Die
Speiserverbote
Heinrich Schultz
pe Ijififeuptlintf.
CHn Problem bcr SJöIfcrf unbe.
3Jon
. v
Dr. gdjurfc,
^rteatbocrnten an b*r UiTibrrfitat ürtpjt^.
Hamburg.
SSertagSanftalt unb Erucferei (öormalS 3. fr Weiter),
ilöniglidje $ofbudjbruderet.
«
207573
2)a3 Siecht bet Heberfegung in frembe Spraken roirb borbeljalten.
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Iniifbfi SJfrlagJanftalt unt> 3>rudrxei Vctirn<0rfetlfd)aft
(Bormatt 3. g. 9?i<$ttt) in Hamburg, ftönqlwSr tpoftutcfibructerrt.
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fehlt in ber beutfchen etfjtiologifdjen fiitterotur nicht
an aufammenfaffenben Arbeiten über bie <Speifeoerbote, bie bei
ben ücrfdjtebenftcn SBölfern ber (Srbe im ©ebraud) finb. 2Bir
nerbanfen IRic^arb Anbree eine Abljanblung, bie eine grofje
SUJenge einzelner 53eifpiele jufammenftellt, 1 nnb ntcfjt roeniger
reidj an bergleichen ift eine umfangreiche ©tubie $arl £>aber>
IanbS über ©ebräudje unb Aberglauben beim (Sffen. 2 SBenn
t)ier abermals ber SBerfud) unternommen totrb, biefe ©ruppe eigen'
tl)ümlid)er ©itten ju bef)anbelu, fo ift bod) feineäroegg beabfitljtigt,
bie eben genannten Anhäufungen fdjäfcbaren 2J2aterial3 nod) um
einige 2)ufcenbe ober $unberte üon SBeifpielen ju üermefjren;
e3 roirb im ©egentheil möglich fein, öfter auf biefe Vorarbeiten
ju öerroeifen unb bie ^ütte ber (Sinjelheiten, bie ben Haren
Umblicf fo ^äufig ftört, baburd) ein$ufd)räufen. ^Dagegen fotl
oerfuc^t werben, bie mannigfaltigen ©peifeöerbote unter einen
beflimmten ©efidjtSpuntt Jö bringen; eS fotl ber GhUtoidelungS»
gang einer ©ruppe oon Gebräuchen bargefegt unb bamit an«
gebeutet roerben, auf roeldjem SBege ei ber SBölterfunbe gelingen
fann, Orbnung unb £id)t in baS bunte Eurcheinanber menftf)«
lieber ©itten unb Anfdjauungen ju bringen. Auch bic Golfer-
funbe hat ja ih re ® e f e fc e , tt,e » 11 f* e auc ^ fc^toerer $u finben finb
unb häufigeren Aufnahmen unterliegen, alä bie ©efefoe anberer
Sammlung. 9t. g. vni. 1S4. 1* (559)
2Siffenfcr)aften. @3 ift unerläßlich, über tiefe grunbfä&lidjen
^rogen einige SSorte üoraus^ufdjicfen.
$)ie Söölferfunbe befiel eine ©runMage, bie aufjerorbentliaj
feft unb fidjer 511 fein fcf>eint: finb bie greifbaren, bauet-
haften 23efi{jtf)ümer beS 9J?enfd)en, bie ©egenftänbe ber föatitr,
bie er burcf) feine Arbeit umgeftaltet unb feinen 3roecfen bienftbor
gemalt fjat, — SBaffen alfo unb ©erätf)e, Hieiber unb ©tfjmud,
^ütten unb öoote, ftunftmerfe unb Snftrutnente oder $lrt.
$)tefe $)inge laffen fid) fammeln, orbnen, beftimnten; eine ganje
©ruppe Meiner, in ihrer Slrt erafter ^ülfSnriffenfdjaften ent«
rcicfelt fid) bamit unb geftattet fielen bie SRitarbeit an ber
ettynotogifcfjen. gorfdfung, bie nicrjt bie &eit unb ba3 83ebürfnife
haben, baä ©anje ber Sßölfcrfunbe in fid) aufzunehmen. Stuf
ein meit bebenflicrjereS ©ebiet fd)einen mir un8 rjinau^uwagen,
menn mir nun aucfj ben geiftigen ?leufserungen ber 9)cenfcf)f)eit
nähertreten unb ben ursprünglichen ©ebanfen nachgeben, bie ben
©itten unb Söräudjen ber Söötfer 31t ©runbc liegen. Unb bod)
ift ber Unterfdjieb nicrjt grofe. Sin jenen ©erätljen unb SSaffen
intereffirte uns bocr) aucr) nitfjt in erfter Sinie baS (Stoffliche,
ba3 unä tjöc^ftenS über bie £>erfunft ber ©egenftänbe unter»
richtet, foubern bie ©ebanfenentmidetung, bie in ihnen juni
ptaftifdjen SluSbrutf fommt. freilich ift ba§, roaS nn$ fo un*
mittelbar oor Slugen fteht, juoerläffiger als ein 93erid)t, ber
un8 $unädjft boch nur fagt, wie fid) eine ©itte im ftopfe etne§
beftimmten S3eobad)rerg matt ; aber bafür tonnen mir auf biefcm
SBege, wenn e§ ba§ Ofücf miß, tiefer in baS Sßefen eines
SBotfSthumS einbringen, als auf irgenb einem anberen.
©3 liegt nahe unb ift für ben Stnfang burcfjauS berechtigt,
bie einzelnen Angaben ber üölferfunblid)en gorfdmng junächft
ju orbnen, wie man bie ©egenftänbe eines SDcufeumS orbnet,
baS SJerroanbte äufammenjufteUen unb mit objeftioem SBttef bie
Grrgebntffe ju überfchauen. 2)a8 ift bie SWetfjobe, bie 9Jbolf
(560)
5
23aftinn in feinen überaus jafjlreidjen SBerfen begrünbet unb
burdjgefütjrt Ijat unb bie ilm üeranlaßte, feine £etjre t>om
„Sölfergebanfen" aufaufteilen. 3n ber Z^at entrollt fidj, wenn
wir biefem güf)rer folgen, ein großartiges Söilb: 25ie ÜKenfc^^eit
erfdjeint nict)t mec)r als ein bunter §aufe feinbltch getrennter
93ölfer, fonbern als ein gewaltiger Organismus, in beffen
?tbern allenthalben baS gleidje S3lut bar)in(trömt, beffen (Snt«
wicfelung öerborgenen, aber unerfdjütterlict)en ©efefcen folgt.
SBtel weiter aber fönnen wir auf biefem SBege ltir^t fommen,
wir fönnen nidjt einmal prüfen, ob biefeS SBilb in allen feinen
3ügen richtig ift. Unzählige ÜDtale fcf)en wir geiftige (Srrungen-
fdjaften wanbern, fet)en fte oon einem SBolfe aus auf zahlreiche
9iacf)barüÖIfer übergehen unb auf allen ©traßen beS 2Belt>
üerfeljrS fid) rwrwärtSbewegen. $>a regt fidtj benn bie 5 ra 9 e /
ob biete btefer SBölfergebanfen nidjt einfach entlehnt finb unb
06 fte, inbem fie bamit an ber einen «Seite au äBidjtigfeit ver-
lieren, nid)t wenigftenS baju bienen fönnen, alte Golfer Lieferungen
nacfjjjuweifen, beren ©puren fonft oöllig erlofdjen finb? darauf
f)at bie bis aufs Sleußerfte getriebene Snbuftion SBaftianS feine
Antwort. ©0 irrtümlich eS ourfj ift, baS ganje SSSefen ber
SBölferfunbe auf baS bloße Stuffudjen biefer 5Bölferbe$ief)ungen
ju befd)ränfen unb fie bamit ju einer #ülfSmiffenfd)aft Ijerab«
jubrüefen, fo unerläßlich ift eS boefj, biefe Seite ber ^orfdjung
beftänbig im Äuge )tt behalten. Slber aud) bort, wo ber eigent«
Iicfje Sern ber Senologie liegt, förbert unS bie 2ef)re oom
SBölfergebanfen ntd)t mef)r. $)ie SBölferfunbe faun fid) nicht
mit bem üöemußtfein begnügen, baß etwas üorr)aubeu ift, —
fie muß fragen, wie eS entftanben ift unb warum eS fid) in
beftimmter Dichtung entwickelt t)at. $ier liegt bie ©renje, über
bie bie (Ethnologie hinüber muß, wenn fie aus einer beffriptioen
Söiffenfchaft 311 einer echten ©eifteSwiffenfd)aft fid) fortbilben Witt.
©0 fann eS benn, um auf unfer %tyma oorläufig wieber ^in*
6
äuraeifen, nid)t ausreißen, bic einzelnen ©peifeoerbote auf»
jujäfjlen unb in ©nippen $u orbnen, — ebenforaenig fönnen
mir, gefrü&t auf bie bequeme (äntlefjnungSttjeorie, alle tiefere
gorfdjung als überflüffig füfjl oon uns abraeifen: bie $rage
nadj ber Urfacfje ber 6peifeoerbote mufj beantwortet roerben,
fofern oon einer grünbltdjen ©efjanblung beS Problems über«
f)aupt bie SRebe fein foü*. Stber aud) f)ier müffen mir, ba jebe
SBoreiligfeit oerljängnifjooll fein mürbe, junäcfift einen oorficfjtigen
SQluf um uns merfen.
Sluf bie $rage nacr) ber Urfadje etlmologifcfjer £fjatfad)en
fcfjeint eS meift ungemein leidjt, eine befriebigenbc Slntmort $u
finben : bie Sßötfer felbft geben uns Slusfunft über ben Urfprung
i§rer ©Uten. £)iefe Angaben finb Ijäufig berart, bafj fie nidjt
unmittelbar jum SBiberfprudj reiben ; aber felbft ber ©läubigfte
mujj mi&trauifcf) merben, roenn er öernimmt, bafc bie ©djtlb«
fröten aus bem Sopfe einer ©öttin entftanben finb unb baljer
oon ben Jonganern nicfjt gegeffen merben, ober bafj bie Slawen
auf 9?ia8 oon einer grau abftammen, bie üftäufe üer$ef)rte,
roeSfjalb grauen baS gleifrf) biefeS SfjiereS nuf)t genießen burfen. 9
©olcfje Erfahrungen ermutigen unS nicfjt, bem 3 eu ö"iB be8
SßolfeS blinblingS gu oertrauen, obrooljl es ebenfo falfcf) märe,
eS nunmehr grunbfäfjlidj oermerfen. Slurf) ofjnebieS mürbe
aber bie bunte SWaffe ber SBolfSangaben Söebenfen erregen;
menn eine ©itte, rate bie ber ©peifeüerbote, allenthalben auf
ber ©rbe fict) cinftetlt, bann mufj eine gemeiufame Urfadje $u
©runbe liegen. 93on einer Uebcrtragung ber ©peifeüerbote au8
einem äftittelpunfte oon 83olf ju SBolf fann nur in raeuigen
fällen bie Siebe fein, benn bie S8erfc^iebent)eit ber einzelnen
(Srfdjeinungen ift bafür raieber meitauS ^u groß.
Unb bodt) fönnte man am $afeiu eines genieinfamen öeraeg»
grunbeS oöllig oerjtoeifeln, menn man bie ©ntftetjung einer
beftimmten Sitte bei ben iöölfera ber @rbe ju oerfolgen fud)r.
7
(Sine gatt^e dieifje öon Urfadjcu fdjeint ficfj ba ju ergeben, bie
in ifjrer ?Irt alle berechtigt fiub, ade tuirfdd) ben Söeftaub ber
©itte ermöglichen ^etfen. 9cur burd) Sßillfürtichfeiten unb ge-
mattfame Singriffe fdjeint e8 möglich $u fein, Orbnung in
tiefen SBtrrroarr bringen, — aber bie $h at f ac *) etT S u ©unften
einer Itjeone juftufcen, rjeifit nidt)t bie SBiffenfdjaft förbent. 3)ocf|
ber 2öeg ift nur fdjeinbar oerfperrt. 2)afj mir biefe mannig-
faltigen Söemeggrünbe als mirlfam anerfennen unb babei bodt)
ben ©lauben an eine erfte ©runburfadje bemaljren bürfen, baS
oerbanfen mir ber (Jrfenntnijj eineS etr)no(ogifcr)en ©efefceS, ba«
roir als bai „©efefc nom Söedjfel ber SSeroeggrünbe" ober
mit bem Spanne, ber e3 jum erften ÜJiale Hörer erfannt unb
auSgefprodjen t)at, mit SBi l^elm SBunbt, ali „©efefe ber
Transformation ber ©itte" bezeichnen tonnen.* SEBunbt
hat bae $h ema öom ©tanbpunfte bei ^[liloiopljen betjanbelt,
ber nicht in allen fünften bem be8 Ethnologen entfpridjt; bie
folgenbe Darlegung bei ©efefceä beeft fich benn auch nur 5 ura
Ztyil mit ben Slnfichten SBunbtS.
©ine ©itte bleibt, biefem ©efe§e gemäjj, oft in ihrer
Öform unöeränbert befielen, aber ber 3 ro ecf, oem ft e bknt,
änbert ftd) öoHftänbig. $)iefe (Srfdjeinung ift fo frembarrig,
bafj man junächft an ihrer SBafjrfjcit zweifeln möchte. Tai
©egentt)eil, bai ebenfalls r)äufig öorfommt — Stenberung ber
9#ittel jur Erreichung eines bleibenben ßmecfeS — , ift üiel
Derftänblicher; roenn j. 93. bie 2tbficht, ben geinb aui ber $erne
jit oerrounben, fich bauernb erhält, aber nach uno na< *) QU f
oerfchiebene Sßeife befriebigt roirb, tuenn Sogen unb $feil,
SBurffeule, ©umerang, ©djleuberftein ober bai fleinfalibrige
©eroerjr biefem ßroeefe bienen müffen, bann ift ber Vorgang
burdjauä flar, unb ti ift anzunehmen, bafj aud) Sitten unb
93räuche fich * n ähnlicher 2Seife umbilben merben, rote hier bie
SSaffe. ©lüeflicherroeife fehlt ti aud) für baä ©egentfjeil, für
(553)
s
bic ürnnrnnblung ber Söeroeggrünbe an übcrjeugcnbcn ©eifpielen
nicht. (Sine Söaffe fann ftcf) nic^t nur fortentroicfeln, inbem fie
ocrbcffert unb für ihren 3 ro ecf geeigneter gemalt wirb, — {ie
fann auch in ein anbereS ©erätt) übergeben, baS gau$ anberen
?lbfict)ten bient als bie SSaffe, aus bem cS entftanben ift. ©o
roirb baS SBurfmeffer jum Söeil, ber Sogen junt ÜJfufifinftrument,
bie Äeule jutn ©cepter; anbererfeitS fann aus bem SRuber eine
ÄriegSfeute, aus bem Söoote baS $>ach eines §aufeS roerben,
mie in Sßoftmefien. SEÖie biefe einfachen ©erätfje önbern aud)
bie 83räucr)e ber SBölfer ir)ren 3 nj ecf / ohne i(jrc gorm aufzugeben.
SEBunbt führt als Söcifpiel bie fieidjenfdjmäufe an, unb ich möchte
biefelbe ©itte furj befprecfjen, nicr)t roeil es an ©toff fehlt,
fonbern toeil bie 8tnftct)ten Sßunbts über bie Slrt ber Utmoanb»
fang fchroerlicr) ganz baS 9tuf)tige treffen. 6
3)ie ©etoohnheit, bie noch in manchem länblictjen Söejirfe
$>eutfchlanbS ^errfet)^ am 93egräbni§tagc ein feierliche« Wlaht
im |)aufe beS Verdorbenen abzuhalten, fül)rt uns in it)ren An-
fängen roeit prücf. £aS Söer^ältnife beS ÜJlenfcr)en jum 93er«
ftorbenen mar früher unb ift bei nieten 9taturüölfem noch heute
toenig erfreulich; bie %üTd)t, bafc ber Sobte als bösartiges
©efpenft roieberfehren unb bie (Srben feines ©ute3 beunruhigen
fönnte, be^errjct)t afle 3$orfteHungeu unb führt ju einer ganjen
©ruppe oon ©itten, bie barauf hinauslaufen, bem SSerftorbeneu
baS SBteberfommen ju oerleiben. 3Jcan jefjafft bie Seiche burch
ein Soct) in ber ÜJcauer hinauf baS man fogteict) toieber »er«
fchliefjt, man lärmt ober fchiefct fjinter ihr her, räuchert mit
übelriedjenben ©toffen, oerläjjt ober oerbrennt roohl gar bie
^fltte, bie bem lobten gehörte. Stuf ber anberen ©eite fitcfjt
man ihm baS ©rab behaglich 511 machen, giebt ihm SGBaffen
unb ©erätfje, felbft Sfnere unb ©flaoen mit unb bringt, roaS
für unferen ^all am roichtigften ift, ©peifen unb ©etränfe zum
©rabe. ©0 ift ©efpenfterfurdjt bie erfte Urfache ber ©itte, bie
(564)
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1»
Xobten mit Wahrung ju oerfehen, unb and) in beit fpäteren
Umroanblungen roirft fic unter ber Oberfläche noch immer nott).
3Diefe SBanblungen ftellen fich balb ein. SGßie ber ©inn ber
üttenfcfjen unb ihr SBerr)ättnife $u einanber allmählich einen mil«
bereu unb eblereu St)arofter annimmt, fo fdnoinbct auch bie
©d)eu cor bem Sobten unb feinem ^jajj. $)ie Siebe, bie mir
it)m mährenb beg fiebeng entgegengebracht haben unb bie er er«
roibert f)at, mirft aucr) bem Sßerftorbenen gegenüber fort, unb
unmerflid) manbelt ficr) ber uufreunblidje ©inn beg Xobtenopferg
in ben Mugbrucf liebeootter ^ürforge. $>ie ©emohnljeit, bem
Xobten ©peifen an bag ©rab $u bringen, änbert fid) nicht, aber
ber 3mecf oer ©i tte tft oöllig mit einem anberen oertaufcfjt
toorben, ber nun ben 93raucr) feinerfeitg aufrec^trjäTt unb neu
bef eftigt: ber Xobte roirb oon feinen 9?ad)fommen gepflegt, mie
er felbft bei feinen fieberten fie genährt unb unterftü^t h at -
3nbeg ift bie Umbilbung bamit nic^t beenbet; eine neue Anficht,
bie bie meiften Opferbräuche beeinflußt f}at, beginnt auch bie
Xobtenopfer in ttjrcn SreiS ju ^te^en. üRan bemerfte, bafj ber
Xobte bie ©peifen nicht berührte, ba$ fie nufefoS $u ©runbe
gingen, unb fd)fo§ baraug, bajs ber ($eift beg löerftorbenen
Tt>or)C nur ben geiftigen %f)ci[ ber ©peifen genie&e. 2)ann aber
fchien eg ben Seibtragenben erlaubt, bag körperliche felbft ju
üerjehren unb gemeinfam mit bem Xobten eine Sttrt (Srinnerungg*
mahl 311 feiern. ©0 entftanbeu au« ben Sobtettopfern ©chmaufe«
reien auf bem ©rabe, mie mir fie felbft in SRufjlanb unb in
anberen 2h e ^ cn ©uropag noch oereinjelt antreffen. $amit
aber lag bie ©efahr nahe, baß bie ©itte unoerftänblich mürbe,
big man bann ben ©djmaug in bie 2öof)nung beg S3erftorbenen
oerlegte unb enblicfj bahin fam, (Sffen unb £rinfen alg ben
einzigen, legten 3mecf ber geier ju betrachten.
3>ag SBeifpiel geigt ung, mie eine Ur jache, bie ich *Ö bie
primäre bezeichnen möchte, überall ber ©itte urjprünglicr) $u
(565)
10
®runbe liegt; primär barf fie nidjt nur beSljalb fjeifjen, tueil
fte $eitlid) immer bie erfte ift unb bei fulturarmen Sßölfcrn
immer oon neuem bn3 ©ntfteljen ber $obtenopfer tieranlaffen
fann, fonbern nutf) besrjatb, roeil ityre SBtrfung felbft unier bem
Söedjfcl ber 2Jcotiüe nic^t gan$ erlitt. 2Sir fefjen bie ©Ute
nidjt nur auf ben üerfdjiebenften ©tufen ber ©ntiuicfelung bei
ben einzelnen Göttern angelangt and) innerhalb eineä SöolfeS
ift bie Umroanblung ber Jöeroeggrünbe nullt gleicfpnäfjig burd}»
geführt, unb roo ba3 neue 2Kotio oorübergefjenb feine SBirfung
<\u oerlteren broljt, tritt bog alte gern einmal ergänjenb ein.
£er auf niebriger Stufe ber ÜKoral ßurücfgebliebene unterliegt
naturgemäß biefem Gnnfluffe am erften; wenn if)u bie liebeooQe
©efinnung ntd)t jur ©rfüßung feiner ^ßftidjt gegen bie lobten
bemegt, bann ift er ber gurdjt uor ben ©erftorbenen um fo
$ugänglitf)er. ©o ift aud) bei gaujeu 93olf8genoffenfd)aften eine
Diücfbilbung ber ©itte, ein gurüefgreifeu auf bie erfte Urfadje
tiicfjt unmöglich.
3)iefen primären S3eweggrünben menfdjtidjer ©itten fönnen
tuir ade übrigen nadj unb nad) fidt) enttoirfelnben atS fefun»
bäre gegenüberfteÜen. 5Die fefunbären Urfadjen ftnb eö benn
aud), bie atlen Ueberblicf auf biefem ©ebiete erfdjiueren, bie ben
3rorfcf)er roieber unb immer roieber auf falfdje $äf>rte loden.
9)ian muß bie SSermirrung fennen, bie au$ biefem ©runbe
3. 93. in ber Dergleidjenben ÜJ2t)tf)ologie f)errfdjt, um baS ©efefc
Dom S03ed)fel ber üKotiöe in fetner ganzen 2öid)tigfeit für bie
SBiffenfdjaft ber Stfmofogie ju berftefjen. Sttterbingä finb nid)t
ade fefunbären Urfadjen im ftanbe, un$ irre ju führen; neben
roirflid) bebeutungSfotten unb roirffamen finbeu ftd) ©erlegen»
fjeitägrüube, bie eigentlid) nur eine unoerftönblid) geworbene
©itte bem Neugierigen gegenüber erflären fotlen, ofme bafj fie
au ftd) $raft genug fjätten, biefe ©itte aufregt 511 galten.
Söenn man in SIcgtroten ben SljierfultuS, beffen man fid) $u
(566)
11
fdjämen begann, fdjliefjtich fömbolifd) beutete/ fo ^oben Wir
hier einen biefer ^otjlen, fefunbären ©rünbe, ber fchwerlicr) oon
tieferem (Sinfluffe auf bie ©laubigen war. Um fo feltfamer ift
eS, bafj biefe ©itte fidt) erhielt, ja bafj anbergmo $8räucr)e $u
beobachten finb, bie Sftiemaub mehr öerftct)t, bie überhaupt nid)t
mefjr begrünbet werben unb bodj nicht auSfterben, — unb bie«
füfjrt un8 ju einer brüten, $ur legten ©nippe oon SDtotioen.
93ei ber Unterfudmng ber primären unb fefunbären ©rünbe
gewinnt man oft ben Qjiitbrucf, bafj biefe ©rünbe oielleicht nie
gan$ lebenbig, nie bem SBolfe wirflicr) gegenwärtig gewefen finb.
2>a8 fönnte ju einem ooreiligen Vergleich mit ber 2t)iermelt
oerleiten, unter ber fidj ja aud) ©ebräud)e finben, bie unmöglich
baS (Srgebnifj wirflichen 9?ad)benfen2 finb. £a« SBort Snftinft
fdjeint fid) hier wieber einmal jur regten &\t einstellen.
3)af$ unbeutlidie ®efüf)le gerabe unter ben primären Urfadjen
nid)t feiten oorfommen, werben mir allerbingS balb fef)en; aber
bie Srfd)eiuung erflärt fid) auf anbere SEßeife meift beffer unb
einfacher: ©8 ift gar nicht nött)ig, bafc bie gan^e 2Jtoffe eines
SßoIfeS bauernb ober aud) nur oorüberget)enb ben eigentlichen
ßmeef einer ©itte begreift, wenn nur ©njtltte, cor bereu (5infid)t
unb ©influfj man fid) beugt, mit ihrem SSeifpiele unb ifjrer
Autorität oorange^en. 3ft aber ein Söraud) einmal eingeführt,
bann oerfcr)minbet leicht bie $rage nach ber Urfadje, — er ift
ein Sfjeil be8 93oIf8leben8 geworben, unb ber .Swang ber @e>
feUfdjaft hält ihn aufrecht. 2luS biefer Ouelle fliegt auch oer
©efjorfam, ben bie SKobe in ihrem ewigen 2Sed)fel finbet; ihre
wirf liehen Urfadjen finb oft finbtfd) unb fonberbar, aber fic
tonnen e§ fein, ba man fie gar nid)t wiffen mag. ©o bilben
bei (Sinflufj eiujelner h erüorT agenber SReitfcrjen, bie üftadj'
ahmunggfudjt unb ber ^maug, ben ber ©tamm ober bie @e«
fedfehaft mit ihren Ueberlieferungen ausübt, eine ©ruppe oon
©eweggrünben, bie als tertiäre ben anberen gegenüber ftehen.
(567)
12
©elbfi bie Äulturöblfer fitib reicfj an ©räumen, bie nur nodj
burd) biefc tertiären ©rünbe gehalten merben. Unter beit
■JRillionen, bie täglict) ben ^>ut jum ©rufee lüften, benft babei
fcfjroerlidj ein (Sinniger an bie erfte llrfadje ber ©itte; 7 bie
@eroo§nf)eit, einem üftiejenben einen ©lücfrounfcr) sujurufen, 8
beginnt erft jefct an it)rer Unöerftänblicrjfeit aUtnäc)ttcr) ju ©runbe
ju gefien, u. f. m.
£>ie tertiären !D?otiöe finb übrigens t)on ben anberen nidjt
fo grunboerfdjieben, mie man benfen follte, ja mir finben in
ifjnen Dielleidjt ben (Sdjlüffel junt SBerftänbnifj ber ganzen fonber-
boren ©rfdjeinwig, bie uns a!8 SBedjfel ber S3emeggrünbe ent»
gegentritt. $a8 Rängen am Slltl)ergebrad)ten ift gerabe unter
primitiöen 93ölfern aufjerorbentlidj grofc, jebe ?tenberung, jeber
gortfcrjrttt fann öon ben geiftigen güljrern unb Reformatoren
nur müfjfam, unter beftänbigen kämpfen unb Retbungen buvdy
gefegt merben. 5)ie plö^lidje überrafdjenbe (Stnfüfjrung einer
neuen (Sitte ober Slufdmuung mürbe auf allgemeinen Söiberftanb
ftofjen, unb fo liegt eS nalje, gerabe bie Sleufjerlidjfeiten, bie
am meiften in bie Slugen fallen, ruljig befreien gu laffen, aber
fte anberen, neuen Qwzden bienftbar ju machen. 2)a8 Sßolf
räjst fief), um einen SBergleidj gu brausen, ben neuen fiönig
gefallen, roenn er nur ben (Sdjmucf unb ben 2Kantel feine«
Söorgängerg trägt. 2)iefe ©rferjeinung tritt audj in ftunft unb
SDicf)tung, am auffallenbften aber in ben (Sagen unb ÜWärdjen
Ijeroor; namentlicr) bie lederen müffen fidj ben oorrjanbenen
ÜWuftern anpaffen, menn fte unter ber Sinbermelt, bie in fo
oielen ©tütfen bie .ßuftänbe eine« 9iaturöolfe3 mieberljolt, populär
merben foHen.
©elbft aufjertmlb be8 engeren ©ebieteS ber S3ölferfunbe
begegnet unö ein ät)nttcr)er Vorgang im SebeutungStuanbel
ber SSörter. 3ebe <Sprad>e befifet eine Sln^l oon SBörtern,
bie im Saufe ber geit it)re gorm menig ober gar nidjt, mofjl
(568)
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13
ober ifjren ©inn geänbert fjaben, fo im 2>eutfd)en „fdiledjt",
„t>ielleid|t", benen baS nod) mitten in ber Umbeutung ftefjenbe
„jebenfallS" anzufügen ift. öbenfo bef)ilft man fid) neuen
©rfinbungen nnb (Sntbetfungen gegenüber weit lieber mit ber
Änpaffung alter Söorte an einen neuen @inn, als baß man
fid) ber ÜUiüfje unterzöge, neue SBörter ju bilben unb im SBolfe
einzuführen. 9
©inb unS biefe ©efefce einmal geläufig, bann werben mir
audj üerfudjen fönnen, an einer fo wunberlicf) gemifdjten ©ruppe
bon ©ebräudjen, mie eS bie ©peifeüerbote ftnb, bie SBirffamfeit
biefer ©efefee nadjjuweifen unb bamit jum »ollen SBerftänbnijj
beS ©egenftanbeS ju gelangen. (SS gilt, bie primäre Urfadje
aufjufud)en, — unb $ier müffen mir mieber an einem 2öeg«
meifer öorübergefjen, ber unS ben Urgrunb ber (Sxfdjeinung ju
jeigen uerfpridjt, in 233at)rf)cit aber ben $lrm nadj einer ganj
falfdjen 9Jid)tung auSftrerft; tjier mie bei fo fielen anberen
©Uten fott in ber Religion bie lefcte SGßur^el ber ©ntmidelung
ju fud)en fein. $)aS ift ein 3rrtrjum, bem leiber felbft SBunbt
unterlegen ift.
(SS ift frei tief) überaus bequem, alle« äftöglicfje auf bie
Religion jurüdjjufüfjren unb nun ju glauben, bafj liier bie
©renje ber gorfefjung erreidjt unb alle weitere Unterfudjung
überflüffig ift. 2Jton bebenft gar nidjt, maS für ein gemifdjteS,
unorganifdjeS ©ebilbe bie „Religion" eines SftaturoolfeS ift, mie
bie ©renje jmifd|en SßolfSfitte unb religiöfcm ©ebraudje nöllig
üerfd>wimmtl $)afj ^»anblungen, bie bem ©emeinmof)! fcfjaben,
mit ber Qeit aud) als ©ünbe gegen bie ©ötter aufgefaßt werben,
gefdjieijt bei weitem öfter als baS ©egentf)eil, ja alles Unge>
woljute erfdjeint jule^t aud) religiös bebenflid). §at man bod)
im wafferarmen ^odjafien, bem flafftfdjen itanbe ber Unreinlich-
feit, fogar religiöfe öebenfen gegen baS 2Safd)en! #unberte
anberer ©eifpiele ließen fid} anführen. Bo fann es nicht fd)arf
(56f)
14
genug betont werben, baß bie ^orfcrjung niemals of)ne weiteres
üor fogenannten religiöfen Urfadjen $alt machen barf. ©erabe
unter ben primären SBeroeggrünben finb bie religiöfen feiten,
um fo rjäuftger finben fic fict) unter ben fefunbären unb oor
allem ben tertiären. (Sine ©ünbe gegen bie ©efellfchaft ift
zugleich ein 93ergefjen gegen ben ©Ott, ber biefe ©efellfchaft
befcfjüfet. Unb felbft memt eine primäre Urfacfje auf bem im
engeren ©inne religiöfen ©ebiete liegt, ift nocf) eine genauere
Unterfudjung unb SBegrenjung biefer SBetoeggrünbe unumgänglich-
53ei ben ©peifeoerboten werben mir bie Religion in Reiter
Sinie fetjr mirffam finben, aber auf bie ©runburfacr)e fii^rt fie
unS nicht.
Um ben primären ©ruub für bie meiften — allerbingS
nidjt für alle — ©peifeoerbote aufaufinben, finb mir genötigt,
bie Unmenge biefer 93räuct}e oergleidjenb $u überbauen unb
nach beftimmten ©eficf)tSpunften §u orbnen. erfennen mir
batb, bafj manche ©peiien bauemb, manche nur oorübergetjenb
oerboten finb, aber mir ferjen andi ein, ta& nur bie erfte biefer
beiben ©ruppen oon tieferem Sntereffe für uns ift. Ü8ei einer
©peife, bie grunbfäfclich unterfagt ift, mufj bie Urfacr)e in ber
©peife felbft liegen; bei einer anberen, bie nur $u 3 e ** en ooer
unter beftimmten Umftänbeu oerfdjmäht mirb, braucht bieS ntct)t
notfjroenbig ber ftati. $u fein, unb baS eigentliche ^aften enblicf),
baS jebe ©peife oermeiben läfjt, t)ängt, roie fict) jeigen mirb, nur
locfer mit ber ©ruppe ber eigentlichen ©peifeüerbote jufammen.
Raffen mir aber bie bauernben Verbote in« Sluge, banu
tritt uns eine ßrfdjeinung entgegen, bie mir unmöglich als
blojjen ,3ufall betrachten bürfen: unter ben beiben großen
SRahrungSquellen ber ÜJ2enfcf>heit, bem %§KX' unb bem ^flan^en-
reiche, mirb baS erftere oon einer unenblidj oiel größeren Qafy
oon ©peifeoerboten betroffen als baS lefctere. 2)aS Sßerhältnifj
ift fo ungleich, Da § & fcfnoer mirb, eine nennenswerte 9Jtenge
(570)
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t>on eßbaren *Pflan$en $u finben, bie irgenbroo auf bcr (Srbe
bauernb bem ©enuffe entzogen finb, cfme baß ber unmittelbare
2tnlaß beS Sßerboteg fofort ju $age träte. <Bo roerben oon ben
lungufen üiefe Strien genießbarer Seeren oerfdjmäljt au§ bem
einfachen ©runbe, weil man fic für giftig f)ält unb offenbar
SKiemaub eine $robe aufteilen mag. 10 lieber Verbote, bie mit
bem Sabufuftem jufammen^ängen, nrirb loeiter unten bie föebe
fein; fie entftammen einer befonberen ©ebanfenentnncfefung. $lm
Ijäufigften toirb nod) bie 93or)ne grunbfäfclicf) oerbannt, — aber
biefe Sitte bürfte ben ^aftengcbräudjen anjureiljen fein, bie
übrigens aud) baS ftleifd) am erften unb am energifdjten unter»
fagen. Slud) baß bie bubbJ)iftifd)en ^ßrieftcr bie erregenben
3roiebeIgen>äcf)fe, fiaud), Änoblaud) u. f. m. meiben, bürfte auf
nafjeliegcnbe Urfadjen jurüdgef)en ; aße biefe (Sin^el^eiten be>
ftätigen efjer bie Siegel, ber fie $u toiberfpredjen fdjeinen.
(Sine (Srfdjeinung, bie überall auf ber @rbe in biefer Sßeife
fjeroortritt, muß auf einer @igentf)ümlid)feit beS SRenfdjen be<
ruljen, bie allenthalben mirffam unb lebenbig ift, bie ebenfo bei
ben Äulturoölfern ju finben fein muß, toie bei bem jurücf«
gebliebenften SSölfdjen Slfcifa« ober SluftralienS. 2)ie Selbft*
beobadjtung, eines ber bebeutungSöoflften £ülf$mtttel ber Oer«
gleicfjenbeu Söölferfunbe, im SBeretn mit ber 93eobacfjtung ber
uns umgebenben uns »erlaubten unb bafjer leidjt oerftänblidjeu
3J2enfcr)en muß uns auf beu regten 9Beg bringen.
2)a ergiebt fid) beim, baß gleifdjfpeifen immer unb überall
loeit leidster (Smpfinbuugen beS (SfelS fjeroorrufen , als irgenb»
loeld|e 93eftanbtf)eile ber ^ßflanjenfoft. ©elbftoerftänblid) fann
aucr) eine pflan$licr)e Speife, 5. 93. eine x$nid)t, toiberlidje (Sm=
pfinbungen ermeden, roenn fie befdjmufct, oerfault ober mit einem
unangenehmen ©erudje behaftet ift, — aber r)ier tiegt baS (Sfel'
t)afte entmeber nict)t im SSefen ber ^ntdjt felbft ober mirb burdj
bie SBorftellung tjetoorgerufeu, baß fie ungenießbar ift. üftatürtid)
(&711
16
werben tuir unS aucf) f|üten, fie 51t effen, wenn mir fie für
giftig galten, — aber bnfj wir unS üon einer frifdjen, üerlodeub
auSfefyenben grudjt mit wirflidjen QJefüfjIen beS ©fel£ abweuben,
fommt nidjt öor ober beruht auf gan$ nebenfädr)Iicr)en Umftänben. 11
©onj anberS mit bem ftleifdje! $)te (Srfenntnife, ^ferbefleifd)
ftatt Sftinberbraten Qegeffcit ju pöbelt, fann eine gange $ifd)»
gefeÜfdjaft ben Aeufjerungen beS ^eftigften GsfelS, ja jum
erbrechen bringen; bem ©enufj oon £mnbefleifd) aud) mir gugu-
jetjen, ift SBielen überaus peinlid). (Sbenfo Ijeftig äufjert fidj bie
Abneigung gemiffen nieberen Spieren gegenüber , bie nid)t $ur
allgemeinen SBolfSnaf)rung jäljlen unb guerft oft mit SEBiberwillen
nnb ÜRifjtrauen genoffen werben: Sümmern, Ärabben, 2Jieer-
fpinnen, Auftern, ätfiefjmufdjelu, fjrofdjfdjenfel u bgl. eröffnen
biefe 9ieilje; bie ©emeinbe ber ©d)itedeneffer ift nidjt fefjr grofj,
unb an 9Jtaifäfer unb «spinnen (jaben fidj immer nur einzelne
Verwegene herangewagt. SCBeldjen Abfd)eu erwedt ferner eine
^armlofe fliege in ber ©uöpe ober im S3iere, eine ®d>netfe
im (Salate, eine fliaupe ober ein Regenwurm im ©emüfe!
©elbft wer fid) giemticr) frei oon au" biefen Abneigungen weife,
würbe fdjwerlid) an einem ftanmbalcnfdjmaufe tljeilnetimen
wollen, — unb bod; ift baS 2ftenfd)enfleifdj, wie man woljt
glauben mufj, mofjlfdjmedenb unb feincSwegS ungefunb.
ÜDtan mürbe fef)r irren, wenn man biefen Abfdjeu öor ge-
wiffeu — aber überaß üerfdjiebenen — $leifd)fpeifen auf bie
©uroöäer befdjränft glauben wollte; er tritt überall Ijerüor, wo
©petfeoerbote irgenbweldjer Art in Sraft finb. Alle unge»
woljnten gleifd)fpeifen erregen (eidjt ©fei. Am be^eic^neubften
ift üielleidjt eine Angabe ^rfdjetoalSfttS: (giner feiner mon«
golifdjen Liener erbrad) fid) öor (Sfel, als er ben SKeifenben
eine (Snte oer^e^ren faf), ba bie SBafferoögel niemals oon ben
SRongolen geuoffen werben; berfelbe $artfüt)lenbe OKanu Oer«
fpeiftc bagegen mit 23ef)agen ungewafdjene ^ammelbärme."
1572)
17
Siefer (Sfef nun oor aßen gfeifd)fpeifen , bie man nid)t
auf ber Xafel fefjen gemof)m ift, ober bie nidjt roenigftenS
oon Sfjiereu flammen, beren 9>eriüanbte man ju oerjeljren
pflegt, ift bie primäre Urfadje ber übertuiegenbcn SDcetjrjaffl
ber ©peifeoerbote. 28ir Können un$ mit biefer (Srfenntnifj be=
gnügen unb auf if)r, al$ einer uuerflärlidjen, aber audj unbe«
ftreitbaren 3;r)atfacr)e etuftmeileu gu§ faffen. Slber e£ mag
geftatlet fein, ber (Sr)d)einung tiefer uadjjugeljen unb roenigftenä
ben Sßerftid^ ju machen, fie $u erflären. 2Jief)r als £npot£)efen
finb auf biefem ©ebiete oorläufig überhaupt nidjt möglidj, fo.
lange bie Slnfänge ber 2Kenfd)!)eit8gefd)id;te nod) in fo tiefem
SDunfct oerborgen liegen.
3<f) glaube, bafe bie gan^e ßrfdjeinung nidjts weiter ift
als cm SQererbungSreft. 3)er ÜDienjd) ift feiner ganzen
forperlidien Slnlage nadj fein 9taubtl)ier; i§m festen bie natür»
lidjen SBaffeu be3 räuberifdjen Sarniooren, unb wenn aud) fein
SBau getotffe Uebergdngc jum gleifdjfreffer jeigt, fo lefjrt bod)
ein SÖlid auf feine nädjften SBenoanbten, bie antfjropomorpljett
Slffen, baß er tuie biefe urjprünglidj gu ben grugiooren ää§lt. 13
Sd)on fcfjr früfj aüerbingS mujj er begonnen ljaben, fid) ba*
neben ber ^rleiföfoft ju^umenben unb baburdj bie ©runblage
feines SafeinS aufjerorbentlid) $u oerbrettern. (Sin foldjer
Vorgang ift nichts unerhörtes; begünftigt mürbe erbaburd), bafj
ber SRenfd) nad) unb nad) fict) ,51t einem, toenu man fo fagen
barf, fünftlidjen 9?aubt(jier auäbilbete, fidj mit Sßaffen oerfalj,
bie iljn aud) ftärferen £(jiereu gefa^rtidr) matten, unb burd)
baä geuer ein ÜJtittel erlangte, baS O^fd) genießbarer unb
oerbaulidjer ju machen. Unter ben beiben (Srftnbungen ift bie
ber SBaffe für unfern gaU unbebingt roidjtiger, ba fie olmeljin
ber (Sntbetfung beS ^euerS toaf)rfd)eiuita) oorangegangen ift. 11
9tofje£ gleifdj mirb uod) jefet oon gemiffen Stammen getootjnfjettS»
mäfjig oer$ef)rt, fo oon ben GrSfimoS, beren iftame tuörtlid) „Woty
©ammlutifl. «. g. vm. 184. 2 (573)
18
fleifcfjeffer" bebeutet. £ie bebeutenbe (Sntwicfelung beS Hau«
apparateS, fcie luir infolgebeffen bei ben @3fimo8 nad)wetfen
fönnen, finbet fiel) an gewiffen prä^iftorifc^en ©djäbelreften
wiebec (befonberS an ben Äieferfrngmenten oon Sanaulette unb
ber ©dn'pfahöhre). 93et üielen SSölfem weifen nod) ©puren Der»
fdnebener Slrt auf ähnliche ©Uten fjin. 15 SBenn forait burd)
ba8 Breuer °i c ©ewofmhcit beg gleifdjeffenS nicfjt erft ermöglicht,
foubern nur erleichtert worben ift, fo muß bafür jugeftanbeu
werben, baß bie Stuf fdjließung unb (Srweidwng ber ©peifen, bie
burd) ba3 $ocr)en unb ©raten herbeigeführt wirb, einer weiteren
Umbilbuug be3 $auapparate3 unb bamit be3 ganzen ©ct)äbete
(Sintjalt gettyan fjat. 2)ie8 fdjeint eine ber Urfadjen ju fein,
roe^alb ber Uebergang sunt eigentlichen 9faubtf)ier in feinen
Anfängen ftecfcn bleiben mußte, weshalb fid) alfo auch ein fReft
frugiüorifdjer Slnfdjauung fo lebenbig erhalten tonnte, baß er
immer oon neuem in ben «erfdjiebenften ©peifeoerboten gu Xage
tritt. £>iftorifd)e 23eweife für biefc gan$e (Sntwicfelung finben
fid) — ba3 muß jugeftanben werben — fo gut rote gar nitf)t,
rocnn roir nicht gerabe ben befannten öegetarifct)en Pfahlbau
oon Sagogja h crQn 5' e ^ cn wollen, ebenforoenig läßt fich be<
weifen, baß erft bie ßälie unb $flan$enarmuth ber S)iIuoiaIjeit
ben 3JJenfcr)en bie $leifd|nahrung aufgezwungen hätte. S)ie Sin»
fange ber ganzen @rfd)emung liegen in fehr roeiter gerne,
oiefleidjt fct)on in ber Sertiär^eit, ba ein großer Et}" 1 ber nod)
immer zweifelhaften gunbe au8 biefer entlegenen *ßeriobe aus
©teinfplittern, ben primitioften SBaffen, befielt, ©etbft unter
ben Slffen finben ftct) ja bereits Sftefträuber, bie an @iem unb
gleifcf) ©efdjmatf gefunben fyabtn.
3ft biefe (Srflärung richtig, bann erwachfen bie ©peife«
oerbote au8 einer fehr liefen unb fehr wirffamen ©runblage,
bann erffärt e§ fich auch °*) ne weitereg, warum bei aller 2lb<
wetdmng im einzelnen e8 boch immer wieber bie große ©ruppe
(574)
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10
ber f$-reiftf)jpeifen ift, bic öon biefen Verboten betroffen roirb.
3)ie primäre Urfactje ift fomit feine Kare SBorfteflung, fonbern
ein bunfteS ©efüf)l, ba$ je nad) bem Stnfiofje fid) in ber
manntgfaltigften SScife äufjern unb entioideln fann, ba3 aber
aud) noct) roirft, roenn es längft oon fefunbären Seroeggrünben
erfe&t unb befeitigt fcfjeint.
Unb f)ier fielen toxi nidjt oot einer 3lu§nar)me, fonbern
üot einem gafle, ber un8 nocr) öfter entgegentritt, ©ine ben
©peifeoerboteu oerroanbte ©itte öieter Sßötfer, bie eS als un«
onftänbig tjinfteUt, einem ©ffenben ju^ufefien, ift öon Äart oon
ben ©teineu fefjr gut mit ber (Seroofjnfjeit ber £f)iere oergficfjen
roorben, ir)ren Üiaub beifeite JU fdjfeppen unD entfernt oon
ben anbeten ju üerjer)ren. ©elbft im Hulturmenfctjen regt fid]
leicfjt nocr) ein unangenehmes ©efütjf, roenn er beim (Jffen fctjarf
beobachtet ober oon anberen ^ßerfonen eingeengt roirb. 53ei unS
entioicfett fid) feine befonbere ©itte au3 biefer (Smpfinbung, roeit
ein ©treit um bie Stfatjrung fdjroerttd) mef)r üorfommen wirb.
SSei 9?aturoölfern ober fann fid) rcd)t roor)( ba3 SSerbot beä 3 U3
ferjenS fjernuSbitben unb enblid) fefbft ein ©efütjl ber 93e«
fcfjämung eintreten, roenn biefeS Verbot oerlefet roirb. Slud)
eine ©ruppe gefd)lect)t(icr)er ©cfjamgefürjte mit itjren 5ofge>
erfdjeinungen Iä§t fid) t)ier anreihen, roenn aucf) nictjt baS @nt*
ftetjen ber fiieibnng auf bergleidjen ^urürffütjrt, roie.flarl oon
ben Steinen roiü.
$)afj nun bie primäre Urfadje ber ©peifeoerbote of)nc
roeirereS ba^u führen roirb, au8 bet Sifte bet bereits als
genießbar erprobten 9kf)rung8mittef einige ju ftreicfjen, ift nictjt
gut möglid). 2öot)I aber fann fie tjinbern, bafc neu eingeführte
Sfjiere überhaupt alä ©peife betrachtet roerben; man fommt
gar nid)t auf ben ©ebanfen, fie ju öer$er)ren. ©füdttcfjerroeife
ftefjen uns biet ein paat übetjeugenbe SBeifpiele, bie au3
93taft(ieu betid)tet roerben, ju (Gebote. 3n biefem fiaube finb,
2* (OT8J
20
wte in ganj Slmerifa, bie $utyuer erft burd) bie (Suropäer ein»
geführt worben, oon bcnen fie in gewofmter SEBciJe auggenufet
werben. ®ie Snbtanerftämme aber, $u benen baä ^ausfjulnt
gelangt ift, füttern unb ict)ü§en e3 smar, oer^ren ober weber
bie (Stet nocr) baö Sljier felbft; wenigftenS bcridjtet e3 (üslnren*
rcict) auäbrücflid) oon ben ftaraü,a in ©utjaj 16 unb &arl oon
ben ©teinen, ber baSfelbe oon ben ^uruna am oberen ©crjingu
erjagt, 17 fügt ^injit: ift gewiß ein jorter 3ug " l Dec
Sftatur beS SnbianerS, bafj er fidj nirfjt entfdjtiejjen fann, Stetere,
bie er felbft mit Siebe aufgewogen l)at, effen. ©elbft bafj
wir §üf)nereier ajjen, war ben 5)uruna offenbar fet)r unmoralifct)
oorgefommen."
UebrigenS finb bie |mf>ner nicf)t bie einzigen 5£f)iere, bie
unbehelligt als ^anStlnere im ebleren ©inne im Snbianerborf
bleiben unb fogar burd) Söemalung unb 'ißu^ fünftücfj oerfdjönert
werben. Offenbar liegt Jjier fct)on ein Uebergang ju' einer
anberen ©nippe oon ©peifeoerboten oor — folcrjen mit fefun«
baren fittlidjeu SKotioen — , auf bie wir jurüd^ufornmen fjaben.
2BaS bie|>üf)ner iuSbefonbere anbelangt, fo finben Wir fie auf-
fallen b oft in cü)nlirf)er Sage wie in SBrafilien, o|ne bajj wir
bie @ntftel)ung be3 ©ebraudjeS genauer oerfolgen fönnen. Sluf
.v>ainan 93., wo man audfj an bie Einführung be£ ©eflügeI3
00m geftlanbe |ec benfen barf, treibt ba3 5öoIf £üt>ner$ud)t,
oer$el>rt aber äufjerft feiten ein $uf|n ober ein (Si. 18 3n einem
anberen Snfelgebiete, bem alten Britannien, war §üf)nerfleifcf)
unterfagt; 19 ferner meiben e8 bie ©omali, 20 im alten Snbien
würbe e8 famt bem ©cfnoeinefleifct) am erften oerboten 21
u. f. W. Sludj bie Saube l)at oft ein ä'f)nlid)e$ ©djidfal. 2 *
3n ben meiften fällen wirb irgenb ein Slnftofj nötljig fein,
ein fefunbärer Seweggrunb, ber baju f üt)rt, bafj unter
ben %fyimn eine gewiffe StuSwatyl getroffen wirb. 2)iefer
Slnftofj faun junäcfjft fetjr fleinlidjer SKatur fein, aber bod),
(576)
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21
wenn nur bie tertiären Söeweggrünbe ficr) mirffam genug er«
Weifen, bauernbeu ©influfj üben. 60 oermag bie perfönfic^e
Slbneigung eine« einflußreichen ÜHenfcheu, eine«' Häuptlings ober
*ßriefter§, gegen irgenb eine ©peife fcrjliefjlid) bem ganzen Sßotfe
bletbenben SBiberwiHen gegen biefeä Nahrungsmittel einjuflö&en.
SBaS biefen Sinjelnen ^u feiner Slbneigung öerantajjt r)at, ift
babet gan^ gleichgültig, obgleich bie primäre Urfacfje auch ™
btefem gafle immer bie ©runblage bilben wirb. (5£ ift nicht
auSgefdjloffen, baß felbft bie unberechenbaren Saunen ©eifteS.
franfer einmal mafjgebenb werben, ba ja biefe 2trt ton Seuten
leicht in ben ©eruch ber £eiligfeit fon: nt unb fogar biepriefter.
liehe SÖürbe erlangen fann.
Noch bebeutfamer tritt biefe Saunenf)aftigfeit in ben jaht-
Iofen ©peifeöerboten fjeroor, oon beneii fief) ©cf)Wangere unb
SBöchnerinnen, ja felbft bereu ©atten unb SBerwaubte ein»
geengt fet>en. Noch im Mittelalter mürbe auch in ©uropa ein
Sßerth auf bie „©elüfte" ber (Schwangeren gelegt, ber uns ba$
Sntftehen berartiger 93räuct)e bei fulturarmen SBölfern leid)t Oer»
flehen läßt.
^atte ein SEBeib einmal Söiberwilten gegen irgenb eine
©peife gezeigt, bann oerfagte man fie Wor)l auch anberen, unb
biefe ©ittc gemann alSbalb größere Straft, wenn man oerfudjte,
fie logifch ju begrünben; gerabe tyex tritt ein f)öd)ft inter»
effanter SBechfel ber üftotiüc ein. ©0 barf nach ^etrowitfd) 23
bie fchmangere (Serbin feine ^ifcfje effen, meil fonft baS ßinb
erft fehr fpät fprechen lernt; fie barf feine ©cf)necfen oer^ren,
meil fonft ba« Äinb fchleimig mirb, fein |>afenflciftf), toenn fie
nicht miH, baß baS Slinb fpäter mit offenen Slugen fchläft ober
bafc eS fchielt. 3ft aber bie ^tjanfafie einmal auf biefem
©ebiete rege geworben, bann ift fein Ratten mehr, unb au§
einer fefunbären 2Sur$el heraus ermachfen, wie ^arafiten auf
einem alten ©tamme, neue unb immer neue ©petfeoerbote.
(BOT)
22
Unb uictjt bie grauen a ^ in werben betroffen; bort, wo bie
ßouoabe Ejerrfdjt, mujj audj ber SDZann feine S)iat bem Jtinbe
jjuliebe einfct)räufeu unb äatjlreidje gleifcr)fpeifen üerfd)mät)en.
©3 ift nicfjt unmöglich bafj fict) auf biefem SBegc fdjliejjltd) all»
gemeingültige ©peiieoerbote eutroideln.
Statt! fjier ber 2luftofj oon einzelnen ÜJcenfdjen ausgebt unb fid)
aßmäfjlid) auf bie ©efamttjeit überträgt, fo fönnen anbererfeitg ge>
roiffe (5igenfd)aften ber $t)iere ba^u führen, bafj man fie als Oer-
bäd)tig ober als unrein betrachtet. 3n erfter Stute ftet)en rjier
tuirflidje ober oermeintlidje ©djäblidjfeiten, bie ben ©enufj irgenb
einer ^'Idjart gefät)rlid) ntadjen. ©o mag beiläufig eriuäfmt
fein, bnfj ber ©enufj oon SlaS uicfjt überall gemieben roirb; be*
fonberS unter ben Negern f)at bie (Srfafjrung, bafj ber ©enufj
fwlboerfaulten ^feifc^eö fdjroere ©djäbigungcn nacr) fict) jie^t,
nod) nidjt überaß bie ©itte ober baS @ebot ins üeben gerufen,
berartige ©peifen ju oerfcrjmärjen. 24 S3ei ben Hebräern ift ba«
gegen ber ©enufj beS gefallenen ober oon roilben Sfueren jer-
riffelten 33ief)e3 förmlict) unterfagt. 25 3" ben gieren nun,
bereu gleifct) fid) unter Umftänben als fct)äblid) errotefeu i)at
unb aus biefem ©ruube überhaupt gemieben roirb, gehört
oor aflem baS ©cf)roein: Üfticfjt nur bei ben Suben unb
Stfofjammebanern, fonbern awfj bei oielen ÜJcaturüötfern bleibt
fein fiktfä) unbenu^t, roirb fogar mit Stbfdjeu jurürfgetuiefen.
93ief bebeutfamer at$ biefe roirflidjen (Sefafjren finb aber
bie etngebilbeten, auf bie eine gan^e 9teit)e oon ©peife»
oerboten jurütfjufüfjren ift. (So fdjeint man bie ©drangen
faft überall ju meiben, offenbar in bem ©laubctt, bafj ber
©enufj it)reS ^feifc^eS ebeufo ocrberblidj roirfen müffe, rote
ifjr Sifj. $luS biefem leicht oerftäublidjen Srrttjum entroideln
fid) anbere. Stuct) bie Spiere, bie nur Slefptlicfjfeiten mit
ben ©erlangen rjaben, erf feinen oerbädjtig, fo inSbefonbere bie
fdjttppenlofcn $ifcf)e, ja bie ftifdje überhaupt. £>en Quben
(57H/
23
finb $if$e, bie nic^t ^tfofjfebern unb ©puppen fmben, Oer-
boten; bie oftafrifamfdjen $amiten oerfdjmähen foft fämtlich
bie $ifche unb begrüuben biefe Abneigung auSbrüctlich mit
ber Angabe, bafe bic $i\d)t ©erlangen feien. £)iefelbe
Abneigung unb biefelbe Lirfache finben mir bei aßen füb*
afrifanifchen Negern, bie nicfjt einmal ftifche mit ber £>anb be-
rühren mögen. 26 S^atürlid; finb auch anbere SJiotioe beS Verbots
benfbar; wenn in einzelnen @auen beS alten 51eghpteu$ be>
ftimmte Orifdje üerboten maren, fo beruht bieg roabrfcheinlich,
wie bie meifteu ©peifegefefoe ber $legüpter, auf totemifttfdjen
Obeen. 27 ferner ift nicht ju oergeffen, bafj man leicht ein
©peifeöerbot, beffen eigentliche llrfadje man ni<f)t mehr rannte,
uodjträglid) auf irgenb eine ©d)äblicf)feit ber ©peife juräcf»
zuführen fud)te, fo bafj gerabe in biefem gafle alle Angaben
mit iDtifj trauen aufzunehmen finb. immerhin bleibt manche^
übrig, roaä h' er anzureihen ift. SSiele Spiere gelten als un-
heimliche, zauberhafte ©efcf)öpfe, beren f^leifc^ man nicht $u
oer^ehren wagt, fo namentlich nächtliche ober feltfam gefärbte
unb geftaltetc Xtjicrc; gerabe oou 9iacr)ttr)ieren oermuthet man
aufjerbem leicht, bafc bie ©eele SBerftorbeuer in ihnen uerförpert
finb, unb fo geht biefe ganje ©ruppe oon 2(nfcr)auungeu un»
merflich in eine anbere, nachher h ü erroähneube über.
3dgt fich bei ber llebertragung be8 StbfdjeueS oor Schlangen
auf bie 3ifd)e, toie leicht bloße 21ef)nlichfeiten beftimmenb ein»
junnrfen oermögen, fo ift eS nicht 31t oeriounbern, baß ber»
gleichen fich aiu "h onberer ^Richtung mieberfjolt. (Setoiffe
%f)ieie erregen (Sfel wegen ihrer fcfjinuöigen ©eroohufjeiten ober
ihrer wiberlict)en Nahrung; namentlid) bie Abneigung gegen bie
lejjtere überträgt fich ki^t au f ba3 ^X^ier, ba§ ja feinen Äörper
auä biefer Nahrung aufbaut. So erfdjeinen ^rjiere, bie Seichen
ober (Sjfremente berühren, leicht efelhaft, aubere merben ihrer
Unreinlichfeit wegen gemieben. £er Söibernnfle gegen ©ier, ber
<.570.i
24
ouffoüciib oft 31t beobachten ift, ss bürfte auf ähnlichen 93or»
fteflungen berufen; menigftens er^äf>ft SReidjarb, bnfj bie
SSaniamtoefi bie (£icr für ©rfremente ber Sßögel galten unb
bafj fie ftetö mit Sleujjerungen beä Slbfcheues jufahen, wenn ber
SRetfenbe biefe* 9caf)ruug*mitte[ genoß. 89 fciefelbe 3bee fanb
#ilbebranb bei beu SBafamba unb töanifa. 30 Oft genügt aud;
irgenbnjefdje Sleußerlichfeit eine« ZfyexeS, bie an ettua« Sßiber*
licfjeö erinnern mag, um ein ©peifeoerbot fjeroorprufen. 2)ie
eben genannten SSaniammefi, fonft burcfjaua nicht tuählerifch,
oerfchmäljen bas fycifö ber ®efd)irrantilope, angeblich toeit es
£autausfchläge f)emorruft; a(§ tieferer ©runb fteüte ftd) jeboc^
bie ßeic^ttung be$ gelles heraus, auf bie man ftets mit Slbfdjeu
hinmies. (5s ift intereffant, ba§ ^Reicrjnrb in biefem gafle auch
eine Uebertragung bes Verbots auf einen anberen (Stamm, unb
ätvar auf ©runb beS fefunbäreu ÜJZotioS, beobachten fonnte.
(Sin ßüftenneger ^atte bas gteifd) ber Sintilope gegeffen, als er
aber zufällig balb barauf an einem £>autau3fcf)fag erfranfte,
machte bicö einen fo tiefen Grinbrucf auf feine ©efätjrten, ba§
fie oon ba au ebenfalls bie ©eichirrantilope grunbfäjjlicf) oer«
fdjraäfjten. 91
£ie 3been über Feinheit unb Unreinheit, bie fo beftimmenb
auf bie Speifegefefee unb bie i!eben$gemofjnf)eiten ganzer SBölfer
eingeiuirft höben, gehen in ben meifteu fallen auf SßorfteKungen
oon förpertidier Ateinfichfeit jurüct unb gehören affo urfprüug-
lief) r)ierfjer. 5ftur ift bei ber Betrachtung biefe ©ruppe oon
Sbeen ftetS $u bebenfen, bofj bie Segriffe oon 3teinlidjfeit bei
ben einzelnen Sßölfern aufjerorbentlidj oerfdjieben finb. $em
|)inbu gilt baS Söaffer feines h e 'l'9 CI1 ^eidt^eS für rein, auch
wenn es 00II Unratf) ift ober 2eict)en in if)m gen>afd)en toerben;
ben ^irtenoölfem SlfrifaS, bie ihre ©efäfje mit bem Urin ber
Äuf) auSfpülen, erfdjeint biefe gtüffigfeit, bie ihr geliebtes
^erbenthier liefert, oor allen anberen als bie reinfte unb ebelfte.
(680 1
25
2)er äRongoIe rnbttd), bem baS 9Q3afcf)en fo gut wie unbefannt
ift, fdpreibt bem $euer bie $raft §n, förperlidje unb geiftige
S^ein^eit ju beroirfen. 2)ajj e3 bemgemäfj toiete ©peifeüerbote
geben mirb, bie auf 9ieinlid)feit£öorfteüungen berufen, menn
mir unS and) ben ©ebanfengang of)ne genauere Äenntnifj bed
33oIfe8 nid)t ftar machen fönnen, ift minbeftenS mahrfdjeiutich.
©3 maren mefjr. äußerliche, ^fällige 33emeggrünbe, bie in
ben bisher ermähnten Ratten 3 lir primären Urfacrje Einzutreten
mußten, um fic tebenbig unb beftimmt werben ju laffen. Sfmen
allen ftetjt nun eine fcfjärfer umgreife, in fid) gefdjtoffene
©ruppc fefunbärer ÜHottoe gegenüber, bie mir fur^meg als fotdje
fittlidjer Slrt bezeichnen bürfen. (£g ift feister, biefe äftotiöe
burcf) Seifpiele ju erläutern, afg itjre (Sntfterjung, bie mit ber
ganzen etlichen (Sntmidelung be§ ^enfdjengefd)lcd)te3 jufammen.
hängt, in abftrafter SBeife auS bem SEBefen beä SMcnfdjeu ab«
2uteiteu. ®a3 am beftimmtefteubiefer©ruppe angetjörige 9?af)rung3«
mittet ift nun unbebingt ba§ 5D?enfcr)enfte ifcr).
£eu 9Wenfcr)en jefbft ate ©peüe $u betrauten, erfdjeint
uod) je$t trieten SSötfern als burdjauS berechtigt. 2)ie @nt«
fter)ung be3 Stannibali3mu§ ift ein fet)r an$iehenbes Problem, ba§
bei näherer Unterfudning ben SBecfjfet ber oerfdjiebenen SBemeg«
grünbe in nördlicher SBeife erfennen läßt, bem mir aber t)ter
gän^Iid) au8 bem Sßege gehen fönnen. ^a§ ber SWenftf) baS
gleifcfj feiner ©efcf)led)t$geuoffen ofme ©cr)aben öerje^ren fann,
bajj aucö ocr ©efchmacf ber ©peife nn fid) nitfjt§ SBibertidjeS
hat, ift tängft bemiefen; für un8 fyünMt eS fid» barum, baS
SBerfcfnuinben be3 $annibatiämu3 }it beobadjten, mit anberen
•Üöorten, ba3 (5ntftet)en eine§ ©peifeoerboteS, ba8 ben ©enufj
oon äJcenfd)enfIeifd) unterfagt. 35er 9?ütfgang ber 9)?enfcf)en»
frefferei, bie einft fo au^erorbentlict) oerbreitet mar, baß roofjl
jebe§ 93off in feiner SBorjeit eine Sßeriobe be3 ßannibaliSmuS
gehabt fyat, ift gerabe gegeumärtig an öieten fünften beS (SrbbafleS
(581)
26
jii beobachten, £ie (Sinroirfung ber Äulturoölfer läßt fid> babet
gemifc nid)t üerfenneu, aber ber SRüdgaug t)at ftd> in einzelnen
©ebieten, mie auf mausen Unfein ber 6übfee, oöHig felbft-
ftäubig bolljogen.
SWan fanit behaupten, ba& mit ber fteigenben Kultur überall
bie Söerbrängung beS Kannibalismus #anb in Jpaub gc^t, koemt
eS aud) an einzelnen SRüdfä'tteu niemals gefehlt f)at. Sßir, bie
mir ben barbarifdjen Söraud) nur nod) Dorn $örenfagen feunen,
empfinben einfad) @fel uor 9J(cufd)enfleifdj, of)ne biefeS ©efül)l
$unäd)ft genauer begriinben 511 tonnen. ÜHit bem $lufl)ören ber
©en>of)nf)eit madjt fid) ber primäre 2Sibern>iHe fofort geltenb
uub oerbuntelt aüe anberen öemeggrünbe.
3n S33ar)vt)eit aber fjabeu mir baS SBerfdjmtnbeu beS
Kannibalismus, ben §Infto§ alfo, ber bie primäre Urfadje erft
mirffam mad)t, auf etf|ifd)e Ütfotiue jurüdiufüfjreu. 3e größer
mit ber fteigenben Kultur ber KreiS ber befrennbeteu SDJenfdjeu
wirb, je met)r bie oeruid)teuben kämpfe ber Keinen Stämme
nntereinanber oerjdjminbeu, befto met)r erftarfen bie fittlid)en
©efüljle, bülten enblid) aud) ber abfd)eulid)C @)cbraud), ben SDiit«
menfdjeu als üöÜig ju oertilgcnbeu ©egner ober als blofjeS
9taf)iungSmittel ju betrauten, erliegen mufj. 2>er üiürfgana,
ber SDtenfdjenfrefferei erfolgt nun faft überall in jmeierlci Hrr,
— ebenfalls ein djarafteriftifdjer, fid) bei auberen ©clegeuf)eiten
mieberfjoleuber Vorgang.
6inmat nämlid) mirb ber Kannibalismus, ber oorf)er, fobalb
nur SHenfdjenfteifd) 511 tjnben mar, imm ganzen SBolfe ausgeübt
mürbe, in ber uerfdjiebenften SSeife eiugcfdjräuft. 60 aunädjft
jeitlid), — nur au beftimmten gefttageu, nur $u befonberen
religiöfen gmetfen fiubeu nod; allgemeine ftanuibalenfdjmäufe
ftatt. gerner oermiubert man bie #af)l ber ^ßerfoneu, bie am
6djmaufe t()eilueljmen, grauen uub Kiuber roerben juerft aus-
gefdjloffcu, bann aud) ber größte £t)eil ber SJJänuer, fo bafj
27
enblicf) nur ber Häuptling ober ber Sßriefter ba8 jiueifet^af te
93orrecf)t bewahrt, 3JJenfc^enfteifc^ geniefjen $u bürfen ober $u
müffen. Stujgcrbcm aber oerfdjmäfjt man e8 allmählich, bic
®etöbteten oödig $u üerjehren, fonberu begnügt ficr) mit einem
Xtjeile beä ßörperä, uon bem man — in fefunbärer Söcgrünbung
ber Sitte — glaubt, bafc er bie $raft ober Klugheit beä lobten
auf ben (Sffenben übertragen werbe; folcr)e Ztyile finb namentlich
ba§ £er$, bie fieber, ba§ @ef)irn, bie Slugen, bie 3unge ooer
bie Bieren, £iefe oerfdnebenen Slrten be§ SfJücfgangeä, bic man
unter bem tarnen ber @ inf djränfung aufammenfaffen fann,
treten oft nebeneinanber auf.
Slber nod) in einer anberen SBeife fanu baS 93erfd)roinben
eines 93raud)e3 ftattfinben, luenu mir aucr) biefe jroeite Slrt in
unferem ^alit feiten feftfteflen tonnen: mau fanu fie als bie
ÜJiettjobc ber 8 1 e I loertretung bezeichnen. §lm fjäufigften
unb ficf)etften beobachtet man fie beim ^erfchminben ber 9RenfcC;en>
opfer, bie ja mit bem Kannibalismus einigermaßen uermaubt
finb; in ber 9tegel treten Xtyexz an bie ©teile ber ÜRenfdjen,
n>ot)[ aucf) ^ol^bilber ober aubere QJegenftäube. ©o beerbigte
man in Sßeru uicr)t mehr bie ©flaoen eines SBerftorbenen mit
i^m, fonbern nur bereu S8ilber, 3Ä unb in 9legbpteu fcheint man
fdjon früh baä DJienfdjeuopfer, baS ber Sftilgott jur 3eit ber
gluth erhielt, bnrch eine Söacrjspuppe erfe£t 511 haben. 33 Qxoiebch
föpfe brachte 9iuma nach altrümifcher ©age bem Jupiter ftatt
ber oerlaugten SDfenfchcnföpfe bar, unb in ähnlicher Sßeife
fdjmüden bie chriftianifirten ftopfjäger SnbonefienS ihr §au£
ftatt mit 2Renfchenfd)äbeln jefet mit s JJc*ai$folben ober 9tinber>
föpfeu. ©S ift flar, baß Äannibalenmahläeiteu nur bort in
nachweisbarer Slrt burch bas 3$erfd)maufen irgendwelcher $fn ere
erfefct roorben finb, mo eine getoiffe religiöfe geierlidtfeit mit
bem ©rauche oerbunben mar. Xa& ift aber feltener ber Jafl, al$
man glauben follte. immerhin fehlt e$ nidjt ganj an 99ei-
(MS)
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28
fpiefeu, beren eine« glütflicfjerweife in ©uftao 9?ad)tignl einen
auSgejeidweten SBeobadjter gefunben Imt. 3n Earfur nämlid)
wnibe in früherer £eit bei ber „großen *ßaufenfeier" eine
Jungfrau geopfert unb oon ben ©roßen beg fianbeS berfpeift.
tiefer Seaman«, Der uamentlid) ben «nfdjauungen be3 SSIam
fdjnurftratfS juwiberlief, ift burd) ein eigentljümridjeg 9Ka(jl
erfefct morben, §arbt>erwefte |>ommereingetoeibe nämlid), bie in
ranziger, atoei 3a&re alter öutter gebraten werben, ©er 93op
gang ift intereffaut, ba er beweift, baß man baä 2öiberlicf)e
be$ 9Renf4enfömaufe* für bie #auptfad)e geraten nnb ifjn
infolgebeffen mit einer einlief) fdjeußlidjen ©peife »ertaubt
f)at. 2öer bei bem Üttaf)Ie duftete ober <£fel erfennen gab,
mürbe fofort erfdjfagen, weil er bem fönige feinblid) gefinnt
märe; bod) mar aud) fjierin ju 9?adjtigal3 ßeit fdjon eine
ÜJfifberung eingetreten. 84
2>aß ber ÄannibafiSmuS bem ftttfidjen ^ortfdjritte ber
ÜNenfcf)f)eit meinen muß, ift $meifetfo$; aber biefe ganje ©ut.
Adelung fann nid)t babei fielen bleiben, ben ÜJienfd)en au§
ber Sifte ber genießbaren ©efdjöpfe ju [treiben. 3n jmei
Stiftungen bilbet fid) bie 3bee weiter fort: e8 wirb einerfeitS
baS menfd)enäfjulid}fte Sfjier, ber Stffe mit feinen ja^treirfien
Unterarten, eben biefer 2lefmIid)feU wegen toerfdpäfjt, unb auf
ber anberen ©eite treten gewiffe §au«t^iere bem aftenfdjen fo
uafye, baß man fid) mit i^ren fonftigen Seiftungen begnügt, fie
aber ntdjt meljr gum Sofjne für biefe $)ieufte oer^efjren mag.
2SaS bie Slffen anlangt, fo fjaben europäifcr)e SKeifenbc oft
über ben SBibermiflen berietet, ben ifjnen Äffenftetfcf) unb felbft
bie 3agb auf biefe $fjiere einflößte; 35 e8 ift wentgfteuS $u
oermutfien, baß biefer Sfel e8 ift, ber in Sbeffinien unb anber«
wärt« bie ©ingeborenen auf ba3 $feifcf) biefer Gfbenbilber beS
2)fenfdj en öerjicr) ten läßt. 3ntereffanter unb mannigfaltiger ftnb
bagegen bie 9(nfcf)auungen, bie jur ©djonung oerfdjiebener $auS'
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29
tfjiere geführt ^aben. 2>aj} man ben ^aralleliSmuS bieder
©rfdjeiuuug mit betn SBerfdjnjinben ber Slntfn-opopfmgie aud)
in entlegenen föulturgebieten etfaimt f)at, betneift eine merf
roürbige Angabe beS japanifd)en (Sfyroniften SRöjoffi, bic oon
bem (SiufaHe ber Mongolen in Sapan im Safjre 1281 n. (Sljr.
fjanbelt. 36 „2)a bie SRäuberfdjaren," jagt er, „als ein
frembeS ©efd)led)t ber nbrblid)en ©egenben baS 21ngefid)t
üon SERenfdjen, bie $er$en roilber liiere fiatten, fo läftt
fid) ben fen , bajj fie fid) nidjt mie 9ftenfd)en betrugen. SSenn
ein SJZann jo lange, bis i$tt bie 2lrme fc^merjten, gefampft
Iiüttc unb nad) rüfymlidjer ©egentueljr gefallen mar, bräugten
fie fid), untereinnnber ftreitenb, r)in$u unb raubten ben ßeidjnam.
S)ann riffen fie iljm ben S3aud; auf, nahmen bie ©ingemeibe
IjerauS unb afjen bie £eber. Sßie Ratten Seute, bie foldje
£t)aten ner übten, fid) beS ^leifdjeä ber Üiinber unb $ferbe
enthalten f ollen? @ie raubten fie, erfdjlugen fie, fcrjlürften if)r
Sötut unb afeen if)r ^leifdj."
SRinbcr unb ^ferbe gehören in ber £f)at ju ben roidjtigften
£auStl)iereu, bie t>on <5peifet>erboten betroffen morben finb;
ein $f)ier ift inbeffen nod) oor tfjnen ju nennen, beffen ©teüuug
jum üflenfdjen einjig baftef)t unb überbieS ben Angehörigen
eines HulturnolfeS in itjrer fittlidjen S3ebeutung am üerftänb«
tieften ift, — eS ift ber $unb. §(uS einem läftigen ©efeflen,
ber ben Ueberreften ber Sagbbeute naefoog unb bem SDcenfdjen
im 9Rotr)faüe felbft als Speife bienen mu§te, Ijat er fid) 311m
nüfclidjen Sagbgefäfjrten unb enblid) ju einem treuen ^ rcun ^ e
beS 2Jcenfd)en aufgefd)tuungen. 3fm $u effen, gilt ba^er Dielen
93 ölfern als unrecht, ja mir finben ungemein oft fmnbeeffer
unb Kannibalen als ibentifd) genannt. 37 SlnberroärtS gefjört
bagegen ber £unb $u ben ©d)lad)tt§iereu unb mirb fogar als
foldjeS maffenljaft gejüdjtet unb gemäftet. 50 ü8on ber ärmeren
SSeoölferung mancher Sanbftridje 55eutfd)IanbS mirb #unbefleifd|
(585)
30
noch jefct nicht üerfcfjmäht; im übrigen fonn man wohl jagen,
ba§ in ©uropa ein ungefdjriebeneS Speifeoerbot ben £>unb öor
folget SluSnufcung bewahrt. $>em 93cft^er eines anfänglichen
|>unbe3 mufj ber ©ebanfe, biefeS 2J)ier ju oerfpeifen, miberlich
nnb unmoralifd) erfdjetnen ; etwas oerbunfelt wirb bie llrfadje
ber Qsrfcfjeinung babiircf), bafj ein unangenehmer ©erud) bem
^>uubefletfcf)e anhaftet, fo bafe eS nid)t als befonberer fieeferbiffen
gelten fann.
$iefe Sigentfyümlicfjfeit, bie eine anbere (ührflärung wenig-
ftenS benfbar erf feinen läjjt, fehlt bem 5 Ie 'f^ c oeg SRinbeS,
baS bennod) oft unb ganj auSbrüdlicr) oon Spetfeoerboten be»
troffen wirb. SBenn ber §unb nur auSnahmSmetfe, fo im
alten 3ran, 3y in bie 3teif)e ber heiligen unb unoerle&lichen j£fn cre
aufrüdt, fo wirb baS 9iinb weit öfter biefer 6^re tljeilhaftig.
hierbei ift oft eine beftimmte (Sntwicf elung , ein 2Sed)feln ber
SDiotioe $u beobachten, baS um fo merfmürbiger ift, als aud; in
btefem galle ein rein egoiftifdjer buref) einen fittlictjen Söeweg»
grunb oerbrängt wirb.
2Bir finbeu bei Sftomabenftämmen, beren #teid)thum in
iljren gerben beruft, oft eine grojje Slbneigung, btefe gerben
buretj baS ©djlachten einjelner SRiuber gu oerfleinern. 3Me
fiüfje, beren ÜJiild) man geniest, fdjont man ohnehin narf)
9J?öglid)feit, aber aud) oon ber Söbtung anberer Sfttnber fyäit
ben Söefijjer ein ©efüf)l ab, bem man wof)l nid)t Unredjt tl)ut,
wenn man es oorerft einfach als @ei$ bezeichnet, ©ehr balb
mifcht fich bem eine gewiffe 3uueigung 8« einzelnen befonberS
fchönen SChieren bei, bie enblicf) jur förmlichen SBergötterung,
minbeftens aber $u beftimmten Speifeoerboten führt. Sie
Äcime biefer Slnfchauuugen fönnen wir am beften bei einigen
afrifanifchen $irtenftämtnen , ihre weitere ^ortbilbung bei ben
inbifchen Äriern beobachten, bie als Sfomaben in ihre neue
|>eimath einbogen. <Bo fchlachtet ber £erero, ber fich überbieS
(5S0i
31
burd) eine Wxt totemiftifdjer ©peifegefe&c eingeengt füfjlt, f)öd)ft
ungern ein 9Rinb ; auf äl)ulicf)en 3>been beruht e3 wofjl, bafc
bie Sßaganba if)rem ©tammoater ftintu eine Abneigung gegen
baS Stfjladjten bc3 SSiefjeS auftreiben, bnS nie in ber 91äf)e feiner
^ütte getöbtet werben burfte. 40 3)en Uebergang 311 fittlidjen
23eweggriinben erfennt man am beutlidjften bei ben 2)infa.
jDie Seute biefeS fjerbenreidjen $8olfe8 an oberen 9?il effen jwar
föinbfleifd), aber nur foldjeS oon fremben SHinbern ; felbft wenn
eine« if)rer eigenen $f)iere fällt, beteiligen fie fid) nidt)t an
ber ÜNaljljeit. 41 SSon fjier big jum oöüigen Verbote beä 3Rinb-
fleifdjeä ift mir ein Schritt. Söet ben Snbern unb manchen
anberen $olfe ift cor allem bie Ruf) ein f)ei(ige8 unb Ult»
oerlefelidjeiS £l)ier geworben; ifjre (Sigenfcfjaft als 2)fild)fpenberiii,
alfo urfprünglid) ein rein praftifrfjeg ©nmbmotio ift and) f)ier
bie SSurjel ber retigiöfeu (Sntwitfelung. 3n gan$ ärjnlicfjer
SEöeife gelangt bei acferbauenben Sßölfern ber nitylicfje Sßflugftier
ju einer beöor^ugten (Stellung, fo bei ©rieben unb ^Römern,
bie au^brücflicr) oerboten, if)ti $u tobten, unb biefeä Sßeibot auf
fittlidje Söemeggrünbe jurücffü^rten. ü)?au opferte uad) SleCiati
ben pflügenben Ocrjfcn nid)t, weil audj er ein Sanbmann wäre
unb bie ÜKüfje unb Slrbeit beg 2)cenfd)en tf)eilte; 42 SJarro nennt
ifjn ben ©efäfjrteu be§ 9J?enfcf)en in fänbfidjer Arbeit unb ben
Liener ber GereS, ben ju fd)(ad)ten in alter fteit bei SobeSfirafe
oerboten war. 43 $Iiniu3 fennt nod) Verbannung als (Strafe für
ben $reoe!. 44 $>a$felbe Verbot finben wir in 83-irma unb &f)ina. 45
<Se!)r lefnreid) ift bie Beobachtung, wie man bem fittlidjeu
Seweggrunbe wieber burd) einen praftifdjen .§alt 511 geben wufete.
SBir finben im Slftertfiuine allgemein bie Slnfdjauung, bn§ (Stierblut
giftig wirft unb mehreren gefd)id)tltd)en ^erfönlidjfeiten als
XobeStranf gebient Ijat. 46 @3 ift berfelbe ©ebanfengang, ber
un3 oernnlofjt, nafdjljafteu ftinberu irgenb eine oerlocfenbe ©peife
alg giftig 31t be^eidmen.
(5S7)
40
$ufonbern. 2Bie ftarf im übrigen bic tertiären Urfadjen baS
93eftefjen aller gefd)riebeuen unb ungcfdtjriebenen ©peifenerbote
unterftüfeen, brauet ebenforoenig ausführlich bargefegt ju merben,
rote bie Xfjatfadje, bajj audj baS primäre SDcotio nie ganj feine
Sßirffamfett oerlicrt unb immer beftrcbt ift, neite Serbote $u
Raffen unb alte ju befefttgen.
Ratten alle bisher ermähnten <5peifeüerbote fomit eine
gemeinfame ©runblage, fo ift boct) nicfjt $u leugnen, bajj aufjer
ifmen nod) ©efefce befielen, beren SBurjeln anberSroo ju fudien
finb. groei ©nippen t>on Verboten finb f)ier $u nennen, bie
baS ©ine gemeinsam fjobcn, bafj fte jeitlic^ begrenzt finb, alfo
nictjt eine beftimmte ©peife bauernb uuterfagen, fonbern nur auf
eine gerotffe 3*it einige ober fogar aße Nahrungsmittel verbieten.
@S finb bieS einerfcitS bic gaftengebräuche mit allen if)ren
Abarten, anbererfeits bie 8peifegefe£e, bie mit bem @nftem beS
$abu jufammenf)ängen. S3eibe ©ruppen, bie f)ier nur flüchtig
befprod^en werben fönnen, bieten eine $ülle ter fdjmierigften
Probleme, beren Serbunfelung auch h' cr °urd) ben Sßkd)fel ber
Söeroeggrünbe uerurfacrjt roirb.
lieber bie (Sntftefjung beS 5 Q f te,lg ^fft ftd) toenigfteuS
foöiel fagen, bafj man eS längft umuillfürlicr) übte, e^e es fiel)
ju einer beroufjten $anbfung umbilbete; jebeö Sßolf, baS nirfjt
unter aufjerorbentlid) günftigen SSebingungen lebt ober über affc
£>ülfsmittel ber Änltur gebietet, fyat ^ßerioben, in benen bie
Nahrung nidjt für bie SDienge beS SßolfeS ausreißt unb ber
junger djronifct) roirb. £ie %xaqe ift nur, roie man auf ben
©ebanfen fam, freiwillig ju f)iiiiQerti , mit anbereit SEßorten,
roelcfjc Slnneljmlidjfeit ober meieren Sftufcen man fief) oon biefet
(Sntfagung ücrfpracf), — unb f)ier beginnen bie ©djroierigfciten.
©S märe benfbar, bafj ein freiwilliges gaften junäcfjft nur baS
afl$urafd)e Ser^ren ber SSorrätfje Innbern follte, bis bie
(Sntfjaltfamfeit fefunbär jum religiöfen SBerbienfte mürbe, — bann
83
er bie Reiften fjielt unb geraiffen ftlei|d)fpeifen überhaupt cnt«
jagte. 3n einem ©d/reiben beä Sßapfteä &ad)axia$ an 23onifajiu$
finben ficr) biefe ,,d)riftrid)en'' ©peifeuerbote. (53 mar bemnad)
unterfagt, baä ^ifö geruiffer ©eflügelarten effen, namenk
lief) ba$ ber SDofjlen, Äraren unb ©tördje; noef) rucit mef)r
aber foßte baS Ofaitä oer Siber, £afen unb SQSitbpferbe gemieben
roerben. 49 ©3 ift flar, baß Ijier Serbote aufammengefteHt
finb, bie au8 fe^r oerfdjiebenen Oueflen fließen; ber£>afe ecfct)eint
rnerftDürbigertueife aud) anberroärtS, fo oielfadj in 9<orbamerifa,
unter beu verbotenen liieren, oljne baß bie Urfadje beutlicf)
mirb. 2)ie (ärroäljnung be$ „equus silvaticus 14 fdjeint ju
bemeifen, ba§ man ba$ jaf)iue *ßferb bamalS in 3)eutfd)lanb
aud) nict)t met)r aß, ba e$ fonft ftct)er befonberS genannt roäre.
Srofc ber päpftlictjen SBermarnung rourbe übrigen« ba« SIBilbpferb
noef) lange nadjfjer felbft non ©eiftlidjen üer$et)rt, roie bie ©teile
eine? in 6t. ©allen um« 3aljr 1000 gefertigten ©ebid)te3 bemeift :
Sit feralis equi caro dulcis in hac cruce Christi. 50
3n Sslanb behielt man fief) fogar bei (5infüt)rung beä
ßljriftentt)umS ba8 $ferbefleifd)effen auäbrürflid) oor. 51 Die
3bee, baß e3 ,,und)riftlid)" ift, ^ferbefleijcf} $u öerjeljren, f)at
Udj bis in bie iJieujeir nidjt öerloren. (53 ift fefjr intereffant,
ju lejen, roie Stentjam, ber erfte (Srforfdjer 23omu3, ficr) überjeugt,
baß bie ÜDtu3gu feine (itjriften finb, obrooEjl fie non ben SDcufjam-
mebanern fo genannt roerben: (Er fietjt, baß fie *ßferbefleifd)
effen, unb üert)ef)lt bann aud) nid)t feinen Slbfdjeu oor biefer
ÜHucrjlofigfdt. Erofc aOer SBerfdjrobentjeit liegt biefer 2ln«
fdjauung bod) ba3 feljr richtige Jöeroußtfein ,ju ©runbe, baß
mir bem ^ßferbefleifdje au3 fittlicfjen Jöemeggrünben entfagt t)aben
unb in biefem Verbote einen äußeren ÄuSbrucf unjerer Stultur
erfennen müffen.
Jlnbere £au3tt)iere erringen fid) f)ier unb ba eine ät|nlicr)e
©tellung roie ba3 *ßferb. Äamelfleifd) ift in ber Mongolei, toie
6aratntun9. ». 8. VIII. 194. 3 (589)
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41
mürbe baS Saften ben tabuiftifdjen ©räumen feljr naf)e ftef)en.
gbenfo fönntc ber ftaftenbe fid) urfprünglid) bic ©peife endogen
fjaben, um fic ben Verdorbenen ober ben ©Ottern *tt opfern.
Eiefe Srflärungen wären annehmbar genug, roenn nid)t eine
anbere, bie burd) saf)lreicf)e Selege unterftüfct mirb, minbeften«
ebenfo beatfjtenSrcertf) erfd)iene unb uns ermutigte, ben Vraudj
in eine ganj onbere ©ruppe oon Sitten einzureiben, ©er
©cf)roäcf)eäuftanb, ber anfjaltenbem jungem folgt, erjeugt leicr)t
©inneStäufdjungen, Vifionen, mie fie als „Verfügungen" ober
„Srfdjeinungen" in jaljlreicfjen £eiligenlegenben mieberfeljren.
$em 9iaturmenfcr)en finb biefe Einge meljr al« müfte Srauim
bilber, fie geftotten if)m, roie er glaubt, ben ©lief in bie
ßufunft unb ben Verfetjr mit ©eiftern, unb er ift fet|r geneigt,
biefe folgen eine« unfreiroilligen Büngerns nunmehr abfid)tlicf)
fjerborjunifen. 07 3n biefem ©nute ift ba3 ftaften nur eines
jener sa^dofen Littel, (Sfftafe unb Vifionen $u eräugen, bie
bei allen 9*aturoblfern gebräudjlicf) finb: Schlaf fofigfeit, milber
£an$, ©efd)rei unb ©cfang, einfcf)läfernbe üKuftf, Läuterungen,
Sttarfotifa, geiftige ©eiränfe lt. l »• finb ba ju nennen. ÜRag
bie Urfacfa be« $aften$ nun fein, meiere fie miß, ftcf)er ift, bai?
fid> überall bie «Neigung jeigt, bie ©ntl)altfamfeit als oerbienft«
»olle religiöfe £anblung gu betrauten. @ef)r bemerfenSmertl)
ift übrigeng, mie bie primäre Urfarfje ber anberen ©peifeoerbote
audj Ijier nod) einen gemiffen (Sinflufe geltenb mad)t: als ge-
linberen ©rab beS gaftenS finben mir überall baä Vermeiben
beS gleifrf)genuffe3.
gaft nod| fdjroieriger als bie ftrage nad) bem Urfprung
beS gaften8 ift bie nad) ber ©ntftetjung be« SabuiSmuS ju
beantmorten; auf ben Verfug einer fiöfung be3 Problem« läfct
fid) bieömal um fo leidjter »ersten, als bie ©peifegefefce nur
einen Vrudjtfjeil ber jafjlrcidjen Verbote bilben, bie oor allem
in ^olönefien fid) $u einem oermicfelten Snftem t>crauSgebilbet
42
haben. SBicfjtig ift nur ber 3mecf tneler tabuiftifdjer ©peife«
oerbote, ber jebenfotl« fefunbär ift, ober bcn Verboten roenigftenS
6inn unb #alt giebt: ba8 Sabuiren gemiffer Pflanzen- ober
Tierarten auf beftimmte geit foü oerhinbem, bafj fie au$»
gerottet ober in gefährlicher SBeife oerminbert roerben. (ES ift
bieg eine $lnfd)auung, bie fich auf Keinen 3nfeln mit ihren
geringen £ülf$mitteln faft mit 9?ott)menbig!eit entroicfeln mufjte
unb auch auf anberen ©ebieten geltenb macht; mannigfaltig finb
3. V. bie SRittel, einer bebenflidjen Vermehrung ber Solfö^nfjl
oorjubeugen unb auch au f biefe SQScife |mnger$nöthe öon oorn«
herein unmöglich ju machen. $)a8 labufnftem ift offenbar
biefem gtoecfe erft angepafjt morben, aber er ift fo toichtig, bafj
er auch m anberen Ibeilen ber @rbe fich geltenb madit. Tie
merfroürbigen meftafrilanifchen ©peifeoerbote (3£ina unb CuifiÜe)
werben unter Umftänben auch angeroenbet, um bei brohenbem
äRijjioachS ben Verbrauch im oorauS ju befdjränfen. 08 Sei ben
Äaffern ift bie Verüf)rung ber (Ernte oor einem beftimmten 3«t*
punfte felbft bem @igentf)ümer unterfagt, unb bemfelben Volfe
galt eö für Unrecht, Äälber $u f dt)I achten. 69 SSie fo oft, finb
auch h' er ^inge, bie ber ©emeinfcfjaft beS VolfeS nachtheilig
finb, jugleich als fittlid) unb religiös ücnuerflid) ^ingeftellt.
Stuch unter ben joroaftrifchen ©efefcen finbet fich ein Verbot,
junge Sämmer ohne 9?oth ju töbten, 70 unb bem orthobojen
SRuffen erfcheint ba3 Schlachten ber halber nocf) ie&t als fünbhaft;
man null bie X^iere nicht Oernichten, beoor fie ihr ©efdjlecht
fortgepflanzt haben. £>aberlanb 71 ^at auch einige Veifpiele ge«
fammelt, bie fich au f oen ®enufj unreifer fruchte begehen.
3n SRufjlanb burfte früher fein Äpfel oor bem ?lpfelfefte am
6. öuguft, in (Snglanb feiner oor bem 15. ober 25. 3uli ge»
geffen roerben, in Vöotien mar ber (Senufj frifcher (Jrüc^te oor
bem $erbftäquinortium oerboten u. f. m. Stüdjterne, ober burch«
auö ooügültige parallelen $u biefen Verboten finb unfere 3agb«
(598)
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43
gefefce, bic bem SBilbe eine bestimmte Sctjon^eit jubittigen; ba8
SReligiöfe ift aurf) bei ben tabuiftifd)en 23räucr)en nur Seiroerf,
nur fefunbärer Semeggrunb, aber nicf)t ber ftern. 7 *
@o ift eS gar nidjt mög[icf), olle ©peifegefe&e gewaltfam
in eine ©djablone ju preffen; aber mir öerftefjen roenigften«,
roarum luir auf eine fc^ematifcfje 23ef)anbtung uerjidjten fönnen,
ofme bedlyalb überhaupt oor ben Problemen jurücfiueidjen ju
muffen. Hud) bie SJölferfunbe fjat it)re ©efefce, unb melteicf)t
baS roidjtigfte ift baS ©efefc uom SBedjfel ber SSeroeggrünbe unb
ßroeefe, baö bieSmal an einem ber auffallenbjten ©eifpiele
burd)jufüf)ren öerfucfjt roorben ift.
?l unter funa,ctt.
I Gtfmograph,iui)e «Parallelen I, S 114-127.
* Seitfc^rift für 83ölferpftjcf)o[ogie unb" ©pradjrDtffcnfc^aft, 93b- 17
unb 18 (1887 unb 88).
s SJlobigliani, Un viaggiy a Nias, S. 627.
* SB. Söunbt, <Ju)if, S. 97 ff.
5 9iadj feinet Anficht ift bie früfycftc gorm bed £eid)enfd)maufe3 ein
Dpfermatjl für ben 93erftorbenen, ba$ fid) bann in ein Cpferrnatjl für bie
©ötter unb enblidj in einen 6rinncrung$id)inau$ umroanbelt, beffen tefcter
Qtocd cnbltdj ber bfofje ftnnlidje ©enufe ift.
6 SBiebemann, 2)ie Religion ber alten Wegtjpter, S. 96.
7 lieber biefes 33roblcm »gl. meine „QJrunbjüge einer 9ßb,ilofopb,ie
ber $rad)t", @. 121 f.
* 2?er SBraudj fnüpft an eine ber »ergebenen 93orfteE(ungen bon
ber ©eele an, bic man in biefem <5aüe im $aud) berförperl unb bei bem
eEploftonäartigen §erau£fto&eu ber fiuft gefätjrbct glaubt.
■ Ue&cr ben SBcbeutunaaroanbel ber SEBörfer ögl. SBunbt a. a. 0.;
ferner fc.fie&mann, $cr 33ebentung3roanbel im ftranjöftfdjen (Erlangen 1884).
10 Orion» t. b. ^tfcfjr. f. allgemeine ©rbfunbe, «R. ft. V, ©. 51.
II Scber fennt geroiffe Speifen, bie ifjm perfönlid) wiberlidj finb;
metft liegt bie Urfaif>e tiefer, al$ e8 auf ben erften ©lief fdjeint, benn
namentlia) Äinber jeigen fidj tnfrtnfub rodfjlerifd) unb oerfdjmäfjen oft
(599)
44
2)inge, bie (Srmadjfene als befonbere üederbiffen betrauten. 311* ©egenftüd
ift bctran ju erinnern, bafj oon Äinbern bie 2Rtldj taum jemals grmtb-
fä^Iid) surüdgemieien wirb, mfiljrenb fie jaljlreidjen (£rn>a$fenen jumiber ift.
18 ^rfdjeniattta. föeifcn in ber Stfongolei, ©. 48.
11 2>erfelben Slnfidjt ift SBunbt, bet erft nadj ber (Sntbedung be$
gcuerS ba8 3rleifd)effeu beginnen lägt, ebenfo Jßefdjel (33ölfertanbe, 6. tttufl..
©. 158 f.), beffen ©emertangen über farnibore 2lffen <ju toergleidjen fmb
(a. o. 0., 6. 169). ©ertanb (9(ntfjropoIogift^c Beiträge, ©. 91) ftoridjt
fid) meniger entfd)ieben in biefem Sinne aui. mad)t ober (©. 94) bie SBe*
merfung: 3n ber Soweit mar ber 2frudjtbaum üöüiger §>err, ja Iiirann
be3 SKenfdjen.
14 »gl. borüber meinen „$ated)i$mu$ ber SSölfertanbe" @. 36.
14 Eeifbiele bei fcaberlanb, a. a. D. 17. ©. 373. lieber 2Retf>oben,
ba« 5leifd> burd) JReiben nnb treten genießbar ju madjen. ebenba 17, ©. 370.
w Gf>renreid), Beiträge jur SSölfcrfunbe SJrafilienä, S. 14. 3)erfelbe
Srorfdjcr berichtet, baß man bie §üJmer wenigftenS jum Xaufdjfcanbel
bertoenbet, fo ba& fie gerabeju als Selb bienen. (©lobuS 93. 62, 6. 101.)
17 fi. ö. b. Steinen, $urd) <£entral-93rafilien, 6. 262.
18 ©lobuS, SBb. 50, S. 330.
6 Säfar. Bell. Gall. V, 12.
10 «nbree, gtf»nogr. ^arafleten 1, S. 123.
11 Saffen, Snbijc^e SlltcrtfjumStanbe 1, 6. 297.
s * ©o bei ben Steffen ogl. Stnbree, a. a. D. 6. 121. lieber bie
Sauben ton SReffa ogt. Witter, (Erbtante 13, ©. 90. Rubere »eifbiele
bei $efm, Äulturpflanjen unb £au3tl)iere, ©. 461.
SluSlanb 1876, @. 494.
44 9iodj nidjt j. 99. bei ben SBanjamroefi (JReidjarbt i. b. ätfdjr. b.
©efeüfdj. f. Srbtanbe j. Scrltn, 24, @. 322). ben Songo (©djmeinfurH), 3m
§erjen bon Stfrifa 1, ©. 301). ben Saffern (ftropf, $ie Xofafaffern, ©. 99)-
Sgl. aud) SRüßcr, (Stenografie, @. 158.
" 3. SHofe 17. 15.
" «eifpiele bei Slnbree, «araflelen 1, ©. 125.
i7 3mmerb,in ift e$ merfnmrbig, baß in ber altägtjptifdjen Schrift
baS Bcidjen beä 3Nid)esi bie 33ebeutung „oerabfdieuen, ba£ 93erabfd)euen$»
ttJerHje" b.abcn fann. ($ümid;cn, ©efdnajte bcS alten SlegbptenS, ©. 275.)
" Hnbree, «Parallelen 1, ©. 126. »gl. audj SRatjel, SSölfertanbc n,
©. 54, ffropf, 2)ie lofafaffern, ©. 102.
49 «cidjarbt i. b. 3tfd>r. b. berliner ©ef. f. (Srbtanbe 24, ©. 321.
M $>ilbebranbt i. b. 3tfd>r. f. (St^nologte 1878. ©. 378. 9tud> biefe
SSölfer rennen bie gi|d)e ju ben ©anlangen; bie ^üfjner berfd)mäb.t man
nngebltd), mcil fie p ben unreinen ©eiern gehören.
(600)
45
31 Heidjarbt a. a. 0-, & 321.
s * aRüüer, S)ie aineri!anifd)en Urreligionen, ©. 379.
" &. gberS, %ai «Ite in Kairo, ©. 31.
54 <». Kodjtigol. ©abara unb ©uban III, @. 439.
" »gL j. ». 3under, «eifen inflfrifa, ©.237; <J. »od, Unter ben
Kannibalen ton »orneo, ©.80; SB. TOunjinger, 3Ud)r. f. allgemeine Qhrb«
funbe 8. ©. 151; 3. Stibotoftfi, La route da Tcbad ©. 140.
30 Ueberfefct ton ^fijmaier I. b. ©ifcung$ber. b. faif. Slfabemic b.
SBiffenfd). ju SSien, $fji(.*Wi. «1. 33b. 78, ©. 138.
37 ©o befanntlid) in Dielen Ib,etlen Et)ina3, audi in Korea nadi
3a!obfen (GHobu«, 83b. 52, ©.61). ©tämme am unteren ©ambeft jücbten
Jpunbe ftatt ber SRinber, bie ilmnt von ben räuberifdjen SRafalafa geraubt
roorben finb ßtofcel. »ölferfunbe I, ©. 58 b. <5inl.). — SRerrwürbig tft
ber fübctiinefifdic @(aube, bafj Sebcr, ber am löge ©ut fcunbefleifdj ißt
nadjts Dom Seifte beS gegeffenen $unbeS Ijeimgefudjt wiro. (Katfdjer,
»Über a. b. djinefifeben fieben, ©. 251.)
39 Eefcbel, »ölferFunbe. ©. 164. »ei Opfern tritt ber $unb, roaä
auf abnlidjc ©ebanfenberbtnbungen fdjfiefjen la»U oft an bie ©teile bei
SWenf^en. (»eifpiel b. Hnbree. »araüelen I, ©. 19.)
39 ©eiger, Ofriranifdje Kultur, ©.371. §erobot 1, 140- — MlS beilig
erfdjeint ber $uiid nad) 3)alton audj bei ben »aoris in »engaleu. C8tfd)r.
f. (Senologie 6, ©. 380.)
49 Rellin, Notes on the Waganda Tribe, ©. 764 unb 66.
41 ©d)meinfurtf>, 3m $»erjen oon Stfrifa I, ©. 178. — 5lu# bie
SBafjefie, obrooljl im Sefifce bebeutenber gerben, effen nur wenig Sflrifdj.
(Hitflanb 1891, @. 63.)
*» Claud. Aelian. V. Hist. 5, 14.
43 Varro de re rust. 2, 5.
44 Pliniiu Hist. nat. 8, 180. — $0$ »erbot wirb nod) ermähnt
oon »aleriuS SKarimu* (8, 6), ColumeUa (de re ruat. 6) unb Heltan
(Hist. auimal. 12, 54). »gl. and) ben ©prud) bei »ntf)agora3: ßooc
44 »aftian i. b. 8tfd>r. f. fttbnologie 1, ©. 46 unb 64.
44 König »fammetidj oon tfegtipteu nad) #erobot 3, 15; ferner
König SRiba* unb Ibemiftofle«. »gl. audj $aberlanb a. a. O. 17, ©.364.
47 3 n »ari* bemüht ftd? namentlidj ber Ifiierarjt $)ecroir,, bai
»ferbefleifdj populär ju machen. $>te 3ritungen berichteten 1892 oon
einem »antett, bau er *u biefem Qmtde beranftaltet blatte unb roo in
feurigen Weben ba$ »orurtbeil gegen ^ferbefleifdj belämpft »urbe.
48 »eifpitle giebt ». fianglabel in feiner Mbljanblung „»ferbe unb
9taturböl!er (3nternat. Slrdjio f. Ctbnograpbie I, ©. 52).
1,601)
40
40 ....in primis volatilibus, id est de graculis et cornicuhs
atque ciconiis. Qaae omnino cavendae Bant ab esu Cbristianorum.
Etiam et fibri et lepores et equi silvatici multo amplius vitandi.
80 3Ritt&. b. antiquar. öeietlidjaft in 3ürid), III, 2, ®. 99.
61 üangfQDcI a. o. 0-, @. 53.
6 * 3t|d)r. f. gtfmologie 1, 6, 46.
M SInbrec, «parallelen 1. 6. 121.
M fr aKüflct. Ethnographie, 6. 189.
55 SBiebcniami, Sie Religion ber allen Slegupter, 6. 99.
M Seijpiele bei SInbree, ^araüelcn 1, ©. 62—80.
57 SDiflüer, Sie oinerifaniidjen Urreligionen, <S. 123.
1,8 Söiebemann a. a. D. ( S- 99.
M ©. DioUert), Sfraeliten unb gnbianer, überf ». Ärauß, @. 80.
Uebrigen* glaubt fdjon Mintard), bnft bie Quben uripriiufllid) aui 95cr»
etjrung bnä Sdjtüetn gefront b,aben.
60 St. »afiian, iJoatigofüftc l, <2. 186.
61 »aftian, »Jtfdjr. f. Senologie 6, 6. 7.
91 Saftian a. a. 0., ©. 15.
" «aftian, fioangofüftc 1 . S. 188.
04 o. o. 0. 1. S. 355.
65 Jjjcrobot 2, 39.
* &. üumbolfc, Unter 9Renid)enfreffeni, 6. 317.
" Veifpiele gicbt $>aberlaub a. a. D 18, S. 29 f.
** Bafttan. üoangofüfte 2, ©. 39.
6S Stopf, Sie Soiaiaffern. ©. 102.
70 Spiegel, Granijdje Wiertlmntsfunbe 1, ©. 696.
71 9t. a. 0. 18, ©. 17.
7:t @3 mag gcftattct fein, roenigften* in einer fllnmcriung auf bie
roabtftretnlid)e primäre Uriacfce bed XabuiSniusi tjin^umeifcn, bie mit ber
Urfadje ber Scidjeiifdjmäufe jujammeufädt, — bie ©ejpcnftcrfurdit. Jptcr
unb ba perbieten nodj bie ftrcitgftcn labugcjeße beu ©enufj üon ©peifen,
bie einem Verdorbenen gehört baben. 2tuf bei« iVitobaren g. 33. bürfen
bie ftoroSnüffe, bie ba« Eigentbum eines fürfltid) ®eftorbenen fiub, roeber
gepflüdt noch gegeffen werben (Pgl. SB. Sooboba i. 3"t er » at - Wrchio f.
(Stbnogr. VI. ©. 26.) Sie Ucbertragung foldjer Verbote auch auf ba$
(Sigeuttmm tebenber Sßerfonen, junäajft ber Vricftcr unb Häuptlinge, lag
H' l)L" nahe.
(602)
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