
Diten auf.’ 

„Pero amigo,‘ rief Diego erftaunt. „Ihr - 
jeid kaum angefommen und noch todmüde — 
was wollt Ihr im Oſten?“ 





272 


„Zruppen werben und rüften und ben Kame- 
raden im Norden helfen.‘ 

„Und woher wijjen wir, daß das Alles aud 
begründet ijt? Caramba, der Weg ijt weit, und 
jeit der Zeit, die der Mann gebraudyt hat um 
hierher zu fommen, kann ſich wieder viel geän- 
bert haben.” 

‚Ah si amigo,“ rief Borfeirio Diaz — „aber 
zum DBefjeren für ung. Mer weiß, ob nidt 
Juarez Schon wieder in Durango jteht, und id 
jolfte bier indeß müffig die Zeit verträumen ? — 
No sirve! vamonos! Compañero, mir brennt ſchon 
ber Boden bier unter den Füßen, und ich wollte, 
die Nacht wäre erjt vorüber.” 

‚Santa Maria,” lachte Diego, „Ihr jeid 
gar nicht wie ein Mericaner, und ich glaube 
wahrhaftig, Ihr habt franzöfifches Blut in Euren 
Üdern. Immer unruhig, immer wie Quedfilber; 
fein Wunder, dag Eud die Franzoſen nicht in 
Puebla halten konnten. Ihr gleitet Einem zwi: 
ſchen den Fingern durch.“ 

„Haben meine Thiere wohl ordentlich Futter 
befommen ?“ 

„Sie find verfjorgt — habt feine Angft — 
aber Ihr wollt doch nicht im Ernft ſchon — 
Früh wieder aufbrechen?“ 


a 








273 


„Mit der Sonne, amigo, denn jeber Tag, 
ben ich bier verjäume, ijt verloren.‘ 

„Und wo wollt Ihr Soldaten berfriegen ?’ 

„Quien sabe,“ lächelte Porfeirio Diaz — 
„bis jest haben fie mih noch nidt im Stich 
gelafjen. Aber nun zur Ruhe; ein paar Stunden 
muß ich wenigjtens jchlafen, denn der Körper 
verlangt jein Recht.“ 

Borfeirio Diaz hielt Wort. Einen rajtlo- 
jeren Bandenführer gab es nicht im Heer ber 
mericanifchen Liberalen. Mit Tagesanbrud Schon 
trieb er feine Fleine Schaar von Leuten zuſam— 
men. Zwei Thiere wurden mit Provifionen, 
eins mit Munition bepadt, und noch ftand bie 
Sonne feine Stunde hoch am Himmel, als der 
Heine Zug auch jchon einem am Fluß hinauf: 
führenden Pfad folgte, um in der Nachbar: 
provinz auf's Neue die Tadel des Aufruhrs zu 
erheben und dann mutbig gegen den Norden 
aufzurüden. 


Fr. Gerftäder, An Merico. II. 18 





9. 
Ricarda. 


Ricarda San Blas war jetzt volle ſechs Mo— 
nate in Rodriguez' Haus, und durch ihr liebes 
heiteres Weſen ſo der Liebling der Familie ge— 
worden, daß man ſich eine Trennung von ihr 
gar nicht mehr denken konnte, und doch drohte 
dieſe, denn der alte Seior San Blas Hatte von 
Mazatlan gejchrieben, daß er mit dem nächſten 
Monatsdpampfer von dort abreifen und über 
Bera:Cruz nah Merico fommen würde, denn 
die Wege im Innern waren jeßt jo unficher ge: 
worden, daß er hätte fejt darauf rechnen können, 
auf der Tour — wenn ihm nichts Schlimmeres 
geihah, wenigjtens dreis oder viermal ausge: 
plündert zu werben. 

Und doch jchien Ricarda nicht mehr das fröh— 


% 
' R 
— 








liche, jorgloje Kind, dem Glück und jelbjt Ueber: 
muth aus den Augen lachte, wie fie e8 gewejen, 
als jie Rodriguez’ Haus zuerjt betreten. Sie war 
in den furzen Monden zur finnigen Jungfrau 
herangewachſen, und manchmal hatte e8 jogar den 
Anſchein, als ob eine Art von Schwermuth Gewalt 
über jie gewinne, die fie nur wieder mit Gewalt 
von fih abjchütteln Fonnte. Aber troßdem zeigte 
fie ſich jelbft in diefen Stunden immer jo engels- 
gut gegen Ale, daß man ihr gern die Furze 
Zeit, die fie fich in ſich ſelbſt verſchloß, nachſah 
— leuchtete ihr Lächeln doch nachher um fo 
freundlicher. 

Nur in einer Sade harmonirte jie nicht 
ganz mit dem alten Rodriguez und hatte da aud) 
manchmal die Frauen gegen ſich. Sie war näm- 
(ih eine entjchiedene Berehrerin des Kaijerpaars 
ſowohl, als auch des Kaiferreihs, und nicht etwa 
beshalb, weil jie von den Herrichaften bejonders 
ausgezeichnet worden, jondern weil ihr flarer, 
einfahyer Sinn e8 bald erfannte, daß es ber 
Kaifer wirklich gut mit dem Land meine, und 
Alles that, was in feinen Kräften jtand, um es 
zu heben und vorwärts zu bringen. 

Senior Rodriguez konnte Nichts, was fie ihm 


zu des Kaifers Guniten jagte, leugnen, denn 
18* 


276 


die Thatfachen ſprachen für fich ſelbſt, aber er 
behauptete, — und das von dem Standpunkt 
feiner Partei aus — daß er in eine fehr jchiefe 
Richtung Hineingerathen jei, aus ber es ihn 
Mühe koſten würde fih wieder herauszufinden. 
Er befämpfte die Liberalen und regierte mit ihnen 
zu gleicher Zeit, aljo er erkannte dadurch jtill: 
Ihweigend an, daß ihre Grundjäße die richtigen 
wären. Weshalb aber war er dann nad Merico | 
gefommen, hatte fih zu einem Werkzeug Na— 
poleon’s gebrauchen und Tauſende von Men: 
jhen noch mit hinſchlachten laſſen? — e8 lag 
fein Sinn barin. 

„Aber war er nit vom Volk jelber ge- 
wählt ?'' 

Don oje zudte die Achjeln. ‚Meine liebe 
Ricarda,” jagte er, „Du Fannft zweimal in je- 
dem Monat in Merico über ein Oberhaupt ab— 
jtimmen lafjen, und Du wirft genau fo viel ver- 
ſchiedene Refultate wie Abjtimmungen befommen. 
Abjtimmung in Merico! — e8 ift das etwa das 
Nämliche, als ob Du die genaue Zahl der Hirfche 
angeben wollteft, die Du in unferen Wäldern 
findeft — es ift eben eine Unmöglichkeit, denn 
das eigentliche Volk entjcheidet fich erjt, wenn es 
einen wirklihen Erfolg ſieht. Alles, was vor- 


27 


dem gejchieht, ijt entweder Comödie, oder bie 
Stimmung eines Augenblids, die ſchon wieder 
feine Geltung mehr hat, bis nur das Refultat 
verzeichnet werden kann.“ 

„Und ift dann aber nicht der Kaifer durch 
Mericaner getäujcht worden, die aljo doch eben— 
falls wifjen mußten, wie es in ihrem Lande 
ſtand?“ 

„Das mag ſein, aber wenn er ſich täu— 
ſchen ließ, war es feine Schuld, und die muß 
er jeßt büßen.“ 

„Und er meint eg fo gut — alle feine Geſetze, 
die er erläßt, find jo rein menſchlich und vers 
nünftig — nie für ihn felbft, nur immer zum 
Beiten des Volkes berechnet.” 

„Aber Ricarda,” jagte Señor Rodriguez, der 
damit in eine Sadgaffe gerieth, „wer ift denn 
das Volk eigentlih, wer bat denn die leitende 
Hand im gejellfchaftlihen Leben jowohl, als auch 
das Capital, um unfere Hilfsquellen zu vers 
wertben? Die conjervative Partei, und mit ber 
bat fih Seine Majeftät die größte Mühe gegeben 
fie vor den Kopf zu ftoßen, wo fih ihm nur 
irgend eine paſſende Gelegenheit dazu bot.‘ 

„Und fann man es allen Menſchen vecht 
machen, guter Onkel?” 


278° 


„Mein, mein Kind,‘ erwiederte Rodriguez, 
„aber der arme Kaifer, dem ich nicht den Willen 
abjpreche ehrlich zu Handeln, hat es mit einer un= 
glüdjeligen Gejchielichfeit dahin gebracht, es auch 
Keinem, ohne Ausnahme, recht zu machen.” 

„And ſucht er nicht die unteren Volksklaſſen 
zu heben? — was hat er Alles für die Indianer 
gethban ? er hat die Eclaverei gebrochen, die nicht 
dem Namen mehr, doc der That nach auf den 
Unglüdlihen lag, und dadurch Tauſende und 
Taufende glüdlid gemacht.“ 

„Und auch das nur, wie alles Uebrige, Halb,’ 
entgegnete Rodriguez. „Er bat die Peonerie 
von ihnen genommen, ja, aber ohne ihnen etwas 
Anderes dafür zu bieten, und für den Augen— 
blick find fie frei, aber auf wie lange? Anjtatt 
ihnen Land anzuweijen, auf dem jie fich nieber= 
laffen konnten — und wenn fie aud anfangs 
nur das bauten, was jie jelber. nothdürftig zum 
Leben brauchten, that er Nichts, als die Beſitzen— 
den zu Ärgern, indem er ihre eingegangenen Ver— 
pflihtungen aufhob und damit eine Menge von 
Menſchen Schädigte, ohne denen, welchen er Gutes 
thun wollte, den geringften Nußen zu bringen. 
Ein oder zwei Jahre, ja, find fie vielleiht noch 
ihre eigenen Herren, dann aber muß nad) und 


279 


nad wieder das nämliche Verhältnig eintreten, 
was vorher beftand, und was dann?“ 

‚Aber bat er nicht ein Geſetz erlafien, das 
ihnen auch Grundeigenthbum zuſichert?“ 

„sa, aber ſich aud, wieder von dem Klerus 
beihwagen lafjen, e8 zurüd zu nehmen. Das ijt 
e8 ja, Ricarda, was uns im Lande unficher 
macht, das ewige Schwanfen von jeiner G©eite, 
bald nad da= bald nach dorthin, weil er Allen 
gereht werden will und es dadurch Keinem 
wird. Dem Klerus ijt er, weil er einfah daß 
er das Land ſonſt in die größte DVerlegenheit 
brachte, feit entgegen getreten, aber dann auch 
wieder giebt er ihm in einer Menge von Stüden 
nah und macht ihn dadurch nur natürlich wie— 
der übermüthig.” 

„Und glaubjt Du, Onkel, rief Ricarda be— 
wegt, „daß irgend -ein Menſch der Welt Merico 
beſſer regieren könnte, als es Marimilian 
thut?“ 

„Hm,“ ſagte Señor Rodriguez ausweichend, 
„beſſer? das will ich nicht ſagen — aber jeden— 
falls geſchickter, mein Herz.“ 

„Erfüllt er nicht treu und brav alle ſeine 
übernommenen Pflichten?“ 

„Nichts dagegen einzuwenden, mein Schatz 


280 


— id bin feſt überzeugt, daß er mehr arbeitet 
als alle feine Minijter zufammen. Er jollte 
aber weniger arbeiten und mehr thun — er jollte 
energiiher handeln.’ 

„Energiſcher handeln? und Habt hr nicht 
jelber gegen das October-Decret geſprochen, weil 
e8 zu blutig wäre?’ 

„Ja, aber da es einmal erlafjen ift, jollte es 
auc ausgeführt werden. So hat er e8 aber jchon 
nad) allen Seiten bin widerrufen laſſen, obne 
daß fi jedoch die Franzoſen daran Fehren, 
und wo ihn Jemand um Gnade bittet, läßt er 
ihn laufen.‘ 

„Und jollte er das nicht thun, Onkel? ift 
nicht die Gnade gerade das jchönfte und herrlichſte 
Vorrecht der Krone?” 

„Ja — aber,‘ — rief Don oje, der jet 
feinen Ausweg mehr ſah. „Er hat Redht und 
Du haſt Recht — ich babe aber au Recht. 
Caramba, id) danfe meinem Schöpfer, daß id 
nicht Kaijer von Merico bin; ich wüßte am Ende 
felber nicht, wie ich es machen ſollte.“ 

„Und nod immer Fein Frieden im Land!” 
jeufzte Ricarda. 

„Frieden?“ rief Rodriguez, „jet gebt ber 
Teufel erjt wieder recht 108. Daß die Franzoſen 


281 


nächſtens mit al’ den fremden Hilfstruppen ab— 
marjchiren, ift nur noch ein öffentliches Ge— 
beimniß. — Juarez jollte dabei nach Nordamerika 
binein geflohen fein! Ja wohl, jein Kriegsmi— 
nifter Negrete hat ſchon wieder eine Armee zu= 
ſammen, und ftatt in Paſo del Norte rüdt er 
auf’8 Neue ſcharf gegen Chihuahua herab, und 
im Süden fteht es nicht beffer. Wenn es wahr 
it, was man darüber hört, jo hat Porfeirio 
Diaz auf feiner Flucht Guerrero glüdlidh er: 
reicht, und rüjtet da unten wieder aus Leibes— 
fräften. Es jollte mich gar nicht wundern, wenn 
es der Kaiſer nächſtens wie Juarez felber macht, 
und nur ftatt nach Norden hinauf, nad Süden 
hinunter geht und jih in Yucatan feſtſetzt. Es 
wäre, nebenbei gejagt, das Klügjte, was er über- 
haupt thun könnte, denn dann fräßen fich hier 
in kurzer Zeit die Liberalen jelber auf, und 
nachher wäre es möglih, daß er zulekt, aus 
lauter Berzweiflung, vom Volk jelber zurüdges 
holt würde. Gott bejjere e8 — aber ich will 
einmal einen Augenblid hinüber in die Lonja, 
Kind, und ein paar Zeitungen lejfen. Gutes 
ſteht natürlich nicht darin, aber man erfährt doch 
einmal wieder etwas Neues.“ 


282 


„Der Kaifer bat Almonte nad Paris ge- 
ſchickt?“ ſagte Ricarda. 

„Ja,“ nickte Rodriguez, „und das iſt ſchon 
ein böſes Zeichen. Hol' der Böſe die Franzoſen! 
ſag' ich — ſie haben unſer Land an den Rand des 
Verderbens gebracht, und werden jetzt Maxi— 
milian ebenfalls in der Patſche ſitzen laſſen — 
und geſchieht ihm recht,“ ſetzte er unwirſch hinzu, 
griff ſeinen Hut auf und verließ den Salon. 

Ricarda war allein darin zurückgeblieben, wie 
ſie ihr Onkel verlaſſen, die Hand auf den Tiſch 
geſtützt, den Kopf geſenkt, und ohne daß ſie es 
ſelber wußte, traten ihr ein paar Thränenperlen 
in die Augen und tropften unbeachtet, ungehin— 
dert auf ihr Kleid nieder. Hatte der Onkel 
Etwas geſagt, das ſie gekränkt oder bekümmert? 
Wenn ſo, gab ſie ſich ſelber keine Rechenſchaft 
darüber, aber das Herz war ihr recht ſchwer ge— 
worden, und langſam, ja wie unwillkürlich ſchritt 
ſie hinüber zum Inſtrument, öffnete es und — 
wußte ſelber nicht wie es kam, daß ſie heute gar 
ſo ernſte und ſchwermüthige Weiſen ſpielte. 

Die Thür öffnete ſich vorſichtig und einer der 
Diener ſchaute herein. 

„Señorita!“ ſagte er leiſe — er wollte die 
junge Dame anreden, mochte ſie aber doch nicht 


283 


ftören, und wußte nun nicht recht, wie er es an— 
fangen jollte — „Señorita!“ 

Ricarda, ganz im Spiel vertieft, hörte ihn 
gar nicht, bis er doch endlich ſah, daß er auf 
diefe Weife nie zum Ziel fommen würbe, ich 
ein Herz faßte und auf fie zufam. 

„Señorita!“ 

Ricarda ſah die ſich bewegende Geſtalt, und 
den Kopf dorthin wendend, unterbrach ſie ihr 
Spiel. 

„Willſt Du Etwas von mir, Pablo?“ 

„Ja, Señorita — iſt ein Señor unten.“ 

„Señor Rodriguez iſt ausgegangen; ich glaube | 
hinüber in die Lonja.“ 

„Nein — will nicht zu Señor Rodriguez 
— will Señorita fprechen, ein franzdfiicher Of: 
ficier.‘ 

„Ein franzöfiiher Officer, mich?" jagte 
Nicarda erftaunt, „das ift jedenfalls ein Irr— 
tbum — vielleicht die Señora — aber auch dieſe 
ift noch nicht zurücgefehrt.” 

„Nein, nicht die Señora,“ behauptete aber 
Pablo, ‚Sondern die Señorita Ricarda, wie er 
mir jelber gejagt hat.’ 

„Das ijt merfwürdig. Und wie heißt er?” 

Pablo Fraßte ſich mit der linken Hand hinter 


284 


dem rechten Ohr — er hätte e8 bequemer haben 
fönnen. Endlich jagte er — „ja caramba, den 
Namen bat er mir genannt, aber er Flang jo 
wunbderlich, ich habe ihn wieder vergeſſen.“ 

„Run,” fagte Ricarda, ‚irgend einen Grund 
muß ber Beſuch doc haben, alfo führe den Herrn 
nur bier herauf — vielleiht kommt auch bie 
Señora bald zurüd.‘ 

Der Diener verſchwand wieder, Ricarda ſchloß 
das Inſtrument und blieb erwartungsvoll mit- 
ten in der Stube neben dem großen Tijch ftehen. 
Was in aller Welt Fonnte ein franzöfifcher Offi- 
cier ihr zu jagen haben, daß er jie, ‘und gerabe 
ſie zu fpreden wünſche! 

Die Teppiche, die den Vorſaal dedten, dämpf— 
ten den Schall der Tritte, aber beutli hörte 
fie das Klingen der Sporen, jebt öffnete ſich Die 
Thür, und Ricarda faßte frampfhaft die Tijch- 
platte, denn auf der Schwelle, bleich wie ein 
Todter, mit eingefallenen Wangen und hohl lie— 
genden Augen, jtand van Leuwen — fie hätte ihn 
faum wieder erfannt, und hatte doch jo oft — 
fo oft an ihn gedacht. 

„Señorita,“ ſprach da der junge Dfficier, 
indem er auf fie zufchritt und ihr treuberzig bie 


— ar ⏑⏑— 





285 


Hand reichte — „ich komme, Sie um Verzeihung 
zu bitten.“ — 

„Mich, Señor?“ ſagte da Ricarda, die ſich 
Mühe geben mußte ſich zu faſſen, und dabei doch 
fühlte, wie ihr das verrätheriſche Blut zurück in 
die Schläfe ſchoß. 

„Daß ich mein Ihnen gegebenes Wort nicht 
früher eingelöſt,“ erwiederte der junge Mann, 
„aber faſt,“ ſetzte er wehmüthig lächelnd hinzu 
— „wäre ich es gar nicht im Stand geweſen, 
denn erſt geſtern erklärte mir der Arzt, daß er 
glaube, ich könne Cuernavaca ohne Gefahr ver— 
laſſen, und ſelbſt jetzt noch —“ 

Ricarda ſah, wie ſein Antlig plößlich eine 
aſchfahle Färbung annahm, und behielt faum 
Zeit, ihm einen Stuhl binzufchieben, in den er 
finfen konnte. Dann griff fie raſch nad ber 
Glode und wollte den Diener herbeirufen; van 
Leuwen wehrte aber matt lächelnd ab und fagte 
bittend: | 

„Laſſen Sie es fein, Seiiorita — es ift ſchon 
vorüber — es war nur eine augenblicliche 
Schwäche; der große Blutverluft hat mich ein 
wenig matt gemadt, und die Anjtrengung ber 
Reife, die Nacht hindurch, war vielleicht zu viel.’ 

„Sie find erjt heute angekommen?“ 


286 


„Bor etwa einer Stunde.” 

„Sie hätten ruhen jollen.’ 

„Es it ſchon vorüber und — ließ mir eben 
feine Ruhe mehr.” Er nahm dabei von feinem 
Heinen Jinger den Ring mit dein Smaragd, und 
ihn dem jungen Mädchen überreichend, ſagte er 
mit mattem Lädheln: „Hier, mein räulein, wenn 
auch jpät — viel ſpäter, als ich jelber gehofft — 
löjfe ih mein Wort und bringe Ihnen ben ge— 
raubten Ring zurüd. Der Bube jelber ift frei- 
lich — Dank unserer ſchlechten Polizei — entkom— 
men, aber feine Helfershelfer haben wenigitens 
ihre Strafe erlitten.’ 

„Schon am nächſten Morgen hatten Sie das 
Nencontre mit ben Räubern?“ fragte Ricarda, 
indem fie den Ring, aber doch wie halb unjchlüj: 
fig nahm — „oh, wie danfe ich Ihnen, dag Sie 
mich von ber Angſt befreit haben, dieſes liebe 
Andenken an der Hand jenes Buben zu wiſſen!“ 
— und unwillfürli fait bob fie den Ring an 
ihre Lippen. 

„Wir fanden in des jungen Lucido Taſche 
einen Brief, der ihn aufforderte, an jenem Raub 
Theil zu nehmen, und kamen dadurch auf bie 
richtige Spur.” 

„Großer Gott, fo hatte der Verbrecher jenen 


287 


Drief Schon bei fih, während er bier noch mit 
uns verkehrte. — Wie ift e8 möglidy und denk— 
bar — und aus folder Familie!‘ 

„Señorita,“ fagte van Leuwen büfter — „was 
ih bis jeßt bier von Land und Leuten gefehen, 
hat einen traurigen Eindrud auf mich gemadt. 
Sie jelbjt find Mericanerin und ich glaube, daß 
das Volk von Natur auch brav und gut ift, aber 
dieje ewigen Kriege und Revolutionen haben es 
verborben — e8 herricht fein Ehrgefühl mehr 
unter den Männern, fein Bewußtjein, was ein 
gegebenes Wort bedeutet, was fie ihrer Stellung 
im Leben jhuldig find. Ein Mericaner verſpricht 
Alles, was man von ihm verlangt, aber meift 
immer nur aus einer gewijjen Artigfeit, um dem, 
mit dem er gerade zujammentrifft, etwas Ange: 
nehmes zu erzeigen und ihm ein Verlangen nicht 
abzujchlagen. Aber damit glaubt er auch allen 
Forderungen genügt zu haben, denn daß er bag 
Verſprochene dann halten müjje, fällt ihm gar 
nicht ein.‘ 

Ricarda nicdte mit dem Kopf, und van Leu— 
wen, der erjt wieder eine Furze Zeit Athem 
ihöpfen mußte, fuhr langjam fort: 

„Und wie unzuverläffig im äußerten Grab 
jie dabei in ihren Charakteren find, babe ich erjt 


288 


wieder deutlih während meiner langen Krank: 
beit in Euernavaca gejehen. Ich lernte dort 
viele Mericaner genauer kennen, al® es mir uns 
ter anderen Umjtänden möglich gewejen wäre, 
denn fie gaben fi mir ganz wie fie wirklich jind, 
und ich fand unter ihnen liebe, gute Menjchen, 
herzlich, gefällig, zutraulid und ehrlich, und alle 
hingen fie mit voller Liebe an dem Kaijerpaar, 
das ja fo oft auch dort zwifchen ihnen weilt. 
Aber dabei beſprachen fie mit der größten Un— 
befangenheit auch wieder den baldmöglichen Wed 
jel einer Regierung und überlegten fih ſchon 
in voller Ruhe, wie fih dann Alles wohl für 
Cuernavaca geftalten würde. — Von einer Treue 
und Anhänglichfeit an das Kaiferhaus Feine 
Spur. — Nur das wirflich Beftehende hat des- 
halb auch für fie eine Berechtigung — ijt es 
bejeitigt, jo gehört es eben nur der Vergangen= 
heit an.’ 

„Armer Kaiſer!“ ſagte Ricarda, „ich fürchte 
jelber, daß Sie Recht haben, und es wird ihm 
Nichts übrig bleiben, als ſich auf die zu ftüßen, 
bie ihm in ein fernes Land gefolgt.“ 

Ban Leuwen jeufzte wehmüthig auf. — „Und 
jelbjt das ift ein ſchlechter Troft für ihn,’ fagte 
er, „denn mit Ausnahme feiner ihm treuen Sol: 





254 


baten und einiger Wenigen, bie es wirklich ehr: 
ih mit ihm meinen, ijt er faft nur von aben= 
teuerlihem Gefindel umgeben, die in dem Glau- 
ben na Merico gingen, bier eine Fortjegung 
ver alten, früher erbeuteten Schäße zu finden. 
Die Leute ſehen fih getäufcht und fchimpfen 
jeßt entweder auf das Kaiferreich, oder plündern 
und ftehlen in ihren Reſſorts, auf was ihnen 
verftattet wird die Hand zu legen. Ich weiß 
nicht ob Alles wahr ift, was man mir darüber 
erzählt Hat, aber wenn es auch nur die Hälfte 
wäre, würde es binreichen, um bie Hälfte jeiner 
Umgebung in's Zuchthaus zu Bringen. Er tft 
im wahren Sinne des Wortes von Diebesgeſin— 
del umgeben, und leider finden fich jelber im Of: 
ftcierftande eine Menge von unbraudhbaren Aben: 
teurern, die jich jegt nur die größte Mühe geben 
den guten Namen, den bis dahin die Fremden 
und bejonders die Deutihen im Yand gehabt 
haben, völlig zu untergraben. Uns Belgier, 
jegte er dann lädhelnd Hinzu, „haft das gewöhn— 
lihe Bolf nur deshalb, weil es ung für Fran— 
zojen Hält — aber Señorita,“ brach er ab, „ich 
fürdte, daß ich Ihre Zeit zu ſehr in Anjprud 
nehme,‘ 
Fr. Gerftäder, An Merico. II. 19 


290 


„Ob, wie dankbar bin ich Ihnen,‘ fagte das 
junge Mädchen bewegt, „daß Sie troß Ihrer 
förperlihen Schwäche den Weg hierher nicht ge: 
ſcheut haben.‘ 

„Geſcheut?“ fagte van Leuwen wehmüthig — 
„wenn Sie wüßten, wie idy mich darauf ge- 
freut babe, und mußte jo lange, lange Monate 
darauf harren — ja hatte jogar noch fortwährend 
die Furcht, daß ich Sie nicht einmal mehr in 
Merico antreffen würde. Glauben Sie aud nicht,‘ 
fuhr er lebendiger fort, ‚‚dap Ahnen der_Ring 
verloren gewejen wäre‘, wenn ich meine böjen 
Wunden etwa nicht überlebt hätte — wie es die 
Aerzte allerdings fürchteten. Dem franzöſiſchen 
Oberarzt hatte ich das feſte Verſprechen abgenom- 
men, den Ring nach meinen Tode ficher in Ihre 
Hände zu liefern — ich weiß, daß er es gehal- 
ten hätte,” fette ev hinzu, indem ein leiſes Roth 
jeine Wangen fürbte. „Wohl hätte ich ihn gleicy 
von dort hierher jenden jollen, einmal aber fürch— 
tete ic) die Unjicherheit der Straße, und dann — 
wollte id) ja doch jo gern das Kleinod Ahnen 
jelber überreihen. — Ihr Herr Onkel ijt nidt 
zu Hauſe?“ 

„Nein — er ijt ausgegangen. Er würde ſich 
jo freuen Sie zu jehen — und aud meinen 


291 


Vater,” ſetzte jie leije erröthend Hinzu, „erwarte 
id in der nächſten Zeit.‘ 

„Um Sie abzuholen von hier?‘ rief van Leu: 
wen fait erjchredt. 

„Er fommt in der Abficht hierher ,‘‘ erwie— 
berte leije das Mädchen. 

Ban Leuwen ſchwieg; er jah jtil und bewegt 
vor ji nieder, endlich jagte er: 

„Wenn Sie es mir erlauben, Senorita, jo 
juhe ich Ihren Onfel fpäter no einmal auf. 
Ich fühle,‘ fette er rajch hinzu, „daß ich meinen 
Kräften ein wenig zu viel zugetraut — id) muß 
mid erſt Etwas erholen, aber ich hoffe, es wird 
niht lange dauern. Ich war nie in meinem 
Leben frank, und mein Körper wird jich raſch 
wieder Fräftigen !’ 

„Sie find jo Jhwad jetzt?“ jagte Ricarda 
theilnehmend, „Sie fünnen den Weg ja gar nicht 
allein gehen — oh lajjen Sie mic) einen Diener 
rufen, daß er Sie führt.‘ 

Dan Leuwen jchüttelte lächelnd den Kopf. — 
„Es geht ſchon,“ jagte er, „nur noch ein wenig 
langjam; unten an der ‘Plaza nehme ich mir dann 
einen Wagen. Leben Sie wohl, Senorita,‘ und 
ihre Hand ergreifend, hob er jie leiſe an die Yip- 
pen und wandte jich zum Geben. 


IN® . 


292 


‚Aber haben Sie denn auch Pflege?’ fragte 
das junge Mädchen mit zitternden Lippen, „wer 
ift um Sie, der Ihnen Hilfe Leiftet ? 

„Ich babe meinen Burſchen,“ jagte der junge 
Dfficier lächelnd, „‚der genügt. Mit einem Sol: 
daten dürfen nicht zu viel Umſtände gemacht 
werden, oder man brauchte nur die halbe Armee 
für die Verwundeten. Wenn wir uns wieber: 
jehen, hoffe ich wieder Fräftig auf den Füßen zu 
ſein.“ 

Ricarda ſtand, als er ſchon lange das Zim— 
mer verlaſſen hatte, noch immer auf derſelben 
Stelle und ſah ihm nach, und ſo wehmüthig 
ängſtlich ihre Züge bis dahin geweſen waren, 
einen ſo finſtern, ja faſt ärgerlichen Ausdruck 
nahmen ſie jetzt an, bis ſie zuletzt die kleine Fauſt 
ballte. Mit dem Fuße ſtampfte ſie dabei den Bo— 
den und rief aus: 

„Iſt es denn nicht abſcheulich, daß wir uns 
nur durch die Convenienz, und das was ſich 
„ſchickt“ oder nicht ſchickt, das Leben ſelber ver— 
bittern und vergällen, und unſeren Nebenmen— 
ſchen gegenüber ſcheinbar kalt und theilnahmlos 
bleiben müſſen, ſelbſt wenn uns unſer Herz noch 
ſo ſehr dazu treibt, ihnen beizuſtehen. Wie 
gern hätte ich den armen jungen Menſchen jetzt 


293 


* 


ſelber die Treppe hinab- und meinetwegen auch 
bis an ſein Quartier geführt. — Ich bin geſund 
und kräftig und hätte es ſchon vermocht, aber 
das Geſchrei und Gerede auch nachher in der 
Stadt darüber hören mögen. — Und weshalb 
kümmern wir uns eigentlich um das, was bie 
Leute in der Stadt überhaupt reden? ſorgen 
ſie ſich um uns? ſtehen ſie uns bei, wenn wir 
leidend ſind? Sie denken nicht daran. — Und 
jetzt liegt das arme junge Blut wieder da in 
der alten Kaſerne, mit Niemandem um ſich, der 
ihm zur Hand geht, als eben ſeinem Burſchen — 
auch nur einem Soldaten. — Und wie lieb von 
ihm, daß er mir den Ring gebracht — und ich 
habe noch dazu vergeſſen, ihn nur zu fragen wie 
er ihn bekommen.“ — Faſt unbewußt hob ſie 
ihn wieder an bie Kippen und drückte einen Kuß 
darauf. 

„Wenn es bei ung zu Hauje wäre,’ ſetzte jie 
dann überlegend hinzu, „dann müßte ich. aud) 
genau was ich thäte — dann bäte ich Papa ein 
fah, daß er den armen jungen Menjchen, ber 
jo weit von feiner Heimath entfernt iſt, zu ſich 
in’s Haus nähme, und an Pflege jollte es ihm 
Ihon nicht fehlen, dafür wollt’ ich einjtehen — 
aber hier — der Onfel? Er ift freilid immer 


294 


jo gut und behauptet, er fünne mir gar nichts 
abichlagen und — das ganze Haus wäre zu meiner 
Dispojition — wenn ich ihn aber nur um ein 
ganz Fleines Zimmerchen bitte, jo jagt er doch 
am Ende nein. Dan Leuwen bat Recht! Das 
it eine recht ſchlechte Angewohnheit von uns 
Mericanern, dag wir jo viel höflihe Nedens- 
arten machen und doch im Grunde gar nichts 
dabei meinen. — Und wenn ich nun einmal den 
Verſuch machte? — Er ift doch auch gut kaiſer— 
lich gejinnt — der junge DOfftcier iſt ein Lands— 
mann der Kaijerin und eigentlich nur verwundet 
worden, weil ich ihn in die Sache hineingebracht 
babe. Ah was! Ich verfuh’s — wenn er 
fommt, jag’ ich's ihm — böje Farin er nicht 
werden, und — vielleicht thut er's, und das 
wäre zu hübſch.“ 

Und in der Hoffnung flog jie wieder an's In— 
ftrument, und hatte fie vorher recht trübe und 
ſchwermüthige Melodien gejpielt, jo glitten ihre 
Singer jet nur fo über die Tajten, und. die 
Kinder famen herein und fingen im Zimmer an 
mit einander zu tanzen. 

Nach einer Stunde etwa kehrte Senior Ro: 
driguez zurüd, und feine Stirn, die vecht ernjt 
gewejen war, als er das Haus betrat, beiterte 


per 


295 


ih auf, al8 er, auf feiner Schwelle jtehend, das 
fröhliche Leben überjchaute, das fi vor ihm 
entwicfelte. 

„Das iſt recht, Ricarda, rief er lächelnd 
aus, „daran erfenne ich wieder mein altes Nicht- 
hen, die Glüf und Jubel binbringt, wohin fie 
fommt. Wie lange habe ich Nichts hören müffen 
ald Trauermärjche, Abſchieds- und Sehnjuchts: 
lieder und Sonaten, bei denen man hätte vor 
Wehmuth vergehen mögen. Das flingt wie alte 
Zeiten, und wir haben es auch nöthig, mein 
Kind, dag wir uns wieder heitere Familienkreiſe 
ſchaffen, denn das Leben da draußen iſt ernſt 
genug, und wird leider mit jedem Tag ernſter.“ 

Ricarda war tief erröthend vom Clavier auf— 
geſprungen, denn zum erſten Mal kam ihr ſelber 
in dieſem Augenblick der Gedanke, weshalb ſie 
denn eigentlich heute gerade jo heiter und fait 
ausgelafien jei. War es nur der Wiederbeſitz 
ihres Ringes? Wenn fie hätte aufrichtig fein 
wollen, jo mußte fie jich geitehen, day ſie in der 
legten Stunde gar nicht an den gedacht — und 
troßdem brauchte fie ihn jet zum Vorwand. 

„Rathe einmal, Onfelhen, was ich bekommen 
habe,‘ rief fie, indem ſie ihm ſchelmiſch dabei 
anjah und ihre Hände binter jich hielt, 


296 


„Bas Du befommen haſt?“ frug Rodriguez, 
während deſſen Frau jebt ebenfalls in's Zimmer 
trat — „und von wem?’ 

„Ja, das mußt Du aud rathen.“ 

‚Aber wie kann ich das, Närrchen?“ 

‚Meinen Ring hab’ ich wieder,’ rief jie, ihm 
die Hand mit dem Ring vor die Augen haltend. 

„Den Ring,” rief Rodriguez rajch, „den Dir 
Mauricio Lucido —“ 

„Den mir der Herr Räuber abgenommen hat 
und an dem ich ihn erwiſchte.“ 

„Und wer hat ihn gebracht?“ 

Jetzt wurde Ricarda in der That ein wenig 
roth, aber ſie antwortete doch ſo unbefangen als 
nur möglich: 

„Natürlich derſelbe, der ihn dem Räuber wie— 
der abgenommen hat — Hauptmann van Leuwen.“ 

„Van Leuwen? lebt denn der noch?“ ſagte 
Rodriguez mit einer faſt tödtlichen Gleichgiltig— 
keit, „ich glaubte, der wäre damals erſchoſſen 
worden.“ 

„Aber Onkelchen,“ rief Ricarda wirklich er— 
ſchreckt aus, „was um ber heiligen Jungfrau 
willen fällt Dir nur ein; er war ja nur jchwer 
verwundet.‘ 

„Ja,“ jagte Rodriguez, „aber mir wurde er— 


297 


zahlt, er hätte drei Schußwunden erhalten und 
wäre ihnen erlegen. Nun das freut mich, da 
bat er es doch glücklich überjtanden — zähes 
Volk, dieſe Fremden.” 

„Aher überſtanden hat er es noch lange nicht, 
Onkelchen — denken Sie ſich nur Tante, wie 
er vor etwa einer Stunde hier bei mir war und 
mir den Ring wiederbrachte, wurde er auf ein— 
mal todtenbleich und konnte kaum auf einen 
Stuhl ſinken, ſonſt wäre er zu Boden gefallen.“ 

„Das iſt aber ſehr leichtſinnig von ihm,“ 
ſagte die Dame, „ſchon Beſuche zu machen, wenn 
man ſich noch ſo ſchwach fühlt. Er hätte ſich 
erſt wieder ordentlich pflegen ſollen, ehe er an's 
Ausgehen denken durfte.“ 

„Aber wo ſoll er ſich pflegen, beſtes Tant— 
chen? Der arme Menſch hat ja hier keine an— 
dere Heimath als die Kaſerne. Mir that es in 
der Seele weh,“ fuhr ſie bewegt fort, „denn ich 
hatte ihn eigentlich an jenem Abend gebeten, 
mir den Ring wieder zu verſchaffen. Ich bin 
alſo auch deshalb wahrſcheinlich die Schuld, daß 
er ſo ſchwer verwundet wurde, und wenn Papa 
bier in Mexico wohnte,‘ ſetzte fie halb ſchüchtern 
hinzu, „ſo wüßte ich wohl was ich thäte.“ 

„Nun, mein Herz?’ jagte Rodriguez, dejjen 


298 


Gedanken aber indeß jchon wieder gewandert 
waren, denn was fümmerte ihn der verwundete 
belgiihe Dfficier, ‚was würdejt Du alfo thun?“ 

„Ich würbe Bapa bitten,’ ſagte Nicarda ent: 
ihlojjen, „daß er ihn zu uns in das, Haug 
nehme, damit er da jeine ordentliche Pflege be— 
fommen fönnte.‘ 

‚ber Ricarda, was fällt Dir ein ?’’ rief die 
Setora, „einen wildfremden Menichen, mit dem 
man faum drei- oder viermal gejellihaftlich zu= 
jammen gefommen. Das ginge doch unmög— 
lich an.‘ 

„Und weshalb nicht?’ jagte das junge Mäd— 
hen raſch, „gehört er nicht dadurch, daß er in 
der Armee des Kaijers dient, auch völlig mit zu 
ung? 

„Mein liebes Kind,‘ ermwiederte Rodriguez 
bedächtig, „ich fürchte faft, daß die ‚„„Armee‘‘ des 
Kaijers nicht von jo gar langen Bejtand mehr 
jein wird, denn die Anzeichen, daß uns wieder 
eine Krijis bevorfteht, mehren ſich in erſchrecken— 
der Weiſe.“ 

„Halt Du neuere Nachrichten, Joſé?“ rief 
jeine rau bejorgt. 

„Allerdings,“ nidte Rodriguez, „und nicht 
eben bejonders günftige, denn wenn ich auch nicht 


299 


weiß, ob ſchon ein bejtimmter Armecbefehl dafür 
eingetroffen ijt, jo unterliegt es doch kaum noch 
einem Zweifel, daß der qute Kailer Napoleon 
die Sache hier in Merico nicht etwa fatt bat, 
aber doch von den amerifanijchen Staaten jo ge= 
drängt und in der That mit einem Krieg bedroht 
wird, um wahricheinlich in der allernächiten Zeit 
jeinen Truppen Marjchbefehl zu geben und fie 
in Vera-Cruz wieder einzujchiffen. Dann aber 
befinden wir uns bier in der jehr angenehmen 
Yage, die Liberalen unmittelbar darauf in der 
Hauptjtadt erwarten zu dürfen, und die ganze 
Geſchichte mit dem Kaiſerreich war Nichts, als 
eben ein etwas ſehr Fojtipieliges und nachher 
mißlungenes Erperiment.‘ 

„Aber das iſt nicht möglich!” vief Ricarda 
erichredt. „Der Kaifer hat doc feine eigenen 
Truppen und alle die mericanischen Negimenter, 
die ihm Treue geſchworen haben. Wenn wir 
jelber jeine Sache nicht aufgeben, jo kann Juarez 
auch gar nicht wagen, mit feinen wilden Banden 
auch nur gegen Merico anzurücden.‘ 

„Mit dem Anrücken,“ erwiederte Nodriguez 
achſelzuckend, „scheint er ſchon auf dem beiten 
Weg zu jein, denn die Zeitungen berichten, daß 
jih die franzöfifhen Truppen im Norden jehr 


300 


paffiv verhalten, und dabei iſt Mejia in Mata— 
moras fat eingejchlofjen, Negrete dagegen, Juarez’ 
Kriegsminijter, rüdt ſchon wieder gegen Chi: 
huahua vor, und wir erleben jeßt zum britten 
Mal die nämlihen Kämpfe, die wir nun in 
jedem Jahr jeit 1863 gehabt haben. Daß 
darüber das Land total zu Grunde geht, verfteht 
fih außerdem von jelbit, und ehe wir einen ſol— 
hen Zujtand permanent machen, wäre e8 doch 
in der That wünjchenswerth, Seine Majejtät — 
zögen mit den Franzoſen wieder friedlich ab.’ 

„Aber Onkel!” rief Ricarda entjegt, „und 
habt Ahr nit Alle ihn mit zum Kaijer gewählt 
und ihn veranlaßt, jeine friedliche Heimath zu 
verlajien, um heraus in dies ftürmijche, unjelige 
Sand zu kommen?“ 

Señor Rodriguez zudte mit den Achſeln. 
„Wir glaubten, daß die Sache gehen würde, 
und jie wäre auch gegangen, wenn Marimilian 
die Leitung der Gejchäfte denen anvertraut hätte, 
die früher für ihn eingejtanden waren. Er hat 
das aber nicht für gut befunden, und ich ſehe 
nun gar nicht ein, weshalb wir jeßt die Ver: 
antwortung auf unjere Schultern nehmen 
ſollten.“ 

„Aber Napoleon hat doch einen Vertrag mit 





301 


ihm abgeſchloſſen,“ bemerkte jhüchtern Ricarda, 
„er darf ihn doch gar nit im Stich laſſen 
und jeinen Feinden in die Hände geben ?“ 

„In der Politik, mein liebes Kind,“ erwies 
derte ihr Onkel, ‚gebt eben Alles, und was man 
in bürgerliden Berbältnifjen manchmal einen 
Schurfenjtreih nennen würde, das kann bort 
zur gerechtfertigten Nothwendigkeit werben.‘ 

„Das verjtehe ich nicht.‘ 

„Ja,“ lachte Rodriguez, „das geht manchen 
gejheidteren Leuten jo, mein liebes Herz.‘ 

„Sp hältit Du die Sadhe des Kaijerreichs 
für verloren ?” 

„Das will ih noch nicht ſagen,“ bemerkte 
der Onkel, „wer weiß denn wie jich Alles gejtals 
ten mag, aber bedroht ijt fie jedenfalls, und 
id — möchte jetzt Feine Actien zu fünfzehn Pros 
cent darauf nehmen — ich fürdhte, es wäre ein 
ſchlechtes Geſchäft.“ 

„Aber das, Onkelchen,“ ſagte Ricarda nach 
einer kleinen Weile, indem ſie gewaltſam heiter 
zu ſcheinen ſuchte, „hat doch eigentlich gar nichts 
mit dem zu thun, worüber ich vorhin mit Dir 
ſprach.“ 

„Und was war das, mein Herz?“ 

„Haſt Du es ſchon wieder vergeſſen?“ er— 


302 


wiederte Ricarda erröthend — „wir — ſprachen 
von dem jo jchwer verwunbdeten belgijchen Of: 
ftcier.‘ 

„Run? und? —“ | 

„And — daß er dort wo er liegt gar Feine 
Pflege hat, und dag — daß es fo gar hübſch 
wäre, wenn ihn — wenn ihn Jemand zu jid 
in's Haus nehmen könnte.“ 

„Das würde allerdings ganz angenehm für 
ihn ſein,“ erwiederte Rodriguez ruhig, ‚aber 
wer jol das thun, mein Kind, denn alle Ber: 
wundeten fönnen wir dod) der Militär: Commij: 
jion nicht abnehmen, Erſtlich würden wir un: 
jere Häufer zu Spitälern machen, und dann — 
haben wir dazu auch nicht die geringjte um 
denkbare Verpflichtung.” 

„Ich dachte nur, Onkelchen,“ jagte Ricarda, 
ih an ihn jchmiegend, ‚weil Hauptmann 'van 
Xeuwen doc eigentlih die Wunden meinet: 
wegen befommen bat.‘ 

„Deinetwegen?“ 

„Ich war wenigſtens die Beratung: dar 
er von der ganzen Sache Etwas erfuhr und jid 
hineinmiſchte.“ 

„nam — und alſo auf den Hauptmann van 
Leuwen jpeciell geht die Frage?“ jagte Rodri— 


303 


guez, indem er ſie forſchend anſah — „wenn er 
Dir aber heute ſeinen Beſuch gemacht hat — 
und es thut mir leid, daß ich gerade nicht zu 
Hauſe war — jo muß er doch auch wieder her— 
geſtellt ſein?“ 

„Ja — ſo halb und halb, aber ſo ſchwach 
war er noch, daß er, wie ich Dir ja ſchon geſagt 
habe, beinahe ohnmächtig geworden wäre.“ 

„Hm!“ — nickte Rodriguez langſam vor ſich 
hin — „ich hätte gegen den Mann gerade Nichts 
— er ſoll ſich überall ſehr anſtändig und be— 
ſcheiden benommen haben, und iſt auch wahr— 
ſcheinlich ein tapferer Soldat, aber die Sache, 
in die er da gerade durch Dich verwickelt wurde, 
iſt mir, wie ich Dir offen geſtehen muß, nicht 
beſonders angenehm, denn obgleich ich vollkom— 
men unſchuldig dabei bin, hat ſich doch Lucido 
auffällig kalt gegen mich ſeit der Zeit ge— 
zeigt. Außerdem ſcheint er ſich gerade in den 
legten Monden den Klerikalen mehr zugeneigt 
zu haben, denn der Erzbiſchof war neulich un— 
endlich freundlich gegen ihn. Nähme ich jetzt 
aber den nämlichen Officier zu mir in's Haus, 
auf deſſen Anklage hin damals ſein Sohn ver— 
haftet wurde und mit genauer Noth nur durch 
die Flucht einem ſchimpflichen Tod entging, ſo 


en 
7— 
“ 
d 


304 
würden jie das jicher als eine ganz entjchieben 
ausgeſprochene Billigung jenes Vorfalls be 
trachten.“ 

„Aber Onkel, war es denn nicht ein ganz 
gemeiner Raubanfall!“ rief Ricarda beſtürzt aus. 

„Quien sabe!“ ſagte Rodriguez, „in jetziger 
Zeit weiß man Guerillas und Ladrones kaum 
noch von einander zu unterſcheiden, und wenn 
wir auch die Wirkung ſehen, es iſt unmöglich, 
die Beweggründe dafür genau feſtzuſtellen.“ 

„Und das iſt allein die Rückſicht, die Dich 
davon abhält?“ ſagte Ricarda leiſe. 

„Ja und nein,“ erwiederte ihr Onkel, „ich 
möchte mich außerdem auch nicht entſchiedener, 
als es irgend nöthig iſt, gerade jetzt auf die 
Seite irgend welcher Partei ſtellen, wo die näch— 
ſten Wochen ſchon vielleicht im Stande ſind ſie 
vollſtändig über den Haufen zu werfen. Nachher 
bin ich compromittirt und habe mir ſelber die 
Schuld zuzuſchreiben.“ 

Ricarda nickte langſam vor ſich hin mit dem 
Kopf. „Ich begreife es,“ ſagte ſie kaum hör— 
bar. „Du willſt abwarten, Onkel, auf welcht 
Seite ſich ſchließlich der Sieg neigt, um dann 
erſt Deinen Entſchluß zu faſſen.“ 

„Doch nicht ſo ganz. Doch nicht ſo ganz, 








305 


Herz," ſagte Rodriguez raſch, denn er jchämte 
jih vielleicht, jein politiiches Programm mit jo 
fablen, einfachen Worten bloßgeftellt zu jehen. 
„Ich bin dem Kaiſer wirklich ergeben; ich ſehe 
ein und fühle, daß er's gut mit dem Yand 
meint, und ich — Hoffe zu Gott, daß es ihm 
gelingen möge, das große Werk einer Reorga= 
nilation unjeres Landes glücklich durchzuführen, 
aber ih — ich möchte auch nicht den Ereignijfen, 
denen der Einzelne ja doch nicht wibderjtehen 
fann, vorgreifen und bin es mir jelber wie mei— 
ner Familie ſchuldig, nicht leichtfinnig und in 
ven Tag hinein zu handeln.‘ 

Ricarda hatte mit der rechten Hand an ihr Herz 
gefaßt und war recht til und nachdenkend ge— 
worden. Sie erwiederte auch Feine Sylbe, nicte 
nur, dabei vor ſich auf die Erde jehend, daß jie 
die Gründe billige, oder doch wenigftens be— 
greife, und zog ji) dann auf ihr eigenes Zim— 
mer zurüd. 


Fr. Gerftäder, In Merico. IIL 20 


10. 
Frankreids Treubruch. 


Rodriguez hatte nicht Jo ganz Unrecht gehabt, 
wenn er in feiner Unterredung mit Ricarda feine 
Meinung darüber ausgeiproden, daß das Kaiſer— 
reih auf fchwanfenden Stüßen jtehe und im 
Sinken jei. | 

Wie Glüdsfälle jelten allein kommen, jo ilt 
es auch in trüben Stunden, und war es bier 
ihon aus dem Grunde, weil Eins eben das 
Andere unrettbar nachzog. Die Lawine kann 
am Gipfel eines Berges oft aus einer Kleinen, 
fajt harmloſen Urjache entjtehen; ein einfacher 
Schneeball rollt jie den Hang hinab, und ein 
Kind könnte ihn aufhalten und zerprüden , aber 
je weiter er jpringt, dejto mehr Schnee rafft er 
zujammen, je riejiger wächſt er an, bis er zulegt 


307 


Dörfer und Wälder zertrümmert und in feinem 
Sturz mit in den Abgrund reißt. 

Im Jahr 1865 "Hatte fih das Kaiferthum 
allem Anſchein nad mehr und mehr befeitigt. 
Die franzölifhen und öſterreichiſch-belgiſchen 
Truppen, wader dabei von ben beiden mericani- 
jhen Generalen Mejia und Mendez unterjtügt, 
trieben den Feind zu Paaren, wo jie mit ihm 
zujammen trafen, und hatten eigentlich für kurze 
Zeit das ganze ungeheure Reich, mit Ausnahme 
Guerreros und einiger der entferntejten Staaten, 
dem Kaiſerthum unterworfen. 

Aber ein ſolch' ungeheures Land läßt ſich 
wohl zeitweilig erobern, dod nie und nimmer 
behaupten, wenn .man nicht Hunberttaufende von 
Soldaten zur Berfügung hat und die Stellen, 
die man gewonnen, auch bejegt halten Fann. 
Schon mit dem Ende des Jahres wandte ji) 
das Glück, und eigentlid) von der Zeit an, wo 
die Kaijerin von ihrer Reije aus Yucatan zurüd: 
febrte und bier die erjte Kunde von dem Tod 
ihres Vaters, des Königs der Belgier, vernahm, 
jhien der Gipfelpunft des Kaijerreichs erklom— 
men zu jein und der Weg von da ab, allmählid 
zwar im Anfang, doc) jteiler und jteiler, wie er 
weiter dem Abgrund zulief, hinunter zu führen. 


20% 


308 


Immer noch hielt es ſich aber wenigitens,. 
Die franzdfiihen Truppen, wenn auch Bazaine 
ihon geheime Snftructionen befommen zu haben 
Ihien, thaten doch noch ihre Schuldigkeit und 
Ihlugen fi tapfer, wohin man fie audy führte. 
Aber ſchon im Frühjahr von 1866 zeigte ber 
Oberbefehlshaber Feine Luft mehr zu neuen 
Operationen, ſchickte an alle gefährlichen Punkte 
Belgier und Defterreicher, und ſchien jein Heer 
mehr und mehr von dem Kriegsſchauplatz zurüde 
ziehen zu wollen. 

Im Juni nahm er allerdings noch einmal 
Chihuahua und trieb den damals wieder bis 
dahin vorgedrungenen Juarez zurüd, dann aber 
konnte es feinen Zweifel unterliegen, daß er bie 
DOffenfive in Merico vollftändig aufgegeben habe. 
Troßdem daß die Liberalen von allen Geiten 
wieder beranrüdten und fühner und Fühner 
wurden, je deutlicher fie jahen, daß ihnen nir— 
gends mehr ernitlicher Widerſtand geboten wurde, 
ließ ih der Marihall auf Feine weiteren Unter: 
nehmungen mehr ein, ja jchien nur den einen 
Zweck zu verfolgen, feine franzöfifhen Truppen 
zu concentriven, um eines jedenfalls angefüns 
bigten Befehls von daheim gewärtig zu fein. 

Die geheimen Anhänger Juarez' jubelten na= 


309 


türlid, denn gerade in diefem Augenblid dem 
Kaijerreih die ganze Hilfsarmee entziehen, hieß 
geradezu nicht weniger, als ihm den Todesſtoß 
geben. So wenigitens faßten e8 Jene auf, die 
Merico und jeine Bevölferung genauer fannten. 
Ter Klerus jelber aber, fo ſehnſüchtig er auf 
den Moment gehofft hatte, wo er wieder freie 
Hand befommen würde, befand ſich in Verlegen 
beit, venn die Bedingungen waren noch nicht er= 
füllt, unter denen er gern die ihm doch feind- 
lichen Franzojen aus dem Land abziehen jehen 
wollte. Juarez war, wie ſich faum leugnen ließ, 
nod nicht vernichtet, jo oft ihn aud das Ge— 
rücht jhon über die Grenze gejagt hatte, und 
prahlerijche Zeitungsannoncen verfündeten, daß 
jeine Armee völlig aufgerieben und zerjtreut jet. 
Woher er iminer wieder jelbjt in jenen entlege- 
nen Theilen des Landes neue Truppen befam, 
blieb allerdings ein Räthſel, aber daß ſie da 
waren, ließ fich nicht wegleugnen. 

Die Liberalen folgten den Kaijerlichen, wo 
aud immer ſich dieje zurüczogen, auf dem Fuß 
und trieben dadurch das Land fajt zur Verzweif— 
lung, denn die von beiden Theilen auferlegten 
Contributionen nahmen fein Ende mehr. 

Das alfo, was die Anhänger des Kaijerreichs 


310 


mit Bejorgnig erfüllte, die auffällige Unthätig- 
feit der Franzoſen, deren ganze Armee ſich gar 
nicht mehr um die Vorgänge im Land zu küm— 
mern jchien und augenſcheinlich nur auf Befehle 
von außen wartete, und die unverfennbare Rüh— 
rigfeit der SJuariftiihen Banden im Norden, Sü— 
den und Weiten ließ auch den Klerus zum erjten 
Mal vielleicht bereuen, in jeinen Wühlereien ein 
wenig zu voreilig gewejen zu jein — benn bie 
Zeit war noch nicht gefommen, und es fehlte 
ihnen ein Mann. | 

Ya, wäre Miramon jebt in Merico gewejen, 
jo hätte fich vielleicht Alles in der einfachiten 
Weiſe regeln laſſen. Diejer, mit dem vollen 
Vertrauen der Conjervativen wie des Klerus, 
fonnte das von dem letzteren fanatifirte Volt 
um fih ſammeln, und die Geiftlichen durften 
wenigſtens auf einen Erfolg hoffen — aber was 
nun? 

Die Herren fühlten jet das dringende Be— 
bürfnig fih auszufprehen und Rath und Troſt 
einzuholen, und zu General de la Parra waren 
deshalb auf den heutigen Tag wieder die Spigen 
der Elerifalen Verſchwörung, die ſchon lange im 
Stillen wühlte und bohrte, bejchieden worden. 

Die Situation verlangte allerdings die volle 


311 


Aufmerkſamkeit der Betheiligten, und bringend 
nöthige Mafregeln mußten berathen werden. 

Die dort verjammelten Confervativen for: 
derten deshalb auch den Erzbiichof auf das ent- 
Ichiedenjte auf, Feine Zeit mehr zu verfäumen ; 
das Teuer brannte ihnen in der That auf den 
Nägeln, und in ihrem engeren Kreis tauchte 
ſogar ſchon der Vorſchlag auf, den alten Präfi- 
denten und Unrubeitifter Santa Anna wenig: 
tens „in Borrath” zu haben, wenn Etwas bier 
in Merico plößlich geſchehen jollte, was jchleunige 
Abhilfe verlangte. 

Ein neues Mitglied war ihnen babei zuge= 
treten, ein Geiſtlicher, Ordonoz mit Namen, ein 
ehrgeiziger Priejter und, wie allbefannt, ein na= 
türliher Sohn Santa Anna’s, der jelbjtverjtänd: 
fih hoffen durfte, augenblicklich einen Biſchofſitz 
im Land zu erhalten, jobald fein Vater wieder 
an die Negierung Fam. 

Labaftida durchſchaute das Alles und mußte 
es durchſchauen, denn wirklichen Patriotismus 
brauchte er bei feinem der Herren vorauszujeßen. 
Stand er diefem ja auch jelber genau jo fern. 
Nur das eigene Intereſſe fonnte hier maßgebend 
fein und trieb Alle, wo es gemeinjam wirkte, 
auch zu gemeinfamem Handeln. Der Erzbiichof 


312 


traute aber dem alten Santa Anna felber nicht, 
denn er wußte zu gut, wie oft ber ehrgeizige 
und geldgierige Patron jeine Gejinnungen ge— 
wechjelt und ſich der Partei rüdjichtslos ange— 
ſchloſſen hatte, die für ihn jelber die nüglichite 
und im Augenblid brauchbarſte ſchien. Aber troß- 
dem durfte er feine eigene Herzensmeinung in 
Gegenwart Ordonoz' doch nicht ausſprechen, denn 
wer im ganzen Reih konnte jagen, wie jid) 
Alles bei einem Umjturz des jetzt Beitehenden 
gejtalten würde. Es war eben jo leicht möglid) 
als nicht, daß Santa Anna wirklich wieder ein 
mal auf kurze Zeit an’s Ruder fam, und hatte 
er jelber ſich ihm dann feindlich gezeigt, jo ſetzte 
er ſich natürlich nur jeiner Rache und Verfol— 
gung aus. 

Dies aber brachte ihn troßdem nicht in Ver: 
legenheit. — Er jelber verſprach jich allerdings 
feinen Erfolg nach diejer Richtung Hin und 
wußte jogar, daß dem Klerus dadurch Feine 
Sicherheit geboten wurde, aber es genügte viel: 
leicht für den Moment. Redete er jetzt ſchein— 
bar einer Berufung Santa Anna’s das Wort, 
fo ſicherte er fich einestheil® den Rüden, und 
gewann dann auch die — wenn aud nod jo 
fleine — Partei des Erdictators für ſich, und 


313 


in dieſem Augenblid durfte er feine Hilfe 
von der Hand weilen. 

„Señores,“ fagte er deshalb, als ihm von 
General de la Parra der Vorfchlag felber ge— 
macht war, indem er nachdenkend, aber anſchei— 
nend nicht unbefriedigt dazu mit dem Kopf nidte 
— „ich muß Ihnen gejtehen, daß ich mich jelber 
ſchon viel mit dem Gedanken bejchäftigt babe. 
Das Einzige nur, was ich fürchte, fit, daß Ge— 
neral Santa Anna vielleicht zögern würde, in 
jeinem Alter, bei jo vorgerüdten Sahren, die 
ſtille, ſichere Ruhe feines jetzigen Aufenthalts 
mit dem ſtürmiſchen und ſelbſt gefahrvollen Leben 
und Wirken in unſerem unruhigen Reich wieder 
zu vertauſchen. Es iſt nicht gut denkbar.“ 

„Wenn mir Monſeñor erlauben,“ bemerkte 
da Pater Ordonoz mit großer Befriedigung, 
denn ſchon dieſe halbe Zuſtimmung erweckte in 
ihm die Ausſicht auf eine neue glänzende Car— 
riere, ‚jo kann ich Ihnen die beſtimmte Ver— 
ſicherung geben, daß der General ſeinem gelieb— 
ten Vaterland auch dieſes Opfer bringen wird, 
wie er ihm ſchon ſo viele gebracht hat. Ich ſtehe 
mit ihm in Correſpondenz, und er hat ſich dar— 
über gegen mich unzweifelhaft ausgeſprochen.“ 

„In der That!“ ſagte Labaſtida mit ſeinem 


314 


glatten Geſicht, das, wenn er es wollte, aud 
nicht den geringiten Ausdruck zeigte — „aber 
ich weiß, daß fich der General immer aufopfes 
rungsfähig bewiefen bat, und wenn ich es mir 
recht überlege, wäre e8 vielleicht das Beſte, direct 
eine Anfrage an ihn zu ftellen und jeine Mei— 
nung zu hören.” 

„Ih glaube kaum, daß das nöthig jein 
würde,“ bemerfte Ordonoz. 

„Das würde es in der That,“ erwiederte 
aber Labaſtida, „denn dieſe Sache iſt doch zu 
wichtig und folgenſchwer, um ſich darin nur ein— 
fach auf eine Privatcorreſpondenz zu verlaſſen. 
Eine directe Anfrage, worauf ſich der General 
dann entſchieden ausſprechen und uns vor allen 
Dingen erſt ſein Programm einſenden kann, 
bringt Alles raſch in Ordnung, denn Sie wer— 
den mir zugeſtehen, Señores, daß wir nach den 
bitteren Erfahrungen, die wir mit Kaiſer Maxi— 
milian gemacht, etwas vorſichtiger zu Werke gehen 
müſſen. Iſt der General gewillt, auf unſere 
Bedingungen feſt und ohne Klauſeln einzugehen, 
gut, dann darf er ſich auch darauf verlaſſen, daß 
ihn die Kirche mit allen ihr zu Gebote ſtehenden 
Mitteln unterſtützen wird; iſt das aber nicht der 
Fall, dann würde ſeine Regierung nur unnützer— 


315 


weije den Kampf erneuern und das Yand noch 
in größeres Verderben bringen. Außerdem, 
Señores,“ jeßte er hinzu, „babe ich Ahnen die 
Mittheilung zu machen, daß ich den Zeitpunft 
für gefommen erachte, wo wir alle unfere freunde 
um uns jammeln müſſen. Sie erinnern fich, 
was ich Ihnen früher darüber fagte. Ich babe 
nun jeßt zu meiner freude gehört, daß Seine 
Majejtät den General Marquez aus Europa 
zurüdberufen bat, troß aller Mühe war es aber 
nicht zu erlangen, daß dafjelbe auch mit General 
Miramon geſchehe. Wie es jcheint, mißtraut 
ibm der Kaiſer zu jehr, oder auch möglich, daß 
die Liberalen Minijter eine zu ſtarke Oppofition 
von jeiner Seite fürchten.“ 

„Aber wir brauden Miramon nothwendig 
in Merico,‘ rief de la Parra aus — „mir 
fönnen ihn nicht entbehren !’ 

„Das war auch meine Meinung,‘ nickte der 
Erzbiſchof, ‚und deshalb habe ich dem General 
mit dem legten Dampfer die ganz bejtimmte 
Weiſung zugehen lajjen, unter jeder Bedingung 
und unter welchem Vorwand auch immer, wenn 
möglid, jhon mit Marquez zufammen nad) 
Meerico zurüdzufehren. Wir dürfen Beide alfo 
in nächſter Zeit erwarten, und Alles wirb und 


316 


muß jih dann raſch entjcheiven. Ich habe be= 
jtimmte Nahriht aus Rom, daß die Sendung 
Seiner Majeftät dort — mie das auch nicht 
anders möglih war — vollfommen gejceitert 
ijt, denn die Kirche kann ſich nicht in ragen, 
bie nur von der Kirche einen Beſchluß verlangen, 
mit irgend einer weltlichen Macht der Erde ver— 
ftändigen — jo wenig wir uns mit Gott jelber 
über unfere Sünden verjtändigen fünnen. So— 
mit trifft denn Alles zujammen, was den Kaijer 
zu einem bejtimmten Schritt treiben muß. Der 
wird ihn dann in die entweder einzig richtige 
und in der That einzig mögliche Bahn hinein— 
lenfen, oder ihn zwingen, die Krone niederzulegen, 
die ihm nocd feine Freude, dem Lande jelber 
aber noch feinen Nußen gebradt, und es nur 
zu lange von feinem Gott und dem wahren 
Glauben entfernt gehalten bat.‘ 

„Und gejtatten mir die Herten vielleicht,‘ 
jagte da Ordonoz, der über die Rüdfehr Mira: 
mon's nicht bejonders erfreut jchien, „daß ich in 
Ihrem Namen, oder vielmehr in dem unfern 
gemeinjchaftlich, eine jolhe Anfrage jtelle, wie 
fie Monſeñor als nöthig erachtet ?' 

Die Berfammlung jchwieg, denn mit der Ge— 
wißheit, die jie eben erhalten, daß General Mi— 


317 


ramon ganz bejtimmt und bald zurückkehren 
werde, fiel auch die Nothwendigkeit weg, Eanta 
Anna wieder in das Land zu rufen, und trauen 
mochte dem alten Antriguanten Kleiner. Aber die 
Sade war einmal angeregt, man wußte ja über: 
baupt auch noch nicht, ob Miramon wirklich fo 
bald Fam, und einen Präfidenten, der Juarez ge— 
wachſen war, mußten fie haben, wenn jie nicht den 
Liberalen vollfommen freies Spiel laſſen wollten. 
Labaſtida jagte deshalb nach kurzem Ueberlegen: 

„Ich glaube wir thun wohl, wenn wir das 
Anerbieten acceptiven, ich werde Ahnen dann 
aber, Padre Ordonoz, vorher die Punkte auf: 
jtellen, zu denen jih der General Flar und deut: 
lich befennen muß, um nachher jedes Mißver— 
ſtändniß unmöglich zu machen.‘ 

„Und ließe ſich das nicht gleich erledigen ? 
frug Ordonoz. „In wenigen Stunden gebt der 
Courier nah Vera-Cruz, der die Depefchen für 
ben Habana-Dampfer hinabbringt.“ 

„Die Sade ift zu wichtig, um fie über’s Knie 
zu brechen,” erwiederte der Erzbiſchof, dem ein 
Aufſchub ganz erwünjcht fommen mochte. „Wenn 
wir aud) einen Dampfer verjäumen, jo ift das 
immer bejjer, als wenn wir mit dieſem eine viel: 
leicht übereilte Handlung begehen. Ich werde 


318 


indejjen die Jujtimmung der benachbarten Biſchöfe 
einholen und Ihnen dann die Bedingungen über: 
geben. Das verhindert jedoch nicht,‘ ſetzte er 
freundlich hinzu, „daß Sie ſchon mit diejer Poſt 
an den General jchreiben, ihn von unjerem Ent: 
ſchluß in Kenntniß jegen und auf den nädjten 
Brief vorbereiten. Es wird im Gegentheil bie 
Verhandlung fördern und bejchleunigen.‘‘ 

„And iſt es nicht möglid, daß wir in ber 
Zwijchenzeit in Etwas handeln?‘ jagte der 
überhaupt ungebuldige de la Parra, „dieſe Un: 
gewißheit wird zulegt unerträglich und ijt jchlim: 
mer als eine wirkliche Niederlage.‘ 

„Schaffen Sie Geld herbei,‘ jagte der Erz 
biſchof lächelnd, „das wird das Nothwendigite 
jein, was wir im entjcheidenden Augenblick brau: 
hen,“ und aufjtehend, verabjchiedete er jich mit 
jreundlihem Grup von jeinen Verbündeten, 


= 
* ** 


Maximilian hatte indeſſen die letzten Monate 
in einer ernſtlichen Unruhe verbracht, denn die 
Ungewißheit, wie ſeines Geſandten, Almonte's, 
Vorſchläge in Paris aufgenommen werden wür— 
den, quälte ſowohl jein Herz als feinen Geift. 

Wohl erfannte er die immer drohender wer: 


319 


denden Zuſtände in jeinem Reich, aber ev wußte 
aud, daß dies nur eine legte und verzweifelte 
Anjtrengung der Liberalen jei, ein legtes Auf: 
flackern des revolutionären Geijtes, der nur dann 
erjt gefährlich werden Fonnte, wenn man ihm 
eben Raum und Zeit ließ jih zu entwideln. 
Jetzt nod ein Hauptichlag gegen jie geführt, und 
jie mußten das Nugloje ihres Widerjtandes ein: 
ſehen — nur diesmal noch ihre Banden ver: 
nichtet und auseinander getrieben, und fein Re— 
bellenchef der Welt hätte ein neues Heer aus 
dem jchon überdies zu arg mißhandelten Land 
berausprejjen Fönnen. 

Aber dazu bedurfte er der Unterjtüßung 
Frankreichs nur no auf wenige Monate, und 
was thaten dieſe Truppen jeßt, die im Stande ge- 
-wejen wären, den Aufruhr im Keim zu erfticen ?*) 
Müſſig jtanden jie, Gewehr im Arm, und alle 


*) Doctor Baſch jagt darüber in feinem vortrefflichen Buche 
„Erinnerungen aus Mexico“: „Einem ruhenden Ungethüm 
gleich lag von nun an bie franzöfiiche Armee unthätig da — 
gleichgiltig zuiehend, wie die Diifidenten, durch die Paſſivität 
Bazaine’s muthig gemacht, einen Plag nach dem andern nah— 
men. Während dabei die Franzoſen Gewehr in Arm ftanden, 
wurde die letzte militärische Stütze des Kailers, das öſterreichiſch— 
beigiiche Freicorps dadurch, daß der Marichall daſſelbe in 
kleinen Detachements erponirte, ſyſtematiſch zu Grunde gerichtet.” 


320 


dringenden Vorjtellungen an den Marjchall wur: 
den nur durch Achjelzuden oder leere Entſchul— 
digungen erwiedert. Marimilian fühlte, er war 
nicht mehr Kaijer in feinem Reich, wo gerade 
dieſe Hilfstruppen einen Staat im Staat bil- 
deten, und mit einer jteigenden Ungeduld er: 
wartete er deshalb Nachricht von Almonte, wel: 
hen Erfolg er bei Napoleon gehabt, und ob 
diejer feinen dringenden Vorſtellungen nad: 
gegeben habe. 

Und hoffte er wirklidh Etwas davon? Eine 
dunkle, trübe Ahnung lag auf feiner Seele — 
er wußte, wie die Vereinigten Staaten, die ben 
Süden völlig überwunden hatten, Depeſchen auf 
Depeſchen an Napoleon fandten. Und der Per: 
trag, den er mit dem Kaifer der Franzoſen ab: 
geichlofien! War es das erfte Mal, daß dieſer 
Napoleon jein Wort gebrochen? 

Es litt ihn heute nicht in Chapultepec — el 
hatte hinüber nach Guernavaca gewollt, um dort 
die Schon fälligen Berichte in aller Ruhe abzu: 
warten, aber er ertrug e8 nicht, den Empfang 
auh nur noch auf Stunden hinauszujcieben, 
und wäre ihnen lieber bis Puebla entgegen: 
gereilt. Da — wie er eben in feinem merica- | 
nijchen Reitcoftüm, das er gewöhnlich auf jolden 


| 
—— 


Touren trug, ſein Pferd beſtiegen und in die Stadt 
hineinreiten wollte, langte ein Courier des fran— 
zöſiſchen Geſandten an, der ſich wahrſcheinlich 
die Unannehmlichkeit erſparen wollte, die De— 
peſchen Seiner Majeſtät perſönlich zu überreichen. 
Der Kaiſer nahm ſie, ließ augenblicklich ſein 
Pferd wieder abſatteln und eilte in ſein Zimmer 
hinauf, das er hinter ſich abſchloß, um ſie un— 
geſtört zu leſen. 

Er blieb lange — lange. Die Kaiſerin hatte 
erfahren, daß der franzöſiſche Conſul Papiere 
geſandt habe; ſie ahnte was fie enthielten, und 
es drängte fie, die Sorgen ihres Gemahls zu 
theilen — 05, es konnte faum etwas Günftiges 
jein, oder der Kaiſer hätte fich nicht jo lange ein— 
geihlofjen, jondern ihr gute Kunde augenblid: 
lich mitgetheilt. 

Endlich — zwei volle Stunden waren ver: 
gangen — öffnete ſich jeine Thür, und dem 
draußen aufwartenden Lakaien jagte er ruhig: 

„Ich laſſe die Kaiferin bitten, midy auf meis 
nem Zimmer zu beſuchen.“ — Er braudte nicht 
lange zu warten. Charlotte Hatte jchon jehn: 
ſüchtig des Augenblicks geharrt, und als ſie jein 
Gemach betrat, jtand Marimilian, die Arme auf 

Fr. Gerftäder, In Merico. IH. 21 


321 


322 


dem Rüden, aber bleih, wie jie ihn noch nie 
gejehen, mitten in der Stube. Auf dem Tiſch 
lagen die unheilvollen Papiere ausgebreitet, und 
nur als die Kaiferin mit angjtvollen Bliden 
vor ihm ftehen blieb, deutete er auf die Schrif- 
ten und jagte: „Lies!“ 

„Was ift gejchehen, Mar?’ vief Charlotte, 
und die Worte rangen fich ihr faſt von den Lippen. 

„Was geſchehen iſt?“ jagte Marimilian Falt. 
„Nichts als was ich die legten Monde jchon geahnt 
babe; aber was gejchehen wird, Charlotte, it: 
bag wir Abſchied von jenen herrlichen Bergen 
da drüben nehmen und nach unjerem jtillen Mi- 
ramare zurüdkehren.‘ 

„Mar! 

„Lies, mein Kind,‘ jagte der Kaijer ruhig 
— „der Brief der franzöfiihen Regierung ift 
gerade nicht bejonders hübſch oder befonders 
artig, aber er hat den Vortheil vor manchen an: 
deren diplomatijchen Actenſtücken, daß er deut: 
lid ijt, und das bleibt immer danfenswerth.‘ 

Die Kaijerin nahm jchweigend das Papier, 
überflog e8 erjt mit den Augen und las es dann 
langjam von vorn bis zum Schluß durch — 
dann jagte jie leije, indem jie es zurüd auf den 
Tiſch legte: 


323 


„So bridt ein Napoleon gejchlojjene Ver— 
träge !’’ 1 
„Sag’ lieber: jo tritt er jie mit Füßen!’ 
rief der Kaijer heftig aus — „ob, daß ich denen 
nicht folgte, die es wirklich gut mit mir mein: 
ten — daß ich einem Napoleon traute und mein 
Leben — ja weit mehr als das, meine Ehre, 
meinen Namen daran fette, ein Werkzeug feiner 
Pläne zu werben!’ 

Der Kaiferin Antlit hatte ebenfalls eine 
etwas bleichere Färbung angenommen, aber ernit 
und ruhig ftand ſie ihrem Gatten gegenüber, 
feine Spur von Schwäche zeigte die hohe fürjt- 
liche Gejtalt der edlen Frau, und mit feiter 
Stimme fagte fie: 

„Keine Klage, Mar, über Gejchehenes und 
Unabänderliches, jondern ruhig laß uns über- 
legen, was wir jegt thun und wie wir handeln 
fünnen, wenn Frankreich feine Drohung wirklich) 
wahr macht und feine Truppen zurüdzieht.‘ 

„Wenn!“ fagte der Kaiſer bitter, „und 
zweifeljt Du nad) diefem Brief noch an der be- 
Ihlofjenen Thatſache?“ 

„Gut,“ erwiederte die Kaijerin feit — „ſo 
nehmen wir e8 als eine Thatlache an und er= 


wägen dann das Kür und" Wider einer jolden. 
21* 


324 


Dies Wider ift jedenfalls die Verminderung 
ber Armee um — wie ich nicht leugnen will, ihre 
beften Zruppentbeile. Aber haben wir dafür nicht 
unjere neu errichteten Jäger-Bataillone, unjere 
Gazadores — der Grund zu einer echten mexicani— 
ihen National-Armee? Die denjelben beigegebenen 
franzöfiihen Dfficiere müjfjen bleiben — Na: 
poleon fann fie nicht abrufen, denn der Vertrag 
beiteht, daß fie noch acht Jahre nad Rüdzug der 
franzöſiſchen Truppen im Land bleiben müljlen, 
und wie viel größeren Ruhm haben wir, wenn 
wir ohne Hilfe fremder Bajonnette, mit einer 
wirfliden mericaniihen National-Armee unjern 
Thron behaupten und dem Land den Frieden 
wiedergeben ?'' 

„Täuſche Dich nicht, ſagte Marimilian ruhig, 
„das dürften wir hoffen, wenn in diefem Augen 
blif der Feind aus den Grenzen hinausgetrieben 
und das Yand in Frieden wäre — aber ſchon 
auf das Gerücht, daß die Franzoſen abmarſchiren, 
raffen jich die Yiberalen nicht allein jchärfer zu— 
jammen, jondern zahlloje unjerer jehr ungewifjen 
Freunde fallen auch ab, weil jie einem Sieg der 
Nepublifaner zuvorfommen und ihre eigene Haut 
in Sicherheit bringen wollen. Glaube mir, 
Gharlotte,‘ fette er ſeufzend hinzu, „ich habe 


325 


in den wenigen Jahren meine waderen merica= 
niſchen Unterthanen, beſſer als mir lieb ift, kennen 
lernen, und würde den Boden hier nie betreten 
haben, wäre das früher der Tall geweſen. Es 
ift vorbei — ich glaube nicht, daß ſich Napoleon 
je zur Wenderung feines Beſchluſſes wird be— 
wegen lajjen, und aufzwingen will ih mid 
dem mericaniichen Volk nicht. Gott weiß es, 
ih babe gethan, was in meinen Kräften ftebt, 
um dem unglüdlichen, burd) Parteien zerriffenen 
Land den Frieden zu geben, aber fie wollen 
ihn nicht, und das iſt die Folge diejer ewigen 
Kriege und Nevolutionen, die jeßt durch Mens 
ihenalter fortdauern. Dieſe Leute find nicht 
an Arbeit gewöhnt, jondern an ein wildes, aben= 
teuerliches Leben; fie wurden darin geboren, 
wurden darin groß gezogen; fie kennen es nicht 
anders und wollen es nicht anders haben. ch 
jehe, wie ich glaube, zu jpät ein, daß e8 Men: 
ichenfräfte überjteigt, jie in eine vernünftige 
Bahn zu bringen. Es find mit einem Wort 
feine Acderbauer mehr, die den Samen in die 
Erde legen und dann geduldig auf die Ernte 
barren, jondern wie fie auch in ihren Spielen 
nur der Leidenjchaft, nur dem Hazard fröhnen, 
jo wollen fie den Erfolg auch augenblidlidh. Ich 


326 


werde es müde, mein Leben mit diefem Bolf zu 
vergeuden. — Juarez, oder wer da will, jebe, 
wie er mit ihm fertig wird — es war cin Er: 
periment, und wenn aud mit jchwerem Herzen, 
glaube ich doch, daß ich am beiten thue, wenn 
ih meine Krone niederlege.” 

„Und wem thäteft Du damit den größten 
Gefallen?“ rief die Kailerin erregt aus — 
„Niemand als gerade jenem Kaiſer, der es ge: 
wagt, fein Spiel mit Dir zu treiben.- Mas ift 
e8 denn anders, was Napoleon jeßt will, als 
daß Du die Krone niederlegen folljt, wo er, von 
der nordamerifaniichen Union gedrängt, zu feige 
it für das gegebene Wort einzuftehen. Fürſten— 
blut! — es bat noch nie in feinen Adern ge: 
wallt — aus plebejiihem Stamm entjprofjen, ver: 
mag er nicht jich in die Gefühle eines wirklichen 
Fürſten hinein zu denfen, und träteft Du zurüd, 
die Hände würde er jih im Stillen reiben und 
mit feiner Großmuth nachher noch prahlen, mit 
der er Dir einen Thron angeboten und aufge 
baut, den Du nachher nicht im Stand gemejen 
wärjt zu halten.” 

Marimilian ſchwieg. — Die rechte Hand auf 
den Tiſch geftügt, ſtarrte dr jtill und düſter, in 
jeine eigenen finfteren Gedanfen vertieft, vor jih 


327 


nieder, und mit der Linken ſtrich und theilte er 
ji den langen blonden Bart. 

„Betrogen und verrathen,“ flüfterte-er dann, 
nad einer längeren qualvollen Pauſe leije vor 
ih Hin — „betrogen und verrathen und auf’s 
Neue von einem Napoleon! — und die Welt? — 
fie wird lachen über den thörichten Habsburger, 
der ih, troß Allem und Allem ihm nod eine 
mal anvertrauen Fonnte. Was befümmert fich 
auch die Welt darum, weldhe Beweggründe 
einen Fürſten leiten fonnten, einem ſolchen Ruf 
zu folgen — kann fie fih in feine Seele dene 
fen? — Und das leben fortan? — gedemüthigt 
in der Erinnerung an die erlittene Schmad, 
veripottet von der Mafje, verhöhnt in den Zei— 
tungen, bedauert von den Befjergejinnten, und 
das ijt der Wurm, der mir am Leben frejjen 
wird — das Bedauern, das Mitleiden.” 

An die Thür Elopfte ein leifer Finger — 
Marimilian hörte es gar nicht, aber die Kaiſerin 
trat zur Thür und öffnete. Es war ein Diener, 
ber ihr auf jilbernem Teller eine Depejche über: 
reichte, und Charlotte erjchraf, denn der Augen: 
blif war nicht darnach angethan, etwas Gutes zu 
bringen. — Aber was fam — das Schidjal 
rollte, und je deutlicher fie die Gefahr überjehen 


328 


konnte, dejto leichter war vielleicht auch Abhilfe 
möglich). 

Sie-nahm das Couvert und ſchloß die Thür 
wieder — es war ein Bericht aus Bazaine’8 Ca= 
binet mit dem franzöfiichen Siegel, und ahnungs— 
voll legte jie e8 auf den Tiſch. 

Der Kaijer hatte anfangs nicht darauf geach— 
tet, jest, aus jeinem Sinnen auffahrend, nahm 
er das Couvert. 

„Woher ?'' 

„Es jcheint von Bazaine.“ 

Er jagte fein Wort weiter, brach e8 auf und 
durchlas die Schrift. 

„Hahahaha!“ Tachte er aber, wie er faum halb 
hindurch war — „es fann wirklich fomifch wer: 
den, wenn jo Schlag auf Schlag trifft; aber bag 
bringt die Sache zu einem Abſchluß. — Mejia 
in Matamoras volljtändig gejchlagen und mit 
dem Reit jeiner Armee auf franzöfiihen Schiffen 
nah Vera-Cruz entfommen.” 

„Mejia ?’ rief die Kaijerin erjchredt. 

„Natürlich,“ late Marimilian bitter, „der 
wadere Indianer hat ſich lange genug gehalten, 
denn jchon jeit drei Monaten war er bedroht 
und eingefchlofjen, und wie habe ich Bazaine ge- 
beten, ihm Hilfe zu jhiden, was er- jo leicht von 





329 


der See aus hättethun können. Nein, der Herr 
Marihall von Frankreich Hatte wahrjcheinlich 
ſchon lange die Abjichten und Pläne jeines 
hoben kaiſerlichen Herrn erfahren und jchonte 
feine Truppen. Was lag auch an dem merica= 
niſchen Heer, je früher das vernichtet wurde, 
deſto rajcher Fonnte er mit feiner jungen rau 
nad Frankreich zurückkehren. — Aber ich jelber 
will mid bier nicht zu Tode ärgern,“ ſetzte er 
finjter hinzu, indem er mit raſchen Schritten 
und auf den Rüden gelegten Händen in dem 
Gemach auf und ab ſchritt. „Sind die Mexica— 
ner jo blind, daß fie felber in ihr Verderben 
bineinrennen wollen, gut, ich werde jie nicht 
länger halten. Morgen,” jeßte er entſchloſſen 
binzu, indem er vor der Gattin jtehen blieb, 
„werde ich dem verfammelten Minifterium meine 
Entjagung vorlegen. Ich will nicht mehr ihr 
Kaijer jein, denn es giebt fait feinen treuen 
Mericaner, den ich zum Diener haben möchte. — 
Selbjt die Minijter find? Schurfen — ich habe 
beitimmte Beweije, daß Siliceo mit Juarez heim: 
liche Correſpondenz geführt hat; von den An: 
deren weiß ich allerdings nichts Beſtimmtes, 
aber ich traue Keinem mehr. — Und aud ber 
Klerus wühlt nah Herzensluft. In der Haupt: 


330 
jtabt ijt jogar eine Verſchwörung im Gang, an 
deren Spiße diejer intriguirende Oberpfaffe, der 
Erzbiichof, jteht. — Schon jeit Wochen habe ich 
die Liſte der Verſchwörer in Händen — es ver: 
räth ja auch, Gott ſei Dank, immer Einer den 
Andern, und mit ſolchen Menſchen ſollte ich 
allein regieren? — Nein, nun und nimmermehr. 
Mein Entſchluß iſt gefaßt, ich danke ab, und 
dann, Charlotte, kehren wir nicht nach Oeſter— 
reich zurück, ſondern gehen nach Griechenland, 
Egypten, oder machen vielleicht eine Reiſe nach 
Oſtindien. Mich drängt's den Oſten zu ſehen, 
denn der Weſten — der Himmel weiß es — hat 
mir Leid genug gebracht.“ 

Die Kaiſerin hatte kein Wort erwiedert, be— 
fand ſich aber augenſcheinlich in furchtbarer Auf— 
regung — ihre Wangen glühten, ihre Augen 
blitzten, und die weiße, mit Ringen bedeckte Hand 
glitt ein paar Mal unbewußt und wie krampf— 
haft über ihre Stirn. 

„Nein,“ ſagte ſie endlich, und ein heftiges 
Zittern durchlief dabei ihren ganzen Körper — 
„nein — ſo ſollſt Du nicht von hier ſcheiden, 
ſo lange noch die Möglichkeit vorhanden iſt, das 
von Dir abzuwenden.“ 

„Aber die Möglichkeit iſt eben nicht mehr 


331 


vorhanden, Kind,‘ jagte der Kailer ruhig, denn 
er war zu ſehr mit fich Jelber bejchäftigt, um 
gleih die merfwürdige Veränderung zu bemerfen, 
die mit der Kaiferin in den wenigen Minuten 
vorgegangen. 

„Doch — doch,“ ſagte Charlotte halb flüſternd, 
indem ſie des Gatten Arm erfaßte und zu ihm 
aufſah — „ich weiß es, ich trage die Schuld, 
daß Du die ſchwere Krone auf Dein Haupt ge— 
laden — ſage Nichts,“ unterbrach ſie ihn raſch, 
als er ihr erwiedern wollte — „noch gedenke ich 
der Stunde in Miramare, wo ich, von Rang und 
Glanz geblendet, Dich umfaßte und Dich „mein 
Kaiſer“ nannte. Das war der unglückſelige 
Augenblick, der uns an die Küſte dieſer Wildniß 
warf. An mir iſt es aber auch jetzt, Dir die 
Laſt zu erleichtern und Hilfe zu ſchaffen, und 
gelingt es mir nicht — wohl, dann gehen wir 
zuſammen in's Exil, Max, und keine Klage 
komme je über unſere Lippen.“ 

„Aber Charlotte,“ rief der Kaiſer bewegt, 
„was haſt Du, Du biſt ſo ſonderbar erregt, 
Deine Augen leuchten, Deine ganze Geſtalt bebt!“ 

„Nichts, Max,“ flüſterte die Kaiſerin, „als daß 
ich Dir Hilfe bringen will, wenn Menſchenkräfte 
es noch vermögen.“ 


332 


„Du, Charlotte?“ rief der Kaijer kopfſchüt— 
telnd,, „das ift unmöglid. Mir können nur 
franzöjiihe Soldaten und Frieden mit der Kirche 
Hilfe bringen.” 


„Und Beides jchaffe ih Dir,’ fagte die Kai⸗ 


ſerin raſch, und wie mit dem Entſchluß hob ſich 
ihr Körper wieder zu ſeiner vollen Höhe und 
gewann Kraft und Feſtigkeit. — „Ich ſelber gehe 
nach Paris —“ 

„Charlotte!“ 


„Und nach Rom,” fuhr die Kaiſerin fort. 


„Wir thaten Unrecht, unſer Geſchick bis jeßt in 


die Hände fremder Menſchen zu legen, die feis | 


nen Theil daran nehmen und nicht mit berebter 
Zunge dafür ſprechen fonnten. Louis Napoleon 


! 


| 


war im Stande, die Vorfchläge eines mericani: 


ſchen Generals zu verwerfen, aber glaubjt Du, 
daß er es könnte, wenn ich ihm Aug’ in's Auge 
ſehe? Glaubſt Du, daß er es wagt mir zu fa: 
gen, er breche den Bertrag von Miramare?“ 

‚And wenn er e8 troßdem thut?“ 

„Nein — nein, und taufendmal nein — jelbit 
ein Napoleon wäre das nicht im Stande — aber 
mehr als das. In wenigen Monaten halt Du 
Nahricht, dag uns das franzöſiſche Heer noch 
eine Weile gefichert. ift — wenigjtens jo lange, 


339 


als wir es Brauchen, um dieje frechen Räuberjchaaren 
nur nod einmal gründlich zu züchtigen und un— 
jere eigene Nationalarmee zu organijiren. Dann 
eile ich hinüber nad Stalien zum heiligen Vater, 
und glaube mir, er wird meinen Vorjtellungen, 
die er als gute Katholikin kennt, eben jo wenig 
wibderjtehen, wie Napoleon.’ 

„Non possumus,” ſagte Marimilian büjter. 

„Slaube e8 nicht,“ rief die Kaiferin raſch. 
„Dem Menjhen, den Du zulegt nah Rom ge— 
\andt, habe ich nie getraut — das, was in ſei— 
nen Zügen lag, war nit Frömmigkeit, jondern 
Heuchelei. — Er iſt falſch, und auch das frißt 
mir in's Herz, daß ich, wenn auch in bejter Ab: 
jiht und in treuem Glauben, ihn Dir eigentlich 
zugeführt.’ 

„Aber woher dieſer Verdacht, Charlotte?’ 

„Ich weiß es nicht, aber jein ganzes Auftre: 
ten in der legten Zeit, fein gleißneriſches Wejen 
machten auf mic) den Eindrud, und aus ziemlid 
jicherer Quelle weiß ich auch jet — leider zu jpät, 
day er früher viel mit dem Erzbijchof verkehrte. 
Er war ein Werkzeug Labaſtida's.“ 

„Und von wem weißt Du das?‘ 

„Laß das jegt — e8 bleibt jich gleich, aber 
mein Entſchluß jteht feit. Ich jelber gehe nad 


334 

Paris und Rom — halte Dich nur fo lange. 
Der Termin der Abberufung jheint noch nicht 
fejt bejtimmt, und jo lange die Franzoſen im 
Land jtehen, dürfen jene Banden nicht wagen, 
ih der Hauptjtadt zu nahen. Das erjte Vor: 
dringen der verbündeten Truppen jagt jie aber 
wieder in ihre Wildniß zurück, und haben wir 
erjt Frieden mit der Kirche gejchlofjen, jteht der 
Klerus aud auf unferer Seite, dann Mar, 
dann ijt der Sieg unjer — dann bringen wir 
jelber auf Rüdberufung der franzöjiichen Armee, 
und dann blüht auch ein neues Yeben für uns 
auf.’ 

„Und ſoll ih Dich allein die weite gefahrvolle 
Reife unternehmen laſſen?“ 

„Bar ich nicht allein in Yucatan?“ lächelte 
die Kaiſerin; ‚und glaubjt Du, daß die Völker 
Frankreichs und Staliens wilder jind, als jene 
ungebändigten Indianer des Südens? Vertraue 
mir, Mar, mein Rath führte Dich nad) Merico, 
meine That joll Dir bier den Thron fichern, 
und was auch jpäter fommen möge, wir haben 
dann doch den Troſt, daß wir dem Schickſal 
vereint unjere Häupter beugen können.“ 


11. 
Der legte Abend. 


— 


Die Kunde, daß Kaijer Napoleon, von Ame- 
rika gedrängt, jeine Truppen aus Merico zurüc- 
ziehen werde, zucte wie ein Yauffeuer durch das 
ganze Land, und es war merkwürdig, wie vajch 
jie jich fowohl verbreitete, als auch wie gleich: 
mäßig die Schlußfolgerungen waren, die man 
darüber in allen Kreijen und bei allen Bar: 
teien 309. 

„Dann ift der Kaiſer verloren!’ lautete 
überall, bei Freund wie Feind, gleichzeitig nad) 
der Nachricht der erjte Ausruf, denn wer nur 
im geringjten die Yortichritte beobachtet hatte, 
welche die wieder von Tag zu Tag anwachjenden 
Schwärme ber Liberalen, felbft noch den Fran: 
zojen gegenüber, machten, der fonnte nicht mehr 





BZ 2 
-. 
= 
« 


in Zweifel jein, wie ſich das Alles gejtalten müjle, 
jobald die franzöfiiche Armee erſt einmal ganz 
aus dem Land abzog. 

Und troßdem war ber erjte Eindrud, den 
dieje Nachricht hervorbrachte, eine allgemein freu: 
dige, aber nicht etwa weil man feine Sympa— 
tbien mit dem Kaijer hatte, jondern weil man 
die Franzoſen bafte und fie unter jeder Bedin— 
gung los zu werden wünſchte. Man Eonnte ja 
auch dieje vollfommen übermüthig gewordene 
Truppenmafje als nichts Anderes wie Eroberer 
und Fremde betradhten, denn nur der Befehl 
ihres Kaijers hatte fie in dies Land geworfen, 
wie er jie jeßt im Stande war wieder zurüdzu: 
ziehen. Wirklich heimiſch in Merico hatten ſich 
nur Wenige gemacht, und felbft diefe gehörten 
feiner bevorzugten Klaſſe, jondern nur, mit we: 
nigen Ausnahmen, den verjchiedenen Gewerfen 
an. Es waren das Friſeure, Schneider, Schub: 
und Uhrmacher und Fleine Händler, die ein De: 
tailwaarengejchäft in Merico oder einer ber an: 
deren Städte errichteten, der eigentlihe Saß, 
ber bei allen franzöfiichen Eroberungen, jobald 
fie wieder aus dem Land getrieben werden, zurüd: 
bleibt und feine Landsleute dann gewöhnlich nid 
eben vortheilhaft repräjentirt. 


396 


337 


Die natürlide Folge diejes Gerüchtes, das 
indeffen nicht lange nur Gerücht bleiben jollte, 
war denn auch vorauszujehen und dem merica= 
nischen Charakter volllommen entjprechend. Die 
bis dahin noch Unjhlüffigen und Zweifelhaften 
— d. 5. alle Solche, die bis zu diejer Zeit noch 
feinen directen Nußen aus dem Kaiſerreich ge— 
zogen und nur noch auf für fie günftigere Zu— 
ftände gehofft hatten, jahen ſich plößlich ihres 
Schwankens enthoben und traten, wenn auch 
nicht gleich offen, dod im Herzen ſchon, wieder 
zur Partei der Liberalen über, und das machte 
ih, wenn auch nod weniger in der Hauptjtadt, 
doch ſchon glei vom Anfang an entjchieden ge— 
nug im inneren Lande jelber bemerkbar. 

Ale die Präfecten Eleinerer Städte im Nor: 
den wie im Süden, die bisher freudig dem Kai- 
jerreih den Eid geleiitet, hielten jich von dem 
Augenblid an, wo das Glüd ihm den Rüden 
zu wenden jchien, natürlich an Nichts mehr ge— 
bunden — und galt au in Merico ein irgeud 
welcher Regierung geleijteter Eid? — 

Ebenjo jollte es ſich aber auch bald nod 
fühlbarer unter den verjchiedenen Truppentheilen 
bemerkbar machen, denn von dem Augenblid an, 


wo der Rückzug der Franzoſen befannt wurde, 
Fr. Gerftäder, In Merico. IM. 22 


338 


war auc nicht mehr ber geringite Verlag auf 
fie. So lange jie fiegreich blieben und ſich in 
ber Uebermadht befanden, bielten fie bei ihrer 
Fahne aus, aber jelbit wo der Erfolg zweifel: 
haft ſchien, verließen fie nicht jelten ihre Seite 
und liefen gerade im entjcheidenden Moment zum 
Feinde über. 

In der Hauptſtadt jelber ergriff bei der Nach— 
richt, wenn man auch ſeit längerer Zeit gewifjer: 
maßen darauf vorbereitet gewejen, doch ein faft 
paniſcher Schreden alle die, die unter der jeßigen 
Regierung eine Anjtellung hatten oder überhaupt 
mit ihr in näherer Verbindung ftanden. Was 
Jollte jet werden? und raſch entjicheiden fonnten 
ih dieje Leute ebenfalls nicht, denn wer wußte 
denn, ob ſich das Kaiferreich nicht doch am Ende 
mit der neu organifirten National-Armee bielt, 
und dann gerade vielleicht unter dem Wolfe 
mehr Zutrauen und, die Hauptjahe — Zulauf 
gewann, 

Dieje Herren befanden fich jedenfalls in einer 
verzweifelten Yage, denn jo wenig fie gezögert 
haben würden, ohne Weiteres bei Juarez einzu: 
treten falls dieſer fiegreich gewejen wäre, jo 
Ihien das doch nod immer im weiten Selbe, 
und fie wußten deshalb nicht, was jie thun joll 


339 


ten — ihre Stellungen aufgeben oder den ferne 
ren Erfolg abwarten. 

Dahinein ſchlug das Gerücht von der Reife 
der Kaijerin nad Europa, und wenn das aud 
dem einfachſten Politifer zeigen mußte, daß bie 
Sache des Kaijerreich8 wirklich verzweifelt jtand, 
jobald die hohe Frau jelber eine ſolche böſe Mif- 
ion übernehmen mußte, jo zögerte es doch auch 
jedenfalls die Entjcheidung wieder hinaus, und 
fonnte wenigjtens einen günftigen Erfolg haben. 

Wer von Allen Fannte denn die Verhältniffe 
in Europa jo genau, um vorausjagen zu können, 
wie jich Alles gejtalten müſſe — und gab ſelbſt 
Napoleon nicht nach, gelang es ihr nur den Papſt 
günjtig zu jtimmen, oder fügte jie ſich im lebten 
Augenblid jeinen Yorderungen, jo befam der 
Kaijer bier mit einem Schlag den ganzen Kle— 
rus auf Jeine Seite, und welden Einfluß ber, 
bejonders auf die untere Schicht der Bevölkerung, 
ausübte, war befannt genug — hatte er jich doch 
in den letzten Jahren zur Genüge feindlich gel: 
tend gemacht. 

Alſo ſchwankte die Waage, aber das war den 
Mericanern auch wieder in jofern recht, als 
e8 die Entſcheidung noch eine Weile hinausjchob. 


— Abwarten ſie thaten Nichts lieber als das, 
22% 


340 


und bis dahin prägte jich ja auch wohl die Stim— 
mung im Lande beutlicher aus. 

Daß die Kaijerin ihre Reife nad) Europa feit 
beftimmt hatte, unterlag feinem Zweifel mehr. 
Das „Diario del Imperio“ brachte am 7. Juli 
jelber die Nachricht: | 

„Ihre Majejtät die Kaijerin reift morgen 
nad Europa — Ihre Majejtät wird mericanijche 
und verjchiedene internationale Tragen regeln. 
Dieje Mijjion, welche unjer Souverän mit wah- 
vem PBatriotismus erfaßt bat, ijt der größte Be— 
weis von GSelbjtverleugnung, den ber Kaijer jei- 
nem neuen Baterlande geben fonnte, um jo mehr, 
als die Kaiferin fih an der Küjte von Vera-Cruz 
der in der Regenzeit jo großen Gefahr des gel- 
ben Fiebers ausſetzt. — Wir geben dieje Nach— 
richt, damit das Publikum den wahren Zweck der 
Reife Ihrer Majejtät kenne.‘ 

Merfwürdig ift dabei und wohl Beachtung 
verdienend, daß fi die Deutjchen in Merico, 
die doc faſt ausſchließlich der wohlhabenden 
Klajje angehörten, nie und vom Anfang an nicht 
für dag Kaiſerreich begeiitert, es wenigitens jo 
wenig wie möglidy offen gezeigt hatten. War 
es vielleicht deshalb, weil jie das Land zu genau 
fannten und recht gut wußten, eine bleibende 











341 


Regierung ſei ein Ding der Unmöglichkeit für 
Merico; war es, weil fie im eriten Anfang 
einem djterreihiichen Prinzen, der von einem 
Napoleon eingefeßt wurde, nicht recht trauten 
und dann jpäter, als fie den Tiebenswürbigen 
und edlen Charakter des Mannes näher kennen 
lernten, erſt recht einjahen, wie er nie im Stande 
fein würde, dies ordnungslofe Gefindel zuſam— 
menzufchweißen. Aber fie Hatten einmal Fein 
Vertrauen zu der Regierung und hielten ſich 
ihr auch fo viel als möglich fern. Ja fie ver: 
fehrten felbjt nicht einmal gern — Ausnahmen 
natürlich zugejtanden — mit jenen Deutjchen, 
die dem Kaifer von Europa aus gefolgt waren, 
weil e8 fich bald herausftellte, daß es meiſt Aben- 
teurer und Schuldenmadher waren, und ben deut— 
hen Namen in Merico, der bis dahin ehren: 
voll genug-bejtanden, leicht in Mißcredit brin— 
gen konnten — und auch wirfli hier und ba 
braten. 

Im Ganzen war aber die Stimmung in ber 
Hauptitadt einerechtgedrücte, denn das Kaiferpaar 
hatte fich bei allen Parteien dort, perſönlich wenig: 
ftens, Liebe und Achtung erworben, und was 
jollten jeßt die dem Hofe näher ftehenden Damen 
in ber Refidenz anfangen, wenn die Kaijerin 


342 


eine jolhe Reije unternahm -— ja vielleicht nicht 
einmal zurüdfehrte. Es war wirklich ein zu troſt— 
lojer Zujtand. 

Aber auch noch für andere Kreije jchien dieje 
Kunde ein jchwerer Schlag, denn wie viel taus 
jend Menjchen hängen in einer Reſidenz vom 
Hofe ab! ä 

Don Pedro Gaspard war in Verzweiflung, 
denn er gerade, als Hoffrifeur Ihrer Majeftät, 
fand ſich durch diefe Reife völlig an die Luft 
gejegt. Hoffrijeur der Kaijerin und die Kaiſe— 
rin in Europa — es war völlig undenkbar, und 
nur wie das erjte Gerücht von der beabjichtigten 
Miſſion zu ihm drang, tauchte eine unbejtimmte 
Hoffnung in ihm auf, daß er. vielleicht befohlen 
würde, jih dem Gefolge Ihrer Meajejtät anzu= 
jhliegen — ſie fonnte ja auch gar nicht ohne 
ihn fertig werden. — ber feine Boticdhaft er— 
reichte ihn, obgleich er ji von dem Moment an 
fejt zu Haufe hielt — man jchien ihn vergefjen 
zu haben, 

Da faßte er den fühnen Entſchluß, jelber 
nad Chapultepec zu reiten und der Majejtät 
feine Dienjte anzubieten — jie hatte vielleicht 
gar nicht gewagt, e8 von ihm zu fordern. Aber 
bort jtand ihm eine wirkliche Demüthigung be- 


343 


vor, denn er, Don Pedro Gaspard, der früher 
das Vorrecht vor taujend und taujend Anderen 
genofjien, nicht einmal angemeldet zu werben, 
wenn er Morgens zur bejtimmten Stunde fam, 
mußte jegt erleben, day er nicht einmal vorges 
lafien wurde. 

„Ihre Majeftät nahm Niemanden mehr an 
— etwaige Rechnungen jollte er an bie betref= 
fende Stelle einreichen, 

„Etwaige Rechnungen —“ e8 gab ihm ordent= 
lih einen Stih durch's Herz, und jo wurde 
jeine wirkliche Hingebung für die Kaijerin von 
diejen „Bedientenſeelen“ aufgefagt — denn daß 
Ihre Majeftät jelber nicht einen ſolchen Verdacht 
gefagt haben fonnte, war natürlich. 

Sn düfterer Stimmung fehrte er nad) Haufe 
zurüd, und wohl gingen ihm aucd noch andere 
Dinge außer diejer JZurücdjegung durch den Kopf. 
Er jelber brauchte nämlich wieder nothwendig 
einen neuen Waarenvorrath, und gerade in den 
nächſten Tagen hatte ihm die Kaiferin einen Auf: 
trag für ihren geringen Bedarf geben wollen, der 
ihn dann vollfommen berechtigte, das Hundert- 
fache für jeine eigene Rechnung, und dabei in dem 
Fall natürlid Fracht: und jteuerfrei, mitfommen 
zu lajjen. 


344 


Der Auftrag war nun nicht allein durch bie 
unglüdjeligen Ereignifje unnöthig geworden und 
total in die Brüche gegangen, jondern er felber 
lat ebenfalls fejt und vollftändig auf dem Trock— 
nen. Beſtellen konnte er ja natürlih für fich 
jelber, jo viel er wollte, aber dann mußte er 
aud Fracht und Steuer dafür bezahlen, und nur 
eine Möglichkeit gab es vielleicht, um das noch 
abzuwenden. Er erinnerte fich zum großen Theil 
ber Bojten, über welche Ihre Majeftät mit ihm 
Ihon geſprochen — er wußte ja auch genau, 
was fie urfprünglich brauchte, und wenn fie zu— 
rüdfam, war es deshalb wünjchenswerth, daß 
fie e8 vorfand. Ob der Auftrag alſo nun jchon 
direct gegeben worden, fam gar nicht darauf an 
— er betrachtete ihn fo, und wenn er heute 
mit dem nad) Vera-Cruz abgehenden Courier 
ſchrieb, jo ließ ſich noch vielleicht Alles auf das 
bejte reguliren. Der Auftrag war dann vor 
der Abreije der Kaiferin gejtellt und ging ben 
gewöhnlichen Weg — daß er ſich auch nur einen 
Augenblid deshalb hatte bejinnen können, und 
fein Pferd fühlte die Sporen und flog nur mit - 
ihm jo dahin, der Hauptjtadt wieder zu. 

Don Pedro war heute weich gejtimmt. Er 
jollte die Kaiferin, feine Kaiferin und Be: 


345 


Ihüßgerin, nicht mehr vor ihrer Abreije ſehen; er 
‚war aber aud wieder in fofern guter Laune, 
die ihm fein guter Einfall mit der Bejtellung, 
dba er diesmal nach Belieben ausdehnen Eonnte, 
auch wieder einen außergewöhnlich reichen Ges 
winn in Ausficht ſtellte. Durch die bisher im 
vollen Maße benüßte Vergünftigung war er der 
Hauptlieferant für faft alle Frifeure in Merico 
geworden, da dieje durch ihn ihre Waaren viel 
billiger beziehen konnten, als wenn fie diefelben 
direct verjchrieben hätten, und daß er damit viel 
Geld verdiente, läßt fich denken. 

Don Pedro befand fih auch in der That in 
ganz leiblichen Verhältnifjen und hätte mit einis 
ger Einſchränkung recht gut und behaglich leben 
fönnen, ‚aber der Dünkel als Hoffrijeur war 
ihm in den Kopf geftiegen. Er mußte ein pracht— 
volles Reitpferd und einen jilberbededten Sattel 
baben, er mußte in der Stadt brillant auftreten. 
Er fing überhaupt an Etwas liederlich zu wer— 
den, und zwar jeit der Zeit, wo er die Untreue 
feiner Frau entdecte und wohl eine Woche lang 
über Selbjtmorbgedanfen brütete. — Das hatte 
ih allerdings ſeitdem gelegt, aber. das ehelihe 
Glück ſchien von da an geftört. Er lebte aller: 
dings mit feiner jungen Frau noch in ein und 


346 


derjelben Wohnung, aber volljtändig getrennt; 
jie ſahen fich eigentlih nur bei Tiſche, um — 
wie Don Pedro bemerkte, in den Augen der Welt 
den Schein zu vermeiden, — aber fie hatten 
jeit jenem Tage und nad) einer jehr heftigen Scene 
fein Wort mehr mit einander gewechjelt, und 
Don Pedro ihr vor etwa adht Tagen endlich ge: 
Ichrieben, dag er eine Scheidung wünſche — jo 
weit jie nämlich unter Katholifen möglich und 
ausführbar jei. 

Don Pedro war des Jwanges jatt und wünschte 
noch leichtjinniger zu werden. 

Er jap jest in feinem „Comptoir“, wie es 
das Schild draußen an der Thür bezeichnete, das 
jih aber von anderen Räumen gleichen Namens 
wejentlich unterjchied. Es war jein eigentliches 
Arbeitszimmer, mit einem großen runden Tiſch 
in der Mitte, auf dem eine Anzahl von Hauben: 
föpfen — einige mit aufgejtecten Yoden, einige 
vollfommen kahl — die hervorragenditen Punkte 
bildeten. Einer von diejen, dem an dem kah— 
len Schäbel ein riefiger Ehignon jtaf, jah wirk— 
lich geijterhaft aus. Aber rund um den Til 
herum waren auch noch feitgeijchraubte Kifjen be— 
fejtigt, an welchen alle nur erdenklichen „haari— 
gen” Arbeiten hingen und theils angefangen, 


347 


theils in der Vollendung begriffen jchienen — 
unter ihnen auch viele „Phantaſieſtücke“ von 
fühnem Entwurf, denn es war der Stolz Don 
Pedro's, troß Paris, neue Moden jelber in 
Merico einzuführenZund die Eingeborenen damit 
in Erſtaunen zu jeßen. 

Heute brauchte er aber — was jehr jelten 
vorfiel — einen Theil des Tiſches zum Schrei— 
ben; er hatte aljo eins von diejen Kiffen abge— 
Ihraubt und bei Seite gejhoben, um Ellbogen: 
raum zu gewinnen, und jaß eben und entwarf 
die Bejtellung, zu der ihm allerdings nur wes 
nige Stunden Zeit blieben, wenn er nicht den 
günftigen Augenblid verfäumen wollte. Hierbei 
vermißte er allerdings jchwer jeine Frau, die 
jonjt immer dieje fchriftlichen Arbeiten, der fran- 
zöfiihen Sprache vollfommen mächtig, entworfen 
und gewöhnlich nur den dritten Theil dev Zeit 
dazu gebraucht hatte, die er jelber darauf ver: 
wenden mußte. Aber Don Pedro war viel zu 
jtolz, jie, von der er im Begriff jtand ſich voll» 
kommen loszujagen, um eine Gefälligfeit und 
um ihre Hilfe zu bitten, eher wäre er gejtorben. 
Nachdem er aber jchon zwei Briefbogen mit dem 
überall umherklebenden Haaröl fledig und voll- 
jtändig unbrauchbar gemacht hatte, ging er eben 


348 


in voller Verzweiflung an einen dritten, als es 
draußen leije an die Thür pochte. 

„Pntra!“ rief er heftig, denn eine Störung 
fonnte er jet gar nicht gebrauchen — „quien 
es?" 

Die Thür öffnete fih langſam, und als er 
unwirih den Kopf dorthin wendete — jtand 
Cornelia, jein junges bilphübjches. Weib, das 
diejes Zimmer jeit Monden nicht betreten hatte, 
auf der Schwelle. — Sie hielt einen offenen 
Brief in der Hand — die Loden hingen ihr 
aufgelöft um die Schultern, ihre Wangen waren 
bleih, ihre Augen in Thränen, thre jchlanke, 
üppige Geſtalt jtand gebeugt, wie aufgelöft in 
Schmerz und Zerknirſchung. 

„Pedro!“ hauchte jie mit leiſer, kaum hör: 
barer Stimme — „Pedro!“ 

Don Pedro ſah ſie ſtarr und erſtaunt an — 
„Cornelia!“ — So hinreißend ſchön war ſie ihm 
ſelbſt in der Zeit ſeiner erſten Liebe kaum er— 
ſchienen, und doch falſch — doch treulos. 

„Pedro!“ ſagte da die Frau wieder und trat 
einen Schritt näher, ohne aber die Augen noch 
zu dem beleidigten Gatten zu erheben — ſie 
wagte es nicht — „Pedro, haſt Du mir dieſen 
Brief geſchrieben, und wußte Dein Herz davon, 





a 
349 


als Dir diefe graufamen Zeilen aus der Feder 
flojjen 2 

„Cornelia,“ fagte Don Pedro, „Du — Du 
hajt mich ſchwer beleidigt und bitter — bitter 
gefränft! Es ijt bejler, dag — 

„Sollen wir Beide elend werden, Pedro, nur 
auf einen falihen Verdacht von Deiner Seite 
hin?“ jagte die junge Frau; „halt Du mir nur 
einmal verjtattet mich zu vertheidigen ?' 

„Vertheidigen?“ rief ihr Gatte, „und war 
da eine VBertheidigung möglih? Halt Du den 
Berführer nicht bei Dir aufgenommen und ihm 
zur Flucht verholfen, und fam id, jelber nicht 
dadurch in den Verdacht, jein Mitwifjer zu fein ? 
ja durfte ich dieſen Verdacht nur von mir ab— 
wälzen, wenn die Welt nicht meinen ganzen 
Jammer, mein ganzes Elend erfahren ſollte?“ 

„Und dennoch Haft Du mir Unrecht gethan, 
Pedro,‘ hauchte die junge Frau, „dennoch habe 
ih unjchuldig die langen Wochen, ob, jo furcht— 
bar gelitten I’ 

„Unſchuldig, Cornelia?” rief Don Pedro, 
von jeinem Stuhl auffahrend, „willft Du mich 
wahnjinnig machen!” 

„Kur darauf hin,‘ ſagte die junge Frau 
bitter, „haft Du mid) verdammt, daß Dir mein 





350 


Mädchen ſagte, jener Fremde habe jhon öfter 
unſer Haus betreten — iſt dem nicht jo?“ 

„Und war das nicht genug?” 

„Aber hat fie Dir gejagt — haft Du fie nur 
gefragt, weshalb? — Bon blinder Eiferjucht ge= 
trieben, fiel Div nur das Schlimmſte ein, und 
nicht einmal eine Vertheidigung wollteft Du 
mir gejtatten. Jetzt aber, wo ih von Dir ſchei— 
den, vielleicht auf immer jcheiden ſoll, muß id 
reden. — „jener Fremde warb um die Hand 
meiner Schweiter — meine Eltern wollten ihre 
Einwilligung nicht geben, und nur um mein 
Nürwort zu erlangen hat er mich mehrere Male 
aufgeſucht. — St das jo verdbammenswerth, 
daß Du mich deshalb eines Verbrechens anflagen 
durfteſt?“ 

„Cornelia!“ rief Don Pedro erſchreckt. 

„Dem Geliebten meiner Schweſter,“ fuhr die 
junge Frau fort, „die ich nicht durch ſeinen 
Verluſt elend machen wollte, gab ich an jenem 
furchtbaren Morgen den Schlüſſel zu unſerer 
Azotea — das iſt meine Schuld, das mein ganzes 
Vergehen, und nun handle, wie Du es vor 
einem höheren Richter einſt verantworten kannſt. 
Ich füge mich Allem.“ 

„Cornelia!“ rief Don Pedro, von der wirk— 


Ber ! 


lih entzüdenden Erjcheinung der jchuldig Ge— 
glaubten jchon halb bezwungen, „der Geliebte 
Deiner Schweiter, fagjt Du —“ 

„War jener Unglüdliche, den die franzöſiſchen 
Häfher verfolgten. Kannjt Du mich verdammen, 
daß ich ihn venen nicht überliefern wollte, denn 
haft Du mich nicht erſt die Franzoſen als unsere 
ſchlimmſten Feinde hafjen gelehrt?‘ 

Don Pedro flog in ihre Arme, und er mußte 
jest um Verzeihung bitten, daß jie ihm nicht 
zürne. Aber ja auch nur feine grenzenloje Liebe 
zu ihr hatte ihn jo verblendet — und jo elend 
gemacht. 

Aber jetzt war feine Zeit zu einer weiteren 
Erklärung, denn die Beitellung mußte fort nad) 
Paris, und faum zehn Minuten jpäter ja Cor: 
nelia an ihrem kleinen Schreibtiih in ihrer 
Stube, und Don Pedro ſtand hinter ihr, Glück 
und Seligleit im Herzen, und — bdictirte ihr 
die Aufgabe für jo und jo viel Seifen, Bürjten, 
Schwämme, Odeurs und andere Barfümerien. 


351 


* 
* * 


An dem Tag herrſchte im Schloſſe Chapul— 
tepec eine trübe, gedrückte Stimmung, denn vom 
frühen Morgen an wurde fchon gepackt und 


392 


erpedirt, um das Gepäd der Kaijerin meilt auf 
Maulthiere zu laden und mit Escorte an bie 
Küfte zu jenden. Waren doch die Wege nad) 
dem legten Regen noch jo grundlos, daß man 
nicht wagen durfte, die Sachen auf Karren zu 
befördern. 

Der Kaiſer jelber blieb mit der Kaijerin 
lange in jeinem Zimmer eingejchlofjen, denn 
viel und Wichtiges war noch zu beſprechen, um 
diejen entjcheidenden und, wie jid) Beide nicht 
verhehlen Eonnten, aud legten Schritt völlig 
vorbereitet und mit Bedadht zu thun. Maxi— 
milian jelber war niedergejchlagen; er hatte 
wenig Hoffnung und das Vertrauen auf den 
Kailer Napoleon volljtändig verloren. Den uns 
verjöhnlichen, herrſchſüchtigen Charakter des hohen 
Klerus fannte er außerdem viel zu gut, um nicht 
Alles zu befürdten, wo man eines Nachgebens 
von ſeiner Seite bedurfte, denn nur dadurch 
wurde eine VBerjtändigung mit dem Lande möglid). 

Non possumus! Das war die Antwort biejer 
Herren, bis fie wirflid mußten, dann fonnten 
jie auch, aber nicht eher, denn aus freien Stüden 
geben jie fein Titelchen ihrer Macht oder ihres 
Einflujjes aus den Händen, 

Am nächſten Morgen wollte die Kaijerin die 





393 


Hauptitadt verlafjen, und Mafjen von Equipagen 
mit der hohen Ariftofratie Mericos fuhren vor, 
um ji von der Fürſtin zu verabichieden — aber 
ed wurde Niemand mehr angenommen. Das 
Herriherpaar wollte die wenigen ihm noch ver- 
gönnten Stunden auch allein und ungeſtört ver- 
leben, und was dieſe Formen alle bebeuteten, 
wußten fie außerdem gut genug. 

Charlotte jelber aber befand ſich in einer ge- 
hobenen, fait freudigen Stimmung, und ver- 
trauensvoll blickte jie der Zukunft entgegen. 
Sie jollte ja auch Handeln, wollte jelber bel- 
fend eingreifen in das Geſchick des Reiches, und 
mit dem Bewußtjein ihrer Stellung und Fähig— 
feit, das übernommene jchwere Werk auch zu 
Ende zu führen, jchwellte ihr Stolz und freudige 
Zuverjicht die Bruft. 

„In kurzer Seit hörft Du von mir, Mar, 
jagte fie freundlich, als jie am Arm des Gatten 
durch die offenen Gänge des Eleinen oberen Gar: 
tens jchritt und dann an der Mauer, welche die 
Ausjiht nad Oſten und über die Hauptjtadt und 
die Bergfette eröffnete, jtehen blieb — „wir 
hätten ven alten Almonte nie zu Napoleon jchiden 
jolen. Er iſt ein braver, guter Mann und 
meint e8 jicher ehrlih, aber Du kennſt ja die 

Fr. Gerftäder, In Merico. III. 23 


304 


Mericaner, rüdfichtsvoll bis zum äußerſten und 
überglüflih, wenn fie Etwas, das ihnen heute 
unbequem ift, auf den nächſten Tag verjchieben 
fönnen. Daß der ſchlaue Franzofe leicht mit 
ihm fertig wurde, iſt natürlih, und außerdem 
war ja doch auch Almonte nicht jo in die mit 
Napoleon gepflogene Gorrejpondenz eingeweiht, 
und durfte es nicht fein. Er Fannte nicht die 
Mittel, die ihn allenfalls zwingen bürften, 
jein uns gegebenes Wort zu halten, und mußte 
in jeiner untergeordneten Stellung doc immer 
nur ehrerbietig und vermittelnd auftreten. Da 
jtehe ich dem Kaifer anders gegenüber, und in 
meiner Gegenwart wagt er auc feine leeren 
Ausflühte — darf fie nicht wagen, und wird 
ih wahrlich hüten mir zu gejtehen, daß er einer 
einfachen Drohung jener faum erjt von fchweren 
Schlägen erjtandenen Republik gehorfam weiche.” 

„Er wird Dih mit Verjprehungen, Zus 
jiherungen abzufertigen ſuchen.“ 

„Aber nur mit folden, die er ſchriftlich 
in meine Hände legt.‘ 

‚Und der Papſt?“ | 

„Als wir ihn das legte Mal ſahen, fannten 
wir die Verhältnijje, denen wir bier entgegen= 
gingen, jelber nicht — fie waren uns wenigjtens 


355 


anders — falſch — geſchildert worden. Es iſt 
nicht denkbar, daß er ſein Ohr vollkommen der 
Wahrheit verſchließen, ja mehr noch, daß er 
blind gegen die Gefahr ſein ſollte, der er das 
Eigenthum und die Macht der Kirche hier aus— 
ſetzte, wenn er unſere Regierung zur Abdankung 
zwingt und den Republikanern dadurch nur 
wieder die volle Macht in die Hände giebt. 
Weiß er doch, was er von dieſen allein zu hof— 
fen hat, während wir bereit ſind, Alles zu 
thun was in unſeren Kräften ſteht. Nein, Max 
— habe beſſeres Vertrauen. Wir waren un— 
glücklich in der Wahl unſeres ausgeſandten Boten 
und haben dadurch Zeit verſäumt, das iſt Alles 
— Du ſollſt ſehen, wie ſich das Alles ändert, 
wenn ihnen eine Kaiſerin gegenübertritt. — 
Sieh! dort hinüber liegt meine Bahn,“ ſagte ſie, 
als ſie mit erregter Stimme den Arm gegen die 
im matten Sternenlicht weiß blinkenden Schnee— 
rieſen ausſtreckte — „dort hinüber, und von 
dort kommt Dir auch bald wieder freudige Kunde 
von mir. Behalte die alten treuen Berge im 
Auge — ſie ſollen die Grüße zwiſchen Dir und 
mir vermitteln.“ 

„Du haſt guten Muth, Charlotte,“ ſagte der 


Kaiſer, wehmüthig lächelnd, indem er ſie mit dem 
23* 





356 


linfen Arm an ji z0g und einen Kuß auf ihre 
Stirn preßte, „jo gehe denn mit Gott, und er 
mag geben, daß Did Dein Vertrauen nicht 
täufcht. — Aber die Nacht wird fühl — es muß 
ſchon jpät fein — fieh, wie das fühliche Kreuz 
jeine Stellung verändert hat, jeitdem wir bier 
auf und ab gehen. Komm. mit hinein — id 
muß außerdem noch einige Briefe für Did 
ſchreiben.“ 

„Laß mich noch einige Augenblicke hier drau— 
Ben, Max,“ bat die Kaiſerin, „meine Stirne 
brennt und die kühle Luft thut mir wohl — ich 
folge Dir bald —“ 

„Aber bleib nicht zu lange — Du darfſt nicht 
krank auf Deiner Reiſe werden.“ 

Der Kaiſer wandte ſich den inneren Räumen 
zu und Charlotte ſchritt indeſſen noch eine kurze 
Weile im Garten auf und ab. Doch lange er— 
trug ſie auch nicht den Zwang, den ſie ſich an— 
gethan, um dem Gatten gegenüber heiter und zu— 
verſichtlich zu erſcheinen. Auf einer der Bänke 
ſank ſie in ſich ſelbſt zuſammen, barg das Ant: 
litz in den Händen, und das faſt krampfhafte 
Zucken des ſchlanken Körpers verrieth nur zu 
deutlich, welcher furchtbare Schmerz in ihrer 
Bruſt wühle und ſich die Bahn in's Freie ſuche. 


357 

— Aber lange dauerte das nicht — nur das 
Berürfniß batte fie gefühlt, jich einmal, und 
wenn auch nur auf Momente, auszuweinen — 
jegt war das vorüber. Bon ihrem Sig fich er: 
bebend, jchüttelte fie jtolz die Thränen aus den 
Augen, als ob fie jich jelber einer ſolchen Schwäche 
ſchäme, und folgte dann mit fejten Schritten 
ihrem Gatten in das Schloß. Der Kampf hatte 
begonnen, und jie war fejt gewillt Allem, was 
jih ihr auch in den Weg ftellen follte, feſt und 
königlich die Stirn zu bieten. 

Dicht über der Stelle falt, wo fie gejellen 
und geweint und wo fi die Mauer, nad bein 
unteren Theil des Gartens zu, wieder höher hob, 
regte fich oben in den Büſchen eine dunkle Ges 
ftalt — laujchte noch eine Weile, und fprang 
dann in den inneren Garten hinab. Aber nur 
wenige Schritte eilte fie in dem jchmalen Weg 
bin — dort lag etwas Helles — ein Handſchuh, 
ben die Kaiferin verloren. Der Fremde, wer es 
aud war, bob ihn vom Boden auf, preßte ihn 
in wilder Xeidenfchaft an die Lippen, barg ihn 
dann in feiner Brufttajche und flob, aus Furcht, 
bier entdecft zu werden, wieder zu der Mauer 
zurüd, die er erkletterte — noch einmal den 
ſcheuen Blick zurüdwarf, ob er auch von Nies 


358 


mandem beobachter werde, und dann an einer 
dort lehnenden Stange zu dem hier ziemlich jteil 
auflaufenden Bergeshang niederglitt. 

Dort erwartete ihn eine andere dunfle Ge- 
jtalt, welche die Stange bielt, von dem Abenteuer 
aber nicht bejonders erbaut jchien. 

„Seid hr denn des hellen Teufels, Obriſt!“ 
rief er aus — „Ihr wart drüben im Garten, 
wie?“ 

„Ja,“ antwortete der Kletterer eben ſo leiſe, 
— „aber jetzt fort —“ 

„Und wenn ſie Euch da dort erwiſcht hätten 
— Caracho — und nachher den Berg abgeſperrt. 
Was in des Henkers Namen hattet Ihr denn da 
drin zu thun? — das war reiner Wahnſinn!“ 

„Laß nur — komm Jablonsky,“ rief der 
Andere wieder, „es iſt geglückt und Niemand hat 
mich geſehen.“ 

„Und war die Kaiſerin noch dort?“ 

„Nein — ſchon in das Schloß zurückge— 


gangen.“ 

„Und was in aller Welt hattet Ihr da drüben 
zu thun?“ 

„Fort von hier — wir dürfen keine Zeit 


mehr verſäumen. Was machen wir mit der 
Stange?“ 


359 


‚Verdamm das alte Schwere Ding, der Gärt— 
ner mag ſehen, wie er die wieder findet und 
zurüdbringt, wenn er jie jelber brauchen jollte. 
Ich wollte aber, wir wären erjt wieder draußen; 
der ganze Hof Ihwärmt heute von Menſchen, 
und eine Escorte ijt auch ſchon da, um die Laſt— 
thiere zu geleiten.“ | 

„Wir gehen dur den unteren Park fort,‘ 
jagte der Andere wieder, und die beiden Männer 
ſprangen jet, die Treppe nicht einhaltend, quer 
über die Blumenanlagen nieder, den Gang hinab, 
bis fie die mächtigen Eedern unten am Fuße des 
Hügels erreihten und in deren Schatten dann 
verſchwanden. 

Und ſtill und ſchweigend ſtanden die rieſigen 
Bäume da unten — in ihren mächtigen Wipfeln 
flüſterte nur leiſe der Nachtwind, und die feuch— 
ten Blätter blitzten und glitzerten im Sternen— 
ſchein. So hatten ſie Jahrhunderte geſtanden 
und Kaziken, Vice-Könige, Präſidenten und 
Kaiſer unter ihren Zweigen dahinwandeln und 
verſchwinden ſehen — und wieder ſchied eine 
Kaiſerin auf Nimmerwiederkehren — ade, ade — 
ihre Blätter rauſchten fort, kommenden Ge— 
ſchlechtern entgegen. 


12. 
DBergunter. 


Wenn es eine peinliche Zeit in der Gejchichte 
des Kaiſerreichs giebt, jo find es die Monate 
von Juli bis October des Jahres 1866. In 
diefen concentrirte ſich alles Unheil, was über 
den Kaijer hereinbrechen follte, in einzelnen, bald 
Hleineren, bald größeren Schlägen, und es ge- 
hörte wahrlich ein ftarfer Geift dazu, um, ohne 
im Stand zu fein da felber einzugreifen, ihnen 
ruhig die Stirn zu bieten und darunter aus: 
zubalten. 

Die Katjerin hatte fih unter der innigiten 
Theilnahme des Publifums felbft in Vera-Cruz, 
das jih bis dahin dem Kaiferreich gegenüber 
ziemlich abwartend verhalten, nach Europa ein: 
geihifft, und die Ungewißheit über ihre Sen: 


361 


dung kam noch dazu, die Lage quälend, ja zuleßt 
faft unerträglich zu maden. 

Vorher, ehe Napoleon mit fchroffer Hand den 
Bertrag von Miramare einfach brach, berrjchte 
Zuverfiht im Reich, daß ſich, troß allen ein 
zelnen Unglüdsfällen, doch noch Alles günjtig 
geftalten müſſe — Später, als alle Hoffnungen 
zufammengebrodhen waren, ftand man wohl einem 
Unheil, einer Gefahr entgegen — aber man jtand 
ihr doch entgegen — fie war da und drohte nicht 
nur immer in einzelnen Fleinen Zeichen und 
ſchwärzer und jchwärzer aufjteigenden Wolken. 

Gerade in jenen Monaten aber fam Alles 
zujammen, was im Stande iſt jelbjt den Muth 
eines Helden aufzureiben, denn Tropfen nad 
Tropfen fiel auf den einen Punkt, Stern nad 
Stern erlofh, und Marimilian zeigte da wahr: 
lih mehr Mannesmuth und Ausdauer als jpäter, 
wo er fi unbefümmert dem feindlichen Teuer 
ausjegte und dem Tode Faltblütig in’s Auge 
ſchaute. 

Dieſer Rückzug der Franzoſen war Thatſache 
geworden. Bazaine hatte ſich allerdings noch 
einmal an die Spitze geſtellt, um angeblich den 
Norden wieder von Juariſtiſchen Banden zu be— 
freien, in Wirklichkeit aber nur um die Concen= 


362 


tration feiner Heeresmajjen zu überwachen und 
überall bin, wo diejen Gefahr drohen Fünne, 
gleich jelber Fräftig einzugreifen. 

Das Verhältnig zwifhen dem Kaifer und 
dem Marjchall war denn aud jchon, troß aller 
böflichen Briefe, die fie noch wechlelten, ein jehr 
geipanntes und unerquidliches geworden. Als 
ber Marjchall die Hauptitadt verließ und jich 
beim Kaiſer verabfchieden wollte, nahm ihn diejer 
gar nicht mehr an, was natürlich den jtolzen 
Teldherrn auf das Außerjte erbitterte. 

Bon überall, aus allen nördlichen und ſüd— 
lihen Provinzen trafen dabei die Nachrichten 
ein, daß fich die Städte, wie jie von den ran: 
zojen nad) und nad) geräumt wurden, augen= 
blieklich für die Republif erklärten, denn ohne 
weiteren Schuß wären jie auch ſonſt von den 
nachrücdenden Liberalen einfach bejegt und aus: 
geplündert worden. Die belgiſchen Truppen, 
von dem franzöjiichen Obercommando jchon jeit 
längerer Zeit auf das ſchlimmſte behandelt und 
in einzelnen Kleinen Corps an die gefährlichiten 
Stellen gefandt, wo fie aufgerieben werden m u $: 
ten, und auch aufgerieben wurden, dabei mit 
Löhnung und Lebensunterhalt gekürzt, fingen 
an gegen dieje Behandlung zu rebelliren. Die 


363 


mericanijchen Truppen dagegen wurden von ge— 
wiffenlofen Führern, die jet den Sieg auf der 
andern Geite jahen, gleich bataillonsweije zu 
den Fiberalen übergeführt und hatten jelber nicht 
das Geringjte dagegen einzuwenden. 

Am 15. Auguft war der Kaijer, dem jekt 
nur daran lag, die Dinge bier einfach zu halten 
bis er gewiſſe Nachrichten von Europa befam, 
wieder von Quernavaca, wo er Furze Zeit ver: 
weilt, zurücdgefehrt und im Palacio in der Stadt 
abgeitiegen, als ihn jein Minijter Escudero um 
ein Furzes Gehör bat, da er ihm etwas Wich— 
tiges zu jagen habe. | 

„Gewiß nichts Gutes, mein lieber Escudero,‘’ 
lachte der Kaifer, „darauf wollte ich wetten, jelbjt 
wenn Ihr Gejicht nicht Schon Ahr Verräther 
wäre. — Aber fommen Sie; was e8 auch jei, 
ich bin es fchon gewohnt faſt an jedem Tag meine 
Portion verjhluden zu müſſen, und die Frans 
zojen tragen dazu, das weiß der Himmel, das 
Meifte bei. — Das fag’ id) Ihnen aber,’ feßte 
er mit finfter zufammengezogenen Brauen hinzu 
— „wenn es mir die Herren zu bunt machen, 
ſtecke ich meine Krone in die Tafche und laſſe 
mich zum Präfidenten wählen. Ach weiß dann 
wenigitens, daß ich meinem treuen freund Na: 


364 


poleon wie feinem biedern Marjchall einen diden 
Strih durch die Rehnung mache.“ 

„Majejtät,‘ jagte Escudero ernjt — „es be= 
trifft diesmal nicht die Franzoſen, jondern Leute, 
auf die wir bis jeßt geglaubt haben ung feit 
verlafien zu dürfen. Haben Sie das Manifelt 
Santa Anna's gelejen ?' 

Der Kaiſer lachte laut auf und rief aus: 
„Den Himmel jei gedankt, wenn Sie nichts 
Schlimmeres für mid haben — da — da ilt 
es,“ rief er, indem er in die Tafche griff und 
eine Drudichrift herausholte. „Hier haben Sie 
feine denfwürdigen Worte, mit denen das alte 
Chamäleon den Mantel nad dem Winde hängt, 
bier: ‚Landsleute! Am denfwürdigen 2. De: 
cember 1822 machte ich die Worte zu meinem 
Motto: Nieder mit dem Kaijertbum, es lebe die. 
Republik! und jetzt wiederhole ich mit Enthu: 
fiasmus die nämlidhen Worte, aber von einem 
fremden Boden aus, auf dem ich als Verbannter 
lebe.’ Daß diejer Menſch feine Scham mehr 
im Herzen bat, lieft man aus jedem Buchſtaben, 
oder glaubt er, das mexicaniſche Volk habe ein 
jo Schlechtes Gedächtniß, um fih nicht zu erin- 
nern, daß er auch mehrere Male rief: „Nieder 
mit der Republik!‘ und ſich jelber ſchon „Ho— 


365 


heit“ nennen ließ? Sit e8 denn möglich, daß 
es ſolche verädtlihe Charaktere giebt, — und 
glauben Sie wirklich, daß der Menjch noch eine 
Zufunft in Merico bat? wonad ich Ihnen denn 
- freilich gejtehen müßte, daß ich darauf verzidh- 
ten möchte, über ein folches Volk zu regieren.” 

„Mein, Majeſtät,“ fagte Escudero, „daß 
Santa Anna noch eine Jufunft in Merico 
bat, glaube ich nicht, aber troßdem doch noch 
einen Fleinen Anhang, der in jofern nicht ohne 
Einfluß ift, da er zu den Bejigenden gehört und 
jih an die Kirche anschließt.‘ 

„Aha — jene ‚Heine aber mächtige Partei“, 
die wir Schon aus Erfahrung Fennen — eine jaubere 
Geſellſchaft gewöhnlich, die das Wort Patriotis- 
muß ſtets im Munde führen, ohne nur einmal zu - 
wijjen, was e8 bedeutet. Aber laſſen Sie die 
Herren gewähren. Ich Fenne fogar eine ganze 
Geſellſchaft derjelben Hier in der Stadt, die mir 
Ihon lange denuncirt wurde, aber fie find voll: 
ftändig ungefährlich, denn was fünnen fie be- 
zweden — was wollen jie nur?‘ 

„Das, Majeftät, erwiederte Escudero, „muß 
ich geftehen, weiß ich auch nicht und begreife es 
nicht, wenn jie nicht noch Geheimeres im Hinter- 
halte haben; aber daß jene Verſchwörung, von 


366 


der Majeſtät jhon, wie ich glaube, unterrichtet 
find, wirflid in allernäcdjter Zeit, jogar am 
morgenden Tage einen Ausbruch beabfichtigt, der 
nichts Geringeres bezwedt als eine Regentſchaft 
einzujegen und ſich indejjen der Perſon Eurer 
Majejtät zu verfihern, ‚dafür bier dieſe Beweife, 
die jogar zwei Herren aus Euer Majeftät näd: 
ter Nähe compromittiren.‘ 

Der Kaiſer nahm jchweigend die Papiere, 
aber er hielt die Unterlippe zwilchen die Zähne 
gezwängt, und jein jonjt jo gutes Auge hatte 
etwas Finfteres, fat Feindſeliges. War es doch 
auch faſt zu viel für eine Menfchennatur, ſich 
nur immer von Verrath umgeben zu wiflen, wo 
er jelber noch dazu allen denen nur Liebes und 
‚Gutes erzeigt, und fie jhon aus Dankbarkeit 
an ſich gefettet glaubte. 

Still und lautlos überjahb und prüfte er die 
Papiere, und leije und langjam nidte er dazu 
mit dem Kopfe, aber immer drohender wurde fein 
Antlit. Endlich jagte er langjam: 

„Wo ſind die Herren jeßt?‘ 

„In dieſem Augenblick, wie ich bejtimmt weiß, 
in de la Parra's Haus zu einer legten Berathung 
verjammelt.‘ 

„Dann laſſen Sie augenbliklih das Haus 


367 


umzingeln und jämmtliche Berräther binden und 
in das Gefängniß werfen.‘ 

„Sie haben den Tod verdient.’ 

„Nein! — rief der Kaiſer rafh und faft 
wie erfchredt — „kein Blut mehr — es iſt Blut 
genug gefloſſen meinethalben. An der Schlacht, 
ja, wenn es jein muß — aber fein Juſtizmord 
mehr.“ 

„Und wollten ſie nicht unſagbares Elend wie— 
der über die Hauptſtadt bringen? Das iſt die 
Partei, Majeſtät, die damit prahlte, Sie gewählt 
zu haben, und von dem erſten Moment an, wo 
Sie nicht ihren trügeriſchen Rathſchlägen folgten, 
Nichts gethan haben, als gegen Sie zu intri— 
guiren.“ 

„Ich weiß es — ich weiß es,“ nickte der— 
Kaiſer, „aber ich will kein Blut mehr. — Sie 
ſollen verbannt werden. Sie ſollen nach Vera— 
Cruz geſchickt und nach Yucatan transportirt 
werden — nur kein Blut mehr.“ 

„Und wenn ſich Monjetor zwiſchen ihnen fin: 
den ſollte?“ 

„Dann laffen Sie ihn mit den Anderen‘ — 
rief der Kaiſer in erjter Aufwallung, aber er 
unterbrach ſich raſch — „nein,“ jagte er ruhiger 
— „es gebt nit. Die Kaiſerin iſt jeßt jelber 


368 


auf ihrem Weg nah Rom — ick will nit bier 
ihrer Friedensmiſſion entgegenwirfen. Der Pfaffe 
mag laufen», Der Klerus überſchätzt außerdem 
bie Macht, die er im Lande zu haben glaubt, 
oder das Volk würde nicht zu jeinen Ärgjten Fein 
den, den Liberalen, in jolden Mafjen überlaufen. 
Was die Menjchen wollen, begreife ich auch nicht, 
denn jo weit ich e8 überjehen kann, haben jte 
Niemanden, als diejen alten Blutfauger Santa 
Anna, auf den fie ſich möglicherweije jtüßen 
fönnten. Doc wie dem auch ſei, lieber Escu— 
dero — verjäumen Sie feinen Moment Zeit, um 
das Fojtbare Neſt auszunehmen, und — jtatten 
Sie mir nachher Bericht ab. Ach werde Sie jpä- 
ter bier wieder erwarten.‘ 


* 
* * 


Escudero, früher der liberalen Partei ange— 
hörig, jetzt aber dem Kaiſereich, dem er ſchon 
wichtige und wirklich treue Dienſte geleiſtet, warm 
ergeben, ſäumte nicht den Befehl gegen die Häup— 
ter der conſervativen und klerikalen Partei aus— 
zuführen, hatte er doch ſchon in der That vor— 
her alle Vorbereitungen dazu getroffen und de 
la Parra's Haus ſcharf und genau bewachen 
laſſen. 





369 


Die Ueberrafhung gelang auch volljtändig; 
nit allein die Treppen, jondern audy die Azo— 
tea der nächſten Häuſer waren bejeßt, ehe die 
Verſchwörer nur eine Ahnung der Gefahr hatten, 
in der fie fich befanden. | 

In dem Augenblid, wo die Polizei das Haus 
betrat, wollte e8 der Erzbijchof verlaffen und 
erſchrak jichtlih, als er die bewaffnete Schaar 
erblickte. Er drehte auch augenblidlidy wieder 
um, aber Einer der Leute, der dahin ſchon jeine 
Vollmacht hatte, trat ihm in den Weg und jagte 
jehr artig und vollfommen bejtimmt: 

„Monjeior, wir haben Auftrag, Jeden zu 
verhaften, den wir da oben finden. Um Ahnen 
Unannehmlichfeiten zu erjparen, möchte ich Sie 
erſuchen, jeßt gerade nicht wieder zurüdzugehen.”' 

„Und würden Sie mich hindern?" ſagte der 
Erzbiſchof Scharf und ftolz. 

„Allerdings, Monſeñor,“ erwiederte der Offi- 
cier, „ſchon Ihres eigenen Beiten wegen. Nüßen 
fönnen Sie den Herren da oben doch Nichts 
mehr.‘ 

„Und auf weſſen Befehl geſchieht das?“ 

„Auf Seiner Majejtät Befehl und Anklage 
wegen Hochverraths.“ 

Der Erzbiſchof erbleichte, aber er erwiederte 

Fr. Gerjtäder, In Merico. IIL 24 


370 


fein Wort mehr, drehte ji) ab und fchritt die 
Straße hinab. 

Indeſſen hatte die Dienerjchaft oben ſchon 
zitternd Bericht erftattet, daß das Haus be- 
jet und alle Ausgänge verjperrt wären, und 
die Verihworenen fprangen entjeßt von ihren 
Stühlen auf. Nur de la Parra behielt feine 
volle Ruhe. 

„Was wollen Sie, Señores,“ ſagte er lä- 
helnd — „Sie find meine Gäſte; mehr Wein 
und Gläſer herein, muchacho; wollen die Herren 
ein Glas mit uns leeren, jo jollen fie uns will- 
fommen fein,‘ — aber jeine Ruhe jollte ihm 
diesmal Nichts nüßen. 

Im nächſten Augenblick wurde die Thür auf- 
geftopen und ber junge Officier trat, von etwa 
zwanzig Bewaffneten gefolgt, in den Saal, 

Ohne jih bier aber nur mit irgend einer 
Frage oder Antwort aufzuhalten, rief er, unfern 
. der Thür ftehen bleibend: 

„Im Namen des Kaijers verhafte ih Gie 
Alle wegen Hocverraths. Der Erite, der fi 
widerjeßt, wird niedergeſchoſſen. Sie find meine 
Gefangenen.‘ 

„Caramba, Señor,“ rief de la Parra las 
hend aus — „Sie müflen aus PVerfehen in 


371 


ein faljches Haus gerathen fein. Hier wohne 
id) — General de la Parra, und diefe Herren —“ 

„Sind jest, wie Sie felber, meine Gefan- 
genen. Vorwärts, Compañeros, bindet den Herren 
die Hände auf den Rüden und ſechs bleiben im 
Anſchlag. Es iſt bitterer Ernſt, Señores.“ 

Ein Tumult entſtand jetzt — Ordonoz als 
Prieſter trat den Soldaten entgegen, aber im Nu 
hatten ſie ihn gefaßt und gebunden, und mit 
allen Thüren beſetzt, ſelber waffenlos und der 
Uebermacht gegenüber, hätte Widerſtand ihre Lage 
nur verſchlimmern können. In wenigen Minuten 
waren ſie ſicher verwahrt, und eben ſollten ſie 
hinab escortirt werden, als die Damen vom Haufe 
in Todesangjt herbeiftürzten und durch ihr Ge— 
Ichrei jih das auf der Straße ſchon zujammen= 
laufende Volk noch mehr da ſammelte. 

Die Gensdarmerie ließ es aber gar nicht 
heran, und nur ein Qrompetenfignal, das vor 
dem Haus gegeben wurde, rief Hilfe herbei, 
falls die Volksmaſſe es verſuchen follte die Ge— 
fangenen zu befreien. Aber man hatte jidy in 
dem Charakter des gefürdteten Aufruhrs voll: 
fommen geirrt, denn auf der Straße jeßte ſich 
von Mund zu Mund der Schrei fort, man habe 


ben Kaijer ermorden wollen — das jeien die 
24* 


312 

Mörder, und die Wuth der Indianer wäre ben 
Gefangenen bald verberblid geworben. Trotz— 
dem gelang e8 der Gensdarmerie, fie ficher in 
das Gefängniß abzuliefern, und wenige Tage 
ſpäter wurden fie, diesmal in rajcher Gerichts— 
pflege, nach Vera-Cruz hinab escortirt und von 
bort auch wirklih, troß aller Bittfchriften um 
Gnade, mit denen man jebt den Kaijer über: 
Ihüttete, nah ihrem Beitimmungsort Yucatan 
abgeführt. 

Der Kaijer war hart geworden, er fing an 
einzujehen, daß er diejem Volke gegenüber 
mit Milde nicht länger regieren Tonnte, und 
doch auch wieder hielt ihn die Ungewißheit, im 
der er noch immer über ben Erfolg der Kaijerin 
Ihwebte, von weiteren entjcheidenden Schritten 
zurüd. Er ſchwankte in feinen Entjhlüfjen und 
wurde mißtrauifch gegen feine ganze Umgebung, 
ja zuleßt jelbjt gegen fein Minijterium, das ihm 
eben Alles verjprodhen und Nichts gehalten — 
als ob ein anderes Minifterium, aus anderen 
Elementen zufammengejeßt — fo lange e8 eben 
Mericaner blieben — anders gehandelt hätte. Es 
lag einmal in dem Blut diefer Menjchenrace, 
und fo guten Willen fie auch manchmal zeigen 


373 


mögen, ein ſolcher Charakter läßt fich eben nicht 
jo raſch Ändern und ijt nicht abzufchütteln. 

Und troßdem verjuchte er eine Aenderung 
herbeizuführen, denn mit den Liberalen, die ihm 
überall feindlich entgegentraten, glaubte er nicht 
länger regieren zu können. 

Er nahm jegt für Juſtiz und Finanzen zwei 
höhere franzdfiihe Beamte in fein Cabinet und 
Ihien auch mit dieſen energiſch vorgehen zu 
wollen, Aber auch hier kreuzte Amerifa und, 
von dieſem eingejchüchtert, der wortbrüchige Na— 
poleon feine Pläne. Die Franzofen wurden 
nicht bejtätigt, und eine furze Zeit ſchwankte der 
Kaifer zwijchen beiden Parteien, bis endlich der 
indeß zurüdgefehrte Padre Filcher, der in Rom 
natürlich gar nichts ausgerichtet und wohl auch 
faum je dazu die Abjicht gehabt hatte, den Aus— 
ſchlag gab. 

Wunderbarerweile fette der Kaijer in dies 
fen Menjchen, in jener Zeit wenigftens, ein uns 
bejchränftes Vertrauen, und unter feinem Ein= 
fluß wurde jett Teodoſio Lares, der ganz dem 
Klerus ergebene Bräfident des oberjten Gerichts— 
bofes, mit der Bildung eines neuen Miniftes 
riums betraut, wobei es fidy von ſelbſt verftand, 


a 374 


daß er nur feine eigenen Gejinnungsgenofjen 
dort hinein nahm. 

Marimilian ſelber leugnete allerdings, daß 
es ein vollftändiger Syſtemwechſel jei, den er 
damit beabfidhtige, und ſprach auch wohl darin 
die Wahrheit — e8 ſollte vielleicht nur ein Ver— 
ſuch jein, ein Schwanten zwiſchen den beiden 
Elementen, mit einem Wort ein Hinauszögern 
der Katajtrophe, bis bejtimmte Nachricht von 
Europa eintreffen Eonnte. 

Dabei jcheint den Kaifer auch befonders ber 
Wunſch, ja die Sehnſucht geleitet zu haben, das 
franzöfiihe Heer, das jet unthätig dalag und 
dem Land nur eine Lajt war, endlich los zu 
werben und, troß Frankreich, Merico mit Mexi— 
canern weiter zu regieren. in Kabeltelegramm 
über Amerifa hatte ſchon Gerüchte gebracht, daß 
der Kaijerin Miſſion in Franfreich jelber als 
gejcheitert betrachtet werden könne — jeßt war 
Marimilian’s einzige Hoffnung eine Ausſöhnung 
mit dem Papſt, auf die er, nach Padre Fiſcher's 
Berichten, feſt rechnete, und Klerus wie Conſer— 
vative jäumten denn auch nicht, ihm mit Ver— 
Iprehungen reichlich Troft einzufprehen — mexi— 
caniſche Verjprechungen ! 

Sp nahte der 16. September heran — das 





375 


dritte Mal, daß ihn der Kaiſer als das Unab- 
bängigfeitsfejt der Mericaner feierte. Sonder: 
barerweije aber hatte fih in der Hauptitabt 
felber das eigenthümliche Gerücht verbreitet, der 
Kaifer werde dieſen Tag und dieſe Gelegenheit 
ergreifen, um jeine Krone niederzulegen und dem 
Lande feine wirklihe Unabhängigkeit — d. h. 
jeine gewöhnliche Anarchie zurüdzugeben. 

Daß die Kaijerin in Paris ihren Zweck nicht 
erreicht, ja jogar eine ſtürmiſche Zuſammenkunft 
mit Louis Napoleon gehabt habe, wußte man 
Ihon aus franzöfifchen Zeitungen, und der Papſt? 
— was Fonnte der Papſt ihr helfen, wo die Li— 
beralen, die jih nodh nie um den Klerus ge= 
fümmert, jegt mit jedem Tage an Macht wuch— 
jen und die eigentlichen Gentraljtaaten Mericos 
enger und euger einjchlojjen. 

Die ganzen nörblihen Provinzen befanden 
ih wieder in ihren Händen, und Juarez war 
zum vierten Mal nah Chihuahua zurüdgefehrt. 
Im Süden ſtand Borfeirio Diaz wieder mit einer 
jtarfen Armee, die von Woche zu Mode, von 
Tag zu Tag wuchs. Im Welten hatten die Dil: 
jidenten ſämmtliche Hafenftädte bejeßt, und ſelbſt 
in dem Nachbarſtaat rüjftete ſich Alvarez, um bie 
Republikaner zu unterjftüßen. — Und welde 


376 


Macht hatte er felber ihnen entgegen zu ftellen? 
Seine waderen öſterreichiſchen Hufaren, ja und 
vielleicht die belgifchen Truppen, aber auf alles 
Andere durfte er jich nicht verlafjen, denn felbit 
bie in Cazadores-Bataillone eingereihten Meri: 
caner zeigten ſich unzuverläfjig, und ſogar oft 
gefährlich ihrer Dejertionen wegen. War es ba 
denkbar, daß der Kaifer, nur von feinem ritter- 
lichen Geijt getrieben, trog Allem und Allem aus: 
halten würde auf feinem Poſten? Die Mexi— 
caner konnten ſich das nicht. denfen, denn jie 
begriffen ein jolches Gefühl nicht einmal, waren 
alfo aud, gar nicht im Stande, es in dem Her— 
zen eines Andern vorauszujeßen. 

In dem eigentlichen gefnechteten Volksſtamme 
Mericos, den Indianern, erwachte aber mit der 
Furcht vor dem Verluſt des einzigen Mannes, 
der je Theil an ihnen genommen, aud) die Liebe 
zu ihm. Rührend waren die Zeichen von Ans 
bänglichfeit und Vertrauen, die fie ihm ſchon 
an jeinem legten Geburtstag gegeben und jebt 
wieder erneuten. Blumenjpenden brachten jie 
ihm, und ihre Oberhäupter hielten Anreden an 
den Herrjcher, in denen fie ihm fagten, wie er 
ihre alleinige Stüße jei, und ihn baten, bei ihnen 
auszubarren. 


377 


Möglich, daß diefe Beweife einfachen Ber: 
trauens den ſchon ſchwankenden Monarden bes 
wogen, dem Schicfjal trotzig die Stirn zu bieten, 
Kehrte er jeßt nah Europa zurüd, was erwar— 
tete ihn dort? Das Bewußtſein eines verfehl- 
ten Xebens, zertrümmerte Hoffnungen und ber 
Spott ber Menge, die nicht beurtheilen Fonnte 
oder wollte, wie wader er bier gekämpft. — 
Mögli auch, daß der Klerus noch außerdem 
Alles aufbot, ihn gerade in dieſem Augenblid 
zum Ausharren zu bewegen, denn bie Kirche 
hatte Niemanden, um ihn gerade jeßt zu ers 
jeßen, und die Macht ber Liberalen wuchs er— 
ſchreckend an. 

Der Kaiſer blieb und ſprach im großen, dicht 
von Menſchen gedrängten Iturbide-Saal des 
kaiſerlichen Palaſtes jene denkwürdigen, aber für 
ihn verhängnißvollen Worte: 

„Noch ſtehe ich feſt auf dem Platze, auf wel— 
chen der Wille der Nation mich berufen, ungeach— 
tet aller Schwierigkeiten, ohne in meinen Pflich— 
ten zu ſchwanken, denn ein rechter Habs— 
burger verläßt ſeinen Poſten nicht im 
Momente der Gefahr.“ 

„Behalt es wohl — wir werden's nicht ver— 


378 


geffen, jagt der Mephiſto im Fauſt und — bie 
Geijtlichkeit ſtand dabei und hörte es. 

Bon jet an z0g fi der Kaiſer nad) Cuer— 
navaca zurüd, und wenn er audy verjprochen hatte 
auf feinem Poſten auszuharren, jo deutete doch 
ſchon der ganze Charakter der Rede an, für wie 
verzweifelt und hoffnungslos er felber die Lage 
hielt. Er war fid) auch von diejer Zeit an wohl 
far bewußt, daß er nicht lange mehr Kaifer 
von Merico bleiben werde, aber auch eben fo 
fejt entichloffen, nicht lebend der Gewalt oder 
dem feigen Drängen des franzöſiſchen Kaijers zu 
weichen. In ehrenvoller Weije wollte er das 
Land verlajjen, und deshalb tauchte wieder die 
dee eines allgemeinen Congrejjes — einer 
wirfliden Abjtimmung in ihm auf. 

Bon allen Provinzen jollte das mericanifche 
Volk frei und ungehindert feine Vertreter ſen— 
den — im offenen Congreß jollten dieſe erklären, 
welche Regierungsform und wen zum Oberhaupt 
fie verlangten, und dann fonnte er mit gutem Ge: 
wiſſen, und frei das Haupt erhoben, einer Krone 
entjagen, die für ihn bis jegt nur Dornen, aber 
feine Rojen getragen. 

Die Idee eines ſolchen Congreſſes war jo 
Ihön als edel gedacht, und kam allein aus ſei— 


379 


nem eigenen Herzen, aber fie jcheiterte an zwei 
unüberwindliden Schwierigfeiten, oder wurbe 
vielmehr vor der Hand hinausgejchoben. 

Die erjte war die nämliche, welche nicht ein= 
mal eine Eroberung, viel: weniger denn Be— 
jeßung und Erhaltung des ganzen Reiches ge— 
jtattet hatte: die ungeheure Ausdehnung dejjelben, 
wozu jet noch die volljtändige Unficherheit 
ſämmtlicher Straßen im Innern fam, wie daß 
fie außerdem noch in der Regenzeit unpafjirbar 
wurden. Die zweite der Widerſtand, den ber 
Gedanke felbft bei feinem jetigen Minifterium 
und der Partei fand, welcher dafjelbe angehörte. 
Jetzt hielten jie, wie fie glaubten, das Heft in 
Händen und wollten fi dafjelbe nicht durch 
eine Abjtimmung, wenn folche-jelbjt möglich ge= 
wejen wäre, entreißen laſſen. Was galt ihnen 
der Kaiſer — die Perſon? — Nichts — ihre 
Sache aber Alles, Mocte das Land darüber 
zu Grunde gehen, wenn fie fih nur ihre Vor: 
rechte fiherten. Die „kleine“ Partei war wie- 
ber einmal mächtig geworben und ber Kaifer 
in ihren Händen — mehr verlangten fie nicht, 
und jie wären die Letzten geweſen, auch nur ein 
Jota freiwillig davon abzutreten. 

Der Kaifer, der, wohin er griff, auf Nichts 


380 


als Schwierigfeiten ſtieß, ermübdete zulett. Seine 
Minifter wie der Klerus wiegten ihn derart mit 
Berjprehungen ein, daß er, wenn er nicht ſel— 
ber daran glaubte, doch wenigitens beſchloß, der 
Sache vor der Hand ihren Lauf zu laffen. End— 
ih mußte ja doch auch bejtimmte Nachricht 
von der Kaijerin fommen. 

Zu dem Minifterium wurde unter dem Prä— 
jidenten Lacunza und ganz nad Vorſchlag des 
Padre Filcher, der ſich dem Kaiſer bald unent= 
behrlih zu mahen wußte, ein neuer Staats— 
rath aus rein confervativen Elementen ernannt, 
und der Kaiſer erfreute fich indefjen wenigſtens 
feines Sommeraufenthalts in Euernavaca, aus 
dem er aber auch in trüber Weife aufgerüttelt 
werden jollte. 

Eine neue Verſchwörung war entdedt wor— 
den, bejtimmt, ihn auf dem Weg von Euernavaca 
aufzuheben. — Zu weldhem Zweck? Kein Menſch 
wußte e8, und der Präfect von Tlalpam, General 
D’Horan, der fie entdeckt Haben wollte, gebrauchte 
die Vorjiht, ſämmtliche „Mortimers“ gleich 
hängen zu lafjen, jo daß eine weitere Unterſu— 
hung unmöglich wurde. 

Aber den Kaiſer litt e8 auch nicht mehr in 
Euernavaca, wo er fih außerdem noch jo viel 


weiter außer dem Bereihh eines jet täglich 
erwarteten Courier befand. Er kehrte nad 
Chapultepec zurüd, wurde aber hier bald von 
einem heftigen Wechfelfieber erfaßt, das fein Arzt, 
der erjt Fürzlich bei ihm eingetretene Doctor 
Baſch, der ungejunden Lage des von Sümpfen 
umgebenen Chapultepec zujchrieb. Er drang in 
den Kaiſer, feine Rejidenz nad der Hauptitabt 
jelber zu verlegen, wo er ſich jedenfalls in ge: 
fünderer Luft befand. 

In den eriten Tagen des Monats October 
fiedelte der Kaifer in den Palacio von Merico 
über, und erhielt bier bald die Nachricht, daß 
mit dem am 10. eintreffenden Poſtdampfer Ge— 
neral Caſtelnau, Perſonaladjutant des Kaijers 
Napoleon, mit für ihn jedenfalls wichtiger Bot— 
Ihaft anfommen werde. 

Am 14. hätte der Herr mit ber gewöhn: 
lihen Diligence in Merico fein fünnen — aber 
er fam nicht — Tag nady Tag verging und er 
lieg Nichts von fih hören. Gutes verfündete 
das feineswegs, und ſchon diefe Rüdjichtslofig- 
feit des Abgefandten übte auf die Gemüths- 
ſtimmung des Kaifers einen höchſt nacdhtheiligen 
Einfluß aus. 


381 





382 | 


Doctor Baſch ſchildert diefe Tage in feinem 
Bud mit den wenigen, aber treffenden Worten - 
„Die, wenn aud nicht bedeutende Erfranfung 

des Kaijers, die wirren politiihen Zuſtände, die 
Geldverlegenheit, die Zögerung Gajtelnau’s, die 
Unzufriedenheit mit dem conjervativen Mini— 
ſterium, deſſen Repräfentanten ihm nie recht be- 
bagen wollten, erzeugten in dieſen Tagen im 
Kaijer eine tiefe geijtige Verftimmung und Ab— 
ſpannung.“ — Und dod war das Alles nur das 
Borjpiel zur Kataſtrophe. 

Bergunter ! der Stein rollte.e Der arme 
Kaijer ſtand allein, verratben faſt von allen 
Seiten, auf die er ſich vertrauend wendete, und 
die wenigen Menſchen, die es wirklich treu und | 
ehrlicy mit ihm meinten, bejaßen feinen Einfluß 
und fonnten ihm nicht helfen — und ihr Rath? | 
Padre Fiſcher war der Geheimjecretär des Kai— | 
ſers und lenkte jett das lede Staatsjchiff mit 
fundiger und ruhiger Hand — dem Abgrund | 
entgegen! 





Ende des dritten Bandes. 


Druck von G. Fig in Naumburg eg, 








In Merice 


Vierter Band. 





— ——— — 





Digitized hy GC 





n Mexico 


— — — 


Ein Charakterbild 


von 
Sriedrid Gerſtäcker. 
Zweite Auflage. 


Vierter Band. 


(Erſter Theil.) 





dena, 
Hermann Goftenoble. 
1877, 


is 


ar 





Inhaltsverzeidhniß. 


Erfter Theil. 


. Der Wendepunkt 

. In Orizaba 

. Der Abzug ber Franzoſen 
.Nach Duerdtaro . 

. In Duerdtaro 

. Während der Belagerung 
. Der Berrath . 


Zweiter Theil, 


. General Marquez 

Fluchtverſuche 

. Die Berräther : 
. Das Ende eines braven Mannes 
. Die Republikaner 

. Schluß . 


ee Zn 











1. 
Der Wendepunkt. 





Am 18. October früh war Minijterrath im 
Schloß geweſen und zum Mittag jeit längerer 
Zeit wieder zum erſten Mal eine größere Gejell- 
Ihaft zum Diner geladen worden, bei dem fich 
der Kaiſer heiterer als gewöhnlich zeigte. 

Die Gäſte gehörten faſt ausſchließlich der 
conjervativen Partei an, und Marimilian ſprach 
jih befonders befriedigt darüber aus, daß er 
Nachricht erhalten habe, wie die Kaijerin in 
nächſter Zeit zurückkehren würde. Er äußerte 
babei auch ziemlich entichieden, daß er feine frü— 
here Idee: einen National-Congreß, noch feines: 
wegs aufgegeben habe, jondern nur die Ankunft 
ber Kaiſerin erwarten wolle, um mit ihr ben 


wichtigen und enticheidenden E dhritt zu a 
Fr. Gerftäder, In Merico. IV, 


2 


Seine Minijter wollten allerdings Nichts davon 
willen, aber e8 müjje doh am Ende gehen, wenn 
man nur ernjtlich wolle, und die Herren im 
inneren Land bürften fi) auch nicht weigern, 
eine vielleicht lange und unbequeme Reiſe zu 
machen, wenn man dadurch dem endlojen Blut: 
vergießen im ganzen Reich ein gebieterijches Halt 
zurufen könne. 

Der Kaijer jchien ungewöhnlich lebhaft und 
geiprädhig und hob auch die Tafel etwas fpäter 
als jonft auf, wonad er ſich dann wieder in 
jein Arbeitszimmer zurüdzog, um vielleicht nod) 
eingelaufene Geſchäfte zu erledigen. 

Die Gäſte, unter denen ſich auch aus der 
wieder zu Gnaben aufgenommenen Partei ein 
paar alte Bekannte von uns, Yucido, Roneiro 
und Bajtiani befanden, jchlenderten langjam 
über die Plaza ihren eigenen Wohnungen zu, 
bis die Lebteren, Lucido's Haus pafjirend, von 
dieſem eingeladen wurden, noch ein wenig zu 
ihm beraufzulommen und den Abend vielleicht 
dei einer Partie zu verbringen. 

„Was fangen wir ſonſt an, Señores,“ fagte 
Zucido, „die Zeiten gehen jeßt ihren ruhigen 
Gang, und Ändern fönnen wir dod Nichts in 
ihrem Lauf — vamonos; der Abend vergeht 








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® % 5 


damit, und wer weiß, was der folgende Tag ung 
wieder bringt.‘ 

„Der Kaijer war heute vortrefflicher Laune,“ 
bemerfte Roneiro, als fie, der Einladung fol- 
gend, die Treppe hinaufjtiegen und oben auf 
dem mit Blumen und Ziergewächſen bededten, 
ven Hof umlaufenden Corridor hinjchritten — 
„er Iheint gute Nachrichten erhalten zu haben.“ 

„Es kamen gerade noch ein paar Depejchen, 
als wir fortgingen,‘ bemerkte Bajtiani — „und 
der Henfer traue den Dingern; man weiß nie, 
was darin ſteckt.“ 

„Belonders gut können fie Faum fein,‘ be: 
merkte Lucido, ‚das Ganze iſt doh nur eine 
Salgenfrift, und ich möchte wohl willen, was 
unjere höhere Geiftlichfeit eigentlih im Werke 
hat. Sie entwicelt jebt eine ganz merfwürdige 
Thätigfeit und hat eigentlich die Hände in allen 
Geſchäften. Nächſtens werden wir wohl, was 
mich aud gar nicht wundern jollte, den Wider: 
vuf des ‚Faijerlich kirchlichen Decrets, wie der 
ſämmtlichen leyes de reforma zu lejen befommen. 
Apropos, Roneiro, wie ift es denn mit Deinem 
Haus? Haben Did) die dort umgebenden Ge: 
Ipenjter in Ruhe gelaſſen?“ 


„Ich gäbe was darum,‘ jagte Roneiro, „wenn 
1* 


3 


enge 
* 
* me. $ 


4 


ih berausbefommen Fönnte, wer mir damals den 
Streich gejpielt, denn daß es ein ſolcher geweien, 
unterliegt feinem Zweifel — aber es war ge: 
ihift gemadt und meine Damen im Haus 
ihienen rein des Teufels. Sch hätte jie Feine 
Nacht mehr unter dem Dache halten können.“ 

„Und wie ift es mit Deinem Beſitzthum — 
bat es die Kirche wieder?“ 

‚„Caramba, Lucido, wie die Dinge jest lau: 
. fen,‘ jagte Roneiro, fich hinter dem Ohr Fragen, 
‚0 jollte es mid gar nicht wundern, wenn fie 
e8 wieder bekäme, denn ber Klerus jegelt jeht 
vor dem Winde, mit aller Leinwand gejeßt; aber 
„abwarten‘ iſt mein Motto, und ich bin nidt 
leichtjinnig genug gewejen, voreilige Verſprechen 
zu geben.‘ 

„Halt aber doch ein anderes Quartier ge: 
nommen ?' 

„Weil ich mußte — das alte aber deshalb 
nod nicht aufgegeben. Padre Miranda hat es 
mir allerdings jchon ein paar Mal abgeforbert, 
und verlangt, ich jolle es, um nur mein Gewiſſen 
frei zu befonmen, auf feinen Namen perjönlid 
überjchreiben lafjen, aber ih — traue dem from: 
men Manne nicht recht und habe jo meinen 
eigenen Verdacht. Nun — veremos: die Sad 


5 


hat jedenfalls noch Zeit, und wir werden ja 
ſchon in der nächſten Zeit erfahren, wie ſich 
Alles geſtaltet.“ 

„Mir thut der Kaiſer leid,“ ſagte Baſtiani, 
indem er ſich auf einen Stuhl an dem nächſten 
Fenſter warf — „Caramba, er hat ſich die ganze 
Zeit über wie ein Ehrenmann benommen, und 
wir müſſen uns jchämen, wenn wir jehen, wie 
fih ihm gegenüber einzelne Mericaner und nod) 
dazu ſolche betragen, die Anjpruch darauf machen 
die höchiten Stellen im Staat einzunehmen.‘ 

‚Meinen Sie Juarez?“ 

„Juarez weniger, obgleich der auch wohl fein 
Mittel jcheuen würde um jeinen eigentlichen 
Zweck zu erreichen, aber dieſer Lump, biefer 
Gonzales Ortega, der Sonora und California 
baja mit Vergnügen verjhadern will, nur um 
die Bereinigten Staaten auf jeiner Seite und 
gegen Juarez zu haben. Pfui über den Burfchen, 
und der Kaijer hat doch die Franzoſen ganz ruhig 
abfahren laſſen, als fie jih nur Sonora aus— 
bedingen wollten.‘‘ 

‚Und dann Santa Anna,’ lachte Roneiro’ 
„die Klerifalen müflen ihm dod Hoffnung ge— 
macht haben, oder er hätte nie die Unverjchämt- 
beit gehabt, wieder auf jo plumpe und alberne 


vypagnzsı — 


6 


Weiſe aufzutreten — und das find Alles Mexi— 
caner. Es iſt wahrhaftig eine Schande — Ba: 
ſtiani hat Recht.‘ 

„Wie wird es aber mit der Anleihe, die er 
erheben will?‘ meinte Lucido; ‚er braucht viel 
Geld in der nächſten Zeit, und wir follen es da 
natürlich jchaffen, wie ihm ſein Minijterium 
verſprochen hat.‘ 

„Dann mag aud) fein Minifterium jehen, 
wo es die Gapitalien berbefommt,‘ jagte Ro- 
neiro troden. „Jetzt, wo wir bedroht werden 
der Kirche ihr ſämmtliches Eigenthum zurüd zu 
geben, jollen wir uns auch wohl noch von dem 
Legten entblößen, was uns geblieben iſt? Ich 
für meine Perſon kann mich auf etwas Derarti: 
ges gar nicht einlafjen.‘ 

„Und womit joll er regieren?’ meinte Ba: 
Itiani. 

„Quien sabe,“ erwiederte Noneiro. „IH 
babe außerdem Nicht? damit zu thun und Fein 
Intereſſe dabei, denn die Liberalen ſichern und 
wenigitens die Güter der Todten Hand.’ 

„Confisciren aber ſonſt Alles, was fie von 
uns draußen finden.‘ 

„Wenn wir ung ftart compromittiren, ja. 
Ich für meinen Theil habe aber bis jegt geſucht 


und 


7 


jo wenig Lärm als möglich zu maden, und 
denfe mich auch ferner auf der fihern Seite zu 
halten.‘ 

„Bitte, nehmen Sie Plag, Baſtiani,“ fagte 
Lucido, — „compadre, jeße Dich hierher — wir 
Eönnen unfer Spiel beginnen.‘ 

„Apropos, Lucido,“ rief Baftiani, indem er 
den bezeichneten Plaß einnahbm — „haben Sie 
denn lange Nichts von Mauricio gehört? Der 
it ja rein wie verſchwunden.“ 

„Kein Wort,” jagte Yucido jeufzend — „der 
Junge macht mir viele Sorgen, und muß den 
einen dummen Streich jchwer büßen. Wenn 
ihm nur fein Unglüdf widerfahren ift. — Was 
giebt’8, muchacho?“ — Die Frage galt einem 
der Diener, der heraufgefommen und in ber 
Thür jtehen geblieben war. „Was haft Du?’ 

„Señor, da unten ijt ein Mann,‘ jagte der 
Indianer, „der Sie zu ſprechen verlangt.‘ 

„Ein Mann? was für ein Mann?’ 

„Quien sabe,“ jagte der Indianer — „ſieht 
ein bischen abgerifjen aus — Lepero no mas.” 

„Dann jol er morgen wieder fommen — 
heute habe ich feine Zeit.‘ 

Der Diener verfhwand und die Herren zogen 
ihre Karten, um bie verfchiedenen Pläße zu beſtim— 


8 
men, als der Burſche zurückkam und wieder mel— 
dete, der „Fremde“ ließe ſich nicht abweiſen — 
er müſſe den Herrn nothwendig und gleich 
ſprechen. Er wolle auch Nichts haben, ſondern 
brächte ihm eine wichtige Nachricht. 

Eine wichtige Nachricht? Jedenfalls konnte 
man ihn hören, und Roneiro rief ſelber: „So 
laß ihn doch nur heraufkommen! Die paar 
Minuten können wir ja noch warten.“ 

Wenige Minuten ſpäter trat ein brauner 
Burſche, jedenfalls ein Sambo, denn er war 
bunfler als jelbjt die Indianer, in den eleganten 
Calon, in den er eigentlicy nicht recht hinein zu 
pajjen oder fich behaglich darin zu fühlen fchien. 
Mißtrauiſch glitten auch jeine Blicke über die 
beiden anwejenden Herren bin — aber nur für 
einen Moment — dann hafteten feine Augen auf 
dem Diener, und Lucido merkte bald, daß er ben 
entfernt wünjchte. 

„Es iſt gut, muchacho,” jagte er zu dem Bur: 
jhen, „warte draußen an ber Treppe, bis id 
Di wieder rufe. — Und nun, amigo, was 
ſoll's — id) habe nicht lange Zeit und dies hier 
find Freunde, vor denen Du reden Fannjt. Ober 


ift es ein Geheimnif, dag mid allein betrifft?” 


„Senior Roneiro und Bajtiani,‘ fagte ber 


* 








Sambo, „werben, denk’ ich wohl, dabei bleiben 
koͤnnen.“ 

„Caramba! und woher kennſt Du uns, mein 
Burſche?“ 

„Werde ich Sie nicht kennen, während ich 
faſt im Stande bin, jedes Kind in Mexico beim 
Namen zu nennen,“ lachte der Sambo; „aber 
die Sache betrifft Ihren Sohn, Señor Lucido, 
von dem ich Ihnen Grüße bringe!” 

„Mauricio? — er lebt?" rief Lucido raſch 
und erfreut. 

„Sr lebt?” grinjte der Sambo — „gewiß 
lebt er und befindet ſich vortrefflih und gerade 
auf dem Weg nad) der Hauptſtadt.“ 

„Um der Jungfrau willen,” rief Señor Lu— 
cido erſchreckt — „er darf die Stadt nicht betre= 
ten, oder er ift verloren.‘ 

„Hahaha,“ lachte der Burſche — ‚er fommt 
langjam aber ficher, und wenn er bier eintrifft, 
thut ihm feine Seele was.” 

„Wie meinft Du das? 

Beil er in Juarez’ Hauptquartier jtedt und 
jetzt deſſen Geheimſecretär geworben iſt,“ lachte 
der Sambo. 

„Bei Juarez? und wo ſteht der?“ riefen die 
drei Herren zugleich aus. 


10 


„Ja wo er jeßgt jteht, iſt jchwer zu jagen,“ 
meinte achjelzudfend der Sambo, ‚denn als id 
fie verließ, rüdten fie langjam auf Durango vor, 
und jind jetzt entweder noch dort, oder jtehen 
wieder darüber hinaus und hierher zu.‘ 

‚Aber das ijt nicht möglich,‘ rief Lucibo, 
„Durango halten ja noch die Franzoſen bejegt.‘ 

Der Sambo jchüttelte mit dem Kopf — „Hat: 
ten es — ja, nidte er, „ziehen aber überall 
langiam ab und überlaſſen uns die Pläte mit 
dem größten Vergnügen.” 

„Und hat Fein Kampf mehr zwiſchen ihnen 
und den Liberalen jtattgefunden 2” rief Baſtiani. 

„Kampf!“ fagte der Sambo — „denken gar 
nicht daran. Es giebt jeßt Feine bejjeren Freunde 
auf der Welt, als die Franzoſen und Liberalen, 
und ihre VBorpojten fommen jogar zuweilen zu: 
ſammen und verfehren mit einander. Iſt gerade 
als ob eine Partei aus einem Haufe auszieht 
und die andere ein — fällt gar fein böſes Wort 
mehr zwifchen ihnen vor. — Selbit die Officiere 
halten Verkehr untereinander.‘ 

„Franzoſen und Juariſten?“ rief Baſtiani 
erſtaunt. 

„Ja,“ lachte der Sambo, „ob ſie Alle Jua— 
riſten find, weiß die heilige Jungfrau, aber plüns 





11 


dern thun fie vedlich, wohin fie fommen, Einige 
in Juarez', Einige in Ortega's und Einige in 
Ruiz’ Namen. Einige von den Yührern haben 
ih auch jelber pronuneirt — man jagte, wie 
ich fortging, daß Cortina Anſprüche mache, weil 
ihn feine Bande gewählt habe. Das giebt jich 
aber Alles; wenn jie erjt zuiammenfommen, dann 
bat ber Recht, der die meijten Truppen zählt, 
und die Anderen laufen doch Alle zu ihm über.‘ 

„Und meinem Mauricio gebt es gut?’ vief 
Lucido. — „Gott jei Danf, daß ich nur wieder 
einmal Nachricht von dem Jungen habe.” 

„Junge?“ fagte der Sambo ladyend; „er tft 
ein ſehr vornehmer Herr geworden, und Alle, 
die einmal ſpäter eine Anjtellung wollen, müſſen 
zu ibm kommen, und caracho — id) denke, er 
verjteht jie auszudrüden.‘ 

Baſtiani warf einen Bli auf Yucido hinüber, 
und der alte Herr ſchien von dem Bericht über 
bes Sohnes Thätigfeit nicht gerade bejonders 
erbaut, aber was wollte er auch madyen — er 
mußte doch jedenfalls jehen, wie er ſich in viel: 
leicht jchwierigen und gefährlichen Verhältnifjen 
durchwand, und das Alles änderte jich ficherlich, 
wenn er wieder nach dev Hauptjtadt zurückkehrte. 
Baltiani jchien fich übrigens mehr für das Ver: 


12 


hältniß zwilchen den franzöjiichen und liberalen 
Truppen zu intereffiren, denn die Sache fam 
ihm noch immer ein wenig unglaublih vor 
und er wollte mehr davon willen. Der Sambo 
Ihien das Alles aber als jelbitverjtändlich zu 
behandeln. 

„Ave Maria, Señor,“ rief er aus, „das ift 
ja doc jo natürlich wie nur Etwas. Die Tran: 
zojen haben uns jchon vor einiger Zeit gemel: 
det, daß fie abziehen und feinen Kampf mehr 
mit uns haben wollen. Sie würden ung nicht 
beläjtigen, fie verlangten aber auch dafür — 
und nit mehr als recht und billig, daß wir 
fie Alles ruhig fortichaffen ließen, was ihr Eigene 
thbum wäre und was jie unterwegs brauchten, 
und da veriteht es ſich doch von jelbit, daß un— 
fere Führer darauf eingingen. Jetzt iſt Alles 
ein Herz und eine Seele, und wo wir ihnen 
einen Gefallen thun fünnen, thun wir’ mit 
Vergnügen. Nur die belgiichen Treicorps, bie 
mit den Franzoſen Nichts zu thun haben und 
bier im Land bleiben wollen, find uns ein 
paar Mal in die Finger gelaufen. Wenn bie 
Franzoſen linfs und rechts von ihnen abmar: 
Ihirten, geriethen jie uns in bie Fänge, und 





13 


dann ging es ihnen natürlich ſchlecht. Hol’ die 
Schufte der Teufel!“ 

„Es iſt unglaublich,“ ſagte Bajtiani, „und 
da jagt der Kaifer noch, daß ein rechter Habs— 
burger jeinen Poſten nicht verlaffen dürfe? Ca- 
ramba, wenn ein rechter Habsburger unter jol: 
hen Berhältniffen noch einen Gran gejunden 
Menjchenverjtandes hat, jo madt er, daß er 
fortfommt, denn das ift Fein ehrlicher Kampf 
mehr, das ift Schurferei, und er felber an allen 
Eden und Enden verrathen und verkauft.‘ 

‚Der Sambo jah ihn etwas erjtaunt an, denn 
er wußte nicht recht, was er aus den Worten 
machen jolle; Lucido Aber, der einem ganz ans 
dern Ideengang gefolgt war und fich verwünjcht 
wenig um das Schickſal des Kaiferreihs küm— 
merte, jo er nur feinen eigenen Sohn in Sicher: 
heit wußte, ſagte plöglich: 

„Und wie beißt Du eigentlich, mein Burjche, 
und wie bilt Du mit meinem Sohn befannt ge— 
worden ?'' 

Die Trage kam jo plößlih und unerwartet, 
daß fie den Sambo fait in Verlegenheit gebracht 
hätte, aber wer fannte auch hier feinen Namen, 
und er erwiederte ruhig: 

„Rodolfo, Señor. — Hatte früher eine Fleine 


14 


Tulqueria in Zacubaya, wo der junge Herr, 
wenn er dort hinauskam, fein Pferd einitellte 
und füttern ließ. Er hat immer viel von mir 
gehalten und — da er wußte, daß er fi auf 
mich verlajjen fonnte, mir auch den Auftrag an— 
vertraut, jeinen Eltern Nachricht von ihm zu 
bringen. Hätten ſich doch ſonſt wohl jeinetwe- 
gen geängſtigt.“ 

‚Aber weißt Du, mein Burſche,“ jagte Ba: 
itiani, ‚daß Du in des Teufels Küche fommen 
kannſt, wenn fie Dich hier al8 Spion aufgreifen? 
Verwünſcht Furzen Proceß würden Sie mit Dir 
maden, darauf Fannjt Du Did) verlafjen, und 
ih möchte wahrhaftig nicht in Deiner Haut 
ſtecken.“ 

„No tenga cuidado Señor,“ lachte der Sambo; 
„erſtlich bin ich hier viel zu bekannt, und dann 
würde ich mich augenblicklich als Deſerteur an— 
geben und mich einige Wochen hier füttern laſſen. 
Nichts iſt leichter, als nachher wieder bei einer 
günſtigen Gelegenheit zu entwiſchen.“ 

„Troſtloſe Zuſtände,“ ſagte Baſtiani, langſam 
den Kopf ſchüttelnd — „nicht um eine Million 
Revenuen möchte ich mexicaniſcher Kaiſer ſein!“ 

„Ich gleich,“ lachte Rodolfo — „dann ver— 
kaufte ich ein ganzes Jahr lang nichts weiter 


15 


als Generals:Patente, und wenn ich in der gan— 
zen Armee feine Seele weiter ald Generale hätte, 
jeßte ich mich auf ein Schiff und führe mit mei— 
nem Geld davon.” 

„Der Burſche hat Verſtand,“ lachte Roneiro, 
„oder doch wenigjtens Nahahmungstrieb, denn 
etwas Neues wäre das nicht. Andere haben es 
ihon vor ihm gethan und werben es aud noch 
nad ihm thun. — Alſo Mauricio befindet ji) 
im feindlichen Hauptquartier! Das ijt wirklich 
nicht übel, und er wird es dann wohl nächſtens 
jelber zu regiltriren haben, wenn jeines Vaters 
Güter von den Tiberalen confiscirt werden. Eine 
größere Konfufion kann doch wahrhaftig in fei: 
nem Land der Welt herrichen, und anjtatt befjer 
zu werden, wird es immer ärger.’ 

„Und kehrſt Du wieder zurück?“ frug Rucido. 

„Sobald ich mich hier ein wenig umge: 
ſehen habe, ja,” nicte Rodolfo, „muß nod eine 
Menge Aufträge an verjchiedene Gaballeros hier 
ausrichten und aud) wieder mitnehmen.’ | 

„Und von wen, amigo?“ frug Baltiani. 

„Quien sabe,“ lachte der Burſche — „iſt viel 
bejjer Feine Namen zu nennen, um Niemanden 
in Verlegenheit zu bringen — find aber feine 
Leperos, jo viel kann ih Sie verfichern.‘ 


„Kann ich mir denken,“ jagte der alte Herr 
— „natürlich wird es jeßt bei Vielen Zeit, ſich 
den Rüden zu decken. Hol’ fie der Teufel!‘ 

„Dann komm, ehe Du die Stadt verläßt, nod 
einmal bei mir vor, amigo,“ ſagte Lucido — „id 
werde Dir Aufträge an meinen Sohn mitgeben. 
Das vorderhband für den Herweg,“ ſetzte er 
hinzu, indem -er dem fehr erfreuten Burjchen 
zwei Goldunzen in die Hand drückte. „Es ver: 
ſteht jih aber von ſelbſt, daß Du Mauricio’s 
Namen nicht bier in der Stadt nennit.‘ 

„Gewiß nicht — gewiß nicht, Señor,“ rief 
der Burſche betheuernd, „nur,“ ſetzte er pfiffig 
hinzu — „mit einer einzigen Ausnahme, bie aber 
Nichts mit der Politik zu Ichaffen Hat und ihn 
auch nicht in Gefahr bringt — doc, jeßt muchas 
gracias, Eenor — Caraija, das giebt einen gu— 
ten Tag, und die Goldfüchle find bei uns draußen 
jelten geworden. Alſo ehe ich wieder abgebe, 
frage ich bier noch einmal an,’ und mit einer 
nicht ungeſchickten Berbeugung verließ er ben 
Salon. " 

Die drei Herren aber blieben, als er burd 
die Thür verjchwunden war, noch Jeder über 
feinen eigenen Gedanken brütend ftehen — fie 





16 





4 


17 


hatten ihr Spiel ganz vergejlen, und bie eben 
gehörte Kunde war auch allerdings wichtig genug. 

Sie Alle wußten ja wohl, daß jich die Fran— 
zojen nad) und nad zurüdziehen und das Land 
räumen würden, Keiner aber jchien geglaubt zu 
haben, daß das in ſolcher Weije und in jo freund» 
-liher Beziehung zu den bisherigen Feinden ge: 
Ihehen könne. Bazaine mußte aljo mit dem 
feindlihen Hauptquartier förmliche Verabredun— 
gen getroffen haben, und in dem Falle jtand ihm 
aud gar nichts im Weg, feine Truppen fait jo 
raſch zuſammen zu ziehen, als fie nur die weiten 
Streden marſchiren konnten. Im Intereſſe ſei— 
ner Soldaten lag das gewiß, er ſchonte Men— 
ihenleben, daß fie aber damit das Kaijerreich 
vollfommen im Stiche liegen und ihm nicht ein— 
mal Zeit gaben, für jeine eigene Bertheidigung 
gerüftet zu jein, war eben jo gewiß. Sämmt— 
lihe bisher giltig gewejenen Berträge jchienen 
aljo aufgehoben oder gebrochen, und daß in dem 
Fall hier die Sache eine rafhe und bösartige 
Wendung nehmen mußte, blieb außer aller Frage. 

„Das Einzige, was ich nicht begreife,“ jagte 
Baltiani endlich, indem er jeinen Gedanken Worte 
gab, „iſt ver Klerus, der jo lange an dem Kaijer: 
reich herumgebohrt hat, bis es ihm endlich ge= 

Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 2 


18 


lungen ift e8 zu Grunde zu richten, und jebt 
ichließt er wieder Freundfchaft, wo ihm bie Li— 
beralen ſchon auf dem Genid figen. Er fann 
doch gar nicht glauben, daß er im Stande iſt 
e8 wieder lebensfähig zu machen.” 

„Ich weiß auch nicht,” meinte Roneiro, „was 
die Schwarzen dabei noch in petto haben, denn” 
daß die Amerikaner die Fremden aus dem Land 
haben wollen, ift gewiß. Es find nun einmal 
Republikaner und dulden fein neues Kaiſerreich.“ 

„Ach was, jagte Baltiani finjter, „der ver— 
dammte Schneider, den fie jet zum Präfidenten 
haben, Fümmert fich verwünjcht wenig um Re— 
publik oder Kaiferreich, und die Amerifaner jelber 
— hol' fie der Henker — e8 iſt ja doch nur Alles 
Nedensart in ihrer Republik. Uns wollen fie 
bier mit freien Inſtitutionen beglüden und 
Ihimpfen auf die Knechtſchaft einer Monarchie, 
mit der Regierung aber gerabe, in der bie 
ſchmachvollſte Tyrannei und Knechtſchaft, Säbel- 
wirtbichaft, Despotismus und Gott weiß was 
jonft noh zu Haufe iſt — mit Rußland, 
Ihließen fie ein enges Freundſchaftsbündniß 
und die armen Polen mögen zum Teufel gehen. 
Die ſcheeren fih nicht um ein Princip, ſondern 
um den Dollar — das iſt Alles, und wenn ihnen 





19 


Marimilian den Hals vollihieben Fönnte, möchte 
Juarez und die Republik ruhig jehen, wo ſie 
blieben. Ein liberaleres Regime, als es unfer 
Kaiſer bis jest hier geführt hat, giebt es nicht 
auf der Welt, aber nein, fie lafjen ihn nicht, 
bis er fich den Pfaffen wieder in die Arme wirft.’ 

„Amigos, jagte Lucido, der indefjen feine 
eigenen Gedanken verfolgt und zu einem ziem= 
lih angenehmen Rejultat dabei gelangt war; 
denn wenn ſich jein Sohn gut mit Juarez jtand 
und diefer nächſtens wieder die Dbergewalt be= 
kam, jo hatte er natürlich Nichts für fein Eigen- 
tbum zu fürdten — „wir ändern doch Nichts 
am Lauf der Ereigniffe — beginnen wir unfer 
Spiel und warten wir das Uebrige ruhig ab.’ 

„Sie müſſen mich heute entſchuldigen, Lucido,“ 
lagte Baftiani mürriſch — „id habe den Kopf 
vol und wahrlich Feine Gedanken auf das Spiel, 
aber da kommt Rodriguez — der kann den dritten 
Mann abgeben. Ach will einen Spaziergang 
machen und meinen Aerger an bie Ruft ſetzen — 
adios’’ — und draußen nahm er feinen Hut und 
Ihritt auf die Straße hinaus. 


* * 
* 


2* 


20 


Kaiſer Marimilian war an dem Nachmittag 
eben in jein Zimmer gegangen, aber eine merk— 
würbige Unruhe hatte ihn erfaßt, über die er 
jih gar feine Rehenihaft geben Fonnte. Er 
nahm ein Bud, auf, aber er konnte nicht lejen, 
warf es wieder hin und ſchritt unruhig auf 
und ab. 

Staatsrath Herzfeld, der jeine Hauptgejcäfte 
in diejer Zeit leitete, jaß an dem einen Tiid, 
mit einer Correfpondenz bejchäftigt, und Doctor 
Baſch, der Leibarzt des Kaifers, kam jebt eben: 
falls, wie gewöhnlih nah Tiſch, in das Cabinet, 
als ein Beamter der Telegraphenjtation zwei 
Kabeldepeſchen aus Europa bradte und fie dem 
Staatsrath überreichte. *) 

Der Kaijer war blaß geworden, als ber 
Deamte nur gemeldet wurde. Er ahnte Unheil, 
wenn er auch noch nicht wußte, von welcher Seite 
er es erwarten jollte. Eins der Telegramme 
war vom Grafen Bombelles, der die Kaiferin 
auf ihrer Reife begleitet hatte, und aus Mira: 
mare batirt — das.andere von Gaftillo, dem ehe 
maligen Minifter und jegigen Gefandten in 
Rom, fam von dort. - 


*) Doctor Baſch als Augenzeuge ſchildert dieſe Scene, 
wenn aud nur in furzen Worten, doch genau in feinem Buche. 


21 


„Herzfeld,“ jagte der Kaijer, während er bie 
Depeſchen einen Moment in ber Hand hielt und 
dann vor ihn auf den Tiſch legte — „das find 
feine guten Nadhrichten, die fie bringen — 
ich fühle es — ich habe es ſchon gefühlt, jeit 
fie fih in der Stadt befinden — lefen Sie — 
fefen Sie!‘ 

„Majeſtät jorgen fich gewiß umſonſt,“ fagte 
der Staatsrath beruhigend, indem er die De: 
pefhen erbradh und die Dediffrirung begann. 
„Sie können uns gerade recht gute Kunde 
bringen — aber wir werden ja gleich ſehen.“ 

Der Kaifer nahm feinen Spaziergang im 
Zimmer wieder auf, warf aber ungeduldig den 
Blick nad) dem Staatsrath hinüber, der, anſchei— 
nend etwas verlegen, die Papiere herüber und 
hinüber rüdte und mit einander verglich. Es 
war, als ob er den Sinn nicht jo rafch heraus: 
finden Fünne. 

„Run, Herzfeld, was ift’8? was melden fie?’ 

„Ich weiß nicht,‘ fagte der Staatsrath, auf 
das eifrigjte mit feiner Arbeit befchäftigt — „ich 
begreife nicht recht — die Chiffern paſſen nicht 
genau. Go viel ich bis jeßt herausbefommen 
habe, ijt Jemand in Miramare frank geworben.‘ 

„Krank?“ rief der Kaifer raſch — „ob das 


22 


iſt jedenfalls die alte Bario! aber bu Lieber 
Gott, deshalb hätten fie doch nicht zu telegra- 
pbiren brauden. — Sit es für deren Familie 
bier ?' 

„Ich kann es noch nicht fagen, Majeftät — 
gejtatten Sie mir noch einen Augenblid.” 

Doctor Baſch zog fi in fein Zimmer zurüd 
— rüdjihtsvol in feinem ganzen Wejen, fam 
es ihm vor, als ob der Staatsrath dem Kaijer 
die Depeche nicht in feiner Gegenwart enthüllen 
wolle, und er ging dem deshalb aus dem Weg. 
Herzfeld aber jcheute ſich überhaupt, dem Kaifer 
den Inhalt mitzutheilen, denn es war eine ſchwere 
und forgenvole Nachricht, die fie brachte, und 
während er jich jtellte, al8 ob er den Sinn nicht 
herausfinden könnte, überlegte er doch nur hin 
und ber, ob e8 überhaupt möglich jei, das, was 
bier mit flaren Worten ftand, ihm vorzuenthal: 
ten. Marimilian wurde aber nur zu bald miß— 
trauifh. Staatsrath Herzfeld wußte ſtets mit 
ber Dediffrirung vortrefflich umzugehen, weshalb 
zögerte er gerade heute jo lange? 

„Herzfeld,“ ſagte er endlih, indem er vor 
ihm ftehen blieb, ‚ich weiß es — es muß etwas 
Schredliches fein, was Sie da haben — theilen 


23 


Sie mir e8 lieber mit — ic) bin auf das Xergite 
gefaßt.‘ 

„Majeſtät,“ jagte da der Staatsrath, alfo 
gedrängt — „ih weiß aud gar nicht, ob ich 
Ihnen den Inhalt verheimlihen darf. Es be— 
trifft Ihre Majeſtät die Kaiſerin ſelber — ſie iſt 
ſchwer erkrankt und — einem dortigen, ſehr ge— 
ſchickten Arzt, dem Doctor Riedel, übergeben.“ 

„Riedel? — Riedel?“ — ſagte der Kaiſer 
raſch — „ich habe den Namen nie gehört — was 
behandelt er?“ 

Herzfeld zuckte die Achſeln. „Ich weiß es 
nicht, Majeftät — Doctor Baſch iſt vielleicht eher 
im Stande, Ihnen darüber Auskunft zu geben.’ 

„Baſch — wo ijt er? — lafjen Sie ihn augen: 
blilih rufen. Er wird auf feinem Zimmer 
fein,’ rief Marimilian in furchtbarer Aufregung 
— „bitte, lieber Herzfeld, er ſoll augenblicklich 
herüberkommen.“ 

Der Staatsrath war ſchon aufgeſprungen, 
um den Befehl auszuführen, und der Kaiſer, 
der ſich in einem wirklich qualvollen Zuſtand 
befand, blieb mitten im Zimmer ſtehen und ſah 
nur fortwährend nach der Thür, durch welche 
der Erwartete eintreten mußte. Er brauchte nicht 
lange zu harren, denn der Doctor folgte dem 


24 


Rufe augenblidlid — aber ſchon in der Thür 
rief ihm der Kaifer entgegen — und Thränen 
füllten dabei feine Augen: 

„Baſch — Fennen Sie den Doctor Riedel in 
Wien?“ 

Doctor Baſch erbleichte. Schon der Name ent— 
büllte ihm die ganze Wahrheit — des Furcht— 
baren, des Gefchehenen — aber was Half bier 
leugnen? Mit fat tonlofer Stimme fagte er: 

„Ja, Majeftät, — e8 iſt — der Director ber 
Irrenanſtalt.“ 

Der Kaiſer war todtenbleich geworden — den 
Arm ausgeſtreckt, ſtand er vor dem Arzt — aber 
er erwiederte kein Wort; nur das Geſicht barg 
er jetzt in beiden Händen und blieb ſo mehrere 
Minuten ſtill und regungslos — endlich ſagte er 
leiſe und kaum hörbar: „Großer Gott, das iſt 
fürchterlich!“ 

Herzfeld wollte einige Worte des Troſtes an 
ihn richten, aber er winkte ihm mit der Hand: 

„Jetzt nicht — jest nicht — laſſen Sie mir 
Ruhe,’ jagte er leije, aber freundlich, „ich muß 
das Entſetzliche erjt Har in mir überdenken — 
e8 erſt fihten. Nachher — ſpäter — der Schlag 
fam zu plötzlich — unerwartet — ih muß mir 
erjt jelber darüber Elar werden.” 


25 

Die beiden Herren fühlten, daß fie dem Kai— 
jer in diefem Augenblid feinen größeren Dienft 
erweifen konnten, als ihn allein und ſich jelber 
zu überlafjen, und zogen ſich zurüd. Eine qual— 
volle Stunde modte e8 aber geweſen jein, bie 
Marimilian da in feinem kaiſerlichen Schloß 
verlebte, doch fie hatte ihm genügt, fi zu ſam— 
meln und feine Lage Elar zu überbenten, und als 
er zu feinem gewöhnlichen Abendipaziergang auf 
die Azoten des Palaſtes hinaufſtieg, ſchickte er 
nach jeinem Arzt, um ihm dort wie imıner Ge: 
ſellſchaft zu leiſten. 

Doctor Baſch folgte augenblicklich dem Ruf 
und ſchritt ſchweigend neben Maximilian eine 
Weile auf und ab. Aber wie ſich der Kaiſer 
auch ſonſt an dem reizenden Anblick da oben 
ergötzte, an den wirklich ſchönen Formen der 
Kathedrale an der einen — an den Vulkanen 
an der andern Seite — an dem wunderlich 
geformten und oben wie flach abgeſchnittenen 
Häuſermeer, das ihn umgab, an den Seen und 
Bergen, welche die Stadt da draußen einſchloſſen, 
oder an dem geſchäftigen und regen Leben, das 
über die Plaza zu ſeinen Füßen herüber und 
hinüber wogte, heute ſah er von dem Allen Nichts, 
und ſein immer ſo klares, offenes Auge blickte 


26 


düſter und in fich gekehrt vor fich nieder. Wo— 
mit ſich aber jein Geift in der Zeit bejchäftigte, 
zeigte er bald in der nächſten Trage, die er jebt 
plöglich an den neben ihm jtehen bleibenden Arzt 
richtete: 

‚Bas meinen Sie, Balh? ſoll ich bleiben 
oder gehen?“ 

Es mochte das der nämliche Gegenjtand fein, 
der den Arzt beichäftigt hatte, wenn er fi auch 
über die Sache ſelbſt viel Flarer war, als ber 
Kaijer e8 jein konnte. Er hatte lange jchon, 
mit den Mitteln, über welche Marimilian ver- 
fügte, und unter dem Bolt, das ihn umgab, bie 
Unbaltbarfeit der jegigen Zuſtände erkannt, ja 
fürdhtete jogar, nicht mit Unrecht, für den Für: 
jten jelber und erwiederte deshalb nach Furzer 
Baufe, aber ruhig und bejtimmt: 

„Ich glaube, Euer Majeftät werden nidht 
im Land verbleiben können.“ 

„Wird aber wohl Jemand daran glauben, 
daß ich wegen der Krankheit der Kaijerin nad) 
Europa gehe.‘ 

„Suer Majeftät,” erwiederte Doctor Bald, 
„haben wohl der Gründe genug, und Europa 
wird anerkennen, daß Sie nicht mehr verpflichtet 





27 


ind in Merico zu bleiben, da Frankreich vor: 
zeitig jeine Verträge gelöſt hat.’ 

Der Kaijer jann einen Moment — fein 
Ideengang warf ſich auf feine Umgebung. 

„Was glauben Sie, weldher Anficht wohl 
Hersfeld und Filcher darüber find ?’ 

„sch bin der Meinung, Majejtät, daß Herz: 
feld meine Anficht theilen wird, und was Padre 
Fiſcher betrifft,’ ſetzte er achjelzudend Hinzu, 
„ſo flößt er mir in der That fein rechtes Ver: 
trauen ein. Er iſt Geiftliher, und bei aller 
Ehrlichkeit, die ich bei ihm vorausjege, werben 
ibm doch die Vortheile feiner, eigenen Partei 
immer höher jtehen, als die jpeciellen Intereſſen 
Euer Majeſtät.“ 

Wieder nahm der Kaifer feinen Spazier- 
gang auf, über die legten Worte augenjcheinlich 
nahgrübelnd. 

„sa — ja — Sie haben Recht,’ fagte er 
nad) einer Weile, ohne aber feinen Gang wieder 
zu unterbrehen — „Sie haben Redt, Bald, 
die Frage ift nur die, wie ſich Alles am beiten 
regeln läßt. Gott weiß es, ich habe meine Pflicht 
gethban, und mehr als das — fein Menſch we- 
nigjtens könnte mehr von mir verlangen, und 


28 


trogdem fühle ich, daß mir Spott und Hohn in 
meine Einfamfeit folgen werben.’ 

„Und gejchieht denn Etwas in ber Welt, 
Majejtät, was nicht hier und da von ſchmutzigen 
Charafteren begeifert wird? Wenn Sie mit ji 
jelber im Klaren find, darf Sie das Andere 
wenig kümmern.“ 

„Ich babe bier feine Ruhe mehr,’ ſagte der 
Kaifer wieder nach kurzer Baufe, „mein Herz ift 
daheim bei meiner armen Charlotte, und Jähe ich 
nur, daß ich hier noch Gutes wirfen könnte, wie 
gern wollte ih Alles ertragen — aber fie laſſen 
mid nicht. Die Menſchen Hier find vielleicht 
gut, ja, aber indolent bis zum äußerſten und 
immer nur auf ihr eigenes Intereſſe bedacht. 
Sie haben fein Vaterland, und ich fürdhte, ich 
bin mehr Mericaner als die Meijten von ihnen. 
Mit jolhen Menſchen ift aber fein Staat zu 
gründen und zu befeitigen, denn es fehlt ihnen 
jedes edle Motiv, und ich wenigjtens tauge nicht 
dazu, ein jolches Volk zu regieren. — Jh muß 
fort, jo viel fteht feſt,“ ſetzte er nach einer klei— 
nen Weile hinzu, „ich kann nit, und will 
nicht bleiben, wo nur die Ruhe eines Theils 
des Landes mit ewigem Blutvergießen aufrecht 
erhalten werden fann. Es find ja feine Men: 


29 


ſchen, es find Tiger, und ſelbſt untereinander 
Ihladten fie jih ab. Die eine Trage bleibt 
nur jegt, ſoll ih gleich gehen, ober nur auf 
das Ziel nach einem feiten Plan Losarbeiten ? 
Am liebjten ginge ich gleich. Ach bin müde — 
— recht von Herzen müde und bedarf der 
Ruhe.‘ 

„Aber, Majeſtät,“ erwiederte Doctor Baſch, 
„mod iſt Fein Grund zu eilen, und der Ent- 
Ihluß von zu hoher Bedeutung und Tragweite, 
als ihn unndöthigerweije zu überjtürzen. Nur 
die Vorarbeiten werden nit Tage, nein, viels 
leicht Wochen und Monate verlangen.‘ 

Der Kaiſer nickte jtill vor jih Hin. „Nach 
unſeren Anfichten haben Sie Recht, Bald, 
unſere deutjche Gewifjenhaftigfeit zwingt uns zu 
ſolchem Handeln. Ein Mericaner würde vajcher 
damit fertig werden, und ſich verwünjcht wenig 
darum fümmern, was mit bem Lande oder ber 
Ordnung darin würde, wenn er die Hand erjt 
einmal davon abgezogen. Aber was auch fomme, 
ih will jo handeln, daß ich mir jelber feinen 
Vorwurf zu machen braude. Mag mid) die Welt 
dann richten. — Uebermenſchliches kann und 
darf fie nicht von mir verlangen. — Seht ſchicken 
Sie mir Hersfeld und Bilimeck, ih will mit 


30 


ihnen jprehen. Ich weiß, die meinen es we— 
nigjtens gut mit mir, und wiffen auch, was ich 
meiner Stellung jhuldig bin — gehen Sie, lie- 
ber Baſch, und morgen — ſprechen wir weiter 
über die Sade. Und noch Eins — e8 läßt mir 
bier in ber Stadt feine Ruhe mehr. Sie glauben 
freilih, daß mir die fumpfige Umgebung Cha— 
pultepecs nicht heilfam iſt, aber — was mid 
jeßt drüct, ift mehr als Wechlelfieber — id muß . 
wieder hinaus auf meinen ftilen Berg — fort 
bier aus der Hauptitadt. Der Entihluß, ben 
ich jeßt gefaßt, bedarf einer ruhigen Erwägung, 
und dann aud) — wenn damit im Reinen, will 
ih nicht darin gefjtört werben; denn was mir 
da Alles bevorjteht, weiß ich Schon. Alſo forgen 
Sie, lieber Baſch, dag wir morgen Früh wieder: 
nad Chapultepec überfiedeln können.“ 





2. 
In Orizaba. 


In der Hauptſtadt war in dieſen Tagen — 
etwas ſehr Ungewöhnliches — die eigentlich 
klerikale wie conſervative Partei außerordentlich 
thätig geweſen, um die ſich jetzt in ihren Händen 
befindende Sache des Kaiſerthums zu fördern, 
das heißt vor allen Dingen den Kampf mit den 
Liberalen aufzunehmen, um die immer näher 
rückende Gefahr von der Hauptſtadt, alſo von 
ihren eigenen Köpfen abzuwenden. 

Beide Parteien hatten genug auf die Fran— 
zoſen und deren Aufenthalt im Land geſchimpft, 
und ihren Abzug herbeigeſehnt — jetzt aber kam 
er ihnen doch noch faſt zu raſch, denn das, was 
man von ihnen erwartet: die gänzliche Zerſpren— 
gung oder Vernichtung der Liberalen, hatten ſie 


32 


nicht erfüllt, und im Gegentheil ſchien der raſt— 
loſe Gegner auf fait unerflärliche Weije wieder 
über frifhe Truppen zu verfügen, wenn man 
ihn jhon total niedergeworfen glaubte. Wie 
Tellus, jobald er die Erde berübrte, gewann er 
neue Kräfte, und es blieb in der That nichts 
Anderes übrig, als ihn in der Luft zu zer- 
drüden. 

Wäre das nun durch Verſprechungen, Redens— 
arten und Phrajen möglidy gewejen, jo hätten 
e8 die Mericaner auch ficherlih mit leichter 
Mühe erreiht, denn an allen denen fehlte es 
nit. In Wirklichkeit ſchien fih aber nur 
immer Einer auf den Andern zu verlajien, 
und Wenige blieben, die wirkli im Intereſſe 
der guten Sache mit Opferfreudigfeit vorgingen. 
Einzelne fanden fih in der That dafür, und 
unter biejen namentlich Baftiani, Rodriguez und 
Almeja, dagegen Roneiro, wie Yucido de Vega, 
und jelbjt die Herren Minifter, die fajt Alle 
ein bedeutendes Vermögen befaßen, ficherten 
allerdings ihre Hilfe zu, juchten aber vor ber 
Hand noch durch allerlei Ausflüchte Zeit zu ges 
winnen. Dan mußte doc erjt jehen, wie jid 
die Saden geitalteten und ob der Gtaat nidt 
vielleicht auch jo wieder zuſammengeflickt werden 





39 


fonnte, ohne daß fie jelber zu tief in ihre eige— 
nen Geldbeutel griffen. 

Auch der Klerus hielt jogar noch merkwür— 
digerweife mit Geld zurück. Traute auch er den 
Zuftänden nicht recht, oder hatte er noch an— 
dere Pläne in Bereitihaft? das leßtere war jeden— 
falls das Wahrjcheinlichere, und doch jchien ge— 
vade dies Zögern bie Gefahr immer mehr herauf 
zu beſchwören. 

Thatfache war, daß die hohe Geiftlichkeit, in 
ihrem übermüthigen Stolz und Dünkel immer 
nur auf ihre Rechte und den gefährdeten Glau— 
ben pochend, ihr Ziel Schon überjchofjen hatte. 
Nun erſt, als fie den Abgrund vor ſich be- 
merkte, in den das auch ihre Anterejjen mit 
tragende Staatsfuhrwert, von durchgehenden 
Pferden vorwärts gerifjen, zu ſtürzen drohte, ver— 
juhte fie zu ſpät die Zügel der Thiere in die 
Hand zu befommen. Ausweichen wäre vielleicht 
noch möglich gewejen, aber non possumus — 
das wollten fie nicht. Alles was jie verlangten, 
war halten oder umfehren — und das ging 
nicht mehr an. 

Wie ein Wetterfchlag traf da mittenhinein 
die Nachricht von der Erfranfung der Kaiferin 


und dem Gerücht, der Kaijer beabjichtige nad) 
Fr Gerftäder, In Merico. IV. 3 


34 


Drizaba zu gehen, um ben Nachrichten, bie er 
aus Europa erwartete, näher zu jein. 

Natürlich glaubte das fein Menſch — Orizaba 
lag jhon an der Grenze der Tierra caliente, gar 
nicht fo weit mehr von Vera-Cruz entfernt — 
Drizaba war aljo nur die Ausrede, und ber 
Kaifer wollte Merico verlaſſen und auf ſeine 
Dornenfrone bier verzichten. Was anders fonnte 
man auch mit dem jeßt völlig ausgejprochenen 
Abzug der Franzoſen erwarten; e8 gab gar nichts 
Natürlicheres. Mit Hilfe franzöfiiher Bajon= 
nette war er in das Land gefommen, und daß 
er e8 wieder verließ, jobald dieje abzogen, vers 
ſtand fich eigentlih von ſelbſt. Hatte er doch 
auch jetzt ſchon drei volle Jahre regiert, und 
in Merico war man gar nicht mehr daran ge= 
wöhnt, ein politifches Oberhaupt viel länger 
als drei Monate ungejtürzt in jeinem Amt zu 
ſehen. 

Den größten Schrecken aber bekam das con— 
ſervative Miniſterium, mit dem pfaffenfreund— 
lihen Lares an ber Spitze. Den Herren war 
die Sache außer dem Spaß, denn ging ber 
Kaiſer jegt, wo fie gar Niemanden im Land 
hatten, auf den fie fich verlaffen und ben fie an 
feine Stelle fegen konnten, fo lag die ganze Ver: 


30 


antwortlichfeit der Regierung allein auf ihren 
Schultern. Sie jollten Geld Ichaffen, wo eben 
feins zu jchaffen war, wenn fie es nicht aus 
ihrer eigenen Taſche gaben; fie jollten eine Armee 
„aus der Erde ſtampfen“, wo ihnen die Soldaten 
jo raſch davonliefen, wie fie eingefleidet wur— 
den; ſie jollten die Forderungen ihrer eigenen 
Partei wie die des Klerus befriedigen, wo fie 
ihre eigenen forderungen nicht einmal befriedigt 
befommen konnten — fie follten überhaupt Etwas 
thun und jelbitjtändig handeln, wie die Verant— 
wortung dafür übernehmen, und das paßte 
ihnen natürli nicht, denn unter ſolchen Be-— 
dingungen hatten jie das Bortefeuille nicht über 
nommen, und würden es nie übernommen haben. 
Die Folge davon war, daß das ganze Mini- 
fterium augenblidlih zufammentrat und nad 
ſehr Ffurzer Berathbung den einjtimmigen Be: 
Ihluß faßte, dem Kaiſer zu erflären, falls er 
bie Refidenz verlafje, auch ihre Entlafjung an= 
zunehmen und jid nad) einem neuen Mini: 
fterium umzufehen. Mit diefer Erklärung wurde 
der Minijterpräfident Lares nad) Chapultepec 
hinausgeſchickt — aber nicht vorgelafjen. 
Chapultepee bot an dem Tag überhaupt ein 


bewegtes Bild, denn nicht allein der Minifter- 
53*+ 





36 


präfident, jondern ein großer Theil der Nobili- 
tät Mericos war herausgefahren, um den Kailer 
dringend zu bitten, den für bie Stadt fo ge: 
fährlichen Plan, fie ohne Kaifer zu Laffen, auf: 
zugeben. Auch die Prinzeſſin Sturbide, eine 
alte, etwas heftige und bewegliche, babei aber 
ehr jtolze Dame, die der Kaiſer jogar mit dem 
Namen „Couſine“ ehrte, fuhr im größten Staat 
vor, denn daß ihre ephemere Erijtenz bejonders 
an dem Berbleiben des Kaiſers hing, war jelbit- 
verſtändlich — aber auch fie wurde nicht vorge: 
laſſen. Der Kaifer Hatte ſich vollftändig abge: 
ſchloſſen und Doctor Baſch das höchſt fatale 
Amt überkommen, alle Beſuche ohne Unter— 
ſchied abzuweiſen, was ihm auch bei Allen 
ziemlich leicht wurde — nur bei der etwas künſt— 
lich gemachten Prinzeſſin nicht, die den armen 
Doctor mit einer wahren Fluth von Vorwürfen 
überſchüttete. Aeltere Damen ſind nun einmal 
leicht irritirt — beſonders zweijährige Prinzeſſin— 
nen — aber es half Nichts. Selbſt dieſe mußte 
wieder abziehen, und die Reiſe des Kaiſers nach 
Orizaba war beſtimmt. 

Uebrigens bekam Marſchall Bazaine durch 
Staatsrath Herzfeld Kunde, daß das Miniſterium 
mit ſeiner Abdankung gedroht habe und das 





Be 
| 


37 


Land alfo nach der Abreife des Kaifers ohne Re— 
gierung bleiben würde, was jedenfalls jofort eine 
Revolution hervorgerufen hätte. In dem Fall 
aber befanden fi die Franzoſen im Land in 
einer ſchlimmen Lage, denn überall waren noch 
Heine Trupps ftationirt, deren Zuſammenzie— 
bung, der ungeheuern Entfernungen wegen, nicht 
jo raſch hatte bewerfjtelligt werden können, und 
dieſe wären dann natürlich der größten Gefahr 
ausgejeßt gewejen. Bazaine wußte auch zu gut, 
wie man bie Franzoſen im ganzen Land haßte, 
denn oft genug war e8 vorgefommen, daß man 
aus Trupps von Gefangenen nur dieſe ausgelefen 
und erſchoſſen oder nichtswürdig hingemorbet 
hatte, und auf ihm jelber lag die VBerantwor: 
tung, fie ficher zu ftellen. Das aber fonnte nur 
dadurch gejhehen, daß vor ber Hand nod eine 
mericanifche Regierung an ber Spitze blieb. 

Ein gleiches Intereſſe hatten aber die Kleri- 
falen, denn ihnen konnte Nichts daran liegen, 
baß der Kaifer in einem Augenblid abdankte, 
wo fie noch nicht einmal wußten, ob fein Erfah: 
mann Miramon auf der Heimfahrt begriffen ſei 
oder nicht. Padre Filcher wurde von Labaftiba 
jelber beauftragt, alle Kräfte aufzubieten, um 
ben Rüdtritt des Minifteriums zu verhindern, 


38 


denn das mußte den Kaijer nur in jeinem Ent- 
ſchluſſe beftärfen, und der Klerus dachte die Ver— 
antwortung eben jo wenig allein zu übernehmen, 
wie die Conjervativen. 

Bazaine arbeitete Fräftiger in dem nämlichen 
Sinn. Ein derber, mit verjtedten Drohungen 
untermijchter Brief ging an das Minijterium ab 
— ber Raijer mußte freie Hand behalten, um 
Napoleon’8 gegenwärtig dringenditen Wunſch — 
jeine Abdankung zu erreihen und ihn jicher 
außer Land zu bringen. Wurde das dann nur 
noch furze Zeit bingezögert, — und fo rajch ent— 
ſchloß jih Marimilian überhaupt nicht — jo 
hatte Bazaine wenigjtens alle jeine Truppen jo 
weit zujammengezogen, daß feine birecte Ge— 
fahr mehr zu befürchten war, und Merico? — 
was fümmerte ihn Merico, ſobald er nur den 
ibm gegebenen Befehlen und Wünjchen feines 
Souveräns nahfam. In Frankreich erwarteten 
ihn zudem, das wußte er gut genug, alle mög» 
lihen Ehren und Genüffe, und er wenigitens 
fonnte dort auf feinen Xorbeeren ausruhen. 

Marimilian hatte diefes Mal wenigjtens 
jeinen Entjhluß aufredht erhalten, und zwar 
bauptjählih wohl nur dadurch, daß er Nie: 
mandem gejtattete, weiter auf ihn einzuwirken. 


39 


Er wollte nad Orizaba und er ging trog allen 
Hinderniffen. 

Am 21. October, ſchon Morgens vier Uhr, 
brach der Kaifer, von einer breihundert Mann 
jtarfen, vom Obriſt Kodolid commanbdirten Hus 
ſaren-Escorte geleitet, von Chapultepec nad 
Drizaba auf. In feiner Begleitung befanden jid) 
Doctor Baſch, Profeffor Bilimed, Padre Fijcher, 
ber fih merfwürdigerweile im Vertranen bes 
Kaifers hielt, Feliciano Rodriguez, ein Sohn 
des alten Rodriguez in Merico, als Flügeladju— 
tant, Arroyo, als einziger Minifter, und noch 
einige mericanifche Dfficiere. 

Der Kaiſer fuhr in einem mit vier weißen 
Maulthieren beipannten Wagen, aber er war 
büfter und in ſich verjchloffen, dern außer dem 
Schmerz und der Sorge um die Gattin fühlte 
er ſich aud gegen den franzöſiſchen Abgejandten, 
ben Grafen Caſtelnau, evbittert, der mit einer 
unbegreiflihen Rüdjichtslofigfeit in Vera-Cruz 
gezögert hatte ihm feine Botjchaft des franzö— 
ſiſchen Kaiſers auszurichten. Jetzt mußte er 
ihm auf der Straße begegnen, aber er war feit 
entichlofjen, ihn nicht zu ſprechen. Sein Grol 
gegen Frankreich wuchs mit jeder Stunde, und 
ſtill, in fi gekehrt und vor ji Hinbrütend ſaß 


40 


er in feinem leichten Wagen, während die Sce- 
nerie fait unbeadhtet an ihm vorüberglitt. Nur 
dann und wann raffte er fih aus feinem qual- 
vollen Grübeln faſt gewaltjam empor, und als 
der erſte Raftplat Ayotlan erreicht wurde und 
ber Zug bort wirflid mit dem franzöſiſchen Ge— 
jandten zufammentraf, verweigerte Marimilian 
auf das entſchiedenſte jedes Begegnen mit ihm. 
Er mußte vorüberfahren und feinen Weg zum 
franzöjiihen Hauptquartier fortjegen. 

Das erfte Nachtquartier wurde auf ber Has 
cienda Socyapan gehalten, und bier verbradte 
der unglüdlihe Monarch noch eine unglüdlichere 
Nacht, denn hier kämpfte er noch einmal ben 
Entſchluß der Abdanfung durd, ja er war nahe 
baran, fie glei von diefem Orte aus zu batiren. 

Was ihn bejonders zu peinigen jchien, war 
der Gedanke an das viele vergofjene Blut in Me— 
rico: „Ich will nicht, daß meinethalben noch mehr 
Blut im Lande vergofjen werde,” fagte er, und 
nod an dieſem Abend widerrief er das ihm von 
Bazaine abgebrungene Decret vom 3. October. 

Und weiter ging die Reife gegen Oſten — 
überall, wo Rajt gehalten wurde, famen babei 
Deputationen der Einwohner und Eingeborenen, 
um ihr Beileid auszudrüden, und Blumen brach— 


— — 


41 


ten ſie dabei und ſtreuten dem unglücklichen 
Monarchen Blumen auf den Weg. 

Armer Kaiſer! — Das von je geknechtete 
Volk fühlte, was Du ihm warſt, aber es hatte 
nie die Macht oder Gewalt in Händen, wie in 
allen dieſen ſüdlichen Republiken — die Creolen 
und Miſchlingsracen regierten — das Volk hatte 
nur Blumen für ſeinen Kaiſer — und Thränen. 

In Orizaba wurde der Kaiſer von den Be— 
wohnern auf das herzlichſte begrüßt, aber ſein 
Geiſt war gedrückt, ſein Herz ſchwer, und kein 
Lächeln kam auf ſeine Lippen. 

*) „Es iſt pſychologiſch leicht erklärlich, wenn 
die Stimmung Maximilian's ſich in dieſen Tagen 
immer mehr verdüſterte. Es war für ihn der 
harte Augenblick gekommen, wo er durch eigene 
Entſchließung, durch ſelbſteigenſte Erklärung den 
Stab über das Unternehmen brechen ſollte, deſſen 
Schwierigkeiten er nie verkannt, dem er aber 
mit jugendlicher Begeiſterung, mit Opferwillig— 
keit und unter dem Einſatz ſeiner Perſon das 
Leben geweiht hatte. Er mußte zurücktreten von 


*) Es iſt nicht möglich, ſeinen damaligen Zuſtand wie 
feine Geſühle kürzer und beſſer zu ſchildern, als es Doctor 
Baſch in ſeinen „Erinnerungen“ thut, und ich laſſe deshalb 
den darauf bezüglichen Satz hier folgen. 


42 


der Berwirflihung ber großen Idee der Rege— 
neration eines verfommenen Bolfes, und nad 
alle dem, was er in Merico erlebt, mit dem bit- 
tern Gefühl in der Bruſt fi abwenden, daß 
nur ber Verrath Derer, die fich feine Freunde 
nannten, das Werk zu Falle gebracht hatte. Er 
jah ein, daß diefem Lande noch lange nicht zu 
helfen jei; in feinem Innern hatte er Merico 
bereit8 aufgegeben, nicht gewillt, noch länger ber 
Vaſall Frankreichs zu bleiben. Orizaba war für 
ihn nur eine Rubeftation. Die Abvanfung als 
joldhe Eojtete dem Kaijer feinen Kampf mehr, 
nur jträubte fich jein Selbitgefühl dagegen, durch 
biejfen Act dem ganzen Lande gegenüber befennen 
zu müffen, daß er fi ohne Unterjtüßung ber 
Franzoſen nicht mehr behaupten fünne und — 
daß er fih von Louis Napoleon habe täufchen 
laſſen. Als Souverän das Land zu verlaflen 
und in Europa jeine vollen Rechtsanſprüche 
und Rechtstitel aufrecht zu erhalten, litt jeine 
Ehrenhaftigfeit nit. Seinem verjtörten Ges 
müth wäre es eine Erleichterung gewejen, wenn 
er fih von der drüdenden Laſt diejfer „Würde 
ohne Macht“, diejer aufdringlichen Etikette ohne 
Wahrheit befreien und nad) Europa zur Franken 
Kaiferin hätte reifen können, deren Schidjal fo 


43 


tief an jeinem Herzen nagte. Nur in diejen in— 
neren Gründen und nicht in der Unflarheit über 
feinen Entfhluß, nur in diefem Dilemma ber 
Gefühle lag es, wenn der Kaijer ſchwankte und 
noch nicht jein letztes Wort ſprach.“ 


In dieſem Zuſtand verbrachte Marimilian 
Wochen, ohne ſich aber auch von außen beein— 
fluſſen zu laſſen. Alle möglichen Verſuche wur— 
den dabei gemacht, ihn von ſeinem, jetzt ziemlich 
feſtſtehenden Vorſatz, das Land zu verlaſſen, ab— 
zubringen, aber er wich Allem aus, wenn ſich 
auch nicht leugnen läßt, daß Manches auf ihn 
einen Eindruck hinterließ. Beſonders war es 
der engliſche Conſul Scarlett, der Geſchäfte in 
Mexico abzuwickeln hatte, wozu er den Kaiſer 
nothwendig brauchte, und der deshalb ſein Mög— 
lichſtes verſuchte, ihn in ſeinem Entſchluß wan— 
kend zu machen. 

Der Kaiſer hielt ſich noch feſt, obgleich die 
Vorſtellungen Scarlett's, der ihm als Ausländer 
gewiflermaßen unabhängig gegenüber jtand, nicht 
ohne Einfluß auf ihn blieben. 

Merkwürdigerweije hatte ſich Padre Fischer 
bie ganze Zeit ziemlich neutral verhalten, und 
in der That wußte er felber nicht, wozu er ſich 


44 


jetzt eigentlich entichließen jollte, denn von Vera— 
Cruz fam noch immer Feine Nachricht, die ihn 
hätte bejtimmen Fönnen. 

Es war noch in der erjten Hälfte des Me: 
nats November, aber ſchon gegen bie Mitte 
bejjelben zu, als Padre Filcher, demüthig wie 
immer, in das Gemach des Kaijers trat, um 
jeine Befehle zu vernehmen. 

„Willen Sie, wer angekommen iſt, Filcher 9 
rief ihm der Kaifer entgegen, der in den legten 
Tagen viel von feiner bisherigen Apathie ab— 
gejhüttelt zu haben ſchien und ſich ſchon wie— 
ber einzelnen Arbeiten hingegeben hatte. 

„Don Merico, Majeftät?‘‘ 

„Rein — in Vera-Cruz.“ 

„In Vera-Cruz?“ rief der Padre erftaunt, 
jeßte aber rajch Hinzu: „Sind gute Nachrichten 
eingetroffen, Majeſtät?“ Er dachte in biejem 
Augenblid nur an die Kaiferin. 

Ein wehes Gefühl zudte durch des Kaijers 
Antlid — ein Seufzer bob feine Bruft, und er 
erwieberte leije: 

„Ich jagte nicht daß e8 gute wären — zwei 
Señores find angefommen; aber es fällt mir ges 
rabe ein, daß Sie biefelben wahrſcheinlich gar 
nicht perjönlich Fennen, alſo auch Fein weiteres 


45 


Snterefle daran nehmen werden — Miramon 
und Marquez, die beiden Generale.‘ 

Hätte er in diefem Augenblick jeines Geheim- 
jecretärs Geficht beobachtet, jo würde e8 ihm faum 
haben entgehen können, wie biejer bei der un: 
geahnten Antwort die Farbe wechſelte. Fiſcher 
war aber jeit langen Sahren gewohnt eine 
eigenen Gefühle zu verbergen, und als die erfte 
Ueberrafhung überwunden, fagte er mit ruhiger 
Stimme: 

„Ab, ich erinnere mich — ich glaube, Euer 
Majeftät fagten mir davon, daß Sie die beiden 
Generale zurücdberufen hätten.’ 

„Rein — ich nicht,” erwiederte Marimilian. 
„Marquez, ja — er wurde jchon vor ſechs Monaten 
zurüdberufen, um jeinen vollfommen unnüßen 
Aufenthalt in Europa zu erjparen, Miramon 
dagegen hat weder Befehl noch Erlaubniß erhal- 
ten, nach Merico zurüdzufehren, und ich begreife 
nicht recht, was ihn dazu veranlaßt haben kann.“ 

„sn ber That?‘ 

„Er ſcheint fih auch nicht ganz ficher zu 
fühlen, denn er hat telegraphifch anfragen lafien, 
ob er fommen dürfe.’ 

„Und haben ihm Majeſtät die Erlaubniß er: 
theilt 2 


46 


„Weshalb nicht?” ſagte der Kaifer jeufzend; 
„es find Mericaner, und die Furze Zeit, bie idy 
noch hier im Land verbringen werde, macht es 
mir gleichgiltig, ob fie bier find oder nicht. 
Sie werden wohl Beide ſchon heute Abend ein= 
treffen.” 

„In der That?‘ ſagte Filcher gedanfenvoll, 
denn eine wahre Fluth von Gombinationen ſchoß 
ihm durch's Hirn. „Es jollen, wie ich gehört 
habe, ausgezeichnete Generale fein.’ 

‚Bas man in Merico wahrjcheinlih aus— 
gezeichnete Generale nennt,‘ jagte der Kaiſer 
achjelzudend. „Marquez ift dabei feiner Grauſam— 
feit wegen berüdtigt, und auch Miramon hat 
wohl Manches zu verantworten — und wer nicht. 
in dieſem armen Land!” ſetzte er jeufzend hinzu. 
„Aber es kann Nichts helfen — fie find einmal 
da und — wie ich faft fürchte, nicht zu einer ſehr 
glüdlihen Zeit eingetroffen.” 

„And wollen Majejtät diejelben ſehen?“ 

„Es wird fih nit gut vermeiden laſſen,“ 
ſagte Marimilian nach kurzem Nachdenken, „Tann 
auch weiter feine Conſequenzen haben; body bitte, 
ſchicken Sie mir den Doctor berüber — ich fühle 
mich wieder unmwohl — das läftige Fieber will 
nicht von mir laſſen, und ich werde auch nicht: 


— 


eher geſund, bis ich nicht wieder auf blauen Wo— 
gen ſchaukele. Ich ſage Ihnen, ich habe eine 
ordentliche Sehnſucht nach blauem Waſſer.“ 

Padre Fiſcher, als er den Kaiſer verließ, be— 
fand ſich in nicht geringer Aufregung, denn hin— 
ſichtlich Miramon's hatte er vom Erzbiſchof La— 
baſtida ganz beſtimmt formulirte Aufträge, und 
es war unumgänglich nothwendig, daß er ihn 
ſprach, ehe er eine Unterredung mit dem Kaiſer 
hatte. Darnach mußte ſich ja dann auch erſt 
genau beſtimmen, welcher Richtung er ſelber 
folgen ſolle. 

Dazu ſtanden ihm übrigens alle Mittel zu 
Gebote, und außerdem kam ihm auch die Poſt— 
verbindung zwiſchen Mexico und Orizaba darin 
zu ſtatten. Die Diligence traf jeden Abend, 
durch die entſetzlich ſchlechten Wege aufgehalten, 
erſt gewöhnlich gegen acht Uhr in Orizaba ein. 
Es verſtand ſich dabei von ſelbſt, daß die beiden 
Herren im Hötel de las Diligencias abſtiegen 
und an dem Abend, und fo jpät, nicht mehr bei 
dem Kaijer, der in dem Haufe eines Señor Bri— 
gas rejidirte, eingeführt werden Fonnten. 

Padre Fiſcher verfäumte nicht, die Ankunft 
der Poſt zu erwarten. Den General Marquez 
fannte er perjönlidy von früher, Miramon nicht, 


47 


48 


aber das jchadete Nichts, denn er trug eine Eleine 
Karte des Erzbijchofs bei fich, die ihn bei dem 
etwas jtolzen Mericaner raſch einführen mußte. 
Wenige mit ihm gewechſelte Worte genügten 
au, das zu bewirken, und während Marquez, 
ermübet von der Marterfahrt in einem jolcden 
Magen und auf folden Wegen, fein Lager juchte, 
blieb Padre Fiſcher mit General Miramon nod 
erjt eine kurze Weile bei einer Flaſche Haute 
Sauterne in der Wirthsitube fißen, und Beide 
Ichritten dann, um ungeftörter |prechen zu können, 
zu einem Spaziergang in bie dunkle Nacht 
hinaus. 

Schweigend wanderten fie noch eine kurze 
Strede neben einander bin, der Straße folgend, 
bie auf den Borego zu führte, jenem unmittel- 
bar an der Stadt liegenden Hügel, der damals 
von dem volfommen unfähigen General Gonzales 
Ortega mit zahlreiher Mannſchaft bejekt war 
und von den Franzoſen, welde die Bejagung 
überrafhten, mitten in der Naht genommen 
wurde. 

„And was ift es eigentli, was Sie mir zu 
Tagen Haben?’ begann da endlich Miramon, 
denn bier war Fein Laufcher mehr zu fürchten, 
„Monſeñor weilt darauf in feinen Zeilen bin, 


Pi 


und ich glaube doc, daß Sie von ihm vollitän- 
big inftruirt find? 

„Bolfommen, mein General,” erwieberte 
freundlich der Padre, „und ic ſchätze mich glück— 
ih, Sie hier getroffen zu haben, da von Ihrer 
Entiheidung nicht allein des Kaijers Reife, ſon— 
bern auch wahrſcheinlich das Glück Mericos ab— 
hängt.‘ 

„Ich bitte Ste, fommen Sie raſch zur Sache, 
wir verfhwenden mit Vorreden nur Zeit.” 

„Gut denn, ich darf vorausfegen daß Sie 
mit den Anfichten und Wünſchen Monſeñors 
volllommen vertraut find, nicht wahr?” 

„Sp weit es meine Stellung zu ihm betrifft, 
glaube ich ja; der Erzbifchof hat jih mir immer 
jehr freundlich gezeigt und darf das Nämliche 
don mir erwarten.‘ 

„Wiſſen Sie genau, wie die Verhältniſſe hier 
ſtehen?“ 

„Genau kann ich nicht ſagen; ich weiß nur 
das, was man ſich in Vera-Cruz ziemlich all— 
gemein erzählt: daß der Kaiſer geſonnen ſei 
abzudanken und nur hier in Orizaba noch Sta— 
tion gemacht habe, um einige Geſchäfte abzu— 
wickeln.“ 


„Es iſt das einestheils richtig,“ Fiſcher, 
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV, 


49 


50 


„aber doch auch noch nicht jo ganz ausgemadht. 
Der Kaifer ſchwankt noch, und es wäre möglich 
ihn zurüdzubalten, wenn es für nöthig befunden 
werden jollte. Uebrigens gebe ih zu, daß er 
mehr nad) Europa als nad) Merico neigt, und 
ein Drud nad dorthin rafchere Wirkung haben 
und leichter jein würde — aber ih meine, ob 
Sie die gegenwärtigen mericanijchen Verhältnifje 
genau fennen und wifjen, wie es im Lande ſteht?“ 

„Das eben noch nicht,” jagte Miramon, „und 
ih bin begierig, fie Fennen zu lernen. Mir 
jheint aber, daß es im Lande jelber jo ungün= 
jtig als möglich ausfieht, ja daß es in der That 
faum jchlimmer werden kann. Ich verdenfe es 
dem Kaiſer wahrlih nit, daß er das Tede 
Staatsſchiff unter ſolchen Umftänden verläßt und 
ih in einem Boot zu retten ſucht. Die ganze 
Sade ijt verfahren, wenn ich audy nicht genau 
beurtheilen kann, wer die Schuld trägt.‘ 

‚And glauben Sie, daß eine Beſſerung mög: 
Lich iſt?“ 

„Wenn der Kaijer jet gebt — ſehr jchwer. 
An feinem Namen hängt wenigjtens noch eine 
Partei, die fi einer andern anjdhließen und 
dieſe verftärten fann; verläßt er aber das Land, 
jo löſt fi dieſe natürlid auf und der alte 





91 


Kampf beginnt wieder allein zwijchen Liberalen 
und Conjervativ-Klerifalen, und jegt — wie mir 
Iheint — fehr zu Ungunften der leßteren.‘ 

„Der Erzbiſchof,“ ſagte Fiſcher leije und 
mit Betonung, „hofft, daß fih ein Mann ge: 
funden babe, der’ den Kaijer erjeßen und ber 
Kirche wie dem Land eine große Stüße werben 
koͤnne.“ 

Miramon ſchwieg eine Weile und ſchritt ſtill 
und mit geſenktem Haupt neben dem Padre 
hin, endlich ſagte er: 

„Señor, ich will Ihnen entgegenkommen, um 
raſch ein Verſtändniß zu erreichen und unſere 
Unterredung abzukürzen, denn ich muß Ihnen 
geſtehen, daß ich von der heutigen Reiſe müde 
und erſchöpft bin. Ich weiß, welchen Mann 
Sie meinen und welches große Vertrauen Mon— 
ſeñor in mich ſetzt, aber — ich glaube, er täuſcht 
ſich darin und hofft mehr auf mich und meinen 
Namen, als ihm der Erfolg gewährleiſten kann.“ 

„General Miramon!“ 

„Bitte, laſſen Sie mich ausreden, ich ſelber 
habe vor der Hand keine ſolche Zuverſicht, und 
bin überhaupt in der langen Zeit meiner Ab— 
weſenheit viel zu fremd im Land geworden, um 
jetzt leichtſinnigerweiſe mit beiden Füßen zugleich 

4% 


52 


in ein ſehr bösartig aufgeftörtes Wespenneft 
hinein zu jpringen. Daß Marimilian hier in 
Merico nicht bleibt und nicht bleiben Fann, ba= 
von bin ich feſt überzeugt, und ich an feiner 
Stelle ginge jeßt; aber in unſerem Intereſſe 
liegt e8 jedenfalls ihn noch hier zu halten. Dann 
(äßt fich eher abjehen was gejchehen kann, und 
ob e8 möglich ift, mit den nod vorhandenen 
Kräften einen Erfolg zu erzielen. Jh Tenne 
Ihre fogenannte National:Armee noch nicht ein 
mal, aus ber wir ohnedies mit Abzug des Kai: 
jers alle tüchtigen und fremden Elemente augen= 
blieflich verlieren werden, und dann wieder auf 
eine unjerer jehr traurigen und unzuverläffigen 
Levas angewiejen blieben. Und wie fteht es 
mit den Finanzen ?’’ 

„General Miramon,‘ fagte Fiſcher beftimmt, 
„könnte ſich feit darauf verlaffen, daß ihm alle 
Hilfsquellen feiner mächtigen Partei zu Gebote 
ftänden.‘ 

„Wenn Sie das dem Kaijer jagen, glaubt er 
e8 Ihnen vielleicht,‘ erwiederte Miramon, und 
ein leichtes, ſpöttiſches Lächeln zucte dabei um 
jeine Mundwinkel, ‚aber ich jelber fenne meine 
waderen Compatrioten viel zu genau, um nicht 
zu willen, was id) von derartigen Berjprehungen 


99 


zu halten habe. Nein, verehrter Herr, wie bie 
Saden jest ftehen, und das werde ich auch dem 
Erzbiſchof gleich morgen Früh fchreiben, denke 
ih gar nicht daran, in eine verfehlte Specu— 
tion als Hauptchef hineinzutreten. Marimilian 
muß deshalb noch für kurze Zeit im Lande 
bleiben, noch dazu, da er ſich, wie ih aus ber 
Minifterlifte jehe, vollfommen unjerer Partei 
zugewendet hat. — Was dann jpäter werden 
wird? — veremos.” u 

Fiſcher war fjchweigend neben ihm herge— 
ihritten; er wußte, daß Miramon Recht hatte, 
und theilte feine Anficht vollflommen. Der Kaijer 
durfte Merico in diefem Augenblid noch nicht 
verlaſſen, wo er felber ja auch darnad) drängte, 
ein in Rom verſprochenes Concordat ihm abe 
zuringen. Jetzt war der günjtige Moment, ſo— 
bald er nur bewogen werden fonnte nach Merico 
zurücdzufehren, denn weich gejtimmi und nieder— 
gedrückt, ift ver Menjch weit eher für einen geijt- 
lihen Zuſpruch empfänglih, als im Gefühle 
feiner Macht und Stärfe oder in vollem Glüd., 
Dann aber lebten auch noch im Lande, wie jich 
der Padre nicht verhehlen Fonnte, große Sym— 
pathien für des Kaifers Perfon, die ſich bejtimmt 
noch ausnüßen liegen. — WMiramon — ber 


04 


Kaiſer — was lag an den Perjonen, wenn nur 
die Kirche ihren Zweck erreichte und bie ver- 
Iorene Macht wiedergewann. 

„Dann find wir einig, General, fagte er 
plöglich, während er auf ber Straße, in ber fie 
fih Ihon lange wieder gewandt hatten, jtehen 
blieb, ‚aber ich muß Ihnen im Voraus bemer: 
fen, e8 wird fchwer halten, den Kaifer jetzt noch 
zum Bleiben, oder vielmehr zum Zurückgehen 
zu bewegen.” 

„Ich bliebe nit an feiner Stelle,” ſagte 
Miramon troden. 

„Aber es giebt Mittel, fette Fiſcher nach— 
benfend hinzu, „die nur vorfichtig angewendet 
werden müflen, da er verjchiedene Leute in feiner 
Umgebung bat, denen der Boden hier unter den 
Füßen brennt.‘ 

„Und e8 gehört Fein beſonders feines Gefühl 
dazu, das zu merken,’ lachte der General. „Nun 
es wird fich ja bald zeigen, was zu maden ift. 
Bon mir jehen Sie aber vor der Hand volljtändig 
ab, um mich als Lückenbüßer bier einzufchieben. 
Daß ich unfere Partei mit allen Kräften unter: 
ftügen werde — ſelbſt im Dienft des Kaifers, 
darauf können Sie fih verlaflen, weiter aber 
vor der Hand Nichts.’ 


95 


„Und General Marquez?’ 

„Wird zu mir halten. — Doc es ijt jpät 
geworden, und wir find ja wieder in der Nähe 
meines Hötels — alſo hasta mañana. — Bis 
um welche Zeit glauben Sie, daß wir uns dem 
Kaiſer am beiten vorjtellen können?“ 

„Um zehn Uhr etwa.’ 

„Hat er Nichts über meine Rüdfehr ge: 
äußert?” 

„Er ſchien anfangs etwas erjtaunt darüber 
— fonft Nichts. Für den Augenblid bat er an 
Merico das Intereffe verloren, und Sie konnten 
dafür allerdings zu Feiner glüdlicheren Zeit ein- 
treffen.‘ 

Miramon neigte leife das Haupt und jchritt 
dem Hötel zu, während jich Fiſcher abwandte, 
um fein eigenes Duartier im Haufe Briga’s 
aufzufuhen. Es ging ihm jelber viel im Kopf 
herum und er mußte Flar darüber mit ſich wer- 
den. — Uebrigens jchlief er die Nacht fat gar 
nit, jondern ging erſt wohl eine Stunde in 
feinem Zimmer auf und ab, dann ſetzte er ſich 
hin, jchrieb bis zwei Uhr Morgens Briefe und 
ſchickte Schon mit Sonnenaufgang einen Courier 
damit fort nad der Hauptſtadt. Die Briefe 
waren, der eine an den Erzbijchof Labaſtida, der 


56 
andere an den jeßigen Minifterpräfidenten Lares, 
der dritte nah Puebla adreffirt. 

Der Kaijer empfing am nächſten Morgen bie 
beiden Generale und unterhielt fich ziemlich leb— 
haft mit ihnen, ſchien aber erjtaunt, als Mi- 
ramon ihm, auf eine Andeutung bin, daß er 
möglicherweife das Land verlaffen werde, zu— 
vedete, zu bleiben, und jeinen Degen zugleich 
dem Kaijerreich zur Verfügung ftellte. Er hatte 
das wohl faum, nad Allem was er früher über 
Miramon gehört, erwartet, verhielt fich aber 
troßdem ablehnend dabei, und wich auch dem 
Geſpräch bald wieder aus. 

Eine Woche faft verging noch fo, in welcher 
aber Miramon und Marquez auf Filcher’s An— 
rathen in Orizaba blieben, und jet trafen von 
verjchiebenen Seiten Petitionen ein, bie theils 
von Merico, theils von Puebla, und mit Unter: 
jchriften bededt, den Kaijer dringend baten, im 
Land und an ihrer Spite zu bleiben. 

Die Blumen, die das Volk dem Kaijer unter 
wegs in den Wagen und vor die Hufe feiner 
Thiere warf, waren natürlich gewejen und famen 
aus dem Herzen. Dieje Deputationen aber und 
Adreffen waren fünftlih und gemacht, und ließen 
deshalb auch den Kaifer volllommen Falt. Sein 


57 


Entſchluß jtand feft, abzudanfen und nach Europa 
zu geben, fobald er nur erjt einmal die Sicher: 
beit feiner Hilfstruppen garantirt befommen 
hatte. Er hörte die Reden ruhig mit an, erwie: 
derte aber nur abwehrend darauf und correipon= 
dirte indeffen mit Marſchall Bazaine, dem er 
feine Abficht anzeigte, wie mit dem Minijterium 
in Merico, das er aufforderte, mit dem Staats 
rath nad) DOrizaba zu fommen und feine Abdan— 
fung entgegen zu nehmen. 

Miramon ließ indeß nicht nach. Auch er ver— 
folgte ein bejtimmtes Ziel, und während er ſich 
mit jugendlihem euer demjelben bingab, juchte 
"er auch den Kailer, den er vor der Hand nod 
gebrauchte, dafür zu gewinnen. Er wie Mar: 
quez, Beide tüchtige Soldaten, ſchilderten dabei 
mit großer Xebendigkeit bie verjchiedenen mög: 
lihen Operationspläne, um ben Feind zu werfen 
und bie Liberalen gänzlich zu vernichten, und ber 
Verdacht, den fie dabei ausjtreuten, daß bie 
Franzoſen nämlich in ihrem Kampf gegen Juarez 
nicht ehrlich gehandelt und allem Anjchein nad) 
gar nicht beabjichtigt Hatten ihn vollftändig auf- 
zureiben, nur um den Kaiſer dadurch jo viel 
länger von fich abhängig zu halten, fiel -— wenn 
aud jedenfalls ungereht — doc auf fruchtbaren 


58 


Boden. Marimilian, gegen Bazaine und fein 
undankbares, rüdjichtslojet Benehmen erbittert, 
traute ihm jett Alles zu. 

Auch die friegeriihen Schilderungen beſchäf— 
tigten ihn, wenn fie auch nod vor der Hand 
feinen entjcheidenden Einfluß auf ihn ausübten. 
Sie wirkten jedenfalls mit, und zwei Momente 
brachten die Sache endlich zum vollen Ausichlag. 

Das eine war die Antwort bes franzöfiichen 
Hauptquartiers auf feinen Brief, und zwar von 
Bazaine, Dano und Laſtelnau unterjchrieben. 
Die Herren, entzüdt von dem Gedanken, den ver: 
rathenen Kaiſer jo weit gebracht zu haben, daß 
er wirflih abdanfe und Louis Napoleon da= 
beim feine weiteren Schwierigkeiten bereite, 
ſchrieben im höchſten Grade unvorjichtig und be— 
zogen fi ſchon auf „die neue Regierung‘, bie 
fie jedenfalls im Auge hatten. 

Der Kaijer war empört darüber, und immer 
deutlicher und klarer wurde ihm die Stellung, zu 
ber ihn das franzöſiſche Cabinet herabgewürbigt 
— zu faum mehr als einer Puppe, die man eben 
an= und ausziehen Fonnte. 

Zu gleicher Zeit traf das Minijterium mit 
bem gejammten Staatsrath in Orizaba ein. Die 
Herren mochten wohl fühlen, daß es dem Kaijer 


59 


bob mit feinem Entſchluß, das Reich zu ver: 
laſſen, Ernjt fei, und fie griffen zu einem le&ten 
und graujamen Mittel, den bisher von allen 
Seiten im Stich gelafjenen Kaiſer, dem fie keins 
ihrer Verſprechen gehalten Hatten, an jein in 
Merico gejprohenes Wort zu mahnen: 

„Ein rechter Habsburger verläßt feinen Poſten 
nicht im Augenblid der Gefahr.‘ 

Bon dem Augenblid an war Marimilian’s 
Schickſal bejiegelt. Daß man ihm taujend= und 
taujendmal das Wort gebrochen, verſchwand in 
dem Gefühl, die eigene Ehre verpfändet und ein 
gejeßt zu haben, und wenn auch noch dann und 
warın die Sehnſucht nah Europa in ihm er— 
wachte, er war ſich doch von da an klar bewußt, 
Merico nicht eher verlaffen zu wollen, bis er 
beffen Zujtände geregelt — etwas Undenfbares 
an fich jelbjt — und einen National:Congreß zu: 
jammenberufen habe, der frei und unabhängig 
über die Regierungsform entjcheiden jolle. 

Der Staatsrath und das Minifterium hielten 
jegt in Drizaba ihre Situngen und beſchloſſen 
in der Majorität, den Kaifer zu erjuchen, bie 
Krone zu behalten. Marimilian jtellte ihnen 
feine Bedingungen: jehs Unmdglidhfeiten; 
Berufung eines National:Congrefjes, ausreichende 


60 


finanzielle Mittel, um ven Regierungs-Voranſchlag 
jiher zu ſtellen, Rekrutirung für eine National: 
Armee, Colonifation des Landes, Regelung ber 
Trage zwilchen Merico und Frankreich, und Her: 
jtellung eines guten Vernehmens zwiſchen Merico 
und ber Union. 

Die Konfervativen hatten den Monarchen, 
wo jie ihn haben wollten, und fagten nun zu 
Allem ja. Waren es doch nur VBerjprehungen, 
bie man von ihnen verlangte, und Marimilian 
dadurch der Verbündete ihrer Partei geworben. 

Der Kaiſer Fehrte nad Merico zurüd. 


3. 
Der Abzug der Firanzofen. 





In der Hauptjtabt Merico befand fih alle 
Melt heute auf den Füßen, und es war falt als 
0b das größte Feſt gefeiert werden ſollte. Die 
Balcone waren faft jfümmtlih von Damen in 
lichten Kleidern angefüllt, in den Straßen jpreng= 
ten Reiter auf und ab, und das Volk hielt be= 
ftimmte Straßen und faſt jämmtlihe Pläße 
Ihon von frühem Morgen an beſetzt. Was 
hatten die Leute auch zu thun? fie verjäumten 
Nichts, und während fie hier ein buntes Schau= 
jpiel erwartete, war das Ganze in Wirklichkeit 
ein et für Merico. So freundlid man näm— 
lich die Franzoſen bei ihrem erſten Eintreffen 
— wenigjtens von verjchiedenen Seiten, bejon- 
ders von ber Nriftofratie aus, bewilllommt hatte, 


62 


jo jehr freute man ſich jeßt, fie wieder [os zu 
werden. Man war ihrer müde geworben und 
längere Bekanntſchaft jchien nicht, wie das zu: 
weilen der Fall ift, genügt zu haben, zwei jo 
entgegengejegte Elemente ineinander zu ſchmelzen. 

Die Franzoſen Hatten fih auh im Ganzen 
nicht jo liebenswürbig benommen, wie man ihnen 
das gewöhnlich nachſagt. Der Uebermuth, mit 
dem jie bejonders in der leßten Zeit auftraten, 
verlegte den Nationaljtolz der überdies jtolzen 
Mericaner, und mande Xactlofigfeit, bie fich 
vor Allem der Marihall zu Schulden fommen 
ließ, machte jogar in höheren Kreiſen — bie bis 
jeßt noch allein zu der „großen Nation’ gehal— 
ten, böjes Blut. Man war fie ſatt und über: 
jatt geworden, und als fie fi endlich zum Ab: 
marjch rüfteten, jubelte die ganze Stabt. 

In der Calle San Francisco in Rodriguez’ 
Haufe Hatte ſich ebenfalls ein Kreis von Be— 
fannten eingefunden, denn man wußte, daß Ba— 
zaine dort mit feiner Suite noch im großen 
Pomp, als ob e8 einen Siegeszug gelte, vorbei: 
defiliren würde — und doch war es nur eine 
ſchmähliche Niederlage, welche die franzöfiiche Po: 
litik Hier erlitten — ein einfacher Zwang, ben 
die Vereinigten Staaten auf die „große Nation‘ 


63 


ausgeübt, und die „civilifatorifche Armee’ wurde 
einfadh von der nordiſchen Republik nad) Haufe 
geſchickt. 

So ſtill aber auch die Zeit bis jetzt in Ro— 
driguez' Hauſe verfloſſen ſein mochte, da ſich der 
alte Herr, der ſich ſo viel als möglich von Po— 
litik fern hielt, ſchon deshalb häufig mit ſeinen 
alten Freunden in Conflict befand, ſo angefüllt 
war es heute, und nicht etwa nur von Gäſten 
oder Beſuchern, die das Schauſpiel des Vorüber— 
marſches der abziehenden Armee herbeigelockt. 

Ricarda's Vater, der ſeine Ankunft von Monat 
zu Monat abgeſchrieben, da ihn die unglückſeligen 
politiſchen Verhältniſſe Mazatlans zwangen, ſei— 
nen Aufenthalt in der bald von den Kaiſerlichen, 
bald von den Diſſidenten genommenen und mit 
Zwangsanleihen belegten Stadt zu verlängern, 
war endlich eingetroffen, aber nicht, um feine 
Tochter nad dem Staat Sinalva, an die Küfte 
des jtillen Meeres zurüdzuführen, jondern um 
mit feiner ganzen Familie nad) Spanien über: 
zufiedeln, und endlich einmal diejen ewigen Re: 
volutionen und Kämpfen zu entgehen, wie fein 
Leben in Ruhe und Frieden zu genießen. 

Ob dazu Spanien gerade der pafjende Pla 
war, bleibt dahingeſtellt, aber er hoffte doch, dort 


64 


wenigftens in geregeltere Verhältniffe zu kom— 
men, als fie ihm Merico hier bieten Fonnte — 
und ungeregeltere gab es ja doch nirgendwo auf 
der weiten Welt. 

Roneiro und Bajtiani waren ebenfalls mit 
ihren rauen herübergeflommen — auch Inez 
— aber wie verändert hatte ſie die Furze Zeit! 
Was war aus dem einjt jo blühenden, bildſchönen 
Mädchen geworden? eine Matrone, bleih und 
abgezehrt, mit hohlliegenden Augen und einge— 
fallenen Wangen, und fein Lächeln trat mehr 
auf die bleichen Lippen. 

Da öffnete ſich die Thür wieder ohne vor— 
berige Anmeldung, und zwei junge Officiere be= 
traten den Raum. 

„Feliciano!“ rief Rodriguez erfreut. „Junge, 
wo fommjt Du ber? — und caramba — Gefior 
van Leuwen — Sie Hätte id wahrlich nicht 
wieder erfannt — Sie ſehen friſch und blühend 
aus.“ | 

„Den hab’ ih mir in Puebla aufgefifcht, 
lachte der junge Feliciano. „Er wollte nach Haufe 
zurüd, aber ich litt es nicht und Habe ihn für 
unjere Armee gepreßt.‘ 

„Es bat nicht viel Ueberredung gebraucht,“ 
jagte van Leumwen Halb ſcheu, indem jein Blick 





wie juchend durch das Zimmer flog — „id war 
felber noch mit mir im Kampf, was ich thun — 
ob ich gehen oder bleiben ſolle.“ 

„Und von Ihren Wunden jind Sie voll: 
fommen geheilt?‘ 

„Bollflommen, wenn es aud) etwas lange ge= 
dauert hat.’ 

„Und fennen Sie alte Freunde nicht mehr ?’’ 
jagte da eine leife Stimme dicht hinter feinem 
Rüden, und als er ſich haftig darnach umdrehte, 
fand, wie mit Purpur übergofjen, aber ihn 
freundlich anlächelnd, Ricarda vor ihm und ftredte 
ihm die Eleine Hand entgegen. 

„Seforita!” rief der junge Officier, „wie 
glüdlih bin ih, Ahnen wieder begegnen zu 
dürfen |’ 

„Wirklich?“ lächelte wehmüthig das junge 
Mädchen — „und war Ahnen das Haus ver— 
boten, daß Sie ſich feit langen Monden nicht 
von jelber wieder bei uns jehen ließen ?' 

Ban Leuwen erröthete und ſchwieg einen Mo- 
ment. Endlich ſagte er: „Als ich mein Kranfen= 
jimmer verließ, wagte ich nicht, mich Ihnen bier 
wieder aufzudrängen — der Dienft ließ mir aud) 
feine lange Zeit zur Ruhe — ich wurde, wie 
ih faum wieder im Sattel figen konnte, nad 

Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 5 


66 
Dajaca beordert, dort aber gerieth unjere ganze 
Bejagung, von der Uebermacht des Feindes fait 
erbrüdt, in Gefangenſchaft, und erjt jeit wenigen 
Tagen von Porfeirio Diaz freigegeben, find wir 
wieder in Puebla angelangt.” 

„So waren Sie gefangen ?' 

„Kriegsglück — doch wie ich höre, ift Ahr 
Herr Vater bier. Dürfte ih Sie bitten mid) 
ihm vorzujtellen ?“ 

Señor San Blas unterhielt jich — an einem 
der Fenſter mit ſeinem alten Freund Baſtiani 
und ſchien auch von der neuen Bekanntſchaft 
nicht beſonders erbaut; er verbeugte ſich wenig— 
ſtens gegen den jungen Mann viel kälter und 
zurückhaltender, als das ſonſt ſeine Art war, 
und ſelbſt Ricarda ſah ihn betroffen an. Er 
wandte ſich auch gleich wieder zu ſeinem früheren 
Geſpräch zurüd und jagte, als er mit Baltiani 
aufs Neue allein war: 

„Ich würde e8 für ein großes Glück für 
Merico halten, wenn recht viele fleißige fremde 
Arbeiter und Coloniſten berüberfämen und das 
Land bebauen, wie dem Verkehr mit anderen 
Nationen mehr zugänglich machen wollten, aber 
dieje freinden Herren Officiere, die dem Kaijer 
hierher nad Merico gefolgt find, wollen wir 


67 


ihnen doch Lieber jchenfen, denn es jind weiter 
Nichts als Abenteurer, die ſich Hier goldene Berge 
geträumt und nun, da jie nicht einmal ihren 
Sold befommen, vom Schuldenmadhen leben. 
Wir haben da böje Erfahrungen in Mazatlan 
gemadht und in Vera-Cruz wird noch viel mehr 
darüber erzählt.‘‘ 

„Es giebt viele rühmliche Ausnahmen,‘ jagte 
Baſtiani. 

„Das mag ſein,“ nickte San Blas, „aber 
man muß gewöhnlich erſt verwünſcht ſchwer da— 
für bezahlen, um ſie aus der übrigen Maſſe 
heraus zu finden, und ich möchte den Verſuch 
nicht noch einmal machen.“ 

„Ich halte dieſen Belgier dafür — ich bin 
früher einigemal mit ihm zuſammengekommen, 
und er hat ſich ſtets tüchtig und beſcheiden be— 
nommen — er iſt auch, glaube ih, für ſeinen 
Unterhalt hier nicht allein auf ſeinen Sold an— 
gewieſen.“ 

„Deſto beſſer für ihn,“ erwiederte San Blas 
kurz abwehrend und warf von da an nur manch— 
mal den Blick nach ſeiner Tochter hinüber, um 
zu ſehen, ob ſie ſich noch immer mit dem jungen 
Fremden unterhielt. 

„Ihnen ſcheinen ſie in Mazatlan bös mitgeſpielt 

5* 


68 


zu haben,“ fagte Baftiani, „der arme Ort bat 
ja aud ein paar Mal die Befiter gewechjelt.” 

„Die Liberalen,” fagte der alte Herr, „von 
denen wir auch nur das jchledhtejte und nichts- 
nußigjte Gefindel da binüber befamen, haben 
gewirthichaftet wie die Räuber und werben jekt 
das Geſchäft fortjegen. Unter dem Vorwand, 
daß ich zur Faiferlihen Partei gehöre — was 
gar nicht einmal der Fall war, confiscirten fie 
mir meine zwei Hacienden — mußten fie dann 
aber natürlich wieder herausgeben, und ich war 
froh, als ich fie endlih, wenn aud kaum zu 
ihrem balben Werthe, an einen Amerifaner ver: 
faufen fonnte. Nein — idy habe jett das Elend 
in unjerem Vaterland faft an die zwanzig Jahre 
mit durchgemacht und bin es jatt geworden. Der 
Kaijer will Eoloniften in dus Land ziehen — 
Ave Maria, e8 wird ihm jchwer werden, nur 
die Leute bier zu halten, die jet barin 
wohnen.” 

„Aber das iſt nicht möglich 1’ rief der unfern 
von ihnen jtehende Rodriguez, der fich mit feis 
nem Sohne unterhielt, und bie beiden Herren 
wandten jich ihm zu, um zu hören, um was es 
ſich bier handle. 

„Und es iſt trotzdem ſo, Vater,“ ſagte Feli— 


er T 


69 


ciano, „denn ich habe e8 mit meinen eigenen 
Augen gejehen.‘ 

„Was ift es, Rodriguez ?'' 

„Die Franzoſen,“ jagte Feliciano, „haben in 
den legten Tagen und vor ihrem Abzug nichts 
weiter gethan, als ihre Munition zerjtört, was 
fie nicht eben mitführen fonnten, anjtatt fie dem 
Kaijer zu überliefern.‘' 

„Es ſieht ihnen ähnlich,” nickte Baftiani, 
„aber woher weißt Du das, Feliciano?“ 

„Seltern Morgen befahl mir der Kaifer, 
Civilfleiver anzulegen und ihn auf einem Elei: 
nen Spaziergang zu begleiten. Ich wußte nicht, 
was er beablichtigte, befolgte aber natürlich raſch 
den Befehl, und wir jchritten dann der Eitadelle 
zu, in die wir Eintritt verlangten. Der fran: 
zöſiſche Poſten, der uns nicht kannte, weigerte 
ihn, der Kaijer trat aber ruhig vorwärts, und 
als die beiden Soldaten einjpringen wollten, rief 
ih ihnen zu: „Seine Majeſtät!“ Die armen 
Teufel wußten jeßt natürlich nicht, ob die Ordre, 
Niemanden einzulajien, auch auf den Kaijer aus: 
gedehnt ſei — konnten es fich wenigjtens nicht 
denken und ließen uns pafjiren, und drinnen im 
Hofe fanden wir jeßt die ganze franzöſiſche Be— 
jagung emjig damit beſchäftigt, ihre Geſchoſſe zu 


70 


zerichlagen und unbrauchbar zu machen, und dag 
Pulver haben fie in die Sequia geworfen, nur 
damit e8 nicht für das Faiferlihe Heer zurüd: 
bliebe. — Ja wie mir mexicaniſche Kameraden 
verficherten, find fie jo weit gegangen, daß ſie 
auf dem Mari im Innern ihnen befchwerliche 
Munition fogar an die Liberalen verfauft 
haben.“ 

„Schöne Verbündete!“ lachte Baſtiani — „und 
was ſagten ſie, als ſie den Kaiſer erkannten?“ 

„Der commandirende Officier,“ erwiederte 
Feliciano, „ſchien auf das äußerſte beſtürzt, und 
mir that der arme Teufel leid, denn es war nicht 
ſeine Schuld. Er hatte nur die Befehle Ba— 
zaine's auszuführen, aber was konnte er auch 
machen? Er erkannte den Kaiſer natürlich augen— 
blicklich, ſchoön an feinem getheilten Bart und der 
ganzen impoſanten Erſcheinung, und die Wache 
mußte in's Gewehr treten, aber die fatale Arbeit 
war auch weder zu beſeitigen, noch zu verheim— 
lichen — eine Unterbrechung hätte nicht einmal 
genützt, ſondern die Sache eher noch verſchlim— 
mert. So nahm denn das Zerſtörungswerk ſei— 
nen ruhigen Fortgang, und der Kaiſer ging 
dazwifchen herum und ſah ihnen, mit einem halb 
ſarkaſtiſch Tächelnden, halb verächtlichen Blid zu. 


71 


68 war die größte moralijche Niederlage, die 
fie erleiden fonnten, und Bazaine jol außer 
fih gewejen fein, als er e8 erfuhr.‘ 

„Daß Bazaine Santa Anna’s Staatsfutjche 
ebenfalls verfauft hat, wißt Ihr doch?’ jagte 
Roneiro. 

Die Geſellſchaft lachte. „Das iſt nicht übel,‘ 
rief Rodrigüez, ‚an wen denn?’ 

„An Almeja — was der damit maden will, 
weiß Gott.‘ 

„Nun, fein ganzes Mobiliar in Buena Bifta 
hat er ja ebenfalls verkauft, und das gehörte 
eigentlich der Stadt,” meinte Feliciano. „Er 
macht Alles zu Geld, ja ich weiß aus guter 
Quelle, daß eine Mafje Kriegsmaterial jogar, 
und zwar mit bejonderer VBorjiht vergraben 
ift, wofür er wahrjcheinlih von den Liberalen 
Bezahlung erhalten Hat — aber wir wiffen den 
Pla, ein franzöfiicher Officier, dem das doch 
ſelbſt zu arg erjcheinen mochte, hat ihn verrathen, 
und jobald die Herren fort find, werden wir die 
feine Erbichaft antreten. Pfui Teufel, haben 
ich diejfe Herren hier noch die lebte Zeit benom— 
men und wirflid ihr Schlimmjtes gethan, um 
ben Verbündeten ihres Souveräns zu Grunde 
zu richten !’' | 


72 


„Das Beite war der Befehl Bazaine's,“ jagte 
Baftiani, „daß alle franzöſiſchen Unterthanen als 
Dejerteure betrachtet werden follten, die in ben 
mericanijchen Corps blieben; und doch find dieje 
gerade von dem Marjchall jelber errichtet worden.” 

„Es war eine Schmach!“ rief Feliciano, „und 
eine Menge franzöjiihe DOfficiere haben auch 
Dagegen protejtirt. Caramba, der Proteſt ift 
Iharf genug und der Marſchall von Frankreich 
befommt darin einige höchſt pifante Sachen zu 
böven — aber er bat ein dies Tell und beruft 
fih nur einfach auf die Befehle des Kaiſers.“ 

„And vielleiht mit Recht!’ fagte van Leu: 
wen. ‚Napoleon jol außer fi darüber fein, 
daß Marimilian nicht ihm zu Gefallen abdanfen 
will. Die ganze Sache wäre dann glatt ver— 
laufen, er hätte am Neujahrstag wieder eine 
hübſche Thronrede halten können, wie er bie 
Gelbjtbejtimmung der Völfer achte, mit den üb: 
lihen Phraſen dabei, und Seine Majejtät der 
Kaifer von Merico wäre bei Seite geſchoben 
worden.‘ 

„Aber doch nicht Alle haben jich den Befehlen 
des Marſchalls gefügt, rief Feliciano — „bier 
Freund van Leumwen und viele brave Soldaten 
find zurüdgeblieben, und wie hat fich der belgifche, 





73 


wie der öfterreichiiche Gejandte bemüht, fie zu 
bewegen, ihren Kaijer im Stich zu laſſen!“ 

„Diefe beiden Gejandten?” rief Ricarda, 
„das ift doch nicht denkbar. Sind fie denn nicht 
gerade von ihren Regierungen bierher gejandt 
worden, um ben Kaijer zu unterjtüßen ?' 

„Das folte man eigentlich glauben,‘ jagte 
van Leumwen » ‚dem jcheint aber nicht jo. Ich 
weiß wenigſtens, daß Monfieur Hoorids, mein 
Gefandter, mir jpeciell dringende Borjtellungen 
gemacht hat, mich nicht diefem unglüdjeligen 
Unternehmen anzujchliegen, und eben jo tactlos 
bat fich der öfterreihijhe Gejandte Baron Lago 
benommen. &s jcheint überhaupt, als ob beide 
Regierungen die unfähigjten Männer ihres gan: 
zen Reiches auf diejen doch Bun Poſten ge: 

ſandt hätten.’ 

| „Da kommen fie!” rief Rodriguez’ jüngjter 
Sohn, ein Knabe von vierzehn Jahren, der bis jeßt 
an einem der Balcone auf Wache gejtanden und 
das Nahen der Truppen — weniger aus patrio: 
tiihem Gefühl, als aus Neugierde, mit Sehn: 
judt erwartet haben modte — „ich kann jchon 
die Mufif hören und da drängen aud jchon die 
Leute die Straße herab.‘ 

Im Nu füllten fih die Balcone der langen 


74 


Front des Hauſes — die Kinder unten hinter 
den Gittern, die Damen voranftehend, die Her— 
ren hinter ihnen, und bunt genug ſahen bie 
Häuferreiben aus — aber wahrlid nidht von 
Fahnen und Blumenihmud. 

Der General en chef Forey jchrieb von 
Merico aus am 10. Juni 1863 mit feiner ge: 
wöhnlihen Bejcheidenheit und Einfachheit an den 
Kriegsminijter Randon: 

„Soeben bin ih an der Spite der Armee in 
Merico eingezogen. Mit noch ganz bewegtem 
Herzen richte ich dieſe Depejche an Euer Ercellenz, 
um Ihnen zu melden, daß die Bevölkerung 
dieſer Hauptſtadt — Alle mitfammen — bie 
Armee mit einem Enthufiasmus empfangen hat, 
der an Mahnfinn grenzte. Die Soldaten Frank— 
veihs find buchſtäblich von den Kränzen und 
Sträußen erdbrüdt worden, wovon nur ber 
Einzug der aus Stalien zurüctehrenden Armee 
in Paris am 14. Auguft 1859 eine Vorftellung 
geben fann. Ich babe mit allen Officieren des 
Generalftabes in der prächtigen Kathedrale bie- 
jer Hauptjtadt, die von einer unermeßlichen Men: 
Ihenmenge erfüllt war, einem Tedeum beige: 
wohnt, dann defilirte die Armee in bewunderungs— 
würdiger Haltung vor mir unter dem Rufe: Es 


75 


lebe der Kaiſer, es lebe die Kaiſerin! Nach dem 
Parademarſch habe ich im Regierungsgebäude die 
Behörden empfangen, welche Reden an mich hiel— 
ten. Dieſes Volk iſt hungrig nach Ordnung, 
Gerechtigkeit und wahrer Freiheit. In meiner 
Antwort an die Repräſentanten habe ich ihnen 
das Alles im Namen des Kaifers verheißen. Mit 
der nächſten Gelegenheit werde ich die Ehre ha— 
ben, Ihnen weitere Details über diefen, in der Ge— 
ſchichte beifpiellofen Empfang zu liefern, der die Be— 
deutung eines politiichen Ereigniffes von unermeß— 
lihem Nachhall hat. Der General en chef Forey.“ 

Ganz von der bodenlojen Arroyanz und 
Uebertreibung biejes Berichtes abgejehen, der nur 
in jofern etwas Wahres hatte, al8 die haute volde 
in Merico, aljo die Confervativen und Klerika— 
len, die damals einrüdenden Franzoſen allerdings 
mit Zurufen und Blumen begrüßten, während 
bie in der Minorität befindlichen Liberalen und 
das überhaupt nicht in Betracht kommende Volk 
fie nur düfter und fchweigend empfing — weld) 
ein Unterjchied zwijchen heute und damals, und 
body lagen nur wenige Jahre dazwilchen. 

Die Damen Mericos, die meift in ihre Re- 
60508 gehüllt auf den Balconen Ichnten und aus 
Neugier den Abzug der Truppen beobachteten, 


76 


hatten feinen Gruß, feine Blume mehr für die 
Scheidenden — kein Tuch wurde ihnen geweht, 
feine Fahne geſchwenkt. Hier und da von irgend 
einem Hötel, wo ſich franzöfiihe Damen be— 
fanden, verfuchte man wohl eine ſchwache De: 
monftration, aber dieſe einzelnen Beifallsrufe 
machten — wie ein Lüfter brennendes Licht in 
einem weiten Saal die Dunkelheit — fo bier 
die öde, unheimliche Stille, die auf der Menſchen— 
mafje lag, nur noch bemerfbarer, und wenn dieſe 
nicht in Flüche und Verwünſchungen über bie 
bisherigen Unterdrüder ausbrad, jo war es nur 
die Furcht vor ben ſcharfen Waffen, die fie davon 
zurückhielt. 

Was freilich konnten die franzöſiſchen Sol— 
daten dafür? Sie hatten ſich wacker wie immer 
geſchlagen, und Gefahren und Entbehrungen mit 
bewunderungswürdiger Ausdauer ertragen. Sie 
waren nicht verantwortlich für die faule Politik 
ihres Kaiſers, für das mehr als zweideutige Be— 
nehmen ihres Höchſt-Commandirenden, und ſelber 
froh, dieſem unerquicklichen Zuſtande hier in 
Mexico enthoben zu ſein, wo fie recht gut fühl— 
ten, wie verhaßt fie dem ganzen Volk geworden, 
zogen fie jeßt wieder leichten Herzens der Hei- 
math entgegen. 





77 


Boran dem Zug ritt der Marſchall von Franke 
veih, von feinem ganzen glänzenden, mit Orden 
bedeckten Stab gefolgt, und war das Volk ftill 
und theilmahmlos, jo mußte die Militärmujif 
dafür dejto raufchenderen Lärm machen. Wohl 
warfen die Dfficiere nad) den Balconen freund: 
lihe Blide und auch wohl Kußhände hinauf, 
aber verächtlich drehten die mericanifchen Damen 
die Köpfe ab, und die galanten Herren durften 
fih Feines Grußes der dunfeln Augen rühmen. 

Sp zogen ſie vorbei durd die Galle San 
Francisco und Galle de los Plateros der Plaza 
zu, und über dieje bin, am Palacio vorüber bei 
der Sarita San Antonio hinaus. 

So Stil und fchweigend aber aud) faſt ſämmt— 
ide Bewohner der Stadt den Abzug der Unter 
drüder hinnahmen, an einem Haus in der Calle 
de los Plateros hatte es jich der Beſitzer nicht 
verjagen fünnen, ein Zeichen feiner innigen Freude 
anzubringen, und das war an dem des wadern 
Don Pedro Gaspard, des „Hoffriſeurs“ der Kai— 
ferin und Gapuchin oder Altipaniers von Grund 
der Geele aus. Er haßte die Franzoſen nicht 
allein deshalb, weil ſie feinen Kaijer jchlecht be= 
handelt und die unglüdliche Kaijerin zum Wahn: 
jinn getrieben hatten, fondern auch jchon, weil 


18 


er — vielleicht mit etwas Webertreibung, von 
ihnen behauptete, daß immer „der dritte Mann 
Friſeur wäre”. Er batte es ſich deshalb aud 
nicht verſagen können, an jeinem Haufe — und 
zwar aus Vorſorge transparent, weil er fie in 
Verdacht gehalten, daß fie bei Nacht abmarjchiren 
würden — ein Ffleines rundes Schild mit den 
mericanijchen Farben anzubringen, auf dem nur 
die zwei, aber doppelt unterjtrichenen Wörter 
ftanden „bon voyage“ — darum ber aber hatte 
er einen Kranz von gelben Todtenblumen ange: 
bradt. Ueber dem Schild nun ftand er auf 
jeinem kleinen Balcon, betrachtete fich mit inner: 
liher Schadenfreude den Abzug der verhapten 
Nation und beobachtete den Eindrud, den bie 
jpöttifche Inſchrift auf fie machen würde. 
Links von ihm, am andern Balconfeniter, 
ftand feine junge Frau mit ihrer bildhübjchen 
Schweiter. Don Pedro täufchte ſich aber doch 
über die Wirkung, denn bie Franzoſen lachten 
als fie vorübergingen und warfen dem finfter 
dareinichauenden Friſeur, wie ben beiden jungen 
Damen nebenan auf das unverfchämtefte Kup: 
bände zu. Sie fchienen den unverfennbaren in: 
grimm des Kleinen Mannes mit dem großen 
Lockenkopf gar nicht zu beachten, oder jid am 





wr 


79 


Ende gar noch darüber zu amüfiren, und Don 
Pedro Hatte feinen Zwed vollfommen verfehlt. 

Unter der Menge, die dem Zuge folgte, be= 
fand ſich auch ein tunfelfarbiger Indianer oder 
Sambo, der ebenfalls die Blicke feſt auf den 
einen Balcon geheftet hielt, und zwar auf ben, 
auf welchem die Damen ftanden, ohne daß man 
ihn jedoch von da beachtet hätte. Die Menſchen— 
menge hatte ſich, den Franzoſen folgend, ſchon 
auf die Plaza hinausgezogen — der Sambo hielt 
ih noch immer auf der andern Geite ber 
Straße und ſchien endlih die Geduld zu ver- 
lieren. Er trat mitten auf den Weg und nahm 
den Hut ab. 

Die Damen waren auf dem Balcon ftehen 
geblieben, um die Anzüge auf den übrigen zu 
mujtern, aber die einzelne Geſtalt mußte ihre 
Aufmerffamfeit dorthin lenken. Cornelia’ Schwe- 
fter wenigjtens bemerkte ihn und jagte lächelnd 
zu ihr: 

„Hat der Schwarze Señor da unten Dich ge- 
grüßt ?’‘ 

Eornelia warf nur einen Blid auf ihn, 
aber fie hatte ihn im Nu erkannt und war auf: 
fällig blaß geworden. In diefem Augenblid 
trat Don Pedro zu feiner Frau und Schwäge- 


80 


rin heraus und fagte, ſich vergnügt die Hände 
reibend: 

„Sp, Seioritas, die Herren wären wir end— 
(ich los, nachdem fie freilich alles nur erdenkliche 
Unheil angerichtet; aber wiebderfommen werben 
die nicht, davor find wir fiber. — Wohin 
willft Du, Cornelia 9 

„sch komme gleich zurüd — ih — hole mir 
nur ein Taſchentuch!“ 

Die Schweiter ſah ihr etwas erftaunt nad, 
denn Cornelia batte ihr Taſchentuch bis dahin 
in der Hand gehalten, und wie von einem plöße 
lihen Gedanfen ergriffen, juchte ihr Blick den 
Sambo unten. Diejer aber jchritt jett langjam, 
den Balcon nicht weiter beadhtend, auf das Haus 
zu, als ob er in den Laden wolle. Don Pedro 
plauderte indefjen da oben nach Herzensluſt von 
allen Stadtneuigfeiten, die Merico gerade da— 
mals in joldem Ueberfluß erfüllten — glüdlicher 
Menſch, er war nur jelig, daß er die „franzö— 
fifhe Nation’ los wurde, die ihm bis dahin 
wie ein Alp auf der Bruft gelegen. — Die fran: 
zöſiſchen Friſeure gingen freilich troßdem nicht 
mit, denn in der Stadt wimmelte e8 noch von 
ihnen. 

Seine Schwägerin blieb neben ihm auf dem: 





81 


Balcon ſtehen und hörte ihm zu — leiſe bog fie 
jich ein Flein wenig nach rechts, daß fie die Haus— 
thür im Auge behielt. 

Der Sambo ftand dort. Da wurde der Rie— 
gel von innen zurüdgejchoben — ſie fonnte das 
Geräufch deutlich Hören — und eine Hand ftredte 
ich heraus, die ein Papier hielt — es war bie 
Hand ihrer Schweiter. Im nächſten Augenblicd 
hatte der Sambo das Bapier unter feinem Bondyo, 
und ſchritt damit, rajcher als er bisher gegangen, 
die Straße hinab. — 

Die Geſellſchaft in Rodriguez’ Haus war in- 
deſſen mit ihren Blicken der langen franzöfischen 
Colonne gefolgt, bis fie auf die Plaza einbog 
und ihren Augen entjchwand. 

Pan Leuwen und Ricarda Hatten ſich auf 
dem einen Balcon mit einigen von Rodriguez’ 
jüngeren Kindern zufammengefunden. 

„Und jo ganz ohne Abjchied wollten Sie 
und verlafien und nad Europa zurückkehren?“ 
jagte das junge Mädchen, als Bazaine mit feinem 
Stabe vorüber war und der Anblick dadurch 
feinen Reiz verlor — „war das aud) recht von 
Ihnen?“ 

„Ricarda,“ ſagte da van Leuwen bewegt, „ich 
wagte es nicht, Ihnen wieder unter die Augen 

Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV. 6 


82 


zu treten, denn wir Fremden haben Ihrem Lande 
feinen Frieden gebracht, fondern ihm nur viel 
— oh, jo entjeglich viel Blut gefoftet! Ich fürch— 
tete, daß Gie uns Alle haſſen würden.‘ 

„Und ijt Ihr Kaijer, iſt Shre Kaiferin auch 
deshalb zu ung gekommen?“ fagte Ricarda weich 
— „haben fie nicht Alles geopfert, was einen 
Menſchen an dies Leben feſſeln kann, und treu 
und ehrlid) die ganze Zeit gehalten, was fie und 
verjprohen? Glauben Sie, dag wir Mericaner 
feinen Unterjchied zwilchen denen zu machen 
wiſſen, die es wirklich gut mit uns meinen, 
und joldyen, die nur der Ehrgeiz und die Erobe- 
rungslujt eines einzigen böjen Mannes herüber— 
getrieben ?'' 

„Sp zürnen Sie uns nicht?“ 

„Zürnen!“ fagte Ricarda wehmüthig, „ich lebe 
nun fo lange in Merico und bin wohl ein jtiller, 
aber aufmerffamer Zeuge des Kanıpfes gewejen, 
den Ahr braver Kaijer hier gegen eine Unmög— 
lichkeit angefämpft bat: nämlich das mericanijche 
Volk für die Sade jeines eigenen Vaterlandes zu 
begeijtern. Nehmen Sie meinen Onkel, er ijt 
ein jo braver, ehrenhafter Mann, wie Gie ihn 
nur im weiten Reich finden fönnen, und ben: 
nody hat er Fein Herz für das Land, in dem er 


83 


geboren wurde, für das Volk, das ihn umgiebt 
und aufwachſen ſah. Nur jein eigenes In— 
terejje wie das feiner Partei leitet ihn. — Die 
Angst, daß die confervative ‘Partei einen Theil 
ihrer Rechte und Bejigthümer verlieren könne, 
trieb ihn, zuerjt für den Kaifer mit zu jtimmen 
— neigte ihn dann wieder dejjen Feinden zu, 
und bat ihn jeßt wieder bewogen, alle Mittel 
aufzubieten, Marimilian im Land zu halten. Er 
ift fein bejonderer freund des Klerus und voll: 
fommen dagegen, daß diejem die liegenden Gründe 
wieder überwiejen würden, aber er gebt jeßt 
troßdem Hand in Hand mit der Geijtlichkeit, 
weil er in diejer eine Unterftüßung aud für feine 
Intereſſen zu finden glaubt. — Und jo find fie 
Ale — Alle,“ ſetzte fie traurig mit dem Kopf 
Ihüttelnd hinzu, ‚und Ihr armer Kaifer, wenn 
er jeinem Worte treu bleibt, wird und muß in 
diefem Lande untergehen.” 

„Sp glauben Sie nicht, daß er im Stande 
ift eine wirkliche National-Armee zu jchaffen, 
die jeinen Thron ftüßen und feinen Feinden be- 
weijen kann, daß er auch ohne fremde Bajon- 
nette im Stande wäre die mericanijche Fahne hoch 
zu halten 2“ 

„ein, ſagte Ricarda ruhig. — „Er wird 

6* 


84 


Einzelne finden, die treu und ehrlich zu ihm 
halten — und ich glaube, daß Feliciano Einer 
von dieſen ift — aber er wird die Mafje nur 
an jich zu feffeln vermögen, jo lange das Glüd 
ihm treu bleibt — länger nicht. Das eben ift 
ja das Unglück unjeres jchönen Landes, daß 
bier feine Treue und fein Glauben herricht. 
Der Berrath it den politiihen Führern zur 
zweiten Natur geworden. — „Er hat fich pro: 
nuncirt‘‘, jagen die Leute einfach, wenn ein Ge: 
neral eine Handlung begeht, die ihn in jedem 
europätichen Yande für ewig infam machen würde 
— das heißt er bat feinen Fahneneid gebrochen 
und ſich zeitweilig, weil e8 ihm gerade paßte und 
er jeinen eigenen Nuten dabei jah, entweder der 
Bartei des Gegners angejchlofien, oder auch auf 
eigene Hand einen Fleinen Raubzug unternom: 
men. — Es ijt möglih, daß ih zu jchwarz 
ſchildere,“ fette fie vajch Hinzu — „ich will es 
zu Gott hoffen, denn es wäre fürchterlich, aber 
was ich bis jetzt vom Land gejehen, wo fich body 
Alles um die Hauptitadt dreht, drängt mir faſt 
die Gewißheit jolher Zuſtände auf. Selbſt die 
Jugend ift Shon in Grund und Boden hinein 
verborben, und Sie haben da die Beijpiele an 
dem jungen Lucido wie Alıneja, die den edelſten 


nd 


85 


Familien des Landes angehören; was Fünnen 
Sie da von Anderen erwarten ?” 

‚Und troßdem halte id) aus!’ rief van Leuwen. 
„Es ift möglih daß wir untergehen, aber fo 
lange ber Kaifer fein Ziel nicht aufgiebt, bleibe 
ih ihm treu, und ih weiß, daß noch viele 
wacdere Herzen jo denken wie ih. Der edle 
Graf Khevenhüller, der wadere Hammerftein 
und Kodolih haben ihm ihren Arm geliehen, 
und wenn wir nur ein ganz klein wenig Unter: 
jtüßung bei Ihren Landsleuten finden, jegen wir 
e8 durch. — Der Kaiſer will jet einen Natio— 
nal-Congreß berufen.” | 

„Halo! Tachte in diejen Augenblid Rodri— 
guez, der zu dieſem Fenſter hinübergetreten war 
und dba das junge Paar im eifrigen Geſpräch 
fand — ‚‚treibft Du Politik, Ricarda, und ver: 
handelt Ihr über den National: Congreß ? — Dar: 
über zerbrecht Euch den Kopf nicht, Kinder, denn 
aus dem wird im Leben Nichts.’ 

„Und bat nicht das Minifterium dem Kaijer 
veriprocdhen, ihn zufammen zu rufen?” rief Ri— 
carda faft heftig aus. 

„Ja, das bat es,“ nickte Rodriguez, „weil 
ie ihm eben Alles verſprochen haben, was er 
verlangte, aber eine Unmöglichkeit Fünnen fie 


86 


deshalb doch nicht erzwingen. Die Liberalen 
haben die ganzen nördlichen Dijtricte nicht allein 
bejegt, jondern jind auch ſchon wicder an unfere 
Grenzjtaaten vorgedrungen, und ift es nun denk— 
bar, daß da heraus die Leute fommen jollten, um 
für Marimilian zu ſtimmen?“ 

„Aber das verlangt er ja gar nicht,” fagte 
das in Eifer erglühende Mädchen. ‚Nur ihre 
einfache ehrliche Meinung jollen fie jagen, und 
wenn jie die Republik wollen, jo gebt er einfach 
und überläßt das Land jeinem eigenen Ge— 
ſchick.“ 

„Ja wohl,“ nickte Rodriguez, „und die Be— 
ſitzenden in den Händen der Liberalen. Nein, 
Herz, das verſtehſt Du nicht — ein ſolcher Con— 
greß, wenn überhaupt ausführbar, wäre ein Un— 
glück für das Land — aber er iſt auch nicht 
ausführbar und nur eine von des Kaiſers recht 
gut gemeinten, aber phantaſtiſchen Ideen. — Es 
kommt eben Niemand, und die Sache verläuft — 
da ſogar der Klerus nicht einmal damit einver— 
ſtanden iſt — im Sande.“ 

„Hatte ich Recht?“ ſagte Ricarda leiſe und 
wehmüthig, als ſie zu van Leuwen aufſah — 
„armer Kaiſer!“ 

Ueber die Plaza marſchirte das abziehende 


87 


Heer der Franzofen und an dem Palaſt des 
Kaiſers vorüber, aber überall an den kaiſerlichen 
Zimmern waren die Vorhänge niedergelafjen, 
und fein lebendes Wejen ließ fich dort erkennen. 
An dem Flügel wohl, wo die Dienerjchaft wohnte, 
waren einige Balcone mit Lakaien und weib- 
lichen Dienftboten gefüllt, aber jelbjt die Faijer- 
lihen Beamten hatten Tact genug gehabt, ji 
nicht da draußen zu zeigen. 

Unten vorüber ritt der Marſchall und warf 
einen mürriſchen Blick nach den gefchlofjenen Fen— 
ftern hinüber — die Mufif hatte gerade aufge: 
hört zu fpielen, und laut und deutlich jchallte 
ber jchwere, gleichförmige Schritt der Mafjen 
über die Plaza. Der Marfchall winkte — nicht 
fo wollten und durften fie die Stadt verlajien, 
jondern mit wehenden Fahnen und Flingendbem 
Spiel. Das Mufifcorps feßte wieder zu einem 
wilden, ftürmiichen Mari an, mit jchmetternden 
Trompeten und dröhnenden Paufenjchlägen, als 
ob es die Schläfer da drinnen, in dem todten= 
ftillen Palafte aus ihrer Ruhe auffchreden wolle. 
— Umfonft — die Gardinen blieben fejt ver: 
Ihlofjen, kein Gruß des Faiferlichen Herrn ver— 
abichiedete die Truppe — fein Dank — den ber 
gemeine Soldat und die unteren Officiere wohl 





88 


verdient hätten, begleitete jie auf ihren weiten 
und nody mühjeligen Weg. 

Still und gebrüdt marſchirten aber auch die 
Soldaten an dem Palaſt vorüber, denn jie wuß— 
ten jelber recht gut, daß. fie hier ein unerfülltes 
Verfprehen, ein gebrochenes Wort zurüdließen. 
Die niedergelafjenen Vorhänge waren ber ftille 
Vorwurf, der — menu er ihnen auch nicht galt, 
doch fie mit traf. Sie jelber verließen ja wohl 
gern das Land, das ihnen allerdings Siege, aber 
nie einen Erfolg gebracht, aber fie jahen aud 
Ale im Geift den zürnenden Monarchen, den 
ihr Kaijer in das Land gerufen, und ben jie 
jeßt, von mehr und mehr herandrängenden ein: 
den bedroht, allein und faſt ſchutzlos zurüdliepen. 

Doch die Trompeten fchmetterten brein, bie 
große Trommel jchlug den Tact dazu, und bore 
bei defilirte das Heer, die Thore Mericos zu 
erreichen. Hinter den niedergelafjenen Garbinen 
aber jtand Marimilian, die linfe Hand auf dem 
Rüden, mit der Rechten nur eben den Vorhang 
genug zurüdgehalten, um hindurch zu jehen, und 
jhaute jtil und ſchweigend, und einen redht bit- 
tern Zug um die Lippen, auf das Heer feiner 
Verbündeten hinab, bis auch der legte Mann 
verjhwunden war. 





4. 
Nach Querétaro. 


— 7e— 


Wo nur die Franzoſen aus dem inneren Land 
abzegen, da rückten die Liberalen nach. Juarez 
hatte zuerſt ſeine Reſidenz von Paſo del Norte 
wieder nad) Chihuahua verlegt, dann weiter ſüd— 
lih nad; Durango, jegt ſogar ſchon nad) Zaca— 
tecas, und es war die höchſte Zeit geworden, 
feinem Vordrängen ein Ende zu madhen und 
ben Republifanern zu zeigen, daß das Kaijer- 
reich auch noch die militärische Gewalt in Hän— 
den habe, wenn auch die franzöfiichen Bajonnette 
in ihre Heimath zurüdfehrten. 

Klerifale wie Confervative machten in biejer 
Zeit wirfli außergewöhnliche Anftrengungen, 
um ein achtunggebietendes Heer aufzubringen, 
denn fie ſahen recht gut ein, daß ihnen die Ge- 


90 


fahr jelber näher und näher rücke. Marquez 
zeigte jich darin bejonders thätig, und der „Schlach— 
ter von Tacubaya“, wie er eigentlich im Lande 
hieß, bejaß dazu gerade Kenntniß des Landes 
und der Bevölferung, wie Energie genug. 

Dem Grafen Khevenhüller war es ebenfalls 
gelungen, aus den Reiten der öſterreichiſchen und 
belgijchen Legion ein Hufarenregiment zu bilden, 
wie Baron von Hammerftein noch ein Infanterie— 
Bataillon zu Stande brachte, troßdem daß ber 
ſchwachköpfige Baron Lago, der öſterreichiſche Ge- 
Ihäftsträger, wie fein würdiger College, der bel: 
giſche Legationsfecretär Hoorids Alles thaten, 
um dem SKaijer aud) feine legte Stüße zu ent: 
ziehen, und Lago die Officiere des djterreichijchen 
Eorps zulegt veranlaßte, ein Promemoria gegen 
ihn zu erlaffen, das ihn förmlid an den Pran— 
ger jtellt. 

General Mejia, der Indianer, jtand jegt in 
Dueretaro — Mendez mit guten Truppen in 
Morelia im Staat Michoacan, und Miramon, 
der bejte General vielleiht, den Mexico hatte, 
wurde beordert, die Offenfive gegen Juarez’ Ban: 
den zu ergreifen, bie freilich jegt, unter General 
Escobedo’s Führung, zu einem mächtigen Heer 
von faſt 25,000 Mann jtarf angejchwollen waren. 


91 


Miramon paßte übrigens dazu vortrefflid. 
Mit nur einer Escorte verließ er Merico; als 
er in Queretaro anfam, hatte er ſchon eine 
Compagnie, und mit einem Regiment warf er 
ih von dort aus, ohne auch nur einen Moment 
Zeit zu verjäumen, gegen ZJacatecas. 

ZJacatecas, die Hauptitadt des Staates glei- 
hen Namens, ijt nur durch den Staat Guana— 
‚jato und einen jchmalen Streifen Jaliscos von 
Queretaro entfernt, und Juarez hatte fi) damit 
nicht allein der Hauptſtadt Schon um ein Be: 
deutendes genähert, Jondern befand jich auch ge: 
rade im Glück, denn fein gefährlichiter Gegen- 
candidat Gonzales Ortega war durch fein ge- 
wöhnliches ungeſchicktes Mandvriren den Jua— 
riiten in die Hände gefallen, und Escobedo fing 
ſchon an jeine Truppen zu vereinigen, um 
Queretaro zu nehmen, wonad er dann ben 
Schlüſſel zur Hauptjtadt in Händen gehalten 
hätte. 

Die alten Deutichen bauten ihre Burgen auf 
hohe Berge oder feljige Hügel, um von denen 
aus das Land zu beherrihen. Die Mericaner 
dagegen haben fait alle ihre wichtigen Städte 
in Bergfeffel oder Thäler bineingebaut, was 
auch in früheren Jahrhunderten vielleicht nicht 


92 


viel zu jagen hatte. Jetzt aber, mit unjeren 
vervollfommneten Geſchützen, wird faſt jede Stadt 
- in die Hände des Feindes gerathen, der im Stand 
ift die benachbarten Höhen zu bejeßen. 

Zacatecas wie aud) Queretaro liegen in einem 
ſolchen Kefjel und eignen fi deshalb nur dann 
zu einer Feſtung, wenn der General, der ben 
Pla behaupten will, auch Mannſchaft genug 
befigt, um fämmtlihe Hügel in den Feſtungs— 
rayon hinein zu ziehen. 

Juarez jelber .aber dachte bier natürli an 
feine Belagerung. Durd feine Epione war er 
von bem, was in der Hauptjtabt vorging, volle 
fommen gut unterrichtet — er wußte die Trans 
zojen im Abziehen begriffen, er kannte dabei die 
Schwierigfeiten, die fih dem Kaiſer entgegen: 
jtellten, jo rajch eine NationaleArmee zu organi— 
firen, und bielt fih nicht allein in Zacatecas 
vor einem Angriff vollftändig ficher, jondern war 
eben mit einigen feiner Generale eifrig beſchäf— 
tigt, die Route zu bejtimmen, die fie weiter nad) 
Süden zu nehmen wollten. 

Zacatecas lag im Sommer furdtbar heiß, 
denn die e8 umjchließenden Hügel verhindern 
faft jeden Luftzug, von welder Eeite er auch 
foımmen möge. Die Stadt felber ift, auch wenn 


93 


man von außen fommt, erſt in ganz furzer Ent: 
fernung fichtbar, bis ſie jich plößlih, auf etwa 
eine halbe Stunde Wegs, zeigt, wie jie den 
tiefen Windungen eines engen Thales, das man 
faft eine Ravine nennen Fönnte, folgt. Nur 
gleih dahinter fteigt ein hoher Berg, La Bufa, 
empor, auf defjen Gipfel eine Capelle ſteht. 

Wie arm iſt das Volk dort und wie gebrüdt, 
denn die hohe Lage dieſer Gegend, mit den wohl 
mineralreichen, aber fonjt trodenen und uns 
frudtbaren Hängen, bietet dem Aderbau nicht 
die Vortheile, die e8 den wohlhabenden Vieh— 
zühtern gewährt — aber troßdem erheben ſich 
aus den ärmlichen Wohnungen der Eingeborenen 
heraus hohe prachtvolle Kirhen und Klöfter mit 
reihgejhmücten Thürmen. Die Kirhe hatte 
Geld oder wußte es zu befommen, und wenn 
ie aus den armen unglüdlichen Bewohnern des 
Landes auch den lebten Blutstropfen heraus: 
preſſen ſollte — geſchieht doch das Alles nur 
„zum Ruhme Gottes’'. 

Unmittelbar an der nicht unſchönen Plaza, 
in dem Negierungsgebäude und in einem hoben 
luftigen Saal, deſſen Thüren und Fenfter weit 
geöffnet jtanden, hatten ſich die Generale mit 
Juarez und feinem Minifter Lerdo de Tejada 


y4 


verfammelt, um die weiteren Kriegsbewegungen 
zu berathen und dann mit Escobedo's Hilfe, der 
berbeigerufen werben jollte, auszuführen. 

Negrete, der General und treue Kriegsminiiter, 
der in jchwerer Zeit bei dem damals von allen 
Seiten verfolgten Präfivdenten ausgehaiten, war 
mit Juarez für ein unmittelbares Vorgehen, 
Ihon des moralifchen Eindruds wegen, den es 
im Lande machen mußte. Er fannte feine Lands— 
leute, die fih nur von dem augenblidlihen Er— 
folg beherrſchen und leiten laſſen, und hoffte 
dadurch die noch ſchwankenden Staaten Guana= 
jato, Qüeretaro und Michoacan raſch für ji 
zu gewinnen — Lerdo de Tejada dagegen, ein 
Greole vom reinſten Waſſer und von ſehr ariſto— 
fratiiher Haltung, jprad ſich ganz bejtimmt 
dagegen aus. 

Sebt hatten fie in’ Zacatecas fejten Fuß und 
waren jo Legua nad) Legua in das bis dahin 
jtet8 vom Feinde gehaltene Terrain vorgerüdt; 
wagten fie jich aber unvorbereitet zu weit nad 
Süden vor, jo fonnten jie entweder von Mendez’ 
Shmwärmen aus Michoacan, oder jelbjt von 
Mejia abgejchnitten und im Rücken bedroht, oder, 
was fajt eben jo jhlimm war, gezwungen wer: 
den wieder zurüdzumeichen, und verloren dann 


95 


auch jebenfall8 durch Meberläufer einen Theil 
ihres Heeres. 

„Wenn wir aber jett vorbrängen,‘ fagte 
Quarez, „ſo Haben wir Escobedo an unjerer 
Flanke und PBorfeirio Diaz im Süden, der wahr: 
lid) Mendez genug bejchäftigen wird — Mari: 
miliano Tann dabei noch Fein ordentliches Heer 
auf den Füßen haben und hat es nicht, und wir 
find vielleicht im Stande, in gerader Richtung 
auf die Hauptjtadt zu marjchiren. Wer dieſe 
bat, hat das Land, und Alvarez in Guerrero jagt 
uns ja ebenfalls feine Hilfe zu.‘ 

‚„Marimiliano bat die Hauptitadt und bes- 
halb das Yand noch immer nicht,“ bemerkte Te: 
jada troden — „ich bin für ein langjames, aber 
ficheres VBorrüden, das ung feinen Bortheil aus 
Händen geben läßt, während wir doc allwöchent— 
lid) wenigjtens neuen Grund und Boden ge— 
winnen und den Feind dadurch immer enger 
einſchließen und von feinen Hilfsquellen ab— 
ſchneiden!“ 

„Miramon iſt von Mexico ausgezogen,“ ſagte 
Negrete, „und hat ſich, wie unſere Spione be— 
richten, mit einer Handvoll Leute nach Quere— 
taro hineingeworfen, um uns wahrſcheinlich den 
Platz ſtreitig zu machen. Ich glaube ſelber, 


96 


wir thäten am beften, uns gar nicht mit Quere— 
taro aufzuhalten, jondern direct auf bie Haupt 
ſtadt zu marſchiren.“ 

Juarez war aufgeſtanden und hinaus auf 
den Balcon getreten, von wo er die Ausſicht 
über die flachen Dächer der Stadt nach den da— 
hinterliegenden Hügeln hatte. 

„Was ſind das für Reiter,“ rief er da plötz— 
lich, „die dort über die Höhe ſprengen? Was 
iſt das für ein Lärm und Aufruhr in der Stadt 
ſelber?“ 

Negrete war im Nu an ſeiner Seite, aber 
ſchon tönte ihnen von unten herauf der Ruf ent— 
gegen: „Der Feind! der Feind! — Die Kaiſer— 
lichen! — Heilige Jungfrau! wir ſind ver— 
loren!“ | | 
Wie ein Wetter jagten dort drüben wilde 
Zanzenreiter am Hang hin — mehr und mehr, 
ein Schwarm folgte dem andern, und es war 
feinem Zweifel mehr unterworfen, daß von 
irgend einer feindlichen Partei ein Angriff auf 
die Stadt felber unternommen wurbe. 

Die Sitzung war im Nu aufgelöft — bie 
Dfficiere jprangen die Treppe hinab nad ihren 
Pferden, und Juarez, noch unjchlüjjig, was er 
tbun — bier die Entjcheidung abwarten ober 


97 


jelber auf Flucht denfen ſolle — folgte ihnen. 
Um Lerdo und die Uebrigen kümmerte fi Nie— 
mand mehr. — Uber es blieb ihnen audy wahr: 
ih nicht lange Zeit, denn Miramon, an der 
Spige feiner Lanzenreiter, den blanfen Säbel 
in der Kauft, befand fih ſchon früher in der 
gar nicht einmal befejtigten Stadt, ehe die dort 
liegenden Truppen nur an Widerſtand denken 
fonnten. 

Selbit im Angeficht des Feindes, der mit 
donnernden Hufen die Straße herunter fprengte, 
warf ji) der Präfident Juarez auf eins der 
DOfficierpferde, die noh am Regierungsgebäubde 
angebunden jtanden, jtieß ihm die Eporen in 
die Seite und floh in wilder Flucht die Straße 
hinab — ihm nad) die Reiter. Miramon jelber 
hatte ihn erfannt, jo nahe waren fie ſchon ge= 
fommen, und mit dem Rufe: „Juarez!“ den 
Säbel in der Redten, einen Revolver in der 
Linken, fein Pferd nur nody mit den Schenfeln 
lenfend, fchien fein Rappe mit ihm die Straße 
dahin zu fliegen. Aber Juarez kannte hier Orts— 
gelegenbeit, oder er wäre dem flüchtigen Rappen 
nie entgangen, und welden Einfluß jein Tod 


an diefem Tage auf das Fünftige rn bes 
Fr. Gerftäder, In Merico IV. 





98 


Kaijerreich8 gehabt haben möhte — wer fann 
es jagen?! 

Miramon hob fchon die Iinfe Hand, um mit 
einem Revolverihuß das Pferd des Präfidenten 
oder den Präjidenten jelber — was fümmerte 
e8 ihn, in den Staub zu werfen, da glitt Juarez 
mit feinem Thier in eine enge Geitengajle ein, 
und gewann dadurch, ohne daß Miramon die 
Zügel des eigenen XThieres greifen und ihm 
folgen fonnte, einen, wenn aud Eleinen Por: 
ſprung durch die Seitengafje, bier aber erreichte 
der Flüchtige zugleich den Hang, an dem bin er 
ſchräg hinauf floh, und der Zufall — wenn wir 
einen Zufall wollen gelten lajjen, hatte es ge: 
fügt, daß er ein tüchtiges, an jolden rauhen 
Boden gewöhntes Pferd gefunden. 

Miramon war viel befjer beritten al& er, 
aber ihn trug ein Pferd aus dem flachen Lande, 
und fo raſch er den Gegner damit in ber Ebene 
eingeholt haben würde, bier gewann Juarez an 
Raum, und der tapfere junge General, jeßt 
überall von anderen Flüchtigen des Feindes ſchon 
umgeben, mußte die koſtbare Beute im Stide 
laffen, um nicht ſelber abgejchnitten und ge 
fangen zu werben. 

Der Sieg war übrigens vollftändig. Außer 








99 


einer Mafje Gefangenen madten bie Kaijerlichen 
aud eine nicht unbedeutende Beute an Kriegs: 
material und Provifionen, wie denn auch die, 
allerdings ſchwache Kriegskaſſe des Präfidenten 
in ihre Hände fiel. 

Schlachtenglück — drei Tage jpäter traf Mi: 
ramon auf Escobedo's ganze Armee und wurde 
jo gründlich gefchlagen, day er fich wieder nad) 
Queretaro wenden mußte, um nicht ganz auf: 
gerieben zu werden. Zwar erfodht er noch einen 
Sieg über eine andere Schaar Republikaner, die 
er unterwegs antraf, aber feine Truppe war 
doch demoralijirt, und er burfte nicht wagen 
es weiter im offenen Felde mit dem an Zahl 
jo weit überlegenen Gegner aufzunehmen. 

Bei diefem Sieg Escobedo's war es, daß ber 
Juariſtiſche General 109 fremde gefangene Sol: 
daten in echt blutiger mexicaniſcher Weije er— 
ſchießen ließ, unter dem Vorwand, daß die In— 
tervention vorbei ſei und er alle Fremden 
als Banditen behandeln werde.*) 


*) Es ift Das eine Aeußerung, die fpäter die Runde 
durch alle europäifhen Zeitungen machte und dieſe das 
Schlimmſte für alle im Land anfäffigen Fremden fitrchten 
ließ. Escobedo bewies fpäter bei Queretaro, daß er fo blut- 
dürftige Gefinnungen nicht bege. ! 

| * * 
* 


7* 


100 


Der Minijterratö war in der Hauptjtadt ver: 
jammelt, und den Herren fing es an jchmwül in 
der neuen Ordnung der Dinge zu werben. 

Damals, als ihnen nur daran lag, den Kaiſer 
zu überreden, nad) der Hauptjtadt zurüdzufehren, 
damit fie felber nicht die Verantwortung eines 
zertrümmerten Reiches trugen, hatten fie wahr: 
lih mit ihren Berfprehungen nicht gegeizt, und 
bon Padre Filher, wie Miramon und Marquez 
veblich dabei unterftüßt, gelang es ihnen aud, 
den Kaifer, mit jedem Mittel, das ihnen zu 
Gebote jtand, in ihr Net zu loden. 

Monate waren aber vergangen und Nichts 
gejchehen in der ganzen Zeit, als daß ein paar 
Taufend Soldaten im Felde ftanden. Dabei 
fehlte es an Allem. Goldene Berge hatte be 
ſonders Padre Filcher zugefagt, die ganze Schatz— 
fammer ber Klerifalen, die dem Kaifer zu Ge: 
bote ſtehen jollte, und jedes Tauſend Thaler 
mußte mühſam zujammengetragen werden, wo 
man Millionen gebraudyt hätte, um nur bie 
Hälfte des Verſprochenen zu erfüllen. 

Zugleich fing der Kaifer an die Unmöglich— 
feit eines Congrefjes einzufehen, da er barin 
auch von Feiner Seite unterftüßt wurde, ja jo: 
gar Beweiſe in Händen hielt, wie beide Parteien, 


101 


Klerifale jowohl als Confervative, demjelben, 
troß gegebenen Worts, direct entgegen arbeiteten. 

Und böje Nachrichten dazu aller Art: General 
Mendez hatte Morelia und Micyvacan, von Por: 
feirio Diaz bedrängt, räumen müſſen; Alvarez 
rüftete in Guerrero ein Heer; dicht bei Vera— 
Cruz in Mevdellin ſtanden ſchon die Republikaner, 
und nah Miramon’s legter Niederlage im Nor: 
den gewann Escobedo’s Heer auch, mehr und 
mehr Macht und Ausdehnung. 

Die Minijter waren jelber in Verzweiflung, 
aber nicht etwa des Kaijers wegen — was küm— 
merte jie Marimilian, der fremde Fürftenjohn, 
und hätten fie jich Frieden und Macht mit jeinem 
Tod erfaufen können, nicht einen Augenblic 
würden fie gezögert haben. Über wie dann, 
wenn er jetzt — gereizt und verjtimmt und von 
allen Seiten getäuſcht, nun doc endlich das Land 
verließ und ſie preisgab. Um ihn verdient 
hatten jie es gewiß, und jie begriffen jelber nicht, 
daß er jo lange bei ihnen ausgehalten und immer 
ihren Berjprehungen und Zufiherungen glau: 
ben fonnte. — Es war unbegreiflid. 

Der Minijterrath hielt jih, wie vorerwähnt, 
in der Hauptjtadt verfammelt, und Lares, ber 
jhlaue Mericaner, der ſich bis jet mit allen: 


102 


möglichen Ausflüchten und Hinzögerungen durch— 
gewunden, hatte eben mit feinen Genofjen über- 
legt, wie man bejonders die Kirchenpartei zu 
Geldvorſchüſſen bewegen könnte, die ſich dahin 
noch immer weigerte, weil der Kaifer bis jet 
fein bejtimmtes Geſetz zur Löſung der Rechts— 
frage über die Güter der Todten Hand erlaffen. 
Da öffnete ſich plößlich die Thür, und die Herren 
fuhren merklich bejtürzt von ihren Sitzen empor, 
denn auf der Schwelle ſtand der Kaiſer und bes 
trachtete ſich ftill und jchweigend, die Hände auf 
den Rüden gelegt, das Concilium. 

„Majestät, jagte Yares, der fich zuerſt faßte, 
indem er mit feiner friechenden Freundlichkeit 
auf den Kaijer zuging — „wir find eben im 
Begriff zu berathen, wie wir den Staatsſchatz 
am rajcheiten füllen können.“ 

„Damit haben Sie fi lange bejchäftigt, 
jagte der Kaifer troden, „ohne bis jeßt zu einem 
Rejultat zu gelangen — aber Sefiores, das muß 
anber8 werden, denn ich fange an die Ges 
duld zu verlieren.” 

„Majeſtät können verfichert fein, daß wir —“ 

„Noch weiter fortberathen werben, bis ber 
Staat zu Grunde gegangen iſt,“ unterbrady ihn 
der Kaiſer ftreng — „wir jtehen jet am Rande 





103 


eines Staatsbankerotts, und ich bin nicht ge= 
jonnen, den, müſſig die Hände in dem Schooß, 
abzuwarten. Sie haben doc jedenfalls gehört 
wie e8 im Lande zugeht? — Sie wiljen babei, 
was Sie mir verfproden und unter welchen 
Bedingungen ih Ahnen wieder bicrher ge= 
folgt bin 9’ 

„Majeftät Fünnen verfichert fein, daß wir 
nit allen Kräften für Sie zu wirken juden, 
und ich glaube feit, dag ſich noch Alles gut ge— 
jtalten kann.“ 

„So lafien Sie Ihren Rath hören,” jagte 
der Kaifer, indem er fich auf einen leer jtehen= 
den Stuhl warf, während ihn die Minifter noch 
umftanden. Er war gereizt und fühlte, daß bie 
Rüdfichten ein Ende haben mußten. 

„Das MWichtigjte iſt,“ ſagte Lares, „daß 
Juarez' Heer im Norden gejprengt oder ver: 
nidhtet wird.‘ 

„Aber wie?’ frug der Kaijer mit einem bit- 
ter jarfoftiichen Zug um den Mund — „viels ° 
leicht gingen die Herren auseinander, wenn Gie 
Ihre Verſprechungen auch auf die Liberalen aus: 
dehnen wollten.‘ 

„Majeſtät thun mir Unrecht,“ fagte Lares 
mit gefränftem Chrgefühl. „Die heilige Junge 


104 


frau weiß, wie ich gearbeitet und mich gemüht 
babe, um Euer Majeſtät zu dienen, aber be 
denfen Sie die Furze Zeit. Es ift Alles vor: 
bereitet.‘ 

„Gut — gut — id will Ihnen glauben — 
und Ihr Rath jetzt?“ 

„Majeſtät,“ ſagte Lares nad einer furzen 
Paufe, „unjere Generale find vortrefflid — 
bejiere Führer als Miramon und Mejia bat 
Merico nicht aufzumeilen, aber — Sie Eennen 
unſere Soldaten, die in den fteten Nevolutionen 
auch gewohnt gemwejen find, von einer Partei 
zur andern überzumwechieln. Sie find unzuver: 
läjfig bis auf den legten Mann, weil ihnen bie 
Begeijterung für die Sache fehlt, und die ver: 
mag nur Eins ihnen zu geben.‘ 

„Und das iſt?“ ſagte Marimilian gejpannt. 

„Die Gegenwart Euer Majejtät bei ber 
Armee,‘ erwiederte Lares entſchloſſen. 

Marimilian jah ihn groß und überrajcht an. 
Es war ein bingeworfenes, perfides Wort 
vielleicht — der Wunſch des ſchlauen Mericaners, 
ben Kaifer in das innere Land zu dirigiren und 
feiner Perſon dort ficher zu fein — vielleidt 
auch wirklich die Hoffnung, daß fein Einfluß bei 
der Armee diefe zu größeren Anftrengungen treis 


= 2 
— 


105 


ben würde — aber es hatte in des Kaiſers Seele 
gezündet, und Marimilian erfaßte rajch den Ge— 
danken, der ihn aus diefem müſſigen Leben banger 
Zweifel auf einmal und mit einem Schlag zu 
Thaten, zum Handeln treiben jollte. 

„Rah Queretaro!’ rief er und jprang von 
feinem Stuhl empor — „nad Queretaro — an 
die Spite der Armee, die eigene Kraft an dem 
Feind verfuhhen! Er ging mit raſchen Schritten 
in bem Saal auf und ab — „nach Queretaro!“ 
Und plötzlich vor Lares jtehen bleibend, ſagte er 
mit fejter, entjchlofjener Stimme — ‚und glau: 
ben Sie mir die Mittel dazu verichaffen zu 
fönnen 2° 

‚Aber wie dürfen Majeftät nur daran zweis 
feln,“ erwiederte der Minifterpräfident, dem ſich 
bei der Frage eine Laft von der Seele wälzte, 
denn das drohende Gewitter war für heute ab: 
gelenkt, und morgen? ‚‚que madana,” was küm— 
merte ihn der morgende Tag, der mochte für jich 
jelber forgen. 

Und Marimilian’s Geilt war in der That 
auf eine andere Fährte gebracht. Er vergaß ben 
Congreß, den er bis dahin als einzige Möglich: 
feit feines ferneren Bleibens in Merico hinge— 
ftelt. Die Erbitterung über die Xreulofigfeit, 


106 


die ihn von allen Seiten umgab, mochte wohl 
auch eine Haupttriebfeder gewejen fein, daß er 
ſich aus feiner bisherigen Lethargie emporrüttelte; 
aber er wollte handeln, er wollte mit dem Schwert 
beweijen, daß er im Stande fei, die gegen das 
Kaiferreich andrängende Revolution zu zücdhtigen. 
Der alte Stolz der Habsburger erwachte in ihm, 
und mit blißenden Augen rief er aus: 

„Sie haben Recht, Lares, Sie haben Recht — 
da liegt eine Möglichkeit — und eine Mög: 
lichkeit in meine Hand gegeben. Hier ift Et: 
was, wo id nicht immer und ewig von bem 
guten und böjen Willen Anderer abhängig bin 
— bier fann ich jelber handeln, jelber eingrei: 
fen. Nah Queretaro! Treffen Sie alle nöthi: 
gen Vorbereitungen; ich werde mich jelber an 
die Spite der Armee ftellen. Aber Zeit ift babei 
nicht zu verfäumen — nicht Ihre gewöhnlichen 
Mahnungen: pacienecia — paciencia. Meine 
Geduld ift erihöpft — erjhöpft bis zum legten 
Tropfen binab, und das Schickſal des Reiches 
jowohl als das meine muß fich entjcheiden.” 

„Majeſtät können fich feſt darauf verlaffen,” 
ſagte Lares — „heute haben wir den 9. Februar 
— am 12. Morgens können Sie an der Spige 
Ihres Heeres die Stadt verlaffen — fo weit Geld 





ı 2 
— 
— 


107 


wenigftens im Stande ift alle Ihre Bebürfnifie 
zu befriedigen.‘ 

„Schaffen Sie nur Geld, Lares,“ nidte der 
Kaifer — „alles Uebrige wollen wir jchon be— 
forgen, aber diesmal Wort halten,‘ jeßte er mit 
dem Finger drohend Hinzu. „Ich will Ihnen 
folgen, und Sie können fi darauf verlafien, 
daß ich das Begonnene durchführe, oder dabei 
untergehe; aber ich verlange dafür aud) jegt von 
Ihnen jede in Ihren Kräften ftehende Unter— 
ftüßung, oder — wir find eben die längjte Zeit 
Freunde geweſen“ — und fi) abwendend, ver: 
ließ Marimilian, ganz von dem neuen, ihn feſ— 
jelnden Gedanfen erfaßt, den Eaal, nicht etwa 
um ſich mit feinem Cabinet darüber zu beratben, 
jondern nur im eigenen Herzen den Entichluß 
noch einmal zu erwägen. Zu erwägen? es blieb 
ibm ja feine andere Wahl: entweder mußte er 
jest, von feinen treuen Defterreichern und Bel: 
giern begleitet, flüchtig das Land verlafjen, oder 
den enticheidenden Echlag jelber führen. Die 
Würfel waren gefallen:-Nady Queretaro ! 

In der Statt hatte fich indeflen wohl bie 
Kunde verbreitet, daß Verftärfungen nad Que: 
retaro gejandt werden jollten und General Mar: 
quez jelber mit ausmarſchiren würde; aber daß 


108 


der Kaifer fih an die Epige der Armee ftellen 
wolle, davon ahnte fein Menſch Etwas, ja man 
hielt es nicht für möglich, daß er überhaupt die 
Stadt verlafjien und die Regierung gerade in 
dieſer fritiichen Zeit anderen Händen übergeben 
fönne. Das Gerücht, der Kaifer wolle nad 
Queretaro, lief allerdings in vertrauten Kreijen 
um, wurde aber nicht geglaubt; wußten body) bie 
öjterreichiichen Dfficiere gar nichts davon, und 
biefen wäre doch vor allen Anderen Kunde ge— 
worden. Was erzählte fi das Volk nicht Alles 
in diejer Zeit; e8 jchien das eben nur ein Mär: 
hen wie taujend andere mehr. 

Sndejjen.war in Merico auch ein deutſcher 
Dfficier Prinz Salm:Salm mit feiner Gattin 
eingetroffen, der den amerifanijchen Krieg mit 
gemacht, das unthätige Friedensleben bort aber 
dann fatt befommen und fchon vor einiger Zeit 
dem Kaiſer jeine Dienfte angeboten hatte. Er 
wurde aud angenommen und machte einige 
Streifzüge gegen den Feind mit; jeßt aber wie: 
der außer Dienft, war 28 fein jehnlichjtes Ber: 
langen, den Kaifer begleiten zu dürfen. Er hatte 
ebenfalls das Gerücht gehört und bat augen= 
blicklich den preußiſchen Geſandten, Baron Mag: 
nus, ſich in dieſem Sinne für ihn zu verwen— 


109 


den. Der Baron fam feinem Wunjche mit 
Bereitwilligfeit nad), wurde aber abjchlägig be— 
ſchieden. 

Unterdeſſen war der 12. Februar herangerückt 
und es zur Gewißheit geworden, welchen Plan 
Maximilian gefaßt; aber noch immer hatte das 
Minijterium, troß unausgejegten Verſprechungen, 
nicht einmal die nothwendigiten Gelder herbei- 
Ihaffen können, und dabei befanden ſich die öfter: 
reichiſchen Officiere in faſt fieberhafter Aufre— 
gung, denn ihnen war noch keine Ordre gewor— 
den, ſich zu rüſten, und es hieß ſogar, der Kaiſer 
wolle ſich jetzt, wo die Franzoſen abgezogen ſeien, 
auch einzig und allein nur von mexicaniſchen 
Generalen und Soldaten umgeben wiſſen und 
ſeine beſten und treueſten Truppen, die Deut— 
ſchen, in der Hauptſtadt zurücklaſſen. 

Der Kaiſer befand ſich im Palaſt, ungeduldig 
und erbittert gegen ſeine Miniſter bis zum äußer— 
ſten, da ſie ihm nie ihr Wort hielten, und alſo 
auch jetzt noch kein Geld herbeigeſchafft hatten, 
als ſich Graf Khevenhüller bei ihm melden ließ. 
— Er zögerte einen Moment, aber er wußte 
aud genau, was der junge und wadere Chef 
der Hujaren von ihm wollte, und doch Fonnte 
er ihm nicht willfahren. Der Graf trug ihm 


110 


auch jein Anliegen mit bemwegter Stimme vor. 
Was war ihnen Allen Merico; nur des Kaijers 
wegen hatten fie bier ausgehbalten, um ihn mit 
ihren Leibern und Schwertern zu deden, wenn 
ihm Gefahr, drohe und dieje mit ihm zu theilen, 
aber nicht thatenlos bier zu barren, während er 
dem Kampf entgegenginge. Für was Anderes 
fonnten fie gelten als gewöhnliche Landsknechte, 
jobald er jie bier in der Hauptitadt lieg — ihr 
Dienft hatte dann feine Weihe verloren. 

Der Kaijer war jelber gerührt, aber mit fejter 
Stimme erwiebderte er: 

„Lieber Khevenhüller, wenn ich meinem Her: 
zen folgen dürfte, jo glauben Sie mir ficher, 
daß ich Sie und Ihre wadere Truppe nicht zurüd: 
ließe, aber einestheil® muß ih die Hauptitadt 
in treuen Händen wiffen, wenn ich dort draußen 
rubig und forgenfrei für mein Recht einjtehen 
fol, und dann — muß ich mich jeßt allein als 
Mericaner zeigen, wenn ich das Vertrauen des 
mericanifchen Volkes gewinnen will. Ich laſſe 
alle Europäer bier zurüd — jelbft dem Prin— 
zen Salm babe ich nicht gejtattet mich zu beglei— 
ten. Ich will mid ganz in ihre Hände geben, 
um ihnen zu beweijen, wie ich ihnen vertraue. 
Vertrauen erwedt Bertrauen.‘ 


411 


Khevenhüller jchüttelte traurig mit dem Kopfe. 
„Nicht bei dieſem Boll, Majeſtät,“ ſagte 
er — „ſie ſind falſch und treulos. Geben Sie 
ſich nicht in ihre Hände, denn eben ſo wenig Dank— 
barkeit wie Erbarmen haben Sie von ihnen’ zu 
erwarten.” 

„Sie find zu hart in Ihrem Urtheil, Kheven— 
büller” — ſagte der Kaifer freundlihd — „es 
giebt noch wadere Leute unter ihnen. Nehmen 
Sie meinen alten Mejia, den ich in Queretaro 
finde — nehmen Sie Lopez. Selbſt Marquez, 
jo wild und blutdürſtig er fein mag, hält feit 
zu ung — Wenn es nöthig fein jollte, laſſe ich 
Sie nachkommen, verlaffen Sie fih darauf.” 

„Ah, wenn Sie meiner Bitte Gehör geben 
wollten, Majejtät — in einer Stunde Eönnten 
wir gerüjtet fein.‘ 

„Es geht nit — e8 gebt nit und — ift 
feſt beſchloſſen,“ entgegnete der Kaifer, „ſagen 
Sie das Ihren Kameraden. — Ich werde Ahr 
Wohl ſtets im Auge behalten, weil ich weiß, daß 
ih in der äußerſten Noth immer noch eine feite 
Stüge an Ihnen habe. — Ich darf ja auch nicht,“ 
legte er Hinzu, „alle meine Kräfte auf einmal 
in’s Feld führen, und glaube wohl zu thun, 
wenn ich mir die beiten zur Rejerve aufbewahre.“ 


112 : 


Un dem nämlichen Abend brachte endlich das 
Minijterium, wo es Millionen verjprocdhen hatte, 
mit größter Mühe etwa 50,000 Peſos zu: 
jammen, und am nädften Morgen brady ber 
Zug, mit dem Kaifer an der Spite, nah Que— 
retaro auf. 

Die Deutſchen und Belgier blieben zurüd, und 
nur Prinz Salm, praftijch und unermüdlich dem 
einmal gejtedten Ziel nachjtrebend, hatte e8 mit 
des Baron Magnus Hilfe ermögliht, nod in 
ber leßten Stunde dem Stabe des General Bis 
baurri, der dem Kaifer folgen follte, zugetheilt 
zu werben. 

Padre Fijcher war in der Hauptitabt zurück— 
geblieben. 





5. 
In Querétaro. 


Mit Jubel wurde der Kaifer in Queretaro 
jelber empfangen, denn die Stadt war gut kai- 
jerlih gefinnt. Sie gerade, die fih durd einen 
großen Gewerbfleiß auszeichnete, brauchte und 
verlangte Ruhe und Ordnung, und wußte recht 
gut, daß Beides unter den republifanischen 
Wirthichaften nicht möglich ſei; von dem Kaijer- 
teih dagegen erhoffte fie eine DBefjerung und 
hatte ſchon früher den Faiferlichen Herrn lieb: 
gewonnen, als er fie auf feiner erjten Reiſe 
befuchte,. Wohin Marimilian aud) fam, gewann 
er ja Alles durch fein einfaches, offenes und un: 
verfennbar redliches Wejen für ji. 

„Queretaro,*) eine Stadt von 40,000 Ein= 


*) Doctor Baſch: „Erinnerungen“, 
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. ' 8 


114 


wohnern, bildet ein in jchräger Richtung von 
Nordojt nah Südweſt Liegendes Rechteck. Ent— 
lang der nördlichen Seite fließt der Rio-Blanco, 
ein Fleiner, aus der Sierra Gordo kommender 
Fluß. Nur gegen Weiten jchliegt ſich die Stadt 
an eine weit ausgedehnte Ebene, weldye im Hinter 
grund mit den Bergen von Guadalajara abge= 
Ichlofien wird. In einem ſpitzen Bogen um die 
Stadt, der nur an einer Stelle durhbroden 
wird, wo der Rio-Blanco fein Bett geebnet hat, 
liegen in der Richtung von Süd nad Norboit: 
der Gimentario, die Euejta china, die Loma de 
gareta und die Kanada — nördlich und weſtlich 
La Cantera und San Pablo. Der Stadt näher 
und parallel mit San Pablo ijt der Hügel 
San Gregorio, das wejtlihe Ende bildet der 
Hügel Jacal. 

„Mitten aus der Deffnung diejes Gebirgs- 
bogens erhebt fih am wejtlihen Ende der Stadt 
der Gerro de las Campanas. Bon bier aus 
überblidt man, gegen Norden gewendet, ben 
San Gregoriv, San Pablo a la EContira, rechts 
die Stadt mit dem fih am Äußerjten Ende erhe— 
benden Klojter Eruz und hinter diefem die Cueſta 
hina — links die Ebene von Guadalajara.‘ 

Alle diefe Höhen waren während der Bela- 


115 


gerung vom Feind bejegt, mit Ausnahme bes 
Gerro de las Campanas und des am öſtlichen 
Ende der Stadt auf einem Felſen erbauten Klo» 
ſters Cruz. 

Soweit die Einzelheiten der Stadt. Im 
Ganzen eignete ſich aber, wie man daraus er— 
ſehen kann, wohl kaum ein Platz in ganz Mexico 
weniger dazu, eine Belagerung darin abzuwar— 
ten, als gerade Queretaro, denn in dem Thal— 
keſſel lag es faſt rings von Bergen eingeſchloſ— 
ſen und den Geſchützen der Belagerer vollkom— 
men preisgegeben. — Aber den Fehler theilte es 
auch mit faſt allen übrigen Städten des Landes, 
und Queretaro, das als „Schlüſſel von Mexico“ 
galt, ſollte nun einmal gehalten werden. 

Der Kaiſer hatte jetzt die Führung des Gan— 
zen übernommen und umſichtig wie thätig zeigte 
er ſich dabei, und traf alle möglichen Vorberei— 
tungen, um den Ort ſo gut und vortheilhaft als 
möglich zu befeſtigen. Draußen aber auf den 
umliegenden Höhen fingen die Truppen der Li— 
beralen an ſich zu ſammeln, und es dauerte auch 
in der That nicht lange, bis ſie einen gemein— 
ſamen und heftigen Sturm gegen die ſchon faſt 
eingeſchloſſene Stadt verſuchten — das bekam 
ihnen aber übel. Durch die Tapferkeit der 

8* 


116 


Führer, bejonders bes alten Indianers Mejia, der 
die Gavallerie befehligte, wie des Prinzen Salın, 
dem der Kaiſer die Führung der Cazadores 
(Säger) übertragen hatte, wurden fie in glän— 
zender Weiſe zurüdgejchlagen. 

Wieder und wieder verſuchten ſie nun wohl 
Eingang zu gewinnen, aber wieder und wieder 
mußten ſie ſich mit Verluſten zurückziehen, doch 
— die Siege wurden nie verfolgt. Obgleich be— 
ſonders Mejia dahin drängte, wußte Marquez, 
auf den der Kaiſer außerordentlich viel gab, je— 
den ſolchen entſcheidenden Schlag zu vermeiden, 
und die Liberalen behielten immer wieder Zeit 
ſich zu erholen und auf's Neue zu ſammeln, wäh— 
rend die Belagerten Truppen verloren, die 
ſie nicht wieder erſetzen konnten. 

Was für ein buntes, reges Leben herrſchte 
indeſſen in dem ſonſt ſo ſtillen Queretaro, und 
man hätte kaum glauben ſollen, daß man ſich in 
einer engbelagerten Stadt befand. Aber der gute 
Muth der kaiſerlichen Truppen trug daran die 
Schuld, denn wo man auch noch mit dem Feind 
zuſammengetroffen war, hatte man ihn geſchlagen, 
und dadurch bekamen die Soldaten nicht allein 
ein Gefühl der Ueberlegenheit, ſondern auch der 
Sicherheit, inſofern ſie ſich jeden Augenblick be— 


117 


wußt waren, einen Ausgang aus ber Stadt, 
wenn jie diefelbe einmal verlafen wollten, 
auch foreiren zu Eönnen. 

Aber eine Verſtärkung der Garnijen jchien 
troßdem nöthig, und Weiſung war jchon vor 
längerer Zeit an das Minijterium nach Merico 
gegangen, um die fremden Truppen, bejonders 
Graf Khevenhüller’s Hufaren mit Baron Ham— 
merſtein's Bataillon und der gezogenen Batterie, 
nad Queretaro zu fenden und dann einen ent= 
Iheidenden und zugleich vernichtenden Schlag 
gegen Escobedo’8 Armee zu führen; doch fie 
famen nicht und ber Kaiſer fing an ungeduldig 
zu werden. 

Un der Plaza befand jih ein von einem 
Franzoſen gehaltenes Kaffeehaus, in und vor 
dem ſich die Officiere gewöhnlich zufammenfan= 
ben, um Neuigfeiten zu hören oder mit einan= 
ber über die Tagesereigniffe zu plaudern. War 
man doch ſtets ficher, dort wenigjtens irgend wen 
zu treffen, mit dem man ſich ein Stündchen uns 
terhalten konnte. 

Bor dem Kaffeehauje aber jchräg über die 
Plaza hinüberjchneidend gingen zwei mericanifche 
Dfficiere im eifrigen Gefpräh auf und ab — 
e8 war General Marquez und Obriſt Lopez, 


118 


und Marquez’ überdies finjteres und höchſt un 
ſympathiſches Geſicht Hatte ſich Heute in nod 
dunflere Falten gezogen, während Obriſt Lopez, 
ber ihn fait um eine Kopfhöhe überragte, bie 
Sade, um die e8 fich handelte, viel ruhiger zu 
nehmen ſchien und nur dann und wann einmal 
einen vorfichtigen, wie forjchenden Seitenblid nach 
feinem Begleiter binabwarf. 

„Alſo die Sache iſt feſt beſchloſſen?“ 

„Ja,“ nickte Marquez, „im Kriegsrath wur— 
den die verſchiedenen Anträge vorgenommen, ob 
und in welcher Weiſe wir einen Rückzug bewerk— 
ſtelligen, vder uns in Queretaro halten wollen. 
Ich ſtimmte natürlich mit Mejia für das Letztere 
— auch Miramon war dafür. Ferner wurde 
beſchloſſen, daß ich mit Vidaurri nach Mexico 
durchbrechen ſolle, um Verſtärkungen herbei zu 
ziehen, welche die Herren da drinnen nicht von 
ſelber ſchicken wollen.“ 

„Und werden Sie gehen?“ 

„Gewiß —“ 

„Und wieder zurückkehren?“ Die Frage war 
nur leicht hingeworfen und Lopez ſah dabei ruhig 
und unbefangen vor ſich nieder, als ihn der 
raſch zu ihm aufgeſchlagene Blick des Generals 
traf. 


119 


„Wie meinen Sie das, Obrift?” frug er 
ſcharf. 

„Oh nur, ob Sie die Verſtärkungen ſelber 
herführen oder indeſſen den Oberbefehl in Mexico 
übernehmen werden,“ ſagte Lopez, „oder iſt 
vielleicht General Vidaurri dazu beſtimmt? In 
letzter Zeit hat der Kaiſer ſo häufig mit ſeiner 
Regierung gewechſelt, daß man nie vorherſagen 
kann, was geſchieht.“ 

„Ich werde ſelber zurückkehren,“ erwiederte 
Marquez‘, durch die Antwort wie es ſchien be— 
ruhigt — „wenn ſich — der Kaiſer nämlich hier 
ſo lange halten kann; denn wie ich von Ueber— 
läufern gehört, iſt eine andere ſtarke Colonne 
der Liberalen im Anzuge — ich glaube Riva 
Palacio's Armee. Wir werden hier, ſelbſt mit 
den Fremden, alle Hände voll zu thun be— 
kommen.“ 

„Und der Kaiſer,“ ſagte Lopez nachdenkend, 
„ſetzt ſich dabei der Gefahr fortwährend auf eine 
faſt unbegreifliche, jedenfalls thörichte Weiſe 
aus. In den am ſchärfſten beſchoſſenen Stellen 
verkehrt er mit einer Unbefangenheit, als ob er 
ein gefeites Leben hätte. Wenn er fiele, was 
würde dann?“ 

Marquez ſchwieg und ſah ſtill und brütend 


120 


vor fih nieder — ob er feinem Begleiter nicht 
traute? — ob ihn die eigenen Gedanken joweit 
bejchäftigten? — und Lopez fuhr lächelnd fort: 

„Es iſt nit unwahrſcheinlich, daß es dann 
einen Streit unter ben Generalen um die Ober: 
berrijchaft gäbe — Miramon iſt ſehr ehrgeizig, 
aber — bei Einigen nicht beijonders beliebt — 
Mendez haft ihn.‘ 

„Ich begreife Miramon überhaupt nicht,” 
jagte Marquez wieder nad einer furzen Pauſe 
und fajt wie mit fich ſelber redend — „ob er 
auf etwas Derartiges jpeculirt? — aber er fönnte 
ih da verrechnet haben. Fällt ver Kaijer, jo ift 
bie Armee vemoralifirt, und er jelber muß wiſſen, 
daß er feinen größeren Feind im ganzen Land 
hat als Juarez.“ | 

„Er jtüßt fh auf den Klerus.’ 

„Der ihm verwünjcht wenig in Queretaro 
nüßen würde. Wiffen Sie, Lopez, daß Santa 
Anna wieder unterwegs nah Merico iſt?“ 

‚„Caramba!” rief der Obrijt erjtaunt aus, 
„daß er fi nur nicht die Finger verbrennt, denn 
ich glaube, der Kaiſer würde wenig Umjtände mit 
ihm machen.“ 

„Der Kaiſer thäte ihm Nichts,‘ ſagte Marquez 
verädhtlih, „und wenn er ihn heute zum Ge— 


121 


fangenen hätte — er ſchickte ihn höchſtens wieder 
fort. Das ift auch feine Kriegführung, wie er 
fie treibt. Alle diefe Führer, Escobedo, Eortina, 
PBorfeirio Diaz und viele Andere noch hatte er 
in jeiner Gewalt, aber anjtatt fie unſchädlich zu 
machen, ließ er fie wieder laufen und muß jeßt 
dafür bezahlen.’ 

„Und was glauben Sie, daß mit uns ge= 
Ihähe, wenn Escobedo die Stadt mit Sturm 
naͤhme?“ 

„Das will ich Ihnen nicht wünſchen,“ ſagte 
Marquez trocken, „denn Sie würden nie Gele— 
genheit bekommen die Sache ſpäter zu erzählen.“ 

„Glauben Sie wirklich?“ 

„Ich bin es feſt überzeugt — ebenſo,“ ſetzte 
er mit finſter zuſammengezogenen Brauen hinzu, 
„wie ich die Schufte ſofort erſchießen ließe, wenn 
ſie in meine Hände fielen.“ 

„Und wenn man ſich nun durchſchlagen könnte,“ 
ſagte Lopez nachdenkend. 

„Wenn es zur rechten Zeit geſchähe,“ erwie— 
derte Marquez mit ſcharfer Betonung der Worte, 
„ja. Der Kaifer hat aber wunderliche Begriffe 
von Ehre — Begriffe, die ihm bier in Merico 
noch großen Schaden thun werden. Er wird e8 
nie allein verfuchen, und da es mit ber ganzen 


122 


Armee im Kriegsrath abgelehnt wurde, werben 
Sie wohl aushalten müſſen.“ 

Wieder ſah Lopez den General von ber Seite 
an, ohne aber Etwas zu äußern — das Wort 
Sie Hang gar nicht, als ob er ſich jelber dabei 
mit inbegriffen halte. 

„Es ift doch ſonderbar,“ ſagte Lopez nad 
einer Weile, „daß das jekige Minifterium in 
Merico eben jo faul zu jein jcheint, als die frü— 
beren Liberalen. Uns haben fie Alles verfprochen, 
als fie den Kaifer zurüdhaben wollten, und was 
geſchieht jeßt? Gar nichts. _ 

„Das iſt die alleinige Schuld be Kaiſers 
ſelber,“ brummte Marquez, „er hat ebenfalls 
dem Klerus Verſprechungen gemacht und bis 
jetzt Nichts gehalten. Hob er, ſobald er nach 
ber Hauptſtadt zurückkehrte, die leyes de reforma 
direct auf, jo wußte der Klerus, woran er mit 
ibm war — jeßt trauen fie ihm nicht, bis fie erjt 
Beweife in Händen halten.‘ 

„Und die werben fie befommen, wenn er 
unterliegt und Juarez wieder im Land regiert. 
Nachher dürften fie die Folgen ihrer Saumjelig= 
feit bereuen.‘ 

„Das geſchieht nie, Lopez,‘ jagte Marquez 
raſch, indem er einen flüchtigen Blick umherwarf, 


123 


ob fie von Jemandem gehört werden Fönnten, 
„das geſchieht nie — dagegen find Vorſorgen 
getroffen.‘ 

„Und glauben Sie, General, daß Miramon 
ihm in der Regierung folgen. wird 2’ 

Der General jhwieg, endlich fagte er achjel- 
zudend: „Quien sabe — wunderlichere Dinge find 
geihehen und Miramon hat jedenfalls einen 
großen Anhang — wenn auch vielleicht manche 
Feinde. Die Klerifalen halten bejonders viel 
auf ihn, und es ift möglich, daß er es mit de: 
nen ehrlich meint.’ 

„Sie trauen ihm nicht recht ?” 

„sh weiß es nicht — ja und nein — er hat 
ih in der legten Zeit verändert und fcheint dem 
Kaijer treu anzuhängen.” 

„And thun wir das nicht Alle? erwiederte 
Lopez unbefangen. 

„Ja — gewiß, erwiederte zögernd der Ge: 
neral, „aber das Baterland geht wieder allem 
Andern vor und zu deſſen Beten müfjen wir 
eben Alles opfern — ſelbſt unfer eigenes Leben. 
Dod, amigo, die Zeit drängt — id habe noch 
viele Vorbereitungen zu treffen, um meinen etwas 
gefährlihen Marſch anzutreten.‘ 

„Wie viel Mann Escorte nehmen Sie mit?" 


124 


„Es iſt noch nicht bejtimmt, circa tauſend.“ 

„Das wird unſere Beſatzung ſehr ſchwächen.“ 

„Sie behalten noch immer über ſechstauſend 
zurück — alſo adios! — Halten Sie aber die 
Augen offen, denn ſo lange wir im Stande ſind 
die Stadt Mexico zu behaupten, haben wir nicht 
verloren und können, wenn wir wollen, den 
Kampf von Neuem aufnehmen.“ 

„Und keine Nachricht iſt von der Kaiſerin 
eingetroffen?“ 

„Bon der Kaiſerin?“ ſagte Marquez, „nicht 
daß ich wüßte. Nur kurz vorher, ehe wir Merico 
verließen, traf ein Bericht ein, lautete aber jehr 
böſe.“ 

„Der Kaiſer ſelber ſcheint ſich wenig darum 
zu kümmern,“ ſagte Lopez finſter, „ich habe ihn 
nie ſo heiter geſehen als gerade jetzt.“ 

„Menſchennatur,“ lachte Marquez, „er war 
niedergeſchlagen, wo er Nichts zu thun hatte. 
Jetzt, in voller Beſchäftigung, iſt die Kaiſerin 
längſt vergeſſen;“ und dem Obriſten einen Gruß 
zuwinkend, ſchritt er die Straße hinab, ſeiner 
eigenen Wohnung zu. 


* * 
* 





125 


In einer Seitenjtraße, nicht weit von ber 
Plaza, war Obriftlieutenant Jablonsky vom Re— 
giment der Kaijerin einquartiert. 

Jablonsky trug allerdings einen polniſch klin— 
genden Namen, war aber Bollblut Mericaner, 
jogar mit einer Fleinen Mifhung indianijcher 
Race, und entftammte jedenfalls der unterjten 
Shit der Bevölferung; aber er galt als der 
intime Freund des Obrijt Lopez, mit dem er 
Ihon viele Fährlichfeiten getheilt, war deshalb 
in deflen Regiment getreten und rajch, viel rajcher 
avancirt, al8 er es wohl feinen, überhaupt jehr 
zweifelhaften Verdienſten zuſchreiben fonnte. Es 
war ein roher, ungebildeter Burſche, — ein echter 
mexicaniſcher Soldat, wie ſie die ewigen Revo— 
lutionen in's Leben gerufen: tapfer, wo es das 
eigene Leben zu vertheidigen galt, aber ſonſt 
raſch bei der Hand, wo es zu plündern und zu 
brandſchatzen gab, und deshalb auch gar nicht 
mit der ſtrengen Disciplin in dem kaiſerlichen 
Heer einverſtanden. Lopez ſelber wenigſtens hatte 
oft Mühe genug, ihn von Ungehörigkeiten zurück 
zu halten. 

Jablonsky ſchien aber ſein rauhes Weſen in 
dieſem Augenblick ganz abgelegt zu haben, denn 
neben ihm, auf dem nämlichen Tiſch, auf deſſen 


126 


eine Ede er ſich halb geſetzt, war ein junges, 
bildhübjches, aber bleih und ernſt ausſehendes 
Mädchen damit bejchäftigt, die Wäſche des Kai 
jer8 und feiner nädjten Umgebung, bie jie zu 
bejorgen hatte, auszuplätten und zujammen zu 
legen. 

„Aber Mercedes,’ jagte der Obriftlieutenant 
vorwurfsvoll, „Du giebjt mir auf alle meine 
Tragen feine Antwort. Denkſt Du denn, Mäd— 
hen, daß ich es nicht ehrlich mit Dir meine?’ 

„sh kann Euch nicht in’s Herz ſehen,“ fagte 
das junge Mädchen ruhig, ‚‚aber ich bitt’ Euch, 
mic zufrieden zu lafjen. — Ob Ihr Ernſt macht 
over nicht, was kümmert's mih — habe genug 
gehabt von Euresgleichen.‘ 

„Caracho amiga,‘ lachte der Burjche. „Du 
Iprichjt ja verwünjcht vornehm; weißt Du, wel— 
hen Rang ich in der Armee habe?‘ 

„Weiß es nicht und brauch’ es nicht zu willen, ’“ 
jagte das Mädchen finfter,. „wenn es ein ein= 
facher Handwerfer wäre, ließe fih vielleicht 
ein Wort darüber reden — wenn aud nicht mit 
Euch.“ | 

„Hoho,“ lachte Jablonsky, „möchteſt wohl 
gar Kaiſerin werden? Nun, der Platz iſt bald 
frei, denn mit der Carlota geht's zu Ende.“ 


127 


„Schämt Euch, von der armen unglüdlichen 
Frau jo zu reden!‘ rief das Mädchen heftig — 
„habt Ihr je Menjchen wie biejes Kaijerpaar 
an der Spite Eurer Regierung gehabt? — Nie 
— denn hr verdient fie nicht; aber Dank darf 
ber Kaiſer troßdem nicht von Euch erwarten, 
denn er läßt Euch nicht rauben und plündern, 
‚wie Ihr's von je gewohnt gewejen.’ 

„Oaracho,“ ladıte der Herr Obrijtlieutenant, 
indem er ſcharf auf feinem Siß herumrückte. — 
„Mädel, Du haft eine fcharfe Zunge und weißt, 
daß Dir Nichts gefchehen kann — aber laß Du 
das den Obrijt hören.“ 

Das Mädchen warf veräcdtlich die Lippen 
empor, erwiederte aber fein Wort, ſondern fuhr 
in ihrer Arbeit fort, und Jablonsky's Augen 
hingen in ftiller Bewunderung an der jchlanfen 
und üppigen und dabei jo gejchmeidigen Gejtalt. 
Da verbunfelte plößlih der Körper eines Offi— 
ciers das Fenſter — e8 war Lopez, und auf einen 
Mint von ihm fprang Jablonsky von feinem 
Eiß auf und eilte nad ber Thür, ohne daß 
ihn Mercedes auch nur einen Blick nachges 
worfen hätte — was fümmerte jie der Officier 
— jie trug Haß und Bitterfeit im Herzen — 
feine Liebe. 





128 


„Kun, Obriſt, wie ftehen die Sachen?“ frug 
Jablonsky, als er hinaus auf die Straße fam 
— „etwas Neues 9 | 

„Ja,“ ſagte Lopez finfter, „aber ich weiß 
niht, ob es etwas Gutes if. Marquez gebt 
nad Merico.‘ 

-„Caracho! fol fih durchſchlagen?“ 

„sa, und Berjtärfung bringen — bie fremden 
Truppen.‘ 

„Sm — und wird er es thun?“ 

„Quien sabe, — id) traue ihm nicht — er 
bat fich ein paar Mal im Geſpräch verjchnappt. 
Wir werden wohl bier allein in der ZJalle jigen 
bleiben.“ 

„Angenehm,’ jagte Jablonsky, „und die Ye 
bensmittel werden fnapp, das Geld rar, und feine 
Gelegenheit, neues anzufchaffen. Ich wäre für's 
Hinausbreden. Wenn wir uns jeßt in einer 
andern Stadt feitjegen, fünnen wir wieder von 
born anfangen.‘ 

‚Und wie wollen wir die Geihüße mit fort: 
bringen? Es geht nicht.‘ 

„Hier in dem verdammten Neſt,“ jagte ber 
treue Freund des Obrijten, „paſſirt uns nod) ein 
Unglüd. Ich traue der Bande nicht. Wenn und 
Marquez im Stiche läßt, jißen wir fejt, und 





129 


nachher unter der liberalen Regierung dürfen 
wir ung nur nad) einer Anjtellung als Lepero 
umſehen.“ 

„Du ſcheinſt Dir da ſchon eine Lepera aus— 
geſucht zu haben,“ ſagte Lopez mit einem Seiten— 
blick auf den Burſchen, der in ſeiner Officiers— 
uniform ebenſo ausſah, wie ein Hausknecht im 
Frack. 

„Hol' der Teufel das ſtolze, hochnaſige Ding!“ 
brummte Jablonsky; „merkwürdig übrigens, wie 
all' das Frauenzeug hier in Queretaro an dem 
Kaiſer hängt. Ich glaube, ſie ließen ſich mit 
dem größten Vergnügen alle mit einander für 
ihn todtſchlagen. — Was ſo ein Titel nicht 
thut!“ 

Lopez ſchwieg und ſchritt ſchweigend neben 
dem Gefährten die Straße hinab. — „Wir 
müſſen's abwarten,“ ſagte er endlich — „aber 
— haſt Du lange keine Nachrichten von — drau— 
ben erhalten?“ 

„Es ſteht nicht beſonders, wie es ſcheint. Die 
Soldaten bekommen ſchlechte Verpflegung, aber 
immer mehr neuen Zuzug. Hätte im Leben nicht 
geglaubt, daß Juarez noch ſo viele Leute auf die 


Beine bringen könnte.“ 
Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV. 9 


150 


„Es find viele Amerikaner darunter.” 

„Eine ganze Menge, und verwünjct gute 
Schügen dazu. Sie haben uns jchon einzelne 
Poſten weggepußt.‘ 

„Der Bote iſt no nicht zurüdgefehrt ?" 

„Nein — und wird aud nicht,” knurrte 
Jablonsky, „jie haben ihn gehangen.“ 

„Gehangen?“ rief Lopez erichredt. 

Sablonsfy nickte. „Ich weiß es von einem 
Deferteur. Sie hielten es für einen Vorwand 
und den armen Teufel für einen Spion — aber 
que importe — er hat's überjtanden.‘‘ 

Lopez nicte langfam vor ſich bin, aber bie 
Kunde ſchien einen unangenehmen Eindrud auf 
ibn gemadt zu haben. Mit einem kurzen 
„Hasta luego“ drehte er fih von Jablonskh 
ab und verfolgte jeinen Weg allein die Straße 
hinan. — 

Als Marquez den Obriſt Lopez verlajien 
hatte, begegnete ihm bald darauf General Mi: 
ramon zu Pferde, der ausgeritten war, um bie 
Poſten zu bejichtigen. Als er Marquez bemerkte, 
jtieg er ab, nahm fein Thier am Zügel und 
Ichritt neben dem Freund ber. 

„Nun amigo,“ fagte Marquez, „haben Sie 
noch Aufträge für mid) in der Hauptftadt? Wie 





151 


es jheint, werde ich vom Kaifer genug befommen, 
um ein Laftthier damit zu beladen.’ 

„Keine von mir, Marquez,” ſagte kopfſchüt— 
telnd der junge General, ‚als daß Sie felbjtver- 
ftändlih meine Frau aufjudhen und ihr fagen, 
wie Sie uns hier verlaffen haben.‘ 

„And für das Minijterium? — für Mon— 
jenor ?”’ fagte Marquez mit einem halb lauern 
den Blick. 

Miramon jchüttelte langjam den Kopf. „Nein, 
Marquez,” ſagte er endlich, „ich brauche Ihnen 
nit zu jagen, daß wir Beide andere Pläne im 
Kopf hatten, als wir dem Kaifer nach Queretaro 
folgten. Sch Fannte damals Marimilian wenig 
oder gar nicht, und was ich von ihm in Ori— 
zaba gefehen, Fonnte mich nicht befonders gün— 
tig für ihn ftimmen — das Vaterland galt mir 
höher.’ 

„Und jest? frug Marquez Leije. 

„Jetzt,“ vief Miramon, „bin id) fejt entſchloſ— 
jen, bei ihm auszuharren in Freud’ und Leid, 
und meine einzige Sehnjucht ijt, daß wir die 
Hilfstruppen bald befommen, um bie liberalen 
Schufte zu Paaren zu treiben.” 

„Und was wird Monjeior dazu jagen ?’ 


„Monſeñor,“ erwiederte Miramon finfter, 
9#* 


132 


‚wird einjehen lernen, daß es ſich noch immer 
bejjer mit dieſem Kaiſer, als mit dem Indianer 
fährt. Marimilian ift ein Ehrenmann, und ich 
glaube und bin überzeugt, daß Merico noch fein 
würdigeres Oberhaupt gehabt.” 

„Caramba,” lachte Marquez, ‚auch nicht 
unter Präjident Miramon’s Regierung ?’' 

„Auch nicht unter der meinigen,“ jagte ber 
junge Mann entjchloffen und bejtimmt. „Ich 
babe jelber dieje ewigen und zwedlofen Revolu— 
tionen ſatt und fürchte, Monſeñor thut nicht wohl 
“ daran, fie immer nur mehr zu jchüren. Ich we: 
nigſtens möchte nicht Präfident werden und da= 
bei die Pflicht übernehmen, die leyes de reforma 
‚aufzuheben, denn ich weiß, daß ich meinen ©iß 
nur mit den Waffen in der Hand zu vertheis 
digen und feinen Augenblick Ruhe hätte.‘ 

„Und glauben Sie, daß wir jobald Ruhe 
befommen, amigo?” 

„Ja,“ ſagte Miramon raſch und bejtimmt. 
„Bringen Sie uns bald die nöthige Verſtärkung, 
dann zweifle ich auch keinen Augenblick daran, 
daß wir dieſe wild zuſammengeleſenen Schwärme 
Escobedo's werfen und vernichten oder noch 
beſſer, durch einen einzigen entſcheidenden Sieg 
zu uns herüberziehen können. — Caramba, ich 





133 


hatte den Indianer fchon feft und hätte dem 
Kaifer wahrlich Feine Gelegenheit gegeben, ihn 
zu begnadigen, denn darin ift er ſchwach — aber 
die Zeit Fehrt vielleicht zurüd und dann mag er 
fi wehren.” 

„Hm,“ nidte Marquez leife vor ſich hin, „Jo 
jtehen alfo die Sachen — und wenn mich nun 
Monſeñor direct fragt, was foll ich ihm fagen 2 

„Daß er auf mid für feine Zwecke nicht mehr 
zählen darf,‘ erwiederte Miramon beftimmt, 
„denn das einzige Ziel, dem er entgegenjtrebt, 
könnte ich ihm jo wenig erfüllen, wie der Kaiſer.“ 

„Und wenn er nun doch Jemanden fände, 
der e8 unternähme?“ 

Die Frage war nur leicht und flüchtig hin— 
geworfen, Miramon jah aber raſch und fajt er— 
ihredt den Freund an und rief: 

„Santa Anna? Die Herren werden nicht 
wahnfinnig genug fein, den Erbfeind Mericos 
wieder in das Land zu rufen — das Elend, das 
ihm folgen würde, wäre unabjehbbar — aber 
Thorheit,‘ fette er gleich darauf verächtlich hin— 
zu — „der Blutjauger wird jid hüten, merica= 
niihen Boden wieder zu betreten.” 

„And wenn er nun jchon in diefen Tagen in 
Vera-Cruz gelandet fein ſollte,“ erwieberte Mar— 


154 


que — „die letten Berichte, die ich erhielt, 
laſſen e8 mich vermuthen.‘' | 

„Berichte? von wem ?’' 

„Que importe.‘ 

„Dann, beim ewigen Gott,” rief Miramon 
heftig aus, „Sind die Priejter Landesverräther, 
und damit haben fie auch ihr ganzes Spiel bloß— 
gelegt. Marimilian — id) oder Santa Anna — 
wer ihnen nur ihre Macht ficherte, war ihnen 
gleich, und zu derjelben Zeit hielten fie alſo drei 
Eiſen im euer, um das zu jchmieden, was 
ihnen nurden größten Nußen verſprach. Hätten 
Sie nicht Luft, Präfident zu werden, Marquez?" 
legte er mit unverfennbarer Bitterfeit im Tone 
hinzu. 

Marquez fchüttelte lachend den Kopf. „Wüßte 
nicht, daß ich bejonderes Verlangen darnach 
trüge, und würde mid auf andere Weile zu ver: 
forgen juchen.‘’ 

Miramon jah den General bejtürzt an. Es 
lag Etwas in den boshaft lächelnden Zügen des 
Mannes, das ihm nicht gefiel. — „Sie kehren zurüd, 
Marquez,’ rief er heftig aus — ‚gewiß? Eönnen 
wir uns fejt darauf verlaſſen?“ 

„Caramba,‘ lachte Marquez, „ſchon die Frage 
ift eine Beleidigung — babe ih Ihnen nicht 





135 


Allen mein Ehrenwort gegeben, in ſpäteſtens 
vierzehn Tagen wieder mit den fremden Truppen 
in Queretaro zu fein? Glauben Sie, daß ich 
mih in Merico in die Minijterwirthichaft 
miſchen mödhte? So raſch ich die Leute rüjten 
fann, fißen wir auf und denken den Herren Es— 
cobedo und Conſorten nachher hier eine Fleine 
Ueberraſchung zu bereiten.‘ 

„Alſo ein Wort, ein Mann? 

„Run, veriteht fih von felber — in ſpäte— 
tens vierzehn Tagen bin ich zurück; halten fich 
aber die deutichen Negimenter dazu, jo ijt es ſo— 
gar möglih, daß ich in etwa acht oder neun 
Tagen wieder da bin. Es fol uns ſchon Fein 
Gras unter den Hufen wachen.‘ 

„Sut,” jagte Miramon, „dann kann ſich 
nod Alles glücklich geitalten, denn mit den Bur— 
hen da draußen werden wir fertig. Wohin 
gehen Sie jetzt?“ 

„Um meine Vorbereitungen zu treffen und 
den alten Vidaurri ein wenig anzutreiben. — 
Wir müfjen jedenfalls in der Nacht aufbrechen, 
damit ich nicht die ganze feindliche Armee auf 
den Hals befomme. 


136 


Wenige Tage vergingen — Marquez war aus 
Dueretaro mit etwa 1100 Mann und feinem 
wie Vidaurri’s Stab ausgebrodyen, und Dejerteure, 
bon denen fajt jeden Tag Einzelne zu den Kais 
jerlihen überfamen, berichteten auch, daß er 
glücklich durchgeſchlüpft ſei. Hatte fich der Feind 
aber, der jogar vermuthete daß der Kaijer mit 
entkommen jei — über die Zahl der ausgerüd: 
ten Truppen getäujcht, oder glaubte er vielleicht 
Queretaro jet mit einem Handftreich nehmen 
zu können, wo die liberale Armee jogar nod 
anjehnliche Verſtärkung durch Riva Palacio und 
zwei andere Bandenchefs erhalten, aber ſie fingen 
an ſich da draußen zu rühren. Am zweiten Tag 
fand ein allgemeiner und für mexicaniſche Ver— 
hältniſſe ungemein jtürmijcher Angriff auf Que— 
retaro jtatt, der, freilich von dem kleinen Häuf- 
lein der Belagerten mit außerordentlicher Tapfer- 
feit und jo energiſch zurüdgeichlagen wurde, daß 
bie weiß gefleideten Soldaten da draußen bie 
dunfeln Hänge aller Drten mit ihren Leibern 
deckten. Escobedo mußte feine ſtürmenden Maſſen 
zurücdziehen und ließ Taufende von Todten und 
VBerwundeten auf dem Blan. 

Prinz Salm, Mendez, Miramon, Mejia, fie 
Alle Hatten wie die Löwen gefochten, und wirk— 





137 


liche Begeifterung herrſchte in dem Kleinen Heer. 
Jetzt noch die deutjchen Negimenter herbei, und 
Escobedo fonnte, troß feiner jechsfachen Ueber: 
zahl, an feine eigene Sicherheit denken. 

In Queretaro bereitete fich indeffen ein ganz 
eigener Act vor, nämlich die Ordensverleihung, 
die in ſolchen Fällen, jo kindiſch fie auch manch— 
mal jein mag, ihre Weihe erhält. 

Die Generale Miramon, Mejia, Caſtillo, 
Arellano, Mendez und Valdez — und als be= 
ſondere Auszeichnung für bewiejene Tapferkeit auch 
Obriſt Prinz Salm in der eriten Reihe, erhiel- 
ten die broncene Medaille für Tapferkeit — die 
auf der einen Seite das Bruftbild des Kaiſers, 
auf der andern in einem Lorbeerkranz die In— 
ſchrift: Al merito militar (dem militäriichen Ver— 
bienjt) trug, und welche der Kaiſer einem eben 
jelber an die Bruft ſteckte; ebenjo die ‚übrigen 
Dfficiere, die bei der Action betheiligt gewejen 
waren. Unterofficiere und Gemeine erhielten die 
goldene und jilberne Medaille, wie fie ſich aus— 
gezeichnet hatten, 

Mit der broncenen Medaille war der Kaijer 
am geizigjten, und jie wurde an einem rothen 
Bande, das Bruftbild nad) außen, getragen. 

Als fi der Kaifer nad) Bertheilung der Or— 


138 


den entfernen wollte, ging General Miramon 
auf Obrift Pradillo, der die Orden trug, zu, 
nahm eine broncene Medaille, trat damit vor den 
Kaijer, und indem er fie demjelben an die Bruft 
jtedte, fagte er folgende Worte: 

„Eure Majeftät baben Ihre Officiere und 
Mannjchaften decorirt, als ein Zeichen der An: 
erfennung für Tapferkeit, Treue und Ergeben: 
beit. Dem ZTapferjten von Allen, welder uns 
jtets in allen Gefahren und Entbehrungen zur 
Seite jtand, und uns mit dem erhabenjten, 
glänzenditen Beijpiele ſtets vorangegangen iſt, 
nehme ich mir hiermit im Namen Eurer Majeſtät 
Heeres die Freiheit, dieſes Zeichen der Tapferkeit 
und der Ehre zu verleihen, welches Sie mehr 
als jeder Andere verdienen.‘ 

Der Kaifer war ſehr überraſcht und gerührt 
von dem finnreichen und jchönen Acte, umarmte 
den General Miramon, nahm die Medaille an 
und trug fie feitdem als feine erjte und vor- 
nehmſte Decoration, allein gegen die VBorjchrift, 
nit das Portrait, jondern die Seite mit der 
Auffchrift nach außen. *) 


*) Prinz Salm's „Queretaro“, in welchem umfaſſen— 
den Buche der Prinz auch eine ſo detaillirte, wie feſſelnde 
Erzählung der einzelnen Kämpfe giebt. 


139 


Der Eindrud, den dieje Fleine, aber wirklich 
erhebende eier auf das Militär nicht allein, 
fondern auf die ganze Stadt machte, war unbes 
ſchreiblich, Marimilian hatte jich ja Schon durch 
fein jchlichtes, freundliches Weſen die Herzen 
Aller gewonnen, und überall jubelte man ihm 
jeßt entgegen, wo er fi nur zeigte. Das Mi— 
Litär brauchte viel, und den Einwohnern von 
Queretaro wurden jchwere Opfer auferlegt, um 
nur die nothwendigſten Bebürfniffe der Soldaten 
berbeizujchaffen, aber Niemand weigerte jich zu 
geben was in feinen Kräften jtand; gejchah es 
doch für den Kaifer, und ging er als Sieger 
aus diefem Kampfe hervor, jo wußten fie auch, 
daß fie mit Vertrauen einer ruhigen und glück— 
lichen Zeit für ihr Land entgegenjehen Fonnten. 





6. 
Während der WBelagerung. 


Subel und Feitgelage, Illumination, Teuer: 
werf, Bälle und indianifche Aufzüge in ber 
Hauptitadt. 

General Marquez — jest vom Kaifer zum 
lugartenjente (Stellvertreter) in Merico ernannt 
(er verheimlichte den wirklichen Auftrag, in dem 
er gelommen war), brachte die beiten Nachrichten 
aus Queretaro. Sie wären in allen Gefechten 
jiegreich gewefen, und die liberalen Truppen jo 
bemoralifirt, daß fie nad) jeder Schlacht mehr 
Ueberläufer befamen, als fie Todte und Ber: 
wunbete verloren hatten. Die Armee vergrößerte 
ih dadurd fortwährend und der Kaijer gedachte 
in näcjter Zeit einen Hauptjchlag gegen den 
Feind zu führen, der der Belagerung bort ein 
Ihleuniges Ende machen würbe. 


141 


Marquez jelber aber, anjtatt feine vom Kaiſer 
befohlenen Aufträge auszuführen, rüſtete ſich, 
um gegen den Puebla bebrohenden Porfeirio 
Diaz auszuziehen, und freudig folgten ihm da— 
hin jeßt die deutſchen Regimenter. In jofern 
nur fam er dem Auftrag Marimilian’s nad), 
daß er den vollfommen untüchtigen, ja auch vers 
rätherifchen Lares abjette und Vidaurri die Stel: 
lung eines Minifjterpräfidenten und Finanz— 
minijters übertrug. Ibarran wurde zum Minis 
fter des Innern beitimmt. 

Wie das jebt in der Stadt lebte und ſchwirrte 
— Marquez braudjte freilich viel Geld zu feinen 
nächſten Operationen, aber die Reichen gaben 
es willig, denn jie erhofften nun bald eine bejjere, 
glückliche Zeit, und felbjt daß er die vom Kaijer 
ſtreng abgeſchaffte Leva wieder einführte, und 
aufgriff was er an militärfähiger Mannjchaft 
aufgreifen fonnte, wurde von den Eonfervativen 
vollfommen gebilligt. Sie jelber waren ja nicht 
von der Maßregel betroffen, und zu einem legten 
entjcheidenden Schlag mußte auch Jeder jein 
Schherflein beitragen, ſei es in Geld, fei es mit 
der eigenen Haut. 

Die Geiftlichkeit war indeffen in Merico 
jelber übermüthiger denn je geworden, und mit 


142 


Marquez zur Hilfe, der ſich ganz der Flerifalen 
Partei angejchlofjen hatte, regierte fie faſt allein, 
beherrjchte wenigftens die Familien volljtändig. 

Marquez jelber Fonnte natürlich nicht bie 
leyes de reforma wieder aufheben, denn er be= 
ſaß fein weiteres Terrain als die Hauptſtadt 
jelber, aber er ließ die Pfaffen wenigitens nach 
Herzenslujt wirthichaften. In feinem Haufe, 
das früher der Geijtlichfeit gehört hatte, wurden 
mehr die Sacramente gereicht oder irgend eine 
heilige Handlung verrichtet, ja Labaftida ging 
jogar jo weit, alle Bewohner deſſelben, bis zur 
Dienerichaft hinab, zu ercommuniciren, — Eine 
Procefjion folgte dabei der andern durch bie 
Straßen; die Gloden wurden faſt den ganzen 
Tag geläutet und riefen ununterbroden zum Ge— 
bet, und die Priefter felber traten mit einem 
Stolz und Hochmuth auf, der unerträglich zu 
werden drobte. 

Das Alles jhwand aber in dem einen Gefühl 
baldigen Sieges, und mit einer wirklich fabel- 
haften Zuverjicht gaben ji die Bewohner von 
Merico in einer Zeit diefem Glauben hin, wo 
die Faijerlihen Truppen überhaupt nur nod 
drei oder vier größere Städte im ganzen Land 
bejett hielten, und aller Drten und Enden, jelbjt 


143 


in der Hauptitadt, von Tag zu Tag enger ein= 
geihlojjen wurden. Aber die Hoffnung verläßt 
uns ja nie, und um fo lieber und leichter ver— 
traute man den endlich einmal günjtigen Be— 
richten des eingetroffenen Generals, da fo lange 
Zeit verflojjen war, in der nur ungünftige 
Berichte die Hauptitadt in fteter, faft ununter— 
brochener Aufregung gehalten. Außerdem ſpra— 
hen aud eine Maſſe Einzelheiten dafür, daß 
er die Wahrheit rede, denn hätte der Kaifer 
Ihon fo viel Truppen in Queretaro entbehren 
fönnen, wenn er ſich nicht ſtark genug fühlte, 
dem Feind die Spiße zu bieten. 

Mit Jubel ſah man auch die treffliche Armee 
— Marquez, den man als einen tüchtigen Ges 
neral kannte, an der Spibe, dem Feind ent— 
gegen ziehen. Es waren zwei Snfanteriebriga= 
ben in der Stärfe von 2000 Mann, und unter 
ihnen das 15. Regiment, befehligt vom Obrijts 
lfieutenant Hammerftein, mit faſt nur Oeſter— 
reihern und Belgiern, wie einem Fleinen Theile 
mericaniicher Soldaten. Die Cavallerie beitand 
aus der Brigade Quiroga, einer ausgezeichneten 
Truppe, dem wadern Khevenhüller Hufarenregis: 
ment, der vom Obriſt Widenburg befebligten 
Sensdarmerie und einem Negiment bevittener 


144 


Gazadores, dabei mit 18 Gefhüten — und wie 
kehrte jie zurüd. 

Am 30. März war Marquez mit bem zu= 
verläjfigften Heer, das je in Merico vereint ge— 
ftanden, aus der Hauptſtadt ausgerüdt, und am 
11. April, Nachts 10 Uhr, kehrte er auf abgehetz— 
ten Thieren, wenige DOfficiere zur Begleitung, 
ein Flüchtling, in die Stadt zurüd — eilte in 
fein Hauptquartier, ſchloß fih in fein Zimmer 
ein und verkehrte mit Niemandem mehr. Aller: 
dings wurden feine Dfficiere, ein paar Meri- 
caner, mit ragen bejtürmt, was aus dem ganzen 
Heere geworden, bas fie mitgenommen, aber fie 
fonnten feine andere Auskunft geben, als daß 
es vernichtet ſei. — War e8 doch bie einzige 
Entſchuldigung, die fie für fich hatten, denn 
ließ es ſich denfen, daß fie jelber nur in feiger 
Flucht entkommen jeien und ihre Kameraden, 
die ganze ihnen anvertraute Truppe im Stiche 
gelaffen haben jollten ? 

Und troßdem war es ſo. Schon am nächſten Tag 
zogen die waderen deutſchen Truppen in geordnetem 
Zug, als ob fie von einem Manöver fämen, in 
die Hauptitabt ein. Sie waren halb verhungert, 
ja und zum Tode ermattet, ihre Reihen auch ge— 
lichtet, aber trotzdem ſchwenkten die Hujaren, 


ez 
* 
7 
* 


ehe ſie ihre Kaſerne aufſuchten; nach der 
Plaza ihres Kaiſers ein, und als ſie in Sicht 
kamen, donnerte ein lautes Viva el emperador 
von ihren Lippen. 

Und wilde Gerüchte zogen dabei durch bie 
Stadt; Porfeirio Diaz fei im Anzuge — ja 
ſchon vor den Thoren. Die Läden wurden ge» 
Ihloffen, die Frauen flüchteten in die Häufer, 
und es brauchte Stunden lang, bis man ji 
überzeugte, daß die Gefahr wohl drohe, aber 
feineswegs jo nahe jei, um fie unmittelbar zu 
gefährden. — Weiter aber verlangten die Bes 
wohner auch Nichts, um ji ganz wieder ihrem 
gewöhnlichen Zuwarten hinzugeben — und doch 
batten fie in der Gefahr geſchwebt. Wäre Ge: 
neral Diaz nämlich Scharf nachgerückt, jo fiel die 
Hauptitadt Merico jedenfalls in feine Hände, 
denn die mericanijchen Truppen zeigten ſich in 
diefer Zeit volljtändig demoralijirt. Porfeirio 
Diaz war aber felber durch die Tapferkeit der 
deutſchen Truppen geſchädigt worden und brauchte 
geraume Zeit, ym nur feine Todten zu beerdigen 
und feine Verwundeten unterzubringen. Dann 
aber zog er langjam gegen die Hauptſtadt vor 
— Buebla war gefallen, und er fonnte nun 

gr. Gerftäder, In Merico. IV, 10 


145 





146 


feine jämmtliden Truppen bazu verwenden, 
Merico felber zu belagern. 

In Rodriguez’ Haufe, der. in diefem Augen: 
bli, und bejonders feit der legten Schwenkung 
Marimilian’s zu Gunften ver Konjervativen, 
wieder einmal feſt am Kaiſerthum hielt, hatte 
ji indejjen Manches verändert, und beſonders 
war durch den gezwungenerweije lange aus: 
gedehnten Beſuch jeines Schwagers San Blas 
viel Leben und Bewegung in das Haus ge 
fommen. Mexicaniſche Gaftfreundichaft kennt 
aber feine Grenzen, und jo oft San Blas auf 
ganz ernitlich gewillt war, mit jeiner Familie 
in eins der jeßt ziemlich verlafjenen Hötels zu 
ziehen, jo oft erflärte Rodriguez, daß San Blas 
ih von dem Augenblid au nicht weiter als 
jein Verwandter geriren jolle, denn er würde 
jede Berbindung mit ihm abbrechen. 

Pla& genug hatte er im Haus, um nod eine 
ſolche Familie aufzunehmen, zu leben gab es 
auch noch genug,“ obgleich die Lebensmittel jeit 
der Belagerung ſchon bedeutenn im Preis ge: 
jtiegen und im Allgemeinen oft ſchwer zu bejchaffen 
waren, was alſo fonnte ihn veranlaffen, in ein 
Hötel zu ziehen? Gar nichts, und wie hätten 


fich die Familien in Merico nachher darüber auf: , | 


147 


gehalten. E8 wäre unerhört gewejen, und er 
durfte ihm das gar nicht anthun. ° 

San Blas wußte dabei, daß er jelber unter 
ähnlichen Verhältniffen auch genau jo gehan— 
belt haben würde und weigerte fi denn auch 
nicht länger, jeines Echwagers Gaſtfreundſchaft 
anzunehmen, der noch außerdem erflärte, daß 
er Ricarda auf feinen all hergeben könne — 
San Blas möge machen, was er wolle, aber 
das Mädchen bliebe unter jeder Bedingung im 
Haus, 

San Blas hatte in Merico felber einen alten 
Freund aus früheren Zeiten gefunden, oder viel: 
mehr einen jüngeren, denn er zählte mindejtens 
fünfzehn Jahre weniger als er — ben General 
D’Horan, früheren Präfecten von Xlalpam, 
jeßigen ber Hauptſtadt, der ſich in letzter Zeit 
bejonders dadurch ausgezeichnet, daß er eine 
Verſchwörung gegen das Leben des Kaijers ent- 
becfte und in energijcher, faſt zu — Weiſe 
dagegen einſchritt. 

Es gingen allerdings — Gerüchte 
um, nach denen die ganze Verſchwörung bezweifelt 
und O'Horan bezichtigt wurde, daß er eine An— 
zahl von Leuten habe in aller Geſchwindigkeit 


hängen laſſen, weil er von ihnen Ausſagen be— 
10* 


148 


fürdhtete, die ihn jelber compromittiren Fonnten. 
Wer aber hatte in diefer Zeit der Parteileiden— 
Ichaften feine Feinde, und da ihm gar nichts 
bewiefen werden konnte (die Leute waren alle 
todt), jo ſchwieg aud) das Gerücht, da fich aufer- 
bem noch D’Horan der Sahe des Kaijerreichs 
treu ergeben zeigte und als ein entſchieden aus— 
geſprochener Feind der Liberalen auftrat. 
General D’Horan war, was man einen 
Ihönen Mericaner nennt — ein Mann in feinen 
beiten Jahren, mit einem intelligenten Geficht 
und fcharfen, fajt zu unrubigen dunfeln Augen, 
dabei lebendig und ein vortrefflicher Gejellichaf- 
ter, ohne befondere Bildung wohl, aber mit einer 
natürlichen Art von Mutterwiß begabt; felbit 
Rodriguez fühlte fi wohl in jeiner Geſellſchaft 
oder ſah ihn doc wenigftens gern in feinem 
Haufe, in dem er bald, wenn auch nicht ein täg— 
licher, doch jedenfalls jehr häufiger Gaft wurde. 
Seine Bergangenheit Fonnte man allerdings 
nicht ganz rein nennen; es wurde ihm Manches 
zur Laſt gelegt, und mit bejonderer Unbefangen= 
beit hatte er ſchon verjchiedene Male, je nad 
Befinden, die Parteien gewechjelt, ja jollte früher 
jogar ein leidenjchaftlicher Liberaler gewefen fein. 
Aber lieber Gott — wie wenig Menfchen in 


— — 


149 


Mexico hatten überhaupt eine „reine“ Ver— 
gangenheit, und die Parteien zu wechſeln, konnte 
in einem Lande nicht als Verbrechen gelten, wo 
das beſonders unter den Generalen überhaupt 
zu den Alltäglichkeiten gehörte. 

O'Horan bekleidete übrigens jetzt eine an— 
geſehene und bevorzugte Stellung in Mexico, 
galt ſehr viel bei Marquez und ſchien ſich — 
wie blieb ziemlich gleichgiltig, was ja in Europa 
ebenjo der Fall iſt — ein bedeutendes Vermögen 
erworben zu baden. Er lebte wenigjtens auf 
vornehmem Fuß, hielt ſich ein paar prachtvolle 
Keitpferde und galt überall in der Hauptitadt 
für einen „Caballero“. 

Uebrigens fonnte es in Rodriguez’ Haufe 
nicht lange ein Geheimniß bleiben, daß jeine 
Beſuche nicht allein dem befreundeten San Blas, 
jondern vorzugsweile deſſen Tochter Ricarda 
galten, gegen die er ſich äußerſt liebenswürdig 
zeigte, ohne ſich jelber freilich einer bejondern 
Auszeichnung rühmen zu Eönnen. 

San Blas hatte es jedenfalls eben jo gut 
bemerkt, jchien aber dieje halbe Bewerbung nicht 
ungern zu jehen. Er modte den General gern 
leiden und — hoffte durch ihn eine Ableitung 


für eine in Ricarda's Herzen aufglimmende 


150 


Leidenihaft — vielleicht jegt nur nod) ein In— 
terejje, das fie, wie ihm nicht entgangen war, 
an dem jungen belgiihen Officier gewonnen. 
Die Fremden hatten ihm aber in Mazatlan 
fein Haus zerfchoffen und feine beften Pferde 
aus dem Stall geholt — er Fonnte ihnen das 
nicht vergeſſen, und wenn er ſich auch geitehen 
mußte, daß van Leuwen vollfommen unjhuldig 
dabei gewejen, ja nicht einmal Franzoſe war, 
jo — ſprach er doch franzöfiih und war auf 
einem franzöſiſchen Schiff in ihr Land gefommen 
— ſah aud wie ein Franzoſe aus und — er 
behielt nun einmal ein Vorurtheil gegen ihn. 

Uebrigens hatten jie ſehr lange Nichts von 
van Leuwen gehört, und San Blas gab jih ſchon 
ber jtilen Hoffnung hin, daß er — ebenjo wie 
taujend Andere feiner Landsleute, wie überhaupt 
der Fremden, einfach verjchollen wäre. Man 
erinnerte jich wohl noch feiner dann und wann, 
aber er wurde doch nicht weiter gejehen und mo= 
derte vielleiht in irgend einer wilden Berg— 
Ihlucht im Lande drinnen. Die unrubige Zeit 
in der Hauptitabt nahm auch in diefen Tagen 
die Aufmerkjamfeit fait Aller viel zu jehr in 
Anſpruch, und nur Ricarda allein hatte vielleicht 
des Berlorenen gedacht. 


151 


Ein junger DOfficier, ven linfen Arm in ber 
Binde, den Kopf mit einem Tuch umwunden, 
und dabei bleich und. erfchöpft, ftieg mühſam bie 
Treppe in Rodriguez’ Haus hinauf und bat den 
Diener, ihn bei dem Hausherren zu melden. Ehe 
diefer aber im Stande war den Auftrag aus— 
zuführen, öffnete fich eine Seitenthür und Ri— 
carda, bleich und erregt, trat heraus und eilte 
auf ihn zu. 

„Señor,“ rief fie aus — „um ber heiligen 
Jungfrau willen, was iſt Ihnen geſchehen? — 
Sie ſehen todtenbleich aus.’ 

Das war allerdings in dem Moment der Fall 
gewejen, als er die Treppe erjtiegen hatte, jebt 
freilich färbten ſich feine Wangen wieder ein 
wenig, als er das junge Mädchen erfannte und 
ihr mit einem glüdlichen Lächeln die Hand ent— 


gegenreichte. 
„Nichts als ein wenig Blutverluft, Señorita,“ 
fagte er dabei. — „Sie haben uns draußen 


tüchtig zufammengehauen und ich — jcheine wirk— 
lich Unglüd in der militäriichen Carrière zu 
haben. Während Hunderte meiner Kameraden 
aus dem wildejten Melde Feine Schramme mit 
nad) Haufe gebracht, bin ich felber fünf ver- 
ſchiedene Male verwundet worden, und kann noch 


152 


Gott danken, daß ich die Kraft behielt, im Sattel 
zu bleiben.‘ 

„Dieſer unglüdjelige Krieg — aber wollen 
Sie nicht eintreten? — Ruhe thut Ihnen Noth, 
— Wir hatten jchon gehört, Sie verwundet 
wären.‘ 

„Wenn Sie mid nur nod) einen Augenblid 
entihuldigen — mein Bein ift durch das Treppen— 
fteigen ein wenig jteif geworden.” 

„sh führe Sie” — jagte Ricarda herzlich, 
indem fie feinen Arm ergriff — „ſtützen Sie fi 
nur feſt auf mid — ic lafje nidt nah — 
fommen Sie.’ 

Ban Leumwen wollte ſich jträuben, aber es 
half ihm Nichts — e8 ging au ſchon viel beffer. 
Die Wunden waren glüclicherweife ſämmtlich 
nicht gefährlich gewelen, und jeine gejunde Na— 
tur überwand das Alles. 

„Caramba, Don Guillelmo,‘ rief ihm aber 
Rodriguez entgegen, als er ihn in der Thür mit 
feiner Begleiterin erblickte. — „Sie jind ja über 
und über eingebunden. Alle Wetter! Ahnen 
haben fie bös mitgefpielt.‘‘ 

„Ja, Señor,“ nidte der junge Officer — 
„ich ſagte e8 auch jchon zur Señorita — id} habe 
Unglüf im Feld, und wenn ich diesmal noch 


153 


gefund aus Merico binausfomme — was. bis 
jest freilich den Anjchein nicht jo bat, jo hänge 
ich den Soldatenrod und Säbel an den Nagel. 
Meine Haut ift jeßt ſchon ziemlich wie ein 
Sieb.‘ 

Im Zimmer befanden ſich noch San Blas, 
der den jungen Officier ziemlich Fühl grüßte, 
und General O’Horan, der Präfect von Merico. 

„Ich weiß nicht, ob fich die Herren fennen — 
Capitano van Leuwen und General O’Horan — 
ber Präfect diejer guten Etadt und ein intimer 


Freund unferes Haujes — bitte, nehmen Sie 
aber Platz, Capitän — Sie jehen wirklich an= 


gegriffen aus.’ 

„Sie hätten noch nicht alısgehen jollen, lieber 
Capitän,“ jagte auch Señora Rodriguez, die ihn 
freundlich grüßte und ihm einen Stuhl binfchob, 
„daß Ihnen auch das Ihr Arzt erlaubt hat!“ 

„Ich bin vollfommen wohl, Sefora,‘ lächelte 
der junge DOfficier — „nur zu Fuß will bas 
Bein nicht recht mit fort, und könnte ich die be= 
nachbarten Schwefelquellen beſuchen, jo wäre 
ih in acht Tagen wieder vollftändig bergeftellt, 
aber die Liberalen jcheinen die Eur nicht für 
nöthig zu halten, denn fie laſſen Niemanden 
hinaus — die Stadt ijt ja eng eingejchlojjen,‘‘ 


154 


„Und Halb ausgehungert dazu,” ſetzte Ri— 
carda hinzu. 

„Jun, fagte van Leuwen bitter — „wenn 
wir noch ein paar folde Züge mit General 
Marquez an der Spibe unternehmen, jo werben 
Sie wenigjtens uns Soldaten los, denn ber 
General hat eine ausgezeichnete Geſchicklichkeit 
entwidelt, eine Armee zu ruiniren.‘ 

„General Marquez iſt ein ausgezeichneter 
Feldherr,“ erwiederte O'Horan, dem nicht ent= 
gangen war daß Ricarda's Blide länger auf 
der Gejtalt des jungen DOfficiers vermeilten, als 
ihm angenehm jein mochte — mit einiger Schärfe. 

„Das mag ſein,“ nicte van Leuwen büjter 
vor fih Hin, „ausgezeichnet hat er wenigjtens 
mandverirt, um die fremden Truppen aufzus 
reiben. — Er ijt entweder ein Schuft ober 
eine Memme.“ 

„Señor,“ rief der Bräfect, von feinem Stuhle 
emporfahrend, ‚wie können Sie e8 wagen, in 
ſolcher Art von dem Höchſt-Commandirenden, dem 
Lugarteniente des Kaifers, zu reden ?’ 

„Das ilt die allgemeine Stimme über ihn in 
allen deutjchen Regimentern,“ jagte van Leuwen 
gleichgiltig, „und bannte uns nicht unjer dem 
Kaijer gegebenes Wort nah Merico, die Stadt 


155 


zu halten, wir marſchirten heute noch mit klin— 
gendem’ Spiele hinaus und ließen Ihren Lu— 
garteniente jehen, wie er allein fertig würde.“ 

„Das iſt Rebellion!‘ 

„Rennen Sie’s, wie Sie wollen,’ fagte van 
Leuwen verächtlich — „es war Verrath, wie 
uns Marquez behandelt bat.” 

„Er mußte in die Stadt zurüd, um biefe 
gegen den Feind zu behaupten.” 

„And war allerdings in großer Eile das zu 
bewerkjtelligen,” lachte van Yeumwen. — „Außer: 
dem aber,’ jeßte er finjter hinzu, „‚gebt ein Ge— 
rücht in der Stadt, daß er noch ein anderes 
faules Spiel treibe, denn General Arellano aus 
Queretaro ift vor einiger Zeit in diefen Mauern 
gejehen worden und feit der Zeit verjchwunden, 
Was für Nachrichten bat er gebraht? — Fein 
Menſch erfährt c8, und ich fürdte faſt, unjer 
General Spielt ein gefährliches Spiel mit feiner 
eigenen Armee.‘ 

„Es iſt unerhört,” rief O’Horan empört 
aus, „daß ein unterer Officier jolche furchtbare 
Anſchuldigungen gegen feinen Vorgeſetzten in 
die Welt jtreuen darf. Herr! wiſſen Sie, daß 
Sie Kerkerſtrafe für dieſes Vergehen verdient 
haben ?‘ 


156 


„Herr Präfect,“ - jagte van Leuwen verächts 
lich, „ih bin jest nicht im Dienft, und wir 
Deutſchen haben nun einmal unfere eigene und 
jehr beftimmte Meinung über diefen Herrn Ge— 
neral gefaßt, den jeine Landsleute felber nicht 
anders nennen, al8 den Schlädter von Ta— 
cubaya.“ 

„Señores,“ ſagte O'Horan jetzt ernſtlich auf— 
ſtehend, „Sie müſſen mich entſchuldigen, wenn 
ich ſolchen Reden gegenüber es nicht mit meiner 
Pflicht vereinbaren kann, länger in dieſer Ge— 
ſellſchaft zu bleiben! Möglich auch, daß Sie 
Beide mir ſpäter einmal die Verleumdungen 
dieſes jungen unübexlegten Mannes bezeugen 
müſſen. Auf dem Statthalter Seiner Majeſtät 
darf kein ſolcher Makel haften, und herrſcht 
wirklich ein ſolcher rebelliſcher Geiſt in dem ganzen 
Fremdencorps, ſo iſt es die höchſte Zeit, daß 
dagegen energiſch eingeſchritten wird.‘‘ 

„Aber beſter O'Horan,“ rief Rodriguez, „Sie 
dürfen, was junges, hitziges Blut ſagt und vor— 
ſprudelt, nicht ſo ernſt auffaſſen. Die Leute ſind 
in dem letzten Treffen arg mitgenommen, und 
haben ſich wirklich brav gehalten.“ 

„Sie haben nur ihre Pflicht gethan,“ ſagte 
D’Horan giftig. 





157 


„Und das ift mehr, als der Lugarteniente 

von ih jagen kann,“ bemerkte van Leuwen 
troden. 
„Genug und übergenug — hasta - luego, 
Setores — Señoritas; ich lege mid Ihnen zu 
Füßen,‘ und damit verließ er haftig und zum 
äußerjten gereizt den Saal. 
- Rodriguez jchüttelte, als er die Thür hinter 
ich in’s Schloß gebrüdt, den Kopf. Er jah Ri- 
carda's angftvollen Blif auf van Leuwen ge— 
deftet und jagte: 

„Mein lieber van Leumwen, ich fürdite, Sie 
haben ſich einen hier in der Stadt jehr einfluß: 
reihen und mächtigen Mann höchſt unnöthiger— 
weile zum Feind gemacht, und fich jelber bei 
der Sache in Gefahr gebracht. D’Horan geht 
jedenfalls direct zu Marquez, und dieſer — ift zu 
Allem fähig.‘ 

„Nur dazu nicht, mit unferen NRegimentern 
anzubinden,‘’ jagte van Leuwen trotzig; „die Er— 
bitterung gegen ihn iſt furchtbar, und nur die 
Liebe zu unſerem Kaiſer und das ihm gegebene 
Wort hat uns bis jetzt abgehalten, direct trotz 
allen Befehlen dieſes Schlächters von Tacubaya 
hinauf nach Queretaro zu marſchiren und ſelber 
zu ſehen, wie es dorten ſteht.“ 


158 


„Sie erwähnten vorher,‘ ſagte San Blas, 
der indejjen Fein einziges Wort gejprocdhen, wohl 
aber D’Horan wie van Leuwen ſcharf beobachtet 
hatte, „des Generals Arellano. Wer will ihn 
gejehen haben ?'' | 

„Mexicaniſche Dfficiere, Señor, die ihn ge= 
nau fennen. — Er iſt bemerkt worden, wie er 
Abends Spät in den Convent Santiago trat; 
jelbjt die wachthabenden Soldaten, bie früher 
unter ihm gedient, haben ihn erkannt, aber von 
dem Augenblid an blieb er jpurlos verſchwunden 
und wir fürchten jeßt mit Recht, daß er böfe 
Nachrichten oder doch Befehle gebradht, die ung 
jelbjt betreffen, ohne daß jih General Marquez 
bemüfjigt ſähe fie befannt zu machen.” 

„Aber was Fünnte er dabei haben?” 

„Quien sabe,“ — aber glauben Sie mir, 
Señor, wir haben volle Urfache, den Mericanern, 
wenn e8 auch Ihre Landsleute find, nicht mehr 
zu trauen, denn wir wiſſen gut genug, daß jie 
uns bajjen und jest nur noch unfere Zahl und 
Macht fürdten. Nicht ungegründet ift der Ver— 
dacht, daß uns Marquez abjihtlih im Stich 
gelajjen. Wer weiß denn, welcdhem von feinen 
Plänen wir im Wege ftehen, und was dieſen 
Freund von ihm, den Präfecten von Merico 


159 


betrifft, jo circuliren über ihn ebenfalls abjon= 
derliche Gerüchte.” 

„Welcher Art?’ frug San Blas raſch. 

„Zuerſt wird beftimmt behauptet, daß jene 
ganze Verſchwörung in Tlalpam damals, wobei 
«8 auf eine Ermordung des Kaijers follte ab» 
geliehen jein, gar nicht eriftirt hat. Zwölf Per— 
jonen find allerdings auf O'Horan's Befehl auf: 
gehängt worden —“ | 

‚Aber lieber Freund, das iſt ein altes 
Märchen.” 

„Aber der Dreizehnte nicht,’ fuhr van Leuwen 
fort, „der ebenfalls um die Sadhe wußte und 
nah deſſen Ausjage jet D’Horan jelber ber 
Vierzehnte geweſen fein ſollte. Es handelte ſich 
auch gar nicht um die Ermordung, ſondern nur 
um die Gefangennehmung des Kaiſers, die aber 
verrathen wurde, und damit ſeine Vertrauten ihn 
nicht — was ſie jedenfalls gethan hätten, 
verriethen, ließ er ſie einfach hängen.“ 

„Und wer iſt dieſer Dreizehnte?“ 

„Ein'junger Liberaler, der glücklich zu Juarez 
entkommen iſt und gegen Gefangene ſelber die 
Ausſage gemacht hat. Kommen die Liberalen je 
"nah Merico ‚herein, fo iſt O'Horan der Erſte, 


-160 


ber erjchoflen wird, darauf können Sie ſich ver— 
laſſen.“ 

„Weil er treu am Kaiſer gehangen?“ 

„Nein, weil er zwölf Liberale gehangen, die . 
ihm gefährlich zu werden drohten.“ 

„Und der Rache eines ſolchen Mannes haben 
Sie ſich ausgeſetzt?“ fagte Ricarda bejorgt. 

„Haben Sie feine Angſt, Señorita,“ lächelte 
aber van Leuwen, „gerade ſolche Burjchen find 
feig, und er wird es nicht wagen, irgend Etwas 
gegen Einen von uns Fremden zu unternehmen 
— ſelbſt Marquez nicht.” 

„Marquez ijt zu Allem fähig, jagte Rodri— 
guez, „er brandichagt jeßt die Stadt, und ung 
find bier wenigjtens bedeutende Contributionen 
auferlegt, aber ebenfo den Fremden — alle Läden 
der Groß: und Kleinhändler jtehen ja gejchloj- 
fen, und fein Menſch ift mehr jeines Eigen= 
thums ſicher.“ 

Ein dumpfes Murmeln und Geſchrei tönte 
von der Straße herauf, und als Ricarda an ein 
Fenſter eilte, ſah ſie eine Menſchenmenge, die 
ſich ſchräg gegenüber gegen ein Haus warf, die 
Läden aufbrach und die Thür einſchlug. Es war 
das der Laden eines der Franzoſen, der Lebens— 
mittel und Getränke, beſonders Delieateſſen, 





161 


feinere Weine und Liqueure bielt, und wenige 
Minuten fpäter jtürmte jhon die Mafje in das 
Haus hinein, und fam bald mit Beute beladen 
wieder heraus. — E8 war ber Beginn einer 
Reihe ſolcher VBerzweiflungsacte, deren ſich das 
halb ausgehungerte Volk, die Leperos und ähn— 
lihes Gefindel mit voller Luft und vom Prä— 
fecten unbeläftigt bingaben. 

Dan Leuwen war ebenfalls an das Tenjter 
zu Ricarda getreten. — „Da fängt es an,” fagte 
er, „und wir werden Mühe haben einen Auf: 
ruhr zu dämpfen. Das Volk verlangt ſchon 
jeit gejtern die Mebergabe der Stadt an Por: 
feirio Diaz, aber Marquez weigert fich auf das 
beftimmtejte und darf ſich darin audh auf ung 
Fremde verlafjjen.” 

„Sie wollen wieder fort?’ | 

„Ih muß. — Ich will in meine Kaſerne 
gehen. Man kann nicht wiffen, was für Befehle 
gegeben werden.“ 

„Aber Sie können doch feinen Dienft thun?“ 

„Wenn es fein muß, gewiß — zu Pferd, 
und mit dem rechten Arm gejund, geht es vor= 
trefflihd — der linfe iſt nicht jo weit verlegt, 
daß ich nicht mit ber linfen Hand die Zügel halten 
könnte.“ 

Fr. Gerſtäcker, In Mexico. IV. 11 


162 


„Sie werben fi tödten,“ hauchte Ricarda. 

„Und würden Sie um mid trauern, Seño— 
rita 2" | 

Ricarda antwortete ihm nicht, aber ihr Blid 
traf ihn, und mit freudig blikenden Augen rief 
er aus: — „est iſt Alles gut, Ricarda, und 
recht von Herzen danke ich Ihnen dafür! 

„Für was, Señor?“ ſagte San Blas, ber 
hinübergetreten war und jeiner Tochter Arm 
ergriff. 
„Kür ein freundliches Wort, Señor,“ fagte 
der junge Mann bewegt, „und glauben Sie mir, 
fie find uns jpärlicdy genug in ber legten Zeit 
zugetheilt worden. Für wen vergießen wir unjer 
Blut? Für unjern Kaijer, befjen ganzes und 
einziges Streben es ijt, Merico glüdlich zu ma— 
hen, und wie wird ibm, wirb uns bafür ge- 
dankt? Nur mißtrauiſch betrachtet man überall 
die Fremden, als ob wir gerade als Eroberer 
in das Land gefommen wären. Glauben Sie 
mir — wenn wir Merico einmal wieder ver— 
lafjen, werden nur Wenige an das Rand mit Liebe 
und Dankbarkeit zurückdenken.“ — 

Ueber das Pflajter der Straße Flapperten bie 
Iharfen Hufichläge einer Reiterpatrouille — e8 
waren Khevenhüller-Hujaren, die im jcharfen 


163 


Trab die Calle San Francisco berabfamen und 
im Nu den Pöbelhaufen zufammentrieben. Der 
ganze in Angriff genommene Raben war freilich 
ſchon jo ziemlich ausgeraubt,. aber fie verhüteten 
doc) weitere Ercefje, und ließen dann einen Theil 
ihrer Patrouille dort zurüd, während der Reft 
weiter ritt, um bie en Straßen ab— 
zufegen. 
Ban Leuwen hatte ſich der Familie empfohlen 
und ſtieg langſam die Treppe hinunter — ſein, 
durch einen Streifſchuß verwundetes Bein hin— 
derte ihn beſonders auf der Treppe. Die Straße 
lag wie verödet, denn die Leperos hatten ſich 
vor der drohenden Soldatentruppe ſcheu nach 
anderen Stadttheilen zurückgezogen. Weit war 
er aber noch nicht auf ſeinem Weg zur Kaſerne 
gegangen, als er den Präfecten O'Horan be— 
merkte, der mit vier Mann zur Begleitung ihm 
entgegenkam und ihn raſch, ſchon an der Uni— 
form und dem in der Binde getragenen Arm er— 
kennen mußte. Quer über die Straße ſchritt er 
auch direct auf ihn zu, und ihn mit einem trium— 
phirend lächelnden Blick betrachtend, ſagte er: 
„Señor Capitano — Sie werben ſich wohl noch 
der Worte erinnern, die Sie vor kaum einer halben 


Stunde äußerten — Sie ſind mein Gefangener.“ 
11* 


164 


„In weflen Namen ?' vief van Leuwen hef— 
tig aus, und feine rechte Hand fuhr rajch und 
zornig nad) dem Korb jeines Säbels — im Nu 
fielen ihm aber die Häfcher in den Arm und ber 
Präfect rief höhniſch: 

„Wenn es Sie zu wiſſen intereſſirt, Señor 
— im Namen des Kaiſers.“ 

„Das iſt eine niederträchtige, infame Lüge!“ 
ſchrie der Officier, indem er gewaltſam ſeinen 
rechten Arm — wenn auch vergebens, frei zu be— 
kommen ſuchte — „Schuft, verdammter, dafür 
ſollſt Du mir büßen!“ 

Aber ſein Sträuben half ihm Nichts, die 
Burſchen hatten den überdies wundenſchwachen 
Mann zu feſt und ſicher gepackt, und wenn ſich 
auch die wenigen Menſchen, die ſich auf der 
Straße befanden, wunderten, was die Polizei 
mit einem Officier der deutſchen Huſaren zu 
thun haben könne, ſo dachte doch Niemand 
daran, ſich hinein zu miſchen. Es war nun 
einmal eine wilde, tolle Zeit in der Stadt, Auf— 
ruhr an allen Ecken und Enden, und wohin 
man den Blick wandte, Verrath oder Mißtrauen 
— wer wußte denn, oder kümmerte ſich auch nur 
darum, was der da verbrochen hatte und was 
man von ihm wollte. 


165 


Da Flapperten hinter ihnen die Hufe einer 
beranfommenden Hufarenpatrouille, und Ges 
neral D’Horan, gerade mit feinem bejonders 
guten Gewiffen und den Hufaren au nicht recht 
trauend, wollte mit feinem Gefangenen raſch in 
das nächſte Haus treten — aber die Hausthür 
war verfchloffen. Er pochte heftig an, doch Nie: 
mand öffnete ihm — die Leute wollten mit 
den Vorgängen auf der Strafe Nichts zu thun 
haben, und dachten gar nicht daran, fie" zu fich 
herein und in das “innere des Haujes zu laffen. 

Die Hufaren waren indefjen auch Schon zu 
nabe in einem jcharfen Trabe berangefommen, 
denn fie hatten die rothe Uniform eines ber 
Ihrigen erfannt, den fie zu ihrem Erjtaunen 
in den Händen der Givilbehörde ſahen. Ueber 
die Gewalttbätigfeit der Handlung ließ ihnen 
aber der Gefangene jelber jchon feinen Zweifel. 
Ihm war die herantrabende Patrouille ebenfalls 
nicht entgangen, und wie er fie nur in Rufes 
Nähe wußte, ſchrie er ihnen auch ſchon fein: „Zu 
Hilfe, Kameraden !” entgegen. 

Rittmeilter Scyindler von den Khevenhüllern 
commandirte den Fleinen Zug, war aber, fein 
Pferd Schon Scharf im Zügel und den blanfen 
Säbel überdies in der Fauſt, mit wenigen Süßen 


166 


bei der Gruppe, die den jungen Officier noch 
immer gefaßt hielt, und frug bier mit jeinem 
ſehr gebrochenen Spanish, was das bedeuten 
jollte. 

„Schindler ‚ rief ihm van Leuwen in deut— 
ſcher Sprade zu, „thun Sie mir einmal ben 
Gefallen und hauen Sie dem Schuft, dem Prä— 
fecten, eins mit der flachen Klinge um die Ohren, 
das verſtehen die Canaillen am allerjchncliten.‘ 
Schindler aber, der den Präfecten ebenfall® er— 
fannte, war dod) zu vorfidhtig, um den bejchei- 
benen Wunſch gleich fo ohne Weiteres zu er: 
füllen. — O'Horan jelber antwortete auch jofort: 

„Der Herr bier ift mein Gefangener, im 
Namen des General Marquez, des Stellvertre= 
ters des Kaiſers. Er hat verrätheriiche Reden 
geführt.” 

„Caracho!’ rief der Rittmeijter, der die jpa= 
niihe Sprache bejjer verſtand, als er ſich darin 
auszubrüden wußte — „weiter Nichts, und ba 
werft Ihr Euch zu Fünfen auf einen verwuns 
beten Dfficier? Laßt ihn los, Carachos, oder 
ih baue Euch mit der Plempe über die Schädel, 
daß Euch die Haare vom Kopf berunterfliegen.‘ 

„Señor!“ rief O’Horan fajt außer fi vor 
Wuth. „Ich bin PBräfect in Merico, und wenn 


167 


Gie fih unterjtehen, in meine Rechte einzugreis 
Ten, 

Ban Leuwen indeſſen hatte kaum feinen rech— 
ten Arm frei bekommen, als er auch den Säbel 
aus der Scheide riß. 

„Hund von einem feigen nichtswürdigen Mexi— 
caner,“ ſchrie er den erſchrocken zurückweichenden 
Präfecten an, „öffne den verrätheriſchen Mund 
noch zu einem einzigen Worte, und ich jtoße Dir 
den Säbelforb in die Zähne — fort oder beim 
Himmel ich vergefle, daß Du an den Galgen ge— 
hörſt, und gebe Dir einen ehrlichen Soldatentod.“ 

„Wenn Shr was von ung wollt,‘ fagte aber 
auh der Rittmeifter finfter, ‚jo meldet Eu 
beim Grafen Khevenhüller und beflagt Euch bei 
dem. Das wäre no jchöner, wenn wir ung 
auch noch jollten von der Polizei in den Straßen 
abfangen laſſen. Kir müflen jo ſchon Eure 
Dienjte thun. — Geht und treibt Euer eigenes 
Gefindel auseinander, da habt Ihr genug Arbeit. 
— Herr van Leuwen, nehmen Sie ein Pferd von 
Einem meiner Leute. — Sie find noch jo ſchwach 
auf den Beinen.‘’ 

D’Horan, der dem jungen hitköpfigen Belgier 
nicht recht traute, war ein paar Schritte zurüd: 
getreten. Jetzt rief er dem Rittmeifter zu: 


168 


„Sie haben mir über dieſe Mißhandlung 
der öffentlichen Gewalt Rechenſchaft zu geben!’ 

Die Officiere fümmerten fi) aber gar nicht um 
ihn, die Hufaren lachten und ber kleine Zug ver= 
folgte jeßt langfam feinen Weg nad) der Kaferne 
zu. Von einzelnen Balconen aus aber, auf welche 
bier und da Damen herausgetreten waren, winf: 
ten fie den Hufaren, bie fich erjt wieder vor ganz 
furzer Zeit jo bejonders ausgezeichnet batten, 
mit ihren Tüchern zu, und Rittmeijter Schindler 
dankte auf das huldvollſte mit feinem Säbel. 

Die nächſten Tage verliefen, außer einigen 
Brodfrawallen, zu denen bas arme Volk durch 
Hunger getrieben wurde, und bei welchem fich 
hier und da die Polizei jelber betheiligte, ziem- 
lich ruhig. Einzelne Gebäude wurden erbrochen, 
fogar das große Theater, von dem e8 hieß daß 
Maisvorräthe darin aufgeltapelt jeien, obgleich 
man freilich nur fehr wenig fand. | 

Uber mehr noch fait als leibliche Noth, die 
jet unter allen Schichten der Bevölkerung 
fühlbar wurde, quälte die Einwohner von Merico 
die Ungewißheit über Alles, was außerhalb vor: 
ging und nur in dumpfen, beunrubigenden Ge— 
rüchten nad innen feine Bahn fand. — Woher 
die Nachrichten famen, man wußte es nicht — 


169 


es war, als ob jie in der Luft lägen; aber bald 
flüfterte man fih von Mund zu Mund zu — 
Queretaro fei genommen und ber Kaijer gefan= 
gen. — Andere wieder hatten „von irgend wem“ 
gehört, daß Santa Anna in Vera-Cruz gelandet 
ſei und dann ein neuer Bürgerkrieg vor der Thür 
stand. 

Andere Gerüchte durchliefen aber auch wieder 
die. Etadt, die gerade das Gegentheil behaupte: 
tefi. Nach diejen jollte der Kaiſer Escobedo’s 
Armee voljtändig geihlagen haben und im Ans 
rüden auf die Hauptitadt fein — woher fie ka— 
men? — wer wußte es, wer Fümmerte ji) darum 
— man glaubt ja jo gern, was man wünfct. 

Mieder hieß es: das von den Liberalen ge- 
nommene Puebla habe jich für das Kaiſerreich 
erflärt und die Beſatzung vertrieben; dann: die 
Hälfte des DBelagerungsheeres fei abgegangen, 
um den von Diten und Norden anrüdenden Feind 
zu befämpfen und fich mit den gejchlagenen Trup— 
pen zu vereinigen, furz, e8 war ein Gewirre von 
unverfolgbaren Gerüchten, von denen ſich bis 
jet noch keins auf irgend eine thatjächliche 
Weiſe bejtätigte, daß e8 die Bewohner der’ ein 
gejchlofjenen Hauptjtadt fajt zur Verzweiflung 
trieb. 





170 

Dabei wurde Merico aber immer jchärfer 
beſchoſſen und enger eingejchloffen, und faft zu je- 
ber Stunde am Tag flogen die Kugeln in bie 
Stadt hinein und verwundeten und tödteten Ein: 
zelne — aber man hatte fi jo daran gewöhnt, 
daß man die Gefahr zulegt faft gar nicht mehr 
achtete und viel begieriger geworden war, Neues 
draußen und aus erfter Hand zu hören, als 
feine Glieder ficher hinter feiten Mauern zu 
wiſſen. 

Die Alameda, der -eigentlihe Spaziergang 
ber Mericaner, war allerdings in ben eriten 
Tagen der Belagerung, bejonders da auch dort 
einige Kugeln einjchlugen, völlig verödet gelajjen 
und fein Menſch wagte ſich dort hinaus — jetzt 
Ihwärmte es wieder in den Abendjtunden von 
Beſuchern, und jelbjt Damen fcheuterf fi nicht, 
oft unter jchwirrenden Kugeln Hin, unter den 
Ihattigen Bäumen derſelben ihre Promenade zu 
machen, um da und dort Befannte zu treffen, 
die ihnen doch vielleicht etwas Bejtimmtes 
mittheilen fonnten. 

Dahinein brachte der „Diario del Imperio“ 
eine Nachricht, die Allen wieder neuen Muth 
gab: „Slaubwürbige Perjonen,’ hieß es, „welche 
von Maravatio abgingen, verfichern, daß am 13. 


171 


Escobebo einen allgemeinen und heftigen Sturm 
auf Queretaro unternommen, von den Kaiſer-— 
lichen aber total zurüdgefchlagen worden fei und 
400 Mann verloren babe. Escobedo's Truppen 
jeien nicht mehr zum Stehen zu bringen BEREIeN 
und bejertirten in Maſſe.“ 

Man glaubte e8 die erften Stunden und 
zweifelte dann wieder daran, 

Darnach erſchien ein Faiferliches Handbillet in 
bemjelben officielen Blatte, welches ankündigte, 
daß fi Seine Majeftät jhon auf dem Wege nad) 
Merico befinde, der große Train aber, wie bie 
ben Eolonnen mafjenhaft angefchloffenen Fami— 
lien von Queretaro die Ankunft verzögerten. 

Es war kaum möglich, an diefem Gerücht zu 
zweifeln, aber troßdem ftiegen wieder Zweifel 
auf, denn Kaufleute aus Merico, weldye directe 
Driefe erhielten, berichteten an Obriſt Kodolich, 
daß Queretaro am 15. Mai beftimmt gefallen 
und der Kaiſer ein Gefangener ber Liberalen jei 
— aber es waren nur Gejchäftsbriefe, auf die jte 
ji beriefen — feine bejtimmte Ordre, fein Be— 
fehl vom Kaifer jelber, die Waffen niederzulegen, 
und die waceren Defterreicher fonnten auf jolche, 
wenn aud faſt zu glaubhafte Berichte die Etabt 
nicht übergeben. Noch war eine Möglichkeit 


172 


vorhanden, daß auch die Kaufleute getäufcht feien, 
wenn auch die ſchlimme Nachricht mehr und mehr 
Glauben in der Hauptftadt fand. 

Da plötzlich Täuteten eines Tages alle Glocken 
— Sanonendonner erjchallte, jo daß die Libera— 
len draußen glaubten, es fei in der Stadt eine 
Revolution ausgebrodhen, und zu ftürmen ver— 
ſuchten. Aber fie wurden in entjchiedener Weife 
zurüdgemwiejen, denn Jubel berrichte in ber gan— 
zen Armee — und weshalb? 

General Arellano hatte ſich — wie es hieß, 
der Armee des Kaiſers vorausgejchlichen und war 
verkleidet in die Stadt gefommen. Er bradte 
bie günftigften Nachrichten. Dueretaro mußten 
die Kaiferlichen allerdings aus Mangel an Le— 
bensmitteln räumen. Escobedo aber jei voll: 
jtändig geichlagen und fiegreich zog das Faijer- 
liche Heer feiner Hauptjtadt wieder zu. 

An dem Abend war große Sllumination in 
der Stadt und ein prachtvolles Feuerwerk jandte 
die flammenden Rafeten dem jternenhellen Him= 
mel zu. Die Belagerungstruppen draußen vor 
den Wällen zerbradhen fi den Kopf, was da 
drinnen jo Glückliches paffirt jein könne, ja hör- 
ten jogar mit der Beſchießung der Stadt auf, 
um erſt einmal Näheres zu erfahren. 


173 


Marquez ritt von feinem Stab begleitet durch 
die Stadt, und fein fonngebräuntes finfteres Ge— 
fiht, das jetzt noch eine häßliche Schußnarbe 
entjtellte, da er ſich erſt kürzlich den früher ge= 
tragenen Bollbart abrafirt, ſtrahlte vor Ber: 
gnügen, 

Die Mericaner find leicht erregt. Obgleich 
die Leute faſt Nichts mehr zu efjen hatten, wur— 
ben doch überall gleich Bälle- und Yeltivitäten 
arrangirt. Die Indianer hielten Aufzüge in den 
Straßen, und man gab fi) dem vollen Jubel 
eines baldigen Sieges hin. 


7. 
Der Derrath. 


Hatte die Garnijon wie bie ‚Bewohner ber 
Hauptjtadt Merico mit dringender Noth und 
einiger Ungewißbeit zu fämpfen, jo war Beides 
nicht minder in dem eng eingejchlojjenen Quere- 
taro ber Fall. In Merico erwartete man ftünd- 
lich die Ankunft des Kaiſers — bier dagegen bie 
bes General Marquez, und wie bie Regierung 
dort falfche aber ungünjtige Nachrichten verbrei- 
ten ließ, um die Soldaten nicht zu entmuthigen 
und das Volk zu DEruNIgEN, jo war das RUN: 
auch bier der Tall. 

Der Kaijer jelber, wie die oberen Generale 
zweifelten jest, nachdem Marquez ſchon über 
ſechs Wochen ausgeblieben, nicht mehr an feinem, 
wie an Bidaurri’s Verrath, aber troßdem bielten 





175 


fie e8 geheim, und nicht einmal feinem Leibarzt 
Doctor Baſch theilte der Kaifer feine Ueberzeu— 
gung mit, jondern ſuchte au ihn guten Muthes 
zu erhalten. 

Bis dahin Hatte fih nun der Kaifer nod 
immer auf das entichiedenfte geweigert Quere— 
taro aufzugeben, troßdem daß ihm jelber ber 
größte Theil feiner Generale zuredete ſich nad) 
der benadhbarten Sierra Gorda durchzuſchlagen, 
wo General Mejia bejonders von den Indianern 
verehrt wurde. Marimilian nannte den Plaß 
jelber zuweilen eine „Maufefalle”, hielt es aber 
einestheil® nicht mit feiner militärifhen Ehre 
vereinbar, da er das ſchwere Geſchütz in Feindes 
Hand lafjen mußte, und zeigte ſich auch um das 
Schickſal der Stadt jelber bejorgt, die jo treu 
und aufopfernd zu ihm gehalten. Aber jetzt 
drängte ihn doc Alles zu einem entjcheidenden 
Schritt, und er fing jelber an verbittert gegen 
ein Volk zu werben, das ihm nur all’ feine Treue 
mit Berrath und Undank lohnte.. 

Wie hatte Lares und fein Minifterium Wort 
und Handſchlag gegeben, ihn treu und aufrichtig 
zu unterjtüßen und ihm nad beiten Kräften zu 
dienen, und was hatten jie getban? Die Trup— 
pen, die er nachgejandt verlangte, jchidten fie 


176 


nicht ab, wahrjcheinlich weil fie wußten, daß fie 
jih in der Hauptſtadt befjer und ficherer auf 
dieſe Fremden Soldaten verlafjen konnten, als 
auf ihre eigenen. — Marquez dann, der Elende, 
und jelbjt Vidaurri, den er vor allen Anderen 
treu gehalten — wie hatten jie ihm gelohnt — 
nur dadurch, daß fie ihn volljtändig im Stiche 
ließen, um ihre eigenen — vielleicht verrätheri- 
ſchen, jedenfalls jelbjtjüchtigen Pläne zu verfol- 
gen. — Und durfte er ſelbſt bier in der Feſtung 
Allen trauen? Die Generale waren ſtets un: 
einig untereinander, befonders Mendez und Mi: 
ramon, und oft famen ihm Andeutungen zu, daß 
Der oder Jener es nicht ehrlich mit ihm meine. 

Gegen Miramon bejonders hatte er ja nod 
immer jelber von früher ber einen, wenn aud 
durch nichts Directes begründeten, doch audy nicht 
ganz grundlofen Verdacht, und nur das ſtets 
offene Benehmen des ‚jungen Generals‘, wie 
er ihn im Geipräh mit Anderen gewöhnlid- 
nannte, zerjtreute immer wieder jedes Mißtrauen, 
dem er dann und wann body vielleicht Raum ges 
ben wollte. Zu einem vollen Gefühl der Sider- 
heit kam er indefjen nie, und trotzdem Fonnten 
bie gerade, von denen er ſich volljtändig über: 
zeugt halten durfte, daß fie es wirflich treu und 


177 


ehrlich mit ihm meinten, wie Doctor Baſch, Obrift 
Prinz Salm und jein waderer indianischer General 
Mejia, nie einen wirklichen Einfluß bei ihm ge= 
winnen. Sie durften ſich im Gegentheil feit davon 
überzeugt halten, daß, wer na cd) ihnen zum Kaifer 
fam und eine befjere Ueberredungsgabe bejaß, 
auch ficher ihre Rathichläge wieder in den Schat— 
ten ftellte, oder ganz über ben Haufen warf. 

Wie lange ſchon hatten ihm dieſe gerathen, 
die unglüdjelige Feſtung, die wohl ein wichtiger 
Punkt für das ganze Reich war, zu einer Zeit 
aber, wo das Reich jchon eigentlih gar nicht 
mehr dem Kaijer gehörte und er ſich nur noch im 
Befit weniger Städte befand, im Stich zu lafjen — 
Er wollte nit hören, bis er jeßt endlich doch 
fühlte, daß er bier Nichts in der Gottes Welt 
that und thun Fonnte, als fich jelber am Leben 
zu halten und die Seinigen in nußlojfen Schar: 
mügeln nad) und nad) zwar langjam, aber ficher 
aufzureiben. Jetzt endlich entſchloß er ſich dem 
immer beftigeren Drängen bes alten Mejia und 
des Prinzen Salm nadzugeben. 

In einem Kriegsrath wurde fejtgeitellt, den 
Feind am nächſten Morgen an zwei beftimmten 
Punkten anzugreifen und zu bejchäftigen und wo 
möglich dabei zurüdzujchlagen. Dann, jobald 

12 


Fr. Gerftäder, An Merico. IV. 


178 


man ihn in Verwirrung gebracht, jollte das ganze 
Heer, nur mit Jurüdlafjung ber ſchweren Ge: 
ſchützſtücke, aufbrechen und direct in die benad): 
barte Sierra Gorda eindringen, die Mejia’s Hei: 
math bildete, und wo er von den bort haufenden 
zahlreihen Indianerbanden allgeliebt und ver- 
ehrt war. 

Der Ausfall fand ftatt, und zwar mit jo un- 
erwartet günjtigem Erfolg, daß die ganze Bela: 
gerungs: Armee in Verwirrung gerieth. Caſtillo 
und Miramon leiteten den Angriff. Major 
Pittner mit den Gazadores nahm gleih im 
eriten Anlauf die erjte feindliche Linie und die 
dortige Batterie — und rollte mit Miramon 
zur Unterftüßung die ganze feindliche Linie 
auf. Die Liberalen ſuchten ihr Heil in wil— 
der Flucht, 15 Gefhüße, 7 Fahnen und 547 
Gefangene mit 21 Officieren fielen den Kai— 
jerlihen in die Hände; dazu Mafjen von Mu: 
nition, Waffen, Gepäd und Proviant. 

Auch Caſtillo drang fiegreih vor und nahm 
6 Geſchütze, und die Niederlage des Feindes 
Ihien vollfommen. 

Anftatt aber nun diefen unerwartet günftig 
ausgefallenen Schlag zu benugen und den ſchon 
in den Eleinjten Theilen vorbereiteten Plan zum 


179 


Durchbrechen der feindlichen — jeßt völlig auf: 
gelöjten Linien auszuführen, zeigte der Kaijer 
aufs Neue Luft feine Stellung zu behaupten, 
benn er fonnte das ihm unangenehme Gefühl 
nicht abjchütteln, gewiffermaßen vor dem Feind 
zu fliehen. 

„Wahrhaftig, Mejia,“ jagte er zu dem alten 
treuen Indianer, der ihn drängte den Moment 
zu benüßen, „mir will es nicht in den Kopf, 
vor einem Maulthiertreiber das Haſen— 
panier zu ergreifen, und Escobedo ijt ja doch 
nicht8 weiter.’ 

„Majeſtät,“ fagte Mejia in feiner trodenen 
und derben Weiſe, „haben ſich ſchon mehrfach 
in ähnlicher Art geäußert, aber doch wohl nur 
den europäiſchen Begriff von Maulthiertreibern 
mit herübergebracht. Hier in Mexico und in all' 
ben ſüdlichen Ländern iſt ein richtiger, Arriero 
ftets ein jehr geachteter Mann, und man kann 
nur die tüchtigften Leute dazu gebrauchen. Da— 
bei haben fie genaue Terrainkenntniß, das Wich— 
tigjte in Merico für einen General, und daß es 
Escobedo aud nit an Muth fehlt, Hat er uns 
Ihon ein paar Mal bewiejen. Wir fißen außer: 
dem bier eingefeilt, während er da draußen fort» 


während neue Juzüge befommen kann und das 
12% 


180 


ganze Land zur Verfügung hält. Der Pla 
wird bier zu warm für ung — bod wozu das 
Alles noch einmal wiederholen, was jchon über 
und über bejprodhen und berathen wurde. Nur 
beilen können Sie verjichert jein, ein günftigerer 
Moment, um den Kopf bier ehrenvoll aus der 
Schlinge zu ziehen, fommt nicht wieder.” 

„Aber mein guter Mejia,‘ jagte der Kaiſer, 
„es bat jich ja doch heute deutlich gezeigt, daß 
uns der Feind, wenn wir nicht bleiben wollen, 
gar nicht halten kann. Er verfügt über größere 
Truppenmaſſen, ja, aber fie find vertheilt, und 
wo wir jet mit ihm zujfammentrafen, haben wir 
ihn doch vor ung her gejagt.‘ 

Mejia zucte einfach mit den Achjeln. Er 
war fein großer Redner, und wozu noch einmal 
wiederholen, was er ſchon Alles gejagt hatte. 

Vergebens bemühte ſich auch jegt Prinz Salm 
den Kaifer zu überreden, ohne weiteres Zögern 
den Zug in die Sierra Gorda anzutreten. Der 
jiegesgewifje Miramon, der felber feinen Mo: 
ment an dem Erfolg zweifelte, wo fie heute einen 
jo glänzenden Sieg errungen, bejtärfte ben 
Kaifer nur in jeinem Bertrauen und überres 
dete ihn leicht, feinen Abmarſch noch zu verzö— 
gern — glaubte er doc) felber, daß er das mit 





181 


diefen wackeren Truppen zu jeder Stunde, und 
warn er es für gut finden follte, ermöglichen 
würde, 

Dadurch verfäumte man bie Zeit. — Der 
Sieg follte verfolgt und noch ein neuer Angriff 
unternommen werben, aber dem Teinde waren 
lange Stunden gelafien, um von Escobedo's 
Hauptquartier mächtige Verſtärkungen herbei zu 
ziehen, und Miramon’s neue Angriffs-Colonnen 
wurden jest zurüdgemworfen. 

Der Kaijer war jelber an ber Spibe feines 
Heeres — er wollte nicht weichen — in einem 
wahren Kugelregen feuerte er felber die Truppen 
an —- umjonft — fie waren nicht zu halten, 
und der Lebte von den Seinigen, nur von dem 
Prinzen Salm und Miramon begleitet, ritt er 
im Schritt in die Stadt zurüd. 

Allerdings glaubte der Feind jet vielleicht 
den günftigen Moment erfaßt zu haben, um die 
Stadt gleich jelber mit zu nehmen, mußte feinen 
Vebermuth aber jchwer büßen. Er wurde mit 
furchtbaren Verluſten zurüdgeworfen und befette 
nun wieder die Höhen, welche die Kaiferlichen 
heute Morgen erjt genommen. 

Diefem Hauptausfall folgten noch einige klei— 
nere, meijt mit Erfolg gefrönte, aber die Si— 


182 


tuation blieb deshalb dieſelbe — nur mehr Ver— 
wundete befam man, nur enger jchloß der Feind, 
der immer mehr Zuzug erhielt, die Stadt ein. 

Der Kaifer war in biefer Zeit jehr nieder: 
gedvrüdt — die Stadt wurde unaufhörlich be- 
ihofjen, und Granaten plaßten überall in ben 
Straßen. Er achtete e8 nicht — es war oft 
als ob er den Tod förmlich fuche, jo wanderte 
er ruhig und jtundenlang an den gefährbetiten 
Stellen umher, aber er war wie gefeit, und wenn 
um ihn in unmittelbarer Nähe jelbjt Granaten 
plaßten, berührte ibn doch nie auch nur ein 
Splitter. 

Dieſer Zuſtand wurde aber auf die Länge 
der Zeit unerträglich — die Lebensmittel hatten 
in der Stadt in einem Grade abgenommen, der 
das Schlimmſte befürchten ließ. Man beſchloß 
endlich in einem wieder gehaltenen Kriegsrath 
in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai mit dem 
ganzen Reſt der kleinen Armee durchzubrechen 
und die Sierra zu gewinnen. 

Diesmal aber war es Mejia — der um einen 
Aufſchub, und zwar nur von 24 Stunden bat. 
Man beabfichtigte während des Abzuges eine 
Anzahl von Indianern zu bewaffnen, die indeß 
die Wälle bejegen und den Feind glauben maden 


183 


jollten, daß das eigentliche Heer noch in Quere— 
taro ftehe. — Mejia wünjchte noch mehr Ge: 
wehre berbeizujchaffen — e8 Fam ja nit auf 
24 Stunden an. 

An dem nämlidhen Abend lie ſich Obrift 
Lopez bei dem Kaijer, bei dem ſich gerade Prinz 
Salm befand, melden und bat um nur wenige 
Minuten Gehör. 

Der Kaiſer hatte den Obriſten gern — Lopez 
bejaß, bei einer hübſchen perſönlichen Erſchei— 
nung, etwas Gewinnendes und jelbjt Elegantes 
in jeinem ganzen Wejen, das nicht ohne Einfluß 
auf Marimilian geblieben war. Wußte er doch 
auc dabei, daß gerade Lopez ihm vor allen An— 
beren in vielen Stüden zu großem Danf ver: 
pflichtet war, und hielt fi von feiner Treue 
deſto fejter überzeugt. 

Der Kaifer hatte ein Feines Wachtelhündchen, 
das er gewöhnlid; Baby nannte, und das mit 
großer Treue an ihm hing. 

Es war au mit allen Menſchen freundlich 
und biß nie, konnte aber fjonderbarerweife ge= 
rabe Lopez nicht leiden und knurrte jedesmal, 
ſobald er in feine Nähe fam. Heute, wie er 
nur bie Stube betrat, und ehe der Obrilt ein 
Wort jagen Fonnte, fuhr Baby wüthend von fei= 


184 


nem Lager auf und gegen den Officier an, und 
bellte und ſchien jo außer fi, daß es der Kaiſer 
faum beruhigen Fonnte. 

„Aber was Taufend, Baby — was haft Du 
nur heute,‘ ſagte Marimilian, indem er es 
jelber aufnahm und leicht Elopfte — ‚was fällt 
Dir denn ein? Kehren Sie fih nicht daran, 
Lopez — wer weiß denn, was dem Fleinen un= 
gezogenen Ding durch den Kopf gefahren ift — 
was führt Sie zu mir? 

„Eine Bitte, Majeſtät!“ fagte der Obrift, 
ber jichtlih durch den Zorn des Fleinen Thieres 
in Berlegenheit gerathen war, ‚ich wollte Ma— 
jeftät erfudhen, daß Obrijtlieutenant Jablonsky 
von der Cavallerie mit feinen Leuten eine Linie 
ber Cruz am Pantheon bejeßen dürfe. Die In— 
fanterie ift überdies fo enorm mit Wachen über: 
laden, und die Cavallerie im Gegentheil ge— 
Ihont worden, daß man ihr wohl eine Erleichte= 
rung gönnen kann.“ 

„Gern, gern,‘ fagte der Kaifer freundlid — 
‚ih bin Ihnen fogar dankbar dafür, lieber 
Obriſt. Sonft Steht Alles gut? Keine Neuig= 
feiten 9 

Des Obriften Augen bligten für einen Mo— 
ment auf — aber es war auch in der That 


2 Die 
2 
- 


nur ein Moment, und mit ruhiger Stimme er— 
wieberte er: 

„Richt, dag ih müßte, Majeftät — bas 
Neuefte, was wir haben, find die Granaten, bie 
uns der Feind jo freigebig in die Stadt jchüttet.‘ 

Der Kaijer winkte wehmüthig lächelnd mit 
der Hand. „Wir werden ihm die Mühe bald 
eriparen, lieber Obriſt — alſo richten Sie es fo 
ein, wie Sie es für gut finden. — Daß mir bie 
Leute aber wachſam find!’ 

„Majeſtät können fich fejt auf fie verlafjen.‘' 

„Merkwürdig,“ jagte der Kaifer zu Prinz 
Salm, als Lopez das Zimmer verlafien Hatte, 
„daß mein Fleiner Baby den Obrijten nicht leiden 
mag. Wenn ich abergläubijch wäre, würde ich 
das Gefühl theilen.‘ 

„Es iſt ſonderbar,“ fagte der Prinz, „aber 
Hunbe haben manchmal einen richtigen Inſtinct. 
Uebrigens halte ih den Obrijten jelber für 
ehrlih. Wenn er es niht wäre, Meajeftät, 
welchem Mericaner jolten Sie nachher noch 
trauen ?* 

Der Kaifer feufzte, aber er ermwiederte nichts 
weiter, und als auch Doctor Baſch das Zimmer 
betrat, nahm das Geſpräch bald eine andere 
Wendung. 


185 


186 


Obriſt Lopez indefjen ging in bie Stabt 
hinab, aber in düſterem unbeilvollen Sinnen. 
Die Arme verſchränkt, ven Kopf gejenft, das faſt 
glühende Auge auf den Boden gebeftet, jchritt 
er in fein Grübeln vergraben vorwärts und 
achtete nicht auf das, was um ihn ber vor— 
ging. 

„Halo, Lopez — jo in Gedanken?“ — rief 
ibn da plöglih eine Stimme an — Obrijt 
Guzmann, der dicht an ihm vorüberging, ohne 
baß er ihn bemerft hätte — „it Etwas vorge— 
fallen ?” 

„Vorgefallen?“ jagte Lopez, raſch und fait 
erichredt den Kopf hebend — „nein — nicht, 
daß ich wüßte — wenigjtens nicht bier im Lager.’ 

„Sie kennen die Nachrichten von Europa, die 
heute eingetroffen ſind?“ 

„don ber SKaijerin ?’ rief Obrift Lopez 
heftig, und feine ganze Geſtalt bebte — „wohl 
fenne ich fie — aber ihr ift wohl. Sie hatte 
feine Freude und fein Glüf im Leben — mag 
fie Frieden im Tode finden — aber wer brachte 
die Nachricht 2’ 

„Ein Dejerteur — Escobebo ſoll eine De— 
peſche erhalten haben.“ 

„Arme Frau,” ſagte Lopez düſter — „Sie 


187 


opferte fi für Merico, während dieſer Schatten= 
Faifer lich zu einem Bandenführer herabwürdigte.“ 

„Lopez? rief Obriſt Guzmann erihredt — 
„was fällt Euch ein — hat der Kaijer nicht wie 
ein tapferer Soldat jein Recht vertheidigt 2’ 

„Ja,“ fagte Lopez, dem die Worte vielleicht 
nur in der Uebereilung entihlüpft waren — 
‚das bat er allerdings — er iſt tapfer.‘ 

„Und theilt alle Entbehrungen feines Heeres 
willig ?” 

„Auch das thut er —“ 

„Und iſt ein befjerer Mericaner als Juarez 
und Ortega zujammen.” 

„Möglich, ſagte Eos ‚Pape — „aber er 
war ein Schlechter Gatte —“ 

„Ein ſchlechter Gatte? Was fällt Euch ein? 
Die Kaiſerin hing mit unendlicher Liebe an ihm.“ 

„Aber er war kalt und unfreundlich ge— 
gen ſie.“ 

„Thorheit — wer hat Euch das Märchen 
aufgebunden? Außer ſich war er, als er von 
ihrer Krankheit hörte, und man verheimlicht ihm 
ja auch deshalb nur ihren jetzt erfolgten Tod.“ 

„Ich weiß es,“ ſagte Lopez düſter — „es — 
es mag ſein, daß ich mich irre. Seine Umge— 
bung ſprach nur davon.“ 


188 


„Seine Hausbiener? — eine ſchöne Bande, 
bie er fi da mitgebradht hat. Sie ftehlen wie 
die Raben. Als ich in Cuernavaca einmal bei 
ihm war, hatte er nicht einmal Butter in der 
Hofhaltung, und als er in das Dorf fchicte, 
wollten fie ihm ohne Geld Feine ſchicken. Sein 
Derwalter, oder was der Kerl war, hatte wochen— 
lang die Butter gefauft, nicht bezahlt und dann 
für baar Geld wieder verkauft, aljo doppelt ge— 
jtohlen, und bie Faiferlihe Hofhaltung befam 
Nichts. Das find auch die Halunfen, die, wenn 
das Kaijertbum einmal zufammenbricht, mit ge= 
füllten Geldbeuteln und Koffern nad Haufe 
zurüdkehren und dann noch womöglih eine 
Penfion-für die ‚treuen Dienfte‘ verlangen, die. 
fie geleiftet. — Hol’ fie der Teufel!” 

Lopez erwieberte Nichts darauf; er war ſtill und 
in ficy gekehrt, und als er bald darauf Jablonsky 
begegnete, nahm er deffen Arm und fehritt mit 
ihm die Straße hinab. 


* 
* * 


Der Ausfall war auf die nächſte Nacht ver- 
Ihoben worden, aber jchon in dieſer jollte Alles 
gerüftet bleiben, und der Kaifer hatte jogar be- 
foblen, daß die Leib-Escorte und die Huſaren 


189 


ihre Thiere gefattelt ließen. Sie fonnten ſich 
nachher über Tag ausruhen und reichlich Futter 
befommen. 

Die Vorbereitungen waren volljtändig ges 
troffen, Alles reife: und marfjchfertig, und das 
fleine Gepäd lag jchon bereit, um im lebten 
Moment auf Pferden und Maultbhieren mit 
genommen zu werden. 

Doctor Baſch war noch ſpät beim Kaifer. 

„Ich bin jehr erfreut,‘ ſagte er ihm, „daß 
e8 endlich einmal zum Schluß fommt. Ich habe 
auch die beite Hoffnung. Theilweiſe baue ich 
auch auf mein jtetes gutes Glüd, das mich bis 
jetzt noch nicht verlafien bat, und — halten Sie 
es für ein VBorurtheil oder nicht — aber morgen 
ift der Namenstag meiner Mutter, und ich glaube, 
der wird mir Glüd bringen.‘ 

Eilf Uhr Nachts war es, als Lopez, völlig an— 
gekleidet, in feinem Fleinen Gemach mit rajchen, 
haftigen Schritten auf und ab ging — fein Säbel 
wie feine Revolver lagen auf dem Tiſch und 
neben ihnen ein Geldgurt mit Silber gefüllt, 
das er aus der Reijefafje des Kaiſers befommen 
hatte, um e8 für diefen zu jichern. 

Da Elopfte es leife an die Thür, und auf 
fein heftiges entra öffnete Jablonsky dieſelbe. 


190 


„Caracho!’ fagte diefer leiſe, indem er ſich 
fheu im Zimmer umjah — „was ijt nun im 
Wind? — der Kaiſer ſchickt und verlangt nad 
Euch.“ 

Lopez wurde todtenbleich — endlich ſtammelte 
er: „Zu dieſer Stunde der Nacht?“ 

„Seine Majeſtät haben oft wunderliche Ideen,“ 
ſagte der Burſche, „aber diesmal begreife ich 
ſelber nicht was es ſein kann. Der Teufel wird 
doch nicht etwa ſein Spiel gehabt haben?“ 

„Wer iſt draußen?“ 

„Mein eigener Schwager Pedro, der heute 
bei ihm die Wache hat, aber er behauptet, auch 
nichts weiter zu wiſſen, als daß ihn der Kaiſer 
abgeſchickt habe, Euch zu rufen.“ 

Lopez blieb ſecundenlang, den Blick auf den 
Gefährten geheftet, im Zimmer ſtehen — endlich 
ſagte er mit finſterer Entſchloſſenheit in den 
ſtrengen Zügen, indem er ſeinen Degen um— 
ſchnallte und ſeine Revolver in ſeine Uniform 
hineinſchob: 

„Was kommen ſoll, kommt doch — vielleicht 
nur etwas früher — ich gehe.“ 

„Und wenn ſie Euch zurückbehalten — was 
wird nachher?“ 

„Unſinn — es iſt nicht möglich, daß ſie auch 








191 


nur eine Ahnung haben — aber führe mein 
Pferd unten an die Thür und Halte es bort 
bereit.‘ 

„Und ich bleibe dann in der Falle ſitzen.“ 

„Du kannſt das Deinige auch mitbringen. 
Vorwärts — wir dürfen ihn nicht lange warten 
lafien. Er ijt außerdem immer mißtrauifh —“ 

„Und bat doc) jo wenig Grund dazu,‘ Tachte 
Jablonsky — „aber vamonos compaäero. In 
einer Bierteljtunde wiſſen wir woran wir find 
— was wird mit dem Gelde da?’ 

Lopez zögerte — Einen Moment war es, als 
ob er es dem Freunde übergeben wollte, aber 
ob er auch dieſem .nicht traute, er jchnallte es 
felber um, und raſch fchritt er dann hinaus, um 
dem Befehl des Kaifers nachzukommen. — Seine 
Befürchtungen aber, welche er auch gehabt ha— 
ben mochte, zerjtreuten jofort die freundlichen 
Worte, mit denen ihn fein Faiferlicher Herr be= 
grüßte. 

„Ich konnte mir doch denken, lieber Lopez,“ 
lagte er, „daß Sie noch nicht fchliefen, und — 
wollte Ihnen gern noch eine kleine Freude be— 
reiten, denn morgen in dem Wirrwarr werben 
wir an Anderes zu denken haben. Hier,‘ fügte 
er hinzu, indem er von feinem Tiſch eine der 


192 


Bronce-Tapferfeitsmedaillen nahm und fie dem 
bejtürzt vor ihm jtehenden Dfficier an die Bruft 
heftete — „nehmen Sie dies Ehrenzeihen, das 
ic Ihnen Schon längere Zeit zugedacht. — Eigent— 
lich bat fie jeder Einzelne meiner waderen Sol— 
baten verdient, aber ih fann ja nit Alle 
decoriren.” 

„Majejtät find jo gnädig,“ ftammelte Lopez 
auf's tiefite beſchämt. 

„Aber eine Bitte habe ich dafür an Sie, und 
ich verlaſſe mich feſt darauf, daß Sie dieſelbe 
erfüllen — eine ernſte Bitte, Lopez!“ 

„Bedarf es da noch einer Verſicherung, Ma— 
jeſtät?“ 

„Gut,“ ſagte der Kaiſer, als er vor ihm 
ſtand, ihm die rechte Hand auf die Schulter 
legte und ihm ſtill in's Auge ſah. — „So hören 


.Sie, Lopez. Ich — möchte den Feinden nicht 


gern lebendig in die Hände fallen — verſpre— 
chen Sie mir, daß, wenn ich beim Durchbrechen 
durch die Armee vielleicht verwundet würde und 
in Gefahr wäre gefangen zu werden — Sie — 
mit einer mitleidigen Kugel mein Leben enden 
wollen — nur nicht Gefangener werden — ver— 
ſprechen Sie mir das!“ 

„Majeſtät,“ rief Lopez jetzt wirklich beſtürzt 


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E| * 


193 


— „aber was könnte Ihnen, ſelbſt als Gefan— 
gener, geſchehen?“ 

„Nur nicht gefangen, Lopez!“ rief Maxi— 
milian in unverkennbarer Aufregung — „nur 
nicht gefangen. Geben Sie mir Ihr Wort 
als Ehrenmann, daß Sie mich lieber tödten 
wollen.“*) 

Lopez zögerte noch immer, in die dargereichte 
Hand einzuſchlagen. 

„Und wenn ich Sie nun darum bitte,“ ſagte 
der Kaiſer, „ich hätte ja noch andere Freunde, 
aber ich fürchte wohl mit Recht, daß ſie Vorur— 
theil oder Weichherzigkeit davon abhielte. Schla— 
gen Sie ein, Lopez.“ 

„Gut denn, Majeſtät,“ ſagte der Obriſt, in— 
dem er ſeine Hand in die des Kaiſers legte, mit 
entſchloſſener Stimme, und ſein Auge blitzte da— 
bei in unheimlicher Gluth. — „Ihr Wunſch ſoll 
erfüllt werden. Verlaſſen Sie ſich auf mich.“ 

„Ich danke Ihnen — ich wußte es,“ nickte 
der Kaiſer befriedigt, indem er die Hand zurück— 
309g — „und nun, mein lieber Lopez, legen Sie 
ſich no) ein paar Stunden jchlafen. Ich kann 
Ihnen die Verſicherung geben, daß Sie mich jehr 


*) Nach des Kaiſers eigener Ausfage. 
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 13 


194 


beruhigt haben. Ich gehe Allem, was jett kom: 
men mag, mit feiter Zuverſicht entgegen.” 

Der Kaiſer ſchritt noch lange in feinem Zim— 
mer auf und ab. In feinem VBorzimmer hatte 
von zehn Uhr Abends an ein Mericaner, aber 
ein treuer Burjche, der an dem Kaijer von gan— 
zem Herzen hing, die Wache. Um ein Uhr hatte 
jih Maximilian niedergelegt, aber um halb drei 
Uhr Schon mußte Pedro den Doctor Baſch wecken, 
da er einen heftigen Kolifanfall befommen, der 
jih aber nad) etwa einer Stunde gab. 

Es modte halb Fünf fein, als die Thür leiſe 
geöffnet wurde, und Pedro, der ſich dahin wandte, 
erfannte zu jeinem Erjtaunen feinen Schwager 
Jablonsky, der mit leijem Schritt in dag Zim: 
mer ſchlich. 

„Schläft der Kaiſer?“ frug er flüjternd. 

„Ja,“ nickte Pedro — „was willft Du, An: 
tonio?“ 

Jabloͤnsky ſah ſich ſcheu um. „Dem Kaiſer 
eine Mittheilung machen,“ flüſterte er zurück. 

„Jetzt?“ ſagte Pedro kopfſchüttelnd — „der 
Kaiſer iſt eben erſt eingeſchlafen — er war 
krank. Du kannſt jetzt nicht zu ihm — komm 
morgen wieder.“ 

„Ich kann nicht — es iſt wichtig,“ ſagte aber 








195 


der Obrijtlieutenant, und feine dunfeln Augen 
bligten dabei im Zimmer umber, ohne denen 
Pedro's zu begegnen — „nur wenige Worte find 
e8 — dann — mag er jchlafen.‘ 

„Höre, mein Burſche,“ jagte der ältere Mexi— 
caner, der ihn indejjen aufmerfjam und aud 
mißtrauiſch betrachtet hatte — ‚‚was haft Du denn 
eigentlih ? — Du kommſt mir fo jonderbar vor!’ 

„Ich? — Nichts — was fol ich haben — 
aber lag mich hinein, Pedro,‘ flüjterte er ihm 
zu — „es jol Dein Schaden nit fein — id) 
muß den Kaiſer jprechen, der Feind iſt in der 
Stadt und doch Alles verloren.‘ 

‚Der Feind!” rief Pedro entjeßt. 

„Bit — nicht jo laut — wir dürfen ihn nicht 
erſchrecken,“ meinte Jablonsky, „ich komme gleic) 
zurück.“ 

„Halt, Compañero,“ ſagte da Pedro, indem 
er ſeinen Arm ergriff — „iſt der Feind wirklich 
in der Stadt, ſo muß der Kaiſer allerdings ge— 
weckt werden und Du magſt ihm Deine Nachricht 
bringen, aber“ — ſetzte er drohend hinzu, indem 
er einen Revolver von dem nächſten Tiſche nahm, 
„hüte Dich, amigo — mit Dir iſt nicht Alles 
richtig!“ 

„Aber Pedro!“ rief Jablonsky beſtürzt — 

13* 





196 


„ei vernünftig — e8 ijt doch Alles vorbei — 
Du ſollſt —“. 

„Wird dem Kaiſer da drinnen ein Haar ge— 
krümmt — und die Thür bleibt offen — ſo ſchieße 
ich Dich über den Haufen wie einen tollen Hund.“ 

„Aber Pedro, biſt Du wahnſinnig?“ flüſterte 
Jablonsky zurück. 

„Vollkommen bei Verſtand, amigo,“ nickte 
der Burſche — „geh und mache Deine Meldung 
raſch, aber hier an der Thür halte ich Wache — 
lebendig verläßt Du das Zimmer nicht wieder, 
wenn Du böſe Abſichten haſt, und ſagſt Du noch 
ein Wort, jo rufe ich die Wache — vorwärts, 
wenn Du einen Auftrag haſt.“ 

Jablonsky biß die Zähne zufammen, aber er 
fannte den jtarrföpfigen Burſchen gut genug. — 
zögerte er, jo wurde deſſen Mißtrauen überhaupt 
nur noch gerechtfertigter, und mit einem halb: 
laut gemurmelten Caracho betrat er das Schlaf: 
zimmer des Kaiſers. Wohl warf er nod) einmal 
den Blick zurüd, aber in der Thür jtand Pebre, 
mit dem Revolver in der Hand, und den Arm 
des Schlafenden jeßt ergreifend und fchüttelnd, 
rief er mit lauter Stimme: 

„Majeftät — ftehen Sie auf! Der Feind iſt 
in der Cruz!“ 








197 


„Der Feind?“ rief der Kaifer, der halb an— 
gekleidet auf feinem Bette lag, indem er raſch 
emporfuhr — ‚in ber Cruz?“ 

„Wir find verratben — fort, jo jchnell Sie 
können — ich will die Uebrigen alarmiren“ — 
und hinaus jtürzte er, indeß Pedro jelber über 
die furchtbare Nachricht entjegt ftand — und doch 
berrjchte eine durd Nichts unterbrodhene Stille 
in dem weiten Gebäube. 

Unmittelbar nachher wurden Doctor Bald 
und dann Prinz Salm, aber diefe durch ben 
Dbrijten Lopez alarmirt, der verftört zu ihnen in 
das Zimmer drang und jie beijchwor, den Kaijer 
zu retten, — und ringsumber dieje fabelbafte 
Ruhe — fein Poſten auf feinem Plate, der Markt 
jelbft war menjchenleer und öde, und fein Sol: 
dat zu jehen. 

Prinz Salm und Doctor Baſch eilten zum 
Kaifer — fie fanden ihn jchon vollfommen an— 
gekleidet, ven Säbel umgeichnallt, in jeder Hand 
einen Revolver, aber jo ruhig, al8 ob es einen 
Spaziergang gelte. 

„Salm, wir find verrathen!’” rief er dem 
Prinzen zu — „laffen Sie Hufaren und Leib: 
Escorte ausrüden. — Wir wollen nach dem Cerro 


198 


und fehen, wie wir die Sache in Orbnung brin= 
gen. Ich werde gleich Folgen.‘ 

Der Prinz erfüllte die Aufträge — als er 
zurüd eilte, traf er den Kaijer, aber jchon traten 
ihm feindliche Soldaten entgegen, die Marimilian 
aufhalten wollten. Obrift Don Joſé Rincon Gal— 
lardo commandirte die Truppe. Er erfannte au 
jedenfall8 im Augenblid den Kaijer, wandte jich 
aber an feine Soldaten und fagte: „Que pasen 
— son paysanos’ (fönnen pajliren, find Lands» 
leute (Freunde). 

Die Soldaten. traten zur Seite — der Kai— 
fer mit feiner Begleitung jchritt vorüber, und 
als der Prinz den Kaijer fragend anſah, jagte 
dieſer lächelnd: 

„Sehen Sie, es ſchadet niemals, wenn man 
Gutes thut. Man findet zwar unter Jwanzigen 
neunzehn Undanfbare, aber doch hier und ba einen 
Dankbaren. Das hat fi joeben bewährt. Die 
Mutter des feindlihen Dfftciers, der uns paſſi— 
ren ließ, war ſehr häufig bei der Kaijerin, bie 
ihr viele MWohlthaten erwiejfen hat. — Thun 
Sie Gutes, Salm, wenn immer Sie fünnen.‘‘ *) 

Der Kaijer z0g ſich jest mit feinen Beglei— 


*) Prinz Salm’s „Querétaro“. 





199 


tern nad) dem Gerro de las Gampanas hinüber, 
ohne daß er von feindlichen Truppen aufgehals 
ten worden wäre — als Lopez, beritten und be— 
waffnet, hinter ihm hergeſprengt fam und in 
ihn drang, jich in das Haus des Banquiers Rubio 
zu flüchten; allein der Kaijer, der noch immer 
feine Ahnung von dem Ichändlichen Verrath diejes 
Buben hatte — ſagte entichloffen: ‚Nein — 
ich verftede mich nicht!” — ja er wollte nicht 
einmal jeinen ihm wahrſcheinlich von Lopez ge= 
brachten Scheden bejteigen, weil jeine Begleiter 
dann hätten gehen müſſen. 

Auf dem Cerro de las Campanas ftellte fich 
der Fleine Trupp endlich, um den ſich ein Bruch— 
theil der Armee gefammelt hatte — waren doch 
bie mericanijchen Truppen, nad) Art diefer Krieg: 
führung, jhon fait ſämmtlich zu den Feinden 
übergegangen. Was jollten fie jich für eine ver: 
Iorene Sache todtſchießen laſſen, und militärifches 
Ehrgefühl war ein Wort, das fie nicht einmal 
dem Namen nach Fannten. 

Indeſſen Hatte General Miramon verfucht, 
Truppen zu ſammeln und Wibderftand zu leijten, 
um eine der Straßeneden bog aber feindliche 
Gavallerie, und der Officier, feinen Revolver 
auf den General abdrüdend, verwundete ihn im 


200 


Geſicht, daß er zu Boden ſtürzte. Man trug ihn 
allerdings in das Haus des ihm befreundeten 
Doctor Licea, derihn aber natürlich augenblicklich 
an die Liberalen verrieth. Er konnte jich doch nicht 
jelber in Ungelegenheit bringen, eines Freun— 
Des wegen! 

Die Feinde rückten jet gegen def Cerro vor 
und begannen ihn zu bejhießen. — Der Prinz 
ſtand neben dem Kaifer. 

„Jetzt, Salm, eine glüdliche Kugel!‘ flüjterte 
ihm diefer zu — aber jie fam nit. — Er 
wandte jih an Mejia und frug ihn, ob es mög: 
lich ſei, ſich durchzuſchlagen. — Zu ſpät — ber 
Pla war von Feinden umzingelt, ein Durd- 
bauen zur Unmöglichkeit geworden — ſelbſt 
MWiderftand wäre bier Wahnfinn gewejen. Die 
weiße Flagge mußte aufgezogen werden, und der 
Kaiſer Marimilian war Gefangener in den Hän— 
ben feiner Feinde. 





In Mexito. 


— — — — 


Ein Charakterbild 


von 


FSriedrid Gerſtäcker. 


Zweite Auflage. 


Vierter Band. 


(Zweiter Theil.) 





dena, 
Hermann Goftenoble, 
1877. 


Digitized by GSo 





8. 
General Marquez. 


An der Hauptitabt Merico blieb in den näch— 
ften Tagen anfcheinend Alles beim Alten, wenn 
auch der Kaufmannsjtand, durch Privatbriefe 
unterrichtet, feinen Augenblick mehr an der Ein- 
nahme Queretaros und der Gefangenjchaft des 
Kaifers zweifelte. Die Einnahme der Feſtung 
bejtritt die Regierung nicht, aber dagegen er: 
klärte das ‚„Diario del Imperio“ auf das ber 
ftimmtefte und brachte immer neue, angeblich 
authentiſche Berichte, daß der Kaijer mit feiner 
ganzen Armee Queretaro geräumt babe und fi 
auf dem Marſch nad Merico — ja endlich ſchon 
ganz in der Nähe befinde. 

Bei den deutſchen Obrijten war inbeffen eine 
Dame, die Prinzeß Salm, die Gemahlin bes in 


204 


Dueretaro befindlihen Prinzen Salm, außer: 
ordentlich thätig gewejen, um fie zur Uebergabe 
zu bewegen und zu dem Zweck zwilhen Merico 
und dem Hauptquartier des Porfeirio Diaz fort: 
während, bald zu Pferd, bald zu Fuß bin und 
ber gewechſelt. Sie hatte genaue Nachrichten von 
Queretaro und fürdhtete natürlich für das Leben 
ihres Gatten, wie das des Kaijers, wenn bier 
längerer Wibderjtand geleijtet würde. Die beut= 
Ihen Obrijten Kodolich und Graf Khevenhüller 
lehnten aber natürlich ein derartiges Anfinnen 
auf das entſchiedenſte ab, bis fie nicht erit die 
volle Gewißheit hätten, daß der Kaiſer wirklich 
gefangen ſei; wonach die Sache dann allerdings 
verloren und weiteres Blutvergießen nußlos und 
jelbjt verbrecheriich gewejen wäre. 
General Diaz befam das ewige Drängen ohne 
Erfolg aber auch fatt, er mißtraute der Señora 
außerdem, bie fortwährend mit feinen Dfficieren, 
bei denen er Bejtehung fürdhtete, verfehrte. Er 
verweigerte jede Unterhandlung weiter mit ihr 
und ertheilte ihr nur wibderjtrebend, und auf die 
Bitten einflußreicher Leute hin, die Erlaubnig, 
nad) Queretaro zu gehen und fi dort von dem 
Stand der Dinge zu überzeugen. 

Dies war die Situation, als am 28. Mai in 


205 


der Hauptſtadt die Nachricht zur öffentlichen 
Kenntniß gelangte, daß eine telegraphiiche Des 
pejche des Kaifers aus Queretaro eingetroffen fei, 
worin der preußilche Gejandte, Baron Magnus, 
aufgefordert wurde, fich in Begleitung ber Ad— 
vocaten Riva Palacio (Vater des Auariftifchen 
Generals) und Martinez de la Torre — Beide 
befannte Liberale — zum Kaiſer nad) Queretaro 
zu begeben, da er in den nächſten Tagen vor ein 
Kriegsgericht gejtellt werden ſollte. Gleichzeitig 
eintreffende Privatbriefe bejtätigten Alles; Mar— 
quez aber, den man mit Recht bejchuldigte, an 
ihn gerichtete, eigenhändige PBrivatbriefe des 
Kaijers unterjchlagen zu haben — erflärte das 
Telegramm an Baron Magnus für gefälfcht und 
legte der Abreije der Advocaten wie Diplomaten 
mehrere Tage Hindernifje in den Weg, bis es 
die fremden Gejandten endlih doch durchſetzten 
und ber preußijche, belgiſche, öfterreichiiche und 
jpäter auch der italienifche Gejandte am 1. und 
2. Juni die Hauptitadbt verließen. — Eulalio 
Drtega, ebenfalls ein tüchtiger und gleich jo der 
liberalen Partei getreuer Advocat, ſchloß ſich 
ihnen an. 

Die Noth in der Stadt nahm indefjen mehr 
und mehr überhband, das Volk rottete ſich zu— 


206 


fammen, und der Präfeet General O’Horan 
jtellte fich verichiedene Male jelber an die Spiße 
folder Raubbanden, und erbrad Läden und 
Häufer, wo man aufgefpeicherte Xebensmittel ver— 
muthen durfte. — Dabei wurde die Stadt auf 
das hartnädigite von außen ber bejhoffen, und 
viele unglückliche Menjchen ereilte eine Kugel 
mitten in der Straße. — Was Fümmerte das 
aber Marquez — er verkehrte außer mit O’Horan 
fajt mit Niemandem, und hielt fih abgejchlofjen 
von Allen, allein über jeinen dunfeln, verrätheri= 
ihen Plänen brütend. 

Padre Fiſcher jpielte indejjen in Merico eine 
jehr unglüdlide Role, denn wie gern und 
häufig die Conſervativen wie Klerifalen nod 
in Orizaba feinen Rath gejudht und feine Hilfe 
erbeten hatten, jo jihienen jie Beides jegt voll: 


fommen entbehren zu fünnen, denn — man 
brauchte ihm nicht mehr. Der Kaijer war fo 
ziemlidy aufgegeben worden — in gut unter= 


richteten Kreijen wußte man jchon genau, wie 
es mit ihm jtand und daß von daher feine Hilfe 
mehr fommen fonnte — wozu aljo jollte der 
ebenfalls bei Seite gejeßte Badre dienen — er 
fonnte nur noch läſtig werden. 

Allerdings hatte ihn der Kaijer in Merico 





207 


gewiſſermaßen als Aufficht für das Minijterium 
zurüdgelajjen, mit dem Auftrag, genauen Be— 
richt über dejjen Thätigkeit zu geben. Man lief 
ihn aber Schon unter Lares gar nicht mehr zu 
den Berathungen, und das jeßige, von Marquez 
eingejeßte, Minijterium hatte überhaupt Feine 
Verpflichtungen gegen ihn — oder wenn dod), 
jo jeßte es jich über diejelben hinweg. 

Padre Filcher mochte aber jchon jelber ahnen, 
wie die Sade ftand, und verjuchte fein Heil bei 
dem Erzbiſchof — freilich mit nicht beſſerem Er: 
folg. Der ftolze Priejter kannte den einfachen. 
Badre nicht mehr, dem er fi früher, als er 
ihn nothwendig gebraucht, jo huldvoll gezeigt, 
und überall abgewiejen und zurüdgejegt, warf 
ich Fiſcher jegt mit deſto größerem Eifer auf 
die Wiſſenſchaften, und jchleppte aus der Na— 
tional-Bibliothef eine Menge Bände in eine 
Wohnung, die er auch mit beſtem Erfolg für ſich 
elber *) jtudirte. 

Erzbiſchof Labaſtida hatte einen geheimen 
Sourier von Bera-Cruz befommen und augen 


*) Padre Fifher hat erft ganz kürzlich eine äußerſt 
vertbuolle mexicaniſche Bibliothek bier in Europa durch 
luction auf den Markt gebradht und eine jehr bedeutende 
Summe dafür gelöft. 





208 


bliklih nad Marquez geſchickt und ihn zu ſich 
bitten laſſen. Sp eifrig diejer nämlich, früher 
mit ihm unterhandelte, jo faft entjchieden zog er 
fih von dem Klerus zurüd, als er endlich merkte, 
dag auch diefer nur Verjprehungen für ihn 
hatte, und immer auf das hartnädigjte ver: 
langte, er, Marquez, müſſe erjt Garantien geben, 
daß er es wirklich ehrlich mit der Kirche meine. 
— Das aber jollte er dadurch bethätigen, daß er 
ohne Weiteres und rechtskräftig als Stellver— 
treter des nun doch einmal bejeitigten Kaiſers 
die leyes de reforma aufhob und ein Concordat 
mit dem Klerus abjichloß. 

Die Jumuthung an fi war jchon Wahn: 
finn, aber was fümmerte ji der ehrgeizige und 
habgierige Priefter um irgend welche Partei, 
jo lange er die jeinige — und jei ed nur vor der 
Hand durd ein todtes Geſetz — wieder an bie 
Spite brachte. Marquez hatte ſich auch direct 
geweigert und mit Recht betont, daß er dazu 
keine Vollmacht beſitze — er fühlte ja ſelber recht 
gut, daß er keinen genügenden Anhang im Land 
habe, um einen derartigen Schritt, der ihm ſel— 
ber noch dazu nicht den geringſten Nutzen brachte, 
zu wagen. Der Verkehr zwiſchen ihm und dem 
Erzbiſchof war deshalb faſt vollſtändig abgebro— 


209 


hen, und etwas Wichtiges mußte es jein, das 
diefen heute veranlaßte, feine Gegenwart und 
eine Unterredung zu verlangen. Er folgte denn 
au der Aufforderung, und fand den Kirchen— 
fürften in jeinem Gemad mit einem unterge- 
ordneten Geiftlihen, Padre Zaloga, allein und 
ihn erwarten. 

Als er es betrat, Fam ihm Labaftiva mit ge— 
winnender Freundlichkeit entgegen und jagte, 
ihm die Hand reichend und herzlich ſchüttelnd: 

„Aber amigo mio — Sie machen ſich ja jo 
jelten, daß man Sie wirflid) halb mit Gewalt 
citiren muß, um Ihrer nur einmal auf ein 
Viertelftündchen habhaft zu werden.“ 
„Monſeñor,“ erwiederte Marquez troden und 
zurücdhaltend, denn er kannte den Prieſter zu 
gut, um nicht zu wiflen, daß dieje Aufnahme, 
nad Allem, was bisher zwijchen ihnen vorges 
fallen, einen ganz bejondern Grund haben müffe. 
Er war deshalb auf feiner Huth. — „Sie wiffen 
gewiß recht gut, wie e8 uns in der Stadt geht, 
und daß ein Oberbefehlshaber in einer jo lange 
Ihon und fo eng eingefchloffenen Stadt gerade 
niht auf Roſen gebettet if. Wir Haben für 
unjere Soldaten jehr wenig Nahrung und für 


Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 14 
1) 


210 


unjere Pferde faſt gar feine mehr, und lange 
halten wir es jeßt nicht mehr aus.‘ 

„Sie haben Recht, Lieber Freund,“ nidte ber 
Erzbiſchof, plößlich ernjt werbdend, „und es ilt 
fogar die höchſte Zeit, daß ein entjcheidender 
Schlag geführt wird; denn jobald die fremden 
Truppen die Bejtätigung befommen, daß ber 
Kaifer wirklich gefangen ift, jo dürfen wir nicht 
mehr auf fie rechnen.‘ 

„Ein entjcheidender Schlag ?'' lachte Marquez 
bitter — „und womit? Die Pferde jelber find 
jo matt, daß fie faum noch ihre Reiter tragen 
fönnen, und wenn wir uns hinauswürfen — 
wohin 7 

Der Erzbiichof faßte ihn am Arm, bog jich 
zu ihm hinüber und jagte halb flüfternd, indem 
er ihn feſt anjab: 

„Wiſſen Sie, daß Santa Anna an der meri- 
caniſchen Küfte gelandet, daß er in diefem Augen— 
bli, wenn auch noch unter anderem Namen, in 
Vera-Cruz ift und feine Partei um ſich ge= 
fammelt bat?“ | 

„Caracho!” entfuhr es unwillfürlidh den 
Lippen des Soldaten — ‚und woher haben Sie 
die Kunde?’ 

„Da fteht mein Bote,” ſagte der Erzbiſchof 


211 


triumphirend, auf den Padre zeigend, „direct 
fommt er von Vera-Cruz herauf und hat ung 
die gute Kunde gebracht.‘ 

„Und feine Partei hat er um ſich gefammelt 2‘ 
fagte Marquez finiter, mit dem Kopf jhüttelnd 
— ‚wer wird das fein! Die nämlihe Gejchichte 
wie bier in der Stadt. Ein paar Dußend Men: 
hen, die Minifter, Poftmeifter, Steuerbeamte 
oder font etwas Derartige8 werden wollen, und 
vor und nad) Gott jchwören, daß fie willeng 
ind Blut und Leben für ihn zu opfern, aber 
nicht einmal daran denfen, aud nur etwas Aehn— 
liches zu verjudhen. Gehen Sie mir mit Ihren 
Parteien, Monfenor, ich kenne fie zur Ge: 
nüge und zum Efel, und weiß, was ih von 
ihnen zu halten babe.’ 

„Gut, lieber Freund,” jagte da der Erz: 
bilchof, indem er langſam und lächelnd mit dem 
Kopf nidte — „ich kenne ſehr genau bie Be— 
weggründe, die Sie veranlafjen jo zu denken, 
wie Sie fih da eben ausjprehen — doch jehen 
wir davon ab und hören Sie vor allen Dingen, 
was uns ber Padre über die Zuſtände in Vera: 
Cruz — nad) eigener Anfchauung, wohlverftan- 
ben, und nicht auf ein bloßes Gerücht Hin — 
berichten fann. Er bat jelber mit Santa Anna 

14* 


212 


geiprodhen, und was er Ihnen fagt, darauf dür— 
fen Sie ſich verlafjen.” 

„And was ijt das?" 

„Erzählen Sie, Zaloga, was haben Sie in 
Vera-Cruz gejehen ?’ 

„Geſehen, Monſeñor,“ entgegnete der Padre 
unterwürfig, „noch nicht viel, aber gehört deſto 
mehr. Santa Anna iſt voller Hoffnung und 
Zuverſicht. Er iſt in ſeinen Kreiſen mit Jubel 
aufgenommen, denn man ſetzt jetzt auf ihn ſeine 
letzte Hoffnung. Juarez' Regiment iſt überall 
verhaßt, ſelbſt bei den Fremden, weil ſie wiſſen, wie 
er mit der Douane gewirthſchaftet hat. Der reli— 
giöſe Sinn des Volkes empört ſich dabei in dem Ge— 
danken, ihn wieder das Ruder ergreifen zu ſehen.“ 

Um Marquez’ Lippen zuckte ein ſpöttiſches 
Lächeln, aber er erwieberte fein Wort, und ber 
Padre fuhr fort: 

„Ganz Bera:Cruz befand ſich in Bewegung, 
wenn’ fich die Leute auch der faiferlich gejinnten 
oder wenigjtens jo gehaltenen Befaßung wegen 
noch nicht Öffentlich darüber ausfprechen durften. 
Soldaten jelber waren, wie ih aus ganz ficherer 
Duelle weiß, jhon gewonnen, denn fie haben 
von Marimilian wenig gejehen und betradhten 
ihn nur als einen Freinden, der ihnen von den 


* 





213 


überall verhaßten Franzoſen aufgezwungen wurde. 
Ein einziger Aufruf Santa Anna’s, und die 
ganze Garnifon geht, wie ein Mann, zu ihm 
über, aber er bat ihn bis jeßt noch nicht gewagt, 
weil er fi im Lande gar feiner Unterjtüßung 
iiher weiß — das heißt Feiner Armee, auf 
die er fich werfen könnte, und die dann natürlich 
raſch zu Tauſenden anjchwellen würde.‘ 

„Und wozu das Alles? Haben wir eine 
ſolche?“ ſagte Marquez bitter, „und kann ich 
mich, ſobald ſich die deutſchen Regimenter von 
uns zurückziehen, etwa auf meine jetzt ſchon de— 
moraliſirten Mexicaner verlaſſen? Schon bei 
Puebla würden ſie in hellen Haufen zum Feind 
übergehen und, wenn es ſein müßte, ſelbſt ihren 
Führer verrathen. Ich bin überhaupt gar nicht 
fiher, ob ich noch einen einzigen Soldaten in 
der ganzen Stadt behalte, jobald der Sturz des 
Kaijers erjt einmal befannt wird. Nicht daß 
die Soldaten jelber des Dienjtes müde wären, 
aber ihre Weiber, die jett zu einem fabelhaften 
Schwarm angewadhjen find, drängen und treiben 
fie fortwährend zum Defertiren, und — ich habe 
Ihon ein paar Erempel ftatuiren müffen, um 
dem nur Einhalt zu thun.‘ 

„Ganz mit Ihnen einverjtanden, Generals 


214 


lieutenant,” nidte Labaſtida, und ſein ftolzes 
Auge blidte den kleinen vor ihm jtehenden und 
den fcheuen, tücifchen Blick abwendenden Mann 
an, „ganz mit Ihnen einverjtanden. Sie haben 
bie Eituation vollfommen richtig erfaßt, ſcheinen 
aber nur nody nicht auf den Ausweg verfallen 
zu jein, der uns allein aus diejer Lage retten 
und dem ganzen Krieg plößlid eine für ung 
günftige Wendung geben kann.“ 

„Ich verftehe Sie nicht, Monſeñor,“ jagte 
der General, „ſprechen Sie deutlicher.‘ 

„Sut denn — fo hören Sie mit wenigen Wor— 
ten. Wir haben mericanifche Truppen noch ge= 
nug, um die Stadt wochenlang gegen die Angreifer 
zu halten, jobald wir jie nur ein Flein wenig 
auch äußerlich unterftügen. Laſſen Sie das 
meine Sorge während Ihrer Abwefenheit fein.‘ 

„Während meiner Abweſenheit?“ 

„Ja — Sie nehmen Ihre beiten Truppen 
indeß — wenigjtens Ihre ganze Cavallerie, die 
Ihnen dod im Augenblil wenig in der Stadt 
nüßt, und nur zur erjten Unterjtüßung auch von 
dem deutſchen Infanterie-Regiment, das Gie 
nachher, wo Sie wollen, zurücklaſſen können, 
um raſcher vorwärts zu dringen, und brechen 
durch. Dieſem erſten, mit aller Wucht geführten 


215 


Anprall widerfteht der Feind nidt. Sie ge: 
winnen jedenfalls das offene Land und werfen 
ih dann ohne Weiteres und ohne den geringe 
ten Aufenthalt nad Vera-Cruz. Raſcher als 
Sie nod, eilt Ihnen Padre Zaloga bier voraus, 
ber jeden Bergpfad Fennt und die Mittel von 
uns erhält, jeine Reife ununterbrochen und auf 
friichen Thieren zurüczulegen, denn wir haben 
überall unfere Poſten, und ſobald Sie Vera: 
Cruz erreihen, pronuncirt jih Santa Anna in 
ber Stadt, nimmt den für uns wichtigen Hafen, 
der uns die ganzen Zölle fichert, vereinigt fich 
mit Ihnen und Fehrt dann mit Ahnen bierher 
zurüd nad Merico, während Ihnen unterwegs 
Alles zuftrömt. — Denfen Sie an Miramon: 
mit fieben Mann 309 er bier aus der Haupt- 
ſtadt aus, mit einem Bataillon fam er nad 
Queretaro und mit mehreren Regimentern jchlug 
er gleich darauf den Feind, Santa Anna an 
Ihrer Spike und das Banner ber heiligen 
Sungfrau von Guadelupe — und das ganze 
Heer des Feindes geht zu Ahnen über.‘ 
Marquez hatte ihm till und fehweigend zu— 
gehört, und fein dunfles Auge baftete, während 
er ſprach, Scharf und finnend auf dem Prälaten. 
Er täujchte ſich nicht über die Gefinnung von 


216 


Porfeirio Diaz’ Truppen, wie es der Prieiter 
in jeiner Berblendung that, der da glaubte, wenn 
er nur das Kreuz erhöbe, müßte ſich das ganze 
Volk ihm beugen. Die Zeit war vorüber — 
aber andere Pläne waren es, die ihm durd den 
Sinn kreuzten, ſich aber merkwürdig leiht — 
bei einem ganz andern Ziele freilich, mit denen 
des Kirchenfürften vereinigen lichen und ihm 
bie Hand zu reichen jchienen. 

Hier bot jich eine günftige Gelegenheit, zum 
Meeresufer zu entfommen; den deutſchen 
Truppen gegenüber war leicht ein Vorwand ges 
funden — er brauchte ihnen nur unterwegs zu 
fagen, dag Marimilian aus QDueretaro ausge 
brochen fei, und fie fich in der Nähe der Küjte 
mit ihm vereinigen wollten. Draußen fanden 
fie auch Unterhalt genug, und daß fie ihre Bahn 
ungehemmt verfolgen Fonnten, davon war er 
überzeugt. Nur Geld mußte er haben, und was 
nachher aus den Truppen wurde, wenn er fie 
nicht mehr brauchte, was kümmerte das ben 
Schlädter von Tacubaya — es waren Fremde, 
weshalb kamen jie überhaupt nad Merico ? 

Langjam nicte er mit dem Kopfe — und 
Santa Anna naher? Aber welche Verpflich- 
tungen hatte er gegen den? — ausgenommen 


217 


bie Chancen zeigten ſich volllommen zu bejjen 
Gunsten — do ſchien das nicht wahrjcheinlich, 
denn der Erdictator Fonnte, wie er das recht 
gut wußte, auf Feine wirklichen Sympathien im 
Lande rechnen. Eine kleine Partei mochte wohl 
noch an ihm hängen und auf ihn zählen, um 
ihre eigenen Zwecke dabei zu verfolgen, aber dieſe 
war nicht mächtig genug, um auf fie zu vertrauen 
— man fonnte fie höchſtens, wenn es fi nö: 
thig zeigen follte, für einen Moment benüßen. 

„Es ift möglich, Monſeñor,“ ſagte er nad 
einer Heinen Pauſe, in der ihn der Erzbiſchof 
erwartungsvoll anjah, ich aber vergebens be= 
mübte, das in feinen Zügen zu lejen, was jeßt 
in feinem Innern vorging — „es iſt vielleicht 
ausführbar.‘ 

„Vielleicht?“ rief Labaftida raſch — „es iſt 
ein ſicherer Sieg, dem Sie entgegengehen, und 
der Ihnen die beſte Waffe in die Hand giebt, 
Rache und Vergeltung an Juarez wie an den 
Feinden der Kirche zu nehmen. Santa Anna iſt 
in dieſem Augenblick nach dem Verrath Mira— 
mon's an der Kirche der einzige Mann in ganz 
Mexico, der nach des Kaiſers Sturz über das 
Volk verfügen kann, und Sie mit ihm vereint 
ſind unüberwindlich.“ 


218 


„Veremos-veremos“ — nidte der General — 
„wir können wenigjtens den Verſuch machen.‘ 

‚Aber lange zögern dürfen Sie nicht!" rief 
der Erzbiihof — „die fremden Gejandten find 
nah Queretaro aufgebroden, und wir wifjen 
nicht, welche Mittel jie finden, um den beutjchen 
Obriſten Nachricht zu jenden. Wir find wenig— 
jtens feinen Tag mehr ſicher.“ 

„Nein — nein, ich weiß es!” rief Marquez, 
„rebelliiches Geſindel, die Schon jett heimlich mit 
dem Feind verfehrt haben — aber jo geht es“ — 
rief er plößlich, jich Hoc; emporrichtend, aus — 
„über welche Geldmittel verfügen Sie, Mon= 
ſeñor?“ 

„Ich ſtelle Ihnen zwanzigtauſend Peſos zur 
Verfügung.“ 

„In Gold natürlich?“ 

„In Gold.“ 

„Gut“ — nickte Marquez — „es iſt freilich 
nicht viel, aber ich denke, ich kann das Andere 
in den nächſten Tagen zuſammentreiben,“ und 
ein boshaftes Lächeln zuckte dabei um ſeine Lip— 
pen. „Bis wann haben Sie das Geld bereit?“ 

„Zu jeder Stunde — und außerdem noch 
einen kleinen Vorrath Mais, den ich für meine 
Thiere aufgeſpart, mit dem Sie aber den Pfer— 





219 


den, ehe Sie den Marſch antreten, ein gutes, 
reichliches Kutter geben mögen.” 

„Das ift nöthig,” rief Marquez raid — 
‚aber das fparen wir bie für die letzte Stunde 
auf — und nun adios, denn mein Plan ver- 
langt Borbereitung und ih muß jet mit Mi— 
nuten geizen.‘ 

„Gott ſegne Sie,’ fagte der blut: und macht— 
gierige Prieiter, indem er beide Hände gegen 
den hundertfahen Mörder erhob, und Marquez, 
der ſich fromm und ehrfurdtsvoll befreuzte und 
verneigte, verließ raſch den Saal. 

Am nächſten Morgen in aller Frühe durch— 
eilten eine Anzahl von Ordonnanzen die Stadt,’ 
die aber heute nur Privathäujer, und zwar bie 
der angejehenften und reichjten Bewohner Meri: 
cos aufſuchten. Sie überbradten auch ſämmt— 
lich eine gleichförmig, aber jehr artig lautende 
Aufforderung an die verjchiedenen Herren, jich 
nämlid) um neun Uhr in dem Convent von Sant: 
iago, in dem gegen Guadelupe zu liegenden 
Fort, wo Marquez jein Hauptquartier hatte, ein 
zufinden. 

Mas fie da jollten? Die Ordonnanzen zudten 
auf bie verjchiedenen Fragen mit ten Edhultern. 
Sie wußten es nit — es war nur ber Befehl 


220 


vom Dbercommando, und fie baten die Herren, 
pünktlich zu erjcheinen. 

Noneiro, Lucido, Almeja, Rodriguez, alle 
dieſe Herren erhielten foldhe Einladungen — aber 
dieje nicht allein, auch faſt fämmtliche in Merico 
angejejjene fremde Kaufleute (Franzofen, Deutjche, 
Amerikaner, Engländer, jelbjt einige Conjuln 
unter ihnen), und als ſie nach und nad) dort ein- 
trafen, wurden fie hinauf in den Convent und 
in einen großen, langen und öden Saal, eine 
Urt von Corridor geführt, der allerdings nicht 
wie ein Empfangszimmer für ſolche ausgewählte 
Gejellihaft ausjah. Es befand ſich weder Stuhl 
noch Tiſch noch Bank darin, feine Gardinen an 
den Fenſtern — gar nichts in dem ganzen weis 
ten Raum als die öden Wände, die dadurch na= 
türlich nicht freundlicher wurden, daß eine An— 
zahl von Soldaten unter Waffen auf dem vor— 
deren Gang pojtirt ftanden — und auch bort 
blieben. 

Es modten in bem weiten Raum einige 
dreißig Herren verfammelt fein und gingen jeßt, 
da ſich überall Bekannte zujammen trafen, ihre 
Cigarren rauchend, auf und ab. Sie erwarteten 
auch nichts Anderes, als dag Marquez jelber 
erſcheinen und vielleicht eine Anrede an fie hal 


221 


ten würde, die natürlich nichts Anderes be— 
zweden Fonnte, als eine Geldforderung an fie 
zu ſtellen. Dahin verjtändigten ſich übrigens 
bald Alle untereinander, daß man dieſer Res 
gierung, die in der That kaum ſelbſt eine pro= 
vilorische genannt werben Fonnte, fein Geld mehr 
anvertrauen dürfe, denn auf eine Wiederbezah- 
lung wäre nie zu rechnen gewejen. Die nächſten 
Tage ſchon mußten ja aud eine Entfheidung 
bringen; die erjte jichere, oder vielmehr officielle 
Kunde, die von Queretaro Fam, denn ſichere 
Kunde hatten jie jhon von dort her — und dann 
blieb dem jegigen Obercommandanten von Merico 
Nichts auf der Welt übrig, als mit den Siegern 
zu capituliren. Das Kaiferreih war gefallen, 
und die jeßige Faiferliche Regierung in der Haupt— 
ſtadt ja doch nur noch eine auf Furze Zeit Fünft- 
lich, und ſogar widerrechtlich bingehaltene. 

Da trat ein Ordonnanz-Officier in den Saal. 
Er hielt eine Anzahl von Zetteln in der Hand, 
und ſich mit einem berjelben an den ihm nächſt— 
ftehenden Herrn — e8 war Almeja, wendend, 
ſprach er einige Worte mit ihm, die aber eine 
heftige Entgegnung von deſſen Seite hervor: 
riefen. | 

Hier jhien eine Aufklärung der räthjelhaften 


222 


Einladung zu folgen, und Alles drängte jet 
berzu, um zu hören um was es jich denn eigent: 
lih handle, denn was den Einen bier betraf, 
interejjirte fie wahrſcheinlich Alle. 

„Caramba, Señor,“ hörten fie jeßt, wie Al— 
meja jagte, „General Marquez muß jedenfalls 
glauben, daß ich in Gold ſchwimme, ober es aud) 
baufenweije bei mir im Haufe liegen habe. Das 
ijt jedenfalls ein etwas unzarter Scherz, den ſich 
ber General mit uns erlaubt.‘ 

„Was ift es, Almeja?’ frug Lucido, der auf 
ihn zuging — „was haben Sie?" 

„Ob, Nichts ‚' Lachte der Angeredete — „nur 
eine Kleinigkeit. General Marquez verlangt von 
mir, daß ich ihm heute Morgen zwanzigtaujend 
Pejos auszahle.“ 

„Zwanzigtauſend Peſos?“ riefen die ihm 
Nächiten, viel weniger erjtaunt als erjchredt, denn 
im Stillen berechneten ſich Alle gleich, was man 
nach diefem Maßſtabe jegt von ihnen fordern 
würde — „aber das ijt ja nicht möglich !‘' 

„Für die anderen Herren,‘ fagte der Dr: 
donnanz-Officier ruhig, der wie ein Fels in dem 
allgemeinen Sturm jtand, „habe ich ebenfalls 
bie Karten — Señor Rodriguez hier die Ihrige.“ 

„Zwölftaufend Peſos,“ ftammelte der Herr, 


223: 


wie er nur einen Blick darauf warf — „das 
wäre nicht übel.’ 

„Setor Roneiro — bier die Ihrige,“ fuhr 
der Officier fort, ohne fi) irre machen zu laſſen 
— „Señor Gonzales — Senior Galway — weldyer 
von ben Herren ift das?’ 

„Ich heiße Galway,“ fagte eine nicht ſehr 
große aber jehnige Geftalt, ein Amerikaner, ber 
die Hände in den Taſchen, den Hut hinten auf 
dem Kopf, langjam beranfam und ben für ihn 
beftiminten Zettel nahm. Kaum hatte er übri- 
gens den Blid darauf geworfen, als er lachend 
ausrief: 

„Dreihundert Unzen ? — ich wollte, ich wäre jo 
reich,’ und den Zettel mitten auseinander reißend, 
drehte er ſich ab und jchritt der Thür zu. Der 
Drdonnanz:Officier ließ ihn aud ruhig geben, 
jo wie er aber dort, mit der größten Noncha— 
lance, die Soldaten pafjiren wollte, hielten ihm 
diefe einfach ihre Bajonnette vor, und die ver— 
fammelten Herren, die jämmtlih aufmerfjame 
Zeugen dieſer Scene gewejen, jahen jegt deut— 
lich, daß fie wirklich Gefangene waren und ſich 
in den Händen des gewifjenlojejten Schurken 
von ganz Merico, in denen bed General Marquez 
befanden. 


224 


Der Officier hatte fi indeſſen um bieje 
Zwijchenfcene anjcheinend gar nicht befüümmert; 
nur ein leichtes, halb ſpöttiſches Lächeln fpielte 
um feine Lippen, und ruhig vertheilte er indefjen 
die noch übrigen Zettel, die er in der Hand hielt, 
an bie Betreffenden. Jetzt jtellte ſich auch bald 
heraus, daß Fremde wie Mericaner ziemlich uns 
parteiiich, wie man etwa ihre VBermögensverhält: 
niffe abgeihäßt Hatte, verurtheilt worden 
waren (denn ein Zwangs anlehen Fonnte man 
es nicht einmal nennen), jo und fo viel Tauſend 
Peſos Strafe für ihre Eriftenz zu zahlen. 

Sutwillig fügte fih übrigens Keiner — die 
Fremden beriefen ſich aufihre Ausnahmeſtellung 
im Reiche, die Mexicaner auf ihre leeren und 
ſchon durch den Krieg ausgeſogenen Kaſſen, der 
Officier hatte Nichts als ein Achſelzucken für ſie, 
und ſagte, als ſich der erſte Sturm gelegt zu 
haben ſchien: 

„Señores, ich erfülle hier nur die Befehle 
meines Chefs — beruhigen Sie ſich, es wird ſich 
Alles reguliren laſſen. Hier in dem Nebenzim— 
mer ſteht Schreibmaterial — ich werde augen— 
blicklich Jemanden zu Ihnen ſenden, mit dem 
Sie ſich über die Summe, die Sie unmittelbar 
zur Verfügung haben, verſtändigen können.“ 





225 


„Gut, Senior,” rief Almeja — „dann erlau: 
ben Sie uns aber aud, daß wir uns ohne Wei- 
teres in unjere Geſchäftslocale zurüdverfügen 
dürfen, um dort jelber nachzuſehen, denn dar— 
auf wird hier Keiner von ung Allen vorbereitet 
fein.’ 

„Das bedauere ich, verehrter Herr,’ erwies 
derte, wenn aud mit größter Höflichkeit, der 
Officier — „betrachten Sie fih nicht etwa als 
Gefangene, aber — mir ijt ftrenge Ordre gewor= 
den Sie hier zurüd zu halten, bis Sie fih nicht 
allein entschieden, jondern das auch vorher be— 
ftimmte Geld berbeigejchafft haben. Nehmen Sie 
ih nur Zeit dazu, feßte er freundlich hinzu, 
„Sie jollen gar nicht gedrängt werden — cor= 
reſpondiren Sie mit Ihren verfchiedenen Häufern, 
vereinigen Sie jidy untereinander.‘ 

„Und dazu dürfen wir dies Local nicht ver: 
laſſen?“ rief Roneiro, der fih auf feinem 
Zettel ebenfalls mit einer runden Summe von 
15,000 Pejos verzeichnet fand. 

„Das allerdings nicht,‘ jagte der Officier. 

„Caramba Senior, fagte Alıneja, dem der 
Schreck über die 20,000 Peſos doch in die Glie— 
der gefahren war, indem er fich mit feinem Tuch 
den falten Schweiß von der Stirn wilchte, „das 

Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 15 


226 


it — Sie nehmen mir das nicht übel, ein 
wunberliches Benehmen gegen Männer gerade, 
die ihr ganzes Leben eben der Partei gewidmet 
haben, zu der ſich der General jelber befennt. 
Und geht die Ordre direct von ihm aus?“ 

„Direct von ihm, Senior.” 

„Und bat er fjelber die aufgeführten Namen 
geſehen?“ 

„Nicht allein das, Señor, ſondern auch eigen— 
händig die beigefügten Summen ausgefüllt.“ 

„In der That? — ſehr freundlich und 
liebenswürdig von dem General — aber es iſt 
doch kein Gedanke daran, daß wir die von uns 
verlangten Summen auch nur zahlen können, 
davon ganz abgejehen, ob wir die Handlung bil- 
ligen oder nicht, und uns für diefe Regierung 
aufopfern möchten.‘ 

„Der betreffende Finanzbeamte wird augen- 
bliklih zu Ihrer Verfügung Itehen, verehrter 
Herr —“ 

„Sehr ſchön — jehr ſchön,“ nidte Almeja, 
„und indefjen wird uns dann wohl verjtattet,. 
e8 uns bier jo bequem als möglich zu machen,‘ 
feßte er mit einem bittern Blick auf die kahle 
und trojtlofe Umgebung Hinzu. — „Caramba 
Senior, das ift eine unwürdige Behandlung, die 





227 


ung bier zu Xheil wird, und wir haben es 
wahrlich nicht gerade um General Marquez ver: 
dient. Doc wie dem auch jei, wir werden ung 
vor der Hand dem fügen müſſen — dürfte ich 
Sie nur jetzt,“ fuhr der alte Herr fort, indem 
er jich überall im Zimmer umſah, „erſuchen, 
einen Diener nad einer Flaſche Waſſer und 
einem Glas zu jenden. Mir Elebt die Zunge 
am Gaumen.“ 

„Ich bedauere jehr, verehrter Herr,’ erwie: 
derte der Dfficier mit äußerſter Höflichkeit, 
„Ihnen darin nicht willfahren zu können. Es 
ift ftrenger Befehl gegeben, die Herren in feiner 
Weiſe mit Lebensmitteln zu verſorgen.“ 

„Caramba!’ rief Almeja aus — „auch jelbjt 
fein Glas Waſſer?“ 

„Auch ſelbſt Fein Glas Waſſer,“ ſagte der 
Officier beſtimmt — „es hängt ja von den Herren 
ab, in kürzeſter Friſt wieder auf freiem Fuß zu 
ſein.“ Damit empfahl er ſich, nach einer ach— 
tungsvollen Verbeugung gegen die Gefangenen. 
Er gab ſich aber nicht einmal die Mühe, den 
Spott zu verbergen, der in ſeinen Zügen lag, 
und ließ die Verſammelten in nicht geringer 
Aufregung zurück. 

Im Nu hatte es ſich nämlich im Saal aus— 

15* 


228 


geiproden, daß man Almeja felber ein Glas 
Waſſer verweigerte, es lag aljo auf der Hand, 
wie man gegen fie vorzugehen gedachte; mit Höf- 
lichkeit und dabei Folterzwang durch Hunger — 
allerdings der jchnellite Weg um zum Ziel zu 
fommen. — Und trogdem bejchlofien einige ber 
Herren, e8 auf das Schlimmite anfommen zu 
laflen. Der verſprochene Finanzbeamte erjchien 
allerdings ſehr bald und bradte die Furcht— 
famjten dahin, ſich valch zu fügen. Er beitand 
auch nicht fejt auf den angegebenen, und viel- 
leicht abjichtlic jo Hoch gegriffenen Summen, 
die, wie er recht gut wußte, in Wirflichfeit nicht 
herbeigefchafft werden fonnten. Er ließ fünfzig 
und mehr Procent von feinen Forderungen ab, 
erflärte aber auch dabei auf das bejtimmtelte, 
daß Keiner der Herren den Convent, der indejjen 
von den draußen liegenden Liberalen unaufhör: 
lich Scharf bejchoffen wurde, verlafjen dürfe, bis 
er fih nicht der „mothwendigen Forderung der 
Regierung‘’ gefügt habe. 

Einige der Herren weigerten fich aber troß- 
dem und erklärten, fie Fönnten und würden das 
Geld nicht unter ſolchem Zwang berbeijchaffen, 
und man ließ fie dann auch ruhig gewähren, ja 
befümmerte ſich gar nicht um fie. 


229 


Unter diejen befand fich auch der Amerikaner 
Galway, einige Deutſche und einzelne Mericaner, 
die ji) nicht denken Fonnten, daß das Ganze 
mehr als eine free Drohung fein würde; aber 
die Naht brah an — eine Forderung, die fie 
ftellten, nach Lebensmitteln ausjchiden zu dür— 
fen, wurde mit einfachen Achjelzucen beantwortet; 
dabei jchien das Feuern von draußen heftiger 
als je zu werden, und jogar dort, wo fie ſich 
befanden, Eonnten fie fühlen, wie die jchweren 
Kugeln gegen das Steingebäude fchmetterten, 
ohne daß bis jeßt eine derjelben zu ihnen herein 
geichlagen wäre. 

Sie baten jebt die Soldaten, ihnen Matraßen 
oder wenigjtens eine Dede für die Nacht zu ver: 
Ihaffen. — Die Leute fchüttelten fchweigend mit 
dem Kopf, jo gern jie auch wohl jelber — gegen 
eine gute Belohnung natürlich — bereit gewejen 
wären, die verjchiedenen Wünjche zu erfüllen. 
Sie wurden zu jtreng überwacht und durften 
ihre Poſten nicht verlaſſen. 

Einige der Gefangenen waren ältliche Herren, 
die für ihre Geſundheit fürdhteten, wenn jie, 
noch dazu ohne Xebensmittel, gezwungen würden, 
eine zweite ſolche Naht durchzumachen — ſie 
gaben am nächſten Morgen nach. Das Geld 


230 


nachdem fo viel als möglich abgehandelt, wurde 
herbeigejchafft, und man entließ fie dann mit der 
größten Artigfeit. 

Galway, auf feine Nationalität troßend, hielt 
noch bis zulegt aus, aber auch er fand bald, 
daß ihm die ganzen Vereinigten Staaten Nichts 
nügen fonnten, wenn er bier verhungerte, und 
nachdem er feinen Beitrag auf hundert Gold: 
unzen heruntergehandelt hatte, zahlte er ebenfalls. 


* 
* * 


Am 9. Juni, etwa nach Mitternacht, gab 
Marquez plötzlich den Befehl, daß alle Adjutan— 
ten ihre Pferde bereit halten ſollten — Ordon— 
nanzen flogen nach allen Richtungen, und etwa 
gegen zwei Uhr kam der Befehl zum Aufſitzen. 

Marquez, ein großer Theil der Generale und 
ſämmtliche Adjutanten mit ihren Ordonnanzen 
verſammelten ſich (etwa vierzig Pferde zuſammen) 
im Kloſter San Jago und ritten von dort aus, 
ohne daß Jemand, als die oberen Befehlshaber 
vielleicht, eine Ahnung gehabt hätte, was beab— 
ſichtigt wurde. Galt es nur eine Recognosci— 
rung, einen ernſtlichen Ausfall, einen Durchbruch 
vielleicht gegen Queretaro? — Die Leute zer— 
brachen ſich darüber den Kopf. Da raſſelte plöß= 





231 


lich die Artillerie dur die Etraßen heran, bie 
NRifleros de la Frontera und die Gensbarmerie 
folgte, die Huſaren jchlofjen fih an, und es blieb 
jest feinem Zweifel mehr unterworfen, daß ir: 
gend ein entjcheidender Schlag ausgeführt und 
gewagt werden jollte. — Aber das Fonnte nicht 
gegen QDueretaro gehen, denn bei der Galzada 
S. Antonio Abad, gerade nah) Süden zu, ging 
der Zug, und Queretaro lag im Norden, oder 
wollte Marquez den Feind täufchen, und nachher 
erjt die Schwenfung machen ? 

Draußen, unmittelbar vor der Stadt wurde 
Halt gemacht und das Ausfallscorps geordnet, 
bis etwa drei Uhr Morgens die Jäger den Befehl 
erhielten vorzudringen und fi in wildem Ans 
fturm gegen die nächſte Schanze zu werfen. Aber 
mit heftigem Gewehrfeuer wurden fie empfangen 
und fonnten nicht, troß allem Heldenmuth, in 
die mit tiefen Gräben umzogenen —— 
gelangen. 

Jetzt donnerten die rothen Huſaren heran 
und Allen voran ihr wackerer und heldenmüthi— 
ger Führer Graf Khevenhüller — umſonſt — 
Rittmeiſter Schädler erhielt gleich beim erſten 
Anprall einen Schuß mitten in die Stirn, und 
ein furchtbares Kleingewehrfeuer, von ſauſenden 


232 


Granaten unterjtüßt, zeigte den Stürmenben nur 
zu deutlich, daß fie es mit einer unverhältniß— 
mäßigen und noch dazu wohlvorbereiteten Leber: 
macht zu thun hatten. 

Nah faſt vierftündigem Gefecht und Klein: 
gewehrfeuer ſah Marquez, daß ein Durdbrud 
nicht möglich ſei — er gab den Befehl zum 
Rüdzug, und das blutige Feld von Todten und 
Berwundeten bedeckt, von dem jebt fiegreichen 
Feind verfolgt, wurde die Truppe in bie Stadt 
und hinter die Wälle zurücgetrieben. 

Marquez hatte in feiner Begleitung zwei 
ſchwer bepadfte Maultbiere, denen er nicht von 
der Seite wich, und hinter ihnen ritt er erſt ſel— 
ber wieder in die garrita ein. 


I. 


In derjelben Zeit, in der Marquez fein fre— 
velhaftes Spiel in der Hauptſtadt trieb, und 
Menſchenleben muthwillig in die Schanze ſchlug, 
nur um jeine eigenen felbjtjüchtigen Pläne zu 
fördern, erwartete Kaijfer Marimilian im Ge: 
fängniß von Queretaro daß Kriegsgericht feiner 
Feinde und hatte Schon fajt mit dem Leben ab— 
geſchloſſen. 

Der Kaiſer war, da längerer Widerſtand auf 
dem Cerro de las Campanas Wahnſinn geweſen, 
und das kleine Häufchen ſeiner Getreuen ſich 
ergeben hatte, nach der Cruz, als dem feſteſten 

») Wenn ich hierbei manche Namen verändert babe, jo 


geſchah e8 nur, um noch in Merico Lebenden feine Unan— 
nebmlichkeiten zu bereiten. 


234 


Plat gebracht worden, und wurde bort natürlich 
Iharf bewacht, aber Escobedo jelber hatte be— 
fohlen, ihm jede mögliche Bequemlichfeit zu ge= 
ftatten, von denen ihm freilich wenig genug 
geblieben jchien. Sein Zimmer hatte man, mit 
Ausnahme des Feldbettes und eines Fauteuils, 
rein ausgeplündert — feine jilberne Wafchtoilette 
ſtahl Lopez eigenhändig, aber man gejtattete dem 
Kaijer wenigitens den Verkehr mit feinen ges 
treuen Mitgefangenen und überhaupt jede Frei— 
heit, die fich mit feiner Lage eben vertrug. 
Freilich drängten fih auch viele DOfficiere 
hinzu, um den Marimiliano de Habsburgo mit 
eigenen Augen zu fehen, und Biele waren ihm 
läftig — Manche aber auch lieb, wie z. B. Obrijt 
Gallardo, der nicht zuerjt die Hand an ben 
Monarchen legen wollte und ihn pajfiren ließ. 
Alle diefe Officiere erzählten aber jet auch 
freimüthig den ſchändlichen, nichtswürdigen Ver— 
rath, durch den ſie, von Miguel Lopez geleitet, 
die Cruz und damit Queretaro genommen, was 
der Kaiſer im Anfang gar nicht glauben wollte. 
„Iſt e8 denn möglich, it e8 nur denkbar, ‘‘ 
rief er aus, „daß Lopez, Lopez, an dem ich 
Alles gethan, ein folder nichtswürdiger Schurfe 
fein Fonnte! Und in demjelben Augenblide, wo 





235 


feine Helfershelfer ſchon bereit jtanden, wo 
Alles vorbereitet war, um mid, feinen Wohl: 
thäter, zu verderben, kommt er herein zu mir, 
nimmt von mir die TapferfeitSmedaille und küßt 
mir dafür die Hand — wahrlich ein Judaskuß 
dem, den er fchon verrathen hatte — pfui über 
den Menjhen ! — Und was wird jegt mit ihm?“ 

„Que quiere, Majeſtät,“ jagte Gallardo — 
„ſolche Menſchen benügt man, wenn man fie 
gerade braucht, aber giebt ihnen nachher einen 
Tritt. Ich traf ihn Heute, und er hatte bie 
Trechheit mich anzureden und mich zu bitten, ihm 
zu einer Stelle behilflih zu fein — ich fagte 
ihm aber: die einzige paflende Stelle, die ich 
für ihn wüßte, jei an einem Baum mit einem 
Strid um den Hals. Ich glaube, er wird ung 
bier nicht lange läſtig fallen. 

„Und Marquez ?' 

„Halt ih noch in Merico mit Hilfe der 
europäifhen Truppen und veröffentlicht alle 
Tage Berichte, daß Sie mit der Armee unter: 
wegs wären und zum Entſatze kämen.“ 

„Aber er hatte neue, ftrengere Befehle, ohne 
Säumen hierher nah Queretaro mit der Caval: 
lferie zu kommen.“ 

„Bar ein Glüf für uns, daß er es nicht 


236 


that,’ jagte ein anderer der Dfficiere, „ſo bat 
er ſich gefallen, jelber Kaijer in der Hauptjtadt 
zu jpielen, über die er viel Elend gebracht. Ich 
weiß nicht wer jchlimmer iſt, er oder Lopez.‘ 

„Bon Allen verrathen,“ murmelte der 
Kaijer bitter vor fih bin, „von Allen, auf die 
ich zählen mußte, weil ich jie für meine Freunde 
hielt. Bon den Pfaffen — das wundert mich 
nicht — das ijt deren Natur — von den Tran: 
zojen — ich war ein Thor, ihnen zu glauben — 
nur das jchmerzt, ſolche Undankbarfeit von denen 
zu erleben, für die wir Alles gethban, was in 
unferen Kräften ftand.‘ 

Er blieb an dem Tag ſehr niedergejchlagen. 
Veberhaupt trat jeßt, nachdem die erjte Aufregung 
vorüber war, ein Grad der Erſchlaffung ein, 
indem fi auch fein altes Leiden wieder ein— 
ftellte. Der mericaniihe Militärarzt, den man 
Klugheit halber noch zugezogen, trug jeßt dar: 
auf an, daß der Kaifer eine andere Wohnung 
angewiejen befomme, und man brachte die Ge: 
fangenen dann, aber unter jtrenger Bewadhung, 
in das Klojter Terejita. 

Ein Befehl war indefien erlaffen, daß ſich 
alle Faiferlihen Dfficiere, die noch verſteckt lagen, 
melden follten, oder man würde fie, wenn jie 





237 


nachträglich entdecdt würden, ohne Weiteres todt- 
Ihießen. Einige thaten es, Mendez aber, ber 
recht gut wußte, daß fein Leben doch verfallen fei, 
jobald man nur feiner habhaft werde, blieb ver- 
borgen, wurde aber natürlich von feinem eigenen 
Diener für Geld verrathen und augenblicklich zur 
Srecution hinausgeführt — und dazu fchienen 
die Liberalen allerdings berechtigt. 

Mendez war e8 gewejen, der nur nach dem 
Gerücht des October-Decrets, und ehe es noch 
ſelbſt gejeglih in Kraft getreten, die beiden 
mericanifhen Generale - Arteaga und Galazar 
hatte erjchießen laſſen. 

Man bradte ihn nach der Aufßeren Mauer 
der Plaza de Torros, in der Nähe der Alameda, 
wo er von einem Detachement der Gazadores de 
Galeano von rüdmwärts erjchoflen werden 
jollte, wie es in Merico mit Perfonen gejchieht, 
die von der Gegenpartei des Verrathes bezichtigt 
werden. Mendez wollte jich aber durchaus nicht 
in dieje Stellung fügen. Auf einem Knie ruhend, 
drehte er jih um als es Inallte, hob den Hut 
in die Höhe, rief Viva Merico und fiel auf das 
Gefiht — war aber nicht todt und bei voller Be- 
finnung, denn er zeigte mit dem inger- hinter 
dag Ohr, um anzudeuten, daß man borthin 


238 


ſchießen und ihn tödten möge — was aud) einer 
ber Cazadores that. *) | 

Escobedo ijt faſt in allen über Merico er— 
ſchienenen Büchern als ein grauſames Sceujal 
dargejtellt worden, deſſen Drängen allein Juarez 
habe nachgeben müfjen, um bes Kaijers Tod zu 
befeblen. Nach Allem aber, was ich jelber an 
Ort und Stelle über ihn gehört, und was aud 
außerdem aus allen den Schriften, die ihn fonft 
ſchmähen, hervorleuchtet, iſt das nicht allein nicht 
der Fall, jondern er hat fi jogar in Allem, was 
den unglüdlichen Gefangenen betraf, höchit ehren— 
haft und ſogar theilnehmend bewiejen, und war 
entrüftet darüber, als er erfuhr, daß einer feiner 
Generale den Kaifer für eine Nacht in die Todten- 
gruft des Klofters gejperrt hatte. 

Es war ihm aud von der höchſten Regierung 
anfangs der Befehl geworden, alle höheren Of: 
ficiere auf der Stelle erſchießen zu laſſen; aber 
er hatte fich nicht allein geweigert, ihn auszu— 
führen, ſondern machte Juarez jelbjt Vorſtel— 
lungen, daß etwas Derartiges ohne vorhergegan: 
genes NRechtsverfahren nicht zuläjjig wäre. 

Daß Graufamkeiten in jeinem Heer verübt 


*) Prinz Sulm: „Queretaro‘. 





239 


worden jind, liegt im mericaniichen Charafter, 
und er fann nicht dafür verantwortlich gemacht 
werben, denn es ijt jehr die Frage, ob er darum 
wußte. Marquez ließ auch — auf dem Zug 
nach Queretaro die unterwegs gefangenen Gue— 
rilas, die den Zug aufhalten wollten, heimlich 
und gegen den Befehl Marimilian’s erjchießen, 
und e8 wird Niemandem einfallen, deshalb dem 
Kaifer einen Vorwurf zu machen. Außerdem 
liegt jeder Grund vor, zu glauben, daß Esco- 
bedo um ſpätere Kluchtverfuche des Kaifers wußte 
und jchwieg, oder doch Nichts jah, fo lange es 
eben möglid war. 

Die Theilnahme, die des Kaiſers Schickſal 
indejjen im Land erwedte, war allgemein, und 
fteigerte jih, als man anfing an jeiner Begna= 
digung zu zweifeln. 

Nah Dueretaro war indefjien auch ein in 
Merico anſäſſiger amerilaniiher Kaufmann 
Thomjon gelommen, den jeine Reifen bis nad) 
San Louis und in das Hauptquartier von Juarez 
geführt. Er mochte auch dort wohl die Gewiß- 
heit erhalten haben, daß an eine Rettung Maris 
milian’s nicht mehr gedacht werden dürfe, wenn 
er nicht im Stande jei, „ſich felber zu belfen‘‘. 
Dean beſprach es wenigftens dort ziemlich offen, 


— 

240 
daß Juarez wohl leicht bewogen werden fönne, 
jeinen Tod in Verbannung zu verwandeln, daß 
aber fein, bei ihm allmächtiger Minifter Lerbo 
de Tejada auf dem Tode Marimilian’s aus po= 
litiſchen Gründen feſt bejtehe, und davon nicht 
wanfen und weichen wolle. 

Thomfon, ein nichts weniger als poetijcher, 
aber durchaus praftifcher Kopf, faßte da den Ent: 
Ihluß, den Kaifer, wenn es irgend möglich ſei 
— und was iſt in Merico mit Geld nicht möglid 
— zu befreien, und reifte zu dem Zweck nad 
Dueretaro, wo e8 ihm leicht gelang, Zutritt zu 
Marimilian zu befommen. scobedo legte Nie: 
mandem Etwas in den Weg, und wo er jelber 
perjönlid um eine Gunſt für den Kaiſer an: 
gegangen wurde, bewilligte er fie jtets, ja er | 
hatte fogar ſchon eine längere Unterredung mit 
Marimilian gehabt, um Unterhandlungen mit 
Juarez zu: feinen Gunjten einzuleiten. 

Der Kaijer empfing Thomſon gütig wie alle 
Uebrigen, und ſchien nur ftußig zu werden, als 
diejer feinem Fluchtplan Worte gab. Stand es 
wirklich jo jchlimm mit ihm, daß man ſchon an 
etwas Derartiges denfen mußte? Thomſon übri— 
gens, auf einen Widerſtand oder ein Zögern 
vorbereitet, ließ ihn den erjten Tag Ruhe, ben 





241 


Vorſchlag zu überdenken, und fam erjt am näch— 
ten darauf zurüd. Er felber hatte fi unter: 
deflen mit den gewöhnlich Wache haltenden Of— 
ficieren befannt gemacht, und'ſich bald überzeugt, 
daß es gar jo Feine große Mühe koſten würde, 
dieſe Herren zu kaufen. 

Einmal gab es wirflih nur ſehr wenig ganz 
rohes Dificiersvolf unter den Liberalen, das jich 
an der Gefangenjchaft des Kaijers und auf feinen 
Tod freute — die Meilten nahmen mehr oder 
weniger Theil an dem Schickſal eines Mannes, 
von dem jie von Tag zu Tag mehr gute und 
edle Züge erzählen hörten, und — hatten außer: 
dem eine unüberwindlide Schwäche für die lan= 
desüblihe Münzjorte. 

Der Kaijer äußerte gleich anfangs zwei Be- 
denfen gegen einen Fluchtplan. Erjtlich war e8 
ibm, wie er jagte, ein unangenehmes Gefühl, 
„davonzulaufen‘‘ — und dann Fönne er gar 
nicht daran denken, ohne die mit ihm am mei: 
ten Gefährdeten, wie Miramon, Mejia und 
Prinz Salm, zu entfliehen, und das bot aller= 
dings ſchon mehr Schwierigkeiten, war aber 
troßdem durchzuführen. 

Prinz Salm wurde mit in das Geheimniß 
gezogen und ging raſch und Ba Ru den 

Fr. Gerjtäder, An Merico. IV. 


242 


Plan ein. — Alles, nur nicht der Gefangene 
diefer Menjchen und von ihrer Willfür abhängig 
bleiben — aber der Kaijer ſchwankte. — Er bielt 
es nicht mit jeiner „militäriſchen Ehre“ verträg— 
lich, und der Prinz hatte Mühe genug, ihn zu 
überzeugen, wie er der gerade genug gethan, 
und auch noch andere Pflichten babe, um fein 
Leben zu erhalten. 

Dem Prinzen gelang es dabei, ohne bejondere 
Schwierigfeit, den Officier für fih zu gewinnen, 
der am häufigiten die Wache hatte. Die Gar: | 
nijon von Queretaro war nämlich ſchon ſehr zu= 
ſammengeſchmolzen, da man alle entbehrlichen 
Truppen nad) der Hauptjtabt dirigirt hatte, um 
bort die Belagerung und Einnahme derjelben zu 
unterjtüßen. 

Der Kaufmann Thomfon war indefjen auch 
nicht müſſig geweſen und hatte für Pferde und 
Maffen gejorgt, um fie zu der noch jpäter zu be= 
ftimmenden Zeit bereit zu halten. Geld beſaß 
der Kaifer no für die nädhjten Ausgaben, um 
feinen Rettern wenigjtens eine Abzahlung zu 
machen. — Das Uebrige jollte dann angewiejen 
werben. 

Der erfte Officier mußte übrigens noch einen 
zweiten gewinnen, ohne defjen Mithilfe die Flucht 


243 


nicht bewerfftelligt werden Fonnte, und Alles 
Ihien fih jo günftig als möglich zu geftalten. 

In diefer Zeit traf die Prinzeſſin Salm in 
Queretaro ein, der es nach unjagbarer Mühe 
und Ueberwindung aller möglichen Schwierig 
feiten endlicdy gelang, ihren Gatten aufjuchen zu 
dürfen. 

Thomjon hatte davon gehört und fich wieder 
Zutritt zu dem Kaiſer zu verjchaffen gewußt, dem 
er einmal Bericht abjtatten und dann eine drin= 
gende Bitte an’s Herz legen wollte, 

Der Kaifer empfing ihn wie immer freund: 
lich, und nach Furzer Einleitung jagte er dann: 

„Es ſteht Alles gut, Majeſtät — Prinz Salm 
hat tüchtig vorgearbeitet, die nöthigen Officiere 
ſind gewonnen, ſo daß wir bereit ſein müſſen, 
ſchon in nächſter Zeit auszubrechen, aber eine 
Bitte habe ich an Sie.“ 

„Und die iſt, lieber Thomſon?“ 

„Wie ich heute gehört habe, iſt eine Dame 
eingetroffen, die Prinzeſſin Salm. — Wenn 
Ihnen an dem Gelingen unſerer Flucht auch 
nur das Geringſte liegt, ſo theilen Sie ihr keine 
Sylbe über unſern Plan mit, oder geſtatten ihr 
gar, daß fie ſich hineinmiſcht.“ 

„Sie irren fih, Thomſon,“ jagte der Kaifer. 

16* 


244 


— „Die Prinzeffin ift uns treu und aufridtig 
ergeben und an Berrath nicht zu denken.“ 

„Davon ſpreche ih nicht, Majejtät, und 
fürchte feinen Verrath von ihrer Seite,” fagte 
Thomfon, „wo aber bei einer ſolchen Sache Da: 
men die Hand mit im Spiel haben, geht es je= 
des Mal fchief, denn fie Fönnen den Mund 
nicht halten.” 

„Ich glaube, die Prinzeſſin fann —— 
wo ſie will.“ 

„Möglich,“ ſagte Thomſon nach einigem Zau— 
dern, „aber — ich habe in meinem Leben nichts 
Beweglicheres und Unruhigeres geſehen, als dieſe 
Dame iſt — ich kenne ſie ſchon von Mexico her. 
Sie wechſelte dort fortwährend aus der Stadt 
in das feindliche Lager und zurück —“ 

„Um Vermittlungsverſuche zu machen.“ 

„Ich weiß es, aber ſie trieb es in einer ſo 
raſtloſen Weiſe, daß ſie Porfeirio Diaz zuletzt 
ausweiſen ließ und ihr nur ſchwer die Erlaub— 
niß gab, nach Queretaro zu gehen. Sie würde, 
mit allem Eifer für die Sache, hier mehr ver— 
derben als gut machen, und ich bitte Euer Ma— 
jeſtät dringend, mir nur hier zu folgen.“ 

„Wenn ihr nur der Prinz ſelber nicht ſchon 
davon geſprochen hat!“ 





„Dann gebe ich feinen Claco für unjern 
ganzen Plan.’ 

Der Kaiſer lachte. „Sie haben jchlecdhtes 
Vertrauen auf weibliche Bundesgenofjen, und 
doch leiften fie manchmal vortreffliche Dienſte.“ 

Thomſon jchüttelte mit dem Kopf. „Ich will 
wünjchen, daß ich mich irre, Majeftät,” fagte er, 
„aber das Beſte wäre, daß wir fie auf Furze 
Zeit von hier entfernten — e8 arbeitet ſich beſſer.“ 

„Ich werde mit dem Prinzen ſprechen,“ jagte 
der Kaifer nach Furzem Nachdenken, ‚aber gerade 
die Prinzeſſin Scheint mir jehr rejolut.‘ 

„Das ijt fie, bejtätigte Thomfon. — „Ich 
glaube nicht, daß es noch eine zweite Dame in 
Merico giebt; die mehr Strapazen erträgt — 
und durchmacht, und Fein Cavalleriſt ſitzt feiter 
im Sattel als fie, aber Alles was ich fürchte, 
it übertriebener oder verfehrter Eifer, und 
außerdem ift fie der Spanischen Sprache gar nicht 
mächtig. — Wie gefagt — ich bitte Majejtät 
dringend, ſich nicht mit ihr einzulaſſen.“ 

„Schön, Shön, lieber Thomjon, wir wollen 
die Sache bedenken. Sie haben vielleicht Recht, 
und wenn das Unglüd nicht Schon geſchehen ift, 
fol fie von mir Nichts darüber erfahren — oder 
doch jedenfalls zur Vorficht ermahnt werden.” 


246 


Damit war vor der Hand Nichts weiter zu 

thun und Thomſon kehrte in die Stadt zurüd, 
um noch nöthige Anordnungen zu treffen. 
Am naͤchſten Morgen bejuchte die Prinzeſſin 
den Kaifer wieder, aber er brauchte Nichts mehr 
an jie zu verratben, denn fie wußte ſchon Alles 
von ihrem Gatten und — ſchien mit dem Plan 
nicht einverftanden. Sie hatte den einen Officier 
gejehen und traute ihm nicht — die Leute woll- 
ten nur Geld erprejien, weiter Nichts — bei einem 
jolhen Vorhaben müfje man ſich an höhere 
Dfficiere wenden, die auch wirklich eine Flucht 
fihern könnten — dieje unteren Officiere hingen 
ja nur von einem Befehl ihrer Oberen ab, der 
— ſelbſt zufällig gegeben, die ganze Sache über 
ben Haufen werfen fonnte. — Auch dieſem Thom— 
jon, den fie fennen gelernt hatte, traute fie nicht 
— es war aber möglich, daß er es ehrlich meine, 
wenn aud immer mit ihm gewagt. 

„Aber Prinzeſſin, Sie ſehen zu ſchwarz,“ 
ſagte der Kaiſer freundlich — „es iſt wahr, ich 
bin jetzt von Verrath umgeben geweſen, aber 
ſoll es denn gar keine ehrlichen Menſchen auf 
der Welt mehr geben?“ 

„Gut, Majeſtät,“ ſagte die Prinzeſſin, „als— 
dann verſprechen Sie mir wenigſtens, vorher nach 





247 


Baron Magnus und einigen tüdhtigen Rechts— 
gelehrten zu jenden, und — hören Sie erjt deren 
Meinung — ih will mit Freuden felber nad) 
Merico reifen und fie holen.’ 

„Sie wollen dieje böje und gefahrvolle Reife 
für mich machen?” jagte der Kaijer herzlich — 
„wie kann ich das Alles Ihnen danken.‘ 

„Alles, Alles will ih für Sie thun,“ rief 
die Prinzeſſin leidenjchaftlich, ‚‚aber folgen Sie 
nur diejes Mal meinem Rath, Majeftät. Mein 
Leben gäbe ich ja jo gern für das Ihre Hin, 
wenn ich es damit erfaufen Fünnte, aber — mir 
jagt eine Ahnung, dag Sie den Weg zur Flucht, 
den fie mit Hilfe dieſer Menſchen ſuchen, nicht 
offen finden werden. Aber einmal die Sache 
mißglüdt, und Sie find verloren, denn ein zwei— 
te8 Mal wird man Ihnen keine Gelegenheit mehr 
geben. Warten Sie die Gejandten ab.‘ 

„Aber indejjen geht die Sache hier ihren 
Gang,‘ fagte der Kaijer. „Juarez drängt und 
die Gejandten werden zu jpät eintreffen.‘ 

„Und ijt es nicht möglih Aufichub zu er— 
langen ?’’ 

‚Man müßte fih an Juarez jelber wenden 
— und wer fann das thun ?'' 

„Das iſt dann das Wichtigere,’ rief die 


“248 


Prinzeffin, augenblidlich bereit, irgend welchen 
Ihmierigen Auftrag zu übernehmen. — „Laffen 
Sie mid machen, Majeftät,‘‘ fügte fie mit herz— 
gewinnendem Lächeln hinzu — „ich habe es mir 
nun einmal in den Kopf gejegt, Sie zu retten, 
und was ich unternehme, führe ih auch ficher 
durch.‘ 

„Täuſchen Sie ſich nicht, Prinzeſſin,“ ſagte 
der Kaiſer gutmüthig. — „Sie würden da viel— 
leicht das Unmögliche verſuchen — doch vere— 
mos — wunderbarere Dinge ſind geſchehen.“ 

Die Prinzeſſin führte ihren Vorſatz in der 
That durch. Der Obriſt Villanueva bei den 
Liberalen, der aber ganz durch die Ueberredung 
der Prinzeſſin ihrer Seite gewonnen worden, 
rieth jetzt ſelber dem Kaiſer, ein paar Zeilen an 
Juarez zu ſchreiben und ihn um 14 Tage Auf— 
ſchub zu bitten, um ſowohl ſeine Vertheidiger 
von Mexico kommen zu laſſen, als auch alles 
nöthige Material herbeizuſchaffen, und es gelang 
der Dame bei einer perſönlichen Zuſammenkunft 
mit Juarez, zu welchem Zweck ſie beſonders die 
beſchwerliche Tour nach Luis Potoſi machte, ihm 
wenigſtens drei Tage Aufſchub abzuringen. In— 
deſſen war nach Mexico telegraphirt worden, um 
den preußiſchen Geſandten herbeizurufen, da 


249 


fih der döfterreihifche als völlig unbrauchbar 
und nußlos zeigte. Er war ein diplomatijcher 
Schattenmann voller Furt und Bedenfen, eine 
adelige Puppe, wie fie leider nur zu oft in 
fremde Welttheile geſchickt werden, um das deutjche 
Volk dort würdig zu vertreten. Dieſe Yeute find 
völlig nußlos in der Heimath, und man iſt ba 
tböricht genug, fie nach außen als Repräjentan: 
ten zu ſchicken, wo fie auch eine Weile eine Rolle 
fpielen, bis wirfli einmal etwas Ernjtliches 
von ihnen verlangt wird. Dann tritt ihre Nutz— 
Lofigkeit zu Tage, und fie ziehen fich ſpäter mit 
ein paar unverbienten Orden mehr und einer 
großen Penſion in's Privatleben zurüd. 

Die Prinzeſſin kehrte nah ſehr Furzer Zeit 
mit der Ordre des Auffhubs, der dem Proceß 
eine längere Dauer gab, zurüd, war aber jehr 
unglüdlih als fie hörte, daß die Flucht doch 
ausgeführt werden follte, und verjuchte nochmals 
aber umſonſt ihre Beredſamkeit an dem Kaiſer, 
ber jeßt fejt entichloffen jchien den Verſuch zu 
wagen. Es war Alles vorbereitet, auch die Reife 
ber Prinzeſſin nad) Merico jollte verſchoben wer: 
ben, bis man wußte, ob die Flucht gelingen werde 
oder nid. 

Ein dritter Officier hatte indeſſen in bas 


250 


Geheimnig gezogen werden müffen, und am 
2. Juni traf Alles jo günftig zufammen, daß dieje 
drei gerade die Wache hatten. E83 wurde nun 
auch definitiv feitgeitellt, dag die Flucht in der 
nächſten Nacht ftattfinden jolle. 

‚Außer durh die Gavalleriewahe an der 
Treppe,” erzählt Prinz Salm, „und die Infan— 
teriewadhe vor dem Thor des Klojters wurden 
die Gefangenen durch Feine andere bewadt. Die 
Dfficiere waren gewonnen, und die Soldaten 
folgten ohne zu denken den Dfficieren. Der 
Rittmeilter nahm ſogar eine Escorte mit. In 
ber Stadt lagen nur einige Truppen in den 
Häufern zerjtreut, und die Straßen wurden nicht 
ſpäter als bis eilf Uhr von kleinen Infanterie— 
Patrouillen durchzogen. Vor der Stadt jtanden 
feine Bolten und feine Truppe überhaupt zwildhen 
bort und ber Sierra Gorda.“ 

An diefen Tage fam Miramon’s Gemahlin 
nad) Queretaro und es wurde ihr gejtattet, ihren 
Mann 'zu jehen, aber um ein Uhr traf eine tele— 
graphiiche Depejche von Merico ein mit der Nach— 
richt, dat Baron Magnus mit den beiden erjten 
Advocaten Mericos, Martinez de la Torre und 
Riva Balacio, unterwegs jei. 

Die Prinzeſſin Hatte ji die größte Mühe 





251 


gegeben, den Kaiſer noch zu bewegen, wenigjteng 
die Anfunft der Gejandten und der Advocaten 
abzuwarten, aber er jchien diesmal entjchlofjen 
zu fliehen, denn er ahnte was ihm bevorjtand, 
und wollte es nicht abwarten. 

Unruhig ging er an dem Nachmittag in ſei— 
nem Zimmer auf und ab — alle Vorbereitungen 
waren getroffen und nur die Nacht mußte abge= 
wartet werden, um Queretaro unter Itarfer Be: 
gleitung und fait ohne Gefahr zu verlafjen. Da 
verlangte eine alte Frau zu dem Kaijer gelajjen 
zu werden, die, wie fie jagte, einige Kuchen für 
ihn gebacken hatte und fie ihm jelber bringen 
wolle. Er war immer gut mit den armen Leu— 
ten gewejen, und wenn jie auch arm jei, wolle 
fie ihm doch ihre Dankbarkeit zeigen. 

Die Soldaten ließen fie dur, blieben aber 
— mie ihr Befehl lautete, bei der offenen Thür 
ftehen, und die Alte reichte jet dem, darüber 
allerdings überraſchten Monarchen das Kleine 
Körbchen, indem fie ihn bat, die dürftige Gabe 
freundlich anzunehmen. Bon den Soldaten un: 
bemerkt, jchob jie aber dabei das eine Brödchen, 
während ihr Bli den Kaiſer traf, ein wenig 
vor — e8 war das jedenfalls ein Zeichen, jchüt= 
tete die Brödchen dann aus, und jedes Geſchenk 


252 


verweigernd, eilte fie, jo rajch jie fonnte, wieder 
zurüd und auf die Straße. 

Marimilian Fannte aber jchon dicje Art, Kleine 
Zettel in Brod zu verſtecken — er hatte mehrere 
in der nämlichen Weije erhalten, und wie er 
ih nur unbemerft wußte, brach er das bejtimmte 
Brödchen auf. Ein unheimliches Gefühl befchlich 
ihn jedody dabei — was für eine Nachricht Fonnte 
es jein, die ihm jeßt noch mit ſolcher Vorſicht 
gefandt wurde, wo er fajt offen mit allen feinen 
Freunden verfehren durfte — etwas Gutes ſchwer— 
ih — und feine Ahnung Hatte ihn nicht ge— 
täufcht. In dem Bröbchen war allerdings ein 
fleiner Zettel verborgen, auf’ dem aber nur, mit 
augenjcheinlich verſtellter Handſchrift die Worte 
Itanden: 

„Hüten Sie jih — die Leute, mit denen Sie 
fliehen wollen, find Verräther.“ 

Ein recht wehes, bitteres Lächeln zudte um 
des Kaifers Lippen, als er die Worte las. und 
den Zettel dabei faſt unbewußt in lauter Kleine 
Stückchen zerpflüdte. 

„Alles Berräther,” — murmelte er endlich 
balblaut vor fih Hin — ‚alles Berräther — 
giebt e8 denn feinen ehrlichen Menjchen mehr in 
Mexico?“ 


255 


Er ging von jegt an mit raſchen Schritten 
in feinem Eleinen Gemach auf und ab — nad: 
denfend die Hände, wie er e8 gewöhnlich that, 
auf den Rüden gelegt und den Kopf etwas.ge- 
fenft — endlich jchicfte er nad Prinz Salm, der 
raſch zu ihm eilte. 

„Lieber Salm,“ jagte er, jet wieder voll» 
fommen ruhig, „da die Gejandten unterwegs 
find, ift die Reife Shrer Frau nad Merico uns 
nüß geworden. Außerdem habe ich bejchlofjen, 
daß wir in dieſer Nacht nicht fliehen wollen.‘ 

„Majejtät! rief Salm wirklich erfchredt aus, 
„das Kann nicht Ihr Ernjt fein — Mlles iſt 
vorbereitet — Alles — Sie brauden nur Ihr 
Zimmer zu verlajien, aufzujigen und davon zu 
reiten. Sämmtliche Officiere, die heute bie 
Mache haben, find gewonnen, ich bitte Sie drin= 
gend von diejem unglüdjeligen Gedanken abzu: 
ſtehen.“ 

„Es geht nicht, lieber Salm,“ entgegnete aber 
der Kaiſer freundlich — „denken Sie nur, was 
die fremden Geſandten ſagen würden, wenn ſie 
von Mexico hier ankämen und ich ihnen durch— 
gegangen wäre.“ 

„Ihrem Gott würden ſie danken,“ rief Prinz 

- Salm eifrig, „denn damit wäre ja Alles erreicht, 


254 


was jie jegt nur vielleiht mit vieler Mühe — 
oder gar nicht — erjtreben könnten. Ob, Ma: 
jeität, ich bitte Sie dringend, folgen Sie nur 
dies eine Mal meinem Rathe — Gie befinden 
fih in größerer SI, als Sie vielleicht 
glauben! 

„So ſchnell geht es nicht, lieber Salm,“ lä— 
chelte der Kaijer, „und dann — habe id aud 
Ihrer Frau verſprochen, bier zu bleiben, bis die 
Gejandten eintreffen — mein Berfprehen muß 
ih doch halten?” 

„Majeſtät!“ rief Prinz Salm bewegt, ‚‚meine 
Frau fann Ihnen Fein ſolches Verjprehen ab: 
genommen haben — und ficher nicht für ben 
Tall, dag Sie ſich früher retten würden. Alles, 
was fie will, ijt ja doch aud nur, Sie in rei: 
heit und Sicherheit zu ſehen.“ 

Der Kaifer jchüttelte den Kopf. — „Bitte, 
Iprehen Sie mit den DOfficieren — wir müffen 
es auf einen andern Abend verjchieben, auf ein 
paar Tage fommt es ja doh nit an.‘ 

Prinz Salm ging, kehrte aber bald zurüd, 
um dem Kaiſer auf’8 Neue Borjtelungen zu 
machen. Die Dfficiere waren außer id, denn 
fie wollten einmal das ihnen verjprodene Geld 
verdienen, und dann lag ihnen auch daran, von ” 


255 


bier fortzufommen. Es wußten zu viele Per— 
jopen um den Fluchtplan — jeßt fei die Sache 
noch ein Geheimniß und die Ausführung fo gut 
wie gelungen, allein eine Gelegenheit wie bie 
heutige fomme nie wieder. 

Es war umjonft. So leicht ſich der Kaifer 
ſonſt zu irgend Etwas bereden ließ, heute gab er 
nicht nad). 

„Wo tft Thomſon?“ frug er nad) einer klei— 
nen Weile. 

„Thomſon, Majeftät, iſt heute Mittag abge: 
reift, um nicht nach gelungener Flucht in den 
Verdacht der Beihilfe zu fommen. Er konnte 
auch bier Nichts mehr nüßen, denn es ijt Alles 
jo durdhaus geordnet und vorbereitet, daß für 
ihn Nichts mehr zu thun blieb. Wenn Majeſtät 
nur wollten —“ 

„Heute nicht, lieber Salm — heute nicht 
— die Herren müſſen ja in den nächſten Tagen 
fommen.” 

Die Naht verging — und ber Kaiſer blieb 
Sefangener — der günjtige Moment war ver: 
ftrihen. | 

Wie er dem Drängen der treu an ibm hän— 
genden Dfficiere nicht nachgegeben hatte, als 
er noch aus Queretaro ausbrechen Fonnte — 


256 
bis es zu jpät war — jo aud) hier. Zu jpät! 
zu ſpät! 

Am nächſten Tage jchon zeigten ſtrengere 
Maßregeln und die Entfernung der früheren 
Wachen, daß Escobedo Alles wiſſen mußte — 
wenn er es nicht ſchon früher gewußt hatte. 

Prinz Salm wie alle übrigen Officiere wur— 
den von dem Kaiſer getrennt und im Caſino 
untergebracht, wie ebenfalls unter ſtrenge Be— 
wachung und Aufſicht geſtellt, die ſogar ſo weit 
ging, daß man ihnen nicht einmal mehr ein Eß— 
beſteck erlaubte. 

Als Doctor Baſch, der ebenfalls vom Kaiſer 
getrennt geweſen war, aber ſehr bald wieder die 
Erlaubniß erhielt, zu ihm zu gehen, bei ihm 
eintrat, ſagte ihm Maximilian, indem er mit 
ihm über die jetzt vollſtändig geſtörten Flucht— 
pläne ſprach: „Das haben wir nur den Weibern 
zu verdanken — ich glaube, die Miramon muß 
geſchwätzt haben.“*) 

Die nächſten Tage vergingen in großer Un— 
ruhe, denn das Kriegsgericht ſollte ſeine Sitzun— 
gen beginnen‘ und zwar — als dem größten 
Raum in Queretaro, wo man auch dem Publiftum 


*), Bajh: „Erinnerungen“, Band II. 1%. 





t en 
——* 
=] 


den Zutritt gejtatten fonnte — im Theater 
Iturbide. Wie unwürdig das fei, dem Kaijer 
gegenüber, ſah man natürlich nichtein. Sowie man 
aber auch nur dem Kaifer die Mittheilung machte, 
erklärte er augenblicklich auf das bejtimmtefte, 
daß er nicht dort perjönlich erjcheinen würde, 
und babei blieb e8. | 

Die Gejandten gaben ſich indefjen im Verein 
mit den gefommenen Advocaten die größte Mühe, 
den Kaiſer gar nicht vor ein Kriegsgericht zu 
bringen, jondern ihn den @ivilgerichten zu über: 
weifen, wodurch die ganze Sache jchon ein an: 
dere Anjehen befam, und nicht von unreifen 
mexicaniſchen Dfficieren, fondern von wirflichen 
Suriften entjchieden wurde. Man hatte ben 
Kaifer allerdings mit den Waffen in der Hand 
gefangen genommen, aber doch nicht in ber 
Schlacht befiegt, jondern nur von einem Ber: 
räther gefauft — aber Lerdo de Tejada wollte be— 
jonders das DctobersDecret gegen ihn als Haupt 
anjhuldigung erhoben wijjen, obgleidy e8 ber 
Kaiſer jelber faſt nie hatte ausführen, jondern 
fajt ohne Ausnahme Gnade walten lafjen, und 
damit war das Urtheil jchon von vornherein 


geiproden. Der Angeklagte jollte außerdem 
Fr. Gerftäder, An Merico. IV. 17 


258 


nah dem Geſetz vom 25. Januar gerichtet 
werden. *) 

Sämmtliche, dem Kaijer meiſt freundlich ge— 
finnte Officiere, die darüber befragt wurden, 
erklärten auch achjelzudend, daß fie die feite 
Ueberzeugung hätten, der Kaijer würde zum Tod 
verurtheilt und das Urtheil dann jedenfalls 
von Juarez bejtätigt werden, und jet war e$ 
Prinzejjin Salm, die auf Flucht drang und den 
Kaijer dahin zu überreden juchte. 

Marimilian dagegen, dem man auch wohl 
bieje jchlimmen Anzeichen veröffentlicht Hatte, 
vertraute immer noch feſt auf die Hilfe bes 
preußijchen Vertreters und die jeiner Advocaten, 
und wollte, als ihm die Prinzeffin den Vorſchlag 
machte, Nichts davon wijjen. 

„Ich bin überzeugt, liebe Prinzeſſin,“ jagte 
er, „daß Sie es gut und aufrichtig mit mir 
meinen, aber — Damen jind doc vielleicht für 
jo Etwas nit die pafjenden Werkzeuge, und jo 
ehr ih Escobedo’8s Schonung nad dem erjten 
Fluchtverſuche anerfenne, jo würde ein zweiter, 
wenn entdecdt, unjere Yage jehr verſchlimmern.“ 

*) Das Geſetz vom 25. Januar, in dem Juarez alle 


mit den Waffen in der Hand Betrofiener zum Tode ver- 
urtbeilte. 





259 


„Aber ich gehe jicher, Meajejtät!” rief bie 
Prinzejjin, im Eifer für ihre Sache erglühenp, 
„und Alles iſt Schon vorbereitet. Den Obrijt 
Billanueva, der in der Stadt befehligt, habe ich 
vollitändig gewonnen und von ihm ift fein 
Verrath zu fürdten — nur nod ein anderer 
Dbrift, der die Gefängniffe unter feiner Aufficht 
bat, Riva PBalacio, muß gewonnen werben, und 
alle diefe Menſchen jind mit Gold zu Faufen. 
Ich jtehe Ihnen für den Erfolg, wenn Sie mid 
mit den entjprehenden Mitteln ausjtatten.‘ 

Der Kaijer hatte das Vertrauen verloren, 
aber dem dringenden Zureden der Dame fonnte 
er zulett nicht widerjtehen. Schon ihre Worte 
ließen ihn ahnen, daß jeine Sache doch vielleicht 
gefährlicher jtünde, als er anfangs geglaubt — 
er gab jeine Zujtimmung, und fröhlichen Herzens 
eilte die unermüdliche Frau an ihr Werf. 


17* 





10. 
Die Derräfher. 


Marquez war mit feinen Ausfallstruppen ge: 
Ihlagen worden, und wenn man aud in Me 
rico wußte, daß der Fleinen Zahl eine furdt: 
bare Uebermacht, noch dazu hinter befeitigten 
Werfen, gegenüber geftanden, jo machte es doch 
in der Stadt einen höchſt peinlihen Eindrud, 
denn was fonnten fie jegt noch hoffen. 

Die Stadt jelber ſah auch verödet aus — 
alle Läden waren gejchlofien, die Bewohner wagten 
ih faum noch auf die Straße, denn das „euer 
der Belagerer wurde von Tag zu Tag heftiger, 
und trübe Nachrichten von außen dienten nidt 
dazu, den Belagerten friſchen Muth zu geben. 
Sp wenig man bis jest wirklich geglaubt, da 
Dueretaro genommen und ber Kaifer gefangen 


261 


fei, jo drängte ſich doh der Maſſe endlich die 
Meberzeugung auf, daß es im inneren Lande nicht 
gut jtehen könne, ſonſt hätte man jchon in 
diefer langen Zeit bejtimmte Nachricht haben 
müſſen — aber Gewißheit fehlte, und bie 
waceren öjterreichiichen Führer, Graf Kheven- 
büller und Obriſt Kodolich, wiejen alle Verſuche 
bes liberalen Oberbefehlsbabers, die Waffen in 
einer boffnungslojfen Sache niederzulegen, auf 
das entſchiedenſte zurüd. 

Da gelangte plöglic am 16. Juni ein Brief 
von Baron Lago aus Tacubaya, dicht bei Merico, 
an den Grafen Khevenhüller, der jeden Zweifel 
zerjtreuen mußte und dem Ganzen eine entjchie= 
dene Wendung gab. 

Baron Rago, der öſterreichiſche Gejchäftsträger, 
aus Furcht, ſein koſtbares Leben gefährdet zu 
jehen, hatte allerdings den Kaiſer in feinen leßten 
Tagen und in der höchſten Gefahr verlaſſen — 
bier aber traf feine Kunde zur rechten Zeit ein, 
um weiteres DBlutvergießen und Unheil zu ver: 
hüten. 

Der Brief lautete: „Lieber Graf — Ich made 
Ihnen officiell zu wifjen, daß der Kaifer Mari- 
milian ji) in Queretaro, von wo id) am heuti= 
gen Abend hier eingetroffen bin, in Gefangen: 


2062 


Ihaft befindet. Er wurde am 15. Mai mit ſei— 
ner ganzen Armee und allen feinen Generalen 
gefangen genommen. 

„Ich babe Seine Majeftät zu wiederholten 
Malen in feinem Gefängniß in dem Klojter be 
las Capuchinas gejprodhen. Ohne Zweifel hat 
General Marquez einen eigenhändigen Brief 
Seiner Majeftät, den Ihnen Herr v. Magnus 
gelendet bat, bejeitigt. In dieſem Briefe be= 
fiehlt Ihnen Seine Majeftät jowie allen übrigen 
Dfficieren öfterreihiicher Nationalität, fürderhin 
jedes Blutvergießen zu vermeiden, | 

„Ich erlaube mir nun, Ihnen dies, in meiner 
Eigenſchaft als öſterreichiſcher Gejchäftsträger, 
mitzutbeilen, indem ih Gie und die anderen 
Dfficiere der genannten Nationalität für jedes, 
von nun an für eine verlorene Sache vergofjene 
Blut jedes Defferreichers verantwortlich erkläre, 
und dies zwar gegenüber Geiner FE. f. öſter— 
reichiſchen Majeftät. 

„Empfangen Sie Herr Graf ıc. 

Baron de Lago.’ 

Der lebte Sab war eine — Schwachheit, um 
ein ganz mildes Wort zu gebrauchen; Dejterreidh 
hatte jih lange von den nad Merico gezogenen 
Soldaten losgejagt, fand es fogar fpäter gegen 





das „Princip“, Officiere von dort wieder anzu— 
jtellen, und gejtattete eg nur ausnahmsweije. Aber 
ber Brief jelber klärte endlih die Situation 
und bradte das unnatürliche Verhältniß in Me: 
rico zu einem Abſchluß. — 

Im erzbiihöflichen Palais ſaß an dem näm- 
lihen Nachmittag Labaſtida und jchrieb verjchie= 
dene Briefe, horchte aber dabei immer unmwills 
fürlih nad der Thür. — Er hatte den General 
Marquez zu fich bitten laſſen, und erwartete ihn 
Ihon jeit fajt zwei Stunden, ohne daß er ber 
Aufforderung gefolgt wäre. 

Endlich meldete ein im VBorzimmer jtationir- 
ter Padre den Oberbefehlshaber der Stadt, und 
gleich darauf betrat Marquez in voller Uniform, 
aber bleih und mit finjter zufammengepreßten 
Zügen den Raum. 

„Monſeñor hatten gewünſcht mich zu ſpre— 
hen, fagte er, ‚und es trifft jich dabei jehr 
gut, denn ich wäre auch von felber heute zu 
Ahnen gekommen. Was ijt es, das Gie mir 
mitzutbeilen haben ?’' 

„Nichts Gutes, Lieber Marquez,‘ jagte der 
Erzbifchof, „nichts. Gutes in der That. Aber was 
hätte Sie zu mir geführt?” | 

„Ich möchte Ihre Neuigfeit zuerjt hören,“ 


264 


fagte Marquez troden, „vielleicht ift es das Näm- 
liche, was ich erfahren habe.“ 

„Schwerlid,‘ rief Labajtida, „dann bringen 
Sie mir eine andere Unglüdsbotichaft.‘ 

„Es kommt felten eine allein,“ late Mar: 
quez bitter, ‚„aljo was war es?“ 

„Santa Anna ijt von den Liberalen gefan— 
gen genommen,’ jagte der Erzbiſchof mit unter: 
drüdter Stimme, „und Bera-Eruz jelber viel: 
leicht jchon, während wir bier jpredhen, in ihren 
Händen.” 

„In der That?” fagte Marquez, ohne jedoch 
bejondere Aufregung deshalb zu zeigen, „ilt Ihr 
Bote zurück?“ 

„Denken Sie fich die Niederträchtigfeit von 
Porfeirio Diaz," rief aber der Kirchenfürjt, und 
jeine Augen blitten dabei vor Zorn und In— 
grimm — „den Boten, den Padre Zaloga, haben 
fie aufgefangen — er hatte noch andere wichtige 
Papiere aus Puebla bei jih, die jet verloren 
find — den Brief aber, der mir über Santa 
Unna Kunde giebt, ſchickt mir General Diaz hier 
herein, und zwar zugleid) mit einem Zettel, 
worin er uns einfach anzeigte, daß er den „wür— 
digen Padre“ als Spion habe hängen laſſen.“ 

Ein ſpöttiſches, faſt verächtlihes Lächeln 





265 


zucte um Marquez’ Lippen, aber er hielt es nicht 
einmal der Mühe werth, darauf zu antworten. 

„Da bringe ich noch bejjere Kunde,” ſagte 
er nad einer Pauſe, „diejen Brief haben bie 
fremden Obrilten heute von dem djterreichifchen 
Geſandten erhalten.‘ 

„Sp wijjen fie Alles?’ rief der Erzbiſchof 
raſch. 

„Gewiß —“ 

„Und was haben ſie beſchloſſen zu thun.“ 

„Was konnten ſie beſchließen? Sie weigern 
ſich, weitere Dienſte zu thun, und die Geſchichte 
iſt aus.“ 

Der Erzbiſchof ſah den General ſtarr und 
erbleichend an. 

„Und was gedenken Sie zu thun?“ 

„Mich nicht von den Liberalen erwiſchen zu 
laſſen,“ erwiederte Marquez trocken. 

„Und die Stadt?“ 

Der General zuckte die Achſeln. — „Unſere 
Truppen können ſie nicht allein mehr halten,“ 
ſagte er ruhig, „und werden ſich hüten, einen 
weiteren Verſuch dahin zu machen.“ 

„Und wenn man ihnen Geld verſpräche?“ 

„Monſeñor haben ſchon zu viel verſprochen,“ 
ſagte der General ruhig, „daß Ihnen kein Menſch 


266 


mehr glaubt. Jetzt aber hülfe auch nicht ein- 
mal mehr Geld, und wenn es der Klerus wirk— 
lih baar aus den Händen gäbe — es tjt zu 
jpät. Hätten Sie den Kaifer unterftüßt, jo. 
fonnten Sie mit dem noch zu einem Verſtändniß 
fommen — mit den Liberalen ijt dag, wie. Sie 
vecht gut jelber wijjen, nicht mehr möglich, und 
Sie mögen jetzt jehen, wie Sie mit denen fertig 
werden.“ 

„Und iſt das all' der Dank, den wir von 
Ihnen zu erwarten haben, General?“ ſagte La— 
baſtida, ſich ſtolz emporrichtend. 

„Dank?“ erwiederte Marquez bitter — „ich 
wüßte in der That nicht, Monſeñor, wofür ich 
Ihnen Dank ſchuldig wäre, denn von allem An— 
fang an hatten Sie nur das Intereſſe des Klerus 
im Auge und hielten ſich zu dem, der Ihnen 
Ausſicht bot, das zu fördern. Ich habe es ver— 
ſucht, aber es ging eben nicht — das Volk wird 
doch mit den Jahren klüger. War es ſonſt noch 
Etwas, das Sie mir mitzutheilen hatten?“ 

„Und ſoll denn wirklich Alles verloren ſein!“ 
rief der Erzbiſchof in Verzweiflung. 

„Darüber werden Sie ſich mit dem Präſi— 
denten Juarez verſtändigen müſſen, Monſeñor,“ 
erwiederte kalt der General, machte dem Erz— 


267 


biſchof eine tiefe Verbeugung und verließ das 
Haus, 

Unter dem Militär entwicdelte jich jest eine 
ganz eigenthümliche, aber dabei faſt unheimliche 
Regſamkeit, denn mit der Gewißheit, daß das 
Kaijerreich gejtürzt und der Kaiſer gefangen jei, 
dachten die fremden Truppen gar nicht mehr 
daran, für General Marquez oder irgend einen 
Mexicaner den Krieg fortzuführen. Ihre Führer 
erflärten augenblidlih dem General Marquez, 
daß jie mit Porfeirio Diaz jelber über ihren Zug 
nad) der Küjte in Unterhändlung treten würden 
— erhielten aber gar feine Antwort. Marquez 
blieb überhaupt von dem Augenblik an vers 
Ihwunden. Nachdem mam ihn nody bei General 
Andrade hatte vorfahren ſehen, ſetzte er ſich in 
feinen Wagen, und fein Menſch war im Stande 
anzugeben, wohin er ſich gewendet. 

Das Commando in der Stadt, oder vielmehr 
ben Oberbefehl über die jeßt unaufhaltſam ein 
tretende Verwirrung, übernahm General Tavera, 
aber auch ihm blieb nicht weiter übrig, als mit 
bem Feind zu capituliren — e8 wäre ihm nicht 
möglich geweſen, die jeßt von den deutſchen 
Truppen aufgegebene Stadt auch nur gegen 
einen Anjturm des Feindes zu halten, jelbjt 


268 


wenn er noch Lebensmittel für feine Soldaten 
gehabt hätte. 

Die fremden Truppen aber zogen, wie es 
mit Porfeirio Diaz ausgemadht worden, ſämmt- 
lid in den faijerlihen Palaſt, in deſſen Hof: 
räumen fie jich lagerten. Die Thore wurden ge— 
ſchloſſen, und die ausgeſteckte weiße Fahne deutete 
an, daß fie alle Feindſeligkeiten eingejtellt hätten. 

Lebt erit befamen fie jichere Nachrichten von 
ihrem SKaifer, und mit weldhem Weh es bie 
treuen Herzen erfüllte, läßt jich denken. 

Am 21. endlich marſchirte Porfeirio Diaz in 
mujterhafter Ordnung in die Stadt. Es war 
eine raub ausjehende Armee, die Soldaten meiſt 
barfuß oder mit Sandalen, in Leinwandhojen, 
oft ohne Jacken jelbjt, aber vortrefjlich bewaffnet 
und in jtrenger Disciplin gehalten. Den Sol: 
baten war unter Zodesjtrafe jede Gewaltthat 
verboten, auch der Verfauf von ſpirituöſen Ge: 
tränfen in der Stadt für die erſten drei Tage 
bei jchwerer Strafe unterjagt. 

Der Klerus aber mußte — wo er am lieb: 
ten die ganze Armee der Liberalen ercommus= 
nicirt hätte, zu Mittag ein Tedeum abhalten und 
alle Glocken läuten laſſen — fie beuteten den 
Frieden. 


269 


Mährend die Gloden noch erflangen, bie 
Soldaten aber ſchon meilt Alle ihre Quartiere 
bezogen und die Officiere jich zerjtreut hatten, 
um ihre alten, lange nicht gejehenen Bekannten 
und Verwandten wieder aufzufuchen, ritten zwei 
Reiter in mericaniiher Tracht über die Plaza 
und bogen nad einer der Geitenjtraßen ein. 
Diejer folgten fie eine furze Strede, bis fie ein 
Fleines aber freundliches Haus erreichten. 

Der Eine von ihnen, eine fehr ftaitliche Ge: 
alt mit ſchwarzem Schnurrbart und Militä- 
riijhem in feinem ganzen Wefen, bielt bier, 
jprang vom Pferd, warf feinem Begleiter bie 
Zügel zu und Flopfte mit dem Hammer an bie 
Pforte. E8 dauerte auch nur wenige Momente, 
jo erjchien ein indianifher Burfche, der aber 
mehr erihroden als erfreut ſchien, den Caballero 
dba zu finden. 

„Jun, muchacho,‘ fagte dieſer, „Du ſchnei— 
beit ja ein ſehr bejtürztes Gefiht — iſt bie 
Señora zu Haufe?‘ 

„Ah, Senior Lopez!’ rief der Junge, „ſind 
Sie wieder da? Nein, die Señora ift nicht zu 
Haufe — ſchon feit drei Tagen nicht.‘ 

„Seit drei Tagen?” rief Lopez erjtaunt — 
„und wo jonft iſt fie?’ 


270 


„Bei ihren Eltern,‘ ſagte der Burjche, „und 
ih weiß nicht, warın jie wiederfommt.” 

Lopez warf ihm einen düſtern, mißtrauifchen 
Blick zu, erwieberte aber fein Wort, drehte fid) 
ab, jchritt hinaus, jprang wieder in den Sattel 
und trabte die Straße hinab, dem Haufe feiner 
Schwiegereltern zu. — Was konnte nur feine 
Frau bewogen haben, ihre eigene Heimath zu 
verlajjen? Aber das Alles mußte er ja bald er— 
fahren, und jchärfer ließ er fein Pferd aus 
traben, um die Stätte rajch zu erreichen. 

Bier oder fünf Straßen modten die Beiden 
etwa pajjirt fein, ohne ein Wort mit einander 
gewechjelt zu Haben, als jie wieder an einem 
größeren und ſehr eleganten Haufe anhielten, 
und wieder ſprang Lopez aus dem Sattel und 
£lopfte an die Pforte — aber Niemand antwor= 
tete oder fam um zu öffnen. 

Sein Begleiter — Obrijtlieutenant Jablonsky, 
hatte wohl, als ſich Jener eben dem Haufe 
näherte, eine Frauengeſtalt bemerft, die auf ben 
einen Balcon trat. Sie warf aber nur einen 
flüchtigen Blif hinab und verſchwand dann 
wieder, und Jablonsky glaubte natürlid, dat 
ſie nun einen Diener zum Deffnen jenden würde 
— aber es fam Niemand. Xopez Flopfte jebt 


Din 230 — 


tl 


jtärfer und anhaltend, und ließ zuleßt den 
Hammer jo raſch und tönend auf das Eijen 
niederfallen, daß das ganze Haus davon erbebte 
und die Nachbarinnen ſchon auf die‘ Balcone 
hinaustraten. Endlidy wurden unten Schritte 
gehört, die Thür dffnete fih und ein junges 
Mädchen jtand im Gang. 

„Die Señora im Haus?‘ rief Lopez, der fie 
recht gut Fannte, — „wie geht es Dir, Ma: 
nuelita 2” 

„Meine Schweiter fommt gleich,’ erwiederte 
die Señorita, ohne aber nur den Gruß mit 
irgend einem Wort oder Blid zu erwiedern. — 
Lopez wollte aud an ihr vorüber und durch den 
unteren Gang der Treppe zueilen, als er jeine 
junge rau erblicte, die mit dem Kind auf dem 
Arm ihm entgegenfam, feiner Umarmung aber 
auswich und ihm nur den erjchredten Knaben 
entgegenbielt. 

„Da, rief fie, und ihr Antlik war dabei 
todtenbleich, aber ihre Augen blisten und ihre 
ganze Geitalt zitterte — „da haft Du Dein Kind, 
Verräther — Verräther an Deinem Kaifer 
und Wophlthäter, an dem Pathen Deines eige- 
nen Knaben!’ 

„Querida!“ rief Lopez entjeßt, indem er vor 


212 - 


dem jprühenden Bli des jungen Weibes ſcheu 
einen Schritt zurüdtrat — „was ift Dir?’ 

„Was mir iſt?“ rief aber die Frau, ben 
Knaben auf den Boden fegend, indem fie ſich zu 
ihrer vollen Höhe aufrichtete, „und das fragft 
Du auch noh? — Traidor! — weißt Du, wie 
Dih das Wort, einem Judas gleich, durch bie 
Welt treiben wird? Da, nimm Deinen Knaben 
— Du haft ihm die Schmach, den Fluch Deines 
Namens gelafjen, und er wird ein Verräther 
werden, wie Du ſelbſt — aber dann weidhe von 
dieſer Schwelle, denn verflucht ift jelbjt der Boden, 
auf dem Du ſtehſt!“ 

„Mm ber heiligen Jungfrau willen!’ rief 
Yopez, die Arme nad) ihr ausjtredend; aber das 
junge Weib flog den Gang zurüd, und das 
Kind, das fi) aufgerafft hatte und jo klein war, 
daß es faum laufen Fonnte, juchte jchreiend ihr 
zu folgen. 

Lopez Stand, das Geficht in den Händen ber= 
gend, vernichtet und gebrochen, dann raffte er 
fih empor — er zögerte — jollte er ihr nad? 
— er wagte es nicht — den ſchreienden Knaben 
aufgreifend und an fich prejiend, Fühte er das 
Kind, aber fehte es wieder auf den Boden, 
dann aus dem Haus wanfend, ergriff er bie 


er 
= * 

9 ER 

* 7 


273 


Zügel feines Pferdes und ſchwang ji in ben 
Sattel. 

„Caracho, Lopez!‘ rief ihm fein Begleiter 
zu, — ‚was iſt Eu? Ihr ſeht ja käſeweiß aus, 
— Etwas vorgefallen im Haus?’ 

Lopez antwortete ihm nicht, fein Thier fühlte 
die Sporen, und im Galop jprengte er die 
Straße hinab — wohin? — er wußte es jelber 
faum, und das Thier flog mit ihm den Weg ent— 
lang — Jablonsky war aber jhon an feiner 
Seite. 

„Compañero!“ jagteer, ‚ich halte es jeßt nicht 
länger aus — adıt Stunden find wir nun ge: 
ritten, ohne daß auch nur ein Biffen Brod oder 
ein Tropfen Wein über unjere Lippen gefommen 
iſt — das wird langweilig, Da vorn ijt eine 
Pulqueria, und ih muß wenigjtens ein Glas 
Wein trinfen oder ih kann mic nicht mehr im 
Sattel halten” — und obne Weiteres voraus: 
Iprengend, zügelte er fein Pferd dort ein, jprang 
hinab, band e8 draußen an einen Ring und trat 
in das “innere. 

Es war die nämliche Bulqueria a los descon- 
tentos, die Jablonsky jhon von früher her gut 


genug Fannte und wußte, daß man dort ein 
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 18 


2974 


gutes Glas ſpaniſchen Wein befam. — Lopez 
folgte ihm fajt willenlos. Die Zunge Elebte ihm 
jelber am Gaumen, und er fühlte, daß er einer 
Stärfüng bedürfe. Der Raum im Innern war 
freilih mit Menſchen gefüllt, denn das drängte 
und wogte nur jo beute durd die Straßen. 
Wurde doc die Stadt nicht mehr beſchoſſen, und 
Jeden trieb es Neues von draußen und Nach— 
richten theils von Queretaro, theils von anderen 
Drten ber zu hören. Ebenjo hatte fich bier eine 
Anzahl der Liberalen Dfftciere verjammelt, um 
die Tagesneuigfeiten zu bejpredhen, und meilt 
die Tijche im benachbarten Zimmer bejegt. Einige 
ſtanden aber auch an dem Schenkſtand jelber, 
um ſich ihre Gläjer füllen zu lafjen, und ber 
Wirth hatte faum Hände genug, um ihnen Allen 
zu willfahren. 

Zwiſchen bdiefe hinein trat Yablonsfy, und 
Niemand achtete auf ihn. Wer auch Fannte den 
Burſchen. Jeder hatte jelber genug mit fich zu 
thbun, und eben jo wenig würde man jeinen 
Kameraden, der ihm dicht folgte, bemerft haben, 
wäre nicht Einzelnen dejjen jo merkwürdig blei— 
ches Geſicht aufgefallen. 

„Caracho!‘ flüfterte einer der Officiere dem 
andern zu — „Sieh ’mal den Gaballero an; ich 





glaube, der bat nicht einen Tropfen Blut mehr 
in den Baden.‘ 

Der Angeredete hielt gerade ein großes Glag 
Wein in der Hand, daß er ſich jelber am Schenk— 
tiſch geholt hatte, und war eben im Begriff da= 
von zu trinken. Ueber das Glas hin jah er 
nach dem Bezeichneten hinüber, als er e8 raid 
und fajt wie erjchredt wieder abjegte und laut 
ausrief: . 

„xopez! Purisima !‘ 

„Lopez? — wer? welcher?“ rief eg im be- 
nachbarten Zimmer — „Miguel? 

Lopez hatte den Blick dem, der feinen Namen 
nannte, zugewandt und einen Freund erfannt, 
mit dem er früher viel verkehrt — aber es lag 
ihm jegt Nichts daran, alte Befanntjchaften wie: 
der anzufnüpfen — er wäre audh am liebiten 
gleich wieder umgekehrt, aber das hätte Aufjehen 
erregt. -— Was fümmerten ihn die DOfficiere — 
nur ein Glas Wein wollte er trinken, und dem 
Andern nur leicht zunidend, trat er zum Schenf- 
tiſch. 

Lopez — der Name hatte aber wie Feuer ge— 
zündet, denn es wurde gerade in der Zeit faſt 
von Nichts weiter in Mexico geſprochen, als 


von der Einnahme von Queretaro, bei der ge— 
15° 


276 


rabe diejer Lopez den Kaiſer verrathen und ihn 
und die Feſtung für 3000 Unzen an Escobebo 
verfauft hatte. — „Miguel Lopez?” rief es von 
allen Seiten. — Die Officiere wollten den Mann 
jelber jehen und drängten herbei. Der Erite 
aber, ein Hauptmann Ejtella, der ſich von jeinem 
Erjtaunen erholt hatte, rief, indem er einen Schritt 
auf Lopez zutrat: 

‚And Du Schurfe wagſt es, unter ehrliche 
Leute, unter Soldaten zu kommen und mit 
ihnen an einen Tiſch zu treten und von einem 
Wein trinfen zu wollen? Caracho!’ Und mit 
dem zwilchen den Zähnen hervorgeziichten Fluch, 
goß er in aller Wuth dem Buben den Wein, 
den er noch in der Hand hielt, in’s Geficht hinein. 

Lopez griff, faft außer fih, nach der Seite, 
wo er jedenfalls jeinen Revolver trug, aber jekt 
brady der Sturm von allen Seiten gegen ihn los. 

„Hinaus mit dem Schuft — hinaus mit ber 
Canaille!“ rief es, jelbjt der Wirth griff in Ent- 
vüftung nad einer vollen Flaſche, die er ver— 
fehrt in der Hand hielt — ‚auf die Straße mit 
dem Verräther, oder beſſer nod, an den Galgen 
mit ihm!’ Und wer etwas Flüffiges in der Hand 
hielt, goß es über ihn, ja Gläfer wurden nach 
ihm gefchleudert; ein großes Pulqueglas barft 


27 


ihm am Kopf, und nur durch den Hut wurde 
die Wucht deſſelben gebrochen. 

Lopez warf ſcheu den Blick umher, aber er 
ſah auch im Nu, daß er hier Alle gegen ſich 
hatte. Selbſt ſein Helfershelfer Jablonsky drückte 
ſich vorſichtig von ihm fort, um nicht in den 
Verdacht zu kommen, daß er zu ihm gehöre, und 
dann gleiche Mißhandlung zu erfahren, und der 
Verräther, feige wie er ſich immer gezeigt, floh 
aus der Thür, warf ſein Pferd los und ſich in 
den Sattel, und jagte, wie von Furien gepeitſcht, 
die Straße hinab. — Wohin er floh? Niemand 
hat es erfahren — unter anderem Namen mag er 
wohl das Land verlaſſen haben, aber ſelbſt Mexico, 
das Land des Verraths und Treubruchs, mochte 
dieſen nichtswürdigen Verräther nicht auf 
ſeinem Boden dulden. 

Auch Marquez war verſchwunden, hielt ſich 
aber noch, wie man beſtimmt wußte, in der 
Stadt verſteckt, und Porfeirio Diaz hatte 
10,000 Peſos auf feinen Fang geießt, jo daß 
bie Polizei einen außerordentlihen Eifer ent— 
wicdelte, um ihn aufzujpüren. 

Ebenjo fahndete man auf den Präfecten O'Ho— 
ran, der in Tlalpam die zwölf Liberalen hatte 
hängen lajjen. . 


278 


Draußen am Nordende Mericos, in einer 
vollfommen abgelegenen Gegend, wo nur bie 
ärmſten Bewohner der Stadt in Shmuß und Dürf— 
tigfeit lebten und in den legten Tagen der Be: 
logerung, wo die Kugeln immer dichter flogen, 
auch faſt alle ihre elenden Baraden verlajlen 
hatten, jchien noch die eine von diejen Hütten 
bewohnt. Eine alte rau wenigitens ſtand vor 
der Thür draußen und mußte wohl Jemanden 
erwarten, denn fie jah fortwährend die Straße 
hinunter und ging nur mandhmal in ihre elende 
Kammer zurüd. Dort hatte fie eine Kranke im 
Bett liegen, mit der fie, aber auch nur leiſe 
flüfternd, einige Worte wechlelte. 

Wieder war fie herausgefommen und erjchraf 
fihtlih, denn dicht vor der Thür bemerkte ſie 
zwei Fremde. — Sie wollte ji wenden und in 
bas Haus zurüdgehen, aber der Eine, der mit 
bem Andern ein paar Worte geflüftert hatte, 
eilte ihr raſch nad) und fagte: 

„Ob, Señora — erlauben Sie mir eine Frage 
— wohnen Sie bier ganz allein ?‘ 

„Ja,“ brummte die rau — „weshalb ?‘ 

„Oh — ih — fude einen guten Freund, 
dem ich gern Etwas fagen wollte.‘ 

„Ja, dann müflen Sie ihn wo anders ſuchen,“ 





fnurrte die Alte, deren Gejiht in taujend Flei- 
nen alten lag, während die zufammengefniffe: 
nen grauen Augen daraus vorbligten — und 
damit eilte jie über den Hof jchräg hinüber, und 
würde im nächſten Moment auch die Thür er: 
reicht und jedenfalls hinter fich zugeworfen und 
verriegelt haben. Der Kremde jchien aber nicht 
geſonnen, ſich jo abfertigen zu lafjen. Mit ein 
paar Säben war er an ihrer Seite. 

„Seid Ahr ein Räuber?’ jchrie das Weib 
entjeßt, indem jie ihn zurüctzufchieben ſuchte. — 
„Und glaubt hr, daß es bei einer armen alten 
Frau Etwas zu ftehlen gäbe? Fort mit Euch, 
oder bei —“ 

„Pſt,“ warnte aber der Fremde, der auch gar 
nicht wie ein Mericaner ausſah. „Ich weiß, 
wen Ihr bei Euch Habt, und muß ihn jprechen. 
Seid Ahr vernünftig, jo jol Euch Fein Leid ge= 
ſchehen — und ihm aud nicht. Nehmt Ihr aber 
feinen guten Rath an, dann rufe ich den näch— 
ſten Soldaten, der vorbeigeht, und was dann 
geſchieht, wißt Ihr.“ 

„Wer ſeid Ihr?“ rief das Weib, an allen 
Gliedern zitternd, „und was wollt Ihr?“ 

„Ich bin ein Amerikaner,“ ſagte der Fremde, 
„und muß den General ſprechen — weiter Nichts.“ 


280 


„Welchen General — ih weiß von feinem 
General,” rief aber die Alte, während fich der 
Fremde jedoch ohne Weiteres in die Thür drängte, 
„da jeht jelber — ijt das etwa einer?” Und jie 
deutete dabei auf dag in der Ede befindliche Bett, 
auf dem, mit dem Rüden nad) dem Zimmer zu, 
eine Gejtalt, mit einer Serape zugedeckt, lag, 
die aber eine Frauenmütze über die Ohren gezo— 
gen hatte. | | 

Der Fremde beobachtete die angebliche Kranke 
etwa eine halbe Minute und ließ dann ben Blick 
im Zimmer umberjchweifen. Der Raum jah 
öde genug aus, fahle Wände, ein paar wacdlige 
Seflel, ein alter Tiſch — außerdem war es bei 
dem gejchlofjenen Laden faſt ganz dunkel. Der 
Fremde ftieß aber ohne Weiteres den Laden auf 
— unter dem Bett jah er ein zuſammengeſchnür— 
tes Bündel, und ein anderes, wie es bie India— 
ner gewöhnlich zu Markte tragen, lag noch mit= 
ten in ber Stube, 

„Wer ijt die Frau?“ 

„Meine kranke Tochter,’ ſagte die Alte finiter. 
„Habt Ihr Euch nun überzeugt? — und nun 
geht, daß Ihr fie mir nicht ftört; fie hat in al’ 
dem Lärm und Trubel in der Stadt überdies 
in den le&ten Tagen Feine Stunde Ruhe gehabt.‘ 


281 


Der Fremde war nicht jo leicht abgewiejen 
— er betrachtete fich die Gejtalt etwas genauer 
— die breiten Schultern gehörten Feiner Frau 
an, er jchien auch feiner Sache zu gewiß, und 
jih einen Stuhl nehmend, rücdte er ihn ruhig an 
das Bett, Jette fih darauf, nahm dann einen 
Revolver aus der Taſche und ſagte mit der größ: 
ten Freundlichkeit: 

„General Marquez, dürfte ih Sie vielleicht 
erſuchen, fich einmal einen Augenbli umzudre= 
ben — bitte, geben Sie jih feine Mühe,‘ fette 
er hinzu, als er bemerkte, daß die Kranfe eine 
fait Erampfhafte Bewegung unter ber Dede 
machte — „mein Revolver bier ijt im guter 
Drdnung, und außerdem hält noch ein Freund 
von mir draußen an der Thür Wache. Sie müfjen 
mir Rede jtehen, aber fürdten Sie auch Nichts 
für Ihre Sicherheit. Wenn Sie meinen Wunſch 
erfüllen, joll Ahnen nicht das Geringſte gejche: 
hen, und ich denke gar nicht daran Gie zu ver: 
rathen.“ | | 

Die Geftalt rührte ih nicht — jie lag jebt 
til und regungslos, und die Alte ſagte zitternd: 

„Aber um der heiligen Sungfrau willen, 
Senior, was reden Sie nur — es ijt meine franfe 
Tochter und ftodtaub nod dazu. Sie fönnten 


282 


eine Stunde auf fie einfchwaßen und fie würde 
feine Sylbe davon hören.‘ 

„So,“ fagte der Fremde, indem er von ſei— 
nem Stuhl aufſtand — „das iſt dann etwas 
Anderes — So werde ich mir nur erlauben, als 
Wache bier zu bleiben, und meinen Freund in 
deſſen nad einer Patrouille ſchicken. Behüten 
Sie nur fo lange die franfe Tochter, Señora“ 
— und mit langjamen Schritten ging er nach 
der Thür. 

Da plöglich richtete fich die Gejtalt im Bette 
empor, und der fremde, ſich vajch wendend, hielt 
den Revolver gegen fie gerichtet, aber er hatte 
Nichts für fich zu fürdten. Er ftarrte in das 
leihenblaffe und durd eine alte Schußwunde 
arg entitelfte Geftcht des gefürchteten Generals, 
das mit der Frauenmütze auch einen halb komi— 
ſchen, halb graujigen Anblid bot. 

„Bas wollen Sie — wer find Sie?” rief 
er dabei, und der Fremde jah recht gut, daß auch 
er in der rechten Hand eine Waffe trug, aber 
er bob fie nicht, ſondern hielt jie nur frampf= 
haft umjpannt und blickte den Eindringling mit 
feinen böfen, ftechenden Augen, in denen ein 
ganzes Meer von Haß und doc auc zugleich 
von Furdt lag, an. 





233° 


„Oh, Santisima,“ rief da die Frau, auf ihre 
Kniee niederfallenn, „ich babe ihn auf meinen 
Armen berumgetragen, ich Fonnte ihn ja nicht 
verrathen! Erbarmen — Erbarmen !’ 

„Señora,“ jagte der Fremde mit voller Ruhe, 
„ſchreien Sie nicht jo — ich habe Ahnen fchon 
vorher gejagt, daß ich ihn nicht verrathen will 
— General, kennen Sie mich nicht mehr 

„Nein,“ jagte der General finfter und riß. 
dabei die Müte von feinem Kopf herab, denn 
er fühlte, daß er lächerlich darin ausjehen mußte. 

„Dann will ih mich Ihnen jelber vorjtellen, 
erwiederte der Amerikaner. „Mein Name tft 
Galway — erinnern Sie ji meiner jet? Es 
find noch faum acht Tage her — vielleicht etwas 
länger, daß Sie jo freundlich waren — mid, 
wie eine Anzahl von Kaufleuten aus der Stadt, 
einzuladen, wonah Gie uns dann zwangen, 
Ihnen bedeutende Summen Geldes auszuzahlen. 
Mich hielten Sie damals zwei Tage ohne einen 
Biſſen Efjen oder einen Trunk Wafjer einge: 
jperrt, bis mich der Hunger zwang, Ihnen zu 
willfahren, und ich war genöthigt, Ihnen hundert 
Unzen zu übergeben.‘ 

Als Marquez jchwieg, fuhr der Amerikaner 
freundlich fort: 


254 


‚sh war glüdlidy genug, gerade Zeuge zu 
jein, wie Sie diefen Schlupfwinfel juchten, und 
eine Weile habe ich mit mir gefämpft, ob ich die 
auf Ihren Yang ausgejegten zehntaufend Peſos 
verdienen jolle oder nicht. Die Sache hat aber 
einen Hafen. Mitleid für Sie hielt mich natür= 
lich nicht ab, denn Eie find vielleicht der abge- 
feimtefte und blutgierigite Schurke, den die Welt 
trägt, und haben den Tod taujendfacd verdient. 
Aber die liberale Regierung macht von der meri= 
caniihen Tugend: Alles zu verjprehen und gar 
Nichts zu halten, Feine Ausnahme. Lopez, der 
Dueretaro und den Kaiſer verrieth, bat ebenfalls 
Nichts befommen, und ich würde nur Mühe ge: 
habt und aller Wahrjcheinlichfeit nach gar nichts 
weiter al8 das Vergnügen erreicht haben, Ihrer 
Erecution beizuwohnen. Ich habe mir deshalb 
die Sache anders überlegt. — Geben Sie mir 
die hundert Unzen, die Sie mir frecher Weiſe 
abgenommen, wieder zurüd und machen Sie dann, 
daß Sie fortkommen — id werde Ihnen nicht 
babei im Wege jein. Weigern Sie fih, jo be— 
finden Sie fi eine halbe Stunde jpäter in ben 
Händen der liberalen, und was dann mit Ihnen 
geihieht, wifjen Sie — den alten General Bi: 
daurri haben fie auh vor etwa anderthalb 





Stunden binausgejchleppt und von hinten er: 
ſchoſſen.“ 

Marquez war todtenbleich geworden. „Und - 
wer bürgt mir dafür,” fagte er mit heiferer 
Stimme — „daß Sie das Geld nehmen und nicht 
doc nachher hingehen und mich verrathen ?' 

„Sie urtheilen nach jich felber, befter Gene: 
ral,“ lächelte der Amerifaner. — „Schon daß 
ih nicht mehr Geld von Ihnen erpreſſe, als 
wirflidy mein Eigenthum ift, mag Ihnen den 
Beweis liefern — außerdem gebe ich Ihnen mein 
Ehrenwort, daß weder ich, nody mein freund ba 
draußen Siein den nächſten vierundzwanzig Stun: 
den anzeigen werden. Bis dahin wünjchen wir 
Ihrer Gegenwart enthoben zu fein. Wie ilt es, 
haben Eie ſich entichlofjen ?’‘ 

„Ja,“ ſagte Marquez finfter, indem er unter 
die Bettdecke griff und einen Fleinen Ead mit 
Unzen bervorholte — „es bleibt mir nichts An: 
deres übrig.” Er langte mit der Hand hinein 
und hatte raſch hundert Stück abgezählt, die er 
dem Amerikaner reichte — ‚Sind Sie jebt zu= 
frieden ?' 

Der Amerifaner zögerte: „Die Zinſen möchte 
ih nicht gern verlieren — ich bitte Sie, nod 
eine zuzulegen.‘ 





286 


Marquez lachte. „Sie find wirklich praktiſch,“ 
jagte er — ‚und was wird jet? — Können 
Sie mir behilflich fein, von hier fortzufommen? 
Ich gebe Ihnen —“ 

„Bitte, nein,‘ unterbrady ihn. aber Galway 
— „das iſt Ihre Sache und geht über unjern 
Eontract. — Nicht einen Finger würde ich be 
wegen, um Sie vom Galgen zu retten. ch habe 
nur verjproden, Sie nicht zu verrathen, würde 
Sie aber mit Vergnügen hängen ſehen. Aljo 
adios, Setor — unfer Gejhäft ift beendet!” 
Und ohne fich weiter um den General oder die 
Frau zu fümmern, jchob er feinen Revolver 
wie das Gold in feine Taſchen und verließ das 
Haus. 





11. 
Das Ende eines braven Mannes. 


Ich möchte nicht im Thal verderben, 
Den legten Blid beengt von Zwang. 
Auf einem Berge möcht’ ich iterben, 
Bei gold’nem Sonnenuntergang. 
Marimilian. 
Maximilian und ſeine Generale wurden nach 
dem letzten verſäumten und dann natürlich ruch— 
bar gewordenen Fluchtverſuch allerdings viel 
ſtrenger bewacht als vorher, ohne daß ſich jedoch 
Escobedo ſelber Härten gegen den Kaiſer erlaubt 
hätte. Im Gegentheil trat er immer vermittelnd 
ein, wo ihn untere Officiere roh behandeln woll— 
ten. Er hatte ſogar ſchon früher die Erlaubniß 
gegeben, daß der Kaiſer ein eigenes und beque— 
mes Haus bewohnen ſolle, was aber durch die 
Proteſte eines rohen Burſchen, eines General 


288 


Gonzales, dem damals die Bewahung anvertraut 
worden, bintertrieben wurde, und einigermaßen 
hatte ſich auch Escobedo dem Willen feiner Offi— 
ciere zu fügen, wenn er nicht jede Verantwortung 
Ipäter allein tragen wollte. 

Es war übrigens augenjcheinlih, daß wenig: 
tens alle befjer gejinnten Mericaner durch das 
liebenswürdige und edle, wie ſtandhafte Beneh: 
men des Kaijers nad) und nad und mehr und 
mehr für ihn eingenommen wurden, und Mandher 
von ihnen würde vielleicht nicht ungern feine 
Flucht geiehen Haben. Das rohe Volk be= 
hielt aber troßdem die Oberhand, und Lerbo be 
Tejada hatte ja einmal feinen Tod bejchlofien. 
Es jollte ein Erempel Europa gegenüber jtatuirt 
werden, daß Fein fremder Fürſt es je wieder 
wage, die Hand nad) der mericanifchen Kaijer: 
krone auszuſtrecken. 

Das Kriegsgericht über den von allen Sei— 
ten faſt verrathenen Monarchen war in vollem 
Gang, und damit auch ſein Tod beſchloſſen, denn 
das nichtsnutzigſte Geſindel ſaß über ihn zu Ge— 
richt und eine Appellation von dieſem gab es 
nicht mehr. Der Kaiſer hatte auch ſchon mit 
dem Leben abgeſchloſſen. „Das Einzige, um 
was ich ſie bitten werde,“ ſagte er zu ſeinem 





284 


Arzte, dem Doctor Baſch — „iſt, daß jie mein 
Leben allein nehmen — mein Blut das Einzige 
jein laffen, was vergofien wird — fie fünnen 
lich damit genügen laſſen.“ 

Indeſſen bejuchte ihn in diefen Tagen bie 
Prinzeſſin Salm nod verjchiedene Male und 
verkehrte außerdem häufig in der Stadt mit ver: 
Ihiedenen feindlichen Obrijten, bejonders mit 
Obriſt Villanueva, der engliſch ſprach und den 
ſie ja auch ſchon früher für jich gewonnen. Sie 
hatte e8 jich in den Kopf gejeßt, den Kaiſer un: 
ter jeder Bedingung zu retten, und mit einer 
fabelhaften Ausdauer verfolgte jie diejen Plan — 
freilich nur mit der fchon früher ausgeſprochenen 
Idee, daß man fih nicht mit geringeren Perſo— 
nen dabei einlafien dürfe, jondern ſich an höhere 
Dfficiere wenden müſſe, wobei Gold dann ber 
Hebel fein jollte, der fie gefügig machte. 

Sp viel Geld hatte aber der Kaijer natürlich 
nicht baar bei fich, und konnte es auch jetzt nicht, 
wo ih das Ganze um Tage handelte, jo raſch 
berbeifchaffen — Baron Lago — der wahre 
Strohmann eines Gefandten, war ebenfalls nicht 
im Stande, bier zu helfen, und der Kaifer jtellte 
endlich zwei Wechſel, jeden von 100,000 Peſos 
aus, die auf das Faiferlihe Haus und feine Tas 
Fr. Gerjtäder, In Merico. IV. 19 


290 


milie lauteten und von Baron Lago, als öfter: 
reihiijhem Gejandten, ebenfalls unterschrieben 
wurden. 

Der legtgenannte Herr ſcheint aber über feine 
Unterjchrift jehr in Angjt geweſen zu fein, denn 
als ihm Doctor Baſch die Wechſel noch einmal 
brachte, um aud die Unterjchrift der übrigen 
Gejandten zu befommen, lief er in heller Ber: 
zweiflung in jeinem Jimmer auf und ab. — „Sie 
werben ung Alle hängen,’ rief er dabei, „lie 
werden uns Alle hängen, ohne dem Kaiſer Etwas 
nüßgen zu können,” und mit einer Scheere jchnitt 
er jeinen Namen wieber ab. 

Als man es jpäter dem Kaijer erzählte und 
ihm die Worte wiederholte, lachte diefer verächt— 
li und jagte: „Und weldy ein Unglück wäre 
bas gewejen? Die Welt hätte dadurch wahrlid; 
feinen Verluſt erlitten.’ 

Die Prinzeſſin nun — in der fejten Ueber: 
zeugung, mit Geld Alles auszurichten, forderte 
Riva Palacio — einen der wenigen ehrenwerthen 
mericanijhen Obriiten direct auf, ihr bei der 
Flucht des Kaijers behilflich zu jein, und bot 
ihm dafür den einen Wechjel von 100,000 Dol: 
lars. Villanueva hatte ſich Schon um den näm— 
lichen Preis bereit gefunden. War es nun, da 


291 


der Verſuch ihn zu bejtehen zu jchroff an Pa— 
lacio herantrat, oder ihm auch zu direct geftellt 
worden war, da die Prinzejjin nur wenige 
Worte Spaniſch ſprach, aber — er lehnte es 
nicht allein nur ab, jondern brachte jogar den 
Sluchtverfuh zur Anzeige bei Escobedo, und 
das Schnitt dem Kaiſer dann die legte Hoff: 
nung ab. 

Prinzeſſin Salm befam augenblicklich Befehl, 
Queretaro zu verlajjen, und das Schiefal Mari: 
milian’s war entjchieden. 

Die Comödie im Theater Iturbide in Quere- 
taro, wo das Sriegsgericht auf der Bühne ſaß, 
fpielte fih ab. Der Kaifer und die Generale 
Miramon und Mejia wurden zum Xode verur: 
theilt, das Urtheil mußte Escobedo bejtätigen, 
und am 16. jollte die Ercution jtattfinden. 

Indeſſen hatte das Gerücht von dem Tode 
der Kaijerin mehr Verbreitung gefunden, jeine 
wenigen Getreuen fürdhteten, daß es dem Kaijer 
von anderer Seite einmal plötzlich und uner— 
wartet zu Ohren kommen könnte, und beichlofjen 
endlih, es ihm mitzutheilen. Er nahm es — 
jelber ſchon auf feinen Tod gefaßt, ruhiger Hin, 
als man erwarten Fonnte. 


„Sin Band weniger, das mid) an dieje Erde 
19* 


292 


feſſelt,“ jagte er leife, als es ihm Mejia mit- 
getheilt hatte, und blieb dann ftill und in ſich 
gekehrt. 

Am Morgen des 16., während der Kaijer 
beihäftigt war Abſchiedsbriefe zu jchreiben, kam 
gegen eilf Uhr Vormittags Obrijt Miguel Palacio, 
mit ihm General Refugio Gonzales — ihnen 
folgte eine Truppe Soldaten, die ſich ſchweigend 
auf dem Vorplag aufitellten. 

Bei offener Thür las der neue Fiscal Gon= 
zales dem Kaiſer jebt das Urtheil vor, ber es 
mit ruhig lächelnder Miene anhörte; wie aber 
nur der Fiscal geendet, fagte er zu Doctor Baſch, 
auf die Uhr zeigend: „Auf drei Uhr ijt die 
Stunde angejegt — Sie haben nody mehr als 
drei Stunden Zeit und können ruhig Alles 
vollenden.” 

Der Fiscal wendete jich zum Gehen, als Ma— 
rimilian plötzlich frug: 

„zu wem gehen Sie jetzt?" 

„gu General Mejia.“ 

„Dürfte ih Sie bitten, einen Augenblid zu 
warten — General Mejia bat Beſuch — nur 
einen Augenblick,“ — und er jchritt jelber hin— 
über zu feinem treuen Indianer. Bor kaum 
einer halben Stunde ıhatte er nämlich gejehen, 


293 


bag Mejia’s Frau ihn befuchte, und felbit in 
dieſem Augenblicke dachte er daran, wie furcht— 
bar es für die Gattin fein müſſe, dem Vorleſen 
bes Urtheils zuzuhören. Er trat hinüber in 
Mejia’s Zelle, und den Arm der rau in den 
jeinen ziehend, jagte er: 

„Kommen Sie, Seiora — Sie müjjen jeßt 
Ihren Gatten für furze Zeit allein laſſen — 
fehren Sie nachher zurück“ — und damit führte 
er jie dem Ausgang zu. 

Miramon, der wohl ahnte, was das Alles 
bedeute, war Zeuge diejer Fleinen Zwiſchenſecene 
gewejen — er trat, als der Kaijer zurückkehrte, 
auf ihn zu und fagte: 

„Majeſtät — das ijt gar nicht Mejia’s 
Frau.“ 

„Und was thut das?“ ſagte der Kaiſer weich 
— „es iſt eine Frau,“ — und damit ſchritt er 
in ſeine eigene Zelle zurück. 

Gegen Mittag kam der Beichtvater Pater 
Soria. — „Ich beichte nicht Jedem, der Geiſt— 
licher iſt,“ ſagte der Kaiſer zu Doctor Baſch, „und 
habe den Padre rufen laſſen, um zu erfahren, 
ob wir uns über gewiſſe Vorfragen einigen 
können.“ 

Um drei Uhr war der zum Tode verurtheilte 





294 


Monarch völlig bereit zum Sterben,*) als der 
Dbrijt ein Telegramm brachte, das die Erecution 
drei Tage hinausjchob. 

„Das ift hart,’ fagte der Kaifer, „denn id 
hatte ſchon ganz mit der Welt abgeſchloſſen,“ — 
und es war hart, denn e8 verlängerte nur bie 
Todesqualen der doh dem Tode Verfallenen. 
— Und die Tage vergingen, ſchwache Hoffnung 
lebte nod in den Herzen der treuen Meniden, 
die ihn umftanden — aber vergebens. Der dritte 
Tag fam — Baron Magnus, der preußiſche Ge: 
jandte, der fih mit jeder Aufopferung ange: 
jtrengt hatte, den Kaijer zu retten, während ber 
öfterreichijche Geſandte gar nichts that, hatte 
umjonjt diefen Auffchub von Juarez verlangt. 

Um halb jieben Uhr Morgens Fam der Obrift 
Palacio mit der Wachtmannſchaft, um den Kailer 
abzuholen, der ernst, aber vollfommen gefaßt von 
ven Seinen Abſchied nahın. 

Die Verurtheilten wurden, während die ganze 
Beſatzung von Queretaro aufmarſchirt ftand, auf 
Wagen zu dem Gerro de las Campanas — dem: 
jelben, wo er ſich feinen Feinden ergeben hatte, 
hinausgeführt. 


*) Die Einzelheiten dieſer Stunden bat Doctor Bald 
einfach und ergreifend in feinen „Erinnerungen“ geſchildeil. 


295 


Als er aus dem dumpfigen Kloſter auf die 
freie Straße trat, ſah fich der Kaifer ringsum, 
athmete mit voller Bruft die friſche Morgenluft 
ein und jagte: „Welch ein herrlicher Tag! — 
einen jolden habe ih mir immer zum Sterben 
gewünſcht.“ 

Und wie öde lag die Stadt — die Straßen 


waren menſchenleer — die Läden geſchloſſen 
— keine Neugierigen auf den Balconen, noch 
auf den Dächern der Häuſer — allgemeine 


Trauer herrſchte in Queretaro, denn man hatte 
dort den unglücklichen Kaiſer von Herzen lieb 
gewonnen und beklagte tief ſein gewaltſames 
Ende. 

Auf dem Hügel de las Campanas, ber bie 
freundliche Stadt mit ihren zahlreichen Thürmen 
und Kuppeln voll überfchaute, und fajt unmittels 
bar neben der Stelle, wohin ſich die Berrathenen 
damals zurücdgezogen, jchritt der Kaifer in das 
nach dem Gerro hin offene Quarıe, umarmte 
noch einmal feine beiden Xodesgefährten und 
ftellte fih dann feit und ruhig den Soldaten 
gegenüber, An ihm vorbei gingen Miramon 
und Mejia. Miramon blieb wenige Schritte 
von dem Kaiſer ftehen, und Mejia, anftatt an 


296 


jeiner andern Seite zu bleiben, ging noch über 
Miramon hinaus. *) 

Noh einmal trat der Kaijer vor und gab 
jedem der Soldaten, die bejtimmt waren auf 
ihn zu ſchießen, die Hand und eins ber neu ge= 
prägten Zwanzig-Dollar:Goldjtüde mit jeinem 
Bild darauf. „Schießt gut — ſchießt gerade hier: 
her !’’ jagte er, auf fein Herz deutend, und ging 
dann zu jeinem Platz zurüd. 

Dann ſprach er mit Earer Stimme die Worte: 
„Mericaner — möge dieſes Blut das legte jein, 
das für das Wohl des Baterlandes vergofjen 
wird!“ 

Miramon wies in wenigen Worten den Vor— 
wurf des Verrathes zurück — Mejia rief nur: 
„Viva Mejico — viva el Emperador!“ 

Die Büchſen knallten — die drei Opfer 
ſtürzten gut getroffen zu Boden; „Jombre!“ 
flüſterte der Kaiſer, als er zuſammenbrach, dann 
war Alles vorbei. — 

Und warum länger bei dem furchtbaren Bild 
verweilen. Ein edles Herz hatte da ausgeſchla— 


*) Es wird gewöhnlich erzählt, der Kaifer babe Mira- 
mon ben Ehrenplat in der Mitte zugewiefen, aber das - ift 
unrichtig. Wie fie fich aufftellten, obne wohl in biefem 
Augenblid an den Rang zu benfen, blieben fie fieben. 





297 


gen. Marimilian, der Erzherzog von Dejterreich, 
war nad Merico in dem fejten Glauben ge= 
fommen, von dem Volk wirklich berufen zu fein, 
und mit dem Willen, nur dem Land Heil und 
Segen zu bringen — und was fand er? Der: 
rath und Treubruh, wohin er den Fuß ſetzte, 
eine jchwanfende Maſſe, die ihn heut’ vielleicht 
mit lautem Jubel als Kaifer begrüßte, um mor: 
gen jchon, jtatt der Blumen und Kränze, Steine 
auf ihn zu Schleudern — ein verfommenes, durch 
endloje Revolutionen demoralijirtes und geſunke— 
nes und dod in blindem Eigendünfel befangenes 
Volk, das durch Phrafen einen Moment für 
jede Sache Hingerijjen werben Fonnte, und 
augenbliklih nüchtern wurde, jobald man bas 
geringjte Opfer von ihm jelbjt verlangte. 
Dabinein trat, an der Hand Napvleon’s, 
Marimilian, ein Prinz, ein Seemann, ein Poet 
und außerdem ein braver, ehrliher Mann, der 
jich an jein Wort gebunden hielt, und nie glaubte 
er genug gethan und feine Pflicht erfüllt zu 
haben. Sp treu und rein fein eigenes Herz 
war, jo fonnte und wollte er auch nit an die 
Schlehtigfeit anderer Menſchen glauben, und 
jelbjt zuweilen gewarnt, flammerte er ſich noch 
immer an die Möglichfeit an, daß es feine Um— 


238 


gebung dod gut und ehrlich mit ihm meine, bis 
fie faſt Ale — Ale — mit nur ſehr wenig 
Ausnahmen auf jein jinfendes Haupt den Fuß 
jegten, um darüber bin die eigene Sicherheit 
zu Juchen. 

Bon Allen wurde er verratben — am jhmäh- 
lichjten von Louis Napoleon jelber und, jeinem 
würdigen Marihall Bazaine, von Marquez, von 
Lopez, den er mit Wohlthaten überbäuft, von 
jeinen eigenen Minijtern und Räthen, ja von 
jeiner eigenen Dienerjchaft, die nur ihre Koffer 
füllte und dann zurück nah Haufe floh, um 
ihren Herrn und Wohlthäter zu verunglimpfen. 

Die, für die er das Wenigjte im Stande war 
zu thun, hielten am treuejten bei ihm aus, und 
zu ſpät jah er ein, daß er weit bejjer deren 
Rath gefolgt wäre, als auf die zu hören, die 
ih ihm aufdrängten und ſich feine Freunde 
nannten. 

Zu Spät! wie oft ſchon ijt das verhängniß— 
volle Wort einem Fürſten verderblidy geworden 
— zu jpät! — wie oft wird es ihnen nod) zum 
Verderben werden. 

Und doch kann die Gejchichte nie einen, Bor: 
wurf auf das Haupt des mexicaniſchen Katjers 
Marimilian häufen. Er fiel — ja — aber wie 


2399 


ein Mann, wie ein Held, wie ein Fürft. Seine 
Feinde opferten ihn — aber er hinterließ feinen 
Feind, und jelbjt die rohen Mericaner ftanden 
erſchüttert an feiner Leiche. 

„Era una alma grande!’ (es war eine große 
Seele) jagte der Obriſt Palacio, als er von der 
Hinrichtung zurückehrte, und mehr Thränen find 
ihm in Merico, auf fremder Erde, nachgeweint 
worden, wie vielleicht irgend einem andern Für— 
ten der Welt, denn erjt nach feinem Tode ſahen 
die Mericaner ein, was er ihnen gewejen — 
was jie an ihm verloren. 

Die Bewohner von Queretaro waren außer 
ih. Sie hatten die lange und ſchwere Bela 
gerung ertragen, fie waren gezwungen gewejen 
für das Heer zu forgen, und dabei Hunger und 
Elend mit ihm zu theilen, aber ein förmlicher 
Enthuſiasmus herrſchte in der Stadt für den ge— 
mordeten Kaijer. 

Die Frauen ftrömten hinaus auf die Richt: 
ftätte, netten Tücher mit dem vergofjenen koſt— 
baren Blut, fammelten Steine und Erde von der 
‚Stelle, auf derer gefallen, und deckten den Platz 
mit Blumen. 

Ein Eleiner Erdhügel wurde dort aufgewors 
fen und ein robes, ſchwarz angemaltes Holzfreuz 


300 


barauf errichtet — aber ſchon in den erjten 
Tagen war dus Kreuz in Splitter gejchnitt und 
entführt, als theures Angedenfen. 

Man errichtete ein anderes und wieder ein 
anderes — das Volk wurde nicht müde. Die 
Damen gingen in Trauer — das Volk umjam— 
merte die Stätte, bis endlich die Behörden der 
Liberalen, denen e8 unter dieſen Ovationen für 
den Gerichteten unheimlich zu werden anfing, 
und der Gouverneur von Queretaro den Befehl 
gab, den ganzen Platz der Erde gleich zu maden. 

Die Adobie-Mauern, vor denen die Opfer 
geitanden, wurden abgerijjen, die Fleinen Erb: 
hügel zeritört, die dort wachjenden Cactuspflanzen 
abgeichlagen, und ſelbſt das genügte noch nicht, 
denn aus der Stadt jelber lieg man Schutt hinauf= 
fahren und die ganze Stätte dicht damit bededen, 
jo daß die Stelle verihwand und Niemand mehr 
wußte, wo er die Blumen hinlegen jollte, die 
faſt allnächtlich noch den Opferplatz ſchmückten. — 

In den Straßen jtanden die Frauen und 
jammerten und wehflagten, als der Zug ber 
Soldaten von der Richtſtätte zurüdkehrte. 

Ein junges Weib lehnte an der Ede, den 
Kopf mit dem Rebozo verhüllt, und jammerte 
laut — es war Mercedes. Ein Halb: Indianer, 


ee 
— — — 


ein Soldat und roher Burſche, trat zornig auf 
ſie zu. 

„Um wen weinſt Du, Dirne?“ 

„Um meinen Kaiſer!“ rief die Jammernde, 
ſich jͤh und zornig emporrichtend — „biſt Du 
Einer ſeiner Mörder?“ 

„Warte muchacha, das ſollſt Du mir büßen!“ 
rief der Bube und riß den Revolver aus dem 
Gürtel. Blitzſchnell aber zuckte ein Meſſer in 
des Weibes Hand, und den Arm treffend, daß 
die Waffe zu Boden fiel, floh ſie die Straße 
entlang. -- 

Juarez felber kam einige Tage jpäter auf 
feinem Weg nad) Merico durch Dueretaro — 
aber es war ihm unheimlich in dem Ort. Dieje 
Dede, die Trauer um ihn ber that ihm weh — 
Kein Jubelruf begrüßte ihn, Fein freundliches 
Wort; wo er fich jehen ließ, trafen ihn nur 
iheue, vorwurfsvolle Blicke, und ſchon mit 
Tagesgrauen am nächſten Morgen jegte er feine 
Reife nach der Hauptſtadt fort. 


12. 
Die Republikaner. 


Mujterhafte Ordnung hielt unterdeg Bor: 
feirio Diaz in der Stadt; die Eleinjte Uebertre- 
tung der gegebenen Befehle wurde aber auch auf 
das jtrengjte bejtraft, und die Soldaten wußten 
recht gut, daß der General nicht mit ji) ſpaßen 
laſſe. 

Aeußerſt achtungswerth betrug er ſich eben— 
falls gegen die fremden Truppen, während ſich 
der öſterreichiſche und belgiſche Conſul auf das 
niedrigſte benahmen, und deshalb auch Proteſte 
von allen Seiten hervorriefen. Obriſt Kodolich 
und Graf Khevenhüller hatten (getrennt von 
dem mexicaniſchen Oberbefehlshaber — jetzt Ge— 
neral' Tavera, da General Marquez nirgends 
mehr zu finden war) direct mit Porfeirio Diaz 


303 


unterhandelt, und es wurde ihnen ehrenvoller 
Abzug, nach Kriegsgebrauch, in ihre Heimath ge— 
ſtattet. 

Lerdo de Tejada proteſtirte allerdings ſpäter 
dagegen, aber Porfeirio Diaz hielt das gegebene 
Wort aufrecht, oder drohte ſelber ſeine Stelle 
niederzulegen, und Juarez wußte, welchen Ein— 
fluß gerade dieſer General im ganzen Lande 
hatte, wenn er ihn eben benützen wollte. Die 
fremden Truppen, die ſchon aus Merico aus— 
marjchirt waren, wurden allerdings, in Folge: 
davon, noch in Puebla zurüdgehalten, aber man 
erwartete wenigjtens jeden Tag die Zuficherung 
des Präfidenten, daß ihrem Weitermarſch Nichts 
mehr im Wege jtehen jollte. — 

Die Familie Roneiro hatte indejjen, nachdem 
fie ihr altes bequemes Haus verlajjen, die ganze 
Zeit über jene gemiethete und höchſt unbequeme 
Etage bewohnt, die damals offen gejtanden. 
Señora Roneiro drängte allerdings fortwährend 
in ihren Gatten, ein neues Haus zu Faufen, 
damit jie jich dort wieder behaglicher einrichten 
fonnten, aber einestheil8 waren Roneiro's Ein: 
fünfte im legten Jahr wirklich fo beſchränkt 
worden, daß er mit ben verjchiedenen Anleihen 
und Marquez’ letter Erprefiung von 6000 Peſos 


304 


nur auf das Nothwendigite angewieſen blieb, 
und anderntheil® mochte er auch jein wohl: 
erworbenes Eigentbum — und wenn es bie 
Kirche beanjprudte — noch nicht für verloren 
geben. Die Berhältnifje in Merico jtanden das 
ganze Jahr jo ungewig und jchwanfend, daß 
man gar nicht vorausjagen Fonnte, wie fid 
Alles wenden und gejtalten würde. 

Allerdings ließ der Klerus ihn verjchiedene 
Male drängen, das Grundeigentbum, um nur 
jein Gewiſſen zu befreien, einer geiftlihen Per: 
jon zuzufchreiben, und zwar dem Erzbiſchof als 
Dberhirten, da das Gejet noch nicht geregelt war, 
welches die Güter der Todten Hand dem Klerus 
zurüdgab, aber er wi immer aus — ver— 
ſprach es allerdings, und weshalb nit — ließ 
ji) aber auf nichts Bejtimmtes, und bejonders 
nichts Schriftliche ein, und wartete eben jeine 
Zeit ab, bis denn aud richtig die Liberalen 
wieder an das Ruder famen. 

Indeſſen hatte ſich aber in Roneiro’s Familie 
Alles freundlicher gejtaltet, denn Inez' größter 
Schmerz war überwunden. Sie beweinte ihren 
jungen Gatten wohl noch zuweilen, aber jie war 
doc; wieder heiterer geworden, und hatte jogar 
bie Trauerfleider ſchon abgelegt. Da traf bie 





305 


Kunde von ber Hinrihtung Marimilian’s in 
Merico ein, und wirkte befonders niederdrüdend 
auf die rauen der bejjeren Kreije, und über- 
haupt ſolche, die dem Hof näher gejtanden hatten. 
Die meilten Familien legten aud in der That 
um den geliebten Monarchen, dejjen Verluſt fie 
erſt jeßt recht jchmerzlih fühlten, tiefe Trauer 
an, und man ſah in der Zeit fajt feine Dame 
in ganz Merico, die nicht vollfommen jchwarz 
gekleidet ging. 

Und eine Trauerfunde jagte dabei die andere, 
denn jeßt erjt, mit freigegebener Communication, 
wurden die Einzelheiten jener furchtbaren Kämpfe 
befannt, die dort im Innern das Schidjal des 
ganzen Landes entichieden hatten. 

Auch Rodriguez’ Familie Hatte einen ſchweren 
Verluſt erlitten, denn der immer heitere und 
wadere Feliciano war bei der VBertheidigung von 
Queretaro und einem Ausfall, bei dem er fich 
ganz bejonders hervorgethan, durch einen Schuß 
in die Stirn getödtet worden. Und wie viele 
Familien hatten liebe Todte zu beklagen! 

Die Familie ſaß bei ihrem Mittagsmahl, 
als fih die Thür öffnete und ein General ber 
Liberalen auf der Schwelle jtand. Roneiro 


ſah allerdings raſch und erjtaunt empor, benn 
Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 20 





306 


feine Diener hatten jtrengen Befehl, Nieman- 
den unangemelbet herein zu laffen, die Eſſens— 
ftunde aber überhaupt nie zu ftören, body im 
Nu erkannte er- den Fremden, und aufiprin= 
gend rief er, indem er ihm die Hand entgegen: 
jtredte: 

„Don Porfeirio! laſſen Sie ſich auch einmal 
bei ung ſehen?“ 

„wie geht e8, Don Bautifta ?’’ Tächelte ber 
General, indem er bie gebotene Hand nahm und 
herzlich ſchüttelte „und die Damen? — mir 
find uns lange nicht begegnet und ich kann Ihnen 
nicht jagen, wie ich mich freue, Sie Alle bier 
wieder zu begrüßen.‘ 

„And viel bat fich in der Zeit verändert.‘ 

„Viel!“ nidte Porfeirio bebeutungsvoll. 

„And mit wie viel Blut!’ jeufzte die Señora. 
„Mufte denn der arme Kaiſer fterben? Er 
hat es jo treu — jo ehrlih mit dem Land ge 
meint.‘ 

„Señora,“ jagte ber General ausweichend — 
„ih verjtehe wohl nit genug von ber hohen 
PBolitif, und weiß nicht, ob es nöthig war, — 
ich bedauere aber felber feinen Tod, und mödte 
von Herzen wünjhen, daß ein anderer Ausweg 
möglich gewefen wäre. — Doch es ift einmal ge: 


un A 
——4 
2 


307 


ſchehen und nicht mehr zu ändern und — viel: 
leicht auch gut für das Land, denn wir haben 
jett nicht mehr zu fürdten, daß es noch einem 
andern fremden Fürſten gelüften jollte, die Hand 
nach unferer Oberherrihaft auszuſtrecken.“ 

„And hört denn das Blutvergießen ſelbſt jeßt 
noch nicht auf?’ klagte Inez, — „mir bebt e8 
immer durch das Herz, wenn ih einen Schuß 
höre.” 

„Kur nody Zwei find es, die wir haben 
müſſen,“ fagte General Diaz ernſt — „Ges 
neral Marquez, der nicht allein uns, ſondern 
auch jeinen Kaijer verrathen hat, und den Schurfen 
D’Horan, den bisherigen Präfecten von Merico — 
Marquez’ Helfershelfer, wo e8 galt die liberal 
Gefinnten zu plündern und zu bejtehlen, wäh— 
rend er indejjen heimlich mit unferen Truppen 
draußen verkehrte und ihnen jeden beabjichtigten 
Ausfall verrieth. — Aber feine Stunden find 
gezählt, wenn wir ihn erwilchen, und daß er fidh 
hier noch in der Stadt verjtecdt hält, weiß ich 
gewiß. Er hat mehrmals verſucht, Unterhand- 
lungen mit mir angufnüpfen. Bis jet war er 
mir freilich zu ſchlau, aber ich habe die Hoff: 
nung noch nicht aufgegeben. — Doch laſſen Sie 
uns von etwas Anderem reden, als diejen trau 

20* 


308 


rigen und troßdem nicht zu vermeidenden Dingen. 
Ich bin jo glücklich darüber, daß der entjeßliche 
Bürgerfrieg vorüber tft und e8 Feine zwei Par: 
teien mehr im Lande giebt — Feine wenigſtens, 
die jich, Bruder gegen Bruder, mit den Waffen 
in der Hand befämpfen können und dürfen.” 

„Man erzählt fi) in der Stadt, daß Sie die 
größten und geredhtejten Anſprüche auf den Stuhl 
des Präfidenten hätten,” ſagte Roneiro, „und 
wenn Sie ein Wort ſprächen —“ 

„Denn es nur von dem einen Wort abhängt,‘’ 
erwieberte Porfeirio Diaz ernit, ‚jo wird es nie 
geſprochen werden, denn Gott wolle verhüten, 
daß ich die Faum gelöſchte Tadel des Bürger: 

frieges muthwillig felber und von Neuem ent 
zünden folte. Nein, Bautifta — das Volf mag 
wählen — ich habe meine Schulbigfeit gethan, 
und möchte nicht auf eine Rifte mit den Namen 
Marquez, Bidaurri und Lopez Fommen.‘ 

„And wo ijt Lopez?” 

„Ich weiß es nicht,” ſagte Porfeirio Diaz 
mit finfter zufammengezogenen Brauen. „Er 
war bier, und hätte ich meinen Willen gehabt, 
fo mußte er hängen, ber zehnfache Berräther, 
aber — er bat einen Paß von Escobedo, und ba 
diefer außerdem nicht beſonders freundlih auf 


309 


mich zu ſprechen ift — und ich weiß eigentlich) 
nicht weshalb — jo mochte ich es ihm nicht zu 
Leide thun. Seit gejtern ijt der Verräther übri— 
gens auch verihwunden, und Niemand weiß, 
wohin er jih gewandt. Dod, was ich fragen 
wollte, compadre — weshalb find Sie denn aus 
Ihrem großen, hübſchen Haufe aus- und in die— 
fen Winfel hineingezogen? Ich hatte Mühe, Sie 
nur aufzufinden.‘ 

Roneiro jah etwas verlegen nach feiner Frau 
hinüber. „Es find das eigenthümliche Umjtände,‘ 
ſagte er, „die fih nicht jo rajch erzählen lajjen. 
— Rir — wir hatten jo viele Schwierigkeiten 
im Haus — unangenehme Störungen mit —“ 

„Der Geiftlichkeit, wie?’ Lächelte der General. 

„Run ja — die Geiftlichfeit machte uns in 
vielerlei Art ſolche Schwierigkeiten, daß ich es 
endlich jatt befam und bier herüber 309.“ 

Porfeirio Diaz warf einen Blick auf die 
Señora, denn er konnte ſich recht gut denken, 
was ihn dazu getrieben hatte; endlich ſagte er: 

„And wifjfen Sie nicht, daß wir jet wieder 
die Herren im Land find und nicht der Klerus? 
Heute ijt der Befehl vom Hauptquartier einge— 
troffen und wird morgen veröffentlicht werden, 
daß alle die alten, diefem gegenüber gegebenen 





310 


Gejege in Kraft treten. Der Klerus darf Fein 
Grundeigenthum befiten, bie Klöfter find ſämmt— 
lich aufgehoben, die Geiftlichen dürfen fich nicht 
mehr im Ornat auf der Straße bliden laffen 
— ſämmtliche Proceffionen außerhalb der Kirchen 
jind verboten — das ewige Läuten mit den Gloden, 
bas Einen zur Verzweiflung bringen fann, wird 
auf das Nothwendigfte beſchränkt —“ 

„Aber wir haben ein Zeichen des Himmels 
gehabt, Señor!“ rief die Señora, die fich nicht 
länger halten konnte, „wir durften nicht länger 
in dem Gott geweihten Haufe bleiben.’ 

„Ein Zeichen des Himmels!’ fagte der Ge: 
neral erjtaunt, „wie verſteh' ich das?“ 

„Eine Erſcheinung — der Prior des alten 
Kloſters.“ 

Der General warf fragend den Blick auf 
Roneiro und dieſer ſagte achſelzuckend: 

„Es war in der That Etwas, das ich ſelber 
nicht verſtehe — eine Erſcheinung bei vollkommen 
verſchloſſener Thür, die von drei oder vier ver— 
ſchiedenen Perſonen zu gleicher Zeit geſehen wurde. 
Ich habe dabei Alles ſelber auf das genaueſte 
unterfucht, aber auch nicht die geringjte Erklä— 
rung für das, mir jelber Unerflärliche gefunden, 
und — ben Frauen wurde es darnach fo unheim: 





311 


lich in dem alten Gebäude, daß ich des lieben 
Friedens wegen endlich dieſe Wohnung juchte, 
wo wir menigjtens Ruhe gefunden haben.‘ 

„Alſo eine Erſcheinung,“ ſagte Porfeirio 
Diaz, der mit der geſpannteſten Aufmerkſamkeit 
den Worten gelauſcht hatte — „und wie ſah ſie 
aus? — bitte, beſchreiben Sie mir einmal die— 
ſelbe, Señora — Sie glauben nicht, wie ich mich 
dafür intereſſire.“ 

„Mich ſchaudert es jetzt noch, wenn ich nur 
daran zurückdenke,“ ſagte zitternd die Frau, „es 
war ein Mönch in ſeinem langen grauen Ge— 
wand, aber mit todtenbleichen Zügen und ordent— 
lich funkelnden Augen.“ 

„Ein Mönch?“ 

„Ja — noch ſehe ich ſein weites, wallendes 
graues Gewand vor mir, und fahre manchmal in 
der Nacht mit einem Schrei empor, wenn id) 
davon träume und die fürdhterlichen Worte höre, 
die er damals geſprochen.“ 

„Und was waren die Worte, Señora?“ 

„Ich werde fie ewig im Gedächtniß tragen,” 
jtöhnte die Frau. „Die Strafe Gottes hat Euch 
erreicht, ſagte er mit hohler, geijterhafter 
Stimme, „und feine Hand liegt auf diejem 
Haufe — Glied nah Glied wird abfallen. Wehe 


312 


Euch — wehe!” und erbebend barg fie ihr Geſicht 
in den Händen. 

„Wer wohnt jest dort drüben, Bautiſta?“ 
frug jest Porfeirio, Tich zu diefem wendend — 
„Geiſtliche?“ 

„Nein — Niemand — ich habe die Schlüſſel 
noch nicht aus den Händen gegeben.“ 

„Sehr gut,“ nickte der General, „und könn— 
ten wir nicht einmal einen Spaziergang hinüber 
machen?“ 

„Gewiß könnten wir das — aber weshalb?“ 

„Das ſage ich Ihnen nachher — vielleicht 
begleiten uns die Damen?“ 

„Ich kann die Schwelle nicht wieder Aber⸗ 
ſchreiten,“ rief die Señora entſetzt. 

„Und dennoch bitte ich Sie darum,“ erwie— 
derte der General, „denn es wäre doch möglich, 
daß wir dort den Schlüſſel zu einem Geheimniß 
fänden.“ 

„Den Schlüſſel zu einem Geheimniß?“ 

„Vertrauen Sie ſich mir getroſt an — ich — 
habe einige Erfahrung in derlei Dingen, und 
Sie ſelber brauchen Nichts zu fürchten. Außer— 
dem iſt es ſehr zu wünſchen, daß Freund Bau— 
tiſta das Haus nicht ohne alle Aufſicht läßt, 
denn — doch davon ſpäter. Kommen Sie nur, 





313 


Sefiorita — ber Fleine Spaziergang wird Ihnen 
ganz aut thun, und am hellen Tag fürchten Sie 
ih doch wahrhaftig nicht, die Räume wieder zu 
betreten, in denen Sie jo mande Nadıt ruhig 
und ungeftört gejchlafen haben 2 

Er lieg auch nit nad, bis fih die Damen 
zum Ausgehen rüjteten — verlangte nur noch 
von Roneiro ein Licht, das er entzweibrach und 
in die Taſche ſteckte, und begleitete fie dann ohne 
Meiteres hinüber in das altbewohnte Haus. 
Unterwegs aber, als er dem erjten Officier be— 
gegnete, beorderte er eine kleine Patrouille zu 
dem Gebäude, , die dort unten an der Thür auf 
feine weiteren Befehle warten jollte. 

Roneiro öffnete indejjen unten, und die Señora 
hing fich zitternd an des Generals Arm, der nur 
Mühe hatte, fie zu berubigen. Sp jtiegen fie 
die Treppe hinauf und erreichten jenes Zimmer, 
in dem fie damals die furdtbare Erſcheinung 
gehabt. 

Porfeirio Diaz betrat es zuerft und warf 
den Bli überall umher. 

„Und wo erſchien der Mönch 9’ 

„port in jenem Vorhang.“ 

„Und die Thür bier war von innen ver— 


ſchloſſen?“ 


314 


„Ja, denn als ich unmittelbar darnach kam, 
mußte jie erſt geöffnet werden, ehe ich inlaß 
bekommen konnte.“ 

„Bueno — dann werden wir einmal ſe— 
hen, was das benachbarte Cabinet birgt, denn 
hier iſt er doch auch wahrſcheinlich wieder ver⸗ 
ſchwunden?“ 

„Allerdings!“ 

General Diaz frug Nichts weiter, betrat den 
benachbarten kleinen Raum und ſah ſich aufmerk— 
ſam darin um. Es war hier übrigens ziemlich 
dunkel — ein vergittertes Fenſter führte aller— 
dings auf den Corridor hinaus, ließ aber, mit 
den Gardinen davor, nur wenig Licht herein. 
Porfeirio zögerte auch nicht lange — er dachte 
an ſeine Erſcheinung in dem alten Kloſter von 
Puebla, zündete eins der Lichter an und begann 
bei dem Schein deſſelben die Wände des kleinen 
eichengetäfelten Gemachs auf das ſorgfältigſte 
zu unterſuchen. Er brauchte nicht lange Zeit 
dazu — in der einen Blume fand er einen eiſer— 
nen Schieber, der jedenfalls einen Zweck haben 
mußte, und als er etwa eine halbe Minute lang 
daran probirt und gedrückt, wie geſchoben, fühlte 
er, wie das ganze Getäfel ſich bewegte und 
zugleich eine ſchmale, etwa vier Fuß hohe Thür 


315 


aufjprang, aus der ihm eine bumpfe, Fellerartige 
Luft entgegenwehte. 

‚Caramba,‘‘ rief Senior Roneiro, „was ijt 
das ? — eine Thür hier, in dem Garderobe: und 
Ankleidezimmer meiner Tochter!“ 

„Und ein Gang darunter,‘ lachte der Gene: 
ral — „aber wir wollen bald dahinter fommen, 
wohin er führt. Sie, meine Damen, jehen hier 
aber, auf welche natürliche Weije die Erſchei— 
nung, wie Sie glaubten, bei Ihnen eingetre- 
ten und — troß der verſchloſſenen Thür wieder 
verſchwunden ijt. Auf gleiche Weile fam in dem 
Klojter, in dem ich in Puebla gefangen faß, ein 
Mönd zu mir und mußte mich jehr gegen ſei— 
nen Willen befreien, und es jollte mich gar nicht 
etwa wundern, wenn Padre Zalogä auch bei 
diejer Komödie die Hand mit im Spiel gehabt 
hätte.‘ 

„Padre Zaloga?” rief die Sefiora erjtaunt. 

‚Allerdings, und ein Schuft durch und durd), 
nicte ber General, „den Labaſtida zu allen ſchmutzi— 
gen Arbeiten gebrauchte und der nicht jelten noch 
Thmußigere auf eigene Hand unternahm — aber 
der hat wenigjtens feinen Lohn, denn es ijt der 
Nämliche, den ich neulich, als wir ihn mit ver— 
rätherifchen Briefen erwijchten, hängen ließ.‘ 


316 


„O beilige Jungfrau!’ rief die Señora ent— 
ſetzt — „einen Padre?“ 

„Wir haben keine Umſtände mit ihm gemacht,“ 
nickte der General; „aber jetzt wollen wir doch 
einmal unterſuchen, wohin dieſer Gang führt 
und mit welchem andern Hauſe er noch in Ver— 
bindung ſteht. Dies war ein Franciscanerkloſter, 
nicht wahr Bautiſta?“ 

„Es war dem heiligen Sebaſtian geweiht, 
wurde aber von Franciscanermönchen bewohnt.“ 

„Ganz richtig, bueno — veremos —“ und 
ſich über die Veranda nach dem Hof zu beugend, 
rief er zwei von ſeinen Soldaten herauf, entzün— 
dete die Lichter und ſtieg dann mit ihnen die 
allerdings ſehr enge und verſteckte, aber doch be— 
queme Treppe hinab. Unten fanden ſie noch eine 
Auszweigung, der eigentliche Hauptweg führte 
aber tiefer hinab in einen Keller oder einen tie— 
fer gelegenen und ſehr niederen gewölbten Gang, 
der etwa dreihundert Schritt in gerader Richtung 
fortlief und endlich wieder eine Treppe erreichte. 
Diejer auffolgend, kamen fie zu einer andern 
verjchlofjjenen Pforte, an der fi aber auch ein 
nod recht gut erhaltener, nur ein wenig roftig 
gewordener Drüder befand, und als es ihnen 
gelang, diejen, allerdings mit einiger Mühe, zu 


“4 


317 


öffnen, ſahen fie fih in den jetzt öden und-un= 
benüßten, weil verlafjenen Räumen des alten 
Urfulinerinnenflofter8 am andern Ende ber näch— 
iten Quadra. 

Die Unterfuhung hatte eine reihliche Stunde 
gedauert und Roneiro war ſchon ungeduldig 
geworden. Die Damen füllten jedoch ihre Zeit 
indeß jehr leicht damit aus, die alten Räume, 


“in denen fih noch mande von ihren Sachen be— 


fanden, einmal zu revidiren. Da ftellte ſich denn 
die allerdings nicht angenehme Thatjache heraus, 
daß einige ihrer Schränke gewaltjam geöffnet 
und dann wieder in's Schloß gedrüdt waren. 
Ob ihnen Saden fehlten, ließ ſich allerdings 
nicht jo raſch bejtimmen, aber eine fremde Hand, 
und zwar feinesfalls die eines Geijtes, war un: 
zweifelhaft dabei bejchäftigt gewejen, und da man 
dieje natürlich nur dort fuchen fonnte, wo bie 
damals geglaubte Erſcheinung herrührte, jo fühl— 
ten fih auch jelbjt die Damen über joldyen Ein— 
griff in ihr Privateigentbum empört. 

Endlich Fehrte Porfeirio von feiner Ent— 
deckungsreiſe zurüd und berichtete, wo fie den 
Ausgangspunkt gefunden hätten. 

„Sehen Sie, Señora,“ ſagte er, dabei tief 
aufjeufzend — „mit ſolchem Gejindel haben . 


318 


wir es bier zuthun, und nur den einzigen Troit, 
daß wir das Unglüd mit vielen anderen Staa— 
ten theilen. Dieje Klöfter find nur der Aufent: 
baltsort von faulen und leider zu oft gefähr: 
lihen Müfjiggängern. Eine Religion der Liebe 
haben fie auf den Lippen, und Haß, Unfrieden 
und nicht felten ſogar Sünde tragen fie in bie 
Welt hinein. Und glauben Sie nun, daß Gott, 
der Allwifjende und Gerechte, in ſolche Hände 
die Kraft zu jegnen und zu fluchen legen würde? 
Es iſt nicht gut denkbar, und wenn aud nidt 
in allen Stüden, darin ftimme ich gewiß mit 
Juarez überein, daß dieſe faulen Nejter von 
der Erde weggefegt werben müſſen, damit eine 
freiere, gejündere Luft über das Land wehe.“ 

„Aber wenn fie uns allen geijtlichen Troit, 
alle kirchlichen Verrichtungen verſagen —“ Flagte 
die Frau in Angſt. 

„Sie werden gezwungen werden,“ ſagte 
Porfeirio Diaz beſtimmt, „und wenn Freund Bau— 
tiſta meinem Rath folgt, ſo läßt er hier vor 
allen Dingen diefen Gang, dort wo er an der 
Grenze ſeines Hauſes abſchneidet, zumauern, und 
bis das geſchehen iſt, den Eingang hier oben 
verbarrikadiren oder vernageln, und zieht dann 
ruhig wieder in ſein Eigenthum. Ich garantire 


‚319 


Ahnen aud, daß Sie feine weiteren Erſcheinun— 
gen haben jollen, weil die Geijter von jebt an 
gezwungen werden, bie natürlichen Ein- und 
Ausgänge zu benüßen — und das paßt ihnen 
nicht, denn dabei Fönnte ihnen einmal der Rück— 
zug abgejchnitten werden. Doch adios — id) 
babe noch viel zu thun, da wir in den nächſten 
Tagen Juarez erwarten, und bin noch nicht ein= 
mal im Stand gewejen, jelbjt meine beiten Freunde 
aufzujuchen.‘ 

„Waren Sie ſchon bei Rodriguez?’ 

„Nein, noch nicht; ich will aber noch heute 
Abend oder doch ſpäteſtens morgen Früh zu ihm. 
— Was ich Sie fragen wollte — O'Horan ging 
ja wohl dort häufig ein und aus?’ 

„Allerdings, aber nicht Rodriguez zu Liebe; 
er bewarb ſich vielmehr um ein junges, jehr 
Hübjches und reiches Mäddyen — eine Verwandte 
Kodriguez’, die jchon längere Zeit dort wohnt — 
— San Blas.“ 

„Von Mazatlan?“ rief Porfeirio raſch. 

„Allerdings.“ 

„Und iſt San Blas hier?“« 

„Erſt kürzlich gekommen, ja.“ 

„Und der hätte ſeine Tochter dem Schurken 


3230 


geben können? Da find wir vielleicht noch ge— 
rade zur rechten Zeit gekommen.“ 

„Ich glaube kaum, * ihn das Mädchen ge— 
nommen hätte.‘ 

„Ich hoffe doch nicht, daß ihn Rodriguez bei 
fich verftecht Hält?” rief Diaz, von einem plöß- 
lichen Gedanken erfaßt, raſch. „Die Möglichkeit 
ilt da, denn er ſcheint wie in den Boden hinein 
verſchwunden, und bort iſt allerdings noch nicht 
nad) ihm geſucht worden. Kehrt aber erjt Jua— 
ve; hier nad) Merico zurüf und wird er dann 
bei ihm gefunden, jo Fann es ihn in jchlimme 
Berlegenheiten bringen.‘ 

„Es wäre ein verwünſchter Streich!” fagte 
Roneiro — „wenn Sie nun einmal zu ihm gin— 
gen und mit ihm ſprächen — ihn warnten? Er 
fennt felber O'Horan nicht jo genau und läßt 
ſich vielleiht aus Nüdjiht für San Blas zu 
einem gefährlihen Schritt verleiten.‘ 

„Gut — dann werde ich ihn jetzt aufjuchen,” 
nidte Porfeirio Diaz — „ich möchte ihn nicht in 
Berlegenheiten bringen und — muß doch meine 
Pflicht thun. Alſo, Señora, rihten Sie fih nur 
auf meine Verantwortung bier wieder häuslich 
in Ihrer alten Wohnung ein. Daß Sie von 
Geiftererfheinungen nicht wieder beläftigt wer: 





ori 


den, dafür jtehe ich Ihnen, und follte es in an= 
derer Meile gejchehen, jo wenden Sie ſich direct 
an Juarez und Sie werben jehen, wie raſch er 
Ihnen Hilfe Schafft. Das Reih der Pfaffen 
in biejem Lande ijt zu Ende, und gebe nur Gott, 
dag wir aud in anderer Hinficht einer Befjerung 
entgegengehen !‘‘ 
* " * 

In Rodriguez' Hauſe hatte die Familie ein 
paar recht trübe Tage verlebt, denn die Nachricht 
von des Sohnes Tod, fo ehrenvoll er auch immer 
gefallen und jo wader er ji benommen, jchlug 
ihnen eine tiefe Wunde. — Aber jelbjt der Kai— 
fer hatte ja fterben müflen und ber Tod eine 
furchtbare Ernte in dem jchönen Land gehalten 
— durften fie da murren, daß der Unerbittliche 
auch in ihren Kreis den Arm gejtredt? — Welche 
Familie im ganzen weiten Reich war verjchont 
geblieben? Faſt Feine von allen, die jie kann— 
ten — eine jede hatte ihr Opfer bringen müjjen, 
in biejer oder einer andern Art, und die Hand 
des Schickſals lag jchwer auf dem weiten Land. 

Sn jofern nur hatte die augenblidliche Situa— 
tion eine Bejjerung erfahren, daß den Räuber: 
banden, die fi bis dahin überall gezeigt, ein 


Fr. Gerftäder, In Merico. IV. 


322 


Bormwand genommen war, bewaffnet das Land 
zu durchziehen. Die Liberalen waren Sieger 
und jegt die Herren im Neid, und unter ihrem 
Banner konnten feine Plünderungen mehr geübt 
werden, ja Porfeirio Diaz’ Schaaren madten 
jogar mit einigen Horden, die fie trotzdem noch 
abfingen, fo kurzen Proceß, daß die übrigen doch 
iheu wurden und — wenn fie das Stehlen nun 
einmal nicht lafjen fonnten, einen andern Schau: 
plab ſuchen mußten, als die Straße zwiſchen 
Merico und Vera-Cruz. 

Señor San Blas beſchloß auch deshalb jeht 
ſeine Reiſe nach der Küſte anzutreten, denn man 
wußte ja gar nicht, wie lange dieſer, verhältniß— 
mäßig ſichere Zuſtand dauern würde, Sein 
Hausgepäck befand ſich ja noch außerdem in der 
Hafenſtadt, und wenn er ſich jetzt mit einigen 
Maulthieren einem der nach Vera-Cruz faſt 
allwöchentlich ein paar Mal abgehenden Militär— 
züge anſchloß, durfte er darauf rechnen, unter— 
wegs nicht beläſtigt zu werden. Nur der Ge— 
ſundheitszuſtand ſeiner Tochter ängſtigte ihn, und 
er wußte nicht einmal recht dabei, ob er es 
einem körperlichen oder geiſtigen Leiden zuſchrei— 
ben ſollte. 

Van Leuwen, der junge belgiſche Officier, 





323 


hatte nämlich wenige Tage vor ber Uebergabe 
der Hauptjtadt ganz offen bei Ricarda’8 Vater 
um bie Hand der Tochter angehalten, um die fid) 
in der gleihen Zeit O'Horan bewarb, war aber 
von San Blas in wohl jehr artiger, aber aud) 
eben jo entſchiedener Weiſe abgewiefen worden. 
Ban Leuwen gehörte allerdings, wofür er ihm 
jelbjt hier die Beweiſe zu bringen ſich erbot, 
einer reihen und angejehenen Familie in jeinem 
Baterlande an, aber der Mericaner Hatte num 
einmal eine Abneigung gegen alle Fremden, 
und troßdem daß er recht gut fühlte, wie auch 
feiner Tochter der junge Mann nicht gleichgiltig 
ſei, konnte er doch das Vorurtheil nicht über: 
winden und beging fogar die Unvorfichtigkeit, 
die Werbung O'Horan's gegen Ricarda zu be: 
fürworten. 

Ricarda war außer jih — mit Abſcheu wies 
fie die Berbindung mit einem Mann, den fie — 
wenn fie auch feinen Grund dafür angeben fonnte 
— aus voller Seele haßte, zurüd, und gerieth 
dabei in eine ſolche Aufregung, daß fie Krämpfe 
befam, und jo wohl zwölf Stunden in einem 
nicht unbedenflidhen Zuſtand verharrte. Davon 
hatte jie ſich jett allerdings wieder erholt, aber 
jie blieb jeit der Zeit bleich und im ſich gefehrt, 

21* 





324 


ja jelbjt theilnahmlos gegen Alles, was fie um: 
gab, und der Vater, der mit voller Tiebe an ſei— 
nem Kinde hing, hoffte jeßt nur noch von einem 
Scenen= oder Luftwechjel Heilung für das jchwere 
Leid, das auf ihrem Herzen lag. 

Ban Leumwen felber betrat, nach der Abwei— 
Jung, Rodriguez’ Haus nicht wieder, und vermied 
es auf das forgfältigjte, ſelbſt Ricarda zu be 
gegnen. Er hatte fih auch überhaupt nod nit 
volljtändig von feinen Wunden erholt, und als 
die Fremdenlegion, oder vielmehr die fremden 
Regimenter, unmittelbar nad) der Capitulation, 
Erlaubniß und zugleich Befehl erhielten, gegen 
Puebla abzumarjchiren, verwandte fich jeim Arzt 
für ihn bei Porfeirio Diaz, der e8 gern bewils 
ligte, daß er wenigſtens noch acht oder zehn Tage 
in Merico bleiben durfte, um fich erjt zu kräf— 
tigen. Nachher Fonnte er dann den Seinigen 
folgen, die ja auch bald darnach, auf Befehl des 
PBräfidenten, in Puebla internirt wurden und 
jest dort noch immer auf deſſen weitere Befehle 
warteten. 

Aber auch von O'Horan wurde Ricarda nidt 
weiter beläjtigt, denn jhon während die Unter: 
handlungen über die Uebergabe im Werke waren, 
fam er noch einmal zu Can Blas, hatte mit 


— 
een: 
* I Toni “ 
“ 


325 


biefem eine geheime, aber jehr haſtige Unter: 
rebung und blieb von dem Augenblid an, ebenjo 
wie Marquez, mit dem er überhaupt jehr häufig 
zufammen gewejen, vollftändig verſchwunden. 

Die Tage vergingen indefjen den Bewohnern 
der Stadt merkwürdig ftil. Sie waren gewohnt 
gewejen, den ewigen Kanonendonner draußen 
und das Einſchlagen der Kugeln im Innern, 
durch die Straßen Flappernde Cavallerie-Maſſen, 
Trompeten-Gejchmetter und Trommel-Rafjeln zu 
hören. Sebt plöglid war Alles ſtill — bie 
Soldaten der Liberalen, die ſehr jtreng unter 
Aufſicht gehalten wurden, befam man fat gar 
nicht zu jehen, und es gab Stunden am Tag, 
in denen die Stadt wie ausgejtorben lag. 

Es war heute jo. In der ſonſt jo belebten 
Galle San Francisco ließ fich fait Fein Menſch 
jehen — nur ein paar Leperos fchlenderten da 
und bort hinab, denn jie fühlten fich jetzt ficher, 
daß fie nicht mehr aufgegriffen und mit einer 
Musfete in der Hand gegen den Feind gejchidt 
wurden. 

Die Familie Rodriguez hatte ſich in dem 
Salon verfammelt, denn Bajtiani, der alte Freund 
des Haujes, der jelber nad) Queretaro gereift, 
um dort Genaueres über die ftattgehabten Vor- 


326 


gänge zu erfahren, war zurückgekehrt und be— 
richtete die einzelnen Umftände von des Kaifers 
Tod, wie edel er ſich noch benommen, wie helden— 
müthig er jeinem Schidjal die Stirn gezeigt, 
und wie wahr und aufridhtig er von den Be: 
wohnern Queretaros betrauert werde. 

Die Frauen bejonders lauſchten den Worten 
mit der größten Aufmerfjamfeit und Thränen 
Itanden in Ricarda’s Augen. Da öffnete einer 
der Diener die Thür und meldete: „Señor Lucido.“ 

„za ihn eintreten, muchacho — laß ihn 
eintreten!’ rief Rodriguez, „wozu denn nur bie 
Anmeldung — Du weißt doc, wie befreundet 
wir jind.’’ 

Er hatte noch nicht ausgeſprochen, als ber 
Diener zurüdtrat und jtatt bes Erwarteten Mau: 
ricio Lucido auf der Schwelle ſtand. 

„Buenos dias Senoritas y caballeros!’ fagte 
der Eintretende, nach allen Seiten freundlich und 
zutraulich grüßend, indem er den Hut, den er 
noch in der Hand hielt, gegen die Damen 
ſchwenkte. „IH Tann Shnen gar nicht fagen, 
wie ich mich freue, Sie nach fo langer Zeit ein- 
mal wieder zu jehen. Wie geht es Ihnen Allen ?“ 

Todtenftille herrichte in dem Raum — Nie: 
mand rührte fich, nur Ricarda war, ihren Augen 


327 


faum trauend, von ihrem Sitz emporgefahren. 
Mauricio jelber jchien das aber gar nicht zu 
bemerfen, denn mit jeiner jelbjtgefällig lächelnden 
Miene fuhr er fort: „Das war allerdings eine 
böfe und jchwere Zeit, aber wir haben die ver— 
malebdeiten Franzoſen wenigftens aus dem Land 
gejagt und diejen deutſchen Kaiſer, der fich bier 
ein Recht über freie Mericaner anmaßte, durd) 
ein halb Dutend Kugeln zur Raifon und zur 
Ruhe gebracht, und jetzt wollen wir einmal Den 
jeben, der e8 wieder wagen wird in’s Land zu 
fommen, wenn wirihn nicht darin haben wollen. 
Caramba, den Spaß in Queretaro hätten Sie 
mit durchmachen jollen — Señor Rodriguez, ich 
freue mich herzlich, Sie begrüßen zu Fönnen, 
und er reichte dabei dem alten Herrn die Hand, 
der jo verblüfft über das Ganze war, daß er fie 
ihm nicht weigerte.‘ 

„Sieh da!” fuhr jet der unverwüſtliche 
Mauricio, indem er fih im Kreis umjah und 
Nicarda bemerkte, fort — „da finde ich ja aud) 
nocd eine alte Befannte, Dofia Ricarda — como 
esta Senorita! Wenn Sie wühten, wie ich mich 
darnach gejehnt habe, Sie wieder begrüßen zu 
dürfen !’ 

Ricarda hatte ihr Auge feſt auf ihn gerichtet, 


328 


aber Feine Muskel ihres Angefichts rührte jich, 
und ihre Augenjterne bligten und funfelten ihn 
an, als ob fie ihn damit durchbohren wollte. 
Mauricio ſchien das Alles aber nicht zu fühlen, 
oder abjichtlich zu ignoriren, denn mit lächelnder 
Miene begrüßte er jeßt die übrigen Damen, 
bis ji) Rodriguez doch endlich jo weit von feinem 
Staunen erholte, daß er eine Trage an ihn richtete: 

„aber Don Mauricio! — wo fommen Sie 
ber? — Wo waren Sie jo lange?’ 

„Ich?“ jagte der junge Mann vergnügt, „bei 
Juarez natürlid — etwas wie Geheimfecretär 
und völlig im Vertrauen des Präfidenten, zus 
gleich aber auch Obrift bei den Truppen — 
hatte eine bejondere Guerillafchaar unter mir — 
prächtige Jungen, Cara — Caramba, nur ein 
bischen wild!’ 

„Und jetzt?“ 

„Da wir nun fiegreich in die Hauptjtabt ein= 
gerüct find, hat mir der Bürgerpräjident, in 
Anerkennung meiner Berbienjte um bie gute 
Sache,” fagte der junge Mann ftolz, „die Prä- 
fectur in Tejalisfa, der zweitgrößten Stadt Du— 
vangos, gegeben, und ich bin nur hierhergekom— 
men, um meine Familie einmal wieberzujehen 
und meine Gejchäfte zu arrangiren.‘ 





329 


„sn der That? — eine Präfectur?“ ſagte 
San Blas, dem Señora Rodriguez leije und 
raſch die früheren Erlebnifje des jungen Herrn 
zugeflüftert, „das muß ich gejtehen. —“ 

„Und warum nit?” frug Mauricio, ihm 
den Kopf zuwendend, „ab, Don Rodriguez, mit 
wem habe ich dort die Ehre?’ 

„Sehor San Blas aus Mazatlan — Bater 
der Señorita —“ 

„Ah, wirklich? ſehr angenehm, verehrter 
Herr, in Ihnen den Vater einer ſo liebenswür— 
digen Tochter kennen zu lernen; doch was fin— 
den Sie darin Auffälliges? Wir, die wir auf— 
richtig und treu an der Sache des Vaterlandes 
gehangen haben, müſſen doch auch jetzt, da uns 
der Sieg geworden, dafür belohnt werden, wäh— 
rend man natürlich die kaiſerlichen Beamten und 
Verräther über Bord wirft. Der Staat braucht 
jetzt tüchtige und ehrliche Kräfte, um ſich von 
ſeinen langen Leiden zu erholen.“ 

„Und deshalb hat man Sie zum Präfecten 
gemacht, Mauricio?“ ſagte Baſtiani, der bis da— 
hin etwas abſeits geſtanden, trocken. 

„Ah, Señor Baſtiani!“ rief Mauricio, der 
raſch den Kopf dahin drehte und die Worte über— 
hört zu haben ſchien — „amigo mio, wie freue 


330 


ich mich, Sie wieder begrüßen zu können,“ und 
er trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand. 
Der alte Baftiani legte aber die feinigen, ohne 
die Bewegung zu beachten, auf den Rüden und 
fagte ruhig: 

„Die Freude ift dann jedenfalls eine aus— 
Ihliegliche, Setor, denn id) empfinde nicht das 
Geringfte davon.‘ 

„Seior! fuhr Mauricio auf, ber dieje 
Andeutung nicht falfch verftehen fonnte, „was 
wollen Sie damit jagen ?’ 

„Für den Augenblick,“ erwiederte der alte 
Herr ernjt, „und in dem Haufe des Señor Ro— 
driguez gar nichts; wünſchen Sie aber wirklich 
zu wiffen, was ich über Sie denke, Señor, dann 
fann das vielleicht unten auf der Straße ge— 
Ichehen, denn ich hoffe wenigftens, daß Sie mein 
Haus nicht mit Ihrem Beſuch beehren werden.” 

„Caramba — das iſt ſtark!“ rief Mauricio, 
doch außer Faflung gebracht, und jih in feiner 
Verlegenheit an Ricarda wendend, riefer: „Has 
ben Sie ſchon etwas Nehnliches gehört, Señorita?“ 

„Gehört ja,” — erwiederte aber die junge 
Dame, fih hoch emporrichtend, „doch nody nie 
eine ſolche Frechheit gejehen, daß ein Straßen 
räuber e8 wagte, das Haus achtbarer Leute zu 


331 


betreten, während er genau weiß, daß jie ihn 
fennen und — verachten.‘ 

„Señorita!“ rief Mauricio, und feine Augen 
funfelten in verbaltener Wuth, der er aber doch 
feinen ‚weiteren Ausdrud zu geben wagte — 
„alſo das nennen Sie Straßenraub, wenn fich 
wacere Batrioten zufammenjdhaaren, um bie 
frechen Eindringlinge und Feinde des Landes zu 
vernichten? Das nennen Sie Straßenraub, wenn 
diefe Märtyrer der Freiheit —“ 

„Koffer plündern und jelbft den Damen 
Schmud abnehmen,” unterbrady ihn mit tiefer 
Stimme Baltiani. 

„Señor Rodriguez!’ rief Mauricio halb außer 
fich, „dulden Sie, daß man in Ihrem Haufe —“ 

‚Meiner Seel’, Señor,“ ſagte aber jelbit 
der alte gute Rodriguez acdjelzudend — ‚Sie 
waren thöricht, dies Haus wieder zu betreten. Ich 
hoffe, Sie reifen bald nad, Tejalisfa, wie?“ 

Mauricio warf einen Blid im Kreis umber. 
In allen Familien, die er bis jett aufgeſucht, 
war er, als Lucido's Sohn, auf das zuvor: 
fommendite empfangen worden, und Niemand 
hatte auch nur eine Andeutung auf frühere Kleine 
Unannehmlichfeiten, dem Präfecten von Tejalisfa 
gegenüber, gewagt — und hier? — aber er fühlte, 


332 

daß gerade bier, wo er früher Verjäumtes wieder 
gut zu machen beffte, jeine Rolle ausgefpielt jei, 
und mit einem jtolzen Blick im Kreife umber, 
der aber leider feine Anerkennung fand, blieb er 
noch einen Moment ftehen, drehte fich dann um 
und verließ, den Kopf erhoben, ohne weiteren 
Gruß den Raum. 

Sein Abgang erlitt aber noch eine Störung. 
Er hatte mit voller, vernichtender Würde dieſe 
Geſellſchaft verlaſſen wollen, wie er aber nun 
die Thür öffnete, trat ihm der General Por: 
feirio Diaz entgegen, und vollfommen aus ber 
Rolle fallend, grüßte ihn der „freie Republi— 
kaner“ auf das unterthänigfte. PBorfeirio Diaz 
war jeßt der — man Fonnte recht gut jagen — 
beliebtejte Mann im Rei, ja hier in Merico 
zweifelte jogar Niemand daran, daß er bei ber 
nächſten Präfidentenwahl die Stimmenmajorität 
befommen würde. 

Porfeirio Diaz nahm übrigens jehr wenig 
Notiz von ihm Er warf nur einen flüchtigen 
Blick auf den an ihm Vorbeigleitenden, und trat 
dann, herzlich begrüßt von Allen, in den Salon, 
während Mauricio, heimlich die Zähne zuſammen— 
knirſchend, die Treppe hinab eilte und fich in 


333 


den Sattel des unten am Haufe angehangenen 
Pferdes ſchwang. 

‚General Diaz — Caramba!’ rief Bajtiani, 
ihm entgegen eilend und ihm die Hand reichend 
— ‚‚wie lange haben wir einander nicht gejehen! 
Wie geht's, hombre — jchwere Zeiten durch— 
gemadt, wie?” 

„Schwere Zeiten, Baſtiani,“ ſagte der Ge: 
neral herzlich; ‚wie geht’8 Rodriguez? San 
Blas! alter Freund! ſehen wir uns auch einmal 
wieder? GSenoritas, ich hoffe nicht, dag ich Sie 
ſtöre.“ 

„General,“ ſagte Rodriguez treuherzig — 
„Sie ſind in jedem Haus willkommen, und 
doppelt hier, unter alten Freunden.“ 

„Wer war der junge Mann, der da an mir 
vorüberfuhr? Er ſah auffallend blaß aus.“ 

„Der junge Lucido, der hier wegen Straßen— 
raub eingefangen wurde,“ ſagte Baſtiani trocken, 
„dann entfloh und jetzt mit Juarez als Präfect 
von Tejaliska zurückkehrt. Die Stadt kann ſich 
gratuliren — und der Staatsſchatz auch.“ 

Porfeirio Diaz zuckte mit den Achſeln. „Mein 
lieber Baſtiani,“ ſagte er lächelnd, „wenn Sie 
verlangen, daß alle unſere Beamten ehrliche 
Leute ſein ſollen, ſo würden Sie ſehr viele 


334 


Stellen unbeſetzt laſſen müſſen. Die ewigen Revo- 
Iutionen haben unjer junges Volk demoralifirt, 
und wir brauchen lange Jahre der Ruhe, um das 
wieder auszugleichen — do, Rodriguez, amigo, 
ich möchte nur zwei Worte mit Ihnen unter vier 
Augen ſprechen — nur eine Trage an Sie rid: 
ten, denn meine Zeit ijt beſchränkt.“ 

Rodriguez Schritt mit ihm zu einem entfernten 
Fenſter, und er fuhr hier leiſe fort: „Wiſſen 
Sie, wo fih O'Horan aufhält?‘ 

„Der Präfect? — nein,‘ lautete die ruhige 
Antwort. 

„Er hat fich alfo nicht bei Ihnen verborgen, 
amigo!?’. 

„Bei mir? Wahrhaftig nicht. Aber was haben 
Sie gegen ihn? Fit denn nicht Schon genug Blut 
gefloſſen?“ | 

„O'Horan ijt ein nihtswürdiger Schurke,‘ 
lagte Diaz, ‚ein Verräther an beiden Theilen. 
Er hat —“ 

„Wenn das ift, lieber General,” unterbrad 
ihn Rodriguez, mit einem Blick auf San Blas, 
„dann bitte, jagen Sie, was Sie zu jagen haben, 
laut. Sie find hier unter Freunden, und — 
mir liegt viel daran, daß gerade San Blas ba 
drüben erfährt, was Sie zu jagen haben. Er 


330 


hält viel von O’Horan und hätte ihn jogar gern 
in feine Familie aufgenommen.” 

„Den Schurken?” rief Porfeirio. — „Aber 
Sie haben mid, jeßt beruhigt,” ſetzte er laut 
hinzu, „und ich kann Ihnen nun auch jagen, 
weshalb ich wünjche, auf die Spur dieſes Buben 
zu fommen. O'Horan hat nicht allein, als er 
Präfect in Tlalpam war, zwölf Liberale Morgens 
überfallen und nur deshalb hängen lafjen, weil 
er fürdhtete, daß jeine eigenen Umtriebe dem 
Kaifer zu Ohren fümen, ſondern auch den Un— 
ſeren wieder während ber Belagerung fortwährend 
genaue Kunde gegeben, wann und wo die Bejaßung 
einen Ausfall beabjichtigte, jo daß wir die leßtere 
jedesmal mit blutigen Köpfen zurüdweijen fonn= 
ten. Wir haben allerdings feinen Verrath be- 
nüßt, aber dem Berräther troßdem nicht jeine 
übrigen Verbrechen vergefjen. Sch glaube kaum, 
daß es, jelbjt Lopez und Marquez nicht ausge= 
nommen, einen nichtswürdigeren Halunfen in 
Merico giebt, als diejen O'Horan. Doc, lieber 
Rodriguez — Señoritas, ih muß fort. — Es 
ift Schon jpät geworden — Apropos! ich Fomme 
eben aus Roneiro’8 altem Haus. Haben Gie 
einmal von der dortigen Geijtergejchichte ge= 
hört?“ 


336 


„Bon der Erſcheinung? gewiß!” rief die 
Señora, „hat fie ſich wiederholt % 

„Das nicht,’ lachte Porfeirio Diaz — „aber 
wir haben die geheime Thür gefunden, die durch 
einen verſteckten Gang das Urfulinerinnenflofter 
mit bem ber Sranciscaner verbindet; und gerabe 
dieſe Thür liegt in dem Gabinet, in dem fich ber 
angebliche alte Prior des Klofters gezeigt und 
feine Mummerei abgejpielt hat. Nun, den Herren 
ift das Handwerk jett gelegt und fie werden — 
wenigjtens in Roneiro's Haufe, gewiß nicht wies 
ber Geijter und Verſteckens ſpielen.“ 

Borfeirio Diaz hatte hierauf das Zimmer ver— 
lafien, und San Blas, der jchweigend feinen 
Worten gelaufcht, ſagte endlich: 

„Giebt e8 denn noch einen Menjchen hier in 
ganz Merico, dem man trauen Fönnte? it es 
denn nicht entjeßlih, daß unjer Volk derartig 
gefunfen ift, und dürfen wir es den Fremden 
verbdenfen, wenn fie die Achjeln über unjere Zu— 
ftände zuden ?' 

„sh wußte es, Vater,‘ jagte Ricarda, ſich 
an ihn ſchmiegend, „Sein Geſicht, fein jcheuer, 
ewig ausweichender Blif Fonnte nicht lügen; 
D’Horan war ein böjer, ſchlechter Menſch; ich wäre 


397 


mein ganzes Leben unglüdlic ‚mit ihm geworden 
— und Du wollteit es haben, Vater.“ 

San Blas nidte jelber, traurig zujtimmend, 
mit dem Kopf. — „Wer fonnte e8 denken,‘ jagte 
er — „mer konnte es denken! — aber ich made 
es gut, Ricarda — ich werde Dir nie wieder im 
Wege ſtehen.“ 

„Nie, Vater?“ jagte Ricarda bewegt; ehe 
aber San Blas Etwas darauf erwiebern Fonnte, 
öffnete ein Diener die Thür und bat Señor Ro— 
briguez, einmal in jein Zimmer hinüber zu 
fommen — e8 ſei ein Herr bort, der ihn zu 
ſprechen wünjche. 

„Ein Herr? — drüben in meinem Zimmer? 
Mer ijt e8 und weshalb fommt er nicht herein?’ 

„Sr — bat mid, den Señor nur zu rufen.” 

Rodriguez ging Eopfichüttelnd hinaus — 
draußen auf dem Eorridor ftand van Leumen, 
ſtreckte ihm die Hand entgegen und fagte be— 
wegt: 

„Señor, ich wollte dieſe Stadt — diejes Land 
nicht verlafjen, ohne wenigitens von Ihnen, in 
deſſen gaftlihem Haufe ich jo viele frohe Stun: 
ben verlebte, Abjchied genommen und Ihnen 
nochmals von Herzen dafür gedankt zu haben.‘ 


„Mein lieber guter Hauptmann,‘ „teste Ro⸗ 
jr. Gerſtäcker, In Mexico. IV. 


338 


briguez freundlich — „aber weshalb fommen Sie 
nicht herein 2 

„Ich wollte Sie bitten, den Damen nachher 
meine Grüße auszurichten, Sie wifjen, was —“ 

„Sie find voljtändig geheilt ?’' jagte Rodri— 
guez, der ihn genau und forjchend betrachtet hatte. 

„Wenigſtens jo weit, um uigefährbet den 
Mari antreten zu können. Sch habe ein gutes 
Pferd und hoffe die Freunde bald einzuholen.” 

„Und find Sie gezwungen, heute abzu- 
reijen 2‘ 

„Sezwungen? — Nein — General Diaz bat 
ih jo anjtändig gegen uns Alle benommen, 
baß von Zwang, bejonders den Verwundeten 
gegenüber, gar feine Rede ijt — aber mid) drängt 
e8 jelber fort — der Heimath wieder zu.‘ 

Rodriguez jah ihm ein paar Secunden ernft 
in’8 Auge, dann nahm er plöglich jeimen rechten 
Arm und jagte: 

„Kommen Sie einmal mit.’ 

„Wohin, Señor?“ 

„Kommen Sie nur mit — meiner Frau we— 
nigjtens dürfen Sie nicht jo davonlaufen —“ 

„Ich wünſchte Niemandem mehr läjtig zu 
fallen,‘ Jagte van Leuwen zögernd. Rodriguez ließ 
aber gar feine Einwendung gelten, jondern zog 





339 


den jungen Mann, mehr als biefer eigentlich 
freiwillig ging, in den Salon hinüber. Dort 
öffnete er auch ohne Weiteres die Thür, und 
ihn vorjtellend rief er: 

„Sefioritas, ein junger Mann, ber treu bei 
feinem wadern Kaiſer ausgehalten und fein 
Blut bier im Land vergofjen hat, will Merico 
wieder verlajjen. — Er fol aber nicht daheim 
erzählen Fünnen, daß die Partei der Liberalen 
ben Kaiſer erjchoffen habe und wir Anderen 
uns diejer dann wieder ohne Weiteres zugeneigt 
und denen den Rüden gewandt hätten, mit denen 
wir früher befreundet gewejen. Nehmen Gie 
wenigjtens die Verficherung mit fi, Señor, daß 
brave Männer bier in Merico auch Ihrem 
braven Kaijer ein warmes und treues Andenken 
bewahren, und dabei recht gut fühlen, was er 
gewollt hat und weshalb er e8 leider nicht aus— 
führen konnte.“ 

Ban Leuwen börte faum, was er |prad, jein 
Auge war Ricarda’s DBli begegnet, und wie 
gebannt jtand er an der Schwelle. Oh, er hatte 
jie ja nicht wiederſehen — fih und ihr den 
Schmerz, die Bein der Trennung erjparen wollen, 
und troßdem fegnete er jetzt den Augenblid, der 


ihm noch einmal, und wenn es auch das letzte Mal 
. 22* 





340 


fein jollte, gejtattete, in ihre treuen guten Augen 
zu ſchauen. 

San Blas hatte indefjen ebenfalls geſucht 
dem Auge der Tochter zu begegnen, aber ſie 
wandte jih ihm nicht zu; mit Halbgeöffneten 
tippen, mit erniten, faſt wehmüthigen Bliden 
bing Ricarda an der edlen Gejtalt des jungen 
Mannes. 

„Señoritas — Señor San Blas,“ jagte er 
endlich mit leijer Stimme — „es war nicht mein 
Wille, Sie nohmals zu beläftigen ; Senior Ro— 
briguez mag mir bezeugen, daß er mich — halb mit 
Gewalt — bier hereingeführt. Und doc) bin ich ihm 
dankbar dafür,‘ fette er fajt noch Teiler Hinzu, 
„denn er giebt mir dadurch Gelegenheit, aud 
Ihnen, Seiiora, ein leßtes Lebewohl zu jagen und 
— Ahnen für das Wohlwollen zu danken, mit 
dem Sie einen armen Fremden in Ihr Haus 
aufgenommen. Ich reite morgen nad Puebla, 
um mich dort unjerem Zug anzufchliegen und 
in Vera-Cruz das Schiff zu erreihen, das mid) 
der Heimath wieder entgegenführt. Leben Sie 
wohl und — bewahren Sie mir ein freundliches 
Andenfen, denn — jeien Sie verfihert — meine 
Gedanken werden oft bei Ihnen weilen, und nie 
werde ich die — glücklichen Tage vergejjen, die 





341 


ich in Shrer Mitte verlebt.” — Noch einmal 
wandte er ſich zu Rodriguez und jchüttelte ihm, 
gegen das in ihm aufjteigende Gefühl ankämpfend, 
tiefbewegt die Hand. 

Ricarda war Schon lange von ihrem Stuhl 
aufgejtanden und langjam, während er jpradh 
und wie von einer inneren Gewalt getrieben, um 
den Tiſch herumgeſchritten. Jetzt jtand fie neben 
ihm — vor ihm, den DBlid aber zu Boden ge— 
jenft, "und während ihre Farbe rafch wechfelte, 
jeßt ſchwand, -jeßt wiederfam, jagte fie leije, mit 
faum börbarer Stimme: 

„Mnd Sie wollten fort von bier, Seüor — 
fort, ohne mir auch nur die Hand zum Abſchied 
zu reichen ?'’ 

„Señorita,“ bat van Leuwen, und ein tiefer, 
Ihmerzlicher Seufzer rang fi) aus feiner Bruft 
— ,‚wenn ich mir diefes Glück verjagte — 

‚Mein Vater,” unterbrad) ihn da das junge 
Mädchen, ohne aber noch den Blick, jelbjt nur 
auf einen Moment, zu ihm zu erheben, „hat mir 
furz vorher, ehe Sie famen, oder vielmehr in 
demjelben Augenblid, ein Verſprechen gegeben 
und — darauf hin wage ich es, Ihnen ein An— 
denfen anzubieten.‘ 


342 


„Ein Andenken, Señorita — und glauben 
Sie, daß es deſſen bedürfe?“ 

„Laſſen Sie mich ausreden,“ ſagte fie, indem 
fie wie abwehrend die Hand gegen ihn hob und 
dann langjam und gebanfenvoll den nämlichen 
goldenen Reif, vom Finger zog, den er jelber 
ihr damals zurüdgebradt; „kennen Sie diejen 
Ring? — nehmen Sie das —“ 

„Señorita —“ 

„Aber es knüpft ſich eine Bedingung daran,“ 
fuhr das junge Mädchen jetzt tief erröthend fort, 
„ic habe, als ich den Reif aus Ihrer Hand 
zurüd erhielt, einen heiligen Schwur bei mir 
jelber gethan, mich nie wieder von dieſem Kleinod 
zu trennen, und — wenn Gie den Ring neh: 
men — jo — müjjen Sie mid — jelber mit- 
nehmen.” 

„Ricarda!“ rief van Leuwen in höchſter Auf: 
regung und jeinen Sinnen faum trauend aus. 

„Ricarda! rief aber auch der Vater, „was 
thuſt Du?“ 

„Das Einzige, Vater,“ fagte da die Jung— 
frau, fi hoch und ftolz emporrichtend, „was ich 
tbun fann, um uns Beide nicht elend für ein 
ganzes Leben zu lajjen. Dein Wort hab’ ich, 
und wie ich weiß, daß dies brave Herz in treuer 


343 


und wahrer Liebe an mir hängt, jo brauche auch 
ich mich der Neigung nicht zu ſchämen, die mich 
zu ihm zieht. Dein bin ich, Guillelmo, für mein 
ganzes Leben — willjt Du mich haben?’ 

„Ricarda I” jauchzte da van Leuwen in voller 
Seligfeit empor, „mein, Mädchen, mein ?’' 

„Dein für immer!“ hauchte die Jungfrau und 
neigte, während er jie im jubelnder Luft um— 
ſchlang, ihr Haupt an feine Bruft. 

Rodriguez rieb fich vergnügt die Hände. ‚Das 
iſt geſcheidt,“ rief er aus, „ich habe es dem ar: 
men Ding an den Augen angejehen, wie fie fich 
gegrämt und gehärmt hat, und doch ift nie eine 
Klage über ihre Lippen gefommen, und daß fie 
den Schuft, den O'Horan, nicht wollte, Tann ihr 
wahrhaftig Niemand verdenfen.‘ 

„Und fort aus Merico,” bat da das junge 
Mädchen, noch immer an der Bruft des Geliebten, 
„Tort aus dem Land des Bluts und der Verrätherei 
— jeine Berge find ſchön, und blau ijt fein 
Himmel, aber fein Boden ijt roth gefärbt und ich 
jehne mich nach Frieden.‘ 


* El > na [ [ 1 >= i 


13. 
5ch Lu. 


Glückliche Menſchen waren es, die an dem 
Abend um Rodriguez' Tiſch verſammelt blieben, 
denn San Blas, wenn er auch halb im Ernſt, 
halb im Scherz meinte, ſeine Tochter hätte ihn 
ſo raſch nicht beim Wort zu nehmen brauchen, 
mochte doch auch fühlen, daß er durch ſein Jawort 
das Glück des einzigen Kindes begründe), und 
da er jelber gejonnen war Merico zu verlafien, 
blieb es jih dann ziemlich glei, ob er nad) 
Spanien oder Belgien 309. 

Nicht jo friedlih und im Herzen froh und 
glücklich verbradhte eine andere Familie, in ber 
Berlängerung der nämlihen Straße,*) diejen 

*) Die Straßen von Merico wecfeln ihre Namen von 
einer Ede zur andern und erbalten dadurch — während 


fie ſchnurgerade Die ganze Stadt durchziehen, ojt 12—14 ver- 
ſchiedene Benennungen. 


345 


Abend, und zwar Don Pedro Gaspardb, ber 
frühere Hoffrijeur. Erſtens hatte er heute — 
um Unannehmlichfeiten zu vermeiden — ſein 
Schild abnehmen müfjen, damit er jeinen Titel 
davon entfernen Fonnte, dann wieder einmal einen 
heftigen Auftritt mit feiner wohl fehr jchönen, 
aber auch jehr reizbaren jungen Frau gehabt, 
und drittens — nod) das Schlimmfte von Allem 
— eine jehr unangenehme Nachricht erhalten. 

Die bedeutende Waarenjendung nämlich, die 
er jchon vor längerer Zeit von Europa vers 
Ihrieben, war allerdings von dort gleich ab= 
gegangen und in Vera⸗Cruz angekommen. Die 
Verhältniſſe hatten ſich aber indeſſen ſchon ſo 
geändert, daß man die Güter, auf denen eine 
bedeutende Steuer laſtete, nicht mehr zollfrei unter 
dem Namen der in Europa kranken Kaiſerin 
abgeben wollte. Don Pedro ſollte die Steuer 
-bezahlen, weigerte ſich und wandte ſich deshalb 
an das kaiſerliche Cabinet. Von dort erhielt er 
aber die Antwort, daß die Regierung keineswegs 
beabſichtige, eine Parfümeriehandlung anzulegen, 
alſo auch von ſieben großen Kiſten mit Pomaden, 
Haarölen und ſonſtigen Parfümerien keinen Ge— 
brauch zu machen wiſſe. 

Don Pedro nun, ſelber knapp an Geld, ließ 


346 


die Waaren monatelang in Vera-Cruz liegen, 
denn die Steuer betrug mehr ald der Werth ber: 
felben, bis er endlich von dort Nachricht befam, 
daß man bie Güter verauctioniren würde, wenn 
er fih nicht bald darüber enticheide. — Was 
follte er tbun? — Die Saden Eojteten ihn we— 
nigftens Nichts, da fie auf den Namen der Kai— 
ferin bejtellt waren — er gab Auftrag, fie in 
Vera-Eruz für ihn zu verzollen, erhielt aber dabei 
zugleih die Rechnung für die Seefracht, und 
hatte jet auch noch die enormen Transportkojten 
von Vera-Cruz nah Merico, die ihm jeßt eben= 
falls nicht gejhenft wurden — und alles das 
trug früher die Faiferliche Kaſſe. 

Ein Unglüf fommt aber nie allein. Wie er 
Ihon glaubte, daß nun Alles in Ordnung wäre, 
erhielt er an dem nämlichen Abend die Nachricht, 
die Kijten wären allerdings in Merico angefom: 
men, eine berjelben aber auf dem Transport 
unterwegs durch Umjchlagen der Fuhre geborjten 
und etwa um ihren halben Inhalt geplündert wor— 
den, und dann — ba bie Franzoſen früher Be— 
ſchlag auf die Douane in Vera-Cruz gelegt, müfle 
er auch bier die jämmtlidhen Waaren noch einmal 
verzollen. Morgen Früh um eilf Uhr ſolle er 


347 


nur auf die Steuer fommen, um bort Alles in 
Augenjhein zu nehmen und zu reguliren. 

Don Pedro gerieth in Verzweiflung: die Kai— 
ferin war nach Europa gegangen und bort ſter— 
bensfranf oder gar wahnfinnig geworden — 
denn in Merico erhielt man bejjere Nachrichten 
als oben in Queretaro — den Kaijer hatten fie 
ermordet — die ganze Monarchie wieder über 
den Haufen gejtürzt und den früheren Hofitaat 
natürlich gründlich mit ausgefegt — was jollte 
da aus dem Hoffrifeur werden! In Schulden 
ſtak er außerdem bis über die Ohren. 

Don Julio lehnte in der Ede und ſchliff, 
aus Mangel an anderer Bejchäftigung, feine 
Mefjer. — Oben auf dem einen Balcon des 
Hauſes jtand die junge Señora Gaspard, und-bie 
Straße herunter fam ein Sambo, jehr anjtändig 
gekleidet und mit einer großen rothen Roſe vorn 
im Knopfloch, und warf den Blick Hinauf. Die 
Señora nahm ihr weißes Taſchentuch und ließ 
es einen Moment berunterhängen, dann trat fie 
in die Stube zurüd, und der Sambo, ohne fidh 
weiter umzufeben, ging unten in den Raben, wo 
er Don Pedro juft mit dem nur mit feiner 
Arbeit befhäftigten Don Julio eifrig geſticu— 
lirend fand. 


348 


Etwa vierzig Schritte Hinter ihm kam eim 
junger Gaballero die Straße herab — er jdritt 
an dem offenen Laden vorüber, ſah hinein, ver— 
folgte feinen Weg nod etwa zwanzig Ecdhritte, 
drehte wieder um, paffirte den Laden zum zweiten 
Mal mit abgewandtem Kopf, und jchlüpfte dann 
raſch in die Hausthür hinein, an der gerade: der 
Riegel zurüdgefchoben wurde, 

„Rafiren, Señor?“ frug Don Julio im La⸗ 
den und betrachtete ſich den Burſchen, der ihm 
ſo merkwürdig bekannt vorkam, wenn er ſich auch 
nicht gleich erinnern konnte, wo er ihn wohl ge— 
ſehen haben mochte. 

„Ja, Compañero,“ nickte der Sambo, indem 
er nach ſeinem Bart griff — „aber paciencia — 
nur einen Moment — ich möchte erſt gern et— 
was Geſchäftliches abmachen. Señor,“ wandte 
er ſich dann an Don Pedro — „haben Sie 
Waarenvorrath genug, um mir einen kleinen La— 
den für das Innere herzurichten? — aber ich 
brauche ziemlich viel und Sie müßten mir ver— 
nünftige Preiſe ſtellen.“ 

„Señor,“ rief Don Pedro, denn da öffnete ſich 
eine ungeahnte Einnahmequelle, „werden ſowohl 
mit meinen Waaren wie Preiſen zufrieden fein. 
Aber was wünjden Sie? — Id habe eben 


349 


friſche Kiſten befommen, die noch auf der Steuer 
liegen, die ich aber morgen Früh jchon frei machen 
Tann. Ich bin im Stande, Ihnen damit ſechs 
Laden einzurichten.’ 

„Das paßt vortrefflic,‘ nicdte der Sambo, 
indem er eine Goldunze auf den Tiſch warf. 
„pann bitte ih Sie, mir heute nur einige Pro— 
ben einzupaden und die Engrospreife dabei zu 
bemerken. — Jh wohne in Dajaca und beab: 
jichtige mit meinem Compagnon bort den Laden 
zu eröffnen. Können wir vielleicht einmal daran 
gehen, um die Proben auszujuhen? — OB bitte, 
Señor,“ wandte er ſich jetzt an Don Julio, der 
eben den Laden verlafjen wollte, „vielleicht rafiren 
Sie mid), während Don Pedro die Sachen zu= 
jammenjtellt — wie?" 

„Gewig — warum nicht,‘ erwieberte der 
Barbier, indem er fajt mechaniſch nach feinem 
Handwerkszeug griff, — „bitte, jegen Sie ſich.“ 

„Aber nicht wahr, Don Pedro, Sie ftellen 
mir die Sachen gleich zufammen. ch habe nicht 
lange Zeit.” 

„Ich bin ſchon dabei, Señor,“ erwiederte ber 
Hoffrifeur, und begann jeßt feine verschiedenen 
Gefache durchzuſtöbern und die einzelnen Stüde 
auf den Ladentiſch zu jtellen, die ſich der Sambo, 


- in = nn ee — 


350 


während Don Julio ſeinen Bart operirte, von 
Zeit zu Zeit herüberzeigen ließ. 

Kaum zehn Minuten hatten indeß für den 
geheimnißvollen Beſuch genügt, der hinter Don 
Pedro's Rücken deſſen Haus betreten. Es war 
Mauricio Lucido, der jetzt die Treppe wieder 
herunter und aus der Thür glitt, und dann, 
ohne den Laden nochmals zu paſſiren, die Straße 
hinaufſchritt. | 

Der Sambo war indeflen rafirt, hatte ſich 
jeine Einkäufe zufammenpaden laſſen und folgte 
nun der Richtung, die Mauricio vor ihm ge= 
nommen. — 

Die Nacht verging ruhig und einzelne Pa— 
trouillen durchzogen wohl die Straßen, mehr 
aber aus alter Gewohnheit und der Ordnung 
wegen, als daß man irgend eine Störung der 
öffentlihen Ruhe befürdtet hätte. Sollte doch 
am nädjten Tage ſchon der Präfident Juarez 
wieder in feine Hauptjtadt einziehen, und Feine 
der ihm feindlidy gefinnten ‘Parteien hatte die 
geringjte Macht mehr in Händen, um felbjt nur 
eine Gegendemonjtration, vielweniger denn etwas 
wirklich Feindliches zu wagen. 

Das Kaijerreih war gejtürzt, Juarez bis zur 
nächſten Wahl unbejtreitbar Präfident, und wer 





351 


der Klerifale noch Conjervative dachten auch nur 
für einen Moment daran, fi) dem durch Wort 
oder That zu widerjegen. 

Der nächte Morgen dämmerte — den Kanal 
herein, der die Indianer aus ben zahlreichen 
Heinen Dörfern an den Seen herüberbradhte, 
famen ihre jhmalen frucht- und blumenbeladenen 
Boote angefhwommen, und jammelten jih an 
dem bafür bejtimmten Markt, während die Waſſer— 
träger — jene eigenthümliche Klajje von Men= 
hen, die jelbjt ohne Laſt mit vorgebeugtem 
Körper gehen und ſich auch durd ihre Kleidung, 
wie bejonders durch ihre runde Müte von allen 
übrigen Mericanern unterjcheiden, ſchon lange 
an der Wafjerleitung unten ihre irdenen Gefäße 
gefüllt haben und jegt mit langjamem, aber 
fejtem Gang, eine mächtige Steinfrufe mit einem 
Zragband über den Kopf auf dem Rüden lie- 
gend, eine andere, um das Gleichgewicht herzus 
jtellen, vorn hängend, ihre verjchiedenen Kunden 
aufjuchen und mit Wafjer verjorgen. 

Da donnern die Hufe eines Pferdes im ge— 
treten Earriere durch die nod immer ftillen 
Straßen, und die darauf verfehrenden Indianer 
weichen jcheu zur Seite, als fie einen der wils 
ben Lanzenreiter, die ihnen Escobedo aus den 





352 


x 


Dergen heruntergefandt, in ihm erfennen. Er 
fliegt über die Plaza und ber dortigen Haupt: 
wache zu. 

In derjelben Zeit faſt gleitet eine fcheue 
Menſchengeſtalt, in eine zerlumpte Serape gehüllt, 
daß fie das Geficht verdeckt und nur ein paar 
wild umberfliegende Augen fihtbar läßt, barfuß 
wie ein Lepero und den Kopf mit einem gebrüd- 
ten Filzhut bebedt, die Calle San Francisco 
Ihräg hinauf. 

Rodriguez’ Haus ift ſchon geöffnet, denn eben 
lenkt ein Maulthiertreiber fein Thier dort hinein, 
und zwar mit einem wunderlichen Fuhrwerk — 
eine Kuhhaut hinten nachjchleifend, mit der er 
im inneren Hof verſchwand. Auf joldhe Art wer: 
den nämlich gefallene Thiere aus den Käufern 
fort und hinaus vor die Garrita oder das Thor 
geihafft, und gerade die Leute, die jich mit die— 
jer Arbeit bejchäftigten, wurden jet von allen 
Seiten in Anfprud genommen. Eine Menge 
von Thieren, Pferde fowohl wie Hunde und Ejel, 
waren während ber Belagerung von einjchlagen= 
ben Kugeln verwundet, viele auch in der Straße 
getödtet worden, ja jogar hier und da wegen 
Futtermangel vor Ermattung zufammengebrodhen 
und verhungert, und dieſe mußten alle jegt 








353 


fortgejchafft werben, damit fie die Luft nicht 
verpejteten. 

Rodriguez jelber hielt jih einen Eſel, mit 
dem Einer feiner Leute jeden Morgen nach der 
Waſſerleitung ging, um den ziemlich bedeutenden 
Waſſerbedarf für fein Haus herbeizufchaffen. 
Der arme Ejel war nun, gerade am legten Tag 
ber Belagerung, nachdem er den Weg jo oft 
ungefährdet zurücgelegt, von einer Kugel in die 
Hüfte verwundet worden, und troß aller Pflege 
gejtern eingegangen. Natürlich mußte er aus 
dem Haus gejchafft werden, und die Kubhaut 
wurde zu dem Zweck bejtellt. Aber hinter ihr 
glitt der Lepero oder wer er jonft war, den Filz: 
but tief in die Augen gebrüdt, in das Haus, 
und auf Einen der Xeute zueilend, flüjterte er 
dieſem haſtig zu: 

„Wo iſt Señor Rodriguez?“ 

„Jeſus!“ rief der Burſche erſchreckt aus — 
„Señor O'Horan!“ 

„Ruhig muchacho, ruhig,“ drängte aber der 
Flüchtige, indem er dem Indianer einen Peſo in 
die Hand drückte — „ich werde von den Libe— 
ralen verfolgt — Du bekommſt mehr, wenn Du 
mich nicht verräthſt. — Wo iſt Dein Herr?“ 

„Er kommt eben die Treppe herunter, um 

Fr. Gerftäder, In Mexico. IV, 23 Ä 


354 
auszureiten‘’ — flüjterte der Burſche — „da 
ſteht ſchon fein Pferd gejattelt.‘ 

D’Horan warf einen Blid auf das Pferd, 
aber in diefem Aufzug auf dem filberbededten 
Sattel wäre er, mit den Berfolgern ohnedies 
auf den Ferſen, wohl ficher in den Straßen auf: 
gefallen — und doch jchien es jeine einzige Ret— 
tung. Er warf bie Serape über bie rechte 
Schulter hinauf und jprang zu dem Pferd, um 
den Zügel aus dem Ring zu Iöjen — da klap— 
perte eine Patrouille die Straße herab und hielt 
vor dem Haug, und als er erjchredt hinüber 
horchte, börte er, wie Gewehrfolben vor dem 
Thorweg aufgejtoßen wurden — zu ſpät. — 
Selbſt die Treppe konnte er jeßt nicht mehr er— 
reichen, ohne, vor der offenen Hausflur vorüber, 
ben Augen der Verfolger preisgegeben zu wer— 
den, und in Todesangſt glitt er in ben Stall 
hinein, in welchem ber Indianer gerade den ge: 
fallenen E&jel bei den Beinen vorziehen wollte, 
um ihn dann auf die Kuhhaut zu werfen. Dort 
wurde ein ſolches gefallenes Thier dann mit 
einer zweiten bebedt, damit das Aas, während 
man es durch bie Stadt fchleifte, den Worüber: 
gehenden feinen eflen Anblic bot. 

In demjelben Moment, in dem Señor Ro= 


355 


driguez, mit Feiner Ahnung was in feinem 
Haufe vorging, die Treppe langfam berunterfam 
und, jeine Reitpeitfche unter dem linken Arm, ſich 
nod die Handſchuhe anzog — marſchirte bie 
Patrouille in das Haus herein und Rodriguez 
blieb erſtaunt auf der unteren Stufe ſtehen. 

„Caballeros,“ ſagte er überraſcht, „welcher 
Urſache verdanke ich die Ehre Ihres gemein— 
ſchaftlichen Beſuches?“ 

„Seddor,“ ſagte der Officier, der die Patrouille 
führte, indem er militäriſch grüßte, „wir ſind 
einem Verräther auf der Spur, der ſich vor 
wenigen Minuten in dieſes Haus geflüchtet hat.“ 

„In dieſes Haus?“ 

„Ja — die Leute auf der Straße haben ihn 
bemerkt.“ 

„Kenne ich ihn?’ 

„Der Präfeet O'Horan.“ 

„D’Horan? Caramba!“ rief Rodriguez wirk— 
lich erichredt — „aber Sedores, ich komme eben 
von oben, und gebe Ihnen mein Ehrenwort, 
baß ich Niemanden gejehen babe — das ift ein 
Irrthum.“ 

„Es iſt möglich, Señor,“ erwiederte der Of: 
fieier, „aber er kann ſich noch hier unten befin— 


den. Uebrigens ſtehen vor den Nachbarhäuſern 
23* 


356 


und auf deren Azoteas jebt ebenfalls Wachen, 
jo daß er uns nicht mehr entgehen kann. Meine 
Pflibt aber ift, Ihre Wohnung zu durchſuchen 
— ic bedauere jehr, jedoh Sie wiffen —“ 

„Thun Sie Ihre Schuldigkeit, Seiior — 
Mateo jpring hinauf zu den Damen und jag’ 
ihnen, daß fie fih augenblidlich anfleiden — 
jie befämen Beſuch —“ 

Mateo fprang, was er laufen fonnte, denn 
er hatte nicht einmal eine Tafche, wo er den eben 
erhaltenen Peſo hinſtecken fonnte, und fürdhtete 
fih, ausgefragt zu werben. — Aber er wußte ja 
auch, daß gerade der Präfect ein Freund bes 
Hauſes jei, und durfte den doch nicht verrathen. 

Im Hof wurden jegt Wachen pojtirt, um 
dort die Unterfuhung der unteren Räume vor= 
zunehmen, während der Officier felber die Viſi— 
tation der oberen leiten wollte. Nur zwei Mann 
wurben vorausgejandt, um die Thür nad ber 
Azotea oder dem flahhen Dach zu bejeßen. 

Bor dem Stall ftand noch immer das Maul: 
thier, neben der halbangelehnten Thür. Dieje 
wurde jett aufgejtoßen und der Junge, der bie 
Reitung der Wasfuhre hatte, nahm fein Maul: 
tbier am Zügel, um e8 aus dem Hof zu lenken. 

„Cuidado Gaballeros!’ rief er dabei, da ihm 


357 


die Soldaten im Weg ftanden, und biefe wichen 
lachend zur Seite. Sie fannten derartige Frachten 
gut genug; gewöhnlich fingen bie todten Ge— 
Ichöpfe, die man folder Art aus dem Meg 
Ichaffte, auch ſchon an zu riechen, und ihre Nach— 
barichaft war deshalb nicht angenehm. Ja bie 
elle jelber, die zu joldhen Transporten jo lange 
benüßt wurden, als jie noch zujammenhielten, 
Itanfen ebenfalls und fahen außerdem hochſt: uns 
appetitlich aus, 

Der Burfche trieb fein Maulthier jchärfer an, 
die Laſt holperte über die hohe Stallfchwelle her: 
unter auf das Pflafter des Hofes, durch diejen 
bin und den Haupteingang, und hinaus auf bie 
Straße. Dort angefommen, jprang aber ber 
Burſche nod außerdem felber auf fein Thier 
und jchlug es dann mit beiden Haden, um jo 
viel raſcher aus der Garrita hinaus zu kommen. 

Unten bei den Soldaten blieb noch ein Lieutes 
nant, ein junges Officierhen von kaum mehr 
vielleicht als höchſtens 17 Jahren, ebenjo ein 
Pojten von 4 Mann auf dem Hof aufgeftellt, 
und die Übrigen wurden nun in Küche, Vor— 
vatbsfammer und die anderen unteren Räume 
herumgeſchickt, um dort überall genau zu vevis 
diren. — Der Stall ftand jeßt offen und war 





308 
vollfommen Leer, denn Rodriguez’ Pferd befand 
fih noch draußen im Hof angebunden. 

Der junge Lieutenant warf jelber einen Blick 
in den Stall hinein, aber dort hätte ſich Nie— 
mand verjteden Fönnen. Nur ganz hinten in 
der einen Ede lag ein Kleiner Haufen zuſammen— 
gefehrter Miſt mit etwas Stroh. Er trat hinein, 
jah fih darin um und kam nad wenigen Mi— 
nuten wieder heraus, 

Auf dem Hof ſtand ein Kleiner brauner 
unge von vielleicht fünf bis ſechs Jahren, in 
einem kurzen Hemdchen, das faſt die Farbe ſei— 
ner Haut hatte, und betrachtete jich halb jcheu, 
halb neugierig die Soldaten, die über jein ver— 
dutztes Geſicht lachten. 

„Buenos dias muchachito,“ ſagte der junge 
Officier, der wieder aus dem Stall kam, zu dem 
Kleinen und bog ſich zu ihm nieder. — „Wie 
geht es Dir, mein Jüngelchen?“ 

„Gut,“ ſagte der Junge, ſich verlegen mit 
ſeinem Hemdärmel die Naſe wiſchend. 

„Sage mir einmal, mein Junge, wie viel 
Eſel ſind Euch denn crepirt?” 

„Eſel,“ erwiederte der Junge, ihn anjtarrend 
— „nur Einer — wir haben doc nur den einen, | 
den Burrito, und den haben fie todtgeſchoſſen.“ 





399 


„Ab, hm!“ nidte ihm der DOfficier zu und 
fprang dann nah der Hausthür, wo nod 
eine avalleriepatrouille von acht Mann hielt. 
„Raſch, muchachos,’” rief er diejer zu — „vier 
von Euch, jo ſchnell Euch Eure Pferde tragen, 
hinter dem Lepero ber, der eben mit dem tobdten 
Eſel diefes Haus verließ. Wohin zu hat er jih 
gewandt?’ 

„Dort hinunter, Señor — wahrjcheinlich nach 
der Garrita de Peralvillo zu. Mas follen wir 
mit ihm? Bringen wir ihn zurüd?‘ 

„Das iſt nit nöthig. — Seht nur nad, 
was er unter der Haut hinten berjchleift. — Sit 
e8 ber Entflohene, jo kommt Einer hierher, um 
augenblidlih Meldung zu machen, und die Ans 
deren jchaffen ihn gleich auf die Hauptwache.‘ 

„Caracho!’ rief der eine Soldat — „ſo ein 


Halunke“ — und wie ein Wetter jauften die 
Burſchen ihrer Beute nad. 
* * 


In dem Fleinen Laden des Don Pedro Gas— 
pard ging der Beſitzer defjelben mit raſchen und 
ungeduldigen. Schritten auf und ab, und jedes— 
mal wenn er zurüd in die halbe Slasthür Fam, 
jah er nad) feiner Uhr und murmelte dann leiſe, 





360 


zornige Flüche zwiſchen den Zähnen durch. End— 
lich — endlich öffnete ſich dieſe, und herein, mit 
wie immer haſtigem und geſchäftigem Schritt, ein 
Lächeln auf den Lippen, trat Don Julio, der 
Barbier. 

„Aber jetzt bitte ich Sie um Alles in der 
Welt, Don Julio,“ rief Don Pedro, ſich mit der 
ganzen ausgeſpreizten linken Hand durch die 
Locken fahrend, „Sie wiſſen doch, daß ich um 
eilf Uhr auf die Steuer muß, und es fehlen kaum 
noch zehn Minuten daran. Wo haben Sie denn 
nur geſteckt?“ 

„Don Pedro!“ rief Julio, ſich in etwas thea— 
traliſcher Stellung vor ihm poſtirend. Don Julio 
hatte früher wirklich einmal auf der Bühne ge— 
mimt. „Der heutige Morgen war tauſend Peſos 
werth. Wiſſen Sie, was ich geſehen habe?“ 

„Einen Eſel in jedem Spiegel, an dem Sie 
vorbeigingen,“ knurrte der Hoffriſeur — „habe 
ich Sie ausgeſchickt, um Maulaffen feil zu 
halten.“ 

„Die Execution O'Horan's, des Präfecten,“ 
rief aber Don Julio mit Pathos — „eben hatten 
ſie ihn erwiſcht.“ 

„Das geſchieht ihm Recht!“ rief Don Pedro, 
durch die Nachricht etwas milder geſtimmt — 


361 


„Präfect, ein jchöner Präfeet — der jelber mit 
in die Häufer geht und ftehlen Hilft.‘ 

„Das war der Hungersnoth wegen,“ jagte 
Don Julio. 

„So?“ rief Don Pedro, „meine Pomade und 
Seife haben fie dann wohl gegefjen, wie? Aber 
wo ijt er erwilcht worden ?' 

„Dicht vor der Garrita de Peralvillo,“ erzählte 
Don Julio, jeßt ganz in feinem Element. „Ich 
fam gerade die Straße herab, wo mir einer von 
den efelhaften Kerlen begegnete, die das Aas 
aus der Stadt auf einer alten Kuhhaut hinaus— 
fahren. Ich wich ihm auch jchon jorgfältig aus, 
als ich plößlich vier Cazadores de Galeanos bie 
Straße heraufiprengen ſah und ſehr erjtaunt 
war, daß fie neben dem jchmierigen Lepero 
anbielten; der Burſche ſchien auch Feine bejon= 
dere Luft zu haben fich mit ihnen einzulafjen, 
denn er peitjchte nur jhärfer auf jein Maulthier 
ein, aber die Soldaten machten verwünjcht wenig 
Umftände. Einer fprang vor und nahm ben 
Zügel des Thieres, das jeßt wohl jtehen bleiben 
mußte, ein anderer riß die alte Kuhhaut herunter, 
die jonjt immer auf dem Cadaver liegt, und 
caramba! darunter jtedte der Präfect, und 
santisima! wie ſah der Burjche aus! Im Nu 


— 
v - 
- 
+ 


362 


hatten fie ihın aber die Hände auf dem Rüden 
zufammengebunden, und jeßt ging's auf die 
Hauptwache.” 

„And Sie natürlich mit?” 

„Nun veriteht fih! Gehört denn das nicht 
mit zu meinem Beruf? Ih muß ja doch wijjen, 
was in der Stadt vorgeht; und fo was friegt 
man natürlich im Leben nicht wieder zu ſehen.“ 

„Nun? und weiter?” rief Don Pedro, der 
jelber neugierig wurbe. 

„Na, Sie können fidy etwa denken, was ber 
Schuft O’Horan für ein Gejiht madte; kreide— 
weiß jah er aus, und dann erklärte er in feiner 
Todesangſt jelbjt den indianiichen Solvdaten, die 
fih den Henfer darum jcheerten, auf welcher 
Bartei er gejtanden, daß er immer ein guter 
Liberaler und während der Belagerung wie oft 
bei ihnen draußen gewejen wäre, um ihnen ans 
zuzeigen, wann ihnen Gefahr drohte.” 

„Die Canaille!“ rief Don Pedro. 

„Ja, und indeſſen hatten jich doc eine Menge 
Leute gefammelt und auch Caballeros zu Fuß 
und zu Pferd dazwilchen, und wie die das hör— 
ten, wie fingen die auf den Schuft zu ſchimpfen 
an, und die Soldaten hatten Mühe genug, ſich 
freie Bahn zu halten. Aber wie das Wetter ban— 


363 


den fie ihn zwijchen die Pferde, und der muchacho 
mit dem Maultbier, der ihm forthelfen gewollt, 
bufchte indefjen wohl nit um die nächſte Ede 
und madıte daß er aus dem Weg kam.“ 

„Kun? und was wird jet mit ihm?‘ 

„Mit dem Jungen? — Fort ijt er. Den 
finden fie nicht wieder.” 

„Eſel! ich frage mit dem Bräfecten 

„Mit dem? was joll da weiter werden? Kaum 
hatten wir ihn auf die Plaza gebradyt — und das 
Verhör konnte kaum zehn Minuten gedauert 
haben,. denn ich überlegte mir gerade no), ob 
ih die Sache abwarten oder nad) Haufe gehen 
follte, da famen fie jchon wieder mit ihm heraus; 
ein Karren, der gerade vorbeifuhr, wurde an— 
gerufen und der Gefangene darauf geworfen, 
und fort ging’s im Carriere über das Pflafter, 
daß ih Faum nachkommen Fonnte und ber Ge: 
bundene wie ein Klumpen Elend auf dem Karren 
in die Höhe flog — blau und braun muß er 
gewejen jein, als er draußen ankam, aber lange 
Umjtände machten jie nicht mit ihm. Er hatte, 
wie fie jagten, den armen Menjchen, die er in 
Tlalpam aufhängen ließ, auc Feine Zeit ges 
lafien, ihre Sünden zu beichten, weil er recht 
gut wußte, daß fie dann erzählen würden, wie 


364 


er jelber eben jo gut zu ihnen gehört, und ba 
follte er eben jo wenig Zeit zum Beichten be- 
fommen. Gleich vor der Garrita draußen mach— 
ten fie Halt, warfen ihn vom Wagen herunter, 
ließen ihn draußen, mit dem Gefiht nad dem 
See zu, niederfnien und ſchoſſen ihn von Hinten, 
wie einen Verräther, der er war, todt.“ 

„Hol' ihn der Teufel!‘ jagte Don Pedro an 
Stelle einer Grabrede, „aber jeßt muß ich fort, 
Don Julio, um meine Saden von ber Steuer 
zu bolen, und wenn der Sambo indejjen fommen 
ſollte — wie beißt er gleich 2?’ 

„Ja, th weiß feinen Namen gar nicht,” 
fagte Don Julio. 

‚Na, das iſt einerlei, dann jagen Sieihm, daß 
er eine halbe Stunde wartet — ich bin gleich 
wieder ba.‘ 

Damit ging er hinauf, um feinen Hut zu 
holen, und fand feine Frau ſchon fertig wie zum 
Ausgehen angezogen. 

„Willſt Du in die Stadt, mein geben 2“ frug 
er freundlich, denn die beiden Gatten hatten fich 
heute Morgen wieder verjöhnt, und Cornelia jah 
wirflich reizend aus. Es war eine der hübjche- 
ften jungen Frauen in Merico und blühte wie 
eine Rofe. | 


365 


‚Rein, Pedro,’ jagte Cornelia freundlich, 
indem fie ihm die Lippen zum Kuß bot — „id 
warte, bi8 Du wieder nad) Haufe fommft, und 
vielleicht gehen wir dann den Nachmittag zuſam— 
men auf die Alameda.“ | 

„Sewiß, mein Schat, gewiß — Alles was 
Du willſt,“ erwiederte ihr zärtlicher Gatte — 
„wie ſchön Du heute wieder ausfiehft, Du biſt 
doc) die Perle der Stadt, Geliebte.‘ 

„Du Schmeichler,“ jagte fie lächelnd und gab 
ihm einen Fleinen Schlag auf die Wange, „aber 
bleibe nicht zu lange fort. Die häßliche Douane 
hält Did) immer auf Stunden von Haus ent: 
fernt.‘ 

„Ich werde die Herren heute zufammentreis 
ben, Kind, vief Don Pedro, „daß wir jobald 
als irgend möglich zu Stande kommen, adios 
Queridba — adios!“ 

Eornelia jtand auf dem Balcon, als er feine 
Wohnung verließ, und winkte ihm noch zu, jo 
weit fie ihn auf der Straße jehen fonnte; dann 
trat fie in’s Zimmer zurüc, jchrieb einen klei— 
nen, jehr kurzen Brief, und ſah dann wieder die 
Straße hinauf, als ob jie ihn erwarten wollte, 
— aber er fonnte ja feine Gefchäfte noch nicht 
beendet haben. 


366 


Etwa eine halbe Stunde mochte noch vergan= 
gen fein, da rafjelte ein fleiner, von zwei kräf— 
tigen Pferden gezogener Wagen herbei und hielt 
vor dem Haus. Darauf jaß, mit einem jungen 
Burſchen als Kuticher, der Sambo, den Don 
Julio kaum erjpäht hatte, als er auch ſchon die 
Thür aufriß. 

„Don Pedro zu Haufe?” frug biefer, ſprang 
vom Bock und trat zugleich in den Laden. 

„Bitte ſich nur ein halb Stündchen zu gebul: 
den, Señor,“ bat Don Julio, „holt gerabe bie 
Güter von der Steuer. Sie haben den Wagen 
gleich mitgebracht, wie ?' 

„Allerdings,“ nidte ver Sambo — „und fann 
mir die Sadhen indefjen wohl nod einmal be- 
trachten.“ 

Während er den Barbier unten im Laden be— 
ſchäftigte, hatte die Señora oben eine große 
Thätigkeit entwickelt. Mit Hilfe des Pferde— 
knechtes im Hauſe und ihres Mädchens ließ ſie 
zwei nicht ſehr große Koffer hinabſchaffen und 
auf den Wagen ſtellen, dann nahm ſie ſelber 
darauf mit dem Mädchen Platz, und der Sambo 
drinnen, der ſein Geſchirr fortwährend im Auge 
behalten, ſah das kaum, als er zu Don Julio 


ſagte: 


367 


„Run auf Wiederfehen, Compatero, — id 
muß jeßt fort — kleine Spazierfahrt mit ben 
Damen — viele Grüße an Don Pedro — bitte 
mich bejtens zu empfehlen —“ und ihm freund= 
lich zuwinfend, jprang er auf den Wagen, und 
fort rafjelte das Fleine Fuhrwerk, was bie Pferde 
laufen fonnten. 

Don Julio blieb mit offenem Mund in ber 
Thür ftehen. Wohin fuhr denn die Señora — 
und das Mädchen? — und zwei Koffer hatten fie 
auf dem Wagen jtehen — und der Sambo? — 
caramba, hatte er denn nicht Bomabde, und Gott 
weiß was ſonſt no, auf feinen Wagen laden 
wollen ? 

Aber was ging’s ihn an — die Señora hatte 
ibn wahrhaftig nody nie gefragt, ob fie irgend 
Etwas thun oder lafjen jolle, und er auch nicht 
die Aufficht weder über fie, noch das Mädchen. 
Wer fonnte denn auch fagen, ob Don Pedro 
nicht von der Reije wußte und volllommen da— 
mit einverjtanden war? Wenn er nah Hauje 
fam, fand ji) das Alles. 

Don Pedro blieb aber lange, und als er ein 
traf, fchien er in furdhtbarer Aufregung. 

„Wiſſen Sie, Don Julio,‘ rief er, vor dem 
Barbier jtehen bleibend und ihm die Hand auf 





368 


die Achſel legend, ‚daß man mir meine Waaren 
nicht ausliefern will!” 

„Ihre Waaren! weshalb nicht?” 

„Das ſchurkiſche Handlungshaus oder die 
Fabrik hat Beichlag darauf gelegt, weil fie noch 
nicht bezahlt find und die Kaiferin nicht mehr 
in Merico ift. — War der Sambo hier?“ 

„Ja,“ ſagte Don Julio troden, „und ijt mit 
Ihrer Frau davongefahren.‘ 

Don Pedro jah ihn ſtarr und verwundert an. 
„Bon was reden Sie jeßt wieder — was fajeln 
Sie? — Was hat meine Frau mit dem Sambo 
zu tbun?” 

„Das weiß ich nicht,” fagte Don Julio 
troden, ‚‚aber fortgefahren ijt jie mit ihm, und 
bie Juana auch, und haben auch zwei Koffer 
mitgenommen.‘ 

Don Pedro fuhr wie ein Blitz zum Laden 
hinaus und die Treppe hinauf. Dort oben blieb 
er etwa eine halbe Stunde; als er wieder zurüd- 
fam, jah er etwas blaß und jehr ernit aus und 
Ihritt auf Don Julio zu. Er hielt ein Fleines 
Briefhen in der Hand, 

„Don Julio,“ ſagte er mit faſt tonlofer 
Stimme. 

„Señor?“ fagte diefer bejtürzt. 


369 


Don Pedro machte eine Pauſe, als ob er 
über Etwas nachdenke, dann fuhr er langjam 
und feierlich fort: 

“ „Wie gefällt Ihnen Californien ?’ 

Don Julio ftarrte ihn verblüfft an. War 
die „Meiſterin“ durchgegangen und Hatte ber 
Meiſter darüber den Verſtand verloren ? 

„Wie gefällt Ihnen Californien?’ wieder— 
holte dumpf Don Pedro. 

Don Julio erſchrak, aber Leute in einem ſol— 
chen Zuſtand darf man, wie er aus ſeiner ärzt— 
lichen Erfahrung wußte, nicht reizen, und er 
erwiederte deshalb, anſcheinend auf die Unter— 
haltung eingehend: 

„Ih nun, es ſoll ganz hübſch in Californien 
ſein — nur daß die Leute dort alle lange Bärte 
tragen.“ 

Don Pedro ſah wieder eine Weile vor ſich 
nieder, endlich ſagte er, ſeinem Gefährten den 
Brief hinreichend: 

„Da leſen Sie, Don Julio, was mir meine 
Gattin ſchreibt — leſen Sie laut — ich möchte 
es gern noch einmal hören.“ 

Don Julio las: „Señor — wenn Sie dieſe 
Zeilen erhalten, bin ich außer dem Bereich Ihrer 


Macht und in den Armen, wie unter dem Schutz 
Fr. Gerſtäcker, In Merico. IV. 24 


370 


bes Geliebten — Caramba,“ unterbradh er ji 
dabei — „doch nicht etwa des Sambo?“ 

„Bitte, fahren Sie fort,” ſagte Don — 
„es kommt noch hübſcher.“ 

„Ich habe Sie nie geliebt — ich würde Sie 
nie lieben, und Ihre rauhe, unmännliche Be— 
handlung hat ſogar die geringe Neigung, die ich 
früher für Sie gefühlt, in Haß verwandelt — 
Sie ſind ein Scheuſal.“ 

Don Julio ſah den Friſeur verdutzt an, die— 
ſer winkte ihm aber nur weiter zu leſen, und er 
ſagte: „Ja, nun ſind wir gleich fertig; hier ſteht 
nur noch — „lebe wohl auf ewig — Deine 
Cornelia.“ — Deine? Jeſus! Der Brief iſt nicht 
übel — aber wenn Sie ſich jetzt auf Ihr Pferd 
ſetzen, holen Sie ſie gewiß noch ein — da ſind 
ſie hinunter gefahren.“ 

„Seien Sie kein Eſel, Don Julio,“ erwie— 
derte Don Pedro ruhig — „ich denke gar nicht 
daran, ſie wieder zu holen — Don Julio 
haben Sie Luſt mit nach Californien zu gehen?“ 

„Nach Californien?“ rief Don Julio erſtaunt, 
„aber was fällt Ihnen denn ein?“ 

„Das will ich Ihnen ſagen — meine Frau 
iſt treulos und — fort, — ich reiße die Natter 
aus meinem Herzen, — meine Waaren bekomme 


311 


ich aber auch nicht, troßdem ich die Steuer in 
Vera-Cruz dafür bezahlt habe. — Jetzt wäre ich 
ruinirt — verſchuldet bin ich bis über die Ohren, 
das letzte Mögliche habe ich heute auf mein 
Maarenlager aufgenommen — fehshundert Dol- 
lars — es iſt aber nicht zwei mehr werth, und 
ih ginge bier meinem Ruin entgegen. Dawider 
giebt e8 aber nur ein Mittel — Californien 
— gehen Sie mit?" 

„Hm — die Sache wäre nicht fo übel, aber 
— erjtlih babe ich nicht genug Neijegeld, und . 
dann: wie fommen wir bier fort?” 

„Mit dem Geld, womit ich heute die Steuer 
bezahlen wollte. Wir gründen in San Trans 
cisco eine Barbierftube — „‚Hoffrifeur der Kai: 
jerin von Merico” — nad) und nad zahlen Sie 
mir das Reijegeld ab. — Wenn Gie jebt auf 
die Diligence-Dffice gehen, können Sie zwei Plätze 
nad) Euernavaca nehmen — einen für ſich und 
einen für den Jungen. Ich made Morgens 
meinen gewöhnlichen Spazierritt und begleite 
Sie — mein Pferd nehme ich mit.‘ 

„Hm — das ginge vielleiht — und Sie 
wollen die Frau im Stich laſſen?“ 

„Ich?“ jagte Don Pedro — „hat jie mich 


nicht im Stich gelaſſen?“ 
24* 





372 


„And wenn Ihre Gläubiger Wind befommen ?" 

„Dann find wir über alle Berge nad Aca— 
pulco — dort treffen wir gerade den Dampfer 
nah San Francisco! — Don Julio, in Ealifor- 
nien blüht unjer Glück.“ 

„And unjer Gepäd?’‘ 

„Was wir no mitnehmen können, nehmen 
wir mit — vier Eleine Koffer — was wir jeßt 
einpaden, ijt Alles reiner Verdienſt, und mit 
etwas Geld kommen wir au noch hin.‘ 
„Sinverftanden!” ſagte Don Julio, in die 

dargebotene Hand jchlagend — „dann werben 
ſich unſere Kunden morgen jelbjt rajiren müfjen. 
Da reißt alfo die ganze Barbierjtube aus, Junge 
und Alles —“ 

„Hier haben Sie Geld — zwei Pläße auf 
der Diligencia nad) Cuernavaca — aber Maul 
halten und meinen Namen nicht nennen — ver: 
ſtanden?“ 

Don Julio brauchte keine weitere Ermahnung. 
In Mexico ſah es doch jetzt ſchlecht genug aus 
— verdient wurde faſt gar nichts mehr, und je 
eher er ſelber hier fortkam, deſto beſſer. 

Am nächſten Morgen Früh um ſechs Uhr 
verließ die Diligencia voll mit Paſſagieren, 
und drei außerdem oben an Deck, die Hauptſtadt. 


re, 


313 
Voraus fprengte ein Fleiner Caballero in mexi— 
canifher Tracht mit großen Sporen, riejigem 
Filzhut und furzer, reich mit filbernen Knöpfen 
bejegter Jade. 

Derartige Reiter gab e8 jebt, wo bie Paſſage 
vor die Thore der Stadt erft feit wenigen Wochen 
wieber freigegeben worden, in Menge, und es 
war natürlih, daß fie die frühen Fühlen Mor: 
genftunden zu ihren Ausflügen benügten. Gepäd 
führte er außerdem nicht bei fi — nicht einmal 
eine Satteltafhe — wie hätte er $Jemandem, der 
ihm begegnete, auffallen können! 

Das war der lebte Morgen, an dem Don 
Pedro Gasparb in Merico gejehen wurde. — 

Aber das Leben in den Straßen, als es ſpä— 
ter wurde und nun Jedermann erwarten Fonnte, 
daß Juarez, der hartnädige indianiſche Präſi— 
dent, der nur ausgehalten Hatte, weil er fein 
Volk genau Fannte, bald feinen Einzug halten 
würde, 

Die Stadt zeigte ſich auch heute wieder feſt— 
lich geſchmückt — die Balcone waren mit Krän— 
zen und Guirlanden geziert, von fehr vielen 
Häufern wehten mericanifche Flaggen nieder, und 
in den Straßen, in denen die Armee ber Libe- 


374 


ralen Spalier bildete, drängte ſich das Volf und 
wogte langjam herüber und hinüber. 

Endlich donnerten die Kanonen — das Zeichen, 
daß der Präfident das Weichbild jeiner ‚‚getreuen 
Stadt’ betreten habe, und die Bewegung wurde 
lebendiger. 

Aufeinem braunen Hengjt, mit Lerdo de Te— 
jada, feinem Staatsminijter, neben fih und von 
jeinem ganzen Stab gefolgt, ritt Juarez lang: 
fam ein. Hier und da von den Balconen flogen 
ihm einzelne Sträuße zu — die unvermeiblichen 
Hofpoeten waren ebenfalls wieder thätig: auf 
weißen, grünen und rotben Bändern jtanden 
darauf gedrudte Gedichte, die immer nur einer 
feinen Aenderung beburften, um auf alle Ge— 
legenheiten zu pafjen, aber das eigentlihe Volk 
— die Indianer — verhielt jich till. 

Der ganze Einzug glich mehr einer Leichen 
ceremonie, wie dem verjprocdhenen Beginn einer 
neuen Aera, oder der jogenannten neu gewon= 
nenen Freiheit und Unabhängigkeit des Landes. 

Es mochte dem Präjidenten jelber unheimlich 
vorkommen, denn er gab Befehl, daß die Mufik 
ipielen ſolle. , 

Das Mufifcorps der Cazadores de Galeano 
iprengte voraus, und bald jchmetterte der mexi— 


Br 


375 


caniſche Jubelmarſch, dev Marſch von Zaragoza, 
dur die bis dahin jo jtillen Straßen ; hinter 
dem Präfidenten aber, acht Mann Hoch, ritten 
die Cazadores in ihren grauen, ziemlich Fleid- 
ſamen Uniformen, ihre achtſchüſſigen Büchſen über 
die Schultern gehangen, und jet erſt Fam ein 
wenig Leben in die Straße, benn die Muſik regte 
aud die Zuſchauer auf. 

Die Gloden läuteten dabei von allen Kirchen 
— es jollte ja von nun an Trieden im Land 
herrſchen — aber gab es irgend Jemanden, ber 
daran glaubte? — Wer wird nun als eriter Prä— 
tendent auftreten.? war bie Trage, die man ſich 
überall zuflüfterte — — Porfeirio Diaz? — Ortega? 
— Quien sabe! Damit tröjteten jie ſich — aber 
die Republif war vor der Hand wenigjtens wie 
der hergejtellt, und der Kaiſer? — Seine hohe - 
edle Geitalt fchritt wohl vor Manches Augen 
vorüber, als er den Fleinen braunen Indianer 
da mit düſter zujammengezogenen Brauen auf 
feinem großen Pferd hängen Jah, aber — er 
war troßdem der Sieger — der Tag gehörte 
fein, und die bei allen ſolchen Aufzügen üblichen 
Seltlichfeiten mußten ihren Fortgang haben. 

Teuerwerfe wurden von zwei Uhr Nachmit— 
tags bis ſpät in die Nacht noch abgebrannt, und 





376 


dann fanden, wie e8 bunfelte, auch wieber bie 
gewöhnlichen phantaftiihen Umzüge ftatt. Ja 
der nämliche Wagen, in dem bei des Kaijers 
Einzug das Feine Kaiferpaar en miniature ge— 
jefjen, fehlte eben jo wenig, nur daß er eine Um- 
wandlung erfahren. 

Statt dem Kaiferpaar von damals ſaß jetzt 
ein in bie mexicaniſchen Karben gefleidetes Kind 
darin — vielleiht und ſehr wahrjcheinlich das 
nämliche, das damals die Kaiferin vorgejtellt — 
als Republif Merico. Auch felbjt der näm- 
lihe Engel ſchwebte noch darüber — nur bie 
Krone hatten fie ihm abgejchraubt und dafür 
eine Jacobinermüße aufgejeßt, doch trug er noch 
immer biejelbe mericanijche Fahne in der einen 
und den Lorbeerkranz in der andern Hand. Das 
paßte ja auf Alles. 

Die nächſte Zeit verlief jtil genug und noch 
immer lag eine brüdende Schwüle auf der Stabt; 
denn e8 war nicht möglich, ſich jo rajch wieder 
in die neuen Berhältniffe hinein zu leben — 
ſelbſt nicht in dem an ſolchen Wechſel doch ge— 
wöhnten Merico. Viele aber, die jich compro= 
mittirt glaubten, verließen auch die Hauptjtadt, 
um der liberalen Regierung wenigjtens unter 
den Augen weg zu fommen, Manche jogar das 


377 


ganze Land, denn Wenige nur glaubten an einen 
dauernden Frieden für das arme, in feinen in— 
nerjten Tiefen zerrüttete Reich — und body waren 
ſelbſt von den durch die Intervention hereingeführ- 
ten Fremden Manche zurüdgeblieben — bejonders 
Aerzte, au franzöjiiche Schneider und Frijeure, 
denen dabei nicht das Geringjte in den Weg ge— 
legt wurde. 

Der Lebte fat, der aus des Kaiſers engerer 
Umgebung das Land verließ, war Padre Fiſcher, 
der allerdings noch hochfahrende Hoffnungen ge= 
habt und auf den Bildofsfiß von QDueretaro 
Ipeculirt zu haben jcheint. — Wie ihn aber die 
Eonfervativen hatten fallen laſſen, als er ihnen 
nichts mehr nüßen konnte, jo kehrte ihm auch 
jeßt der Klerus den Rüden. . Er war nicht mehr 
zu brauden und Fonnte gehen. 

Vebrigens jchien er die letzten Monate in 
Merico recht gut angewendet zu haben, denn fo 
leicht er in die Hauptſtadt gefommen, mit jo 
vielem Gepäck beladen verließ er diejelbe wieder. 
Aber Niemand kümmerte fich darum, und bejon= 
ders eine Anzahl ſchwerer Bücherfijten jchaffte er 
fort. Auch Hatte er in der lebten Zeit wieder 
einigen Verkehr mit der Regierung, und man 
erzählte jich in der Hauptjtadt, daß er dem Prä— 





378 


fidenten einen Theil des geheimen Archivs Ma— 
zimilian’s um 3000 Peſos verfauft habe. Un— 
mittelbar darauf veröffentlichte diejelbe jedenfalls 
die Schriften, die er unter den Händen gehabt, 
unter dem Titel: Documentos oficiales de los 
traidores, para servir a la historia de la inter- 
vencion.*) — Bon ihm felber nahm natürlidy 
Niemand mehr Notiz. 

Das Kaijerreih war todt und die Republik 
hatte gejiegt, aber des Kaiſers Andenken war 
deshalb noch nicht erlofchen. Juarez ließ aller: 
dings in der nächiten Zeit überall und von 
Allem, was Marimilian geftiftet — jelbft von 
der Statue, die er dem Unabhängigfeitshelden 
Morelos geſetzt, feinen Namen entfernen und, 
wo das nicht anders ging, jelbjt aus den Gtei- 
nen hberausmeißeln, aber troßdem bewahrte man 
überall im weiten Reich die Erinnerung an den 
Geſchiedenen. 

In der Hauptſtadt gab es faſt keinen einzi— 
gen Laden, wo nicht die Photographien des Kai— 
ſers und der Kaiſerin, ja ſelbſt in Apotheoſen, 
in den Fenſtern ausgeſtellt geweſen wären — 
ebenſo die Bilder von Miramon, Mejia und 


*) Officielle Documente der Verräther — zur Geſchichte 
der Intervention. 





er 


379 


Mendez. Ein Calendario Marimiliano, der eine 
Geſchichte des mericanifchen Kaijerreihs gab 
und des Kaiſers Wirken in den lebendigjten 
und anerfennendjten Worten jchilderte, wurde 
überall in den Straßen verfauft, und war raſch 
ſchon in zweiter Auflage vergriffen. 

Und Merico jelber? Juarez erhielt bei der 
nädjten, bald darnach jtattfindenden Wahl wie— 
der die meilten Stimmen, und der einzig wirk— 
lich gefährliche Gegner, den er dabei hatte, Por— 
feirio Diaz, dachte zu edel, um einen neuen 
Bürgerkrieg heraufzubeſchwören — der Trieben 
war vor der Hand gejihert — aber auch nur 
vor der Hand. Am Norden tauchten bald wie- 
der Pronunciamentos auf, und einzelne Banden 
durchzogen und brandicdhaßten das Land und 
hoben Levas aus — ja jelbjt Juarez’ eigerter 
Kriegsminijter aus ſchwerer Zeit, der bis dahin 
immer treu zu ihm gehalten, Negrete, Eonnte 
der Berjuhung von zwei Millionen Peſos nicht 
wibderjtehen. Er warf ih, als die Conbucta 
mit dem Gold von der Hauptſtadt abgegangen 
war, nad Puebla und juchte fie abzufangen, 
wurde aber freilich darin gejtört und mußte mit 
jeiner Bande nah Michvacan hinein flüchten, wo 
er ber Regierung Troß bot. | 


380 


Merico! — Kann man e8 den Indianern ver— 
denfen, wenn fie behaupten, daß ihr Land bas 
Ihönfte und von Gott am meiſten bevorzugte 
der Erde wäre? Es ift in der That ein wirk— 
liches Paradies und mit Allem ausgeftattet, 
um Millionen von Menſchen eine glüdlidhe Hei: 
math zu gewähren; mit einem herrlichen Klima, 
mit metallreihen Bergen, fruchtbaren Zriften, 
foftbaren Waldungen — und was war e8 big jet, 
feit die Spanier den Fuß darauf gejegt? ein 
Qummelplaß wilder, zügellojer Leidenſchaften, ein 
Feld, das nur immer mit Blut gebüngt und nie 
geerntet wurde, eine Juchtjtätte von Miſchlings— 
racen, die, anjtatt das Volk zu veredeln, nur 
immer jchledhtere Eremplare zu Tage förberten 
und in der Anarchie allein ihre Freiheit fanden. 

° &o liegt e8 jeßt — ſo liegen faft alle ſüd— 
amerifanijchen NRepublifen, von ewigen Bürger: 
friegen blutgetränkt, von Stellenjägern aus— 
gejogen, von Pfaffen durchwühlt, ein lebendiges 
Beijpiel, in was ſolche Menſchen .jelbjt ein 
Paradies zu verwandeln im Stande find! 


Ende. 


Drud von G. Pätz in Naumburg 9/5 





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