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Untersuchungen
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Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
von
Dr. Otto Gierke,
Professor der Rechte an der Universität Berlin.
42. Heft.
DER
IMMOBILIARPROZESS
DER FRÄNKISCHEN ZEIT
VON
RUDOLF HÜBNER
DR. JUR.
FKIVATUOCENTEN AN DER UNIVERSITÄT BERLIN
Breslau
Verlag von Wilhelm Koebner
(Inhaber: M. & H. Marens!
1893 .
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7
/
DER
IMMOBILIARPROZESS
DER FRÄNKISCHEN ZEIT
RUDOLF HÜBNER
DR. JUR.
PK1VATDOCENTEN AN DER UNIVERSITÄT BERLIN
Breslau
Verlag von Wilhelm Koebner
(Inhaber: II. & H. Marcus)
1893.
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Yale University libwy
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us
Vorwort.
Die Ausarbeitung des Verzeichnisses der fränkischen
Gerichtsurkunden, dessen erstem 1891 erschienenem Theile der
zweite demnächst als Beilage des XIV. Bandes der Zeitschrift
der Sa vigny -Stiftung für Rechtsgeschichte, germanistische Ab-
theilnng, nachfolgen wird, drängte von selbst dazu dem massen-
haften rechtsgeschichtlichen Stoff, dessen Fülle und Reichhaltig-
keit schon in den Regesten überraschend wirken muss,
die Form einer zusammenhängenden Darstellung zu geben. Die
reichste Ausbeute gewähren jene Denkmäler für die Kunde des
Immobiliarprozesses der fränkischen Zeit. Darum will ich ver-
suchen ihn auf Grund dieses Materials zu schildern, zumal er
eine monographische Behandlung bisher noch nicht gefunden
hat. Möge diesem Versuch die Anschauung zu Gute kommen,
die eine lange Beschäftigung mit jenen lebensvollen Überresten
der Vergangenheit gewährt.
Meine Arbeit bezweckt das Zerstreute zu verbinden und
einigen Hauptgedanken möglichst übersichtlich unterzuordnen;
dabei sucht sie sich die Forschungen der Meister unseres Fachs
dankbar zu Nutze zu machen, ohne sich an der für die Wissen-
schaft öfter schädlichen als heilsamen Jagd nach neuen Ideen
zu betheiligen. 'Sie ist im Sommer 1891 geschrieben und der
Berliner juristischen Fakultät als Habilitationsschrift vorgelegt
worden. Herr Geheimer Rath Brunner hatte die Güte, nach-
dem sie von ihm gelesen und von der Fakultät genehmigt worden
war, mir die Benutzung der Korrekturbogen des damals noch
nicht bis zum fränkischen Rechtsgang gediehenen zweiten Bandes
seiner deutschen Rechtsgeschichte in Aussicht zu stellen. Dess-
balb unterblieb ihre Drucklegung vorläufig. Sie wurde dann
917
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VI
ein Jahr später auf Grund der Brunner sehen Darstellung, die
der Verfasser, wie ich mit besonderem Danke für ihn wieder-
hole, bereits vor ihrer Veröffentlichung zu benutzen mir erlaubte,
an einigen Stellen ergänzt und überarbeitet, konnte aber aus
verschiedenen äusseren Gründen erst im November 1892 in
den Druck gegeben werden. So tritt sie später in die Öffent-
lichkeit, als es meine Absicht gewesen war.
Von dem üblichen Quellen- und Litteraturverzeichniss
glaube ich mit Rücksicht auf das in meinen Regesten gegebene
absehen zu dürfen; ich will hier nur, um nicht unbequem zu
werden, die häufig gebrauchten Abkürzungen L Sch und Th er-
klären. Jene bedeutet: Urkunden zur Geschichte des Deutschen
Rechts herausgegeben von Hugo Lörsch und Richard Schröder I
Privatrecht 2. Auflage Bonn 1881; diese: Textes relatifs aux
institutions privees et publiques aux epoques merovingienne et
carolingienne publies par M. Thevenin , Institutions privees
Paris 1887. Wenn auf S. 20 Stutz Kirchliches Benefizial-
wesen I § 15 citiert wird, so ist das ein Hinweis auf den noch
ungedruekten Theil des in den ersten Bogen jüngst als Ber-
liner Dissertation veröffentlichten Werkes meines Freundes, den
ich seiner Theilnahme an dieser Arbeit verdanke.
Wäre mir der kürzlich erschienene achte Band des Codex
Cavensis früher zu Gesicht gekommen, so würde ich nicht unter-
lassen haben, die sehr anschauliche Gerichtsverhandlung von 1059
(p. 233 n. 1356) bei der Erörterung der Gewährschaftspflicht
zu verwerthen; so muss ich mich begnügen, auf die Regesten
zu verweisen.
Berlin, im Februar 1893.
Der Verfasser.
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Inhalt.
.Seit*
Einleitung 1
Erstes Kapitel. Die Klage
I. Die Einleitung des Rechtsstreits
1. Die Ladung 11
2. Die Klageerhebung 2ä
II. Die Klagebehanptnng
1. Die Grundform iler Klage
2. Gab es possessorische Klagen'? . . . .
3. Feststellungsklagen
4. Scheinprozesse
III. Die Klagebegründung
1. Klageerhebung ohne Klagebegriindnng .
2, Verstärkung der Klage
a. Formell durch Voreid , , , , .
b. Materiell durch Substanziierung . .
Zweites Kapitel. Die Klagebeantwortung . . . . .
I. Die Klagebeantwortuug im technischen Sinn
1. Zugeben der Klagebehauptung 90
2. Leugnen der Klagebehanptung 95
II. Die Klagebeantwortung in Einredeform
1. Einlassverweigerung 100
2. Materielle Einreden 104
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IS 13 fc? Iw
VIII
Seite
Drittes Kapitel. Die Beweisvertlieilnng 158
I. Der allgemeine Beweisvorzng iles Beklagten 160
II. Beweisvorzng aus formellen Gründen 171
HI. Beweisvorzug ans materiellen (triinden 182
Vierte» Kapitel. Die Beendigung des Rechtskaufes lHä
I. Dew Urtheil 203
II. Die Urtheilserfttllung 226
ID. Das Ungehorsamsverfahren 231
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Einleitung.
Der Aufbau des deutschen Sachenrechts beruht auf dem
Gegensatz von fahrender Habe und liegendem Gut. Diese Ge-
staltung des Sachenrechts beeinflusste auch das Prozessrecht:
es gelangte im deutschen Recht ein besonderer Immobiliarpro-
zess zur Ausbildung.
In beiden Punkten steht das deutsche Recht bekanntlich
im Gegensatz zum römischen. Das römische Recht kennt keinen
solchen Unterschied der Gegenstände und daher auch keinen
Unterschied zwischen einem Mobiliar- und Immobiliarprozess.
Schon hieraus ergiebt sich, dass die Auffassung des deutschen
Rechts keine durch die Natur der Sache gegebene, die verschie-
dene Behandlung von Mobilien und Immobilien, die Ausbildung
der zwei verschiedenen Prozessarten keine logisch nothwen-
dige ist.
Ja, es sprechen verschiedene Gründe für die Annahme, dass
im deutschen Recht die Abzweigung eines besonderen Immobi-
liarprozesses, die wir bereits in der Zeit der Volksrechte voll-
endet finden, erst allmählich an die Stelle ursprünglich einheit-
licher Behandlung getreten ist. Auch das deutsche Recht hat
wahrscheinlich in ältester Zeit nur eine einzige Art des Rechts-
ganges gekannt. Jede Klage, ohne Rücksicht auf den Gegen-
stand, war ursprünglich eine Deliktsklage 1 ); es machte keinen
Unterschied, ob Mord, Diebstahl oder Landraub vorlag. Daher
') Brunner Deutsche Rechtsgeschichte II 1892 S. 328.
Hübner, tränk. Immobillarprozess. 1
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2
wird auch ursprünglich die prozessuale Durchführung aller dieser
Klagen die gleiche gewesen sein. Es erhebt sich also die Frage,
wodurch die Ausbildung besonderer Prozessarten veranlasst
worden ist, aus welchen Gründen das deutsche Recht einen be-
sonderen Immobiliarprozess ausgebildet hat. Denn dass der
Immobiliarprozess es gewesen ist, der sich als besonderer Schöss-
ling aus dem Stamme des ursprünglich einheitlichen Verfahrens
entwickelte, wie es als gewöhnlicher Rechtsgang im Mobiliarpro-
zess sich erhielt, nicht etwa umgekehrt, zeigt seine Geschichte,
die zwar manches alterthümliche besser, als es in dem gewöhn-
lichen Verfahren geschah, bewahrte, im allgemeinen aber sich
von der ursprünglichen Grundlage weiter entfernte.
Auf jene Frage nun hat meines Erachtens Heusler die
beste Antwort gegeben *).
Wir müssen davon ausgehen, dass Prozesse um liegendes Gut
erst sehr viel später vorgekommen sein können als Rechts-
streitigkeiten um Fahrhabe.
Streitigkeiten um fahrende Habe fehlen selbst in den ur-
sprünglichsten Kulturverhältnissen nicht. Grundbesitzprozesse
aber sind erst möglich, wenn sich ein Liegenschafts-verkehr ent-
wickelt, und ein solcher fehlte in der altgermanischen Zeit, in
der das Erbenwartrecht keinen Verkauf, die genossenschaft-
liche Gleichberechtigung keine Leihe von Genossen an Genossen
duldete*), die mit einem Wort keine Sonderrechte an Grund und
Boden kannte 8 ).
Erst als sich solche ausbildeten, was bei einigen Stämmen,
*) Vgl. besonders seine Institutionen des deutschen Privatrechts II § 79.
*) Mit Benutzung von Henslers Worten, Gewere S. 496 (Excurs II).
Zu vergleichen ist auch Laughlin iu den Essays in Anglo-Saxon Law,
Boston 1876 S. 227.
*) Allerdings stellt Ficker in seinem neuesten Werke (Untersuchungen
zur Erbenfolge der ostgermanischen Rechte 1891) wie viele andere, so auch
diese bisher allgemein anerkannte Thatsache in Frage. Er verspricht, in
einem späteren Theile den Nachweis zu führen, dass aus dem Vorkommen
von Rechtsinstituten wie der rechten Gewere und dem Näherrecht auf das
Vorhandensein von Sonderrechten an Grund und Boden schon zur Zeit vor
Trennung der Goten und Skandinavier, ja seihst zur Zeit vor Verzweigung
der Germanen in eine östliche und westliche Gruppe geschlossen werden müsse.
Vorläufig, ehe er seine Gründe vorgelcgt hat, müssen wir bei der herrschenden
Ansicht stehen bleiben.
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wie z. B. den Westgoten 1 ), schon verhältnissmässig früh durch
die Berührung mit römischer Bevölkerung und römischem Recht
geschah, bei den meisten Stämmen aber erst um die Zeit der
fränkischen Reichsgründung, hauptsächlich wohl in Folge des
Aufkommens der Vergabungen an die Kirchen und der von diesen
ausgehenden Verleihungen zu Niessbrauch 8 ) der Fall war, waren
die Vorbedingungen für einen Immobiliarprozess gegeben.
Die Lex Salica in ihrer ältesten Form kennt ihn bekannt-
lich noch nicht. Auch in ihrem 45. Titel (de migrantibus) ist
der richtigen Ansicht nach von einem solchen keine Rede. Denn
er handelt nicht, wie Fustel de Coulanges zu beweisen ver-
sucht hat, von einem Fremden, der sich eigenmächtig und wider-
rechtlich auf einem Landgut niederlässt und dann wegen Ab-
wesenheit des Eigenthümers auf Klage eines Dorfgenossen, al-
so im Wege des Immobiliarprozesses, zur Räumung veranlasst
wird *), sondern er spricht nur den Rechtssatz aus, dass der Grund-
erwerb eines Ausmärkers binnen Jahresfrist nach seiner An-
siedelung durch den rechtsförmlichen Widerspruch eines einzigen
Dorfgenossen rückgängig gemacht werden konnte 4 ); von einem
*) Schon die Leges Enrici (466—484), da« älteste Denkmal germanischer
Gesetzgebung, setzen einen Immobiliarprozess voraus, z. B. 277 (Blubme
p. 2), 312 (Blubme p. 30); vgl. Brunner Deutsche Rechtsgeschichte I
S. 323.
’) Die hierher gehörigen Rechtsgeschäfte, Donationes post obitura, Schen-
kungen mit Vorbehalt des Niessbrauchs, Rückverlegungen auf Lebenszeit sind
aus germanischer Wurzel entsprossen, und ich möchte daher nicht mitSohm
(Fränkisches Recht und Römisches Recht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für
Rechtsgeschichte germ. Ahth. I 1880 S. 32 Anm. 42) schlechtweg die Be-
rührung mit dem römischen Recht als den Grund für die Ausbildung eines
Grundbesitzverkehrs betrachten.
*) Fustel de Coulanges Etüde sur le titre de inigrautius de la loi
Salique, Extrait de la Revue gfenfcrale de droit, Paris 1886. Vgl. die
Recension von W. Sickel Gött. gel. Anz. 1886 Nr. 10 S. 434.
*) So fasst Brunner (RG I S. 195) den Inhalt des Titels zusammen.
Auch Gierke (Genossenschaftsrecht I S. 77) weist die Ansicht zurück, dass
es sieb um Okkupation eines fremden Hofes handle. Ob man das migrare
super alterum übersetzt „gegen den Willen eines Anderen“, wie Sohm
früher unter Beibringung von Belegen verlangte (Fränk. Reichs- und Gerichts-
verfassung S. 61 ff.), oder mit: „zu einem anderen ziehen“, wofür er jetzt
(die deutsche Genossenschaft 1888 S. 165) eintritt, bleibt für die allgemeine
Auffassung des Titels ohne entscheidende Bedeutung.
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wirklichen Prozess ist keine Rede, sondern nur von einem exe-
kutivischen Zwangsverfahren.
Aber die erhaltenen Quellen des salischen Rechts führen
uns gerade in die Zeit des Übergangs aus der älteren in die
neuere Kulturperiode hinein. Bereits der erweiterte, in die Zeit
seit Ausgang des sechsten Jahrhunderts anzusetzende Heroldsche
Text der Lex Salica erwähnt einen Fall des Rechtsstreits um
liegendes Gut; er spricht nämlich an einer Stelle 1 ) von dem
Streit zwischen den nepotes aut pronepotes de alode terrae, d. h.
über ein zur Erbschaft gehöriges Grundstück.
Dass dann in einigen viel späteren Ergänzungen des sali-
schen Rechts 8 ) auf den Immobiliarprozess eingehend Rücksicht
genommen wird, ist eine nothwendige Folge der fortgeschrittenen
wirthschaftlichen Zustände.
Ähnlich verhält es sich im ribuarischen Recht; auch im
ältesten Theile der Lex Ribuaria findet sich noch keine Spur
des Immobiliarprozesses; ein später eingeschobener Theil da-
gegen, das in den Jahren 628 — 629 erlassene Königsgesetz,
kennt die Anfechtung eines Verkaufs oder einer Schenkung von
Grundbesitz 8 ) und schreibt im Hinblick auf einen später mög-
licherweise entstehenden Prozess die Förmlichkeiten beim Eigen-
thumserwerb an Grundstücken ausführlich vor*); ein anderer,
derselben Zeit angehörender Titel spricht ausdrücklich von der
Klage wegen widerrechtlichen Besitzerwerbes vonLiegenschaften 5 ).
Auch dem ursprünglichen, in den Jahren 480 bis 500 ent-
standenen Bestandtheile des burgundischen Volksrechts, der
Konstitutionensammlung König Gundobads, ist ein Immobiliar-
prozess noch unbekannt; erst eine im Jahr 515 erlassene No-
velle handelt ex professo vom Rechtsstreit um Liegenschaften.
Hier stehen sich die beiden, einen wichtigen Kulturfortschritt
abspiegelnden Zeugnisse allerdings auffallend nahe; selbst wenn
*) Bei Behrend 59, 5 Zusatz; bei Hessels 59, G Cod. 10 col. 385. Vgl.
Brunner a. a. 0. S. 1% Anm. 8.
*) Vgl. Extravagante A 2 de terra condemnata, d. h. commendata;
Capitula legi Salicae addita a. 819 c. 9 (Boretios I p. 292) ; Septem causae IV 4.
•) L. Bib. 59, 1—8.,
*) 60 , 1 .
*) 67 , 5 .
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5
man das spätere Gesetz als Ergänzung auffassen will, bleibt
es bezeichnend, dass in der vom König Gundobad veranstalteten
Kodifikation jeder Hinweis auf den Immobiliarprozess fehlen
konnte; man muss daraus schliessen, dass er, wenn überhaupt,
nur erst eine bescheidene Rolle gespielt haben wird, und das
trotzdem doch die Burgunder schon längst mit den Römern in
naher Beziehung standen.
Wenn dagegen die älteste Rechtsaufzeichnung der Ala-
mannen, der sog. Pactus Alamannorum, auf Immobiliarsachen-
recht gar keine Rücksicht nimmt, die Lex Alamannorum aber
genaue Vorschriften für den Immobiliarprozess enthält, so ist
das leicht erklärlich; zwischen beiden Rechtsaufzeichnungen liegt
ungefähr ein volles Jahrhundert (das siebente), gerade diejenige
Zeit, in der wie im Süden der Alpen durch die Edikte der lan-
gobardischen Könige der Immobiliarprozess die sorgfältigste
Ausgestaltung erhielt, so auch die ostrheinischen Stämme zu
einem Liegenschaftsverkehr sich emporzuschwingen begannen,
wie denn ein solcher, und damit der Immobiliarprozess, auch
in dem bairischen Volksrecht eingehende Behandlung findet.
Selbst bei den Sachsen entwickelt sich nunmehr beides; in zwei
eigenthümlichen Stellen trifft die um 800 verfasste Lex Saxonum
Anordnungen für das Beweisverfahren bei Klagen um widerrecht-
liche Aneignung von Liegenschaften 1 ).
So ist denn bei allen Stämmen um die gleiche Zeit unge-
fähr der Übergang vollzogen und im Anschluss an den wirt-
schaftlichen Aufschwung und die dadurch bedingten Grundbesitz-
verhältnisse ein eigener Immobiliarprozess entstanden.
Dieser verhältnissmässig späte Zeitpunkt seines Aufkommens
bewirkte nun aber, dass der Immobiliarprozess sogleich eine
reichere Ausbildung erhielt. Denn er wurzelte nicht mehr wie
der schon längst bekannte Mobiliarprozess in dem ursprüng-
lichsten streng exekutivischen Zustande des deutschen Prozess-
rechtes; vielmehr zu der Zeit, als zuerst die Rechte am Grund
und Boden Gegenstand des Verkehrs und gerichtlichen Streites
wurden, hatte sich jenes altgermanische Verfahren bereits
überlebt und hatte sich ein neues Prozessrecht entwickelt, das
viel eindringlicher wie jenes alte, formale der Feststellung der
*) Lex Sax. 39 und 63,
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6
materiellen Grundlagen des Streitverhältnisses seine Aufmerk-
samkeit zuwendete ‘).
Dieses zeitliche Zusammentreffen bewirkte, dass die neuen
Grundsätze auf den neuen Prozess Anwendung fanden, während
das alte Mobiliarverfahren sich auch weiterhin mit den bisher
geübten, alterthümlicheren Formen begnügte ; der Mobiliarprozess
blieb auf einer älteren Stufe stehen, der Immobiliarprozess nahm
die vorgeschritteneren, freieren Ideen auf und bewahrte nur aus-
nahmsweise, wie zum Beispiel in dem später zu besprechenden
Einleitungsverfahren durch Mannitio und Anefang, Beste der
formalen Periode.
Aber nicht bloss der spätere Zeitpunkt seines ersten Auf-
kommens war von günstigem Einfluss auf eine gesonderte,
reichere Entwickelung des Immobiliarprozesses. Es kam viel-
mehr noch folgendes hinzu.
Sobald einmal Privateigenthum an Grund und Boden mög-
lich geworden war, wurde es der wichtigste Bestandtheil des
Vermögens. Grund und Boden war, wenn auch an sich gewiss
nicht immer werthvoller als Kleider, Waffen, Schmuck oder
Vieh, so doch, wie Heusler es lebendig dargestellt hat, darum
von so unendlich höherer praktischer Wichtigkeit, weil von
nun an auf ihm allein des Mannes Stellung in Familie, Ge-
meinde und Staat beruhte, der Grundbesitz daher die eigent-
liche Grundlage aller Rechtsverhältnisse bildete.
In Folge dieser überwiegenden Bedeutung aller Rechte an
Liegenschaften erhielt das deutsche Immobiliarsachenrecht eine
bei weitem reichere Ausbildung dem Fahrnissrecht gegenüber,
und in Folge dieser reicheren Ausbildung überwand der Immo-
biliarprozess die Schranken, die den deutschen Mobiliarprozess,
so lange ein solcher bestand, eingeengt haben 8 ). Diese Schranken
bestanden bekanntlich darin, dass eine bewegliche Sache, die
mit Willen des Eigenthümers in den Besitz eines Anderen über-
gegangen, dann aber auf irgend eine Weise (z. B. durch Dieb-
stahl) in die Hände eines Dritten gelangt war, von diesem
Dritten seitens des Eigenthümers nicht zurückgefordert werden
') Heusler Die Beschränkung der Eigenthumsverfolgung bei Fahrhabe
und ihr Motiv im deutschen Rechte 1871 S. 11.
*) Siehe besonders Heusler a. a. 0.
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konnte; eine Klage gegen den Dritten war nur dann möglich,
wenn die Sache dem Eigeuthümer gegen seinen Willen ent-
zogen worden war, denn nur dann konnte in Befolgung des
vielbesprochenen Satzes „Hand muss Hand wahren“ auf den
eigentlichen Entwender zurückgegangen werden. Dass aber diese
Beschränkung der Eigenthumsverfolgung bei Fahrhabe, kraft
deren die Mobiliarklage gegen solche, welche die Sache vom
Vertrauensmann erworben hatten, ausgeschlossen war, schliess-
lich nur darum bestehen bleiben konnte, weil „das praktische
Leben für den Fahrnissverkehr mit dem Vorhandenen aus-
reichte“ l ), kaun kaum bezweifelt werden.
Der deutsche Immobiliarprozess weist eine solche Beschrän-
kung der Eigenthumsverfolgung nicht auf. Ich wüsste zwar
gerade keinen einzelnen Rechtsfall ans den von mir benutzten
Urkundensammlungen anzuftthren, in dem man mit Bestimmtheit
eine Immobiliarklage gegen den, der vom Vertrauensmann „er-
worben“ hat, erkennen könnte. Aber vielleicht darf hier im
Vorübergehen auf eine auch später noch zu erwähnende süd-
italienische Gerichtsurkunde aus dem Jahre 995*) hingewiesen
werden, in welcher sich der Beklagte auf seinen Autor beruft,
von dem er das eingeklagte Grundstück zum Nutzgenuss (ad
pastenandum) erhalten habe. Der Autor übernimmt die Gewähr-
schaft und tritt an Stelle des Beklagten in den Prozess ein.
Nunmehr klagt der Kläger wider den Autor, er habe jenes
Grundstück widerrechtlich besessen und es also dem ersten Be-
klagten nicht verleihen können. Wir sind nun zwar über den
Fortgang des Streites zwischen Kläger und Autor nicht unter-
richtet; aber ich glaube, mau kann, ohne sich dem Vorwurf
unwahrscheinlicher Vermuthung auszusetzen, annehmen, dass
der Autor seine Berechtigung dargethan haben wird, denn er
ist der Abt des Maximusklosters zu Salerno, der sich doch
wohl kaum eine widerrechtliche Besitzentziehung wird haben
zu Schulden kommen lassen; die Wahrscheinlichkeit und die
Analogie ähnlicher Fälle lässt vielmehr voraussetzen, dass er
eine vom Kläger an das Kloster gemachte Tradition behauptet
haben wird. War das aber seine Einrede (und wenn nicht
*) Heu gl er Institutionen II S. 10.
*) Cod. Cavensis UI p. 31 n. 480.
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8
in diesem, hätte doch in irgend einem ähnlichen Fall die Ein-
rede des Autors so lauten können), dann hätte also der Kläger
um ein Grundstück geklagt, das ihm nicht widerrechtlich ent-
zogen, sondern vielmehr mit und durch seinen Willen auf den
Autor und von diesem auf den Beklagten übergegangen wäre.
Hätte es sich um bewegliches Gut gehandelt, so wäre jede Klage
gegen den Besitzer wie gegen dessen Autor unbedingt ausge-
schlossen gewesen.
So hat sich also durch die besonderen Umstände, die
seine Entwickelung bedingten, durch die Zeit, in der sie
erfolgte, und durch die Stellung, die liegendes Gut unter
den Gegenständen des Verkehrs einnahm, der Immobiliarprozess,
indem er trotz seiner späteren Entstehung den auf einer äl-
teren Entwicklungsstufe stehen gebliebenen Mobiliarprozess über-
flügelte, zu einem besonderen Institut gestaltet, das eine Be-
trachtung für sich verträgt.
Im Folgenden soll der deutsche Immobiliarprozess wenn
auch nicht in der Vollständigkeit seiner geschichtlichen Ent-
wickelung so doch in der Gestalt, die er während der frän-
kischen Zeit in den verschiedenen Stammesrechten angenommen
hat, einer solchen Betrachtung unterworfen werden. Da für
diese Zeit das Recht der fränkischen Stämme die führende Rolle
hat, so wird auch die folgende Untersuchung von ihm ausgehen
müssen und daher in erster Linie auf die aus den west- und
ostfränkischen Gebieten erhaltenen Quellen Rücksicht zu nehmen
haben. Daneben sollen dann die Abweichungen oder Besonder-
heiten der übrigen Stammesrechte an den betreffenden Stellen
hervorgehoben werden. Wenn auf die Rechtsverhältnisse Italiens
besonders häufig eingegangen wird, so hat das seinen Grund
in dem reichen Quellenmaterial, das uns dorther erhalten ist.
Das angelsächsische und skandinavische Recht zu berück-
sichtigen, lag nicht im Plane der Arbeit; ich darf wohl an-
nehmen dass der Umkreis der beachteten Zeugnisse genügt,
um ein einheitliches und vollständiges Bild zu gewinnen. Da
in allen berücksichtigten Rechtsgebieten die Prozesse um Frei-
heit nach denselben Grundsätzen wie die um Eigen behandelt
■wurden, so können gelegentlich auch Urkunden, die Fälle der
ersteren Art betreffen, als beweiskräftig verwendet werden.
Bei einer monographischen Darstellung des Immobiliarpro-
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9
zesses kann es sich nicht darum handeln, diejenigen Dinge zu
besprechen, die ihm mit den übrigen Arten des Verfahrens ge-
meinsam sind; insbesondere also wird alles, was mit der Ge-
richtsverfassung zusammenhängt, das Nähere über die einzelnen
Beweisarten u. dgl. ausgeschlossen bleiben und nur das dem
Immobiliarprozess Eigenthümliche und für seine Erkenntniss
Wichtige behandelt werden.
Die Gliederung des Stoffes erfolgt in der Art, dass im
ersten Kapitel die Einleitung des Verfahrens und die Klage,
im zweiten die Klagebeantwortung, im dritten die Grundsätze
der Beweisvertheilung und im vierten endlich die Bedeutung
der den Prozess beendenden Akte erörtert werden sollen.
Neben den Bestimmungen der Volksrechte, auf die in Kürze
hingewiesen worden ist, und zu denen einige Kapitularienstellen
sowie die im Liber Papiensis vereinigten Arbeiten der lango-
bardischen Juristen 1 * * * * * * ) hinzukommen, bildet die Grundlage unserer
Darstellung das reiche, aus allen Theilen des fränkischen Reichs
(wenn wir von den Gebieten des sächsischen Rechts absehen)
erhaltene Urkundenmaterial, das in möglichster Vollständigkeit
durchzuarbeiten versucht wurde 8 ), um den Vortheil. den der die
mittelalterlichen Rechte behandelnde Forscher gegenüber dem
Romanisten geniesst, nämlich an Stelle von theoretischen Er-
örterungen von immerhin höchster Feinheit sich auf die un-
mittelbaren Überreste der lebendigen Rechtsfälle stützen zu
l ) Doch sollen die Formeln des Liber Papiensis und die Erörterungen
der Expositio nur durchaus in zweiter Linie berücksichtigt werden, denn in
ihnen sind die Anschauungen einer schon vom wiederauflebenden römischen
Recht beherrschten Zeit niedergelegt. Vgl. Ficker Forschungen zur Reichs-
und Rechtsgeschicbte Italiens I 1868 S. 12.
*) Ich verweise hier auf die von mir angefertigten Regesten der
fränkischen Gerichtsurkunden, deren erste Hälfte, die ansseritalienischen Ge-
richtsurkunden bis zum Jahre 1000 umfassend, in der Zeitschrift der Savigny-
Stiftung für Rechtsgeschichte germ. Abtb. Band XII 1891 und auch als Souder-
abdruck erschienen ist. Die in dieser ersten Hälfte verzeiclmeten Stücke
werden im Folgenden an erster Stelle nach ihrer Regestennummer citiert.
Die Citate finden ihre Erklärung in dem dort gegebenen Quetlenver-
zeichniss; so weit die dort noch nicht aufgeführten italienischen Sammlungen
in Betracht kommen, wird vorläufig bis zum Erscheinen der zweiten Abtheilung
unter anderem auf das Verzeichniss in Fickers Forschungen zur Reichs-
nnd Rechtsgeschichte Italiens verwiesen.
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10
können, soweit als möglich anszubeuten. Denn eine Benutzung
von Urkunden kann in unserem Falle nur dann zweckmässig
angestellt werden, wenn sie die Unvollkommenheiten, die so
vielen dieser Denkmäler einzeln betrachtet anhaften, durch die
Berücksichtigung möglichst zahlreicher Fälle auszugleichen
sucht.
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Erstes Kapitel.
Die Klage.
I. Die Einleitung des Rechtsstreits.
1. Die Ladung.
Der nächste Zweck, den der Kläger zu erreichen bestrebt
sein muss, ist der, seinen Gegner, Widersacher, zu nöthigen,
dem Angriff zu stehen.
Das geschah nach den Grundsätzen des alten germanischen
Rechtes durch eine blosse Parteihandlung: in rechtsförmlicher
Weise spricht der Kläger den Beklagten an und ladet, mahnt
ihn, wenn er die Erfüllung des Anspruchs weigert, vor Gericht,
damit er sich dort verantworte.
Diese älteste Form der Ladung, die unter bestimmten Förm-
lichkeiten stattfindende Ladung der Partei durch die Partei auf
Grund eines einseitigen Aktes, für welche die fränkische Rechts-
sprache den technischen Ausdruck Mannitio 1 ) verwendet, spielt
im Immobiliarprozess der fränkischen Zeit eine besondere Rolle.
Sie erhielt sich nämlich im Immobiliarprozess länger als
sonst. Im allgemeinen wurde während der fränkischen Zeit
die Mannitio, die rechtsförmliche Parteiladung, durch die Bann i-
tio, die Ladung des Gegners durch richterlichen Befehl, ersetzt,
‘) Über die Mannitio vgl. z. B. Brunner Entstehung der Schwurgerichte
S. 44; v. Amira in Pauls Grundriss der germanischen Philologie II 2 S. 190;
jetzt besonders Brunner Deutsche Rechtsgeschichte II S. 332 ff.
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12
eine Neuerung, die damit zusammenhing, dass überhaupt der
Rechtsgang mehr und mehr aufhörte, ausschliesslich von den
Parteihandlungen abhängig zu sein, vielmehr eine richterliche
Prozessleitung sich entwickelte.
Dagegen wurde die Mannitio für den Rechtsgang von Liegen-
schaften (und ebenso für Freiheitsprozesse) noch in karolingischen
Reichsgesetzen ausdrücklich als einzig erlaubte Form der Ladung
aufrechterhalten. In den Kapitularienstellen, die diese Anord-
nung enthalten, wird ausdrücklich hervorgehoben, dass damit
für die genannten Prozessarten eine Ausnahmebestimmung ge-
troffen werden solle 1 ). Der Grund, wesshalb gerade im Immobiliar-
prozess die alterthümliche Ladungsform beibehalten wurde, mag
in Folgendem gelegen haben. Die Mannitio musste, wie das
in der Lex Salica 1, 3 festgesetzt wird, im Hause des Gegners
vorgenommeu werden; dort musste der Kläger in Gegenwart
von Zeugen dem Beklagten selbst, oder wenn er abwesend war,
d. h., wie in 1, 5 näher ausgeführt wird, wenn er sich in ei-
genen Geschäften (im Gegensatz zum Königsdienst) anderswo,
aber innerhalb des Gerichtsbezirkes aufhielt, der Frau des Be-
klagten oder einem Familiengliede die Ladung kundthun *).
Voraussetzung für gültige Vornahme der Mannitio war al-
so, dass der Gegner in seinem Domizil anzutreffen war oder
wenigstens innerhalb des Gerichtsbezirks sich aufhielt, so dass
ihm leicht Nachricht gegeben werden konnte. Floh er in einen
andern Gau, so war eine Mannitio unmöglich. Bei Streitigkeiten um
‘) Cap. legi add. v. J. 816 c. 4, MG Capitularia I p. 268: Ut de statu
suo, id est de libertate vel hereditate, conpcllandus iuxta legis constitutionem
manniatur. De ceteris vero causis Item Cap. legi add. v. J. 816 c. 3,
I p. 270: De mannire vero, nisi de ingenuitate aut de hereditate, non sit
opus observandum. Cap. legibus add. v. J. 818/819 c. 12, I p. 283: Si quis
de statu suo, id est de libertate vel de hereditate conpellandus est, iuxta legis
constitutionein manniatur-, de ceteris vero causis , unde quis rationein est
redditurus, non manniatur sed per comilem banniatur. Vgl. So hm En. GV
S. 116.
*) L. Sal. 1, 3 : Et Ule qui alium mannit cum teslibus ad domum illius
ambulare debel : et si praesens non fuerit, sic aut uxorem aut quaecumque
de familia illius apellit, ut illi faciat notum quod ab eum mannitus est.
4: Nam si in dominica ambasia fuerit occupatus, mannire non polest.
6 : Si uero infra pago in sua ratione fuerit, sicut superius diximus mannire
potest.
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13
Grundstücke mag man einen Fluchtverdacht nicht gehegt haben,
konnte doch der Beklagte, wenn er sich unrechtmässig einer
fremden Liegenschaft bemächtigt hatte, diese nicht, wie eine
bewegliche Sache, mit sich entfernen. Und so behielt man hier
die alte Parteiladung bei und schärfte sie als einzig erlaubte
ein, auch nachdem sie in den anderen Fällen bereits als unge-
eignet abgeschafft worden war.
Wie sich aus den genannten Kapitularienstellen ergiebt,
ist die Mannitio im Immobiliarprozess noch zu Anfang des
neunten Jahrhunderts durchaus praktisches Recht gewesen.
Gleichwohl lassen sich den Sätzen der Volksrechte und den
reichsgesetzlichen Bestimmungen, in denen von ihr die Rede
ist, soviel ich sehe, keine urkundlichen Belegstellen an die Seite
setzen l ). Dass wir auch in den älteren Urkunden keine Spur
der Mannition finden, erklärt sich hinlänglich aus der äusseren
Form, in der sie abgefasst wurden: diese nahm auf die ausser-
gerichtlich stattfindenden Akte und also auch auf die der Er-
öflhung des Verfahrens vorangehende Ladung durch die Partei
keine Rücksicht; es kann daher aus dem Nichtvorkommen der
Mannition in den älteren Urkunden keineswegs der Schluss
gezogen werden, dass sie in den einzelnen überlieferten Fällen
auch wirklich nicht stattgefunden habe.
Trotz jener ausdrücklichen Einschärfung durch die Reichsge-
v setzgebung scheint aber mit der Zeit auch im Immobiliarprozess
die alte Ladungsform der neuen bequemeren, gefahrloseren und
sicheren durch richterlichen Befehl gewichen zu sein. In
den Quellen der folgenden Zeit tritt uns die einseitige Partei-
ladung im grossen und ganzen nicht mehr entgegen; eine Aus-
nahme macht nur eine Bestimmung des Schwabenspiegels, von der
weiter unten noch zu sprechen sein wird; sie verlangt bei Strei-
tigkeiten um Eigen ein von dem Kläger an den Beklagten ge-
richtetes Fürgebot, das der alten Mannition entspricht.
') Nur in einem der Formelsammlung von Sens angehörenden Stück
(Cart. Sen. 26, MG Formulae p. 196) findet sich der Ausdruck mannire; aber die
Verbindung, in der er gebraucht wird (mannire apud nostro, des Königs, signa-
culo), zeigt, dass hier gerade die Bannitio, Ladung durch königlichen Befehl,
gemeint ist; die Formel ist also, wie Sohm E u. GV S. 115 Anm. 47, S.
116 Anm. 50 nachweist, ein Zeugniss dafür, dass zu Beginn des neunten
Jahrhunderts Mannitio und Bannitio in einander Uberzugehen beginnen.
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14
Was die die Mannitio verdrängende Bannitio betrifft, so
können wenigstens einige Urkunden aus dem Gebiet des frän-
kischen Rechts angeführt werden, in denen diese Form der
Ladung deutlich zu erkennen ist 1 ).
Eine septimanische Gerichtsurkunde aus dem Jahre 892*)
betrifft einen von dem Bischof von Nimes wider einen gewissen
Genesius geführten Prozess um die von der Bligardis an die
Kirche von Nimes geschenkte villa Bizac. Der Kläger trug die
Klage dem König Odo vor, während dieser sich auf der Jagd
befand. Der Graf des Gaues, in dem die eingeklagte Villa
lag, war im Gefolge des Königs zugegen; er erklärte, dass er
in der That den Beklagten auf Grund eines ihm vorgewiesenen
königlichen Befehls mit der Villa investiert habe. Aber alle
Anwesenden bezeugen, dass ein solcher Befehl niemals ertheilt
worden sei ; in Folge dessen wird dem Kläger ein Inquisitions-
mandat ausgestellt, auf Grund dessen der Graf die Inquisition
vornehmen soll. Als nun der Graf Gericht abhält, legt der
Bischof sein Mandat vor, und der Graf schickt an den Beklagten
den Befehl, vor ihm zu erscheinen und sich zu verantworten,
comes suas literas ad Genesiutn misit, ut ante eum ad
placitum veniens audiret et videret inquisitionem atque
adprobationem scripturarum , quam rex de predidis rebus
facere iusserat.
Also eine Ladung durch richterlichen Befehl.
Ferner eine burgundische Urkunde aus dem Jahre 898 *).
Zu Varennes erhebt vor der Königin Ermeugardis der Abt von
Gigny Klage wider Bernard, einen Vasallen der Königin, um die
Zelle Balma;
quod tarn benignissima et venerabüis regina quam omnes
undecumque confluentium principes diligentes intendentes
düigentiusque audientes predictum Bernardum in medium
vocaverunt 4 ).
') Weitere Beispiele bei Sohin R u. QV S. 114 Anm. 43, 44, S. 115 Anm. 48.
*) Nr. 434. Vaissete II c. 83 n. 12. Germer - Durand Cartulaire de
Nimes p. 10 n. 5.
*) Nr. 451. Histoire gtaferale et particulifire de Bourgogue I preuves
p. 19 n. 24.
‘) Bereits die Lex Burgundionum (17, 4) kennt die richterliche Ladung.
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15
Besonders anschaulich endlich ist das Verfahren der Banni-
tio in einer cluniacenser Urkunde von 926 geschildert l ). Eine
Frau Bertagia erscheint im Gericht König Rudolfs II. von
Burgund und klagt gegen Leutardus um die ihr und ihrem
Sohne als Erbtheil ihres Mannes zukommenden Ländereien in
curte Avenaco. Der König beauftragt die Grafen Turumbertus
und Anselmus und den Pfalzgrafen Ugo mit der Inquisition
und Entscheidung. Darauf heisst es:
misit ipse Ugo bannutn domini regis, ut cul mattum pri-
mum quod in ipso comitatu tenuertnt, in eadem presetitia
veniant Leutardus et Teodoricus vel ipsa Jemina.
Hier also ergeht der richterliche Ladungsbefehl nicht nur an
die Beklagten (in welchem Verhältniss der mitbeklagte Teodo-
ricus zu den übrigen Personen steht, wird nicht klar) sondern
auch an die klagende Partei.
Aus den übrigen cisalpinen Gebieten wüsste ich keine ur-
kundlichen Beispiele von Immobiliarprozessen, in denen die
obrigkeitliche Ladung erwähnt wird, anzuführen; aber da sichere
Anhaltspunkte vorliegen, dass auch hier im allgemeinen die
Mannition durch die Bannition während der fränkischen Zeit
verdrängt wurde 8 ), so wird man annehmen können, dass auch
hier im Rechtsgang um Grundstücke das freiere Verfahren
Platz griff.
In Italien treffen wir von einer rechtsförmlichen Ladung
durch die Partei keine Spur mehr an. Gleichwohl steht nichts
der Annahme entgegen, dass auch bei den Langobarden ur-
sprünglich diese Ladungsform bestanden hat; sie ist dann aber
hier (ebenso wie bei den Westgoten) so früh durch die richter-
liche Ladung verdrängt worden, dass die Rechtsquellen nur
noch diese erwähnen 8 ).
Diese richterliche Vorladung lässt sich in einer Reihe von
Sie tritt subsidiär ein, wenn zweimal vergeblich Parteiladung erfolgt ist.
Brunner EG II S. 339.
') Nr. 496. Charte» de Cluny I p. 247 n. 266.
*) Die Lex Bainwariorum (13, 2) erwähnt wie die Lex Bnrgnndionnm
eine subsidiäre richterliche Ladung; richterliche Ladung findet sich auch iu
der Lex Alamannornm 36, 3. Brunner EG II S. 339, 340. Vgl. darüber
noch das weiter unten Gesagte.
•) So Brunner EG II S. 339.
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16
italienischen Gerichtsurkunden deutlich erkennen. Und zwar
gehören einige dieser Beispiele einer Zeit an, in welcher, wie
die oben besprochenen Kapitularienstellen darthun, im übrigen
Frankenreich für den Immobiliarprozess noch die Mannitio vor-
geschrieben war; in Italien ist also die alterthümliche Ladungs-
form am frühesten verschwunden. Aus der vorkarolingischen
Zeit kann zunächst die erste der zahlreichen Urkunden genannt
werden, die den langandauernden Streit zwischen den Kirchen
von Arezzo und Siena betreffen *). Der Bischof von Arezzo
erhebt zu Siena vor dem Missus Ambrosius Klage wider den
Bischof Deodatus von Siena.
Hoc audito, fährt die vom Missus ausgestellte Urkunde
fort, fecimus suprascripttim Adeodatum ... in nostram
venire presentiam, quatenus .... causam dicere deberet.
Ferner ist eine Mailänder Urkunde aus den Jahren 721 bis
744 anzuführen 8 ). Ein königlicher Missus berichtet, dass ihm
im Freiheitsprozess des Lucius wider Toto de Campelliuni der
Inquisitionsbv etil ertheilt worden sei:
et fecemus ipso Totune venire in ante nus estum Luciune
iudicium avendum,
d. h. er befiehlt dem Beklagten vor Gericht zu erscheinen, um
sich dem Kläger gegenüber zu rechtfertigen.
Zwar ist dies ein Statnsprozess; aber nach den obigen Be-
merkungen hat es kein Bedenken, ihn für unsere Frage zu ver-
werthen, ebenso wenig wie einen anderen Statusprozess aus
dem Jahre 762 3 ). Der Abt des Benediktusklosters zu Benevent
erhebt vor dem Herzog Klage gegen verschiedene Hörige, die
sich der schuldigen Dienste zu entziehen suchten.
Nos quippe — erklärt der Herzog — dum talia audis-
semus, continuo iussimus ante nostra vestig-ia ipsos tto-
mines 4 ).
Diesen Beispielen können noch einige weitere aus der
*) Troya III p. 158 n. 400. Brunetti p. 426 n. 6. Ughelli I c. 410.
*) Ood. Lang. c. 133 n. 73. Fumagalli p. 18. Troya IV p. 354.
*} Troya V p. 166 n. 779. Ughelli VIII c. 617.
*) Diese drei Beispiele führt auch Op et, Prozesseinleitungsformen S. 98,
99 an, um die Behauptung Fickers, die zeitgenössischen Urkunden enthielten
keine Beispiele der Bannition (Forschungen zur Reichs- und Rechtegeschichte
Italiens I 8. 30), zu widerlegen.
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17
Zeit nach der Vereinigung mit dem Frankenreich hinzugefügt
werden.
In einer luccheser Gerichtsurkunde aus den Jahren 801 bis
802 handelt es sich um eine von dem Vogt der Silvesterkirche
erhobene Klage; die Vorsitzenden beurkunden, dass sie den Be-
klagten geladen haben:
fecimus ipsum (den Beklagten) in placito die ante nos
venire *).
Im Jahre 827 klagen im missatischen Gericht zu Turin sieb-
zehn Bewohner der Villa Oulx gegen das Kloster Novalese, das
von ihnen zu Unrecht Dienste fordere. Der Vorsitzende, Graf
Boso,
in suis praesentiis vel suprascriptis hominibus fecit venire
Ghiseberto de Felecto, qui est avogado de prefato mona-
sterio, quod exitxde responsum daret' 1 ).
Das Ambrosiuskloster zu Mailand klagt 859 vor Angilbert,
dem Erzbischof und Königsboten, dass Lupo, ein Vasall des
Erzbischofs, Besitzungen in fundo Colonia unrechtmässig inue-
habe.
Hoc audito ipse pontifex et misstis dni imperatoris commen-
davit Gisoni diacono et vicedomno sao, ut facerit venire sui
presentia eodem Lupone simtd et avocatore de parte ipsius
monasterii ex ac causa ad ratioixe standum et iuditium
habendum *).
Also auch hier obrigkeitliche Ladung beider Parteien.
Dann in der späteren Zeit werden die Beispiele spärlicher,
wenigstens von solchen Fällen, in denen nicht Versäumniss-
verfahren eintritt; von diesen wird noch später zu sprechen
sein. Dagegen wird man wohl noch in folgenden zwei Ur-
kunden deutlich die Erwähnung der Bannitio im ordentlichen
Verfahren erkennen können.
Die eine berichtet, dass im Jahre 998 die Priester der
Eustathiuskirche zu Rom den Kaiser Otto III., als dieser mit Papst
Gregor V. in der Basilika des heiligen Petrus residierte, angingen,
*) Memorie di Lucca IV 2 p. 6 n. 3.
*) Monum. Patriae Chart. I p. 34 n. 19. Moratori Ant. 1 c. 481.
Ficker p. 14 u. 10.
’) (Jod. Laug. c. 341 u. 207. Fumagalli p. 326. Giuliui 1 p. 447.
Hübner, tränk. InunobiU&rprozega.
>
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i8
ihnen gegen den Abt Hugo von Farfa Recht zu verschaffen,
der ihnen zwei in den alexandrinischen Thermen gelegene
Kirchen bestreite. Es heisst:
inter hatte redamationem, casu accidente, affuü Hugo ab-
bas in basüica beati Petri apostoli. Ipsa hora residebat
in iudicio dnus Leo archidiaconus s. imperii paiatii ex
parte dni imperatoris una cum Johanne urbis Romae prae-
fecto et iudicibus Romanis ex parte dni papae. Tune sta-
tim fecerunt venire Hugonem abbatem in iudicio, cui et
dixii Leo archidiaconus: volo ut respondeas istis presbi-
teris, qui quaerimoniam habent super te l ).
Die Sache hat sich also so verhalten, dass der Kaiser die bei
ihm angebrachte Klage vor das gleichzeitig in seinem und des
Papstes Namen tagende Gericht überwiesen hat, und dass die
Vorsitzenden dieses Gerichtes den Beklagten, der sich zufällig
gleichzeitig in Rom aufhielt, kraft richterlichen Befehls sofort
vorgeladen haben.
Und endlich eine weitere Farfenser Gerichtsurkunde aus dem
Jahre 999*); sie betrifft einen Streit zwischen dem Abt von
Farfa und dem Abt des Klosters der heiligen Cosmas und Da-
mianus um die cella s. Marine in Minione, die, wie der Abt
von Farfa vor Kaiser Otto III. klagt, ihrerseits jenem Kloster
per emphitensin cartulam, nämlich auf Lebzeiten von drei auf-
einanderfolgenden Äbten, verliehen worden sei, die jetzt aber
ihnen zu entziehen versucht würde. Auf den Klagevortrag hin
praecepit dnus imperator predicto Hugoni abbati ire cum
suis nuntiis ad Lateranense palatium ante praesentiam
Gregorii papae, ut lex fierit. Advocatusque est Gregorius
abbas monasterii s. s. Costnae et Datnmni ad placüum.
Offenbar also Bannitio des Beklagten, wenngleich nicht ganz
klar ist, ob sie vom Kaiser oder vom Papst ausgeht.
Die Ladung durch die Partei, die Mannitio, und die Ladung
durch richterlichen Befehl, die Bannitio, waren Zwangshand-
lungen; sie waren für Fälle berechnet, in denen der Gegner
sich jeder anderen nicht mit Zwangsgewalt ausgestatteten Auf-
forderung widersetzen würde.
*) Regesto di Farfa III p. 137 n. 426. Muratori Scriptores II h c. 505.
*) Regesto di Farfa III p. 149 n. 437. Muratori Scriptores II b c. 500.
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19
Jedoch war es natürlich auch möglich, dass der Gegner
von vornherein bereit war, sich auf einen Rechtsgang mit dem
Kläger einzulassen. Dann bedurfte es keiner zwangsweisen
Ladung; es genügte, dass die Parteien sich verabredeten, zu-
sammen vor Gericht zu erscheinen. Das heisst, sie schlossen
ein Streitgedinge ab 1 ), das nicht wie die Mannitio ein ein-
seitiger nur vom Kläger ausgehender Akt, sondern ein zwei-
seitiges Rechtsgeschäft ist. Es wird in rechtsförmlicher Weise
geschlossen: der Beklagte gelobt, in dem Termin zu erscheinen,
um dem Kläger zu Recht zu stehen.
Hierfür verwenden die Quellen den Ausdruck placitum uil-
ramire, der auch da gebraucht wird, wo bei Vertagung der
Sache die Parteien ihr Erscheinen im neuen Termin geloben.
So heisst es in einer Formel von Sens -), dass der nun aus-
gebliebene Beklagte sein Erscheinen ante comite aframitum ha-
buissä; eine Formel von Tours 3 ) erwähnt dabei ausdrücklich
die Festuca (per fistucam adfr andre), woraus wir also ersehen,
dass die feierlichen Verpflichtungssymbole zur Verwendung kamen.
Auch Bürgen wurden bei dieser Gelegenheit benutzt; das
zeigt uns eine Gerichtsurkunde Karls des Grossen von 818 4 ):
der Kläger trägt vor, der Beklagte habe ihm Bürgen gestellt,
innerhalb von 42 Nächten im Königsgerielit zu erscheinen.
Ein Streitgedinge wird man auch in einem Placitum König
Chlodovechs III. von 692 5 ) zu erkennen haben, in dem der Abt
von St. Denis wider den Abt Ermenoald um eine von diesem
übernommene Bürgschaft Klage erhebt. Es wird vom Kläger zur
Begründung angeführt, dass Parteien im geistlichen Gericht vor
Bischof Siegfried von Paris übereingekommen seien, den zwischen
ihneu aus Anlass jener Bürgschaft schwebenden Streit entweder
durch einen vom Beklagten vor dem Bischof selbviert zu schwö-
renden Eid, oder vor dem Königsgerielit im Wege Rechtens
auszutragen.
'■) Hierüber siehe jetzt Brunuer KG II S. 340, 341.
') Gart. Sen. n. 10 HGF p. 189.
*) Addit. e codicibu» Form. Turon. n. 6 MGF p. 161.
4 ) Nr. 197 Tardif p. 76 n. 103. Bouquet V p. 776. Mülilb. 455.
*) Nr. 36 DDM p. 53 n. 60. Tardif p. 24 u. 30. Pardessns II p. 22.)
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20
Allerdings, hier handelt es sich nicht um einen Immobiliar-
prozess, wie auch jene beiden fränkischen Formeln sich nicht
direkt auf einen solchen beziehen, wenngleich sie auch da ver-
wendet werden konnten.
Die Spärlichkeit urkundlicher Belegstellen erklärt sich auch
hier wieder aus dem Umstand, dass die aussergerichtlichen Vor-
gänge in den Text nicht anfgenommen zu werden pflegten. Nur
aus Baiern liegen eine Reihe direkter urkundlicher Zeugnisse
für den Abschluss eines Streitgedinges vor; auch dadurch wird
die Annahme Brunners 1 ) gestützt, dass in Baiern das Streit-
gedinge wahrscheinlich die regelmässige Einleitung des Rechts-
gangs gewesen ist.
So berichtet z. B. eine Urkunde aus dem Jahre 798 s ) von
einem um die Martinskirche zu Haushausen geführten Streit.
Diese Kirche beanspruchten Hiltiport und Egilolf ihren Mit-
erben gegenüber,
atque omnes coheredes, wie es in der Urkunde heisst,
contentionem inter se pro ipsam ecclesiam habuerunt. Et
tune congregati fuerunt Hosi et fecerunt concüium inter
ittos et non potuerunt se pro ipsam ecclesiam coadunare
vel reconciliari et dicebant Ejoni presbytero (dem einen der
Miterben) Oadalker et Reginhart vel Nibilunc (also drei
der Hosi), id veniret ad suum episcopum et nuntiaret
illi, et ipse sic fecit et Ute domnus episcopus misit ülum
cum suis coheredibus ad missis dominicis in locum, quae
dicitur Lorahlw, in rnonte nuncupante Wartperc, ibi fuit
Am episcopus, Keroldus, Meginfredus, ' Wolfwolt et Ri-
micoz iudex, et ibidem in presentiam venerunt Ejo pres-
byter cum suis coheredibus.
Man kann also annehmen, dass die streitenden Erben zunächst
auf jenem Concilium durch Vermittelung der Familienglieder des
Geschlechts der Hosier, dessen Angehörige sie höchst wahrschein-
lich waren, sich gütlich aussergerichtlich zu einigen versuchten,
dass sie dann aber auf Rath jener beschlossen, die Sache im Wege
Rechtens auszutragen, und zu diesem Zweck ein Streitgedinge
eingingen ; denn aus dem Wortlaut ist zu entnehmen, dass auch
■) EG II S. 341.
*) Nr. 140 Meich. I 2 p.9ö n. 129. Vgl. Stutz Kirehl. Benefizial wesen I § 15.
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die Beklagten Egilolf und Hiltiport nicht gezwungen, sondern
aus freien Stücken vor Gericht erschienen sind.
Ferner gehört folgender Fall hierher 1 ). Im Jahre 804
wurde zu Tegernsee vor dem Erzbischof von Salzburg die Klage
des Bischofs von Freising wider den Abt von Tegernsee um
verschiedene Kirchen, einen Zehnten und zwei Altäre verhandelt.
Diese Klage war schon gegen den Vorgänger des jetzigen Abtes
auf einem früheren Tage zu Regensburg verhandelt worden.
Dort hatte der Abt Rückgabe der streitigen Gegenstände ge-
lobt. Dann aber war er, ehe das geschehen, gestorben. Um
nnn die Sache zu erledigen, waren der Bischof und der neue
Abt übereingekommen, die Verhandlung von neuem vor Gericht
aufzunehmen :
pro hoc condixerunt publicum placitum fieri,
sie verabredeten einen gerichtlichen Termin; also ein Streitge-
dinge in deutlicher Gestalt.
Auch in folgendem Fall scheint der Wortlaut für ein frei-
williges auf Grund eines Streitgedinges erfolgendes Erscheinen
der Beklagten zu sprechen 2 ). Es heisst, ein Abgesandter des
Bischofs von Regensburg sei im Gericht zu Chambe am Regen
erschienen, um gegen sieben Bewohner dieses Orts um die der
bischöflichen Kirche von Herzog Tassilo in der dortigen Ge-
markung geschenkten Besitzungen zu klagen. Venerunt etiam
et illi, die Beklagten.
Konnte in den bisher genannten Beispielen mit ziemlicher
Sicherheit in bestimmten Wendungen der deutliche Hinweis auf
ein Streitgedinge erblickt werden — und auch in italienischen Ur-
kunden findet sich nicht selten eine aussergerichtliche Vorver-
handlung erwähnt, in der die Parteien sich verpflichteten, den
Streit vor Gericht zum Austrag zu bringen s ) — , so giebt es ausser-
dem eine grosse Zahl von Urkunden, in denen eine direkte
Erwähnung vorangegangener Verabredung fehlt, deren Stilisie-
rung sie jedoch als sehr wahrscheinlich erscheinen lässt. Hier-
her gehört, wie mir scheint, die grosse Mehrzahl der italienischen
Gerichtsurkunden. Ihre regelmässige Formulierung ist die,
*) Nr. 170 Meich. 1 2 p. 92 n. 121. Mon. Boica VI p. 151 n. 1.
! ) Nr. 223 Ried C. d. ep. Ratisb. I p. 17 n. 20.
*) Vgl. Ficker Forschungen I S. 23. .
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dass gesagt wird, Parteien seien vor Gericht erschienen, da sie
einen Streit hatten : venerunt in iudicium aUercationem habendes *).
Da, wie wir gesehen haben, gerade in italienischen Urkunden
nicht selten die Ladung durch Bannitio erwähnt wird, scheint
eine solche neutrale Phrase, die sich am besten auf gegensei-
tiges Einverständniss beziehen lässt, für ein Streitgedinge zu
zeugen. Noch stärker tritt dies Einverständniss in der Wen-
dung hervor, die die meisten cavenser Urkunden verwenden:
coniuncti sumus ad finem faciendum inter nos de intentione 2 ),
die sich aber gelegentlich auch in Norditalien findet 3 ).
Selbstverständlich ist es, dass in den Scheinprozessen, von
denen noch später die Rede sein wird, keine zwangsweise er-
folgende Ladung stattgefunden, dass hier vielmehr volles Ein-
verständniss zwischen den Parteien geherrscht hat; und wir
finden in Urkunden über solche Prozesse ganz die gleichen Wen-
dungen wie in denen über wirkliche Streitigkeiten gebraucht;
schon aus diesem Umstand kann man schliessen, dass häufig
auch da ein Streitgedinge vorangegangen sein mag, wo der Text
des Placitums keine direkte oder indirekte Spur mehr aufweist 4 ).
Neben der Ladung und dem Streitgedinge ist nun noch
eine dritte eigenthümliche Form der Prozesseinleitung zu er-
wähnen. Einige zwar nur spärliche aber deutliche Zeugnisse
sind dafür vorhanden, dass es, wie im Mobiliar-, so auch im
Immobiliarprozess eine Einleitung des Rechtsstreits durch Ane-
fang gegeben hat. Im Rechtsstreit um bewegliche Sachen griff,
um Bekanntes kurz zu berühren ■’’), das Anefangsverfahren dann
*) So z. B. Troya II p. 633 n. 340 (674); Mem. di Lucea V a p. 5
n. 5 (716); Troya IV p. 85 n. 548 (742); IV p. 221 u. 592 (746); IV p. 371
n. 641 (750) und unzählige andere.
») Z. B. Cod. C'av. II p. 51 u. 253 (967); p. 79 n. 274 (973); p. 117
li. 302 (978).
s ) Cod. Lang. c. 424 n. 249 (870). Auch wenn z. B. in einem Placitum
Karls des Grossen (Nr. 134 Beyer mittelrhein. UB I p. 41 n. 37. Mühlb. 326)
von den Parteien, dem Abt von Prüm und einem Grafen Nnno, als ad
nostram altercando accedentes presentiam gesprochen wird, könnte man aus
dieser Fassung den gleichen Schluss ziehen.
*) Man vgl. z. B. Nr. 64 n. 73.
6 ) Siehe jetzt die zusammenfassenden Erörterungen in Brunners
RG U § 118. •
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Platz, wenn der Bestohlene die ihm abhanden gekommene Sache
im Besitze eines Dritten fand, und wenn die Vorbedingungen
für die Vornahme der Spurfolge nicht Vorlagen. Der Anefang
war ein „rechtsförmliches Anfassen“ der gestohlenen Sache.
Diese rechtsförmliche Handlung wird in fränkischen Quellen mit
den Ausdrücken in tertiam manutn mitten-, häufiger intertiare,
bezeichnet. Die Erklärung für die Verwendung dieses Aus-
drucks ist nach Brunner darin zu sehen, dass durch das An-
fassen des Gegenstandes zwar der Vorwurf des Diebstahls, freilich
nicht im subjektiven Sinne als gegen den Besitzer gerichtet,
vielmehr objektiv erhoben wird: der Kläger behauptet, die Sache
sei gestohlen worden. Hat der Besitzer sie nicht gestohlen, so
muss ein Dritter den Diebstahl verübt haben. „Der Anefang
schliesst daher stets die an den Besitzer gerichtete Frage in
sich: Von wem hast Du die Sache“ '). Dadurch wird der Besitzer
veranlasst, sich auf den Dritten, von dem er die Sache erhalten
hat, zu berufen, sich an die dritte Hand zu ziehen.
Dieser selbe Ausdruck nun, intertiare, wird in einer alten
fränkischen Quelle auch mit Bezug auf den Immobiliarprozess
verwendet; nämlich in der Decretio Childeberti II. vom 29. Feb-
ruar 596 c. 3. In der fraglichen Stelle dieses Gesetzes wird
über die Verjährungsfristen Bestimmung getroffen: inter prae-
sentes solle die Klage in 10, gegen Waisen in 20 Jahren ver-
jähren. Das Gesetz drückt sich negativ aus: innerhalb der ge-
nannten Zeitabschnitte solle Niemand klagen dürfen: nullam
habeat licentiam inter ciandi*). Also hier und ebenso noch
zweimal im nächsten Satz wird für Klagen schlechtweg inter-
ciare gesagt, und zwar ausdrücklich auch für Klagen um Grund-
stücke (de campo). Es ist das ein wichtiges Zeugniss dafür,
dass ursprünglich nach fränkischem Recht auch im Immobiliar-
prozess das Drittbandverfahren das einzige, die Vertheidigung
') Brunner a. a. U. S. 499.
’) Buretius Capitnlaria I p. 15: Hinunter Treiecto convenit, ut serco,
campo aut qualibet res ad unuin ducem et unum iudicem pertinentes per
decan annos quicumque inconcusso iure possedit, nullam habeat licentiam
interciandi, nisi tantum causa orfanorum usque eicesimo anno licentiam
tribuiipus. t^uod si quis praesumpserit interciare, solidos 15 solvatj et res
quae male interdavit amittat. — Vgl. Schröder RG S. 352, 353 Anw. 39.
Brunner RG 11 S. 614.
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durch Ziehung auf den Gewährsmann die einzig mögliche war;
wir werden diese Thatsache in unserem zweiten Kapitel weiter
verwerthen.
Die Bedeutung der eben besprochenen Kapitularienstelle
kann durch den Mangel weiterer urkundlicher Zeugnisse der
fränkischen Zeit nicht geschmälert werden; dieser Mangel wird
überdies durch die von Brunner entdeckte Thatsache ausge-
glichen, dass noch niederrheinische Urkunden aus dem 14. Jahr-
hundert eine interciatio von Grundstücken kennen 1 ); auch hier
ermöglichen und erleichtern uns Zeugnisse einer späteren Zeit
den Rückschluss auf ursprüngliche Einrichtungen.
Und auch der Ausdruck Anefang selbst wird in jüngeren,
mittelalterlichen, Rechtsquellen bei Rechtsstreitigkeiten um
Grundstücke verwendet. B ehrend 8 ) hat im Anschluss an eine
gleichfalls zuerst von Brunner 8 ) hervorgehobene Stelle einer
südholländischen Rechtsquelle gezeigt, dass in einer Reihe von
theils niederländisch-fränkischen theils sächsischen Rechtsdenk-
mälern aus der Zeit der Rechtsbücher ein Anefang von Grund-
stücken erwähnt wird, der insbesondere vom Erben vorgenommen
wurde, w T enn ihm ein Erbprätendent das ihm durch Erbgang er-
worbene Gut nicht herausgeben will. Durch solenne Ergreifung
des Thürpfostens nimmt der Erbe das streitige Grundstück in
Anspruch 4 ).
Diesen Zeugnissen des späteren Rechts gegenüber müssen
wir den Mangel von solchen aus früherer Zeit dem Zufall und
wiederum dem Umstand zuschreiben, dass es sich um vorge-
richtliche und darum urkundlich nicht fixierte Vorgänge handelt.
Denn die Annahme, man habe erst später nach Analogie des
Mobiliarprozesses den Anefang von Grundstücken eingeführt,
verbietet sich von selbst. Um so mehr, als wenigstens noch
für ein Rechtsgebiet ein Zeugniss aus älterer Zeit vorliegt,
nämlich für das langobardische. Ein Gesetz König Liutprands
') Brunner KG II S. 513.
*) Anevang und Erbengewere. Festschrift im Namen und Auftrag der
Breslauer Juristenfakultät (für G. Beseler) verfasst von J. Fr. Bebrend.
Berlin 1885.
*) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, gern. Abth. IV
1884 S. 236.
*) Vgl. auch die Darstellung von Heusler, Institutionen II S. 662 ff,
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vom Jahre 735 *) setzt eine Strafe gegen den fest, der ohne
öffentlichen Auftrag eigenmächtig auf einem fremden Grund-
stück unter der Behauptung, es gehöre ihm, eine iciffa, d. h.
einen Strohwisch, aufgesteckt hat und nachher das von ihm be-
hauptete Eigenthum nicht beweisen kann.
Hier also bei den Langobarden geschah der Anefang eines
Grundstücks durch das rechtsförmliche Aufstecken der wiffa,
das somit dem niederländischen und sächsischen Ergreifen des
Thürpfostens entsprach *).
Wie erwähnt, hatte die Klageerhebnng durch Anefang et-
was unpersönliches; sollte man sie vielleicht eben aus diesem
Grunde für die älteste Form halten, die zu einer Zeit aufge-
kommen wäre, als es noch kein persönliches Eigenthum am
Grund und Boden gab?
2. Die Klageerhebung.
Durch Mannitio oder Bannitio gezwungen, auf Grund einer
Anefangsklage oder eines Streitgedinges ist nun also der Be-
klagte vor Gericht erschienen. Jetzt erhebt der Kläger seine
Klage. Mit der Klageerhebung beginnt das gerichtliche
Verfahren.
Auch die Urkunden über Immobiliarprozesse beginnen, wie
gesagt, meist mit der Erwähnung der Klageerhebung, ohne auf
die Art der Ladung Rücksicht zu nehmen, die eben, wie sich
hieraus entnehmen lässt, auf die Art der Klageerhebung ohne
Einfluss war 5 ). Es heisst kurzweg, der Kläger sei erschienen
und habe geklagt. Dafür werden verschiedene Ausdrücke ver-
wendet: interpellare *), petere, repetere allein oder auch in Ver-
') Liutpr. 148: St quis ex stia auctoritate terra aliena situ publico
ttissu t cifavertt, dicendo quod sua debeat esse, et postea non potuerit provare
quod suct sit, conponat soltdos sex, quomodo qui palo in terra aliena figit.
*) Vgl. Brunner RG II S. 459, 614.
a ) Brunner a. a. 0. S. 614.
4 ) Z. B. Nr. 57 DDM p. 73 n. 83: Interpellant dum diceret ; Nr. 81
Tardif p. 638 n. 57>> : venientes visi sunt interpellare; Nr. 174 Meich. I
2 j>. 93 n. 122: ibique surrexerunt et interpellaverunt.
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Hindling mit interpellare *), se proclamare 3 ), reclatnare 3 ), querere*),
ja auch accusare wird gebraucht 3 ); manchmal wird nur gesagt,
der Kläger habe dem Gericht das und das vorgetragen 6 ).
Nicht selten findet sich hier in den Gerichtsurkunden aller
Stämme und bis in ziemlich späte Zeit hinein der Ausdruck
tnallare, admallare (von mäli, mahalizze Klage ahd. mahalön, a-
fränk. * atmallön 7 ). Aus dem Gebiet der fränkische« Rechte
können folgende Beispiele genannt werden: Nr. 19 H ) homo . . .
mallamt pro res suas\ Nr. 100 !l ) : der Beklagte schwört, er sei ver-
klagt worden, me Ule homo in mallo publico mallabat ; Nr. 372 10 );
veniens E. vistis est interpellare sive admallare A. eo quod . . . ;
es ist eine Klage gegen einen Hörigen. Eigenthümlieh und
wichtig ist eine Urkunde aus der spauischen Mark von 850”).
Der Bischof von Gerona war von einem gewissen Leo im Königs-
gericht um einen Neubruch verklagt worden (liier wird der Aus-
druck reclatnare gebraucht). Der König weist die Klage an das
Volksgericht. Der Kläger macht dem beklagten Bischof von
dem schriftlichen Befehl des Königs Mittheilung, worauf der
Bischof einen Vertreter (assertor) sendet, der im Gericht dem
Kläger antworten solle; tune ego Leo, sagt der Kläger, mallavi
isto mandatario.
') Z. B. Nr. 75 DDM p. 107 n. 22: Kläger veniens interpellubut . .
repetebat; Nr. 77 Mabillon Dipl. I p. 511 n. 40: veniens interpettahut repetem ;
Nr. 318 Marca Hisp. c. 799 n. 16: veniens petivit et dixit.
*) Nr. 175 Wartmann I p. 177 n. 187: veniens proclamavit eo quod . . .;
Nr. 263 Guerard Polyptyque de l’alibe Irminon II p. 344 app. n. 9 : cenientes
se proclamabant eo quod ....
s ) Nr. 432 Gallia christ. XIV instr. c. 53 n. 37.
4 ) Nr. 138 Mon. Boica XXVIII 1 p. 23 u. 25: quaesierunt benefitiolum
dixeruntque ; Nr. 169 Graf Hundt Abh. XII p. 219 n. 13: quesivit dicendo-,
Nr. 247 Meicli. I 2 p. 249 n. 473: ibi surrexit et querebat.
5 ) Nr. 312 Cartnlaire de Redon p. 148 n. 192: cenientes interpellantes
atque accusantes, und ähnlich in zwei weiteren Urkunden derselben Sammlung :
Nr. 315 p. 49 n. fit, Nr. 387 p. 198 n. 247.
•) Z. B. häufig die Formel veniens suggessit dum diceret (so oder ähn-
lich in Nr. 52, 53, 55, 56, 60, 114), veniens adserebat (61), veniens innotuit (84).
t) Brunner RG I S. 179; v. Amira Recht S. 190.
8 ) Form. Andec. n. 43 MGF p. 19.
9 ) Gart. Sen. n. 21 MGF p. 194.
>») Tardif p. 130 n. 202.
»>) Nr. 329 Marca Hisp. c. 783 n. 21.
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Und ähnlich verhält es sieh in einer Urkunde aus dem
Jahre 918 *): im Gericht des Markgrafen Richard erscheint
Abbo. der Vertreter des Bischofs von Antun.
reclamans qmsdam res s. Nazarii contra Cadilonem. linde
ad judicium scabinorum idem Abbo mallavit supradictum
Cadilonem.
Das Wichtige in diesen beiden Urkunden ist, dass hier der Aus-
druck mallatio nicht für die Ladung, sondern ausschliesslich für
die Klageerhebung verwendet wird und zwar in dem ersten
Beispiele, nachdem der Beklagte durch königlichen Befehl, also
durch Bannitio, vorgeladen ist. Daraus folgt, worauf noch nach-
her näher hingewiesen werden soll, dass von einer Mallatio ganz
ohne Rücksicht auf die vorangegangene Form der Ladung ge-
sprochen werden kann, dass die Erwähnung der Mallatio keines-
wegs eine vorangegangene Ladung unmöglich erscheinen lässt.
Die weiteren fränkischen Beispiele sind folgende, Nr. 373"):
der Kläger erscheint, um causas perquirere vel tnallare ; Nr. 412®):
veniens A. (vor das Königsbotengericht zu Tours) interpellabat et
admaUabat Wifredutn ei dicens ; Nr. 441 4 ): der Kläger, heisst
es, interpellavit den Beklagten und mallando dixit ei; endlich
noch eine Urkunde aus der spanischen Mark, Nr. 457 5 ): der
Kläger berichtet, dass er gegen den Beklagten Klage erhoben
habe, unde ego Laurentius mallavi Gontefredum.
Den fränkischen Beispielen können einige aus dem bur-
gundischen Gebiet angefügt werden; bereits die oben erwähnte
Urkunde von 918 (Nr. 488) gehört geographisch hierher. Nr.
215 6 ): veniens F. mallabat hominem M., requirebat ei . . Nr.
220 ’): veniens F. mallabat hominem A., requirebat ei . . . ; 8 ) ferner
*) Nr. 488 Gallia Christ. IV instr. c. 67 n. 28.
*) Vaissete II c. 346 n. 169, Th p. 143 n. 101 (868).
*) Bibliothfeque de l’fecole des ^hartes XXX p. 427 (878).
4 ) Mfenard p. 16 n. 3, Germer-Durand p. 17 n. 8, Th p. 167 n. 114 (893).
6 ) Marca Hisp. c. 835 n. 60 (901).
•) Pferard p. 35 n. 18 (816).
’) Pferard p. 34 n. 15 (819).
*) Ganz ebenso ferner Nr. 234 PGrard p. 35 n. 17 (821), Nr. 369 Pferard
p. 147 Th. p. 140 n. 100 (867), Nr. 371 Pferard p. 34 n. 14 (868, Klage
gegen einen Hürigen), Nr. 379 Pferard p. 149 Th p. 143 n. lOOter (870).
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Nr. 424 '): vetiiens G. proclamavü se de A. et mallavü ülum ; Nr.
452 2 ): venit der Kläger mallarit W. dum diceret ....
Auch aus dem Gebiet des alamannischeu Rechts lässt sich
der gleiche Sprachgebrauch belegen : in einer St. Galler Urkunde
aus den Jahren 800 bis 820 3 ) heisst es, zwei Leute amallave-
runt Edalecu et fratre seu (suo) Vigelio de terra devere. Und in
einer Züricher Urkunde von 893 4 ) wird von den Parteien
gesagt questum habuerunt invicem se maUantes. Ja, ein Beispiel
wenigstens findet sich auch für Baiern: im Jahre 822 kommt
ein gewisser Bernhard in das placitum publicum et ibi mallavü
den Bischof von Regensburg und seinen Vogt 5 ).
Eigentümlich ist der Sprachgebrauch in den italienischen
Urkunden 8 ). Auch hier findet sich der Ausdruck mallare, aber
nur in einer ganz bestimmten Anwendung. Wenn nämlich die
Sache vertagt worden ist, und nun die Parteien in dem neuen
Termin erscheinen, so pflegt der Kläger oder der Beklagte, je
nach der Lage des Falls, den Vortrag des Thatbestandes mit
den Worten zu beginnen, schon einmal sei Klage erhoben
worden. Und bei dieser Gelegenheit wird fast immer das
Wort mallare gebraucht, das sich, so viel ich sehe, so gut wie
niemals in den Urkunden auf die ersten Termine bezieht.
Als Beispiele habe ich folgende Fälle anzuführen. Der
Kläger erklärt in einer mailänder Urkunde von 844 im Be-
weistermin, bereits im vorigen Termin malavi istum Teutpertum 7 ).
Ebenso heisst es in einer luccheser Urkunde von 865 : iam ves-
tri presencia malavi istum Mintonem 8 ); in einer mailänder von
918 s ): dudum in iudicium malavi istum Adelardum ; in einer
bergamasker von 919 10 ): iam dudum malavimus.
') Chart, de Cluny I p. 34 n. 29, Th p. 161 u. 109 (887).
») Cart. de Mäcon p. 169 n. 284 (888-898).
s ) Nr. 227 Wartmann I p. 329 n. 354.
*) Nr. 440 Zürich. UB I p. 70 n. 159.
*) Nr. 241 Ried C. d. ep. Ratisb. I p. 24 n. 23.
•) In den italienischen Gesetzen kommt das Wort zweimal vor (Loth. 78
und 80).
T ) Cod. Lang. c. 265 n. 154. FumagaUi p. 243. Muratori Ant. I c. 467.
*) Mein. d. Lucca IV 2 app. p. 64 n. 51.
*) Cod. Lang c. 822 n. 475. Mnratori Ant. I c. 465.
l0 ) Cod. Lang. e. 837 n. 486. Lupus Cod. dipl. Bergom. II p. 113,
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In passiver Formulierung im Munde des Beklagten erscheint
der Ausdruck in einer mailänder Urkunde von 865 l ) : der Be-
klagte spricht in seiner Entgegnung von den Gegenständen
unde me mattastis', in einem Königsplacitum von 880 2 ) heisst
es im Klagevortrag des Beklagten: dudum maUaverunt nos die
Kläger; ebenso in einer mailänder Verhandlung von 901®), in
einer modenesischen von 945 *), und ähnlich in einer luccheser von
915 5 ). Besonders erwähnenswerth ist eine paveser Urkunde
von 927 6 ): es heisst, die Parteien, der Vogt des Petersklosters
zu Clivate und ein gewisser Giselbertus, seien vor Gericht er-
schienen ; darauf wird der Klagevortrag des Vogtes mitgetheilt,
und dann heisst es:
Cum ipse — der Kläger — talüer sepe clamasset, eun-
dem Giselbertum ita mdUavit. Prediäus (x. nihil inde
responsum dare voluit;
auch der Bannbefehl des Pfalzgrafen kann ihn zu keiner Ant-
wort bewegen. Dies ist der einzige mir bekannte Fall, in dem
bereits im ersten Termin von einem mallare die Rede ist, und
zwar scheint hier das Wort im Gegensatz zu dem blossen dar
tnare eine besonders feierliche Form der Klageworte zu bezeichnen,
und es Hesse sich denken, dass jedesmal dann, wenn eine Ver-
tagung nöthig war, die feierlichere Form angewendet wurde,
die bei sofortigem Erwidern oder bei Erledigung der Angelegen-
heit in einem Termin nicht nöthig war. ÄhnUch fanden wir ja
oben in einer fränkischen 7 ) und burgundischen Urkunde 8 )
zwischen reclamare und mallare unterschieden, und ebenso wird
redamare in den langobardischen Gesetzen im Sinne von münd-
lichem Klagevortrag gebraucht.
Als Ergebniss der angestellten QueUenbetrachtung muss
also bezeichnet werden, dass, wenn die Parteien sich vor Ge-
') Cod. Laug. c. 391 u. 234. Fumagalli p. 375. Giulini I p. 451.
*) Chart, tom. I c. 82 n. 37. Muratori Ant. I c. 359.
*) Cod. Lang. c. 663 n. 396. Moratori Ant. I c. 718.
*) Tirabosehi Modena I b p. 112 n. 92. Muratori Aut. I c. 463.
6 ) Mein, di Lucca V 3 p. 87 n. 1166. Cod. Lang. c. 807 n. 466.
Muratori Ant. I c. 487. Lupus II e. 97.
•) Cod. Lang. c. 981 n. 524. Morbio III p. 154.
’) Nr. 329. Marca Hisp. c. 783 n. 21.
s ) Nr. 488 Gallia Christ. IV instr. c. 67 n. 28.
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rieht getroffen haben, sei es, dass der Beklagte hierzu ge-
zwungen worden ist, sei es, dass er sich selbst dazu verpflichtet
hat, die Klage erhoben und damit das gerichtliche Stadium
des Rechtsstreits eröffnet wurde. Mit diesem Ergebniss, das
mit der herrschenden Lehre übereinstimmt, steht eine neuerdings
vorgebrachte Theorie über die Prozesseinleitungsformen im
älteren deutschen Rechtsgang in Widerspruch 1 ). Sie geht da-
von aus, dass Mannitio, Bannitio und Mallatio drei den gleichen
Zweck, nämlich die Eröffnung des Verfahrens, verfolgende Rechts-
institnte gewesen seien; Mallatio, so lehrt sie weiter, sei die
Einleitung der Klage durch deren Vortrag im Gerichtsding ge-
wesen. Wo also Mallatio stattfand, da sei Mannitio und Ban-
nitio ausgeschlossen gewesen; Vorbedingung für ihre An-
wendung sei die bereits aus anderem Grunde erforderliche
Anwesenheit des Beklagten im Gericht gewesen.
Mit Rücksicht auf diesen letzten Umstand hat der Er-
finder der neuen Theorie sie in einen engen Zusammenhang
mit der Gerichtsverfassung bei den einzelnen Stämmen, insbe-
sondere mit der Gerichtspflicht der Dinggeuossen gesetzt; er
hat zu beweisen versucht, dass da, wo allgemeine Gerichts-
pflicht bestand, vorwiegend die Mallatio zur Anwendung kam;
dass also, so folgert er hieraus, die allgemeine Gerichtspflicht
eben zu dem Zweck bestand, um die Anwesenheit aller Ge-
richtseingesessenen zu gewährleisten , damit nach Bedürfniss
gegen einen von ihnen mit Mallatio eine Klage erhoben werden
konnte. Und andererseits, da wo die Mannitio oder Bannitio
üblich war, habe das seinen Grund darin gehabt, dass eben
keine allgemeine Gerichtspflicht bestand, der Beklagte also in
jedem einzelnen Fall zum Erscheinen vor Gericht veranlasst
werden musste.
Auf diese zum mindesten sehr künstlichen Konstruktionen
einzutreten, ist hier nicht der Ort; aber es erscheint ange-
messen, gegenüber Opets Interpretation der Gesetzes- und
Urkundenstellen wenigstens auf einige der durch eine ver-
gleichende Betrachtung des Quellenmaterials an die Hand ge-
') Opet Geschichte der Prozesseinleitungsiornien iui älteren deutschen
Rechtsgaug. I. Abtbeilung. Die Zeit der Volkareebte. Breslau 1891.
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gebenen Thatsachen hinzuweisen '). Denn wäre 0 pets Annahme
richtig, so müsste auch in Bezug auf die geschichtliche Ent-
wickelung der Einleitungsformen im Immobiliarprozess mit der
herrschenden, auch von uns oben vertretenen Auffassung ge-
brochen werden; man könnte nicht mehr von der Priorität der
Mannitio gegenüber der Baunitio ausgehen, sondern müsste an-
uehmen, dass man die Parteiladuug, einen spezifisch fränkischen
Brauch, erst nachträglich — und zwar vergeblich — als all-
gemeine Ladungsform für den Immobiliarprozess reichsgesetz-
lich einzufühlen versucht habe.
Wenn nun Opet meint, neben der Einleitung des Prozesses
durch Ladung habe bei einigen Stämmen (bei den Langobarden
neben der Bannitio, bei den Burgundern und Franken neben
der Mannitio und Bannitio) eine Einleitung ohne Ladung, eine
Einleitung durch Klageerhebung im Ding bestanden, die sogar
bei denen, die allgemeine Gerichtspflicht hatten, die ausschliess-
liche gewesen sei (Baiern und Alamannen) 8 ), so ist einmal prin-
cipiell zu bemerken, dass uns die Formulierung der Urkunden
überhaupt keine negativen Schlüsse gestattet. Die Mannition
wird in keiner einzigen Urkunde oder Formel ausdrücklich ge-
nannt*); aber da, wie bereits öfter hervorgehoben ist, die Ur-
kunden grundsätzlich die aussergerichtliche Einleitung des Rechts-
streits unberücksichtigt lassen, so ist aus dem Fehlen durchaus
kein Beweis dafür zu entnehmen, dass thatsächlich in all diesen
Fällen keine Mannitio vorangegangen sei. Daher kann man
also auch nicht mit Opet den reichsgesetzlichen Bestimmungen
der genannten Kapitularien gegenüber sich auf die italienischen
Placita berufen, um zu behaupten, dass die Bestrebungen der
Karolinger, die Mannitio in Immobiliarprozessen aufrechtzuer-
halten oder, wie Opet sagt, eiuzufüliren, „ein vollständiges Fi-
asko“ erlitten haben.
Die Urkunden berichten uns lediglich das, was sich vor Gericht
') Es kann sich, wie ausdrücklich bemerkt wird, nicht lim eine Wider-
legung aller anfechtbaren Punkte, sondern nur um die Hervorhebung einiger
Gesichtspunkte handeln; eine eingehende Kritik würde den Umfang einer
eigenen Abhandlung beanspruchen.
*) Von den Angelsachsen sehen wir hier gänzlich ab.
*) In der einen oben (S. 13) erwähnten Formel steht, wie bemerkt,
mannire im Sinne vuu bannire.
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abgespielt hat, und nur ausnahmsweise erwähnen sie nebenher
die vorangegangene Ladung oder lassen durch die Stilisierung
ihrer Ausdrucksweise auf die Form dieser Ladung schliessen.
Wenn sie meist, da das eben für ihren Zweck ausreichte, mit
der Erwähnung der Klageerhebung beginnen, so ist damit nicht
gesagt, dass mit ihr auch der Rechtsstreit begonnen habe.
Vielmehr zeigen uns die in Betracht kommenden Stellen
der Volksrechte, dass überall nur auf Grund einer Ladung,
einer förmlichen Prozesseinleitung, ein Rechtsstreit zu gericht-
liclier Verhandlung gelangte, mag diese Einleitung nun Man-
nitio, Bannitio oder Streitgedinge gewesen sein.
Wie Brunner jetzt hervorhebt 1 ), ist es allerdings nach
manchen mittelalterlichen Rechten dem Kläger gestattet, un-
mittelbar im Ding ohne vorausgegangene Ladung Klage zu er-
heben ( maUare also im Sinne Opets); aber, um seine Worte
zu gebrauchen: „von den Volksrechten des fränkischen Reichs
bezeugt uns nur die Lex Alamaunorum a ) die unmittelbare Er-
hebung der Klage gegen den im Ding anwesenden Kläger“.
Und selbst diese Bestimmung des alamanuischen Rechts
scheint nicht ohne Einschränkung gegolten zu haben. Denn
wenn wir im Schwabenspiegel 3 ) lesen, man könne seinen Gegner,
sieht man ihn vor Gericht in der Schranne stehen, ohne Für-
gebot, d.h. ohne Ladung, beklagen, ausser um Eigen (und Lehn),
so möchte man annehmen, dass diese Beschränkung auch bereits
in der volksrechtlichen Zeit gegolten hat. Dann fiele also we-
nigstens für den Immobiliarprozess auch diese einzige Aus-
nahme fort.
Dass man die Bestimmungen der Lex Baiuwariorum 4 ) nicht
>) RG II S. 341.
’) L. Alatn. 36, 2: Et si quis alium mallare vult de qualecumque
causa, in ipso mallo publico debet mallare ante iudice suo, ut ille iudex eum
distringat secundum legem.
*) Wackernagel 220 (p. 214): Sihet (in man den andern vor gerillte in
der Schrannen sten, er beklaget in wol äne vürgebot; äne umbe eigen unde
umbe lehen. Umbe eigen sol er im wol tac geben in daz dinc, unde umbe
leben für den herren sin. Lassberg 269, Gengier 221 § 2.
4 ) Lex Baiuw. 18, 2: Si quis Uber alicui Ubero, qui eum mallat de
qualicunque re, dedignabitur iustitüm facere, Ule qui quaerit causam suam ,
habeat ibi testes duos cel tres, qui audiant et videant qualiter ille respondeat,
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33
auf eine Mallatio im Opetschen Sinne beziehen kann, zeigt jetzt
gleichfalls Brunners Darstellung.
Allerdings wird hier der Ausdruck mallare gebraucht.
Dieses mallare aber bedeutet, wie einer unbefangenen Betrach-
tung unmöglich entgehen kann, aussergerichtliche Ladung des
Gegners in Gegenwart von Zeugen, es ist also sachlich identisch
mit der Mannitio. Der Unterschied besteht nur in den Folgen
der Handlung. Während nach Vornahme der fränkischen Man-
nitio der im Termin ausbleibende Gegner sofort als sachfällig
behandelt wurde, erfolgte hier dann noch eine richterliche Ladung,
also ein wiederholter Versuch, des Beklagten habhaft zu werden.
Möglich, dass mit dieser Erweiterung das Schwanken des Aus-
drucks zusammenhängt; aber dieses kann nicht über die Sache
selbst täuschen. Die Bestimmung des bairischen Rechts steht
auf demselben Standpunkt wie das burgundisclie Recht 1 ), das
gleichfalls zunächst Parteiladung (und zwar wiederholte), Man-
nitio (es braucht dafür den Ausdruck admonvre ) , und, wenn
diese ihren Zweck verfehlt, richterliche Ladung, Bannitio, an-
wendet. Wenn Op et für das burgundische Recht auf Grund
der in Rede stehenden Bestimmung das Vorhandensein der Man-
nitio zugiebt, sie aber für das bairische Recht leugnet, so ist
das nur auf Grund willkürlicher Interpretation des letzteren
möglich*). Unbestritten also ist, dass das burgundische Volks-
recht die förmliche Parteiladung kannte; wie häufig aber ge-
rade die burgundischen Urkunden die Mallatio erwähnen, ist
oben an den betreffenden Beispielen gezeigt. Der einzig zu-
lässige Schluss hieraus ist der, dass eben Mannitio und Malla-
tio sich nicht ausschlossen, dass die Mallatio nicht Ladung,
ut possint ante iudieem teste« esse. Tune iudex iubeat eum in praesenti
venire et iudicet ei, et componat duodecim solidos, quia non dignabatur
iustitiam facere ei qui debuit.
*) Lex Burg. 17, 4: II lud quoque specialiter volunius custodiri, ut
guicunque Burgundio de quacunque causa ab eo, qui-illi litem intendit, bis
admonitus fuerit, ut dato fideiussore ad iudicium Keniat, et si nec fideiussorem
dare nec ad iudicium cenire voluerit: atque hoc factum duobus aut tribus
ingenuis testibus potuerit adprobari, inferat muletae nomine sol. VI. et ad
iudicium nihilominus cenire compellatur.
*) Brunner a. a. 0. S. 340 bereits weist die Opetsche Erklärung des
Ausdrucks iustitiam facere zurück; vgl. auch daselbst S. 282.
Hübner, l'rüuk. immobUiarprozeas. S
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34
sondern Klageerhebung war l ). Sie schlossen sich ebenso wenig
aus, wie Bannitio und Mallatio; wir haben oben eine Urkunde
aus der spanischen Mark besprochen *), in der der Kläger, nach-
dem er die Ladung des Beklagten durch litterae regales , also
doch offenbar durch Bannition bewirkt hat, nun im Termin die
Mallatio erhebt: deutlicher kann nicht bewiesen werden, dass
nicht die Mallatio, die Klageerhebung, sondern die Bannitio die
Prozesseinleitung ist.
Und so können wir, denke ich, diese Erörterung mit dem
Ergebniss verlassen, dass wie der Prozess der fränkischen Zeit
überhaupt, so auch der Immobiliarprozess eine Ladung des
Gegners durch den Kläger oder durch den Richter erforderte,
und dass erst dann, wenn sich der Beklagte, sei es gezwungen,
sei es durch eigene Verpflichtung im Termin gestellt hatte, die
Klage erhoben wurde; auch im alamannischen Recht ist es
möglicherweise nicht anders gewesen.
II. Die Klagebehauptung.
1. Die Grundform der Klage.
Alle Klagen des deutschen Rechts waren, wie bereits be-
merkt, ursprünglich Deliktsklagen, der deutsche Prozess war
ursprünglich Strafprozess.
Auch im Immobiliarprozess handelte es sich darum, ein Un-
recht des Beklagten zu verfolgen. Vom Unrecht des Beklagten,
nicht vom Recht des Klägers, ging man aus.
Das Unrecht des Beklagten, das einen Immobiliarprozess
hervorrief, war, um Brunners Ausdruckzu gebrauchen, „rechts-
widrige Landnahme“, „Landraub“, wie man im Norden, bei den
Friesen und Angelsachsen zu sagen pflegte 8 ).
*) Opet gieht sich iu seinem § 8 grosse Mühe , die Bedeutung des
häufigen Vorkommens der Mallatio in burgundischeu Urkunden möglichst abzu-
schwächen, indem er zu beweisen sucht, dass nicht in allen Fällen, wo die
Quellen mallare oder ähnliche Worte verwenden, es sich um die Prozess-
cinleitung im technischen Sinn handle. Seine Theorie, der er alles unter-
ordnen muss, hat ihn selbst hier verhindert, den falschen Begriff seiner
Mallatio aufzugeben.
«) S. 26. Nr. 329. Marca Hisp. c. 783 n. 21.
*) Brunner BQ II S. 512.
)
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35
Die Klagebehauptung ging dahin, dass der Beklagte sich
widerrechtlich eines Stückes Landes bemächtigt habe; eine
gewaltsame Handlungsweise wurde ihm vorgeworfen ; das
Widerrechtliche dieser Handlungsweise wurde am häufigsten
durch die Worte malo orditie ausgedrückt, aber auch durch Aus-
drücke wie iniuste, violenter uud ähnliche bezeichnet.
Besonders häufig handelt es sich um ein Eindringen, in-
v adere des Beklagten in fremde Besitzungen, durch das er
das klägerische Recht auf ruhigen Besitz verletzt; häufig werden
dabei auch noch einzelne Widerrechtlichkeiten genannt, die sich
der Störenfried bei dieser Gelegenheit hatte zu Schulden
kommen lassen.
So heisst es z. B. in der Klage, die der Bischof von Nimes
im Jahre 892 erhebt, der Beklagte invasit die streitige Villa 1 );
in einem Prozesse zu Arles 967 wird um Güter geklagt, die
die Beklagten contra legem et malutn ordinem invaserunt, tenue-
runt ac possederunt *).
Auch in den Volksrechten ist häufig von der invasio die
Rede 8 ); in einer Stelle des salischen Rechtes wird der genannt,
qui vülam alienam invaserit *).
Auch in Italien ist diese Art der Klagebehauptung nicht
selten. Im Jahre 821 erhebt der Abt von Farfa wider den
Herzog Guinichis den Vorwurf, dass er Besitzungen
iniuste ad regiam partem , also indem er sie als fiska-
lisch in Anspruch nahm, invasisset ■') ;
ähnlich heisst es in einer Klage des Klosters Farfa, die es 829
gegen den römischen Stuhl anstrengt, dass dessen Vertreter
mehrere Besitzungen des Klosters per fortia invasissent 6 ) ; in
einer mailänder Urkunde von 820 bis 840 wird den Beklagten
*) Nr. 434. Vaissete II c. 83 n. 12. Germer-Durand p. 10 n. 5.
’) Nr. 571. Cartulairc de St. Victor de Marseille p. 307 n. 290. Th
p. 201 n. 137.
*) Brunner verweist a. a. 0. Anm. 5 auf die Lex Rib. 69, 8; 60, 3;
Lex Baiuw. 17, 1; App. 4.
*) Septem caus. IV, 4. Hessels p. 424. Behrend p. 130.
*) Regest« di Farfa II p. 207 n. 251.
•) Regesto di Farfa II p. 221 n. 270. Cod. Lang. c. 198 n. 110.
Habillon Ann. II c. 736.
••
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36
vom Kläger vorgeworfen, dass sie in seiner dienstlichen Abwesen-
heit Güter
intro lerunt et nie devesliverunt malo ordine et contra legem
sine ullo iudicio *) ;
ganz ähnliche Wendungen weist eine Urkunde über einen 919
im Gebiet von Bergamo geführten Streit auf 8 ).
Gleichbedeutend mit invadere wird introire gebraucht, z.
B. in einer Extravagante der Lex Salica (B. 10); häufig auch
in italienischen Urkunden, und zwar wird hier meist damit ein
weiterer Vorwurf erhoben, besonders der unrechtmässiger h ort-
nahme von Früchten. So heisst es z. B. in einem Placitum von
865, der Beklagte
contra lege et malo ordine introivit in res y nostres et inibi
arbores iniuste taliavit et terra nostri monasterii aravit et
nos inde devestivit 3 ).
Dem Vorwurf des invadere ist der des pervadere und
der pervasio zur Seite zu stellen. Er begegnet uns in der
Lex Burgundionum 4 ) und Lex Alamannorum 5 ); in’einer Formel
von Angers 6 ); in einer septimanischen Urkunde Won 902 "heisst
es in der Klage : Beklagter pervasit malum ordinem incontra lege
Grundstücke der Kirche von Nimes 7 ).
Ferner sprechen die Quellen häufig von einem per vim, in-
iuste, malo ordine ferre, abstrahere.
So heisst es z. B., als im Jahre 697 vor Childebert III. der
Abt von Tussonval wider Drogo Klage erhebt, die Agenten des
Beklagten hätten die
curtis Nocitum malo urdene de potestate ipsius monasthirie
tullissent vel abstraxissent 8 ).
Ferner: zu Angouleme klagt der Propst von St. Epareh wider Avego,
>) Cod. Lang. c. 242 n. 138. Fumagalli p. 222. Giulini I p. 442.
*) Cod. Lang. c. 837 n. 486. Lupus II p. 113.
*) Cod. Laug. c. 391 n. 234. Fumagalli p. 375. Giulini I p.’451. “Es
giebt viele ähnliche Fälle.
*) Lex Burg. 79, 3: . . . terra a quocunque etiam pervasa . .
s ) Lex Alam. 98, 1 : Si quis res alienas aut ecclesiae malo ordine
pervaserit.
*) Form. Andec. 47 MGF p. 21 : . . tnnia sua . . malo ordine pervasit.
’) Nr. 468. Germer-Durand p. 19 n. 9.
“) Nr. 40. DDM p. 62n. 70. LSch p. 12 n 22.
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quia mancipia s. Eparchi tulerut et retro se tenebat con-
tra legem et Bei iustitiam l ).
Die Mönche von Cluny erheben 903 Klage gegen einen
gewissen Aldebertus,
quia cupiditatis face et seculari rabiae silvam s. Mariae,
que vulgo dicitur Boerecia, prefato monasterio iniuste
tollebat *).
In den Jahren 816 — 836 wird vom Kloster St. Gallen
um Liegenschaften prozessiert, die Albaricus dem Kloster ge-
schenkt hatte, die aber die Schwester des Schenkers und ihr
Sohn
de vestüura s. Galli per oim abstulerunt ’).
Häufig wird ein derartiger Ausdruck in bairischen Urkunden
gebraucht. Der Bischof von Freising klagt z. B.
pro causa s. Mariae, quae abstracto, iniusto ordine fuit 4 ) ;
oder um eine Kirche, welche Oadallant iniuste abstulisset i ); oder
ein Geistlicher klagt wider einen anderen
de tali hereditate, quäle videbatur habere ad Kysalpahc,
dicentem se iniuste ei de vestitura sua abstractum 6 ).
Dass der Ausdruck abstrahere ein technischer gewesen ist,
können wir aus seiner Verwendung in den Volksrechten ent-
nehmen.
Sowohl das bairische als auch das alamannische Volksrecht
gebrauchen ihn in den Bestimmungen, welche für Eingriffe in
das Kirchengut Strafen festsetzen.
Si quis cdiqua persona contra res ecclesiae iniuste agere
voluerit vel de rebus ecclesiae abstraltere voluerit,
heisst es in der Lex Baiuwariorum 1, 2;
et si aliqua persona . ... de ipsas res de illa ecclesia
abstrahere voluerit,
in der Lex Alamannorum 1, 2.
Die Lex Ribuaria verwendet den Ausdruck auferre
*) Nr. 419.
>) Nr. 460.
*) Nr. 288.
*) Nr. 170.
*) Nr. 177.
*) Nr. 328.
Neues Archiv VII p. 634 (880—881).
Chart, de Cluny I p. 91 n. 81.
Wartmann II p. 395 Anh. n. 18.
Meich. I 2 p. 92 n. 121 (804. Juni 16).
Eod. p. 95 n. 125 (807).
Eod. p. 553 n. 658 (849).
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60, 8: quod si quis de ecclesin ediquid vim abstuhrit ;
ebenso die Lex Burgumliomun
9: si quis Burgundio aut Romanus per vim aliquid abs-
tukrit usque ad pullum;
ähnlich heisst es in der Lex Saxouum c. 39:
qui alteri dolose per sacramentum res propnas toUere vuÜ.
Es ist kein Zweifel , dass überall auch Immobilien als
Gegenstände dieser Handlungen gedacht werden können. Zum
Beweise, dass dieselben Ausdrücke in Italien verwendet wurden,
sei auf eine farfenser Urkunde von 811 hingewiesen, in welcher
der Klostervogt also spricht:
facite nobis iustitiam ad partem ipsius monasterii, quia
iste Cruichardus castaldius tulit casas et terras et vinuli
... et devestivit inde monachos et tenet eas contra legem,
pro qua re nescimus 1 ).
Die Quellen verwenden zuweilen noch andere sinuent-
sprechende Ausdrücke.
Als ein solcher kommt einige Male usurpare vor. Man
findet diese Wendung in einem Kapitular zur Lex Salica 2 ),
ferner in einigen bairischen Urkunden; der Vogt des Bischofs
von Freising klagt z. B. 802 wider Reginbert
eo quod iniuste usurpasset sibi res s. ecclesiae 3 ).
Hin und wieder wird das Verbum proprendere verwendet.
Es findet sich in einem bairischen Kapitular, wo es ganz in
dem allgemeinen Sinn von widerrechtlicher Besitzergreifung
fremder Liegenschaften steht 4 ). Ferner in Formeln; in einer
salfränkischen z. B. wird dem Beklagten vorgeworfen:
') R. di Farfa II p. 220 n. 269. Fatteschi p. 290 n. 47.
*) Cap. legi Sal. add. v. J. 819 c. 5 (Boretius I p. 293) ; es ist die Rede
von einem infans infra duodecim annos, das res alterius iniuste sibi tisurpaverit.
») Nr. 166. Meich. I 2 p. 88 n. 116.
4 ) Capitulare Baiwaricum (Boretius I p. 158 n. 69) c. 6: De rebus
propresis ut ante missos nostros et comites seu iudices nostros veniant et ibi
accipiant finitivam sententiam; et inantea nullus praesumat rebus alterius
proprindere, nisi magis suam causam quaerat ante iudices nostros, ut diximus,
et ibi recipiant quod iustum est. Die Stelle der Lex Ribuaria, anf welche
Boretius verweist, gebraucht das Wort in einem engeren, auf eine bewegliche
Sache und eine besondere Art der Ergreifung beschränkten Sinn, c. 75 : si
quis caballum, hominem, vel qualibet rem in via propriserit.
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quot terra sua de suo maso vd de sua proprietate malo
online proprisisset ') ;
in der der Sammlung von Sens angehörendeu notitia sakramentale
beschwört der Beklagte seinen 30jährigen Besitz; er sagt,
quod ego terra sua ... de eorum potestate per fortiam
numquam proprisi aut pervasi 2 ).
Die Lex Ribuaria braucht einmal den Ausdruck super-
prendere s ). Dann begegnet auch wohl gelegentlich in gleichem
Sinn der Ausdruck comprehendere.
Ein Einwohner von Rieti erhebt im Jahre 791 gegen die
Mönche von Farfa Klage,
quia isti monachi comprehenderunt substantiam mearn hic
in Spoleto et Interanuies seu in Fulginea contra legem*).
Endlich ist hier der Ausdruck sacire zu erwähnen. Brunner
hat die verschiedenen Anwenduugsfälle und die sprachliche Be-
deutung des Wortes klargestellt 5 ).
Es ist das Wurzelwort des französischen saisir, „stammt
vom altdeutschen sazjan , ponere, und ist das Transitivum zu
besitzen“. Es findet sich an mehreren Stellen westfränkischer
Formeln 6 ). Einigemale in der Bedeutung: „sich zu einer Sache
ziehen“ 7 ); ausserdem in der: „sich in das Eigenthum eines
Grundstücks setzen“ 8 ).
Dieser Verwendung nahe steht der Sprachgebrauch einer
bereits in anderem Zusammenhang genannten septimanischen
Gerichtsurkunde aus dem Jahre 876, auf welche auch Brunner
hinweist.
Der Bischof von Nimes lässt in seiner Klage vortragen,
dass ein gewisser Bernardus die von dessen Mutter der Marien-
kirche geschenkte
') Nr. 89. Form. gal. Bign. 13 MGF p. 232; ebenso in der dieser
nachgebildeten Form. sal. Merkel. 42 MGF p. 257.
s ) Nr. 100. Cart. Sen. n. 21 MGF p. 194.
s ) Lex Rib. 60, 2: Si quis consortem suum quantulumcumque superpriserit.
*) R. di Farfa II p. 130 n. 154. Fatteschi p. 281 n. 36.
*) Rechtsgeschichte der Urkunde I S. 284, 286.
®) Vgl. das Register der Zenmerschen Ausgabe.
*) Nr. 71. 73. 74. Form. sal. Merkel. 27. 28. 30 MGF p. 251. 252.
•) Marculf. II 41. Form. sal. Bign. 21. 22. Diese Bedeutung hat das
Wort auch in der Formel Marculf. I 36,
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villa Bizagum de potestate ipsius ecclesie tulerit et expo-
liaverat;
dann aber habe Bernardus sein Unrecht eingesehen (se recogno-
vü ä concredidit) und Bürgen für die Rückgabe der Villa ge-
stellt (per suos wadios reddidit). Jedoch
postquam reditam habuü ipsam mllam, sacivit milum
ordinem contra lege 1 ).
Hier bedeutet das Wort, wie Brunner hervorhebt, „eine eigen-
mächtige Besitzergreifung“. Es muss daher unter diejenigen
Ausdrücke eingereiht werden, die besagen, dass der Be-
klagte durch eine rechtswidrige und auf Gewalt beruhende
Handlung das Recht des Klägers verletzt habe.
Übrigens ist sicherlich auch eine andere septimanische Ge-
richtsurkunde hierher zu ziehen. Denn wenn hier der Kläger sagt:
iste presens Rostagnus eas sancivit initiste infra isto anno
malum ordinem incontra lege,
so muss das sancivit sicherlich in ein sacivit verbessert werden *).
In den bisher besprochenen Fällen war die Klagebehaup-
tung direkt auf die unrechtmässige Handlung des Beklagten
gerichtet, durch welche der Kläger sich geschädigt glaubte.
Gerade die besprochenen Formen der Klagebehauptung sind ein
deutliches Zeichen des ursprünglich strafrechtlichen Charakters
auch des Immobiliarprozesses.
Nun findet sich aber in den Quellen auch eine andere Fas-
sung der Klage. Nicht eine einzelne widerrechtliche, gewalt-
thätige Handlung wird dem Beklagten zum Vorwurf gemacht,
sondern es wird allgemeiner behauptet, der Beklagte besitze zu
Unrecht, er halte ein Grundstück unrechtmässig in seinem Be-
sitz fest, zurück.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Klage, so gefasst, sich
bereits deutlicher civilrechtlichen Formen nähert, und man
wird daher die Vermuthung Brunners 3 ), dass diese Klagformel
jüngeren Ursprungs, aus der Klage um anvertrautes Gut ent-
standen sei, wahrscheinlich finden, wenngleich zu beachten bleibt,
dass wir gerade sie bereits in den ältesten urkundlichen Bei-
>) Nr. 404. Th p. 166 n. 107.
s ) Nr. 441. Th p. 167 n. 114.
*) RG n S. 51?.
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41
spielen antreffen, dass auch sie in Folge des bei ihr fast regel-
mässig verwendeten, nachher noch näher zu besprechenden malo
ordine einen strafrechtlichen Zug behält, und endlich dass
jene andere Form, der Vorwurf eines bestimmten Gewaltaktes,
sich, wie wir sahen, neben der anderen bis in verhältnissmässig
sehr späte Zeiten erhalten hat.
Die Klagformel, der Gegner besässe widerrechtlich, malo
ordine tenet, possidet, ist die am weitesten verbreitete, die
typische Form der Im mobiliarklage in der fränkischen Zeit ge-
wesen. Einige Beispiele aus den verschiedenen Rechtsgebieten
und Zeiten werden das veranschaulichen.
In der ältesten erhaltenen nicht italienischen Gerichtsur-
kunde, einem Placitum König Sigiberts vom Jahre 648. dessen
vorliegende Fassung allerdings nur von zweifelhafter Echtheit
ist, treten Beauftragte des Bischofs Kunibert von Köln gegen
Euergisilius mit der Klage auf,
quod vinea in/ra termino Bodofricense post se malo or-
dine retineret *).
Im Jahre 691 klagt der Diakon Chrotcharius vor König
Chlodovech III., dass Chuneberctus mehrere genannte Güter im
pagus Velcasinus
malo ordine contradiceril vel post se retenerit s ).
Derselbe Kläger gebraucht in einer zwei Jahre später er-
hobenen Klage dieselben Worte; er behauptet jetzt, dass Amal-
bercthus den locellus Badane-Curtis
malo ordine post se retenuit 8 ).
Auch in einer 716 vor Chilperich II. geführten Gerichts-
verhandlung geht die Klage dahin, dass der Abt von St. Denis
dem Kläger Grundstücke
malo ordine contradiceril vel post se retenirit *).
Der Ausdruck malo ordine retinere oder ein völlig sinuent-
sprechender begegnet uns weiter in folgenden Urkunden: in
der 751 vor dem Majordomus Pippin vom Abt von St. Denis
wider die Äbtissin von Septmeules erhobenen Klage:
') Nr. 23. Neues Archiv XIII (1888) p. 157.
*) Nr. 35. DDM p. 53 n. 59.
•) Nr. 38. DDM p. 58 n. 66.
*) Nr. 57. DDM p. 73 n. 83,
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quod ipsa res s. Dionisii post se malo urdine retinebat
iniuste J ).
In dem vor Karl dem Grossen 775 zu Düren verhandelten
Prozesse des Bischofs von Paris wider den Abt von St. Denis,
in welchem dem Beklagten vorgeworfen wird, dass er das
Kloster Placicium
ad parte $. Dionisii post se retenibat malo ordine iniuste i ).
In der im selben Jahre vor dem König zu Schlettstadt vom
Kloster Honau gegen das Kloster Corbie erhobenen Klage:
quod illas res in eorum potestnte iniuste retinuisset 3 ).
In der Klage, die 781 der Vogt von St. Denis wider
sechs homines anstrengt,
eo quod rem s. Diontjsii post se retinebant in sua potes-
tate iniuste*).
Auch kann man das Placitum Karls von 771 hierher-
rechnen, in dem der Abt von Fulda den Dagaleichus be-
schuldigt, dass er Grundbesitz des Klosters
malo et iniquo studio detineret et ab utüitatibus ecclesie
sue prohiberet 6 ).
Zahlreiche Beispiele liefern auch die fränkischen und ausser-
fränkischen Pivaturkunden. In einer burgundischen Gerichts-
urkunde aus dem Jahre 876 wird ein Priester der Benignus-
kirche zu Dijon verklagt,
quod res s. Benigni iniuste teuer et 6 ).
Im Jahre 887 wird zu Mäcon um eine Mühle geklagt, weil
der Beklagte sie
iniuste tenebat et faciebat que non debuisset 7 ).
Eine abweichende Wendung, die aber gleichwohl hier an-
geführt werden kann, da auch sie nur dazu dient, die That-
sache des behaupteten Unrechts kurz hinzustellen, findet sich
in einer Urkunde von Cluny aus dem zehnten Jahrhundert, in
welcher Graf Wilhelm gegen Ansgerius Klage erhebt,
‘) Nr. 75. DDM p. 107 n. 22. Mühlb. 57 (u. Nachträge S. 771).
! ) Nr. 93. Tardif p. 59 n. 75. Mühlb. 187.
*) Nr. 94. Orandidier Strasbourg II p. 118 u. 69. Mühlb. 196.
*) Nr. 114. LSch p. 23 n. 36.
s ) Nr. 83. LSch p. 20 n. 31.
•) Nr. 405. Pfrard p. 152.
') Nr. 424. Th p. 161 n. 109,
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43
quin vittam Aionam contra ius vel cimle vel publicum
teneret ').
Ira Jahre 918 verlangt der Bischof von Autun Heraus-
gabe der vüla Ganavas, die
Cadilo ipse et heredes iniuste tcnebant vel teuere cona-
bantur 2 ).
Fenier mag die Klagebehauptung einer Urkunde aus dein
Cartular von Conques hier genannt werden: es wird gegen den
Mönch Aldricns behauptet,
quod male ordine requirebat vineas cum ipsns terras 3 ).
Auch in rechtsrheinischen Gebieten war diese Klageformel
eine sehr verbreitete.
Wir treffen sie z. B. in Baiern; ich nenne eine Urkunde
aus dem Jahre 802: der Vogt des Bischofs von Freising erhebt
wider Lantfrid Klage,
quod iniuste possideret res s. Petri de monasterio Siech-
dorf * ■).
Beispiele bieten weiter auch die italienischen Gerichtsur-
kunden.
Zu Lucca erhebt im Jahre 815 der Vogt der Martinskirche
Klage mit den Worten:
Audire me dignetis, quia iste Suave contra ratione übet
quaktuor petie de vinea ipsius ecclesie s. Martini 3 ).
Ganz gleich lautet die Klagformel in einer luccheser Ge-
richtsurkunde aus dem Jahre 822 6 ).
In einem Rechtsstreit zwischen der Marienkirche ad Motüe
und einem gewissen Minto beginnt der klagende Kirchenvogt
die im Beweistermin vorgetragene Darstellung des Thatbe-
standes mit der Erwähnung, dass er den Beklagten schon ein-
mal geladen habe,
quod ipse malo ordine et contra lege aberet et detin[eret]
campum ’).
») Nr. 481. Chart, de Cluny I p. 179 n. 192 (913).
*) Nr. 488. üallia Christ. IV instr. c. 67 u. 28.
*) Nr. 538. Cartulaire de Conques p. 234 n. 293 (958).
‘) Nr. 166. Meich. 1 2 p. 88 n. 116.
•) Memorie di Lucca V 2 p. 239 n. 397.
•) Eod. IV 2 p. 27 n. 20.
*) Eod. IV 2 app. p. 64 n. 51.
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Dafür, dass auch in Süditalien die Klage in dieser allge-
meinen Weise erhoben und urkundlich wiedergegeben wurde,
kann eine Urkunde des Klosters La Cava angeführt werden,
die über einen im Januar 863 wohl zu Salerno oder Benevent
von mehreren vornehmen Beneventanern gegen mehrere Atria-
nenser geführten Prozess berichtet ; den Beklagten wird vorge-
worfen,
ut malo online tenere[n]t tenris et vineis in locum Beteri
Salemitane finibus pertinentem iUorumper suis rationibus *).
Eiufache Behauptung, Beklagter sei im Unrecht, ist dann
ferner auch fast durchgängig in den Formeln des Liber Pa-
piensis, in denen um Grundstücke geklagt wird, anzutreffen. In
ihnen beginnt der Rechtsstreit fast überall mit den Worten des
Klägers oder genauer seines Vertreters:
Petre, te appellat Martinus, quod tu tenes sibi malo ordine
terram quae iacet in loco tali *).
Die Wendung malo ordine, die uns in den meisten der
betrachteten Urkunden und ebenso in zahlreichen Gesetzesstellen
als technischer Ausdruck 3 ) begegnet, ist zumal in ihrer An-
wendung in Fällen, wie den letztgenannten, darum besonders
charakteristisch, weil sie überall und also auch hier das straf-
rechtliche Moment, das in der Immobiliarklage liegt, zum Aus-
druck bringt. Da, wie oben bereits mehrfach betont worden
ist, der deutsche Prozess stets ein Unrecht des Beklagten, nicht
') Cod. Cav. III i). 12 n. 220.
*) Wörtlich so oder sehr ähnlich lautet die Klagebehauptuug in den
Formeln zu Roth. 153; 1, 2; Expos. § 10. Roth. 164. 167. 170. 171. 172.
182; Expos. § 3. 188. 195. 200. 204. 224. 225. Grira. 4; 1, 2. Liutpr. 8.
8. 19; 1, 2. 22. 53; 1. 57. 58; 3. 62. 64. 65. 66; 1, 2. 69; 1—8; Expos. 1
§ 2. 72; 1, 2. 73. 77; 1, 2. 88. 90. 98. 101. 104; 1. 105. 112. 118; Expos. § 10.
126. Aist. 5; 1, 2. 7. 9; 1, 2, 3; Expos. § 1. Lud. P. 1. 16; 1, 2, 3.
Loth. 69. 78. Wid. 5; 12; Expos. 1 § 2. 6; 1; Expos. §3, 4, 8, 9. Otto I.
2; 1, 2; Exp. § 2. 5.
*) Z. B. L. Baiuw. 17, 1: Si quis pratum . . . contra legem malo
ordine invaserit.
Rothari 228: Si quis alium de rem mobilem aut immobilem pulsavent,
quod malo ordine possedeat.
Liutpr. 90: Si quis res alienas, casas aut terras, aut pecunia aut
familia s malo ordine possederit.
Charakteristisch ist, wie die Lex Roman» Cnriensis offenbar unter deutscb-
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ein Recht des Klägers zur nächsten Grundlage hatte, und da
andererseits auf dem naiven Standpunkt der älteren Zeit der
Umstand, ob die Rechtsverletzung mit oder ohne rechtswidrige
Absicht geschehen war, nicht berücksichtigt wurde, so enthielt
auch jedesmal die Klagebehauptung malo ordine possides die
Beschuldigung des Beklagten, nicht bloss ein Vermögensrecht
des Klägers, sondern direkt die Rechtsordnung überhaupt, eben-
so wie ein Dieb z. B., verletzt zu haben.
Unrichtig ist es, zu sagen, dass durch die Klage behauptet
werde, „dieses tenere malo ordine sei ein bewusst wider-
rechtliches“ *); denn die Absichtlichkeit gehört nach deutschem
Recht, wie hervorgehoben, nicht zu den Voraussetzungen der
Rechtsverletzung 11 ). Wir finden viele Beispiele, in denen
der Kläger nicht daran dachte, dem Beklagten eine bewusste,
absichtliche Verletzung klägerischer Rechte vorzuwerfen: er
klagte z. B., um unter vielen auf einen Fall hinzuweisen, auf
Herausgabe eines dem Beklagten zu Nutzgenuss verliehenen, durch
dessen schlechte Bewirthschaftung aber verwirkten Grund-
stücks. Wenn er hier behauptete, der Beklagte besitze malo
ordine (und das konnte er mit Fug und Recht behaupten), so
wollte er damit natürlich nicht sagen, der Beklagte habe die
Absicht gehabt, das Grundstück zur Schädigung des Klägers zu
verschlechtern; er konstatierte vielmehr nur eine Thatsache,
die durch ein rechtswidriges Verhalten des Beklagten, gleich-
viel ob mit dessen Bewusstsein oder nicht, eingetreten war;
der Beklagte fand vielleicht seine Bewirthschaftungsmethode
sehr angemessen.
Schon die langobardischen Juristen haben diesen allein
richtigen Sinn des Ausdrucks malo ordine klar erkannt und
rechtlichem Einfluss die Worte selbständig einfügt, während sie im übrigen
ihre Vorlage, die Interpretatio der Lex Romana Wisigothorum, kürzt.
L. Rom. Cur. 2, 26: Quicumque homo alterius terra malo ordine
invaserit.
L. Rom. Visigoth. 2, 26 Interpr. : Si quis pervasor finium fuerit
approbatus, eo quod ... . id, quod alter tenuerat, invaserit, non solum Mud,
quod male praesumit, amittat.
’) Kanne ngiesser die prozesshindernde Einrede, Leipzig 1878, S. 26.
») Vgl. Brunner RG H S. 544 ff.
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wissenschaftlich erläutert ') unter ausdrücklicher Zurückweisung
der falschen Ansicht, dass er sich nur auf den bewussten Be-
sitz fremder Sachen beziehe, die, wie sie hervorheben, auf einem
Missverständniss einer Institutiouenstelle beruhe. Das malo or-
dine hat also nichts mit der römischen mala fides zu thun.
Es muss nun noch auf einige andere Klagformelu hinge-
wiesen werden, die allerdings sehr viel seltener als die bisher
besprochenen Haupttypen Vorkommen. Dem italienischen Ur-
kundenstil ist eine Form der Klage bekannt, die gleichfalls,
wenn auch etwas anders gefasst, die Behauptung enthält,
der Beklagte besitze zu Unrecht. Sie besteht darin, dass der
Kläger den Beklagten auffordert, ihm Recht zu geben oder
Rede zu stehen in Bezug auf den Besitz irgendwelcher Grund-
stücke, für den der Kläger eine Berechtigung des Beklagten nicht
kennt. Die Behauptung eines rechtsverletzenden Verhaltens
des Beklagten ist liier also in fragender Form ausgedrückt.
So sagt in einer farfenser Gerichtsurkunde von 753 der
Kläger, er habe einen Hof zum Geschenk erhalten,
et habet ipsutn casalem ilomnus abbas (der Beklagte),
pro qua causa nescio s ).
So verlangt in einer ravennatischen Urkunde von 838 der
Kläger vom Beklagten, dass er ihm Rede stehe in Bezug auf
Besitzungen, die der Beklagte inuehabe; aus welchem Grunde
wisse er, der Kläger, nicht 3 ).
Die im Jahre 994 vom Vogt von Farfa vor einem Königs-
boten erhobene Klage lautet:
facite nobis legem de Benedido diacono, qui tenet terram
et vineam de monasterio ... et possidd eam, nescio
quali ordine*).
') Expositio § 2 zu Lintpr. 90: Lex ista dicens: ,malo ordine posse-
derit' quibusdum videtur de eo solo, qui sciens res alienas possideat, dicere,
eo quod in Inslitutionum lege (§ 2 J. off. lud. IV, 17) credens esse suam
bonae fidei possessor, sciens vero esse alienum male fidei possessor esse asse-
ritur. Sed veraciter arbitratum est, 8 ive a sciente sive a nesciente res
aliena (possessa esset), malo ordine dixisse eam esse possessam.
*) R. di Farfa II p. 44 n. 34. Troya IV p. 478 n. G77. Qalletti
Rieti p. 133. Ähnlich lautet die Klage R. di Farfa II p. 89 n. 97.
") Fantuzzi II p. 5 n. 2. Vesi I p. 86.
‘) Fatteachi p. 350 u. 122 (Registrum Farfense ur. 442).
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Eine direkte Frage liegt in den Worten, mit welchen 807
zu Lucca der Rektor der Martinstaufkirche in loco Colline gegen
den Kleriker Alsprandus klagt:
faciat mihi iustitia iste A. dericus: pro qua causa ubes
res Uomuli clerici avii tui et basUica s. Angelt, que est
pertinentes suprascripte ecdesie s. Martini? ')
Ein Beispiel der einfachen Aufforderung zur Antwort bietet
auch eine mailänder Gerichtsurkunde von 865; der Kläger sagt
zum Beklagten:
mitte mihi responsum de casis et rebus Ulis in vico D.
et G., qui pertinet ad parte monasterii s. Ambros ii 2 ).
Gleichfalls nur eine Variation der allgemeinen Grundform
liegt dann vor, wenn neben oder anstatt der Thatsache des
widerrechtlichen Besitzes das Bestreiten des klägerischen Rechtes
besonders betont wird.
So wenn in der genannten ravennatischen Urkunde von 838
die Vertreter der Apollinariskirche zu Bruningus sprechen:
fac iustitia de casis et rebus illis .... unde pars s.
Apollinaris investüa fuit, set tu iniuste detenis adque
da parte s. Apollinaris subtrahere queris, nescio pro
quod rationem ; proinde quero ad te habere iustüiam *).
Und ähnlich heisst es in einer süditalienischen Urkunde
von 990, in welcher vom Abt der Marienkirche zu Salerno
wider den Abt des dortigen Marienklosters Klage erhoben wird,
ut ille abbas et hominibus predidi monasterii contraxet
ei ad clericos predicte ecclesie terra ipsa*).
In allen bisher besprochenen Formen der Klage, auch in
den zuletzt genannten, spiegelt sich die oben hervorgehobene
Eigenthiimlichkeit des deutschen Prozesses wieder: die Klage-
behauptung betrifft nicht das Recht des Klägers, sondern das
Unrecht des Beklagten.
Aber es kommt, wenn auch ganz selten, vor, dass die Ur-
kundentexte die Klagebehauptung in der Weise formulieren, dass
*) M. di Lucca V 2 p. 198 n. 335. Muratori Ant. I c. 535. Brunetti
II 1 p. 365 n. 59.
’) Cod. Lang. c. 395 u. 236 Muratori Ant. V c. 275. Fumagalli p. 383.
*) Fantuzzi II p. 5 n. 2. Veai I p. 86.
*) Cod. Cav. II p. 289 n. 422.
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nicht das Unrecht des Beklagten, sondern vielmehr das bessere
Recht des Klägers als Klagegrund genannt wird.
Aus dem Gebiet des fränkischen Rechts ist eine burgundische
Urkunde von 866 — 874 zu erwähnen; es handelt sich um einen
vor Königsboten geführten Rechtsstreit zwischen dem Bischof
Wulfaldus und dem Grafen Heccardus um die vitia Patriciacus,
quem, so sagt die Urkunde,
Vulfaldus dicebat, quod de sua ecclesia essere deberet l ).
In einer Urkunde aus der Bretagne (854 oder 865) heisst
es vom Kläger Dreglur:
requisiint particulam terrae, quae erat in Ranbrochan,
super Dinaeru (Bekl.); dicebat namque supradictus Drich-
glur, quod iustius et proprus esset iUa supradida terra
ad Ruhenbar quam ad Ranbrocan *).
Aus Baiern liegen folgende Beispiele vor. Abt Roodlant
und ein gewisser Roodbert klagen wider den edlen Mann
Tagadeo vor Erzbischof Arno von Salzburg um ein benefitiolum,
dixeruntque, quod ibsud benefitium in ülorum (der Kl.)
potestate maius deberet consistere quam in alterius cum
ipso possessore nomine Roodunc 3 ).
Es mag sein, dass hier die vorliegende Fassung der Klage
dadurch bedingt wurde, dass der Beklagte Tagadeo das streitige
Grundstück seinerseits dem Rooduuc als Beneficium ausgeliehen
hatte, ihm selbst also nicht unrechtmässiger Besitz vorgeworfen
werden konnte, andrerseits aber nach allgemeinem Rechtsgrund-
satz gegen ihn und nicht gegen den Beneflciar zu klagen war.
Dagegen richtet sich gegen den thatsächlichen Besitzer,
den Bischof von Augsburg, die am 31. August 822 zu Allers-
hausen vor dem Königsboten Hatto verhandelte Klage der Frei-
singer Kirche, deren Vertreter sagt:
ipsam ecdesiam ad Chenperc (der Streitgegenstand) in
episcopatum s. Mariae ad Frigisinga pertinere debere 4 ) .
Auch einige wenige alamannisehe Urkunden sind hier zu
nennen; sie gehören dem zehnten Jahrhundert an. In der einen,
l ) Nr. 399. Perard p. 23 n. 12.
*) Nr. 36ö. Cartulaire de Redou p. 37 n. 46.
*) Nr. 158. Mou Boica XXVIII 1 p. 23 n. 25 (785-798).
*) Nr. 238. Meich. I 2 p. 247 n. 47U.
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von 920, klagen die Mönche des Klosters St. Gallen wider den
Bischof von Chur uni die Abtei Pfävers,
quod iuste debuisset ad partem s. Galli venire plus quam
illi licuisset habere 1 ).
In der anderen aus den Jahren 950 bis 954 stammenden
handelt es sich um den Streit des Chorherrenstiftes zu Zürich
wider das dortige Nonnenkloster um ein Grundstück zu Samilinis
Rüti; Kläger behaupten:
quod hoc predium . . . illorum magis esse debuisset, quam
ipsi (Beklagte) cum iniquo possiderent censu *).
Damit aber wären die urkundlichen Beispiele erschöpft,
die ich für diese ungewöhnliche Fassung der Klagebehauptung
anführen könnte 8 ).
Unter den italienischen Urkunden ist mir kein derartiger
Fall begegnet.
Dagegen ist schon von anderer Seite wiederholt hervorge-
hoben worden 4 ), dass in den Formeln des Liber Papiensis neben
der oben erwähnten rein deutschrechtlichen Formel:
Petre, te appellat Martinus, quod malo ordine possides
terram in loco tali
sich eine andere findet, dahin lautend:
Petre, te appellat Martinus, quod terram, quam tenes et
possides in tali loco, sua propria est 5 ).
Und zwar wird diese zweite Formel, und das ist die Haupt-
sache, von den Juristen als die neuere, richtigere jener anderen
veralteten gegenübergestellt. Wir haben hierin einen deutlichen
Beweis für die beginnende römischrechtliche Strömung in der
') Nr. 490. Wartmann III p. 1 n. 779.
*) Nr. 632. UB der Stadt n. Landschaft Zürich I p. 90 n. 199.
*) Denn die in der wohl nach Riitien gehörenden Urkunde bei Wartmann I
p. 329 n. 354 (Nr. 227) gebrauchten Worte : T. et M. amallaverunt E. et
fratre suo V. de terra deren (= debere) sind zu unbestimmt, als dass sie
hier benutzt werden könnten.
*) K annengiesser prozesshindernde Einrede S. 44 Anm. 47. Heusler
Institutionen I S. 394.
*) So oder Ähnlich in den Formeln zu Roth. 227; 1, 2. 228; 1. Grim.
4; 2. Liutpr. 53; 2. Beide Arten werden in der angegebenen Weise, daBB
die neuere der älteren gegenüber empfohlen wird, an folgenden Stellen ge-
braucht, Roth. 153; 3, 4, 5, 6. Liutpr. 66; 3. 69; 9. 77; 3. 104; 2. 114; 2.
115; 2. Otto I 1; 3, 4.
Hübner, tränk. ImmobUiarprozeaa. 4
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50
Rechtsschule von Pavia; man will die alte deutschrechtliche
Klagformel durch „eine mehr römisch aumuthende “ *) ersetzen,
denn man glaubt den modernen Immobiliarprozess unter die
Regeln des römischen Vindikationsprozesses zwingen zu müssen.
Jedenfalls ist in Italien dieses Streben erst in nachfränkischer
Zeit hervorgetreten; die italienischen Urkunden fränkischer Zeit
sind wie gesagt von derartigen römischen Einflüssen noch frei.
Immerhin ist es möglich, dass in jenen Beispielen aus nicht
italienischen Gebieten, die vorhin genannt worden sind, die Spuren
fremdrechtlicher Auffassung zu erkennen sind; bei ihrer Selten-
heit wird sich aber schwer etwas Bestimmtes behaupten lassen.
Also die einfache Behauptung, der Beklagte besitze mit
Unrecht, ist den Grundsätzen des einheimischen Prozessrechtes
gemäss der Inhalt der Klagebehauptung. Es wird das Recht
des Beklagten, das betreffende Grundstück zu besitzen, be-
stritten und damit indirekt, ohne dass es ausgesprochen würde,
das bessere Recht des Klägers behauptet.
Es ist also stets das nicht vorhandene Recht, das Unrecht
des Beklagten, um das es sich handelt. Daher ist es völlig
willkürlich, wie es Kannengiesser auf Grundlage der For-
meln des Libes Papiensis thut, je nachdem in den Klagen der
besprochenen Art das Wort teuere oder das Wort possidere ge-
braucht wird, petitorische und possessorische Klagen zu unter-
scheiden *).
Die Frage, ob überhaupt und wann in fränkischer Zeit
von einem possessorischen Prozess, d. h. von einer nur auf den
Besitz als solchen gerichteten, die Rechtsfrage aber nicht be-
rücksichtigenden Klage geredet werden kann, wird uns nachher
noch beschäftigen. Hier aber ist hervorzuheben, dass, wie
schon die angeführten Beispiele ersehen lassen, in den Urkunden
die Ausdrücke teuere und possidere 3 ) oder ähnliche in durch-
aus gleichem Sinne verwendet werden.
Ebenso ist die Behauptung, nur auf das mab ordine teuere
habe der Beklagte mit Angabe seines Rechts antworten müssen,
*) Hensler a. a. 0.
•) Prozesshindernde Einrede S. 21 ff.
*) Possidere ist die typische Formel der langobardischen Gesetze,
Brunner EG II S. 512 Anm. 6.
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51
nur hier also habe ein Streit um das Recht, ein petitorischer
Prozess, Vorgelegen, dem malo ordine possides aber habe er
unter Verweigerung jedes „Aufschlusses über die Rechtsfrage“
antworten können, völlig willkürlich und wird von den Ur-
kunden Lügen gestraft. Der Verlauf des Prozesses ist ganz
der gleiche, ob zufällig der Kläger den Ausdruck teuere oder
possidere wählt, abgesehen davon, dass es überhaupt schwer
sein möchte, aus diesen beiden Worten einen verschiedenen
Sinn herauszulesen.
Dem von K annengi es ser aufgestellten Satz, nur die Klage
aus dem tenere habe den Beklagten zur Darlegung und Be-
gründung seines Rechts genöthigt, genügt es, eine italienische
Urkunde (da er sich auf italienisches Recht beschränkt) ent-
gegenzustellen : es ist ein schon oben angeführter Fall l ) ;
vier vornehme Leute klagen im Januar 963 wider zwei Ein-
wohner von Atrianum. Die Klage lautet:
ut malo ordine tenere[n]t terris et vineis.
Und wie erwidern die Beklagten hierauf?
Dixerunt : tenere terris et vineis, set non malo ordine; et
rationem inde obere dixerunt.
Wo ist hier dem tenere gegenüber von einer Darlegung
und Begründung ihres Rechts die Rede? Denn dass die Be-
hauptung, sie hätten Beweise ihres Rechts, nicht als Begründung
ihres Rechts aufgefasst werden kann, ist doch wohl selbst-
verständlich.
Hier wie überall behauptet die Klage: ihr habt kein Recht,
und die Beklagten antworten: wir haben Recht.
2. Gab es possessorische Klagen?
Die Klagformel malo ordine possides war ihrer allgemeinen
B'orm wegen in jedem Falle anwendbar. Sie hatte wie gesagt
möglicherweise ursprünglich nur dann Verwerthung gefunden,
wenn die Beklagten ein Grundstück zurückzugeben sich wei-
gerten, auf das sie kein Recht mehr hatten. So wird sie z.
B. in einer Stelle der Lex Alamannorum (2, 1) verwendet: die
') S. 44. Cod. Cav. II p. 12 n. 220.
4 *
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Vertreter der Kirche klagen mit malo ordine possides gegen die
Erben des Schenkers. Aber die Formel konnte auch bei ge-
waltsamer Besitzentsetzung, bei einem invadere, abstrahere zur
Anwendung gelangen, und dass es häufig geschah, haben uns
die besprochenen Urkunden gezeigt.
Jedenfalls hat die Klage in ah ordine possides ganz dieselbe
prozessualische Behandlung zur Folge wie etwa die Klage ma-
lo ordine tulisti. Daran lassen die Urkunden keinen Zweifel.
Die Folgerung, die hieraus gezogen werden muss, ist die,
dass wenigstens im Recht der fränkischen Zeit der Fall, in
dem der Kläger dejiciert worden ist, nicht als ein besonderer
angesehen und etwa nur für ihn die Möglichkeit possessorischer
Klage angenommen werden kann.
Heusler hat diese Ansicht vertreten. Im Fall der De-
jektion sei die Gewere von Anfang an bestritten, von beiden
Parteien für sich in Anspruch genommen worden 1 ). Dann habe
der Dejicierte, der Kläger, verlangt, dass ihm in Aufhebung
der Besitzentsetzung die Gewere zugesprochen werde.
Mir scheint diese Auffassung aus dem Grunde unhaltbar,
weil das, was hier als Besonderheit bei gewaltsamer Besitz-
entsetzung hervorgehoben wird, eben in jedem Rechtsstreit um
Liegenschaften der Fall war. Versteht man unter Gewere das
„Besitzrecht“, so ist sie in jedem Immobiliarprozess bestritten,
denn jeder Immobiliarprozess dreht sich darum, wer das Recht
dazu hat, das betreffende Grundstück zu besitzen. Versteht
man unter Gewere den faktischen Besitz, so übt ihn der De-
jicient unzweifelhaft aus; dieser ist daher gar kein Gegenstand
des Streits.
Dass — abgesehen von den Fällen streitigen Besitzstandes,
von denen später zu sprechen ist — jemals die Klage des
Klägers zunächst nur auf Anerkennung des faktischen Besitz-
standes vor der Dejektion gegangen wäre, habe ich nicht finden
können ; ausnahmslos handelt es sich auf Seite des Klägers wie
des Beklagten um das Recht.
*) Gewere S. 92 ff. Vgl. auch Institutionen II § 85, wo allerdings
nicht mit völliger Sicherheit erhellt, ob die Ausführungen neben dem
mittelalterlichen auch dem fränkischen Hecht gelten; jedenfalls werden aus
letzterem keine Belegstellen angeführt.
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B3
Auch die drei von Heusler 1 ) für den Fall der Dejektion
angeführten Beispiele können nicht als Beweis für einen wirk-
lich possessorischen Prozess verwendet werden.
In der bairischen Urkunde von 818*) wird dem Beklagten
vom Bischof unrechtmässiges Betreten des Hofes und Hauses
der Kirche zu Fach in Verbindung mit Misshandlung eines Hö-
rigen vorgeworfen, dem gegenüber der Beklagte behauptet, die
Kirche sei sein Eigenthum, suam propriam. Also wie immer
so auch hier Streit um das Eigenthumsrecht. Wenn es dann
heisst, der Vorsitzende Graf habe gefragt,
utrum ille (der Beklagte) vel episcopus vestituram haberet,
und hierauf der Beklagte dreimal vor der Versammlung gesteht,
se hatte vestituram ßrmiter teuere,
und dann zum Inquisitionsbeweis geschritten wird, und die Ge-
schworenen die vom Beklagten verübte Besitzentsetzung be-
zeugen, so muss man, wie ich meine, nach der Analogie zahl-
reicher anderer Fälle die immerhin eigenthümlichen und sonst
nicht wiederkehrenden Worte
utrum ille vel episcopus vestituram haberet,
dahin verstehen, dass, da nach allgemeinem Grundsatz der Be-
klagte der Nähere zum Beweise war, der Vorsitzende die Frage
an ihn gerichtet habe, ob er einen rechtlichen Grund für seine
Handlungen anführen, d. h. ob er ein Recht zum Besitz (vesti-
tura in diesem Sinne) behaupten könne. Und da er dies ver-
neint, kommt er nicht dazu, sich frei zu schwören. Auch
müsste es auffallen, wenn das Gericht, lediglich um die that-
sächliche Besitzlage festzustellen, an den Beklagten dreimal
die Frage gerichtet hätte; es hätte dann sicherlich eine ein-
fache Antwort genügt, zumal man aus der Antwort des Be-
klagten nur das erfuhr, was die Klage behauptete. Dagegen
lässt sich verstehen, dass dem Beklagten durch dreimalige Frage
Zeit zur Überlegung gegeben werden sollte, ob er wirklich da-
bei verharre, ein Recht seinerseits zu behaupten.
Endlich möchte ich noch folgenden Umstand anführen, der
für diese Auffassung spricht. Nach der Inquisition ergeht das
l ) Gewere S. 92.
*) Nr. 219. Meich. I 2 p. 191 n. 368. LSch p. 32 n. 60.
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Urtheil, dass der Beklagte den Bischof und seinen Vogt vestire
debere; und hierauf wird dies Urtheil vom Beklagten ausgeführt:
iusto iudicio superatus reddidit ecdesiam.
Diese Rückgabe wird zunächst nur symbolisch, dann aber
später am selben Tage körperlich vollzogen:
die vero eadem legitimum missum episcopi vestivit cum
corde unde signum tangüur ... et se ipsum in evum se
absadtum fecit.
Also der Beklagte überträgt die Vestitur unter Übergabe
des Glockenseils an den Kläger und räumt selbst in der her-
gebrachten rechtsförmlichen Weise den Besitz; wie wäre das
alles möglich, wenn er nicht selbst in thatsächlichem Besitz
gewesen und bis zum Ausgang des Prozesses geblieben wäre.
Denn nur der, der selbst die vestitura, den thatsächlichen Be-
sitz, hatte, konnte sie einem anderen übertragen.
Der andere Fall, auf den Heusler sich beruft, ist eine
verhältnissmässig späte italienische Urkunde*). Es wird vor
dem Bischof von Arezzo vom Abt des Klosters der heiligen
Flora und Lucilla wider Petrus um bestimmte Grundstücke
Klage erhoben. Der Beklagte räumt sogleich ein, auf den
dritten Tlieil derselben keine Ansprüche zu haben, er besitze
sie nur als Beneficium des Klosters. Aber was die beiden an-
deren Drittel betreffe, so habe ihn in Bezug auf diese der Kläger
zu Unrecht verklagt. Das leugnet wiederum Kläger, und so
stehen sich nun beide Parteien gegenüber, jede nur durch
nackte Behauptung ihres Rechts sich vertheidigend. Da Beweis-
mittel von keiner Seite angeboten werden, kommt es zum gericht-
lichen Zweikampf, wobei dem Beklagten wegen körperlicher
Schwäche gestattet wird, einen Kämpen zu stellen. Wenn es
dann heisst, Kläger habe gelobt in den Kampf einzutreten de
investitura uius predii, so ist damit das Besitzrecht gemeint;
und ebenso ist die leugnende Antwort des Beklagten (hoc tor-
tum adversus me queris) nur dahin zu verstehen, dass er leu-
gnet, nicht überhaupt zu besitzen, sondern nur rechtswidrig,
mcdo online, zu besitzen.
Das dritte von Heusler angeführte Beispiel endlich ist
■) Muratori Ant. UI c. 643 (1010).
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eine luccheser Urkunde von 902 '). Ein Vertreter der bischöf-
lichen Kirche klagt wider einen gewissen Ghispertus wegen un-
rechtmässigen Betretens und Bewirthschaftens einer Kirche und
der zu ihr gehörigen Ländereien zu Verriana. Das Verfahren
spielt sich ganz in den üblichen Formen und nach den Grund-
sätzen, die wir später als die herrschenden entwickeln werden,
ohne jede Andeutung auf ein possessorisches Moment ab. Auf
die motivierte Klage antwortet der Beklagte mit schlichter
Negation. Daher geht das Beweisrecht auf den Kläger über.
Der Kläger muss aber auf Frage des Vorsitzenden erklären,
keine Beweismittel zu haben. Also fällt das Beweisrecht an
den Beklagten zurück; dieser ist jetzt daran, das Gegentheil
der Klagebehauptung beweisen zu können. Es wird ihm auf-
erlegt, durch Wadia die Erbringung des Beweises zu geloben.
Im neuen Termin fordert (wie es immer geschieht) der Kläger
den Beklagten auf, nunmehr mit seinem Beweise hervorzu-
treten. Aber nun muss der Beklagte bekennen, keinen Beweis
gefundeu zu haben ; er leistet Professio, und dieser entsprechend
ergeht dann das Urtheil.
Ich wüsste nicht, worin in diesem Beispiel das Possesso-
rische gesehen werden sollte; der ganze Prozess dreht sich
schlechterdings nur darum, ob der Beklagte zu den fraglichen
Handlungen ein Recht gehabt hat oder nicht.
Wenn daher Heus ler erklärt 8 ), im Fall der Dejektion
sei es das Bestreben der Partei gewesen, „für das Beweisver-
fahren über die Hauptsache in die Beklagtenrolle zu gelangen,
und damit den Angrift’ des Gegners auf ihren Rechtstitel ab-
warten zu können“, so bieten für diese Behauptung die Fälle,
in denen es sich um Dejektion handelt, nach meiner Ansicht
keine Grundlage.
Eine Trennung zwischen dem Beweisverfahren über die
Hauptsache (das Recht) und dem über den Besitzstand kann
ich nicht entdecken. Auch ist es mir nicht möglich gewesen,
in irgend einem der in Betracht kommenden urkundlichen Bei-
spiele ein Streben der Partei, d. h. des Klägers, dahin zu finden,
in die Beklagtenrolle zu gelangen, oder überhaupt nur irgend
*) M. di Lucca V 3 p. 13 n. 1058. Muratori Ant. V c. 309.
*) Gewere a. a. 0.
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einen Unterschied zwischen denjenigen Fällen, in denen Dejek-
tion vorlag, und den übrigen zu erblicken.
In allen Fällen, in welchen der nicht besitzende Eigen-
thümer gegen einen Anderen auf Herausgabe eines Grund-
stücks Klage erhob, war das Verfahren dasselbe, mochte die
Klage in Folge einer Dejektion angestellt werden oder mochte
der Beklagte in anderer Weise in den Besitz gelangt sein.
Gerade die gleichmässige Behandlungsweise aller dieser
Fälle ist der Grund dafür, dass überall in der gleichen allge-
meinen Form Klage erhoben werden konnte, deren Inhalt immer
nur darin bestand, ein Unrecht des Beklagten zu behaupten.
Wir können uns also der Meinung nicht anschliessen, es
sei bei Dejektion ein besonderes Verfahren, ein Possessorium,
möglich gewesen, in anderen Fällen (vorläufig noch abgesehen
von denen zweifelhaften Besitzstandes) aber nicht.
Der Zweck der Klage ist stets *) darauf gerichtet, Heraus-
gabe des Guts zu verlangen, überhaupt das Gericht zu veran-
lassen, die durch das Unrecht des Beklagten, die verübte „Land-
nahme“, verwirkten Folgen auszusprechen; dem Beklagten wird
ein unrechtmässiges Verhalten vorgeworfen, gleichgültig, ob er-
sieh eine gewaltsame Handlung hat zu Schulden kommen lassen
oder nicht, ob er bewusst das Recht des Klägers verletzt hat
oder nicht.
Im Fall der Dejektion also hat das fränkische Recht, wie
wir aus den Quellen entnehmen müssen, noch kein possessorisches
Verfahren gekannt; die Parteirollen standen ohne weiteres fest;
der Beklagte, obwohl er es als Dejicient nicht verdienen mochte,
stand wie jeder andere im Besitz befindliche, der sich auf einen
Rechtstitel berufen konnte, näher am Beweise; da er aber nur
durch einen Meineid diesen formalen Vorzug für sich ausnutzen
konnte, so mag die scheinbare Ungerechtigkeit der ersten Be-
weisvertheilung wohl selten für den Kläger nachtheilige Folgen
gehabt haben.
Nun hat Heusler 2 ) weiter ein possessorisches Verfahren
in denjenigen Fällen angenommen, in denen der Besitzstand zwei-
l ) Einige Fälle, in denen der Klagezweck und die Parteivertheilung
anders geartet sind, werden weiter unten hervorgehoben werden.
*) Gewere S. 94, 100. Institutionen II S. 45.
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felhaft war. In den Fällen, wo zwei Personen auf einem Gut
dieselben Besitzbandlungen vorgenommen hatten, hätten zunächst
unter Umständen Vorverhandlungen über die blosse Besitzfrage
stattgefundeu ; konnte dann nur eine Partei wirkliche Ausübung
des Besitzes nachweisen, so wäre dieser, konnten es beide, so wäre
der länger im Besitz befindlichen die Gewere zuertheilt worden.
Für den ersten Fall, wo nur eine Partei wirkliche Besitz-
ausübung beweist und daher die Gewere zugetheilt erhält, be-
ruft er sich auf eine merkwürdige pistojenser Urkunde von 806 l ),
die auch von Pertile als einziger Beleg für seinen Satz ver-
wendet wird, dass in der Praxis der Gerichte schon im 9. Jahr-
hundert Possessorium und Petitorium unterschieden war*). Zu
Pistoja vor dem Bischof der Stadt erhebt Gisilari, ein Ver-
treter des königlichen Hofes, Klage wider den Vertreter des
Bartholomäusklosters um die Kirche der heiligen Petrus, Paulus
und Anastasius zu Pistoja. Er fragt, aus welchem Grund die
Beklagten sie besitzen, da sie zu dem königlichen Hofe ge-
höre. Dasletztere verneinen die Beklagten; sieberufen sich auf eine
Schenkungs- und auf eine Verleihungsurkunde, aus denen her-
vorgehe, dass die Kirche in Folge einer Schenkung des Rapertus
Eigenthum ihres Klosters sei.
Der Kläger bestreitet nunmehr die Beweiskraft der Ur-
kunden; er könne vielmehr beweisen, dass der königliche Hof
mit dem ganzen Besitzthum des Rapertus, also auch mit der
Kirche investiert worden sei, und dass Austrualda ihn im Dienst
des Hofes bewirtschaftet habe. Das Gericht legt nunmehr
dem Kläger auf, diesen Beweis zu erbringen. Im nächsten
Termin stellt er zwölf Zeugen. Sie sagen aus: wir wissen, dass
der königliche Hof mit den Besitzungen des Rapertus investiert
worden ist, und dass Austrualda sie im Dienst des Hofes be-
wirtschaftet hat,
et quod hoc scimus sunt annos quinque et amplius.
Was aber die Zeugen nicht sagten, das war, dass der Hof
jene Besitzungen auch während der fünf Jahre zu Recht be-
sessen habe 3 ).
') Muratori Ant. I c. 973. Brunetti II 1 p. 358 n. 76. Lami II p. 1179.
*) Storia del diritto italiano IV p. 171.
s ) Nur so geben meiner Ansicht nach folgende Worte einen Sinn: sed
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Darauf werden sie vereidigt und der Zeugenfiihrer be-
schwört (nach langobardischem Brauch) die Richtigkeit ihrer
Aussage.
Nun ergeht ein Urtheil:
proinde nobis . . recte paruit, ideo iudimvitnus et fecimus
exinde pars curtis Begis investire, ita ut post revestitura
adhuc exinde iudiciutn kaberent.
Das heisst, es wird dem Kläger durch Urtheil die investi-
tura salea querela ertheilt, ein Verfahren, das wir in unzähligen
italienischen Urkunden antreffen 1 ); es wird dem Beklagten da-
durch die Möglichkeit offengehalten, sein Recht durch eine
neue Klage zu verfolgen. Die investitura salva querela findet
hier allerdings, und das ist das Auffallende, nicht wie sonst
immer im Ungehorsamsverfahren, gegen den nicht erschienenen
Gegner, sondern gegen den anwesenden Beklagten statt.
In der That beanspruchen nunmehr in einem neuen Termin
die Vertreter des Klosters vom Vertreter des Fiskus Heraus-
gabe der Kirche und zwar, indem sie wiederum dieselben Ur-
kunden vorlegen. Dem erwidert Gisilari, er habe sein Recht
bereits im vorigen Termin bewiesen. Weil es sich aber jetzt
um ein neues Verfahren handelt, so wird er vom Gericht ge-
fragt (denn er als Beklagter ist jetzt am Beweis), ob er mit
Urkunden oder Zeugen beweisen könne, dass der frühere Eigen-
quia non dixerunt ipsi testet, quod cnsa et res ipsa pars domni Regia per
quinque annos possedisset, et qualiter ipsi teslibus dixerunt post sacramentum
firmaverunt testimonium suum,
Wenu man nicht diese Worte gänzlich frei übersetzen will, so kann m.
A. nicht mit Pertile erklärt werden, die Zeugen hätten zwar den Besitz,
aber nicht eine zur Usukapion genügende Zeitdauer bekundet. Die Zeugen
sagen : was wir wissen, der Akt der Investitur, sunt annos quinque (d. h. ist
vor 5 Jahren erfolgt); was sie nicht sagen, ist quod quinque annos posse-
dissent. Das kann ich nur, wie im Text angegeben, verstehen. Übrigens
wäre auch 5 Jahre eine gar nicht mehr in Betracht kommende Verjährungs-
Zeit; denn das Gesetz Rotharis (R. 228), das allerdings 6 Jahre erforderte,
war durch die in den Gesetzen Grimoalds, Aistnlphs und Lintprands ein-
geführte neue Veijährungszeit von 30 Jahren ersetzt.
Doch die entscheidende Frage, warum der Zeugenbeweis gegenüber
den Urkunden überhaupt zur vorläufigen Revestitur führen konnte, wird da-
durch überhaupt nicht berührt.
*) Vgl. Ficker Forschungen I S. 32.
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tliümer die Kirche dem Fiskus rechtsgültig übertragen habe,
oder ob Rapertus nicht in der Lage gewesen sei, über die Kirche
zu Gunsten des Klosters zu verfügen.
Auffallenderweise erklärt nun Gisilari, dass er in keiner
Weise einen solchen Beweis zu erbringen im Stande sei, worauf
das Urtheil zu Gunsten des Klosters ergeht.
Der Ausgang des Rechtsstreites scheint mir im höchsten
Maasse merkwürdig und überraschend. Man kann vielleicht an-
nehmen, dass Rapertus seine Besitzungen erst dem Kloster tra-
diert und dann später eine (also rechtlich ungültige) Investitur
an den königlichen Hof vollzogen habe. In Folge dessen konnten
die Zeugen des Gisilari zwar eine vor 5 Jahren stattgehabte In-
vestitur bekunden ; dieses Zeugniss aber verlor seine Bedeutung,
wenn die Klosterleute durch ihre Urkunden die Unrechtmässig-
keit der Investitur nachwiesen. Dann bleibt doch aber sonder-
bar, dass es trotzdem dem Gisilari gelang, auf Grund von, wie
sich später herausstellt, unrechtlichen Zeugenaussagen, dem Abt,
auch nur vorläufig, den Besitz zu entziehen. Denn die Urkunden
sind ja schon im ersten Termin verlesen worden; wie kam das
Gericht dazu, trotz ihrer dem Vertreter des Fiskus die Vor-
theile der Beklagtenrolle zu gewähren, eine vorläufige Reves-
titur an ihn zu veranlassen, obwohl offenbar nicht er, sondern
das Kloster sich im thatsächlichen Besitz befand?
Ich weiss für diese Fragen keine bestimmte Erklärung zu
finden. Möglich wäre es, dass vielleicht ein Vorrecht des Fis-
kus zu dem vorliegenden Verfahren den Anlass gegeben hat.
Wie in dem Cap. leg. add. a. 818/819 c. 20') bestimmt wird,
darf fiskalischer Besitz, der von einem Dritten eingeklagt wird,
diesem nur auf Grund eines königlichen Befehls übergeben
werden. Vielleicht nun hatte sich das Kloster, materiell im
vollen Rechte, in den Besitz jener durch eine unrechtmässige
Besitzübertragung an den Fiskus gefallenen Gegenstände gesetzt,
ohne, wie es jenes Privileg erforderte, sich vom König Inves-
titur ertheilen zu lassen. So konnte der Fiskus wegen eines
Formfehlers Klage erheben, und musste ihm wegen dieses Pri-
vilegs die Investitur ertheilt werden. Erst dann kommt zur
*) Boretius I p. 285. Herr Geheimrath Brunner war so freundlich,
mich anf diese Stelle aufmerksam zu machen.
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Verhandlung und Entscheidung, ob überhaupt im vorliegenden
Fall von jenem Priveleg die Rede sein könne.
Jedenfalls aber ergiebt sich, dass dieses Beispiel eine ganz
besondere Sachlage betrifft, so dass mau es nicht ohne Weiteres
verallgemeinern kann. Und es kommt ein weiterer Umstand
hinzu, der zur Vorsicht mahnt: es scheint in diesem Pro-
zess, wie in manchen anderen italienischen Urkunden, sich
nicht um rein deutsches Verfahren zu handeln; besonders die
Klageformulierung lässt römischrechtliche Einwirkung erkennen :
es wird, ganz gegen die Regel, hier nicht vom Unrecht des
Beklagten, sondern vom klägerischen Recht ausgegangen. So
wäre also leicht denkbar, dass auch in den übrigen Stadien
des Verfahrens Abweichungen vom gewöhnlichen Gang vorge-
kommen wären, wenn anders jene obige Erklärung zu seiner
Rechtfertigung nicht ausreichen sollte.
Auch Heusler kann dieser einen Urkunde, die man ja, wie
zuzugeben ist, allenfalls mit seiner Annahme in Einklang bringen
kann, kein weiteres Beweismittel zur Seite stellen; auch mir
ist kein irgendwie ähnlicher Fall sonst begegnet.
Es ist das einzige derartige Beispiel, das ich kenne; und
ich glaube, man wird ihm wegen seiner Absonderlichkeit nicht
allzu viel Gewicht beilegen und ein possessorisches Beweis-
verfahren bei zweifelhaftem Besitzstand nur als sehr seltene
Ausnahme ansehen dürfen.
Wenn in einer cavenser Urkunde *), auf die man vielleicht
hinweisen könnte, der Richter und die Parteien sich nach der
Klageerhebung auf die streitigen Besitzungen begeben und dort,
nachdem die Beklagten durch ihre Urkunden ihren Besitz nach-
gewiesen haben, wie es heisst „erkannt wurde, dass nach den
Urkunden und nach dem Recht jene Besitzungen den Beklagten
gehörten“, so liegt auch hierin gewiss nichts vor, was zur An-
nahme eines vorbereitenden Possessoriums Anlass gäbe.
Heusler stellt den Fällen zweifelhaften Besitzstandes,
in denen nur eine Partei Ausübung des Besitzes nach weisen
kann, die gegenüber, in denen beide Nutzungen aufweisen: dann
habe der ältere Besitz entschieden. Jedoch er selbst giebt zu,
dass hier eine Trennung der Besitz- von der Rechtsfrage nicht
») Cod. Cav. I p. 268 n. 209 (960).
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ei
stattgefunden habe, gleichwohl aber die Besitzfrage als solche
erörtert worden sei ; er führt als Beispiele eine Stelle der Lex
Baiuwariorum (17, 2) und eine bairische Urkunde von 855 ')
an. Die Behauptung der einen Partei, länger im Besitz sich zu
befinden, als der Gegner, wird keineswegs zu dem Zweck ge-
macht, um eine Regelung des Besitzstandes herbeizuführen,
sondern sie ist eine Anwendung der nachher zu erörternden all-
gemeinen Beweisregeln, dass jede Partei, will sie zum Beweise
kommen, eine erheblichere Behauptung als der Gegner auf-
stellen muss.
Jene Stelle des bairischen Volksrechts ist m. E. so zu ver-
stehen, dass der Kläger wegen invatio Klage erhebt, und zwar
liege invasio vor, weil er in der bis dahin von ihm geübten
Nutzniessung gestört worden sei. Der Beklagte leugnet;
dem in der Klage liegenden Vorwurf des mah ordine gegen-
über beruft er sich auf längeren Besitz, auf noch frühere Be-
nutzung; diese Entgegnung soll er mit sechs Eidhelfern be-
schwören. Aber diesen Eid kann der Kläger dem Beklagten
verlegen, indem er nun seinerseits die Behauptung des Be-
klagten überbietet, und zwar dadurch, dass er mit Zeugen
ununterbrochenen Besitz zu beweisen sich anheischig macht.
Dann bleibt dem Beklagten nichts übrig, als nachher wegen
Meineids eine kampfbedürftige Klage zu erheben. Wir sehen
also: beide Parteien haben Nutzungen gezogen; eine erhebt
Klage wegen invasio; es ist aber keine Rede davon, dass durch
ein Possessorium festgestellt würde, welche jetzt als die im
Besitze befindliche anzusehen sei.
Und ebenso wenig ist das in der bairischen Urkunde von
855 der Fall, in der es sich um einen zu Aibling vor einem
Königsboten Ludwigs des Frommen zwischen den Bischöfen von
Freising und Trient um Weinberge zu Bozen geführten Streit
handelt. In diese, die der Freisinger Kirche gehörten, war
der Bischof von Trient widerrechtlich eingedrungen. Es wird
in der eigenthümlich gefassten Urkunde berichtet, dass der
König Befehl gegeben habe, die Frage zu untersuchen,
qui vestituram prius haberet.
Und zwar wird der Auftrag im Näheren dahin ertheilt und
') Nr. 347. Meich. I 2 p. 360 n. 702.
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von der anwesenden Versammlung zum Beweisbeschluss erhoben,
dass durch Zeugenbeweis festgestellt werden solle, ob die Wein-
berge dreissig Jahre hindurch in der Herrschaft der Freisinger
Marienkirche gestanden hätten. Würde das bewiesen, so sollte es
bleiben, wie es ist (nunquam mutaretur); andernfalls sollten sie
an die Trienter Kirche zurückfallen. Der Königsbote nimmt
nun den Inquisitionsbeweis vor, der zu Gunsten der Freisinger
Kirche ausfällt, worauf dieser der Besitz für alle Zeiten be-
stätigt wird 1 ).
Die Urkunde ist in ihrer Form wie hervorgehoben eigen-
artig und von den sonstigen bairischen Gerichtsurkunden ver-
schieden, besonders dadurch, dass sie mehr eine historische Dar-
stellung des ganzen Herganges, als einen Bericht über das vor
Gericht Vorgefallene giebt. Ich sehe aber keinen zwingenden
Grund, in ihr ein possessorisches Verfahren zu erblicken, in dem
es den Parteien darauf angekommen wäre, zunächst Zutheilung
der Gewere zu erlangen. Meiner Ansicht nach handelt es sich
vielmehr auch hier, wie in vielen anderen Fällen, einfach und
allein um den Rechtspunkt. Der Freisinger Bischof klagt
wider den Trienter wegen widerrechtlicher invasio, und da er
dem wahrscheinlich nur schlechtweg sein Recht behauptenden
Beklagten gegenüber sich auf langjährigen Besitz beruft,
wird diese Frage zum Beweise gestellt. Möglich ist allerdings
auch, dass beide Parteien bei schlichter Rechtsbehauptung be-
harrten und nun (es handelt sich um ein Verfahren vor König
und Königsboten) von Amtswegen die allein in Betracht kom-
mende Frage, die Dauer des Besitzes, geprüft wird. Jedenfalls
ist nirgends gesagt, dass ein Zweifel darüber bestanden hätte,
wer weiterhin die Rolle des Klägers und Beklagten führen
sollte, denn das verstand sich bei dem Vorwurf invasionem fecit
iniuste von selbst.
Also: in den Quellen der fränkischen Zeit findet sich nicht,
dass, wenn beide Parteien Ausübung des Besitzes behaupteten,
durch ein possessorisches Verfahren die Parteirollen festgestellt
worden seien; wir müssen annehmen, dass die Initiative der
*) Über denselben Fall ist bei Meich. I 2 p. 351 n. 703 noch ein zweiter,
formell abweichender Bericht vorhanden.
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Klage, die dann allerdings auch über die Beweisvertlveilung
entschied, dem freien Ermessen überlassen blieb.
Ein Fall endlich, in dem gewiss sehr leicht der Besitz-
stand zweifelhaft sein konnte, war der, dass zwischen zwei
Nachbarn die Grenze streitig geworden war, und jeder behaup-
tete, das streitige Grenzstück gehöre ihm; es konnte nicht
ohne Weiteres klar sein, welcher von beiden sich in der that-
sächliehen Ausübung des Besitzes befand, und also auch hier
die Frage entstehen : wer soll Kläger, wer soll Beklagter sein ?
Stand es hier vielleicht anders?
Wenn Heusler 1 ) sagt, dass auch in solchem Fall, „bevor
die Rechtsfrage zur Verhandlung kommt, die Parteirolle zur
Lösung der Zweifel über den Besitzstand festgestellt und die
Gewere der einen Partei zugetheilt“ werden muss, so werden
wir natürlich ohne Weiteres zugeben, dass zur Zeit der Rechts-
bücher, von der Heusler an der angeführten Stelle, wenn nicht
lediglich, doch in erster Linie spricht, ein solcher Satz als bin-
dende rechtliche Vorschrift bestand.
Dass es auch schon in der fräukischen Zeit der Fall war,
dafür lassen sich urkundliche Beispiele nicht anführen.
Auch eine bekannte Stelle der Lex Alamannorum*) würde
man schwerlich als Beweis verwenden können.
Sie handelt über den Streit, den zwei Sippen über strei-
tiges Grenzland (de lermmo terrae eorum) führen. Sie sollen
beide an Ort und Stelle durch Aufrichtung von signa angeben,
wo nach ihrer Behauptung die Grenze zu laufen habe, und
so mit dem Gericht das Grundstück, wie sie es bean-
spruchen, umgehen. Dann wird in rechtsförmlicher, alterthüm-
licher Weise eine Scholle aus dem streitigen Stück Land ge-
hoben und dem Grafen übergeben, der sie seinerseits in die
Hände eines Treuhänders legt. Und darauf entscheidet zwischen
den Streitenden der Zweikampf.
Auch dies Verfahren kann man nicht ein possessorisches
nennen; denn es muss eben unentschieden gelassen werden,
welche der Parteien als im Besitz befindlich anzusehen ist, und
desshalb wird die Entscheidung durch Kampf herbeigeführt.
*) Institutionen II S. 45.
*) Lex Alam. 81.
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In den Urkunden begegnen uns selten Fälle, in denen wie
in der eben besprochenen Gesetzesstelle lediglich der Lauf der
Grenzen streitig ist, und aus diesem Grunde eine gerichtliche
Entscheidung über das je nach den verschiedenen Parteibehaup-
tungen verschiedene Rechtsverhältniss gesucht wird.
Die weit zahlreicheren Prozesse, in denen darum geklagt
wird, dass der Gegner die Grenzen widerrechtlich verletzt habe,
gewaltsam eingebrochen sei, Grenzsteiue verrückt habe u. s. w.,
gehören natürlich nicht hierher; iu ihnen handelt es sich um
eine wegen einfacher Besitzstörung erhobene Klage *).
Als Grenzprozesse iu dem hervorgehobenen Sinn könneu
die folgenden beiden Urkunden beispielsweise angeführt werden.
Im Jahre 836 erhebt in einem bei Narbonne abgehaltenen
missatischen Gericht 2 ) der Abt von Cauquens wider Trasoa-
rius und Teuderedns Klage um Ländereien und Weinberge,
qui infra termines sunt de villa Maximiniano ,
und diese Villa gehöre zum Kloster. Darauf lautet die Klage-
beantwortung:
ipsas terras et vinea et ecclesia non sunt infra termines
de villas Maximiano;
es w’erden vielmehr andere Grenzen genannt.
Darauf legen die Kläger ein Urtheil vor, durch welches
dem Kloster das streitige Gebiet bereits früher zugesprochen
worden ist. Eine Gerichtsdeputation nimmt eine Besichtigung
an Ort und Stelle vor; im nächsten Termin stellen Kläger
Zeugen, welche den in der Klage behaupteten Lauf der Grenzen
beschwören, worauf die Beklagten zur Revestitur verurtheilt
werden.
Also nichts von Feststellung des Besitzstandes; denn die
Besichtigung an Ort und Stelle findet, wie häufig so auch hier,
zur näheren Information des Gerichts und überhaupt zur Auf-
klärung der Sache statt, nicht zu dem Zweck, eine Regelung
der Parteirollen vorzunehmen.
l ) Hierher gehören z. B. Nr. 269. Vaissete II c. 177 n. 80, Marca Hisp.
c. 769 n. 5 (832); Nr. 236. Meioh. I 2 p. 248 n. 471 (822); Troya IV p.
260 n. 610, Muratori Ant. I c. 617 (747); R. di Farfa III p. 165 n. 453
(1004).
’) Nr. 287. Vaissete II c. 194 n. 90.
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Ganz ähnlich ist das Verfahren in dem Grenzstreit zwischen
den Städten Piacenza und Parma, der im Jahre 673 vor König
Pertharitus zu Pavia verhandelt wird 1 ). Auch hier ergeht,
nachdem der König einen Missus mit der Lokalbesichtigung
beauftragt hat, ein definitives, das Recht der Stadt Piacenza
auf Grund einer von ihr vorgelegten Gerichtsurkunde fest-
stellendes Erkenntniss.
Auch in diesem Falle sehen wir keine Spur eines Possessoriums.
Der Schluss also, den wir aus dem Gesagten ziehen mllssen,
geht dahin, dass auch in Grenzprozessen der fränkischen Zeit
ein nur zum Zweck der Feststellung des Besitzstandes dienen-
des possessorisches Verfahren unbekannt war.
Ja gerade Vorschriften wie die besprochene des alaman-
nischcn Volksrechtes zeigen uns, wie weit entfernt man von
dem Bedtirfniss war, durch eine den thatsächlichen Verhält-
nissen entsprechende Vertheilung der Parteirollen auf den Gang
des Verfahrens einzuwirken.
Trotz der formalen Strenge des Rechtsgangs, trotzdem al-
so auch die Reihenfolge der Parteibehauptungen von grosser Be-
deutung werden konnte, hielt man eine vorläufige Regelung
der Besitzfrage noch nicht für nöthig; man behandelte den ge-
waltsamen Besitzstörer, den Dejicienten, nicht anders wie den
seit langer Zeit in ruhigem Besitz befindlichen, der durch grund-
lose Ansprüche aus seinem Recht gedrängt werden sollte; man
behandelte Fälle, in denen ein feiner entwickeltes Recht zu-
nächst Regelung des zweifelhaften Besitzstandes verlangt, nicht
anders als Fälle unzweifelhafter Gewaltsamkeit, in denen die
Rolle des Klägers von vornherein feststand.
Der Immobiliarprozess der fränkischen Zeit kannte
noch kein possessorisches Verfahren.
3. Feststellungsklagen.
Allen bisherigen Ausführungen lagen Fälle zu Grunde, in
denen wider den nicht berechtigten Besitzer Klage erhoben
wurde.
*) Troya II p. 533 n. 340. Campi Piacenza I p. 177. A®> Parma I
p. 280 n. 5.
Hübner, (rank. Inunobülarprozeea. 6
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66
Der Inhalt der Klage war also stets das auf Herausgabe
des widerrechtlichen Besitzes gerichtete Verlangen.
Es kommen nun aber auch, freilich verhältnissmässig selten,
Fälle vor, in denen der Inhalt der Klage ein anderer und damit
auch das Verhältniss der Parteien zu einander ein anderes ist.
Es wird nicht wider den nicht berechtigten Besitzer auf
Herausgabe des von ihm widerrechtlich zurückbehaltenen Grund-
stücks geklagt, sondern der im Besitz befindliche Eigenthümer
verlangt von einem Dritten, dass er Ansprüche, die dieser er-
heben will, aufgebe und sein, des Klägers, Recht anerkenne.
Der Kläger führt auf diese Weise eine gerichtliche Bestätigung
seines Rechtes herbei.
Hierher kann man wohl Beispiele wie die folgenden
ziehen.
Eine ' septimanische Urkunde von 802 *) enthält ein vom
Beklagten nach Beendigung des Rechtsstreits ausgestelltes An-
erkenntniss, dass der Abt von Caunes ihm, dem Beklagten, ein
Grundstück als Benefizium verliehen habe, dass aber er, der
Beklagte, die zu leistenden Abgaben nicht erfüllt, vielmehr den
Kläger in widerrechtlicher Weise zu schädigen versucht habe.
Hieraus ist zu entnehmen, dass der Abt auf „Anerkennung des
Grundeigenthums und Leistung des Zinses“ *) geklagt habe,
nicht etwa mit malo ordine possides auf Herausgabe des Grund-
stücks; denn er wollte nicht das Grundstück dem Beklagten
nehmen, sondern ihn unter Belassung auf demselben nur zur
Erfüllung seiner Pflichten zwingen.
Ganz ebenso erkennen 826 gleichfalls vor dem Abt von
Caunes mehrere Leute an, Benefizien des Klosters zu besitzen *) ;
und solche Fälle finden sich auch sonst häufig.
Nah verwandt ist ein anderes septimanisches Beispiel 4 ).
Der Mandatarins des Vorsitzenden Grafen Salomon erhebt Klage
wider den Vertreter des Andreasklosters um fiskalische Bene-
fizien. Die Beklagten behaupten, die Besitzungen durch Tra-
dition seitens Dritter erhalten zu haben, und sind auch im
*) Nr. 164. Vaissete II c. 64 n. 15.
*) So Sohin Fr. R n. GV S. 315 Anm. 21.
*) Vaissete II p. 163 n. 72.
*) Nr. 373. Vaissete II c. 346 n. 169. Th p. 143 n. 101 (868).
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Stande, ihr freies Eigenthum zu beweisen. Anstatt dass also
die Beklagten die vom Kläger verlangte Anerkennung leisten,
muss er vielmehr durch Exvacuatio anerkennen, nicht beweisen
zu können,
nt beneficius debeat esse.
Anders dagegen verhält es sich in einer burgundischen Ur-
kunde l ). Zu Dijon klagt im Jahre 870 der Abt der Benignus-
kirche wider drei Hörige der Kirche um Güter in der villa
Ischiriaco, die der Vater der Beklagten als Benefizium der
Kirche besessen habe, die aber von den Beklagten ohne Be-
rechtigung als freies Eigen (alodum in p ropriis usibus) bean-
sprucht würden. Nachdem durch Zeugen die Behauptungen
des Klägers erwiesen sind und eine von den Beklagten vorge-
brachte Urkunde sich als falsch herausgestellt hat, erkennen diese
die Aussagen der Zeugen als richtig an und werden verurtheilt,
nt res secunduin legem redderent supradictas,
was sie dann auch thun;
cum festuca se in omnibus exutos dixerunt et per vuadium
. . . reddiderunt.
Daraus erhellt, dass die Klage auf Herausgabe, nicht auf An-
erkennung ging*).
Es kann ferner hier auf folgende italienische Urkunden
aufmerksam gemacht werden.
Zu Spoleto klagt im Jahre 814 der Abt von Farfa wider
Rumuald und seinen Sohn Herfuald, die sich bei einer Strafe
von 60 Silberpfunden verpflichtet haben, eine von Leo, dem
Schwiegervater des Herfuald, dem Kloster gemachte Tradition
nicht anzufechten, die aber nunmehr doch das Recht des
Klosters bestreiten:
sed modo contradicunt ipsas res et non permitlunt ipsum
monasterium habere secundum suam obligationem.
Die Beklagten leugnen dies allerdings; schliesslich ver-
zichtet das Kloster auf die Busse und verlangt nur,
l ) Nr. 381. Pferard p. 150. Th p. 147 n. 103.
*) Man kann vielleicht auch als hierher gehöriges Beispiel eine Formel
von Angers (Nr 14. Form. Andec. n. 30, MüF p. 14) anführen, in welcher
wohl die Klage dahin geht, dass Beklagter das bestehende Vertragsverhältniss
einer colonia partiaria anerkenne.
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habere res ipsas, quas ad partem monasterii ipse Leo tra-
didii;
also es verlangt Anerkennung seines Besitzes, nicht etwa Rück-
gabe l ).
Zu Rom erhebt im Jahre 942 der Abt von Subiaco wider
vier Bewohner von Tivoli Klage:
inquietant nos et contendant, ut habeamus illorum pro-
prietatem *).
Deutlicher kann nicht gesagt werden, dass es die besitzenden
Eigenthümer sind, die Anerkennung ihres Rechts verlangen.
Die Beklagten müssen schliesslich verzichten.
Nicht hierher gehört eine sehr eigenthümliche Urkunde
über einen im Jahre 870 zu Vienne verhandelten Rechtsstreit 8 );
es handelt sich in ihr um einen Beweistermin: ein gewisser
Salomon hatte als Vertreter seiner Frau wider eine Frau Be-
nedicta geklagt und zwar um Grundstücke, die letztere
seiner Frau laut vorgelegter Urkunde geschenkt hatte. Die
beklagte Benedicta hatte die Urkunde gescholten und durch-
bohrt. Der Kläger ist nun bereit, durch Schwur oder Kampf
jene Urkunde zu erhärten; die Beklagte aber erkennt sie an
und gelobt Revestitur. Man sieht daraus, dass die Beklagte
im Besitz war, dass daher die Klage von vornherein auf Her-
ausgabe gerichtet war; man kann also nicht behaupten, dass
das Verlangen nach einem Anerkenntniss der fraglichen Urkunde
und damit des klägeriscben Rechts der Inhalt der Klage ge-
wesen wäre.
Eine wirkliche Feststellungsklage liegt aber in einer far-
fenser Urkunde von 750 vor 4 ). Zu Spoleto im Gericht des
Herzogs Lupo trägt der Kläger, der Priester Claudianus, vor,
er habe vor 30 Jahren mit seinen Brüdern sich auseinander-
gesetzt und mit dem ihm zugefallenen Vermögen ein Kloster
der Jungfrau Maria und des Erzengels Michael erbaut. Als
er dann in schwere Krankheit verfallen sei und den Tod er-
*) R. di Farfa II p. 168 n. 207. Mnratori Scriptores IP> c. 361.
*) Regesto Sublacense p. 202 n. 156.
*) Nr. 382. Chart, de Cluny I p. 18 n. 15. Th p. 145 n. 102.
4 ) R. di Farfa II p. 37 n. 25. Troya IV p. 371 n. 641. Huratori
Scriptores II >> c. 341.
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wartete, habe er durch einen Schenkungsbrief all seinen
Besitz und jenes Kloster in der Form einer donatio post obitum
dem Kloster von Farfa übertragen. Nun aber sei er durch
Gottes Barmherzigkeit wieder gesund geworden ; er wolle aber
jetzt selbst mit allem seinem Vermögen in das Kloster Farfa
eintreten und dort als Mönch sein Leben beschliessen. Darauf
aber erwidern sein anwesender Bruder und die anderen Ver-
wandten , dazu habe Claudianus kein Recht ; in jenem Theilungs-
vertrage sei vielmehr bestimmt worden, dass von ihnen gemein-
sam jenes Kloster erbaut werden solle und zwar so, dass es
nach dem Tode des Claudianus in ihre, der Verwandten, Hände
zurückzufallen habe. Beide Parteien berufen sich auf Urkunden ;
die der Beklagten wird als eine Fälschung erkannt und daher
Claudianus zum Eid zugelassen. Wir sehen also, dass der
schlichte Vortrag des Claudianus, der scheinbar nur eine Er-
zählung ohne prozessualischen Zweck ist, den Klageantrag ent-
hält, seine Verwandten sollten sein freies Verfügungsrecht über
das Marien- und Michaelskloster anerkennen.
Ja wir finden sogar hin und wieder den Ausdruck gebraucht,
der Beklagte habe dadurch, dass er das Recht des Klägers
schmähte (calumniare), Anlass zur Klage gegeben, wesshalb be-
antragt wird, das klägerische Recht feststellen zu lassen. So
heisst es in einem Placitum Karls des Grossen von 772 l ), der
Abt von Lorsch habe dem König mitgetheilt,
quod homo aliquis, nomine Heimericus, de ipso mona-
sterio calumnias generare voluisset, dum diceret, quod
suus pater Cancor eum de ipso monasterio vestüum
dimisisset.
Offenbar hat sich Heimericus Besitzstörungen zu Schulden
kommen lassen und dadurch den Abt so lange belästigt, bis
dieser ihn durch den klaren Nachweis seines Rechts im Königs-
gericht zur Ruhe zwingt: der Beklagte muss durch Professio
das Recht des Klägers anerkennen und zur grösseren Sicher-
heit die symbolische Auflassungshaudlung {per festucam se exir
tum dicere ) vornehmen.
Sicherlich kann eine burgundische Urkunde von 898 2 ) hier
*) Nr. 84. Mühlb. 141.
’) Nr. 449. Balaze hist. Tutelensis libri tres p. 348.
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angeführt werden, in der es heisst, Norbertus und seine Frau
Bertlindis besässen, wie alle wüssten, einen Mansus in der
Villa Vertlac,
quem calumniabat eis Gaucelmus;
und dieser, der also offenbar nicht im Besitz war, benahm sich
gegen sie so böse (male in tantum), dass sie zu prozessieren
beschlossen. Nun wird ihnen durch Urtheil ihr Recht bestätigt.
In diesem Zusammenhang darf fernerhin wohl auch auf solche
Klagen hingewiesen werden, in denen vom Beklagten eine Leis-
tung verlangt wird, zu der er aus dem zwischen ihm und
dem Kläger bestehenden Vertragsverhältniss verpflichtet sei.
Denn auch hier wird dem Beklagten nicht etwa der Besitz
als solcher zum Vorwurf gemacht; im Gegentheil, dem Kläger
liegt möglicherweise gar nichts daran, ihn in seine Hand zu-
rückzubekommen; sondern was verlangt wird, ist im eigent-
lichen Sinn nichts als eine Anerkennung des klägerischen Rechts,
nur dass diese nicht in abstrakter Weise erfolgen, sondern sich
in praktischer Bethätigung äussern soll, nämlich dadurch, dass
der Beklagte die ihm dem Kläger gegenüber obliegenden, an
den Besitz des Grundstücks gebundenen Pflichten erfüllt. Unter
diesem Gesichtspunkte können diese Klagen beim Immobiliar-
prozess erwähnt werden, zu denen besonders die nicht seltenen
Fälle gehören, in welchen Zahlung rückständiger Abgaben, Leis-
tung verweigerter Dienste verlangt wird.
Ja selbst, wenn z. B. in einer bairischen Urkunde Scha-
densersatz wegen nicht erfolgter Firmatio (der Beklagte hatte
einen Ort an die Kirche geschenkt, ohne über ihn verfügen zu
können, und ihn daher einem Dritten überlassen müssen) ‘) ; wenn
in einer Fuldaer Urkunde*) die Kläger Antheil an dem von
den Mitgliedern einer Rodungsgenossenschaft vorher verkauften
Neubruch und entsprechende Entschädigung verlangen; oder
wenn das Ambrosiuskloster zu Mailand 844 im Gericht der
Königsboten verlangt, dass der Beklagte, der das gegen ihn er-
gangene Urtheil zu erfüllen sich weigert, dies nunmehr thue *) :
’) Nr. 260. Meich. I 2 p. 278 n. 530 (828). Näheres über die Fir-
matio unten.
>) Nr. 259. Dronke C. d. Fuld. p. 207 n. 471. L Sch p. 35 n. 53.
Th p 82 n. 69 (827).
*) Cod. Lang. c. 265 n. 154. Fomagalli p. 240. Hnratori Ant. I c. 467.
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so kann man anch hier sagen, dass die Klage praktische
Anerkennung des klägerischen Rechts bezweckt und sich da-
durch von den allgemeinen Immobiliarklagen unterschieden habe,
dass nicht der unrechtmässige Besitz als solcher die Grundlage
und seine Herausgabe der Zweck der Klage war, wenn auch,
wie in der letztgenannten mailänder Urkunde, die Herausgabe
des Guts sich als nothwendige Folge jenes Anerkenntnisses
ergab.
4. Scheinprozesse.
Anhangsweise sind hier die sogenannten Scheinprozesse
zu erwähnen, deren Bedeutung besonders durch die Untersuch-
ungen Brunners 1 ) nach allen Seiten als festgestellt zu er-
achten ist.
Es sind dies Klagen, durch welche derselbe Zweck wie in
den eben besprochenen Fällen erreicht werden soll, nämlich
eine Anerkennung des klägerischen Rechts. Während aber in
den letzteren das klägerische Recht wirklich bestritten wurde,
war das in jenen Fällen gar nicht der Fall. Trotzdem wurde
Klage erhoben und ein regelrechter mit Urtheil abschliessender
Prozess aufgeführt; und zwar lediglich aus dem Grunde, um
durch das gerichtliche Erkenntniss eine besonders wirksame
Rechtsbestätigung zu erlangen, die zumal dann von grösstem
Werthe war, wenn das Verfahren vor dem Königsgericht statt-
fand; denn dann erhielt der Kläger eine unanfechtbare Königs-
urkunde. Weil also der Beklagte gar nicht das Recht des
Klägers verletzt oder streitig macht, so wird die Klage regel-
mässig mit Auslassung der sonst charakteristischen Worte malo
ordine erhoben. Derartige Scheinprozesse begegnen uns be-
kanntlich bereits in mehreren merovingischen Königsplacitis ;
in ihnen allen tritt das eben charakterisierte Wesen klar zu
Tage. Nur in einem einzigen Fall 8 ) erfolgt von Seiten des
Beklagten ausser der Anerkennung auch eine symbolische Auf-
*) Namentlich Gerichtszeugniss S. 157, Rechtsgeschichte der Urkunde I
S. 292. Anch z. B. So hm Fränk. Recht und Röm. Recht S. 39 Anm. 53.
Die Erklärung Heuslers (Gewere S. 29), der in vielen Fällen die Klage
als einen auf Ausführung der Traditio gerichteten Antrag auffasst, erscheint
weniger geeignet, das allgemeine Prinzip zur Anschauung zu bringen.
») Nr. 52. DDM p. 64 n. 73.
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lassung durch exitum dicere per festucam ; die Sache liegt also
hier ähnlich wie in dem oben l ) erwähnten Placitum Karls des
Grossen. Es ist bezeichnend, dass hier sowohl wie in dem Placi-
tum Karls des Grossen die vom Beklagten vorgenommene sym-
bolische Handlung nur in dem se exitum dicere, der Verzichts-
erklärung, besteht, ohne dass damit die sonst übliche positive
Traditions- oder Investiturhandlnng, die Überreichung der Erd-
scholle oder der festuca oder einer carta, verbunden wäre.
Darin scheint ausgedrückt zu sein, dass eben der Beklagte
nichts zu übertragen hatte, dass man ihn nur einen Verzicht
aussprechen liess, der immerhin auf die Erhebung künftiger
Ansprüche bezogen werden konnte. Im charakteristischen Gegen-
sätze hierzu fanden wir in der oben besprochenen bairischen Ur-
kunde von 818 2 ) sowohl symbolische Revestitur (durch Glocken-
seil) als auch Verziclitserklärung, denn in diesem Fall war der
Beklagte in der That, wie wir annahmen, Besitzer.
Ausserhalb Italiens hat die Institution des Scheinprozesses
zunächst keine Weiterbildung erfahren; sie verschwindet seit
dem Beginn des 8. Jahrhunderts vollständig und taucht dann
erst wieder im 10. Jahrhundert, zumal in Westfrancien auf,
freilich in gänzlich abgeblasster Form, falls man überhaupt
die zahlreichen werpitiones, Verzichtserklärungen, wie sie z.
B. in der Sammlung von Cluny begegnen, mit dem alten Schein-
prozess in Verbindung setzen will.
Eine um so wichtigere Rolle hat er bekanntlich in Italien
gespielt, wo sich aus dem in ihm liegenden Keime eine zu all-
gemeiner Herrschaft gelangende Besitz- und Rechtsbestätigungs-
und Anerkennungsform entwickelte, die sich dann auch mit der Festi-
gung durch Ertheilung des Königs- oder Grafenbanns verband®).
Ausserhalb Italiens ist mir nur eine marseiller Urkunde
von 780 aufgefallen 4 ), in der ganz nach italienischer Weise die
Rechte des Klägers vom Gericht bestätigt werden, nachdem
auf dessen Anfrage, ob von anderer Seite irgendwelche An-
sprüche erhoben würden, Niemand sich gemeldet hat.
■) Oben S. 69.
*) Oben S. 53 f.
*) Hierüber vgl. Ficker Forschungen I S. 37 ff.
4 ) Nr. 112. Cartulaire de St. Victor de Marseille p. 43 n. 31.
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III. Die Klagebegründung.
1. Klageerhebung ohne Klagebegründung.
Aus den bereits oben angeführten Beispielen wissen wir,
dass häufig genug die Klage nichts anderes enthielt als die
Worte: malo ordine possides terram illam.
Eine Substanziierung der Klage war rechtlich nicht er-
forderlich; es genügte die Behauptung, dass der Beklagte sich
rechtswidrig verhalte; dass er besass, und dass er malo ordine
besass, diese Worte zwangen sowohl den Beklagten zur Ant-
wort als das Gericht zu richterlicher Thätigkeit.
Die Klage war in dieser ihrer allgemeinsten typischen
Form, wie man mit Recht gesagt hat, selbst schon ein Urtheil ;
da der Beklagte sich darauf beschränken konnte, ihr ein eben-
so apodiktisches Urtheil entgegenzusetzen, so war die Auf-
gabe des Gerichts im Grunde die, dahin zu wirken , dass
sich herausstellte, welches dieser beiden Urtheile das rich-
tige sei.
So gering die Erfordernisse auch waren, die das Recht
für die Fassung der Klage stellte, jedenfalls wird doch zum
mindesten eine jeden Zweifel ausschliessende Bezeichnung des
Grundstückes, um dessentwillen Klage erhoben wurde, verlangt
worden sein. Finden wir doch, wie weiter unten zu erwähnen
sein wird, in Italien nicht selten vom Beklagten eingewendet,
er wisse nicht, um welches Grundstück es sich handle, worauf
dann stets, ehe weiter prozessiert wird, eine genaue Bezeich-
nung, häufig an Ort und Stelle, erfolgen muss.
Oft freilich wird zwischen den Parteien von vornherein
hinreichende Gewissheit bestanden haben; dann genügte die
kürzeste Bezeichnung, die möglich war.
Anderenfalls aber unterliess es der Kläger im eigenen In-
teresse nicht, einige nähere Angaben zu machen.
So findet man denn nicht selten, dass in der Klage eine
genaue Beschreibung der Lage und der Grenzen der eingeklagten
Grundstücke gegeben wird.
Z. B. enthält die Klage des Erzbischofs von Narbonne
wider den Grafen Milo von Narbonne, die im Jahre 782 zu
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Narbonne vor Königsboten verhandelt wird, eine genaue Auf-
zählung aller Villen, die die Kirche beansprucht 1 ).
Ein weiteres anschauliches Beispiel aus Südfrankreich bietet
eine Urkunde über einen 918 zu Alzonne geführten Prozess,
in welchem der Vogt des Vorsitzenden Vikars wider den Abt
von Montolieu und sein Kloster Klage erhebt, weil sie
retinent vilare cuius vocabulum est Vüla-Fedosi, quae ali-
um nomen vocatur Eisau, cum terminis et litnitibus et adia-
centiis suis, qui est situs in territorio Ausonense in su-
burbio Carcassense. Fines vel adiacentias habet ipse iam-
dictus vüares: — folgt eine genaue Beschreibung — ;
de quantum in istas totas affrontationes abet ipse villare
construrto cum terminibus, limitibus et adiacentiis suis,
sic retinet ipse iamdictus abba iniuste et malum ordinem *).
Im Jahre 955 wird zu Narbonne gegen das Kloster St.
Pons-de-Mauchiens die medietas de ipso alode eingeklagt,
qui est in comitatu Narbonense in locum quem vocant
Gonestar ;
hierauf folgt gleichfalls eine nähere Beschreibung 8 ).
Die vom Grafen Nivelongus gegen Amelius zu Autun er-
hobene Klage bezeichnet als Klagegegenstand
Mas res, quae sunt in pago Augustidunense in vMa Bal-
giaco, quem Karolus Hildebranno benefidaverat de viUa
Patriciaco *).
In einer Urkunde aus Mäcon klagt Kläger um einen Wein-
berg:
dum diceret quod una vinea cum campo qui est in villa
Boscido, qui habet fines et terminationes,
worauf diese Grenzen genau angegeben werden 5 ).
Ähnlich heisst es in der aus demselben Chartular stammen-
den Urkunde von 968 — 971, in welcher Bischof Ado von Mäcon
wider die Frau Wandaltrate und ihre Verwandten Klage erhebt,
>) Nr. 116. Vaissete II c. 47 n. 5.
') Nr. 487, Vaissete V c. 137 n. 48. Th p. 179 n. 123.
•) Nr. 634. Vaissete V c. 222 n. 98.
4 ) Nr. 316. Pferard p. 33 n. 13. Das Datum ist unsicher; in den Re-
gesten ist das Jahr 843 angenommen, Sohm setzt die Urkunde in das Jahr
766 (Auflassung S. 92 Anm. 21).
*) Nr. 462. Cartulaire de Mäcon p. 169 n. 284 (888 — 898).
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quod iniuste tenebant quamdam vineam s. Vincentii, que
est sita in pago Matisconense, in agro Viviacense, in villa
Causel , que est villa fratrum; terminal . . . ;
folgt eine genaue Grenzbeschreibung l ).
Besonders anschaulich ist eine in den Jahren 941 — 960 zu
Mäcon verhandelte Klage. Der Propst der dortigen Vincen-
tiuskirche
contrapellavit tres homines cum uxoribus eorum, quod rebus
s. Vincentii in villa Cavaniaco, hoc est vinea, que termi-
naittr a mane terra Ingeltrudis, a medio die ad heredes
Bernardi, a sero s. Stephani, a circio fossado finali et
concisa 2 ).
Also eine Lokalbeschreibung so genau, als sie die zwar nicht
scharfe, aber sinnlich anschauliche Darstellungsweise jener Zeit
nur liefern konnte, anschaulicher vielleicht und noch für eine
späte Folgezeit lebendiger, als unsere heutigen Grundbuch- und
Katasternummern.
Aus den cluniacenser Urkunden möge eine Verhandlung
vom 20. August 960 angeführt werden: der Abt von Cluny
spricht einen Mann an, der Güter des Klosters inne hat;
die Lage, Begrenzung und Beschaffenheit der Güter wird genau
angegeben ; der Mann erkennt das Eigenthum des Klosters an s ).
Hier, wo es sich wahrscheinlich nicht um eigentlichen Rechts-
streit, als vielmehr um ein Anerkennungsverfahren handelt, mag
die genaue Bezeichnung der fraglichen Gegenstände besonders
am Platz gewesen sein; wir finden die gleiche Übung in den
zahlreichen italienischen Urkunden späterer Zeit, die über der-
artige Anerkennungsakte aufgenommen worden sind.
Um einen wirklichen Rechtsstreit dagegen handelt es sich
in einer Urkunde von 997: der levita Gyrfredus klagt
de uno prato, qui est siius in pago Cabilonense , in fine
Balodrense, in villa Novientio, ubi in Prato Arleo vocat,
quem Badul/us malo ordine contra illum contendit 4 ).
') Nr. 678. Cartulaire de MÄcon p. 216 n. 376.
") Nr. 650. Cartulaire de Hftcon p. 121 n. 186.
*) Nr. 548. Chart, de Cluny II p. 180 n. 1087.
4 ) Nr. 605. Chart, de Cluny III p. 487 n. 2391.
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Auch eine bretonische Urkunde von 869 kann hier an-
geführt werden; der Abt von Redon benennt als Klagegegen-
stand
insulani Ambon totum atque integrum et partem ex altera
insula, quae vocatur Plaz, quam undique commanentes alio
nomine Venezia appellant, cum silva et otnnibus insulu-
dis et adiacentibus, sicut vetus Visnonicum a parte Cornou
terminat, usque ad Uldonem fluvium *).
Für die ostfränkischen Gebiete sei nur kurz auf einige
bairische Urkunden hingewiesen, in denen gleichfalls die be-
anspruchten Liegenschaften geographisch näher bezeichnet
werden ! ).
Auch in Italien ist eine derartige Beschreibung nicht un-
gewöhnlich; ich erwähne beispielshalber eine farfensische Ge-
richtsurkunde von 801, in welcher der Kläger genau angiebt,
welche Besitzungen des Klosters vom Beklagten widerrechtlich
in Besitz genommen worden sind®).
2. Verstärkung der Klage.
a. Formell durch Voreid.
Das Recht verlangte, wie wir sahen, im allgemeinen nichts
anderes als die nackte Klagebehauptung malo ordine possides.
Aber wenn auch nicht rechtlich gefordert, so war doch
auch bei Immobiliarklagen eine Verstärkung der Klagebehaup-
tung gestattet.
Eine solche Verstärkung der Klagebehauptung, und zwar
eine Verstärkung formeller Art, war der Voreid 4 ).
Der Voreid oder Widereid, wie er uns in der fränkischen
Zeit noch entgegen tritt, ist nach Brunners Vermuthung ein
Rest der in heidnischer Zeit wohl allgemein üblich gewesenen
religiösen Klagebetheurung; der Voreid ist ein von der klagenden
Partei dahin geschworener Eid, dass die Klage „nicht aus
*) Nr. 377. Cartulaire de Redon p. 192 n. 242.
*) Nr. 165. Meich. I 2 p 90 n. 118 (802); 166. Meich. I 2 p. 87,
88, n. llö, 116 (802); 169. Graf Hundt XII p. 219 n. 13 (804).
•) R. di Farfa II p. 137 n. 165. Galletti Gabio p. 60. Ficker Forsch-
ungen IV p. 5 n. 4.
‘) Vgl. über den Voreid jetzt Brunner RG II S. 348 ff.
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Hass, Muth willen oder Gewinnes halber“, sondern auf Grund
genügender Verdachtsgründe erhoben werde. Möglich, dass
einst wie die Klagebetheurung, so auch der Voreid nur dann
erlassen wurde, wenn sichtliche Verdachtsmomente Vorlagen,
dass er also im Zweifel vom Recht gefordert wurde; unsere
Quellen kennen ihn nur noch in bestimmten Fällen. Und zwar
wird er auch einige Male besonders bei Immobiliarprozessen er-
wähnt *); nämlich in den Volksrechten der Ribuarier und Sachsen.
Lex Rib. 67, 5:
Si quis pro heredüatetn vel pro genuitatem certare coeperit
post malo ordine cum 6 in ecdesia coniurata, mm 12 ad
stafflo regis in circlo et in collore cum verborum contem-
platime coniurare studeat.
Diese Stelle ist mit Brunner dahin zu erklären: hat in
einem Prozess um Erbe oder Freiheit der Kläger seinen Klage-
vorwurf, das malo ordine teuere, in der Kirche mit sechs Eid-
helfern beschworen, also, um Brunners Ausdruck zu gebrauchen,
mit „verstärktem Voreid“ geklagt, dann soll der Beklagte auf
diese Klage mit einem „gestabten und erschwerten Zwölfereid“
antworten. Freilich wird nicht gesagt, ob jede Klage um Frei-
heit und Erbe einen solchen Voreid erforderlich machte; das
Gesetz hat den Zweck, die Erfordernisse anzugeben, die der
Beklagte erfüllen muss, wenn er auf eine mit Voreid erhobene
Klage antworten will. Aus anderen Stellen muss man annehmen,
dass der Voreid nach ribuarischem Recht überhaupt nicht und
auch nicht für den Immobiliarprozess Erfordniss, sondern nur
eine in das Belieben des Klägers gestellte Form der Klage war *).
Voreid bei Immobiliarklagen kennt wie gesagt ausserdem
noch die Lex Saxonum. Dort heisst es c. 39:
Qui alteri dolose per sacramentum res proprias tollere
mit, duobus aut tribus de eadem provincia idoneis testibus
vincaiur, et si plures fuerint melius est.
l ) Brunner stellt alle Zeugnisse über das Vorkommen des Voreides
S. 343 zusammen; ich gehe hier nur anf die speziell den Immobiliarprozess
betreffenden ein.
*) Wenn es Lex Rib. 59, 8 (worauf auch Brunner aufmerksam macht)
heisst: Si quis in iudicio interpellatus cartam per manibus habuerit, nulle ei
male ordine vel invasio requeratur, so ist hier kein Voreid bezeichnet.
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Dass unter den res propriae auch Immobilien zu verstehen
sind, leidet keinen Zweifel. Es handelt sich auch hier wahr-
scheinlich um eine mit tnab ordine possides erhobene Klage:
durch diese Klage will der Kläger dem Besitzer seine res ent-
ziehen. Und zwar erhebt er die Klage per sacramentunr, d.
h., wie Brunner es ausgesprochen hat, Klage mit Voreid. Der
Beklagte kann dieser Klage einen Zeugeneid entgegensetzen;
und, wenn dieser Zeugeneid geschworen wird, stellt sich her-
aus, dass der Voreid des Klägers ein falscher Eid war, dass er
die Klage dobse erhoben hat.
Aber auch nach sächsischem Kecht scheint der Voreid nicht
mehr unbedingt erforderlich gewesen zu sein, denn aus Lex
Saxonum c. 63 dürfte hervorgehen, dass eine Immobiliarklage
auch ohne ihn erhoben werden konnte 1 ).
Dieser geringen Rolle, die der Voreid in den Volksrechten
spielt, entspricht das spärliche Vorkommen in den urkundlichen
Beispielen.
Wenigstens ein sicheres liegt in einer burgundischen Ur-
kunde von 868 vor *): der Beklagte entgegnet auf eine wegen Ver-
wüstung eines Eichenwaldes erhobene Klage, dass der Kläger
ihn non iusb sed iniuste mallasset; hierauf erbietet sich der
Kläger zum Widereid (widridum stipulavit).
Zweifelhaft scheint es dagegen, ob man folgenden Fall
hierher ziehen kann, der gleichfalls aus Burgund stammt. Im
missatischen Gericht zu Tournus erhebt 814 Walaradus wider
zwei Söhne um Güter im pagus Vienensis Klage, die laut der in
seinen Händen befindlichen Urkunden sein Eigen seien; er ver-
spricht, sein Recht auf sie zu beweisen:
festuca iectante se in omnibus legibus ßrmavit, sicut lex
est, de removendis 3 ).
') Qui terram suam occupatam ab altero dixerit, udhibitis iduneis
testibus probet eam suam fuisse. Diese Zeugen sind natürlich nicht zum
Voreid verwendete Eidhelfer; denn während die Eidhelfer beschwören, dass
der Kläger nicht mnthwillig klage, sagen die Zeugen über das materielle
Becbtsverhältniss aus.
*) Nr. 370. Pferard p. 148 Th p. 140 n. 100 bis. Auch Brunner macht
auf sie aufmerksam.
*) Nr. 202. Chart, de Cluny I p. 6 n. 3. Champollion-Figeac Docu-
menta historiques III p. 413 n. 6.
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Eher scheint man an ein Versprechen denken zu sollen,
im Fall des Unterliegens die gesetzlichen Folgen auf sich zu
nehmen, wenngleich andere Beispiele aus fränkischen Urkunden
für einen solchen Brauch mir nicht bekannt sind 1 ).
b. Materiell durch Substanzllerung.
Die formelle Verstärkung der Klage durch Voreid war
selten; aber auch materiell konnte eine solche erfolgen: der
Kläger konnte, wie wir an mehreren Beispielen bereits gesehen
haben, sofort der Klagebehauptung eine rechtliche Begründung
hinzufügen, darlegen, aus welchem Grunde das von ihm bean-
spruchte Recht ihm zukomme, warum der Beklagte sich eines
Unrechts schuldig gemacht habe.
Eine solche Substanziierung der Klage im eigentlichen Sinn
geschah dadurch, dass der Kläger angab, auf welche Weise er
das ihm streitig gemachte Recht erworben habe.
Um die verschiedenen Möglichkeiten zu übersehen, ordnen
wir die Fälle, je nachdem er originären oder derivativen Rechts-
erwerb geltend machte.
Auf originären Rechtserwerb konnte er sich zunächst
mit der Behauptung berufen, das eingeklagte Landstück durch
Okkupation erworben zu haben.
Ein hierher gehöriges Beispiel scheint mir eine septima-
nische Urkunde von 850 zu bieten. Der Kläger behauptet, der
Bischof von Gerona habe ihm Weinberge, Ländereien und Höfe
widerrechtlich entzogen
quod pater meus quondam Stavilis de er emo traxisset ;
das wird später noch einmal anders ausgedrückt, indem der
Kläger sagt:
tenebam per aprisione genüore meo seu quod ego excolui *).
Auch auf die Dauer des Besitzstandes konnte der Kläger
sein Recht gründen. Bekanntlich ist dem älteren deutschen
*) Eine Formel (Form, extrav. I n. 6 MGF p. 637) enthält ein solches
Versprechen des Klägers; aber sie ist römischrechtlich.
*) Nr. 329. Marca Hisp. c. 783 n. 21. — Die Frage, ob in fränkischer
Zeit bereits Okkupation herrenlosen Landes nur auf Grund königlicher Er-
mächtigung gestattet war (dass solche unter Umständen vorkam, beweist
der Erlass Karls des Grossen an die Grafen der spanischen Mark, Nr. 198.
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Recht die spätere rechte Gewere noch unbekannt gewesen ') und
damit eine Institution, die im eigentlichen Sinne durch den
Zeitablauf und nur durch ihn ein Recht hätte zur Entstehung
bringen können.
Aber die naive Anschauung ist stets der Überzeugung, dass
etwas, das lange bestanden hat, gerade darum ein Recht habe
weiter zu bestehen und gegen Änderungen geschützt zu werden.
Wer lange Zeit im Besitz eines Grundstücks gewesen war,
der galt schliesslich als der Berechtigte und man fragte nicht
mehr danach, wie er es erworben habe. Er konnte sich auf
seinen langen Besitz berufen und sich damit gegen Störungen
auf gleiche Weise vertheidigen , als wenn er einen Rechtstitel
angeführt hätte. Es befreite also, wie Heusler treffend sagt*),
der Beweis langjähriger Rechtsübung von der Pflicht, sich über
seinen Besitztitel zu verantworten. Die Begründung der Klage
versieht daher hier mehr eine negative, als eine positive Funk-
tion; sie giebt an, warum ein Recht des Beklagten nicht ent-
standen sein könne, ohne im rechtlichen Sinne einen Grund für
die Entstehung des klägerischen Rechts zu nennen.
Im allgemeinen war es wohl eine Frist von bestimmter
Dauer, die als rechtliches Erforderniss galt; meist, besonders
im italienischen Recht, betrug sie 30 Jahre.
Als Beispiel aus dem Gebiet des fränkischen Rechts ist
eine bereits oben besprochene, im Jahre 893 vom Bischof von
Nimes erhobene Klage anzuführen, in der es sich um die Villa
Patronianicus bandelt, die der bischöflichen Kirche einst ge-
schenkt worden sei (allerdings beruft sich Kläger hier gleich-
zeitig auf die Schenkungsurkunde), und die diese 30 Jahre
und länger in ungestörtem Besitz innegehabt habe, bis sie im
letzten Jahre ihr vom Beklagten entzogen worden sei*).
MG Capitularia I p. 169), braucht hier nicht eriirtert zu werden; wenn
Beseler (Neubruch, in den Festgaben für Bethmann-Hollweg S. 17) nur für
AlamauDien ein fiskalisches Recht des Fiskus auf Wüsteneien bezeugt findet,
so stammt das Zeugnias erst aus dem Jahre 1114.
*) Vgl. beispielsweise die Bemerkungen Sohms, Fränk. Recht und R5m.
Recht S. 63.
*) Gewere S. 80.
*) Nr. 441. Mfcnard p. 16 n. 3. Germer-Durand p. 17 n. 8. Th p. 167
n. 114.
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Aus Italien sei erwähnt, dass in zwei zu Asti verhandelten
Prozessen aus den Jahren 887 *) und 990 *) die Kläger, beide-
male der Vogt der bischöflichen Kirche, ihren Anspruch auf
30jährigen Besitz stützen.
Es kommt aber daneben sehr häufig vor, dass lediglich die
Länge der Zeit, während der der Besitz ausgeübt worden
war, betont wurde. Gerade das erscheint als ein besonders
sprechendes Beispiel für die hervorgehobene naive Anschauungs-
weise.
So z. B. klagen im Jahre 857 zu Tours die Vertreter der
Kirche des hl. Hispanus um Besitzungen, die die Kirche
diu legitime partibus ipsius ecclesie in villa Malebuxis pos-
siderat *) ;
so beschweren sich die Kanoniker der Vincentiuskirche von
Mäcon, dass einige ihrer Fideles eine Kirche an sich gerissen
hätten,
que est de ratione fratrum et per muUa curricula annonm
canonici ipsius bei Matiscensis vestiti fuerunt*)',
so verlangt im Jahre 823 das Freisinger Bisthum Herausgabe
der Kirche zu Holzhausen,
quam ab antiquis temporibus praedecessores Hittoni epis-
copi potestative in episcopatum s. Mariae habuerunt 5 ).
Selbstverständlich wurde, wie wir das an dem eben er-
wähnten bairischen Beispiel sehen, der Zeitraum, während dessen
sich das Grundstück im Besitz der unmittelbaren Rechtsvor-
gänger befunden hatte, mit demjenigen, in welchem der gegen-
wärtige Kläger im Besitze stand, verbunden.
Das zeigen uns auch einige italienische Urkunden deut-
lich. Wir finden es besonders dann, wenn nicht eigentlich
eine einzelne Person, sondern eine Kirche, ein Kloster klagt;
es kommt dann auf die Zeit an, während der die Anstalt als
solche Besitz behaupten konnte.
Dahin gehört es, wenn in dem berühmten Diöcesanstreit
*) Chart, tom. I c. 74 n. 46.
*) Chart, tom. I c. 285 n. 169.
') Nr. 361. Th p. 120 n. 89 (aus der Collection Honsseau).
*) Nr. 552. Cartulaire de Mäcon p. 242 n. 420 (954 — 960).
4 ) Nr. 243. Meich, I 2 p. 248 n. 472.
Httbner, tränk. ImmoblUarproiett. «
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der Bistliümer Arezzo und Siena die Klage wegen gewalt-
samer Besitzstörung in mehreren Pfarreien erhoben wird, die
der bischöfliche Stuhl von Arezzo seit der Römer Zeit besessen
habe 1 ); wenn kurz darauf (716) der Bischof von Lucca wider
den Bischof von Pistoja um zwei Kirchen klagt, die, wie
der Kläger auf die Frage des Vorsitzenden erklärt, „immer“,
seit den Zeiten der Römer und Langobarden, zu seiner Kirche
gehört haben 8 ); oder endlich wenn im Jahre 746 zu Benevent
der Abt des Petersklosters zu Benevent wider den Priester
Benedictus auftritt, um von ihm Recht zu fordern in Bezug auf
die Peterskirche zu Quintodecimo, die
o tempore domni Theoderici in ipstm s. monasterium per
eius praeceptum oblata fuit.
Es ist weiterhin von dieser Verleihungsurkunde keine Rede,
und es scheint daher, dass nicht so sehr sie, als vielmehr die
lange Zeit, die seitdem verflossen ist, als Begründung ange-
führt wird*).
Wir finden auch wohl, dass schlechtweg gesagt wird, der
Besitz sei während der gesetzlich erforderlichen Zeit oder noch
länger ausgeübt worden; so klagt z. B. der Abt von Carcas-
sonne um Grundstücke, die, wie er sagt,
abuit ipsa casa Bei et eius concrecacio inter Vuilafredo
et isto JRichimiro abutibus legüimam vestituram seu et
anipUus 4 ).
Schon unter den letzterwähnten Fällen befanden sich
einige, in denen neben der langjährigen Ausübung des Rechts
auf den Erwerb des Grundstücks seitens Dritter Bezug ge-
nommen wurde.
Es leitet uns das zu derjenigen Begründung des klägerischen
Anspruchs hinüber, in der nicht ursprüngliche Entstehung des
Rechts in der Person des Klägers, sondern Übergang vorhandener
Rechte auf ihn, derivativer Rechtserwerb, behauptet wurde.
l ) Troya m p. 158 n. 400. Brunetti I p. 426 n. 6. Ughelli I
c. 410 (714).
*) M. di Lucca V 2 p. 5 n. 5. Troya III p. 249 u. 414. Muratori
Ant. V c. 914. Bronetti I p. 452 n. 11.
*) Troya IV p. 221 n. 592. Ughelli VIII c. 626.
4 ) Nr. 359. Vaisaete II c. 331 n. 161. L Sch p. 44 n. 64. Th p.
128 u. 94.
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Man kann wohl hier zunächst die Erwerbung durch rich-
terliche Adjudikation anführen, wenigstens in so fern als
keine von den Rechten Dritter unabhängige Entstehung des
eignen Rechts vorliegt, wenngleich eine Ableitung aus fremdem
Recht wenigstens nicht immer stattfindet, das Urtheil vielmehr
meist nur deklaratorische Wirkung hat. Doch da es nicht auf
strenge Systematik ankommen kann, möge es gestattet sein,
an dieser Stelle auf die betreffenden Beispiele hinzuweisen.
Ich möchte hier eine mehrfach in Betracht kommende,
auch bereits erwähnte Urkunde über einen 875 und 876 zu
Nimes um die Villa Bizagum geführten Prozess nennen 1 * * ).
Der Kläger beruft sich darauf, dass der Beklagte bereits in
einem früheren Termin zur Herausgabe der Villa verurtheilt
und ihm das Recht auf sie bestätigt worden sei, was er durch
Vorlage der Gerichtsurkunde erhärtet.
Wenn der Bischof von Mäcon Herausgabe der capella s.
Gengulfi verlangt, die ihm in alter Zeit entrissen, dann aber
per restUutionem domni Karoli piissimi imperatoris iustissime reddiia
sei, so ist nicht ausgeschlossen, dass dies durch Rechtspruch
geschehen und dass die verlesene preceptio des Kaisers eine
auf Grund einer Gerichtsverhandlung ausgestellte Urkunde ist*).
Auch gehört eine italienische Urkunde von 812 hierher:
der Abt des Bartholomäusklosters bei Pistoja klagt wider den
Fiskus, weil er zu Diensten gezwungen werde, obwohl ihm das
Kloster nach Entfernung des unrechtmässigen Besitzers Nebu-
lungus durch Königsboten restituiert worden sei 8 ).
Eine Parallele ist es, wenn sich, wie sonst eiu Laie auf
richterliche Einweisung, ein Geistlicher auf Ordination be-
ruft, was z. B. in einer luccheser Urkunde von 786 der Fall
ist 4 * * ).
Ganz besonders häufig entspannen sich Prozesse wie zu
allen Zeiten, so auch damals, wenn durch den Tod des bis-
l ) Nr. 404. Meuard p. 10 n. 1. Germer-Durand p. 3 n. 1. Th p. 155
n. 107. Vgl. S. 39 f.
*) Nr. 559. Cartulaire de Mäcon p. 149 n. 243 (937—962).
*) Brunetti II 1 p. 396 n. 87. Muratori Ant. V c. 953. Zacharia
Anecd. p. 342 n. 4.
4 ) M. di Lucea V 2 p. 123 n. 211. Muratori Ant. I c. 531. Brunetti
II 1 p. 268 n. 26.
»•
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herigen Besitzers ein Gut frei geworden war und nun von ver-
schiedenen Prätendenten Ansprüche erhoben wurden, Prozesse,
in denen der Kläger sich auf Rechtserwerb durch Erbgang
berief.
In den ältesten Zeiten, als es noch kein Individualeigen-
thum an Grund und Boden gab, fiel das Landstück, das der
Einzelne bewirthschaftet hatte, an die Sippe zurück und wurde
von Seiten der Sippe in Verwaltung genommen. Es gab keine
Erben am Land und daher keinen Streit zwischen Mit-
erben um Land. Aber schon ein oben erwähnter Zusatz der
Lex Salica *) spricht von dem Streit zwischen Miterben dt alode
terrae. Aus der ursprünglich gleichberechtigten Zahl der Ge-
schlechtsgenossen trat ein engerer Kreis zunächst zur Erbschaft
Berufener heraus: mit der Entstehung eines abgestuften Erb-
rechts war der Streit über das nähere Recht gegeben.
Ein weiterer Umstand kam hinzu. Das ältere deutsche
Recht kannte nicht nur keine freien Verfügungen von Todes-
wegen, keine Testamente, sondern auch unter Lebenden war
die Veräusserung liegenden Guts durch die Berechtigung der
Erben gebunden. Denn das Gut gehörte nicht Einem als freies
persönliches Eigenthnm, sondern es gehörte der Familie; ohne
ihre Zustimmung konnte es nicht an Dritte übertragen werden.
Diese Rechtsauffassung wurde besonders von der Kirche
bekämpft; sie wünschte Freiheit der Veräusserung, um selbst
erwerben zu können; römisches Testamentsrecht freilich konnte
sie nicht zur Anerkennung bringen, dafür verstand sie andere
Formen, donationes post obitum, Schenkungen mit Vorbehalt des
Niessbrauchs, zur Anwendung gelangen zu lassen, die materiell
ziemlich das gleiche, nämlich Aufhebung des unbeschränkbaren
Rechts der nächsten Familienangehörigen, bewirkten. Begreif-
lich, dass diese sich lange sträubten, jene Rechtsgeschäfte als
auch sie bindend anzusehen. So erklären sich jene zahllosen
Prozesse, in denen die Kläger sich auf die legitima hereditas
beriefen, die Kirche, das Kloster aber eine Tradition behauptete,
die freilich, da sie auf Grund eines Gesetzes Karls des Grossen
(Cap. Aquisgr. I a. 809 c. 26) öffentlich vorzunehmen war, den
*) S. 4. L. Sal. 59, 5 bei Bebreud, 59, 6 Cod. 10 col. 386 bei Hessels.
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Erben bekannt sein musste, von ihnen aber trotzdem als dem
alten Rechte widersprechend angefochten wurde.
In allen Ländern des fränkischen Reichs treten uns solche
Fälle entgegen.
Wie oft werden allein der Freisinger Kirche Güter strei-
tig gemacht, auf welche die Kläger Ansprüche erheben, weil
sie ihnen kraft ihres Erbrechts zugefallen seien; fast regel-
mässig aber werden sie abgewiesen; die Kirche kann sich auf
ein Rechtsgeschäft berufen, das ihr ein näheres Anrecht ge-
währt *).
Aus Alamannien kann ein Prozess genannt werden, in dem
ein gewisser Adillielm von den Chorherren von Zürich ein Grund-
stück de avo suo et suo patre verlangt 2 ); ja die Lex Alamanno-
rum selbst erwähnt ausdrücklich (2, 1) den uns beschäftigen-
den Thatbestand: der Sohn des Schenkers behauptet, er habe
auf Grund väterlicher Erbschaft das Recht am Grundstück,
eine Tradition an die Kirche sei nicht erfolgt.
Westfränkische Beispiele bieten eine Urkunde aus der Bre-
tagne von 833, in welcher wider das Kloster Redon auf Grund
Erbrechts geklagt wird (ausnahmsweise gewinnt der Klägor) *) ;
eine andere von 871, in welcher der Bruder eine vom Bruder
dem Kloster Redou gemachte Tradition auf Grund Erbrechts
anficht 4 ); auch eine späte burgundische Urkunde, in welcher
berichtet wird, wie Remestagius zu Gunsten der Kanoniker
der Vincentiuskirche zu Mäcon auf Grundstücke verzichtet, die
er zuerst durch Eid und Kampf erstreiten wollte,
dicens , quia sibi coinpeterent iure hereditario per successi-
onem parmtorum suorum 5 ).
*) Beispiele: Nr. 166. Meich. I 2 p. 90 n. 118 (802); Nr. 174. Eod.
p. 93 n. 122 (806); Nr. 178. Eod. p. 94 n. 124 (807); Nr. 180. Graf Hundt
Abhandlungen XII p. 220 n. 15 (806 — 810); Nr. 183. Meich. I 2 p. %
n. 127; Nr. 184. Eod. p. 96 n. 128 (784—811).
*) Nr. 604. UB der Stadt und Landschaft Zürich I p. 81 n. 190. Als
Parallele kann ein Fall angeführt werden, in dem in gleicher Weise nicht
gegen eine Kirche, sondern gegen den Fiskus Klage erhoben wird: Nr. 176.
Wartmann I p. 177 n. 187 (806, 807).
*) Nr. 273. Cartulaire de Kedon p. 364 App. n. 3.
4 ) Nr. 386. Eod. p. 197 n. 246.
*) Nr. 611. Cartulaire do Mäcon p. 251 n. 434 (990-1015).
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Auch italienische Urkunden stehen reichlich zur Ver-
fügung.
Im Jahre 761 erhebt ein exercitalis des Herzogs von Spo-
leto wider das Kloster Farfa Klage um die von seinem Vor-
fahren erbaute, ihm kraft Erbrechts zustehende Kirche des hl.
Anthimus 1 ); 813 zu Rom im Lateran vor Papst Leo III. wird
gleichfalls das Kloster Farfa verklagt um Güter im Gebiet von
Viterbo und in Toscana, die auch hier auf Grund des Erbrechts
beansprucht werden 8 ) ; zu Camerino wird 828 vom selben Kloster
Herausgabe des Hofes s. Abundii verlangt, der den Klägern
als Erbgut gebühre*); zu Bergamo endlich erhebt im Jahre
843 ein Ehemann wider den Archidiakon Willebuto Klage um
Grundstücke, die seine Frau als Erbe ihres Vaters überkommen
habe 4 ).
Sehr viel seltener sind daneben Prozesse zwischen Mit-
erben oder Laien untereinander. Abgesehen von einer Reihe
süditalienischer Urkunden s ) seien als Beispiele eine cluniacenser
Urkunde von 964 6 ), zwei Urkunden aus der Bretagne 7 ), eine
bairische Urkunde von 798 und eine alamannische von 889 *)
angeführt. Allerdings kann man wohl neben jener Stelle der Lex
Salica auch den vom Grenzprozess handelnden Titel der Lex
Baiuwariorum (12, 8) hier nennen, denn jede der streitenden
Parteien hat danach an Ort und Stelle den streitigen Platz zu
weisen mit den Worten:
kncusque antecessores mei tcnuerunt et in alodem mihi reli-
querunt 9 ).
*) R. di Farfa II p. 52 n. 46. Troya V p. 108 n 756. Fatteschi
p. 267 n. 15.
*) R. di Farfa II p. 162 n. 199.
*) R. di Farfa II p. 219 n. 268. Fatteschi p. 291 n. 48.
4 ) Cod. Lang. c. 258 n. 149. Lupus C. d. I p. 699.
•) Cod. Cav. I p. 198 n. 155 (934); p. 210 n. 164 (938); p. 233 n. 180
952); II p. 79 n. 274 (973).
•) Nr. 562. Chart, de Cluny II p. 265 n. 1179.
’) Nr. 312. Cartnlaire de Redon p. 148 u. 192. Th p. 115 u. 85 (828
bis 840); Nr. 435 Cartulaire de Redon p. 219 n. 271 (892).
8 ) Nr. 140. Meich. I, 2 p. 96 n. 129. Nr. 429. Wartmann II p. 275 n. 673.
•) Übrigens mag erwähnt werden, dass auch in einigen Formeln die
Klage auf Erbrecht gestutzt wird: Nr. 67. Form. Tnrou. 29, MGF p. 152;
Nr. 71. Form. sal. Merk. 27, MGF p. 251.
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Derivativer Rechtserwerb endlich wird dann behauptet,
wenn der Kläger sich darauf beruft, von einem anderen durch
Rechtsgeschäft unter Lebenden das Recht übertragen er-
halten zu haben.
Die Frage, in welcher Art Grundstücke in rechtlich wirk-
samer Weise nach dem Rechte der fränkischen Zeit übertragen
wurden, soll, so weit sie für unsere Zwecke in Betracht kommt, des
besseren Zusammenhangs wegen im nächsten Kapitel betrachtet
werden.
Es möge daher an dieser Stelle ein kurzer Hinweis auf die
verschiedenen in dieser Richtung sich bietenden Möglichkeiten
der Rechtsbegründung genügen.
Der Kläger berief sich in solchen Fällen meist auf Rechtserwerb
durch Schenkung oder Tradition. Entweder behauptete er schlecht-
weg die Thatsache, hatte also wohl einen Akt realer Investitur im
Sinn 1 ); dann pflegte er nicht selten sogleich die Zeugen zu be-
nennen, die die Vornahme des Rechtsgeschäfts bekunden konn-
ten 2 ). Oder aber, und das ist das häufigere, er berief sich auf
Urkunden, durch welche ihm das betreffende Recht übertragen
worden war; wir können, wie später auszuführen sein wird,
annehmen, dass sein Rechtstitel in diesen Fällen die symbolische
Investitur durch Urkundenbegebung, die investitura per cartam,
bildete; er legte meist die Urkunden sogleich dem Gericht vor.
Es findet sich Berufung auf Schenkungs-, Traditions- und
sonstige Bestätigungsurkunden s ) ; besonders vortheilhaft war es,
wenn das Recht auf eine unanfechtbare Königsurkunde gestützt
werden konnte 4 ).
Also alle Möglichkeiten einer Substanziierung der Klage
sind bereits im Rechtsgange der fränkischen Zeit vertreten;
freilich nicht als rechtliche Erfordernisse, sondern eben nur als
*) Vgl. Nr. 169. Graf Hundt XII p. 219 n. 13 (804); Nr. 196. Meich.
I 2 p. 148 n. 269 (811); in beiden Fällen wird anterior vestitura, früher
stattgehabte Investitur, behauptet.
*) Z. B. Nr. 488. Gallia Christ. IV instr. c. 67 n. 28 (918.) Hierüber
Näheres im dritten Kapitel.
*) Z. B. Nr. 399. PSrard p. 33 n. 12 (866—874); R. di Farfa II p. 144
n. 34 (763).
4 ) Z. B. Nr. 269. Vaissete II c. 177 n. 80. Marca Hisp. c. 769 n. 5
(832); Nr. 383. Vaissete II c. 365 n. 174 (870).
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Möglichkeiten, deren sich der Kläger im einzelnen Pall zu seinem
Vortheil bedienen mochte. Im allgemeinen lässt sich sagen,
dass die Substanziierung der Klage mit der Zeit immer grössere
Verbreitung bekam.
Heusler bemerkt mit Recht 1 ), dass sieh aus dieser „auch
in Deutschland und Italien aufkommenden Übung, schon in der
Klage den Titel des klägerischen Rechts anzuführen, leicht die
Praxis entwickelte, dem Kläger gegenüber der Bestreitung des
Beklagten ohne Weiteres ganz römisch die Beweislast für seinen
Klagesatz aufzulegen“. In den Schriften der italienischen Ju-
risten wurde dann, wie wir an den Formeln des Liber Papiensis
sahen, aus diesem Gebrauch der Praxis eine theoretische Rechts-
regel. Damit war der Rechtszustand der fränkischen Zeit ver-
lassen.
*) Gewere S. 78 Anm. 1.
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Zweites Kapitel.
Die Klagebeantwortung.
Durch die rechtmässige Erhebung der Klage wird der Be-
klagte verpflichtet, gleichfalls in rechtmässiger Form auf die
Klage zu antworten. Eine Antwort in rechtmässiger Form, in
technischem Sinne, ist nach altem Recht nur eine Erklärung,
die formell und inhaltlich den vollen Wortlaut der Klage
zugiebt oder bestreitet 1 ).
So lange das Recht nur eine solche formelle Klageerwider-
ung gestattete, waren Einreden im eigentlichen Sinne nicht
möglich. Der Beklagte aber konnte erklären, dass er zur for-
mellen Klageerwiderung nicht verpflichtet sei. Und eine solche
Weigerung, sich auf die Klage einzulassen, konnte den Zweck
erfüllen, der Klagebehauptung gegenüber neue Gesichtspunkte
geltend zu machen.
Auch im Immobiliarprozess der fränkischen Zeit finden wir
diese doppelte Art der Erwiderung : Klagebeantwortung im tech-
nischen Sinn, d. h. einfaches Zugeben oder Bestreiten, und die
formell als Einlassweigerung erscheinende Geltendmachung von
Einredethatsachen. Wir betrachten im Folgenden diese beiden
Fälle getrennt.
*) Brunner RG II S. 346, dessen Ausführungen überhaupt den folgen-
den kurzen Bemerkungen zu Grunde liegen.
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I. Die Klagebeantwortung im technischen Sinn.
1. Zugeben der Klagebehauptung.
Durch eine technische Klagebeantwortung, in welcher der
Beklagte sofort die vom Kläger behauptete Thatsache zugiebt,
findet der Rechtsstreit seine rascheste Erledigung.
Wir haben oben Fälle kennen gelernt, in denen die Klage
nur zu dem Zweck erhoben winde, um den Gegner zu einer
solchen Erklärung zu veranlassen; in diesen Scheinprozessen
wusste der Kläger im Voraus, dass sich der Beklagte auf einen
Streit nicht einlassen würde; es kam nur darauf an, einem ge-
wissen zwischen den Parteien bestehenden Einverständniss eine
rechtskräftige Form zu geben.
Anders verhält es sich in den Fällen, von denen jetzt die
Rede sein soll.
Nicht nur eine scheinbare, sondern eine wirkliche Klage
wird vom Kläger erhoben; dieser muss jede Art der Vertei-
digung Seitens des Beklagten erwarten und sich daher mit allen
ihm zu Gebote stehenden Angriffsmittelu ausgerüstet haben.
Wenn nun aber der Beklagte, anstatt den Kampf aufzu-
nehmen, sogleich die Waffen streckt, so kann das in verschie-
denen Umständen seinen Grund haben.
Er hat vielleicht bis zum Augenblick der Klageerhebung
gar nicht gewusst, dass er ein Recht des Klägers verletzt habe
oder weiterhin verletzte, und würde, wenn ihm dies bekannt
gewesen wäre, auch freiwillig aussergerichtlich den alten Zu-
stand wiederhergestellt haben. Oder, solange der Kläger nicht
ernstlich Miene machte, sich Recht zu verschaffen, hielt er sich
sicher; nun aber sinkt ihm der Math, und er wagt nicht, den
Ausgang eines Rechtsstreits abzuwarten. Und in der Mehrzahl
der Fälle mag es wohl erst die rauhe Thatsache der wirklich
erhobenen Klage gewesen sein, die den Beklagten zu einer
solchen Antwort veranlasste.
Denn so erklärt sich, warum es überhaupt zu einer Gerichts-
verhandlung und zur Aufnahme des Protokolls über eine solche
kommen musste, während doch an sich nichts im Wege ge-
standen hätte, sich aussergerichtlich zu einigen. Aber auch in
diesen Fällen mag es dem Kläger wichtig gewesen sein, den
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Verzicht des Beklagten in öffentlicher Sitzung aussprechen und
urkundlich festlegen zu lassen.
Es ist nicht leicht, aus der Formulierung der Urkunden,
in denen von einem Verzicht des Beklagten gesprochen wird,
zu erkennen, ob in der That dieser Verzicht sofort auf die
Klageerhebung gefolgt ist. Denn man kann nicht wissen, ob
nicht die Urkunde die Verhandlung in abgekürzter Form
wiedergiebt, da jes ja ohne Interesse war, die einem schliess-
lichen Verzicht vorausgegangenen Erwiderungen, wenn sie
zu keinen weiteren Massregeln Anlass gegeben hatten, aufzu-
zeichnen.
Nur unter diesem Vorbehalte also sollen folgende Beispiele
erwähnt werden; Urkunden, die ohne einen solchen hier ange-
führt werden könnten, sind mir, abgesehen von den bereits er-
wähnten Scheinprozessen, nicht begegnet.
In einer salischen Formel heisst es, der Beklagte habe auf
die Frage des Gerichts, was er auf die Klage erwidern wolle,
keine Antwort geben können:
nullatenus potuit responsum da re. per quem sibi de ipso
campo legibus saciret aut inantea sacire deberet; sed ipse
in presente professus apparuü *).
Allerdings scheint man hier annehmen zu können, dass der
Beklagte in formeller Weise die. Worte der Klage sofort zuge-
geben hat.
Ähnlich wie diese Formel drückt sich eine burgundische
Urkunde, wahrscheinlich aus dem Jahre 756, aus: das Gericht
fragt den vom Grafen Nivelongus wegen Ländereien in villa
Balgiaco verklagten Amelius
de ipsu causa, si sic erat aut non; tune ipse Amelius
de ipsa causa minime exinde denegare non potuit*).
Damit stimmt ferner eiue andere der Mitte des neunten
Jahrhunderts ungehörige burgundische Urkunde, die über einen
Prozess des Erzbischofs von Vienne wider den Grafen Wigrimo
berichtet. Die Vorsitzenden fragen auch hier den Beklagten:
si ita veritas esset- an non; worauf dieser hoc minime
: ) Nr. 73. Form. sal. Merk. 29, HUF p. 252.
*) Nr. 316. Pfcraril p. 33 u. 13.
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denegavit neque advocatum ponere potuit, quia sciebat hu-
ius querelae causae esse veritatem ‘).
Wenn dagegen in einem Placitum Pipins von 752, in
welchem der Abt von St. Denis wider Gislemarus um zwei von
seiner Mutter dem Kloster geschenkte Villen Klage erhebt, vom
Beklagten gesagt wird:
ipse in praesenli adstabat, unde nullatenus potuit dene-
gare, sed in praesenti recognovil, quod genetrix loba ipsam
villam . ... ad casarn s. Dkmisii manu potestativa con-
dmasset *),
so kann man annehmen, dass hier ein Beweisverfahren der Pro-
fessio vorangegangen ist; es ist im Wesentlichen die bei den
Scheinprozessen übliche Form, die diese Urkunde verwendet;
dass aber ein wirklicher Rechtsstreit vorliegt, ist aus dem modo
ordine der Klage zu ersehen.
Unsicher ist auch folgender Fall. In einem Placitum Karls
des Grossen von 781 wird über eine vom Grafen Rifero in pago
Tellao abgehaltene Gerichtsversammlung berichtet; hier hatte
der Abt von St. Denis wider sechs Leute um einen Neubruch
geklagt, und alle Beklagten,
cum interrogaretur ab eis, utrum quid de hac causa con-
tra .. . advocatum s. Dionisii dicere vellent, nunquam
potuerunt tradere vel deducere rationem, per quam ipsam
rem s. Dionisii . . . habere potuissent ;
sie vollziehen darauf die Investitur’).
Unsicher ferner bleibt das Verfahren in einer cluniacenser
Urkunde von 944. Das Kloster verklagt den Vicegrafen Ade-
marus vor seinem Senior, dem Grafen Hugo, weil er ein könig-
liches Praeceptum zu brechen und die durch dieses dem Kloster
verliehenen Besitzungen zu seinem Besten zu nutzen suche;
der Beklagte verzichtet gegenüber dieser so gewichtigen Königs-
urkunde, und weil er einsieht,
suum seniorem partibus monachorum fasere et nichil se
rationis in hoc habere*).
*) Nr. 337. D'Achiry Spie. I p. 343. Baiuze Capit. II p. 1467.
*) Nr. 77. Mabillon Dipl. I p. 511 n. 40. Bouquet V p. 677. Uühlb. 63.
•) Nr. 114. Mabillon Dipl. I p. 521 n. 55. LSch p. 23 n. 36. Mühlb. 238.
4 ) Nr. 516. Chart, de Cluny I p. 610 n. 656. Th p. 190 n. 129.
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Diesen unsicheren westfränkischen und burgundischen Bei-
spielen lassen sich auch einige aus Rechtsgebieten anderer Stämme
anreihen, z. B. aus Baiern.
Eine Freisinger Urkunde berichtet, dass im Jahre 844 im
öffentlichen Gericht zu Ergolding der Vogt der Freisinger
Kirche wider zwei Männer um die Basilika zu Bachem Klage
erhoben habe,
quod ipsam basilicam eis defendissent et usurpussent in
proprium; et tune iUi sibimet ipsis credebant eo quod m-
iuste ibidem contendebant l ).
So erwidert ferner auf eine vom Vogt derselben Kirche
im Jahre 845 zu Stiftharteskhirichun erhobene Klage der Be-
klagte sofort,
diahdicare non posse neque nolle;
er begiebt sich sofort aniielans firmiter auf die streitige Be-
sitzung und vollzieht dort die Tradition*).
Aus Italien wüsste ich nicht einmal derartige zweifelhafte
Beispiele anzuführen, in denen die Form der Urkunde ein so-
fortiges formelles Zugeben der Klagebehauptnng vorauszusetzen
wenigstens nicht verbietet. Allerdings war, wie wir sehen
werden, im italienischen Verfahren an sich die Professio sehr
gebräuchlich; ja man ging allmählich soweit, in jedem Fall ein
solches Bekenntniss des Beklagten zu veranlassen, das dann
entweder das Urtheil zur Folge hatte oder aber selbst als Ab-
schluss des Rechtsstreits dienen konnte *). Es war das aber ein
Bekenntniss, das erst nach Schluss des Beweisverfahrens abge-
legt wurde und also von der Art der Klagebeantwortung, die
uns jetzt beschäftigt, verschieden ist. Und so wird man denn
auch in denjenigen Fällen, in denen schlechtweg von einer Pro-
fessio die Rede ist, eine Professio auf Grund vorangegangener
Verhandlung anzunehmen haben 4 ), zumal die Fassung der Ur-
kunden im Lauf der Zeit gerade in Italien immer formelhafter
>) Nr. 247. Meich. I 2 p. 249 n. 473.
*) Nr. 320. Meich. I 2 p. 324 n. 636.
*) Darüber ist zu vergleichen Ficker Forschungen I S. 23 ff.
4 ) So z. B. in einer cavenser Urkunde von 978 (Cod. Cav. II p. 120
n. 304), in welcher der Kläger bekundet, die Beklagten hätten von dem
streitigen Grundstück die eine Hälfte durch Professio als Eigenthum des
Klägers anerkannt, die andere aber weiter für sich beansprucht.
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wurde, und es daher für ausreichend galt, das schliesslich ent-
scheidende Ereigniss anzuftihren.
Überhaupt aber mag diese Form der Klagebeantwortung
stets eine seltene gewesen sein; wenn es sich nicht darum han-
delte, ein Urtheil in einem Scheinrechtsstreit herbeizuführen,
wird man sich diesen Anlauf zu einem Prozesse möglichst er-
spart haben. Nur danu finden wir ihn auch noch in späterer
Zeit, wenn der Beklagte gar nicht gewusst hat, dass er eine
Rechtswidrigkeit begehe, und uun sofort den Klageanspruch zu
erfüllen sielt bereit erklärt. Wie weit freilich hier das alte
formelhafte Zugeben noch Platz griff, muss dahin gestellt
bleiben. Ich denke an folgende Beispiele.
Der Graf Pontius von Narbonne wird im Jahre 933 von
dem Mandatarius des Abtes von Montolieu unter Vorlegung
königlicher Immuuitätsprivilegien verklagt, weil er die Immu-
nität der Villa Fracianum verletzt habe. Der Graf erklärt, er
habe nicht gewusst, dass das Kloster tales regales authorüates
gehabt habe; et quantum eyofeci ignoranter feci. Ihm wird dann
durch Urtheil auferlegt, jene Urkunden anzuerkennen und die
Revestitur zu geloben 1 ).
Vor König Konrad von Burgund erheben im Jahre 943 die
Mönche von Cluny Klage, dass Karl, ein Verwandter des Königs,
die von Ingelbert dem Kloster geschenkten Besitzungen bestreite.
Es heisst darauf vom Beklagten,
ubi vidit et audivit non se hoc recte tenere, praesentialiter
dimisit omnem querelam et illico ipsas cartas, quas Ingel-
bertus Jecer at , corroboravit et Herum in manu regis fir-
mavit.
Offenbar hat also der Beklagte nicht gewusst, Klostergut
widerrechtlich zu besitzen; er benutzt daher sofort die Gele-
genheit, auch seinerseits das Recht des Klosters zu bekräftigen.
Zur grösseren Sicherheit lässt dann auch der König noch die
Urkunden bestätigen, indem er hoc iudicium scribere iussit, per
quod omni tempore dictae cartae inviolabüiter permaneant*).
Endlich möge in diesem Zusammenhang noch folgender ita-
lienische Rechtsfall erwähnt werden.
>) Nr. 505. Vaisaete V c. 160 n. 57. Th p. 188 n. 128.
’) Nr. 518. Chart, de Cluny I p. 57a n. 622. Bühuier 1502.
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Es handelt sich um eine 798 zu Spoleto wider den Herzog
Gninicliis erhobene Klage, in der sich das Kloster Farfa wegen
Übergriffe von Leuten des Herzogs gegen klösterliche Fischereien
beschwert. Der Herzog erklärt, wenn das geschehen sei, so
sei es gegen sein Wissen und Wollen geschehen:
certissime ego piscarias vestras numquam contempsi nec
contemnere mandavi. Sed si hoc factum est, sine mea
voluntate factum est et nesciente me. Et ego vobis exvnde
facio iustüiam.
Darauf sagen ihm die Vorsitzenden Königsboten, er möge
an Ort und Stelle die Sache untersuchen und dann wieder-
kommen, aber der Herzog erklärt sogleich:
certissime vaerum est, quia homines mei ipsas piscarias
corüempserunt , sed ut dixi non per meum commandatum
nec per meam voluntatem. Ego volo exinde ad partem
monasterii iustüiam facere, sicut michi iudicatis 1 ).
Auch in diesem Falle ist also, wie in allen bisher bespro-
chenen, durch das sofortige Entgegenkommen des Beklagten
ein Fortführen des Rechtsstreits entbehrlich gemacht. Der
Kläger kann sich nun entweder, wie das später in Italien üb-
lich war, mit der Klagebeantwortung des Beklagten, seiner
Professio, begnügen, oder er mag durch ein gerichtliches Ur-
theil das Geständniss bestätigen lassen.
2. Leugnen der Klagebehauptung.
Es war doch immer nur eine Ausnahme, wenn der Be-
klagte sofort der Klage wich; in den weitaus meisten Fällen
unternahm er es, dem Angriff des Klägers gegenüber sein Recht
zu vertheidigen.
Diese Vertheidigung geschah nach altem formalen Prozess-
recht wie bemerkt dadurch, dass der Beklagte der Klage ein
einfaches Nein entgegenstellte.
In wörtlicher Anlehnung an die Klageworte erwiderte er
auf das malo ordine possides:
non malo ordine, sed iuste et legaliter possideo,
oder ähnlich. Oder er erklärt kurzweg, die vom Kläger be-
*) Reg. di Farfa II p. 142 n. 171. Fatteachi p. 284 n. 39.
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hauptete Thatsache sei nicht wahr. So entgegnete z. B. auf
die Klage des Bischofs von Autnn, Cadilo und seine Erben be-
sässen widerrechtlich die Villa Canavas, der Beklagte,
quod ipsas res, pro quibus appellabatur, iuste et legaliter
possidebat ‘).
In den Urkunden des Klosters Gonques wird ein Fall be-
richtet, in dem drei Leute vor dem Vikar wider einen Mönch
des Klosters behaupten, er habe widerrechtlich einem Dritten
einen Mansus geschenkt; darauf entgegnet der Mönch:
quod bene ordine faciebat i ).
In ähnlicher Weise haben vielleicht auch die Mönche von
Cluny gesprochen, als sie die Klage zweier Mäuner um gewisse
diesen gehörige Ländereien mit der Antwort zurtickwiesen, sie
hätten auf jene Ländereien ein besseres Recht und brauchten
sie daher nicht herauszugeben’).
Hier kann weiter eine bereits oben besprochene burgun-
dische Urkunde angeführt werden. Der Vogt der erzbischöf-
lichen Kirche von Vienne klagt wider Sigibert, dass er mit
Miethlingen (cum aliis condudis hominibus) die Immunität an
drei Orten gewaltsam gebrochen habe. Die beiden ersten Fälle
gesteht Beklagter ein; den dritten aber Sigibertus in omnibus
denegavit \ er giebt das von einem Dritten verbürgte feierliche
Versprechen ab, vor Gericht zu beschwören, dass auf seinen
Befehl kein Mensch jene Villa geplündert habe. Also die Ver-
theidigung des Beklagten ist hier Leugnen der in der Klage
behaupteten Thatsache 4 ).
Ebenso in dem zu Nimes in den Jahren 875 und 876 ge-
führten interessanten Rechtsstreit zwischen dem Bischof der
Stadt und einem gewissen Bernardus.
Es handelte sich in ihm, wie schon oben erwähnt, um die
von der Mutter des Beklagten an die bischöfliche Kirche ge-
schenkte Villa Bizagum. Beklagter hatte sie widerrechtlich an
sich gebracht, war darauf verurtheilt worden, sie an die Kirche
herauszugeben, hatte sie aber dann wiederum sich widerrecht-
') Nr. 488. Gallia Christ. IV instr. c. 67 n. 28 (a. 918).
’) Nr. S06. Cartulaire de Conques p. 137 n. 165 (a. 934).
*) Nr. 625. Chart, de Clvrny I p. 751 n. 799 (a. 961).
4 ) Nr. 362. D’Achfiry Spie. I p. 358. Th p. 135 n. 96 (a. 863 c.).
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lieh angeeignet (sacivit maluin ordinem contra lege). Der Kläger
verlangt nun von Neuem Genugtuung, indem er die über jene
vorangegangene Gerichtsverhandlung ausgestellte Urkunde, in
welcher der durch Bürgenstellung bekräftigte Verzicht des Be-
klagten bekundet ist, vorlegt. Der Beklagte aber
in Omnibus hoc denegavit et dixit, quod nequaquam ipsam
villam per snos wadios predicto episcopo nec partibas s.
Mariae reddideram.
Es verbindet sich also hier das Leugnen der in der Klage
behaupteten Thatsache mit der Schelte der vom Kläger vorge-
legten Urkunde; der Beklagte vollzieht sie auch in aller Form,
indem er die Urkunde durchbohrt *).
Auch einige ausserfränkische Beispiele mögen angeführt
werden.
Von bairischen Urkunden sei zunächst eine Klage des Bis-
tliums Freising genannt, in der dem Beklagten vorgeworfen
wird, er habe eine Kirche widerrechtlich dem Bisthum entzogen;
der Beklagte erwidert schlechtweg, er habe das nicht getliau *).
Ferner dürfte eine Freisinger Urkunde aus dem Jahre 818
hierher gehören: auf die Klage des Bischofs wider Waldker,
quod iniuste curtem vel domum ecclesiae . . intraret et pro-
prium servum s. Mariae vapularet,
entgegnet der Beklagte,
hanc ecclesiam cum omnibus ad eam pertinentibus suatn
proprium esse *).
Es ist, nur etwas anders formuliert, die Entgegenhaltung
des non modo ordine.
Auch glaube ich folgende, bereits genannte, Gerichtsur-
kunde aus dem Ende des achten Jahrhunderts liier erwähnen zu
können, in der berichtet wird, dass zu Altötting vor dem Erz-
bischof von Salzburg der Abt Roodlant und Roodbcrt wider
den edlen Mann Tagadeo um ein benefitiolum Klage erhoben
hätten, in der sie behaupteten, jenes vom Beklagten an einen
gewissen Roodinc ausgeliehene benefitiolum gebühre ihnen; hier-
auf habe der Beklagte erwidert,
l ) Nr. 404. Mfenard p. 10 n. 1. Germer-Dtiraud p. 3 n. 1. Th p. 155 n. 107.
*) Nr. 177. Meich. I 2 p. 95 n. 125.
*) Nr. 219. Meich. 1 2 p. 194 n. 368. LSch p. 32 n. 50.
Hübner, frank. Immoblllarprozefs. 7
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- \
ut taliter numquam fuisset factum neque visum neque au-
ditum de eo nec de ullis proximis suis.
Mit diesen Worten bestreitet der Beklagte die Klagebehaup-
tung, nämlich dass die Kläger ein Recht auf das Grundstück
hätten, nicht etwa die Thatsache der Verleihung an Roodinc; das
folgt aus dem Beweisurtheil, durch das dem Beklagten aufer-
legt wird, zu beschwören, dass Roodinc in seinem Dienste stehe.
Der Beklagte wollte also behaupten, zu jener Verleihung, die
er zugiebt, berechtigt gewesen zu sein 1 ).
Aus Italien sei ein 829 im Lateran verhandelter Prozess
genannt: der beklagte Vogt der römischen Kirche hält der Be-
hauptung des klagenden Abts von Farfa, zwei römische Priester
seien in mehrere Besitzungen des Klosters gewaltsam einge-
drungen, zunächst nichts als die nackte Behauptung entgegen,
die genannten Besitzungen besitze die römische Kirche mit
Recht ; jedenfalls also auch zunächst ein einfaches Zurlickweisen
des m ab ordine oder wie es hier heisst des invadere per for-
tia 2 ).
Ebenso um widerrechtliches Eindringen handelt es sich in
einer luccheser Urkunde von 902. Dem Vertreter des Bisthums
Lucca, der wider Ghispertus einen derartigen Klagevorwurf er-
hebt, entgegnet der Beklagte schlechtweg:
quod hoc verüas non fuisset 3 ).
Der Klage verschiedener vornehmer Leute, die wir schon
früher erwähnten, erwidern die beklagten Einwohner von Atra-
ni bei Amalfi, sie besässen allerdings die in der Klage bezeich-
neten Ländereien,
set non mcdo ordine; et rationein inde obere dixerunt*).
In den folgenden italienischen Urkunden ist es dagegen ein
Leugnen der vom Kläger behaupteten Thatsache, was auf die
Klage folgt.
Ähnlich wie in dem auf S. 96 besprochenen Rechtsstreit
‘) Nr. 138. Mon. Boica XXVTII 1 p. 23 n. 25 (785—798).
*) Reg. di Farfa EI p. 221 n. 270. Cod. Lang. c. 198 n. 110. Mabillon
Ann. II o. 736.
*) M. di Lucca V 3 p. 13 n. 1068. Muratori Ant. V c. 309. Fast ganz
übereinstimmend die Urkunde Cod. Cav. II p. 176 n. 346 (982); ähnlich Cod.
Lang. c. 837 n. 486, Lupus C. d. Bergom. II. p. 113 (919).
*) Cod. CaV. II p 12 n. 220 (a. 966).
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zwischen dem Bischof von Nimes und Bernardus klagen im
Jahre 811 die Vertreter des Klosters Farfa und des Herzogs
von Spoleto wider den Priester Clarissimus, weil er sich ge-
weigert habe, das früher gegen ihn ergangene Urtheil auf Her-
ausgabe der dem Kloster und dem Herzog widerrechtlich ent-
zogenen Besitzungen zu erfüllen. Der Beklagte leugnet, dass
dies geschehen sei:
quia vaerum non est, quod ego iudicium eorum noluissem
facere, sed in omnibus eorum iudicium facere volui 1 ).
Ein andermal behauptet der Vertreter desselben Klosters,
die Beklagten hätten die von ihrem Oheim Palumbus dem Kloster
gemachte Schenkung widerrechtlich betreten und dem Kloster
den Besitz entzogen, worauf die Beklagten erklären, es sei
nicht wahr, dass ihr Oheim jene Schenkung gemacht habe:
absit ut ipse Palumbus suam substantuxm vobis dedisset
aut tradulisset 2 ).
Sehr anschaulich erscheint ferner folgende süditalienische
Urkunde aus dem Jahre 982. Der Kläger beschuldigt den Be-
klagten, dass er Besitzungen, die laut vorgelegter Urkunde
die Mutter des Klägers rechtmässig erworben hat, widerrecht-
lich in Besitz genommen habe, und zwar dadurch, dass er durch
seine Leute dort habe Gräben anlegen und Früchte ziehen
lassen. Hierauf erkennt der Beklagte die Urkunde und damit
das Recht des Klägers ausdrücklich an, aber die ihm zur Last
gelegte Besitzstörung leugnet er 8 ).
Hierher gehören endlich auch die Fälle, in denen dem
Beklagten vorgeworfen wird, das ihm zu Nutzgenuss verliehene
Grundstück durch seine Bewirthschaftung verschlechtert und
dadurch das Recht des Klägers verletzt zu haben; der Beklagte
giebt das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältniss
bereitwillig zu, leugnet aber die Thatsache der Verschlechterung.
So erklären drei Libellarii des Bisthums Lucca, die vom
Kirchen vogt wegen Verschlechterung des ihnen verliehenen Gutes
belangt werden, zunächst nach Verlesung der Leihurkunde diese
*) Reg. di Farfa II p. 160 n. 197.
*) Reg. di Farfa II p. 151 n. 184. Fatteschi p. 284 n. 40 (a. 807).
*) Cod. Cav. II p. 166 n. 338. Fast ganz gleich die Urkunde eod.
p. 167 n. 339.
7 * ■*
YALE LAW LI 5!
100
sowie die in ihr enthaltenen Strafbestimmungen ausdrücklich
an, indem sie die Frage der Vorsitzenden Königsboten, ob sie
in dem erwähnten Vertragsverhältniss stehen wollten, bejahen;
darauf aber erklären sie:
quod ecclesiis ensis et rebus ipsi.s abuerunt et tenuissent
et ipsa convenientia fecissent et peiorati non essent 1 ).
So erwidern im Jahre 871 zu' Lucca die Beklagten dem
Vogt des Bisthums, es sei nicht wahr, dass sie die Be-
stimmungen" der Leihurkunde nicht erfüllt hätten, sondern sie
hätten den in ihr festgesetzten Zins geleistet®).
Das also waren alles Beispiele dafür, dass sich der Be-
klagte darauf beschränkte seine Antwort in einfaches Leugnen
zu kleiden, sei es, dass er dem malo ordine ein non tnnlo ordine
entgegenhielt, die Thatsache des Besitzes also zugab, sei es,
dass er schlechtweg die Klagethatsache bestritt. Freilich, wenn
wir aus den gesetzlichen Vorschriften entnehmen müssen, dass
nach altem Recht diese Art der Klageantwort in rechtsförm-
licher Weise unter genauem Anschluss an die Klageworte er-
folgen musste, so können wir das aus den Urkunden nicht mehr
ersehen, die, wie die angeführten Beispiele zeigen, verschie-
dene Formulierungen auf weisen. Man wird annehmen können,
dass, als die Möglichkeit einer einredeweise gefassten Klage-
beantwortung aufkam, jene alte streng formale Erwiderung
immer mehr ausser Übung gerieth. Wenn auch später das
Recht nichts weiter verlangte, ebenso wie es sich mit der nackten
Klagebehauptung begnügte, so wird das praktische Bedürfniss
früh nach reicheren Formen gestrebt haben, zumal, wie wir
sehen werden, jene knappe Antwort Nachtheile in Bezug auf
die Beweisvertheilung zur Folge hatte.
II. Die Klagebeantwortung in Einredeform.
1. Einlassungsverweigerung.
Wir sahen : nach altem Recht zwangen die rechtsfürmlichen
Worte der Klage den Beklagten, mit entsprechenden Worten
>) Mein, di Lucca V 2 p. 418 n. 697. Mnratori Ant. III p. 168 (853).
*) Mem. di Lucca IV 2 p. 52 n. 39 und V 2 p. 492 n. 811. Ughelli I
c. 793.
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101
die Klagebehauptung zuzugeben oder zu leugnen, und nur
ein solches Zugeben oder Leugnen, ein einfaches Ja oder Nein
galt bei dem „formalen Erforderniss der Kongruenz zwischen
Klage und Antwort“ *) als Antwort im technischen Sinn.
Daher waren Einreden in unserem Sinn, die sich zur Klage
nicht als ein Ja oder Nein, sondern als ein Aber stellen ’), nach
altem Prozessrecht unmöglich.
War es nun aber auch dem Beklagten verwehrt, durch eine ■
materielle Einrede sich zu vertheidigen, so konnte er doch von
jeher, wo es nöthig war, erklären, zu einer rechtsförmlichen
Antwort nicht verpflichtet zu sein, er konnte sich weigern, eine
rechtsförmliche Antwort zu ertheilen, sich auf die Klage ein-
zulassen.
Als typisches Beispiel für die Weigerung, sich auf den
Rechtsstreit einzulassen, tritt uns in den Urkunden die Ent-
gegnung des Beklagten entgegen, er wisse nicht, welches Grund-
stück Kläger meine; er begehre daher, dass Kläger ihm zunächst
den Streitgegenstand genau bezeichne; denn, wenn auch, wie
oben ausgeführt, das Recht keine Klagesubstanziierung in
unserem Sinn verlangte, so war eine genaue Bezeichnung des
Streitgegenstandes naturgemäss unter allen Umständen erfordert.
Derartige Fälle begegnen uns besonders in Italien sowohl
in den Formeln des Liber Papiensis (wo die typische Antwort
lautet: nescio de quo dicis) als auch in zahlreichen Urkunden
sehr häufig. Und zwar pflegt nach einer solchen Entgegnung
des Beklagten entweder auf seinen Antrag oder von Gerichts-
wegen ein Lokaltermin anberaumt zu werden, in dem der Kläger
die Grenzen des eingeklagten Grundstücks zu weisen hat; es
wird der technisch sogenannte visus terrae vorgenommen, der,
wie Brunner zeigt*), auch im altfranzösischen und anglo-nor-
mannischen Rechte üblich war. So häufig Beispiele für diese
Klagebeantwortung in Italien sind, so selten trifft man sie, was
ja auf Zufall beruhen mag, in den anderen Gebieten des frän-
kischen Reichs. Mir ist nur eine nicht italienische Urkunde
bekannt, die mit den italienischen Beispielen verwandt ist; sie
*) Brunner Entstehung der Schwurgerichte S. 172.
*) Brunner RG H S. 346.
s ) Schwurgerichte S. 173.
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102
betrifft eine im Jahre 909 zu Nimes abgehaltene Gerichtsver-
sammlung: der Bischof von Nimes erhebt wider Airardus Klage
um ein von Gilabertus der Kirche geschenktes Alod; es lieisst
vom Beklagten:
nesciebat de quäle alode dicebat ;
darauf giebt der Bischof eine genaue Beschreibung (kein visus
terrae):
de villa que vocant TiTlidas, que est inpago Nemausense,
in gace Andusiense, in villa Cevena, super fluvio Gardone,
quantumque Gilabertus visus fuit manere; in casis, casa-
niciis, curtis, exavis, ortis, campis, pratis, silvis, garricis,
arboribus pomi/eris et impomiferis , aquis aquarum vel
decursibus earum, in omnia et ex Omnibus cum fundis
possessionis, quesitum vel adquirendum est, totum et ab
integrum.
Nun bekennt der Beklagte,
se recognovit, quod vere dicebat domnus episcopus,
und er giebt die Erklärung ab:
ego Airardus ipsum alodem supradidum malum ordine
teneo, incontra lege 1 ).
Etwas anders verhält es sich in den beiden folgenden ita-
lienischen Urkunden.
In einer 820 zu Verona vom Königsboten Bischof Retoldus
abgehaltenen Gerichtssitzung klagt das Kloster Nonantula wider
einen gewissen Hucpald um den vierten Theil des Waldes Osti-
lia. Der Vorsitzende giebt dem Beklagten auf, der wahrschein-
lich ähnlich wie in den übrigen Fällen geantwortet hat,
ut inquireret de causa hec, si cum legibus haberd, veniret
ad plaido, et qua re melius potent, eam defendat.
Der Beklagte beauftragt darauf seinerseits seinen Vogt,
den Schöffen Raginpert,
ut exinde inquirere et ad plaido plenam racionem exinde
donard.
Im neuen Termin erklären dann der Beklagte und sein
Vogt, nachdem der Kläger den Klageantrag wiederholt hat,
•) Nr. 472. Mfenard p. 17 n. 4 (hier steht fälschlich interrogaverunt ne
sciebat). Germer-Durand p. 26 u. 16.
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quod nullam racionem justiciam invenire potuissent nec
potuerint *).
Ferner: im Jahre 857 erhebt zu Lucca der Vogt des Bis-
thums vor zwei Königsboten wider das Salvatorkloster zu Sesto
Klage, dahin lautend:
malo ordine desvestivit episcopium de ecclesia s. Quirici
in loco Arme; unde querimus habere iustitiam.
Der Vogt des Kloster entgegnet:
scio basilicam ipsam; sed nescio si pars monasterii Sexto
basilicam ipsam habeat; volo inde habere spatium.
Seine Bitte wird gewährt ; Parteien geloben im neuen Ter-
min wieder vor Gericht zu erscheinen. Nachdem in diesem der
Kläger die Klage wiederholt hat, sagt der Beklagte:
de basilicam ipsam . . . inquisivi pars monasterii Sexto;
sed basilicam ipsam sicat — et quo operata est ... pars
monasterii Sexto non contradicit, quia nihil parti eiusdem
monasterii pertimt; et de res ad ipsa basilica pertinente,
de quibus me maUasti . . . nichil . . ad ipsam basilicam
pars monasterii Sexto habet*).
Wir können annehmen, dass in diesen beiden Fällen der
Beklagte, als Grossgrundbesitzer, nicht über die Rechtsverhält-
nisse einer jeden ihm gehörigen Besitzung sofort unterrichtet
war; er begehrte daher Aufschub, um sich zu informieren, um
zu inquirieren, wie die Quellen technisch sagen 8 ).
Auch hier also unterlässt es der Beklagte zunächst sich
auf die Klage einzulassen, wenngleich er hier wohl kaum das
Recht zu einer Verweigerung der Antwort gehabt haben dürfte,
wie in jenen Fällen, in denen er wegen mangelnder Präcisierung
der Klagebehauptung sich nicht einlassen konnte.
Es braucht kaum ausdrücklich hervorgehoben zu werden, dass
es gänzlich verkehrt und willkürlich ist, wenn Op et eine
derartige die Einlassung zunächst verweigernde Antwort des
Beklagten als Beweis für die Behauptung verwerthen will, es
sei in allen solchen Fällen die Klage im Ding gegen den zu-
*) Cod. Lang. c. 177 n. 95. Muratori Ant. I c. 461. Tiraboschi
Nonantula II p. 41.
*) Mem. di Lucca V 2 p. 446 n. 742. Muratori Ant. I c. 557.
*) Vgl. Brunner Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 30.
*
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fällig im Gericht anwesenden Beklagten erhoben worden; wenn
er auf die Klage antworte, er wisse nicht, um welches Grund-
stück es sich handle, so zeige das, dass die Klageerhebung dem
Beklagten vollständig unerwartet gekommen sei l ). Davon kann
natürlich keine Rede sein. Es liegt nicht der geringste Anhalt
für die Annahme vor, dass dem Beklagten eine solche Entgeg-
nung nur dann gestattet gewesen wäre, wenn der Prozess durch
die Klageerhebung im Ding begonnen wurde, was doch bewiesen
werden müsste, wenn diese Entgegnung nichts als die Folge
einer Überraschung sein soll.
Auf welche Weise auch immer der Prozess eingeleitet
worden ist, wenn beim Klageantrag in den Worten der Klage,
die möglicherweise bereits bei der Banuition oder bei dem Streit-
gedinge ebenso vom Kläger gebraucht worden sind, der Streit-
gegenstand nicht deutlich genug bezeichnet ist, kann der Be-
klagte mit dem Verlangen nach genauerer Formulierung die
Einlassung zunächst ablehnen. Es ist klar, dass damit ein ganz
allgemeines Vorrecht für den Beklagten hcrgestellt sein soll,
ganz gerade so wie im späteren mittelalterlichen Recht, z. B.
nach dem Sachsenspiegel, der Beklagte, wenn er im Ding an-
wesend ist, bei Klagen um Eigen oder Lehn noch zweimal Frist
begehren kann und zwar bei der zweiten Bitte, weil er sich
noch nicht recht bedacht habe *). Ein Rechtssatz, der sich ofl'en-
bar aus der schon in der fränkischen Zeit gestatteten Einlas-
sungsweigerung entwickelt hat.
2. Materielle Einreden.
Ursprünglich waren, wie bemerkt worden ist, Einreden un-
möglich. Der Beklagte musste mit einfachem Ja oder Nein die
Klage entweder zugeben oder leugnen, oder er konnte sich
weigern, eine solche rechtsförmliche Antwort zu geben.
Aus dieser von jeher gestatteten Möglichkeit, aus formellen
Gründen die rechtsförmliche Antwort zu verweigern, hat sich
’) Opet Prozesseinleitungsformen S. 107 ff. Brunner RG II S. 515
Anm. 16 fasst seine Kritik dieser Behauptung in ein ihr hinzugefilgtes Aus-
rufungszeichen zusammen.
’) Homeyer in seiner Ausgabe des Richtsteig Landrechts S. 450; Ssp
LR II 3 §§ 1, 2; Richtsteig 23 § 3, 21 § 4.
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nun, wie wir aus Brunners Darstellung *) lernen, die Möglich-
keit entwickelt, materielle Einreden geltend zu machen. Die
Einreden fallen ursprünglich „unter den Gesichtspunkt recht-
mässiger Verweigerung der Antwort.“ Wie von jeher der Be-
klagte hatte erklären können: ich brauche nicht zu antworten,
weil ich nicht weiss, um w T as Du klagst, oder weil Du ein un-
freier Mann bist u. dgl.*), so kann er erklären z. B. : ich brauche
nicht zu antworten, weil ich für mein Recht eine Urkunde habe.
Das ist ein Beispiel, das uns gerade für den Iinmobiliarprozess be-
reits die Lex Ribuaria bietet *). Es heisst in der Lex Ribnaria
ausdrücklich, es sei das eine Antwort ohne Tangano, d. h.
keine Antwort im Rechtssinn, sondern vielmehr die auf einem
materiellen Rechtsgrunde beruhende Weigerung, eine solche Ant-
wort im Rechtssinn zu ertheilen.
Und so entsteht denn ganz allgemein für den Beklagten
die Möglichkeit, in der Klageerwiderung bereits sich auf sein
Recht zu berufen, nicht allein mit einem schlichten Nein, son-
dern auch mit einem Ja, aber, d. h. mit einem motivierten
Leugnen zu antworten. Eine derartige Klagebeantwortung be-
wirkte, wie später weiter auszuführen sein wird, eine für den
Beklagten vorteilhaftere Vertheilung der Beweisrollen; während
bei der technischen Antwort, dem einfachen Leugnen, der Kläger
zum Beweis seiner Behauptung gelangen konnte, sicherte die Beru-
fung auf das eigene Recht, das motivierte Leugnen dem Beklagten
zunächst den Beweisvorzug. Daher erklärt es sich, dass, nach-
dem einmal das Recht die Möglichkeit einer solchen Klagebe-
antwortung in Einredeform anerkannt hatte, sie vom Beklagten
in allen Fällen, wo es irgend möglich war, angewendet wurde.
In der überwiegenden Mehrzahl der Urkunden aus fränkischer
Zeit begegnet der Beklagte dem Klagevorwurf damit, dass er
sein Recht zu der ihm vorgeworfenen Handlung oder Besitz-
ausübung behauptet. Auf die Klage nialo ortfbie possüles er-
») RG II S. 346.
’) Brunner RG II S. 347.
s ) Lei Rib. 59, 8: Si quis iudicio interpellatus cartam per manibus
habuerit, nulle ei male online vel invasio requeratur; quia dum interpellatus
respondit ad interrogatione: ' Sla tu, et sine taiujano loquatur et dicat: 'Non
male ordine, sed per testamentum hoc teneo'.
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widert er, rechtmässiger Besitzer zu sein, in rechtmässiger Weise
den Besitz erworben zu haben. Er beruft sich in der Klage-
beantwortung auf originären oder derivativen Rechtserwerb, so
wie der Kläger seine Klage mit der Behauptung originären oder
derivativen Rechtserwerbs stützen konnte.
Wollen wir die verschiedenen Fälle einer solchen Klage-
beantwortung betrachten, so empfiehlt es sich, hier von der
Berufung auf derivativen Rechtserwerb auszugehen und zw T ar
zunächst von dem Fall, dass der Beklagte sein Recht aus einem
mit einem Dritten abgeschlossenen Rechtsgeschäft ableitet, den
Besitz von einem Dritten unter Lebenden erworben zu haben
erklärt. Denn es spricht manches dafür, dass eine derartige Er-
widerung die früheste gewesen ist, die neben das einfache
Leugnen sich stellte. Später wird dann die Berufung auf Erb-
recht zu erörtern sein.
Der Beklagte, der erklärt, das Gut von einem Dritten er-
worben zu haben, beruft sich auf diesen Dritten als auf seinen
Gewährsmann. Und nun lässt eine vergleichende Erwägung
der erhaltenen Zeugnisse erkennen, dass diese Berufung auf
einen Gewährsmann ursprünglich nichts anderes gewesen ist,
als eine Erklärung des Beklagten, sich selbst auf den Rechts-
streit nicht einlassen zu wollen. Der Beklagte nennt seinen Ge-
währsmann, d. h. denjenigen, gegen den der Kläger von Rechts-
wegen seine Klage zu richten hat. Die Berufung auf einen
Gewährsmann ist ursprünglich keine Antwort auf die Klage,
sondern die Verweigerung einer Antwort seitens des Beklagten.
Aber sie erfüllte die Zwecke einer materiellen Einrede. Ja
sie war die einzig mögliche Form, in der ursprünglich deriva-
tiver Rechtserwerb vom Beklagten geltend gemacht werden
konnte. Das ergiebt sich aus Folgendem.
Auszugehen ist von der feststehenden Thatsache, dass ini
germanischen Recht die prozessualische Stellvertretung freier
und selbmündiger Personen so gut wie unbekannt war.
Mit dieser Thatsache in Verbindung zu setzen ist die Ent-
wicklung, die das deutsche Recht älterer Zeit in Bezug auf
die Eigenthumsübertragung, im besonderen in Bezug auf die
Übertragung von Liegenschaften durchgemacht hat.
Wie schon in unserer Einleitung hervorgehoben wurde,
haben sich die Formen des Immobiliarverkehrs später als die
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für die fahrende Habe geltenden Bestimmungen und zum Theil
als deren Nachbildungen entwickelt.
Waffen, Kleider, Schmuckgegenstände, Thiere gingen von
einer Hand in die andere zu einer Zeit, als ein Wechsel im
Grundbesitz nur erst in der Form stattfand, dass etwa ein
Rechtsverband eine neue Flur in seine Bewirthschaftung nahm
u. dgl.
Bewegliche Gegenstände gingen in das volle Eigenthum
des neuen Erwerbers erst dann über, wenn sie der alte Eigen-
thümer in dessen Hand gegeben, aus seiner Hand völlig und
gänzlich entlassen hatte. Ein solcher durchgreifender äusser-
lich sichtbarer Wechsel des bisherigen Rechtszustandes war bei
ihnen stets leicht zu erreichen. Nicht so bei Liegenschaften,
als die steigende Kultur auch sie in den Kreis des Rechtsver-
kehrs zog.
Der Eigentümer konnte das Grundstück nicht emporheben,
es in die Hand des Erwerbers legen und so allen Leuten zeigen,
dass er nicht mehr dessen Herr sei.
Bekanntlich hat das deutsche Recht Rechtsformen ausge-
bildet, durch welche dieser tatsächlich unmögliche Vorgang in
symbolischer Weise vollzogen wurde.
Wir müssen aber berücksichtigen, dass Zeit nötig war,
um diese Formen zur Ausbildung zu bringen. Sobald ein Im-
mobiliarverkehr entstand, mag sich ja überall der Brauch von
selbst eingestellt haben, dass die Parteien auf dem Grundstück
gewisse Handlungen Vornahmen, dass der bisherige Eigenthümer
einen Theil des Grundstücks, eine Scholle u. dgl., dem Er-
werber überreichte und dann aus dem Grundstück herausschritt;
aber gewiss waren überall häufige Wiederholungen derartiger
Fälle nötig, bis sich an diese Handlungen stets die gleichen
rechtlichen Folgen knüpften, bis sie Rechtsgeschäfte wurden.
Bis sich jedoch ein solches Rechtsgeschäft ausgebildet hatte,
w r ar ein rechtlicher Übergang des Eigenthums an Liegenschaften
durch Rechtsübertragung unmöglich. Wirtschaftlich mag man
schon viel früher den beabsichtigten Zweck erreicht haben ; die
aber für das Recht allein entscheidende Wirkung trat nicht
ein: der neue Erwerber konnte nicht selbst das Gut vor Ge-
richt verteidigen oder es einklagen.
Hätte nun das Recht die prozessualische Stellvertretung
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gekannt, so hätte es den neuen Eigenthümer als Stellvertreter
des früheren vor Gericht zulassen können. Da aber das nicht der
Fall war, so blieb dem neuen Erwerber nichts übrig, als sich
an den früheren zu wenden; dann batte dieser, der dem Recht
ja immer noch als der Eigenthiimer galt, den Streit auszu-
fechteu. Dass freilich damit keine Sicherheit für den Ver-
kehr gegeben war, leuchtet ein; denn war der neue Erwerber
Beklagter, so brauchte bloss der von ihm benannte frühere Be-
sitzer zu erklären, er weigere dem Kläger jede Antwort, so
war der Kläger nicht im Stande, sein Recht zu erhalten; oder
der neue Erwerber selbst war Kläger, dann konnte der von
ihm Beklagte ihm entgegnen, er habe ja gar kein Recht das
Gut einzuklagen, und weigerte sich dann sein Vorgänger, dies
für ihn zu tliun, so war auch er ohne rechtlichen Schutz.
Die Kraft der Rechtsbildung musste daher darauf ge-
richtet werden, an Stelle dieser Unsicherheit Sicherheit zu
schaffen. Nun hätte es gewiss nahe gelegen, die Übertragungs-
formen schnell mit einer derartigen Wirksamkeit auszustatten,
dass sie wie bei fahrender Habe so auch bei liegendem Gut die
volle rechtliche Herrschaft, also auch die gerichtliche Vertretung
in die Hand des Erwerbers gelegt hätten.
Aber das deutsche Recht ist diesen Weg nicht gleich ge-
gangen, es hat erst einige Schritte auf einem anderen gethan.
Es hat dem früheren Eigenthiimer die rechtlich bindende Ver-
pflichtung auferlegt, für seinen Nachfolger einzutreten oder
vielmehr als noch immer fortdauernder Eigenthiimer die einem
solchen zukommenden prozessualischen Rechte und Pflichten
weiterhin auszuliben. Es bildete eine Gewährschaftspflicht
aus.
Wollte der Beklagte sein Recht damit vertheid igen , dass
er es von einem Dritten rechtmässig erworben zu haben be-
hauptete, so war ihm kein anderer Weg offen, als diesen Dritten
als Gewährsmann zu benennen, und dieser Dritte musste wegen
der bestehenden Gewährschaftspflicht die Gewähr übernehmen.
Dass es eine Zeit gegeben hat, in der diese Art der
Vertheidigung die einzige und in Folge dessen die Gewähr-
schaftspflicht eine allgemeine war, dafür sind noch eine Reihe
sicherer Anhaltspunkte vorhanden.
Zuerst sei daran erinnert, dass, wie im ersten Kapitel be-
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reits erwähnt worden ist, in der Decretio Childeberti II. von 596
für „Klagen“ auch in Bezug aut' den Iinraobiliarprozess der
Ausdruck intertiare gebraucht wird (siehe oben S. 23).
Der Ausdruck intertiare , der sonst nur bei Mobiliarklagen
begegnet, bedeutet, so sahen wir, die Klageerhebung durch
Anefang, er bedeutet den objektiv formulierten Vorwurf rechts-
widrigen Besitzes, er bedeutet die Frage: von wem hast Du
die Sache ? er veranlasst den Besitzer, sich auf den Dritten, von
dem er die Sache hat, zu berufen, sich an die dritte Hand zu
ziehen, deu Gewährsmann zu nennen. Der Ausdruck intertiare
besagt also, dass dem Beklagten keine andere Vertheidigung
als die der Berufung auf den Gewährsmann gestattet ist; wird
daher der Ausdruck intertiare, wie iu unserer Quelle, schlecht-
hin für „Klagen“ gebraucht, so bedeutet das, dass überhaupt
bei jeder Klage nur diese Vertheidigung gestattet war. Unsere
Quelle zeigt uns also, dass es noch zu Ende des sechsten Jahr-
hunderts keine andere Vertheidigung als die der Berufung auf
den Auktor gab. Entweder der Beklagte gab die Klagebehaup-
tung zu oder leugnete sie schlechtweg oder aber, wenn er sich
wehren wollte, benannte er den Auktor. Vielleicht kann man
daraus entnehmen, dass die Berufung auf originären Erwerb,
auf Okkupation, erst später aufgekommen, dass die Einrede recht-
mässigen Erwerbes von einem Dritten die älteste gewesen ist.
In der Bezeichnung der Klage als intertiare, in der Notli Wen-
digkeit also deu Auktor zu stellen und in dessen Pflicht, in den
Rechtsstreit einzutreten, sehen wir deutlich den ursprünglich
strafrechtlichen Charakter auch der Immobiliarklage ausge-
drückt 1 ). Wie bei der Klage um Diebstahl das Dritthandver-
faliren denjenigen zur Antwort zwingen will, der den Diebstahl
begangen hat, so ist hier der Auktor zu stellen als derjenige,
von dem das Delikt der Landnahme begangen worden ist.
Zweitens: in einer Reihe merowingischer Königsurkundeu
aus den Jahren 692 bis 726 fiuden wir die ausdrücklich dem
Auktor auferlegte Pflicht, die Gewährschaft zu übernehmen. Es
sind Scheinprozesse, in denen der Beschenkte sich vom Schenker
die Schenkung bestätigen lässt ; der Schenker verpflichtet sich,
nöthigenfalls jene Auktorpflicht zu erfüllen. Es genügt, als Bei-
>) Brnuuer RG II S. 516.
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spiel den Inhalt der ersten Urkunde anzuführen. König Chlo-
dowech III. bestätigt dem Abt von St. Denis Besitzungen, die
die Nonne Angantrude soeben dem Kloster geschenkt zu haben
gerichtlich anerkannt hat.
Er fügt zum Schluss der Bestätigung hinzu, da®, wenn
dem Kloster späterhin die Nothwendigkeit entstehen sollte
(fuerit necessitas), d. h. wenn der Besitz von Dritten angefocliten
werden würde, dann solle die Schenkerin oder ihre Erben das
Kloster
in autericio exinde contra quemlibet studiant deßnsare.
Dann also soll die Schenkerin als frühere Besitzerin oder
ihre Erben für die Beklagten die Gewährschaftspflicht über-
nehmen und an deren Stelle, die sich nach den Erfordernissen
des Rechts auf sie berufen werden, in den Prozess als Partei
eintreten und als solche dann die Rechtmässigkeit der Schen-
kung beweisen und damit das Recht der Beschenkten verthei-
digen; das Verfahren, in dem dies zu geschehen hat, wird tech-
nisch autoricium genannt 1 ). Ganz die gleiche Formel findet
sich in den übrigen Urkunden®).
Drittens kommt eine Formel in späteren cavenser Ur-
kunden in Betracht, auf die bereits Brunner hingewiesen
hat 8 ).
In diesen Urkunden handelt es sich um Schenkungen, in
denen dem Beschenkten das Recht selbständiger Defensio ge-
währt wird; es wird also in ihnen das Gegentheil, wie in den
besprochenen merowingischen Königsurkunden festgesetzt. Die
Beschenkten brauchen sich nicht auf den Schenker, den Auktor,
zu berufen; sie sollen vielmehr in eigener Person den Auktor
vertreten dürfen. Das wird z. B. in einer Urkunde von 993
ausdrücklich ausgemacht 4 ). In einer anderen von 940 räumt
der Gewährschaftspflichtige, der Schenker, dem anderen Theile
die Befugniss ein:
si autem volueritis per vos ipsi exinde esse auäores et
») Nr. 37. DDM p. 56 n. 64.
•) Nr. 39. DDM p. 60 n. 68 (695); Nr. 63. DDM p. 67 n. 76 (709) ;
Nr. 56. DDM p. 70 n. 79 (711); Nr. 60. DDM p. 84 n. 94 (726).
*) Zeitschrift filr Handelsrecht XXII (1877) S. 127.
*) Cod. Car. HI p. 6 n. 463.
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defensores, liceat vos vice nostra exinde causare et oninia
agere, quamquam nos debuerimus, et vobis eos de-
fensare ‘).
Aus diesen Worten geht mit der allerbestimmtesten Sicher-
heit hervor, dass man im allgemeinen noch von der Anschauung
ausging, der Auktor habe im Zweifel die Pflicht die Gewähr-
schaft zu übernehmen, dass man es aber für statthaft hielt,
bei Einverständniss der Parteien im Einzelfall durch ausdrück-
liche Erklärung diese Pflicht aufzuheben. In diesem Zusammen-
hang kann auch auf eine in einer septimanischen Urkunde von
862 gebrauchte Wendung hingewiesen werden. Der Beklagte
behauptet, er habe die streitigen Grundstücke von Petrus ge-
kauft; auf diesen seinen Auktor beruft er sich,
qui ipsas res mihi in legibus autoricare debet *).
In den späten Zeiten, denen die erwähnten cavenser Ur-
kunden angehören, konnte der Auktor sich selbst von dieser von
ihm ausdrücklich als Regel anerkannten Verpflichtung befreien,
er konnte den Erwerbern das Recht einräumen, ihn zu
vertreten, loco auctoris stare 8 ), vice auctoris zu verhandeln.
Das hat seinen Grund in der unten noch hervorzuhebenden
Unbehülflichkeit des durch die Gewährschaftspflicht bedingten
Verfahrens, zu deren Abhülfe man im 10. Jahrhundert aus
eigner Machtvollkommenheit schreiten konnte.
Nicht so im siebenten. Das zeigt uns eine der Marculf-
schen Formeln, die für unsere Frage von grosser Wichtigkeit
ist*). In dieser Formel gewährt der König einem Kirchen-
fürsten auf dessen Vortrag, es seien viele der Wohlthäter der
Kirche, die ihr Schenkungen gemacht hätten, erbenlos verstor-
ben, das erbetene Privileg, dahin lautend, dass wenn jemand
per quodlibet Ingenium de ipsas res eum inquietare volu-
erit, der Bischof seo advocatus eins in vice auctorum
suorum causas ipsius licentiam habeat adsumendi vel
■) Cod. Cav. I p. 216 n. 168.
•) Nr. 369. Vaissete H c. 331 n. 161. LSch p. 44 n. 64. Th p. 128 n. 94.
*) Das ist der technische Ansdruck der langobardischen Quellen. Vgl.
Brunner RG II S. 364 Anm. 2.
4 ) Marc. I 36 MGF p. 66. Auf diese Formel weist Brunner Zeit-
schrift für Handelsrecht XXII S. 238 hin. Vgl. jetzt auch Brunner RG II
8. 354 Anm . 2, 516 Anm. 22.
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omallandi, et per cor um instrumenta aut de annis ipsa
rem, unde tune a quemlibet inquietare videntur, paHibus
ecclesiae . . . cum aequitatis ordine respondendi vel omal-
landi seit per annis contra quemeumque saciendi.
Also ein königliches Privileg, (las an Stelle des strengen
Rechts den ordo aequitatis setzt, ist erforderlich, damit der Bi-
schof in eigenem Namen klagen uud auf eine Klage antworten
könne. Und zwar dann, wenn der Auktor erbenlos verstorben,
eine Berufung auf ihn also unmöglich geworden ist.
An und für sich also wäre in einem solchen Fall nach
dem strengen Recht jede Vertheidigung ausgeschlossen gewesen;
nur durch ein königliches Privileg wird eine vereinfachte Art
der Vertheidigung ermöglicht; der Privilegierte darf sich, wie
wenn er selbst der erste Erwerber wäre, auf originären Be-
sitzerwerb oder auf Urkunden berufen.
Der Rechtszustand also, unter dem ein solches königliches
Privileg ertheilt werden konnte, hatte noch keine Formen für
einen wirklichen Verkehr mit Liegenschaften gefunden. Der
schwache Ersatz für rechtswirksame Ubertragungsformen war
lediglich die strenge Verpflichtung des Besitzers, seinen Auktor
zu benennen, und dem entsprechend die strenge Verpflichtung
des Auktors, der an ihn gerichteten Aufforderung Folge zu
leisten.
Wollte man nach Analogie späterer Zustände einwenden,
auch damals habe die Verpflichtung des Auktors nur dann be-
standen, wenn ausdrücklich das Recht des augenblicklichen Be-
sitzers darum bestritten wurde, weil das Recht seines Rechts-
vorgängers anfechtbar war, so muss erwidert werden, dass eben
diese Unterscheidung erst von dem Augenblick eintreten
konnte, in welchem dem Besitzer ein eigenes Recht an der
Sache, das auf der Übertragungsform beruhte, zuerkannt war;
in jener ältesten Zeit handelte es sich überhaupt nur um das
Recht des Auktors, sobald Rechtserwerb von einem Dritten der
Klage entgegengehalten wurde.
Es war natürlich, dass sich dieser Rechtszustand, der nur
eine Vertheidigung durch Auktorstellung gestattete, nicht halten
konnte.
Es gelang dem Recht, eine wahrhaft rechtsbegründende
Übertragungsform auch von Liegenschaften auszubilden: die
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Investitur, zunächst die auf dem Grundstück selbst vorgenom-
mene, körperliche Übertragung und Besitzräumnng verbindende
reale Investitur, später die ausserhalb des Grundstücks voll-
zogene symbolische, der sich an Stelle des thatsächlichen exire
ein se exitum dicere anschloss, als hauptsächlichste und bei allen
Stämmen augewendete Form die investüura per cartam, als In-
vestitur durch förmliche Urkundeubegebung.
Damit war auch für den Prozess eine breitere Grundlage
gewonnen.
Überall, wo eine Investitur, sei es eine reale oder eine
symbolische, stattgefunden hatte, genügte es, auf sie das Recht
zu stützen. Darum wurde die Frage, ob eine solche stattge-
funden hatte, zum Beweise gestellt. Der Beklagte entgegnete
jetzt, wenn er sich auf Rechtserwerb von einem Dritten be-
rufen wollte, so, dass er behauptete, durch reale oder symbo-
lische Investitur habe er den Besitz erworben, und dann hatte
er, nicht der frühere Besitzer, diese Investitur zu beweisen.
Nur in einem Falle musste die Berufung auf den Dritten bei-
behalten werden; dann, wenn ausdrücklich dessen Recht zur
Vornahme der Investitur in Zweifel gezogen wurde.
Das nun ist der Zustand, den uns im allgemeinen die
Quellen der fränkischen Zeit zeigen.
Es sollen zunächst die wenigen Stellen der Volks rechte,
in denen von der Berufung auf den Auktor die Rede ist, er-
wähnt werden.
In Betracht kommt einmal eine Stelle der Lex Ribuaria *).
In ihr wird noch die alte strenge Gewährschaftspflicht (virire
= defendere debent) erfordert in dem Fall, dass die Über-
tragungsurkunde angefochten wird und der Aussteller oder seine
Erben noch leben. Der Beklagte also, so können wir annehmen,
hatte sich auf investüura per cartam berufen ; darauf aber hatte
der Kläger behauptet, die Urkunde sei rechtsungültig, weil der
Gewährsmann sie nicht habe ausstelleu dürfen oder durch ihre
Ausstellung ein klägerisches Recht verletzt habe. Derartige
Fälle sind, wie wir sehen werden, auch urkundlich häufig be-
zeugt. Ich möchte jedoch nicht mit Heusler mich so ausdrücken,
*) Lex Rib. 59, 6: Quod si vindetur (venditor) vel heredes suac super-
vixerint, ipsi testamentuni virire debent aut multa incurrere.
Hübner, fränk. immobil Urjirozeti. 8
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114
dass eine in gehöriger Form über das Rechtsgeschäft aufge-
nommene Urkunde Ersatz für Stellung des Gewährsmanns ge-
boten habe *), sondern der stattgehabte rechtswirksame Akt der
Übertragung ist das entscheidende. War er durch Urkunden-
begebung geschehen, so war sie das Beweismittel ; war er körper-
lich vorgenommen worden, so musste die körperliche Investitur
mit zugegen gewesenen Zeugen bewiesen werden. Wird die Ur-
kunde angefochten, so wird damit behauptet, das durch sie
vollzogene Rechtsgeschäft sei ungültig gewesen. Es ist der
Akt der Investitur, dessen rechtswirksame Vollziehung von
der einen Partei behauptet, von der anderen bestritten wird.
Eigeutbümlich ist eine als Extravagante zur Lex Salica
bezeiehnete Stelle, ein Stück aus einer frühestens in der Mitte
des 9. Jahrhunderts in Italien entstandenen Privatarbeit*). Sie
stellt den Satz auf, Niemand dürfe etwas anderes sterchire nisi
quod ei ex hereditate venit; d. h., wenn das ungewöhnliche Wort
sterchire mit bestärken (firmare) übersetzt werden darf, Niemand
soll in Betreff einer anderen als einer ererbten Sache sein
eigener Gewährsmann sein 8 ). Also scheinbar wieder die ganze
Strenge des Prinzips der Gewährschaftspflicht; denn dass ver-
storbene Erblasser nicht herangezogen werden konnten, hat
sich immer von selbst verstanden. Die Stelle fährt nun aber
folgendermassen fort: bei anderen (also nicht ererbten) Sachen
aber, die ein Franke von einem Franken erwirbt und jener, der
sie verkauft hat (vendit), lebt, da muss der Erwerber beweisen,
dass sie der Verkäufer am Tage des Verkaufs quieto ordine
besass, und zwar, wie wir hinzufügen können, dadurch, dass er
den Auktor benannte. Hiergegen, contra istum d. h. gegen den
*) Gewere S. 33.
*) Extravagante B. VII, bei Behrend S. 122, 123; bei Hessels S. 421:
Nihil homo sterchire debet nisi quod ei ex hereditate venit. Alias [vero res],
quas Francas adquirit ex Franco homine, et ille vivus est qui vendit, debet
ille alius, qui ex eo comparavit, probare quia in sua proprietate habebat eo
die Mas res quando ille vendidit quieto ordine, et postea dari festes contra
illum. Et si ille mortuus est, qui vendidit, debet probare quia illo die quando
sibi vendidit [in sua] proprietate habebat quieto ordine, et mortuus est, et non
debet ille [alios] festes cUtre super istius testes.
») So ungefähr übersetzt Behrend die Stelle in seinem Wortregister
S. 159.
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115
Auktor, können vom Kläger Zeugen gestellt werden. Also dann
tritt der Auktor als Partei ein. Ist er aber gestorben, so muss
der Käufer beweisen, wiederum dass sein Auktor Besitzer quieto
orditie war, ausserdem, dass er gestorben war; und stellt er
dafür Zeugen, so darf der Kläger nicht Zeugen dagegen auf-
stellen. Also hieraus würde sich ergeben, dass jedes auf Grund
eines Kaufgeschäftes erlangte Eigenthum, wenn es bestritten
wurde, nur durch Berufung auf den Auktor bewiesen werden
konnte. Ich glaube jedoch nicht, dass man die Stelle in dieser
Allgemeinheit verstehen darf; denn zahlreiche Urkunden aus
jener Zeit'zeigen uns, dass durch Kauf erworbener Besitz stets
in erster Linie durch die Kaufurkunde bewiesen wurde; erst
wenn diese bestritten wurde, oder wenn eine solche nicht vor-
handen war, kam der Auktor in Betracht. Diese Beschränkung
also muss auch für unsere Stelle gelten ; sie spricht zwar nicht
davon, dass nur unter gewissen Bedingungen das in ihr ge-
schilderte Verfahren praktisch wurde, wir haben aber anzu-
nehmen, dass auch von ihr die rechtliche Verpflichtung, statt
des sterchire den Auktor zu benennen, nur in den angegebenen
Fällen verlangt wurde. Will man jedoch die Stelle wörtlich
interpretieren, so muss man sie zu den oben besprochenen
Quellenzeugnissen zählen und in ihr ein Zeichen dafür erblicken,
dass auch noch in jener Zeit die theoretische Ansicht von dem
Standpunkt ausging, es sei stets der Auktor zu benennen, da-
mit er als Partei in den Prozess eintrete und selbst sein Recht
beweise.
In diesen Zusammenhang gehört ferner eiue wichtige Stelle
des bairischeu Volksrechts. Es sei bemerkt, dass im Mobiliar-
prozess der fränkischen Zeit die durch Anefang angeschlagene
Sache, wenn sich der Besitzer auf einen Gewähren berief, dem
im Gericht erschienenen Gewähren übergeben wurde, damit er
nun prozessualisch für die Sache einstehen konnte *). Das ent-
sprechende bezweckt nach dem bairischen Volksrecht bei Im-
mobilien das Rechtsgeschäft der Firmatio *). Die Firmatio ist ein
*) Brunner RG II S. 604 ff.
’) „Über das firmare des älteren bairischen Rechts“ handelt Merkel
Zeitschrift für Rechtsgeschichte II (1863) S. 101—174; vgl. femer Heusler
Gewere S. 31 ff.; Brunner Rechtsgeschichte der Urkunde I (1880) S. 266
8 *
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116
dem bairischen Recht eigentümlicher rechtsförmlicher Akt,
durch den eine vollzogene Veräusserung anerkannt wird.
Sie besteht in der Wiederholung des Traditionsaktes von Seiten
des Anerkennenden. Sie wird zumal bei Schenkungen auf den
Todesfall und bei Schenkungen mit Vorbehalt des Niessbrauchs
verwendet, häufig alle fünf Jahre wiederholt. Die nochmalige
Vornahme eines bereits rechtsgültig vollzogenen Rechtsgeschäfts
soll diesem eine erhöhte Sicherheit geben. Ganz in der gleichen
Funktion verwendet nun das bairische Volksrecht die Firmatio
im Liegenschaftsprozess 1 ). Es hat Jemand von einem anderen
ein Grundstück gekauft. Ein Dritter erhebt gegen den Käufer
Klage. Nun wendet sich der Beklagte, der Käufer, an seinen
bis 269; meine Abhandlung über die donationes post obitum und die
Schenkungen mit Vorbehalt des Niessbrauchs im älteren deutschen Recht
(1888) S. 57 ff. ; und jetzt als für die Ausführungen im Text besonders mass-
gebend die Bemerkungen Brunners RG U S. 516.
*) Lex Baiuw. App. IV : De his qui proprium alodem vendunt vel quas-
cunque res, et ab emptore alter dbstrahere voluerit et sibi sociaret in patri-
monium, tune dicat emptor ad venditorem: Terrain, aut quaecunque fuerit res,
abstrahere mihi vult vicinus meus, dicens quod sua fuerit. Et iste respondet :
Ego quod tibi doiuioi, cum lege Integra et verbis testificatione firmare colo.
Super septem noctes fiat constitutum. Si didt, cum utrisque utraeque partes
conveniunt: Cur invaderc conaris territorium quod ego iuste iure hereditatis
doiuivi? Ille alius contra : Cur meum donare debuisti, quod antecessores mei
antea tenuerunt ? Iste vero dicit: Non ita, sed mei antecessores tenuerunt et
mihi in alodem reliquerunt, et vestita est illius manus cui tradidi et firmare
colo cum lege. Si statim voluerit, liberam hubeat potestatem. Sin autem,
postea super tres dies aut quinque aut certe septem ea ratione firmet. Per
quatuor angulos campi aut clesignatis terminis per haec verba tollat de ipsa
terra, vel aratrum circumducat, vel de herbis aut ramis, silca si fuerit : Ego
tibi tradidi et legitime firmabo per ternas vices. Dicat haec verba et cum
dextera manu tradat, cum sinistra vero porrigat wadium huic , qui de ipsa
terra eum mallat, per haec verba : Ecce wadium tibi do, quod terram tuam
alten non do, legem facietulo. Tune ille alter suscipiat wadium et donet
illum vicessoribus istius ad legem faciendum. Si causa fuerit inter illos
pugnae, dicat ille qui wadium suscepit: Iniuste territorium meum alteri fir-
masti, id est farsuirotos ; ipsum mihi debes reddere et cum duodecim solidis
componere. Tune spondeant pugnam duorum et ad Dei pertineat iudicium.
Sin autem, cum sacramento se defendat, id est cum duodecim, quod suam
terram iniuste non firmaret alteri nec suae ditioni restituere deberet, nee cum
duodecim solidü componere. — Es ist falsch, mit Merkel einen Unterschied
zwischen der ausserprozessuolischen und der prozessualischen Firmatio anzu-
nehmen; in beiden Fällen ist und bezweckt sie dasselbe.
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117
Gewährsmann, den Verkäufer, und macht ihm von der Klage-
erhebung Mittheilung. In dieser Mittheilung liegt die Auf-
forderung an den Verkäufer, die Gewährschaft zu übernehmen.
Dann mag jener sich dazu bereit erklären; mit den Worten
ego quod tibi donavi cum lege inlegrci et verbis testificatione firmare
volo erklärt er, in der vom Recht vorgeschriebeuen Form die
Firmatio vornehmen zu wollen. Wir können aus diesen Worten
entnehmen, dass das bairische Gesetz zugleich Fälle im Sinne
hat, in denen sich der Angesprochene weigern kann, möglicher-
weise weil der Beklagte versehentlich oder wissentlich sich an
einen Dritten gewendet hat, der gar nicht Gewährsmann ist.
Die rechtsförmliche Firmatio findet nun nach einer Frist von
sieben Nächten vor Gericht statt. Nachdem der Kläger nuu-
mehr dem Gewährsmann gegenüber seine Klage formuliert hat
und zwar dahin, dass er widerrechtlich ihm nicht gehöriges
Eigen übertragen habe, und nachdem eventuell eine neue Frist
verstrichen ist, nimmt dieser die Firmatio vor. Es geschieht in
der Art, dass er durch körperliche Investitur nochmals das Grund-
stück überträgt und zugleich dem Kläger durch Überreichung
eines Wadium sich verpflichtet, als Partei auf den gegen ihn
gerichteten Klagevorwurf zu antworten. Damit hat sich der
Prozess aus einem zwischen Kläger und Besitzer in einen
zwischen Kläger und Gewährsmann geführten verwandelt. Vor-
her aber ist die Investitur an den Beklagten wiederholt worden.
Gegenüber also dem hervorgehobenen Verfahren im Mobiliar-
prozess wird hier nicht eine Übertragung des Streitgegenstandes
an den Auktor vorgenommen 1 ). Im Gegentheil, die Vestitur
erfolgt seitens des Auktors zu Gunsten des Beklagten. Aber
dadurch, dass der Auktor die Vestitur vornimmt, nicht also ein
neues Rechtsgeschäft vollzieht, sondern das früher von ihm voll-
zogene feierlich und förmlich anerkennt, zeigt er zugleich in
der unzweideutigsten Weise, dass er die Folgen jenes früheren
Rechtsgeschäftes auf sich zu nehmen gewillt ist. Ist der Ge-
währsmann nicht im Stande, die Vertheidigung durchzuführen,
‘) Brunner weist RG II S. 516 Anm. 24 darauf hin, dass eine der-
artige Uebertragung dem späteren sächsischen Recht auch bei Immobilien
bekannt war, Ssp Ldr. III 83 § 3,
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so muss er das Grundstück an den Kläger herausgeben l ). Dann
aber hat der ursprünglich Beklagte gegen ihn einen Anspruch
auf Ersatz.
Ein Beispiel für einen solchen Fall bietet uns eine bairische
Urkunde von 828 *). Wir können ihr folgenden Thatbestand
entnehmen. Ein gewisser Chonorat hatte wider die Freisinger
Kirche um den Ort Smeoha Klage erhoben. Die beklagte Kirche
hatte sich auf ihren Gewährsmann Alprich bezogen, der ihr den
Ort geschenkt hatte. Alprich war als Auktor in den Prozess
eingetreten; aber ipsam traditimem firmart ä stabilire non potuü.
Vielmehr war der Ort an den Kläger herausgegeben worden.
Nun verlangte die Kirche von Alprich Schadensersatz, und
der Königsbote befiehlt ihm, legalüer iustitiam facere ; er voll-
zieht darauf eine neue Schenkung an die Freisinger Kirche.
Wir sehen also, auch im bairischen Recht tritt die Be-
rufung auf den Gewähren nur dann ein, wenn der Kläger die
Gültigkeit des von jenem vollzogenen Rechtsgeschäfts bestreitet;
dann genügt es nicht, dass sich der Beklagte auf die Investi-
tur beruft; dann muss vielmehr der Auktor selbst sein Recht
zur Investitur beweisen. Das bairische Recht steht also auf
dem gleichen Standpunkt, den uns vorhin die Lex Ribuaria
zeigte; seine Eigenthümlichkeit beruht nur in der besonderen
rechtsförmlichen Art, in der der Auktor sich seiner Gewähr-
schaftspflicht unterzieht.
Dieses Ergebniss der bisherigen Erörterungen, die Beschrän-
kung der ursprünglich allgemeinen Noth Wendigkeit den Auktor
in den Rechtsstreit hereiuzuziehen , auf diejenigen Fälle, in
denen entweder ein rechtsgültiger Übertragungsakt nicht be-
wiesen werden konnte oder in denen das Recht des Auktors aus-
drücklich angefochten wurde, bestätigt sich, wenn wir die ein-
zelnen urkundlich überlieferten Prozesse betrachten, in denen
der Auktor eintrat.
Von den merovingischen Scheinprozessen ist schon oben die
Rede gewesen; es findet sich, wie hervorgehoben, in ihnen der
technische Ausdruck autoricium (S. 109 f.).
Neben diese Königsurkunden ist eine im wesentlichen mit
*) Brunner RG II S. 517.
«) Nr. 260. Meich. I 2 p. 278 n. 530.
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L 1
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ihnen übereinstimmende Formel zu stellen; sie schildert gleich-
falls einen Scheinprozess der besprochenen Art 1 ).
Um einen wirklichen Rechtsstreit dagegen handelt es sich
in einer der Sammlung von Angers angehürigen Formel. Im
Gericht des Grafen wird wegen unrechtmässigen Betretens von
Weinbergen, also wegen Besitzstörung, Klage erhoben. Darauf
erwidern die Beklagten:
quod audore habebant legitimo nomen illo maiore, qui ipsa
vinia ad eos dedissi*).
Den Beklagten wird durch Urtheil auferlegt, diesen Auktor
in einem neuen Termin zu stellen, anderenfalls die Weinberge
zu revestieren. Wenn hier Berufung auf den Auktor erfolgt,
so geschieht es möglicherweise, weil ein rechtsgültiger Erwerbs-
akt nicht behauptet werden kann; ja es ist nicht ausgeschlossen,
dass unsere Formel noch der Zeit angehört, die einen rechts-
gültigen Erwerbsakt von Liegenschaften noch nicht kannte, so
dass hier kein anderes Mittel als Auktorbenennung möglich war.
Übrigens verwendet auch sie den technischen Ausdruck auteri-
cium *). Eine mit ihr zusammengehörige Formel zeigt dann,
was in diesem autericium geschieht: der Beklagte bleibt aus,
worüber dann dem Kläger eine Notitia ausgestellt wird 4 ).
Auf Auktorbeweis bezieht es sieh auch, wenn in einer
anderen fränkischen Formel der Kläger den Beklagten fragt,
durch wen er sich zur Sache ziehe (sadre); allerdings vermag
in diesem Fall der Beklagte dann einen anderen Rechtsgrund
anzugeben, indem er sich auf Erwerb durch Erbgang beruft 5 ).
Mit dieser Formel nah verwandt ist eine Urkunde aus der
Bretagne von 869; der Kläger fragt den Beklagten,
•) Nr. 65. Sappl. Form. Marc. 2 MGF p. 107.
*) Nr, 20. Form. Andec. n. 47 MGF p. 21.
*) Siehe die Erklärung von Zeumer MGF p. 21. — Ein ähnlicher
Ausdruck findet sich auch in einer Formel des Liber Papiensis (zu Liutpr. 69).
Die Parteien berufen sich auf je eine Urkunde, die beide von zwei Brüdern aus-
gestellt sind. Sie sollen im Beweistermin die Urkunden vorlegen und zeigen,
dass die eine vom einen, die andere vom anderen Bruder ausgestellt sei.
Dann heisst es : et si nullus ex fratribus venerit in auctoritatem
*) Nr. 22. Form. Andec. n. 53 MGF p. 23.
») Nr. 71. Form. Sal. Merk. n. 27 MGF p. 251.
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120
quem auctorcm habebat vel ex cuius datu tenebat ;
der Beklagte bekennt dann,
nullum auctorem usurcapionis
zu haben; offenbar wird aus Mangel an anderen Beweismitteln
der Auktorbeweis gewählt 1 ).
Ein ausführliches urkundliches Beispiel für den Fall, dass
der Auktor gestellt wurde, weil ein rechtsförmlicher Erwerbs-
akt nicht behauptet oder bewiesen werden konnte, bietet aus
dem Gebiet des fränkischen Rechts folgendes septimanisches
Placitum.
Im Jahre 893 erhebt der Vogt des Bischofs von Nimes
wider einen gewissen Rostagnus Klage um die von Bischof
Christianus von Nimes der dortigen Marienkirche geschenkte
und mehr als dreissig Jahre im Besitz des Bisthums gewesene
villa Patronianicus. Der Beklagte, so heisst es,
eas retinebat et auctorem in placitum habere potebat ho-
minem nomine Aimardo.
Es wird ihm durch zweizüngiges Urtheil auferlegt, binnen
vierzig Nächten den Auktor zu stellen oder die Villa heraus-
zugeben. Im neuen Termin aber erklärt der Beklagte,
et se manifeste fecit quod ipso Aimardo auctore habere
non potebat, nee in isto placito nec in alio.
Darauf wird er noch gefragt, ob er irgend ein sonstiges Be-
weismittel (scripturas aut ullum inditium veritatis) habe, und, da
er das verneint, verurtheilt *). Also er hatte offenbar aus Mangel
an irgend einem Beweise für eine stattgehabte Übertragung
gleich zuerst einen Auktor genannt.
Es kommt auch vor, dass, wie es in einer burgundisehen
Urkunde von 870 geschieht*), derjenige, der das streitige
Grundstück übertragen hat, von der Partei sofort mit in das
Gericht gebracht wird; auch hier wird man annehmen können,
dass von vornherein die Führung des Beweises durch Auktorbe-
nennung beabsichtigt wurde.
Eine bereits erwähnte septimanische Gerichtsurkunde vom
') Nr. 377. Cart. de Bedon p. 172 n. 242.
’) Nr. 141. Mfenard p. 16 n. 3. Germer- Durand p. 17 n. 8. Tli p.
167 u. 114
•) Nr. 406. Pferard p. 163.
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Jahre2862£gewfthrt dagegen ein anschauliches Bild eines Pro-
zesses, in dem auf den Auktor darum zurückgegriffen werden
muss, weil bestritten wird, dass er zum Abschluss des Rechts-
geschäfts berechtigt war, auf das der Erwerber sich beruft.
Im Grafengerichte zu Narbonne erhebt der Vertreter des
Abtes Richimirus von Carcassonne Klage wider einen gewissen
Savigildus um Ländereien im Territorium von Narbonne, die dem
Kloster gebühren, weil sie ihm von einem gewissen Peter und
seiner Frau durch Urkunde übertragen worden seien, und an
denen das Kloster
legitimam vestituram seu et amplius
gehabt habe, Beklagter aber
hoc invasit de illorim potestate malum ordine iniuste in-
fra istos duos unnos et exblntavit hoc iniuste.
Also Kläger beruft sich auf Schenkung und Besitz. Dem
gegenüber giebt Beklagter zwar zu, dass er im Besitz der
Streitgegenstände sei; set non malum ordine nec iniuste; zugleich
beruft er sich sowohl auf eine Kaufurkunde als auch auf den-
selben Peter, seinen Gewähren, qui ipsas res mihi in legibus auto-
ricare debet. Das auffallende, dass der Beklagte sich auf Ur-
kunden und Auktor beruft, erklärt sich daraus, dass er nicht
erst abwartet bis der Kläger ausdrücklich die Rechtsgültigkeit
der Urkunde bestreitet, sondern er tliut sogleich das, was dann
erforderlich war, er nennt den Auktor.
Also beide Parteien leiten ihr Recht von dem gleichen
Auktor ab; mit anderen Worten, Kläger bestreitet, dass der
Auktor des Beklagten zur Rechtsübertragung an diesen berech-
tigt war.
Das Gericht erkennt auf Präsentation des Auktors durch
den Beklagten.
Nach fünfzehn Tagen findet das gebotene Gericht vor einem
Beauftragten des missus comitis statt. Beklagter präsentiert seine
Urkunde und seinen Auktor. Das Gericht lässt zunächst die Ur-
kunde verlesen ; sie ergiebt, dass der Beklagte die Grundstücke
von Peter gekauft hat. Dieser wird nun gefragt:
si vellis autoricare ipsas res ad iamdicto Savigildo.
Er erklärt, er könne es nicht, denn er habe zwar die Ur-
kunde ausgestellt, aber vorher habe er dieselben Sachen dem
Kloster tradiert. Dies beweist nun auch noch der Kläger
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seinerseits, indem er die erste Traditionsurkunde vorlegt; der
Auktor erkennt sie an. Darauf wird dieser, der Auktor, verur-
tkeilt,
ut suam recognüionem exinde scriptisque fecisset.
Dann muss auch der Beklagte, nachdem er in üblicher Weise
nach weiteren Beweismitteln gefragt worden ist, die Erklärung
abgeben, keine mehr zu haben, worauf dann auch er zur schrift-
lichen Verzichtleistung verurtheilt wird. Wir sehen aus diesem
Beispiel besonders deutlich, wie durchaus der in den Prozess
eintretende Gewährsmann als Partei behandelt wurde; auch gegen
ihn wird ein Urtheil gefällt 1 ).
Hierher gehört auch eine cluniacenser Urkunde von 948;
auch hier beruft sich der Beklagte auf eine Urkunde, die der-
selbe Dritte ausgestellt haben soll, von dem der Kläger sein
Recht erworben zu haben behauptet. Aber auch hier dringen
die Beklagten nicht durch, und zwar ist es hier der Auktor
selbst, der ihnen den beabsichtigten Beweis unmöglich macht;
er weigert sich, die von ihnen vorgelegten Urkuuden anzuer-
keunen (non autorizavü) und als Partei einzutreten. Damit
sind die Beklagten natürlich beweisfällig geworden 2 ).
Rechnet man die vorher bei der bairischen Firmatio be-
sprochene bairische Urkunde hinzu, so sind mit diesen Fällen
die aus den nicht italienischen Gebieten stammenden Beispiele
der Berufung auf den Auktor erschöpft 5 ).
Es bleibt daher jetzt eine Betrachtung der italienischen
Quellen übrig. Auch hier begegnen uns die gleichen Grund-
sätze. Es soll das zunächst an einigen urkundlichen Beispielen
gezeigt werden ; daran wird sich die Erörterung einiger Formeln
des Liber Papiensis knüpfen.
Der Rechtssatz zunächst, dass dann, wenn andere Beweise
nicht vorhanden waren oder nicht ausreichten, auf den Auktor
*) Vgl. über diese Urkunde auch Heusler Gewere S. 34.
*) Nr. 520. Chart, de Cluny I p. 671 n. 719. Th p. 191 n. 130.
*) Denn wenn in einer septimanischen Urkunde von 955 (Nr. 534.
Vaiasete V c. 222 n. 98) der Beklagte sich auf Schenkung beruft und er-
klärt: habemus teste s et authores, worauf dann im Beweistermin Zeugen des
Beklagten sein auf Schenkung beruhendes Eigenthum beweisen, so ist wohl
hier der Ausdruck authores nicht im technischen Sinne verwendet und nur
ein Pleonasmus neben festes.
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Bezug genommen wurde, ergiebt sich sehr deutlich aus einer
farfenser Urkunde von 838. Der Abt von Farfa klagt gegen
vier Brüder um gewisse von Gualipertus laut vorgelegter Ur-
kunde an das Kloster verkaufte Güter. Hiergegen legen die
Beklagten andere Urkunden vor, durch welche sie die Güter
käuflich erworben haben wollen. Aber
ipsae cartulae de suprascriptis germanis non habebant
XXX « annis ;
sie waren darum nicht beweiskräftig und nützten den Beklagten
nichts. Sie werden daher gefragt:
habetis auctorem de ipsis rebus, quae in istis vestris car-
tulis continentur, an non?
Sie müssen das vereinen: •
audorem non habemus nec habere possumus, qui nobis
ipsam portionein G-ualiperti defendat ; nec nos eandem
portionem per aliquem modum defendere possumus.
Sie müssen daher die Güter herausgeben l ).
Vor dem Erzbischof von Mailand als Königsboten erhebt
859 der Vogt des Ambrosiusklosters wider Lupo Klage, der
widerrechtlich Grundstücke besässe, die dem Kloster von Aripert
verliehen worden seien. Der Beklagte behauptet, ihm sei der
Hof und das Kloster vom Vorsitzenden Erzbischof als Benefi-
cium verliehen,
et exinde parte ipsius d. Angilberti archiepiscopus, qui
mihi eam in benefitio dedit, audorem abeo et dare posso.
Aber im anberaumten Beweistermin
ipse Lupus decatevit de ipso audore et dixit quod eam dare
non poterü.
Merkwürdig ist in dieser Urkunde das weitere Verfahren;
denn nun legt der Kläger seine beiden Urkunden vor (die
Schenkungsurkunde des Aripert und die Rückverleihungsur-
kunde an ihn); darauf wird der Beklagte nochmals gefragt,
ob er einen Auktor stellen oder irgend andere Beweise erbringen
könne, was er zum zweiten Male verneint. Und zwar fügt er
nun hinzu, er habe sein möglichstes getlian und dem Erzbischof
von dem Termin Anzeige gemacht, aber dieser habe sich ihm
gegenüber geweigert und ihm gesagt quod nullo modo ei exinde
') R. di Farfa II p. 232 n. 282.
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auäor esse. Dann vollzieht der Beklagte die Revestitur per
fitste. Es findet dann schliesslich ein dritter Termin vor dem
Erzbischof statt, in dem dieser seinerseits die Erklärung ab-
giebt, dass die betreffenden Güter nicht an den Beklagten aus-
geliehen werden dürften. Darauf endlich wird das Urtheil ge-
sprochen *).
Als im Jahre 963 zu Salerno wider Roffus um Grundstücke
zu Barbaciano geklagt wird, erklärt der Beklagte, sie seien
sein Eigenthum,
et auctorem inde abeo, qui rebus ipsa mihi benumdedi.
Es wird ihm auferlegt, ihn zu stellen*).
Wie hier Anktorbenennung das einzige Beweismittel ist,
so auch in einer weiteren -bereits in der Einleitung bespro-
chenen süditalienischen Urkunde aus derselben Sammlung 3 ).
Der Beklagte erwidert auf die Klage, das streitige Grund-
stück sei ihm von der Maximuskirche ad pastenandum verliehen
worden, et auctorem inde habere pars ipsius hecclesie. Im Be-
weistermin stellt er den Abt. Nachdem dieser sich das frag-
liche Grundstück an Ort und Stelle hat zeigen lassen , erklärt
er, es gehöre allerdings zur Kirche, und er habe es dem Be-
klagten ad pastenandum gegeben. Nun wendet sich der Kläger
an den Abt, wirft diesem widerrechtlichen Besitz vor, worauf
dann der Streit zwischen ihnen weiter geführt wird.
Wenn in einer anderen cavenser Urkunde 4 ) durch Urtheil
jeder der beiden Parteien auferlegt wird, ihren Vater zu stellen
ad ipsa diffinitionem , so kann das wohl nur als eine von den
alten strengen Rechtsregeln nicht mehr abhängige freie An-
ordnung des Gerichts angesehen werden, ebenso wenn in einer
anderen cavenser Urkunde dem Kläger, dem gegenüber der
Beklagte ohne die vorgelegte Urkunde zu bestreiten lediglich
die Klagethatsache in Abrede stellt, aufgegeben wird, im
nächsten Termin mit seiner Mutter, die nach der vorgelegten
Urkunde die streitigen Besitzungen erworben hat, wieder zu er-
scheinen (plicare ) 5 ).
•) Cod. Lang. c. 341 n. 207. Fumagalli p. 326.
*) Cod. Cav. II p. 14 n. 222.
*) Cod. Cav, III p. 31 n. 480 (995). Siehe oben 3. 7.
«) Cod. Cav. II p. 300 n. 426 (990).
*) Cod. Cav. II p. 167 u. 339.
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Auch in einer italienischen Urkunde finden wir es, dass
die Partei ihren Auktor gleich mitgebracht hat. Es handelt
sich um den Beweistermin ; der Beklagte legt, wie er im ersten
Termin gelobt hat, eine Urkunde vor. Ausserdem aber stellt
er gleichzeitig seinen Auktor,
qui mihi campum ipsutn per ipsa cartnla tulit;
von diesem Auktor war im ersten Termin noch gar nicht die
Rede gewesen. Nun stellt sich heraus, dass die produzierte Ur-
kunde sich auf einen ganz anderen Ort bezieht; also der Be-
klagte wird wohl gewusst haben, wie schwach es mit seiner
Urkunde bestellt war; aber austatt den Versuch eines Urkunden-
beweises erst gar nicht zu wagen, thut er es doch; freilich
kann ihm auch der Auktor nicht helfen, denn nun bestreitet
der Kläger, dass dieser zu einer Tradition an den Beklagten
berechtigt gewesen wäre, und beweist das Recht der von ihm
vertretenen Kirche durch eine Urkunde. Darauf muss der
Auktor ausdrücklich erklären, seinerseits die Identität des Feldes
oder dreissigjährigen Besitz nicht beweisen zu können ').
Beispiele für Auktorbenennung, weil dessen Berechtigung be-
stritten wird, bieten folgende italienische Urkunden.
Eine luccheser Urkunde vom Jahre 815. Der Vogt der Mar-
tinskirche klagt wider Suave um Weinberge zu Brancoli. Im zwei-
ten Termin wendet der Beklagte ein, er habe die Weinberge von
Gheiprandus ad lavorandum erhalten; er zeigt eine diesbezüg-
liche Urkunde, ein libellutn, vor. Nun entgegnet der Kläger,
dies libellum könne der Kirche nicht entgegenstehen, denn die
Weinberge hätten gar nicht dem Gheiprandus gehört. Darauf
wird vom Gericht an den Beklagten die Frage gerichtet:
st aberet auctore de vinie ille an non.
Also das Recht des Rechtsvorgängers wird bestritten; dar-
um reicht die Urkunde nicht aus. Nun ist aber im vorliegen-
den Fall, wie der Beklagte erklärt, der Auktor gestorben ; dafür
aber erbietet sich der Beklagte, zu beweisen, dass wirklich der
Auktor die Weinberge an ihn, den Beklagten, durch jene Urkunde
tradiert habe. Es ist sehr auffallend, dass das Gericht auf diesen
Beweis erkennt; denn, auch wenn er gelänge, würde er ja den
Einwurf des Klägers, dass der Auktor kein Recht zu der Tra-
l ) M. ili Lucca IV 2 app. p. 6-J n. öl.
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dition gehabt habe, gar nicht entkräften. Aber der Beklagte
kann den Beweis nicht führen, und so ergeht ein Urtheil zu
Gunsten des Klägers ‘).
Eine nur sehr lückenhaft überlieferte ravennatische Ur-
kunde von 838 berichtet, wie der Beklagte im Beweistermin in
Erfüllung des Beweisurtheils eine Urkunde vorlegt; sie allein
genügt aber nicht; das Gericht verlangt auch noch die Vorlage
einer emphyteutischen Urkunde. Wenn nun der Beklagte er-
klärt, er habe eine solche nicht, könne auch keinen Auktor
stellen, so zeigt sich auch hier wieder, wie dies letzte Beweis-
mittel daun in Anwendung zu kommen hatte, wenn die Stich-
haltigkeit der übrigen bestritten wurde*).
Einen der oben erörterten septimanischen Urkunde ver-
wandten Fall sehen wir in dem umfangreichen raailänder Pla-
citum von 844; die Beklagten berufen sich auf eine Urkunde,
durch die sie die streitigen Besitzungen von demselben
Dritten erworben haben wollen, von dem auch Kläger ihr Recht
herleiten. Wie oben kommt es daher auch hier zur Stellung
des Auktors, und dieser weigert sich auch hier, für die Be-
klagten einzutreten *).
Fenier möge noch kurz auf eine sehr interessante luccheser
Urkunde von 847 hingewiesen werden. Die Beklagten berufen
sich auf eine Urkunde und benenneu ausserdem secundum textum
cartule den Sohn des Schenkers als Auktor (man vergleiche die
merowingischen Diplome, in denen der Schenker für sich und
seine Erben die Gewährschaft übernimmt). Dieser Sohn der
Schenkerin tritt nun zwar als Auktor in den Rechtsstreit ein;
er kann aber nicht beweisen, dass sein Vater rechtmässiger
Eigentümer gewesen sei, d. h. dass er die Güter dreissig Jahre
besessen habe. Der Kläger aber kann seinerseits mit Zeugen
dreissigjährigen Besitz der von ihm vertretenen Kirche beweisen.
In Folge dessen wird der Auktor, da er Partei ist, zur Heraus-
gabe des Guts und zum Ersatz der Früchte verurteilt *).
*) Mem. di Lucca V 2 p. 239 n. 397. Mnratori Ant. I c. 537.
a ) Fantuzzi II p. ö n. 2. Vesi doc. I p. 86.
*) Cod. Lang. c. 266 n. 154. Fnmagalli p. 240. Mnratori Ant. I c. 467.
4 ) Mem. di Lucca V 2 p. 386 n. 648. Mnratori Ant. I c. 527. Zu
vergleichen ist Brunner Zeugen- uud Inquisitionsbeweis S. 369, 371, 372.
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127
Jetzt endlich sind noch einige hierhergehörige Formeln des
Liber Papiensis zu betrachten.
Einmal eine Formel zu Liutprand c. 78. Wir sahen schon,
in diesem Gesetz wird bestimmt, dass in causae regales statt
der dreissigjährigen eine vierzigjährige Verjährungszeit gelten
solle. Am Schluss wird hinzugefügt, dass Niemand von einem
servus oder aldio des Königs etwas erwerben könne, ebenso-
wenig, wie von einem servus oder aldio eines Anderen.
Hierauf bezieht sich die zweite Formel des Liber Papiensis ').
Ein königlicher Vogt erhebt Klage wegen unrechtmässigen Be-
sitzes. Der Beklagte behauptet, das Grundstück sei sein Eigen,
Donatus habe es ihm verkauft. Darauf verlangt der Kläger
Stellung des Auktors: da vadia de audore. Warum? Offenbar
weil der Beklagte keine Urkunde vorlegen oder Zeugen stellen,
also keine Investitur beweisen kann. Stellt nun der Beklagte
den Auktor, so verhandelt der Kläger nunmehr gegen diesen.
Ein anderer Fall aber ist, dass der Beklagte erklärt: in loco
auctoris volo stare. Dann aber muss er eine Urkunde vorzeigen
können. Dann kann der Kläger diese Urkunde anfechten durch
die Behauptung, der Aussteller sei servus de parte publica ge-
wesen, und dann muss der Beklagte beweisen, dass er frei war,
oder der Kläger, dass er Höriger war. Also der Beklagte kann
auch erklären, ich will an Stelle des Auktors verhandeln; und
zwar kann er das, wie im vorliegenden Fall angenommen wer-
den muss, aus zwei Gründen, einmal weil er eine carta hat,
ferner weil der Auktor verstorben oder sonst nicht stellbar ist.
In diesem Ausdruck loco audoris stare klingt immer noch, wie
in jener Ermächtigung zu eigener defensio, der wir in den
cavenser Urkunden begegneten, die alte Auffassung nach, die
nur ein Verhandeln mit dem Auktor kannte, und von der aus
ein jedes Antworten des Beklagten auf Grund eigenen Rechtes
als ein loco audoris stare erscheinen musste. Wie in jenem
alten königlichen Defensionsprivileg *) der Beschenkte in vice
audorum prozessieren durfte, d. h. scheinbar zwar als Stellver-
treter der Auktoren. als Vertreter ihrer Rechte, thatsächlich
aber eben gerade als Vertreter eigenen Rechts, so bedeutet
') L. P. Formel zu Liutpr. 77 (78).
») Marculf I 36.
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128
auch in der Formel das loco auctoris, dass der Beklagte ohne
Rücksicht auf den Auktor selbst sein eigenes Recht beweisen
will ; wobei unerheblich ist, wie er das thut. Die wissenschaft-
liche Theorie scheint aber, wie wir bereits oben aus der Extra-
vagante zur Lex Salica entnahmen, in Italien noch lange unter
dem Banne der alten Anschauung gestanden zu haben, die eine
rechtmässige Vertheidigung nur in der Benennung und Stelluug
des Auktors sah.
Desshalb konnte eine Glosse zu den Worten unserer For-
mel pro loco auctoris volo stare die Erklärung hinzufügen: pro
usu secundum quosdam asinos; secundum valentes numquam Lango-
bardus stat loco auctoris. Also die neueren Rechtsgelehrten
glaubten sich gegen die in der Praxis übliche Form der Ver-
theidigung erklären zu müssen, da sie, vom Standpunkt des
alten Verfahrens ja mit gutem Grund, in der eigenen Ver-
theidigung des Beklagten eine Stellvertretung des eigentlich
zum Prozessieren verpflichteten Auktors erblickten. Und da sie
eben in dieser Antwort des Beklagten einen Widerspruch gegen
das langobardische Recht erkannten, das mit besonderer Strenge
die prozessualische Stellvertretung verbot, so erklärten sie eine
solche Antwort für unerlaubt. Gerade wegen dieser Strenge
des langobardischen Rechts erklärt es sich, dass in Italien der
besprochene Brauch aufkam, sich vom Schenker das Recht der
Selbstvertheidigung ausdrücklich zusprecheu zu lassen.
Des äusseren Zusammenhangs wegen soll hier eine Formel
zu Wido c. 5 besprochen werden, die eigentlich nicht hierher
gehört, weil in ihr vom Kläger die Rede ist. Das Gesetz selbst
verbietet, auf Grund einer nicht vom berechtigten Eigeuthümer
ausgestellten cartula fremde Grundstücke in Besitz zu nehmen.
Nun ist der Fall der Formel der : Martinus erhebt wider Petrus
Klage wegen unrechtmässigen Besitzes. Der Beklagte beruft
sich auf Erwerb durch Erbschaft seines Vaters und fragt den
Kläger, welches Recht er habe. Kläger zeigt eine von Marc-
vardus ausgestellte cartu. Darauf fragt der Beklagte: vis dare
auctorem an vis stare loco auctoris ? Also die carta genügt
nicht, und zwar darum, weil das Recht ihres Ausstellers ange-
fochten wird, der, wie Beklagter behauptet, das Grundstück
gewaltsam in Besitz genommen habe. Also ein Fall, wie er
uns auch in den Urkunden begegnet und der durchaus dem
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129
übriggebliebenen Eest der ursprünglich allgemeinen Gewähr-
schaftspflicht entspricht. Aber warum nun die Doppelfrage?
Der Kläger antwortet auf sie: in loco auctoris volo stare. Dar-
auf aber entgegnet ihm der Beklagte: non debes tu stare in
loco auctoris, nämlich desshalb nicht, weil eben der Besitz des
Auktors ein gewaltthätig erworbener war.
Ähnlich liegt die Sache in der im § 2 der Expositio zu
dieser Stelle gegebenen Formel. Dem Anselmus ist eine Sache
widerrechtlich entzogen. Der Besitzergreifer Albertus verkauft
sie an Rainaldus. Anselmus erhebt Klage gegen Rainaldus;
er fragt: quid tibi pertinet ad requirendum? Rainaldus beruft
sich auf die von Albertus ausgestellte Verkaufsurkunde. Darauf
richtet Anselmus die Frage an ihn : vis stare auäoris loco vel
vis auctorem dare? Er erklärt: auctoris loco stare volo; aber
Anselmus entgegnet: das kannst Du nicht, denn Du durftest
Dich nicht in den Besitz setzen, bevor Dein Auktor, Albertus,
rechtmässig erworben hatte, also musst Du nach dem Gesetz
ihn stellen. Er thut das, und nun wird zwischen Albertus und
Anselmus verhandelt.
Warum wird nun aber die Partei überhaupt gefragt, ob
sie loco auctoris stare wolle, wenn, wie doch sie sowohl als der
Geguer wissen müssen, dass das Gesetz es gar nicht erlaubt?
Mir scheint keine andere Erklärung möglich als folgende. Zur
Zeit als die langobardischen Juristen die in Rede stehenden
Formeln abfassten, war, wie wir gesehen haben, die allgemeine
Gewährschaftspflicht längst ersetzt und nur dann noch von
einer solchen die Rede, wenn der Besitzer entweder keinen gül-
tigen Erwerbsakt beweisen konnte oder aber seine Rechtsbe-
hauptung wegen mangelnden Rechts des Auktors bestritten
wurde. Das letztere nun ist in unseren Formeln der Fall; sie
lassen, wenn wir ihre knappen nur die hervorstechendsten Sta-
dien erwähnenden Reden ergänzen, ungefähr folgenden Gang
des Rechtsstreits erkennen.
Die Partei beruft sich auf Erwerb durch Kaufgeschäft; sie
legt die Kaufurkunde vor, durch deren Begebung das Geschäft
perfekt geworden ist. An und für sich würde sie damit einen
rechtsgültigen Erwerbsakt angegeben haben, der sie, da der
Beweis in der Urkunde gegeben ist, legitimiert hätte. Aber in
den Formeln ficht der Gegner die Urkunden an, weil der Auk-
Httbuer, fränk. lmraoblliarprozets. 9
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130
tor nicht berechtigt gewesen war, sie auszustellen. Nun
also tritt die Pflicht der Gewährenstellung ein. Alles dies liegt
in den Worten: vis dare auctorem? d. h. wenn Du Dich weiter
vertheidigen willst, so schaffe gefälligst Deinen Auktor herbei ;
oder willst Du das nicht, willst Du Dich etwa mit der blossen
Behauptung des Rechtserwerbs begnügen, fragt der Gegner
weiter, vis stare loco auctoris, willst Du Dich der Pflicht, den
Auktor zu stellen, entziehen, willst Du, anstatt dass er mit mir
verhandelt, weiter (nicht als dessen Stellvertreter, sondern) statt
seiner mit mir streiten ? Die Partei erklärt beidemale, sie wolle
das letztere; sie versucht also, ob sie mit der bequemeren Art
der Beweisführung durchdringen könne. Aber der Gegner macht
sie darauf aufmerksam, dass das vom Gesetz nicht erlaubt
werde. In der ersten Formel bleibt (so scheint es) der Kläger
dabei. Damit aber ist er um sein Beweisrecht gekommen (im vor-
liegenden Fall hätte er es, da er die Urkunde hat), und der
Gegner beweist, dass der Auktor kein Recht gehabt habe. In
der zweiten Formel stellt er den Auktor. So scheinen mir die
Formeln einen mit den allgemeinen Grundsätzen übereinstimmen-
den Sinn zu ergeben.
Es bleibt noch eine Formel des Liber Papiensis anzuführen 1 ).
Der Beklagte beruft sich zur Vertheidigung seines Besitzes auf
einen Tausch: Donatus commutavit mecum. Sofort entgegnet
der Kläger: da wadiam de audore. Also ohne Weiteres muss
der Beklagte seinen Beweis durch Stellung des Gewähren führen.
Es entspricht dies dem Gesetz, zu welchem die Formel gehört,
in dem von demjenigen die Rede ist, der ein Grundstück
einem anderen als Tauschgegenstand gegeben hat, dann aber,
als ein Dritter dasselbe als sein Eigen in Anspruch nimmt,
jenen defendere non potuerit, also als Auktor in den Prozess einge-
treten sein Recht auf jenes Grundstück nicht behaupten kann.
In erwünschtester Weise sagt uns nun aber das Gesetz
selbst, warum hier der Beweis sogleich durch Stellung des
Auktors geführt werden muss: darum nämlich, weil das Tausch-
geschäft ohne Urkundenbegebung abgeschlossen worden ist.
Es heisst nämlich, der zu leistende Schadensersatz müsse abge-
schätzt werden und zwar in den liier gemeinten Fällen (de his
*) Formel zu Liutpr. 115 (116).
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131
causis), desshalb weil cartolam commutaiionis aut vinditionis liome-
nis inter se non faciunt.
Also wir sehen ans dieser Gesetzesstelle nnd der zu ihr
gehörigen Formel deutlich, dass das alte Recht der Ziehung
auf den Gewähren da in Geltung geblieben ist, wo eine Ur-
kunde über die Vollziehung der Investitur nicht vorhanden ist,
so wie nach den Ergebnissen der anderen besprochenen Stellen
diese Beweisart auch daun zur Verwendung kam, wenn die
Wirksamkeit eines solchen Übertragungsaktes wegen mangeln-
den Rechtes des früheren Besitzers bestritten wurde.
Die ursprünglich allgemeine Pflicht der Benennung des
Gewähren ist, wie das Gesagte ergiebt, im Laufe der fränki-
schen Zeit auf diese zwei bestimmten Fälle beschränkt worden.
Zugleich hat sich damit die prozessualische Bedeutung der Be-
rufung auf den Auktor verändert. Sie war, wie wir sahen,
ursprünglich eine die rechtsförmliche Antwort verweigernde
Klagcerwiderung. Der Beklagte, der sich zu eiuem Gewähren
zog, erklärte damit selber nicht verpflichtet zu sein als Partei
auf die Klage sich einzulassen. Der Auktor muss als Partei
in den Prozess eintreten. Das muss er, wie wir sahen, auch
noch in den beiden Fällen, in denen sich die Auktorbenennung
als noth wendig erhalten hat. Man könnte also sagen, dass
auch noch am Ende der fränkischen Zeit in diesen beiden
Fällen die Berufung auf den Auktor den Charakter einer Ver-
weigerung der Streiteinlassung sich bewahrt hat. Doch das
beträfe nur die Bezeichnung. Wichtig aber ist folgender Punkt.
Eben weil ursprünglich die Berufung auf den Auktor eine die
technische Antwort verweigernde Klageerwiderung war, war
sie überall gestattet, obwohl im übrigen materielle Einreden
noch unerlaubt w r aren. Sie war darum die einzige Art, in
der derivativer Rechtserwerb in der Klagebeantwortung der
Klage entgegengehalten werden konnte. Wollte der Beklagte
sein Recht damit behaupten, dass er es aus dem Recht eines
Dritten herleitete, so musste er diesen Dritten als Auktor in
den Streit ziehen. Materiellrechtliche und prozessrechtliche
Gründe kamen also zusammen, um eine andere Art der Ver-
teidigung auszuschliessen. Die materiellrechtlichen waren, dass
es noch keine rechtswirksame Übertragungsform von Liegen-
schaften gab, die prozessrechtlichen waren, dass es noch keine
o»
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132
Einreden gab. Hierin nun trat im Lauf der fränkischen Zeit
eine Änderung ein. Die im materiellen Recht liegenden Be-
hinderungen fielen fort; es bildeten sich rechtswirksame Über-
tragungsformen von Liegenschaften (die Investitur, insbesondere
die Investitur durch Urkundenbegebung) aus, und diese Thatsache
wirkte auch auf das Prozessrecht : neben der Berufung auf den
Auktor wurde die Berufung auf die Übertragung, auf das
Rechtsgeschäft möglich, d. h. eine Einrede im eigentlichen
Sinn.
Berief sich nun der Beklagte auf einen rechtsgeschäftlichen
Erwerbsakt, d. h. also in der Mehrzahl der Fälle auf eine In-
vestitur j per cartam, so war es natürlich, dass er sich auf die
Urkunde, durch die er sein Recht erworben hatte, stützte.
So trat neben die Berufung auf den Gewähren die Berufung
auf die Urkunde. Es ist schon auf den Satz des Lex Ribu-
aria hingewiesen worden, dass der Beklagte, der sich auf eine
Urkunde berufe, ohne Tangano auf die Klage antworten könne l ).
Wir dürfen aus dieser ausdrücklichen Bestimmung entnehmen,
dass damit etwas Neues eingeführt, oder wenigstens einer neuen
Übung zum ersten Mal gesetzliche Anerkenung zu Theil wurde.
Nach altem Recht wäre ein Antworten ohne Tangano, d. h. ein
Verweigern einer rechtsförmlichen Antwort, nur bei Berufung
auf den Gewähren möglich gewesen. Dann konnte der Beklagte,
ohne formell durch Zugeben oder Leugnen sich auf die Klage-
worte zu beziehen, rechtsunförmlich (ohne Tangano) erklären,
nicht er, sondern der Gewährsmann sei zur Verantwortung zu
ziehen, denn er leite sein Recht von diesem Gewährsmann
her. Nun bestimmte das Gesetz, auch wenn er eine Urkunde
in Händen habe, dürfe er von einem formellen Leugnen der
Klageworte absehen, dürfe er erklären, er besässe nicht mit
Unrecht, sondern auf Grund einer Urkunde. So gestattet also
der Besitz einer Urkunde dem Beklagten, sich mit einer mate-
riellen Einrede, mit der Behauptung derivativen Rechtserwerbes,
zu vertheidigen. Da die Berufung auf einen Gewähren zu-
nächst, wie wir sahen, den Charakter einer den Einlass wei-
gernden Klageerwiderung behielt, so ist möglicherweise die Be-
rufung auf eine Urkunde die erste materielle Einrede, die das
‘) Lex Bib. 69, 8. Vgl. oben 8. 105.
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133
fränkische Prozessrecht ausbildete. Dass aber auch sie zu-
nächst noch unter dem Gesichtspunkt der Verweigerung einer
rechtsfünnlichen Antwort aufgefasst worden ist, sehen wir z.
B. aus einer langobardischen Formel 1 ), die den Beklagten,
der im Besitz einer Urkunde ist, auf die Klage erwidern lässt:
non tibi respondeo, quia ecce carta, quam tu mihi fe-
cisti aut pater tuus.
Für eine derartige Antwort wird uns auch ein urkund-
liches Beispiel begegnen.
So also bedeutete der Fortschritt des materiellen Rechts
zugleich einen Fortschritt des Prozessrechts.
Der weiten Verbreitung und häufigen Verwendung, die
die Investitur durch Urkundenbegebung in allen Gebieten des
fränkischen Reiches fand, entspricht nun auch die Häufigkeit
derjenigen Rechtsfälle, in denen der Beklagte sein Recht auf
eine Investitur durch Urkundenbegebung stützte, in denen ei-
serne Urkunde als Vertheidigungsmittel benutzte.
Einige Beispiele aus dem reichen Material, das liier zur
Verfügung steht, seien genannt.
In einer bereits mehrfach erwähnten salfränkisehen Formel,
in der der Beklagte nach seinem Auktor gefragt wird (per quem
sibi de iam dida re sacibat), entgegnet er damit, dass er sich
auf eine Schenkung seitens seines Vaters beruft und diese Be-
hauptung auf die Schenkungsurkunde stützt*).
In einer septimaniscben Urkunde aus dem Jahre 868 er-
klärt der Beklagte, von dem Herausgabe dreier angeblich
fiskalischer Villen verlangt wird:
ego omnia ista teneo . . . per cartas legibus factas 3 ).
In einer burgundischen Urkunde von 950 entgegnet der
Vogt des Klosters Cluny auf die Klage zweier Schwestern um
Besitzungen im Gau von Häcon,
quod Adalardus clericus, frater illarum, incartavit ipsas
res Sandi Pdri d ostenderunt (d. h. die Ver-
treter des Klosters) ibi cartas legales de manu eius *).
') Auf sie macht Brunner RG II S. 346 aufmerksam.
*) Form. sal. Merkel n. 27 MGF p. 261.
*) Nr. 373. Vaissete II c. 846 n. 169. Th p. 143 n. 101.
«) Nr. 623. Chart de Cluny I p. 720 n. 764. Th p. 192 n. 131.
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134
In einer bairischen Urkunde von 806 erwidert der Be-
klagte dem Kläger, der sich auf Erbrecht beruft, er tliue das
mit Unrecht; denn sein, des Beklagten, Vater habe das strei-
tige Grundstück der Freisinger Kirche tradiert, und diese habe
es ihm als Beneficium verliehen; zum Beweise dessen beruft
er sich auf die Traditionsurkunden *)•
Besonders zahlreich sind die Beispiele aus Italien.
Als im Jahre 753 der Abt von Farfa um den Hof Tur-
ranianns verklagt wird, den der Kläger vom Gastalden Perto
geschenkt erhalten haben will, antwortet er also :
non facicit Deus ut tibi ego aliqmndo ipsum casalem
Turranianum tulissem, quiu donatus est in monasterio
per ducem Luponem, et praeceptum de ipsa donatione
habemus
Nachher legt er dies praeceptum Luponis ducis vor,
in quo continebatur, quomodo ipsum casalem T. in monas-
terio donaverat.
Und ausserdem eine Königsurkunde, durch die alle Schen-
kungen des Herzogs an das Kloster bestätigt worden sind*).
In einem Prozess, der zu Benevent im Jahre 756 verhandelt
wird, erklärt der Abt, um eine von der Klägerin und ihrem
Vater erbaute Kirche beklagt:
veritas est, quod genitor vester et vos eam aedificastis,
sed vos nobis . . . ipsam pre/atam ecdesiam . . . obtu-
listis in ecclesia S. Archangeli et S. Benedicti et
ecce offertio (d. h. die Traditionsurkunde), quam nobis
exinde fecistis *).
ln einer anderen farfenser Urkunde von 791 liegt eine
eigen thümliche Klage vor. Der Kläger, ein gewisser Godari-
sius von Rieti, erhebt gegen das Kloster Farfa den Anspruch,
ihm die von ihm selbst dem Kloster einst urkundlich übertra-
genen Besitzungen zu Rieti, Terni und Foligno herauszugeben,
da er sich in einer Nothlage befinde. Dem gegenüber beruft
sich das Kloster auf den Wortlaut der Traditionsurkunde; und
*) Nr. 174. Meich. I 2 p. 93 n. 122.
*) R. di Farfa II p. 44 n. 34. Troya IV p. 478 n. 677. Galletti Rieti
p. 133.
3 ) Troya IV p. 619 u. 703. ügbelli VIII c. 690.
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135
da in dieser kein Vorbehalt des Niessbranchs enthalten ist, sie
vielmehr eine unbedingte Schenkung a die praesenti enthält,
wird der Kläger abgewiesen l ).
Eine salernitaner Gerichtsurkunde von 902 bietet uns ein
Beispiel dafür, dass sich der Beklagte auf eine urkundlich voll-
zogene domtio post obitum beruft *).
In dem bereits ausführlicher erörterten Rechtsstreit zwischen
dem Fiskus und dem Bartholomäuskloster zu Pistoja vom Au-
gust 806 bestreitet der beklagte Abt den Anspruch des Klägers
mit den Worten:
non est verüas, quod ecclesia vel res ipsa a parte curtis
domni regis pertinere deveat, eo quod ecce monimim pre
manibus luibemus, quomodo ecclesia et res ipsa monasterii
s. Bartholomei debet pertinere 8 ).
Als im Jahre 902 das Maximuskloster zu Salerno um Be-
sitzungen zu Nocera verklagt wird, geben die Vertreter des
Klosters zwar zu, dass sie die fraglichen Ländereien besässen,
aber sie legen zugleich eine Traditionsurkunde vor, in der der
Kläger selbst jene Besitzungen dem Kloster übertragen hatte*).
Unter den Urkunden, auf die sich in einer anderen saler-
nitaner Gerichtsurkunde der Beklagte beruft, befinden sich
mehrere Traditionsurkunden 5 ).
Wenn in einem Prozess, der im Jahre 813 zu Rom im
Lateran in Gegenwart des Papstes verhandelt wird, der be-
klagte Abt nunmehr, nachdem schon verschiedene Termine statt-
gefunden haben, sein Recht auf eine Schenkung gründen will,
und daher erklärt, er antworte nicht, bis er die Schenkungs-
urkunde untersucht habe (non respondeo antequam inquiram mu-
mmine), so erinnert uns das an jene langobardische Formel, in
der noch die alte Auffassung nachklang, dass die Berufung auf
eine Urkunde eine prozessablehnende Antwort sei 6 ).
*) Reg. di Farfa II p. 130 n. 154. Fatteschi p. 281 n. 36. Vgl. die
ausführliche Erörterung dieser Urkunde bei Brunner Rechtsgeschichte der
Urkunde I S. 137.
*) Cod. Cav. I p. 143 n. 114.
®) Brunetti II 1 p. 358 n. 70. Muratori Ant. I c. 973.
*) Cod. Cav. I p. 144 n. 115.
5 ) Cod. Cav. I p. 173 n. 135. Ficker IV p. 26 n. 21.
•) Reg. di Farfa II p. 162 n. 199,
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136
Neben Urkunden, in denen dem Empfänger das Eigen-
tum übertragen wird, spielen natürlich auch Leihurkunden
eine grosse Rolle im Immobiliarprozess. Ausser den schon im
Vorbeigehen berührten Beispielen sei noch auf eine Urkunde
hingewiesen, die einen im Jahre 925 zu Poitiers geführten
Streit betrifft; die Beklagten behaupten den Vertretern der Ab-
tei St. Maixent gegenüber Rechtmässigkeit ihres Besitzes und
berufen sich auf eine Prekarie 1 ).
In einer bairischen Urkunde von 849 beruft sich der Be-
klagte, von dem Herausgabe der Kirche zu Kysalpahc verlangt
wird, darauf, dass er sich bei der Tradition lebenslänglichen
Niessbrauch Vorbehalten habe, und dass ihm darauf dieser Niess-
brauch urkundlich verliehen worden sei*).
Aus Italien sei ein 811 zu Gameriuo geführter Prozess
erwähnt; der Beklagte behauptet, die streitigen Besitzungen
seien ihm vom Gastalden Rado durch Investitur zu beneficia-
rischem Recht verliehen worden 3 ).
Auch gehört es hierher, wenn in einer luccheser Urkunde
von 822 der Beklagte sich auf Urkunden beruft, in denen
von einem affeiluciare die Rede ist 4 ).
Aber nicht allein Übertragungsurkunden können dem Be-
klagten dienlich sein, sondern auch Urkunden über andere
Rechtsgeschäfte, aus denen sein Besitz sich herleitet. Beson-
ders häufig finden wir Urkunden über Kaufgeschäfte be-
nutzt.
So wendet in der ältesten erhaltenen fränkischen Gerichts-
urkunde, dem Placitum König Sigiberts III. von 648, der Be-
klagte Eigenthumserwerb durch Kauf ein; es wird ihm aufge-
geben, die in Bezug genommenen Kaufurkunden im nächsten
Termin vorzulegen 5 ).
Ebenso liegt die Sache in dem Placitum König Chlodo-
wechs III. von 691: der Beklagte behauptet, die streitigen
Güter vom Kläger gekauft zu haben ; es ist mehrfach von dem
*) Nr. 494. Bicharil Chartes de l’abbaye de St. Maixent p. 23 n. 11.
») Nr. 328. Meich. I 2 p. 333 n. 658.
8 ) Beg. di Farfa II p. 220 n. 269. Fatteschi p. 290 n. 67.
4 ) Mein, di Lueca IV 2 p. 27 n. 20. Muratori Ant. I e. 511.
*) Nr. 23 NA XIII p. 167.
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extromentum, der Kaufurkunde, die Rede, die der Beklagte im
nächsten Termin beizubringen gelobt 1 ).
Nicht selten ist die Partei in der Lage, sich auf Gerichts-
urkunden berufen zu können, durch die also nachgewiesen
wird, dass entweder durch richterliche Adjudikation oder durch
den für genügend erachteten Verzicht der Partei ihr Recht be-
stätigt worden sei.
Um nur einige Beispiele zu nennen, sei eine septimanische
Urkunde von 918 angeführt, in der sich der beklagte Abt von
Montolieu zum Beweise freien Eigenthums des Klosters an der
eingeklagten Villa neben königlichen Verleihungsurkunden auch
auf Gerichtsurkunden beruft*).
Ferner eine bairische Urkunde ans dem Jahre 822. Vor
dem Königsboten Hatto erhebt der Vogt des Bischofs von F rei-
sin g Klage wider den Defensor des Bischofs von Augsburg um
die Kirche zu Unterkiernberg, die dem Freisinger Stuhl gebühre.
Hierauf entgegnet der Beklagte:
Hantonem cum suo defensore ipsam eccJesiam cum Omni-
bus ad ipsum locum accedentibus in palatio habito ad
Phadarprunnin in Adalhardo evindicasse ad episcopatum
Augustae civitatis ad s. Mariain, et ut ibidem Adalhar-
dus hoc ipsud reddidisset.
Offenbar wird damit eine Gerichtsurkunde gemeint 8 ).
Dann mag noch auf folgenden Fall hiugewiesen werden. Im
Jahre 827 beschweren sich im missatischen Gericht zu Turin sieb-
zehn Bewohner der Villa Auciatis (Oulx), das Kloster Novalese lege
ihnen übermässige- Dienste auf. Im zweiten Termin nach Wieder-
holung der Klage entgegnet der Klostervogt, die Behauptung
der Kläger sei nicht wahr, denn die Ahnen, Eltern und Ver-
wandten der Kläger seien alle Hörige eines gewissen Unno ge-
wesen, und dieser Unno habe all seinen Besitz dem Kloster ge-
schenkt, und, fügt er hinzu,
ctiam iudicatos habemus quomodo parentibus vestris in
>) Nr. 35. DDM p. 53 n. 69.
*) Nr. 487. Vaissete V c. 137 n. 43. Th. p. 179 n. 123.
') Nr. 238. Meich. I 2 p. 247 n. 470. Hierzu siehe auch Heusler
Gewere S. 36. Statt palatio ist sicherlich placito zu lesen.
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causntionem fuerunt cum ipso Unnone vel pars suprascrip-
to monasterio.
Nun werden die Urkunden verlesen, aus denen hervorgeht,
dass die Beklagten zu den geforderten Diensten verpflichtet sind ').
Auch wird man es hieher rechnen können, wenn sich die
Partei auf eine Professio des Gegners, also auf einen ge-
richtlich erklärten Verzicht beruft, der ja unter Umständen
ein Unheil entbehrlich machen konnte. Folgender schon be-
sprochener Fall ist anzuführen.
Im Jahre 860 wird wider den Bischof von Gerona um
Grundstücke in der Villa Fonsedictus Klage erhoben, nämlich
um einen Neubruch, den nach der Klagebehauptung der Vater
des Klägers gewonnen habe. Hiergegen beruft sich der Ver-
treter des Bischofs auf eine vom Kläger früher ausgestellte
Professio, in der dieser erklärt hatte, dass sein Vater jene
Güter nicht als herrenloses Gut okkupiert hatte (de eremo tra-
xerat), sondern dass all dessen Besitz Beneficium des Grafen
Gaucelmus war; also dürfe Kläger nicht wiederum Ansprüche
erheben *).
Besonders werthvoll war es für die Partei, wenn sie ihr
Recht auf eine Königsurkunde stützen konnte; denn bekannt-
lich genossen Königsurkunden öffentlichen Glauben und waren
daher unanfechtbar s ).
Im langobardischen Recht hatten die Gerichtsurkunden den
gleichen Vorzug 1 ); im übrigen aber war jede producierte Ur-
kunde der Urkundenschelte ausgesetzt. Und dann, wenn ihre
Beweiskraft wegen mangelnden Rechtes des Ausstellers bestritten
wurde, trat, wie wir gesehen haben, wiederum die Pflicht des
Beklagten ein, den Aussteller, d. h. den Gewähren zu nennen,
damit er als Partei sein Recht zur Rechtsübertragung nach-
weise. Abgesehen also von dem Fall der Berufung auf Königs-
urkunden und italienische Gerichtsurkunden konnte die Behaup-
') Hon. Patriae Chart. I p. 34 n. 19. Muratori Ant. I c. 481.
’) Nr. 329. Marca Hisp. c. 783 n. 21.
*) Ich begnüge mich, kurz auf einige derartige Fälle hinzuweiaen : Nr. 63.
DDM p. 106 n. 21 (760); Nr. 490. Wartmann III p. 1 n. 719, Mohr I p. 59
(920). R. di Farfa II p. 113 n. 134 (781); Tiraboschi Nonantula II p. 34
n. 18 (801); Cod. Lang. c. 807 n. 466 (916).
‘) Brunner RG II S. 420.
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tung des Beklagten, auf Grund einer Urkunde zu besitzen, durch
eine klägerische Behauptung, die die Rechtswirksamkeit dieser
Urkunde bestritt, überboten werden. Davon wird weiter im
nächsten Kapitel zu sprechen sein. Und ebenso konnte der
Fall Vorkommen, dass beide Parteien sich auf Urkunden beriefen;
dann musste auf andere Weise versucht werden, eine Entschei-
dung zu finden; in einem Placitum Pippins von 751 *) wird zum
Inquisitionsbeweis, in zwei Gerichtsurkunden Karls des Grossen
von 775 zum Beweis durch das Gottesurtheil der Kreuzprobe
geschritten *).
Damit sind die Fälle erledigt, in denen der Beklagte sein
Recht auf eine Urkunde stützt.
Daneben kommen nun Beispiele vor, in welchen zwar auch
Rechtserwerb durch ein mit einem Dritten abgeschlossenes Rechts-
geschäft oder Rechtserwerb auf Grund eines richterlichen Be-
fehls behauptet wird, in denen jedoch zum Beweis dafür keine
Urkunde genannt wird, sei es weil eine solche nicht ausgestellt
ist, sei es, weil die Partei den Beweis auf andere Weise, durch
Zeugen z. B., zu führen gewillt ist.
Derartige Beispiele finden sich unter den fränkischen und
italienischen Urkunden.
Zunächst ist eine farfenser Urkunde von 750 zu nennen. Der
Kläger verlangt von seinen Verwandten, sie sollten seine Be-
rechtigung anerkennen, die in seiner Krankheit zu Gunsten des
Klosters vollzogene donatio post obitum nun nach wiedererlangter
Gesundheit sofort als unbedingte Schenkung auszuführen. Da-
gegen behaupten die Gegner, er sei in Folge eines früher mit
ihnen geschlossenen Tlieilungsvertrages gar nicht berechtigt
über die fraglichen Besitzungen zu Gunsten des Klosters zu
verfügen *).
Hier kann man vielleicht am besten folgende eigenthümliche
Urkuude aus der Bretagne einreihen. Zwei Brüder klagen
wieder ihren dritten Bruder um die von ihrem Vater herstam-
mende Erbschaft zu Landegon,
') Nr. 75. DDM p. 107 n. 22.
*) Nr. 93. Mülilb. 187 und Nr. 94. Mühlb. 196.
*) Reg. di Farfa II p. 87 n. 35. Troya IV p. 371 n. 641. Muratori
Script. II c. 341.
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140
quod post se malo ordine retirieret vel eis contradiceret
iniuste.
Der Beklagte führt nun zu seiner Vertheidigung folgendes
an. Er habe auf die Erbschaft (ob de/endendam heredüatem)
Geldauslagen gemacht im Betrage von 100 Solidi; von diesen
100 Solidi schuldeten ihm die Kläger 30; er fordere nun Er-
stattung dieser 30 Solidi, wogegen er dann in eine gleich-
massige Theilung der Erbschaft einwilligen wolle. Also der
Beklagte leugnet das malo ordine, weil er Gläubiger der Kläger
sei. Sein Recht ist die Folge eines zwischen den Parteien be-
stehenden Vertragsverhältnisses ').
Ferner kommt hier eine schon erörterte bairische Urkunde
aus dem Jahre 822 in Betracht. Der Kläger ficht durch eiue
Klage gegen den Bischof von Regensburg eine Tradition an,
die sein Bruder der Kirche gemacht hatte. Der Beklagte
aber führt dagegen aus, warum Kläger kein Recht habe die
Tradition anzufechten. Sie sei von jenem Bruder vor einer
Reise nach Rom als eine donatio post obitum ausgeführt worden ;
als er nun wirklich auf jener Reise gestorben und die Kunde
hiervon nach Baiern gedrungen war, habe er, der Beklagte, die
Schenkung entgegengenommen, nachdem er sich vorher ausdrück-
lich um die Zustimmung des Klägers bemüht und dieser vor
elf Zeugen sein Einverständniss erklärt habe. Also aus einer
mündlichen Beredung zwischen den Parteien entnimmt Beklagter
sein Recht 2 ).
In einer süditalienischen Gerichtsurkunde von 981 entgeg-
net der Beklagte dem Kläger, er habe sich mit ihm früher
dahin verglichen, dass Kläger nicht mehr als das bereits Er-
haltene fordern dürfe*).
Die Behauptung, dass Kläger in Folge geschlossener Verträge
kein Recht habe, findet sich in zwei weiteren cavenser Urkun-
den. Im Jahre 934 verlangt der Kläger vom Beklagten Her-
ausgabe eines Theils des dem Beklagten von seinem Grossvater
') Nr. 312. Cartulaire de Bedon p. 148 n. 192. Th p. 115 n. 85
(828-840).
’) Nr. 241. Kied C. d. ep. Ratisb. I p. 24 n. 23.
*) Cod. Cav. II p. 160 n. 335 ; fast wörtlich übereinstimmend eod. p. 199
n. 361.
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141
zugefallenen Grundstücks vor dem Thor von Nocera in Salerno.
Der Beklagte erwidert, dass sein Grossvater und der eine
seiner Brüder sich mit dem dritten Bruder, dem Grossvater
des Klägers, abgetheilt hätten, so dass dieser kein Recht habe,
den dritten Theil des genannten Grundstück zu fordern *).
Im Jahre 938 klagen zu Salerno zwei Brüder wider ihre
drei Neffen um Güter, die ihnen, den Klägern, als Erbtheil
ihres, der Kläger, Vaters zukämen. Die Beklagten behaupten
dem gegenüber, dass die Kläger mit ihrem, der Beklagten,
Vater die Erbschaft ihres Vaters in drei Theile getheilt hätten,
die Kläger also kein Recht hätten jene zu ihrem, der Beklagten,
Antheil gehörigen Güter zu beanspruchen®).
Als Beispiel für die Berufung auf einen Vertrag sei hier
auch kurz auf eine wichtige paveser Urkunde von 762
hingewiesen®). Es handelt sich in ihr um die Güter, die zu
einem vom verstorbenen Gemahl der Klägerin gestifteten Armen-
hause gehören; Beklagter besässe sie zn Unrecht. Dieser be-
ruft sich auf einen mit dem Stifter, seinem Bruder, abge-
schlossenen Vertrag, nach welchem derjenige von ihnen beiden,
der ohne eheliche Kinder sterben würde, den anderen beerben
solle.
Hierher gehört endlich folgende farfenser Urkunde aus
dem Jahre 776*). Es wird in ihr um das zwischen dem Bischof
von Rieti und dem Abt von Farfa streitige Gehöft Balberianus
prozessiert. Auf die Klage des Bischofs, der sich auf Schen-
kung seitens des Lupo beruft, entgegnet der Abt, Lupo habe
das Gehöft gar nicht schenken können, denn dessen Vater habe
es sich aus öffentlichem Besitz widerrechtlich angeeignet, näm-
lich vom Gehöft Germaniciana, dessen actor er war:
ipsum casalem pater ipsius Luponis Liutpert sibi appre-
hendit de ptiblico, idest de carte Germaniciana, dum ibi-
dem ipse per muttos annos actor fuisset.
Jenes Gehöft Germaniciana sei aber laut vorzulegenden
*) Cod. Cav. I p. 198 n. 165. Vgl. Brunner Urkunde S. 10.
*) Cod. Cav. I p. 210 n. 164.
*) Troya V p. 196 n. 791.
4 ) Beg. di Farfa II p. 89 n. 97. Fatteschi p. 277 n. 31. Galletti Gabio
p. 92.
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142
Praecepts von König Aistnlf dem Kloster geschenkt worden.
Darauf fährt der Abt fort, indem er sich an den Vorsitzenden
Herzog Hildeprand wendet:
et dum anno praelerito in praesentia istius dni Hilde-
prandi ducis Agio et Lectus cum Johanne vicedomino et
suis sacerdotibus nobiscum de causa ista altercarentur, in
tua, dne Hildeprande, praesentia , recordnri potes qualiter
inter nos iudicastis, der Bischof von Rieti solle beweisen,
dass ihm das Gehöft seitens der Pfalz (per palatium)
geschenkt worden sei. Agio habe mit seinen Priestern
Wadia gestellt, falls sie im bestimmten Termin be-
weisfällig bleiben würden, die Streitgegenstände heraus-
zugeben.
Hier lässt also der Wortlaut vermuthen, dass die Vorle-
gung des Gerichtsprotokolls durch die persönliche Erinnerung
des Vorsitzenden ersetzt worden ist, so dass dieser Fall den
oben besprochenen gegenübersteht, in denen es sich um Be-
rufung auf eine Gerichtsurkunde handelt.
Die Kläger waren nun in drei Terminen nicht erschienen,
und wir besitzen noch das Versäumnissurtheil, das auf Antrag
des Abtes im Januar 776 vom Herzog gegen sie erlassen
worden ist; der Herzog befiehlt der zwischen den Parteien ge-
troffenen Verabredung gemäss den Bürgen, das Gehöft dem Abt
zu übergeben l ).
In den bisherigen Erörterungen handelte es sich um die
Fälle, in denen Beklagter sein Recht aus einem unter Leben-
den geschlossenen Rechtsgeschäfte herleitete. Jetzt sind die
Fälle zu betrachten, in denen er behauptete, das Gut ererbt
zu haben, die Berufung auf Erbrecht. Die Wirkungen einer
solchen Behauptung auf die Beweisvertheilung werden im
nächsten Kapitel erörtert werden.
Den Fall, dass der Beklagte sich auf Besitzerwerb durch
Erbrecht beruft*), finden wir bereits ausdrücklich in der Lex
Ribuaria bedacht; in den Worten (67, 5)
si quis pro hereditutem vel pro genuitatem certare coeperit
post moto ordine
l ) R. di Farfa II p. 88 n. 95.
*) Vgl. Hausier Gewere S. 87.
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143
wird der Beklagte bezeichnet, der „nach der Beschuldigung
widerrechtlichen Besitzerwerbs sich auf sein Erbrecht beruft“ *)■
Iu der ältesten Gerichtsurkunde aus der Bretagne, in der
berichtet wird, wie zwei Abgesandte des Grafen Frodald in-
quirieren, mit welchem Rechte ein gewisser Anau den Flecken
Landegon besässe, heisst es von diesem Anau, er habe er-
widert,
quod paterno hereditario ab avis et proavis iure heredi-
tario tenebat *).
Auch die älteste Gerichtsurkunde aus der Sammlung des
Klosters Cluny gehört hierher. Ein gewisser Aimo wird im
Grafengericht zu Mäcon verklagt, dass er eine Mühle widerrecht-
lich besässe. Darauf erwidert er:
de isto molino quod mihi mattabas, secundum legem plus
debet esse [mihi] de partibus genitore meo, tarn de here-
ditate seu conquesto, quam [tuus].
Der Beklagte begnügt sich hier nicht damit, den Grund
seines eigenen Rechtserwerbs zu nennen, sondern — denn so
scheinen die letzten Worte ausgelegt werden zu müssen —
er fügt hinzu, auf welchen Titeln (Erbrecht und conquestus ) der
Besitz seines Erblassers beruhte 8 ).
Das gleiche finden wir in einer anderen cluniacenser Ur-
kunde vom Jahre 953. Hier handelt es sich um eine vom
Kloster Cluny wider einen gewissen Hugo erhobene Klage um
mehrere dem Kloster vom Grafen Willelmus geschenkte Be-
sitzungen. Der Beklagte entgegnet,
quod ipsas res de parte matris sue Dodane tenebat, per
donum et per cartam que Leutbaldus senior eins incarta-
vit, et pro hoc tenet *).
Also nicht allein, dass Hugo behauptet, Erbe seiner
Mutter zu sein 5 ), er giebt auch an, auf welche Weise
‘) So übersetzt sinnentsprechend v. Bethinann-Hollweg Civilprozess I
S. 57 Anm. 17 ; vgl. S. 492 Anm. 62.
*) Nr. 137. Cartulaire de Redoa p. 147 n. 191. Th p. 76 n. 63. (797).
•) Nr. 424. Chart, de Cluny I p. 34 n. 29. Th p. 161 n. 109 (887).
4 ) Nr. 629. Chart, de Cluny I p. 810 n. 866.
*) Wenigstens scheinen die Worte teuere de parte matris diese Erwerbs-
art zu bezeichnen.
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144
seine Mutter in den Besitz der auf ihn vererbten Gegenstände
gelangt ist.
Es wird im nächsten Kapitel davon zu handeln sein, war-
um hier auch das Recht des Erblassers bewiesen werden muss;
wir werden sehen, dass es auf einem der Kirche im westfrän-
kischen Reich ertheilten Privileg beruhte.
Einfacli auf Erbrecht berufen sich zwei beklagte Eheleute,
denen die Mönche von Cluny vorwerfen, sie wären widerrecht-
lich in einen dem Kloster gehörigen mansus indominicatus ein-
gedrungen; es heisst von den Beklagten,
proclatnabant ipsas res de ülortim eredüatem ‘).
Sehr anschaulich ist ferner eine zu Arles 967 stattgehabte
Gerichtsverhandlung. Der Bischof von Marseille interpelliert
zwei Leute und ihre Erben
de terra s. Vidoris . . . , quod contra legem et malum
ordinem invaserunt, tenuerunt ac possederunt.
Er beansprucht also das Land als Eigenthum des Klosters,
als causa sanduaria, wie nachher gesagt wird. Dem gegenüber
berufen sich die Beklagten darauf, dass sie es als freies Eigen
von seiten ihrer Vorfahren ererbt hätten:
de ista interpellatione utide Honoraius episcopus nos inter-
pellavü, de ipsis vineis et de ipsis campis iam supra
scriptis, melius debent nostras esse ex projenie parentorum
nostrorum, quam episcopi propter nullam causam sandu-
ariarn succedere*).
Von ostfränkischen Urkunden kann zunächst das zu Die-
denhofen zwischen 777 — 791 von Karl den Grossen abgehaltene
Placitum *) angeführt werden, auf das auch Heus ler zu gleichem
Zweck hinweist 4 ). Der Erzbischof von Trier beansprucht den
Brüdern Wido, Hrodoldus und Warnarius gegenüber das Kloster
Mettlach. Dies Kloster war vom Bischof Leodonius von Trier
der Peterskirche dort geschenkt worden. Als ihm sein Sohn
l ) Nr. 536. Chart, de Cluny II p. 130 n. 1037 (957).
’) Nr. 571. Cartulaire de St. Victor de Marseille p. 307 n. 290. Th
p. 201 n. 137.
*) Nr. 130. Forschungen nur deutschen Geschichte III p. 151. Beyer
mittelrhein. UB I p. 32 n. 27. Htthlb. 252.
4 ) Gewere S. 87.
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145
Milo als Bischof gefolgt war, war es diesem von Karl Martell
als Beneficiuni bestätigt und von ihm mit Äbten besetzt worden.
Ein zweiter Sohn des Bischofs Leodonius war aber Wido;
dessen Sohn Lanibertus hatte das Kloster mit Gewalt an sich
gerissen.
Darum war schon einmal vor dem Königsboten Wicbertus
gegen die drei genannten Brüder, die Söhne des Lambertus
und Enkel des Wido, Klage erhoben worden. Schon damals
war dem Bisthum das Kloster zugesprochen worden ; es scheint
aber seitens der drei Brüder die Herausgabe verweigert worden
zu sein, so dass nunmehr nochmals im Königsgericht gegen sie
verhandelt wird ; die Beklagten berufen sich hier, wie auch ge-
wiss schon das erste Mal, auf ihr Erbrecht, indem sie er-
klären,
nt eorum fuisset vestitura, quin genitor eorum Lanibertus
in legüima alode eos vestitos dimisisset.
Indem sie also rechtmässige Erben zu sein erklären, leug-
nen sie zugleich die von den Klägern behauptete gewaltsame
Besitzergreifung ihres Erblassers und behaupten auch dessen
rechtmässigen Besitz.
Häufig ferner begegnet uns diese Art der Begründung in
Baiern.
Mit ihr versucht es Reginbertus, gegen den der Freisinger
Vogt auf Herausgabe von Gütern klagt, die der Vetter des
Beklagten der Kirche des h. Tertulliauus zu Siechdorf ge-
schenkt habe:
ipsas in hereditatem propriam retinere temptabat ').
Wenn 823 im Gericht der Königsboten zu Oberföhring die
Kirche von Freising von Adaluni Herausgabe der Kirche zu
Holzhausen verlangt, so erwidert der Beklagte, die eine
Hälfte habe er als beneficium dominicim, die andere suam here-
ditatem fuisse *) ; wenn 840 um die Kirche zu Strogen gestritten
wird, so vertheidigen sich die Beklagten mit der Antwort
') Nr. 167. Meich. I 2 p. 89 n. 117 (804). Mon. Boica IX p. 18
n. 11. Freilich kann das auch bloss heissen, er versucht sie als sein Eigen-
thum zu behaupten.
*) Nr. 243. Meich. I 2 p. 248 n. 472. Auch hier kann hereditas aller-
dings möglicherweise bloss „Eigenthnm“ bedeuten.
Hübner, frank. Immobiliarprozess. 10
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se ipsani ecdesiam seu quisquid ibidem habuerutU eorum
esse debere hereditatem ‘).
Die angeführten drei bairischen Beispiele möchten vielleicht
als hier nicht passend zurückgewiesen werden. Denn es ist
zuzugeben, dass in ihnen der Ausdruck hereditas ebenso gut in
dem nicht selten vorkommenden allgemeineren Sinn von Eigen-
thum schlechthin gebraucht sein könnte. Dann würden also
jene Beispiele nur eine einfache Berufung des Beklagten auf
sein Recht enthalten. Zweifellos aber ist folgender Fall.
Als im Jahr 829 im Grafengericht zu Haimhausen der Vogt
der Freisinger Kirche wider Oadalpald um die einst von Hlu-
dolfus an die Kirche tradierte Besitzung zu Sulzrain Klage er-
hebt, erwidert Oadalpald
se non debere hanc causam reddere, eo quod Hludolfus
illum (ihn den Beklagten) cum ipsa causa hereditaret et
sibi in hereditatem dimitteret *).
Nun sollen noch einige italienische Urkunden vorgelegt
werden.
Eine luccheser Urkunde aus dem Jahre 785 sei zunächst
erwähnt, wenngleich es sich in ihr nicht um eigentlichen Immo-
biliarprozess handelt.
Der Bischof von Lueca führt in seiner gegen den Kleriker
Agiprand und dessen Vater Alprand erhobenen Klage aus, Agi-
grand sei vom Bischof Peredeus ordiniert worden
in ecclesia nostra s. Petri et in omnia res eidem ecclesiae
pertinentes ; aber darauf inimicus suadentes temptus
(— temptatus) est in adulter ium et in aliam malüiam.
Desshalb dürfe er nach göttlichen und kanonischen Rechten die
Kirche nicht länger behalten. Darauf erwidert der Vater des
beklagten Klerikers, die Kirche mit Zubehör dürfe seinem Sohn
nicht genommen werden,
quia non abemus per ordinationem Peredei episcopi sed
per hereditatem Dammiani presbiteri socero meo avone
istius Agiprandi clerici;
niemals habe die Kirche dem Bisthum von Lucca gehört, son-
dern sie sei immer Eigenthum des Dammianus gewesen, dessen
‘) Nr. 298. Meich. I 2 p. 313 n. 610.
s ) Nr. 265. draf Hundt Abhandlungen XIII p. 12 n. 14.
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14?
Erben sie seien, da er, Alprand, die Tochter des Dammianus
geheirathet habe 1 ).
Auf die 848 gleichfalls zu Lucca vom Vogt der Marien-
kirche zu Campoli erhobene Klage, die Brüder Rachinprando
und Andreas besässen zu Unrecht einige von Racchisi der Kirche
geschenkte Güter, erwidert der Vogt des Beklagten, sie be-
sässen die Güter desshalb,
eo quod ipse Racchisi presbiter noster fuit propinquiorcs
parentes; et legibus per eius subcessionem otnnes res eius
nobis pertinet ad hereditandum 2 ).
Ähnlich lautet die Ewiderung auf eine vor dem Königs-
boten zu Como 865 erhobene Klage des Ambrosiusklosters zu
Mailand; die drei beklagten Brüder erklären: wir besitzen die
streitigen Güter zu Dugno und Gravadno
pro eo, quod quia aviani nostre fuit, et nos per legem
hereditatem habere debemus 3 ).
In einem von den Beklagten ausgestellten Memoratorium
über einen Prozess, den sie mit zwei Brüdern gehabt hatten
um einen Berg, den die Kläger laut vorgelegter Urkunde von
Ermepertus erworben zu haben erklärten, berichten sie, sie
hätten auf diese Klage geantwortet:
ut non ipse Ermepertus absque heredes defundus fuisse,
sed nos ei hereditäre debemus*).
Dem Abt Gregorius, der Urkunden vorlegt, auf Grund
deren er Besitzungen zu Nocera beansprucht, erwidern die
Beklagten, sie hätten zwar keine Urkunden, aber ihr Recht
beruhe darauf,
ut genüori et abio eorum fuisset et eorum esset pertinentes
per subcessione 5 ).
>) M, di Lucca V 2 p. 118 n. 202. Muratori Ant. I c. 745. Brunetti
II, 1 p. 263 u. 24. Eigenthümlich ist, dass der Vater des Beklagten ant-
wortet.
*) M. di Lucca V 2 p. 396 n. 661. Muratori Ant. I c. 505 (auf diese
Urkunde macht Heusler Gewere S. 87 aufmerksam).
*) Cod. Lang. c. 395 n. 236. Muratori Ant. V c. 275. Fumagalli
p. 383.
‘) Cod. Cav. I p. 237 n. 184 (954).
*) Cod. Car. hp.li. 211 (960).
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Ähnlich wird ein andermal von dem Beklagten behauptet,
die eingeklagten Grundstücke
debere per ereditacümem alrii et yenitori sui ’) ;
oder von den Beklagten erklärt,
ut per pareutes sttos et per ra Hottern illut teuere et dotni-
nare 2 ).
Einige Fälle, in denen der Beklagte sich auf einen die
Erbschaftsgegenstände betreifenden Vertrag beruft, sind bereits
oben (S. 139 f.) zur Sprache gekommen.
Von derjenigen Art der Klagebeantwortung, in der sich
der Beklagte auf derivativen Erwerb beruft, können wir nun-
mehr zu der Behauptung originären Rechtserwerbes über-
gehen. Da die Wahrscheinlichkeit festgestellt worden ist, dass
die Berufung auf einen Gewähren und im Anschluss daran die
auf eine Erwerbsurkunde die frühesten Einreden des fränkischen
Prozesses gewesen sind, so ergiebt sich daraus, dass die Mög-
lichkeit, das Recht auf originäre Erwerbung zu gründen, für
den Beklagten erst später sich entwickelt hat.
Unter den Fällen der Berufung auf originären Rechtser-
werb kommt wenigstens ein urkundliches Beispiel dafür vor,
dass der Beklagte der Klage Okkupation herrenlosen Landes
entgegenhält. Es geschieht das in einer bereits anderweitig
behandelten septimanischen Urkunde aus dem Jahre 852. Im
Grafengericht zu Crespian erhebt der Mandatar des Abtes von
Cannes wider Odilo Klage um den Wald Spinasaria und zwar
pro terms cultas hac incultas, ubi et domnos construdos
abet, dicens: iucete me audire; iste praedicius Odilo
prendit ipsas res de potestatc Gottdesalvio abbade iniuste,
malum online, suam praesumsione, absque iudido, dum
ipse abba recte iure hoc abuisset.
Dieser nicht näher begründeten Behauptung des klägerisclien
Rechtes erwidert der Beklagte, nachdem er von den Gerichts-
beisitzern gefragt worden ist, was er antworten wolle, folgendes:
manifeste verum est quod ipsas res ego retineo, set non
iniuste, quia de eremo eas tracxi in aprisione.
Also er behauptet, er habe sie als herrenloses, ödes Land
>) Uattula I p. 308 (963).
*) Cod. Cav. III p. 71 n. 507 (997).
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149
durch Besitzergreifung an sich gebracht 1 ). Allerdings ist nun
der weitere Verlauf des Rechtsstreits der, dass nicht der Be-
klagte, obwohl seine Antwort durch Berufung auf den Rechts-
erwerb die nackte klägerische Behauptung tibertrifft, sondern
vielmehr der Kläger zum Beweise kommt. Aber das hat seinen
Grund nicht etwa darin, dass sich der Beklagte auf eine recht-
lich unerhebliche und unwirksame Eigenthumserwerbsart be-
rufen hätte, sondern darin, dass der Kläger Zeugen und Ur-
kunden anbietet, um sein Recht zu beweisen, während der Be-
klagte erklären muss, seine Behauptung nicht beweisen zu können.
Damit musste nach allgemeinen Grundsätzen, die wir im dritten
Kapitel kennen lernen werden, die Beweisrolle auf den Kläger
tibergehen.
Neben dieser Urkunde kann aber noch eine Gesetzes-
stelle genannt werden. Die Lex Bainwariorum nämlich lässt
den Beklagten, gegen den wegen rnalo online invasio Klage er-
hoben worden ist. hierauf entgegnen:
ego in tun opcra priore non inoasi contra legem, nec cum
sex solidis componere debeo nec. exire, quia mea opera et
labor prior hic ist quam tuiis *).
Bereits Beseler 5 ) hat diese Stelle mit Recht dahin aus-
gelegt, dass sich hier der Beklagte auf Erwerb durch Okkupa-
tion, durch Rodung, d. h. auf Neubruch beruft, dass es sich
hier also nicht schlechtweg um den Vorzug des älteren Besitzes
handelt.
Wir fügen hier, wie oben, die Fälle an, in denen der Be-
klagte sein Recht darauf stützt, dass er während eines längeren
Zeitabschnittes von bestimmt oder unbestimmt angegebener
Dauer im Besitz des fraglichen Grundstücks gewesen sei.
Es ist schon oben (S. 79 f.) von dieser Art, das behauptete
Recht zu begründen, gesprochen worden; wir sahen, dass auch
der Kläger sie bei der Klageerhebung verwendete.
Beruft sich der Besitzer auf laugen Besitz, so ist es ja,
um darauf noch einmal hinzuweisen, von selbst klar, dass er es
*) Oder wie Thevenin übersetzt: je les ai pris en territoire dt-sert (sttns
maitre).
*) Lex Baiuw. 17, 2.
*) Neubruch S. 12.
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150
gerade dadurch vermeidet, die Art des Erwerbs, also den Rechts-
titel im eigentlichen Sinn, angeben zu müssen. Denn wie wir
schon oben mit Heuslers Worten 1 ) hervorhoben, „der Beweis
dreissigjähriger Rechtsübung befreit von der Pflicht, sich über
seinen Besitztitel zu verantworten“ ; macht sich also der Be-
klagte anheischig, dreissigjährigen oder langjährigen Besitz
überhaupt zu beweisen, so ist die Berufung auf einen Titel
nicht erforderlich. Man kann daher streng genommen dieje-
nigen Fälle, in denen der Beklagte auf diese Weise seine Ver-
tlieidigung einleitet, nicht zu denen rechnen, in denen Angabe
des Rechtserwerbs, oder bestimmter des originären Rechtserwerbs,
Fundament der Klageerwiderung ist.
Die Dauer der Rechtsausübung hat nicht, wie dies bei der
römischen Usukapion der Fall ist, ein Recht entstehen lassen;
aber wenn auch nicht diese positive, so hat sie doch die nega-
tive Wirkung gehabt, dass der Besitzende nunmehr unter Be-
rufung auf sie dem Rechte als der zu Schützende gilt. Darum
mag es also gestattet sein, hier wie oben unter der Kategorie
der originären Erwerbsart diese Fälle zu behandeln. Es sind
im Wesentlichen ganz dieselben Verhältnisse, die wie oben zur
Begründung der Klage, so liier zur Begründung der Klagebe-
antwortung hervorgehoben werden.
Zunächst die dreissigjährige Dauer des ungestörten Be-
sitzstandes, deren Bedeutung gleichfalls unter den Klagebe-
gründungen besprochen worden ist. Sowohl in fränkischen als
besonders in italienischen Urkunden beruft sich der Beklagte
auf sie.
So erklärt z. B. in einem Rechtsstreit, der 888—898 zu
Mäcon zwischen dem Vogt der Laurentiuskirche und Walcau-
dus um einen Weinberg geführt wird, der Beklagte in seiner
Antwort:
qnod per se et sttos donatores per triginta annos et amplius
legibus vestiti fuerunt absque uüa partione s. Laurentii
vel suos reäores 2 ).
Dem Abt von Cluny, der 925 vom Vogt der Peterskirche
Herausgabe von Besitzungen im Gau von Lyon beansprucht, die
*) Gewere S. 80.
*) Nr. 452. Cartulaire de Mäcon p. 169 n. 284.
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151
ilim aus der Erbschaft seines Bruders Samson zukämen, ent-
gegnet der Vogt:
quod XXX annis inter Samson et s. Petrum de ipsis
rebus et manopiis (— mancipiis) restiti legaliter fuissent 1 ).
Die Vertreter des Klosters Monte Cassino behaupten dein
Kleriker Jaquintus gegenüber, der im Gericht zu Teano 915 von
ihnen ein dort gelegenes Grundstück beansprucht, die Angabe
des Klägers sei nicht wahr,
sed iudicata terra . . . pars suprascripti monasterii per
tr'ußnta annos possedissent 2 ).
Auf einem 945 zu Reggio vor einem Missus des Königs
Hugo abgehaltenen Gerichtstage erklärt der Beklagte ltodul-
fus, er habe im vorangegangenen ersten Termin dem Kläger,
dem Bischof von Reggio, geantwortet, er habe die streitige Ka-
pelle zu Erbaria allerdings besessen,
pro eo quod ego et quidem Unrocho comes yenitor meus
Iw- is habuissemus et detenuissemus iuI nostram proprietutem
per amios triyinta 3 ).
Auch in einem 884 wider den Vogt der bischöflichen Kirche
von Lucca geführten Prozesse erklärt der Beklagte, allerdings
erst im vierten Termin und nachdem er vorher verschiedene
andere Einwendungen gemacht hat, seine Kirche sei dreissig
Jahre lang im Besitz der streitigen Grundstücke gewesen 4 ).
Neben dem dreissigjährigen findet sich an einigen Stellen,
auf die bereits Heusler 5 ) aufmerksam macht, auch der ein-
unddreissigjährige Besitz angeführt, nämlich in einer Formel
ans der Sammlung von Sens, in der der Beklagte in Er-
füllung des Beweisurtheils mit Eidhelferu beschwört, den Streit-
gegenstand einnnddreissig Jahre lang besessen zu haben®), und
in einem Placitum Königs Theuderich III. vom Jahre R79, in
dem gleichfalls der Beklagte mit sechs Eidhelfern den ihm
') Nr. 495. Chart., de Cluny I p. 242 n. 251. Th p. 183 u. 125.
*) Gattula I p. 88.
’) Tiraboschi Modena I* 1 p. 112 u. 92. Muratori Aut. I c. 463.
*) M. di Lucca IV 2 p. 65 n. 49 und V 2 p. 569 n. 930. Vgl. ausser-
dem Heusler Gewere S. 84, der als weiteres Beispiel die Urkunde Cod.
Lang. c. 396 (865) anfuhrt.
s ) Gewere S. 89.
•) Nr. 100. Cart Sen, n. 21 MGF p. 194.
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152
auferlegten Eid dahin leistet, dass er und seiu Vater die strei-
tigen Grundstücke zu Bactilione Valle einunddreissig Jahre lang
besessen hätten 1 ). Diese Kombination römischer Verjährungs-
und deutscher Verschweigungsfrist ist in späterer Zeit häufig.
Heus ler vermuthet, dass man hier in diesem einem Jahre
vielleicht eine Spur der rechten Gewere des späteren Mittelalters
erblicken könnte; ich wüsste nichts dafür oder dagegen anzu-
führen, jedenfalls ist die Spur nur eine sehr leise, denn sie findet
sich, soviel ich sehe, nirgends sonst als in den beiden genann-
ten Fällen, so dass also jene Formel damals noch nicht oft be-
folgt worden zu sein scheint, vielleicht selbst nur nach einem
vereinzelt vorgekommenen Fall gearbeitet worden ist, in dem
gerade statt dreissig einuuddreissig Jahre verflossen waren.
Denn man scheute sich nicht, wo es ging, über die Zahl dreissig
hinauszugehen ; in einem bereits angeführten Beispiel haben wir
gesehen, dass von trigitita antios et amplius *) geredet wird; in
einem anderen ist von vierzig-, fünfzig- und hundertjährigem
Besitzstand die Rede*).
Berufung auf vierzigjährigen Besitz findet sich auch in
einer paduaner Urkunde vom Jahre 994. Die Beklagten, drei
Priester des Zachariasklosters zu Venedig und der Klostervogt,
erklären, sie hätten die Kapelle der heiligen Thomas und Zeno
zu Monselice nicht nialo ordine und contra legem besessen,
sed ista capella per XL annos ad proprium pars tarn
dicti monasterii s. Zachariae ad proprium habemus posses-
sum*).
Vierzigjährige Verjährungszeit gilt bekanntlich nach römi-
schem Recht für Kirchen und milde Stiftungen in allen den
Fällen, in denen sonst die kürzere Verjährungszeit berechnet
werden würde; für die römische Kirche dagegen bildete sich
das Privileg der hundertjährigen Verjährungszeit heraus.
Wenn dagegen im Jahre 891 zu Cremona der beklagte
Vogt des Bischofs von Cremona dem klagenden Vogt des könig-
*) Nr. 34. DDM p, 45 n. 49. Tardif p. 18 n. 22. Pardessus II p. 185
n. 394.
’) Nr. 452. Cartulaire de Macon p. 169 n. 284.
s ) Fantuzzi II p. 13 n. 5. Vesi doc. I p. 22.
*) Gloria Cod. dipl. Padovano p. 106 n. 73. Antich. Est. I p. 128.
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153
liehen Hofes Sexpilas die Einrede entgegenhält, das Bisthum
besässe die eingeklagte Uferstrecke am Po nebst zwei Inseln,
Häfen und Mühlen non contra legem,
pro eo qiiod per sexaginta annos ad suam detinet proprie-
tatem *),
so hat dies Vorschützen sechzigjährigen Besitzes seinen Grund
in der Vorschrift des langobardischen Edikts, in dem ein
Gesetz König Liutprands vom Jahre 726*) für causae regales
eine Ausnahme von der sonst üblichen und von ihm anerkannten
dreissigjährigen Frist aufstellt. Es bestimmt nämlich, dass
derjenige, qui aliquit de puplico habet, erst nach sechzig Jahren
zu unanfechtbarem Besitz gelangen solle, mit Rücksicht darauf,
dass schon König Rothari (c. 369) die Busse in causae regales
doppelt so hoch als in anderen Fällen angesetzt habe :
propterea nobis rectum cum nostris iudicibus conparuit
esse, ut et in ista causa de possessione duplicentur ipsi
anni, ut fiant sexaginta.
Wie schon aus einigen der angeführten Beispiele hervor-
geht und gleichfalls bereits oben erwähnt worden ist, berech-
nete man die besprochenen Fristen nicht nur mit der Zeit, in
der man selbst Besitzer gewesen war, sondern es wurden auch
die Jahre hinzugezählt, durch die hindurch die Grundstücke
im Besitz der Rechtsvorgänger, zumal der Erblasser, gestanden
hatten.
Man konnte, wenn die ununterbrochene Fortdauer des Be-
sitzes nicht weiter in Frage stand, sich dann auch damit be-
gnügen, nur den Besitz der Rechtsvorgänger hervorzuheben, was
dann im Grunde nichts anderes bezweckte, als die lange Dauer
des gegenwärtig bestehenden Zustandes zu betonen.
So wird es wohl zu verstehen sein, wenn es in einer bai-
rischen Gerichtsurkunde vom Jahre 803 vom beklagten Abt
heisst:
ipsa parrochia et ecclesias in possessione antecessorum
suorum retinere temptabat',
d. h. er berief sich auf den Besitz seiner Amtsvorgänger 3 ).
*) Cod. Lang. c. 580 u. 349. Muratori Ant. II c. 981.
’) Lintpr. 78.
») Nr. 168. Meich. I 2 p. 91 n. 120.
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154
Auch gehört es hierher, wenn 845 der beklagte Vikar als
Vertreter des Fiskus dem um den Hafenzoll klagenden Bischof
von Marseille erwidert, bereits sein Vorgänger sei mit jenem
Zoll investiert gewesen ').
Die Erwiderung dagegen, die ein Beklagter zu Lucca 807
dem Kläger giebt, er besässe die eingeklagten Besitzungen mit
Recht,
eo qtwtl fuit ipsius HomiUi clerici (der sie der klagenden
Kirche geschenkt haben soll), avii mei, d ipsius patres
tnei,
gehört wohl eher unter die Berufungen auf das Erbrecht 2 ).
Auch in der Erwiderung des Beklagten wird (wie oben in
der Klage) häufig gar nicht auf einen Besitzstand von be-
stimmter Dauer, sondern überhaupt nur auf langen Besitz hin-
gewiesen.
Als nicht italienisches Beispiel kann eine in die Jahre
949 — 954 fallende Züricher Urkunde augeführt werden. Rubo
hatte wider das Chorherrenstift um ein von seinem Grossvater
Meginhard mit Hülfe von Stiftshörigen urbar gemachtes Grund-
stück in der Mark von Höngg Klage erhoben, der die Fratres
entgegneten, sie müssten widersprechen,
quia multa tempora in vestüura eccksiac fuit et nusquam
in suam neque sui patris venit 3 ).
Von italienischen Urkunden könnte man hier vielleicht den
Prozess zwischen dem Gastalden Rimo uud dem Bischof von
Rieti anführen, der im Jahre 777 zu Spoleto vor Herzog Hilde-
prand verhandelt wird. Der Beklagte sagt auf die Behauptung
des Klägers, dass die Kirche des Erzengels Michael zu Rieti
immer ad ius et defensionetn palutii gehört habe, dies sei nicht
wahr, sed semper ad aeedesiam lieatinam pertinuit ; er be-
hauptet also damit andauernd ausgeübtes Besitzrecht 4 ).
Deutlicher ist eine paveser Urkunde aus dem Jahre 915,
in der es sich um einen Streit zwischen dem Kloster Bobbio
*) Nr. 321. Cartulaire de St. Victor de Marseille p. 32 n. 26. Th p.
108 li. 80.
*) Mem. di Lncca V 2 p. 198 n. 335.
3 ) Nr. 533. UB der Stadt und Landschaft Zürich I p. 92 n. 200.
*) R. di Farfa II p. 93 n. 103. Fatteschi p. 278 n. 32.
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155
und dem Markgrafen Radaldus um den Hof Barbada handelt;
der Beklagte und sein Vogt leugnen die Rechtswidrigkeit ihres
Besitzes und berufen sich auf dessen lange Dauer ').
Nah verwandt mit dieser Art der Vertheidigung ist es dann
auch, wenn der Beklagte nicht gerade eine bestimmte Zeit-
dauer, sondern die alte Gewohnheit als Rechtfertigungsgrund
anführt, wie wir das mehrmals finden.
So z. B. erklärt in einem Placitum König Pipins vom
Jahre 753 Graf Gairehard von Paris, den die Mönche von St.
Denis verklagt hatten, weil er ohne dazu berechtigt zu sein
im Gau von Paris Marktsteuern erhebe, den Klägern gegenüber,
die zum Beweise ihres Rechts königliche Privilegien und Ge-
richtsurkunden vorgelegt hatten, er habe nur dem von jeher
bestandenen Rechte entsprechend gehandelt,
quomodo a longum tempus tempora reg um ibidem fuit
consuetudo*).
In einer septimauischen Urkunde von 836 erklären die Be-
klagten auf die Klage des Abtes von Cauquens, die beanspruch-
ten Ländereien gehörten in ihr Gebiet; und dafür berufen sie
sich auf die von Alters her gezogenen Grenzen l * 3 4 ).
So erwidert ferner im Jahre 874 zu Mailand im Gericht
der Königsboten der Bischof von Como mit zwei V ögten, gegen
die der Abt des Ambrosiusklosters wegen unrechtmässiger Aus-
übung von kirchlichen Rechten und wegen Besitzstörungen iu
mehreren dem Kloster gehörigen Gehöften und Kirchen Klage
erhoben hatte, unter anderem auch wegen widerrechtlicher
Pfändung:
verum est ibi suprascripti homines pignorarunt; non pro
aliut ibi venerunt aut pignoraverunt, nisi quod pars epis-
copati suprascripti consuetudinem fuit*).
So endlich weist zu Lucca im Jahre 892 der verklagte
Kustos der Martinskirche zu Arliano die Klage wegen unrecht-
mässig erhobener Zehnten mit den Worten zurück:
l ) Cod. Lang. c. 793 n. 4B9. Muratori Ant. VI c. 305. Lupus Cod. dipl.
Berg. II c. 91. Mon. Patriae Chart. I p. 120.
*) Nr. 79. Tardif p. 46 n. 55. Bouquet V p. 699. Mühlb. 71.
*) Nr. 287. Vaissete II c. 194 n. 90.
4 ) Cod. Lang. c. 435 n. 258. Fumagalii p. 424. Muratori Ant. V
p. 987.
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156
vere tibi iniiiste non fecit, sed offertas et decimas ipsas
de predicti hominibus de suprascripti locibus tullit, pro
eo quod abwru.nl consuetudo eas da re ad pars ecdesiae
s. Martini l ).
In diesem Zusammenhang mag eine Bestimmung der Lex
Baiuwariorum (12, 4) angeführt werden, in der dem anrecht-
massigen Besitzer verboten wird, in Grenzprozessen gegenüber
von signa evidentia, d. h. unzweifelhaften Grenzzeichen, die Ein-
rede der longa possessio zu erheben ; er darf sich nur auf recht-
mässigen Erwerb von seiten eines Dritten stützen. Ein prak-
tischer Fall zur Veranschaulichung ist mir nicht zur Hand.
Zum Schluss dieses Abschnittes ist endlich noch auf eine
abweichende Form aufmerksam zu machen, in der selten einmal
der Beklagte seine Entgegnung vorbringt.
Wir haben im ersten Kapitel gesehen, dass einige Bei-
spiele Vorkommen, in denen der Kläger dem allgemeinen Cha-
rakter des deutschen Prozesses entgegen seinen Anspruch nicht
auf das Unrecht des Beklagten, sondern auf das eigene Recht
stützte, eine Form der Klage, die späterhin von den langobar-
dischen Juristen als die einzig mit den römischen Grundsätzen
übereinstimmende empfohlen wurde. Dem entspricht es nun,
wenn in einigen seltenen Fällen der Beklagte zur Begründung
seines Rechts in der Klagebeantwortung nicht sowohl angiebt,
wie sein Recht entstanden sei, als vielmehr ausführt, dass und
aus welchen Gründen von einem Recht des Klägers keine Rede
sein könne. Er behauptet also indirekt sein eigenes Recht.
Als Beispiele derartiger Fälle, in denen der Beklagte in-
direkt eine Begründung seines Rechtes dadurch giebt, dass er
ausführt, warum sein Gegner kein Recht habe, können folgende
Urkunden angeführt werden.
Eine Urkunde aus der spanischen Mark von 843, in
der vom Bischof von Gerona wider den Vertreter des Fis-
kus um den dritten Theil der Wasser- und Landzölle aus den
Grafschaften von Ampurias und Pietralata Klage erhoben wird.
l ) M. di Lucca V 2 p. 607 n. 982 und IV, 2 p. 63 n. 48. In Bezug
auf Gewohnheitsrecht ist zu vergleichen Reg. di Farfa II p. 89 n. 97 (776):
der Vorsitzende zieht Erkundigungen ein über ein etwa im Herzogthum
Spoleto bestehendes Gewohnheitsrecht.
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157
Der Beklagte, dem vorgeworfen wird, dass er jene Zölle dem
Kläger contendü iniuste et contra legem , also widerrechtlich
vorenthalten habe, erwidert nun nicht damit, dass er sagt, aus
welchem Grunde er ein Recht auf jene Abgaben habe, sondern
er führt aus, das jenes niemals dem Bischof oder seinen Vor-
gängern zugestanden habe
nee esse Hebet recto online, nec per iussione domni impe-
ratoris vestituram exinde non habuerunt.
Es ist sehr leicht möglich, dass auch hier römischer Ein-
fluss wirksam gewesen ist; das scheint auch daraus hervorzu-
gehen, dass trotz dieser Einrede, die nach fränkischem Recht
dem Beklagten den Beweis gesichert haben würde, nicht der
Beklagte, sondern der Kläger zum Beweise kommt 1 ).
Zweifellos römisch ist das Verfahren in einer Urkunde aus
der Romagna vom Jahre 885. Nachdem der Kläger, der Bi-
schof von Rimini, sein Recht behauptet hat, entgegnet der
Beklagte, ein klägerisches Recht sei nicht vorhanden:
non vole Deo quia ipse res unquam de tun ecclesia fuisse,
nec namfra quadraginta, nec namfra quinquaginta, nec
namfra centos annos, neque numquam ipse res non habu-
istis neque a manibus vestris umquam detinuistis neque
vestris antecessoribus.
Und hierauf wird dem römischen Verfahren entsprechend
der Kläger zum Beweise zugelassen*).
») Nr. 318. Marca Hisp. c. 799, 780 n. 16, 17.
’) Fantuzzi II p. 13 n. 5. Vesi doc. I p. 123. Zu vgl. Ficker For-
schungen I S. 53, 56.
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Drittes Kapitel.
Die Beweisvertheilung.
Der alte Prozess beruht auf dem Parteibetrieb. Die Worte
und Handlungen der Parteien bestimmen seinen Verlauf. Die
für den Ausgang des Prozesses entscheidende Frage ist, welche
von den Parteien zum Beweise gelangen soll. Es giebt im
alten Prozess keine über den Parteien stehende Gewalt, die
hierüber in freier Würdigung der Umstände des einzelnen Falls
bestimmen könnte. Die Vertheilung der Beweisrollen hängt
von den Worten und Handlungen der Parteien ab. Die Art
und Form, in der die Klage erhoben und beantwortet wird,
enthält bereits die Antwort auf die Frage, wer zu beweisen
hat. Auch die Beweisvertheilung wird von dem Formalismus
des Verfahrens beherrscht.
Die formalen Grundsätze der Beweisvertheilung sollen in
diesem Kapitel an der Hand der uns überlieferten Beispiele des
Immobiliarprozesses dargestellt werden.
Dagegen kann nicht beabsichtigt werden, auf die Lehren
von den einzelnen Beweismiteln (Eid, Gottesurtheil , Urkunde,
Zeugen), noch auf die Regeln des Beweisverfahrens einzugehen.
Denn es lassen sich diese Dinge nicht in Beschränkung auf
den Immobiliarprozess behandeln, abgesehen davon, dass der
erschöpfenden Darstellung, die wir jetzt im zweiten Bande von
Brunners Rechtsgeschichte besitzen, nichts Wesentliches hin-
zugefügt werden könnte.
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159
Für eine Darlegung jener ßechtssätze über die Beweisrolle
bieten dagegen gerade die erhaltenen Gerichtsurkunden, die ja
meistens Immobiliarprozesse betreffen, ein reiches Material.
Wir werden sehen, dass sich diese Rechtssätze auf einige
wenige Principien zurückführeu lassen, auf Principien, die
sowohl dem Prozessrecht als auch dem Immobiliarsachenrecht
angehören.
Das alte Prozessrecht wägt zunächst genau die Behaup-
tungen der beiden Parteien ab. Sind sie sich in ihrer recht-
lichen Bedeutung gleich, sind sie rechtlich gleich erheblich oder
gleich unerheblich, so ist der Anschauung des deutschen Rechts
entsprechend der Beklagte der Nähere zum Beweise.
Sind dagegen die Behauptungen der Parteien rechtlich un-
gleich, sind die der einen Partei rechtlich erheblicher als die
der anderen, so gelangt diejenige Partei zum Beweis, die die
rechtlich erheblichere Behauptung aufgestellt hat.
Wonach wird nun aber die rechtliche Erheblichkeit der
Parteibehauptungen beurtheilt?
Zwei Gesichtspunkte kommen hier in Betracht. Eine Partei-
behauptung kann erstens aus formellen und zweitens aus materi-
ellen Gründen erheblicher sein als die des Gegners.
Aus formellen Gründen ist sie erheblicher, wenn z. B. die
eine Partei zum Beweise ihres Rechtes Zeugen anbietet, während
die andere keine Beweismittel zur Verfügung hat. Das stär-
kere Beweismittel also gewährt den formellen Vorzug.
Aus materiellen Gründen ist eine Parteibehauptung erheb-
licher, als die des Gegners, wenn sie sich z. B. auf den Rechts-
erwerb beruft (auch ohne irgend ein Beweismittel anzugeben),
der Gegner dagegen schlechtweg ohne weitere Begründung sein
Recht behauptet. Die speciellere Begründung der Behauptung
also gewährt den materiellen Vorzug.
Die Betrachtung der einzelnen Fälle soll nun unter Zu-
grundelegung dieser drei Kategorien geschehen; dabei wird sich
ergeben, wann das Recht Gleichheit der Parteibehauptungen,
wann grössere formelle oder materielle Erheblichkeit der einen
von ihnen annahm.
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160
I. Der allgemeine Beweisvorzug des Beklagten.
Ceteris paribas, d. h. wenn die Behauptungen beider Par-
teien von rechtlich gleicher Erheblichkeit sind, kommt der Be-
klagte zum Beweis. Er kommt zum Beweis als der im Besitz
befindliche. Melior est causa possidentis ; dieser Satz gilt, wie
Heusler einleuchtend darstellt 1 ), im deutschen so gnt als im
römischen Recht. Denn „in jedem Prozessrechte und so auch
im deutschen gilt die Rolle des Beklagten als die vorteil-
haftere“ a ).
Aber der Grund, aus dem die Rolle des Beklagten als
die vortheilhaftere gilt, ist im deutschen Recht ein anderer als
im römischen. Im römischen Recht ist die Lage des Be-
klagten darum die günstigere, weil er nicht zu beweisen
braucht; iin deutschen dagegen darum, weil er beweisen darf.
Mit anderen Worten: im römischen Recht gilt es als eine Last,
im deutschen Recht gilt es als ein Vorzug, zum Beweise zu
gelangen. Und zwar darum, weil, wie schon hervorgehoben
worden ist, das römische Recht von dem Recht des Klägers,
das deutsche Recht dagegen von dem Unrecht des Beklagten
ausgeht. Der römische Kläger will sein Recht vor Gericht zur
Geltung bringen; es ist eine Last für ihn, dass er, um sein
ihm zustehendes Recht ausüben zu können, ein gerichtliches
Verfahren veranlassen muss. Der deutsche Kläger will Sühnung
eines verübten Unrechts; es ist ein Vorzug für den Beklagten,
dass er sich von dem Vorwurf der Unrechten That reinigen
kann. „Das deutsche Recht stellt nicht wie das römische den
Beweis des klägerischen Anspruchs in erste Linie, sondern lässt
den Beklagten zur Rechtfertigung seines Widerstandes gegen
den klägerischen Angriff gelangen“ *).
Das gilt im deutschen Immobiliarprozess ebenso wie in den
übrigen Arten des Verfahrens. Denn wir sahen schon, dass
auch der Rechtsgang um Liegenschaften wie überhaupt jeder
Prozess ursprünglich pönalen Charakter trug. Der Beklagte,
dem eine Missethat vorgeworfen wird, ist der Angegriffene,
’) Gewere S. 87.
*) Heusler Institutionen II S. 46.
*) Heusler Gewere S. 73.
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i6i
der Kläger der Angreifer; während im römischen Recht umge-
kehrt der Kläger sich gegen einen Eingriff in seine Rechte
durch die Klage vertheidigt. Der Angegriffene soll sich
vertheidigen. Nicht also nur als der im Besitz befindliche,
sondern allgemein als der Angegriffene gelangt nach deutschem
Recht der Beklagte dazu, den Angriff zurückweisen zu können,
hat er den Beweisvorzug. Wie das Prozessrecht dem Dieb
auf die Diebstahlsklage hin die Möglichkeit giebt zu beweisen,
dass er nicht gestohlen habe, so giebt es dem Beklagten auf
die Klage wegen Landnahme hin die Möglicfikeit zu beweisen,
dass er sich einer solchen That nicht schuldig gemacht habe.
Er sichert sich diese Möglichkeit dadurch, dass er der
Klagebehauptung mit einer gleichwerthigen Klagebeantwortung
begegnet.
Also: erhob der Kläger die Klage in der einfachen Form
malo ordine possides, ohne eine weitere Begründung hinzuzu-
fügen, so genügte es, wenn der Beklagte erwiderte: non malo
ordine possideo. Jetzt standen sich zwei gleich erhebliche Be-
hauptungen gegenüber, nackte Behauptung des Unrechts der
nackten Leugnung des Unrechts. Der Beklagte hat die Be-
weisrolle. Und zwar kann er den Beweis nunmehr in der Regel
durch den Eid führen. „Der Beweis, durch den der Beklagte
den Klagevorwurf zu entkräften hat, ist regelmässig Eid“ l ).
Beispiele zur Bestätigung mögen folgen. Es kann zunächst
auf zwei Formeln aus der Sammlung von Angers hingewiesen
werden; in beiden leugnet der Beklagte die Klagebehauptung
und beidemale kommt er zum Eid; in der einen hat er zu
schwören, dass er nicht malo ordine einen Graben gezogen
habe*), in der anderen, dass ihm nicht die streitigen Wein-
berge als colonia partiaria verliehen worden seien s ).
Aus der Bretagne kann eine schon erwähnte 854 oder 865
in der Kirche zu Sixte coram principibus plebis stattgehabte
Verhandlung genannt werden.
Ein Mann Namens Dreglur klagt wider einen anderen Namens
Dinaeru um eine particula terrae, von der Kläger behauptet,
*) Brunner RG II 8. 373.
*) Nr. 12. Form. Andec. n. 28 MGF p. 13.
*) Nr. 14. Form. Andec. n. 30 MGF p. 14,
Hübner, fränk. Immobiliarprozeis. 11
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162
dass sie mit grösserem Rechte zu Ranhenbar als zu Ranbrocan
gehöre. Es heisst im Text:
iudicatum est ad Dinaeru, nt iuraret super sanctum altare
cum tribus viris ille quartus, quod iustiiis et proprius
esset Hin supradicta terra ad Ban Brochan qmm ad Ran
Henbar, quod ita factum.
Also der Beklagte hat offenbar das Gegentheil der Klage
behauptet (wovon die Urkunde nichts sagt) und zwar wird er,
wie sich aus der Normierung des Eides ergiebfc, mit genauer
Benutzung der Klageworte das klägerische Recht geleugnet und
sein eigenes behauptet haben. Als der im Besitz befindliche
kommt er zum Beweis *).
Ebenso verhält es sich in einer bairischen Urkunde ans
den Jahren 785 bis 798, die gleichfalls schon in anderem Zu-
sammenhang genannt worden ist.
Auch in dieser Urkunde beschränkt sich der Beklagte dar-
auf, die klägerische Behauptung schlechtweg zu leugnen; aller-
dings gehört die Urkunde zu den seltenen Fällen, in denen
der Kläger sein Recht und nicht das Unrecht des Beklagten
zur Grundlage der Klage wählt. Dass aber dies möglicherweise
nur einer abweichenden Formulierung im Urkundentext zuzu-
schreiben ist, erhellt daraus, dass wie in den obigen Fällen der
Beklagte durch Beweisurtheil znm Eid über sein Recht zuge-
lassen wird.
Er soll mit seinem Bruder beschwören, dass der von ihm
mit dem streitigen Grundstück beliehene Beneficiar
potius 2 ) debuisset consistere in suum servitium quam in
ullius alterius 3 ).
Ich führe weiter eine rätische Gerichtsurkunde aus den
Jahren 800 bis 820 an. Zwei Leute kommen in das Gericht
*) Nr. 365. Cartulaire de Redon p. 37 n. 46.
*) Denn so ist offenbar an Stelle des sinnlosen tocius zu lesen.
*) Nr. 138. Mon. Boica XXVIII 1 p. 23 n. 25. — Ueber den eigen-
tümlichen Schluss der Urkunde siehe Brunner RG II S. 398 Anm. 49; es
erbietet sich, nachdem die Partei geschworen hat, noch ein Dritter mit
mehreren Helfern das gleiche zu beschwören, was aber der Vorsitzende als
Überflüssig ablehnt. Wie Brunner bemerkt, ist hier der dem bairischen
Recht eigentümliche mit Eidhelfern geschworene Zeugeneid gemeint.
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163
und verklagen zwei Brüder um einen Acker ( amaUaverunt E.
et fratre seit V. de terra devere). Dann heisst es weiter:
et sic iudicaverunt iudices, que (— qnod) E. et V. iurarent,
debuerunt iurare et non iurarunt. Et postia apactuarunt
parentes, que (= quod) de ipsu agru, que illi quesierunt ,
dederunt tercia porcione in pacalia.
Der Sinn der ungelenken Worte ist der, dass die Beklagten,
die sich auch in diesem Fall auf Behauptung des Gegentheils
beschränkt haben, zum Schwur zugelassen werden ; sie schwören
aber nicht, sondern schliessen mit den Klägern einen Vergleich ').
Dann eine Züricher Urkunde aus den Jahren 924 bis 931.
Adilhelm verlangt von den Chorherrn von Zürich Herausgabe
eines Grundstücks in der Mark Von Höngg.
Et ipsi clerici contra iUum cum iuramento hone confor-
taverunt ita in altare et cupsa sanctorum Felicis et liegule,
. sicut in publieo mallo Kerhirti advocati legitime populi
iudicaverunt.
Also offenbar der gleiche Sachverhalt wie in den übrigen
besprochenen Beispielen *).
Wir finden auch in Italien derartige Fälle.
Hier bietet zunächst eine farfenser Urkunde von 777 ein
ausgezeichnetes Beispiel. Im Palast zu Spoleto erscheint vor
Herzog Hildeprand der Gastalde Bimo und erhebt als Vertreter
des Fiskus wider den Bischof Sinuald von Rieti und den Vice-
dominus Halo Klage um die Kirche des Erzengels Michael in
der Nähe von Rieti, die, wie er behauptet,
pertinuisset ad ius et defensionem palatii.
Auf diese schlichte Behauptung entgegnet der Beklagte, es
sei nicht wahr, sondern die Kirche habe von jeher unter dem
Bischof von Rieti gestanden, und das könne er beweisen : et üa
consignare possumus. Darauf der Kläger: beweist, wie ihr
wollt; denn ich kann zeigen und beweisen,
quomodo ipsa aecclcsia ad potestatem palatii pertinuisset.
Also Rechtsbehauptung steht gegen Reclitsbehauptung, beide
schlechtweg ohne Begründung aufgestellt, denn die Erklärung,
') Nr. 227. Wartmann I p. 329 n. 354.
’) Nr. 504. ÜB der Stadt und Landschaft Zürich I p. 81 n. 190.
n*
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man könne sie beweisen, wird man nicht für eine solche an-
sehen wollen.
Nun verhandelt der Herzog mit den Beisitzern, wem der
Beweis zuzuerkennen sei. Und sie kommen zu dem Schluss,
quod twn esset legis, wt pars palatii consignaret cuüibet
hotnini, sed lex taiis est et partem Sinaldi aepiscopi ;
desshalb geben sie dem Bischof und seinem Vogt auf den Be-
weis zu führen:
guadiam dare fecimus ad partem nostram publicum, ut
consignarent per testes Reatinos sicut dixerant.
Also : so selten in den Quellen einmal ein principieller Rechts-
satz ausgesprochen wird, hier finden wir gesagt, dass der im
Besitz befindliche Beklagte zum Beweise kommt 1 ).
Es sei ferner der 822 zu Lncca zwischen dem Rektor der
Marienkirche de Monte und den beiden Brüdern Natali und
Auripertus um Besitzungen in Bulficiano geführte Streit ge-
nannt. Hier sehen wir das beherrschende Princip in den ersten
Gegenreden der Parteien ausgesprochen. Die Beklagten er-
widern auf die Klage:
res iUa, unde tu dicis, scimus .et nos eam avemus, sed
tibi pro quid exinde devemus ratione ponere?
Diese Frage, die sich auch wohl sonst in italienischen
Urkunden wie auch in Formeln des Liber Papiensis findet, ist
eigenthümlieh; sie kann wohl als eine Reminiscenz des römi-
schen Standpunkts aufgefasst werden ; denn ein Beklagter, der
sich durch eine solche Frage zunächst unbereitwillig zeigt, den
Beweis anzutreten, scheint kaum auf dem Standpunkt gestanden
zu haben, die Beweisrolle für eine rechtliche Vergünstigung zu
halten. Nun erwidert der Kläger:
res ipsa ipsius ecclesiae s. Mariae fuit et legibus de
suprascripta ecclesia esse debet.
Also er giebt nicht etwa eine Begründung seiner Klage,
sondern er behauptet nur nochmals und ausdrücklich lediglich
sein Recht. Und daran schliesst er die an die Beklagten ge-
richtete Aufforderung :
tantum ponitis mihi ratione, pro quid vos eas obere voletis.
Also, wie man sieht, der Beklagte kann nicht nur, sondern
‘) R. di Farfa 11 p. 93 u. 103. Fatteachi p. 278 u. 32.
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165
er muss zunächst und vor dem Kläger seinen Beweis anbieten,
oder, wenn er das nicht kann oder will, ausdrücklich ver-
zichten 1 ).
Endlich eine süditalienische Urkunde von 982. Der Be-
klagte erwidert auf die Klage, dass er ein Grundstück unrecht-
mässig betreten habe, non esse veritas; darauf fällt der Richter
das Urtheil,
ui ipse Jaquintus (der Beklagte) secundum legem iuraret
ad pars ipsius hecclesic (d. h. er soll der klagenden
Kirche den Eid leisten), quod in ipsa eadem rebus s.
Maximi malo ordine et sine ratione non introisset.
Also auch hier die typische Form: non malo ordine intravi*).
Es versteht sich von selbst, dass es keine Änderung ver-
ursachte, wenn der Beklagte auf die Klage, anstatt mit einem
non malo ordine possideo zu erwidern, erklärte non possideo;
wenn er also die vom Kläger behauptete Thatsache schlecht-
weg bestritt. Es sind oben (S. 92 ff.) Fälle angeführt worden,
in denen der Beklagte auf diese Weise seine Vertheidigung
führte. Das ältere Recht unterschied überhaupt nicht, wie man
es heute gewohnt ist, Thatfrage und Rechtsfrage; eine Antwort
non malo ordine possideo, die für unsere Begriffe bereits ein
rechtliches Urtheil enthält, galt ganz ebenso schlechtweg für
Leugnen des vorgeworfenen Unrechts, wie andererseits in den
Worten non possideo zugleich dem Vorwurf des malo ordine be-
gegnet werden sollte. Auch in solchen Fällen standen sich
nackte Behauptung und Verneinung gegenüber, wesshalb auch
hier der Beklagte zunächst zum Beweise kam.
Wir finden nicht wenig urkundliche Beispiele, in denen
das deutlich zu erkennen ist.
In einer um die Mitte des neunten Jahrhunderts zu Vienne
abgehaltenen Gerichtsverhandlung wird dem Beklagten Immu-
nitätsbruch in drei Fällen zur Last gelegt. Die beiden ersten
giebt er zu, den dritten leugnet er; es heisst:
quam causam S. in omnibus denegavit et per arramitam
Gauceranni promisit ad placüum se iuraturum, ut eo
mandante nullus hominum eandem vittam expoliarit aut
*) Mem. di Lucca IV 2 p. 27 n. 20. Jluratori Ant I c. 511.
*) Cod. Cav. II p. 176 n, 346,
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in ea incendium aut quidquam tnali fecerit , quod per legem
emcndare deberet.
Der Kläger erlässt ihm den Eid. Also der Beklagte hat
offenbar in Bezug auf den dritten Fall die ihm zur Last ge-
legte Thatsache geleugnet (wenn auch kein non possideo, so
doch ein non invasi oder dgl. der Klage entgegengehalten).
Darauf ist er, als der zum Beweise nähere, zuin Eide zuge-
lassen worden und hat in rechtsförmlicher Weise Erfüllung des
Beweisurtheils, Leistung des Eides, gelobt 1 ).
Es kann ferner eine bereits sonst besprochene süditalienische
Urkunde aus dem Jahre 982 genannt werden. Der Kläger
klagt, weil der Beklagte durch seine Leute auf Grundstücken
des Klägers eine Besitzstörung habe vornehmen lassen. Der
Beklagte leugnet die Thatsache, indem er im übrigen das Eigen-
thum des Klägers an den Grundstücken ausdrücklich anerkennt.
Darauf ergeht das Urtheil, dass der Kläger dem Beklagten die
Evangelien vorlege, seine Mutter, die die streitigen Besitzungen
erworben hat, im Beweistermin mitbringe (ut plicaret ipsa Gemma
genetrice sua) und dass der Beklagte
pro se et pro bice de ipsa uxore sua iuraret ei iusta
legem, ut taliter in ipsa rebus numquam fecisset, nec
illum de hominibus eius nec de ipsa uxore sua et ipsa
rebus numquam contrasset.
Also genau wie in der vorhergehenden burgundischen Ur-
kunde kommt der die Klagethatsache leugnende Beklagte zum
Schwur *).
Es sei ferner noch auf eine luccheser Urkunde von 871
aufmerksam gemacht. Die Beklagten werden wegen unpünkt-
licher Zinszahlung zur Rechenschaft gezogen. Sie leugnen das.
Sie erklären,
quod iuxta ipsum libellum sicut promisum fuerat . . .
ita adimpletum habuissetit ;
womit in wörtlich entsprechender Form die Worte der Klage,
quod iuxta ipsum libellum non adimplitum abetis,
abgestritten werden. Darauf werden die Beklagten aufgefor-
l ) Nr. 362. D'Achery Spicileginm I p. 358. Th p. 135 n. 96.
’) Cod. Cav. II p. 166 n. 338. Wörtlich damit übereinstimmend die
Urkunde Cod. Cav. II p. 167 n. 339.
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167
dert, ihre Einrede zu beweisen; sie also, die den Thatbestand
leugnen, sind auch hier die Näheren zum Beweis*).
Der Satz, dass der Beklagte allein darum, weil er Beklagter
ist, näher zum Beweise ist, findet seine Anwendung naturge-
niäss nicht nur dann, wenn er der blossen Behauptung des
Klägers seine ebenso unbegründete Behauptung entgegensetzt,
sondern auch dann, wenn beide Parteien sich auf die gleichen
Beweismittel berufen. Auch dann stehen sich beide Parteien,
abgesehen eben vom Besitz, als völlig gleichstarke Gegner
gegenüber; man könnte sagen, wie sie vorhin beide ungerüstet
auf dem Kampfplatz erschienen, so treten sie jetzt gleiche
Waffen in der Hand an ; hier wie dort sind sie sich völlig ge-
wachsen. Aber trotzdem ist der Beklagte als Besitzender und
Beklagter der stärkere.
Es ist erklärlich, dass derartige Fälle nicht allzu häufig
vorkamen und desshalb auch nur weuige Belege in den Ur-
kunden vorhanden sind.
Als Beispiele mögen zwei cavenser Urkunden angefühlt
werden.
Urkunde gegen Urkunde steht in einem Fall aus dem
Jahre 902. Zu Salerno erhebt Johannes wider den Abt An-
gelus und seinen Vogt Nantari Klage um den Ort Novara, der,
wie Kläger unter Vorlegung einer Urkunde behauptet, ihm von
Ursus geschenkt worden sei. Nun aber legt Beklagter gleichfalls
eine Urkunde vor, nach der derselbe Ursus denselben Ort auf
dem Krankenbett einem Salmannen Ermepertus übergeben habe,
und dieser habe ihn nach dem Tode des Ursus dem Abt tradiert.
Der Kläger wird gefragt, ob er dem gegenüber seine Be-
hauptung in anderer Weise stützen könne.
Er erklärt (profexus mnnifestuvü) ausser seiner vorge-
zeigten Urkunde kein anderes Beweismittel zu haben. Nur,
fügt er hinzu,
sententiam mihi preposuü dicendum, ut non ipsam rebus
ipsius Ursi per ipsi Ermepertus dem Kläger datum
fuisset,
d. h. er zieht die Identität der Grundstücke in Zweifel, was
>) Mem. di Lncca IV 2 p. 52 n. 39 und V 2 p. 492 n. 811. Ughelli
I c. 798.
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168
unerheblich ist, da diese Entgegnung keine eigene Rechtsbe-
hauptung enthält. Daher wird der Beklagte zum Schwur zu-
gelassen, er soll mit fttnf Eidhelfern seine Anführungen be-
schwören l ).
Wie hier beide Parteien sich auf Urkunden beriefen und
darum der im Besitz befindliche Beklagte vorging, so geschah
dies in einem anderen Falle, in dem keine von beiden Par-
teien Urkunden vorlegen kann, beide aber sich auf Erbrecht
stützen.
Die beiden klagenden Brüder erklären von dem streitigen
Land und Wald,
ut eorum esset pertinente per gradum successionis de suos
parentes ;
ebenso antworten die drei beklagten Brüder,
nt predictam rem eorum esset pertinentem de suis paren-
tibus.
Beide Parteien manifestieren, monimen exinde non obere.
Darauf Urtheil, dass an Ort und Stelle die Beklagten, qui ipsa
rebus possesuri sunt (was offenbar nichts anderes heissen soll,
als: die die Gegenstände in Besitz haben; denn dem Parti-
cipium Futuri eine besondere Bedeutung beizulegen, würde
ein zu grosses Zugeständniss an die grammatischen Kenntnisse
des Urkundenschreibers sein), die Grenzen zeigen und schwören
sollen,
ut sicuti eos monstraberit, sic fuisset abii et genitores
illorum et legibus eorum esse pertinentem.
Die Weisung der Grenzen findet statt; darauf kehren die
Parteien an Gerichtsstelle zurück und dort in sacro Salemitano
palatio wollen die Beklagten, nachdem der Richter die Evange-
lien hat kommen lassen, den Eid leisten. Er wird ihnen jedoch
von den Klägern erlassen*).
Ebenso verhält es sich natürlich auch, wenn beide Par-
teien sich auf Zeugen berufen; auch hier haben die Zeugen
des Beklagten den Vorzug.
Nicht nur dann, wenn die Parteien, wie wir vorhin sagten,
gleich stark gerüstet sind, sondern auch, wenn ihre Waffen gleich-
*) Cod. Cav. I p. 143 n. 114. Siehe Brunner Urkunde S, 10.
*) Cod. Cay. I p. 233 n. 180 (952).
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169
massig versagen und sie sich auf diese Weise gleich werden, tritt
das Vorrecht des Beklagten hervor.
Das sehen wir z. B. aus einem im Jahre 840 zu Lucca ge-
führten Prozess.
Der kaiserliche Vasall Gisalmarus erhebt als Vertreter der
Sylvesterkirche vor Lucca mit seinem Vogt Fraimannus Klage
wider den Vogt des Jacobusklosters um ein Grundstück, das
das Kloster in Folge eines Tauschgeschäftes erhalten habe, jetzt
aber, da der Tausch auf Grund eines kaiserlichen Befehls auf-
gelöst sei, herausgeben müsse. Der Beklagte behauptet dagegen,
das in Tausch erhaltene Grundstück sei der Kirche schon zu-
rückgegeben worden; das vom Kläger jetzt verlangte Grund-
stück habe gar nicht bei jenem Tausch in Kede gestanden und
sei von jeher Eigenthum des Klosters gewesen. Das Gericht
lässt die Tauschurkunde, auf die sich nunmehr der Kläger be-
ruft, verlesen,
et contenebatur ultra quadraginta annorum emissa fuit.
Die Urkunde ist also nicht beweisend; denn die dreissig-
jährige Verjährungsfrist schützt den Beklagten, weil der Kläger
nicht etwa, wie man auf den ersten Blick annehraen könnte,
als Vertreter des Fiskus, sondern nur als Vertreter der Kirche
klagt, also keine causa regalis vorliegt, in der nur ein
sechzigjähriger Besitz dem Beklagten nutzen würde. Nun wird
nach anderen Beweisen gefragt, aber beide Parteien bekennen,
propter longinquitutem keine Zeugen stellen zu können. Daher
wird von den Schöffen geurtheilt, dass der beklagte Kloster-
vogt, qui ipsam abebat vestituram, mit Eidhelfern iuxta
legem beschwören solle,
qualiter area illa non fuisset de ipsa comutacione, set
probrietas fuisset predicti Jagobi et per quadraginta annos
pars monasterii s. Jagobi hac possedisset ad proprietatem
et plus legibus pertineret ad ipsum monasterium ad oben-
dum , quam parti s. Silvestri ad redeundum.
Der Beklagte leistet dann diesen Eid 1 ).
Ferner gehört hierher eine gleichfalls luccheser Urkunde
*) Mem. di Lucca V 2 p. 337 n. 664. Muratori Ant. I c. 504. Vgl.
zu diesem und dem folgenden Beispiel Brunner Zeugen- und Inquisitiona-
beweis 3. 371.
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170
von 876. Firmo klagt wider den bischöflichen Vogt Eriteo
um Grundbesitz zu Turingo. Nachdem zwei Termine zur Er-
ledigung der Vorfragen abgehalten worden sind, legt auf dem
dritten der Kläger nochmals seine beiden Urkunden vor, auf
Grund deren er sein Recht behauptet. Dem gegenüber er-
klärt der Vogt:
vere casis et rebus ipsis abuit parte episcopatus s. Martini.
Das heisst, wie wir aus dem Zusammenhang entnehmen
müssen, er bestreitet die Beweiskraft der Urkunden, er ficht
sie au. Aber er muss erklären, seine Einrede nicht beweisen
zu können. Da aber durch sie die Urkunden nicht mehr au
sich Ausschlag gebend sind, so wird Kläger gefragt, ob ei-
sern Recht durch Behauptung dreissigjährigen Eigenthums be-
weisen könne. Er bejaht zwar diese Frage, aber auf dem
nächsten Termin muss er eingestehen, dass er diesen Beweis
nicht führen könne. Nun verzichtet er zwar ausdrücklich auf
seinen Anspruch, aber sicherlich hätte auch ohne einen solchen
Verzicht der Streit ein für den Beklagten günstiges Ende ge-
nommen; denn wie im obigen Fall wäre er nunmehr zum
Schwur gekommen, da er mit dem Kläger wegen mangelnder
Beweismittel in gleicher Lage stand 1 ).
Auch kann hier wieder auf die merkwürdige paduaner Ur-
kunde von 994 aufmerksam gemacht werden. Die beklagten
Priester des Zacchariasklosters zu Venedig behaupten vierzig-
jährigen Besitz der streitigen Kapelle der hh. Thomas uud
Zeno zu Monselice. Aber sie haben keinen Beweis dafür.
Ebensowenig können die Kläger, die Vertreter des Klosters
der h. Justina, ihrerseits vierzigjährigen Besitz beweisen. So
stehen denn beide Parteien gleich, und Beklagte werden daher
zum Eid zugelassen 2 ).
Endlich sei an die bereits im vorigen Kapitel erwähnten
drei karolingischen Königsplacita erinnert, in denen beide Par-
teien ihr Recht auf gleichwertige Urkunden stützen: wälirend
in der Urkunde Pipins*) ein Ausweg darin gefunden wird,
dass der König den Inquisitionsbeweis anordnet, schreitet man
') Mem. di Lncea V 2 p. 504 n. 851 Mnratori Ant. I c. 503.
’) Gloria Cod. dipl. Padovano p. 106 n. 73. Anticb. Bat. I p. 128.
») Nr. 75. DDM p. 107 n. 22.
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171
in den beiden anderen Fällen *) zur ultima ratio des alten Pro-
zesses, zum Gottesurtheil. Offenbar also versagen wegen gleicher
Stärke die von den Parteien producierten Beweismittel, weder
Beklagter noch Kläger ist im Stande, weiter zu gehen. Wenn
aber hier von dem sonst üblichen Grundsätze abgewichen und
die materielle Wahrheit zu erkunden gesucht wird, so hat das
offenbar seinen Grund in dem freieren Verfahren des Königs-
gerichts.
II. Beweisvorzug aus formellen Gründen.
Sind die Parteibehauptungen rechtlich von verschiedenem
Werthe, so gewährt, wie im Allgemeinen bereits betont worden
ist, die rechtlich erheblichere den Beweisvorzug.
Rechtlich erheblicher ist nun zunächst diejenige Partei-
behauptuug, die durch das Angebot eines stärkeren Beweis-
mittels, als auf der Gegenseite vorhanden ist, gestützt wird.
Wir bezeichneten diesen Vorzug als einen formellen. Denn er
beruht auf der Form, in der die Behauptung vorgebracht oder
begründet wird.
Eine Partei, die nicht bloss eine Behauptung aufstellt,
sondern zugleich erklärt, durch welche Beweismittel sie die
Richtigkeit nachweisen wolle, schlägt dadurch den Gegner, der
sich auf die blosse Behauptung beschränkt; sie schlägt auch
denjenigen Gegner, der sich zwar auf einen Rechtsgrund beruft,
Beweismittel anzuführen aber unterlässt.
Bieten beide Parteien Beweismittel an, so geht diejenige
Partei vor, die die stärkeren zur Verfügung hat.
Wir können das an der Hand der Quellen verfolgen.
Zunächst seien Beispiele dafür genannt, dass das an sich
bestehende Beweisvorrecht des Beklagten durch das Angebot
von stärkeren Beweismitteln auf Seite des Klägers unprak-
tisch wird.
Es ist das einmal der Fall, wenn der Kläger dem schlicht
oder einredeweise leugnenden Beklagten gegenüber sich sofort
auf Zeugen beruft. „Der Eid des Beklagten kann in gewissen
>) Nr. 93. Mühlb, 187 und Nr. 94. Mühlb. 196.
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172
Fällen durch den Zeugenbeweis des Klägers ausgeschlossen
werden“ *). Das heisst, dadurch dass der Kläger Zeugenbeweis
anbietet, wird der Beklagte verhindert, seine Klagebeantwor-
tung zu beschwören, wird ihm das Beweisvorrecht entzogen.
So verhält es sich z. B. in einer burgundischen Urkunde
von 821. Es ist ein Statusprozess. Fredelenus, der Vogt des
Grafen Hildebrannus, klagt wider eine gewisse Adalberta,
quod ancilla erat domno Ludovico rege de villa Patriciaco
de beneficio ipsius Fredeloni de parte genitori suo Adel -
berto et parte genetrice sua Onbertane.
Er führt des Näheren aus, anf welchen Thatsachen das
Recht des Fiskus beruhe, und, so heisst es daun,
ipse Fredelenus tales testes de praesente praesentavit, qui
ipsa vestidura viderunt de iam dictos homines.
Also der Kläger bietet sofort Zeugenbeweis an.
Tune ei iudicatum fuit, quod suos testes de praesente
habuisset , qui hoc adprobare potuissent. quod ita et fecit.
Der sofort angebotene Zeugenbeweis schliesst die Beklagte
vom Beweise aus *).
Ebenso deutlich ist eine andere bnrgundische Urkunde.
Im Jahre 867 erhebt der Vogt des Bischofs von Langres Klage
wider Hildebernus, weil er durch seine Leute einen Eichen-
wald (casnus) habe vernichten lassen,
et dixit quod tales testes haberet.
Darauf wird gesagt, auf Urtheil der Schöffen habe ein
Bürge arramiert, dass Kläger auf dem nächsten Mallus nach
vierzig Nächten den Zeugenbeweis führen werde. Daraus er-
giebt sich, dass durch Beweisurtheil dem Kläger der Beweis
zugesprochen worden ist 3 ).
Wenn in einer sehr viel späteren Urkunde aus Poitiers
gesagt wird, Abt Aimo habe um Zehnten Klage vor dem Bi-
schof von Poitiers erhoben,
') Brunner BQ II S. 373.
*) Nr. 234. Pferard p. 35 n. 17.
*) Nr. 369. PSrarci p. 147. Th p. 140 n. 100. Brnnner BQ II
S. 395 Anm. 19. Das Beweisthema ist das tallare vel voccidere . . . malo
ordine anf Seiten des Beklagten; also insofern allerdings zugleich das
Becht des Klägers an dem Lande.
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173
iudicioqtie eins et aliorum testes idoneos adhibuit, qui pro-
baverunt ecclesie de B. pertinere decimam prescriptam,
so wird auch hier der Beweisvorzug des Klägers auf dem so-
fortigen Angebot der Zeugen beruht haben *).
Wenn ferner in einer noch späteren marseiller Urkunde
von den Klägern gesagt wird, sie seien vor Gericht erschienen
und
voluerunt iurare et probare cum testibus suis,
so ist auch das sicherlich sofortiges Angebot des Zeugenbe-
weises; in diesem Fall sehen sich denn auch die Beklagten so-
gleich zum Verzicht veranlasst 1 ).
Entsprechende Beispiele stehen auch aus Italien zur Ver-
fügung.
Im Decembor 764 erhebt zu Lucca der Priester Lucipert
wider den Priester Guuduald um einen Hof zu Campulo Klage,
den der Beklagte, wie Kläger behauptet, gegen Hingabe von
Vermögen der bischöflichen Taufkirche des h. Cassianus, deren
Rektor er war, gekauft habe und den er nun, nachdem er
jene Stellung nicht mehr innehabe, durch Mitnahme der Kauf-
urkunde als persönliches Eigenthum widerrechtlich besässe.
Nachdem der Beklagte entgegnet hat, die Kirche mit seinem
persönlichen Vermögen erworben zu haben, repliciert der Kläger:
habeo testes in quorum presentia ipsa comparatio facta
est, qui interfuerunt, quando tu in ipsam rem croces aureas
desuper altare ipsius ecclesie in pretio dedisti ad ipsos
homines.
Darauf heisst es von den Vorsitzenden:
nos vero ita audientes, fecimus ipso Luciperto presbitero
dare umdia eidem Gunduald presbitero, ut in constituto
posito ipsos testes in presentia nostra ostendere deviret.
Also dem Kläger, der Zeugen anbietet, wird durch Beweis-
urtheil die Beweisführung zugesprochen *).
•) Nr. 509. Cartulaire de l'abbaye de St. Cyprien de Poitiers p, 268
n. 423. (938 oder 939).
*) Nr. 595. Cartulaire de St. Victor de Marseille p. 646 n. 654. Th
p. 206 n. 141.
•) Mem. di Lucca IV 1 p. 106 n. 60. Troya V p. 302 n. 827, Bertini
app. p. 106.
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174
In einem von Königsboten Karls des Grossen und Pipins
zu Rieti 807 abgelialtenen Placitum klagt das Kloster Farfa
wider drei Brüder wegen unrechtmässigen Betretens des von
Palumbus, dem Oheim der Beklagten, dem Kloster tradierten
Besitzes. Die Beklagten leugnen einfach die Thatsache der
Tradition. Darauf erwidern die Kläger:
sic possumus consignare, quomodo idem Palumbus bar-
banus vester tradidit omnem subslantiam suam et mobilia
in manibus Guelwili et Fratelli monachorum. Et ecce
testimonia in praesentia.
Darauf werden diese drei anwesenden Zeugen sofort von
den Königsboten erst formlos vernommen und dann vereidigt *).
Ebenso, wie in den Fällen, in denen der Kläger Zeugenbe-
weis anbietet, geht das Beweisrecht auch dann auf ihn über,
wenn er sein Recht auf eine Urkunde stützt, während der
Beklagte eine derartige Begründung nicht anzugeben vermag.
Aus diesem Grunde kommt in dem Placitum König Chil-
deberts III. von 710 das klagende Kloster von St. Denis zum
Beweis; denn es kann sich auf Urkunden, sogar Königsurkuuden,
berufen, während die Vertreter des beklagten Majordomus Gri-
moald zu ihren Gunsten nur die lange Gewohnheit anzuführen
vermögen *).
Und als das Kloster fünfzig Jahre später wieder um die
Pariser Zölle Klage erheben muss, ist es in der gleich gün-
stigen Lage, denn es kann wiederum Königsurkunden vorlegen,
wogegen die Behauptung des Beklagten, er übe nur die von
seinen Rechtsvorgängern überkommenen Rechte aus, nichts aus-
zurichten vermag*).
So kommt ferner auch der Abt von Cauquens, als er im
Jahre 836 im missatischen Gericht zu Narbonne um Ländereien
Klage erhebt, zum Beweise, weil er den Ausführungen der Be-
klagten gegenüber seine Behauptung auf ein bereits ergan-
genes Urtheil stützen und dessen Ausfertigung vorlegen kann 4 ).
*) Reg. di JFarfa n p. 151 n. 184. FatteBchi p. 284 n. 40.
*) Nr. 54. DOM p. 68 n. 77.
*) Nr. 81. Tardif p. 638 n. 57 b. Miihlb. 87 (759).
*) Nr. 287. Vaissete II c. 194 n. 90.
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175
Auch ist hier nochmals auf den Prozess zwischen dem Bischof
von Nimes und Bernardus aus dem Jahre 875 hinzuweisen.
Wie bereits oben (S. 83) erzählt, verlangt der Kläger Heraus-
gabe einer Villa, die der Beklagte in einer früheren Gerichts-
verhandlung zu restituieren verurtheilt worden war, die er aber
darauf wiederum sich angeeignet hatte. Der Kläger beruft
sich auf die Gerichtsurkunde. Der Beklagte stellt den ganzen
Sachverhalt in Abrede und schilt die Urkunde durch Durch-
bohrung. Da aber sein Vorgehen lediglich ein negatives ist,
so gelangt nicht etwa er dazu, zu beweisen, dass er nicht verur-
theilt worden sei, sondern der Kläger wird vielmehr aufgefordert,
den Inhalt der gescholtenen Urkunde zu erhärten 1 ).
Verwandt mit diesem ist der folgende gleichfalls bereits
genannte Fall. Im Grafengericht zu Vienne klagt 870 ein ge-
wisser Salomon als Vertreter seiner Frau wider Benedicta um
eine von letzterer seiner Frau gemachte Landschenkung. Er
beruft sich auf die Schenkungsurkunde. Diese schilt die Be-
klagte, indem sie sie durchbohrt. Auch hier gelangt nun der
Kläger zum Beweis; er erscheint im neuen Termin, um, wie es
ausdrücklich heisst, secundum lege salica die Urkunde zu er-
härten (cartam emonire; so ist das aram emoni des Textes zu
verbessern) und die Wahrheit ihres Inhalts mit Eidhelfern zu
beschwören und eventuell zu kämpfen 9 ).
Der in Rede stehende Grundsatz ist ferner in der ältesten
echten italienischen Gerichtsurkunde zu erkennen. Es ist ein
Placitum des Langobardenkönigs Pertharitus und betrifft einen
vor ihm 674 zu Pavia geführten Prozess der Städte Piacenza
und Parma, die sich um ihre Grenzen streiten 8 ). Nach den
Gegenreden der Parteien will der König zuerst, dass die Sache
im Wege des gerichtlichen Zweikampfs erledigt werden solle.
Aber da der Kläger eine Gerichtsurkunde vorlegt, in der die
streitigen Grenzen bereits festgestellt worden sind, so wird vom
‘) Nr. 404. Mfeuard p. 10 n. 1. Germer-Durand p. 3 n. 1. Th p. 155
n. 107. Vgl. Brunner RG II S. 421.
*} Nr. 382. Chart, de Cluny I p. 18 n. 15. Th p. 145 n. 102.
•) Troya II p. 533 n. 40. Campi Piacenza I p. 177. Affö Parma I
p 280 n. 5.
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176
König und seinen Richtern das Urtheil gefällt, dass der Kläger
seinerseits seine Behauptung mit Zeugen beweise.
Als im Jahre 811 Vertreter des Klosters Farfa und des
Herzogs von Spoleto wider den Priester Clarissimus Klage er-
heben, weil er sich weigere, ein früher ergangenes Urtheil zu
erfüllen uud den widerrechtlich entzogenen Besitz an die Kläger
herauszugeben, erwidert der Beklagte mit einfachem Leugnen.
Die Kläger dagegen stützen ihre Behauptung durch die vorge-
legte Gerichtsurkunde und werden in Folge dessen zum Be-
weise zugelassen *).
Ferner mag hier noch der uns auch schon bekannte Pro-
zess des Bischofs von Aprutium wider den königlichen Vogt
der aprutischen Grafschaft genannt werden, in dem es sich um
Besitzungen handelt, die zu einem Hof gehören, der, wie der
Kläger angiebt, der Kirche laut vorgelegter Königsurkunde ge-
schenkt worden sei, während der Beklagte nur schlechtweg die
Zugehörigkeit leugnet; der Kläger gelangt zum Zeugenbeweis *).
Auch eine römische Gerichtsverhandlung aus dem Jahre
966 gehört wohl hierher. Der Abt von Subiaco klagt wider
einen Mann Namens Petrus genannt Imperium um ein Grund-
stück vor Porta Maggiore. Er legt sofort Urkunden vor. Der
Beklagte habe es ihm widerrechtlich entzogen (denn das heisst
das facere virtutem, Gewalt anthun). Darauf entgegnet der
Beklagte:
non permittat Deus ut de ista terra virtutem tibi fecissem
aut facere iussissem,
also er leugnet die vom Kläger behauptete Thatsache. Der
Kläger, der sich auf Urkunden beruft, hat das Beweisrecht;
nachdem er an Ort und Stelle die Grenzen gezeigt hat, soll
er seine Behauptung beschwören; schon sind die Evangelien her-
beigeschafft, als der Beklagte verzichtet*).
Neben diesen nord- und raittelitalienischen mag auch noch
eine süditalienische Urkunde des Beispiels halber angeführt
werden.
') Reg. di Farfa II p. 160 n. 197. — Auch die unechte Urkunde von
707 bei Troya III p. 91 n. 879 würde hierher gehören.
*) Ughelli I c. 347 (919).
*) Regesto Sublaeenae p. 166 n. 118.
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Der Abt (1er St. Maximuskirche und sein Vogt erheben 960
wider Johannes, Petrus und Lupo Klage um Besitzungen zu No-
cera, die sie laut den vorgelegten Urkunden erworben haben wollen.
Dem gegenüber berufen sich die Beklagten auf Erbrecht, aber
sie müssen bekennen keine Urkunden zu haben, um ihre Be-
hauptung beweisen zu können, und so werden die Kläger zum
Schwur zugelassen 1 ).
Hierher gehört auch die in karolingischer Zeit ergänzte Vor-
schrift der Lex Alamannorum 2, 1. Jemand hat eine Schen-
kung an eine Kirche gemacht und das Grundstück zu lebens-
länglichem Niessbraucli zuriickerlialten. Nach seinem Tode aber
behält es sein Sohn in seinem Besitz. Weil er dazu kein Recht
hat, die Schenkung vielmehr ohne Weiteres an die Kirche zu-
rückfallen muss, erhebt diese gegen ihn Klage auf Herausgabe;
sie beruft sich für die stattgehabte Tradition auf die Urkunde
oder Zeugen {2, 2). Dem gegenüber leugnet der Beklagte,
dass eine Tradition stattgefunden habe; er behauptet daher,
quod hcreditas paUma sua sibi sit legitima ad possidendum.
Also er beruft sich offenbar auf Erbrecht. Aber die Be-
hauptung des Klägers ist die erheblichere; trotz des Erbrechts
kann die Kirche ihr Recht durch jene Tradition erworben haben.
Daher gelangt nicht der Beklagte dazu zu beweisen, quod here-
ditas sua sit legitima , sondern der Kläger zum Beweis mittels
Urkunde oder Zeugen, quod sibi sit tradita.
In den bisher besprochenen Fällen ging aus formellem
Grunde das Beweisrecht auf den Kläger über, weil dieser
stärkere Beweismittel als der Beklagte anzubieten im Stande
war.
Es versteht sich, dass andererseits, wenn der Beklagte in
der gleichen Lage war wie in den eben erwähnten Fälleu der
Kläger, dann um so mehr der schon an und für sich ihm ge-
bührende Beweisvorzug zur Geltung kam.
Der Beklagte, der sein Recht dadurch begründete, dass er
sich in der Klagebeantwortung auf Beweismittel, Zeugen oder
Urkunden berief, war in verstärktem Maasse der Nähere zum
Beweise einem Kläger gegenüber, der zu einer solchen Be-
gründung nicht im Stande war.
*) Cod. Cav. II p. 1 n. 211.
Hübner, frank, lmraobiiiarprozess. 12
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178
Wir können diese an und für sich selbstverständliche
Schlussfolgerung aus dem die Beweisvertheilung beherrschenden
Grundgedanken an zahlreichen urkundlichen Beispielen ver-
folgen.
Insbesondere kommt es, wie wir im zweiten Kapitel ge-
sehen haben, häufig vor, dass der Beklagte zur Begründung
seiner Einrede sich auf eine Urkunde beruft; dann gelangt
er, falls der Kläger dieses Beweismittel nicht überbietet, zum
Beweise.
Hierher gehört das schon öfter erwähnte Placitum König
Sigiberts von 648; es heisst in der Klage nur, Euergisilius be-
sässe den Weinberg post se malo ordine. Der Beklagte aber
giebt gleich an, er habe den Weinberg käuflich datum precio
erworben und könne die Kaufurkunde vorlegen. Es ergeht
das Beweisurtheil, dass er die Kaufurkunde beibringe; er kommt
damit zum Beweis, und zwar, wie leicht zu ersehen, weil er
allein ein Beweismittel, die Urkunde, anbietet 1 ).
Ferner sei ein Placitum Chlodowechs III. von 691 ge-
genannt. Zwar beruft sich der Kläger darauf, dass die strei-
tigen Güter ihm
antecessur suos Boso quondatn per vindicionis titolim
fermaverat ;
aber während er zur Stütze dieser Behauptung keine Beweis-
mittel anzugeben vermag, erkärt der Beklagte seine Gegenbe-
hauptung, dieselben Güter vom Kläger gekauft zu haben, durch
die Kaufurkunde beweisen zu können. Infolgedessen, weil er
das stärkere Beweismittel anbietet, wird er zum Beweise zu-
gelassen, und folgendes Beweisurtheil gefällt,
tU ipso extromento in noctis qmtdraginta . . . in nostri
presenciam dibiat presentari *).
In einer Urkunde des Klosters Redon aus den Jahren 865
bis 870 klagt Uuordoital wider den Priester Maenuueten um
eine Schenkung, die er diesem gemacht habe, die aber jetzt von
dem Beklagten einem Dritten übertragen worden sei, wozu jedoch
der Beklagte, wie Kläger behauptet, nicht berechtigt sei, da er die
übertragenen Güter nur an die Kirche zu Rufiac weiter veräussern
‘) Nr. 23. Neues Archiv XIII p. 157.
*) Nr 35. DDM p. 53 n. 59.
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17Ö
dürfe 1 ). Nun will der Beklagte einen neuen Termin fordern,
um die Schenkungsurkunde vorzulegen, in der ihm, wie er be-
hauptet, unbeschränktes Eigenthum übertragen worden sei. Die
Parteien vergleichen sich aber. Wie man sieht, wäre der Be-
klagte zum Beweise gelangt; er konnte sich auf die in seinen
Händen befindliche Urkunde berufen, die ihm der Kläger bei
der Schenkung ausgehändigt hatte *).
Auch die schon erwähnte cluniacenser Urkunde von 953
kann hier wohl genannt werden. Zwei Vertreter des Klosters
klagen wider Hugo um Besitzungen, die dem Kloster vom Grafen
Willelmus geschenkt worden seien. Der Beklagte erklärt, er be-
sitze diese Besitzungen als Erbe seiner Mutter, und seine Mutter
habe sie erworben per donum et per cartam, que Leutbaldus senior
eius incartavit. Wahrscheinlich also, weil er sich auf diese
carta beruft, gelangt er durch Urtheil zum Beweis’).
Eine bairische Urkunde von 806 zeigt dasselbe. Zwei
Verwandte beanspruchen auf Grund ihres Erbrechts "vom Kle-
riker Wago Herausgabe eines Grundstücks. Der Beklagte und
sein Vogt aber berufen sich auf Tradition seitens des Vaters
der Kläger an die Freisinger Kirche,
unde et cartas traditionis eius in praesente attulerunt et
testes veraces in eas scriptas ostender unt, quod ita verum
esset , et ad EngiJhardum et Hrochol/um (die Kläger) nihil
de ac hereditate pervenire debuisset.
Also die Beklagten, die sich auf Urkunden berufen, führen
den Beweis, auf den hin dann die Königsboten das Urtheil zu
ihren Gunsten fällen 4 ).
In einer beneventaner Urkunde von 756 klagt die Äbtissin
Engilberta mit ihrem Neffen Corais wider den Abt Mauricius
um die von ihr und ihrem Vater erbaute Kirche des h. Naza-
rius, die sie also auf Grund dieser ihrer Gründung beansprucht.
*) Hierin kann man eine Spur des alten von Brunner entdeckten
Charakters des Schenkungsbegriffes erkennen; der Beschenkte erhielt nicht
gänzlich freie Verfügung, sondern blieb in Bezug auf Weiterveräusserung an
den Willen des Schenkers gebunden.
*) Nr. 385. Cartulaire de Redon p. 110 n. 144. Die Passung in meinen
Regesten ist nicht ganz genau.
*) Nr. 529. Chart, de Cluny I p. 810 n. 866.
4 ) Nr. 174. Meich. I 2 p. 93 n. 122.
iS*
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180
Der Beklagte giebt zwar diese zu, behauptet aber, von der
Klägerin und ihrem Mann selbst sei die Kirche ihm übertragen ;
er beruft sich auf die Urkunde:
et ecce offertio quam, nobis exitule fecistis.
Der Beklagte kommt zum Beweis; er legt die Urkunde zur
Verlesung vor, und die in ihr genannten Zeugen werden gehört
und vereidigt*).
Ebenso wie die Berufung auf Urkunden sichert natürlich
auch das Angebot eines Zeugenbeweises zunächst dem Beklagten
die Beweisrolle.
Wenn daher z. B. in einem Prozess zwischen Farfa und
mehreren Reatinern einige der Beklagten zwar keiue Urkunden
zu besitzen erklären, aber sich zur Begründung ihrer Einrede
auf Zeugen berufen, so spricht das Gericht ein Beweisurtheil
dahin, dass sie diesen Zeugenbeweis zu erbringen geloben*).
Es kommt, wie leicht erklärlich, nicht selten vor, dass die
Beklagten nicht nur auf Urkunden, sondern ausserdem zugleich
auf Zeugen ihre Antwort stützen; einige hierher gehörige Fälle
sind bereits zur Sprache gekommen. Natürlich blieb dann die
Vertheilung der Beweisrolle erst recht die übliche, ebenso wie
wenn zu den besprochenen formellen materielle Gründe hinzu-
traten, wovon weiter unten zu handeln ist.
Standen sich nun auf beiden Seiten formelle Beweisange-
bote gegenüber, beriefen sich also sowohl Beklagte als auch
Kläger sei es auf Zeugen sei es auf Urkunden, so war der
formelle Grund entscheidend, vou welcher Seite die stärkeren,
in erster Linie also die zahlreicheren Beweismittel angeboren
wurden.
Natürlich wird, wenn z. B. die eine Partei lediglich Privat-,
die andere dagegen Königs- oder in Italien Gerichtsurkunden
anziehen konnte, die letztere den Beweisvorzug erhalten haben;
hatten aber beide Theile rechtlich gleich erhebliche Urkunden,
so kam diejenige Partei zum Beweis, die mehr Urkunden als
die andere besass. Beispiele bieten folgende Fälle.
In einer salemitaner Urkunde von 949 handelt es sich um
l ) Troya IV p. 619 n. 703. Ughelli VIII c. 590.
*) Reg. di Farfa II p. 40 n. 30. Troya IV p. 240 n. 602. (ialletti
(fabio p. 77 n. 2.
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181
eine vom Abt Petrus, dem Gastalden Petrus und deren Vogt
Alderisi gegen Maria, ihren Mann Maio und ihren Vogt Jo-
hannes um Grundstücke in Agellu erhobene Klage. Es war zu-
nächst, wie häufig in den süditalienischen Gerichtsurkunden, das
Urtheil ergangen, dass Parteien an Ort und Stelle erschienen
und dort ihre Beweismittel vorlegten:
inter nos iwlicatum fuit per partes plicandum nos super
easdem rebus cum iudiee et notario et ibidem ostenderemus
per partes ratione, que exinde ubuerimus, et secundum
legem inter nos exinde finem faceremiis.
Darauf zeigen nun im Lokaltermin Beklagte fünfzehn und
die Kläger zwei Urkunden vor; letztere mit der Erklärung
weitere nicht zu besitzen. Nun gelangen die Urkunden der
Beklagten zur Verlesung; darauf wird ihnen aufgegeben die
Grenzen des von ihnen beanspruchten Landes genau zu be-
zeichnen und darauf, nachdem die Kläger ihre Urkunden haben
zurückziehen müssen (ipse abbas . . . non potebat ipse sue car-
tide ibidem conynite ponere), wird den Beklagten durch Urtheil
aulgegeben zu beschwören,
ut ipsa rebus de ipsa monimes esset pertinentein et legibus
nobis rebus ipsa pertinente est;
mithin die Identität der in der Urkunde genannten und der an
Ort und Stelle gezeigten Grundstücke sowie ihr Recht auf sie;
leisten sie den Eid, dann
rebus ipsa securo nomine nos abere licead.
Also die Beklagten gelangen dazu ihr Recht zu beschwören.
Abgesehen davon, dass sie Beklagte sind, geschieht das offen-
bar auch darum, weil sie fünfzehn, die Kläger aber nur zwei
Urkunden haben: ihr Beweisangebot ist das stärkere 1 ).
Ein anderes ausgezeichnetes Beispiel liegt in einer späteren
(1054) cavenser Urkunde vor. Der minderjährige Lando er-
hebt im Beistände zweier Oheime Klage wider Disiio, weil dieser
unrechtmässig ihm gehörige Besitzungen betreten und dort Be-
sitzstörungen verursacht habe. Nachdem zunächst ein Lokal-
termin zur genaueren Bezeichnung der streitigen Grundstücke
abgehalten worden ist, legen nunmehr die Parteien ihre Beweis-
mittel vor, und zwar der Kläger zehn, der Beklagte vierzehn
l ) Cud. Uav. I p. 228 u. 177,
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182
Urkunden, die alle wörtlich in die Gerichtsurkunde inseriert
sind. Darauf schilt der Kläger drei der vom Beklagten und
der Beklagte zwei der vom Kläger vorgelegten Urkunden, so
dass nunmehr auf Seiten des Klägers acht und auf Seiten des
Beklagten elf Urkunden als unangefochtene Beweismittel übrig
bleiben. Das Gericht fällt nuu ein Beweisurtheil dahiu, dass
zunächst der Beklagte seine drei gescholtenen Urkunden
erhärte (adverare); sei das geschehen, so solle er in ungestörtem
Besitze verbleiben. Könne er das nicht, dann soll der Kläger
seinerseits die beiden von ihm producierten und vom Beklagten
gescholtenen Urkunden erhärten, um dann ebenso in ruhigem
Besitz zu bleiben. Also das Beweisvorrecht bleibt im vorlie-
genden Falle dem Beklagten gewahrt; offenbar ist der ausschlag-
gebende Grund der, dass er zum Beweis seiner Behauptung
drei unangefochtene Urkunden mehr anzubieten vermag als der
Kläger ').
Beispiele dafür, dass auch beim Zeugenbeweis ein derar-
tiges Überbieten Platz gegriffen hätte, sind mir nicht bekannt.
Wenn in einer burgundischen Urkunde von 918 beide Parteien
sich auf Zeugen berufen, und ihnen vom Gericht aufgegeben
wird diese im Beweistermin zu stellen, so erledigt sich dieser
Fall durch dann erfolgenden freiwilligen Verzicht des Be-
klagten 8 ). Im allgemeinen fand nach den Bestimmungen eines
Kapitulars von 816 ein Widerspruch zwischen den Aussagen
der gegnerischen Zeugenreihen durch gerichtlichen Zweikampf
seine Erledigung 8 ).
III. Beweisvorzug aus materiellen Gründen.
Neben dem ceteris paribus bestehenden allgemeinen Be-
weisvorzng des Beklagten und neben dem durch das Angebot
eines stärkeren Beweismittels bedingten steht drittens der auf
der rechtlich erheblicheren Behauptung beruhende. Hier kommt
es auf die Beweismittel nicht an, sondern nur auf das, was die
•) Cod. Cav. VII p. 223 n. 1195.
*) Nr. 488. Gallia Christ. IV instr. c. 67 n. 28.
*) Cap. legi add. a. 816 c. 1 MG Capitnlaria I p. 268; wiederholt in
Cap. leg. add. a. 818, 819 c. 10 I p. 282. Brunner Schwurgerichte S. 68,
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183
Parteien materiell zur Begründung ihres Rechts anführen. Wenn,
wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, eine Partei darum
zum Beweise kam, weil sie sich z. B. auf Urkunden berief,
der Gegner nicht, oder weil sie sich auf mehr Urkunden
als der Gegner berief, so handelt es sich hier um Fälle, in
denen z. B. die eine Partei eiue materielle Begründung ihres
Rechtes anführte, der Gegner dagegen nur eine nackte Behaup-
tung aufstellte, oder in denen die eine Partei einen specielleren
Rechtstitel geltend machen konnte als der Gegner. Ich glaube,
dass man den Grund für diesen Satz des Beweisrechtes in der
von Brunner betonten 1 ) „Abwägung von Wahrscheinlichkeiten“
erblicken kann; diejenige Partei, die einen materiellen Rechts-
grund anzuführen in der Lage war, galt im Zweifel als die
berechtigte.
Die Kombination dieser Berücksichtigung der materiellen
Begründung, dieser Abwägung von Wahrscheinlichkeiten mit
dem beherrschenden Grundsatz von dem allgemeinen Beweis-
vorzug des Beklagten ergab zunächst in allen denjenigen Fällen,
in denen entweder nur der Beklagte einen Rechtsgrund an-
führte, oder in denen Beklagter und Kläger rechtlich gleich er-
hebliche Begründungen geltend machten, keine Abweichung von
der regelmässigen Vertheilung der Beweisrollen. Der Beklagte,
der schon an und für sich der Nähere zum Beweise war, war es,
wie oben aus formellen Gründen, so in diesen Fällen wegen der
materiellen Einredebegründung doppelt. Zunächst also zählen
diejenigen Fälle hierher, in denen der Beklagte einer nnsub-
stanziierten Klage gegenüber, anstatt ebenso knapp zu ant-
worten, sich auf den Rechtserwerb beruft.
So findet sich, dass sich der Beklagte einer unsubstanziierteu
Klage gegenüber auf sein Erbrecht beruft. Das ist z. B.
der Fall in einer Urkunde aus der Bretagne von 797; dess-
halb urtheilen die Schöffen, er solle mit zwölf Eidhelfern be-
schwören, dass der streitige Ort
sua proprio, hereditas esset,
was dann geschieht. Von einer Substanziieruug der Klage ist
keine Rede*).
») RG II S. 375.
*) Nr. 137, Cartulaire de Redou p. 147 n. 191. Th p. 76 n. 63.
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184
Hierher gehört ferner auch eine Urkunde von Cluny, in
der die Klage sich darauf beschränkt, dem Beklagten ein iniuste
teuere und ein facere que non dcbuisset vorzuwerfen. Dem gegen-
über beruft sich der Beklagte darauf durch Erbgang in den Besitz
der streitigen Mühle gelangt zu sein. Es wird das Beweisur-
theil dahin gefällt,
qmd deffendere se debuisset A. (der Beklagte) cum sua
requimonia (= testimonia) et cum sua lege.
Der Beklagte also wird zum Eid mit Helfern zugelassen;
er gelobt den Schwur zu leisten,
arramivit ad iurare Mo molino cum sua lege ,
und stellt einen Bürgen ‘).
Hier kann bemerkt werden, dass der Beklagte, der sich auf
Erbrecht beruft, überhaupt nach dem Beweisrecht der frän-
kischen Zeit eine privilegierte Stellung einnimmt a ).
Nämlich der Beklagte braucht „in Sachen seines Erbguts einen
Zeugenbeweis des Klägers nicht zu dulden“. Das heisst: be-
ruft sich der Beklagte auf Erbrecht, so ist der Kläger ausser
Stande diese Einrede dadurch zu entkräften, dass er mit Zeugen
zu beweisen sich erbietet, wegen mangelnden Rechtes des Erb-
lassers sei von einem Erbrecht keine Rede. Dies ist dem Kläger
verwehrt; offenbar führte man diese Beschränkung der allge-
meinen Beweisregeln darum ein, weil in diesem Fall ein Ein-
treten des Auktors in den Streit unmöglich war (der Auktor
als Erblasser war gestorben). Und von dem Beklagten den
Beweis für einen rechtsgültigen Erwerb des Erblassers zu ver-
langen, wäre für die Mehrzahl der Fälle zu umständlich und
oft gewiss unmöglich gewesen. Nur zu Gunsten des Fiskus
und nach einem westfränkischen Kapitular Karls II.*) auch zu
Gunsten der Kirche wurde das verlangt: hier musste, wenn
feststand, dass der Fiskus oder die Kirche einmal im Besitz des
streitigen Grundstücks gewesen waren, der Beklagte den gültigen
') Nr. 424. Chart, de Cluny I p. 34 n. 29. Th p. 161 n. 109 (887).
Dass lex hier so viel bedeutet wie Eid des Beklagten, bemerkt Brunner
RG II S. 376 bei Anm. 35.
*) Darüber siehe Brunner RG II S. 517 ff.
’) Cap, Carisiac. a. 877 c. 8 Pertz LL I 520. Herr Geh. Rath
Brunner war so freuudlich mich in meiner Arbeit auf diese Stelle auf-
merksam zu machen: jetzt ist sie in der RG II 8. 518 Anm. 33 angeführt.
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185
Rechtserwerb des Erblassers beweisen. Wir haben oben im
zweiten Kapitel einige Urkunden kennen gelernt, in denen dies
Vorrecht der Kirche praktisch zur Anwendung kam 1 ).
Eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz macht eine
marseiller Urkunde aus dem Jahre 967 a ). Der Thatbestaud
ist derselbe wie in den bisher besprochenen Fällen. Der Bi-
schof von Marseille erhebt wider G&ribaldus und Auvonancius
und ihre Erben Klage um Felder und Weinberge in der Villa
Stavello,
quod contra legem et tnalum ordinem invaserunt, tenuerunt
ac possederunt.
Also schlichte, unsubstanziierte Klageform. Hierauf ent-
gegnen die Beklagten: jene Weinberge und Felder
melius debent nostras esse, ex projenie parentorum nostro-
rutn, quam episcopi propter nullam causam sanctuariam
succedere.
Also eine Behauptung eigenen Rechts unter Angabe des
Erwerbsgrundes (Erbgang) einer unsubstanziierten Klage gegen-
über. Nach allen sonst herrschenden Regeln hätten nun die
Beklagten wie in den angeführten Fällen dazu gelangen müssen,
ihre substanziierte Einrede zu beweisen. Statt dessen ergeht
das Urtheil,
ut episcopus perportare fecissvt ad servos s. Victor is , hoc
sunt homines — folgen fünf 3 ) Namen — ; ibi fuint mlepti
qui volutd iurare et perportare ipsas cineas et ipsos cam-
pos, quod melius eis succederet ex parte s. Vidoris quam
ipsi homines ad tenendum propter causam alodis. Quod
etiam ep'iscopus paratus fuü.
Dies kanu nichts anderes bedeuten, als dass dem Kläger
gestattet wird, mit fünf Zeugen seine Klagebelmuptnng zu be-
schwören.
Aber der Text der Urkunde giebt uns eine genügende Er-
klärung. Unter den Gerichtsbeisitzern werden ausdrücklich
Romani genannt, und gegen Ende der Urkunde finden sich die
P-
■) Oben S. 143, 144.
*) Nr. 571. Cartulairc de St. Victor de Marseille p. 307 n. 290.
201 n. 137.
*) Nicht vier, wie irrthiimlich in lueiuem Regest steht.
Th
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I 1 1 I I u i ■ t : : :
186
Worte: et sic legibus factum . . . qualiter lex Bomana cometno-
rat. Also es ist klar, dass wir es hier mit der Anwendung
römischer Beweissätze zu thun haben.
Neben der Berufung auf Erbrecht kommen auch andere Be-
gründungen vor, die das Vorrecht des Beklagten stützen.
In einer Urkunde über eine in Mäcon stattgehabte Ver-
handlung ist die das Beweisvorrecht sichernde Erwiderung
des Beklagten die, dass er sich dem contendere malo ordine der
Klage gegenüber auf langen Besitz beruft:
tn suo responso dixit, quod per se et suos donatores per
triginta annos et amplius legibus vestiti fuerunt absque
ulla partione s. Laurentii vel suos rectores.
Die Schöffen fassen den Beschluss ( scamini per inquisitum
iudicium decrevermt), dass er diese seine Einrede, so wie er sie
ausgesprochen hat, beschwöre, was er per fidetn fadam und mit
einem Bürgen zu thun verspricht 1 ).
Es kann ferner, wie ich glaube, hier eine luccheser Urkunde von
902 angeführt werden, in der der Beklagte, dem vorgeworfen wird,
er habe die Kirche des h. Hippolytus betreten und dort Früchte
gezogen malo ordinem, sich darauf beruft, dass er als ordinierter
und konfirmierter Rektor und Kustos dazu berechtigt gewesen
sei. "Wenn auch der Kläger dies bestreitet, so wird doch der
Beklagte zum Zeugenbeweis zugelassen*).
Auch eine Gerichtsverhandlung, die 911 zu Tivoli stattge-
funden hat , zeigt die Anwendung des Grundsatzes. Eine Frau
Petru klagt mit ihrem Sohn Leo wider den an der Kirche von
Tivoli angestellten Priester Romanus um einen Thurm,
quam tenet in virtute et non rendit michi.
Beklagter entgegnet, Petru und ihr Mann hätten ihm den
Thurm verkauft. Das wird bestritten. Aber der Beklagte,
der gleich Zeugen anbietet, kommt zum Beweis. Also die Be-
rufung auf den Rechtserwerb durch Kauf ist ausschlaggebend,
verstärkt durch das Anbieten von Zeugen 8 ).
Ich möchte an dieser Stelle noch auf die eigenthümliche
baiiische Urkunde aus den Jaliren 806 bis 810 aufmerksam
') Nr. 452. Cartnlaire de Mäcon p. 169 n. 284 (888 —898).
’) M. di Lucca IV 2 p. 70 n. 53.
•) Regest» Sublacense p. 201 n. 154.
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machen. Priso hatte die Basilika zu Auerbach der Freisinger
Kirche tradiert; nach seinem Tode aber bestritten seine Söhne
Helicho und Atto, dass eine Tradition seitens ihres Vaters er-
folgt sei, und schliesslich kam die Sache vor das Gericht des
Erzbischofs Arn von Salzburg, in dem, wie wir annehmen müssen,
der Bischof von Freising wider die beiden Brüder Klage mit
malo ordine erhob.
Der Vorsitzende fragt den Helicho, ob die Basilika tradiert
worden sei oder nicht. Er antwortet: nein, und zwar antwor-
tet er cum wadio, d. h. er verspricht rechtsförmlich unter Rei-
chnng der Festuca seine Behauptung zu beweisen. Nun aber
erklärt der Erzbischof, nachdem das Wadium genommen ist, er
habe- selbst die Tradition mit eigenen Augen gesehen; eine
gleiche Aussage macht noch der Abt Cundheri. Da gestehen
denn die Beklagten ein, dass es so sei, wie der Erzbischof und
der Abt sagten, und geben die Basilika heraus.
Es scheint in diesem Fall eine Verhandlung in den strengen
Formen des Prozesses überhaupt nicht stattgefunden zu haben ;
aber es ist bemerkenswerth, dass der Beklagte, nicht aber der
Kläger nach seinen Beweisen gefragt wird. Man möchte den
Inhalt, der Urkunde wohl dahin ergänzen, dass der Kläger eine
schlichte Klage mit malo ordine erhob (von einer Urkunde war
sicherlich keine Rede), wogegen die Beklagten vielleicht be-
haupteten als Erben ihres Vaters rechtmässigen Besitz auszuüben 1 ).
Auch eine andere bereits besprochene bairische Urkunde
kann hier erwähnt werden, nämlich die gegen den Bischof von
Regensburg erhobene Klage, durch die der Kläger eine von
seinem Bruder der Kirche gemachte domlio post obitum anficht,
obwohl er, wie der Beklagte dagegen behauptet, sie nach dem
Tode des Bruders anerkannt hatte. Der Kläger klagt offen-
bar mit einem blossen malo ordine possides. Hiergegen führt der
Beklagte die hervorgehobene Einrede an, die er mit sechs Zeugen
beweisen will. Nun sagt Kläger, auf diesen Punkt komme es
zunächst gar nicht an, denn er bestreite ja die Tradition an
sich. Darauf gelangt der Beklagte dazu, diese zu beweisen.
Man sieht hier recht deutlich den Einfluss des leitenden Grund-
satzes darin, dass das Recht der Beweisführung auch dann nicht
‘) Nr. 180. Graf Hundt Abhandlungen Xll p. 220 u. 15.
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188
auf den Kläger übergeht, wenn der Beklagte zunächst den ent-
scheidenden Punkt in seiner Erwiderung gar nicht berührt *).
Ebenso steht es, wenn der Beklagte einer allgemeinen
Ausführung des Klägers gegenüber einen specielleren, jene ent-
kräftenden Rechtstitel anführen kann, der seinen Besitz trotz
jener zu rechtfertigen im Stande ist; wenn also seine Substan-
ziieruug materiell erheblicher ist als die des Klägers.
Hier erwähne ich nochmals den schon oft benutzten Streit
um die Erbschaft zu Landegon. Kläger berufen sich auf Erb-
recht; der Beklagte auf eine auf die Erbschaft gemachte Ver-
wendung; dies ist ein speciellerer Einwand, er kann begründet
sein neben dem von den Klägern behaupteten Rechtsgrund; da-
her ist er für die Entscheidung erheblicher, und daher wird er
zum Beweis gestellt 8 ).
Hierher möchte ich ferner eine gleichfalls schon erwähnte
luccheser Urkunde von 785 rechnen, in der, wie schon
oben berichtet wurde, der Bischof von Lucca vom Kleriker
Agipraud Herausgabe der Peterskirche verlangt, die er durch
begangene Verbrechen verwirkt habe. Der Kläger also beruft
sich auf eine allgemeine Vorschrift des kanonischen Rechts.
Aber dem gegenüber behauptet der Beklagte, zu einer Heraus-
gabe sei er nicht verpflichtet, denn die Kirche stehe in seinem
auf Erbgang beruhendem Eigenthnm, und die Kirche von Lucca
habe daher kein Recht auf sie. Diese Behauptung ist die zu-
nächst erheblichere, und daher wird denn auch geurtheilt. dass
der Beklagte sie durch idonei et credentes liomines beweise®).
Ein besonderer Fall endlich ist der, dass der Beklagte,
der sich auf dreissigjährigen Besitz beruft, unter allen Um-
ständen dem Kläger im Beweise vorgeht, mag der Kläger seine
Klage substanziiert, Beweismittel angeboten haben oder nicht 4 ).
Die generellen Bestimmungen, die hierüber die ver-
schiedenen Volksrechte enthalten, finden durch die urkundlichen
Beispiele ihre Bestätigung 5 ).
') Nr. 241. Ried C. <1. ep. Ratisb. I p. 24 n. 23.
’) Nr. 312. Cartulaire de Redon p. 148 n. 192. Th p. 115 n. 85.
3 ) M. di Lucca V 2 p. 118 n. 202. Mnratori Ant. I c. 745. Brnnetti
II 1 p. 263 n. 24. Vgl. oben S. 146.
4 ) Siehe Hensler Gewere S. 80 ff., Brunner RG II S. 517.
4 ) Brunner führt a. a. 0. für das fränkische Recht an Decr. Ghildeb,
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In einer fränkischen Formel erwidert der Beklagte auf
die Klage,
quod ipsam hertdiiaUm . . . yenitoe sms vel quilibet pa-
rens ipsam ei moriens dereliquerat * et de annis SO inter
ipsam et parentes sms, qui ipsam ei dereliquerant, ipsam
tenuissent, et secundum legem ei sit debita.
Darauf ergeht das zweizüngige Beweisurtheil, dass er diese
Einrede im Beweistermin beschwöre. Hier wird die Einrede
dreissigjährigen Besitzes einer unsubstanziierten Klage gegen-
über geltend gemacht 1 ).
Ferner sei auf das Placitum Theoderichs III. von 679 hin-
gewiesen. Klägerin beruft sich auf Erbrecht, Beklagter aber
auf einunddreissigjährigen Besitz. Beklagter gelangt zum Eid 8 ).
Auch aus Italien sind deutliche Beispiele erhalten. Eine
lnccheser Urkunde von 884 berichtet, wie, nachdem die Kläger
im dritten Termin ihre Urkunden vorgelegt haben, der Beklagte,
der immer von neuem weitere Erkundigungen einziehen zu
müssen erklärt, sich im vierten Termin auf dreissigjährigen
Besitz beruft und nuu sofort zum Zeugenbeweis zugelassen
wird, den er danu im fünften Termin erbringt 8 ).
Ferner eine schöne Urkunde über eine 915 zu Teano ab-
gelialteue Gerichtssitzung, in der der Kleriker Jaquintus
wider den Propst von Monte Cassino und den Klostervogt um
ein dort gelegenes Grundstück klagt. Kläger legt zwar eine
Schenkungsurkunde vor, da aber Beklagter sich auf dreissig-
jährigen Besitz beruft, so kommt, nachdem Kläger zum Überfluss
erklärt hat, hiergegen nichts einweuden zu können, er zum
Beweise, wie es heisst secundum consuetudinem mtmasterii ; nach
dem was wir gesehen haben, eine „ Gewohnheit des Klosters“,
die mit den allgemeinen Rechtsgrandsätzen durchaus überein-
stimmte. Beklagter beschwört seine Einrede mit drei Eid-
helfern 4 ).
II. c. 3 (oben S. 23), Cap. a saceril. propos. a. 802 c. 17 I 107; für (las
westgotisebe Leges Eurici, fragm. 277, Lex Wisig. X 2, 3. 4. 6; ftir das
burgundisehe Lex Burg. 79, 3,; für das langobardische Grimoald 4, Lin. 54.
*) Nr. 148. Form. Turon. n. 39. MGF p. 156.
•) Nr. 34. DDM p. 45 n. 49.
s ) Mem. di Lncca IV 2 p. 65 n. 49, und V 2 p. 569 n. 930.
4 ) Gatlula I p. 88.
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Ganz ähnlich liegt die Rache in einer anderen Urkunde
aus derselben Sammlung; auch hier legt Kläger eine Urkunde
vor (abbreviatura), worauf Beklagte dreißigjährigen Besitz be-
haupten, was sie dalin, nachdem auch hier der Kläger eine
ähnliche Erklärung abgegeben hat, mit drei Zeugen und Eid-
helfern beweisen ').
Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass unter Um-
ständen die Berufung auf lange Besitzdauer schlechtweg, ohne
dass gerade der Ablauf vou dreissig Jahren behauptet wird,
denselben Erfolg gehabt haben dürfte. Wenigstens scheint
das aus einer fränkischen Urkunde hervorzugehen, die über
eine in den Jahren 880 — 881 zu Augonleme stattgehabte Ge-
richtsverhandlung berichtet. Der Propst von St. Eparch zu
Angouleme klagt wieder Avego (allerdings, wie es scheint,
unsubstanziiert) um mehrere von diesem widerrechtlich be-
sessene Hörige der Kirche*). Das Gericht fragt darauf
zuerst nach dem Recht der Parteien, worauf der Kläger er-
Avidert Römer (wohl Aveil er eine nach der lex Romana lebende
Kirche vertritt), der Beklagte Salier zu sein. Da das Recht
des Beklagten für die Vertheidigung entscheidend ist 8 ), so
wird uns in erwünschter Weise bestätigt, dass in unserem Bei-
spiel salisches Verfahren stattfindet. Nun Avird der Beklagte
vom Gericht nach seinen Beweismitteln gefragt. Er beruft
sich auf langen Besitz, dann aber auf die Frage, si mlebat ipsa
mancipia per iustitiam vindicare, erklärt er, sie Aveder auf Grund
Erbrechts noch durch Zeugniss erstreiten zu können und resti-
tuiert sie dem Kläger 4 ). Was für uns in dieser Verhandlung
entscheidet, ist der Umstand, dass nur der Beklagte, der Kläger
gar nicht nach seinen BeAveisen gefragt Avird 5 ). Bei anderen
thatsächlichen Voraussetzungen hätte der Beklagte bloss die erste
Behauptung des langen Besitzes zu beschwören brauchen; ein
l ) Gattula Acc. I p. 68 (975).
’) Wir wissen, dass derartige Prozesse um Hörige wie Immobiliar-
prozesse behandelt wurden.
•) Brunner RG I S. 263.
4 ) Nr. 419. Neues Archiv VII p. 634.
4 ) Vielleicht also Hesse sich diese Urkunde als ein Beweis dafür ver-
wenden, dass das salische Recht hinsichtlich der Bevorzugung des Klägers
keine Sonderstellung eingenommen hat.
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solcher Schwur war allerdings erforderlich, damit von einem
per Mstitiam vindicare die Rede sein konnte; da er aber einen
Eid nicht wagte, auch andere Beweise nicht hatte (hätte er sie
gehabt, so hätte er gewiss geschworen), so musste er unterliegen ;
nun galt einfach die Klagebehauptung als bewiesen.
Vielleicht kann hier auch noch eine bairische Urkunde von
807 eingereiht werden: vier Brüder klagen wieder den Bischof
von Freising und berufen sich auf Erbrecht; hiergegen führt
Beklagter als Rechtstitel eine vor langer Zeit erfolgte Tradition
an; jene hereditas sei bereits von den Vorfahren der Kläger
ibi tradüam fuisse iam priscis temporibus.
Vielleicht also weil diese Einrede als Behauptung langer
Besitzdauer aufgefasst wurde, jedenfalls weil sie der klägerischen
gegenüber als die materiell erheblichere galt, wird sie zum Be-
weis gestellt 1 ).
In den bisher besprochenen Fällen lag die Sache stets so,
dass es der Beklagte war, der durch die materielle Begründung
seiner Einrede das schon an und für sich ihm zukommende Be-
weisvorrecht sich sicherte, indem er entweder einer völlig un-
substanziierten oder einer geringer substauziierten Klage, als
es seine Einrede war, auf solche Weise erwiderte.
Nun aber konnte auch hier, wie oben in den Fällen des
formell stärkeren Beweisangebots, die Lage sich verschieben ; wie
aus formellen, so konnte aus materiellen Gründen der Kläger
dem Beklagten den Beweisvorrang entziehen.
Das war zunächst dann der Fall, wenn der Beklagte durch
nacktes Leugnen zu antworten sich begnügte, der Kläger aber
seine Behauptung materiell substanziierte. Dann war dem Be-
klagten der Eid über seine Behauptung verlegt, zu dem er
gekommen wäre, wenn auch der Kläger nur eine schlichte
Klage erhoben hätte. Wir sahen oben, dass gerade dieser Nach-
theil der Anlass gewesen ist, eine einredeweise begründete Ent-
gegnung auf die Klage immer allgemeiner zu verwenden; sie
machte dem Kläger wenigstens die Sache nicht mehr so leicht.
Es sei zuerst, um mit einigen unzweifelhaften Beispielen zu
beginnen, auf eine bairische Urkunde von 837 hingewiesen.
Der Vogt des Bischofs von Freising klagt im missatischen Ge-
■) Nr. 178. Meicb. I 2 p. 94 u. 124.
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rieht zu Einhofen wider Isanhard und EU&nhard pro eorum here-
ditatem, quod hdbuerunt ad Durftngesdorf et ad PachtUtaho/a, in-
dem er behauptet, ihr Grossvater und Vater hätten diese Be-
sitzungen der Kirche des h. Tertullianus zu Siechdorf tradiert.
Illi feto fortiter resistebatU et contradicebant , wird von den Be-
klagten gesagt; da aber nicht angeführt wird, dass sie irgend
einen stichhaltigen Grund vorgebracht hätten, wil d ihr tapferer
Widerstand lediglich im Leugnen des klägerischen und Behaupten
des eigenen Rechts bestanden haben; so gelangen denn auch der
Bischof und sein Vogt zum Beweis; es heisst
hoc (ihr Recht) testimoniis adhibüis verum esse conprobare
voluerunt et plenum testimonium testium habuerunt.
Aber die Beklagten verzichten vorher freiwillig 1 ).
Ähnlich verhält es sich in einigen italienischen Urkunden.
Man kann hier wohl zunächst den zwischen den Bi-
schöfen von Lucca und Pistoja 716 im Gericht eines Königs-
boten entschiedenen Prozess nennen. Es handelt sich in ihm
um zwei Kirchen, die, wie der Vertreter des klagenden Bischofs
von Lucca behauptet, stets im Eigenthum des luccheser Bis-
thums gestanden hätten. Also er beruft sich auf die lange
Dauer des Besitzstandes. Hiergegen erwidert der Beklagte
nur: rnstra deveat esse. Der Kläger widerlegt nun diese Be-
hauptung noch im speciellen, indem er nachweist, dass dem Bi-
schof von Pistoja nur erlaubt gewesen sei, in jenen Kirchen
Messe zu lesen und zu taufen. Er hat diese seine Behauptung
eidlich zu erhärten 4 ).
Im Jahre 807 erheben — die Urkunde ist gleichfalls bereits
erwähnt worden — auf einem Gerichtstage zu Rieti vor den
Königsboten Karls des Grossen und Pipins von Italien die
Vertreter des Klosters Farfa Klage wider drei Brüder um Be-
sitzungen, die ihr Oheim Palumbus dem Kloster übertragen habe,
die sie aber widerrechtlich betreten und dem Kloster entfremdet
hätten. Dieser substanziierten Klagebehauptung gegenüber haben
die Beklagten nichts anderes zu erwidern, als:
*) Nr. 289. Meicli. I 2 p. 309 n. 601. Mon. Boica IX p. 22 n. 14.
*) Mem. (li Lucca V 2 p. 5 u. 5. Troya III p. 249. Mnratori Ant.
V c. 914. Brunetti I p. 452 n. 11.
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193
absit. ut ipse Palumbus suarn substantiam vobis dedisset
aut tradidissä.
Da aber die Kläger sich auf Zeugen berufen, so gelangen
sie zum Beweis l ).
Auch der oben (S. 98) erwähnte Rechtsstreit aus dem Jahre
902 gehört hierher: auf die Klage wegen widerrechtlicher Besitz-
störungen leugnet der Beklagte die Thatsache; nun geht das
Beweisrecht auf den Kläger über, er wird gefragt, ob er seine
Behauptung beweisen könne. Erst als er dies verneint, kommt
Beklagter zum Schwur, denn nun lebt sein Recht wieder auf,
da beide Parteien sich wieder gleichstehen *).
In einer bergamasker Urkunde von 919, die gleichfalls in
demselben Zusammenhang bereits oben angeführt ist, erhebt
der Bischof von Bergamo wider Adebarda und ihren Sohn Klage
um einen Weinberg zu Larianica, mit dem, wie Kläger in
der Klage angiebt, das Bisthum rechtmässig investiert worden
sei; dagegen erklären die Beklagten nur, quod hoc verum non
esset, worauf dann der Kläger zum Beweis zugelassen wird 5 ).
Einige undeutlichere Fälle liegen ausserdem in Urkunden
vor, die gleichfalls hier angeführt werden müssen. In ihnen
ist die Fassung der schriftlichen Aufzeichnung eine sehr knappe,
und es kann daher nicht erkannt werden, wie die Klage und
Klagebeantwortung formuliert war. Aus dem Umstande aber,
dass auch in ihnen dem Kläger sogleich die Beweisrolle zufällt,
muss mit Bestimmtheit darauf geschlossen werden, dass auch
hier der Beklagte sich der vom Kläger gegebenen rechtlichen
Begründung gegenüber lediglich auf die blosse Behauptung seines
Rechts beschränkte.
Hierher wird zunächst eine Formel aus der Sammlung von
Angers zu stellen sein, in der dem Kläger auf die von ihm vorge-
brachte Behauptung widerrechtlicher Besitzstörung durch Urtheil
aufgegeben wird, in der Kirche mit Eidhelfern die Klagebehaup-
tung zu beschwören 4 ).
Die gleiche Annahme ist bei zwei cluniacenser Urkunden
>) E. <li Farfa II p. 151 n. 184. Fatteschi p. ‘184 n. 40.
*) M. di Lueca V 3 p. 13 u. 1058. Muratori Ant. V c. 309.
*) Cod. Lang. c. 837 n. 486. Lupus II p. 113.
4 ) Nr. 17. Form. Andec. n. 39 MÜF p. 17.
Hübner, tränk. Immobillarproze»». 13
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194
gestattet, in deren einer 1 ), ohne dass von der Antwort des
Beklagten ein Wort gesagt würde, nur das Schöffenurtheil er-
wähnt wird, in Erfüllung dessen der Kläger zu schwören hat,
wie auch in der anderen*) nur von einem solchen Eid des
Klägers berichtet wird.
Auch eine farfenser Urkunde von 751 zeigt die gleiche
Eigenthllmlichkeit; auch sie hat nur das Urtheil des Königs-
boten überliefert, dahin gehend, dass der Kläger die Klagebe-
hauptung beschwöre®).
Wenn dagegen in einer bereits oben (S. 98) erwähnten Ur-
kunde von 829 auf den Vortrag der klagenden Vertreter von Farfa,
römische Priester hätten dem Kloster Besitzungen entzogen, der
Vogt der römischen Kirche nur schlechtweg erwidert, die rö-
mische Kirche besässe jene Grundstücke zu Recht, und darauf-
hin nicht der Beklagte, sondern die Kläger zum Beweise zu-
gelassen werden, so muss man hier, wie mir scheint, römisch-
rechtlichen Einfluss annehmen, denn nach den Grundsätzen des
deutschen Beweisrechts wäre ohne Zweifel der Beklagte näher
zum Beweise gewesen 4 ).
Also: wo nur der Kläger einen materiellen Rechtsgrund
augiebt, erlischt zu seinen Gunsten das Beweisvorrecht des Be-
klagten. Das ist nun ferner ebenso dann der Fall, wenn er
den rechtlich erheblicheren Rechtsgrund anführt. Ganz ent-
sprechend also der Vertheilung der Beweislast in den Fällen,
in denen er das stärkere Beweismittel anbietet. Ein rechtlich
erheblicheres Klagefundament liegt dann vor, wenn er einen
speciellen Rechtstitel anftthrt, der als solcher entscheidender ist
als der des Beklagten.
So beruft sich zum Beispiel in einer bairischen Gerichts-
urkunde von 829 der Beklagte auf Erwerb aus Erbrecht, der
Kläger aber führt dagegen an, dass ihm die Besitzung tradiert
worden sei, also könne der Beklagte sie nicht mehr geerbt
haben 5 ).
l ) Nr. 535. Chart, de Cluny II p. 75 n. 979 (955).
*) Nr. 593. Chart, de Cluny II p. 573 n. 1524 (980).
*) R. di Farfa II p. 42 n. 31. Troya IV p. 384 n. 646.
4 ) Reg. di Farfa II p. 221 n. 270. Cod. Lang. c. 198 n. 110. Mabillou
Ann. II c. 736.
s ) Nr. 265. Graf Hundt Abhandlungen XIII p. 12 n. 14.
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195
Hier kommt denn auch, ganz wie einer sachlich durchaus
übereinstimmenden au deren bairischen Urkunde von 840 ‘), der
Kläger zum Beweis: das Bestehen seines Rechtstitels schliesst
den des Beklagten aus, nicht umgekehrt, und daher ist seiner
der erheblichere und zum Beweis zu stellende.
Es ergiebt sich also aus der Betrachtung der einzelnen Fälle
der allgemeine beherrschende Grundsatz, dass der Beweisvorzug
des Beklagten aus gewissen formellen und materiellen Gründen
aufgehoben werden kann.
Ein letzter Grund, der die Beweisführung an den Kläger
gelangen lässt, um dies zum Schluss zu besprechen, ist, wie
sich fast von selbst versteht, dann gegeben, wenn der Beklagte,
dem zunächst der Beweis obgelegen hatte, seinen Beweis nicht
führen kann, sei es dass er es gar nicht zu versuchen wagt,
sei es dass der Versuch misslingt.
Auf die Klage, die 782 der Bischof von Narbonne wider
den Grafen Milo von Narbonne um verschiedene im Gau dieser
Stadt gelegene Villen erhebt, erklärt der Beklagte zwar, er
habe diese Villen vom König Karl zu Beneficium erhalten, eine
Behauptung, die sicherlich geeignet gewesen wäre, zum Beweis
gestellt zu werden; da er aber erklären muss, nicht das ge-
ringste zu ihrem Beweise anführon zu können, so gelangt der
Kläger zum Zeugenbeweis*).
Als in dem besprochenen luecheser Rechtsstreit von 764
der Beklagte ein wendet, den streitigen Hof für sein eigenes
Geld gekauft zu haben, war auch das an sich eine Entgegnung,
die ihm den Beweis hätte sichern können; er verliert ihn aber
an den Kläger, weil er sie nicht stützen kann 5 ).
Als im Jahre 871 vom Vogt der luecheser Kirche der
Knabe Konrad und sein Vogt Fraipertus auf Herausgabe eines
zu Nutzgenuss verliehenen, durch die Verschlechterung aber
verwirkten Grundstücks verklagt werden, berufen sie sich zwar,
indem sie die Thatsachc der Verschlechterung leugnen, auf die
Verleihungsurkunde, aus der hervorgehen solle, dass sie das Be-
<
>) Nr. 298. Meich. I 2 p. 313 n. 610.
*) Nr. 116. Vaissete II c. 47 n. 5.
*) M. (li Lucca IV 1 p. 105 n. 60. Troya V p. 302 n. 827. Bertini
app. p. 105.
ia»
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196
dungene geleistet hätten; da sie aber dann gestehen das nicht
beweisen zu können, so ist nun der Kläger am Beweis
Dem Abt Gaido von Cuccuruzu erwidert der Beklagte, er
habe die streitigen Grundstücke von seinen Vorfahren geerbt;
er kann das aber nicht beweisen, und so gelangt Kläger zum
Nachweis seines Rechtes, das er auf Kauf- und Schenkungs-
urkunden stützt*).
In einer salernitaner Urkunde von 993 endlich beruft sich
der Beklagte zwar auf Schenkung; aber da auch er keine Be-
weise hat, so ergeht das Urtheil, dass der Kläger, der eine
Kaufurkunde verlesen lässt, die Klagebehauptung beschwöre *).
Dass es in den Fällen, in denen der Beklagte zwar den
Beweis antritt, ihn aber nicht erbringen kann, ebenso gehalten
wird, liegt in der Natur der Sache.
So verhält es sich z. B. in einer bereits besprochenen farfenser
Gerichtsverhandlung von 750: beide Parteien berufen sich auf
Urkunden, aber die des Beklagten wird als Fälschung er-
kannt; damit ist sein Beweis misslungen und Kläger kommt
zum Eid 4 ).
Ebenso gelangt in einer süditalienischen Urkunde von 965
der Kläger wegen mangelnder Beweiskraft der vom Beklagten
producierten Urkunde dazu nun seinerseits seine Behauptung
zu beweisen 6 ).
Gleicherweise finden sich Beispiele für den Fall, dass es dem
Beklagten nicht gelingt, durch die Berufung auf den Auktor sein
Recht zu beweisen; auch hier geht dann das Beweisvorrecht
auf den Kläger über 6 ).
Als Merkwürdigkeit sei schliesslich eine Urkunde über eine
945 zu Reggio stattgefundene Gerichtsverhandlung angeführt,
in der der Beklagte sich zunächst auf dreissigjährigen Be-
*) M. di Lucca IV 2 p. 59 n. 39 und V 2 p. 492 n. 711. Ughelli I
c. 798.
*) Gattula I p. 308 (963).
*) Cod. Cav. in p. 3 n. 461.
*) K. di Farfa II p. 37 n. 25. Troya IV p. 371 n. 641. Huratori
Scriptores II b c. 341.
*) Cod. Cav. n p. 22 n. 230.
*) Beispiele: M. di Lucca V 2 p. 386 n. 648, Muratori Ant. I c. 527
(847); Cod. Lang. e. 841 n. 207, Fumagalli p. 326 (869).
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197
sitz beruft, dann aber erklärt, dies nicht beweisen zu wollen;
worauf Kläger mit Zeugen sein Recht zu beweisen sich ver-
pflichtet. Aber im neuen Termin bekennt der Kläger keinen
Beweis führen zu können, und erkennt das Recht des Beklagten
an. Was der Grund für das Nicht Wollen des Beklagten war,
ist nicht mehr zu erkennen ’).
Diesem Übergang des Beweisvorrechts auf den Kläger,
einem Übergang, den der Kläger lediglich dem Verhalten seines
Gegners verdankt, entspricht der Rückfall des Beweises an den
Beklagten in denjenigen Fällen, in denen nun seinerseits der
Kläger den ihm zustehenden Beweis nicht zu führen vermag.
Das sehen wir z. B. in folgenden Urkunden.
In einer luccheser Urkunde aus dem Jahre 764, deren That-
bestand wir schon kennen (vgl. oben S. 173).
Der Priester Lucipert klagt wider den Priester Gunduald
um einen Hof in Campnlo, den Beklagter, wie Kläger behauptet,
gegen Hingabe von Vermögen der bischöflichen Taufkirche
des h. Cassianus, deren Rektor er war, gekauft habe und
nun, nachdem er jene Stellung nicht mehr innehabe, durch
Mitnahme der Kauf urkunde als persönliches Eigentlium wider-
rechtlich besitze. Der Beklagte erwidert, er habe die Kirche mit
seinem persönlichen Vermögen erworben. Der Kläger beruft
sich auf Zeugen, die gesehen hätten, dass der Beklagte den
Verkäufern goldene Kreuze gegeben habe, also Kirchengut.
Ihm wird durch Urtheil auferlegt, den Zeugenbeweis zu führen.
Er erringt das Beweisrecht, weil er Beweise für sein Recht
anführt, Beklagter bloss leugnet. Auf dem nächsten Termin
aber erklärt er keine Zeugen stellen zu können. Und nun
kommt der Beklagte an den Beweis seiner Behauptung; er legt
die Kaufurkunde vor, in der nichts von goldenen Kreuzen steht,
und hat darauf selbfünft zu beschwören den Hof l'ür den in
der Urkunde angegebenen Preis gekauft zu haben*).
In einer sehr lückenhaften ravennatischen Urkunde von
c. 950 erklären die klagenden Grafen und Gräfinnen den im
*) Tiraboschi Modena I*> p. 112 n. 92; Mnratori Ant. 1 c. 463.
*) M. di Lucca IV 1 p. 105 n, 60. Troya V p. 302 n. 827. Bertini
app. p. 105.
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vorigen Termin gelobten Beweis nicht führen zu können; der
beklagte Abt kommt daher zum Schwur 1 ).
Anderes dagegen scheint mir die Sache in einer septima-
nischen Gerichtsurkunde von 868 zu liegen. Der Kläger beruft
sich auf den beneficiarischen Charakter der eingeklagten Villen,
der Beklagte auf Tradition. Nun wird der Kläger, nicht der
Beklagte, nach seinen Beweisen gefragt. Das also scheint
wieder ein Fall zu sein, in dem römischrechtliche Einflüsse
sich bemerkbar machen. Erst da der Kläger eingesteht, keine
Beweise zu haben, gelangt der Beklagte zum Beweis“).
Damit haben wir an der Hand der Urkunden einen Über-
blick über die die Vertheilung der Beweisrolle beherrschenden
Principien gewonnen. Wir sehen, dass einige wenige Grund-
gedanken immer wiederkehren ; alles beruht auf dem allge-
meinen Beweisvorrecht des Beklagten, das nur aus ganz be-
stimmten formellen oder materiellen Gründen ausser Wirksam-
keit tritt. Und zwar geschieht die Vertheilung der Beweis-
rollen und die Abweichung von der allgemeinen Regel nicht
auf Grund einer Würdigung des einzelnen Falls, sondern dem
formalen Charakter des alten Prozesses entsprechend lediglich
auf Grund fester ein für allemal geltender Regeln, die auf jeden
Fall angewendet werden mussten ; ein Nachtheil, der nur durch
die durchschnittliche Zweckmässigkeit dieser Regeln ausgeglichen
werden konnte und, wie man in Würdigung der einzelnen über-
lieferten Rechtsfälle wohl behaupten kann, thatsächlich ausge-
glichen wurde.
*) Vesi doc. I p. 200. Fantnzzi IV p. 176.
J ) Nr. 373. Vaissete II c. 346 n. 169. Th p. 143 n. 101.
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Viertes Kapitel.
Die Beendigung des Reehtsganges.
Wir wissen, im alten Recht trug wie jede Klage so auch
die Klage um „ Landnahme“, daher wie jeder Prozess so auch
der Immobiliarprozess strafrechtlichen Charakter. Das vom Be-
klagten verübte Unrecht, die „Landnahme“, sollte gerichtlich
verfolgt werden. Der Rechtsgang bezweckte also Sühnung
eines begangenen Unrechts. Diese Sühnung erforderte zweier-
lei; nicht nur Wiederherstellung des vom Beklagten verletzten
Rechtszustandes, in den Fällen der Landnahme also Zurück-
gabe des Grundstücks, sondern auch Busse für seinen Frevel.
Der Rechtsgang um Liegenschaften findet daher ursprünglich
nur durch Herausgabe des Grundstücks und durch Busszahlung
seitens des Beklagten seinen Abschluss.
Im Lauf der Zeit streift jedoch der Immobiliarprozess in
vielen Fällen den strafrechtlichen Charakter ab. Allerdings
erhielt sich, wie wir gesehen haben, als deutliches Zeugniss
seines Ursprungs die Formel malo online; aber nicht mehr in
jeder Klage galt der Beklagte, auch wenn er unterlag, als der
Landnahme schuldig. Denken wir z. B. an Fälle, in denen
sich der auf Investitur gestützten Klage gegenüber der Be-
klagte auf Erbrecht berief, oder an solche, in denen er unter-
lag, weil seine Urkunden durch die grössere Zahl der klägeri-
schen Überboten wurden, so ist klar, dass hier von einem kri-
minalen Unrecht keine Rede zu sein brauchte. In solchen Fällen
fiel die Busszahlung fort; sie fiel also dann fort, wenn der Be-
200
klagte sich für seinen Besitz auf einen Rechtsgrund berief,
mochte dieser dann auch durch einen besseren des Klägers
überwunden werden. Hier handelte es sich dann nur noch
um Wiederherstellung des verletzten Rechtszustandes. Es war
also die im Laufe der Zeit entstandene Möglichkeit anstatt
lediglich mit schlichtem Leugnen technisch die Klage beant-
worten oder eine solche Antwort verweigern zu dürfen, sich
einredeweise gegen den Klagevorwurf zu vertheidigen, die
dem Immobiliarprozess den ausschliesslich strafrechtlichen Cha-
rakter nahm. Im übrigen war von einer Busszahlung natür-
lich auch dann keine Rede, wenn der Beklagte die ihm vorge-
worfene That leugnete, nicht bloss das malo ordine teuere, inva-
dere u. s. w., sondern das teuere , invadere überhaupt, wenn er
also seinerseits keine Ansprüche auf das Grundstück machte.
Dann muss er es auf alle Fälle dem Kläger überlassen, bleibt
aber frei von Busse, er müsste denn durch den Ausgang des
Beweisverfahrens der Landnahme überführt werden *).
Das gerichtliche Verfahren hat den Zweck, die schuldige
Leistung, Busszahlung und Rückgabe d. h. Wiederherstellung
des Schadens, oder nur diese Rückgabe, vom Beklagten zu
erzwingen. Die richterliche Autorität übt diese Zwangsge-
walt aus. Aber im alten Prozess anders als heut. Die
Funktion des Urtheils ist im germanischen Prozess und so
auch noch im Prozess der fränkischen Zeit eine andere als im
heutigen.
Das alte Recht*) kennt nicht nur Endurtheile und Beweis-
urtheile im heutigen Sinn, sondern es verwendet besonders
häufig Urtheile, die beides zugleich sind. Ein den Rechtsstreit
entscheidendes Endurtheil erging ursprünglich nur dann, wenn
der Beklagte dem Klagevorwurf nicht widersprach, d. h. also
wenn die Sache sofort, ohne dass ein Beweisverfahren nöthig
war, ihre Erledigung fand.
Musste dagegen ein Beweis geführt werden, so erging ein
alternativ gefasstes, ein zweizüngiges Urtheil, durch das sowohl
') Brunner RG II S. 515.
’) Die folgenden Ausführungen beruheu auf der Darstellung in Brunners
RG n S. 362 ff.
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201
die Beweis-, als auch die Rechtsfrage entschieden wurde. Das
heisst, in diesem Urtheil sprach das Gericht aus, welche der
Parteien zu beweisen und was sie zu beweisen habe, und was
dann, je nachdem der Beweis gelänge oder nicht, als Recht
gelten solle. Mit diesem Urtheil also fand der Rechtsgang noch
nicht seinen Abschluss; es folgte nun noch das Beweisverfahren.
Das richterliche Urtheil ist in diesem Fall nur eine indi-
rekte Entscheidung der Rechtsfrage. Es ist eine noch unter
eine Bedingung gestellte Entscheidung, eine Entscheidung, die
ausspricht, was als Recht gelten solle, je nachdem die Beweis-
führung sich gestaltet. In dem zweizüngigen Beweisurtheil,
das zugleich bedingtes Endurtheil ist, zeigt sich, wie sehr der
alte Prozess ein auf dem Parteibetrieb beruhender Prozess ist;
das Gericht spielt mehr die vermittelnde, als die entscheidende
Rolle; die Entscheidung liegt in der Hand der Parteien; das
Gericht bahnt gewissermaassen nur den Weg, damit durch die
Thätigkeit der Parteien im Beweisverfahren das Recht zu Tage
treten kann.
Es wurde dann üblich, dass man das Gericht anging nach
Abschluss des Beweisverfahrens seinerseits noch einmal dessen
Ergebniss zu konstatieren, also zu grösserer Sicherheit das noch
einmal auszusprechen, was bereits in dem bedingten zweizün-
gigen Beweisurtheil ausgesprochen worden war. So schloss
sich dann an das Beweisverfahren ein deklaratorisches Urtheil
an, ein Urtheil nicht in unserem Sinne, keine Entscheidung
streitiger Punkte (die streitigen Punkte waren bereits ent-
schieden), sondern ein Spruch, der eben nur feststellte und an-
erkannte, was sich als Recht herausgestellt hatte.
Ein solches deklaratorisches Urtheil pflegte auch dann aus-
gesprochen zu werden, wenn durch Geständniss und freiwillige
Befriedigung seitens einer Partei der Gegner Genugtuung er-
halten hatte. Jedoch begnügte man sich in solchen Fällen
nicht selten mit dem förmlich ausgesprochenen Verzicht der
unterliegenden Partei, der Professio und Manifestatio , ohne
dass ein deklaratorisches Urtheil hinzu trat; wir linden das be-
sonders in Italien.
Im Laufe der Zeit kam man mehr und mehr von dem zwei-
züngigen Urtheil ab; man entschied zunächst durch ein reines
Beweisurtheil die Beweisfrage, um dann am Schluss des Ver-
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202
fahrens ein reines Endnrtheil folgen zu lassen; im langobar-
dischen Recht scheint das von jeher üblich gewesen zu sein 1 ).
Das Urtheil enthielt, wo es nicht rein deklaratorisch war.
den Befehl, was Seitens der unterlegenen Partei zu geschehen
habe; damit verband sich dann meist für die siegreiche Par-
tei eine ausdrückliche Bestätigung ihrer Rechte. Der Urtheils-
befehl ging ursprünglich dahin, dass die unterlegene Partei die
Erbringung der schuldigen Leistung gelobe. Denn ursprüng-
lich war nur um eine angelobte Schuld Exekution möglich. Das
zweizüngige Beweisurtheil sprach also in der Regel aus, die
Partei solle den Beweis oder die Herausgabe des Grundstücks
und die Zahlung der Busse geloben. Später änderte sich das;
als ein Exekutionsverfahren gegen den Ungehorsamen sich bil-
dete, auch ohne dass ein besonderes Gelöbniss vorangegangen
war, genügte es im Urtheil direkt die schuldige Leistung an-
zubefelilen.
Ist das Urtheil ausgesprochen, so wird, wenn es auf Ge-
löbniss geht, seine Erfüllung von den Parteien gelobt. Es wird
ein Urtheilerfüllungsvertrag geschlossen. Also auf das zwei-
züngige Beweisurtheil ergeht das Gelöbniss den Beweis zu er-
bringen und im Unterliegungsfall zu leisten, auf das Endnrtheil
die Herausgabe und die Busszahlung vorzunehmen. Auch aber
wenn das Urtheil direkt auf Beweis oder Leistung gestellt ist,
können die Parteien einen Urtheilserfiillnngsvertrag schliessen.
In diesem Fall hindert sie jedoch nichts, sogleich den Beweis
anzutreten, sogleich die Rückgabe zu vollziehen, die Busse zu
zahlen. Geschieht das nicht, so folgt in der Urtheilserfüllung
gewissermaassen noch ein letzter Akt; insbesondere pflegt die
reale Investitur auf Grund des Urtheils nach Ablauf eines
kürzeren Zeitraums stattzufinden, worüber dann unter Umständen
noch eine besondere Urkunde aufgenommeu wird. Auch kommt
es vor, dass die obsiegende Partei noch besonders sich ver-
pflichtet, sich mit dem Erreichten in Zukunft zu begnügen,
wogegen dann auch der Beklagte noch eine eigene Strafverpflich-
tung zu übernehmen pflegt, für den Fall, dass er in Zukunft noch
einmal das Recht des Siegers verletzen sollte. Mit diesem Straf-
gedinge ist dann der Friede zwischen den Parteien hergestellt.
’) Bruuner RG II S. 364.
lL
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203
Im folgenden sollen diese hier übersichtlich zusammenge-
fassten Grundsätze durch die überlieferten Beispiele veranschau-
licht werden; zum Schluss soll sich dann noch eine kurze Be-
trachtung des Versäumnissverfahrens anschliessen.
I. Das Urtheil.
Wir betrachten zunächst, was durch das Urtheil der unter-
liegenden Partei zu thun befohlen wurde.
Abgesehen von den Fällen des Beweisurtheils wurde der
Unterliegende, wenn er der Landnahme überführt war, zur
Zahlung der Busse verurtheilt.
Die Volksrechte enthalten bestimmte für den Landraub gel-
tende Busssätze *). Bei den Franken betrug, wenn nicht andere
erschwerende Umstände hinzukamen, die Busse fünfzehn Solidi.
So heisst es in der Lex Ribuaria 60, 2:
Si quis consortem suum quantulumcumque superpriserit,
cum 15 solidis restituat,
das heisst, wer in das Grundbesitzthum eines anderen einge-
drungen und sich ein wie grosses Stück auch immer angeeignet
hat 2 ), zahle fünfzehn Solidi Busse.
Dieselbe Summe wird dann in 60, 5 angedroht:
Quod si extra marcha in sortem alterius fuerit ingressus,
iudicium conpraehensum conpellatur adimplere.
Die gleiche Busszahl findet sich in einer Extravagante der
Lex Salica (A, 2); sie wird dort für den Fall zuerkannt, dass
jemand sich weigert ein ihm verliehenes Landstück dem Eigen-
thiimer herauszugeben; auch also ein Fall der Landnahme 3 ).
*) Brnnner RG II S. 513 Amn. 8 giebt eine Zusammenstellung der
wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen.
*) Über superpretulere in dieser Bedeutung siehe oben 8. 39.
*) Bei Hessels p. 420: Si quis terram aUennm condempnauerit et ei
fuerit adprobatum [MMD den. qui fac.J sol. LXX culp. iud. So nach den
Codd. 7, 8, 9. Nach Cod. 10: Si quis altert auicam terram suam cominen-
dauerit, et ei noluerit reddere, si eum admdUuerit et conuinxerit, DC den.
qui fac sol. XV culp. iud. — Erhöhte Bussen gelten z. B. in folgenden
Fällen: L. Sal. 14, 6: Si quis villa aliena adsalierit, quanti in eo contu-
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204
Nach bairischem Recht galt eine Busse von sechs Solidi. Lex
Baiuwariorum 17, 1:
Si quis homo pratum vel agrum vd exartum aüerius con-
tra legem malo ordine invaserit et dicit suum esse, propter
praesumptionem cum sex solidis componat et exeat.
Hierher gehört auch, wie Brunner a. a. 0. bemerkt,
die Bestimmung in 12, 6, die für den, der widerrechtlich eine
neue Grenze festsetzt, das damnum perrasinnis bestimmt, id est
sex solidos.
Die gleiche Busse findet sich im langobardischen Recht.
So bestimmt z. B. Roth. 284:
Si quis in orto alterius introierit aut salierü ad furtum
faciendum, conponat solidos sex ;
ebenso der, der einen fremden Zaun erbricht (Roth. 285), ein
fremdes Feld oder einen fremden Garten bestellt (354, 355,
356) oder verwüstet (357); in Gesetzen König Liutprands wird
dieselbe Strafe für denjenigen angedroht, der einen fremden
Wald abschlägt (Liu. 45), einen Graben auf fremden Grund
und Boden zieht (46), einen Zaun dort errichtet (47). Besonders
kommt in Betracht Liu. 148:
Si quis ex sua auctoritate terra aliena sini publico wifa-
verit , dicendo quod sua debet esse, et postea non potuerit
provare quod sua sit, conponat solidos sex, quomodo qui
palo in terra aliena figit.
Wir erinnern uns, dass nach langobardischem Recht die
Klage um Grund und Boden durch das Aufpflanzen der wiffa,
des Strohwisches, also durch einen Ancfang eingeleitet werden
konnte *) ; wer aber in dem so von ihm begonnenen Rechtsstreit
unterlag, hatte die Busse von sechs Solidi zu errichten. Diese Zahl
wurde später, wie die langobardischen Juristen auch bei dieser
Stelle hinzufügen, durch ein Kapitular Pipins von 787 auf
bcrnio probantur, mal. secthis, hoc est sol. LXIII culp. iud. Also hier tritt
Erhöhung wegen des Bandenmässigen ein. L. Bib. 60, 3: Si autem infra
testamentum rei/is a liquid invaserit, aut cum sex iurit, quod infra terminatione
testamenti nihil invasisset, aut cum 60 solidis omnem redditionem restituat.
Also Königsbann.
*) Vgl. oben S. 25.
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sechzig Solidi erhöht; d. h. es wurde die königliche Bannbusse
eingefilhrt ').
In diesen Busszahlen ist sowohl die an den Beschädigten
zu zahlende eigentliche Busse als auch das an die öffentliche
Gewalt zu entrichtende Friedensgeld, der Fredus, zusammen-
gefasst; im burgundischen Recht werden beide Zahlen getrennt
aufgeführt: z. B.
L. Burg. 25, 1 : Si quis cuiuslibet horturn violenter aut
für tim ingressus fuerit, inferat pro ipsa praesumptione
illi, cuius hortus est, sol. 3, et multae nomine sol. 6.
L. Burg. 103, 1 (Add. I, tit. 16): Qutcunque in vineam
alienam intrare praesumpserit de die furti causa, inferat
illi, cuius vinea est, solidos 3 , et multae nomine solidos Si.
Gerade aus derartigen Gesetzesstellen erhellt am deut-
lichsten, wie nah sich der Thatbestand der Landnahme mit
anderen Delikten berühren konnte.
In fränkischen Formeln begegnet für Busse der Ausdruck
legis beneficium 2 ).
So heisst es in einer aus der Sammlung von Angers, der
Beklagte solle, wenn er im Beweistermin seinen Auktor nicht
zu stellen vermöge, die eingekiagtcn Weinberge cum legis bene-
ficio revestiren ’).
Ebenso wird diese Ausdrucksweise in einer Formel aus der
Marculfscheu Sammlung verwendet 4 ).
Hierher gehört ferner eine salfränkische Formel, in der der
Beklagte verurtheilt wird,
ut secundum legem per tcadium suum apud solidos 30
predido ülo de ipso campo legibus revestisset ft ) ;
und eine andere, in der, nachdem das Gottesurtheil der Kreuz-
probe vollzogen ist, dem Unterliegenden auferlegt wird,
quod de ipsa terra ipso illo legibus revestire deberet 6 ).
So wird es zweifellos auf die Zahlung der Busse zu be-
*) Pippini Cap. Pap. a. 787 c. 14 MG Capitularia I 200. Vgl. Brnnner
a. a. 0., Pertile Storia del diritto italiano IV 8. 170.
*) Brunner RG II S. 518.
*) Nr. 20. Form. Andec. n. 47 MGF p. 21.
4 ) Nr. 50. Marc. I n. 38 MGF p. 67.
•) Nr. 73. Form. Sal. Merk. n. 29 MGF p. 252.
*) Nr. 89. Form. Sal. Bign. n. 13 MGF p. 233.
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206
ziehen sein, wenn in dem schon mehrfach behandelten burgun-
dischen Prozesse aus dem Jahre 870 der Beklagte im dritten
Termin verurtheilt wird,
ut de ipsis casnis, quas mortißcavit (also bezüglich der
vernichteten Eichenwälder), legem faceret et revadiaret
seu supradictam terram legaliter redderet.
Ausser Zurückgabe des Grundstücks soll er Zahlung der
verwirkten Busse geloben ').
Deutlich ist auch eine septimanische Urkunde von 893.
Der Beklagte, der beweisfällig geblieben ist, wird verurtheilt,
die streitige Kirche herauszugeben;
quod ita et fecit; et duas partes wadiavit et terda in
fredo de ipsa lege.
Wir sehen hier, dass zwei Drittel der Summe an die Par-
tei als Busse, ein Drittel an den Fiskus als Friedensgeld ge-
zahlt werden 2 ).
Auch eine burgundische Urkunde von c. 863 ist hier an-
zuführen. Der Vogt des Erzbischofs von Vienne erhebt wider
einen gewissen Sigibertus Klage, weil er an drei Orten die
kirchliche Immunität gebrochen habe. Der Beklagte gesteht
die beiden ersten Fälle ein, leugnet aber den dritten; er er-
bietet sich, die Unrichtigkeit des dritten Klagevorwurfs zu be-
schwören. Der Eid wird ihm erlassen und nur ein Viertel der
Immunitätsbusse auferlegt, so dass er wegen jener beiden Fälle
zusammen dreihundert Solidi zu büssen hat, deren Zahlung er
für den 1. September mit vier Bürgen verspricht 2 ).
Brunner*) weist darauf hin, dass auch das Vorkommen
des Ausdrucks cum fide facta auf das Gelöbniss der Busszah-
lung schliessen lässt.
Er findet sich z. B. in einer burgundischen Urkunde von
903, in der der Beklagte verurtheilt wird,
>) Nr. 379. Pßrard p. 149. Th p. 142 n. lOOter.
*) Nr. 441. Mfenard hist, de Nimes, preuves p. 16 n. 3; Germer-Durand
p. 17 n. 8. Th p. 167 n. 114.
*) Nr. 362. ü’Achftry Spicilegium I p. 358. Th p. 135 n. 96. Diese
beiden letzten Beispiele führt Brunner RG II S. 519 Anrn. 36 an.
*) a. a. 0.
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207
ut alodetn secundum legem et iudicium per guadium suum
reddidisset una cum lege et fide facta').
Ferner in einem Köuigsplacitum Karls des Grossen, das
eine 775 zu Schlettstadt geführte Verhandlung betrifft und in
der, wie bereits erwähnt worden ist, auf das Gottesurtheil der
Kreuzprobe erkannt wurde, weil die von den Parteien vorge-
legten Urkunden sich widersprachen. Der Beklagte zitterte zu-
erst; desshalb
ipse et Aldradus (der Mitbeklagte) . . . ipsas res .. .
per eorum wadiu una cum legibus fidefacta . . . visi sunt
reddidisse *).
Ähnlich in dem diedenhofener Placitum Karls des Grossen
aus den Jahren 777 bis 791. Die Beklagten werden ver-
urteilt,
ut in presentia nostra das eingeklagte Kloster cum fide
facta reddere deberent 3 ).
Um eine verstärkte Busssumme dürfte es sich auch in
folgender bereits anderweitig besprochenen bairischen Urkunde
von 818 handeln. Der Beklagte wird auf Grund stattgehabten
Inquisitionsbeweises verurteilt die streitigen Gegenstände an
den Bischof von Freising uiul seinen Vogt herauszugeben. Er
timt das, und dann heisst es weiter:
fideiussor Uuolfieoz wadiavit omnia sirniUa, item Uuol-
fieoz fideiussor pro altare 40 solidos.
Dieser Bürge verbürgt sich also einmal für die Vornahme
der realen Investitur (von der die Urkunde dann noch berichtet),
ausserdem aber, wie es scheint, für die vom Beklagten ver-
wirkten vierzig Solidi 4 ). Es liegt hier offenbar der in L. Baiuw.
17, 1 gemeinte Fall vor; der Beklagte hatte dreimal erklärt,
ecclesiam suam proprium esse; das ist das et dicit suum esse des
Volksrechts; die erhöhte Summe dürfte mit Rücksicht auf L.
Baiuw. 1, 6 festgesetzt sein, wo es heisst:
*) Nr. 459. Besly p. 224.
*) Nr. 94. Grandidier Strasbourg II p. 118 n. 69. Mfthlb. 196. Dies
Beispiel führt Brunner RG II S. 519 Anm. 35 an.
*) Nr. 130. Waitz in den Forschungen z. d. G. III p. 151. Beyer
mitteirhein. UB I p. 32 n. 27. Mühlb. 252.
4 ) Nr. 219. Meich. I 2 p. 194 n. 368. LSch p. 32 n. 50.
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208
Et quisquis de rebus ecclesiae furtivis probcttus fuerit,
ad partein fisci pro fredo praebeat fideiussorem, et donet
tvadiurn de quadraginta solidis, et tantum solvat quantum
iudex iusserit.
Ganz ebenso verhält es sich in einer anderen bairischen
Urkunde (823). Der Bischof Hitto von Freising und sein Vogt
erheben wider Adaluni Klage um die Kirche zu Holzhausen;
ihr Recht wird gleichfalls durch Inquisition erwiesen. Der
Beklagte giebt die Kirche zurück. Und dann heisst es hier
wie oben:
Regino ßdeiussor omnia similia wadiavit; Regindeo, Hitto,
Heipo, Cote/rid fideiussores pro aUare wadiavit XL soli-
des; Oadalperht ßdeiussor.
Hier wird also die Zahlung der Busse von vierzig Solidi von
mehreren Bürgen gewährleistet. Dass es sich in der That um
eine Busse handelt, ergiebt der Schluss der Urkunde:
Tum vero a multis post ul nt us . . . episcopus perdonavit
illam conpositionem usque ad XL solidos.
Das heisst, wie ich übersetzen zu müssen glaube, der Bi-
schof, der Kläger, erlässt dein Beklagten die Zahlung der vier-
zig Solidi betragenden Busse 1 ).
Von einem Erlass der Busse handelt auch folgende bai-
rische Urkunde aus dein Jahre 804. Der Vogt der Bischofs
von Freising klagt wider Lantfrid um Güter in Scharnitz und
beweist das Eigenthum der Kirche durch Inquisition. Der Be-
klagte wird zur Herausgabe verurtheilt. Er aber ist störrisch
und will sich die Hälfte des Streitgegenstandes sichern;
tune ipsi missi, die Vorsitzenden Königsboten, so fährt
die Urkunde fort, um cum kis, qui in ipso placito ad-
fuerunt percogitantes stultitiam eius, nt etiam sine gravi
damno evaderet in mercedem sanctae Bei ecclesiae et
Domni Imperatoris, rogantes ipsum venerabilem Attonem
episcopum conpladtuverunt ei, nt lieuisset ei sine conpo-
sitione legitima res predictas sanctae ecclesiae sana manu
etiam sine conpositione emunitatis Ilegis et sine debito
regali reddere.
Also auf Gestatten des Klägers erlassen die Richter dem
>) Nr. 243. lleich. I 2 p. 248 n. 479.
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209
Beklagten in Anbetracht seiner Einfältigkeit die Busse und das
dem Fiskus verfallende Friedensgeld 1 ).
Auch für Italien können einige urkundliche Belege beige-
bracht werden.
Zunächst ein Prozess, der zu Lucca im Jahre 786 geführt
worden ist. Der Priester Deusdedit klagt wider den Priester
Deusdona um die Kirche des h. Angelus, die ihm durch Ordi-
nation seitens des Beklagten übertragen, dann aber entzogen
worden sei, indem Beklagter ihm die Ordinationsurkunde ge-
stohlen habe und nun sein Recht auf die Kirche bestreite.
Der Beklagte sucht sich schliesslich dadurch herauszureden,
dass er angiebt nicht er, sondern ein Dritter habe in seinem
Auftrag den Diebstahl ausgeführt. Nachdem der Inhalt jener
Urkunde durcli Zeugen erwiesen ist, wird der Dritte zur Wa-
diation der gesetzlichen Busse, also im vorliegenden Falle der
für Entwendung einer Urkunde festgesetzten Busse, verurtheilt ®).
Wie man sieht, kommt hier ein Analogon für den Immobiliar-
prozess in Frage.
Dagegen gehört eine farfenser Urkunde von 798 ganz
hierher. Im Königsbotengericht zu Spoleto erhebt das Kloster
Farfa wider den Herzog Guinichis Klage, weil seine Leute die
Fischereien des Klosters geschädigt' haben;
contenderent piscarias monasterii ... et retia . . . rupissmt
et pisces tulissent et homines eius vapulassent.
Der Herzog muss die Thatsache zugeben, aber er erklärt
es sei ohne sein Wissen und Wollen geschehen. Darauf ergeht
ein Urtheil auf Revestitur.
Insuper , bekunden die Vorsitzenden, fecimus eos {— eis,
den Klägern) dare guadiam de compositwne iuxta legem,
pro eo quod homines eius ibi vapulati fuissent et räia
rupta vel pisces ablati s ).
Endlich eine weitere, bereits behandelte, farfenser Urkunde
aus dem Jahre 811. Der Priester Clarissimus wird von Farfa
*) Nr. 166. Meich. I 2 p. 88 n. 116. Mon. Boica IX p. 17 n. 10. —
Über (len Ausdruck sana manu reddere siehe Brunner RG II S. 519 Anm. 38.
*) Mem. di Lucca V 2 p. 123 n. 211. Muratori Ant. I c. 531. Brunetti
n 1 p. 268 n. 26.
*) Reg. di Farfa II p. 142 n. 171. Fat.teschi p. 284 n. 39.
Hiibner, frank lmmobillitrprozess. 14
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verklagt, weil er sich geweigert habe ein früher gegen ihn er-
gangenes Urtheil auf Herausgabe widerrechtlichen Besitzes zu
erfüllen. Nachdem bewiesen worden ist, dass thatsäcblich ein
solches Urtheil ergangen war, wird der Beklagte zur sofortigen
Herausgabe veranlasst,
et fecimus ipsum Clarissimum dare guadiam ipsi Izzoni
presbitero et Leoni sculdahis (den Vertretern von Farfa),
ut eis conponeret, sicut Ule qui malo ordine in terram
alienam introibit aut signata alterius cappilavit.
Eine deutliche Anspielung auf die oben (S. 204) citierte
Stelle des langobardischen Edikts.
Diese angeführten Beispiele veranschaulichen in ausrei-
chender Weise die gesetzliche Verpflichtung des Beklagten sein
Unrecht, das malo ordine possidere , intrare u. s. w., durch Buss-
zahlung zu sühnen.
Aber die Seltenheit der Beispiele zeigt uns zugleich, dass
es in der fränkischen Zeit bereits zu den Ausnahmen gehörte,
wenn die unterliegende Partei dem Gegner Busse entrichten
und Friedensgeld zahlen musste ; in den meisten Fällen handelte
es sich nur um Wiederherstellung des verletzten Rechts-
zustandes.
In den Fällen eigentlicher Landnahme wird daher dem Be-
klagten Herausgabe des widerrechtlich in Besitz genommenen
Grundstücks durch das Urtheil anbefohlen.
Das ist in unzähligen Fällen der Inhalt des Urtheils. So
heisst es z. B. in einer burgnndischen Urkunde von 843, dem
Beklagten sei geurtheilt worden,
ut ipsas res (Güter in villa Balgiaco) dem Kläger secun-
dum legem per suum wadium revestire deberet ;
also das Urtheil geht auf Gelöbniss der Rückgabe 1 ).
Ebenso verhält es sich in der oben erwähnten burgundischen
Urkunde von 903; Urtheil, dass Beklagter dem Kläger
alodem secundum legem per guadium suum reddidisset *).
In einer septimanischen Urkunde von 909 wird der Be-
klagte verurtheilt,
quod donasset duos wadios in manus episcopi Ugberto
■) Nr. 316. PSrard p. 33 n. 13.
*) Nr. 459. Besly p. 224. Vgl. oben S. 207.
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211
(des Klägers), ut cum legibus ipsum alodem suprascriptum
remnndasset *).
Tn einer anderen aus dem Jahre 972 heisst es, diesmal
vom Kläger, dass er
per guadium suum, id est per festucam de vite, ipsas res
suprascriptas in manu episcopi (des Beklagten) reddi-
disset et guirpitionem effidsset, d. h. seinen Verzicht aus-
spreche 8 ).
Sehr viel häufiger aber sind die Beispiele, in denen direkt
die Herausgabe anbefohlen wird.
Es sei an das vorhin (S. 207) erwähnte diedenhofener
Placitum Karls des Grossen erinnert, in dem gegen die Be-
klagten das Urtheil ergeht,
nt in presentia nostra dem klagenden Erzbischof von
Trier das Kloster Mettlach reddere deberent 3 ).
In einer burgundischen Urkunde von 870 werden die Be-
klagten verurtheilt,
ut res secundum legem redderent supradidas 4 ).
Auf Räumung und Herausgabe lautet das Urtheil in einer
Reihe von septimanischen Urkunden; es pflegt hier meistens
zugleich unter Berufung auf die Lex Wisigothorum ein Gerichts-
diener, der Sajo, mit der Revestitur beauftragt zu werden.
So heisst es in einer Urkunde von 782:
ordinavimus Milone comite (Bekl.), ut de ipsas villas se
exigere fecisset et Arlogno assertore, causidico et manda-
tario Danielo archiepiscopi (Kl.) per suum sagonem reves-
tire fecisset 5 ).
In einer aus dem Jahre 836:
decrevimus iudicium lege Gotorum et ordinavimus Juliano
saione nostro, ut de omnes istas terras et vineas et eccle-
siae (-as) Sande Marie David abbate (Kl.) tradere et
revestire faciat 6 ).
In einer Gerichtsverhandlung zu Ampurias aus dem Jahre
‘) Nr. 472. Mtnarcl preuves p. 17 n. 4. Germer-Durand p. 25 n. 26.
*) Nr. 580. Vaissete V c. 267 n. 121.
s ) Nr. 130. Forsch, z. d. G. UI p. 151. Beyer I p. 32 n. 27. Mühlb. 252.
♦) Nr. 381. Pferard p. 150. Th p. 147 n. 103.
4 ) Nr. 116. Vaissete II c. 47 n. 6 (nicht 5, wie in den Regesten steht).
*) Nr. 287. Vaissete II e. 194 n. 90.
14 *
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843 handelt es sich um die Wasser- und Landzölle der Graf-
schaften Ampurias und Pietralata, um die sich der Bischof von
Gerona und der Graf Adalricus streiten; der beklagte Graf
wird verurtheilt;
decrevimus iudicium et ordinavimus ipso comite vel suum
mandatanum S., ut ipso teloneo et pascuarüi pleniter
reddidissent atque revestissent ipso episcopo vel suum
mandatarium 1 ).
Ferner findet sich ein derartiger Urtheilsbefehl der Regel
nach in den bairischen Urkunden.
So z. B. in einem Placitum aus dem Jahre 804, in dem
durch Inquisitionsbeweis das Eigenthum des Freisinger Bisthums
an mehreren Kirchen festgestellt wird, worauf dann der be-
klagte Abt und sein Vogt zur Herausgabe verurtheilt werden ;
et ita üulicaverioU omties, qui in eodem plaäto fuerunt,
iustum esse, ut reddcrentur Attoni episcopo et advocato eins,
worauf dann sofortige Übergabe stattfindet*).
Hierher ist auch eine missatische Urkunde von 822 zu
rechnen. Auch hier wird das Recht der Freisinger Kirche nach-
gewiesen. Nachdem der Inquisitionsbeweis geführt worden ist,
befiehlt der Königsbote das Urtheil zu fällen. Zuerst spricht
es der publicus iudex Kisalhardus, dann zehn Grafen, dann
51 Vasallen und andere, endlich aber
cuncti, qui ibidem aderant, una voce sonabant: ad legem
vel iustitiam Hittonem vel de/ensorem eins inde vestituram
recipere debere.
Das heisst also, die Beklagten sollen die streitige Kirche
zu Unterkirnberg herausgeben s ).
Ebenso bezieht es sich auf die Herausgabe, wenn es z. B.
in einer Urkunde von 823 heisst:
l ) Nr. 318. Marca Hisp. c. 799 n. 96. — Ganz ähnlich sind folgende
Urkunden: Nr. 334. Vaissete II c. 287 n. 139, Th p. 118 n. 88 (8ö2); Nr. 359.
Vaissete II c. 331 n. 161, LSch p. 44 n. 64, Th p. 128 n. 94 (862); Nr. 383.
Vaissete II c. 356 n. 174 (870); Nr. 441. M£nard p. 16 n.3, Germer-Durand
p. 17 n. 8, Th p. 167 n. 114 (893) ; Nr. 458. Germer-Durand p. 19 n. 9 (902).
*) Nr 169. Graf Hundt Abhandlungen XII p. 219 n. 13.
*) Nr. 238. Meich. I 2 p. 247 n. 470. — Über die Art der Urtheil-
findnng vgl. Brunner Zeugen- und Inqnisitionsbeweis S. 463, 483, 492. 500;
Entstehung der Schwurgerichte S. 108, 116; RG I S. 150 Anm. 54.
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tune quoque iusserunt misst Adalunam (Bekl.) iustitiam
facere *).
In dem Rechtsstreit, der in der Mitte des zehnten Jahr-
hunderts zu Zürich zwischen dem Chorherrenstift und dem
Nonnenkloster spielt, wird gegen das Kloster das Urtheil ge-
fällt,
quod iusta lege illis debuisset reddi s ).
Häufig genug ergeht auch in Italien das Urtheil in ähn-
licher Weise.
Nachdem die im August 801 im Gebiet von Spoleto vor König
Pipin gegen Liutprand erhobene Klage des Klosters Farfa um
Besitzungen zu Pompiniano durch Anerkenntniss des Beklagten
erledigt worden ist, erklären die Richter:
paruit nobis esse rectum et ita iudicavimus, ut ... .
ipse Liutprandus presbyter de ipsts rebus Scaptul/um
advocatum ad partem monasterii revestisset s ).
Ebenso heisst es in einer unmittelbar gleichzeitigen Ur-
kunde von Farfa:
dum talüer de omnibus nos auditores cognovissemus veri-
tatem, paruit nobis esse rectum et ita iudicavimus, ut . . .
ipse Ageris (Bekl.) parti monasterii de ipsis rebus reves-
tire deberet 4 ).
In einer ravennatischen Urkunde von 838, die einen Rechts-
streit zwischen der Apollinariskirche und dem kaiserlichen Vassus
Bruningus betrifft, bleibt der Beklagte beweisfällig; nachdem
er Verzicht geleistet hat,
judicavimus, ut de ipsas fundoras — Appolonaris reddere
et investvre debere 6 ).
Zu Como erhebt im März 865 vor dem Königsboten Ever-
ardus das mailänder Ambrosiuskloster wider drei Brüder um
Besitzungen zu Dugno und Gravadono Klage. Beklagte sind
nicht im Stande ihre Einrede des dreissigjährigen Besitzes zu
beweisen; daher werden sie verurtheilt,
') Nr. 243. Meicb. I 2 p. 248 n. 472.
•) Nr. 632. UB der Stadt u. Landschaft Zürich I p. 91 n. 199.
*) Reg. di Farfa II p. 134 n. 161. Galletti Gabio p. 60. Ficker p.
5 n. 4.
4 ) Reg. di Farfa II p. 137 u. 165. Galletti Rieti p. 32. Ficker p. 6 n. 5.
4 ) Fantuzzi n p. 5 n. 2. Vesi doc. I p. 86.
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ui revestisset suprascriptis gennanis de ipsis casis et rebus
Jordanne advocato ; d. h. die drei Brüder sollen dem
Klostervogt Revestitur ertheilen 1 ).
Nun findet sich aber daneben in zahlreichen Urkunden, dass
der Inhalt des Urtheils sich nicht oder nicht nur auf die Her-
ausgabe des streitigen Grundstücks bezieht, sondern dass durch
eine Bestätigung des Rechts der obsiegenden Partei von Ge-
richtswegen der verletzte Zustand wiederhergestellt wird.
Es ist gebräuchlich dem auf Herausgabe gerichteten Ur-
theilsbefehl eine solche Bestätigung für die Gegenpartei folgen
zu lassen.
Als Beispiel sei ein Placitum König Childeberts III. von
710 angeführt. Durch Inquisitionsbeweis wird die Wahrheit
der klägerischen Behauptung erkannt und der Majordomus
Grimoald zur Herausgabe der Zölle von Paris au das Kloster
St. Denis verurtheilt:
notri fidelis visi fuerutU decremssi vel iudecasse, ut agen-
tes ipsius viro GrimoaMo pro partem fisce nostri eusdem
exinde per wadio de ipso teleneu in integritale revestire
debirent.
Dann, nachdem dies geschehen, fügt der König die Rechts-
bestätigung zu Gunsten des Klosters hinzu:
iobimmus, ut omne tempore pars predkte monastiriae s.
Dionisii ... et Dcdfinus abba vel successoris sui ipso
teleneu in ititegretati de ipsa festivetate s. Dionisii . . .
omne tetnpore . . . habiant evindecatum adque elidiatum *).
Es ist dies die in den merovingischen und den älteren
karolingischen Königsplacitis allgemein übliche Bestätigungs-
formel 8 ); wir sehen deutlich, wie sie am Ende des Rechtsstreits
nach stattgehabtem Beweisverfahren und vor allem nach erfolgter
Befriedigung des Klägers, nach Vornahme der Investitur, aus-
gesprochen wird, also einen lediglich deklaratorischen Charakter
hat.
’) Cod. Laug. c. 395 u. 236. Muratori Aut V p. 275. Fuinagalli
p. 383.
>) Nr. 54. DDM p. 68 u. 77.
a ) Fernere Beispiele: Nr. 61. DDM p. 103 n. 16 (747); Nr. 75. DDM
p. 107 n. 22 (751); Nr. 94. Grandidier Strasbourg II p. 118 n. 69, Mühlb,
196 (775).
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Auch in Formeln der älteren Zeit findet sie sich in der-
selben Weise, so dass wir annehmen können, dass auch Privat-
urkunden in dieser Weise abgefasst wurden, obwohl mir keine
Beispiele vorliegen.
Ich führe nur eine salfränkisehe Formel an, die dem schlett-
städter Placitum Karls des Grossen von 775 entspricht: der Be-
klagte ist im Oottesurtheil der Kreuzprobe unterlegen; darauf
wird er verurtheilt Busse zu zahlen und die Revestitur vorzu-
nehmen. Nachdem dies geschehen,
tune taliter ei (dem Kläger) iudicaverunt, ul ipsi illi
de praesente die ipsa terra contra ipso illo vel heredis suis
quam contra quemlibet hominem omneque tempore habeat
evindicata adque elidiutu, tarn ipsi illi quam et posteritas
sua de post lmnc die praedicta terra quieto online valead
possidere vel dominare, et ducti et securi exinde valeant
resedere ! ).
Mit der Zeit aber verwischte sich die scharfe Trennung
zwischen Urtheil auf Leistung des Unterlegenen und Bestätigung
zu Gunsten des Siegers; man zog beides in die Urtheilsformel
zusammen, ja es kam auf, sich mit einer gerichtlichen Be-
stätigung des nachgewiesenen Rechtes überhaupt zu begnügen.
Das scheint schon in dem zu Brocmagad 770 abgehaltenen
Placitum König Karlmanns der zu Fall zu sein. Der Pfalzgraf
Hroduinus klagt wider den Fiskus um den ihm und seinen gamed-
diones verliehenen, von den königlichen Beamten ihm bestrittenen
Wald Benutzfeld in der Centena Belslingen in den Ardennen
nebst einer Were im Gewässer des Waldbanns. Es ist eine
Klage um malo online invasio. Er beweist sein Recht durch
Königsurkunden und Zeugen. Darauf heisst es vom König:
iusticiam ei reddimus de loco qui dicitur BenezveU . . .
. . ; iubemus, nt ab hac die ipsa silva .... habere debe-
ant evindicata atque eligidicata tarn nostris quam et futuris
temporibus, ut nullus iudex publicus de partibus nostris
ullo umquam tempore ubstrahere vel minuere neque contra-
dicere non debeat de ipsa silva *).
*) Nr. 89. Form. sal. Bigu. n. 13 MGF p. 233. — Im übrigen sei für
die Formel auf das Register Zenmers s. v. elitigatus verwiesen.
J ) Nr. 82. Beyer I p. 26 n, 22. Mtthlb. 123.
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Also von einem Befehl auf Herausgabe ist nichts erwähnt;
wenngleich freilich im vorliegenden Fall das auch darin
seinen Grund haben könnte, dass der König diesen Befehl
gewissermaassen an sich selbst als Vertreter des Fiskus richten
müsste.
Man vergleiche ferner folgende bairische Urkunde. Im
Jahre 802 erhebt zu Regensburg im Gericht des Königsboten
die Nonne Engilfrida im Beistand ihres Bruders wider den Vogt
des Bischofs von Freising Klage um ihr väterliches Erbgut
in Lindum, das der Bischof unrechtmässig in Besitz genommen
habe. Durch Inquisition wird das Eigenthum des Bisthums er-
wiesen ;
et statim difftnUtim est in ipso plaeito , et hdbeat ipsas
res episcopus ad suam ecclesiatn omnibus diebus evindi-
catas ').
Es ist klar, dass in einem solchen Fall von einer Heraus-
gabe keine Rede sein kann, denn der im Besitz befindliche
Beklagte ist der Sieger; sein Besitz wird also rechtmässig an-
erkannt und bestätigt. Derartige zu Gunsten des Beklagten
ergehende Urtheile sind durch eine Reihe weiterer Beispiele zu
belegen, die aber weiter nichts besonderes bieten.
Wenn es dagegen in einer allerdings sehr kurzen Urkunde
aus der Bretagne von 833 heisst, Kläger habe geklagt
propter suam hereditatem de Brufia, et iudicaverunt sca-
vini . , quod iUa debeat habere hereditatem in Brufia,
so fehlt hier ein an das beklagte Kloster gerichteter Befehl auf
Herausgabe, obwohl doch gewiss die Klage auf sie gerichtet
war *).
Und das finden wir dann häufiger in Italien.
Als Beispiel diene eine farfenser Urkunde von 749. Das
Kloster Farfa klagt vor dem Königsboten zu Rieti wider Ru-
dolfus und Adualdus um Gehöfte im Wald des heiligen Hya-
cinthus. Beklagte hatten sich verpflichtet ihre Einrede zu be-
weisen. Sie erklären jetzt dazu nicht im Stande zu sein. Da-
her heisst es vom Königsboten:
*) Nr. 165. Meich. I 2 p. 90 n. 118.
*) Nr. 273. Cart. de Bedon p. 354 app. n. 3.
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renuntiavimus Audol/o et Adualdo, wt ab ipsis casalibus
sint taciti et quieti, et ipsos casales pertinere manasterio ').
Hier ist der Unterschied gegen den auf Redditio gerichteten
Urtheilsbefehl klar.
Ebenso z. B. in einer Gerichtsurkunde von 887, die einen
zu Asti verhandelten Prozess betrifft. Der Vogt des Bischofs
von Asti klagt gegen den Bischof von Turin um Höfe, Grund-
stücke und Weinberge bei Savona, die in dreissigjährigem Besitz
seiner Kirche gestanden hätten. Die vom Beklagten vorgelegte
Urkunde wird vom Kläger gescholten und wegen formeller
Mängel (sie ist nicht von einem öffentlichen Notar geschrieben)
verworfen.
Der Beklagte leistet Professio;
tune apparuit nobis . . . esse recta ita et iudicavimus
ipsis casis et res seu olivetis habere et detinere debeant
pars eedesiae S. Mariae et S. Secundi et in
nostris presentia ipse Landus episcopus (d. h. den Bekl.)
eunde Oransone (dem klagenden Vogt) . . . investire feci-
mus ad proprietatem S. Marie.
Also das Urtheil selbst enthält nur eine Bestätigung zu
Gunsten des Klägers ; dann erst folgt der Akt der Investitur *).
Wir sehen, das Urtheil ergeht in diesem Fall nachdem der Be-
klagte durch Professio anerkannt hat kein Recht zu haben.
Und in den zahlreichen Fällen, in denen der Rechtsstreit
einen solchen Verzicht der einen Partei hervorrief, war es vor
allem üblich ein derartiges bestätigendes Urtheil auf die Ver-
zichtleistung und Anerkennung folgen zu lassen.
Ein solcher Verzicht, meist technisch Manifestatio, Pro-
fessio, genannt, konnte in jedem Stadium des Rechtsganges er-
folgen.
Wir haben oben im zweiten Kapitel die Fälle betrachtet, in
denen dies seitens des Beklagten unmittelbar nach der Klage-
erhebung geschah, in denen also von einem weiteren Rechts-
gange keine Rede war.
Häufiger aber lag zu einem solchen Verzicht Veranlassung
') Reg. äi Farfa II p. 35 n. 22. Troya IV p. 339 n. 623. Galletti
Gabio p. 86 n. 6. Fatteschi p. 262 n. 7.
*) Chart. I c. 74 n. 45.
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vor, wenn das Beweisverfahren bereits begonnen oder seinen
Abschluss gefunden hatte, und dabei das unzweifelhafte Recht
des Gegners zu Tage getreten war.
Die Urkunden bieten zahlreiche Beispiele derartiger Fälle;
nur einige wenige mögen erwähnt werden.
Ein Anerkenntniss des Beklagten nach begonnenem Beweis-
verfahren liegt z. B. vor, wenn in einer cluniacenser Urkunde
von 814 *) der Kläger sich in rechtsförmlicher Weise zum Be-
weis seines Rechts erbietet, darauf seine Urkunde dreimal ver-
lesen lässt, und nun die Beklagten auf Anfrage des Gerichts
erklären, die Urkunde des Klägers sei wahr.
Oder wenn es in einer Urkunde von 876 *) heisst, der
Beklagte habe zuerst leugnen wollen, dann aber habe er, von
den Klägern und anderen boni homines überzeugt, den klägeri-
schen Anspruch anerkannt.
Allerdings erst etwas spät entschliesst sich zu dem gleichen
( coucredidü se)Anselmus im Jahre 902, nämlich erst nachdem die von
ihm vorgelegten Urkunden als gefälscht erkannt worden sind s ).
In einem anderen Fall genügt noch nicht einmal der Schwur
des Klägers; erst als er sich auch zum Zweikampf erbietet,
verzichtet der Beklagte 4 ).
Auch die endliche Erklärung des Beklagten keine Beweise
mehr zu haben, darf in vielen Fällen als indirekte Anerkennung
des gegnerischen Rechts aufgefasst werden.
In Italien ist es besonders häufig, dass der Beklagte mit
seiner Erklärung bis zu dem Augenblick wartet, in dem
der Kläger seinen Eid zu leisten im Begriffe steht; dann —
oft sind schon die Evangelien zur Stelle geschafft — erklärt
der Beklagte, er schenke den Eid (donare sacramentutn), wofür
er nach bekanntem Grundsatz des langobardischen Rechtes, das
nur entgeltliche Geschäfte für rechtlich wirksam ansieht, vom
Kläger eine Entschädigung in Form des Launegilds erhält.
Der Umschwung, der in der Seele des Beklagten eintritt
und ihn zur Aufgabe des Kampfes veranlasst, kann unter Um-
‘) Nr. 202.
*) Nr. 405.
*) Nr. 458.
♦) Nr. 535.
Chart, de Cluny I p. 6 n. 3.
Pirard p. 152.
Germer-Durand p. 19 n. 9.
Chart, de Cluny II p. 75 n. 979.
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219
ständen so heftig sein, dass er. wie ein gewisser Auripertus, der
zu Lucca im Jahre 865 von der Cassianuskirche um Grundstücke
in Basilica verklagt worden war 1 ), nach trotziger Betonung
des eigenen Rechtes dem Vorsitzenden zu Füssen fällt und sein
Unrecht eingestellt. Oder er hat sich auf Urkunden berufen, sie
auch im Beweistermin vorgelegt; nun aber zerreisst er sie,
übergiebt sie dem Kläger nnd erkennt dessen Recht an s ).
Geschah nun der Verzicht in der Art, dass der Beklagte
gleich von selbst die Rückgabe in symbolischer Form vollzog
oder die reale Revestitur an Ort und Stelle in bindender Weise
gelobte, so konnte ein Eingreifen des Gerichts vollständig ent-
behrt werden. So finden wir denn in zahlreichen Urkunden,
z. B. in den vielen fast wörtlich übereinstimmenden Werpitiones
der Urkundensammlung von Cluny, mit dem Verzicht des Be-
klagten die Sache endgültig erledigt.
Ganz besonders häufig ist das, wie oben schon einmal her-
vorgehoben worden ist, in Italien gewesen. Wie Ficker nach-
gewiesen hat *), galt nach den späteren Urkunden die Professio
oder Manifestatio geradezu als Ziel des Beweisverfahrens, das
Geständniss , in dem der Besiegte das Recht des Siegers aner-
kannte und sich zu ewigem Stillschweigen nnd zur Zahlung einer
Strafsumme für den Fall neuer Anfechtung verpflichtete. Mit
diesem Geständniss fand, wenigstens in früherer Zeit, das
Streitverhältniss seinen Abschluss, so dass ein Eingreifen des
Gerichts gar nicht mehr nöthig war. Ficker führt Beispiele
an, aus denen hervorgeht, dass häufig eine solche Austragung
ohne Urtheil üblich war. Später allerdings bildete sich die feste
Regel heraus, dass der Rechtsstreit einerseits zwar stets mit einem
Urtheil abschloss, andererseits aber stets ein Geständniss vor-
anging. Besonderheiten galten im Verfahren der Romagna.
Aber es kam doch auch von jeher vor, dass das Gericht
noch seinerseits nach dem Verzicht ausdrücklich eine Bestätigung
des klägerischen Rechts aussprach.
') M. di Lucca V 2 p. 466 n. 774. Muratori Ant. I c. 495.
J ) Gattula Acc. I p. 69 (966).
s ) Ficker Forschungen zur Reichs- nnd Rechtsgeschichte Italiens I
S. 23 — 27, 53 ff. Es erscheint überflüssig die von Ficker gefundenen
Ergebnisse im Text durch weitere Beispiele zu veranschaulichen.
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220
Beschränkte sich der Beklagte darauf im allgemeinen
seinen Widersprach fallen zu lassen ohne sofort die wirkliche
Rückgabe daran anznschliessen. so war ein Sprach des Gerichts
wenn auch nicht erforderlich, so doch angebracht. In diesen
Fällen finden wir dann häufig, dass das Gericht sein Urtheil
„gemäss der vom Beklagten geleisteten Professio und Manifes-
tatio“ fällt, sei es, dass es ihm noch ausdrücklich die Befrie-
digung des Klägers auf erlegt, sei es, dass es eine Bestätigung
und Bekräftigung klägerischer Rechte ausspricht.
Aber nicht nur der Beklagte leistet unter Umständen Ver-
zicht aus freien Stücken, auch auf Seiten des Klägers finden
wir das Gleiche.
In der merkwürdigen, schon mehrfach herangezogenen bre-
tonischen Urkunde über eine in den Jahren 828 — 840 zu Brufia
geführte Gerichtsverhandlung ') heisst es ausdrücklich, die Kläger
hätten nach den Gegenausführangen ihres beklagten Bruders
es bereut, gegen ihn Klage erhoben zu haben:
habuerunt penitetitiam eo quod accusassent frntrem suum ;
sie verzichten auf ihren Ansprach.
In einem Prozess zwischen dem Abt von Cluny und dem
Vogt der Peterskirche um Besitzungen im Gau von Lyon ver-
zichtet der klagende Abt, nachdem der Beklagte einen Kämpen
gestellt hat, der den dreissigjährigen Besitz der Kirche im Zwei-
kampf zu vertheidigen bereit ist*).
Als der Bischof von Mäeon sein Recht an der seiner Kirche
geschenkten colonia durch Zeugniss verschiedener Leute nach-
gewiesen hat, lässt der Kläger jeden Anspruch fallen (werpivit
cunctam querelam, quod reclamabat) *).
Sehr häufig sind derartige Fälle auch in Italien; die Pro-
fessio des Klägers erfolgt, wenn das Recht des Beklagten durch
Urkunden oder wenn es durch Zeugen nachgewiesen ist; auch
hier ist es dann üblich, dass auf den Eid des Gegners gegen
Launegild verzichtet wird.
Wollte das Gericht in diesen Fällen klägerischen Ver-
zichts noch seinerseits eingreifen, so konnte es sich, weil ohne
*) Nr. 312. Cartnlaire de Redon p. 148 n. 192. Th p. 115 n. 85.
*) Nr. 495. Chart, de Cluny I p. 242 n. 251. Th p. 183 n. 126 (925).
’) Nr. 598. Cartulaire de M&con p. 236 n. 409 (971—986).
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221
Ausnahme der Beklagte im Besitz befindlich und daher eine
Änderung der augenblicklich bestehenden Besitzverhältnisse
nicht erforderlich war, darauf beschränken in bestätigender
Form das Recht des Beklagten zum offenkundigen Ausdruck zu
bringen. Freilich war das auch hier nicht nöthig, und so
schliesst auch hier häufig der Prozess mit der Verzichtser-
klärung der Partei ab.
Dass zuweilen das Anerkenntniss der einen Partei durch
eine materielle Gegenleistung (also abgesehen von den Fällen
des Launegild) ausgeglichen wurde, die zwischen den Parteien
erfolgende Einiguug also den Charakter des Vergleichs annahm,
ist ein Umstand, der das Wesen des Prozesses nicht näher
berührt.
Auf diese Weise geschieht es, dass, zumal in Italien, wo
wie bemerkt schliesslich stets eine Professio erfolgte, die Ur-
theile sich damit begnügen auf das Anerkenntniss des Unter-
legenen Bezug zu nehmen und sich so auf eine ganz allge-
meine Formel, die in jedem Fall angewendet werden kann,
zu beschränken.
In älterer Zeit war es, um das zum Schluss zu bemerken,
nicht ausgeschlossen gewesen, dass auch nach erklärtem Ver-
zicht das Urtheil, wie in den übrigen Fällen, auf Heraus-
gabe ging.
So heisst es z. B. in einer schon öfter besprochenen sal-
fränkisehen Formel, in der der Beklagte seinen Gewährsmann
nicht stellen kann und desshalb professus apparuü, es sei geur-
theilt worden,
ui secundum legem per wadium suum apud solidos 30
predido iüo de ipso campo legibus revestisset *).
Nach einer septimanischen Urkunde von 909 verhält es sich
ähnlich. Der Beklagte erkennt durch Recognitio das Recht
des klagenden Bischofs an;
se recognovit, quod vere dicebat domnus episcopus: ego
Airardus ipsum cdodem supradidum malum ordinem teneo,
incontra lege.
Darauf ergeht das Urtheil,
*) Nr. 73. Form. aal. Merk. n. 29 MQF p. 202.
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222
quod donasset duos wadios in manu episcopi Ugberto et
mm legibus ipsum alodem suprascriptum remandasset ’).
Es versteht sich, dass in all den Fallen, in denen ein be-
stätigendes deklaratorisches Urtheil ergeht, dies den Charakter
eines Endurtheils hat. Aber auch die Urtheile auf Leistung,
auf Herausgabe des Grundstückes nehmen doch schon früh die-
sen Charakter an, obwohl bereits oben bemerkt worden ist, dass
nur dann, wenn ein Verzicht vorlag, ein Endurtheil im eigent-
lichen Sinn, sonst überall ein zweizfingiger, ein Beweis- und
Endurtheil in sich vereinigender Entscheid erfolgte. Der-
artige zweizüngige Urtheile, in denen das Beweisthema for-
muliert und bestimmt wird, was zu geschehen habe, je nachdem
dieser Beweis erfolgt oder nicht, treffen wir besonders in den
Formelsammlungen.
Mehrere Beispiele bietet die Sammlung von Angers. So
ergeht auf eine Klage wegen unberechtigten Ziehens eines
Grabens das Urtheil,
xd Uli (Bekl.) in noctis tantas apxtd homines tantus, vici-
mk circa manentis de ipsa condita, mono sua quarta in
basileca .... ex extsare deberit, quod terra sua male
ordine numquam fodasset. Si hoc facere potebat, quietus
et securus resediat; sin aidem non potuerit, contra ipso
hominum satis/acere debiat *).
Ganz ähnlich heisst es, als ein Beklagter bestreitet, dass
die eingeklagten Weinberge ihm als colonia partiaria verliehen
seien, er solle das mit Eidhelfem beschwören; könne er das
nicht, so solle er sie herausgeben*).
Ebenso um Weinberge handelt es sich in einer anderen
Formel, in der dem Beklagten auferlegt wird seinen Ge-
währsmann zu stellen; könne er das nicht, so müsse er
sie mit der schuldigen Busse revestieren. Im zweiten Termin
bleibt er aus 4 ).
In einer späteren Formel, in der sich der Beklagte
auf Erbrecht beruft, wird ihm durch ein ebensolches Urtheil
*) Nr. 472. Menard p. 17 n. 4. Germer-Durand p. 2G n. 16.
a ) Nr. 12. Form. Andec. n. 28 MGF p. 18.
*) Nr. 14. Form. Andec. n. 80 MGF p. 14.
■*) Nr. 20, 22. Form. Andec. n. 47, 53 MGF p. 21, 23.
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223
auferlegt mit zwölf Eidhelfern in der Kirche die Einredethat-
sache zu beschwören 1 ).
Eine weitere Formel berichtet darüber, dass der Beklagte
in Erfüllung des gefällten zweizüngigen Urtheils mit Eidhelfern
beschwört den Streitgegenstand (ein Grundstück) dreissig Jahre
lang besessen zu haben 8 ).
Ähnlich ist die Lage in einer Formel aus der Sammlung
von Tours ; auch hier handelt es sich um die Einrede dreissig-
jährigen Besitzes, deren Beweis dem Beklagten durch zweizün-
giges Beweisurtheil auferlegt wird. Er leistet den Eid; und
es genügt, dass darüber eine Notitia ausgestellt wird; d. h.
die blosse Konstatierung der Erfüllung des Beweisurtheils be-
endet den Streit, weil durch jenes Urtheil indirekt die Sache
bereits entschieden worden ist 3 ).
Urkundliche Beispiele sind sehr spärlich.
Möglicherweise kann man die älteste erhaltene fränkische
Gerichtsurkunde, das Placitum König Sigiberts III. von 648
hierherziehen , iu dem dem Beklagten auferlegt wird die
von ihm erwähnten Kaufurkunden in einem neuen Termin vor-
zulegen. Allerdings scheint, als er in diesem Termin ausbleibt,
noch ein Urtheil zu ergehen, das aber möglicherweise nur ein
deklaratorischer Bestätigungsbefehl für den Kläger ist. Aber
es kann auch ein Urtheil auf Herausgabe mit Busse sein, und
dann wäre jenes erste Urtheil reines Beweisurtheil 4 ).
Zweizüngiges Beweisurtheil dagegen liegt deutlich in einem
Placitum Chlodowechs III. von 691 vor. Es wird dem Be-
klagten auferlegt die Kaufurkunde binnen vierzig Nächten
beizubringen ;
se hoc facere potuerit, eorum inter se in antea legalis de-
ducant mcionis; sin autem non potuerit, quod lex de tali
causa edocit, exinde susteniat 5 ).
Aus einer derartigen, öfters wiederkehrenden Bestimmung,
') Nr. 71. Form. sal. Merk. n. 27 MGF p. 251. In n. 28, einem
Statusprozess, liegt die Sache ganz ebenso.
*) Nr. 100. Gart. Sen. n. 21 MGF p. 194.
*) Nr. 148. Form. Turon. n. 39, 40 MGF p. 156, 157.
4 ) Nr. 23. Neues Archiv XIII p. 157. Die Fassung ist offenbar ver-
dorben.
6 ) Nr. 35. DDM p. 53 n. 59.
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im Falle des Misslingens des Beweises solle geschehen, was das
Recht vorschreibe, geht auf das deutlichste hervor, wie sehr das
zweizüngige Urtheil von einer materiellen Rechtsprüfung und
-entscheidung entfernt war, wie es dem Recht nur die Wege
bahnen musste, damit es sich durch die Parteithätigkeit selbst
offenbare.
Den Charakter der Zweizüngigkeit wird man wohl auch
den Urtheilen zuschreiben dürfen, durch die in den beiden schon
oft besprochenen Gerichtsurkunden Karls des Grossen aus dem
Jahre 775 auf das Gottesurtheil der Kreuzprobe erkannt wird.
Denn wie aus der schlettstädter Urkunde hervorgeht, vollzieht
nach dem Gottesurtheil die unterlegene Partei ohne Weiteres
die Revestitur als notlnvendige Folge des Beweisergebnisses;
der dann folgende Bestätigungsbefehl erkennt lediglich die voll-
zogene Thatsache an. Auch in der dürener Urkunde wird es
wohl nicht andere gemeint sein, wenngleich ihre Fassung diesen
Sachverhalt nicht deutlich erkennen lässt *).
Vielleicht handelt es sich in einer früher erörterten bai-
rischen Urkunde um ein zweizüngiges Beweisurthe.il ; wenigstens
könnten die auf die Erwähnung, dass der auferlegte Eid ge-
leistet worden sei, unmittelbar folgenden Worte:
et finitum inter illos est
darauf schliessen lassen*).
Sicher ist der Hergang in einer burgundischen Urkunde
von 816. Dem Kläger, der Zeugen anbietet, wird auferlegt,
ut tale testimonia aremissut 5 ) in proximo maUo post qua-
draginta noäes . , qui hoc adprobavit, sicut suus
iudicius loquitur, aut faciat quidem lex est *).
Dieser Beweis wird dann nach zwei Jahren und vier Mo-
naten (ein auffallend langer Zwischenraum!) erbracht; von einem
weiteren Urtheil ist keine Rede 5 ).
Endlich lässt sich vielleicht auch eine Urkunde aus der
') Nr. 93. 94. Mtihlb. 187. 196.
*) Nr. 138. Mon. Boica XXVIII, 1 p. 23 n. 25.
*) So ist nach Brunner Zeugen- und Inqumtionsbeweia S. 378 Anm.
4 Btatt remissae zu lesen.
*) Nr. 216. Pferard p. 36 n. 18.
») Nr. 217. Pferard p. 36 n. 19.
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Bretagne hier anführen. Dem Beklagten wird durch Urtheil
auferlegt sein Recht zu beschwören, und damit ist die Sache
erledigt ‘).
Sonst kommen, so viel ich weiss, keine Beispiele vor. Wohl
aber finden sich andererseits bereits verhältnissmässig früh
Fälle, in denen zunächst ein reines Beweisurtheil ergeht und
dann, je nach dem Ausfall des Beweises, durch Endurtheil ent-
schieden wird.
So liegt es z. B. in einer Formel, in der auf das Gottes-
urtheil der Kreuzprobe erkannt wird; nachdem hierbei der
Kläger gesiegt hat, wird der Beklagte zu Busszahlung und Re-
vestitur verurtheilt 2 ).
Ebenso ergeht in einer anderen fränkischen 8 ) und in einer
bairischeil B’ormel 4 ) zunächst ein Beweisurtheil und dann nach
dem Beweisverfahren das Endurtheil.
Ein reines Beweisurtheil findet sich offenbar auch in dem
Placitum Theodorichs III. von 679: der Beklagte leistet in Er-
füllung des vorangegangenen Beweisurtheils den Eid, und nun
ergeht das Endurtheil zu seinen Gunsten 5 ); sowie endlich in
einer burgundischen Urkunde von 816 im Gegensatz zu der
oben erwähnten aus dem gleichen Jahre sicherlich ein reines
einseitiges Beweisurtheil, kein zweiseitiges gemischtes anzu-
nehmen ist B ).
Schon oben wurde auf die Bemerkung Brunners hinge-
wiesen, dass das langobardische Recht wahrscheinlich keine
zweizüngigen Urtheile gekannt hat; ich habe auch in den Ur-
kunden bis jetzt kein Beispiel finden können. Und auch in den
übrigen Rechtsgebieten sind die zweizüngigen Urtheile, wie man
aus dem spärlichen Material schliessen darf, im Laufe der Zeit
mehr und mehr zurückgetreten.
*) Nr. 365. Cart. de Redon p. 37 n. 46 (854 oder 865).
*) Nr. 89. Form. sal. Bign. n. 13 MGF p. 232.
’) Nr. 154. Form. sal. Lind. n. 21 MGF p. 282.
4 ) Nr. 309. Form. cod. S. Emerami fragm. I n. 3 MGF p. 463.
e ) Nr. 34. DDM p. 45 n. 49.
•) Nr. 213. Perard p. 14. LSch p. 31 n. 48.
Uübner, tränk. Immobiliarprozess.
15
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II. Die Urtheilserfüllimg.
Ist das Urtheil gesprochen, so gilt es den Verurtheilten
zu seiner Erfüllung zu zwingen. Das Urtheil als solches war
ursprünglich nicht exequierbar, falls es nicht auf Acht ging;
Fälle, mit denen wir liier nichts zu thun haben. Exequierbar
war, wie oben im Anschluss an die Ausführungen Brunners
bemerkt wurde, nur das, zu dessen Leistung sich die Parteien
selbst durch Gelöbniss verpflichtet hatten. Darum lautete, wie
wir sahen, das Urtheil ursprünglich dahin, die Partei solle ge-
loben das Schuldige zu thun. Das heisst, je nachdem das Ur-
theil beschaffen war, geloben zu beweisen, geloben zu leisten,
oder beim zweizüngigen Beweisurtheil geloben entweder zu be-
weisen oder zu leisten.
Aber auch als ein direkt auf Beweis oder Leistung ge-
richtetes Urtheil möglich wurde, kam darum die Sitte nicht
ab, dass sich die Parteien ausdrücklich zur Erfüllung des Ur-
theils verpflichteten.
Sie schlossen einen Urtheilserfüllungsvertrag ab, sei es auf
Grund des Urtheils, sei es freiwillig.
Bald bezieht sich dieser Urtheilserfüllungsvertrag darauf
den Beweis zu erbringen, wenn nämlich das Urtheil Beweis-
urtheil ist; bald darauf den Gegenstand herauszugeben, die
Busse zu zahlen, wenn nämlich das Urtheil Endurtheil ist. Er-
geht ein zweizüngiges Urtheil, so pflegt sich die Partei in
rechtsförmlicher Weise zu verpflichten entweder zu beweisen
oder zu leisten.
Von den Urtheilserfüllungsverträgen und den einseitigen
Verpflichtungen, die sich auf die Beweiserbringung beziehen,
können wir hier absehen. Zumal in Italien gelangen sie in ganz
regelmässiger Form zur Verwendung; die eine Partei gelobt
mit Wadia und Bürgen den Beweis zu führen, zu schwören,
Urkunden, Zeugen zu stellen, die andere in ebenso bindender
Form den Beweis entgegenzunehmen. Häufig kommt es dann
vor, dass die eine Partei der anderen die Vertragserfüllung
ganz oder theil weise erlässt, wenn sie nämlich schon vorher,
ehe der Beweis angetreten ist, davon überzeugt ist, dass er
gelingen wird.
Was das Gelöbniss der Urtheilserfüllung, so weit Endur-
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theile in Frage kommen, betrifft, so haben wir schon oben eine
Reihe von Beispielen kenuen gelernt, in denen der Verurtheilte
durch Gelöbniss und Bürgenstellung sich verpflichtet die Heraus-
gabe des Grundstücks, die Investitur, vorzunehmen. Um noch
einmal darauf hinzuweisen, so gehören hierher Fälle, wie das
Placitum des Majordomus Karlmann, in dem von der redditio
per tcadiam et festucam die Rede ist 1 ); wie eine cluniacenser
Urkunde von 814, in der es vom Beklagten heisst:
per iudicium res . . per suos vadios rendedit, qmliter lex
est, et dedit fideiussore suo, nomen T., ut super ipsas res
venia[tj et ei (dem Kl.) legitima vistidura fuciat *);
wie eine Urkunde aus der Bretagne von 868, in der der Be-
klagte verspricht,
ut redderet monachiam, quod et fecit, quia victus lege et
cartis et testibus mutare non poterat . . . , in manu des
Kl. cum sua virga corüina *);
wie eine bairische Urkunde aus dem Jahre 804, in der die
Beklagten
spoponderutit omnia se reddituros ... et per wadium
Hierum utrique manibus suis, quasi coacti, in manu epis-
copi dederunt 4 );
wie eine Züricher Urkunde von 968, in der der Vorsitzende
Graf wie es heisst cum manu der beklagten Frau Coldbriga das
Gnt zu Fällanden zurückgiebt
et wadiavit iniquitatem
und Leute stellt zur Vornahme der Investitur 5 ).
Insbesondere ist es die symbolische Besitzräumung, das se
exitum dicere, das unmittelbar nach dem Urtheil in Verbindung
mit dem Gelöbniss der Urtheilserfiillung vorgenommen zn werden
pflegt.
Diese Auflassungshandlung, das se exitum dicere, findet sich
z. B. in dem Placitum des Majordomus Karlmann von 748®); in
■) Nr. 61. DDM p. 103 n. 16.
*) Nr. 202. Chart, de Cluny I p. 6 n. 3.
3 ) Nr. 374. Cartulaire de Bedon p. 18 n. 21.
4 ) Nr. 170. Speich. I 2 p. 92 n. 121. Mcm. Boica VI p. 151 n. 1.
*) Nr. 573. UB von Zürich I p. 102 n. 212.
•) Nr. 62. UDM p. 104 n. 18. Müblb. 55.
15 *
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denen des Majordomus Pipin von 750 ') und 751 2 ) ( pro suo fistugo
se exitum dieere ); in dem uns bekannten sehlettstädter Placituni
Karls des Grossen von 775 3 ).
Ferner sei an die schon häufig besprochene burgundische
Urkunde von 870 erinnert, in der es von den Beklagten heisst :
cum festuca se in Omnibus exutos dixerunt et per t vadium
. . . reddiderunt *).
So ergab sich also, dass noch ein letzter Akt, die Aus-
führung des Gelöbnisses, insbesondere die körperliche Besitz-
übergabe, zu folgen hatte.
Wir finden denn auch nicht selten in den Urkunden diesen
letzten Akt noch ausdrücklich bezeugt, obwohl er au sich nicht
mehr zu dem gerichtlichen Verfahren gehörte.
Es kann auch hier wieder auf eine burgundische Urkunde
aus dem Jahre 870 hingewiesen werden; sie betrifft den Schluss-
termin in dem Prozess zwischen Alcaudus und Hildebernus um
den Eichenwald; der Beklagte wird zur Herausgabe verurtheilt,
und über deren Vornahme berichtet die Urkunde also:
denique idem Hildebernus super ipsam terram venit in
fine Renualdense et a publica via quae vadit de Cemana
ad Revualdicum villam usque ad vollem iuxta illam ubi
Rividus decurrit et desursum usque ad silvatn, quantnm
ipsa Jinis continet, supradicto Älcaudo advocato per her-
bam et cespitcm ad partem s. Benigni reddidit, revestitum
fecit kis praesentibus f ’J.
Ferner nenne ich eine septimanische Urkunde von 871, in
der der Beklagte Adenus die Unrechtmässigkeit seines Be-
sitzes einräumt und dem klagenden Abt von Beaulieu Bürgen
für die Vornahme der realen Revestitur stellt. Diese wird dann
in einem neuen Termin vorgenommen:
et ad ipsum placituni utrique venerunt, et sicut fuit iudi-
catum, per signum de ipsa ccdesia revestivit ;
>) Nr. 63. DDM p. 106 n. 21. Mitlilb. 56.
J ) Nr. 75. DDM p. 107 n. 22. Miihlb. 57.
•) Nr. 94. MUhlb. 196.
4 ) Nr. 381. Pferard p. 150. Th p. 147 n. 103.
5 ) Nr. 379. Pfcrard p. 149. Th p. 142 u. 100 ter.
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das wird dann noch durch eine Notitia ausdrücklich festge-
stellt 1 ).
Besonders bairische Urkunden erwähnen häufig die Vor-
nahme der realen Investitur.
In einer Urkunde aus dem Jahre 798 ist ein eigener An-
hang hinzugefügt, in der von ihr die Rede ist. Es heisst da:
hoc actum est ad Enisa in iam dido loco lloracha (Lorch
bei Enns). Tune mim inde redierunt ad propria et per-
fecerunt omnia, sicut legitime debuerunt, eo modo, ut die
condido convmerunt omnes ad ipsam ecclesiam (den Streit-
gegenstand) ipsique Egilolf et Hiltiport (die Bekl.) ad
prekensium pallium altaris et reddiderunt duas partes
rebus ipsius ecclesiae cum altare ad tertiam partem ipsius
ecclesiae Ejonem (den Kl.) ad presbgterum receperunt.
Hoc peractum testes adhibuerunt ....*).
Wie hier die Vestitnr unter Ergreifung der Altardecke
geschieht, so in einem anderen Fall durch die Übergabe
des Glockenseils: zunächst erfolgte, wie früher erwähnt ist,
die Übergabe im Gericht in die Hand des Bischofs unter Bürgen-
stellung;
die vero eadem legitimum miss um episcopi vestivit (der
Bekl.) cum corda, unde signum tangitur, cum domibus,
aedificiis, curtiferis, tnancipiis, pecoribus, d se ipsum in
emm absacitum fecit.
Es ist dies eine für die Investiturhandlung berühmte Stelle 5 ).
Um einen ähnlichen Fall handelt es sich in einer Urkunde
von 849. Am 9. Januar findet zu Tandem eine Gerichtsver-
handlung statt. Der Beklagte wird durch Zeugen- und Ur-
kundenbeweis genöthigt anzuerkennen, dass er die streitigen
Besitzungen der freisinger Kirche geschenkt habe; relaxavü in
manus episcopi und stellt zwei Bürgen. Darauf heisst es:
tune querebat vestituram ab eo.
Das heisst, der Beklagte verlangt im körperlichen Besitz
zu bleiben. Am anderen Tage aber giebt er diesen Anspruch auf :
») Nr. 388. Vaissete II c. 362 n. 178. Oart. de Beaulieu p. 55 n. 27.
LSch p. 49 n. 67.
») Nr. 740. Meich. I 2 p. 96 n. 129.
») Nr. 219. lleicb. I 2 p. 194 n. 368. LSch p. 32 n. 60 (818).
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iUe vero cmfessus est altera die eum (den Kl.) vestire,
quod ita factum est.
Dann bittet er den Bischof, er möge ihm die Güter als
Beneficium zurückgewähren, und darauf vollzieht er die symbo-
lische Tradition, wogegen ihm der Bischof den lebenslänglichen
Niessbrauch gewährt. Das alles ist symbolisch , unkörperlich,
vollzogen am 9. und 10. Januar.
Nun am 11. Januar erfolgt die reale Besitzübertragung je
an den verschiedenen zu der Schenkung gehörigen Orten in
Gegenwart zahlreicher Zeugen; und von dem Vorgang an einem
dieser Orte heisst es, der Beklagte
per fimbriam paUii iacentis super cdtare vestivit *).
Eine Regensburger Urkunde von 822 berichtet, wie der
Kläger zu Regensburg von den Beklagten die Vestitur empfangen
habe, nachdem die symbolische Rückgabe bereits im gericht-
lichen Termin zu Pheterach erfolgt ist“).
Aber eine solche körperliche Ausführung der Investitur
war, wenn auch natürlich überall möglich, so doch nicht recht-
lich nothwendig, seitdem zuerst im königsgerichtlichen, dann
auch im volksgerichtlichen Verfahren das oben besprochene per
wadios reddere aufgekommen war, d. h. die „unmittelbar nach
dem Urtheil noch im Mallus mittelst prozessualischer Auflassung“
stattfindende Restitution s ).
Durch diese Form der symbolischen Investitur, die gericht-
liche Auflassung, erfolgte in rechtsförmlicher Weise die Über-
gabe, ohne dass nachher noch ein körperlicher Akt erfordert ge-
wesen wäre. Und so finden wir denn auch in der grossen Mehr-
zahl der Urkunden sei es eine solche redditio per wadios, sei es
eine redditio schlechtweg erwähnt; es kann kein Zweifel sein,
dass in allen diesen Fällen, auch da wo nur von einem ein-
fachen reddere die Rede ist, die gerichtliche Auflassung
verstanden werden muss. Die italienischen Urkunden er-
wähnen, so viel ich weiss, nirgends eine reale Investitur; es
l ) Nr. 327. Meich. I 2 p. 335 n. 661.
’) Nr. 239. Ried. I p. 23 n. 22. — Weitere Beispiele: Nr. 265. Hundt
XIII p. 12 n. 14 (829); Nr. 289. Meich I 2 p. 309 n. 601, Mon. Boica IX
p. 22 n. 14 (837); Nr. 298. Meich. I 2 p. 313 n. 610 (840).
3 ) Brunner RG II S. 518.
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ist anzunelimen , dass hier überall, auch da wo nur das auf
redditio lautende Urtheil erwähnt wird, gerichtliche Auflassung
im technischen Sinn stattgefundeu hat. Diese gerichtliche Auf-
lassung verschaffte dem Sieger genügende Sicherheit; sie ent-
hielt den rechtsübertragenden Akt. Wir haben oben erwähnt,
dass um sie vorzunehmen Scheinrechtsstreitigkeiten aufgeführt
wurden; zumal in Italien wurde es gauz allgemeiner Brauch
auf diese Weise durch Verwendung der Prozessformen Aner-
kennung bestehender Rechtsverhältnisse aussprechen zu lassen.
Also auch hier überall ist es nicht der Spruch des Richters,
der Recht überträgt, soudern die Handlung der Partei;
das Urtheil ist nur dazu da diese Handlung anzubefehlen oder
die vollzogene Thatsache zu bekunden und zu bestätigen 1 ).
Schliesslich ist an den bereits erwähnten Umstand zu er-
innern, dass häufig noch besondere Bestimmungen getroffen
werden um das Ergebniss des Rechtsganges zu sichern.
Besonders geschieht es, dass die unterlegene Partei noch
ausdrücklich, unter Bürgenstellung oder unter Stipulation einer
besonderen Strafsumme sich verpflichtet künftighin keine neuen
Störungen zu verursachen ; andererseits kommt es auch vor, dass
der Sieger eine technisch sogenannte securitas ausstellt, indem
er seinerseits verspricht vom Gegner nicht mehr als das Er-
reichte zu verlangen. Es sind das Nebenbestimmungen, die
keinen Einfluss auf den allgemeinen Charakter des Rechtsver-
hältnisses haben.
III. Das Ungehorsamsverfahren.
Es bleibt übrig zum Schluss auf diejenigen Fälle hinzu-
weisen, in denen der Prozess nicht in der regelmässigen Weise
erledigt wurde, in denen vielmehr gegen die ausbleibende Par-
tei im Wege des Versäumnissverfahrens vorgegangen werden
musste. 8 ).
') Siehe auch Heusler Uewere S. 69.
*) Über (las Ungehorsamsverfahren in Italien handelt eingehend Ficker
Forschungen I S. 29 ff., S. 61, 62; auf diese Untersuchungen wird hier
durchaus Bezug genommen. Ferner sind jetzt besonders zu berücksichtigen
die zusammenfassenden Erörterungen Brunners RG II S. 457—467.
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Es giebt — um im Anschluss an die Darstellung Brunners
einige allgemeine Bemerkungen voranzuschicken — einen dop-
pelten Ungehorsam der Partei: Ungehorsam gegen die Ladung
und Ungehorsam gegen das Urtheil. Ursprünglich gab das
Recht keine Handhabe, um gegön den Ungehorsamen einschreiten
zu können. Der Gegner erlangte nur dann Befriedigung, wenn
die ausbleibende Partei sich rechtsförmlich durch Gelöbniss zum
Erscheinen im Termin, zur Ausführung des Urtheils verpflichtet
hatte. Aber dann liegt, wie Brunner bemerkt, auch kein Un-
gehorsam im technischen Sinn mehr vor, sondern vielmehr Ver-
letzung eines eingegangenen Vertragsverhältnisses. Wo jedoch
eine solche ausdrückliche Verpflichtung nicht übernommen war,
konnte darum nichts ausgerichtet werden, weil das Recht ur-
sprünglich keine Exekution in liegendes Gut kannte.
Daher wurde ein Ungehorsamsverfahren im Rechtsgang
um Liegenschaften erst dann möglich, als sieh eine solche, die
„Fronung“, entwickelte. Bis dahin gab es bei Ungehorsam
gegen die Ladung, wenn der Ungehorsame die zunächst verwirk-
ten Bussen zu zahlen sich weigerte, und bei Ungehorsam gegen
das Urtheil nur die Acht; in allen den Fällen also, in denen auf
Acht nicht erkannt werden konnte, und zu ihnen gehörten die
Klagen um unrechtmässigen Besitz von liegendem Gut. stand
kein Exekutionsmittel zu Gebot.
Hier schaffte die aufkommende Fronung Abhülfö, die sich
aus der Exekution im Achtverfahren entwickelte und auch die
Liegenschaften ergriff. Sie heisst technich missio in bannum
regis, d. h. sie ist eine Konfiskation des sehuldnerischen Ver-
mögens von Obrigkeitswegen. Die öffentliche Gewalt nimmt au
Stelle des Schuldners von seinem Vermögen Besitz. Zunächst
nur vorläufig; binnen bestimmter Frist darf sich der Schuldner
aus dem Bann lösen. Geschieht das nicht, so ist das Gut. ver-
fallen. Das eingeklagte Grundstück wird dem Kläger über-
wiesen, was durch ein königliches Präceptum geschieht. Da-
mit also ist der Kläger trotz Ungehorsams des Beklagten be-
friedigt.
Ganz besonders in Italien ist das Ungehorsamsverfahren
von Ende des neunten Jahrhunderts an verbreitet gewesen; es
pflegt hier damit zu schliessen, das der Richter dem Kläger
die sogenannte investitura salva querela ertheilt, d. h. Besitzein-
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Weisung unter dem Vorbehalt, dass der Schuldner berechtigt
sein soll binnen bestimmter Frist sein Recht klageweise geltend
zu machen; daran schliesst sich dann die Verhängung des Königs-
banns, durch den der neue Besitzer gegen unberechtigte Ein-
griffe Dritter geschützt wird.
Nun mögen noch einige Beispiele folgen.
In einer uns schon bekannten Formel aus der Sammlung
von Angers wird der Beklagte durch zweizlingiges Urtheil veran-
anlasst in einem neuen Termin entweder seinen Gewährsmann
zu stellen oder die streitigen Weinberge herauszugeben , ). Im
neuen Termin bleibt er aus. Kläger wartet vergeblich ; er nimmt
die rechtsförmliche Konstatierung vor, das sog. solsadire, das
Auswarten bis zum Abend. Dies wird vom Gericht durch eine
Notitia bezeugt, zu dem Zwecke,
ut in postmodum, quicquid lex inter eos declarat, atten-
dere debüit ;
d. h. nun ist der Beklagte das zu leisten verpflichtet, was er
für den Fall seines Ausbleibens versprochen hatte; wir sehen
hieraus deutlich, wie ein Versäumnissverfahren im technischen
Sinn dieser Formel noch unbekannt ist; das Gericht hat keine
Zwangsgewalt, sondern konstatiert nur das Ausbleiben *).
Ähnlich verhält es sich in dem Placitum Sigiberts III. von
648 ®). Der Beklagte bleibt im Beweistermin aus; er hatte durch
Abschluss eines Streitgedinges unter Bürgenstellung sich ver-
pflichtet dem Kläger den Beweis zu erbringen. Darum ergeht
jetzt das Urtheil das zu tlmn, was zu tliun er im Fall des Aus-
bleibens versprochen hatte, d. h. die Weinberge herauszugeben.
Auch dies also ist kein Ungehorsamsverfahren im eigentlichen
Sinn 4 ).
Ferner sei das Placitum Chlodovechs III. von 692 genannt.
Die Parteien hatten sich in einem Vertrage dahin geeinigt
ihren Streit entweder durch einen Eid des Beklagten oder vor
dem Königsgericht im Wege Rechtens auszutragen. Da der
Beklagte zur Eidesleistung [nicht erschienen ist, erwartet ihn
') Nr. 20. Form. Andec. n. 47 MGF p. 21.
a ) Nr. 22. Form. Andec. n. 53 MGF p. 23.
‘) Vgl. Brunner RG II S. 461 Anm. 1.
4 ) Nr. 23. Neues Archiv XIII p. 157.
der Kläger dem Vertrage gemäss im Königsgericht. Auch hier
bleibt er aus. Das wird rechtsförralich konstatiert, und darauf
ergeht von Seiten des Königs das Urtheil,
ut quicquid lex loci vestri de tale causa edocit, memoratus
E. ... . componire et satisfacere non recusit.
Also: der Ausgebliebene wird zu der Busse verurtheilt,
die das Recht des Ortes fiir einen solchen Fall vorsclireibt.
Hier liegt gleichfalls kein technischer Ungehorsam,, sondern Ver-
letzung einer eingegangenen Vertragsverpflichtung vor, und nur
die Folgen dieser hat der Beklagte zu tragen ').
Wenn in dem Placitum desselben Königs von 693 der aus-
gebliebene Beklagte zur Herausgabe des streitigen Ortes an den
Kläger verurtheilt wird, so ist auch hier anzunehmen, dass sich
in einem vorangegangenen Streitgedinge der Beklagte zu dieser
Leistung für den Fall seines Unterliegens oder Ausbleibens
verpflichtet hatte 4 ).
Eine ähnlich allgemeine Urtheilsform wie in dem erwähnte«
merowingischen Placitum von 692 weist z. B. auch noch eil
Placitum Karls des Grossen von 812 auf: der Beklagte, der für
sein Erscheinen Bürgen gestellt hatte, bleibt aus; nachdem er
rechtsförmlich ausgewartet ist, ergeht das Urtheil, dass er,
sicut lex locis vestre de tale causa docuerü , ornnino com
poneat vel emendare studeat 3 ).
In allen diesen Fällen ist die ausbleibende Partei wortbrüchig
geworden, sie „gilt nach der fränkischen Rechtssprache füi
iedivus 11 , d. h. eben vertragsbrüchig, was der Erschienene rechts-
förmlich, durch Vonsichwerfen { iedare ) der Festuca öffentlicl »
feststellte 4 ).
So heisst es in der bekannten burgundischen Urkunde vor
868, als im Beweistermin der Beklagte unentschuldigt ausbleibt
in Omnibus geitivus apparuit'-').
Aus diesen urkundlichen Beispielen, denen ich keine weiterer
ausseritalienischen an die Seiten zu stellen wüsste, scheint hei
*) Nr. 36. DDM p. 53 n. 60.
>) Nr. 38. DDM p. 58 n. 66.
>) Nr. 197. Tardif p. 76 u. 103. Miililb. 455.
*) Brunner RG II S. 368 f.
*) Nr. 370. Perard p. 148. Tb p. 140 n. 100 bis. — Undeutlich H
Nr. 426. Cart. de M&con p. 105 n. 152 (879-87).
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vorzugehen, dass trotz der in den Kapitularien erfolgten Re-
gelungderFronung als eines reichsgesetzlichen Exekutionsmittels 1 )
im Immobiliarprozess nördlich der Alpen ein eigentliches Ver-
säumnissverfahren mit Fronung der eingeklagten Liegenschaft
während der fränkischen Zeit sehr selten zur Anwendung ge-
kommen ist. { ’
Eine alamannische Urkunde weist deutlich ein solches auf:
es handelt sich um eine Klage, die der Abt von St. Gallen
wider Rachilt und ihren Sohn Heriprecht um verschiedene dem
Kloster vom Bruder der Beklagten übertragene Besitzungen er-
hebt. Auf Grund königlichen Mandats wird eine Inquisition vor-
genommen, die zu Gunsten des Klosters ausfällt. Das scheint die
Beklagten zu erzürnen, denn
eidein testißcatione consentire nolentes de placito evaserunt
qua ex causa diiudicatum est, ut eadem res in interdictu
banni jusse fierent, usquedum de hoc regalis sententia
decemeret.
Also weil die Beklagten gegen das Urtheil ungehorsam
sind, wird über das streitige Gut eine provisorische Fronung
verhängt 8 ).
Auch die ältesten italienischen Beispiele sind den oben
erwähnten fränkischen verwandt.
So heisst es z. B. in einer spoletiner Urkunde von 776,
der Kläger hätte
per tres vices in constituto paratus per quindecim dies
hinc in Spoletum
verweilt ; der Vorsitzende Herzog bezeugt selbst, dass die Par-
teien vor ihm guadiassent de ipso constituto ; die Beklagten
hätten gelobt,
ut si cum testibus suis minime in duodecimo die non
essent parati fideiussores, quos inter se posuerunt, retra-
derent ipsum casalem.
Da nun die Beklagten ausbleiben, befiehlt der Herzog den
Bürgen die Tradition vorzunehmen. Also auch hier ergeht das
') Brunner RG II S. 458 Anm. 7.
•) Nr. 288. Wartmann II p. 395 Anhang n. 18 (816-836).
*
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Urtheil auf Grund der mit Bürgschaft gelobten Beweiswette;
auch hier liegt kein technisches Versäumnissverfahren vor *).
Ans dem Jahre 813 ist eine Notitia vorhanden, in der schlecht-
weg vom Gericht bezeugt wird, dass die Kläger den Beklagten
dreimal vergeblich ausgewartet hätten; von einem Urtheil,
einer Befriedigung des klagenden Klosters Farfa, wird nichts
gesagt *).
Dann aber, seit dem Ende des neunten Jahrhunderts, be-
ginnen die Fälle des eigentlichen Ungehorsams Verfahrens.
Eines der frühesten Beispiele ist, wie Ficker bemerkt*), eine
mailänder Urkunde von 896. Der Vogt des Ambrosiusklosters trägt
vor, dass das Kloster Reichenau in einer früheren Gerichtsver-
handlung zu Unrecht mit sechs dem klagenden Kloster gehö-
rigen, zu Lemonta belegenen. Mausen investiert worden sei; er
beantragt, dass ihm die Investitur ertheilt werde. Da ein Ver-
treter des Klosters Reichenau nicht zugegen ist, was vom Vor-
sitzenden durch Aufruf festgestellt wird, ertheilt dieser dem
Kläger die Investitur per fuste. Also hier erfolgt die Fronung,
die Übereignung durch die Obrigkeit, nur dass hier noch nicht,
wie später stets, der Königsbann verhängt wird 4 ).
Eines der frühesten Beispiele für das vollständig entwickelte
Versäumnissverfahren mit Investitur salva querela und Königsbaim
bietet eine am 4. März 897 zu Florenz abgehaltene Gerichtsversamm-
lung 5 ). Der Bischof Petrus von Lucca erhebt wider 62 genannte
Leute um Besitzungen seiner Kirche Klage. Die Beklagten,
obgleich sie dreimal geladen sind, erscheinen nicht. Die Vor-
sitzenden lassen sie durch einen Boten nochmals vorladen, aber
sie sind nicht zu finden;
et cum eis non invenissent, tune ipse Amedeus comes
palacii et missus et Adelbertus marchio et comes per fuste,
quas in sua tenebant manibus, ipsi domnus Petrus epis-
copus et Teupert advocatus eius de predidis casis et rebus
') Reg. di Farfa II p. 88 u. 95. — Vgl. Brunner RG II S. 365
Anm. 57.
') Reg. di Farfa II p. 168 n. 205.
*) Forschungen I S. 35 § 11 Anm. 1.
*) Cod. Lang. c. 613 n. 370. Fumagalli p. 541. Ginlini II p. 472.
4 ) Ficker Forschungen I S. 35 § 11 Anm. 2.
afl
237
. . . investiverunt ad detinendum salva querimonia eorum
omnibus. Insuper et ipsi Amedeus ... et Adelbertus
miserunt bannum domni Imperatoris in mancusos aureos
duo tnilia super ipsis casis et rebus l ).
Diese Urkunde umg als typisches Beispiel für die unzäh-
ligen Fälle dienen, in denen ebenso verfahren wird.
Es sei schliesslich nur noch auf zwei etwas abweichende
Urkunden verwiesen.
Als im Jahre 927 zu Pavia der Vogt des Petersklosters
in Clivate wider Giselbertus klagt, weil er sich Besitzstörungen
habe zu Schulden kommen lassen, ist der Beklagte zwar an-
wesend, aber
nihil *nde responsum dare voluit.
Er soll durch Androhung der Strafe des Königsbanns zur
Antwort gezwungen werden,
ui cxitide iusticiam fecisset; sed . . nequaquam responsum
dare voluisset, tacitus inde permansü et taliter de eodem
placito perexit.
Hierüber wird, ne in alio modo oriatur intencio, also zur
dublieren Konstatierung, die vorliegende Notitia ausgestellt,
dieser Giselbert entzieht sich also ähnlich wie jene Züricher
Frau (vgl. S. 235) der Pflicht, zu Recht zu stehen; es müssen
besondere Gründe Vorgelegen haben, wenn hier der Kläger es
unterlässt um die Investitur anzutragen*).
Endlich eine parmeser Urkunde von 935, in der es sich um
ein Verfahren gegen den Kläger handelt. Der Beklagte er-
scheint im Beweistermin, in dem der Kläger seine Zeugen zu
stellen sich verpflichtet hatte (adramisset ad probandum per
testes); dieser aber bleibt trotzdem aus und ist trotz nochmaliger
Ladung durch den Vorsitzenden nicht aufzufinden; so wird denn
über das vergebliche Auswarten eine Notitia ausgestellt. 8 )
Wir finden also hier, wie in den meisten ausseritalienisehen
Beispielen, die Verletzung einer besonders eingegangenen Ver-
i
') Mem. di Lucca IV 2 app. p. 70 n. 55. Muratori Ant. I c. 497.
Pecci, Vescovi di Siena p. 91.
*) Cod. Lang. c. 891 n. 524. Morbio III p. 154.
*) Affö Parma I p. 339 n. 57. Ficker p. 29 n. 23. — Vgl. Ficker
Forschungen I S. 36.
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tragspflicht; andererseits begnügt sich auch hier der Beklagte mit
öffentlicher Konstatierung, denn er braucht natürlich als der
im Besitz befindliche nicht um die Investitur nachzusuchen.
An dieser Stelle, nachdem das Verfahren bis zur Befriedi-
gung des Siegers verfolgt worden ist, schliesst unsere Erörte-
rung. Es Hessen sich noch eine Reihe weiterer Punkte behan-
deln oder behandelte ausführlicher darstellen; auch könnten
noch zahlreiche interessante Urkunden im einzelnen geprüft
werden. Doch ich hoffe, dass das Gegebene genügt hat. um
die Hauptsachen zu besprechen und zu veranschaulichen, und
es wäre andererseits zu fürchten, dass durch das Eingehen auf
noch mehr Einzelheiten die auch jetzt vielleicht schon gefährdete .
Übersichtlichkeit gänzlich verloren ginge. Ist der Zweck die-
ser Abhandlung auch nur halbwegs erreicht, so muss sich ein
Bild entrollt haben, das uns den Immobiliarprozess der frän- J
kischen Zeit als eine im grossen und ganzen bei allen Stämmen
des Reichs gleichmässig ausgebildete, auf bestimmten allgemein
gültigen Grundsätzen ruhende Institution zeigt, zwar nicht als
eine kunstvolle Architektur, aber als einen den Lebensverhält-
nissen entsprechenden Bau.
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Buchdrücken.'! MureUke & Hirtin, Tr*bnitx In tichlaa.
*
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f
YALE LAW LIBRARY’
OCT 2 1 1349
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YD 12982
YD 12982
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